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Full text of "Die Gottesbeweise in der katholischen deutschen Literatur von 1850-1900; ein Beitrag zur Geschichte der Philosopie im 19. Jahrhundert"

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BT 

101 


Die  Gottosboweise  in  (h^r  katliolisclien 
doutsclieii  Literatur  von  LSOO    1000. 

Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Philosophie 
im  19.  Jahrhundert. 

Inaugural-Dissertatioa 

verfaßt  und  der 

Hohen  philosophischen  Fakultät 

der 

Kgl.  Bayer.  Julius-Maximilians-Universität  Würzburg 

zur 

PMaiiguiig  der  Doktonvünle 

vorgelegt 

am   11.  Juni   l[H)\) 
von 

Dr.  theol.  Karl  Staab 

aus 
Großlaudenbach. 

Fadt^rborii. 

Druck  von  Ferciinaml  Schöninyh. 
19U1>. 


Referent:  Prof.  Dr.  Stölzle. 


LIBRARY 


1 


727239 

UNIVERSITY  OF  TORONTO 


Vorwort. 

ixngeregt  hat  die  vorliegende  Arbeit  Herr  Univer- 
sitätsprofessor Dr.  Stölzle.  Auch  gab  er  mir  manchen 
freundlichen  Ratschlag  bei  der  Ausarbeitung  des  Themas. 
Hierfür  sei  auch  an  dieser  Stelle  der  gebührende  Dank 
gesagt. 

Der  Verfasser. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seile 

Einleitung 1 

Erster  Teil. 

Möglichkeit  und  Notwendigkeit  der  Gottesbeweise. 

1.  Kap.:  Kant  und  die  Gottesbeweise 2 

>?     1.     Der  transzendentale  Idealismus 2 

§     2.     Kritik  des  Kantschen  Idealismus 7 

2.  Kap. ;   Nachwirkungen   der  Kantschen  Kritik.     Neue  Wege  zur  ob- 

jektiven Gotteserkenntnis 14 

^     S.     Ontologismus  und  Traditionalismus 14 

^     4.     Reformversuche  von  Frohschammer  und  W.  Rosenkrantz  21 

3.  Kap.:  Die  katholische  Tübinger  Schule 28 

??     5.     Die  Theorie  J.  Kuhns 28 

^     6.     Kritik  der  Kuhnschen  Theorie 36 

4.  Kap.:  Die  Neuscholastiker öo 

^     7.     Erkenntnistheorie 50 

J^     8.     Notwendigkeit,  Möglichkeit,  Ötringenz  der  Gottesbeweise  55 

Zweiter  Teil. 

Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

Einteilung  der  Gottesbeweise «sei 

I.    Gottesbeweise  a  priori. 

5.  Kap.:  Der  ontologische  Goltesbeweis  und  seine  heutige  Wertung  .  63 

II.    Gottesbeweise  a  posteriori. 

A.    Gottes  beweise  aus  dem  Makrokosmos. 

Die  kosmologischen  Gottesbeweise 73 

6.  Kap.:  Die  fünf  sog.  aristo! elisch-thomisti.«chen  ^.WoKe"*      ....  74 

??     9.     Beurteilung  dieser  ^Vege 75 

§  1<».     Der  Gottesbeweis  aus  der  Bewegunii-   ....  .77 

7.  Kap.:  Ko.«Jinologiseher  Kontingenzbeweis 82 

§  11.     Formulierung  des  Beweises 82 

§  12.     Einwändo  gegen  den  kosmologischen  Kontingenzbeweis  93 


VI  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

8.  Kap.:  Teleoloirischer  Gottesl)eweis 106 

§  13.     Nomologischer  Gottesbeweis       107 

a)  Formulierung  des  Beweises 107 

h)  Einvvnnde  gegen  den  nomologischen  Gottesbeweis  .  111 

§  14.     Teleologischer  Gottesbeweis 115 

a)  Formulierung  des  Beweises 115 

b)  Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis  121 
a)  Kant  als  Gegner  des  teleol.  Gottesbeweises  .     .  121 
ß)  Der  Pessimismus   als  Gegner   des  teleol.  Gottes- 
beweises     . 126 

y)  Der  mechanische  Monismus  als  Gegner  des  teleol. 

Gottesbeweises 128 

rfi  Der   Psychismus   als  Gegner    des    teleol.   Gottes- 
beweises         132 

Das  theologische  oder  thaumatologische  Argument 133 

B,    Gottesbeweise  aus  dem  Mikrokosmos. 

Die  psychologischen  Gottesbeweise 13.5 

9.  Kap.:  Ideologischer  Gottesbeweis 136 

a)  Gewöhnliche  Fassung 136 

b)  Der  ideologische  Gottesbeweis  bei  Schell       .     .     .     .  139 

10.  Kap.:  Der  noetische  Gottesbeweis 143 

11.  Kap.:  Moralischer  Gottesbeweis 146 

§  15.     a)  Deontologischer  Gottesbeweis     .               146 

§  16.     b)  Eudämonologischer  Gottesbeweis 151 

§  17.     cj  Religiöser  Gottesbeweis 154 

12.  Kap.:  Historischer  Gottesbeweis 157 

1.  Der  eigentliche  historische  Gottesbeweis 157 

2.  Der  sog.  historische  oder  ethnologische  Gottesbeweis  .  158 

a)  Formulierung  des  Beweises 158 

b)  Bedenken  gegen  den  historischen  BeAveis    ....  161 

13.  Kap.:  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise? 166 

a)  Alle  Gottesbeweise  nur  ein  Gottesbew^eis 167 

b)  Gottesbeweise  und  Gottesbeweis 170 

Schluß 174 

Literatur ....  178 

Personenregister 186 

Sachregister 189 


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E  i  n  1  e  i  t  u  II  g* 


Gewöhnlich  glaubt  man  Philosophie  nur  in  Werken 
von  Männern  zu  finden,  welche  Philosophie  als  Beruf 
treiben.  Man  übersieht  aber  dabei,  daß  auch  in  theo- 
logischen und  naturwissenschaftlichen  Arbeiten  viel  Philo- 
sophie enthalten  ist.  Besonders  gilt  dies  für  die  Theologie, 
die  mit  der  Philosophie  die  wichtigsten  Probleme  gemein- 
sam hat.  Gleichwohl  meldet  die  Geschichte  der  Philosophie 
gewöhnlich  nichts  oder  doch  nur  vereinzelt  von  dieser  philo- 
sophischen Arbeit. 

Wir  meinen  darum  eine  Lücke  auszufüllen,  wenn  wir 
die  philosophische  Arbeit  der  Theologen  über  das  bedeut- 
samste aller  philosophischen  Probleme,  das  Gottes- 
problem, zum  Gegenstand  einer  speziellen  Schrift 
machen.  Und  zwar  werden  wir  zunächst  die  philoso- 
phische Arbeit  der  katholischen  Theologen  in  dieser 
Beziehung  ins  Auge  fassen,  die  gleiche  Arbeit  bei  den 
protestantischen  Theologen  einer  späteren  Zeit  vor- 
behaltend. Wenn  wir  gerade  den  Zeitraum  von  1850  ab 
w^ählen.  so  tun  wir  es  deshalb,  weil  mit  der  Mitte  des 
verflossenen  Jahrhunderts  die  katholische  Wissenschaft  in 
Deutschland  einen  besonderen  Aufschwung  genommen  hat. 

Unsere  Darstellung  wird  auf  eine  zweifache  Frage 
Ant\yort  zu  geben  versuchen: 

1.  Wie  stellt  sich  die  katholische  wissenschaftliche 
Literatur  zur  Frage  nach  der  Möglichkeit  und  Notwen- 
digkeit der  Gottesbeweise? 

2.  Wie  führt  sie  die  Gottesbeweise  im  einzelnen? 


Staab,  Gottesbeweise  in  der  kath.  Literatur. 


Erster  Teil. 

Möglichkeit  und  Notwendigkeit 
der  Gottesbeweise. 


Erstes  Kapitel. 

Kant  und  die  Gottesbeweise. 

§  1. 
Der  transzendentale  Idealismus. 

Die  Lösung  der  Frage,  ob  Gottesbeweise  möglich  sind, 
hängt  in  erster  Linie  davon  ab,  ob  überhaupt  Metaphysik 
möglich  ist. 

Kant  leugnete  die  Möglichkeit  der  Metaphysik,  mußte 
darum  folgerichtig  die  Gottesbeweise  verwerfen.  Er  tat 
dies  auf  Grund  seiner  Erkenntnistheorie.  Von  der  Stellung- 
nahme zur  Kantschen  Erkenntnistheorie  hängt  darum  auch 
die  Stellungnahme  zu  den  Gottesbeweisen  ab. 

Wir  müssen  darum  etwas  näher  auf  diese  Erkenntnis- 
theorie eingehen.  Sie  findet  sich  in  der  „Kritik  der  reinen 
Vernunft".^  Die  Metaphysik,  behauptet  Kant,  hat  bisher 
noch  keinen  sicheren  Gang  der  Wissenschaft  anzuschlagen 
vermocht,  „obgleich  sie  älter  ist  als  alles  übrige  und  bleiben 
würde,  wenngleich  die  übrigen  insgesamt  in  dem  Schlund 
einer  alles  vertilgenden  Barbarei  gänzlich  verschlungen 
werden  sollten.  Denn  in  ihr  gerät  die  Vernunft  kontinuier- 
lich ins  Stocken,  selbst  wenn  sie  diejenigen  Gesetze,  welche 


1  Wir  zitieren  im  folgenden  nach  der  zweiten  Ausgabe  der  Kritik 
d.  r.  V.  vom  Jahre  1787,  herausgegeben  von  Kirchmann,  Philosophische 
Bibliothek.  2.  Band.     Berlin  1870. 


Der  transzendentale  Idealismas.  3 

die  gemeinste  Erfahrung  bestätigt  (wie  sie  sich  anmaßt), 
a  priori  einsehen  will."^ 

Darum  v/ill  es  Kant  auf  einem  anderen  Wege  mit  der 
Metaphysik  versuchen. 

„Bisher  nahm  man  an,  alle  unsere  Erkenntnis  müsse 
sich  nach  den  Gegenständen  richten ;  aber  alle  Versuche, 
über  sie  a  priori  etwas  durch  Begriffe  auszumachen,  wo- 
durch unsere  Erkenntnisse  erweitert  würden,  gingen  unter 
dieser  Voraussetzung  zunichte.  Man  versuche  es  daher 
einmal,  ob  wir  nicht  in  den  Aufgaben  der  Metaphysik  damit 
besser  fortkommen,  daß  wir  annehmen,  die  Gegenstände 
müssen  sich  nach  unserer  Erkenntnis  richten, 
welches  so  schon  besser  mit  der  verlangten  Möglichkeit 
einer  Erkenntnis  derselben  a  priori  zusammenstimmt,  die 
über  Gegenstände,  ehe  sie  uns  gegeben  werden,  etwas  fest- 
setzen soll.  Es  ist  hiermit  ebenso  als  mit  den  ersten 
Gedanken  des  Kopernikus  bewandt." - 

Das  ist  also  Kants  neuer  Standpunkt  bei  der  Unter- 
suchung des  menschlichen  Erkenntnisvermögens:  Unsere 
Erkenntnis  richtet  sich  nicht  nach  den  Dingen,  sondern 
die  Dinge  richten  sich  nach  unserer  Erkenntnis. 

Grundlage  dieser  neuen  Lehre  Kants  ist  eine  zweifache 
Unterscheidung  der  Urteile  zunächst  in  analytische  oder 
Erläuterungsurteile,  deren  Prädikat  im  Subjektsbegriff 
bereits  enthalten  ist,  und  synthetische  oder  Erweiterungs- 
urteile, deren  Prädikat  erst  zum  Subjektsbegriff  hinzu- 
kommt. Nur  durch  letztere  wird  wahres  Wissen  gewonnen. 
Allein  die  synthetischen  Urteile  können  nur  dann  wahre 
Wissenschaft  erzeugen,  wenn  sie  notwendig  und  allgemein 
gültig  sind. 

Um  den  synthetischen  Urteilen  diese  Eigenschaft  zu 
verschaffen,  unterscheidet  Kant  weiterhin  Urteile  a  priori 
und  a  posteriori.  Die  Urteile  a  posteriori  sind  Erfahrungs- 
urteile und  tragen  den  Charakter  der  Partikularität  und 
Zufälligkeit,    Urteile   a   priori    sind    von   aller  Erfahrung 


1  Vorrede  zur  zweiten  Ausgabe  der  Kr.  d.  r.  V.  26. 

2  A.  a.  0.  27—28. 


4  Kant  und  die  Gottesbeweise. 

unabhängig  und  haben  einen  notwendigen  und  allgemeinen 
Inhalt. 

Wissenschaftliche  Erkenntnis  können  nur  Urteile  er- 
zeugen, die  synthetisch  und  a  priori  zugleich  sind,  die 
sog.  „synthetischen  Urteile  a  priori". 

Daß  es  solche  synthetische  Urteile  a  priori  gibt,  hält 
Kant  für  unbedingt  ausgemacht.  Er  zählt  dazu  die  meisten 
mathematischen  Urteile  und  die  allgemeinen  Sätze  der 
Naturwissenschaft,  ebenso  alle  metaphysischen  Urteile, 
z.  B.  das  Kausalprinzip. 

Wie  sind  aber  solche  synthetische  Urteile  a  priori 
möglich? 

Die  Lösung  dieser  Frage  bildet  den  Schwerpunkt  der 
Kritik  der  reinen  Vernunft.  Kant  unterscheidet  ein 
dreifaches  Erkenntnisvermögen:  das  sinnliche  oder  die 
Anschauung,  Verstand  und  Vernunft. 

Das  sinnliche  Erkenntnisvermögen  vermittelt  uns 
Anschauungen  von  sinnfälligen  Dingen.  Ihr  Gegenstand 
sind  nicht  die  Dinge  selbst,  sondern  die  Erscheinungen 
derselben. 

Der  Verstand  bildet  Urteile  über  die  Erscheinungen 
der  Dinge. 

Die  Vernunft  faßt  die  Verstandesbegriffe  durch  Schlüsse 
zu  einer  höheren  Einheit  zusammen. 

Jedes  dieser  drei  Erkenntnisvermögen  hat  seine  Er- 
kenntnisformen, die  a  priori,  d.  h.  mit  der  Natur  des 
Vermögens  gegeben  sind.  So  sind  die  apriorischen  Er- 
kenntnisformen des  sinnlichen  Erkenntnisvermögens  oder 
der  Anschauung  Raum  und  Zeit,  die  des  Verstandes  die 
Kategorien,  die  der  Vernunft  die  Idee  des  Unbedingten. 
Aus  dem  Stoff  der  Eindrücke  und  Empfindungen  entstehen 
zunächst  mit  Hilfe  der  Anschauungsformen  des  Raumes 
und  der  Zeit  die  Erscheinungen  der  Dinge,  die  Voraus- 
setzung der  Verstandeserkenntnis. 

Diese  Erscheinungen  fügt  der  Verstand  gleichsam  in 
seine  apriorischen  Formen  ein,  und  dadurch  „erkennt"  er 
die  Erscheinungen  der  sinnlichen  Objekte.  Diese  Er- 
kenntnis heißt  dann  Erfahrung. 


Der  transzendentale  Idealismus.  5 

Die  reinen  Erkenntnisformen  oder  Kategorien,  die  wir 
unabhängig  von  aller  Erfahrung  besitzen,  also  nicht  erst 
durch  Abstraktion  aus  der  Erfahrung  gewinnen,  haben 
ihren  Wert  in  synthetischen  Urteilen,  aber  die  Gegen- 
stände, für  welche  sie  gelten,  sind  nicht  die  Dinge  an  sich, 
sondern  nur  die  Erscheinungen  der  Dinge,  wie  sie  als 
Vorstellungen  in  unserem  Bewußtsein  sind.  Das  „Ding  an 
sich"  kann  der  Mensch  nicht  erkennen;  darum  gibt  es 
keine  Metaphysik  im  eigentlichen  Sinn,  sondern  nur  eine 
„Metaphysik  der  Erscheinungen".  Zwar  sucht  naturnot- 
wendig unsere  Vernunft  über  die  Grenzen  der  Erfahrung 
hinauszugehen,  um  das  Ding  an  sich  zu  erkennen,  sie  sucht 
durch  Schlußfolgerung  vom  Bedingten  zum  Unbedingten 
aufzusteigen  und  die  Verstandesbegriffe  zu  einer  sicheren 
Einheit  zu  verbinden.  So  verirrt  sie  sich  in  die  Metaphysik 
des  Übersinnlichen,  hält  das  für  erreichbar,  was  wir  nicht 
erkennen  können. 

Das  ist  aber  nur  Illusion  und  zwar  unvermeidliche 
Illusion,  weil  die  Vorstellung  des  Unbedingten  eine  apri- 
orische Erkenntnisform  unserer  Vernunft  ist. 

Während  wir  nur  berechtigt  sind,  auf  das  Unbedingte 
als  Idee  zu  schließen,  schließen  wir  auf  das  Unbedingte  als 
Objekt. 

„Dergleichen  Schlüsse  sind  aber  in  Ansehung  ihres 
Resultates  eher  vernünftelnde  als  Vernunftschlüsse  zu 
nennen,  wiewohl  sie  ihrer  Veranlassung  wegen  wohl  den 
letzteren  Namen  führen  können,  weil  sie  doch  nicht  er- 
dichtet oder  zufällig  entstanden,  sondern  aus  der  Natur 
der  Vernunft  entsprungen  sind.  Es  sind  Sophistikationen 
nicht  der  Menschen,  sondern  der  reinen  Vernunft,  von 
denen  selbst  der  Weiseste  unter  allen  Menschen  sich  hicht 
losmachen,  und  vielleicht  zwar  nach  vieler  Bemühung  den 
Irrtum  verhüten,  den  Schein  aber,  der  ihn  unaufhörlich 
zwackt  und  äfft,  niemals  los  werden  kann."^  Solcher 
„dialektischer  Vernunftschlüsse  gibt  es  nun  dreierlei  Arten, 
so  vielfach    als   die  Ideen  sind,    auf   die   ihre  Schlußsätze 


1  Kr.  d.  r.  V.  321—322. 


6  Kant  und  die  Gottesbeweise. 

auslaufen".  Wir  schließen  aber  vom  Bedingten  auf  das 
Unbedingte  in  uns,  auf  die  Existenz  der  Seele,  auf  diesen 
Schlüssen  beruht  die  rationale  Psychologie;  ferner  auf  das 
Unbedingte  außer  uns,  d.  h.  auf  die  Welt,  auf  diesen 
Schlüssen  beruht  die  rationale  Kosmologie;  endlich  auf 
das  Unbedingte  als  das  mögliche  Sein,  d.  h.  auf  Gott;  auf 
diesen  Schlüssen  beruht  die  rationale  Theologie.  Weil  nun 
rationale  Psychologie,  Kosmologie  und  Theologie  auf  der- 
artigen unstatthaften  Schlüssen  fußen,  sind  sie  nur  Schein- 
wissenschaften. 

Insbesondere  ist  die  rationale  Theologie  zu  verwerfen, 
weil  sie  auf  Gott,  das  allerrealste  Wesen,  als  Objekt  schließt. 
Alle  Gottesbeweise  sind  hinfällig. 

Seele,  Welt,  Gott  können  nicht  Erkenntnisobjekte  sein; 
sie  haben  nur  den  Wert  „regulativer  Prinzipien",  insofern 
sie  uns  anleiten,  in  aller  Erfahrungserkenntnis  Einheit  zu 
suchen  und  insofern  als  sie  „die  Postulate  der  reinen 
praktischen  Vernunft"  denkbar  machen. 

So  ist  das  Resultat  der  Kritik  der  reinen  Vernunft 
Verwerfung  der  Metaphysik  als  Wissenschaft;  denn  wir 
erkennen  nur  jene  Dinge,  welche  für  uns  Gegenstand  der 
Erfahrung  sein  können,  aber  auch  von  diesen  nur  die  Er- 
scheinung, nicht  die  Dinge  an  sich. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  es  für  die  Gottesbeweise, 
daß  Kant  auch  das  Kausalgesetz  als  Kategorie  des  Ver- 
standes, als  subjektive,  angeborene  Denkform,  als  synthe- 
tisches Urteil  a  priori  erklärt.  Darum,  kann  uns  das 
Kausalgesetz  nach  Kant  durchaus  nicht  aus  der  Welt  der 
subjektiven  Erscheinung  hinüberführen  zur  Erkenntnis 
des  objektiven  Seins;  kein  auf  das  Kausalgesetz  sich 
stützender  Beweis  kann  Gewißheit  vom.  Dasein  Gottes 
geben,  da  ja  Gott  kein  Gegenstand  möglicher  Sinnes- 
erfahrung ist.  Jeder  derartig  geführte  Beweis  bewegt  sich 
in  bloßen  Begriffen,  mündet  schließlich  im  ontologischen, 
dem  „Beweis  aus  lauter  reinen  Vernunftbegriffen".i 

Nun  ist  aber   das  Kausalgesetz   „das   leuchtende  Ein- 

1  Kr.  d.  r.  V.  502. 


Kritik  des  Kantschen  Idealismus.  7 

gangstor  und  Bollwerk  zugleich  für  alles  Wissen  überhaupt, 
sowie  für  die  Erkenntnis  des  persönlichen  Gottes  und 
Weltschöpfers  insbesondere".^ 

Unsere  Gotteserkenntnis  ist  eine  Schlußfolgerung  von 
der  Wirkung  auf  die  Ursache.  Soll  darum  unsere  Gottes- 
erkenntnis eine  wahre  und  gewisse  sein,  so  muß  vor  allem 
die  Gewißheit  des  Kausalgesetzes  feststehen.  Darum  ist 
die  erste  Voraussetzung,  der  große  Obersatz  des  Gottes- 
beweises, die  unbedingte,  ausnahmslose  Geltung  des  Kausal- 
gesetzes, womit  nichts  anderes  als  die  Fähigkeit  unserer 
Vernunft  zur  Erkenntnis  überhaupt  ausgesprochen  ist; 
die  zweite  Voraussetzung,  der  Untersatz  des  großen  Gottes- 
beweises, die  Tatsächlichkeit  der  geistigen  Innenwelt  und 
der  uns  umgebenden  Außenwelt,  die  Tatsächlichkeit  des 
Geistes  und  der  sinnlichen  Natur,  die  Welt  der  Tatsachen.- 

Indem  nun  Kant  das  Kausalgesetz  als  eine  Kategorie 
des  Verstandes  erklärte,  die  nach  seiner  Ansicht  nicht 
durch  Abstraktion  aus  der  Erfahrung  gewonnen,  sondern 
a  priori  gegeben  ist,  hat  er  „die  einzige,  solide  Basis,  das 
Dasein  Gottes  zu  beweisen",  zerstört,  und  es  war  nur 
konsequent,  wenn  er  auf  Grund  seiner  erkenntnistheore- 
tischen Prämissen  die  Gottesbeweise  ablehnte.  Denn  je 
nach  der  Stellungnahme  zu  diesen  Prämissen  stehen  oder 
fallen  die  Gottesbeweise. 

§  2. 
Kritik  des  Kantschen  Idealismus. 

Wenn  sich  erweisen  läßt,  daß  die  erkenntnistheore- 
tischen Prämissen  Kants  unhaltbar  sind,  so  fällt  von  selbst 
dahin  die  Schlußfolgerung  Kants:  Metaphysik,  Gottes- 
beweise sind  unmöglich.  Darum  prüft  der  kath.  Philosoph 
und  Apologet  vor  allem  die  Grundlage  des  idealistischen 


1  Schell,  Gott  und  Geist  l  107.    Paderborn  1895. 

2  Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  I  190—101.  Braig,  Gottesbeweis 
oder  Gottesbeweise?  156.  Stuttgart  1888.  Kaufmann,  Das  Kausalitäts- 
prinzip und  seine  Bedeutung  für  die  Philosophie.  Phil.  Jahrbuch  4 
(1891)  114.     Schanz,  Apologie  P  499.    Freiburg  1903. 


8  Kant  und  die  Gottesbeweise. 

Kantschen  Systems,  insbesondere  ob  synthetische  Urteile 
a  priori  zulässig  sind,  und  ob  das  Kausalitätsgesetz  eine 
angeborene  Denkform  ist. 

Mit  Recht  wird  zunächst  gegen  Kant  geltend  gemacht, 
daß  sein  Vorhaben  in  der  „Kritik  der  reinen  Vernunft" 
mit  seiner  Grundvoraussetzung  unvereinbar  ist. 

Er  bezweifelt  positiv  die  Leistungsfähigkeit  unserer 
Erkenntniskraft,  stellt  aber  trotzdem  mit  ebendieser  Ver- 
nunft eine  kritische  Untersuchung  über  die  Frage  an,  ob 
der  Vernunft  zu  trauen  sei  oder  nicht.  So  sägt  er  sich 
gleichsam  selbst  den  Ast  ab,  auf  dem  er  bei  seiner  kri- 
tischen Arbeit  hätte  sitzen  sollen. 

Wenn  die  Vernunft  überhaupt  nichts  Wahres  erkennen 
kann,  wer  verbürgt  uns  dann  die  Wahrheit  der  Kantschen 
Kritik  und  ihres  Ergebnisses?  ^ 

Sodann  lehnt  man  unbedingt  ab  die  Grundvoraus- 
setzung Kants  von  synthetischen  Urteilen  a  priori.^ 

Der  Mensch  hat  keine  Begriffe  a  priori,  sondern  ge- 
winnt seine  sämtlichen  Begriffe  durch  Abstraktion  aus  der 
Erfahrung.  Darum  haben  alle  seine  Begriffe  einen  sach- 
lichen Inhalt  und  sind  nicht  bloß  regulative  Formen  des 
Denkens.  Durch  dieses  Prinzip  bleibt  unserer  Erkenntnis 
die  unmittelbare  Verbindung  mit  der  Erfahrungswelt  be- 
wahrt, und  man  braucht  nicht  erst  eine  Brücke  zwischen 
ihren  Begriffen  und  Urteilen  einerseits  und  der  Erfahrungs- 
welt anderseits  zu  erbauen. 

Die  menschliche  Vernunft  betätigt  sich  nach  gewissen 
Denkgesetzen,  „Denkformen",  aber  sie  befolgt  sie  nicht 
nur,  sondern  sieht  auch  ihre  Wahrheit  ein.  „Inhaltleere 
Denkformen  aber,  wie  Kant  sie  aufstellt,  welche  nur 
Voraussetzung,  nicht  Objekt  der  Verstandestätigkeit  sein 
sollen,  sind  gegen  die  Natur  der  Vernunft  und  eine  ver- 
nunftwidrige Fiktion." 

Es  gibt  darum  auch  nur  zwei  Arten  von  Urteilen: 
analytische,  von  Kant  Erläuterungsurteile  genannt,  d.  h. 

i  Vgl.  Lehmen,  Lehrbuch  der  Phil.  I  205—207.    Freiburg  1899.  | 

2  Straub,  Kant  und  die  natürhche  Gotteserkenntnis.  Phil.  Jahr- 
buch 12  (1899)  406.     Geyser,  Das  philosophische   Gottesproblem   150  f. 


Kritik  des  Kantschen  Idealismus.  9 

solche,  in  denen  der  Prädikatsbegriff  durch  bloße  Analyse 
des  Subjektsbegriffes  gewonnen  wird,  und  synthetische 
Urteile,  von  Kant  Erweiterungsurteile  genannt,  d.  h.  solche, 
in  welchen  der  Prädikatsbegriff  nicht  im  Subjektsbegriff 
enthalten  ist,  sondern  als  neuer  Begriff  mit  ihm  ver- 
bunden wird. 

Sämtliche  synthetische  Urteile  sind  notwendig  Er- 
fahrungsurteile, d.  h.  empirische  Sätze  a  posteriori.  Andere 
synthetische  Urteile  als  solche  von  der  genannten  Art  sind 
nicht  möglich,  denn  wir  haben  nur  die  beiden  Urteils- 
quellen der  Erfahrung  und  der  analytischen  Zerlegung  der 
Begriffe. 

Die  Beispiele,  die  Kant  als  synthetische  Urteile  a  priori 
anführt,  sind  dies  tatsächlich  nicht,  sondern  teils  ana- 
lytische Urteile,  wie  die  aus  der  Arithmetik  (7  -|-  5  =  12), 
teils  synthetische,  durch  die  sog.  vollständige  Erfahrungs- 
induktion gewonnen,  wie  die  Sätze  der  Geometrie  oder 
gewisse  Sätze  der  Naturwissenschaften.^ 

Insbesondere  ist  das  Kausalgesetz,  das  Kant  als 
erstes  Beispiel  eines  solchen  Urteils  nennt,  kein  synthe- 
tisches Urteil,  sondern  ein  analytisches  und  gilt  darum 
notwendig  von  jedem  Seienden,  dessen  Existenz  geworden 
ist.  Den  Begriff  der  Ursache  denken  wir  verworren  mit 
im  Begriff  des  Entstehens. 

Analysieren  wir  letzteren  Begriff,  so  finden  wir  zu- 
nächst den  Begriff  des  zeitlichen  Anfangs  von  etwas. 
Vergleichen  wir  die  Begriffe  weiter,  so  ergibt  sich  aus 
der  Wahrnehmung,  daß  etwas  nicht  immer  gewesen  ist, 
aber  doch  immer  hätte  sein  können,  der  Begriff  des  kon- 
tingenten  Seins.  Daraus  schließen  wir  dann  mit  Denk- 
notwendigkeit, daß  ein  derartiger  Gegenstand  durch  ein 
anderes  Seiendes  zum  Dasein  bestimmt  werden  muß.- 

Die  Idee  der  Ursache  und  das  Prinzip  der  Kausalität 
schöpfen  wir  teils  aus  der  durch  die  äußeren  Sinne  und 
den    inneren    Sinn    vermittelten   Erfahrung    und   insofern 


1  Vgl.  Gays  er,    Das  phil.   Gottesproblem.     Bonn    1899.     138—141. 
Lehmen  A.,  Lehrbuch  der  Philosophie  I.     Freiburg  1899.  205—212. 
-  Geyser  a.  a.  0.  135—137. 


10  Kant  und  die  Gottesbeweise. 

a  posteriori,  teils  aus  Vernunftprinzipien  und  insofern  a 
priori.  Es  setzt  die  empirische  Erkenntnis  voraus,  daß 
es  irgendwelches  Werden  oder  irgendwelches  Gewordene, 
einen  Übergang  vom  bloß  Möglichen  zum  Wirklichen  gibt; 
an  sich  ist  es  eine  apriorische  Vernunftwahrheit,  ein  ana- 
lytisches Urteil  von  absoluter  Gewißheit.^ 

Das  Kausalprinzip  als  analytisches  Urteil  ist  also  nicht 
nur  Resultat  der  Erfahrung,  Induktion;  die  Begriffe  von 
Ursache  und  V/irkung  müssen  ausgehend  von  Selbst- 
beobachtung und  der  Beobachtung  des  Werdens  in  der 
Natur  vermitteist  Abstraktion  der  Vernunft  aus  dem  Sinn- 
lichen gebildet  werden.- 

Einen  eigentlichen,  direkten  Beweis  kann  man  für 
das  Kausalitätsprinzip  nicht  führen;  denn  es  kann 
keinen  Ober-  und  Untersatz  geben,  aus  dem  mit  Notwendig- 
keit der  Schlußsatz  folgte:  Keine  Wirkung  ohne  Ursache. 
„Wer  den  Satz  vom  zureichenden  Grund  beweisen  will, 
der  setzt  bereits  voraus,  daß  es  einen  zureichenden  Grund 
für  die  Wahrheit  des  Satzes  vom  zureichenden  Grund  geben 
müsse."  ^ 

Es  läßt  sich  nur  eine  indirekte,  apagogische  Begrün- 
dung geben,  indem  man  evident  nachweisen  kann,  daß  das 
Gegenteil  unmöglich  ist,  zur  Aufhebung  des  Identitäts- 
gesetzes oder  des  Satzes  vom  Widerspruch  führt.^ 

Das  Kausalgesetz  bedarf  auch  gar  keines  Beweises, 
weil  es  als  oberstes  Denk-  und  Seinsgesetz  unmittelbar 
evident  ist.     Die   Kausalitätsidee   findet    sich    darum    tat- 


1  Heinrich,  Dogmatik  IIP.  Mainz  1883.  213—215. 

2  Kaufmann,  Das  Kausalitätsprinzip  und  seine  Bedeutung  für  die 
Philosophie.     Phil.  Jahrbuch  4  (1891)  107. 

^  Vgl.  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur  Gottheit.  Stuttgart 
1902.  6  (112  ff.).  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  156.  Hont- 
heim,  Institutiones  Theodicaeae.  Freiburg  1893.  70 — 71.  Pesch  T., 
Institutiones  logicae.  Freiburg  1890.  II  1593.  Gutberiet,  Allg.  Meta- 
physik. Münster  1890.  97.  Geyser  a.  a.  0.  114  f.  Lehmen  a.  a.  0. 
412-420. 

*  Braig  a.  a.  0.  157—161.  Hontheim  1.  c.  69—73.  Gutberiet 
a.  a.  0.  95.  Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  I  106—124.  Schanz,  Apo- 
logie P  188  ff.     Kaufmann  a.  a.  0.  105—106. 


Kritik  des  Jvantschen  Idealismus.  1 1 

sächlich  bei  allen  Menschen  und  wird  von  ihnen  mit  innerer 
Notwendigkeit  für  wahr  gehalten.  Das  Kausalitätsprinzip 
als  analytisches  Urteil  hat  eine  ganz  ausnahmslose  Gültig- 
keit für  das  ganze  Universum  der  Ursachen  und  Wirkungen, 
für  das  Gebiet  des  Denkens  und  des  Seins  und  erfreut  sich 
wie  alles  analytische  Urteilen  des  höchsten  Grades  der 
Gewißheit.'  Es  ist  „einerseits  eine  subjektive  Wissens- 
notwendigkeit, anderseits  eine  das  ganze  Reich  der  Wirk- 
lichkeit beherrschende  und  verknüpfende  objektive  Seins- 
notwendigkeit. ^ 

Weil  das  Kausalitätsprinzip  allgemeine  Geltung  hat, 
darf  es  nicht  auf  die  sinnlich  wahrnehmbaren  Erschei- 
nungen eingeschränkt  werden,  sondern  wir  dürfen  dasselbe 
auch  in  den  letzten  Konsequenzen  anwenden,  indem  wir 
aus  den  Erscheinungen  der  Dinge  auf  das  innere  Wesen 
der  Dinge,  vom  Universum  auf  die  höchste  Ursache  des 
Universums,  auf  Gott  zurückschließen. 

Es  ist  eine  wissenschaftliche  Halbheit,  wenn  man  das 
Kausalgesetz  nur  für  die  in  der  sichtbaren  Natur  beob- 
achteten Fälle  gelten  lassen  will,  seine  Anwendung  auf  die 
transzendentale  Ursache  aber  leugnet.  Die  Vernunft  ver- 
langt nicht  bloß  für  eine  gewisse  Klasse  von  Dingen  eine 
entsprechende  Ursache,  sondern  für  jede  Wirkung,  sie 
mag  sinnlich  oder  nicht  sinnlich  sein.  Das  Kausalgesetz 
lautet  daher  ganz  allgemein:  keine  Wirkung  ohne  ge- 
nügende Ursache! 

Kant  selbst  hat  seinen  Grundsatz,  wonach  das  Kausal- 
gesetz nur  in  der  Sinnenwelt  Bedeutung  hat,  umgestoßen 
durch  die  Annahme  von  „Dingen  an  sich".  Denn  zu  dieser 
Annahme  ist  er  nur  durch  einen  Schluß  von  den  Erschei- 
nungen gekommen.  Von  den  in  uns  gewirkten  Sinnes- 
empfindungen oder  Erscheinungen  hat  er  auf  das  Dasein 
der  Dinge-an-sich  als  deren  Ursache  geschlossen,  obschon 
die  Dinge-an-sich  nicht  zur  Sinnenwelt  gehören,  sondern, 
wie  er  selbst  betont,  etwas  „Übersinnliches"  sind.  Folg- 
lich hat  Kant    hier    selbst    von   dem   Kausalofesetz   einen 


1  Schanz,  Apologie  I*  494. 


12  Kant  und  die  Gottesbeweise. 

metaphj^sischen  Gebrauch  gemacht  und  damit  dessen  Ein- 
schränkung auf  das  Gebiet  der  Erscheinungen  aufgehoben.^ 
Konsequent  würde  dies  zur  Leugnung  aller  Philosophie, 
ja  aller  Wissenschaft  überhaupt  führen.-  Denn  alle  Wissen- 
schaft, insbesondere  auch  die  Naturwissenschaft,  verfährt 
nach  dem  Grundsatz:  In  allen  Fällen,  wo  eine  Tatsache 
aus  den  innerhalb  einer  bestimmten  Sphäre  gegebenen 
Ursachen  nicht  erklärlich  ist,  muß  eine  außerhalb  jener 
Sphäre  liegende  Ursache  angenommen  werden. 

Nach  diesem  Prinzip  verfährt  auch  die  Metaphysik 
bei  Aufstellung  der  Gottesbeweise.  Der  Ursachenkomplex 
der  Welt  genügt  nicht  zur  Erklärung  der  Welt,  darum 
muß  diese  Sphäre  überschritten  und  eine  überweltliche 
Ursache  angenommen  werden.-^ 

Steht  so  das  Kausalitätsprinzip  in  seiner  ausnahms- 
losen Gültigkeit  fest,  so  folgt  daraus,  daß,  wenn  es  Wir- 
kungen gibt,  auch  eine  entsprechende  Ursache  derselben 
existiert  und  zwar  eine  erste  Ursache,  die  selbst  nicht 
Wirkung  ist,  eine  causa  a  se.  Dieses  Wesen,  welches,  selbst 
nicht  verursacht,  die  Ursache  aller  gewordenen  Dinge  und 
der  Grund  ihrer  Möglichkeit  ist,  ist  jenes  Wesen,  das  alle 
Menschen  mit  dem  Namen  Gott  bezeichnen. 

Aus  der  speziellen  Anwendung  des  Kausalprinzips  auf 
die  verschiedenen  Seinsbestimmungen  und  Seinsordnungen 
ergeben  sich  die  verschiedenen  aposterioristischen  Gottes- 
beweise.* 

Die  Folgerung,  die  Kant  aus  seinen  Prämissen  zog: 
Metaphysik  sei  als  Wissenschaft  unmöglich,  weil  das  Meta- 
physische „jenseits  aller  Erfahrung"  liege,  aber  „nur  in 
der  Erfahrung  Wahrheit  und  alle  Erkenntnis  von  Dingen 
aus  bloßem  reinen  Verstand  oder  reiner  Vernunft  nichts 
als  lauter  Schein  sei",  ist  unrichtig. 


^  Vgl.  E.Fischer,  Das  Grundproblera  der  Metaphysik.    Mainz  1894. 
17—18  ff. 

2  Vgl.  Kaufmann  a.  a.  0.  107—109. 

3  Pfeiffer,  Analogien  zwischen  Naturerkenntnis  und  Gotteserkennt- 
nis.    Phil.  Jahrbuch  3  (1890)  398—402. 

*  Vgl.  Heinrich,  Dogmatik  lU^  221—222. 


Kritik  des  Kantschen  Idealismus.  13 

Gewiß  ist  Kant  einzuräumen,  daß  wir  ohne  jegliche 
Erfahrung  von  einer  Sache  auf  natürlichem  Wege  nichts 
wissen  können.  Denn  das  reine,  empirielose  Denken  kann 
uns  über  die  Existenz  oder  über  die  Beschaffenheit  eines 
Dinges  keinen  Aufschluß  geben,  wenn  es  sich  nicht  auf 
die  Erfahrung  stützt.  Es  kann  uns  nur  sagen,  ob  etwas 
möglich  oder  unmöglich,  aber  nicht,  ob  etwas  wirklich  ist. 

Aber  die  Metaphysik  beruht  nicht  auf  apriorischen 
Erkenntnissen,  sie  stützt  sich  auf  die  Erfahrungstatsachen. 

Zwar  tritt  das  Metaphische  nicht  direkt  in  den  Kreis 
unserer  Erfahrungen,  wohl  aber  indirekt,  mittelbar :  näm- 
lich durch  das  Physische,  das  eine  Wirkung  von  jenem  ist. 
Die  Erscheinungen  der  äußeren  und  inneren  Erfahrung 
bilden  die  Brücke  zum  Metaphysischen.  Die  Metaphysik 
fußt  demnach  auf  der  Erfahrung,  und  es  ist  unrichtig, 
wenn  Kant  ihre  Quelle  lediglich  in  der  reinen  Ver- 
nunft sucht. 

Sie  ist  keine  bloße  Erfahrungswissenschaft,  aber  sie 
beruht  doch  auf  der  Erfahrung,  weil  sie  sich  auf  der 
Physik  und  der  empirischen  Psychologie  aufbaut. 

Ebenso  hinfällig  ist  der  andere  Einwand,  das 
Metaphysische  sei  transzendent  und  deshalb  für  uns  un- 
erkennbar. 

Was  absolut-transzendent  ist,  d.  h.  in  gar  keiner  Be- 
ziehung zu  uns  steht,  ist  für  uns  unerkennbar;  dagegen 
was  relativ-transzendent  ist,  d.  h.  was  nur  in  ein  oder 
anderer  Beziehung,  aber  nicht  in  jeder  Beziehung  für  uns 
jenseits  liegt,  ist  für  uns  erkennbar.  Zu  letzterem  gehört 
das  Metaphysische.  Es  ist  wohl  für  unsere  Sinne  transzen- 
dent, aber  nicht  absolut-transzendent,  weil  es  sich  uns 
offenbart  durch  seine  Wirkungen,  die  Erfahrungsdinge, 
und  so  unserem  Verstand  die  Möglichkeit  gibt,  mittels  des 
Kausalgesetzes  aus  seinen  Wirkungen  auf  es  selbst  zurück- 
zuschließen. „Die  Möglichkeit  der  Metaphj^sik  beruht 
sonach  weder  auf  der  bloßen  (äußeren  und  inneren)  Er- 
fahrung noch  auf  dem  bloßen,  apriorischen  Denken  oder 
der  reinen  Vernunft,  sondern  ist  durch  beides  bedingt, 
indem  sie  aus    der  unter   der  Leitung  des  Kausalgesetzes 


14  Nachwirkungen  der  Kantschen  Kritik. 

sich  vollziehenden,  denkenden  Bearbeitung  der  äußeren 
und  inneren  Erfahrung  hervorgeht.**  ^  Zwar  ist  unsere 
Erkenntnis  auf  metaphysischem  Gebiet  relativ  und  be- 
schränkt wie  alle  unsere  Erkenntnis,  aber  trotzdem  eine 
wahre  Erkenntnis.  Daraus  folgt  aber  noch  nicht,  daß  man 
alle  und  jede  Metaphysik  als  unwissenschaftlich  verwerfen 
darf,  ebensowenig  wie  man  den  anderen  Wissensdisziplinen, 
weil  sie  mehr  oder  minder  relativ  und  beschränkt  sind, 
den  wissenschaftlichen  Charakter  abspricht.^ 

Zweites  Kapitel. 

Nachwirkungen  der  Kantschen  Kritik. 
Neue  Wege  zur  objektiven  Gotteserkenntnis. 

§  3. 
Ontologismus  und  Traditionalismus. 

Kant  hatte  scheinbar  die  natürlichen  Quellen  der 
Gotteserkenntnis  mit  seiner  „Kritik  der  reinen  Vernunft" 
verschüttet.  Auf  neuen  Wegen  suchte  man  nun  katholi- 
scherseits  die  Objektivität  der  Gotteserkenntnis  zu  sichern. 
Zu  diesen  neuen  Wegen  zählen  vor  allem  der  Ontologismus 
und  der  Traditionalismus. 

Zwar  hat  keines  von  diesen  Systemen  seinen  Ursprung 
in  Deutschland  noch  auch  besonderen  Anklang  daselbst 
gefunden.  Da  aber  die  deutsche  katholische  Literatur  über 
das  Gottesproblem  die  ontologistischen  und  traditionali- 
stischen Irrwege  berücksichtigt,  so  müssen  diese  Theorien 
hier  kurz  dargelegt  werden. 

Beide  Systeme  leugnen  prinzipiell  die  Möglichkeit  eines 
wissenschaftlichen  Beweises  für  das  Dasein  Gottes,  gehen 
aber  dabei  von  ganz  verschiedenem  Standpunkt  aus. 

Der  Ontologismus  (Maret,  Gratry  in  Frankreich; 
Gioberti,  Ros mini  in  Italien,  Üb aghs  in  Belgien)  lehrt: 
Der  Gottesbeweis  ist  etwas  Überflüssiges.  Denn  wir  erkennen 


1  Fischer,  Das  Grundproblem  der  Metaphysik.    12—18. 

2  A.  a.  0.  23—24. 


Ontologismus  und  Traditionalismus.  15 

Gott  intuitiv,  wir  schauen  ihn  unmittelbar,  in  seinem 
Wesen.  Ja  dieses  Schauen  Gottes  ist  das  erste  Objekt  in 
der  Ordnung  des  Erkennens,  alles  Nichtgöttliche  erkennen 
wir  nur  im  natürlichen  Gotteslichte.  Nicht  auf  dem  Wege 
des  diskursiven  Denkens  gelangen  wir  zur  Gottesidee, 
sondern  diese  Idee  ist  der  menschlichen  Vernunft  ange- 
boren als  primitive  Idee  des  Unendlichen. 

Gott  ist  also  das  Licht,  in  dem  wir  alles  schauen,  und 
alle  Ideen  sind  nur  verschiedene  Erscheinungsformen  der 
Idee  Gottes.^  — 

In  Deutschland  hat  der  Ontologismus  keine  Wurzel 
fassen  können;  man  müßte  dann  höchstens  die  Baadersche 
Theosophie  mit  dem  Ontologismus  in  Beziehung  bringen.- 
Man  macht  gegen  den  Ontologismus  geltend,  daß  er  die 
logische  Ordnung  mit  der  ontologischen  Ordnung  ver- 
wechselt und  Gott,  der  allerdings  das  objektive  Prinzip 
alles  Erkennens  und  Seins  ist,  zum  Ersterkannten  und  zum 
subjektiven  Prinzip  alles  Erkennens  macht.  Aber  es  ist 
falsch,  daß  dem  Wesen  der  Wahrheit  zufolge  die  Ordnung 
des  Seins  auch  die  Ordnung  des  Erkennens  sein  müßte; 
wie  gäbe  es  dann  z.  B.  eine  historische  Forschung? 

Unser  Bewußtsein  ferner  sagt  uns  nichts  von  einem 
derartigen  natürlichen  Licht  der  unmittelbaren  Gottes- 
erkenntnis, und  jede  vernünftige  Erfahrung  widerspricht 
einer  solchen  Behauptung;  denn  diese  zeigt  uns,  daß  der 
Mensch  nur  von  der  Erkenntnis  des  zunächst  auf  ihn  ein- 
wirkenden Sinnlichen  und  der  Einzeldinge  zur  Erkenntnis 
des  Geistigen  und  des  Allgemeinen  sich  erheben  kann. 
Sodann  wäre  unter  der  Voraussetzung  des  Ontologismus 
die  Tatsache  der  Gottesleugnung  ganz  unverständlich. 

•  Endlich  schließt  der  Ontologismus  die  nächste  Gefahr 
des  Pantheismus  in  sich  durch  Vermengung  der  allgemeinen 
Seinsidee  mit  der  Idee  des  absoluten  Seins. 


1  Vgl.  Haffner,  Geschichte  der  Philosophie.  Mainz  ISSl.  II  1095. 
F elchin  B.,  Zur  neuesten  Verurteilung  des  Ontologismus.  Stimmen  aus 
M.-Laach  35  (1888)  215—224. 

2  Vgl.  A.  Schmid,  Wissenschaftliche  Richtungen  auf  dem  Gebiet 
des  Katholizismus.     München  1862.    112  —  114. 


16  Nachwirkungen  der  Kantschen  Kritik. 

Wenn  der  Ontologismus  behauptet,  der  Mensch  könne 
die  Begriffe  des  Unendlichen  und  Absoluten  oder  Gottes, 
die  er  tatsächlich  habe,  nicht  aus  dem  Endlichen,  und 
darum  nur  durch  unmittelbare  Anschauung  des  göttlichen 
Seins  gewonnen  haben,  so  ist  das  falsch.  Wenn  der  Mensch 
allerdings  eine  adäquate,  vollkommene  Idee  Gottes  besäße, 
dann  wäre  dies  nur  möglich  durch  unmittelbare  Anschauung 
Gottes;  aber  der  Mensch  hat  nur  eine  inadäquate,  unvoll- 
kommene, wenn  auch  durchaus  wahre  Idee  Gottes,  und 
diese  gewinnt  er  aus  den  Kreaturen  auf  dem  Wege  der 
Abstraktion,  indem  er  jede  Grenze  und  Beschränkung  des 
endlichen  Seins  negiert. 

Obwohl  alle  Menschen  eine  Vorstellung  von  Gott  haben, 
so  gelangen  sie  doch  nicht  dazu  auf  dem  Wege  des  Onto- 
logismus; denn  sonst  könnte  man  nicht  erklären,  wie  uns 
im  gesamten  Gebiet  der  Begriffe  keiner  eine  größere 
Schwierigkeit  macht  als  der  Gottesbegriff,  während  doch 
Gott  als  die  absolute  Einfachheit,  wenn  er  unmittelbar 
geschaut  würde,  auch  so  erfaßt  werden  müßte. 

Auch  haben  wir  von  keiner  göttlichen  Eigenschaft 
einen  positiven  Begriff,  sondern  nur  einen  negativen.  End- 
lich lehrt  uns  die  Erfahrung,  daß  wir  von  den  Dingen 
und  den  Begriffen,  die  wir  daraus  abstrahieren,  nur  sehr 
mühsam  und  unsicher  zur  Erkenntnis  Gottes  aufsteigen, 
nicht  aber  von  der  Erkenntnis  Gottes  zur  Erkenntnis  der 
Dinge  herabsteigen. ^  Deswegen  wird  der  Ontologismus  ver- 
worfen und  fast  einmütig  die  Notwendigkeit  eines  wissen- 
schaftlichen Gottesbeweises  betont. 

Auf  ganz  anderem  Wege  suchte  der  Traditio- 
nalismus die  Gotteserkenntnis  für  den  Menschen  zu 
sichern. 

Hat  der  Ontologismus  behauptet,  die  Gottesbeweise 
seien  überflüssig,  so  erklärt  der  Traditionalismus, 
Gottesbeweise  zu  führen  sei  unmöglich. 


1  Geyser  a.  a.  0.  95.  Heinrich,  Dogmatik  IIP  119  ff.,  206. 
König,  Schöpfung  und  Gotteserkenntnis.  Freiburg  1885.  46  —  47. 
Haffner  a.  a.  0.  1095.  Kleutgen,  Philosophie  d.  V.  Innsbruck  1878. 
n^  599—681. 


Ontologismus  und  Traditionalismus.  17 

Der  Traditionalismus  (de  Bonald,  Bautain,  Ventura, 
de  Lammenais,  Bonetty)  lehrt:  Die  menschliche  Ver- 
nunft hat  infol<^e  des  Sündenfalles  die  Fähigkeit  verloren, 
Gott  aus  seinen  Werken  mit  Gewißheit  zu  erkennen  und  zu 
beweisen.  Der  erste  Mensch  erhielt  die  Erkenntnis  Gottes 
durch  Gott  selbst,  durch  sein  Wort,  seine  Offenbarung. 
Diese  ursprünglich  durch  Offenbarung  empfangene  Kenntnis 
Gottes  hat  sich  dann  auf  dem  Wege  der  Tradition  durch 
das  Medium  des  Wortes  und  der  Sprache  in  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  fortgepflanzt.  Offenbarung,  Tradition, 
Sprache  sind  die  einzigen  Quellen  unserer  Gotteserkenntnis. 
Darum  gibt  uns  nur  der  Glaube  Gewißheit  vom  Dasein 
Gottes.  Gottesbeweise  im  gewöhnlichen  Sinne  sind  un- 
möglich. 

Die  katholische  Fundamentaltheologie  räumt  nun  dem 
Traditionalismus  ein,  daß  Autorität,  Überlieferung  und 
Glaube  ein  von  der  göttlichen  Vorsehung  in  der  über- 
natürlichen Ordnung  gewählter  Weg  sind,  um  alle  Men- 
schen leicht  und  sicher  zur  Wahrheit  zu  führen.  Faktisch 
entsteht  das  Gottesbewußtsein  meist  durch  Erziehung  und 
Unterricht.  Die  Gottesbeweise  bezwecken  auch  zunächst 
nicht,  den  faktischen  Ursprung  der  Gotteserkenntnis  zu 
erklären.  Sie  wollen  zunächst  unsere  wie  auch  immer 
erworbene  Gotteserkenntnis  rechtfertigen,  das  unwillkür- 
liche, unklare  Gottesbewußtsein  zu  einem  wissenschaftlichen 
erheben,  sodann  aber  auch  die  Möglichkeit  dartun,  daß 
die  Vernunft  aus  sich  die  Überzeugung  von  Gottes  Dasein 
gewinnen  könne  und  somit  der  Atheismus  unvernünftig 
und  unentschuldbar  sei.^ 

Offenbarung  und  Unterricht  ist  ein  Weg  zur  Gottes- 
erkenntnis, aber  nicht  der  einzige,  der  genügende.  Die 
menschliche  Vernunft  kann  vielmehr  aus  eigener  Kraft 
zur  Gewißheit  des  Daseins  Gottes  gelangen. 

Der  Traditionalismus  ist  im  Prinzii)  unwahr  und  in 
seinen  Konsequenzen  verderblich,  da  er  mit  dem  natürlichen 
Wissen    die    wesentlichen  Voraussetzungen    des    Glaubens 


1  Hage  mann  G.,  Metaphysik.  »^     Fieiburg  1901.     172. 

Staab,  Goltesbeweise  in  dor  katli.  LiltMatur. 


18  Nachwirkungen  der  Kantschen  Kritik. 

leugnet,  er  tritt  in  Widerspruch  mit  der  gesunden  Ver- 
nunft und  kompromittiert,  indem  er  sich  für  die  eigent- 
lich katholische  Theorie  ausgibt,  den  Glauben  in  den  Augen 
der  Ungläubigen.  1 

Dem  Traditionalismus  sehr  verwandte  Anschauungen 
vertritt  Friedhoff  in  seiner  Fundamentaltheologie  und 
Apologetik.2 

„Gott...  als  seinem  Wesen  nach  gänzlich  von  der  Welt 
verschieden  und  als  Schöpfer  der  Welt  aus  nichts,  kann 
durch  die  natürlichen  Kräfte  der  menschlichen  Vernunft 
nicht  erkannt  und  als  daseiend  bewiesen  werden.  Denn 
die  Erkenntnis  Gottes  in  diesem  Sinne  setzt  die  Erkenntnis 
der  Erschaffung  des  Universums  aus  nichts  durch  den 
allmächtigen  Willen  Gottes  notwendig  voraus.  Die  Erschaf- 
fung der  Welt  aus  nichts  kann  aber  ebensowenig  durch 
die  Vernunft  erkannt  w^erden  als  die  Dreieinigkeit,  wie  der 
hl.  Thomas  S.  th.  I  q.  46  a.  2  lehrt.  Das  Dasein  Gottes 
in  diesem  Sinne,  als  des  persönlichen,  von  der  Welt  wesent- 
lich verschiedenen,  kann  allein  durch  die  Selbstoffenbarung 
Gottes  im  menschlichen  Geschlecht  bewiesen  werden,  d.  h. 
Gott  muß  sich  durch  Offenbarung  und  Wunder  kundgeben, 
damit  er  in  diesem  Sinne  von  uns  erkannt  werde.  Daher 
vermag  die  Vernunft  Gott  in  diesem  Sinne  durch  ihre 
eigenen  oder  natürlichen  Kräfte  insofern  zu  erkennen,  als 
sie  vermittelst  geschichtlicher  Forschung  die  Tatsache, 
daß  Gott  sich  dem  menschlichen  Geschlechte  geoffenbart 
hat,  auffinden  kann.  .  .  .  Alle  andere  natürliche  Erkenntnis 
Gottes  wird  immer  mehr  oder  weniger  eine  pantheistische 
sein."'^ 

„Die  Ansicht,  daß  das  Dasein  Gottes  als  des  an  und 
für  sich  bestehenden  Schöpfers  der  Welt  aus  nichts  durch 
die  bloßen  Kräfte  der  menschlichen  Vernunft  erkannt  und 
bewiesen  werden  kann,  ist  nicht  auf  Wahrheit  begründet. 


^  Heinrich,    Dognriatik    I  -    215.     Vgl.  Rolfes,    Die    Gottesbeweise 
bei  Thomas  von  Aquin  und  Aristoteles.     Köln  1898,    2. 

2  Friedhoff  F.,    Grundriß    der    kath.  Apologetik.      Münster   1854. 
Friedhoff  F.,  Kath.  Dogmatik."-     Münster  1871. 

3  Friedhoff,  Dogmatik-^  52—53. 


Ontologismus  und  Traditionalismus.  19 

weil  alle  versuchten  Beweise  bei  näherer  Prüfung  sich  als 
unhaltbar  ergeben  und  vom  Pantheismus  längst  ver- 
schlungen sind,  und  weil  die  Ansicht,  der  Mensch  liabe 
das  Dasein  Gottes  in  dem  festgesetzten  Sinne  durch  seine 
eigene  Kraft  erkennen  können,  mit  der  Geschichte  des 
menschlichen  Geschlechtes,  nach  deren  Zeugnis  Gott  sich 
uns  ursprünglich  geoffenbart  hat,  mit  den  Ergebnissen 
einer  gesunden  Philosophie,  nach  deren  Zeugnis  es  un- 
möglich ist,  durch  philosophische  Spekulation,  das  Dasein 
eines  Gegenstandes  zu  beweisen;  .  .  .  im  Widerspruch 
steht." 

„Wenngleich  nun  aber  der  Mensch  durch  seine  eigenen 
Kräfte  das  Dasein  Gottes  nicht  erkennen  und  beweisen 
und  auf  diese  Weise  seinen  Glauben  an  die  übernatürliche 
Offenbarung  nicht  begründen  kann,  ...  so  kann  er  doch 
durch  eigene  Kraft,  wofern  er  nur  die  erforderliche  wissen- 
schaftliche Ausbildung  und  die  gehörige  Ausdauer  hat,  in 
der  Geschichte  der  Menschheit  die  geschichtliche  Tatsache 
auffinden,  daß  Gott  sich  selbst  in  unserem  Geschlechte  ge- 
offenbart hat."  1 

„Als  einzigen  Weg,  Gott  als  Schöpfer  der  Welt  aus 
nichts  durch  die  natürlichen  Kräfte  der  Vernunft  zu  er- 
kennen, nehmen  wir  daher  die  Nachweisung  der  geschicht- 
lichen Tatsache  an,  daß  Gott  im  menschlichen  Geschlechte 
sich  geoffenbart  hat.  Diese  geschichtliche  Wahrheit  steht 
der  mathematischen  und  logischen  Wahrheit  völlig  gleich." - 

So  stammt  also  nach  Friedhoff  alle  Gotteserkenntnis 
notwendig  und  einzig  aus  der  Offenbarung.  Ohne  über- 
natürliche Offenbarung  ist  die  menschliche  Vernunft  außer- 
stande, Gott  als  den  von  der  Welt  wesentlich  verschiedenen 
persönlichen  Herrn  und  Schöpfer  aller  Dinge  zu  erkennen 
und  zu  beweisen.  Die  Offenbarung  kann  als  geschicht- 
liche Tatsache  nachgewiesen  und  damit  auch  das  Dasein 
Gottes  dargetan  werden.  Alle  anderen  Gottesbeweise  sind 
nicht  stichhaltig,  führen  zum  Pantheismus. 

1  Fried  ho  ff,  Apol.     91—03. 

-  Fried  ho  ff,  Dogmatik^  59.  Vgl.  auch  Dieringer  F.  X..  Lehr- 
buch der  kath.  Doguiatik.^     Mainz  18ö8.    §  12.    35—36. 

o* 


20  Nachwirkung  der  Kantschen  Kritik. 

F  r  i  e  d  li  o  f  f  steht  bei  diesen  seinen  Behauptungen 
offenbar  unter  dem  Einfluß  der  Hegeischen  Philosophie, 
die, bekanntlich  bei  der  Kritik  der  alten  Gottesbeweise 
mit  Hilfe  der  reinen  Logik  zum  Ergebnis  kam,  die  Gottes- 
beweise könnten  nicht  einen  von  der  Welt  verschiedenen 
Gott  und  Schöpfer  dartun,  wohl  aber  vortrefflich  das  pan- 
theistische  Absolute  rechtfertigen.  Friedhoff  nahm  dieses 
Resultat  als  Ergebnis  einer  gesunden  Philosophie  unbe- 
sehen hin  und  kam  so  zur  Verwerfung  der  Gottesbeweise. 
Bei  dem  Versuch,  auf  andere  Art  die  Gotteserkenntnis  zu 
begründen,  gerät  er  auf  die  Irrwege  der  Traditionalismus, 
und  alle  Gründe,  die  hiergegen  sprechen,  gelten  auch  für 
Friedhoff. 

Endlich  wenn  der  Schluß  von  der  Existenz  und  der 
Ordnung  der  natürlichen  Welt  auf  die  Existenz  und  Voll- 
kommenheit eines  von  der  Welt  substantiell  verschiedenen 
persönlichen  Gottes  nicht  berechtigt  ist,  dann  ist  ebenso- 
wenig der  Schluß  von  der  Existenz  des  Wunders  und  der 
ganzen  in  wahrnehmbare  Erscheinung  getretenen  über- 
natürlichen Ordnung  auf  die  Existenz  eines  persönlichen 
Gottes  als  des  Urhebers  des  Wunders  und  der  übernatür- 
lichen Ordnung  berechtigt.  Denn  beidemal  vollzieht  sich 
der  Schluß  in  derselben  Weise,  nach  demselben  Gesetz. ^ 

Auch  ist  der  Begriff  der  Erschaffung  aus  nichts  nicht 
Voraussetzung  für  die  Gotteserkenntnis,  sondern  nur  die 
Einsicht,  daß  die  Welt  endlich  und  abhängig  ist.  Darum 
haben  auch  heidnische  Philosophen  Beweise  für  das  Dasein 
Gottes  als  eines  von  der  Welt  verschiedenen  Wesens  auf- 
gestellt.- 


1  Vgl.  Prüfung  einer  neuen  Theorie  über  das  Verhältnis  der  Vernunit 
zum  Glauben.  Katholik  39  (1859)  I  296-322,  543-558.  Heinrich. 
Dogmatik  l'  309. 

-  Lehmen,  Theodizee-'.     Freiburg  1906.     11. 


Die  Reformversuche  Frohschammers  und  Rosenkrantzs.  21 

§  4. 
Die  Reformversuche  Frohschammers  und  Rosenkrantzs. 

Unter  dem  Einfluß  der  Kantschen  Kritik  haben  zwei 
katholische  deutsche  Philosophen,  Frohschammer  und 
Rosenkrantz,  eine  Reform  der  christlichen  Philosophie 
versucht  und  dabei  auch  Stellung  zum  Problem  der  Gottes- 
erkenntnis genommen. 

Frohschammer  erstrebte  in  seinem  Werke:  „Ein- 
leitung in  die  Philosophie  und  Grundriß  der  Meta- 
physik. Zur  Reform  der  Philosophie.  München 
1858"  neben  der  Reform  der  Philosophie  vor  allem  eine 
neue  Metaphysik. 

Diese  seine  Metaphysik,  die  „einzig  wahre",  ist  die  „hi- 
storisch-psychologische (subjektiv-objektive)  Metaphysik", 
die  sich  gründet  auf  „das  Gottesbewußtsein  als  psychischer, 
subjektiver  und  zugleich  historischer,  objektiver  Tatsache 
in  der  Menschheit"  ^  im  Gegensatz  zur  bisherigen  „natu- 
ralistisch-rationalen Metaphysik  der  Scholastik",  welche 
die  höchste  Erkenntnis  und  Wissenschaft,  deren  der 
Menschengeist  selbständig  fähig  ist,  gewinnen  will  durch 
sogenannte  natürliche  Vernunft  und  ihre  denkende  Be- 
trachtung der  Natur,  durch  Schlußfolgerung  von  der  Natur 
auf  Gott.  -  Auf  letztere  Weise  kann  keine  Metaphysik 
begründet  werden,  weil  die  Natur  Gott  dem  Menschen  eher 
verhüllt  als  offenbart.-^ 

Darum  verwirft  Frohschammer  sowohl  den  kosmo- 
logischen  wie  den  teleologischen  Gottesbeweis.  Gegen  den 
kosmologischen  Beweis  wendet  er  ein:  „Zuerst  ist  über- 
haupt das  noch  nicht  gewiß  dabei,  ob  man  vom  Dasein 
des  Endlichen  am  Faden  der  Denknotwendigkeit  auf  das 
Dasein  des  Unendlichen,  Absoluten  schließen  könne.  Man 
pflegt  zwar  zu  sagen,  das  Relative  setze  das  Absolute 
voraus,  aber  das  ist  vorläufig  selbst  eine  noch  unbewiesene 
Annahme;  im  Endlichen  als  solchem  liegt  kein  Grund  und 


^  Frohschammer,  Einleitung  in  tue  Philosophie  146  ff. 
2  A.  a.  0.  91  ff,  127.  ^  a.  a.  0.  112. 


22  Nachwirkung  der  Kantschen  Kritik. 

Beweis  des  Daseins  des  Unendlichen.  Und  wo  man  wirk- 
lich einen  solchen  notwendigen  Zusammenhang  zwischen 
beiden  annimmt,  da  wird  es  ein  Wesenszusammenhang, 
und  damit  das  Endliche  selbst  zum  Unendlichen,  das  Un- 
endliche selbst  zum  Endlichen,  Relativen.  Damit  ist  aber 
der  Pantheismus  angebahnt.  Man  kann  zwar  dagegen 
sagen,  es  sei  nicht  von  einem  Zusammenhang  dem  Wesen 
nach,  sondern  nur  von  einem  Zusammenhang  der  Ursäch- 
lichkeit (Kausalität)  die  Rede.  Allein  ist  diese  Ursächlich- 
keit eine  notwendige,  dann  ist  sie  zugleich  ein  Wesens- 
zusammenhang wie  vorhin;  ist  sie  aber  eine  freie,  dann 
liegt  die  Schwierigkeit  eben  darin,  das  Verhältnis  zwischen 
Ursache  und  Wirkung  rückwärts  in  der  logischen  Ope- 
ration zu  einem  notwendigen  zu  gestalten,  um  der  logi- 
schen Konsequenz  willen."  ^ 

Frohschammer  verwechselt  hier  logische  und  reale 
Notwendigkeit.  Der  Zusammenhang  zwischen  Ursache  und 
Wirkung  ist  logisch  immer  ein  notwendiger;  Vv'enn  die 
Wirkung  einmal  da  ist,  muß  man  von  ihr  notwendig  auf 
die  Ursache  hinüberschließen,  welche  sie  ins  Werk  gesetzt 
hat.  Aber  daraus  folgt  doch  nicht,  daß  die  Ursache  diese 
Wirkung  mit  Notwendigkeit  gesetzt  hat  oder  setzen  müßte. 
Vom  Dasein  eines  Hauses  schließe  ich  notwendig  auf  den 
Baumeister,  der  es  gebaut  hat;  aber  daraus  folgt  nicht, 
daß  der  Baumeister  dieses  Haus  auch  notwendig  bauen 
mußte. 

Mit  diesem  Einwand  kann  also  des  kosmologische  Be- 
weis nicht  entkräftet  werden. 

Frohschammer  bringt  aber  noch  ein  weiteres  Be- 
denken vor.  „Vom  Relativen  zum  Absoluten  führt  kein 
geebneter,  stetiger  Weg  —  der  Schluß  ist  nur  möglich 
durch  einen  Sprung  über  eine  unendliche  Kluft  und  ist 
Übergang  zu  etwas  ganz  anderem  {fierdßaoig'  dg  äXXo 
yevoc).  Und  in  jedem  Fall  hätte  man  keinen  genügenden 
Grund,  gerade  auf  einen  absoluten  Urheber  für  die  relative 
Welt   zu    schließen,    sondern    wenn    man    wirklich    solche 


^  Frohschammer  a.  a.  0.  113. 


Die  Reformversuche  Frohschammers  und  Rosenkrantzs.  23 

Schlußfolgerung  zugäbe,  so  könnte  man  nur  wiederum  auf 
einen  relativen  Urheber  oder  Weltgrund  die  Schlußfolge 
ziehen.  Aus  dem  Endlichen  läßt  sich  keine  Leiter  bauen, 
die  zum  Unendlichen  reicht,  und  wenn  man  alles  Relative 
übereinander  türmt,  kommt  man  noch  nicht  zum  Ab- 
soluten." 1 

Letztere  Bemerkung  ist  allerdings  richtig;  aber  der 
kosmologische  Beweis  kommt  auch  nicht  zum  Absoluten 
durch  Aufeinandertürmen  des  Relativen.  Er  schließt  viel- 
mehr aus  der  Existenz  von  Relativem  auf  die  Existenz 
eines  Absoluten.  Denn  es  gibt  nur  zwei  Wege  zur  Er- 
klärung der  Welt,  entweder  eine  unendliche  Reihe  von 
relativen  Ursachen  oder  eine  absolute  Ursache.  Ersteres 
ist  widersinnig,  darum  bleibt  nur  letzteres  übrig.  Ein 
einziges  relatives  Wesen  reicht  aus,  um  aus  ihm  das  Dasein 
einer  ersten  absoluten  Ursache  zu  erweisen. 

Der  Mensch  hat  in  seiner  Vernunft  die  Fähigkeit,  auf 
dem  Wege  der  Negation  und  Abstraktion  den  Begriff  des 
Unendlichen  zu  bilden.  Dabei  finden  wir  nicht  etwa  Gott 
oder  leiten  ihn  aus  den  endlichen  Dingen  ab,  sondern  was 
wir  von  den  endlichen  Dingen  herleiten,  ist  nur  der  Begriff, 
d.  h.  das  Mittel,  wodurch  wir  Gott  denken,  nicht  aber 
identifizieren  wir  Gott  als  den  durch  den  Begriff  gedachten 
Gegenstand  mit  dem  Endlichen.- 

Wie  dem  kosmologischen,  so  spricht  Frohschammer 
auch  dem  teleologischen  Argument  die  Beweiskraft  ab, 
weil  die  Prämissen  desselben  nur  die  Berechtigung  geben, 
auf  einen  weisen,  gütigen,  mächtigen  Welturheber,  nicht 
auf  einen  absoluten  Urheber  zu  schließen ;  ferner,  weil  in 
der  Welt  auch  viele  Unzweckmäßigkeiten  vorhanden  seien, 
und  endlich  weil  der  Beweis  ohne  Gewicht  sei  für  den. 
der  die  Welt  und  ihre  Ordnung  für  ewig  hält  und  darum 
einen  weisen  Ordner  und  Bildner  des  Stoffes  nicht  zu 
brauchen  vorgibt.^ 

Es  sind  hier  die  Kantschen  Einwürfe  wiederholt,  die 


*  Frohschammer  a.  a.  0.  114 — 115. 

'  Vgl.  Lehmen,  Theodizee-  11. 

8  Frohschammer  a.  a.  0.  116 — 118. 


24  Nachwirkung  der  Kantschen  Kritik. 

sich  der  Hauptsache  nach  dadurch  erledigen,  daß  die 
Ordnung  und  Zweckmäßigkeit  nicht  eine  bloß  äußerliche, 
akzidentelle,  sondern  eine  wesentliche,  den  Dingen  imma- 
nente ist,  also  den  Schöpfer  voraussetzt. 

Obwohl  aber  Frohschammer  dem  kosmologischen 
und  teleologischen  Beweisverfahren  die  strenge  Konsequenz 
absprechen  zu  müssen  glaubt,  will  er  ihnen  doch  nicht 
alle  Bedeutung  für  die  Metaphysik  und  für  die  wissen- 
schaftliche Erkenntnis  nehmen.  „Die  Betrachtung  des  Da- 
seins und  der  Beschaffenheit  der  Welt  trägt  vielmehr 
außerordentlich  viel  bei,  das  Gottesbewußtsein  zur  Klarheit 
und  Bestimmtheit  zu  bringen,  eine  wahre  Erkenntnis  — : 
nicht  eigentlich  des  Daseins,  sondern  vielmehr  des  Wesens 
und  der  Eigenschaften  Gottes  zu  gewinnen."  ^ 

Diese  alten  Gottesbeweise  will  er  nun  ersetzen  durch 
einen  einzigen,  den  „eigentlichen,  positiven  Beweis".  „Der 
eigentlich  positive  Beweis  für  das  Dasein  Gottes  wird  so 
geführt,  daß  wir  vom  Dasein  des  menschlichen  Gottes- 
bewußtseins auf  das  Dasein  einer  besonderen  Potenz  oder 
Fähigkeit  dazu  in  der  Menschennatur  schließen  und  von 
dieser  auf  einen  entsprechenden  Urheber  derselben."  „Es 
ist  dies  aber  nicht  der  sog.  Beweis  a  consensu  gentium, 
denn  wir  schließen  nicht  auf  das  Dasein  Gottes,  weil  die 
Völker  daran  glaubten  und  glauben,  sondern  weil  sie 
daran  glauben,  davon  ein  Bewußtsein  haben  können... 
Das  Dasein  dieser  Potenz  in  der  Menschennatur  betrachten 
wir  demnach  als  die  erste,  eigentlich  natürliche  Offen- 
barung Gottes  und  demnach  auch  als  Beweis  seines  Da- 
seins." - 

S  t  ö  c  k  1  bemerkt  hierzu  :  „Wir  haben  nichts  gegen 
diesen  Beweis,  soweit  er  bloß  auf  die  Potenz  des  Gottes- 
bewußtseins als  Beweisgrund  beschränkt  bleibt.  Er  kann 
immerhin  ins  Beweissystem  für  Gottes  Dasein  aufgenommen 
werden.  Aber  daß  nur  dieser  Beweis  geeignetschaftet  sei 
vor  allen  anderen  Beweisen,  um  als  alleingültiger  Beweis 
das  Feld  zu  behaupten,  das  wird  man  uns  nie  einleuchtend 


1  Frohschammer  a.  a.  0.  119.  ^  a.  a.  0.  343—344. 


Die  Reformversuche  Froh?(hammers  und  Rosenkrantzs.  25 

machen."'  Der  Beweis  ist  zudem  nicht  neu,  er  ist  im 
Grunde  kein  anderer  als  der  des  Cartesius,  der  vom 
Dasein  der  Idee  eines  unendlichen  Wesens  in  uns  auf  das 
Dasein  dieses  unendlichen  Wesens  selbst  schloß,  weil  nur 
dieses  jene  Idee  in  uns  habe  hervorbringen  können.  Unter 
„eingeborenen  Ideen"  verstand  aber  Cartesius  eine  be- 
stimmte Potenz  des  Geistes,  diese  Ideen  zu  denken.- 

W.  Rosenkrantz,  der  in  Schelling  den  letzten  großen 
Lehrer  der  Philosophie  in  Deutschland  verehrte  und  sich 
rühmte,  in  dessen  Fußstapfen  unmittelbar  eingetreten  zu 
sein,  folgte  auch  dessen  Spuren  in  der  Aufstellung  „des 
einzig  möglichen   wahren   Beweises   vom   Dasein  Gottes".^' 

Kants  Kritik  an  den  herkömmlichen  Gottesbeweisen 
nimmt  er  zunächst  beifällig  auf  und  teilt  mit  ihm  die 
Ansicht,  alle  metaphysischen  Beweise  führten  zurück  auf 
den  ontologischen.  Darum  sind  sie  „weder  einzeln  noch 
in  Verbindung  miteinander  imstande,  uns  eine  Gewißheit 
vom  Dasein  Gottes  zu  verschaffen,  und  alles,  was  man  in 
alter  und  neuer  Zeit  getan  hat,  um  ihnen  einen  Anstrich 
von  Evidenz  zu  geben,  zeigt  sich  einer  strengen  Kritik 
gegenüber  als  eitles  Blendwerk".  ^ 

„Kann  aber  das  notwendige  Sein  als  ein  wirkliches 
überhaupt  nicht  mehr  mittelbar  durch  Beweis  gewonnen 
werden,  so  bleibt  als  einzig  möglicher  Weg  nur  noch  die 
unmittelbare  Erfahrung  durch  Anschauung  übrig.  Es 
muß  also  in  der  menschlichen  Vernunft  einen  Punkt  geben, 
wo  das  notwendige  Sein  Gottes  Gegenstand  ihrer  An- 
schauung wird."''  Diesen  Punkt  glaubt  Rosenkrantz  im 
tiefsten  Grunde  der  Vernunft  nachgewiesen  zu  haben.*^ 

„Das  unbedingte  Sein  ist  uns  also  unmittelbar  gewiß. 
Den  Beweis  aber,  daß  dieses  Sein  das  Sein  Gottes  ist, 
liefern  wir,  wenn  wir  beweisen,  daß  das  Seiende  in  diesem 


1  Stöckl,  Geschichte  der  neueren  Philoso piiie  II  412. 

2  Vgl.  zu  Frohschammers  , Reform  der  Philosophie"  Katholik  39 
(18.9)  I  385-394. 

3  W.   Rosenkrantz,    Die   Wissenschaft    des    Wissens     I-.     Mainz 
1868.     XXII. 

^  A.  a.  0.  448.  ^  A.  a.  0.  451.  °  A.  a.  0.  451—454. 


26  Nachwirkung  der  Kantschen  Kritik. 

Sein  Gott  ist."  —  Wir  formulieren  daher  unseren  Beweis 
wie  folgt:  „Nur  wenn  das  unbedingt  Seiende  Gott  ist,  ist 
die  gesamte  \Yelt  alles  bedingten  Seins,  so  wie  es  uns 
in  der  Erfahrung  gegeben  ist,  möglich.  Nun  existiert 
diese  Welt  wirklich;  also  muß  das  unbedingt  Seiende  not- 
wendig Gott  sein."i 

Wieser  bemerkt  zu  diesem  „einzig  möglichen  wahren 
Beweis  vom  Dasein  Gottes":  „Es  dürfte  denn  doch  weit 
besser  sein,  den  Obersatz  so  zu  stellen:  ,Nur  wenn  die 
reale  Ursache,  welche  alles  bedingt  Seiende  notwendig 
voraussetzt,  Gott  ist,  ist  das  bedingt  Seiende  möglich', 
d.  h.  zum  kosmologischen  Beweis  zurückzukehren;  dann 
bedürfen  wir  nicht  jener  exorbitanten  Fiktionen,  um  zum 
Unbedingten  emporzusteigen.  Es  ist  überhaupt  ein  sonder- 
bares Beginnen,  die  gewöhnlichen  Gottesbeweise,  die  sozu- 
sagen von  selbst  der  Vernunft  sich  aufdrängen,  als  nichtig 
zurückzuweisen  und  eine  abstruse  Mystifikation,  die  nur 
einigen  Esoterikern  aus  der  Schule  des  ,reinen  Denkens' 
zugänglich  sein  soll,  dafür  an  die  Stelle  zu  setzen."  - 

Rosenkrantzs  Philosophie  ist  im  Grunde  keine  an- 
dere als  die  Schellingsche  Identitätsphilosophie,  welche  die 
innere  Anschauung  des  Absoluten  als  erstes  und  ursprüng- 
liches Wissen  an  die  Spitze  ihres  Systems  stellte. 

Endlich  sei  noch  erwähnt  die  scharfe  Kritik,  die 
E.  M  e  1  z  e  r  an  den  herkömmlichen  Gottesbeweisen  in 
neuester  Zeit  geübt  hat.-^  Entschieden  unhaltbar  ist  nach 
seiner  Meinung  nicht  nur  der  ontologische,  sondern  in 
gleicherweise  auch  der  historische;  der  teleologische  und 
moralische  haben  nur  Bedeutung,  wenn  die  Existenz  Gottes 
bereits  dargetan  ist,  der  kosmologische  ist  fehlerhaft,  wenn 
er  nur  auf  der  Natur  und  nicht  auf  psychologischer  Grund- 
lage aufgebaut  ist* 


^  W.  Rosenkrantz  a.  a.  0.  471. 

2  Wies  er,  Die  Philosophie  von  Dr.  W.  Rosenkrantz.  Zeitschr.  f. 
kath.  Theol,  73  (1879)  329. 

^  E.  Melzer,  Der  Beweis  für  das  Dasein  Gottes  und  seine  Person- 
hchkeit  mit  Rücksicht  auf  die  herkömmhchen  Gottesbeweise.    Neisse  1895. 

^  A.  a.  0.  3-16. 


Die  Beform versuche  Frohschammers  und  Rosenkrantzs.  27 

An  die  Stelle  der  alten  Beweise  setzt  Melzer  seinen 
Gottesbeweis,  den  „im  gewissen  Sinne  einzig  möglichen",  auf 
der  Grundlage  des  Selbstbewußtseins,   des  Ich-Gedankens. 

Im  Ich-Gedanken,  bezw.  durch  das  im  Ich-Gedanken 
erlangte  Selbstbewußtsein  erfaßt  unser  Geist  den  Gedanken 
des  Seins.  Weiterhin  erkennt  er  dieses  sein  Sein  nicht 
als  absolutes,  sondern  als  relatives.  Durch  Negation  dieser 
Nichtabsolutheit  gelangen  wir  sodann  zum  Gedanken  der 
Existenz  Gottes,  indem  wir  uns  selbst  unterscheiden  als 
Erscheinung  und  Sein  und  beides  in  einem  letzten  Real- 
prinzip begründen,  das  weder  bedingt  noch  beschränkt  ist. 
Dieses  Realprinzip  ist  unser  Schöpfer.  Denn  unser  Geist, 
der  zwar  Realprinzip  und  Substanz,  aber  endliche  Sub- 
stanz ist,  wird  genötigt,  über  sich  hinauszugehen  und  eine 
absolute,  unbedingte  Kausalität  als  Schöpfer  der  bedingten 
Substanz  seines  Geistes  und  jeder  anderen,  die  etwa  außer 
dieser  vorhanden  ist,  hinzuzudenken. 

Diesen  Schöpfer  nun  kann  er  in  seiner  Selbstbestimmt- 
heit nur  als  persönlichen,  selbstbewußten  auffassen,  der 
von  jeder  anderen  Substanz  wesenhaft  verschieden  ist. 
Als  unpersönlich  wäre  der  Schöpfer  nicht  imstande,  qua- 
litativ von  ihm  verschiedene  Substanzen  zu  setzen.  —  Die 
Offenbarung  des  persönlichen  Gottes  durch  die  Schöpfung 
hat  die  Offenbarung  seiner  als  absoluten,  persönlichen 
Prinzips  in  seinem  eigenen  Lebensprozeß  zur  Voraus- 
setzung. 

Jeder  andere  Beweis  hat  seine  Grundlage  nur  im 
Geist  des  Menschen;  darum  ist  der  vom  menschlichen 
Selbstbewußtsein  geführte  Beweis  in  gewissem  Sinne  der 
einzig  mögliche.^ 

Dieser  Beweis  ist  nicht  neu.  Er  lehnt  sich  an  Günthers 
Selbstbewußtseinstheorie  an.  Denn  auch  nach  Günther 
wird  Gott  als  das  unbedingte  Sein  erkannt  durch  das 
Selbstbewußtsein  und  die  Realität  des  Gottesgedankens 
durch  die  Realität  des  Ich-Gedankens  verbürtrt.- 


1  E.  Melzer  a.  a.  0.  8—16. 

-  Günther,  Vorschule.  I  72.    Wien  1824;  Eurystheus  und  Herakles 
366.    Wien  1834. 


28  Die  katholische  Tühinger  Schule. 

Es  ist  im  Grunde  ein  kosmologischer  oder  psycho- 
logischer Beweis,  der  nach  Gutberiet  „recht  geeignet  ist, 
unmittelbarer,  als  es  durch  die  gewöhnlichen  Gottesbeweise 
geschieht,  die  Existenz  eines  persönlichen  Gottes  darzutun", 
der  aber  nicht  als  alleiniger  gelten  kann.^ 

Drittes  Kapitel. 

Die  katholische  Tübinger  Schule. 

§  5. 
Die  Theorie  J.  Kuhns. 

Eine  eigenartige  Theorie  in  der  Frage  der  natürlichen 
Gotteserkenntnis  hat  die  Tübinger  kath.  Schule,  an  ihrer 
Spitze  der  Gelehrte  Kuhn  vertreten.  Sie  lautet  kurz  so: 
„Der  menschliche  Geist  erkennt  Gott  durch  denkende 
Betrachtung  der  Welt  und  kann  sein  Dasein  beweisen; 
aber  er  erkennt  ihn  nur  auf  Grund  der  dem  Geiste  ein- 
wohnenden Gottesidee,  ihres  lebendigen  Bewußtseins  und 
Gewißseins,  das  von  subjektiv  praktischen  Bedingungen 
abhängt.  Darum  vermag  er  zwar  die  Wahrheit  derselben 
durch  denkende  Weltbetrachtuug  sich  zu  entwickeln  und 
zu  vermitteln  oder  zu  bestätigen,  und  insofern  das  Dasein 
Gottes  a  posteriori  zu  beweisen,  keineswegs  aber  unabhängig 
davon  dasselbe  —  sei  es  a  priori  oder  a  posteriori  —  zu 
demonstrieren."  ^ 

Kuhns  Theorie  ist  nur  zu  verstehen  vom  Standpunkt 
seiner  Erkenntnistheorie  aus,  die  er  die  platonisch-patri- 
stische  im  Gegensatz  zu  der  aristotelisch -scholastischen 
nennt. 

„Die  Kardinalfrage  des  spekulativen  Wissens",  sagt  er, 
„wird  diese  sein :  Wie  kommt  der  denkende  Geist  über  die 
Erfahrung,  deren  Gegenstand  die  Erscheinungswelt  ist, 
hinaus  zur  Erkenntnis  des  Absoluten,  der  absoluten  Wirk- 
lichkeit,   Gottes?     Hierüber    sind,    wenn    wir    von    dem 


1  Philos.  Jahrbuch  8  (1895)  324—25. 

2  Kuhn,  Kath.  Dogmatik.  I^  2.  Tübingen  1862.  619. 


Die  Tlieorif  J.  Kuhns.  ^9 

Traditionalismus  und  dem  Ontologismus  vorerst  absehen, 
nur  zwei  Theorien  möglich.  Entweder  faßt  man  den 
menschlichen  Geist  lediglich  als  Denk-  und  Erkenntnis- 
Vermögen,  als  bloß  formelles  Organ  der  Wahrheit,  in 
materieller  Beziehung  aber  als  tabula  rasa,  und  nimmt 
sofort  an,  daß  er  durch  denkende  Betrachtung  des  endlich 
Wirklichen  das  absolut  Wirkliche  zu  erkennen,  von  der 
Welt  auf  Gott  in  objektiv  gültiger  Weise  zu  schließen  im- 
stande sei.  Dies  ist  die  aristotelisch -scholastische,  seit 
Thomas  v.  A.  in  den  theol.  Schulen  verbreitetste  .  .  . 
Theorie.  Oder  man  geht  davon  aus,  daß  der  menschliche 
Geist  nicht  bloßes  Denk-  und  Erkenntnisvermögen  und 
inbezug  auf  die  Wahrheit  tabula  rasa  sei,  daß  ihm  viel- 
mehr in  seiner  Vernunft  (den  Vernunftideen)  eine  Quelle 
der  Wahrheit  fließe,  daß  insbesondere  die  Idee  von  Gott, 
wenn  auch  nicht  vor,  doch  unabhängig  von  aller  em- 
pirischen Wahrnehmung  und  allem  reflektierenden  Denken 
in  ihr  vorhanden  sei  und  ihm  von  daher  zum  Bewußtsein 
komme.  Demgemäß  nimmt  man  sofort  an,  daß  der  Geist 
zwar  nur  an  der  Hand  der  denkenden  Weltbetrachtung 
zur  wissenden  Erkenntnis  Gottes  komme,  daß  aber  nur 
die  im  Lichte  der  unmittelbaren  Gottesidee  betrachtete 
W^elt  zu  Gott  führe,  m.  a.  W.,  daß  der  denkende  Geist  den 
Schluß  von  dem  endlichen  Sein  auf  den  absolut  Seienden 
nur  auf  Grund  und  in  Kraft  der  ihm  vorschwebenden  und 
vorleuchtenden  und  insofern  unmittelbaren  Gottesidee 
wirklich  und  rechtmäßig  zustande  bringe.  Das  ist  die 
platonisch-patristische  Auffassung  der  Gotteserkenntnis."  ^ 
Dieser  letzteren  schließt  Kuhn  sich  an.- 

Kuhn  nimmt  also  neben  der  objektiven  Quelle  der 
Gotteserkenntnis,  der  denkenden  Weltbetrachtung,  noch 
eine  subjektive  Quelle  an,  die  Gottesidee  im  eigenen 
Geiste. 

Der  Mensch  kommt  zur  Erkenntnis  Gottes  nicht  aus- 
schließlich durch  formale  Abstraktion  und  Reflexion, 
welche  auf  die  sinnlich  wahrüenommenen  Dini>e  angewandt 


1  Kuhn  a.  a.  0.  608-609.  -  A.  a.  0.  616. 


l 


30  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

wird,  sondern  zugleich  durch  innere  unmittelbare  Wahr- 
nehmung im  eigenen  Geiste. 

Her  menschliche  Geist  ist  „Spiegel  und  Auge"  zugleich. 
„Der  vernünftige  Geist  ist,  wie  er  unter  allen  Kreaturen 
allein  das  Vermögen  besitzt,  zur  Erkenntnis  des  Schöpfers 
sich  zu  erheben,  so  sich  selber  zugleich  allein  dasjenige 
Wesen,  durch  welches  er  vorzugsweise  dieselbe  zu  ver- 
wirklichen vermag,  also  erkennendes  Subjekt  und  mittel- 
bares Erkenntnisobjekt  in  einem  oder  Auge  und  Spiegel 
zugleich.  Wenn  aber  der  menschliche  Geist  die  unmittel- 
barste und  vollkommenste  Offenbarung  Gottes  oder  der 
Spiegel  ist,  in  dem  sich  dessen  Bild  dem  schauenden  Auge 
(denkenden  Geist)  unmittelbar  darstellt :  was  kann  dieses 
in  dem  vernünftigen  Geiste  sich  darstellende  Bild  Gottes 
anders  sein  als  die  Idee  Gottes,  die  ihm,  sofern  er  in  seiner 
kreatürlichen  Vollkommenheit  vorhanden  ist,  sofort  ins 
Bewußtsein  tritt  und  sein  unmittelbares  Wissen  von  Gott 
ist?  ein  Wissen  von  Gott,  das  ihm  unabhängig  von  aller 
äußeren  Erfahrung  und  allem  reflektierenden  Denken  bei- 
wohnt und  ihm  als  Leitstern  bei  seinem  auf  die  Betrach- 
tung der  Außenwelt  gerichteten  Denken  und  Erkennen 
vorleuchtet?"! 

„Die  Gottesidee  ist  jedoch  kein  begrifflich  formierter 
Inhalt,  sondern  dem  Lichte  zu  vergleichen,  in  welchem 
die  Welt  betrachtet  werden  muß,  um  zu  erkennen,  daß 
Gott  ist  und  w^as  er  ist."-  „Die  dem  Geiste  eingeborene 
Idee  und  wenn  er  wirklich  und  wahrhaft  vernünftig  ist, 
auch  zum  Bewußtsein  kommende  Gottesidee  ist  für  sich 
allein  nur  erst  der  Anfang  und  das  Prinzip  der  Gottes- 
erkenntnis, nur  gleichsam  der  Selbstlauter  des  Wortes 
Gott,  zu  dem  noch  die  Mitlauter  fehlen.  Diese  kommen 
ihm  aus  der  Betrachtung  der  Welt  im  Lichte  der  ihm 
einwohnenden  Idee  Gottes  zu.  So  erst  konstituiert  sich  die 
Gotteserkenntnis  im  Geiste,  diesen  Verlauf  nimmt  sie."^ 

Die  Gottesidee  ist  also  wesentliches  Moment  in  der 
Gotteserkenntnis. 


*  Kuhn  a.  a.  0.  615.  ''  A.  a.  0.  668.  ^  A.  a.  0.  545. 


Die  Theorie  J.  Kuhns.  31 

Aber  ihre  Wirksamkeit  und  Kraft  hängt  von  zwei 
Bedingungen  ab,  nämlich  von  der  normalen  physischen 
und  psychischen  und  insbesondere  von  der  normalen  sitt- 
lichen Entwicklung  des  Menschen. 

„Wenn  die  Kirchenväter  von  einer  natürlichen,  an- 
geborenen Gottesidee,  von  dem  Gottesbewußtsein  als  der 
natürlichen  Mitgift  der  Seele  reden,  so  ist  dies  jedenfalls 
vor  allem  nicht  so  gemeint,  als  ob  schon  das  unmün- 
dige Kind  von  Gott  wisse,  Gottes  inne  werde.  Denn  im 
Kinde  ist  die  Vernunft  noch  eine  in  ihrem  Keim  ver- 
borgene, schlummernde  Kraft,  und  durch  die  göttliche 
Fürsorge  ist  es  weislich  gefügt,  daß  dem  seiner  selbst 
noch  nicht  mächtigen,  unmündigen  Geist  in  seinem  Er- 
zieher eine  aktive  Vernunft  zur  Seite  steht,  die  ihm  für 
das  höchste  Interesse  seines  Daseins  und  Lebens  (Joh.  17,3) 
eben  das  —  nicht  mehr  —  leistet,  was  dem  in  die  Erde 
gesenkten,  fruchtbaren  Samenkorn  Licht  und  Wärme,  Regen 
und  Feuchtigkeit  leisten,  unter  deren  Einfluß  es  keimt, 
wächst  und  Frucht  bringt,  —  in  Kraft  seiner  eigenen 
Natur,  nicht  in  Kraft  des  äußeren  Lichtes  usw.  Denn  die 
Gottesidee  ist  der  Vernunft  des  Menschen  innerlich  an- 
gelegt, sie  ist  keine  bloße  Tradition  durch  das  Wort  eines 
ihm  äußerlichen  Geistes. 

Aber  -  und  dies  ist  die  Hauptsache  —  nur  die  reine 
Vernunft,  die  Vernunft  der  Vernünftigen  vernimmt  Gott; 
der  Tor  spricht  in  seinem  Herzen:  es  ist  kein  Gott.  Wie 
ein  Spiegel,  wenn  er  durch  einen  widrigen  Umstand  getrübt 
wird,  seine  urspsüngliche  Eigenschaft,  die  Gegenstände 
dem  betrachtenden  Auge  getreu  darzustellen,  nicht  mehr 
besitzt,  so  verhält  es  sich  auch  mit  der  menschlichen 
Seele  inbezug  auf  das  absolute  Objekt.  Die  Seele  verliert 
ihre  Vernunft  nicht,  also  auch  das  Vermögen  nicht,  Gott 
zu  vernehmen;  die  Gottesidee  ist  und  bleibt  ihr  natürlich 
eigen,  Gott  offenbart  sich  ihr,  so  gewiß  sie  Ebenbild  Gottes 
ist  und  bleibt.  Aber  die  Gottesidee  tritt  ihr  gar  nicht 
oder  nicht  in  ihrer  Wahrheit  und  Reinheit  ins  Bewußtsein. 
Gott  offenbart  sich  ihr,  aber  ihr  wird  Gott  nicht  offenbar. 
Die  W^ahrnehmung  Gottes   und  des  Göttlichen,   wie  sie  in 


32  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

ihrer  Vernunft  natürlich  angelegt,  und  wozu  sie  durch 
ihre  Natur  aufgelegt,  disponiert  ist,  ist  als  effektive  und 
wahre  durch  ihre  eigene  Reinheit  und  Integrität  bestimmt; 
diese  aber  beruhen  auf  der  lebendigen  und  ungeschwächten 
Wechselwirkung  ihres  theoretischen  und  praktischen  Ver- 
nunftvermögens, der  Vernunft  und  des  Gewissens."^ 

So  kommt  denn  Kuhn  zum  Schluß:  „Beruht  also  die 
wirkliche  und  wahre  Gotteserkenntnis  in  letzter  Instanz 
auf  der  geistigen  und  sittlichen  Subjektivität,  auf  der 
Persönlichkeit  des  Menschen,  so  ist  es  unmöglich,  das 
Dasein  Gottes  auf  rein  theoretische  und  objektive  Weise  zu 
demonstrieren,  einen  allgemein  gültigen  und  überzeugenden, 
absolut  evidenten  Beweis  dafür  beizubringen." - 

„Nach  der  platonisch-patristischen  Theorie  kann  von 
einem  rein  objektiven  und  theoretischen,  von  einem 
stringenten  oder  eigentlichen  Beweise  des  Daseins 
Gottes  keine  Rede  sein  .  .  ,  Nur  kraft  der  unmittelbaren 
Gottesidee  kommt  der  menschliche  Geist  über  das  Absolute 
des  Pantheismus,  auf  welches  das  bloße  Denken  des  End- 
lichen zunächst  fällt  und  allein  fallen  kann,  hinaus  zum 
persönlichen  Gott,  zu  dem  höchsten  Wesen,  zu  dem  man 
beten  kann,  d.  h.  zu  dem  Absoluten  im  Sinne  des  religiösen 
Bewußtseins."  ^ 

Es  gibt  keine  objektiven  Beweise  für  das  Dasein  Gottes 
nach  Art  logischer  und  mathematischer  Erkenntnisse,  und 
die  Gewißheit  vom  Dasein  Gottes  ist  eine  ganz  andere  als 
die  Wahrheit  geometrischer  Sätze  oder  logischer  Gesetze. 
„Oder  könnte  wohl  der  Gott,  von  dessen  Dasein  und  Wesen 
wir  mit  derselben  Evidenz  wissen,  durch  dieselbe  bloß 
verstandesmäßige  Operation  des  Geistes  uns  überzeugen, 
wie  von  der  Wahrheit  geometrischer  Sätze  oder  logischer 
Gesetze,  wohl  derselbe  sein,  in  dem  wir  das  ewige  Leben 
haben,  wenn  wir  an  ihn  glauben,  ihn  erkennen  und  ihn 
lieben?  Dieser  Gott  wäre  vielmehr  der  Götze  unseres 
eigenen  Denkens,  der  sich  über  Gott  erhebenden,  sich  an 


2  Kuhn  a.  a.  0.  611  —  612.  '  A.  a.  0.  012. 

3  A.  a.  0.  610. 


Die  Theorie  J.  Kuhns.  33 

seine  Stelle  setzenden,  endliclien  Vernunft.  Dieser  sich 
selbst  vergötternden  Vernunft  ist  das  Wort  zugerufen: 
Wer  ist  wie  Gott? 

Oder  wäre  der  Gott  der  wahre,  dessen  Dasein  uns  in 
derselben  Art  gewiß  ist  als  das  Dasein  der  Welt,  den  wir 
eben  dadurch  und  darin  erkennen,  daß  und  worin  wir  das 
Wesen  der  Dinge  erkennen?  Das,  was  wir  so  erkennen 
und  materiell  demonstrieren  können,  ist  das  pantheistische 
Absolute,  nicht  der  Gott  des  religiösen  Glaubens.  Ist  es 
also  nicht  das  tiefste  Interesse  der  Religion,  vor  solchen 
Abwegen  der  Erkenntnis,  vor  solchen  Täuschungen  sich 
zu  bewahren?"  1 

„Die  Vernunft,  die  Gott  erkennt  und  seines  Daseins 
gewiß  ist,  ist  nicht  etwa  ein  bloßes  Denken,  eine  theoretische 
Funktion  des  Geistes,  wie  etwa  das  Zählen  oder  Messen, 
sie  ist  nicht  bloß  der  ratiozinierende  Verstand,  wie  er  in 
den  Naturwissenschaften  tätig  ist,  indem  er  Erscheinungen 
zählt  und  miteinander  kombiniert.  Die  Vernunft  des  Men- 
schen ist  kein  bloß  intellektuelles  Vermögen  des  Geistes, 
sondern  wesentlich  zugleich  ein  praktisches,  das  mit 
seiner  Persönlichkeit  zusammenhängt.  Deshalb  sagen 
wir:  Die  tiefste  Wurzel  und  die  eigentliche  Kraft  (die 
beseligende)  der  Erkenntnis  Gottes  ist  der  Glaube;  wer  zu 
Gott  kommen  will,  muß  glauben,  daß  er  ist,  daß  er  denen, 
die  ihn  suchen,  ein  gerechter  Vergelter  ist."  (Hebr.  11,  0.) 

„Dieser  Glaube  ist  nicht  bloß  ein  unmittelbares,  weder 
auf  der  Erfahrung  dessen,  was  wir  sehen  oder  besitzen, 
noch  auf  Verstandesschlüssen  beruhendes  Wissen,  sondern 
auch  ein  freiwilliges,  aus  der  ganzen  Persönlichkeit  des 
Menschen,  insbesondere  auch  aus  seinem  sittlichen  Bewußt- 
sein und  Gewissen  entspringendes  Für  wahr  halten." - 

„Alle  Gotteserkenntnis  beruht  auf  Glauben  (nicht  auf 
übernatürlichem,  sondern  auf  natürlichem  oder  Vernunft- 
glauben)." ^ 

„Glauben"  wird  also  diese  unmittelbare  persönliche 
Gewißheit  von  Kuhn  genannt,  weil  sie  hauptsächlich  auf 


A  Kuhn  a.  a.  0.  624.  =  a.  a.  0.  625.  ^  a.  a.  0.  623. 

Staab,  Gottesbeweise  in  der  kaUi.  Literatur.  o 


34  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

dem  unmittelbaren  Zeugnis  der  eigenen  Natur  beruht  und 
nicht  ausschließlich  durch  sinnliche  oder  verstandesmäßige 
Evidenz  hervorgerufen  wird. 

Die  Gewißheit  vom  Dasein  Gottes  kann  nicht  verglichen 
werden  mit  der  Gewißheit  logischer  oder  mathematischer 
Erkenntnis.     Sie  ist  die  absolut  höchste: 

„Es  ist  ein  Irrtum,  zu  glauben,  die  logische  oder 
mathematische  oder  sinnliche  Evidenz  sei  überhaupt  und 
schlechthin  die  höchste.  Sie  ist  dies  nur  für  den  den- 
kenden Geist  als  solchen  oder  für  den  sinnlichen 
Menschen  als  solchen.  Die  Gewißheit  des  Gottesbewußt- 
seins ist  von  ganz  anderer  Art  und  darf  nicht  ohne 
weiteres  mit  jenen  verglichen  oder  nach  ihnen  gemessen 
werden.  Sie  ist  die  Evidenz  für  den  menschlichen  Geist 
als  solchen  in  der  Totalität  seines  zugleich  intellektuellen 
und  moralischen  Wesens,  näher,  die  Evidenz  des  persön- 
lichen Geistes.  So  ist  sie  in  der  Tat  die  höchste.  Dem 
religiös  Gläubigen,  der  dieses  wirklich  und  vollkommen 
ist,  ist  das  Dasein  gewisser  als  das  eigene  Dasein;  ihm 
tritt  an  die  Stelle  des  cogito  ergo  sum,  das  deus  est, 
ergo  sum."^ 

Die  gewöhnlichen  Gottesbeweise  (der  kosmologische, 
teleologische  und  moralische)  haben  nach  Kuhn  nur  den 
Wert:  „auf  den  unbefangenen  Geist  des  Menschen  zu  wirken 
und  die  Idee  Gottes  in  ihm  zu  beleben  und  zu  kräftigen, 
besonders  in  ihrer  Verbindung  miteinander".-  „Es  gibt 
wie  keine  absolute  Wesenserkenntnis  Gottes,  so  auch  keinen 
absoluten  Beweis  seines  Daseins,  sondern  nur  Beweise  des- 
selben, die  sich  in  ähnlicher  Weise  zu  dem  (unvollkom- 
menen) Beweise  desselben  zusammenschließen,  wie  die 
eigenschaftlichen  Begriffe  Gottes  zu  dem  unvollkommenen 
Begriff  seines  Wesens  .  .  .  Gleichwie  die  Erkenntnis  Gottes, 
die  Erkenntnis  dessen,  was  er  ist  .  .  .  eine  bloß  vergleichs- 
weise und  inadäquate  ist  .  .  .,  ganz  ebenso  ist  auch  der 
Beweis  des  Daseins  Gottes,  die  Erkenntnis,  daß  er,  daß  ein 
persönliche  Gott  ist,  unvollkommen,  aus  einem  subjektiven 


1  Kuhn  a.  a.  0.  626.  "^  A.  a.  0.  697. 


i 


Die  Theorie  J.  Kuhns.  35 

und  objektiven  Moment  zusammengesetzt,  somit  kein  rein 
objektiver  und  stringenter  (apodiktischer),  kein  schlechthin 
demonstrativer  Beweis.  Sein  Wesen  besteht  in  der  objek- 
tiven Vermittlung  der  subjektiven,  unmittelbaren  Vernunft- 
idee Gottes,  in  der  Bewährung  dieser  Idee  durch  vernünftig 
denkende  Weltbetrachtung."  ^ 

So  will  also  Kuhn  diese  große  und  schwierige  Frage, 
das  Hauptproblem  der  Philosophie,  das  Grundproblem  der 
Theologie,  im  Interesse  des  religiösen  Glaubens  und  einer 
gründlichen  Wissenschaft  fassen.  Er  betrachtet  ein  sog. 
unmittelbares  Gottesbewußtsein  als  primitive  und  prinzi- 
pielle Quelle  unserer  Gotteserkenntnis  und  läßt  die  Beweise 
für  Gottes  Dasein  nur  als  (in  sich  nicht  stringente)  Ver- 
mittlungen der  in  jener  Quelle  unmittelbar  gegebenen  und 
freiwillig  für  wahr  gehaltenen  Erkenntnis  zu,- 

Eine  ähnliche  Ansicht  vertrat  vor  Kuhn  Klee,^  Ber- 
lage,^  Dieringer;'^  man  vergleiche  auch  P.  Schanz.^ 

„Alle  sog.  Beweise  von  Gottes  Dasein,"  sagt  Klee, 
„können  eben  nur  dienen,  dessen  dem  Menschen  ein- 
geschaffene, mittelst  innerer  und  äußerer  Offenbarung 
erweckte  Idee  aus  dem  Zustand  der  Glaubensunmittelbar- 
keit  in  die  begriffliche  Form  zu  vermitteln,  das  Gottes- 
bewußtsein zu  erwecken,  zu  verdeutlichen,  über  alles  aus- 
zudehnen, das  Gefühl  seiner  Gegenwart  und  Unleugbarkeit 
nach  allen  Richtungen  außer  und  inner  uns  zu  entfalten, 
in  alles  hinein-  und  aus  allem  herauszuspiegeln,  die  dem 
vollen  Aufgang  und  höheren  Aufschwung  des  Gottes- 
bewußtseins entgegenstehenden  Hindernisse  zu  beseitigen. 
Wo  aber  die  Idee  Gottes  und  die  Überzeugung  von  seinem 
Dasein  nicht  vorhanden  wäre,  da  blieben  alle  vorzüglichen 
Argumente  eine  taube  Saat."^ 


«  Kuhn  a.  a.  0.  700—702. 

2  Haffner,  GrundHnien  der  Geschichte  der  Philosophie  II  1086. 

^  Klee,  Kath.  Dogmatik  IP.  Mainz  1844.  1—8. 

^  B  er  läge,   System  der  kath.  Dogmatik.  II.   Münster  1846.  10—20. 

5  Dieringer,  Lehrbuch  der  kath.  Dogmatik.^  Mainz  1858.  33—36. 

6  P.  Schanz,  Apologie  P  166—167. 

7  Klee  a.  a.  0.  7. 

3* 


36  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

Darum  eifert  Klee  auch  gegen  jede  Notwendigkeit 
eines  Gottesbeweises. 

„Der  notwendig  zu  beweisende  und  bloß  wegen  des 
Beweises  anzuerkennende,  der  so  unter  ein  endliches  Axiom 
eines  endlichen  Ichs  herabgesetzte,  nach  einer  endlichen 
Operation  im  Beweisen  und  Bestimmen  als  fix  und  fertig 
dastehende  Gott  ist  keiner,  sondern  ein  nichtiger,  selbst- 
gemachter Götze,  vor  dem  kein  Vernünftiger  anbetend 
niederfallen  kann."^ 

§  6. 
Kritik  der  Kuhnschen  Theorie. 

Die  Theorie  des  berühmten  Tübinger  Gelehrten  hat 
in  katholischen  Kreisen  lebhaften  Widerspruch  gefunden. 
Insbesondere  hat  Seh ä zier  dagegen  Stellung  genommen 
in  drei  Schriften:  „Natur  und  Übernatur",  Mainz  1865; 
„Neue  Untersuchungen  über  das  Dogma  von  der  Gnade 
und  das  Wesen  des  christlichen  Glaubens",  Mainz  1867; 
„Divus  Thomas  contra  Liberalismum",  Rom  1874.  Zwei 
Punkte  werden  vor  allem  beanstandet:  die  Kuhnsche  Er- 
kenntnistheorie und  das  unmittelbare  Gottesbewußtsein, 
die  Gottesidee. 

1.  Die  Erkenntnistheorie  Kuhns. 
Im  Interesse  der  Religion,  damit  sie  nicht  in  Ab- 
hängigkeit von  der  Philosophie  käme,  glaubte  Kuhn  ein 
unmittelbares  Wahrheitsbewußtsein  annehmen  zu  müssen : 
„Wenn  es  überhaupt  Wahrheit,  als  solche  erkennbare  Wahr- 
heit und  folglich  sichere  Überzeugungen  für  den  Menschen 
gibt,  so  muß  sie  allen  zugänglich,  und  die  Überzeugung 
davon  ein  Gemeingut  aller  sein  können,  diejenige  Wahr- 
heit wenigstens,  die  von  dem  vernünftigen  Geistesleben 
des  Menschen  unzertrennlich,  die  für  den  vernünftigen 
Geist  (in  seiner  Erhabenheit  über  das  Tier)  ganz  dasselbe 
ist,  was  für  den  physischen  Menschen  Nahrung,  Bewegung, 


1  Klee  a.  a.  0.  6. 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  37 

Licht,  Luft,  sinnliche  Empfindung  und  Lust.  Dies  kann 
sie  aber  nicht  sein,  wenn  die  Wahrheit  zugleich  mit  der 
Überzeugung  von  ihr  nur  erst  in  der  Form  des  speku- 
lativen Begriffs  erreicht,  nur  durch  spekulatives  Denken 
errungen  wird;  wenn  es  nicht  eine  von  den  Operationen 
des  wissenschaftlichen  Denkens  unabhängige  Quelle  und 
ein  unmittelbares  Bewußtsein  derselben,  eine  unabhängig 
von  dem  reflektierenden  und  spekulierenden  Denken  fest- 
stehende Überzeugung  von  ihr  gibt.  Hierdurch  beweisen 
wir  die  Wahrheit  unserer  Annahme,  daß  die  Quelle  der 
Wahrheit  über  dem  Denken  (Verstand)  liege  und  das  re- 
flektierende und  spekulierende  Denken  nur  das  Mittel  ihrer 
wissenschaftlichen  Erkenntnis  sei.  Stoße  diesen  Beweis 
um,  wer  es  kann."i 

Die  Alternative,  welche  diesem  Beweis  zur  Voraus- 
setzung dient,  nämlich  entweder  sei  die  Wahrheit  dem  Geiste 
vor  aller  Tätigkeit  in  der  Vernunftidee  unmittelbar  gegeben 
oder  sie  sei  ein  Produkt  unseres  Denkens,  ist  unhaltbar. 
Es  gibt  noch  ein  Drittes,  und  das  ist  das  richtige :  Die 
Wahrheit  ist  eine  an  sich  gegebene  und  in  den  Gegenständen 
unabhängig  von  unserer  Geistestätigkeit  vorhandene. 

Diese  an  sich  gegebene  Wahrheit  ist  zwar  für  alle 
erkennbar,  allein  schon  dadurch  noch  nicht  offenbar. 
Dies  wird  sie  erst  durch  die  Tätigkeit  unseres  Geistes. 

Das  Bewußtsein  der  Wahrheit  ist  wesentlich  ein 
vermitteltes.  Aber  deshalb  ist  die  Wahrheit  noch  kein 
Produkt  unseres  Denkens.  Denn  dadurch,  daß  wir  die 
Dinge  erkennen,  erhalten  sie  nicht  erst  ihre  Wahrheit. 
Ihre  Wahrheit  ist  nichts  anderes  als  das  Wesen  der  Dinge 
in  seiner  Beziehung  auf  einen  erkennenden  Geist,  dem  sie 
entweder  gleichförmig  gemacht  wurden  (Beziehung  zum 
göttlichen  Geist)  oder  umgekehrt,  den  sie  selber  sich  gleich- 
förmig zu  machen  fähig  sind  (Beziehung  auf  den  mensch- 
lichen Geist).  Unser  Erkennen  ist  daher  insofern  ein 
wahres,  als  es  mit  seinem  Gegenstande  übereinstimmt,  das 
Prinzip  seiner  Wahrheit  aber  ist  Gott  selber. 

1  Kuhn  a.  a.  0.  P  1.  238—242. 


38  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

Kuhns  Behauptung,  die  Quelle  der  Wahrheit  läge 
ohne  Annahme  eines  unmittelbaren  Bewußtseins  davon  im 
Verstände,  ist  unhaltbar.  Gott  ist  die  Quelle  der  Wahrheit 
auch  bei  der  Anschauung,  die  das  Wahrheitsbewußtsein 
als  ein  durch  die  eigene  Tätigkeit  des  Geistes  vermitteltes 
versteht.  Gott  ist  aber  nicht  bloß  dadurch  Quelle  der  Wahr- 
heit, daß  die  Wahrheit  unseres  Erkenntnisgegenstandes 
auf  seiner  Ähnlichkeit  mit  Gott  als  der  prima  veritas 
beruht,  auch  die  Wahrheit  unseres  Erkennens  selber  hat 
hier  ihre  Norm,  denn  unser  Geist  bildet  seine  Urteile  nach 
dem  Maßstab  der  göttlichen  Wahrheit,  als  deren  Spiegel 
er  sich  darstellt.  Gott  spricht  zu  uns  durch  das  Vernunft- 
licht, dem  unser  gesamtes  natürliches  Wissen  seine  Gewiß- 
heit verdankt.  Dadurch,  daß  wir  mit  Thomas  die  Quelle 
der  Wahrheit  in  Gott  selber  suchen,  ist  ihre  Objektivität 
sichergestellt,  dagegen  kommt  Kuhn  mit  seiner  Annahme, 
daß  „dem  menschlichen  Geist  von  vornherein  in  seiner 
Vernunft  (den  Vernunftideen)  eine  Quelle  der  Wahrheit 
fließe",  daß  „die  Wahrheit  ihre  Wurzel  in  der  Vernunft- 
idee habe",i  nicht  über  die  engen  Grenzen  des  Subjekts 
hinaus.2 

Ein  Grundfehler  Kuhns  liegt  darin,  daß  er  Denken 
und  Erkennen  als  zwei  ganz  verschiedene  Dinge  betrachtet. 

Die  Erkenntnislehre  aber,  welche  Denken  und  Er- 
kennen nicht  bloß  wie  Mittel  und  Zweck,  wie  Werkzeug 
und  Arbeitsleistung  unterscheidet,  sondern  beide  trennt 
als  ganz  verschiedene  Dinge,  ist  verfehlt.  Zugleich  ist 
es  eine  nutzlose  Verdoppelung,  dem  Verstände  ein  ver- 
mitteltes Wissen  und  der  Vernunft  ein  unmittelbares 
Glauben  inbezug  auf  irgendein  Erkenntnisobjekt  zuzu- 
sprechen. Denn  der  Vernunftglaube  hat  keinen  Erkenntnis- 
wert, bevor  das  Denken  die  Gründe  dieser  Wahrnehmung 
festgestellt  und  begriffen  hat. 

Diese  Spaltung  des  Erkenntnisvermögens  ist  zudem 
auch  nicht  unbedenklich.    Denn  sie  kann  nicht  auskommen 


1  Kuhn  a.  a.  0.  P  2.  609;  P  1.  176. 

2  Vgl.  Schäzler,  Neue  Untersuchungen  437—442. 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  39 

ohne  ein  zweifelhaftes  Medium,  welches  unzweifelhaft 
Familienähnlichkeit  hat  mit  dem  „Gefühlsglauben"  von 
Jakobi,  mit  der  „intellektuellen  Anschauung"  Schellings, 
mit  dem  „metaphysischen  Sinne"  bei  Neueren,  mit  der  „in- 
tellektuellen Spürung"  des  Vorstellens  bei  H  a  r  t  m  a  n  n. 
Es  sind  all  dies  die  monistisch  gedachten  subjektiven 
Energien  des  Bewußtseins,  welche  den  Sprung  vom  Denken 
in  das  Sein,  vom  Individuellen  in  das  Absolute,  von  der 
Einzelvernunft  in  den  Allgeist  hinüber  ermöglichen  sollen.^ 

2.  Das  unmittelbare  Gottesbewußtsein,  die  Gottesidee 
bei  Kuhn  und  der  Tübinger  Schule. 

Wie  schon  erwähnt,  lehrt  Kuhn:  „Der  menschliche 
Geist  ist  die  unmittelbarste  und  vollkommenste  Offenbarung 
Gottes  oder  der  Spiegel,  in  dem  sich  dessen  Bild  dem 
schauenden  Auge  (denkenden  Geist)  unmittelbar  dar- 
stellt."- Weil  der  christlichen  Idee  gemäß  Gott  als  un- 
mittelbare, absolute  Ursache,  als  Schöpfer  der  Welt  zu 
denken  ist,  „so  ist  diese  eine  Offenbarung  Gottes,  so  kommt 
das  Wesen  des  Unendlichen  im  Endlichen  zur  Erscheinung 
und  zwar  in  aufsteigender  Progression  oder  so,  daß  in 
den  vollkommensten  Weltwesen,  den  Vernunftwesen,  diese 
Erscheinung  Gottes  sich  zum  Bewußtsein  von  ihm 
gestaltet^.3 

Kraft  dieser  uranfänglichen  und  allgemeinen  Offen- 
barung trägt  der  Mensch  im  seinem  vernünftigen  Geiste 
das  Bewußtsein  des  Unendlichen  (die  Idee  Gottes)  un- 
mittelbar in  sich,  so  „daß  der  menschliche  Geist  nicht  erst 
durch  einen  auf  sein  Selbstbewußtsein  gebauten  Schluß, 
sondern  ebenso  unmittelbar  Gottes  inne  wird  wie  seines 
eigenen  Selbsts".  „Dieses  unmittelbare  Gottesbewußtsein 
leuchtet  seinem  Denken  vor,  wenn  er  auf  dem  Wege  der 
nachdenkenden  Betrachtung  Gott  erkennt."^ 

Kuhn  beruft  sich  mit  Unrecht  für  diese  seine  Auf- 
fassung  auf   die    Hl.  Schrift;^    sie    bezeugt  nur    die  Er- 

^  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  17. 

•^  Kuhn  a.  a.  0.  1-  2.  615.  ^  A.  a.  0.  589. 

*  A.  a.  0.  U  506—507.  ^  A.  a.  0.  P  1.  537. 


40  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

kennbarkeit  Gottes  aus  den  Werken  der  Schöpfung. 
Ebensowenig  kann  er  die  Autorität  der  Väter  und  des 
hl.  Anselm  geltend  machen.^ 

„Wenn  der  hl.  Anselm  und  die  Väter  den  Geist  des 
Menschen  als  einen  Spiegel  Gottes  bezeichnen  —  und  allein 
darauf  stützt  sich  die  Behauptung  Kuhns,  seine  Ansicht 
sei  die  ,patristische*  — ,  so  bezeichnen  sie  unsere  Gottes- 
erkenntnis eben  da  durch  als  eine  mittelbare." - 

Auch  die  inneren  Gründe,  die  Kuhn  für  seine  Lehre 
anführt,  beweisen  nicht,  was  sie  beweisen  sollen. 

Kuhn  glaubt  nämlich,  ohne  die  Annahme  einer  un- 
mittelbaren Gottesidee  „wäre  eine  Offenbarung  Gottes  im 
theologischen  Sinne  unmöglich,  könnte  Gott  nur  in  dem 
Sinne  dem  Menschen  sich  offenbaren,  als  er  sich  selbst 
denkt,  indem  der  menschliche  Geist  ihn  denkt,  und  in 
diesem  Geiste  und  seinem  Denken  sich  selbst  erst  offen- 
bar, selbstbewußter  Geist  wird".^  Kuhn  verwechselt  hier 
das  principium  cognoscendi   mit  dem   principium  essendi. 

Wenn  dann  Kuhn  weiter  sagt :  „Muß  nicht  Gottes 
bestes,  sozusagen  gelungenstes  Werk,  muß  nicht  die  Krone 
seiner  Schöpfung  ihn  am  unmittelbarsten  und  vollkom- 
mensten offenbaren?'',  so  beweist  dieses  Argument  nach 
Schäzler  zuviel  und  daher  nichts.  Denn  die  unmittel- 
barste und  vollkommenste  Offenbarung  Gottes  im  ge- 
schaffenen Geiste  wäre  erst  dann  gegeben,  wenn  der 
menschliche  Geist  in  sich  selber  wie  in  einem  Spiegel 
nicht  bloß  die  natürlichen  Wahrheiten  von  Gottes  Dasein 
und  Wesen,  sondern  auch  die  übernatürlichen  von 
der  göttlichen  Dreieinigkeit  usw.  unmitttelbar  zu 
erkennen  vermöchte,  was  aber  auch  Kuhn  nicht  zu 
behaupten  wagt. 

Der  menschliche  Geist  ist  allerdings  eine  vollkommenere 
Offenbarung  Gottes  als  die  vernunftlose  Schöpfung ;  aber 
deswegen  muß  er  noch  nicht  die  vollkommenste  Offen- 
barung Gottes  sein;  er  ist  Ebenbild  Gottes  nicht  erst  durch 

1  Kuhn  a.  a.  0.  V  2.  614.  720. 

2  Schäzler  a.  a.  0.  446.     Vgl.  Heinrich,  Dogmatik    IIP  43—91. 

3  Kuhn  a.  a.  0.  V-  1.  239. 


1 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  41 

das  Gottesbewußtsein,  sondern  schon  durch  sein  bloßes 
Vermögen  der  Gotteserkenntnis.  Nur  bei  dieser  Auf- 
fassung läßt  sich  der  theologische  Begriff  der  übernatür- 
lichen Gottähnlichkeit,  sowie  die  Lehre,  daß  das  Gottesbild 
der  Seele  durch  die  Sünde  zwar  getrübt,  aber  nicht  aus- 
gewischt werde,  halten. 

Ferner  ist  die  Gefahr  des  Pantheismus  gegeben,  wenn 
Kuhn  behauptet,  der  menschliche  Geist  sei  „Spiegel  Gottes, 
seines  Wesens  und  seiner  Eigenschaften,  er  sei  sich  selbst 
Mittel  der  Erkenntnis  (aber  nur  Mittel,  nicht  das  Objekt 
selbst)  und  Erkenntnisvermögen,  also  beides  in  einem,  das 
Gott  schauende  (erkennende)  Auge  und  der  Spiegel,  in 
welchem  das  Bild  Gottes  sich  ihm  darstellt".^ 

Ohne  übernatürliche  Erleuchtung  ist  für  den  mensch- 
lichen Geist  eine  unmittelbare  Gotteserkenntnis  unmötrlich. 

Endlich  hat  die  Kuhnsche  Lehre  vom  unmittelbaren 
Gottesbewußtsein  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  dem 
Ontologismus.  Sie  unterscheidet  sich  zwar  prinzipiell  vom 
Ontologismus  dadurch,  daß  sie  nicht  wie  letzterer  eine 
unmittelbare  Berührung  des  göttlichen  Wesens  durch  das 
natürliche  Erkenntnisvermögen  des  menschlichen  Geistes 
annimmt,  stimmt  jedoch  bezüglich  des  Einflusses,  den  das 
unmittelbare  Gottesbewußtseiu  auf  unsere  übrigen  Erkennt- 
nisse ausübt,  mit  dem  Ontologismus  überein.-  Da  nun 
Kuhn  die  Behauptung  aufstellt,  nur  im  Lichte  dieser 
Gottesidee  könne  der  Mensch  Gottes  Dasein  erkennen  und 
beweisen,  aber  nicht  evident  und  stringent  (vgl.  Dogm. 
L  2;  610.  619),  so  bildet  der  Gottesbeweis  „gerade  eine 
der  wunden  Stellen,  eine  der  schwachen  Seiten  an  der 
Tübinger  Theologie".'' 

Ist  Gottes  Dasein  objektiv  unbeweisbar  ohne  Hinzu- 
nahme der  Gottesidee,  kann  dann  eigentlich  von  einem 
Gottesbeweis  geredet  werden?  .  .  .  Die  Konstruktion  des 
Gottesbeweises  nicht  auf  dem  Grund,  sondern  im  bloßen  Licht 
der  Gottesidee  kann  zur  objektiven  Konklusion  nicht  führen. 

1  Kuhn  a.  a.  0.  V-  590.  614. 

-  Schäzler  a.  a.  0.  443—464.     Ders.,  Divus  Thomas  159—167. 

^  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  10. 


42  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

Denn  die  Vernunftidee  selber  ist  das  nicht  schlußweise 
zu  fassende  „Real-  oder  Erkenntnisprinzip";  sie  ist  der 
„Schrittstein",  von  welchem  der  Sprung  aus  dem  bloß  Lo- 
gischen, aus  dem  formalen  Denken  in  das  objektive  Sein 
hinüber  gemacht  werden  kann. 

Bestenfalls  vermag  der  Gottesbeweis  im  Licht  der 
Gottesidee  darzutun,  daß  ein  von  außen  her  zu  bereichernder 
Begriff  des  Absoluten  im  Menschengeist  ist.  Nichts  aber 
kann  solch  ein  Beweis  ausmachen  darüber,  ob  und  was 
das  Sein  Gottes,  abgesehen  von  jenem  Begriff,  außer  und 
über  dem  Menschengeist  ist.^ 

Zwar  versucht  Roderfeld  in  zwei  Abhandlungen 
„Die  katholische  Lehre  von  der  natürlichen  Gotteserkennt- 
nis und  die  platonisch-patristische  und  die  aristotelisch- 
scholastische Erkenntnistheorie";-  „Von  der  objektiv- 
theoretischen Beweisbarkeit  und  von  den  Beweisen  des 
Daseins  Gottes"^  nachzuweisen,  „daß  ebenso  wie  in  der 
Lehre  von  der  Gotteserkenntnis  im  allgemeinen,  so  auch 
in  der  Lehre  von  den  wissenschaftlichen  Beweisen  Gottes 
die  von  Kuhn  entwickelte  platonisch-patristische  Theorie 
sachlich  und  wesentlich  mit  der  aristotelisch-scholastischen 
übereinstimmt,  und  die  Differenzen  nur  rein  formelle, 
theoretische  Fragen  betreffen".  Er  glaubt,  „die  Kuhn  sehe 
Lehre  unterscheide  sich  von  der  thomistischen  lediglich 
dadurch,  daß  erstere  die  subjektiven  Momente  oder  die 
Gottesidee  als  wesentliche  und  notwendige  Faktoren  beim 
Prozesse  der  gemeinen  natürlichen  Gotteserkenntnis  in 
Anschlag  bringe  und  dieselben  mit  den  objektiven  Mo- 
menten in  organische  Verbindung  setze,  während  die 
letztere,  nämlich  die  thomistische  Lehre,  die  subjektiven 
Momente  zwar  anerkenne,  aber  nicht  als  wesentliche 
Faktoren  oder  als  wirkliche  Quelle  zugleich  mit  der  ob- 
jektiven Quelle  verwerte.  Dieser  Unterschied  sei  eine 
Folge  des  verschiedenen  erkenntnistheoretischen  Stand- 
punktes; da  aber  platonische  und  aristotelische  Erkenntnis- 

1  Braig  a.  a.  0.  10—12. 

■'  Tüb.  Theol.  Quartalschr.  63  (1881)  77—136;  186—249. 

3  A.  a.  0.  391—422;  597—640. 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  43 

theorie  nicht  in  einem  prinzipiellen  Gegensatz  ständen, 
werde  dadurch  die  sachliche  Übereinstimmung  der  Kuhn- 
schen Erkenntnistheorie  und  der  thomistischen  nicht 
alteriert."^ 

Wir  können  uns  diesem  Urteil  nicht  anschließen;  denn 
die  Kuhnsche  Gottesidee  ist  etwas  ganz  anderes  als  die 
von  der  Scholastik  behauptete  natürliche  Fähigkeit  des 
Menschen,  Gott  mit  Leichtigkeit  aus  den  Kreaturen  zu 
erkennen  auch  ohne  streng  wissenschaftlichen  Beweis.  Sie 
gehört  in  das  Gebiet  der  angeborenen  Ideen,  wodurch  die 
Objektivität  unserer  natürlichen  Gotteserkenntnis  geleugnet 
und  eine  subjektive  Gewißheit  an  deren  Stelle  gesetzt 
würde.  Daher  Kuhns  Abneigung  gegen  die  scholastischen 
Gottesbeweise.  Zudem  hebt  Kuhn  den  objektiven  Charakter 
unserer  Gotteserkenntnis  dadurch  auf,  daß  er  sie  aufbaut 
auf  einem  durchaus  subjektiven  Element:  der  sittlichen 
Persönlichkeit.  Denn,  wie  erwähnt,  ist  nach  Kuhns  An- 
schauung der  menschliche  Geist  nur  dann  ein  treuer 
Spiegel  des  göttlichen  Wesens,  aus  dem  dasselbe  rein  und 
in  seiner  Transzendenz  erkannt  wird,  wenn  er  sittlich 
ungetrübt  ist.- 

Gewiß  kann  man  auf  dem  Grund  der  Gottesidee,  ver- 
standen als  das  „in  der  Natur  des  Menschen  wurzelnde, 
mit  seinem  Wesen  selbst  verwachsene  logische,  sittliche. 
Gewissen  des  Menschengeistes",  als  „Wahrheits-,  Sittlich- 
keits-,  Schönheitsdrang  und  -Gefühl",  einen  Gottesbeweis 
führen,  der  aber  von  dem  Kuhnschen  Licht  der  Gottesidee 
sehr  verschieden  ist. 

Wie  wenig  übrigens  Kuhn  und  die  Scholastiker  in 
unserer  Frage  übereinstimmen,  wird  uns  der  folgende 
Abschnitt  zeigen.  Doch  zuvor  wollen  wir  noch  kurz  eines 
anderen  „Tübingers"  Erwähnung  tun,  dessen  Anschauungen 
bezüglich    der    Gotteserkenntnis    sich    vielfach    mit    jenen 


»  Roderfeld  a.  a.  0.  352.  247;  vgl.  244. 

-  Vgl.  Heinrich,  Dogmatik.  Ill-  123—125.  Hontheim,  Theod. 
48—49.  Boedder,  Theol.  natur.  IS  — 23.  Stentrup,  De  Deo  uno 
thes.  4.  Kleutgen,  Phil.  d.  V.  11-  668-673.  Schweiz,  Theol.  fund.^ 
Wien  1867.  37—40.     Sprinzl.  Fundamentaltheol.  Wien  1876.  63—64. 


44  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

Kuhns  decken.  Es  ist  Matthias  Hamm  a.i  Er  glaubt 
mit  Kuhn,  „auf  rein  aristotelischem  Boden  könne  nie  die 
Frage,  ob  Theismus  oder  Pantheismus  das  Wahre  sei,  ent- 
schieden werden.  Darum  stoße  der  rein  aristotelische 
Standpunkt  den  Fundamentalsatz  des  Theismus  um,  es 
sei  unserer  Vernunft  die  Erkenntnis  des  wahren  Gottes 
möglich  und  werde  so  für  den  theistischen  Standpunkt 
unbrauchbar. 

Nur  Plato  gebe  uns  die  weitere  Instanz,  indem  er 
sagt,  die  in  unserer  Natur  angelegte  Ahnung  des  wahren 
Gottes  leite  unsere  Schlüsse.  So  sei  die  platonische  Lehre 
von  einer  uns  innewohnenden  Gottesidee  durch  den 
Theismus  gefordert.  „Die  Gottesidee  dürfen  wir  uns  aber, 
(wie  er  sagt),  nicht  vorstellen  als  in  uns  liegenden,  fertigen 
Begriff,  als  genau  fixiertes  Bild,  als  mathematische  Form. 

Die  Gottesidee  ist  das  Gravitieren  des  Menschen,  des 
einzelnen  wie  des  ganzen  Geschlechts,  und  zwar  des  ganzen 
Menschen  nach  seinem  Erkennen,  Wollen  und  Fühlen, 
gegen  den  einen  Mittelpunkt  hin,  von  welchem  es  aus- 
gegangen ist.  Dieses  Gravitieren  äußert  sich  zunächst  im 
Gefühl  der  Abhängigkeit,  dann  im  Sehnsuchtsgefühl  nach 
Höherem,  als  diese  Welt  ist,  und  zuletzt  im  Pflichtgefühl, 
und  diese  drei  Anlagen  der  menschlichen  Natur  in  ihrer 
Verbindung  und  Verschmelzung  sind  das,  was  man  Gottes- 
idee nennt."  ^ 

Gegen  diese  Auffassung  wäre  an  sich  nichts  einzu- 
wenden, wenn  Hamma  nicht  unmittelbar  vorher  einen 
anderen  Begriff  von  der  Gottesidee  aufstellte,  indem  er 
schreibt :  „Wenn  der  theistische  Gott  die  Welt  und  uns  her- 
vorgebracht hat,  so  muß  auch,  wie  sich  die  Ursache  in  der 
Wirkung  kundgeben  muß,  sein  Wesen  in  uns  und  in  der 
Welt  sich  reflektieren,  und  eben  dieses  Spiegelbild  ist 
die  Gottesidee." 

Wie  beide  Fassungen  sich  vereinigen  lassen,  ist  schwer 
einzusehen. 


^  Geschichte  und  Grundfragen  der  Metaphysik.    Freiburg  1876. 
2  Hamma,  Metaphysik  120—121. 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  45 

Die  Gottesidee,  „die  in  unserer  Natur  angelegte  Ahnung 
des  wahren  Gottes  leitet  unsere  Schlüsse"  auf  Gottes  Dasein. 

Es  gibt  nach  Hamma  aber  nur  einen  Beweis  für 
das  Dasein  Gottes,  wie  es  auch  nur  eine  Welt  für  uns  gibt, 
von  welcher  aus  wir  Gott  beweisen  können.  Dieser  eine 
Beweis  aber  zerlegt  sich  in  mehrere  Stufenbeweise,  zerfällt 
in  mehrere  Segmente,  welche  alle  zusammengehören  und 
nur  in  ihrem  Zusammenhang  Beweiskraft  haben. ^  Die 
Welt  ist  nämlich  eine  reale  Vielheit,  welche  aus  ver- 
schiedenen Hauptmomenten  besteht.  Alle  diese  müssen 
wir  der  Reihe  nach  ins  Auge  fassen.  Wir  können  zunächst 
die  Welt  nur  nach  ihrer  Vielheit  und  weiter  nach  ihrer 
Bedingtheit  ins  Auge  fassen  (kosmologischer  Beweis) ;  wir 
können  sie  rücksichtlich  ihrer  Zweckmäßigkeit  betrachten 
(teleologischer  Beweis) ;  wir  können  sie  endlich  vom  Men- 
schen und  seinen  Anlagen  aus,  vom  höchsten  Gebilde 
der  empirischen  Welt  aus  betrachten  (anthropologischer 
Beweis). 

Dem  kosmologischen  Beweis  gibt  Hamma  eine 
andere  Formulierung,  weil  der  Beweis  in  der  gewöhn- 
lichen Form  anfechtbar  sei,  da  die  Prämisse,  die  Zufällig- 
keit der  Welt,  nicht  formell  stringent  bewiesen  werden 
könne. 

„Das  nächstliegende  und  unbestreitbarste  Moment  der 
Welt,  sowohl  der  äußeren  als  der  inneren,  ist,  daß  sie  eine 
reale  Vielheit  von  Seienden  ist.  Nun  ist  es  aber  nicht 
nur  eine  Undenkbarkeit,  sondern  eine  objektive  Unmög- 
lichkeit, daß  eine  Vielheit  von  Seienden  existiere,  ohne  auf 
einer  Einheit  zu  beruhen  und  auf  diese  hinzuweisen.  Also 
existiert  ein  realer  Grund  der  Welt." 

•Erst  wenn  dieser  Beweis  vorausgeschickt  ist,  erhalten 
die  anderen  Formen  des  kosmologischen  Beweises  ihren 
Wert.  „Denn  wenn  erwiesen  ist,  daß  die  gegebene  Welt 
eine  reale  Vielheit  sei,  welche  auf  realer  Einheit  beruhen 
muß,  so  ist  auch  bewiesen,  daß  sie  als  Vielheit  etwas 
Sekundäres,   Bedingtes,   gegenüber  der  Einheit  Zufälliges 


Hamma  a.  a.  0.  121—122. 


46  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

sei.  Wenn  sie  aber  zufällig  ist,  so  muß  ein  notwendiges 
Sein  existieren  und  zwar  nur  ein  notwendiges  Sein. 
Denn  -gäbe  es  mehrere,  so  wären  sie  selbst  wieder  Viel- 
heit, welche  notwendig  die  Einheit  zur  Voraussetzung 
hätte.'' 

„Mit  diesem  Argument  ist  der  Polytheismus  in  seiner 
Unmöglichkeit  dargetan.  Nur  ein  versteckter  Polytheismus 
liegt  in  den  Systemen,  welche  eine  Vielheit  selbständig 
realer  Seienden  für  ursprünglich  erklären  (Demokrit, 
Herbart).  Eine  solche  Vielheit  ohne  reale  Einheit  ist 
eine  leere  Abstraktion.  Ebenso  schlummert  Polytheismus 
in  allen  dualistischen  Systemen.  Das  Resultat  des  kos- 
mologischen  Beweises  ist  also:  Es  existiert  ein  und  nur 
ein  realer  Grund  der  Welt,  und  wer  mehr  als  einen  realen 
Grund  annimmt,  täuscht  sich.  Aber  mehr  sagt  es  uns 
durchaus  nicht.  Ob  dieser  reale  Grund  Geist  oder  Materie, 
ob  er  Substanz  der  Dinge  im  pantheistischen  Sinne  oder 
aber  der  substantiell  verschiedene  Urheber  der  Dinge  in 
theistischem  (oder  auch  noch  deistischem  Sinne)  sei,  das 
können  wir  auf  dieser  Stufe  der  Weltbetrachtung  nicht 
entscheiden."^ 

Die  zweite  Stufe  der  Beweisführung  ist  der  physiko- 
theologische  oder  teleologische  Gottesbeweis.  „Dieses 
Argument  setzt  das  kosmologische  voraus;  falls  es  dies 
nicht  tut,  fällt  es  selbst  dahin.  Denn  aus  der  Gesetz- 
mäßigkeit der  Welt,  für  sich  genommen,  könnten  wir  noch 
nicht  auf  bloß  einen  intelligenten  Grund  schließen;  die 
Zweckmäßigkeit  der  Welt  ist  uns  ja  nicht  als  eine  gegeben, 
sondern  als  verschieden  verzweigte.  Auch  könnte  man, 
falls  das  kosmologische  Argument  nicht  beigezogen  wird, 
mit  Kant  schließen:  Das  teleologische  Argument  beweist 
höchstens  einen  Weltbaumeister,  welcher  seine  Zwecke  in 
der  ihm  von  Ewigkeit  her  gegenüberstehenden  Welt  ver- 
wirklicht habe.  Ein  solcher  Weltbaumeister  ist  aber  ein 
dualistischer  Gedanke  und  nur  abzuweisen  durch  das 
kosmologische  Argument." - 


i  Mamma  a.  a.  0.  124—126.  ^  a.  a.  0.  125  f. 


_ir» 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  47 

Um  auch  diesen  Beweis  gegenüber  allen  Einreden,  die 
der  Pessimismus,  der  Materialismus,  die  Philosophie  des 
Unbewußten  gegen  die  Prämisse  der  Zweckmäßigkeit  erhebt, 
sicherzustellen,  formuliert  Hamm a  den  Beweis  in  folgender 
Weise:  „Die  Weltdinge  sind  real  viele,  und  diese  reale  Vic4- 
heit  fordert  eine  ihr  zugrund  liegende  reale  Einheit.  Die 
Weltdinge  sind  real  unterschieden  und  als  solche  gesetz- 
mäßige Unterschiede.  Unterschiedensein  und  Gesetzmäßig- 
keit setzt  aber  Unterscheidung  voraus,  folglich  ist  der 
reale  Weltgrund  ein  unterscheidendes  Sein  .  .  . 

Wir  erweisen  dadurch  allerdings  keinen  weisen  Welt- 
grund, aber  was  ebensoviel  Wert  hat  und  die  eigentliche 
Absicht  des  teleologischen  Argumentes  ist,  einen  unter- 
scheidenden, d.  i.  denkenden,  intelligenten  Weltgrund. 
Abgewiesen  ist  hierdurch  der  Materialismus  und  der 
Naturalismus  und  sämtliche  Philosophie  des  Unbewußten. 
Aber  nicht  abgewiesen  ist  der  Pantheismus.  Denn  ob 
der  intelligente  Weltgrund  die  absolute  Idee  im  Hege- 
lianischen Sinne  sei,  welche  durch  Selbstunterscheidung 
alle  Unterschiede,  d.  i.  die  ganze  Welt  aus  sich  gebiert, 
oder  ob  der  theistische  Gott,  —  das  läßt  sich  auf  der 
Stufe  der  teleologischen  Weltbetrachtung  noch  nicht  er- 
kennen."^ 

Erst  auf  der  dritten  Stufe  der  Beweisführung,  durch  den 
sog.  anthropologischen  Gottesbeweis,  wird  nach  Hamma 
die  pantheistische  Auffassung  vollständig  widerlegt  und 
die  theistische  als  die  allein  wahre  dargetan. 

Denn  der  anthropologische  Beweis  betrachtet  das 
höchste  Gebilde  der  gegebenen  Welt,  den  Menschen,  nach 
der  Gesamtheit  seiner  Naturanlagen,  den  einzelnen  wie  das 
ganze  Menschengeschlecht  und  schließt:  Wenn  und  da  auf 
der  Welt  ein  Wesen  existiert,  wie  der  Mensch,  so  existiert 
auch  ein  Gott.  Wir  finden  nämlich  im  Menschen  empirisch 
vor  das  religiöse  Gefühl,  d.  h.  jene  Verbindung  des  Ab- 
hängigkeits-,  Sehnsuchts-  und  Sittlichkeitsgefühls,  welche 
der  menschlichen  Natur  unverwüstlich  innewohnt. 


1  Hamma  a.  a.  0.  127—128.     Vgl.  Kuhn  a.  a.  0.  P  2.  683  f. 


48  Die  katholische  Tübinger  Schule. 

Dieses  religiöse  Gefühl,  „die  Gottesidee"  mit  ihren  drei 
integrierenden  Teilen,  vernichtet  den  Pantheismus  in  all 
seinen  Formen. 

'  Diese  Beweiskraft  wohnt  aber  vor  allem  dem  höchsten 
und  besten  Gefühl  des  Menschen  inne,  dem  Gefühl,  das 
sein  eigentliches  Wesen  ausmacht  und  ihn  zur  Person  er- 
hebt: dem  Freiheits-  und  Pflichtgefühl.  „Daß  der  Mensch 
auch  verantwortlich  ist  für  seine  Handlungen,  belohnt 
oder  bestraft  wird,  je  nach  Maßgabe  —  und  Lohn  oder 
Strafe  in  seinem  Sittlichkeitsgefühl  kaum  nur  ideell  anti- 
zipiert, das  vernichtet  den  Pantheismus  in  all  seinen 
Formen."^  „Mit  der  empirischen  Tatsache  des  Sittlichkeits- 
gefühls ist  allein  der  Standpunkt  des  Theismus  vereinbar. 
Während  uns  also  das  kosmologische  Argument  Einen 
Weltgrund,  das  teleologische  Einen  denkenden  Welt- 
grund zeigt,  zeigt  uns  das  anthropologische  in  seinem 
Hauptmoment,  verbunden  mit  den  beiden  ersten  Beweisen, 
Einen,  von  der  Welt  verschiedenen,  denkenden  Welt- 
grund, es  beweist  uns  Gott  als  den  freien  Urheber  alles 
Seienden."-  — 

Das  Vorausgehende  kurz  zusammenfassend,  können 
wir  nun  die  Lehre  der  Tübinger  Schule  bezüglich  der 
natürlichen  Gotteserkenntnis  in  folgende  Hauptsätze  zu- 
sammenschließen : 

L  Der  Mensch  kommt  zur  Erkenntnis  Gottes  nur  auf 
Grund  und  im  Lichte  der  seinem  Geiste  eingepflanzten 
Gottesidee,  nicht  aber  durch  bloß  denkende  Weltbetrach- 
tung, durch  formale  Abstraktion  und  Reflexion. 

2.  Er  kann  das  Dasein  Gottes  nicht  strikte  beweisen. 
Die  Gottesbeweise  sind  nur  eine  Vermittlung  und  Bestä- 
tigung der  Wahrheit  der  Gottesidee  durch  denkende  Welt- 
betrachtung im  Licht  des  unmittelbaren  Gottesbewußtseins, 
keine  objektive,  stringente  Beweise. 

3.  Die  einzelnen  Argumente  vermögen  nur  in  ihrer 
Gesamtheit   einen  vollgültigen  Beweis  des  Daseins  Gottes 


1  Hamma  a.  a.  0.  128—129.     Vgl.  Kuhn  a.  a.  0.  689—697. 

2  Hamma  a.  a.  0.  130. 


Kritik  der  Kuhnschen  Theorie.  49 

herzustellen,  wegen  des  innigen  Zusammenhangs,  der  be- 
steht zwischen  der  Erkenntnis  des  Wesens  und  des  Daseins 
Gottes. 

Es  gibt  darum  nur  einen  Gottesbeweis,  nicht  mehrere 
Gottesbeweise. 

Nur  in  ihrer  Zusammenfassung  können  sie  eine 
wissenschaftliche  Überzeugung  und  objektive  Gewißheit 
begründen. 

Treffend  bemerkt  Schell  zur  Theorie  der  Tübinger 
Schule:  „Aus  der  inneren  Erfahrung  nehmen  alle 
Gottesbeweise  die  Idealformen  des  geistigen  und  heiligen 
Wesens,  der  denk-  und  willensmächtigen  Persönlichkeit,  in 
denen  allein  die  wirklich  hinreichende  Ursache  der  Welt 
gedacht  werden  kann.  Insofern  hat  die  kath.  Tübinger 
Schule  recht,  wenn  sie  auch  für  die  kosmologischen  Be- 
weise eine  Ergänzung  durch  Gedankenbilder  fordert,  welche 
der  inneren  psychischen  Welt  entnommen  sind.  Allein 
diese  geistigen  Idealformen  .  .  .  sind  keine  angeborenen 
Ideen,  sondern  Errungenschaften  und  Gebilde  der  in- 
neren Erfahrung  .  .  .  Außerdem  vollzieht  die  Seele  in 
ihren  unwillkürlichen  Gedankengängen  die  Schlußfolge- 
rungen, insbesondere  des  inneren  Bewußtseins,  dermaßen, 
daß  sie  den  verpflichtenden,  gesetzgebenden,  beurteilenden 
und  dadurch  als  gut  und  schlecht  innerlich  bestimmenden, 
als  wahr  und  falsch  innerlich  begründenden  Gott  in  und 
mit  den  geistigen  Lebensbetätigungen  selber  mit  er  kennt, 
—  unter  dem  bestimmenden  Einfluß  des  Kausalgesetzes. 
Auch  dadurch  entsteht  der  Schein  der  unmittelbaren 
Intuition  oder  der  angeborenen  Idee  Gottes.  Es  ist  ja  im 
Grunde  eine  einfache  und  sichere  Schlußfolgerung,  welche 
von. dem  erfahrungsmäßigen  Tatbestand  auf  den  persön- 
lichen Gott  und  Schöpfer  hinführt,  so  daß  es  keiner  zeit- 
lichen Aufeinanderfolge  einzelner,  unterscheidender  Urteile 
und  Folgerungen  bedarf."  ^ 


1  Schell,  Gott  und  Geist  I  197—199. 


Staab,  Gottesbeweise  in  der  kath.  Literatur. 


50  Die  Neuscholastiker. 

Viertes  Kapitel. 

Die  Neuscholastiker. 

§   7. 
Erkenntnistheorie. 

Im  Gegensatz  zur  Tübinger  Schule  lehrt  die  Neu- 
scholastik mit  dem  hl.  Thomas,  das  Dasein  Gottes  könne 
durch  das  bloße  Licht  der  Vernunft,  ohne  Hilfe  einer 
Gottesidee,  auf  dem  Wege  vernünftiger  Schlußfolgerung 
aus  den  Kreaturen  sicher  erkannt  und  stringent  bewiesen 
werden. 

Sie  stützt  sich  dabei  auf  die  aristotelisch-thomistische 
Erkenntnistheorie,  den  „aristotelischen  Intellektualismus, 
aus  welchem  die  einzige  Erkenntnistheorie  hervorwächst, 
deren  Prinzipien  es  ermöglichen,  daß  die  Gottesüberzeugung 
nicht  lediglich  das  Postulat  eines  subjektiven  Glaubens- 
gefühles, sondern  rechtmäßiger  Gegenstand  objektiven 
Wissens  ist".  ^ 

Die  Grundzüge  dieser  Erkenntnistheorie  sind  kurz 
folgende : 

Gegenstand  unserer  Erkenntnis  sind  die  Dinge  selbst, 
sowohl  bei  sinnlicher  Wahrnehmung  wie  bei  intellektueller 
Erkenntnis.  Das  ist  der  oberste  Grundsatz  der  wahren 
Erkenntnislehre. 

Alle  Erkenntnis  kommt  dadurch  zustande,  daß  im 
Erkennenden  ein  Bild  der  erkannten  Sache  entsteht,  und 
daß  wir  durch  dieses  Bild  die  Sache  selbst,  deren  Bild  es 
ist,  erkennen.  Wir  erkennen  also  die  Dinge  durch  das 
Mittel  ihrer  sinnlichen,  bezw.  intelligibeln  Bilder.  Diese 
Bilder  sind  nicht  der  direkte  Gegenstand  unserer  sinn- 
lichen Wahrnehmung  oder  geistigen  Erkenntnis,  sondern 
nur  das  Mittel,  wodurch  wir  die  Dinge  selbst  wahr- 
nehmen und  erkennen.  Nur  indirekt  und  durch  Reflexion 
können  unsere  Gedanken-  und  Sinnenbilder  Gegenstand 
unserer  Erkenntnis  werden.    Durch  diesen  Grundsatz  allein 


*  Geyser,  Gottesproblem  84. 


i 


Erkenntnistheorie.  51 

ist  die  objektive  Wahrheit  unserer  Erkenntnis  verbürgt 
und  sowohl  der  transzendentale  Idealismus  Kants  als  der 
Pantheismus  ausgeschlossen. 

Aus  dem  ersten  Grundsatz,  daß  wir  die  Dinge  selbst 
durch  ihre  sinnlichen  und  intellektuellen  Abbilder  in  uns 
erkennen,  ergibt  sich  das  weitere  Axiom,  daß  das  Erkannte 
in  dem  Erkennenden  nach  der  Weise  des  Erkennenden  ist. 

Falsch  ist  darum  die  Behauptung,  daß  nur  Gleiches 
durch  Gleiches  erkannt  werde,  daß  also  jede  Erkenntnis 
Gleichheit  der  Natur  zwischen  erkennendem  Subjekt  und 
erkanntem  Objekt  voraussetze.  Daher  kann  der  Geist,  ohne 
selbst  Körper  zu  sein,  Körperliches,  und  das  Geschöpf, 
ohne  selbst  göttlicher  Natur  zu  sein,  Gott  erkennen. 

Daraus  folgt  weiter,  daß  unsere  menschliche  Erkenntnis 
auf  Erden  in  einer  der  menschlichen  Natur  entsprechenden 
Weise  sich  vollziehen  muß,  nicht  aber  in  der  Weise  Gottes 
durch  Anschauung  des  göttlichen  Wesens  oder  a  priori 
und  auf  rein  synthetischem  Wege,  auch  nicht  durch  ein- 
geborene Ideen. 

Nun  ist  aber  die  vernünftige  Seele  des  Menschen  nicht 
reiner  Geist,  sondern  mit  dem  Leib  zur  Einheit  der  Menschen- 
natur verbunden.  Entsprechend  dieser  Natur  und  der 
Erfahrung  gemäß  befindet  sich  darum  die  menschliche 
Vernunft  bezüglich  der  Erkenntnis  ursprünglich  im  Zustand 
bloßer  Potenz,  verhält  sich  zu  allem  Intelligibelen  poten- 
tialiter  und  wird  in  diesem  Sinne  von  den  Scholastikern 
nach  Aristoteles  mit  einer  tabula  rasa  verglichen;  nur 
allmählich  kommt  sie  und  zwar  durch  den  Dienst  der 
Sinne  zu  einer  aktuellen  Erkenntnis  und  zu  einem  habi- 
tualen  Wissen. 

Es  beginnt  also  die  intelligible  Erkenntnis  des  Men- 
schen in  ihrer  natürlichen  Entwicklung  mit  der  sinnlichen 
Wahrnehmung  und  hat  zu  ihrem  nächsten  und  eigentüm- 
lichen Gegenstand  das  Intelligible  im  Sinnlichen,  und  von 
da  aus  erhebt  sie  sich  zu  einer  unvollkommenen  Erkenntnis 
des  rein  Geistigen  und  Göttlichen,  aber  immer  mit  Hilfe 
der  Sinnenbilder  (phantasmata).  Durch  Abstraktion  aus 
den    Phantasmen    erfaßt   unser    Intellekt    das   Wesen    der 


52  Die  Neuscholastiker. 

Körper  in  geistiger  Weise  in  der  Form  der  Allgemeinheit 
und  berührt  in  den  rein  intelligibelen  Begriffen  insofern 
auch  bereits  das  rein  Geistige,  als  diese  metaphysischen 
Seihsbestimmungen  alles  Seienden  den  Geistern  und  Körpern 
gemeinsam  sind.  Damit  haben  wir  die  Möglichkeit,  geistige 
Wesen  zu  erfassen,  indem  wir  an  ihnen  jene  Seinsbestim- 
mungen festhalten,  die  Materialität  aber  negieren. 

Die  wirkliche  Existenz  solch  geistiger  Wesen  erkennen 
wir  zunächst  durch  Erkenntnis  unser  selbst,  des  Wesens 
unserer  Seele.  Diese  Erkenntnis  des  geistigen  Wesens 
unserer  Seele  bietet  wiederum  die  Analogie  zur  Erkenntnis 
reiner  Geister. 

Auf  Grund  der  so  erworbenen  Erkenntnis  des  Wesens 
der  Kreaturen  erschließt  unsere  Vernunft,  vermöge  ihrer 
ersten  evidenten  Prinzipien,  die  Existenz  Gottes,  als  der 
ersten  und  absoluten  Ursache  aller  Dinge,  und  gewinnt 
auf  dem  Wege  der  Analogie  und  Negation  eine  zwar  un- 
vollkommene, aber  richtige  Erkenntnis  des  göttlichen 
Wesens. 

So  ist  also  nach  scholastischer  Anschauung  „unsere 
vernünftige  Erkenntniskraft  von  einer  gewissermaßen 
unendlichen  Fähigkeit  und  über  alles  Sinnliche  und  jedes 
Sinnenvermögen  unaussprechlich  erhaben,  indem  sie  fähig 
ist,  alles,  was  irgendwie  unter  den  Begriff  des  Seins  fällt, 
das  Wirkliche  und  das  Mögliche,  das  Körperliche  und  das 
Geistige,  das  Endliche  und  das  Unendliche,  wahrhaft  zu 
erkennen.  Dadurch  ist  sie  ein  endliches  Abbild  des  un- 
endlichen göttlichen  Geistes  .  .  .  und  vermöge  dieser 
erhabenen  Gottähnlichkeit  von  Natur  aus  positiv  imstande, 
von  der  gesamten  Ordnung  der  erschaffenen  Dinge  und 
von  Gott  selbst  eine  wahre  Wissenschaft  zu  erlangen."^ 

„Für  den  aristotelischen  Intellektualismus  und  seine 
Ausgestaltung,  die  er  in  den  christlichen  Schulen  des 
Mittelalters  genommen,  ist  Gottes  Dasein  und  auch  ein 
gewisser,  wenn  auch  sehr  unvollkommener  Begriff  seiner 
Natur  weder  Sache  des  bloßen  Gefühls,  noch  Gegenstand 


^  Heinrich,  Dogmatik  IIP  131—151. 


Erkenntnistheorie.  53 

bloßen,  sei  es  natürlichen,  sei  es'  übernatürlichen  Glau- 
bens, sondern  Objekt  einer  wissenschaftlichen  Vernunft- 
erkenntnis." ^ 

Und  zwar  steigt  er  von  der  Erkenntnis  der  sinnen- 
fälligen Dinge  zur  Erkenntnis  des  Daseins  Gottes  auf  mit 
Hilfe  der  selbstgewissen  Vernunftprinzipien,  speziell  des 
Kausalitätsprinzips,  das  er  überhaupt  gebraucht,  um  zum 
Wissen  zu  gelangen.  Denn  „diese  Lehre,  daß  wir  Vernunft- 
prinzipien besitzen,  die  von  objektiver  und  absoluter 
Gewißheit  sind  und  ihre  Wahrheit  unmittelbar  durch  sich 
selbst  beugen,  gehört  zum  unveräußerlichen  Besitzstand 
des  Intellektualismus.  Die  Scholastik  hat  an  dieser  Lehre 
entschieden  festgehalten  und  das  mit  vollem  Recht".- 

„Durch  das  geschaffene  Licht  der  ersten  Prinzipien 
(das  Vernunftlicht  der  allgemeinen  Prinzipien)  und  das 
Licht  der  endlichen  Weltbetrachtung  müssen  wir  uns  (nach 
Thomas)  des  Gotteslichtes  bemächtigen."^ 

Die  aristotelisch-scholastische  Theorie  kennt  also  kein 
unmittelbares  Gottesbewußtsein,  keine  angeborene  Gottes- 
idee, in  deren  Licht  man  erst  zur  Erkenntnis  Gottes  kommt, 
sondern  nur  das  Licht  der  Vernunft. 

Wohl  aber  lehrt  sie,  daß  die  menschliche  Vernunft 
mit  Sicherheit  und  Leichtigkeit,  ohne  förmlich  wissen- 
schaftlichen Beweis,  Gottes  Dasein  erkennen  könne. 

So  sagt  K  1  e  u  t  g  e  n  :  „Wenn  wir  jene  unmittelbare 
Erkenntnis  Gottes,  die  ein  Schauen  des  Absoluten  sein 
würde,  in  Abrede  stellten,  so  haben  wir  doch  keineswegs 
geleugnet,  sondern  vielmehr  erhärtet,  daß  es  eine  unwill- 
kürliche Erkenntnis  Gottes  gibt,  die  man  insofern  eine 
unmittelbare  nennen  kann,  als  sie  durch  kein  angestrengtes 
oder  auch  durch  kein  bewußtes  Nachdenken  vermittelt 
wird."^ 

Ähnlich  Scheeben:  „Obgleich  die  volle  und  reine  Er- 
kenntnis Gottes  für  den  sich  selbst  überlassenen  Menschen 


*  Geyser,  Gottesproblem  156.  '  A.  a.  0.  88. 

3  S  c  h  m  i  d  ,    Wissenschaftliche    Richtungen    auf   dem   Gebiete   des 
Katholizismus  in  neuester  und   gegenwärtiger  Zeit.    München  1862.    107. 
^  Kleutgen,  Philosophie  der  Vorzeit.  IP  670. 


54  Die  Neuscholastiker. 

sehr  schwierig  ist  .  .  .,  so  ist  doch  nach  Andeutungen 
der  Hl.  Schrift  und  der  allgemeinen  Lehre  der  Väter  eine 
elementare  Erkenntnis  Gottes  auch  in  dem  Sinne  natürlich, 
daß  sie  zugleich  mit  dem  Erwachen  der  Vernunft  spontan, 
mit  Leichtigkeit  und  innerer  Notwendigkeit  aus  der  gei- 
stigen Natur  des  Menschen  sich  entwickelt,  also  nicht  erst 
von  außen  beigebracht  und  vollends  nicht  erst  durch 
gelehrten  philosophischen  Unterricht  erzeugt  zu  werden 
braucht;  daß  sie  vielmehr  sogar  trotz  widrigster  äußerer 
Einflüsse  und  persönlicher  sittlicher  Verkommenheit,  als 
mit  der  geistigen  Natur  des  Menschen  verwachsen,  nie- 
mals ausgelöscht  werden  kann."i 

Nach  Heinrich  ist  „die  Erkenntnis  Gottes  aus  den 
Geschöpfen  unserer  Vernunft  so  naheliegend  und  ein- 
leuchtend, daß  jeder  Mensch,  wenn  er  nur,  unbehindert 
durch  Leidenschaften  und  Vorurteile,  dem  natürlichen 
Licht  und  Triebe  seiner  Vernunft  folgt,  leicht  und  sicher 
zur  Erkenntnis  Gottes  sich  erhebt.  Insofern  diese  Fähig- 
keit und  dieser  Trieb  zur  Gotteserkenntnis  unserer  ver- 
nünftigen Natur  w^esentlich  eigen  ist,  kann  man  sagen,  die 
Erkenntnis  oder  das  Bewußtsein  Gottes  sei  uns  angeboren, 
anerschaffen,  und  insofern  es  zu  dessen  Vermittlung 
weder  eines  besonderen  Unterrichts,  noch  einer  künstlichen 
und  wissenschaftlichen  Vermittlung  bedarf,  kann  man  es 
auch  ein  unmittelbares  nennen;  keineswegs  aber  als  ob 
unsere  Gotteserkenntnis  nicht  durch  die  Kreaturen  und 
durch  einen  Vernunftschluß  vermittelt  wäre,  sondern  weil 
dieser  Vernunftschluß  so  einfach,  leicht  und  spontan  sich 
vollzieht,  daß  er  im  Vergleich  zu  der  gelehrten  und  wissen- 
schaftlichen Vermittlung  als  ein  unmittelbares  Erkennen 
und  Innewerden  bezeichnet  werden  kann.  Diese  einfache 
und  fast  unwillkürliche  Gotteserkenntnis  der  gesunden 
Vernunft  kann  sodann  durch  methodisches  Denken  zu 
immer  größerer  wissenschaftlicher  Vollendung 
erhoben  oder,  wie  man  auch  sagt,  durch  Denken  ver- 
mittelt werden.     Dadurch  wird   eine   wissenschaftliche 


1  Scheeben,  Dogmatik  II  466;  vgl.  467—473.  I 


i 


Notwendigkeit,  Möglichkeit  und  Stringenz  der  Gottesbeweise.        55 

Erkenntnis  vom  Wesen  und  der  Existenz  Gottes  gewonnen 
und  das  Dasein  Gottes  und  dessen  unendliche  Vollkommen- 
heit wissenschaftlich  bewiesen."^ 

§  8. 

Notwendigkeit,  Mög-lichkeit,  String'enz 

der  Gottesbeweise. 

Aus  diesen  Prinzipien  ergibt  sich  von  selbst  die  Stellung 
der  Neuscholastik  zur  Frage  nach  der 

Notwendisfkeit  der  Gottesbeweise. 


» 


Weder  zum  übernatürlichen  Glauben  an  Gott  noch 
zur  Erlangung  der  natürlichen  Gewißheit  von  Gottes  Da- 
sein ist  ein  förmlicher  wissenschaftlicher  Beweis 
notwendig;  eines  solchen  bedarf  es  nur  zur  vollkom- 
meneren Einsicht  in  die  Gründe  der  allen  von  selbst  sich 
aufdrängenden  Gewißheit  vom  Dasein  Gottes  und  zur 
Widerlegung  der  Einwände,  also  nicht  absolut,  sondern 
nur  relativ  und  zum  besten  der  Gesamtheit. 

Wenn  man  jedoch  die  Frage  so  stellt,  ob  die  mensch- 
liche Vernunft,  um  vom  Dasein  Gottes  Erkenntnis  und 
Gewißheit  zu  erlangen,  irgendeines  Beweises  bedürfe, 
dann  ist  die  Frage  unbedingt  zu  bejahen,  da  wir  ja 
Gottes  Dasein  und  Wesen  nicht  unmittelbar,  sondern  nur 
aus  den  Geschöpfen  schlußweise  erkennen."- 

„Die  Beweise  für  Gottes  Dasein  sind  darum  nicht  bloß 
nicht  überflüssig,  sondern  vielmehr  schlechterdings  not- 
wendig für  unsere  Erkenntnis  Gottes."^ 

„Obgleich  nämlich  das  wirkliche  Dasein  bei  Gott  zu 
seiner  Wesenheit  gehört  und  demnach  die  Behauptung  des- 
selben objektiv  ein  innerlich  und  unmittelbar  evidenter 


1  Heinrich,  Dogmatik  III-  37  —  38;  vgl.  43  —  48.  Vgl.  ferner 
I.  Jeiler,  Der  Ursprung  und  die  Entwicklung  der  Gotteserkenntnis  im 
Menschen.  KathoHk  1877  I  113—148;  224—269;  321—353;  J.  Wieser, 
Die  natürtiche  Gotteserkenntnis.  Zeitschrift  f.  k.  Theol.  1879.  694 — 842. 
1880.  1—33;  438—467. 

2  Heinrich  a.  a.  0.  III^  155. 

3  Stöckl,   Die  Beweise   f.  d.  Dasein  Gottes.     Katholik  1860.   I  521. 


56  Die  Neuscholastiker. 

Satz  (propositio  per  se  nota  secundum  se)  ist,  so  ist  die- 
selbe doch  für  uns,  die  wir  keinen  direkten  Begriff  von 
der  Wesenheit  Gottes  haben,  sondern  uns  denselben  erst 
von  anderen  Begriffen  aus  bilden,  kein  innerlich  und 
unmittelbar  evidenter  Satz  (keine  propositio  per  se  nota 
quoad  nos),  sondern  wird  von  uns  nur  in  der  Form 
eines  Erfahrungssatzes  aus  der  äußeren  Betätigung 
und  Bekundung  des  Daseins  Gottes  und  ebendeshalb  auch 
nur  mittelbar  als  notwendige  Voraussetzung  unserer 
unmittelbaren  Erfahrungen  erkannt  und  muß  folglich  durch 
diese  (also  a  posteriori)  erst  bewiesen  werden."^ 

Mit  der  behaupteten  Notwendigkeit  der  Gottesbeweise 
steht  in  innigstem  Zusammenhang 

die  Möglichkeit,  Gewißheit  und  Evidenz 
der  Gottesbeweise. 

Hier  vertritt  die  neuscholastische  Richtung  den  Satz: 
„Die  menschliche  Vernunft  ist  von  Natur  aus  befähigt, 
vollgültige  und  apodiktische  Beweise  für  das  Dasein  Gottes 
zu  f Uhren." - 

„Es  ist  für  unsere  Vernunft  nicht  unmöglich,"  sagt 
Hagemann,  „das  Dasein  Gottes  zu  beweisen.  Ja  ein 
solcher  Beweis  ist  notwendig,  weil  wir  keine  unmittelbare, 
über  jeden  Beweis  erhabene  Gewißheit  vom  Dasein  Gottes 
haben.  Vielmehr  muß  sie  diese  Gewißheit  durch  einen 
angestrengten  Denkprozeß  sich  vermitteln."  ^^ 

Der  objektive  Möglichkeitsgrund  der  Gottesbeweise  ist 
die  Offenbarung  Gottes  in  der  geschöpflichen  Welt;  der 
subjektive  liegt  im  Menschengeist:  „Der  Menschengeist 
besitzt  zwar  keine  angeborenen  Ideen;  aber  er  befruchtet 
sich  zunächst  mit  den  Begriffen  der  empirischen  Welt  und 
erhebt  sich  über  diese  vermittelst  gewisser  Grundwahr- 
heiten (principia  per  se  nota)  zur  übersinnlichen  Welt, 
zu  Gott.  Diesen  Übergang  zu  Gott  macht  der  Geist  um 
so  leichter,  als  das  Gemüt,  unbefriedigt  mit  dem  Vergäng- 


1  Scheeben^  Dogmatik  I  473—474. 

■'  Stöckl,  Die  Beweise  f.  d.  Dasein  Gottes.  Katholik  1860.  I  516. 

3  Hagemann,  Metaphysik  172. 


Notwendigkeit,  Möglichkeit  und  Stringenz  der  Gottesbeweise.        57 

liehen  und  Endlichen,  von  einem  dunklen  Sehnen  und 
Suchen  nach  dem  unvergänglichen,  unendlichen  Gut  er- 
füllt ist."i 

„Es  war  daher  (nach  Heinrich)  eine  fast  unbegreif- 
liche und  verderbliche  Verirrung,  wenn  in  neuerer  Zeit 
katholische  Schriftsteller  auf  Grund  irriger  moderner  philo- 
sophischer Systeme  die  vernünftige  Beweisbarkeit  Gottes 
leugneten  und  vielfach  noch  meinten,  der  Wahrheit  und 
dem  Glauben  damit  noch  einen  Dienst  zu  erweisen." - 

Denn  „wie  kräftig  auch  immer  die  Berufung  auf  das 
unwillkürliche  Gottesbewußtsein  und  wie  geeignet  sie  sein 
mag,  das  Gemüt,  besonders  das  unverdorbene,  zu  bewegen, 
so  wird  sie  doch  bei  gar  vielen  alle  ihre  Wirksamkeit 
verlieren,  sobald  man  hinzufügt,  daß  jedoch,  was  dem 
Herzen  sich  ankündige,  durch  kein  Nachdenken  der  Ver- 
nunft erreichbar  sei.  Denn  es  handelt  sich  hier  um  die 
Wahrheit,  welche  in  der  religiösen  Erkenntnis  die  erste 
ist  und  alle  anderen  trägt;  eine  solche  aber  darf  nicht 
auf  Ahnung  und  Empfindung  ruhen."-^ 

Diese  aposteriorischen  Gottesbeweise  sind  nach  der 
Lehre  der  Neuscholastiker  „stringente  Beweise,  welche 
eine  volle  vernünftige  Gewißheit  begründen;  es  sind 
nicht  bloße  Induktionsbeweise,  sondern  Demonstrationen 
a  posteriori  im  eigentlichen  Sinne:  denn  sie  erweisen  ihren 
Beweissatz  aus  evidenten  Prämissen  durch  logisch 
notwendige  Schlußfolgerung.  Die  Existenz  der  Dinge 
ist  uns  durch  die  Erfahrung,  ihre  Kontingenz  durch  Ver- 
nunfteinsicht  gewiß;  daraus  folgt  aber  vermöge  des  evi- 
denten Kausalgesetzes  mit  logischer  Notwendigkeit  die 
Existenz   Gottes    als    der    absoluten   Ursache    aller   Dino:e. 


^  Hagemann  a.  a.  0.  173.  Vgl.  ferner  Hontheim,  Theod. 
4S— 52.  Egg  er,  Propaedeutica.^  Brixen  1882.  Sehen  ach,  Meta- 
physik. Innsbruck  1856.  86—91.  Dippel,  Die  beiden  Grundfragen  der 
Gegenwart.  Freiburg  1877.  187  ff.  Lehmen,  Theodizee.'  Freiburg 
1906.    7—15. 

2  Heinrich,  Dogmatik  III ^  160—161. 

3  Kleutgen,  Phil,  der  Yorz.  11-  671;  vgl.  Theologie  der  Vorzeit 
II  34  ff. 


58  Die  Neuscholastiker, 

Dadurch  ist  zugleich  mit  derselben  Evidenz  der  substan- 
tiale  Unterschied  Gottes  und  der  Welt  bewiesen."^ 

„Ist  die  Berechtigung,  welche  Kant  leugnete,  über 
die  Dinge  nach  unseren  Begriffen  zu  urteilen,  wieder  an- 
erkannt," bemerkt  Kleutgen,  „so  läßt  sich  mit  aller 
Zuversicht  behaupten,  daß  es  kaum  irgendwelche  Beweis- 
führungen gibt,  die  einleuchtender  und  gründlicher  wären 
als  jene,  womit  man  zu  aller  Zeit  das  Dasein  Gottes  dar- 
getan hat."- 

Doch  ist  „die  Gewißheit  und  Evidenz  der  Gottesbeweise 
keine  solche,  daß  sie  den  Intellekt  zur  Anerkennung  oder 
Zustimmung  zwingt". 

„Man  braucht  nicht  zu  sagen,  die  Gottesbeweise  hätten 
eine  mathematische  Evidenz;  denn  die  Evidenz  der 
mathematischen  Wahrheiten  wird,  besonders  in  der  Geo- 
metrie, von  der  Phantasie  unterstützt;  sie  ist  ferner  in 
keiner  Weise  von  der  sittlichen  Disposition  des  Subjektes 
abhängig  und  stößt  namentlich  nicht  auf  positive  ethische 
Hindernisse,  welche  das  Auge  des  Geistes  verdunkeln, 
während  die  Gottesbeweise  sich  nur  an  die  Vernunft 
wenden  und  dieselbe  nötigen,  über  die  Phantasie  hinaus- 
zugehen, eine  Wahrheit  anzunehmen,  welcher  man  unter 
Umständen  aus  allen  Kräften  widerstrebt.  —  Anderseits 
ist  es  aber  auch  zu  wenig,  wenn  man  sagt,  die  Beweise 
hätten  bloß  eine  moralische  Evidenz,  da  sie  sowohl 
eine  absolute,  nicht  bloß  moralische,  Gewißheit  erzeugen, 
wie  auch  nicht  einmal  eine  positive  sittliche  Empfäng- 
lichkeit für  ihre  subjektive  Wirkung  voraussetzen,  sondern 
mehr  oder  minder  sogar  trotz  des  Widerstrebens  sich 
geltend  machen.  Sie  haben  eben  eine  metaphysische 
Evidenz."3 

Bezüglich  des  Verhältnisses  der  einzelnen  Gottes- 
beweise  zueinander   bezüglich  ihrer   Tragweite   und 


1  Heinrich,  Dogmatik  IIP  201—202. 

2  Kleutgen,  Philosophie  d.  V.  IP  672.  Vgl.  Straub,  Ge\vißheit 
und  Evidenz  der  Gottesbeweise.  Phil.  Jahrb.  10  (1897)  23—33;  297—309. 
Scheeben,  Dogmatik  I  477. 

3  Scheeben  a.  a.  0.  477. 


I 


Notwendigkeit,  Möglichkeit  und  Stringenz  der  Gottesbeweise.        59 

Kraft  lehren  die  Neuscholastiker:  „Jeder  der  aposterio- 
rischen Gottesbeweise  demonstriert  den  wahren  Gott  als 
das  von  der  Welt  verschiedene  absolute  Wesen  und  den 
Urheber  aller  Dinge, 

Insofern  ist  jeder  dieser  Beweise  für  sich  allein 
genügend  und  bedarf  nicht  der  Ergänzung  durch  andere 
Beweise,   um  die  Existenz   des  wahren  Gottes   darzutun. 

Anderseits  entwickeln  und  beleuchten  die  ver- 
schiedenen Beweise  verschiedene  göttliche  Eigen- 
schaften .  .  .  Insofern  kann  und  muß  man  sagen,  daß 
die  verschiedenen  Gottesbeweise  einander  ergänzen, 
nämlich  bezüglich  der  vollkommenen  Erkenntnis  des 
göttlichen  Wesens."^ 

Natürlich  verwirft  die  Neuscholastik  alle  jene  Theorien, 
welche  die  strikte  Demonstrabilität  des  Daseins  Gottes 
leugnen.  „Alle  jene  Theorien  sind  als  mehr  oder  minder 
irrig  und  in  Irrtum  führend  zu  meiden,  welche  die  Stich- 
haltigkeit der  herkömmlichen  und  von  der  Kirche  auf 
Grund  der  Offenbarung  gebilligten  Gottesbeweise  in  Ab- 
rede stellen  .  .  .  Aber  auch  jene  Theorien  weichen  von  der 
gesunden  katholischen  Lehre  ab,  welche  zwar  einen  Ver- 
nunftbeweis des  Daseins  Gottes  anerkennen,  aber  unter 
Verwerfung  herkömmlicher  Beweise  nur  ihren  eigenen 
Beweis  gelten  lassen  wollen  (Cartesius,  Hermes  u.  a.); 
oder  w^elche  behaupten,  daß  das  Dasein  Gottes  zwar  bewiesen 
werden  könne,  aber  nicht  aus  der  natürlichen  Offenbarung 
Gottes  in  der  Schöpfung,  sondern  nur  aus  den  Tatsachen 
der  übernatürlichen  Offenbarung."   (Friedhof  f.)  ^ 


1  Heinrich,  Dogmatik  111-  200—201.  Scheeben,  Dogmatik  I  477. 
Vgl.  Heinrich,  Kosmol.  Gottesbeweis  und  Kants  Kritik  d.  r.  V.  Gym- 
nasialprogr.  Mainz  1893.  VIII. 

-  Heinrich,  Dogmatik  111^  165—166. 


-JGÖ- 


Zweiter  Teil. 
Die  einzelnen  Gottesbeweise. 


Einteilung'  der  G-ottesbeweise. 

Vor  zwei  Extremen  hat  man  sich  bei  der  Frage  nach 
der  Beweisbarkeit  eines  persönlichen  Gottes  zu  hüten.  Man 
darf  weder  mit  dem  Rationalismus  und  Traditionalismus 
Gottesbeweise  für  ein  Ding  der  Unmöglichkeit  erklären, 
noch  mit  dem  Ontologismus  behaupten,  Gottesbeweise  seien 
überflüssig.  Die  Wahrheit  ist  vielmehr  die:  Der  Mensch 
kann  und  muß  durch  vernünftige  Schlußfolgerungen  zur 
wissenschaftlichen  Erkenntnis  der  Existenz  Gottes  gelangen 
und  bedarf  hierzu  weder  einer  angeborenen  Idee  noch 
einer  übernatürlichen  Offenbarung  und  Überlieferung. 

Auf  zweifachem  Wege  suchte  die  christliche  Philo- 
sophie einen  wissenschaftlichen  Beweis  für  das  Dasein 
Gottes  zu  führen,  a  priori  und  a  posteriori,  je  nachdem 
der  Ausgangspunkt  die  Idee  Gottes  oder  die  Wirkungen 
Gottes  waren.  Den  ersten  Weg  hat  schon  der  Gegner 
An  sei  ms,  der  Mönch  Gaunilo,  und  insbesondere  der 
hl.  Thomas  als  ungangbar  bezeichnet,  weil  man  von  dem 
Begriff  eines  Dinges  noch  nicht  auf  die  Existenz  desselben 
schließen  könne. 

In  der  Gegenwart  schließt  man  sich  fast  durchweg 
diesem  Urteil  an.  Ebenso  herrscht  fast  allgemeine  Über- 
einstimmung darüber,  daß  man  auf  dem  zweiten  Wege 
stringente  Beweise  für  das  Dasein  Gottes  zu  führen  ver- 
möge. Auf  die  mannigfachste  Weise  sucht  man  dies  zu 
tun.  Das  Grundprinzip  aber,  auf  dem  alle  Gottesbeweise 
fußen,    ist    die    Offenbarung    Gottes    in    seinen    Werken. 


i 


f 

J 


Einteilung  der  Gottesbeweise.  61 

Zweifach  ist  diese  Offenbarung  Gottes:  In  der  Außenwelt 
der  Dinge  und  in  der  Innenwelt  des  menschlichen  Geistes. 
„Die  innere  und  die  äußere  Welt  ist  gleichsam  der  zwei- 
fache Spiegel,  aus  dem  uns  die  Gottheit  entgegenleuchtet."  ^ 
So  ergeben  sich  zwei  Arten  von  Gottesbeweisen,  die  sog. 
kosmologischen  Beweise  aus  dem  Makrokosmos  und  die 
psychologischen  aus  dem  Mikrokosmus.  Zu  den  ersteren 
gehören  die  ,,fünf  Wege  des  hl.  T  h  o  m  a  s".  In  dieser 
Form  behandeln  die  Gottesbeweise  u.  a.  Schell,  Schill, 
Pesch,  Egger. 

„Die  Gottesbeweise  nehmen  ihren  Ausgangspunkt  stets 
von  der  erfahrungsmäßigen  Wirklichkeit,  und  zwar  von 
der  gesamten  Wirklichkeit,  ohne  irgendeine  Tatsache  außer 
acht  zu  lassen. 

Die  kosmologische  Gotteserkenntnis  geht  aus  von 
der  Außenwelt,  und  zwar  sowohl  von  den  Mängeln  und 
Unvollkommenheiten  des  Seins  wie  von  den  Vorzügen. 

Sie  betrachtet  „die  Welt  als  Summe  der  Erscheinungen, 
die,  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  aufgefaßt,  mit- 
telst des  Kausalitätsgesetzes  im  Schöpfer  und  nur  in  ihm 
ihre  Erklärung  finden". 

Die  psychologische  Gotteserkenntnis  geht  aus  von 
der  Innenwelt  der  Seele.  Diese  führt  mit  Sicherheit  zur 
Annahme  Gottes  als  des  Wesens,  welches  die  allein  hin- 
reichende Ursache  der  geistigen  Tätigkeiten  und  das  allein 
hinreichende  Zielgut  der  geistigen  Anlage  ist.  In  der 
Untersuchung  seines  eigenen  Wesens  und  seiner  Wesens- 
kräfte vermag  der  Mensch  mit  Sicherheit  Gott  zu  finden 
als  oberste  Wahrheit  und  höchstes  Gut,  als  Grund  aller 
Erkenntnis  und  Urheber  der  sittlichen  Ordnung.- 

Andere  unterscheiden  —  das  ist  die  gewöhnliche  Ein- 
teilung —  drei  Gruppen  von  Gottesbeweisen,  nämlich 
metaphysische,  physische  und  moralische,  und  verstehen 
unter  metaphysischen  Gottesbeweisen  jene,  deren 
Beweisgrund,  wenn  auch  in  der  materiellen  Welt  enthalten, 

*  Egger,  Propaedeutica  philos.  theol.'    Brixinae  1882. 
2  Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  I  209—217.  Paderborn  1895.   Schill. 
Theol.  Prinzipienlehre  71.    Paderborn  1895. 


62  Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

doch  an  und  für  sich  vom  Materiellen  absieht,  und  inso- 
fern immateriell  oder  metaphysisch  ist,  also  jene  Beweise, 
in  welchen  aus  der  Abhängigkeit,  Veränderlichkeit,  Mög- 
lichkeit und  Einheit  der  Welt  auf  das  Dasein  Gottes 
geschlossen  wird.  Physische  Gottesbeweise  nennen  sie 
jene,  welche  ihren  Beweisgrund  dem  entnehmen,  was  der 
materiellen  Welt  als  solcher  eigen  ist,  z.  B.  aus  der  mecha- 
nischen Bewegung,  dem  organischen  Leben,  dem  sinnfälligen 
Wunder,  der  Ordnung;  endlich  moralische  jene,  die  auf 
Gründen  beruhen,  welche  sich  nur  in  dem  der  sittlichen 
Ordnung  unterworfenen  Menschen  vorfinden :  wie  der 
Glückseligkeitstrieb,  das  Pflichtgefühl,  die  übereinstim- 
mende Überzeugung  der  Menschheit.^ 

Nach  Scheeben  zerfallen  die  Beweise  a  posteriori 
hinsichtlich  ihres  Mediums  in  zwei  Hauptklassen,  die 
wesentlich  voneinander  verschieden  sind,  nämlich  in  in- 
direkte resp.  reflexe  und  direkte.  Die  indirekten 
stützen  sich  auf  das  Zeugnis  für  das  Dasein  Gottes,  welches 
in  dem  tatsächlich  in  den  Menschen  vorhandenen  Bewußt- 
sein vom  Dasein  Gottes  enthalten  ist;  sie  setzen  also 
voraus,  daß  dieses  Bewußtsein  selbst,  als  ein  vernünftiges 
Bewußtsein,  durch  anderweitige  Beweise  getragen  w^erde. 
Die  direkten  sind  eben  diejenigen,  auf  Grund  welcher 
jenes    allgemeine  Bewußtsein   sich   bildet   und  fortbesteht. 

Zu  den  ersteren  rechnet  Scheeben  den  historischen 
und  moralischen  Beweis,  zu  den  letzteren  die  Beweise, 
welche  von  den  wirklichen  und  möglichen  Dingen  und 
ideellen  Wahrheiten  ausgehen,  deren  Ursache  bezw.  Grund 
Gott  ist. 

Die  direkten  Beweise  haben  das  Eigentümliche,  „daß 
sie  Gott  aus  irgendeiner  in  unsere  Wahrnehmung  fallenden 
Wirkung  unter  einer  durch  diese  geforderten,  ihn  von 
allen  anderen  Wesen  unterscheidenden  Eigenschaft  als 
wirklich  erweisen.  In  ihrem  Wesen  sind  sie  identisch  mit 
demjenigen   Gedankenprozeß,    durch   welchen    das  unwill- 


1  Vgl.  Lehmen  A.,    Theodizee^    25—26.    Freiburg   1906.     Hont- 
heim,  Inst.  Theol.  65.     Boedder  B.,  Theol.  naturalis  23.    Frib.  1895. 


Der  ontologische  Gottesbeweis  und  seine  heutige  Wertung.  63 

kürlich  vor  wissenschaftlicher  Bildung  und  Reflexion  im 
Menschen  vorhandene  Gottesbewußtsein  erzeugt  wird,  und 
bringen  diesen  Prozeß  nur  zu  deutlicherer  Aussprache".^ 
Wir  schließen  uns  im  folgenden  an  die  erstgenannte 
Einteilung  an,  weil  sie  uns  die  prägnanteste  zu  sein  scheint, 
und  unterscheiden  deshalb  zwei  große  Gruppen  von  Gottes- 
beweisen, nämlich  die  kosmologischen  und  die  psycho- 
logischen. Vorausschicken  wir  kurz  eine  Würdigung  des 
sog.  ontologischen  Gottesbeweises. 

I. 

Gottesbeweise  a  priori. 

Fünftes  Kapitel. 

Der  ontologische  Gottesbeweis 
und  seine  heutige  Wertung. 

Der  sog.  ontologische  Gottesbeweis  geht  von  der  Idee 
Gottes  als  einer  Tatsache  in  uns  aus  und  will  das  Dasein 
Gottes  aus  dem  Inhalt  der  Idee,  als  ein  Element  nämlich, 
das  sie  einschließe,  herleiten. - 

Seinen  Namen  erhielt  dieses  Argument  davon,  daß  der 
nervus  probandi  in  dem  Satz  liegt:  Die  absolute  Voll- 
kommenheit schließt  das  Sein  mit  Notwendigkeit  in  sich.^ 
Bekanntlich  hat  der  hl.  Anselm  zuerst  diesen  Beweis  auf- 
gestellt, und  zwar  in  folgender  Form :  Convincitur  etiam 
insipiens  esse  vel  in  intellectu  aliquid,  quo  nihil  malus 
cogitari  potest,  quia  hoc,  cum  audit,  intelligit,  et  quidquid 
intelligitur,  in  intellectu  est.  Et  certe  id,  quo  malus  cogi- 
tari nequit,  non  potest  esse  in  intellectu  solo.  Si  enim 
vel  in  solo  intellectu  est,  potest  cogitari  esse  et  in  re, 
quod  malus  est.    Si  ergo  id,  quo  malus  cogitari  non  potest, 


^  Scheeben  J.,  Handbuch  der  kath.  Dogmatik  I  475 — 477.  Frei- 
burg 1873. 

-  Kleutgen,  Philosophie  der  Vorzeit  II-  723. 

3  Körber  J.,  Das  ontologische  Argument  8.  Programm.  Bam- 
berg 1884. 


64  Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

est  in  solo  intellectu,  id  ipsum,  quo  maius  cogitari  non 
potest,  est,  quo  maius  cogitari  potest;  sed  certe  hoc  esse 
non  potest.  Existit  ergo  procul  dubio  aliquid,  quo  maius 
cogitari  non  valet,  et  in  intellectu  et  in  se. 

Quod  utique  sie  vere  est,  ut  nee  cogitari  possit  non 
esse.  Nam  potest  cogitari  aliquid  esse  quod  non  possit 
cogitari  non  esse,  quod  maius  est,  quam  quod  non  esse 
cogitari  potest.  Quare  si  id,  quo  maius  nequit  cogitari, 
potest  cogitari  non  esse:  idipsum  quo  maius  cogitari  ne- 
quit, non  est  id  quo  maius  cogitari  nequit;  quod  convenire 
non  potest.  Sic  ergo  vere  est  aliquid  quo  maius  cogitari 
non  potest,  ut  nee  cogitari  possit  non  esse :  et  hoc  es  tu, 
Domine  Dens  noster.  Sic  ergo  vere  es.  Domine  Dens  mens, 
ut  nee  cogitari  possis  non  esse.     Proslog.  c.  2  et  3. 

Jeder  Mensch,  selbst  der  Gottesleugner,  kann  also  nach 
Anselm  sich  ein  höchstes,  vollkommenstes  Wesen  denken, 
hat  in  seinem  Intellekt  den  Begriff  des  denkbar  höchsten 
Wesens.  Das  denkbar  höchste  Wesen  muß  aber  notwendig 
„existieren";  denn  in  Wirklichkeit  existieren  ist  vollkom- 
mener als  nur  in  der  Idee  existieren,  und  notwendig 
existieren  ist  vollkommener  als  nur  kontingent  existieren. 
Wer  also  ernstlich  das  höchste,  vollkommenste  Wesen  denkt, 
muß  in  diesem  Gedanken  jede  Möglichkeit  des  Nichtseins 
ausschließen,  d.  h.  die  Vernunft  ist  genötigt,  das  höchste 
Wesen  sich  als  seiend  und  zwar  als  notwendig  seiend  vor- 
zustellen. Folglich  muß  es  auch  in  Wirklichkeit  sein. 
Denn  ein  absolut  Höchstes  ohne  Wirklichkeit  denken,  hieße 
einen  Widerspruch  denken. 

In  etwas  anderer  Form  haben  später  Descartes  und 
Leibniz  den  ontologischen  Beweis  wiederholt. 

Descartes  sagt:  Im  Begriff  Gottes  ist  die  Notwen- 
digkeit seiner  Existenz  enthalten.  Was  aber  in  der  Natur 
oder  im  Begriff  einer  Sache  enthalten  ist,  kann  man  in 
Wahrheit  von  dieser  Sache  aussagen.  Darum  kann  man 
in  Wahrheit  von  Gott  sagen,  daß  er  existiert.^ 


1  Idenri  et  dicere,   aliquid  in  alicuius  natura  sive  conceptu  contineri, 
ac  dicere,  id  ipsum  de  ea  re  esse  verum.     Atqui  existentia  necessaria  in 


Der  ontologische  Gottesbeweis  und  seine  heutige  Wertung.         <J0 

Leibniz  hat  daran  auszusetzen,  daß  dieser  Beweis 
nur  Geltung  habe  unter  der  Voraussetzung,  daß  das  not- 
wendige Wesen  möglich  sei. 

Darum  weist  Leibniz  zunächst  die  Möglichkeit  der 
Existenz  eines  allervoilkommensten  Wesens  nach,  bezw. 
eines  ens  a  se,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  er  sagt :  Wenn 
ein  ens  a  se  unmöglich  ist,  so  sind  die  entia  ab  alio 
gleichfalls  unmöglich  und  so  wäre  überhaupt  gar  nichts 
möglich.  Daß  aber  etwas  möglich  ist,  ergibt  sich  daraus, 
daß  wirkliche  Dinge  existieren.  Darum  ist  auch  ein  ens 
a  se  möglich. 

Der  Gottesbeweis  hat  so  bei  Leibniz  folgende  Form : 
Es  ist  ein  Wesen  möglich,  in  dessen  Begriff  die  Notwen- 
digkeit der  Existenz  enthalten  ist.  Folglich  muß  dieses 
Wesen  existieren.  Denn  wenn  das  notwendige  Wesen  nicht 
existierte,  dann  gäbe  es  auch  kein  mögliches  Sein.^ 

Betrachten  wir  übrigens  die  Beweisführung  von  Des- 
cartes  und  Leibniz  etwas  genauer,  so  finden  wir,  daß 
beide  den  Standpunkt  der  ontologistischen  Beweisführung 
verlassen  haben.  Descartes  springt  von  der  rein  idealen 
Ordnung  in  die  reale  über,  indem  er  das  begriffliche 
Merkmal  der  notwendigen  Existenz  ohne  weiteres  zur 
wirklichen  Existenz  macht;  Leibniz  nimmt  zum  Aus- 
gangspunkt seines  Beweises  nicht  bloß  wie  An  sehn  die 
innere  Möglichkeit  oder  Denkbarkeit  Gottes,  sondern  auch 
die  äußere,  adäquate  Mögiichkeit.- 

So  ist  also  weder  bei  Descartes  noch  bei  Leibniz 
die  Beweisführung  rein  apriorisch.  Nach  Reinhold  wird 
zudem  Descartes  mit  Unrecht  als  Verteidiger  des  onto- 
logischen  Argumentes  hingestellt;  seine  Beweisführung  sei 
eine  aposterioristische,  kosmologische,  ausgehend  von  dem 


Dei  conceptu  continetur.  Ergo  verum  est,  de  Deo  dicere.  iiecessariam 
existentiam  in  eo  esse  sive  eum  existere.  (Meditationes  de  prima  phi- 
losophia,  Amstelodami  1G98  p.  89;  ctr.  p.  60:  cfr,  Priiicipia  phil. 
p.  1  §  14.) 

^  De  la  demonstration  Cartesienne  de  l'existence  de  Dieu  du 
R.  P.  Lami.    (Leibnitii  opera  onmia,  Genevae  1768  toin.  2.  p.  254.) 

-  Vgl.  Lehmen,  Theodizee  21 — 22. 

Staab,  Gottesbeweise  in  der  katb.  Literatur.  5 


Q6  Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

Vorhandensein  der  Gottesidee  in  unserem  Geiste,  welchem 
er  dieselbe  angeboren  sein  lasse.^ 

Rein  aprioristisch  dagegen  ist  der  ontologische  Beweis 
beim  hl.  Ansei m. 

Bereits  ein  Zeitgenosse  des  Heiligen,  der  Mönch  Gau- 
nilo,  hat  in  seinem  über  pro  insipiente  den  Beweis  bekämpft, 
der  hl.  Thomas  ihn  verworfen ^  und  mit  ihm  die  philo- 
sophischen und  theologischen  Schulen  des  Mittelalters;  seit 
Descartes  wurde  wieder  viel  über  die  Gültigkeit  desselben 
gestritten;  Schelling  und  Hegel  wollten  ihn  allein  von 
allen  Gottesbeweisen  gelten  lassen. 

Kant  erklärte,  „an  dem  so  berühmten  ontologischen 
Beweise  vom  Dasein  eines  höchsten  Wesens  aus  Begriffen 
sei  alle  Mühe  und  Arbeit  verloren  und  ein  Mensch  möchte 
wohl  ebensowenig  aus  bloßen  Ideen  an  Einsichten  reicher 
werden,  als  ein  Kaufmann  an  Vermögen,  wenn  er,  um 
seinen  Zustand  zu  verbessern,  seinem  Kassenbestand  einige 
Nullen  anhängen  wollte".^ 

Die  weitaus  größte  Zahl  der  neueren  Apologeten  auf 
kath.  Seite  betrachten  den  ontol.  Beweis  als  unstichhaltig, 
und  zwar  in  seinen  drei  Formen.  Dies  mit  Recht.  Denn 
aus  der  Analyse  eines  Begriffes  läßt  sich  noch  nichts  über 
die  objektive  Realität  seines  Gegenstandes  feststellen.  Mit 
der  Denkbarkeit  ist  die  Wirklichkeit  noch  nicht  gegeben. 
Der  Beweis  führt  aus  dem  Kreis  des  bloß  Gedachten  nicht 
hinaus,  nur  für  Pantheisten,  die  Denken  und  Sein  identi- 
fizieren, kann  er  Beweiskraft  haben.^ 

Nur  durch  einen  „salto  mortale",  durch  eine  f/eraßaöig 
dq  alXo  yivoq  können  wir  von  der  bloß  a  priori  gefaßten 
Idee  eines  allerrealsten  Wesens  zum  wirklichen  Dasein 
desselben  gelangen.^     Denn  aus  der  Denkbarkeit  des  Un- 

»  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zu  Gott  196. 

"-  S.  theol.  p.  J.  q.  2.  a.  1  ad  2;  Contr.  Gent.  1.  1.  c.  11;  In  sent. 
1.  1.  dist.  3.  q.   1.  a.  2  ad  4. 

^  Kant,  Kritik  d.  r.  V.  483. 

■*  Hagemaun,  Metaphysik  175 — 176. 

5  Straub,  Kant  und  die  nat.  Gotteserkenntnis.  Phil.  Jahrb.  12  (1899) 
264.  Fesch  Chr.,  Prael.  dogm.  11  ^  19—20.  Freiburg  1899.  Lehmen, 
Theodizee-^  18.     Hontheim,  Theod.  58.     Reinhold  a.  a.  O.  188. 


I 


Der  ontologische  Gottesbeweis  und  seine  heutige  Wertung.         67 

endlichen  lälU  sich  ebensowenig  wie  aus  der  Denkbarkeit 
des  Endlichen  auf  die  Wirklichkeit  schließen.^ 

Aus  dem  ontologischen  Beweis  folgt  nur:  Wenn  es  in 
Wirklichkeit  ein  wahrhaft  Unendliches  gibt,  so  muß  es  ein 
Wesen  sein,  das  notwendig  ist,  dessen  Existenz  mit  seinem 
Wesen  identisch  ist. 

Aus  der  reellen  Idee  Gottes  können  wir  noch  nicht  auf 
sein  reelles  Dasein  schließen,  weil  wir  bloß  eine  inadäquate 
Idee  von  Gott  haben.  Wir  erkennen  das  Wesen  Gottes 
auf  Erden  nur  nach  Analogie  der  Geschöpfe,  wo  Dasein 
und  Wesen  nicht  identisch  sind.- 

„Der  Begriff  des  allervollkommensten  Wesens  sagt  rein 
gar  nichts  darüber  aus,  ob  ein  solches  Ding  existiert  oder 
nicht,  der  Begriff  selbst  ist  in  jedem  Fall  möglich,  und 
über  die  Existenz  seines  realen  Doppelgängers,  des  aller- 
vollkommensten Dinges  muß  darum  auf  einem  anderen 
Wege  entschieden  werden. 

Daß  die  Existenz  Gottes  eine  notwendige  sei,  trifft 
allerdings  für  das  reale  Dasein  Gottes  zu,  aber  nicht  für 
unser  Erkennen  Gottes.  Wenn  ich  mir  Gott  als  existierend 
vorstelle,  muß  ich  mir  seine  Existenz  als  notwendig  vor- 
stellen; ob  ich  aber  das  Recht  habe,  mir  Gott  als  existierend 
vorzustellen  und  ihn  mir  dann  folgerecht  als  notwendig 
existierend,  d.  h.  als  ein  Wesen,  das  nicht  nichtexistieren 
könnte,  vorstellen  muß,  das  muß  erst  auf  einem  anderen 
Wege  dargetan  werden."  ^^ 

Darum  sagt  H  a  m  m  a  mit  Recht :  „Allen  Formulierungen 
des  ontologischen  Beweises  fehlt  die  Verifizierung  des  Ober- 
satzes. Sobald  sie  aber  diesen  verifizieren  wollen,  wird 
der  Beweis  sofort  ein  aposterioristischer  und  schließt  sich 
an  den  kosmologischen  an."^ 

Der    ontologische    Beweis    ist    also    nach    der    wohl- 


1  Kleutgen,  Phil.  d.  Vorzeit  ll'^  725. 

-  Heinrich,  Dogmatik  ill-  176. 

3  Geyser,  Das  phil.  Gotlesproblem  91 — 93.  Vgl.  Scheeben, 
Dogm.  I  473-74. 

•*  Hamma,  Geschichte  und  Grundfragen  der  Metaphysik  123.  Frei- 
burg 1876. 

5* 


68  Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

begründeten  Ansicht  der  weitaus  meisten  neueren  christl. 
Philosophen  „innerlich  unmöglich,  weil  er  in  jeder  Form 
von  der  begrifflichen  Erkenntnis  in  uns  unmittelbar  auf 
die  Existenz  des  Dinges  außer  uns  schließt". 

Indes  fehlt  es  auch  in  der  neueren  Zeit  nicht  ganz  an 
Verteidigern  des  Anselmschen  Argumentes,  die  allerdings 
dabei  von  sehr  verschiedenen  Gesichtspunkten  ausgehen. 
Dazu  gehören  neben  Klee^  und  Staudenmaier,-  Vosen,-^' 
Sprinzl,*  Schwetz,^  Schenach,^  Malecek,^  Körber, ^ 
nach  Körbers  Ansicht  auch  Scheeben.^ 

Den  Haupteinwand  gegen  den  ontologischen  Gottes- 
beweis, man  springe  von  der  Region  des  Denkens  in  die 
des  Seins  unvermittelt  über  oder  a  posse  ad  esse  non 
valere  conclusionem,  will  Körb  er  damit  lösen,  daß  er 
sagt:  „Das  Denken  ist  der  Spiegel  des  Seins,  und  darum 
kann  der  Mensch  mit  völliger  und  unfehlbarer  Zuversicht 
von  seinen  logischen  Schlüssen  auf  die  Wirklichkeit  kon- 
kludieren."^^ 

Seh  wetz  erwidert,  dieser  Satz  gelte  nur  für  das  ens 
finitum,  nicht  für  das  ens  infinitum;  letzteres  müsse  seiner 
Natur  nach  notwendig  ens  a  se  sein,  die  absolute  Not- 
wendigkeit der  Existenz,  in  der  die  Wirklichkeit  der 
Existenz  eingeschlossen  sei,  gehöre  zur  Natur  des  ens 
a  se.^^ 

Gewiß  ist  es  eine  Eigentümlichkeit  des  Unendlichen, 
daß  in  ihm  das  Dasein  zur  Wesenheit  gehört,  doch  trotz- 
dem läßt  sich  aus  der  Denkbarkeit  des  Unendlichen  ebenso- 


'  Klee,  Dogmatik  1.  B.  1.  K.  §  2  ff. 

2  Staudenmeier,  Dogmatik  1.  B.  §  20.  57-69.  2.  B.  §  19  ff. 
'^  Vosen,    Das   Christentum    und    die    Einsprüciie    seiner    Gegner. 
SOG  ff.  Mainz  1861. 

*  Sprinzl,  Fundamentaltheologie.  15.  Wien   1876. 

-  Schwetz,  Theologia  fundamentalis.  18  ff.  Wien  1882. 

fi  Schenach,  Metaphysik.  104—108.  Innsbruck  1856. 

'  Malecek,  Die  kath.  Apologetik  für  Mittelschulen.  10.  Prag  188;-i. 

8  Körber,   Das  ontologische  Argument.    Programm   der  kgl.   bayr. 
Studienanstalt  zu  Bamberg  1884. 

9  Scheeben,  Dogmatik  I  474  n.  28. 

'"  Körber  a.  a.  0.  26.  ^^  Schwetz  a,  a.  0.  22. 


I 


Der  ontologische  Gottesbeweis  und  seine  heutige  Wertung.         ^9 

wenig  wie  aus  der  Denkbarkeit  des  Endlichen  auf  seine 
Existenz  schließen.  Denn  die  innere  Wahrheit,  die  Wahr- 
heit des  Begriffes  schließt  die  Wirklichkeit  so  wenig  beim 
Unendlichen  ein  wie  beim  Endlichen. 

Wenn  wir  ein  wahrhaft  Unendliches  denken,  so  müssen 
wir  ein  Wesen  denken,  das  notwendig  ist.  Wir  können 
aber  daraus  nichts  weiter  folgern  als  dies:  „Wenn  es  in 
Wirklichkeit  ein  wahrhaft  Unendliches  gibt,  so  muß  es  ein 
Wesen  sein,  das  notwendig  ist,  so  daß  es  nicht,  wie  alles 
Endliche,  auch  nicht  sein  könnte." 

Unser  Begriff  von  Gott  ist  immer  ein  vermittelter, 
durch  Analogie  und  Verneinung  gebildeter  Begriff,  keine 
vom  Gegenstand  selbst  durch  intellektuelle  Anschauung 
empfangene  Vorstellung.  Er  drückt  also  auch  das  Wesen 
des  Unendlichen  nicht  erschöpfend  aus.  Schon  deshalb 
läßt  sich  die  Behauptung,  wenn  das  Dasein  dem  Absoluten 
wesentlich  sei,  müsse  es  auch  aus  dem  Begriff  erkannt 
werden  können,  abweisen. 

Es  liegt  ferner  in  der  Natur  des  Denkens,  das  sich 
in  entlehnten,  durch  Abstraktion  und  Vergleichung  gewon- 
nenen Begriffen  bewegt,  daß  es  aus  sich  allein  die  Wirk- 
lichkeit nicht  erreichen  kann.  Zwar  haben  unsere  Begriffe 
einen  Inhalt  und  objektive  Wahrheit,  aber  dieser  Inhalt 
ist  immer  nur  das  Ideale,  die  sog.  metaphj'sische  Ordnung 
der  Dinge,  und  darum  ist  es  schlechterdings  unmöglich, 
aus  der  bloßen  Analyse  der  Begriffe  je  eine  Wirklichkeit 
zu  gewinnen.  Unser  Denken  kann  nie  zum  W^irklichen 
kommen,  wenn  es  nicht  vom  Wirklichen  ausgeht. 

Das  Metaphysisch -Reale  unseres  Denkinhaltes  setzt 
allerdings  ein  Wirkliches  voraus,  in  dem  es  gründet,  und 
darum  kann  man  aus  der  objektiven  Wahrheit  des 
Denkens  auf  das  Dasein  Gottes  als  den  ewigen  Grund 
aller  Wahrheit  schließen.  Aber  das  ist  dann  kein  Gottes- 
beweis mehr  aus  der  Analyse  des  Begriffes,  sondern  aus 
der  Existenz  der  relativen  Wahrheit  auf  die  absolute 
Wahrheit.i 


Vgl.  Kleutgen,  Phil,  der  Vorzeit  U-  724—28. 


70  Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

Solange  also  die  Realität  der  Gottesidee  noch  nicht 
erkannt  und  bewiesen  ist,  können  aus  der  Idee  unmöglich 
Schlüsse  auf  das  wirkliche  Dasein  Gottes  gezogen  werden. 
Erst  wenn  feststeht,  daß  Gott  existiert,  folgt  aus  der  Gottes- 
idee, daß  er  notwendig  existiert.^ 

Darum  ist  es  ganz  verkehrt,  wenn  behauptet  wird, 
die  aposterioristischen  Gottesbeweise  hätten  die  apriorische 
Gotteserkenntnis  zur  Voraussetzung.  So  sagt  Schwetz: 
„Die  aprioristische  Gotteserkenntnis  ist  der  Grund  und  das 
Fundament  all  unserer  aposteriorischen  Erkenntnisse.  Denn 
nur  so  Gott  a  priori  erkannt  wird,  der  der  Urheber  unser 
selbst  wie  auch  aller  kontingenter  Dinge  ist,  kann  die 
Harmonie  zwischen  unserem  erkennenden  Geist  und  den 
äußeren  Dingen  erwiesen,  kann  für  die  Erkenntnisse  Ge- 
wißheit oder  Wahrheit  in  Anspruch  genommen  werden."'^ 

Ähnlich  ist  die  Behauptung  Sprinzls:  „der  kosmo- 
logische  Beweis  habe  den  ontologischen  in  gewisser  Hin- 
sicht, sozusagen  implicite  zu  seiner  Voraussetzung  und  zu 
seiner  inneren  Stütze,  weil  der  kosmologische  Beweis  nicht 
völlig  voraussetzungslos  sei,  sondern  wesentlich  auf  der 
Grundlage  unseres  Wahrdenkens,  auf  der  Überzeugung 
beruhe,  daß  wir  in  unserem  Denken,  wenigstens  im  all- 
gemeinen, an  die  objektive  Wahrheit  hinanreichen". -^ 

Nach  Ehrlich  ist  „die  im  ontologischen  Beweis  auf- 
gezeigte Denknotwendigkeit  das  erste  der  Axiome,  auf 
welche  der  kosmologische  Beweis  seine  Argumentation 
stützt".^ 

Was  den  Einwand  von  Schwetz  betrifft,  so  ist  darauf 
zu  antworten:  Gott  ist  allerdings  das  erste  in  der  Ordnung 
des  Seins,  aber  nicht  das  erste  in  der  Ordnung  unseres 
Erkennens.  Ebenso  unrichtig  ist  die  Behauptung  Sprinzls 
und  Ehrlich s. 


*  Heinrich,  Kosmol.  Gottesbeweis  und  Kants  Kritik  d.  r.  V.  XXIV. 

2  Schwetz,    Theol.    fund.    22.      Vgl.    Isenkrahe,    Tüb.   theol. 
Quartalschr.  1887.  409—413. 

3  Sprinzl,  Apologetik  27. 

•*  Ehrlich,    Apologetische  Ergänzungen  zur  Fundamentaltheologie. 
52.  Prag  1863. 


Der  onlologische  Gottesbeweis  und  seine  heutige  Wertung.         71 

Grundlage  alles  Seins  und  Erkennens  ist  das  Iden- 
titätsgesetz. Davon  ausgehend  schlieiU  der  kosmologische 
Beweis  vom  Bedingten,  Relativen  auf  ein  Unbedingtes, 
Absolutes. 

Auch  der  ontologische  Beweis  setzt  die  Möglichkeit 
voraus,  daß  wir  mit  unseren  Erkenntnisfähigkeiten  die 
Wahrheit  erreichen  können.  Sodann  liegt  das  Wesen  der 
ontologischen  Beweisführung  nicht  darin,  daß  dasjenige 
als  wirklich  existierend  angenommen  wird,  was  die  Ver- 
nunft sich  als  existierend  denken  mul),  sondern  darin, 
daß  der  Grund  dieses  Denkenmüssens  im  reinen  Begriff 
als  solchem  und  nicht  in  einem  aprioristischen  Element 
gesucht  wird.^ 

Indes  will  doch  auch  S  p  r  i  n  z  1  dem  ontologischen 
Beweis  für  sich  allein  keine  volle  Beweiskraft  zuerkennen 
und  glaubt,  zu  seiner  vollen  Gründlichkeit  bedürfe  der- 
selbe einer  gewissen  Ergänzung  a  posteriori.-  Derselben 
Ansicht  ist  Ehrlich:  Der  ontologische  Beweis  lasse  nur 
die  Existenz  eines  unentstandenen,  absoluten,  durch  sich 
seienden  Wesens  erschließen,  keineswegs  aber  die  Existenz 
eines  persönlichen  Gottes,  darum  müsse  gegenüber  dem 
Naturalismus,  Materialismus  und  Pantheismus  noch  das 
Dasein  einer  Welt,  einer  Vielheit  von  Substanzen,  welche 
durch  das  absolute,  persönliche  Sein  entstanden  sind  und 
bestehen,  a  posteriori  aus  der  Erfahrung  über  das  durch 
seine  Erscheinung  gegebene  Seiende  bewiesen  werden.^ 

Doch  damit  kann  der  Beweis  nicht  gerettet  werden. 
Er  ist  innerlich  unmöglich  und  kann  keineswegs  die 
Existenz  eines  absoluten  Wesens  dartun;  denn  er  ist  ein 
Fehlschluß.  Wird  er  ergänzt  a  posteriori,  so  ist  er  nicht 
mehr  der  ontologische  Beweis. 

Andere  verteidigen  das  Argument  des  hl.  Anselm, 
indem  sie  es  nicht  als  rein  apriorisch,  sondern  mehr  als 
aposteriorisch-psychologisch  betrachten.  So  neben  Vosen,* 


1  Reinhold  a.  a.  0.  204. 

2  Sprinzi  a.  a.  0.  17. 

3  Ehrlich  a.  a.  0.  25—28. 
■*  Voseii,  Christentum  213. 


72  Die  einzelnen  Gottesbeweise. 

Willmann, 1  Schill-  besonders  Adlhoch.'''  Letzterer  faßt  i 
das  Argument  folgendermaßen:  „Es  ist  Tatsache,  daß  der 
Menschengeist  keines  höheren  Gedankens  mehr  fähig  ist 
als  des  Gottesgedankens.  Würde  nun  der  Gottesgedanke 
nicht  ein  real  existierendes  Objekt  haben,  so  könnte  er 
nicht  der  extremste  Gedanke  sein,  der  die  Kausalität  der 
Vernunft  erschöpft.  Also  existiert  das  Objekt  des  Gottes- 
gedankens real,  d.  h.  Gott  existiert."^  Nach  Schill  sollte 
„die  Beweiskraft  des  Argumentes  nicht  sowohl  in  der  Tat- 
sache des  Gottesgedankens,  als  vielmehr  im  Grund  dieser 
Tatsache  und  der  Notwendigkeit  gelegen  sein,  den 
Gottesbegriff  so  und  nicht  anders  formulieren  zu  können; 
der  Beweis  greife  also  über  ins  Gebiet  der  inneren  Er- 
fahrung".'^ 

Wir  können  hier  nicht  näher  auf  diese  Streitfrage  ein- 
gehen und  verweisen  auf  die  diesbezüglichen  Ausführungen 
bei  Reinhold,^^  wo  dargetan  wird,  daß  „Anselm  sich 
zweifellos  auf  die  rein  logische  Seite  des  Gottesbegriffs 
beschränkt,  und  daß  es  sich  ihm  bei  der  ganzen  Argumen- 
tation nicht  um  aposterioristische  Beweismittel,  sondern 
um  rein  dialektische  Schlußfolgerungen  handelt".  Als  Kron- 
zeugen für  die  Richtigkeit  zitiert  Rein  hold  Janssens,^ 
„den  berufensten  Erklärer  des  Anselm  in  der  neuesten 
Zeit". 


1  Willmann,  Geschichte  des  Idealismus  II  379  —  80.  Braun- 
schweig  1896. 

2  Schill,  Prinzipienlehre  70.  Vgl.  auch  Scheeben,  Dogmatik 
II  474  n.  28. 

3  Adlhoch,  Phil.  Jahrbuch  8  (1895)  52  ff.  372  ff.,  10  (1897)  261  ff. 
394  ff.,  16  (1903)  163  ff.  300  ff.  Vgl.  auch  Schneider,  Natur,  Vernunft, 
Gott  204—207. 

^  Adlhoch  erblickt  darin  „ein  ganz  kurzes,  aber  ungemein  tief- 
greifendes Argument,  in  dem  einer  Jahrhunderte  fordernden  Ausbildung 
unserer  Erkenntnistheorie,  überdies  unserer  pathologischen,  wie  psycho- 
djTiamischen  und  psychologisch  ethischen  Wertung  des  Gottesgedankens 
nicht  minder  als  der  Gottesleugnung  ganz  genial  vorgegriffen  ward,  so 
daß  die  Genialität  des  Wurfes  selber  ihm  so  oft  zum  Mißverdienst  und 
zum  Verhängnis  wurde".     Phil.  Jahrb.  10  (1896)  416. 

5  Schill  a.  a.  0.  70.  ^  Reinhold  a.  a.  0.  190—194. 

7  Jaussens,  De  Deo  uno.  tom.  I.  102  sqq.  Romae  1899. 


I 


Die  kosmologischen  Gottesbeweise.  7^^ 

So  dürfen  wir  nun  zum  Schluß  den  Wert  des  Anselm- 
schen  Gottesbeweises  mit  den  Worten  Heinrichs  dahin 
bestimmen :  „Das  sog.  ontologische  Argument  ist  nicht  im- 
stande, die  reale  Existenz  Gottes  zu  beweisen,  wohl  aber 
stellt  es  ans  Licht,  daß,  wenn  Gott  existiert,  seine  Existenz 
mit  seinem  Wesen  identisch  und  notwendig,  daher  auch  mit 
einer  adäquaten  Erkenntnis  dieses  Wesens  gegeben  ist."* 


II. 

Gottesbeweise  a  posteriori. 

A. 

Gottesbeweise  aus  dein  3Iakrokosnios. 

Die  kosmologischen  Gottesbeweise. 

Grundlage  für  die  wissenschaftliche  Erkenntnis  Gottes 
ist  die  Betrachtung  der  Gesamtwelt  und  ihrer  Eigen- 
schaften, der  äußeren  wie  der  inneren  Erfahrungswelt; 
daher  zerfallen  die  Gottesbeweise  in  die  zwei  großen 
Gruppen,  die  kosmologischen  und  die  psychologischen 
Beweise. 

„Der  kosmologische  Beweis  geht  aus  von  der  Außen- 
welt, von  der  Wirklichkeit  der  Natur  in  ihren  vier  Grund- 
formen: Stoff  und  Kraft,  Gesetz  und  Zweck,  von  den 
Mängeln  und  Unvollkommenheiten  des  Seins  wie  von 
seinen  Vorzügen.  Nach  diesen  verschiedenen  Gesichts- 
punkten unterscheidet  man  verschiedene  Formen  des 
kosmologischen  Gottesbeweises,  die  wir  der  besseren 
Übersicht  halber  in  zwei  Hauptformen  zusammenfassen, 
in  den  Kontingenz-  oder  auch  kosmologisch-theologischen 
oder  metaphysischen  Beweis  und  den  teleologischen,  auch 
physiko-theologischen  genannten  Beweis.  Diesen  beiden 
Beweisen  schicken  wir  die  fünf  aristotelisch-thomistischen 

^  Heinrich,  Dogm.  III-  167.  Vgl.  Stöckl,  De  argumento  onto- 
logico.  20.  Münster  1862.  L.  Haas,  Der  Gottesbeweis  19.  Progr.  der 
kgl.  Studienanstalt  Burghausen  1884  85. 


74  Die  fünf  sog.  aristotelisch-thomistischen  Wege. 

Wege  voraus;  ihre  Grundgedanken  sind  keine  anderen 
als  die  des  Kontingenz-  und  teleologischen  Beweises,  und 
zwar  so,  daß  die  ersten  vier  Wege  zum  Kontingenzbeweise, 
der  fünfte  zum  teleologischen  Beweis  gehören. 


Sechstes  Kapitel. 

Die  fünf  sog.  aristotelisch-thomistischen  Wege. 

Bei  der  Betrachtung  der  Natur  findet  der  Menschen- 
geist fünf  Tatsachen,  die  eine  Erklärung  verlangen.  Es 
sind  dies  die  Tatsachen  der  Bewegung  und  der  Ver- 
ursachung, der  quantitativen  und  der  graduellen  Seins- 
verschiedenheit, endlich  der  Ordnung  in  den  Dingen.  Die 
Vergleichung  der  fünf  Tatsachen  zeigt,  daß  ihr  Inhalt  auf 
fünf  Eigenschaften  ein  und  desselben  Subjektes  hinweist. 
Die  Bewegung  fordert  einen  Ursprung,  und  so  entwickelt 
Thomas  den  ersten  Gottesbeweis  ex  parte  motus  und 
findet  Gott  als  den  letzten,  unbewegten  Beweger  in  der 
Welt;  die  Verursachung  verlangt  eine  oberste  Wirk- 
ursache; darauf  gründet  er  den  zweiten  Beweis  ex 
ratione  causae  efficientis  und  findet  Gott  als  letzte  Wirk- 
ursache; die  ihrer  Qualität  nach  zufällige  Seinsgröße 
fordert  ein  notwendiges  Wesen;  so  schließt  Thomas  auf 
Gott  ex  possibili  et  necessario  und  findet  ihn  als  das  ens 
per  se  necessarium;  die  Verteilung  der  Seinsvoll- 
kommenheiten verlangt  ein  Seinsmaximum;  so  for- 
muliert Thomas  seinen  vierten  Beweis  ex  gradibus  und 
erweist  Gott  als  den  aktiven  Urtyp  aller  endlichen  Voll- 
kommenheiten; endlich  die  Ordnung  der  Dinge  fordert 
einen  intelligenten  Ordner;  so  schließt  Thomas  ex  guber- 
natione  rerum  auf  Gott  als  den  zwecksetzenden,  vernunft- 
begabten Ordner  der  Natur.^ 

Diese  fünf  Beweise  hat  der  hl.  Thomas  auf  Grund 
der  aristotelischen  Philosophie  in  seinen  beiden  Haupt- 
werken entwickelt,  nämlich  S.  th.  I.  qu.  2.  a.  3,  S.  contra 


i 


'  Vgl.    Schill    a.   a.   0.    71—72.     Gays  er,    Das    phil.    Gottes- 
Problem  246. 


Beurteilung  dieser  fünf  Wege.  75 

Gent.  I.  13.  Sie  sind  für  die  ganze  Scholastik  mafigebend 
gewesen  und  sind  in  neuerer  Zeit  ausführlich  behandelt 
worden  von  C.  M.  Schnei  der,  ^  Rolf  es,-'  Kleutgen,' 
Commer.  ^ 

§  9. 
Beurteilung"  dieser  fünf  Wege. 

Scharfe  Kritik  hat  Isenkrahe^  an  den  thoniistischen 
Beweisen  geübt.  Bei  einer  näheren  Betrachtung  über  die 
wirkliche  Stringenz  der  drei  ersten  Wege  scheint  ihm 
vieles,  um  nicht  zu  sagen  das  meiste  von  dem,  was  der 
Aquinate  vorbringt,  unhaltbar;  doch  ist  er  der  Meinung, 
daß  das  übrige  immer  noch  hinreicht  zu  einem  völlig 
sicheren  und  unanfechtbaren  Gottesbeweis,  wofern  es  nur 
auf  eine  breitere  Basis  gestellt  und  allseitiger  begründet 
werde.  Diese  breitere  Basis  besteht  nach  seiner  Meinung 
vor  allem  in  dem  Nachweis,  daß  ewige  Bewegung  in  sich 
unmöglich,  daß  die  Bewegung  entstanden  sei.  Thomas 
untersuche  nur  das  Wie  des  Entstehens  der  Bewegung, 
das  Daß  werde  vorausgesetzt;  darum  lasse  er  die  ganze 
gegnerische  Position,  die  die  Bewegung  als  ewig  annimmt, 
unberührt.  Der  Beweis  dürfe  ruhig  da  aufhören,  wo  er 
jetzt  anfange.     Dasselbe  gelte   auch   vom   zweiten  Beweis. 

Bezüglich  des  dritten  geht  seine  Ansicht  dahin,  daß 
der  Unterschied  von  Notwendigem  und  Kontingenten!  ein- 
fach zu  leugnen  sei.  Es  gebe  nur  Wirkliches  und  neben 
ihm  weder  Mögliches  noch  Notwendiges. 


'  Schneider,  Natur,  Vernunft,  Gott.     Regensburg  1833. 
-  Rolfes,  Die  Gottesbeweise  bei  Thomas  v.  Aquin  und  Aristoteles. 
Köln  1898. 

3  Kleutgen,,  Phüosophie  der  Vorzeit  IP  673—98. 

»  Co  mm  er,  System  der  Philosophie.  3.  Abt.  13  ff.  Münster  1885. 
Vgl.  ferner  Schill,  Prinzipienlehre  71 — 79.  König,  Schöpfung  und 
Gotteserkenntnis.  108  —  52.  Freiburg  1885.  Heinrich.  Dogmatik  III - 
222—42.  Schanz,  Apologie  P.  494—501.  Freiburg  1903.  Reinhold, 
Die  Welt  als  Führerin  zu  Gott  54—97. 

^  Isenkrahe,  Der  kosmol.  Gottesbeweis.  Tüb.  Iheol.  Quartalschr. 
1887.  378  tY. 


76  Die  fünf  sog.  aristotelisch-thomistischen  Wege. 

Der  Beweis  müsse  so  lauten:  Die  Dinge  haben  nicht 
die  Macht  immer  zu  sein,  darum  sind  sie  auch  nicht  immer; 
es  muß  deswegen  ein  Wesen  geben,  welches  die  Macht  hat 
immer  zu  sein,  welches  immer  ist,  also  ein  ewiges  Wesen. 

„Da  man  heutzutage  an  kein  Entstehen  und  Vergehen 
mehr  glaubt,  sondern  nur  noch  an  Bewegung  des  ewigen 
Stoffes,  so  zeige  man,  daß  eine  ewige  Bewegung  unmög- 
lich ist."i 

Andere,  wie  Kleutgen,  Rolfes,  Schanz,-  können 
diese  Fehler  nicht  entdecken  und  betrachten  diese  Beweise 
mit  Thomas  als  direkte,  als  die  verschiedenen  Auffas- 
sungen des  einen  Grundgedankens:  Aus  dem  wirklichen 
Dasein  der  Welt  wird  das  wirkliche  Dasein  Gottes  er- 
schlossen. Sie  erw^eisen  alle  etwas,  was  Gott  durchaus 
eigentümlich  ist. 

Als  das  schwierigste  aller  Argumente  bezeichnet  Rolfes 
das  vierte,  aus  den  Vollkommenheitsgraden.  „Die  Idee  der 
Steigerung  des  Seins  und  seiner  Vollendung  bis  zu  einem 
am  meisten  Seienden  bereitet  insofern  eine  ganz  ungewöhn- 
liche Schvväerigkeit,  größer  als  bei  allen  anderen  Gottes- 
beweisen, weil  daraus  allein,  daß  das  Sein  irgendwo  auf 
einer  niedrigen  Stufe  steht,  folgen  soll,  daß  es  von  einem 
wesensgleichen  Sein  verursacht  ist,  das  auf  der  höchsten 
Stufe  steht. 

Dieses  Argument  hängt  mit  den  höchsten  Gedanken 
der  platonischen  und  aristotelischen  Philosophie  zusammen 
und  wird  von  Augustin  und  Ansei m  mit  Vorzug  geltend 
gemacht.  Es  hat  einen  besonderen  Wert;  denn  es  tut 
nicht  bloß  wie  alle  anderen  Beweise  das  Dasein  Gottes  dar, 
sondern  hat  auch  vor  ihnen  noch  voraus,  daß  es  die  Ein- 
heit Gottes  klarer  als  die  anderen  darstellt,  indem  das 
vollkommenste  Sein  als  die  Fülle  und  der  Inbegriff  des 
Seins  nur  einmal  sein  kann;  sodann,  daß  es  auf  die  ein- 
fachste Weise  die  Schöpfung  beweist."  ^ 


1  Isenkrahe  a.  a.  0.  379—428. 

2  Schanz,  Apologie  P  497—98. 

3  Rolfes,  Die  Gottesbeweise  205—206.     Vgl.  Kleutgen,  Phil,  der 
Vorzeit  11-  687—88. 


i 


Der  Goltesbeweis  aus  der  Bewegung.  77 

Das  Argument  setzt  allerdings  einen  gewissen  Realis- 
mus der  Begriffe,  eine  wahre  Wesensgleiehheit  oder  innere 
Einheit  voraus.^ 

Man  hat  in  der  neueren  Zeit  kein  weiteres  Gewicht 
gelegt  auf  diesen  Beweis,  weil  man  ihn  blol)  als  induktives 
Wahrscheinlichkeitsargument  betrachtete.  Demgegenüber 
sagt  Heinrich:  „Es  ist  ein  stringenter  SchluP)  von  der 
Endlichkeit  und  Kontingenz  der  Dinge  und  ihrer  Voll- 
kommenheit auf  deren  absolute  Ursache  genau  wie  die 
früheren  Argumente.  Denn  gleichwie  die  Veränderung, 
das  Gewordensein,  der  reale  Unterschied  zwischen  Mög- 
lichkeit und  Wirklichkeit  in  den  Dingen  ein  Beweis  ihrer 
Kontingenz  ist,  ebenso  ist  es  auch  die  innere  Beschränkt- 
heit ihres  Seins  oder  ihrer  Vollkommenheit,  wie  dies  zumal 
in  der  Menge,  Vielfältigkeit,  Mannigfaltigkeit  der  Dinge 
und  in  der  Stufenfolge  ihrer  verschiedenartigen  Voll- 
kommenheit sich  zeigt."- 

Wie  der  vierte  thomistische  Beweis  in  der  Gegenwart 
am  wenigsten  betont  wird,  so  erfreut  sich  der  fünfte  und 
insbesondere  der  dritte,  allerdings  entsprechend  fort- 
gebildet, des  meisten  Ansehens  als  teleologischer  und 
Kontingenzbeweis.  Doch  hiervon  weiter  unten.  Daneben 
wird  dem  Bewegungsbeweis  eine  besondere  Bedeutung 
beigelegt,  darum  wollen  wir  auf  diesen  noch  etwas  näher 
eingehen. 

§   U). 
Der  Gottesbeweis  aus  der  Beweg'ung*. 

Beim  hl.  Thomas  lautet  er  folgendermaßen:  Certum 
est  et  sensu  constat,  aliqua  moveri  in  hoc  mundo.  Omne 
autem  quod  movetur,  ab  alio  movetur;  nihil  enim  movetur, 
nisi  secundum  quod  est  in  potentia  ad  illud,  ad  quod 
movetur.  Movet  autem  aliquid  secundum  quod  est  in  actu ; 
movere  enim  nihil  aliud  est  quam  educere  aliquid  de 
potentia  in  actum.    De  potentia  autem  non  potest  aliquid 


'  Rolfes  a.  a.  0.  219. 

-  Heinrieh,  Dogmatik  lU-'  235.    \'^\.  Rein  hold  a.  a.  0.  93—97. 


78  Die  fünf  sog.  aristotelisch-thomistischen  Wege. 

reduci  in  actum,  nisi  per  aliquod  ens  in  actu;  sicut  cali- 
dum  in  actu,  ut  ignis,  facit  lignum,  quod  est  calidum  in 
potentia,  esse  actu  calidum,  et  per  hoc  movet  et  alterat 
ip'sum.  Non  autem  est  possibile  ut  idem  sit  simul  in  actu 
et  potentia  secundum  idem,  sed  solum  secundum  diversa. 
Quod  enim  est  calidum  in  actu,  non  potest  simul  esse 
calidum  in  potentia,  sed  est  simul  frigidum  in  potentia. 
Impossibile  est  ergo  quod,  secundum  idem  et  eodem  modo, 
aliquid  sit  movens  et  motum,  vel  quod  moveat  seipsum. 
Omne  ergo  quod  movetur,  oportet  ab  alio  moveri.  Si 
ergo  id,  a  quo  movetur,  moveatur,  oportet  et  ipsum  ab 
alio  moveri,  et  illud  ab  alio.  Hie  autem  non  est  procedere 
in  infinitum,  quia  sie  non  esset  aliquod  primum  movens, 
et  per  consequens  nee  aliquod  aliud  movens;  quia  moventia 
secunda  non  movent  nisi  per  hoc  quod  sunt  mota  a  primo 
movente  sicut  baculus  non  movet  nisi  per  hoc  quod  est 
motus  a  manu.  Ergo  necesse  est  devenire  ad  aliquod 
primum  movens,  quod  a  nullo  movetur,  et  hoc  omnes  in- 
tellegunt  Deum  (S.  th.  I.  q.  2.  a.  3;  cf.  S.  contr.  Gent.  I,  13).i 

Thomas  nennt  diesen  Beweis  die  via  prima  et  mani- 
festior  und  weist  ihm  die  erste  Stelle  an.  Den  Grund 
hierfür  will  Heinrich  darin  finden,  daß  dieses  Argument 
das  Argument  des  Aristoteles  (Metaph.  12,  7)  ist  und 
das  Dasein  eines  von  der  Welt  verschiedenen  Gottes  auch 
dann  beweist,  wenn  man  von  dem  absoluten  Entstanden- 
sein der  Welt  absieht. - 

Rolf  es  erklärt  es  anders:  „Im  Bewegungsbeweis  wird 
mit  einer  Art  mathematischer  Sicherheit  von  dem  bewegten 
auf  ein  unbewegtes  Prinzip  geschlossen,  und  der  so  ge- 
wonnene Begriff  entspricht  so  sehr  dem  Gottesbegriff,  daß 
auch    der    Begriff    des    unverursachten,    aus    sich    selbst 


'  Bezüglich  der  Kontroverse  über  den  Wortlaut  des  Textes:  Ergo 
ad  quietem  unius  partis  eius  (non)  sequitur  quies  totius,  siehe:  Weber, 
Der  Gottesbeweis  aus  der  Bewegung  bei  Thomas  t.  Aquin  auf  seinen 
Wortlaut  untersucht.  Freiburg  1902.  Ders.,  Christi.  Apologetik  325—337. 
E.  Rolfes,  Zur  Kontroverse  über  den  Wortlaut  des  Textes  in  der  phil. 
Summe  des  hl.  Thomas  1,  13.  Jahrb.  f.  Phil,  und  spek.  Theol.  20.  Jahrg. 

^  Heinrich,  Dogmatik  111^  222—23. 


Der  Gotle.sbeweis  aus  der  Bewegung.  79 

seienden  Wesens  im  dritten  Gottesbeweis  an  ihn  anknüpfen 
muß,  um  sich  als  Erfüllung  des  Gottesbe^^riffes  zu  recht- 
fertigen. Denn  um  zu  zeigen,  daß  das  aus  sich  Seiende 
Gott  ist,  beruft  man  sich  darauf,  daß  es  unveränderlich 
oder  lautere  Wirklichkeit  sein  muß.  Das  aber  stellt  der 
Beweis  aus  der  Bewegung  unmittelbar  als  Gottes  Eigen- 
tümlichkeit heraus."  1 

Darum  ist  der  Bewegungsbeweis,  wie  Schill  sagt, 
„trotz  der  antiquierten  Anschauungen  über  das  Welt- 
system, von  dem  er  ursprünglich  ausging,  nicht  antiquiert, 
sondern  hat  auch  heute  noch  seine  volle  Beweiskraft".- 
Wie  schon  erwähnt,  ist  der  Bewegungsbeweis  bei  Thomas 
kein  anderer  als  der  bei  Aristoteles  im  siebten  und 
achten  Buch  der  Physik  entwickelte  Beweis,  der  in  dem 
Satz  gipfelt:  avär/xt]  8irai  n  o  jiqcötov  xivh  xcd  ro  jTQajxov 
xivovv  axlvT/Tov  (Phys.  8,  6).  Aristoteles  huldigte  der 
geozentrischen  Weltanschauung  und  verstand  unter  Be- 
wegung vorzugsweise  die  in  der  Körperwelt  sich  vor- 
findende, in  ihren  drei  Arten:  örtliche,  qualitative  und 
quantitative  Bewegung  oder  Veränderung.  Thomas  faßt 
die  Bewegung  im  weiteren  Sinne  als  educere  aliquid  de 
potentia  in  actum.  Er  stützt  sich  nicht  auf  eine  besondere 
Art  von  Bewegung,  sondern  auf  die  Bewegung  und  Ver- 
änderung im  allgemeinen.  Daß  in  der  Welt  tatsächlich 
eine  Kette  von  Bew^egungen  vorhanden  ist,  setzt  Thomas 
als  evident  voraus.  Der  Grundsatz:  quidquid  movetur, 
ab  alio  movetur,  ergibt  sich  aus  dem  Kausalitäts-  bezw. 
Identitätsgesetz. 

Der  Beweis  hat  nach  Rein  hold'  gerade  heutzutage, 
wo  die  Naturwissenschaft  das  Prinzip  von  der  Einheit  der 
Naturkräfte  aufstellt  und  die  Verschiedenheit  der  Natur- 
kräfte auf  eine  bloße  Verschiedenheit  der  Bewegungsformen 
zurückführen  will,  eine  besondere  Bedeutung.  „Die  Fort- 
schritte der  physikalischen  Wissenschaften,  die  Lehre  von 
der  Einheit    der   Naturkräfte,    von    einem    Ausgleich    der 

1  Rolfes,  Die  Gottesbeweise  302. 

'^  Schill,  Theol.  Prinzipienlehre  7i\. 

^  Rein  hold,  Die  Welt  als  Führerin  zu  Gott  53. 


80  Die  fünf  so^.  aristotelisch-thomistischen  Wesre 


o^ 


Spannungsdifferenz  der  Naturkräfte  und  der  Entropie 
haben  den  Bewegungsbeweis  verschärft,  insofern  als  sie 
für  den  zeitlichen  Anfang  und  die  äußere  Bedingtheit  des 
Weltverlaufs  oder  der  Bewegung  in  der  Welt  neue  Zeug- 
nisse boten."  1 

Besonders  eingehend  hat  in  neuester  Zeit  Gutberiet - 
den  Bewegungsbeweis  behandelt  und  entsprechend  den 
Zeitverhältnissen  fortgebildet  und  vor  allem  auch  die 
Geistigkeit  des  jcqcoxov  xivovv  axivjiTov,  den  Weltschöpfer 
nachgewiesen;  ebenso  auch  Kleutgen,'^  Rolfes,'*  Rein- 
hold,-^  J.  Müller.*^  Bewegung  wird  dabei  nicht  im  phy- 
sischen, sondern  metaphysischen  Sinne  genommen,  d.  h.  als 
Veränderung  jedweder,  auch  geistiger  Art.  Gerade  aus 
den  Veränderungen  auf  dem  Gebiete  der  Erkenntnis  und 
des  Willens  wird  als  unveränderlicher  Beweger  die  sub- 
sistierende  Erkenntnis,  das  subsistierende  Wollen  oder 
der  persönliche  Gott  mit  Notwendigkeit  erschlossen,  weil 
nur  er  die  adäquate  Ursache  des  Denkens  und  WoUens 
sein  kann. 

So  formuliert  Müller  den  Bewegungsbeweis  in  der 
Art:  „Alles  in  dieser  uns  umgebenden  Welt  unterliegt  der 
Veränderung,  sowohl  die  körperlichen  wie  die  geistigen 
Wesen.  Nun  wird  aber  alles,  was  der  Veränderung  unter- 
liegt, von  einem  anderen  verändert;  es  existiert  also  ein 
unbewegter  Beweger,  d.  h.  ein  Wesen,  in  dem  alle  jene 
Vollkommenheiten,  bezüglich  welcher  die  veränderlichen 
Wesen  von  der  Möglichkeit  zur  Wirklichkeit  übergehen, 
nicht  Möglichkeit,  sondern  reine,  lautere  Wirklichkeit  sind. 
Ein  solches  Wesen  ist  aber  der  persönliche  Gott."^ 


i  Weber,  Christi.  Apol.  66. 

-  Gutberiet,    Apologetik    I-^    210  —  231;     Der    mech.    Monismus. 

229  fi  Münster  1893;  Theodizee.  7—12.    Münster  1878. 

-'  Kleutgen,  Phil,  der  Vorzeit  W  674—681. 

^  Rolf  es,  Die  Gottesbeweise  29  —  167. 

^  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zu  Gott  55—70. 

^  Müller,   Der  Gottesbeweis   aus  der  Bewegung.     Zeitschr.  f.  kath. 

Theol.  21  (1897)  644-672. 

"  Müller  a.  a.  0.  647. 


Der  Gottesbeweis  aus  der  Bewegung.  81 

Die  Auswege,  die  man  versucht  hat,  um  diesem  Schluß 
zu  entgehen,  sind  unmöglich.  Der  regressus  in  infinitum 
löst  das  Bewegungsrätsel  nicht.  Denn  abgesehen  davon, 
ob  überhaupt  eine  aktuell  unendliche  Zahl  möglich  ist 
—  Seh  wetz,  Vosen,  Sprinzl,  Stöckl,  König,  T.  Pesch, 
Hontheim,  Isenkrahe,  Schill,  Rolfes,  Heinrich  u.  a. 
verneinen  es,  während  Gutberiet,  Schell  es  dahingestellt 
sein  lassen  — ,  wird  durch  Annahme  einer  unendlichen 
Reihe  die  Beantwortung  der  Frage  nur  weiter  zurück- 
geschoben, aber  nicht  gegeben. 

Ferner  einen  Kreislauf  der  Bewegung  ohne  ersten 
Beweger  anzunehmen,  ist  unsinnig. 

Sowohl  der  regressus  in  infinitum  wie  der  Kreislauf 
fordern  ein  unbewegtes  Erstbewegendes,  damit  überhaupt 
eine  Bewegung  zustande  komme. 

Auch  mit  der  Annahme  der  Ewigkeit  der  Bewegung 
kann  man  des  ersten  Bewegers  nicht  entbehren. 

Zudem  zeugen  die  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der 
Kalorik  gegen  eine  anfangslose  Bewegung  in  der  Welt. 

So  bleibt  wahr,  was  Heinrich  von  unserem  Argument 
sagt:  „Unser  Argument  ist  von  absoluter,  metaphysischer 
Wahrheit,  daher  von  dem  jeweiligen  Stande  und  von  allen 
wirklichen  und  möglichen  Entdeckungen  der  empirischen 
Wissenschaften  unabhängig.  Es  wird  aber  auch  durch  alle 
wissenschaftlich  möglichen,  weil  mit  den  Gesetzen  des  Seins 
und  Denkens  nicht  im  Widerspruch  stehenden  Hypothesen 
bestätigt,  während  es  sowohl  die  Sophismen  des  Materialis- 
mus als  insbesondere  das  Grundsophisma  des  Pantheismus, 
das  eben  in  der  Annahme  einer  sich  selbst  verwirklichenden 
Potenz  besteht,  im  Keime  trifft  und  vernichtet."  Darum 
müsse  man  ihm  die  Stelle  belassen,  welche  die  alten  Scho- 
lastiker ihm  einräumten.^ 


^  Heinrich,  Dogmatik  UV-  224—26. 


Staab,  Goltesbeweise  in  der  kath.  Literatur. 


S2  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

Siebtes  Kapitel. 

Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

§  11. 
Formulierung  des  Beweises. 

Wie  schon  erwähnt,  nimmt  heutzutage  den  ersten  Platz 
in  der  Reihe  der  Gottesbeweise  der  sog.  Kontingenzbeweis 
ein.  Der  hl.  Thomas  führt  ihn  an  dritter  Stelle  auf  und 
zwar  in  folgender  Form :  Tertia  via  est  sumpta  ex  possibili 
et  necessario,  quae  talis  est.  Invenimus  enim  in  rebus 
quaedam,  quae  sunt  possibilia  esse  et  non  esse;  cum  quae- 
dam  inveniantur  generari  et  corrumpi,  et  per  consequens 
possibilia  esse  et  non  esse.  Impossibile  est  autem  omnia 
quae  sunt  talia,  semper  esse;  quia  quod  possibile  est  non 
esse,  quandoque  non  est.  Si  igitur  omnia  sunt  possibilia 
non  esse,  aliquando  nihil  fuit  in  rebus.  Sed  si  hoc  est 
verum,  etiam  nunc  nihil  esset;  quia  quod  non  est,  non 
incipit  esse  nisi  per  aliquid  quod  est.  Si  igitur  nihil  fuit 
ens,  impossibile  fuit,  quod  aliquid  inciperet  esse;  et  sie 
modo  nihil  esset;  quod  patet  esse  falsum.  Non  ergo  omnia 
entia  sunt  possibilia,  sed  oportet  aliquid  esse  necessarium 
in  rebus.  Omne  autem  necessarium  vel  habet  causam  suae 
necessitatis  aliunde,  vel  non  habet.  Non  est  autem  possibile 
quod  procedatur  in  infinitum  in  necessariis,  quae  habent 
causam  suae  necessitatis;  sicut  nee  in  causis  efficientibus, 
ut  probatum  est.  Ergo  necesse  est  ponere  aliquid  quod 
sit  per  se  necessarium,  non  habens  causam  necessitatis 
aliunde,  sed  quod  est  causa  necessitatis  aliis;  quod  omnes 
dicunt  Deum.   (S,  th.  I  q.  2.  a.  3.) 

Indes  alle  die  vier  ersten  Wege  sind  nach  der  tref- 
fenden Bemerkung  Schills  im  Grunde  nichts  anderes 
als  vier  Formen  des  einen  Kontingenzbeweises,  wonach 
die  Welt  sowohl  auf  ihr  Sein  wie  auf  ihren  Ursprung 
und  ihr  Wesen  untersucht  allseitig  als  bedingt  und  zufällig 
erscheint  und  nur  durch  das  sie  bedingende  Absolute  als 


Formulierung  des  Beweises.  83 

ausreichende  Ursache  ihres  Daseins  begriffen  und  erklärt 
werden  kann.^ 

Schell  sagt  von  dem  Kontingenzbeweis:  „Diesta- 
Gottesbeweis  ist  grundlegend,  weil  er  das  ganze  Sein  um- 
faßt und  jedes  Sein  in  seiner  ganzen  Tiefe  würdigt.  Er 
kommt  dabei  zur  Erkenntnis,  daß  kein  Tatbestand  in  sich 
selber  gründe,  also  jeder  einer  höheren  Begründung  bedürfe. 
Die  Ursache  dieses  Bedürfnisses  liegt  in  der  inneren  End- 
lichkeit der  Welt  oder  in  der  Unvollkommenheit  dessen, 
was  sie  ist  und  wie  sie  existiert  ...  Es  besteht  kein  innerer 
und  notwendiger  Zusammenhang  zwischen  dem,  was  die 
Welt  ist,  und  der  Tatsache  ihrer  Existenz:  das  ist  der 
erfahrungsmäßige  Tatbestand,  von  dem  der  Kontingenz- 
beweis ausgeht  .  .  .  Die  Kontingenz  der  Welt  bedeutet 
ihre  innere  Zufälligkeit,  jene  innere  Beschränktheit  ihres 
Wesens  und  jene  innere  Schwäche  ihres  Daseins,  ver- 
möge deren  sie  den  denkenden  Menschenverstand  von 
jeher  zu  der  Frage  nötigte:  Warum  ist  denn  die  Wirk- 
lichkeit gerade  so  und  nicht  anders  beschaffen?  Besteht 
denn  nicht  eine  innere  Notwendigkeit,  daß  gerade  diese 
Welt  existiert  und  nicht  eine  andere,  bessere  und  voll- 
kommenere ?"- 

Der  Grundgedanke  dieses  Beweises  ist  immer  folgender: 
„Da  Unvollkommenes  existiert,  dessen  Dasein  eben  wegen 
seiner  Unvollkommenheit  innerlich  unverständlich  ist,  so 
muß  auch  das  Vollkommene  existieren,  weil  allein  das 
Vollkommene  innere  Notwendigkeit,  Verständlichkeit,  das 
Recht  und  die  Kraft  hat  zur  eigenen  Existenz  und  zur 
Verwirklichung  der  anderen  Existenzen." ^^ 

Die  Formulierung  des  Beweises  ist  eine  sehr  ver- 
schiedene. 

Am  kürzesten  faßt  ihn  Gutberiet:  „Es  muß  ein  not- 
wendiges, also  durch  seine  Wesenheit  zum  Dasein  bestimmtes 
Wesen,  ein  ens  a  se  existieren,  wenn  überhaupt  etwas 
existiert.     Denn  es  ist  evident,  daß  nicht  alles  von  einem 


1  Schill,  Theol.  Prinzipienlehre  79—80. 

-  Seheil,  Gott  und  Geist  11  1—2.  »  A.  a.  0.   121. 


84  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

anderen  sein  kann.  Wäre  alles  von  einem  anderen,  so  wäre 
ja  kein  anderes  mehr  da,  von  dem  alles  sein  sollte."  ^ 

Die  prägnanteste  Form  hat  ihm  Braig  gegeben: 

Obersatz:  Jedes  Seiende,  soweit  die  Wahrnehmung  im 
Reich  des  Materiellen,  Lebendigen  und  Geistigen  dringen 
mag,  existiert  auf  Grund  und  in  Kraft  von  anderen  Seienden, 
w^elche  seine  Voraussetzung  bilden. 

Untersatz :  Alle  Seienden  zusammen  können  nicht  exi- 
stieren auf  Grund  und  in  Kraft  einer  anderen,  in  gleicher 
Linie  der  Bedingtheit  liegenden  Seinspos-ition.  Denn  welche 
konkrete  Realform  im  Bereich  des  dreigeteilten  Weltseins 
man  nehmen  möchte  zum  letzten  Sein,  das  die  gesetzte 
Allheit  vollzählig  machen  würde:  immer  müßte  das  letzte 
Andere  gedacht  werden  können  ohne  Grund  und  existieren 
ohne  reale  Voraussetzung. 

Schlußsatz:  Es  muß  angesichts  der  ausnahmslosen 
Bedingtheit  des  wirklichen  Daseins  ein  Etwas  existieren, 
welches  zu  seiner  Existenz  der  Voraussetzung  eines 
„Anderen"  nicht  bedarf:  ein  Etwas,  welches  schlechthin 
unbedingt,  einfach  und  durch  sich  ist,  —  unverursacht, 
unveränderlich,  immer  seiend,  notwendig,  an  sich  selbst 
genügender  Realgrund  und  durch  sich  selbst  wirksame 
Ursache.     Dieses  Etwas  ist  der  Absolute. - 

Vosen  zerlegt  den  Beweis  in  zwei  Argumente  in  der 
Weise,  daß  das  erste  vor  allem  gegen  den  Pantheismus, 
das  zweite  gegen  den  Materialismus  sich  richtet. 

1.  Kosmologischer  Beweis  gegen  den  Pantheismus. 

L  Es  existiert  ungewordenes,  unverursachtes  Sein: 

A.  Weil  die  Reihen  des  gewordenen  Seins  nicht  an- 
fangslos sein  können. 

B.  Weil  unverursachtes  Sein  ohne  verursachtes,  nicht 
aber  verursachtes   ohne  unverursachtes  Sein   möglich   ist. 

IL  Unverursachtes  Sein  ist  notwendig  unendlich  voll- 
kommenes Sein. 


1  Gutberiet,  Apologetik  IP  185. 

-  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise'?  182  —  184. 


Formulierung  des  Beweises.  85 

III.  Also  existiert  unendlich  vollkommenes  Sein  =  gött- 
liches Sein  =  Gott. 

IV.  Unendlich  vollkommenes  Sein  kann  nur  ein  einziges 
sein,  also  kann  nur  ein  einziger  Gott  existieren. 

V.  Gott  als  unverursachtes  und  einziges  Sein  muß  von 
allem  verursachten  und  mehrfachen  Sein,  wie  es  der  Welt 
eignet,  wesentlich  verschieden  sein. 

VI.  Folglich  existiert  nur  ein  einziger,  von  der  Welt 
verschiedener  Gott. 

2.  Kosmologischer  Beweis  gegen  den  Materialismus. 

I.  A.  Die  vom  Materialismus  behauptete  anfangslose 
Ewigkeit  von  Materie  und  Kraft,  mag  man  sie  pantheistisch 
oder  atheistisch  verstehen,  läßt  sich  nicht  beweisen,  zumal 
er  Materie  und  Kraft  nicht  einmal  zu  definieren  versteht. 

B.  Weder  Materie  noch  Kraft  können  anfangslos, 
ewig  sein. 

II.  Materie  und  Kraft  können  nicht  die  Ursache  alles 
gegenwärtigen  Seins  sein. 

A.  Das  organische  Leben  fordert  eine  andere  und  zwar 
schöpferische  Ursache,  die  nur  eine  göttliche  und  einzige, 
Gott  sein  kann. 

B.  Der  menschliche  Geist  fordert  eine  andere  und  zwar 
geistige  und  schöpferische  Ursache,  die  nur  eine  göttliche 
und  einzige,  Gott  sein  kann. 

III.  Also  existiert  eine  von  Materie  und  Kraft  ver- 
schiedene, geistige,  schöpferische,  göttliche  und  einzige 
Ursache,  ein  geistiger  Schöpf ergott.^ 

Auch  Schell  führt  den  Beweis  in  zweifacher  Form, 
als  Kontingenz-  und  Kausalitätsbeweis. 

Bei  ersterem  geht  er  aus  von  der  Betrachtung  der 
Welt  und  der  Dinge  unter  dem  Gesichtspunkt  ihrer  Tat- 
sächlichkeit und  untersucht,  in  welchem  Verhältnis  Wesens- 
beschaffenheit und  Dasein  der  tatsächlichen  Welt  und 
Dinge  zueinander  stehen.   Dabei  findet  er,  daß  keine  innere 


^  Vosen,    Das  Christentum   und    die  Einsprüche    seiner  Gegner* 
247—288.    Freiburg  1881. 


S6  Kosmologischer  Kontingenzbevveis. 

Zusammengehörigkeit  der  beiden  besteht,  sondern  daß  die 
Welt  und  die  Dinge  kontingent,  zufällig,  rätselhaft  sind. 
Der  letzte  zureichende  Grund  des  Daseins  der  Welt  kann 
weder  die  Materie  noch  der  menschliche  Geist  noch  ein 
innerweltlicher  Geist,  wenn  es  einen  solchen  gäbe,  sein, 
denn  die  Materie  hat  keine  innere  Notwendigkeit  in  ihren 
Grundeigenschaften  noch  auch  in  der  Art  ihrer  Veränderung 
und  Wechselwirkung,  sie  hat  alle  sekundären  Merkmale 
der  Zufälligkeit  an  sich:  Endlichkeit,  Teilbarkeit,  Vielheit, 
Veränderlichkeit,  Bedingtheit,  Zeitlichkeit;  der  menschliche 
Geist  wie  jeder  innerweltliche  zeigt  genug  Merkmale,  daß 
er  nicht  durch  sich  selber  besteht,  daß  er  verursacht  ist 
durch  eine  höhere  Ursache,  daß  er  kontingent  ist. 

Der  zureichende  letzte  Grund  für  das  Dasein  der  Welt 
kann  nur  der  unendliche  Geist  von  schrankenloser  Voll- 
kommenheit sein.i 

Beim  Kausalitätsbeweis  geht  er  aus  von  der 
Betrachtung  der  Welt  und  der  Dinge  unter  dem  Gesichts- 
punkt der  Ursächlichkeit.  Alles  steht  in  ursächlichem 
Zusammenhang  mit  Früherem  und  Späterem;  alles  stammt 
aus  dem  Vergangenen  und  erzeugt  anderes  .  .  .  Die  Ur- 
sächlichkeit ist  das  Band,  das  die  Vielheit  der  in  Raum 
und  Zeit  auseinanderliegenden  Dinge  zur  Einheit  des  Welt- 
ganzen verknüpft;  die  Ursächlichkeit  ist  auch  das  einzige 
Mittel,  das  uns  Einsicht  in  den  Tatbestand  der  Erfahrungs- 
welt verschaffen  kann,  und  zwar  in  demselben  Maße,  in 
dem  die  Tatsachen  auf  eine  vollkommene  und  hinreichende 
Ursächlichkeit  zurückgeführt  werden.  Die  in  der  Welt 
vorhandene  Ursächlichkeit  bedarf  eines  Erklärungsgrundes ; 
dieser  kann  nicht  in  der  Welt  selbst  liegen;  Schell 
beweist  dies 

1.  aus  dem  Anregungsbedürfnis  oder  aus  der  Abhängig- 
keit der  Naturursächlichkeit; 

2.  aus  dem  vorbereitenden  Charakter  der  Naturursäch- 
lichkeit, die  eine  Ergänzung  durch  eine  eigentliche,  voll- 
kommene Ursache  fordert; 


1  Schell,  Gott  und  Geist  II  1—21. 


Formulierung  des  Beweises.  87 

3.  aus  der  Existenz  von  Leben,  Seele  und  Geist,  die 
weder  als  Wirkung  noch  als  Ursache  aus  dem  Natur- 
zusammenhang abzuleiten,  sondern  nur  aus  dem  unmittel- 
baren Gedanken  und  Willen  des  Schöpfers  zu  erklären  sind. 

Der  Erklärungsgrund  aller  Ursächlichkeit  kann  nur 
eine  oberste  Ursache  sein,  die  von  keiner  anderen  irgendwie 
abhängig  ist,  der  absolute  Geist. ^ 

Doch  darf  man  diese  Ursache  nicht  „Selbstursache" 
nennen,  wie  der  wenig  glückliche  Ausdruck  Schells 
lautet,  in  dem  Sinne,  daß  Gott  durch  seine  eigene  Tätig- 
keit sein  eigenes  Sein  hervorbrächte;  bei  Gott  kann  ich 
nach  einer  weiteren  Ursache  nicht  mehr  fragen. 

Schell  glaubte  an  der  Selbstursächlichkeit  Gottes  fest- 
halten zu  müssen,  weil  man  sonst  den  gegnerischen  Ein- 
wand nicht  lösen  könne,  daß  nämlich  durch  die  Annahme 
eines  Gottes  an  die  Stelle  des  kosmologischen  ein  neues 
theologisches  Rätsel  gesetzt  werde.  Darauf  erwidert  Rein- 
hold  mit  Recht:  „Durch  die  Selbstursächlichkeit  wird 
dieses  theologische  Rätsel  jedenfalls  nicht  gelöst,  im  Gegen- 
teil, es  wird  eine  begriffliche  Unmöglichkeit  in  das  Wesen 
Gottes  hineingetragen." - 

In  ganz  eigenartiger  Weise  führt  endlich  Schanz 
den  kosmologischen  Gottesbeweis.  Er  entwickelt  ihn  in 
vier  Stadien. 

Im  ersten  —  Anfang  und  Ende  —  gibt  er  den  Ge- 
danken des  aristotelischen  Bewegungsbeweises,  indem  er  die 
Notwendigkeit  des  Anfangs  dartut,  welchem  der  Atheismus 
auf  keinem  der  vielen  versuchten  Wege  entrinne,  und  findet 
dabei  als  zureichende  Ursache  den  über  alle  Ursachen 
hinausliegenden  Urgrund. 

Das  zweite  Stadium  —  Leben  —  aus  der  Tatsache 
des  Lebens,  erweist  den  Urheber  alles  Seins  als  lebendigen, 
als  das  höchste  Sein,  als  höchstes  Leben. 

Durch  das  dritte  Stadium  —  Pflanze  und  Tier  — 
aus  der  Mannigfaltigkeit  der  Lebensformen,  „erweist  sich 


1  Schell  a.  a.  0.  145—  180. 

-  Reinhold.  Die  Welt  als  Führerin  zu  Gott  79. 


oo  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

uns  die  erste  Ursache  nicht  bloß  als  lebendige,  sondern 
als  eine  geistige,  denn  sie  muß  höher  stehen  als  die  mit 
Bewußtsein  begabten  Tiere". 

Das  vierte  Stadium  —  Tier  und  Mensch  — ,  vermittelt 
durch  die  Erkenntnis  der  Geistigkeit  und  Sittlichkeit  des 
Menschen,  fordert  zur  Erklärung  der  selbständigen  Persön- 
lichkeit des  Menschen  die  absolute  Persönlichkeit  des 
Schöpfers:  „Die  Ursache  eines  selbstbewußten,  sittlich 
freien,  persönlichen  Wesens  muß  absolute  Intelligenz,  ab- 
solute Freiheit,  absolute  Persönlichkeit  sein."^ 

Welcher  Gedanke  Schanz  bei  dieser  Fassung  des 
Beweises  leitete,  sagt  er  uns  selbst:  „Ich  habe  es  möglichst 
vermieden,  nur  die  logischen  Folgerungen  geltend  zu 
machen,  um  dem  Vorwurf  zu  begegnen,  daß  nur  die  Ge- 
danken und  Begriffe  hypostasiert  werden.  Ich  wollte  auch 
weniger  den  Schluß  von  der  Existenz  eines  wirkenden 
Seienden  auf  jedem  Punkt  der  Kausalität  auf  ein  der 
Gesamtheit  derselben  zugrunde  liegendes  und  von  ihr  ver- 
schieden wirkendes  Seiendes  ziehen,  als  vielmehr  empirisch 
die  Gesamtheit  der  wirkenden  Dinge  bis  zum  Anfang 
hinauf  verfolgen,  um  hier  auf  den  Punkt  hinzuweisen, 
welcher  auch  den  Empiriker  zwingt,  über  das  Gebiet  der 
Erfahrung  hinauszugehen."  ^ 

Auf  den  erwähnten  Grundgedanken  ruhen  all  die  ver- 
schiedenen, verschieden  bezeichneten  Einzelbeweise,  in 
welche  andere,  wie  Hontheim,'^  Bödder,*  Lehmen,^ 
den  kosmologischen  Kontingenzbeweis  zerlegen;  doch 
wollen  wir  nicht  weiter  darauf  eingehen.  Nur  auf  zwei 
Argumente,  die  man  auf  Grund  neuerer  naturwissenschaft- 
lichen Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der  Biologie  und 
Kalorik  konstruiert,  wollen  wir  noch  einen  kurzen  Blick 
werfen;  es  sind  dies  das  sog.  biologische  und  das  entro- 
pologische  Argument. 


1  Schanz,  Apologie  P  174—399. 

2  A.  a.  0.  198. 

3  Hont  he  im,  Theodicaeae  108  sqq. 

*  Bödder,  Theologia  naturalis  23—51. 
5  Lehmen,  Theodizee^  27—58. 


Formulierung  des  Beweises.  89 

Der  biologisclie  Gottesbeweis. 

Die  moderne  Naturwissenschaft  hat  ohne  Zweifel  fest- 
«^estellt,  daß  das  organische  Leben  nicht  immer  existiert, 
daß  es  einmal  angefangen  hat.  Aus  der  unorganischen 
Materie  und  Kraft  konnte  es  nicht  entstehen;  es  besteht  ein 
wesentlicher  Unterschied  zwischen  unorganischer  Materie 
und  Organismus.^ 

Die  sog.  generatio  aequivoca,  die  Urzeugung,  gehört 
ins  Reich  der  Fabel. - 

Die  Helmholtzsche  Hypothese,'''  es  könnten  die  ersten 
Lebenskeime  von  einem  anderen  Himmelskörper  auf  die 
Erde  gekommen  sein,  ist  zunächst  unwahrscheinlich,  so- 
dann erklärt  sie  das  Rätsel  vom  Ursprung  des  Lebens 
nicht,  sondern  schiebt  es  nur  eine  Stufe  weiter  zurück. 

So  ergibt  sich  aus  der  Tatsache  des  Lebens  die  Not- 
wendigkeit einer  schöpferischen,  außerweltlichen  Ursache, 
und  diese  ist  Gott.  Auf  solche  Weise  verwerten  Hont- 
heim,'^  Bödder,*  Reinhold*^  die  biologischen  Tatsachen 
zu  einem  selbständigen  Argument,  während  andere,  wie 
Schell,  Schanz,  Vosen,  wie  schon  erwähnt,  dieselben 
nur  als  Moment  im  kosmologischen  Kontingenzbeweis 
betrachten. 

Der  antropologische  Gottesbeweis. 
Wie  man  aus  der  Biologie  einen  Gottesbeweis  ableitet, 
so  benützt  man  auch  die  von  den  Physikern  entwickelten 
Lehren  von  der  Energie  und  Entropie  zu  einem  Argument 
für  Gottes  Dasein  und  nennt  es  das  entropologische.  Die 
Grundlage  desselben  bilden  die  zwei  Sätze: 


'  Gutberiet,  Naturphilosophie.    Münster  1894.  168  ff. 

-  Pesch  T.,  Welträtsel.  18i>2.  I  174. 

»  Helmholtz,  Populäre  wissenschaftl.  Vorträge.  1876.  H.  3.  139. 

*  Hontheim,  Theod.  196-202. 

&  Bö d der,  Theol.  nat.  67—68. 

«  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur  Gottheit  111—120.  Vj:!. 
Schill,  Prinzipienlehre  84—88.  König,  Schöpfung  162—174.  Duilhe- 
Braig,  Apologie  des  Christentums  249—404.  Freiburg  1889.  Braig, 
Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  178 — 180. 


ÖO  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

1.  Die  Energie  der  Welt  ist  konstant  (Robert  Mayer, 
bezw.  Clausius). 

-     2.  Die  Entropie   der  Welt   strebt  einem  Maximum  zu 
(Clausius). 

Aus  dem  Energie-  und  Entropiesatz  folgt : 

a)  Die  Naturprozesse  haben  einen  zeitlichen  Anfang 
gehabt. 

b)  Die  Welt  hat  einen  zeitlichen  Anfang,  hat  zugleich 
mit  den  Naturprozessen  zu  existieren  begonnen;  darum 
ist  sie 

c)  erschaffen  worden  und  folglich  existiert 

ein  allmächtiger  und  allweiser  Schöpfer,  Gott. 
Denn  hat  die  materielle  Welt  samt  ihren  Energien  in  der 
Zeit  begonnen,  so  verlangt  sie  eine  außerweltliche  Ursache. 
Diese  mußte  nicht  nur  alle  Bestandteile,  welche  die  Welt 
ausmachen,  ins  Dasein  rufen,  sondern  sie  auch  mit  jenen 
Eigenschaften  und  Kraftanlagen  ausrüsten,  welche  die 
ganze  künftige  durch  Jahresmillionen  geordnet  sich  ab- 
wickelnde Weltaus-  und  -Umgestaltung  wie  im  Keime  in  sich 
schlössen  und  diese  unfehlbar  von  selbst  verwirklichten. 
Da  nun  aber  in  dieser  Entwicklung  ein  überaus  weiser 
Plan  sich  kundgibt,  so  mußte  die  hervorbringende  Ursache 
einen  höchstverständigen  Geist  haben,  welcher  die  Natur- 
kräfte und  -gesetze  nicht  bloß  ihrem  innersten  Wesen  und 
Wirken  nach  genau  erkannte,  sondern  sie  auch  ersonnen 
und  in  das  Wesen  der  Naturkörper  unauslöschlich  hinein- 
geschrieben hat.^ 

Denjenigen,  welche  den  Schluß  bestreiten,  indem  sie 
einwenden,  jener  Endzustand  sei  kein  absolutes  Weltende, 
hinsichtlich   Raum    und    Zeit    sei    die    Unendlichkeit    der 


'  Vgl.  Dressel  L.,  Der  Gottesbeweis  auf  Grund  des  Entropiesatzes 
Stimmen  aus  M.-Laach  76  (1909)  150—160.  Hertling,  Über  die  Grenzen 
der  mechanischen  Naturerklärung  18  —  30.  Bonn  1875.  Gutberiet, 
Apologetik  P  209-219;  Naturphil.  68  ff.  Hontheim,  Theod.  192—196. 
Bödder,  Theol.  nat.  66—67.  König,  Schöpfung  und  Gotteserkenntnis 
92-108.  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur  Gottheit  104  —  110. 
Schill,  Prinzipienlehre  88—90.     Schanz,  Apologie  P  193—196. 


Formulierung  des  Beweises.  9 1  ^ 

Welt  für  uns  ein  wirklicher  Rückschritt  ins  Unendliche, 
erwidert  Schanz: 

„Was  ist  jene  Unendlichkeit  anders  als  eine  Voraus- 
setzung? Wäre  aber  dem  so,  wie  soll  ein  neuer  Anfangs- 
zustand geschaffen  werden?  Wer  bewirkt  den  Umschlag 
von  der  Positivität  in  die  Negativität?  Es  kehren  alle 
Fragen  in  gesteigertem  Maße  wieder,  denn  die  endliche 
Ausgleichung  kann  dem  ursprünglichen  Gasball  nicht 
gleich  sein,  weil  die  bewegenden  Kräfte  durch  die  Wärme 
aufgezehrt  sind."^ 

Doch  verkennt  man  auf  katholischer  Seite  nicht,  daß 
„der  Beweis  der  einzelnen  Vordersätze  unseres  Argumentes 
manche  Schwierigkeiten  bietet  und  in  der  Tat  bei  vielen 
Autoren  mehr  oder  weniger  zu  wünschen  übrig  läßt,  mit 
zu  großer  Oberflächlichkeit  abgemacht  wird,  so  daß  sich 
die  mit  scheinbarer  Erudition  und  mit  Aplomb  vor- 
getragenen Beweise  nicht  selten  bei  näherer  Prüfung  als 
unhaltbare  Scheinbeweise  entpuppen".-  Insoweit  stimmt 
D  r  e  s  s  e  1  der  scharfen  Kritik  Isenkrahes  an  dem 
Entropiebeweis  bei.  Dagegen  glaubt  er,  daß  diejenigen, 
welche  die  Schwierigkeit  des  Entropiebeweises  für  die 
zeitliche  Erschaffung  der  Welt  so  hoch  einschätzen,  daß 
sie  sogar  die  Möglichkeit  einer  durchschlagenden  Beweis- 
führung leugnen  (Isenkrahe),  die  Schwierigkeit  über- 
treiben. Ihm  scheint  vielmehr  der  Beweis  bei  vorsichtigem 
und  bedächtigem  Vorgehen  nicht  allzu  schwer  geführt  und 
auch  in  allgemein  verständlicher  Fassung  auf  mehr  als 
eine  Weise  vorgelegt  werden  zu  können.^ 

Schauen  wir  nun  nochmals  zurück  auf  den  ganzen 
Beweis  und  prüfen  wir  das  Resulat,  das  er  uns  liefert,  so 
scheint  es  auf  den  ersten  Blick,  als  ob  der  Kontingenz- 
beweis  nichts  weiter  dartue  als  einen  absoluten  Urgrund 


'  Schanz,  Apologie  P  197. 
-  Dressel  a.  a.  0.  150. 

^  Isenkrahe,  Über  die  Verwendung  mathematischer  Argumente  in 
der  Apologetik.     Natur  und  OtYbg.  52  (1906)  705—726. 
^  Dressel  a.  a.  0.  150  —  151. 


^2  Kosmologischer  Kontin  gen  zbeweis. 

der  Welt,  das  Sein  der  unbedingten  Substanz,  aber  nicht 
den  persönlichen,  außer-  und  überweltlichen  Gott. 

Gewiß  finden  wir  kraft  des  Schlusses  von  der  Kon- 
tingenz  der  Weltdinge  zunächst  nur  das  Absolute,  das 
unbedingte,  notwendige  ens  a  se,  in  dem  die  wichtigsten 
Merkmale  des  Gottesbegriffs:  Leben,  Geistigkeit,  Freiheit, 
Persönlichkeit  nicht  direkt  enthalten  sind.  Aber  diese 
Eigenschaften  ergeben  sich  sofort  als  denknotwendige 
Qualitäten  des  ens  a  se,  der  causa  essendi,  einmal  durch 
Inhaltsanalyse  des  Begriffes  ens  a  se,  sodann  durch  Be- 
trachtung der  Weltwesen,  deren  zureichender  Existenz- 
grund das  ens  a  se  ist.  Denn  die  Ursache  muß  mindestens 
so  vollkommen  sein  als  die  Wirkung,  und  die  Wirkung 
besteht  ja  in  dem  nach  Materie,  Leben  und  Geist  bedingten 
Weltsein.  Hätte  das  Wesen,  das  der  zureichende  Grund 
für  die  Existenz  der  Weltdinge  sein  soll,  nicht  Erkenntnis 
und  freien  Willen,  so  hätte  es  nicht  die  verschiedenen 
möglichen  Grade  der  Seinsvollkommenheit  erdenken  und 
aus  ihnen  den  bestimmten  Grad  auswählen  und  verwirk- 
lichen können.  Darum  muß  die  erste  Ursache  intelligent 
sein,  weil  Freiheit  ohne  Einsicht  nicht  möglich  ist;  sie 
muß  Schöpfer  sein,  weil  sie  zwischen  Sein  und  Nichtsein 
der  Weltdinge  frei  bestimmte. 

Mit  Recht  sagt  daher  Schenach:^  „Wird  der  kosmo- 
logische  Beweis  nur  gehörig  entwickelt,  so  tut  er  wirklich 
dar,  daß,  wenn  etwas  ist,  Gott  im  vollen  Sinne  notwendigste 
Voraussetzung  sein  muß."  Neuere  Apologeten  wie  Schanz, 
Schell,  Braig,  Bödder,  Lehmen,  Vosen  betrachten 
daher  den  Beweis  noch  nicht  als  abgeschlossen,  wenn  ein 
ens  a  se,  ein  ens  incausatum  gefunden  ist,  sondern  führen 
ihn  weiter  zum  persönlichen  Gott.^ 


1  Schenach,  Metaphysik  91.    Innsbruck  1866. 

2  Vgl.  Schill,  Prinzipienlehre  90.  Gutberiet,  Apologetik  P  181. 
Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  184.  Reinhold,  Die  Welt  als 
Führerin  zur  Gottheit  49. 


Einwände  gegen  den  kosmologischen  Kontingenzbeweis.  93 

Einwände  gegren  den  kosmologischen  Kontingenzbeweis. 

Der  Kontingenzbeweis  ist  von  grundlegender  Bedeutung 
im  System  der  Gottesbeweise.  Darum  richten  sich  aber 
auch  die  Angriffe  der  Gegner  vorzüglich  gegen  denselben. 
Von  drei  Seiten  kommen  diese  Angriffe,  nämlich 

1.  vom  Kritizismus, 

2.  vom  Pantheismus, 
o.  vom  Materialismus. 

Der  Abwehr  dieser  Angriffe  widmet  die  katholische 
Apologetik  eine  besondere  Sorgfalt. 

a)  Einwände  von  Seiten  des  Kritizismus. 

Der  Hauptvertreter  dieser  Einwände  ist  Kant.  Auf 
Grund  seiner  Erkenntnistheorie,  wonach  wir  nur  die  Er- 
scheinung, das  Phänomenon,  nicht  aber  den  Gegenstand 
selbst,  das  Ding  an  sich,  das  Noumenon  erkennen,  muß 
Kant  die  Möglichkeit  einer  objektiven  Gotteserkenntnis 
leugnen.  Von  zwei  Seiten  geht  er  auch  gegen  den  kos- 
mologischen Gottesbeweis  vor. 

Er  stellt  zunächst  in  der  transzendentalen  Dialektik 
sein  „System  der  transzendentalen  Ideen"  fest  in  drei 
Klassen,  nämlich  der  psychologischen,  kosmologischen, 
theologischen  Idee.  Alsdann  sucht  er  die  darauf  gebauten 
Schlüsse  als  hinfällig  zu  erweisen,  die  „eher  vernünftelnde, 
als  Vernunftschlüsse"  zu  nennen  seien,  „Sophistikationen 
nicht  der  Menschen,  sondern  der  reinen  Vernunft  selbst, 
von  denen  selbst  der  Weiseste  unter  allen  Menschen  sich 
nicht  losmachen  und  vielleicht  nach  vieler  Bemühung  den 
Irrtum  verhüten,  den  Schein  aber,  der  ihn  unaufhörlich 
zwackt  und  äfft,  niemals  los  werden  kann".^ 

Bezüglich  der  kosmologischen  Idee  bestehen  die  Sophi- 
stikationen in  den  vier  Antinomien  der  reinen  Vernunft, 
in  welchen  man  über  „Weltgröße,  Weltinhalt,  Weltordnung 
und  Weltexistenz"   sowohl  Thesis   als  Antithesis   beweisen 

'  Kant,  Kritik  d.  r.  V.  317.  321—22. 


94  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

könne,  was  Kant  auch  auf  zwei  Paralleltafeln  getan  zu 
haben  glaubt.  Für  unsere  Zwecke  kommen  vor  allem  die 
erste  und  vierte  Antimonie  in  Betracht.     Sie  lauten: 

I.  Thesis:  Die  Welt  hat  einen  Anfang  in  der  Zeit  und 
ist  dem  Raum  nach  auch  in  Grenzen  eingeschlossen. 

Antithesis :  Die  Welt  hat  keinen  Anfang  und  keine 
Grenzen  im  Raum,  sondern  ist  sowohl  in  Ansehung  der 
Zeit  als  des  Raumes  unendlich. 

IV.  Thesis:  Zu  der  Welt  gehört  etwas,  das  entweder 
als  ihr  Teil  oder  ihre  Ursache  ein  schlechthin  notwendiges 
Wesen  ist. 

Antithesis:  Es  existiert  überall  kein  schlechthin  not- 
wendiges Wesen  weder  in  der  Welt  noch  außer  der  Welt 
als  ihre  Ursache.^ 

Beide  Sätze,  obwohl  kontradiktorische  Urteile,  sind 
nach  Kant  stringent  beweisbar. 

Woher  dieser  Widerspruch,  wie  löst  er  sich:  „Den 
Schlüssel  zur  Auflösung  der  kosmologischen  Dialektik" 
findet  Kant  im  transzendentalen  Idealismus,  w^onach  „alle 
Gegenstände  einer  uns  möglichen  Erfahrung  nichts  als 
Erscheinungen,  d.  i.  bloße  Vorstellungen  sind,  die  so,  wie 
sie  vorgestellt  werden,  als  ausgedehnte  Wesen  oder  Reihen 
von  Veränderungen,  außer  unseren  Gedanken  keine  an  sich 
gegründete  Existenz  haben." - 

„Die  ganze  Antinomie  der  reinen  Vernunft  beruht  auf 
dem  dialektischen  Argument:  w^enn  das  Bedingte  gegeben 
ist,  so  ist  auch  die  ganze  Reihe  aller  Bedingungen  des- 
selben gegeben,  folglich  etc."  Doch  der  Schluß  ist  falsch, 
weil  „der  Obersatz  des  kosmologischen  Vernunftschlusses 
das  Bedingte  in  transzendentaler  Bedeutung  einer  reinen 
Kategorie,  der  Untersatz  aber  in  empirischer  Bedeutung 
eines  auf  bloße  Erscheinungen  angewandten  Verstandes- 
begriffs nimmt,  folglich  derjenige  dialektische  Betrug  darin 
angetroffen  wird,  den  man  Sophisma  figurae  dictionis 
nennt".  Darum  können  „beide  streitende  Teile  mit  Recht 
als   solche,    die    ihre    Forderung    auf    keinen   gründlichen 


1  Kant  a.  a.  0.  346  ff.,  3G0,  35l.  ^  a.  a.  0.  407. 


Einwände  gegen  der:  kosmologischen  Koniingen zbeweis.  95 

Titel  stützen,  abgewiesen  werden",  denn  sie  können  über- 
führt werden,  „daß  sie  um  nichts  streiten,  und  ein  gewisser 
transzendentaler  Schein  ihnen  da  eine  Wirklichkeit  vor- 
gemalt habe,  wo  keine  anzutreffen  ist".  Denn  „wenn  zwei 
einander  entgegengesetzte  Urteile  eine  unstatthafte  Be- 
dingung voraussetzen,  so  fallen  sie,  unerachtet  ihres  Wider- 
streits .  .  .  alle  beide  weg,  weil  die  Bedingung  wegfällt, 
unter  der  allein  jeder  dieser  Sätze  gelten  sollte".^ 

Der  ganze  Beweis  kommt  also  auf  den  einen  Gedanken 
Kants  hinaus:  Wir  erkennen  nicht  das  „Ding  an  sich", 
sondern  nur  die  Erscheinungen  der  Dinge,  wir  haben  keine 
objektive  Erkenntnis  der  Welt,  darum  auch  keine  Gottes- 
erkenntnis. Aber  wenn  das  wirklich  so  wäre,  so  setzt  sich 
ja  Kant  mit  sich  selbst  in  Widerspruch,  denn  sein  Fun- 
damentalsatz in  der  Erkenntnistheorie  ist  doch  nicht  in 
der  Erfahrung  gegeben,  sondern  ein  Urteil  über  etwas 
Übersinnliches.  Was  soll  denn  überhaupt  die  ganze  Kritik 
über  die  sog.  Antinomien  ?- 

Nach  der  Kritik  der  kosmologischen  Idee  wendet  sich 
Kant  zur  theologischen  Idee,  „dem  Ideal  der  reinen 
Vernunft".'^ 

„Es  sind  nur  drei  Beweisarten  vom  Dasein  Gottes  aus 
spekulativer  Vernunft  möglich :  der  physikotheologische, 
der  kosmologische  und  der  ontologische  Beweis."^  Den 
letzteren  weist  er  als  unmöglich  ab;^  sodann  formuliert 
er  den  kosmologischen  falsch,  als  schließe  er  von  der  zum 
voraus  gegebenen  unbedingten  Notwendigkeit  irgendeines 
Wesens  auf  dessen  unbegrenzte  Realität",  sein  „nervus 
probandi  sei  der  Satz :  ein  jedes  schlechthin  notwendige 
Wesen  ist  zugleich  das  allerrealste  Wesen".  „Wenn  etwas 
existiert,  so  muß  auch  ein  schlechterdings  notwendiges 
Wesen  existieren.  Nun  existiere  zum  mindesten  ich  selbst; 
also  existiert  ein  absolut  notwendiges  Wesen.  Der  Unter- 
satz enthält  eine  Erfahrung,  der  Obersatz  die  Schlußfolge 

»  Kant  a.  a.  O.  413— 41G. 

-  Vgl.  Gut  beriet,  Monismus  11)2.    Schill,  Prinzipienlehre  91  — i»3. 

='  Kant,  Kritik  d.  r.  V.  459  ff.  ^  A.  a.  0.  475. 

s  A.  a.  0.  476—483. 


i^ö  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

aus  einer  Erfahrung  überhaupt  auf  das  Dasein  des  Not- 
wendigen." 

Dann  behauptet  K,  der  Beweis  schließe  noch  weiter, 
suche  nach  einem  Begriff  von  einem  Ding,  dem  er  das 
Prädikat  der  absolut  notwendigen  Existenz  zulegen  könne, 
und  finde  es  im  allerrealsten  Wesen  und  schließe  dann: 
es  existiert  ein  notwendiges  Wesen  notwendigerweise." 
„Es  ist  aber  klar,"  bemerkt  K.  hierzu,  „daß  man  hierbei 
voraussetzt,  der  Begriff  eines  Wesens  von  der  höchsten 
Realität  tue  dem  Begriff  der  absoluten  Notwendigkeit  im 
Dasein  völlig  genug,  d.  i.  es  lasse  sich  aus  jener  auf  diese 
schließen;  ein  Satz,  den  das  ontologische  Argument  be- 
hauptete, welches  man  also  im  kosmologischen  Beweis 
annimmt  und  zugrunde  legt,  da  man  es  doch  hatte  ver- 
meiden wollen.  Denn  die  absolute  Notwendigkeit  ist  ein 
Dasein  aus  bloßen  Begriffen."^  Alsdann  wirft  er  ihm  vor, 
„daß  er  eine  ignoratio  elenchi  begeht,  indem  er  uns  ver- 
heißt, einen  neuen  Fußsteig  zu  führen,  aber  nach  einem 
kleinen  Umschweif  uns  wiederum  auf  den  alten  zurück- 
bringt, den  wir  seinetwegen  verlassen  hatten". ^ 

Schließlich  soll  sich  „in  diesem  kosmologischen  Argu- 
ment ein  ganzes  Nest  von  dialektischen  Anmaßungen  ver- 
borgen halten". '  Solcher  dialektischen  Anmaßungen  zählt 
Kant  vier  auf: 

1.  Der  transzendentale  Grundsatz,  vom  Zufälligen  auf 
eine  Ursache  zu  schließen,  welcher  nur  in  der  Sinnenwelt 
von  Bedeutung  ist,  außerhalb  derselben  aber  auch  nicht 
einmal  einen  Sinn  hat.  Denn  der  bloß  intellektuelle 
Begriff  des  Zufälligen  kann  gar  keinen  synthetischen  Satz 
wie  den  der  Kausalität  hervorbringen,  und  der  Grundsatz 
der  letzteren  hat  gar  keine  Bedeutung  und  kein  Merkmal 
seines  Gebrauchs  als  nur  in  der  Sinnenwelt,  hier  aber 
sollte  er  gerade  dazu  dienen,  um  über  die  Sinnenwelt 
hinauszukommen. 

2.  Der  Schluß,  von  der  Unmöglichkeit  einer  unend- 
lichen   Reihe    übereinander    gegebener    Ursachen    in    der 


1  Kant  a.  a.  0.  484—486.  ■'  A.  a.  0.  487.  ^  a.  a.  0.  483. 


Einwände  gegen  den  kosmologischen  Kontin j:enzbeweis.  ^7 

Sinnenwelt  auf  eine  erste  Ursache  zu  schlielien,  wozu  uns 
die  Prinzipien  des  Vernunftgebrauchs  selbst  in  der  Er- 
fahrung nicht  berechtigen,  vielweniger  diesen  Grundsatz 
über  dieselbe  (wohin  diese  Kette  gar  nicht  verlängert 
werden  kann)   ausdehnen  können. 

3.  Die  falsche  Selbstbefriedigung  der  Vernunft  in 
Ansehung  der  Vollendung  dieser  Reihe  dadurch,  daß  man 
endlich  alle  Bedingung,  ohne  welche  doch  kein  Begriff 
einer  Notwendigkeit  stattfinden  kann,  wegschafft  und,  da 
man  alsdann  nichts  weiter  begreifen  kann,  dieses  für  eine 
Vollendung  seines  Begriffs  annimmt. 

4.  Die  Verwechslung  der  logischen  Möglichkeit  eines 
Begriffs  von  aller  vereinigten  Realität  (ohne  inneren 
Widerspruch)  mit  der  transzendentalen,  welche  ein  Prin- 
zipium  der  Tunlichkeit  einer  solchen  Synthesis  bedarf,  das 
aber  wiederum  nur  auf  das  Feld  möglicher  Erfahrung 
gehen  kann  usw."^ 

Das  sind  gewiß  Anschuldiguugen,  die  den  kosmolo- 
gischen Beweis  um  alles  Ansehen  bringen  müßten,  wenn 
sie  wahr  wären.  Nun  ist  es  aber  durchaus  unrichtig,  daß 
der  kosmologische  Beweis  vom  notwendigen  auf  das  aller- 
realste  Wesen  schließe,  daß  er  die  Existenz  Gottes  aus  dem 
Begriff  des  allerrealsten  Wesens  herleite.  Die  Existenz 
Gottes  wird  hier  vielmehr  bewiesen  als  die  absolut  not- 
wendige Voraussetzung  unserer  und  der  Welt  Existenz. 
Der  kosmologische  Beweis  schließt  vom  Tatsächlichen  auf 
Tatsächliches,  auf  Grund  des  Ursachgesetzes.  Dieser  Schluß 
bleibt  gültig,  wenn  auch  das  erschlossene  Wesen  nicht 
unmittelbar  Gegenstand  der  Erfahrung  ist,  sondern  nur 
mittelbar  in  seinen  Wirkungen.  Wir  erkennen  da  die 
Existenz  Gottes  unter  dem  Attribut  der  schlechthin  not- 
wendigen Existenz.  Dadurch  ist  festgestellt,  daß  ein  Wesen 
existiert,  welches  von  der  Art  ist,  daß  seine  innere  Natur 
es  mit  sich  bringt,  nicht  nicht-existieren  zu  können.  Daraus 


'Kant  a.  a.  O.  488.  Vgl.  K.  Fischer,  Geschichte  der  neueren 
Philosophie  3,  582  ff.,  wo  die  Kantschen  Gedanken  viel  klarer  wieder- 
gegeben sind. 

Sta.ib,  Gottesbeweise  in  der  kath.  Liloiatiir.  7 


98  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

lassen  sich  dann  auf  analytischem  Wege  eine  Reihe  weiterer 
Bestimmungen  ableiten.^ 

-  „Der  kosmologische  Beweis  hat  keine  Pflicht  über- 
nommen," sagt  Rolfes,2  „das  Dasein  eines  allervollkom- 
mensten  Wesens  zu  beweisen;  er  tut  seine  Schuldigkeit, 
wenn  er  ein  aus  sich  notwendiges  Wesen  gewiß  macht. 
Das  wird  von  Kant  ganz  und  gar  außer  acht  gelassen. 
Er  behandelt  die  Momente  der  absoluten  Notwendigkeit 
des  Daseins  und  der  unendlichen  Realität  der  Wesenheit 
als  unzertrennlich,  gleich  als  ob  so  lange  nichts  bewiesen 
wäre,  als  nicht  die  absolute  Vollkommenheit  des  notwendig 
Seienden  in  Evidenz  gestellt  sei.  Außerdem  begeht  er 
einen  ganz  unverzeihlichen  Mißgriff,  jene  Folgerung,  wo- 
durch man  aus  der  Notwendigkeit  die  Vollkommenheit  des 
Seins  erschließen  kann,  mit  dem  ontologischen  Argument, 
das  umgekehrt  aus  der  Vollkommenheit  die  Notwendigkeit 
gewinnt,  in  einen  Topf  zu  werfen.  Er  übersieht  nämlich 
entweder,  daß  der  Schluß  von  dem  notwendigen  Dasein  auf 
die  Vollkommenheit  das  Dasein  eines  notwendigen  Wesens 
als  rechtmäßig  bewiesen  voraussetzt,  während  das  onto- 
logische  Argument  das  allerrealste  Wesen  nur  als  gedacht 
annimmt,  oder  er  hat  den  logischen  Faden,  der  das  Mo- 
ment der  Notwendigkeit  und  Vollkommenheit  verknüpft, 
nicht  herausgefunden." 

Der  kosmologische  Gottesbeweis  schließt  also  aus  der 
in  der  Erfahrung  gegebenen  Existenz  kontingenter  Dinge 
auf  die  Existenz  eines  absolut  Notwendigen  als  Ursache 
des  Kontingenten.  Er  ist  darum  vollständig  verschieden 
vom  ontologischen  Beweis  und  enthält  anderseits  keines- 
wegs „ein  ganzes  Nest  dialektischer  Anmaßungen".  Bei 
näherer  Betrachtung  zeigt  sich,  daß  diese  „dialektischen 
Anmaßungen"  im  Grunde  alle  in  verschiedenen  Wendungen 
wiederholen,  daß  wir  mit  unseren  Begriffen  und  Prinzipien 
das  unwahrnehmbare  Seiende  erreichen  w'oUten,  w^ährend 


1  Vgl.  Geyser,   Das  phil.  Gottesproblem   151  —  152.     Schill,   Prin- 
zipienlehre 96. 

2  Rolfes,   Die  Gottesbeweise   279.     Vgl.  Reinhold,   Die  Welt  als 
Führerin  zur  Gottheit  201. 


Einwände  gegen  den  kosmologischen  Kontingenzbeweis.  l^i^ 

wir  doch   nur  von   den   empirischen  Gegenständen  wissen 
könnten,  ob  und  was  sie  seien. ^ 

Die  Anmaßungen  sind  auf  selten  Kants. 

Was  die  „erste  Anmaßung"  betrifft,  so  erwidert 
Schill:  „Jeder  richtige  Schluß  geht  vom  Gegebenen  auf 
Nichtgegebenes.  Das  Gegebene  darf  ich  nicht  auf  das 
empirisch  Gegebene  beschränken,  ist  doch  auch  sogar 
Sinnliches  infolge  Entfernung,  Vergangenheit  wahrhaft 
gegeben  und  doch  empirisch  nicht  erreichbar,  ebenso  das 
Übersinnliche.  Die  notwendigen  Voraussetzungen  des 
Empirischen  sind  und  müssen  sein  Wirklichkeiten,  sonst 
hätten  sie  das  Empirische  nicht  hervorbringen  können." - 
Mit  dem  Kantschen  Prinzip  ist  jede  objektive  Erkenntnis 
in  Frage  gestellt. 

Zur  „zweiten  Anmaßung"  bemerkt  Geyser  treffend: 
„Nun,  wer  sich  eine  unendliche  Kette  von  zufälligen,  d.  i. 
kontingenten  Dingen  denkt,  denkt  sich  eben  unendlich 
viele  kontingente  Dinge,  oder  er  denkt  sich  unendlich 
oft  Dinge,  deren  Dasein  eine  Ursache  verlangt  oder  die 
bedingt  sind.  Es  ist  aber  ein  ebenso  evidenter  Wider- 
spruch, zu  sagen,  daß  nur  Bedingtes  und  kein  Unbedingtes 
existiere,  als  es  einen  Widerspruch  einschlösse,  sich  etwa 
unendlich  viele  Bilder  zu  denken,  die  alle  Kopien  von- 
einander wären,  ohne  daß  eines  derselben  nicht  Kopie, 
sondern  nur  das  Original  wäre."^  Die  bedingten  Dinge 
bedürfen  unter  allen  Umständen  zu  ihrem  Sein  und  Wirken 
eines  unbedingten  Seins-  und  Tätigkeitsgrundes. 

Was  sodann  die  „dritte  Anmaßung"  anbelangt,  so 
gibt  sich  unsere  Vernunft  keiner  falschen  Selbstbefriedigung 
hin,  wenn  sie  beim  Begriff  des  unbedingt  notwendigen 
Wesens  stehen  bleibt.  Zwar  können  wir  die  Notwendigkeit 
Gottes  nicht  in  sich  selbst  erkennen  und  näher  bestimmen, 
aber  wir  können  seine  Natur  und  die  Art  seiner  Tätigkeit, 
nachdem  wir  seine  Existenz  festgestellt  haben,  untersuchen 

'  Geyser,  Das  phil.  Gottesproblem  152. 
-  Schill,  Prinzipienlehre  94. 
'^  Geyser  a.  a.  0.   152. 


100  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

und  so  zur  Erkenntnis  seiner  Einzigkeit,  unendlichen  Voll- 
kommenheit und  Persönlichkeit  gelangen.^ 

Endlich  existiert  die  „vierte  Anmaßung"  überhaupt 
nicht;  der  kosmologische  Beweis  schließt  nicht  vom  Begriff 
des  vollkommensten  Wesens  auf  sein  Dasein,  wie  der  on- 
tologische  Beweis,  sondern  von  Tatsächlichem  auf  Tat- 
sächliches als  Grund  des  Tatsächlichen,  vom  Dasein  des 
bedingt  Wirklichen  auf  das  Dasein  des  unbedingt  Wirk- 
lichen. „Dies  ist  weit  weniger  eine  , dialektische  Anmaßung', 
als  wenn  Kant  das  Dasein  Gottes  als  Postulat  der  prak- 
tischen Vernunft  zugibt.  Denn  letzteres  ist  ein  Übergang 
vom  Gedachten  zum  Wirklichen,  wenn  auch  aus  Vernunft- 
bedürfnis und  nicht  aus  Erkenntnisurteil." - 

b)  Einwände  von  Seiten  des  Monismus. 
D.  F.  Strauß    erhebt    gegen    den   Kontingenzbeweis 
folgende  zwei  Einwände: 

1.  Das  vom  Kontingenzbeweis  erschlossene  notwendige 
Wesen  braucht  kein  persönliches  zu  sein. 

2.  Auf  dem  Wege  der  Schlußfolgerung  komme  man 
über  die  Welt  nicht  hinaus.  Wenn  auch  von  den  Welt- 
dingen jedes  seinen  Grund  in  einem  anderen  habe,  so  sei 
doch  für  die  Gesamtheit  derselben  nicht  eine  Ursache 
anzunehmen,  deren  Wirkung  die  Welt  wäre,  sondern  eine 
Substanz,  deren  Akzidentien  die  Weltwesen  sind.  Es  ergebe 
sich  nur  ein  auf  sich  selbst  ruhendes,  im  ewigen  Wechsel 
der  Erscheinungen  sich  gleichbleibendes  Universum.-^ 

Pesch  nennt  diesen  ersten  Einwand  den  gediegensten.'' 
Man  antwortet  darauf:  Der  Grundgedanke  des  Gottes- 
bew^eises  ist   der:     Aus    dem   wirklichen  Dasein    der  Welt 


»  Vgl.  Lehmen,  Theodizee-^  38—39. 

-  Schanz,  Apologie  P  199.  Vgl.  auch  Vosen,  Das  Christentum 
154 — 57.  Pesch,  Die  Verurteilung  des  Beweises  für  das  Dasein  Gottes 
durch  die  moderne  Naturwissenschaft.  Stimmen  aus  M.-Laach  11  (187(3) 
132.     Hontheim,  Theodic.  280—81. 

3  Strauß,  Alter  und  neuer  Glaube  252.    Bonn  1882. 

*  Pesch,  Die  Verurteilung  des  Beweises  usw.  Stimmen  aus  M.- 
Laach  11  (1876)  124. 


Einwände  gegen  den  kosmologischen  Kontingenzbeweis.         10. 

wird  das  wirkliche  Dasein  Gottes  als  das  ens  a  se  ge- 
schlossen. Aus  der  Aseität  aber  erkennen  wir  in  weiterer 
Schlußfolgerung  die  Unendlichkeit,  Einheit,  Geistigkeit, 
also  Persönlichkeit  Gottes.  Ferner  das  Wesen,  das  kon- 
tingente  Dinge  schafft,  muß  eine  causa  libera  sein;  das 
ens  a  se,  das  den  Menschen  und  seine  vernünftige  Seele, 
das  also  Persönlichkeiten  hervorgebracht  hat,  muß  doch 
mindestens  so  vollkommen  sein  als  seine  Wirkung. 

Was  den  zweiten  Einwand  betrifft,  man  komme  auf 
dem  Wege  einer  ordentlichen  Schlußfolgerung  nicht  über 
die  Welt  hinaus,  so  ist  zunächst  zu  beachten,  daß  der 
Schluß  vom  verursachten  Endlichen  auf  das  Absolute  nicht 
sprunghaft  ist;  denn  das  Bedingte  kommt  dabei  nicht  als 
Seinsgrund,  sondern  als  Erkenntnisgrund  in  Betracht. 
Ferner,  unsere  Vernunft  verlangt  für  die  Weltdinge,  die 
alle  einzeln  den  Grund  ihres  Daseins  außer  sich  haben, 
ein  ganz  anderes  Wesen  als  die  Gesamtheit  der  Weltdinge. 
„Ein  auf  sich  selbst  ruhendes  Universum  ist  blühender 
Unsinn." ' 

Eingehend  beschäftigt  sich  Schell  mit  den  beiden 
Grundsätzen  des  Strauß  sehen  Einwands :  Was  vom 
Einzelwesen  gelte,  gelte  deshalb  noch  nicht  vom  Welt- 
ganzen; was  von  den  Erscheinungen  auszusagen  sei,  gelte 
noch  nicht  von  der  Substanz,  vom  Wesensgrund. 

Auf  den  ersten  Satz  erwidert  er:  „Es  gibt  allerdings 
Gesamtheiten  im  Sinne  von  Kollektivganzen,  welche  Träger 
eigentümlicher  Eigenschaften  sind,  wie  Gemeinde,  Heer, 
Kirche,  Schule  usw.  Was  von  diesen  gilt,  braucht  noch 
nicht  von  den  Einzelwesen  zu  gelten,  aus  welchen  die 
Kollektiveinheit  besteht.  Allein  das  bezieht  sich  nur  auf 
solche  Eigenschaften,  welche  durch  das  Zusammenwirken 
oder  Zusammensein  von  mehreren  Menschen  .  .  .  ent- 
stehen, aber  nicht  auf  solche  Eigenschaften,  die  einen 
eigentümlichen  Wesens-  oder  Einheitsgrund  voraussetzen, 


i  Vgl.  Hontheim.  Theodic.  121—22.  Schill.  Prinzipienlehre  9G. 
Lehmen,  Theodizee-  40.  Weber,  Christi.  Apol.  64.  Pesch,  Die 
Verurteilung  des  Beweises  für  das  Dasein  Gottes  117.  Dippel,  Die 
beiden  Grundfragen  der  Gegenwart  209.    Freib.  1877:  u.  a. 


102  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

wie  dies  der  Fall  ist  bei  den  „innerlichen  Wesen",  „Seele 
und  Geist". 

'  Die  Welt  ist  und  bleibt  eine  Gesamtheit  von  Welt- 
körpern und  Stoffmassen,  von  Lebensbedingungen  in  min- 
der geschlossener  Einheit  und  von  einzelnen  Bewohnern. 
Bei  den  Lebens-  und  Daseinsbedingungen  hat  weniger  die 
Einheit  eine  Bedeutung  als  der  Vorrat  und  die  Masse  — 
die  materielle  Seite;  bei  den  Bewohnern  steht  die  lebendige 
Einheit  im  Vordergrund.  Folglich  kann  auch  die  Welt 
als  Ganzes  nicht  Eigenschaften  haben,  die  sie  nur  als  ein 
neues  Wesen  haben  könnte,  wie  die  Pflanze  im  Unterschied 
von  ihren  Gliedern  und  ihrer  Nahrung  eine  Menge  von 
Eigenschaften  hat. 

Allein  jene  Eigenschaften,  auf  welche  es  hier  ankommt, 
kann  die  Welt  nicht  einmal  als  neues  Wesen  haben:  die 
Ewigkeit,  Vollkommenheit,  Selbstwirklichkeit,  Gesetz- 
mäßigkeit, Unbedingtheit  .  .  .  Solche  Verschiedenheit  in 
ihren  Eigenschaften  müßte  indes  die  Welt  aufweisen, 
wenn  sie  der  Erklärungsgrund  ihrer  eigenen  Existenz 
und  Beschaffenheit  sowie  aller  ihrer  Bestandteile  und 
ihrer  Bewohner  sein  sollte. 

Alle  Eigenschaften,  welche  Gott  beigelegt  werden, 
bereiten  ebensoviele  Nötigungen,  beim  Suchen  nach  einem 
Erklärungsgrund  der  Wirklichkeit  über  die  Welt  als  Welt- 
all und  Gesamtheit  hinauszugehen."  ^ 

Den  zweiten  Satz,  man  komme  auf  dem  Wege  der 
ordentlichen  Schlußfolge  über  die  Welt  nicht  hinaus,  weist 
er  zurück  mit  folgenden  Erwägungen:  „Wenn  der  Monis- 
mus die  Erscheinungen  von  der  Wesenheit  trennt,  so  schafft 
er  eine  Gespensterwelt,  um  in  ihr  Dunkel  zu  flüchten  vor 
der  Erkenntnis  Gottes.  Ein  verborgenes,  unbekanntes, 
ganz  anders  geartetes  und  geheimnisvolles  Wesen  in  der 
Tiefe  des  Weltganzen  und  hinter  dem  Schleier  der  Er- 
scheinungswelt soll  durch  seine  unbekannten  Vorzüge  all 
das  leisten,  was  eben  die  Annahme  Gottes  notwendig 
macht  .  .  . 


'  Schell,  Gott  und  Geist  II  62—65. 


Einwände  gegen  den  kosmologischen  Kontingenzbeweis.         103 

Forderung  des  wissenschaftlichen  Denkens  ist:  Wir 
müssen  über  die  Welt  hinaus,  wenn  wir  den  hinreichenden 
Grund  in  der  Welt  selbst  nicht  finden  können.  Die  Ver- 
nunft mag  wohl  den  Versuch  machen,  die  Welt  aus  sich 
selbst  zu  erklären;  wenn  sie  mit  diesem  Versuch  indes 
grundsätzlich  scheitert,  dann  soll  sie  wieder  zu  sich  selbst 
kommen  und  die  hinreichende  Erklärung  der  Welt  dort 
suchen,  wo  sie  allein  sein  kann,  wenn  sie  nicht  in  der 
Welt  selber  zu  finden  ist,  über  der  Welt,  in  Gott  .  .  . 

Die  Welt  ist  nicht  geeignet,  als  einheitliches  Wesen 
gefaßt  und  erklärt  zu  werden  .  .  . 

Obige  Grundsätze,  mit  welchen  sich  der  Monismus 
einführt,  sind  keine  Axiome,  sondern  Gewalttaten  gegen 
das  Denken  und  gegen  die  Grundvoraussetzung  aller  Er- 
kenntnis: daß  in  den  Erscheinungen  das  Wesen  offenbar 
werde.  Es  wird  gerade  das  Dunkel  des  jenseitigen  Geheim- 
nisses herbeigerufen,  um  einen  unbestimmten  Weltgrund 
hineinzudichten;  man  gibt  lieber  alle  Erkenntnis  preis,  um 
nur  die  Erkenntnis  des  überweltlichen  Gottes  von  sich 
abzuwehren."  1 

Hagemann  nennt  es  „eine  Halbheit  des  Denkens, 
wenn  der  Denkgeist  den  Weltgrund  nicht  als  wesentlich 
verschieden  von  der  Welt  auffaßt".  „Freilich  muß  dieser 
Weltgrund  der  Welt  als  seiner  Wirkung  ähnlich  sein. 
Aber  wollte  man  daraus  folgern,  daß  er  bedingt,  endlich 
und  veränderlich  sein  müsse,  weil  die  Dinge  diese  Be- 
schaffenheit haben,  so  würde  man  damit  die  denknotwendige 
Wahrheit  aufgeben,  daß  der  Weltgrund  unbedingt,  unend- 
lich und  unveränderlich  ist.  Um  diese  festzuhalten,  darf 
man  die  Ähnlichkeit  der  Welt  mit  ihrem  ewigen  Grund 
nicht  als  Gleichwesenheit  bestimmen,  sondern  muß  den 
Weltgrund  als  persönlichen  Welturheber  fassen,  welcher 
nicht  aus  seinem  Wesen  die  Welt  entlassen,  sondern  durch 
seinen  Willen  nach  dem  Vorbild  seines  Wesens  sie  gesetzt 
hat."-    „Die  Welt  ist  in  ihrer  Existenz  durch  das  Absolute 


»  Schell,  Gott  und  Geist  II  67—70. 
-  Hagemann,  Metaphysik  179. 


104  Kosmologischer  Kontingenzbeweis. 

bedingt  nach  Analogie  des  menschlichen  Wollens,  das  auch 
Wirkung  ohne  Substanzangabe  setzt."  ^ 

c)  Einwände  von  selten  des  Materialismus. 

Der  Materialismus  will  der  Schlußfolgerung  des  kos- 
mologischen  Beweises  dadurch  entgehen,  daß  er  Stoff  und 
Bewegung  für  ewig  erklärt.  Der  Hauptvertreter  dieser 
Ansicht  ist  Büchner.-  Als  Grunddogma  des  Materialismus 
erklärt  er  die  vollkommene  Einheit  von  Kraft  und  Stoff 
reell  und  ideell,  die  wahre  Unsterblichkeit  der  Atome  des 
Stoffes  und  der  Kraft,  die  Bewegung  als  notwendiges  und 
unentbehrliches  Attribut  der  Materie  und  des  gesamten 
organischen  und  unorganischen  Daseins.  Daher  sei  die 
Bewegung  ewig  und  unerschaffen  wie  der  Stoff  selbst;  es 
gebe  kein  Sein,  alles  sei  unaufhörliches  Werden,  nur  der 
Wechsel  sei  beständig. 

Treffend  antwortet  Schell:  „Es  ist  richtig,  Stoff  und 
Bewegung  sind  tatsächlich  verbunden;  allein  gerade  diese 
Tatsache  fordert  eine  Erklärung,  warum  beide  miteinander 
verbunden  sind,  zumal  die  innere  Beschaffenheit  der  Materie 
keine  einzige  der  tatsächlichen  Bewegungsformen  und 
Kraftarten  mit  sich  bringt.  Büchner  nimmt  einfach  die 
Tatsache  als  den  Beweis  dafür,  daß  die  Bewegung  ein  not- 
wendiges und  unentbehrliches  Attribut  der  Materie  sei. 
Die  Ewigkeit  ist  keine  Erklärung  weder  für  die  Bewegung 
noch  für  die  Existenz. 

Sodann  bleibt  die  Hauptfrage:  Ist  der  Urstoff  mit 
seinen  mechanischen  Eigenschaften  der  Erklärungsgrund 
von  Leben  und  Geist,  d.  h.  ohne  daß  er  selbst  in  jedem 
Atom  lebendig  ist  und  denkt,  oder  ist  der  Urstoff  in  jedem 
Atom  selber  schon  wirkliches  Leben  und  wirklicher  Geist? 
Wenn  man   mit  Büchner   behauptet,   das  Bewußtsein  sei 


'■  Sprinzl,  Fundamentaltheologie  24. 

•^  Büchner,  Kraft  und  Stoff. 2  Frankfurt  a.  M.  1856.  Der  von  B. 
vertretene  Materialismus  stellt  die  gröbere  Form  des  Materialismus  dar; 
die  feinere  Form,  der  mechanische  Monismus,  sucht  dem  Denken  besser 
zu  genügen,  indem  er  allgemein  gültige  Gesetze  für  alles  Geschehen  auf- 
stellt.    Vgl.  Schanz,  Apol.  P  580—81. 


Einwände  gegen  den  kosmologischen  Kontingenzbewei.s,         l^^O 

erst  die  Eigenschaft  der  sehr  fein  organisierten  Materie, 
dann  ist  das  Atom  weder  Gedanke  noch  Wille,  also  dieser 
geistigen  Vorzüge  bar,  und  wird  trotz  dieser  Armut  und 
trotz  dieses  Mangels  an  Innerlichkeit  als  das  Prinzip  des 
Geistes  ausgerufen  .  .  .  Leicht  ist  es,  dem  Stoff  alle  Vor- 
züge der  Welt  zuzuschreiben,  aber  schwer,  darzulegen,  wie 
er  Leben  und  Geist,  Gesetz  und  Fortschritt,  Bewußtsein 
und  Liebe  zeige,  berge,  verberge,  hervorbringe  —  und 
zwar  auf  dem  einzigen  Wege,  der  ihm  zugänglich  ist, 
durch  Verbindung  zahlloser  Atome.  Innerlichkeit  und 
Selbstbewußtsein  bekunden  den  Geist;  der  Stoff  ist  das 
Nebeneinander  von  Einheiten,  welche  keine 
Innerlichkeit  haben.  Und  doch  muß  schon  Büchner 
gestehen,  daß  die  einfachsten  Leistungen  des  Stoffes  selber 
nicht  mehr  Stoff  sind!  Um  wieviel  weniger  das  Denken 
und   Wollen,  Wahrheit  und  Güte?"i 

Es  hat  darum  Schanz  recht,  wenn  er  sagt:  „Der 
alhveise  Zufall  und  die  Erhaltung  der  Energie  mögen 
ein  einfaches  Glaubensbekenntnis  bilden,  eine  genügende 
Welterklärung  bieten  sie  nicht.  Dieser  Materialismus  ist 
nicht  einmal  imstande,  sich  selbst  oder  sein  Prinzip  zu 
definieren:  die  Materie,  wie  alte  (Lamettrie)  und  neue 
(Häckel)  Materialisten  unumwunden  zugeben.  Ungleich 
schwerer  ist  es  dem  mechanischen  Monismus,  die  Erschei- 
nungen auf  dem  Gebiete  des  geistig  sittlichen  Lebens  auch 
nur  einigermaßen  aufzuhellen  .  .  . 

Ist  es  nicht  eine  Mythologie  ersten  Ranges,  und  geh(")rt 
nicht  seltene  Naivität  dazu,  um  zu  glauben,  daß  der  Tanz 
kleiner  Würfel  oder  Sphären,  genannt  Atome,  der  Grund 
des  Seins,  des  Lebens,  der  Empfindung,  des  Gedankens  sei? 

Selbst  wenn  der  mechanische  Monismus  erklären  könnte, 
was  Materie  und  Kraft  seien  und  wie  das  Bewußtsein  zu- 
stande komme,  hätte  er  über  die  Bedeutung  und  den  Sinn 
des  Seins,  der  Welt,  des  Menschen  keinen  Aufschluß 
gegeben.  Empfindung,  Gefühl,  Bewußtsein,  Selbstbewußt- 
sein,  Wille,   Freiheit,   Pflicht,    also   die   ganze   Größe   und 

1  Schell,  Gott  und  Geist  II  44  — 4G. 


106  Teleologischer  Gottesbeweis. 

Macht  des  Lebens  und  der  Menschheit  fallen  dem  Ignoramus 
et  ignorabimus  anheim  ...  Es  kann  aber  keinen  stärkeren 
Beweis  gegen  die  Zulänglichkeit  einer  Weltansicht  geben, 
als  daß  sie  das  Dasein  des  Geistes  für  etwas  Rätselhaftes 
erklären  muß."^ 

Das  Welträtsel  findet  nur  seine  Lösung  in  der  Existenz 
eines  außer-  und  übernatürlichen,  persönlichen  Gottes. 

Achtes  Kapitel. 

Teleologischer  Gottesbeweis. 

Wenn  der  kosmologische  Kontingenzbeweis  uns  nötigt, 
eine  ewig  existierende,  notwendige,  aus  sich  selbst  seiende 
Weltursache  anzunehmen,  so  sagt  uns  der  teleologische ^ 
Gottesbeweis,  daß  wir  diese  ewige  Weltursache,  diesen 
höchsten  Weltgrund  in  einem  mit  Vernunft  und  nach 
Zwecken  wirkenden,  also  persönlichen  Wesen  suchen 
müssen. 

So  ist  der  teleologische  Beweis  eine  Erweiterung  und 
Fortführung  des  kosmologischen  Beweises.  Aber  im  Unter- 
schied vom  kosmologischen  Beweis  nimmt  der  teleologische 
seinen  Ausgangspunkt  von  der  Gesetzmäßigkeit  und  Ziel- 
strebigkeit der  Weltdinge,  d.  i.  von  der  zweifachen  Tat- 
sache, daß  die  Weltdinge  sowohl  passiv  zielgemäß  geordnet 
sind,  als  auch  aktiv  zur  Realisierung  gewisser  Zwecke 
hinstreben.  • 

Die  Scheidung  von  Gesetzmäßigkeit  und  Zielstrebig- 
keit wird  in  neuerer  Zeit  besonders  betont,  so  von  Gut- 
beriet/   Schell,^    Braig,^    Schill,'    Vosen^  u.   a.     So 


1  Schanz,  Apol.  P  582—84. 

-  Auch  physikotheologischer  Beweis  genannt.    Der  Erfinder  des  Ter- 
minus Physikotheologie  ist  Derham.     Vgl.  Schanz,  Apol.  P  470  Anm. 

•'  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur  Gottheit  121. 
■^  Gutberiet,  Apologetik  P  186—194. 

-  Schell,  Gott  und  Geist  II  184—304—441. 

•'  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise'?  155 — 227. 
"'  Schill,  Prinzipienlehre  97 — 126. 
8  Vosen,  Das  Christentum  288—310. 


Nomologischer  Gottesbeweis.  107 

werden  aus  dem  physikotheologischen  Beweis  zwei  Gottes- 
beweise: der  nomologische  und  der  teleologische  Beweis. 
Durch  diese  Scheidung  des  alten  Begriffs  der  Zweck- 
mäßigkeit in  zwei  Begriffe  (Gesetzmäßigkeit  und  Ziel- 
strebigkeit) wurde  größere  Klarheit  und  schärfere  wissen- 
schaftliche Formulierung  erzielt.^  „In  der  Gesetzmäßigkeit 
offenbart  sich  unmittelbar  der  unterscheidende  und  ver- 
knüpfende Gedanke,  in  der  Zielstrebigkeit  bekundet  sich 
die  treibende  Kraft  des  Wollens  .  .  . 

Durch  das  gründliche  Auseinanderhalten  der  Gesetz- 
mäßigkeit und  Zielstrebigkeit  wird  eine  rein  theoretische 
und  darum  mehr  ideale  Betrachtung  begünstigt.  Durch 
die  Voranstellung  des  Begriffes  , Gesetzmäßigkeit*  wird 
sowohl  die  Gefahr  als  der  Verdacht  einer  mehr  utilita- 
ristischen Naturbetrachtung  ferngehalten,  die  von  dem 
einseitigen  Gesichtspunkte  des  praktischen  Nutzens  für 
diesen  oder  jenen  Zweck  oder  Vorteil  dieses  oder  jenes 
Wesens  aus  urteilt  und  darum  mit  Recht  verpönt  wird."- 

Sodann  wird  durch  die  Unterscheidung  von  Gesetz- 
mäßigkeit und  Zielstrebigkeit  die  Anerkennung  der  großen 
Tatsache  erleichtert,  daß  die  gesamte  Natur  von  bestimmten 
Gesetzen  einheitlich  beherrscht  und  gegliedert  ist.  Dies 
ist  wächtig  gegenüber  der  Kritik  des  teleologischen  Gottes- 
beweises, die  vor  allem  daran  Anstoß  nimmt,  daß  die 
Zweckmäßigkeit  sich  nur  auf  dem  Gebiet  des  organischen 
Lebens  nachweisen  lasse.-^ 

§  13. 
Nomologischer  Gottesbeweis. 

a)    Formulierung   des  Bew^eises. 

Grundlage  des  nomologischen  Beweises  ist  die  in  der 

Welt  herrschende  Gesetzmäßigkeit,  gesetzmäßige  Ordnung. 

Diese  Gesetzmäßigkeit   der  Welt   bestimmt   Schell   dahin, 

„daß    ihre   Konstitution    oder   Einrichtung    auf    folgenden 

1  Schill,  Prinzipienlehre  199. 

2  Schell,  Gott  und  Geist  II  184—185. 
8  A.  a.  0.  208-209. 


108  Teleologischer  Gottesbeweis. 

Grundlagen  ruht:  1.  auf  dem  bestimmten  Unterschied  der 
Arten  des  Wesens  und  Wirkens,  des  Seins  und  Geschehens, 
unbeschadet  der  Verwandtschaft  aller  Arten  in  abgestufter 
Gliederung,  sodann  2.  in  der  Individualisierung  der  Ur- 
sächlichkeit sowie  auf  der  Selbständigkeit  des  Einzelwesens 
unbeschadet  der  allgemeinen  Gemeinschaft  des  Wirkens 
und  Leidens,  unbeschadet  der  wechselseitigen  Abhängigkeit 
aller  Einzeldinge  voneinander  in  abgestufter  Ordnung  .  .  . 

Diese  Gesetzmäßigkeit  waltet  ausnahmslos  und  all- 
gemein in  der  ganzen  Welt,  nicht  bloß  in  den  Ordnungen 
des  organischen  Lebens,  sondern  von  den  Urelementen  an 
bis  hinauf  in  die  Welt  des  Geistes  und  der  Freiheit.  Alles 
ist  beherrscht  von  dem  Gesetz  der  Artbestimmtheit  sowie 
der  individuellen  Ursächlichkeit  und  der  selbständigen 
Einzelwesen,  der  allgemeinen  Verwandtschaft  und  der 
stufenweisen  Zusammenordnung  in  individuelle  kleinere 
und  größere  Gesamteinheiten  .  .  ."^ 

Einfacher  definiert  Schill  die  Gesetzmäßigkeit  „als 
das  Verhältnis  der  Ordnung  (Unter-,  Bei-  oder  Überord- 
nung), in  welchem  die  Dinge  untereinander  und  zu  ihrer 
Gesamtheit  stehen".- 

Straub  versteht  darunter  „das  stabile,  beharrliche, 
stets  und  überall  sich  gleichbleibende  Verhalten,  welches 
die  Natur wesen   in  ihrem  Sein  und  Wirken   offenbaren".  "^ 

Näherhin  begründet  man  die  Gesetzmäßigkeit  der 
Welt 

1.  aus  der  tatsächlichen  Geltung  und  beständigen 
gleichmäßigen  Wirksamkeit  der  Naturgesetze  im  Reiche 
des  Anorganischen; 

2.  aus  der  Konstitution  der  Organismen.  „Im  Reiche 
des  Lebens  ist  es  zwar  nicht  möglich,  alles  in  die  geo- 
metrischen Formeln  der  mechanischen  Bewegung  einzu- 
schnüren. Dessenungeachtet  ist  auch  das  Lebendige  in  ein 
Netz  unzerstörbarer  Normen  gespannt,  deren  Befolgung 
für  jedes  organische  Gebilde  Lebensbedingung  ist"; 

1  Schell,  Gott  und  Geist  II  185—189;  vgl.  207-208. 

-  Schill,  Prinzipienlehre  100. 

^  Straub,  Der  teleologische  Gottesbeweis  I  13.    Würzburg  189-4. 


Nomologischer  Gottesbeweis.  10l> 

;i  aus  den  Grundgesetzen  des  menschlichen  Empfindens, 
Denkens  und  Handelns,  also  aus  den  Tatsachen  im  Reiche 
des  Intellektuellen  oder  des  geistig-sittlichen  Gebietes. 

Der  beste  Beweis  für  die  Herrschaft  von  Gesetz  und 
Ordnung  in  der  Welt  sind  die  zahlreichen  Wissenschaften, 
die  sich  die  Erforschung  und  wissenschaftliche  Erkenntnis 
der  Welt  zum  Ziele  gesetzt  haben. ^ 

Diese  Ordnung  ist  eins  mit  den  Dingen,  bestimmt  ihr 
Wesen  und  ihre  Natur,  mit  einem  Wort:  es  ist  nicht  bloß 
äußere,  sondern  innere,  eine  substantielle  Gesetzmäßigkeit, 
was  besonders  hervorgehoben  wird.  „Die  Naturwesen  sind 
wesenhaft  geordnet,  so  daß  die  Gesetzmäßigkeit  aus  ihrer 
innersten  Natur  hervorwaltet.  Die  Gesetzmäßigkeit  kommt 
nicht  zur  Konstitution  der  Dinge  nachträglich  hinzu,  son- 
dern offenbart  sich  gerade  in  ihrer  ganzen  Wesensanlage 
als  Bildungsgesetz  auch  des  elementaren  Urstoffs."- 

Auf  Grund  der  die  Welt  beherrschenden  Gesetzmäßig- 
keit formuliert  man  nun  den  nomologischen  Gottesbeweis 
mit  folgendem  einfachen  Schluß: 

„Gesetzmäßigkeit  und  Ordnung  fordern  überall,  wo  sie 
erscheinen,  einen  intelligenten  Gesetzgeber  und  Ordner  als 
Urheber.  Nun  sind  aber  Gesetz  und  Ordnung  in  der  Welt 
unleugbar;  also  ist  die  Welt  das  Werk  eines  intelligenten 
Urhebers,  der  darum  existieren  muß,  und  den  wir  Gott 
nennen."    (Schill.)-^ 

Oder  mit  Schell:  „Die  in  der  Welt  herrschende  Gesetz- 
mäßigkeit ist  nur  aus  dem  Gedanken  einer  überweltlichen 
Vernunft  zu  erklären.  Sie  ist  ja  die  Herrschaft  allgemein 
ofültiffer  Formen  und  Beziehungen  in  der  Welt  des  ein- 
zelnen.  Das  Allgemeine  kann  indes  nur  im  Geiste  Bestand 
gewinnen    und    nur    durch    den   Geist    zum    maßgebenden 

'  Vgl.  Braig,  Gottesbeweis  187-195.  Schell,  Gott  iiml  Geist 
11  189.  303—304.  Hontheim,  Theod.  159  sqq.  Schanz,  Apologie  P 
4f4._461.  König,  Schöpfung  und  Gotteserkenntnis  256  ff.  Schill. 
Prinzipienlehre   100—102.     Boedder.  Theo),  nat.  52  sqq. 

2  Schell  a.  a.  0.  II  303.  Schill.  Prinzipienlehre  100.  Sprinzl. 
Fundamentaltheol.  29—30. 

■^  Schill,  Prinzipienlehre  100. 


110  Teleologischer  Gottesbeweis. 

Gesetze  werden.  Dieser  gesetzgebende  Geist  ist  absolut 
oder  vollkommen  selbständig  in  seinem  Denken,  da  er  auch 
die  Grundeigenschaften  der  Materie,  das  Urgesetz  ihrer 
elementaren  Organisation  und  mechanischen  Beschaffenheit 
erklären  muß,  weil  er  schöpferische  Ursache  der  gesetz- 
mäßig verlaufenden  Entwicklung  und  der  sich  hieraus 
ergebenden  Ordnung  sein  muß."^ 

Schulgemäßer  faßt  Braig  den  Beweis. 

„Obersatz:  Jedes  Seiende,  soweit  die  Wahrnehmung  im 
Reiche  des  Materiellen,  Lebendigen  und  Geistigen  dringen 
mag,  ist  gesetzmäßig  bedingt;  die  Bedingtheit  der  Welt 
hat  die  unverletzliche  Form  der  Weltordnung,  des  Seins- 
gesetzes. 

Untersatz :  Gesetz  und  Ordnung,  mögen  die  Worte  als 
beharrende  Formen  des  physischen  oder  des  ethischen 
Verhaltens  verstanden  werden,  mögen  sie  auf  dem  phy- 
sischen Gebiete  ihren  ursprünglichen  und  auf  dem 
ethischen  Gebiete  einen  übertragenen  Sinn  haben  oder 
umgekehrt  —  Gesetz  und  Ordnung  sind  nicht  anders 
faßbar  denn  als  Ausdruck  des  Sammeins  von  Vielheiten 
zu  Einheiten,  des  Verbindens  von  Einheiten  zu  Einheits- 
gruppen. Sie  sind  im  materiellen  wie  in  dem  lebendigen 
und  geistigen  Sein  nicht  anders  wirklich  denn  als  der 
sichtbare  Erfolg  eines  Scheidens  und  Unterscheidens, 
welches  die  Formen  des  natürlichen  Soseins  und  die  Ver- 
hältnisse ihres  Zusammenseins  vorausgewirkt  hat. 

Schlußsatz :  Soll  also  der  Absolute  der  zureichende, 
einzige  und  allgenügende  Weltgrund  sein,  dann  muß  er, 
indem  er  die  Gesamtheit  des  Bedingten  dem  Sein  nach 
bewirkt,  auch  die  Form  der  Bedingtheit,  die  Weltordnung, 
die  Unterschiede  ihrer  Elemente  und  die  gesetzmäßigen 
Einheiten  aller  Unterschiede  bewirken.  Folglich  muß  der 
Weltgrund  selber  Unterscheiden,  Denken  und  Ordnen 
sein." " 


'  Schell,  Gott  und  Geist  11  c03. 

-  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  195 — 196.    Vgl.  Vosen 
Das  Christentum  292-97. 


Nomologischer  Gottesbeweis.  111 

Das  nomologische  Argument  erweist  also  Gott  als  die 
freie,  intelligente  Ursache  der  Weltordnung,  als  schöpfe- 
rische Weisheit. 

b)  Einwände  gegen   den  nomologischen  Gottesbeweis. 

Zur  Erklärung  der  in  der  Welt  tatsächlich  bestehenden 
Ordnung  und  Gesetzmäßigkeit  gibt  es  nur  zwei  Möglich- 
keiten: entweder  sie  ist  von  einer  schöpferischen  Vernunft 
begründet  oder  durch  Zufall  entstanden.  Ersteres  ver- 
werfen die  Gegner  der  christlichen  Weltanschauung,  darum 
bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  den  Zufall  als  Erklärungs- 
grund anzunehmen  oder  überhaupt  auf  eine  Erklärung  zu 
verzichten. 

Ist  aber  der  Zufall  wirklich  eine  Erklärung?  An 
und  für  sich  ist  es  zwar  nicht  unmöglich,  daß  einmal  durch 
Zufall  eine  Ordnung  hergestellt  wird,  wenn  es  sich  handelt 
um  eine  kleine  Anzahl  von  Elementen  und  um  eine  ein- 
fache Ordnung;  in  einzelnen  Fällen  und  bei  einzelnen 
Individuen  können  wir  von  Zufall  reden.  In  der  Welt 
aber  handelt  es  sich  nicht  um  eine  einmalige  Lagerung 
der  Atome,  sondern  um  eine  dauernde,  nach  festen  Gesetzen 
regelmäßig  wiederkehrende,  wobei  die  Atome  in  einer  Menge 
von  Beziehungen  zueinander  und  zur  Gesamtheit  stehen; 
da  ist  Zufall  ausgeschlossen.  Denn  jede  „zufällige  Ordnung" 
wirkt  selten,  regellos  und  ausnahmsweise.^  Was  heißt 
überhaupt  Zufall?  Einen  absoluten  Zufall  gibt  es  nicht. 
Darum  sagt  mit  Recht  Vosen:-  „Es  ist  ein  reines  Spiel 
mit  Worten,  ein  abgeschmacktes  Sophisma,  als  Ursache 
der  Weltordnung  den  Zufall  zu  nennen  und  sich  ernstlich 


.-»Lehmen,  Theodizee-  64.  Gutberiet,  Monismus  262  tT.;  Theo- 
dizee-^  126  ff.  Scliill.  Prinzipienlehre  103—104.  Pesch,  Weltrütsel  1- 
316-318. 

Gutberiet  sucht  au  der  betr.  Stelle  mit  Hilfe  der  Wahrschein- 
lichkeitsrechnung darzutun,  dali  Zufall  völlig  ausgeschlossen  sei.  Dagegen 
wendet  sich  Isenkrahe:  „Über  die  Verwendung  matliematischer  Argu- 
mente in  der  Apologetik."  Natur  und  Offenbarung  52  (1906)  257—269. 
415—432,  605—617.  Er  bält  dalür,  daß  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung 
dem  apol.  Zweck  eher  nachteilig  als  nützlich  ist.  A.  a.  0.  611. 
-  Vosen,  Christentum  294. 


1 1  ^  Teleologischer  Gottesbeweis. 

SO  zu  benehmen,  als  ob  man  eine  wirkliche  Ursache  und 
gar  noch  eine  zureichende  genannt  habe,  während  man 
nur  das  Nichtvorhandensein  oder  die  Nichterkenntnis  einer 
Ursache  in  einem  vieldeutigen  Wort  ausgesprochen  hat." 
„Den  Zufall  als  Ursache  setzen,  heißt  eine  Wirkung  setzen 
ohne  Ursache,  den  Geist,  der  immer  und  notwendig  nach 
dem  Grund  der  Erscheinung  fragt,  mit  der  Geistlosigkeit 
zufrieden  stellen."  ^ 

Deswegen  verbannt  auch  die  atheistische  Wissenschaft 
neuerer  Zeit  den  „Zufall"  als  leeres  Wort  aus  ihrer  Welt- 
auffassung. Aber  es  ist  nur  ein  anderes  Wort  für  dieselbe 
Sache,  wenn  der  Materialismus  durch  das  sog.  „blinde 
Spiel  der  Kräfte"  die  Ordnung  in  der  Welt  restlos  erklären 
Avill  in  dem  Sinne,  daß  er  dies  an  die  Stelle  der  ersten 
Ursache  setzt, 

„Das  blinde , Spiel  der  Kräfte',  wie  es  der  mechanistische 
Atomismus  für  das  Weltganze,  der  materialistische  Dar- 
winismus für  das  engere  Gebiet  des  Lebens  annimmt,  soll 
im  Universum  wie  in  der  Lebewelt  unter  zahllosen  miß- 
lungenen Versuchen  auch  Gelungenes  erzeugen,  durch  den 
Vorzug  der  Dauerhaftigkeit  das  Gelungene  anhäufen  und 
befestigen    und   so  die   ganze  Gesetzmäßigkeit   erklären." - 

Der  Materialismus  nimmt  eine  unendliche  Vielheit  von 
gleichen  Uratomen  an  und  behauptet,  aus  dem  gedanken- 
und  planlosen  Durcheinanderwirbeln  der  Atome  in  ihrem 
unendlich  langen  Spiel  seien  auch  einmal  dauerhafte  Ge- 
bilde mit  Notwendigkeit  entstanden.  Diese  seien  in  ihrem 
Fortbestande  gesichert  gewesen,  weil  sie  glückliche  Zu- 
sammenfügungen gewesen  seien;  sie  hätten  sich  immer 
mehr  angehäuft,  so  daß  der  Eindruck  eines  Sj^stems  von 
Arten  entstand,  weil  das  Nicht-Dauerhafte  ebendeswegen 
unterging  und  nur  Dauerhaftes  übrig  bleiben  konnte. 

Auf  dem  Gebiete  des  Lebens  klammert  er  sich  an  den 
Darwinismus  an  mit  seinem  Prinzip  der  natürlichen  Zucht- 
wahl durch  den  Kampf  ums  Dasein  und  behauptet,  da  nur 


1  Hettinger,  Apologie  1«  133. 

2  Schell,  Gott  und  Geist  II  217. 


Nomologischer  Gottesbeweis.  113 

das  Tüchtigere  wegen  seiner  Tüchtigkeit  überlebe,  so  ent- 
stehe von  selbst  die  beste  und  schönste  der  Welten,  welche 
durch  ihr  ganz  mechanisches  Entwicklungsprinzip  zu  end- 
losem Fortschritt  aufwärts  getrieben  werdet 

Indes  „alle  Verhältnisse  und  Umstände,  welche  die 
mechanische  Entwicklungslehre  anruft,  sind  unfähig,  das 
zu  erklären,  was  sie  erklären  sollen.  Denn  sie  setzen  alle 
die  eigentliche  Wirkursache  voraus,  welche  bestimmt  und 
vollbringt."  „Analyse  und  Summierung  der  Teile  und 
Umstände  ist  noch  lange  keine  hinreichende  Erklärung." - 
Zudem  sind  die  Prinzipien  des  Darwinismus  durchaus 
teleologisch  und  fordern  zu  ihrer  Erklärung  die  Vernunft. 
Die  Berufung  des  Materialismus  auf  Naturnotwendigkeit 
gibt  keine  Erklärung  der  Weltordnung  in  ihrem  letzten 
Grunde,  „sie  verlegt  den  Zufall  nur  um  eine  Stufe  rück- 
wärts, aus  den  geordneten  Weltdingen  in  ihre  unmittel- 
baren Ursachen".^ 

Die  Annahme  einer  gesetzgebenden  Vernunft  und  einer 
teleologischen  Ursächlichkeit  ist  auch  keine  Vergewaltigung 
der  Natur  oder  macht  auch  nicht  jede  wissenschaftliche 
Erklärung  unmöglich,  wie  Lange^  einwendet.  Denn  „die 
teleologische  oder  geistige  Ursächlichkeit  steht  nicht  neben 
der  mechanischen,  sondern  über  ihr,  sie  ergänzt  sie  nicht 
äußerlich,  sondern  begründet,  trägt  und  bestimmt  sie, 
beherrscht  und  lenkt  sie.  Der  Geist  muß  erklären,  was 
die  mechanische  Ursächlichkeit  nie  erklären  kann  und 
was  doch  in  der  Natur  vorhanden  ist:  die  Einheit,  die 
Überlegenheit  der  Wirkung  hinsichtlich  ihres  Wertes  im 
Vergleich  zu  den  wirkenden  Naturursachen,  die  Verwandt- 
schaft und  Zusammengehörigkeit  aller  Dinge,  die  Beziehung, 
welche  die  Teile  zum  Ganzen  und  hinwiederum  die  Ein- 
heiten zu  einer  Gesamtheit  verknüpft".^ 


1  Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  II  216—217. 

'  A.  a.  0.  II  241,  244. 

8  Schill,  Prinzipienlehre  104.    Vgl.  Hagemann,  Metaphysik«  180. 

*  F.  A.  Lange,  Geschichte  des  Materialismus  II '  273. 

6  Schell  a.  a.  0.  259. 

Staab,  Gottesbeweise  in  der  kath.  Literatur.  O 


114  Teleologischer  Gottesbeweis. 

Sowenig  wie  der  Materialismus  kann  der 
Pantheismus 

die  Ordnung  in  der  Welt  erklären. 

Er  will  die  Gesetzmäßigkeit,  welche  die  Welt  und  ihre 
Entwicklung  beherrscht,  aus  der  immanenten  Notwendig- 
keit des  einheitlichen  Weltgrundes  und  aus  der  substan- 
tiellen Einheit  des  Weltalls  ableiten. 

Nach  dem  monistischen  Grundgedanken  ist  „die  Ent- 
wicklung zur  gesetzmäßigen  Ordnung  und  Mannigfaltigkeit 
des  Kosmos  erklärbar  ohne  eine  bewußte  und  absichtliche 
Ursächlichkeit,  ohne  planmäßige  Anlage  und  Zusammen- 
ordnung, wenn  nur  die  Wesenseinheit  aller  Dinge,  sowie 
der  unbewußte  Willensdrang  zum  Dasein  und  vielleicht 
auch  noch  eine  unbewußte  Idee  vorausgesetzt  wird,  um 
jenem  dunklen  Willensdrang  überhaupt  eine  Richtung  zu 
geben". 

Doch  der  Versuch,  das  pantheistische  Absolute  zum 
Prinzip  der  Teleologie  zu  machen,  ist  ein  Widerspruch  in 
sich,  weil  er  Gedanken  ohne  denkenden  Geist  verwirk- 
lichen will.  „Von  der  monistischen  Substanzeinheit  kommt 
man  verständlicherweise  ebensowenig  zur  Erklärung  der 
gesetzmäßigen  Unterschiede  und  Wechselbeziehungen,  wie 
von  der  materialistischen  Vielzahl  der  Atome  und  der 
Gleichheit  des  Urstoffes.  Wie  anders  könnte  das  Urwesen 
in  die  Unterschiedenheit  der  Arten  und  Formen  ausein- 
andergehen als  durch  Denken  und  Gestalten  und  Unter- 
scheiden?" Wie  anders  hätte  das  von  ihm  betätigt  werden 
können  als  durch  den  Willen?^  Auch  der  Pantheismus 
tut  nichts  weiter,  als  daß  er  den  Zufall  wieder  einen  Schritt 
weiter  in  einen  Urgrund  verlegt.- 


^  Schell,  Gott  und  Geist  II  297.  Vgl.  268;  285.  Gutberiet, 
Apologie  P  189.  Schill,  Prinzipienlehre  104.  Hagemann,  Meta- 
physik ^  181.     Straub,  Der  teleol.  Gottesbeweis  11  65—77. 

2  Gutberiet  a.  a.  0.  129. 


Formulierung  des  Beweises.  115 

§    14. 

Teleologischer  Gottesbeweis. 

a)   Formulierung  des  Beweises. 

Der  teleologische  Gottesbeweis  geht  aus  von  der  in  der 
Welt  herrschenden  Zielstrebigkeit.  Die  neue  Terminologie: 
Ziel,  zielstrebig,  Zielstrebigkeit  im  Unterschied  von  Zweck, 
zweckmäßig,  Zweckmäßigkeit  hat  bekanntlich  K.  E.v.  Baer 
in  die  Wissenschaft  eingeführt,  um  jene  anthropomorphe 
Auffassung  der  Teleologie  zu  beseitigen,  wie  sie  im  Gegen- 
satz zum  ganzen  Mittelalter  viele  Physikotheologen  des 
17.  und  18.  Jahrhunderts  zum  größten  Nachteil  der  Teleologie 
vertraten.  Dieser  Teleologie  macht  Baer  zum  Vorwurf, 
daß  sie  die  Zwecke  durch  unmittelbares  Eingreifen  Gottes 
erreicht  denke,  daß  sie  die  Zwecke  auf  menschliche  Weise 
gebildet  sich  vorstelle,  und  daß  sie  nur  Zwecke,  nicht  Not- 
wendigkeiten, durch  welche  sie  erreicht  werden,  im  Auge 
habe,  gleich  als  ob  Zwecke  die  Notwendigkeit  ausschlössen. 

Baer  leugnet  nicht,  daß  die  Zwecke  in  der  Natur 
ihren  letzten  Grund  in  Gott  haben,  betrachtet  es  aber  als 
eine  Gottes  unwürdige  Vorstellung,  wenn  man  die  Ziele 
als  unmittelbar  von  Gott  gesetzt  und  nicht  durch  die  Not- 
wendigkeit der  Naturgesetze  erreicht  wähne. 

Wegen  der  anthropomorphen  Bedeutung,  die  dem 
Wort  Zweck  anhaftet,  da  Zweck  nur  menschliche  Ver- 
hältnisse bezeichne,  ein  mit  Bewußtsein  und  Freiheit 
gewolltes  Ziel  sei,  will  Baer  den  Ausdruck  „Zweck", 
„Zweckmäßigkeit"  von  Naturvorgängen  nicht  gebraucht 
wissen.  Wohl  aber  darf  hierauf  das  Wort  Ziel,  Ziel- 
strebigkeit angewandt  werden.  Denn  „Ziel  ist  das  Ende 
einer  Bewegung  und  schließt  nicht  im  geringsten  die  ver- 
wendete Notwendigkeit  oder  Nötigung  aus,  sondern  wird 
durch  diese  um  so  sicherer  erreicht".  „Der  Begriff  des 
Wortes  Ziel  ist  ein  mehr  unbestimmter,  der  wegen  dieser 
Unbestimmtheit  den  Zweck  mit  einschließen  kann.  Er  setzt 
aber  nicht  wie  dieser  ein  Bewußtsein  voraus."  „Ziel- 
strebig" nennt  er  einen  Vorgang,  dessen  Resultat  vorher 
bestimmt  ist. 


116  Teleologischer  Gottesbeweis. 

Wir  denken  also  nach  B  a  e  r  bei  dem  Wort  „Ziel", 
„Zielstrebigkeit"  nicht  wie  bei  dem  Wort  „Zweck",  „Zweck- 
m'äßigkeit"  an  Bewußtsein  und  Willen  und  vermeiden  so 
den  Anthropomorphismus,  den  Stein  des  Anstoßes,  in  der 
Teleologie. 

Es  soll  mit  dem  Wort  Ziel  gesagt  werden:  Zwecke 
in  der  Natur  werden  erreicht  unbewußt  durch  die  in  den 
Dingen  liegenden  Fähigkeiten,  und  zwar  erreicht  auf 
natürliche  Weise,  nicht  durch  unmittelbares  Eingreifen 
Gottes.i 

Baers  neue  Terminologie  hat  fast  überall  Aufnahme 
gefunden,  doch  ist  die  von  ihm  beabsichtigte,  strenge 
Scheidung  von  Ziel  und  Zweck  nicht  allenthalben  bei  den 
kath.  Theologen  festgehalten  worden. 

Auf  der  Tatsache  der  Zielstrebigkeit  wird  nun  der 
teleologische  Beweis  aufgebaut.  Man  definiert  zunächst 
den  Begriff  der  Zielstrebigkeit  als  „die  naturhafte  Tendenz 
eines  Wesens  oder  eines  Dinges,  in  der  Gegenwart  zweck- 
mäßig tätig  zu  sein"-  oder  als  „jene  Anordnung  der  Welt- 
dinge, wonach  sie  als  Mittel  zur  Erreichung  bestimmter 
Zwecke  disponiert  erscheinen". -^^ 

Als  Kriterien  der  Zielstrebigkeit  oder  Zweckursäch- 
lichkeit  führt  Schell^  folgende  vier  an: 

L  Die  Einheit  der  Wirkung  im  Vergleich  zur  Vielheit 
der  ausführenden  Ursachen. 

2.  Die  Anpassungsfähigkeit  bei  veränderten  Um- 
ständen. 

3.  Die  Festigkeit  und  Beharrlichkeit  der  Richtung,  in 
der  die  Ursächlichkeit  verläuft,  ungeachtet  der  unzähligen 
Möglichkeiten,  ebensogut  eine  andere  Richtung  einzu- 
schlagen, und  auch  trotz  vieler  Störungen. 

4.  Die  Regelmäßigkeit,  mit  der  eine  Wirkung  im  Natur- 
lauf herbeigeführt  wird. 


1  Vgl.  R.  Stölzle,  Karl  Em  st  V.  Baer  und  seine  Weltanschauung 
76—88.    Regensburg  1897. 

2  Weber,  Christi.  Apologetik  68. 

3  Schill,  Prinzipienlehre  105. 

4  Schell,  Gott  und  Geist  II  316-417. 


Formulierung  des  Beweises.  117 

Nun  ist  unbestreitbare  Tatsache,  daß  die  Welt  im 
allgemeinen  und  in  den  Organismen  im  besonderen  von 
Zielstrebigkeit  durchdrungen  ist.     Diese  offenbart  sich  : 

1.  „in  der  Gesamtentwicklung  des  Weltalls  oder  in  der 
Entwicklungeschichte  des  Himmels; 

2.  in  der  Aufeinanderfolge  der  Schöpfungsperioden 
auf  Erden  oder  in  der  paläontologischen  Entwicklungs- 
geschichte der  Erdenwelt; 

3.  endlich  im  Grundcharakter  des  organischen  Lebens 
überhaupt  und  insbesondere  im  Naturgesetz  der  Fort- 
pflanzung".- 

In  drei  Stufen  entwickelt  sich  also  der  Zielstrebigkeits- 
gedanke in  der  Welt  zunächst  in  der  anorganischen  Natur, 
wie  dies  schön  nachweist  Pesch,-  König, ^  Hontheim,^ 
Schanz;  5  ihre  „eigentliche  Heimat"  hat  er  aber  in  der 
organischen  Natur:  im  Pflanzen-,  Tier-  und  Menschen- 
leben; im  inneren  Bildungsgesetz,  wonach  die  Entwicklung 
des  Organismus  erfolgt,  im  zielstrebigen  Detail,  das  sie 
umgibt,  in  der  Erhaltung  des  pflanzlichen  und  tierischen 
Organismus  durch  Ernährung  usw.;  am  klarsten  in  den 
Instinkthandlungen  der  Tiere  inbezug  auf  Ernährung, 
Erhaltung  und  Fortpflanzung.^ 

Das  Gesetz  der  Zielstrebigkeit  beherrscht  aber  nicht 
bloß  den  einzelnen  Organismus  in  seinem  Werden  und 
seiner  Tätigkeit,  sondern  auch  die  Summe  aller  Organismen 
in  ihrer  wundervollen,  streng  einheitlichen  Gliederung  und 
Entwicklung.  Denn  „nichts  ist  ja  für  die  Wissenschaft  so 
aussfemachte  Tatsache   als  der  sfroßartige  Zusammenhang 


1  Schell  a.  a.  0.  II  336—389. 

2  Pesch  T.,  Welträtsel  I-  261--2G7. 

'  König,  Schöpfung  und  Gotteserkennlnis  256—276. 

4  Hontheim,  Theod.  159—166. 

6  Schanz,  Apologie  P  404—433. 

6  Vgl.  Pesch  T.,  Die  Teleologie  in  der  mittelalterlichen  Natur- 
philosophie. Stimmen  aus  M.-Laach  12.(1377)  77—95;  Welträtsel  I* 
241—261.  König,  Schöpfung  297— 3r 5.  Hontheim,  Theod.  166—177. 
Schill,  Prinzipienlehre  106—113.     Schanz,  Apologie  !•'  434  —  456. 


118  Teleologischer  Gottesbeweis. 

der  Naturordnung,  ein  Zusammenhang,  den  man  mit  einem 
OrganisQius  in  Parallele  stellen  kann".  ^ 

'  Ihren  Höhepunkt  aber  erreicht  die  Zielstrebigkeit  im 
Mikrokosmos,  im  Menschen,  sowohl  in  der  Organisation 
des  menschlichen  Leibes,  der  sich  als  Ideal  ästhetischer 
und  teleologischer  Vollkommenheit  darstellt,  als  auch  vor- 
züglich in  dem  Wesen  und  der  Tätigkeit  seines  Geistes. 
Seine  Vorzüge:  Selbstbewußtsein,  Freiheit,  Sprache,  Kunst- 
anlage sind  ebensoviele  Einzelbeweise  für  die  teleologische 
Anlage  des  Menschengeistes.  Er  kann  die  Gedanken  der 
schöpferischen  Vernunft  nachdenken,  das  Gesetz  der  Ziel- 
strebigkeit erkennen  .  .  .,  alles  frei  auf  ein  letztes  Ziel 
hinordnen,  nach  sittlichen  Zwecken  handeln.^ 

„So  gelangt  die  Zielstrebigkeit  in  der  bewußten  Er- 
strebung des  eigenen  Zieles  durch  den  Menschengeist  auf 
ihren  Höhepunkt  und  feiert  in  der  Erkenntnis,  welche 
dieser  von  dem  Gesamtzweck  seines  Daseins  und  der  Bestim- 
mung seiner  ganzen  Persönlichkeit  gewinnt,  ihren  höchsten 
Triumph."  3 

So  ist  also  der  ganze  gewaltige  Kosmos  von  einer 
zweckmäßigen  Ordnung  umspannt  und  durchwebt,  und 
diese  Zweckmäßigkeit  ist  wahre  Zielstrebigkeit.  Die  Stoffe 
wirken  zielstrebig  legaliter,  die  Pflanzen  plastice,  die  Tiere 
instinctive,  die  Menschen  intellectualiter.* 

Wo  ist  nun  der  Grund  dieser  Zielstrebigkeit  zu 
suchen? 

Der  nächste  Grund  dieser  Zielstrebigkeit  ist  in  der 
Wesensanlage  der  Dinge  zu  suchen,  in  einem  immanenten 
Prinzip,  das  der  mechanischen  Kraft  nicht  neben-,  sondern 
übergeordnet  ist,  das  Wesensbestandteil  der  Dinge  ist. 
Schon  „die  mittelalterliche  Philosophie  leitete  in  der 
bestimmtesten  Weise  die  teleologische  Harmonie  zum  Teil 
und  zunächst  aus  der  ,natürlichen  Anlage  der  Dinge  her*, 
sah  dieselbe  durchaus  nicht  als  eine  den  Dingen  zufällige 


1  Pesch  T.,  Gott  und  die  Naturordnung.    Stimmen  a.  M.-Laach  13. 
(1878)  317—319. 

2  Schanz,  Apologie  P  456—461. 

3  Schill,  Prinzipienlehre  115.  *  Hontheim,  Theod.  158. 


Formulierung  des  Beweises.  119 

an,  hat  dieselbe  sogar  mit  in  die  Ausgangsbasis  für  die 
physikotheologische  Beweisführung  hineingezogen".^ 

Doch  damit  ist  die  Frage  für  unsere  Vernunft  nicht 
gelöst;  sie  erhebt  sich  von  neuem  mit  noch  größerer 
Macht. 

Geschöpfliche  Natur-  und  Geisteswesen  genügen  nicht 
zur  Erklärung  der  Zielstrebigkeit  in  der  Welt.  Zu  ihrem 
vollen  Verständnis  wird  ein  über  den  Natur-  und  Vernunft- 
wesen stehender  Urwille  gefordert,  der  die  Anlagen  der 
unbewußten  Naturzielstrebigkeit  und  der  bewußten  mensch- 
lichen Zielstrebigkeit  und  zugleich  die  Richtung,  in  der 
sich  diese  Anlagen  betätigen  können,  erdacht,  als  Zweck 
festgestellt  und  durchgeführt  hat.- 

So  steigt  der  christliche  Denker  auf  Grund  unerschütter- 
lich feststehender  Tatsachen  zu  Gott  als  dem  außerwelt- 
lichen, einheitlichen  Grund  aller  Zweckerstrebung  empor 
und  formuliert  den  Gottesbeweis  also: 

„Die  Zweckordnung  als  Disposition  oder  Veranlagung 
bestimmter  Mittel  zur  Erreichung  bestimmter  Zwecke  ist 
stets  das  Werk  einer  die  Zwecke  setzenden  und  die  Mittel 
wählenden  Intelligenz.  Nun  manifestiert  aber  die  Welt 
die  sors^fältiofste  und  wirksamste  Anordnung  der  Mittel 
zur  Erreichung  der  vielfältigsten  und  höchsten  Zwecke; 
folglich  ist  die  Welt  das  Werk  einer  jeden  irdischen  Geist 
weit  überragenden  Intelligenz,  des  unbeschränkten,  un- 
bedingten,  in  sich  selbst  gründenden  absoluten  Geistes."' 

Oder  mit  Braig: 

Obersatz:  „Jedes  Seiende,  soweit  Wahrnehmung  und 
Gedanke  dringen  mögen  im  Reiche  des  Materiellen,  des 
Lebendigen  und  des  Geistigen,  ist  zweckmäßig  entweder 
als  Mittel  einem  Höheren  unter-  oder  als  Glied  einem 
harmonischen  Zusammen  eingeordnet. 


1  Pesch,  Die  Teleologie  in  der  mittelalterlichen  Naturphilosophie. 
Stimmen  a.  M.-Laach  12.  (1877)  361. 

2  Th.  Mayer,  Der  teleologische  Gottesbeweis  98—103.  Mainz  1900. 
Schell,  Gott  und  Geist  II  43G— 38.  Vgl.  Straub,  Der  teleol.  Gottes- 
beweis I  46—48. 

3  Schill,  Prinzipienlehre  105. 


120  Teleologischer  Gottesbeweis. 

a)  Die  nach  Konstitution  der  Materie  in  den  kleinsten 
Teilchen  und  im  großen  ganzen  ist  passive  Zweckmäßigkeit. 
'  b)  Die  Phänomene  des  Organischen  zeigen  instinktive 
Zielstrebigkeit. 

c)  Die  Energie  der  freien,  religiös-sittlichen  Persön- 
lichkeit ist  selbstbewußtes  und  selbständiges  Zweckhandeln 
dem  letzten  Ziel  und  höchsten  Ideal  gemäß. 

Untersatz:  Nun  aber  fordert: 

a)  Die  Gestaltbarkeit  der  Materie  eine  Intelligenz,  durch 
welche  die  wirklichen  Gestaltungen  vorausbestimmt  und 
den  Seinselementen  als  wirkliche  Zwecke  eingeschaffen  sind. 

b)  Die  Zielstrebigkeit  der  Natur  eine  Intelligenz,  durch 
welche  jedem  Lebewesen  der  Grundriß  seines  Organismus 
vorgezeichnet,  der  Plan  für  den  organischen  Aufbau  vor- 
geschrieben und  in  der  vollendeten  Gestalt  der  das  Wachs- 
tum und  den  Bildungsgang  leitende  Lebens-  und  Tätigkeits- 
zweck festgestellt  ist. 

c)  Die  freie  Zwecktätigkeit  und  das  religiös-sittliche 
Selbstbewußtsein  des  Menschengeistes  eine  Intelligenz, 
durch  welche  die  sämtlichen  Möglichkeitsfälle  der  freien 
Entschließungen  vorausgewußt,  in  dem  Vollkommenheits- 
ideal  dem  freien  Streben  ein  Zielpunkt  gegeben  und  so 
der  menschlichen  Persönlichkeit  ihr  Daseinszweck  geoffen- 
bart ist. 

Schlußsatz :  Also  muß  der  Absolute,  soll  er  zureichen- 
der, einziger  und  allgemein  genügender  Weltgrund  sein, 
indem  er  die  Gesamtheit  des  Bedingten  bewirkt  und  die 
Form  der  Bedingtheit  als  Gesetzlichkeit  ordnet,  auch  den 
Sinn  der  ganzen  Anordnung,  die  allumfassende  Zweck- 
mäßigkeit bestimmen.  Folglich  ist  Gottes  Schaffen  absolute 
Zweckmäßigkeit.  Und  weil  ihre,  der  absoluten  Weisheit 
Schöpfung  sich  gliedert: 

a)  als  das  Kunstwerk  der  unbelebten  Mechanik  in  den 
Seinselementen  und  Seinsmassen, 

b)  als  das  Kunstwerk  der  belebten  Mechanik  in  den 
Organismen, 

c)  als  das  Kunstwerk  des  freien  Geistes  in  der  mensch- 
lichen Persönlichkeit,  welche  den  Gedanken  ihres  Ursprungs 


Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis.  121 

als  Ziel  ihrer  Selbstbestimmung  in  sich  trägt  —  darum 
muß  der  Urheber  der  Natur-  und  Geisterwelt  geistig- 
sittliche, selbstbewußte  Persönlichkeit,  darum  muß  Gott 

der  Seiende  durch  sein  Wesen, 

der  Denkende  durch  sein  Wesen, 

der  Weise  durch  sein  Wesen, 

der  Freie  durch  sein  Wesen, 
darum  muß  er  die  absolute  Persönlichkeit  sein."^ 

b)  Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis. 

a)  Kant  als  Gegner  des  teleologisclien  Gottesbeweiaes. 

Unter  allen  Gottesbeweisen  ist  der  teleologische  der 
populärste  und  wohl  auch  der  älteste;  bereits  mit  Anaxa- 
goras  ist  die  teleologische  Weltbetrachtung  in  die  grie- 
chische Philosophie  eingeführt  worden.  Selbst  Kant  rühmt 
von  ihm:  „Der  Beweis  verdient  jederzeit  mit  Achtung 
genannt  zu  werden.  Er  ist  der  älteste,  klarste  und  der 
gemeinen  Menschenvernunft  am  meisten  angemessene.  Er 
belebt  das  Studium  der  Natur,  sowie  er  selbst  von  diesem 
sein  Dasein  hat  und  dadurch  immer  neue  Kraft  bekommt. 
Er  bringt  Zwecke  und  Absichten  dahin,  wo  sie  unsere 
Beobachtung  nicht  selbst  entdeckt  hätte,  und  erweitert 
unsere  Naturkenntnisse  durch  den  Leitfaden  einer  be- 
sonderen Einheit,  deren  Prinzip  außer  der  Natur  ist. 
Diese  Kenntnisse  wirken  aber  wieder  auf  ihre  Ursache, 
nämlich  die  veranlassende  Idee,  zurück  und  vermehren 
den  Glauben  an  einen  höchsten  Urheber  bis  zu  einer 
unwiderstehlichen  Überzeugung."-  Aber  nach  diesem 
scheinbaren  Lob  verwirft  er  auch  diesen  Beweis.  Er  führt 
zunächst  „die  Hauptmomente  des  physikotheologischen 
Beweises  vor  und  zwar  vier  an  der  Zahl,  von  denen  be- 
sonders das  zweite  und  vierte  zu  beachten  ist :  Nr.  2 :  „Den 
Dingen  der  Welt  ist  diese  zweckmäßige  Anordnung  ganz 
fremd  und  hänat  ihnen  nur  zufällig-  an." 


1  Braig,   Gottesbeweis    oder  Gottesbeweise?  224—225.     Vgl.   auch 
Vosen,  Das  Christentum  301—302. 

2  Kant,  Kr.  d.  r.  V.  497-98. 


122  Teleologischer  Gottesbeweis. 

Nr.  4:  „Die  Einheit  derselben  (der  weisen  Ursache) 
läßt  sich  aus  der  Einheit  der  wechselseitigen  Beziehung 
der  Teile  der  Welt,  als  Glieder  von  einem  künstlichen 
Bauwerk,  an  demjenigen,  wohin  unsere  Beachtung  reicht, 
mit  Gewißheit,  weiterhin  aber,  nach  allen  Grundsätzen  der 
Analogie  mit  Wahrscheinlichkeit  schließen."  Daraus  zieht 
er  dann  die  Folgerung:  „Der  teleologische  Beweis  könnte 
höchstens  einen  Weltbaumeister,  der  durch  die  Tauglichkeit 
des  Stoffes,  den  er  bearbeitet,  immer  sehr  eingeschränkt 
wäre,  aber  nicht  einen  Weltschöpfer,  dessen  Idee  alles 
unterworfen  ist,  dartun,"  ferner  sein  Schlußverfahren  sei 
nur  Analogieschluß,  der  höchstens  Wahrscheinlichkeit,  nie 
aber  Gewißheit  begründen  könne;  endlich  „gehe  man  von 
der  Zufälligkeit  (der  Ordnung  und  Zweckmäßigkeit  der 
Welt)  lediglich  durch  transzendentale  Begriffe  zum  Dasein 
eines  Schlechthin-Xotwendigen  und  von  dem  Begriff  der 
absoluten  Notwendigkeit  der  ersten  Ursache  auf  den  durch- 
gängig bestimmten  oder  bestimmenden  Begriff  desselben, 
nämlich  einer  allbefassenden  Realität",^  d.  h.  mit  andern 
Worten,  der  teleologische  Beweis  münde  in  den  onto- 
logischen  ein. 

„Diese  Sätze,"  bemerkt  Schill,  „sind  wohl  einige 
hundertmal-  gedruckt  worden  zum  Beweis,  wie  Kant  den 
teleologischen  Beweis  für  immer  zerstört  habe,  und  doch 
sind  sie  nur  Konsequenzen  falscher  Prinzipien  und  darum 
irrig  wie  diese."  ^ 

Es  ist  nicht  richtig,  was  Kant  behauptet,  daß  nämlich 
die  Teleologie  den  Dingen  „fremd  sei  und  nur  äußerlich 
anhänge". 

„Diese  zweckmäßige  Form  der  Naturdinge  ist  keine 
äußere,  akzidentelle,  es  ist  ihre  innere,  wesenhafte,  sub- 
stantielle Form,  d.  h.  es  ist  ihre  Idee,  Natur  und  Wesenheit 


1  Kant,  Kritik  d.  r.  V.  493—501. 

-  Vgl.  z.B.  Fischer,  Geschichte  der  neueren  Philosophie  III  585  f. 
Schultze,  Philosophie  der  Natur  I  70  ff.  Leipzig  1881.  Wundt,  System 
der  Philosophie  439  ff.  Frohschammer,  Einleitung  in  die  Phil.  116, 
Mach,  Religions-  und  Weltproblem  I  119—150. 

3  Schill,  Prinzipienlehre  116. 


Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis.  123 

selbst  und  von  dieser  durchaus  untrennbar;  die  Zweck- 
mäßigkeit ist  nicht  an  den  Dingen,  sie  ist  in  den  Dingen, 
eins  mit  diesen  und  nicht  einmal  dem  Begriffe  nach  von 
ihnen  unterschieden.  Eben  die  Zweckbeziehung  ist  das 
wesentliche  Moment  des  Organismus,  dieser  ohne  jene 
gar  nicht  denkbar.  Wer  darum  die  Form  gesetzt  hat, 
hat  das  Wesen  selbst  gesetzt,  da  es  wesenhafte  Formen 
sind;  darum  ist  er  nicht  bloß  Weltbaumeister,  er  ist 
Weltschöpfer." ' 

„Schon  das  Atom  trägt  den  Stempel  der  »Teleologie 
und  damit  des  Schöpfers,  der  den  Stoff  zum  Weltenbau 
nicht  hinnehmen  muß,  wie  er  ihn  fand,  sondern  der  ihn 
selbst  für  seine  Ziele  schuf."-  „Die  Weltordnung  beruht 
nicht  bloß  auf  einer  Disposition  der  Teile,  sondern  auf 
bestimmten  Eigenschaften  und  Gesetzen  der  anzuordnenden 
Elemente.  Die  Stoffe  sind  so  beschaffen,  daß  von  einer 
ursprünglichen  Disposition  aus  die  Elemente  gesetzmäßig 
die  Wirkung  herbeiführen  .  .  .  Daß  aber  gerade  diese  Stoffe 
mit  diesen  Eigenschaften  existieren,  dazu  liegt  der  letzte 
hinreichende  Grund  in  der  freien  Wahl  des  Welturhebers, 
der  über  Sein  und  Nichtsein  derselben  entschied.  Derselbe 
muß  also  Schöpfer  im  vollen  Sinne  des  Wortes  sein."^ 

In  dieser  Weise  hat  schon  die  mittelalterliche  Natur- 
philosophie die  Teleologie  aufgefaßt,  wie  Pesch  nach- 
gewiesen hat.^  Wenn  moderne  christliche  Denker  den 
unmittelbaren  Grund  für  das  Zweckmäßige  in  der  Natur 
nicht  in  den  Dingen  selbst,  sondern  ausschließlich  in  Gott 
suchen  wollten,  so  weicht  diese  Auffassung  von  der  in 
der  christlichen  Philosophie  herkömmlichen  wesentlich  ab. 


^  Hettinger,  Apologie  I«  138—139.  Freiburg  1899.  Vgl.  Geyser. 
Gottesproblem  202. 

-  König,  Schöpfung  und  Gotteserkeuntnis  203—309. 

3  Gutberiet.  Apologie  P  191.  Vgl.  Schanz,  Apologie  P  472  f. 
Hammerstein,  Gottesbeweise  228  iL  Pohle,  P.  Secchis  Welt- 
anschauung II  855.  .Katholik"  1883.  Straub.  Der  teleol.  Gottesbeweis 
11  16;  Kant  und  die  natürliche  Gotteserkenntnis.  Phil.  Jahrb.  1899 
u.  a.  m. 

*  Pesch  T.,  Die  Teleologie  in  der  mittelalterlichen  Naturphilosophie. 
St.  aus  M.-Laaeh  12.  (1877)  357  IT. 


1 24  Teleologischer  Gottesbeweis. 

sagt  Pesch.i  Seit  Kant  aber  findet  man  bei  allen 
spekulativen  Bekämpfern  der  physikotheologischen  Beweis- 
führung das  Argument  gerade  in  der  erwähnten  Form 
vorgetragen  und  dann  nicht  ohne  Schein  von  Gründlich- 
keit widerlegt. 

„tibrigens",  sagt  H  a  g  e  m  a  n  n ,  „würde  selbst  dann, 
wenn  man  die  Einwendung  Kants  als  zurecht  bestehend 
zugeben  wollte,  der  teleologische  Beweis  nichts  von  seiner 
Bedeutung  verlieren,  falls  man  ihn  nur  im  Zusammenhang 
mit  dem  kosmologischen  Beweis  faßt.  Hat  letzterer  das 
Dasein  einer  unbedingten,  unendlichen,  unveränderlichen 
und  daher  überweltlichen  Weltursache  dargetan,  so  über- 
zeugt uns  ersterer  von  der  Intelligenz  derselben,  einer 
Intelligenz,  welche  angesichts  der  hohen  Zweckmäßigkeit 
im  großen  und  kleinen  ihresgleichen  nicht  haben  kann."^ 

Mit  der  Betonung  der  inneren  Zweckmäßigkeit  fällt 
auch  der  zweite  Einwand  Kants,  der  teleologische  Beweis 
sei  nur  „Analogieschluß".  „Der  teleologische  Gottesbeweis 
ist  genau  wie  der  kosmologische  ein  Schluß  nach  dem 
Kausalitätsgesetz  auf  Grund  der  empirisch  betrachteten 
Zweckformen  in  der  Welt;  auf  die  Zahl  der  Beobachtungen 
kommt  es  dabei  nicht  an.  Eine  evident  konstatierte 
Zweckform,  wäre  sie  real  oder  nur  ideal,  würde  zur  Frage 
nötigen:  Woher  stammt  sie?""^  „Nicht  eine  zufällige  Ähn- 
lichkeit bildet  den  Angelpunkt  des  Beweises,  sondern  man 
stützt  sich  direkt  auf  die  ausnahmslose  Gültigkeit  des 
Kausalitätsgesetzes.  Es  liegt  im  Wesen  einer  zweckmäßigen 
Ordnung  und  Gliederung,  daß  sie  zu  ihrer  Herstellung 
eine  intelligente  Kraft  unabweisbar  verlangt."^ 


1  Pesch  a.  a.  0.  361.  Vgl.  S.  th.  I  q.  103.  a.  1.  Id  quod  creaturae 
a  Deo  recipiunt,  est  earum  natura,  quod  autem  ab  homine  rebus  natu- 
ralibus  imprimitur  praeter  earum  naturam,  ad  violentiam  pertinet. 

2  Hagemann,  Metaphysik ^  182.  Vgl.  t.  Kirchmann,  Erläu- 
terungen zu  Kants  Kr.  d.  r.  V.-  86.  Berlin  1870:  „Auch  ist  Kants 
Unterscheidung  von  Weltbaumeister  und  Welturheber  nicht  erheblich, 
weil  hier  der  Inhalt  von  der  Form  sich  nicht  trennen  läßt.**  Lehmen, 
Theodizee^  70. 

3  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  149. 

•*  Straub,  Der  teleol.  Gottesbeweis  II  11.  Vgl.  Lehmen,  Theodizee- 


Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis.  125 

Damit  erledigt  sich  von  selbst  die  dritte  Anklage, 
der  teleologische  Beweis  münde  in  den  ontologischen  und 
sei  darum  hinfällig  wie  dieser. 

Ein  anderer  Einwand,  den  der  Skeptizismus  gegen  die 
erste  Prämisse  unseres  Beweises  erhebt,  sei  hier  noch  kurz 
erwähnt.  Man  sagt  nämlich,  die  Tatsächlichkeit  der  zweck- 
vollen Ordnung  im  Kosmos  stehe  keineswegs  unzweifelhaft 
fest,  wir  kennen  nur  ein  sehr  kleines  Stück  Kosmos  und 
dürften  daraus  noch  nicht  folgern,  daß  die  Welt  im  ganzen 
zweckvoll  und  harmonisch  geordnet  sei.^ 

Indes  die  Existenz  und  Kenntnis  eines  einzigen  zweck- 
vollen Werkes  oder  Wesens,  z.  B.  eines  Organismus  genügt, 
um  das  Vorhandensein  einer  schöpferischen  Intelligenz  zur 
unweigerlichen  Notwendigkeit  und  Gewißheit  zu  machen, 
selbst  wenn  dabei  die  ganze  übrige  Welt  ein  Chaos  wäre. 

Zur  Gültigkeit  des  teleologischen  Beweises  ist  durch- 
aus nicht  eine  Kenntnis  des  Gesamtzweckes  oder  eine 
Garantie  für  seine  beständige  und  allseitige  Durchführung 
erforderlich.  Das  wäre  nur  dann  der  Fall,  wenn  sich  der 
Partialzweck  nirgends  ohne  Einsicht  in  den  Totalzweck 
feststellen  und  erkennen  ließe,  was  doch  wohl  niemand 
behaupten  wird.- 

Dieser  Einwand  des  Skeptizismus  führt  uns  hinüber 
zum  Haupteinwand  gegen  die  Teleologie,  der  hergenommen 
wird  von  dem  physischen  und  moralischen  Übel  in  der 
Welt.  Auf  Grund  dieses  Übels  erhebt  sich  als  Haupt- 
gegner des  teleologischen  Beweises  der  Pessimismus. 


69—70.  Hontheim,  Theod.  177—78.  Boedder,  Theol.  nat.  61—62. 
Gutberiet,  Apologetik  P  193—94.  Dippel,  Die  beiden  Grundtragen 
232.     Schill,  Prinzipienlehre  117. 

^  Fr.  Schnitze,  Philosophie  der  Naturwissenschaft  I  70  ff.  Leip- 
zig 1881.  Paulsen,  Einleitung  in  die  Philosophie-  170.  Wundt. 
System  der  Philosophie  439  f.     Lotze,  Mikrokosmos  111  553  fl'. 

2  Straub,  Der  teleol.  Gottesbeweis  II  7—8.  Vgl.  Hontheim, 
Theod.  180—81.     Dippel,  Die  beiden  Grundfragen  232. 


126  Teleologischer  Gottesbeweis. 

ß)  Der  Pessimisnius  als  Gegner  des  teleologischen 

Gottesbeweises. 
'    Schopenhauer,^   Hartmann, ^    auch  Strauß^  sind 
seine  Hauptvertreter. 

Schell  beantwortet  die  Anklagen  des  Pessimismus 
mit  dem  Hinweis  auf  die  innere  Überwindung  von  Schmerz 
und  Tod,  Übel  und  Leid,  indem  sie  keine  feindlichen 
Mächte  für  den  Schöpfer  sind  und  von  diesem  in  den 
Dienst  höherer  Zwecke  gestellt  werden.^  »Wie  das  phy- 
sische Übel  den  Geist  des  Menschen  herausfordert  und 
schärft  und  so  zu  einem  Mittel  der  Kultur  und  Erziehung 
des  Menschengeschlechtes  wird,  so  ist  die  Überwindung 
der  Sünde  und  ihrer  Folgen  die  Riesenaufgabe  des  Men- 
schen in  der  sittlichen  Ordnung,  und  in  der  Lösung  dieser 
Aufoabe  entwickelt  sich  in  den  Graden  und  Stufen  der 
Sittlichkeit  ein  ganzes  Reich  jener  vornehmsten  Teleologie, 
welche  in  der  Verähnlichung  des  Geschöpfes  mit  seinem 
Schöpfer  besteht."-^ 

Das  ph3''sische  und  moralische  Übel  ist  also  nicht  ab- 
solut zwecklos  oder  zweckwidrig. 

Sodann  ist  wohl  zu  beachten,  daß  die  Welt  als  ge- 
schaffene nicht  von  absoluter  Güte  und  Vollkommenheit 
sein  kann,  und  anderseits,  daß  man  kein  Geschöpf  zum 
Ziel  des  Universums  machen  oder  vom  Zweck  des  Welt- 
ganzen losreißen  darf. 

Außerdem  ist  eine  Menge  physischen  und  moralischen 
Übels  in  der  Welt  vom  Menschen  selbst  verschuldet  durch 
Mißbrauch  der  Gottesgabe  der  sittlichen  Freiheit.  Gott 
läßt  die  Mittelursachen  ihrer  Natur  nach  wirken. 


1  Schopenhauer,  Welt  als  Wille  und  Vorstellung  I  §  56 ff.  363  ff. ; 
Parerga  und  Paralipomena  II  303  ff.  398. 

'^  Hartmann,  Pessimismus  63;  Religion  des  Geistes  282;  Philo- 
sophie des  Unbewußten  645  ff. 

3  Strauß,  Glaubenslehre  11  384. 

^  Schell,  Gott  und  Geist  11  428—36.  Vgl.  Schill,  Prinzipienlehre 
120—22.  L.  Fischer,  Das  Problem  der  Welt  und  die  Theodizee.  Mainz 
1883.     Hontheim,  Theod.  185-88. 

5  Schill  a.  a.  0.  122. 


Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis.  127 

Allerdings  ein  volles  Verständnis  von  Grund  und 
Zwecks  des  physischen  und  moralischen  Übels  gibt  uns 
erst  die  Offenbarung. 

„Mit  einem  absoluten  Monismus  wird  das  Rätsel  der 
Sünde  ebensowenig  gelöst  wie  mit  einem  absoluten  Dualis- 
mus; wohl  aber  wird  die  Sache  faßbar  auf  Grund  eines 
relativen  Dualismus,  der  identisch  ist  mit  dem  christlichen 
Theismus.  Das  moralische  Übel  erklärt  sich  danach  als 
eine  Wirkung  oder  besser  als  ein  Defekt  der  freigewollten 
Handlungen  vernünftiger  Geschöpfe.  Es  gibt  im  Universum 
keine  substantielle  Bosheit,"  ^ 

Hierher  gehört  auch  der  Einwand  Langes,  der  gegen 
die  Teleologie  „die  Vergeudung  von  Lebenskeimen"  geltend 
macht,2  sowie  überhaupt  das  Kapitel  von  den  sog.  „Dys- 
teleologien". 

Aber  diese  angeblichen  Zwecklosigkeiten,  sagt  Pesch, 
gehören  in  die  allgemeine  Ordnung  der  bestehenden  (kon- 
tingenten)  Welt  hinein.  Die  ganze  Natur  ist  im  Interesse 
der  Gesamtheit  von  einem  doppelten  Prinzip  durch- 
waltet: sie  ist  sparsam,  ohne  aber  knickerig  zu  sein, 
sie  bekundet  ihren  Reichtum,  ohne  verschwenderisch 
zu  sein.-' 

„Die  individuelle  Zwecklosigkeit  ist  noch  keine  schlecht- 
hinige, sondern  oft  für  allgemeine  (Art-) Zwecke  sehr  dien- 
lich, wenn  auch  zeitweilig  latent.  In  einem  Reiche  des 
Lebens,  wo  das  eine  dem  andern  dient,  wo  das  eine  oft 
dem  andern  zur  Nahrung  werden  muß,  können  die  der 
Erhaltung  dienenden  Einrichtungen  nur  relativ  vollkommen 
sein,  nicht  aber  absolut,  so  daß  die  Abhängigkeit  und 
Ernähruno^smöglichkeit  aufhörte.  Zur  Zweckmäßigkeits- 
gestaltung  gehört  es  geradezu,  daß  bei  der  Konkurrenz 
der  Zwecke  die  niederen  den  höheren,  die  individuellen 
Zwecke  dem  der  Art  im  allf^emeinen  weichen."  ' 


1  Vgl.  Straub,  Der  teleol.  Gottesbeweis  II  62. 
-  Lange,  Geschichte  des  Materialismus  II 2  246. 
a  Pesch,  St.  aus  M.-Liach  11.  306  (1876). 
^  Weber,  Apologetik  69—70. 


128  Teleologischer  Gottesbeweis. 

So  wird  die  getadelte  Keimvergeudung  zur  eminent 
zweckmäßigen  Einrichtung,  dient  der  Erhaltung  der  Art 
wie  überhaupt  des  Gleichgewichtes  in  der  Xatur.^ 

Darum  dürfen  wir  nicht  voreilig  etwas  zwecklos  oder 
zweckwidrig  nennen,  dessen  Zweck  wir  nicht  kennen. 

Der  christliche  Theismus  kann  von  seinem  Standpunkt 
die  angeblichen  Mängel  und  Unvollkommenheiten  im  Uni- 
versum erklären,   nicht  aber  kann   dies  der  Pantheismus. 

Noch  haben  wir  den  schroffsten  Gegner  der  Teleologie 
nicht  genannt :  den  mechanischen  Monismus. 

y)  Der  mechanische  Monismus  als   Gegner 
des  teleologischen  Gottesbeweises. 

Er  erklärt  die  angebliche  Zweckmäßigkeit  und  Ziel- 
strebigkeit für  Schein  und  Dichtung,  Stoff  und  Bewegung 
als  das  hinreichende  Erklärungsprinzip  aller  Welterschei- 
nungen. Die  Materie  ist  ewig,  der  Weltprozeß  verläuft 
mit  mechanischer  Notwendigkeit  und  schließt  jede  Teleo- 
logie aus. 

Der  mechanische  Monismus  leugnet  die  Teleologie, 
weil  sie  unverträglich  sei  mit  dem  kosmologischen  Mecha- 
nismus, er  nimmt  an,  die  teleologische  Weltbetrachtung 
verwerfe  die  Mechanik.  Doch  dem  ist  nicht  so.  Der  Zweck 
durchbricht  nicht  den  Mechanismus,  sondern  fordert  viel- 
mehr eine  ununterbrochene  Kette  mechanischer  Ursachen 
und  Wirkungen.  „Die  Mechanik  zeigt  uns  die  Mittel,  deren 
sich  die  Natur  zur  Erreichung  ihrer  Zwecke  bedient.  Der 
Zweck  liegt  über  der  Mechanik,  ist  aber  nicht  übernatür- 
lich, sondern  den  Dingen  als  Prinzip  der  Ordnung  und 
Harmonie  eingeschaffen."-  Teleologie  und  Mechanik 
schließen  sich  nicht  aus,  sondern  bezeichnen  nur  ver- 
schiedene Ursächlichkeit.  Beides  sehen  wir  vereinigt  bei 
der  Zwecktätigkeit  der  menschlichen  Vernunft;  Zweck  und 
Mechanik  kann  sich  also  nicht  innerlich  widersprechen. 


1  Straub,  Der  teleol.  Gottesbeweis  H  57—64.  Vgl.  Hontheim, 
Theod.  181  —  184.  König,  Schöpfung  nnd  Gotteserkenntnis  237  —  256. 
Schill,  Prinzipienlehre  122—126. 

2  Schanz,  Apologie  P  453.     Vgl.  Fesch,  Welträtsel  IP  362. 


Einwände  gegen  den  teleologischen  Goltesbeweis,  129 

Darum  hat  auch  die  tiefere  Ergründun«^  des  kosmo- 
logischen  Mechanismus  den  Zusammenhang  zwischen  der 
Weltordnung  und  einer  außerweltlichen  Intelligenz  keines- 
wegs erschüttert.  Nirgends  in  der  Welt  kommt  man  aus 
mit  der  bloßen  Mechanik;  jede  Erscheinung,  jedes  Element, 
jedes  Gesetz  weist  hin  auf  eine  frei  waltende,  machtvolle 
Intelligenz,  welche  bei  jeder  Einrichtung  aus  unendlich 
vielen  Möglichkeiten  gerade  diese  Massen  und  Qualitäten 
ins  Dasein  setzte  und  zu  einer  harmonischen  Gesamtwirkung 
zusammenstimmte.  ^ 

Abgesehen  davon,  daß  der  Weltstoff  in  Anbetracht 
seiner  Eigenschaften  unmöglich  ewig  sein  kann,  hat  der 
mechanische  Monismus  keine  Antwort  auf  die  Frage  nach 
dem  Ursprung  der  Bewegung  und  insbesondere  nach  dem 
Ursprung  des  Lebens  und  des  Geistes  und  der  sittlichen 
Ordnung.  Allerdings  glaubt  man  in  der  Darwinischen 
Transmutationsh^^pothese  die  endgültige  Lösung  des  Rätsels 
des  organischen  Lebens  und  Werdens,  dies  Geheimnis  der 
Zweckmäßigkeit  ohne  Einmischung  von  Intelligenz  durch 
das  blinde  Walten  eines  Naturgesetzes  entdeckt  zu  haben. - 

Da  erhebt  sich  nun  die  Frage:  Hat  die  Darwinische 
Hypothese  wirklich  die  Zielstrebigkeit  beseitigt? 

Eine  unbefangene  Prüfung  der  Darwinischen  Selek- 
tionstheorie antwortet  verneinend  auf  diese  Frage.  Im 
Gegenteil:  der  Darwinismus  kann  der  Zielstrebigkeit 
schlechterdings  nicht  entraten,  bedarf  vielmehr  der  Ziel- 
strebigkeit, 

1.  um  den  Ursprung  der  Organismen  zu  erklären;  die 
Naturkräfte  mußten  einmal  nach  bestimmten  Gesetzen  in 
Bewegung  geraten,  um  in  chemisch  organische  Verbindung 
zu  treten; 

2.  zur  Erklärung,  warum  durch  unzählige  Generationen 
hindurch  die  einmal  einü^eschlaaene  Richtung  fortschreiten- 

O  CT*  CT 

der  Transmutation  beibehalten  wurde; 


*  Straub,  Der  teleol.  Gottesi)eweis  II  22.    Vgl,  Hagemann,  Meta- 
physik ^  180—81. 

•'  Vgl.  Fesch  T.,  Welträtsel  P  323. 

btaab,  Gottesbeweise  in  der  kath.  Literatur.  9 


130  Teleologischer  Gottesbeweis. 

3.  um  zu  erklären,  wie  der  Gebrauch  der  gebrauchten 
Organe  nicht  wieder  „herabentwickelt"  wurde,  da  doch  der 
mechanische  Gebrauch  abnutzt; 

4.  zur  Erklärung  jener  Reihen  von  Durchgangsstadien, 
die  in  den  langwierigen  Prozessen  für  die  gleichzeitige 
Entwicklung  eher  hinderlich  als  nützlich  sind,  da  ja  das 
Passende  nicht  am  Ende  der  Entwicklung  liegt; 

5.  zur  Erklärung  der  morphologischen  Eigentümlich- 
keiten, welche  im  Kampfe  ums  Dasein  nicht  den  aller- 
mindesten  Vorteil  gewähren,  überhaupt  zur  Erhaltung  des 
Individuums  in  keiner  Beziehung  stehen. 

6.  Nur  aus  der  Zielstrebigkeit  läßt  sich  die  Erblich- 
keit, namentlich  die  Vererbung  erworbener  Abweichungen 
und  die  damit  zusammenhängende  Anpassung  erklären, 
sowie  die  Entstehung  der  bestimmten  Spezies  und  all  der 
anderen  Eigentümlichkeiten,  die  der  Darwinismus  voraus- 
setzt wie  das  Prinzip  der  wachsenden  Stabilität,  Korrelation 
der  Teile,  stetige  Fortbildung  zum  Vollkommenen. ^ 

Kurz  alle  Darwinischen  Prinzipien  sind  durchaus 
teleologisch. 

„Darwin  kann  für  das  Walten  in  der  Natur  eines  ein- 
heitlichen intelligenten  Prinzips  nicht  entbehren.  Der 
Zufall  genügt  weder  für  den  Anfang  noch  für  die  Fort- 
entwicklung; denn  er  ist  überhaupt  keine  Ursache  und 
könnte  es  unmöglich  zu  einer  objektiven  Ordnung  bringen, 
wie  eine  solche  tatsächlich  und  anerkanntermaßen  vor- 
handen ist  .  .  .  Bloß  ein  intelligentes  Prinzip  hätte  aus 
dem  Chaos  unzählbarer  möglicher  Kombinationen  der 
vorhandenen  Elemente  die  beste  Auswahl  getroffen,  die 
Entwicklungszustände  in  die  notwendige  Abhängigkeit 
gebracht  und  den  Endzustand  vorbereitet  und  eingeleitet. 
In  seinem  Plane  wäre  der  Kampf  ums  Dasein  ein  Mittel 
gewesen,  das  Vollkommene  vor  dem  Unvollkommenen   zu 


'  Vgl.  Pesch,  Zweckerstrebung  in  der  Natur.  St.  aus  M.-Laach  12. 
93  (1877).  Vgl.  Pesch,  Welträtsel  11-^  259  —  271.  Schell,  Gott  und 
Geist  II  216  —  258.  Mayer,  Der  teleologische  Gottesbeweis  und  der 
Darwinismus  107 — 272. 


Einwände  gegen  den  teleologischen  Gottesbeweis.  131 

sichern  und  die  aufsteigende  Stufenleiter  deutlich  zu 
machen."  ^ 

„Mag  es  darum  sein,"  bemerkt  Hertling,-  „daß  die 
teleologische  Betrachtung  allzu  rasch  war,  wenn  sie  in 
der  Harmonie  zwischen  den  mannigfach  organisierten 
Pflanzen-  und  Tierarten  und  den  Bedingungen  ihres  Le- 
bens überall  schon  den  Beweis  für  die  Wirksamkeit  einer 
nach  Zwecken  tätigen  Macht  in  der  Natur  erblicken 
wollte.  Möge  diese  Anpassung,  die  uns  jetzt  mit  dem 
Scheine  vorherbestimmter  Zweckmäßigkeit  überrascht, 
vielfach  nur  das  endliche  Resultat  eines  langsamen,  nach 
mechanischen  Gesetzen  fortgeschrittenen  Prozesses  sein. 
Es  ist  darum  der  Zweck  dennoch  nicht  aus  der  Natur 
beseitigt.  Er  kündigt  sich  an  in  diesem  Prozesse  selbst, 
den  wir  uns  in  stetigem  Fortschritt  zum  Vollkommeneren 
begriffen  denken  sollen.  Er  beherrscht  die  einzelnen 
Schritte  des  Prozesses,  wenn  in  ihm  das,  was  an  sich  ohne 
Wert  für  das  Leben  und  darum  ohne  eigenes  Recht  auf 
Dauer  ist,  gehegt  und  entwickelt  wird,  um  des  zukünftigen 
Wertvollen  willen,  worauf  es  vorbereitet.  Er  offenbart 
sich  endlich  unzweideutig  überall  da,  wo  das  Ganze,  das 
durch  einzelne  Teile  verwirklicht  wird,  und  das  Resultat, 
für  welches  die  Mittel  schon  im  voraus  vorhanden  sind, 
einer  höheren  Ordnung  als  der  bloßen  Erhaltung  des 
physischen  Lebens  dienen. 

Wo  aber  in  der  Welt  Zwecke  sich  zeigen,  da  be- 
zeichnen sie  ebenso  viele  Grenzen  der  mechanischen  Natur- 
erklärung." 


•  Schanz,  Apologie  P  453.  Straub,  Der  teleol.  GoUesbeweis 
I  23—53.  Vgl.  Gutberiet,  Monismus  248  IT.,  der  daselbst  mit  Hilfe  der 
Wahrscheinlichkeitsrechnung  darzutun  sucht,  daß  liir  die  Annahme  einer 
zufälligen  Entstehung  der  Ordnung  und  Zweckmäßigkeit  eine  unendlich 
geringe  Wahrscheinlichkeit  besteht. 

-  Hertling  G.  v.,  Über  die  Grenzen  der  mechanischen  Natur- 
erklärung 74.    Bonn  1875. 


132  Teleologischer  Gottesbeweis. 

&)  Der  Psychismus   als  Gegner  des  teleologischen 
Gottesbeweises, 

Der  mechanische  Monismus  kann  die  in  der  Welt 
herrschende  Zielstrebigkeit  nicht  erklären.  Auf  eine 
bessere  Weise  sucht  man  darum  heute  das  Rätsel  der 
Teleologie  ohne  die  Annahme  eines  persönlichen  Gottes 
zu  lösen,  nämlich  dadurch,  daß  man  sich  die  Atome  als 
beseelt  denkt,  als  begabt  mit  Erkenntnis  und  Geisteskraft. 
„Unter  dem  mechanischen  Vertrieb  gestoßener  Atome, 
unter  dem  gefühllosen  Ringen  toter  Stoffe,  unter  dem 
herzlosen  Walten  einer  unabänderlichen  Notwendigkeit 
will  der  Tiefblick  der  Forscher  einen  unbeschreiblichen 
Reichtum  von  Empfindung  und  Gefühl,  von  Leben  und 
Geist  entdeckt  haben.  Ein  Erkennen,  Empfinden,  Wollen 
soll  das  Wesen  eines  jeden  Dinges  ausmachen.  Nicht  als 
tote  Bausteine,  sondern  als  intelligente  Baumeisterlein 
sollen  wir  die  Atome  zu  betrachten  haben,  keine  Mechanik 
mit  eisernem  Zwang,  sondern  ein  buntes  Leben  und  Weben 
individueller  geistiger  Kräfte  in  der  großartigen  Erschei- 
nungswelt anstaunen."^ 

Die  Teleologie  würde  damit  zur  Autoteleologie,  und  damit 
glaubt  man,   des  persönlichen  Gottes  entraten  zu  können. 

P  e  s  c  h  prüft  nun  die  psychistische  Naturerklärung 
auf  ihre  Berechtigung,  indem  er  eingehend  die  Gründe 
erörtert,  die  von  verschiedenen  Seiten  für  diese  Natur- 
auffassung geltend  gemacht  werden.  So  behandelt  er  der 
Reihe  nach  folgende  Punkte:  „Der  Psychismus  als  vor- 
geblich notwendiges  Komplement  des  Mechanismus";  „der 
Ps.  als  Komplement  zum  Naturstreben  der  Dinge";  „die 
Schopenhauersche  Begründung  des  Psychismus";  „das 
Offenbar  werden  der  Natur  aller  Dinge  im  Menschen"; 
„die  psychische  Begabung  aller  Dinge  als  Erfordernis  der 
Psychologie";  „der  Psychismus  als  begründet  im  Mecha- 
nismus"; „der  Psychismus  als  Postulat  der  einheitlichen 
Naturbetrachtung".- 


»  Vgl.  Pesch  T.,  Die  großen  Welträtsel  1^  456. 
^  Pesch  a.  a.  0.  465—499. 


Das  theologische  (thaumatologische)  Argument.  133 

Das  Resultat,  zu  dem  er  hierbei  gelangt,  legt  er  nieder 
in  diesen  Worten:  „Durch  diese  Darlegung  ist  die  Frage, 
ob  überhaupt  die  Natur  der  Dinge,  welche  der  Grund  ihres 
gesetzlichen  Verhaltens  ist,  als  empfindend  oder  gar  als 
intelligent  aufzufassen  sei,  ohne  weiteres  erledigt.  Man 
braucht  —  das  ist  unser  ceterum  censeo  —  in  jedem  Ding 
nur  einen  dessen  Wirken  bestimmenden  Grund  anzunehmen, 
einen  Grund,  welcher  deshalb  regelt  und  bestimmt,  weil 
er  ein  reales  Mandat  Gottes  ist.  Das,  und  nur  das,  ent- 
spricht den  Tatsachen.  Die  vielen  Dinge  mit  ihren  viel- 
fachen Strebigkeitsgründen  sind  in  geordneter  Abstufung 
von  einer  alles  umfassenden  und  das  Sein  selber  ver- 
leihenden Intelligenz  ins  Dasein  gerufen;  sie  sind  von 
Grund  aus  zur  Hervorbringung  der  einheitlichen  Ordnung 
des  Kosmos  hingeordnet.  Aber  durch  sämtliche  beobachteten 
Tatsachen,  durch  die  Vielheit  und  Beschränktheit  der 
Einzeldinge  ist  die  Möglichkeit  ausgeschlossen,  den  Dingen 
selbst  diese  Intelligenz  zuzuschreiben.  Die  Welt  weist  un- 
weigerlich hin  auf  eine  Urintelligenz  und  bekundet  ebenso 
unweigerlich,  daß  sie  selbst  diese  Urintelligenz  nicht  ist."^ 

Das  theologische  (thaumatologische)  Argument. 

Der  Gottesbeweis   aus  den  übernatürlichen 
"Werken  Gottes. 

Im  Anschluß  an  das  physikotheologische  Argument 
bringen  manche  noch  einen  Gottesbeweis  aus  den  über- 
natürlichen Werken  Gottes  und  verstehen  unter  letzteren 
vor  allem  Wunder  und  Weissagungen.  Darum  wird  der 
Beweis  gewöhnlich  genannt:  „argumentum  ex  miraculis" 
oder  auch  thaumatologischer  Gottesbeweis.- 
Dieser  Beweis  schließt  folgendermaßen : 
Es  existiert  in  der  Welt  eine  Reihe  von  übernatür- 
lichen Tatsachen,  die  nicht  weniger  als  andere  geschicht- 


'  Pesch  a.  a.  0.  504. 

-  Vgl.  Hont  heim,   Theod.    202  sq.     Boedder.   Theol.  nat.   68  sq. 
Pesch  (Praelect.  dogm.  11-)  nennt  ihn  den  , theologischen". 


134  Das  theologische  (thaumatologische)  Argument. 

liehe,  natürlicherweise  erkennbare  Tatsachen  sind.  Dahin 
gehören  Wunder,  Weissagungen,  die  Geschichte  des  israe- 
litischen Volkes,  Ursprung  und  Verbreitung  der  christlichen 
Religion  fast  ganz  ohne  menschliche  Hilfsmittel  und  trotz 
heftigster  Bekämpfung,  die  durch  das  Christentum  bewirkte 
sittliche  Umwandlung  der  Welt. 

Im  Bereich  der  geschaffenen  Dinge  ist  keine  genügende 
Ursache  hierfür  zu  finden. 

Darum  muß  notwendigerweise  ein  Wesen  angenommen 
werden,  das  außer  dem  Bereich  der  geschaffenen  Dinge 
steht,  unendlich  mächtig,  unendlich  weise  usw.  ist;  das 
ist  Gott. 

Dieses  Argument  beruht  also  auf  denselben  Voraus- 
setzungen und  Prinzipien  und  vollzieht  sich  durch  dieselbe 
Schlußfolgerung  wie  die  Gottesbeweise  aus  den  Werken 
Gottes  in  der  natürlichen  Ordnung,  hat  aber  nach  Hein- 
rich einen  doppelten  Vorzug  vor  den  Argumenten  aus 
der  natürlichen  Ordnung.  Es  legt  nämlich,  weil  beruhend 
auf  den  ühernatürlichen  Werken  Gottes,  die  an  sich  voll- 
kommener sind  als  die  natürlichen,  vollkommeneres  Zeug- 
nis für  Gott  ab  und  offenbart  vollkommener  dessen  Eigen- 
schaften, sodann  tritt  uns  in  den  übernatürlichen  Werken 
die  Erhabenheit  und  Freiheit  der  göttlichen  Tätigkeit  im 
Gegensatz  zu  den  allgemeinen  Naturgesetzen  in  über- 
wältigender Unmittelbarkeit  entgegen,  während  die  all- 
gemeine göttliche  Ursächlichkeit  unter  der  Regelmäßigkeit 
des  Naturlaufs  sich  einer  oberflächlichen  Auffassung 
verbirgt.^ 

„Diese  Offenbarung  Gottes  in  objektiv  übernatürlichen, 
aber  natürlich  wahrnehmbaren  Erscheinungen  ist  durch 
ihre  selbständige  und  eigentümliche  Kraft  auch  besonders 
geeignet,  die  auf  der  ordentlichen  Einwirkung  Gottes 
beruhende  Erkenntnis  sowohl  zu  wecken  und  zu  beleben, 
wie  sie  zu  erweitern  und  zu  ergänzen.  Ersteres  tut  sie 
in  den  physischen  Wundern  und  Weissagungen,  in  welchen 


1  Heinrich,    Dogmatik  IIP  253—256.     Vgl.   Hontheim,    Theod. 
203—204. 


Psychologische  Gottesheweise.  13o 

Gott  als  frei  über  die  Natur  schaltende  höchste  Macht 
und  als  die  die  Freiheit  des  Menschen  überwachende 
Weisheit  sich  zeigt;  das  letztere  tut  sie  in  den  ethischen 
Wundern  heroischer,  übermenschlicher  Liebe  und  Heilig- 
keit, worin  sich  die  sittlichen  Eigenschaften  Gottes  lebhaft 
vor  Augen  stellen."  ^ 

B. 

Gottesbeweise  aus  dem  ilikrokosinos. 

Psychologische  Gottesbeweise. 

Noch  weit  mehr  als  der  Makrokosmos,  die  sinnenfällige 
Welt,  trägt  der  Mikrokosmos,  der  vernünftige  Menschen- 
geist Gottes  Spur  an  sich,  spiegelt  die  Gottheit  wider. 
Wir  können  darum  aus  der  Betrachtung  der  Innenwelt 
unseres  Geistes  ein  verstärktes  Zeugnis  für  das  Dasein 
Gottes  finden.  Ja  „hier  wird",  wie  Ender t  sagt,  „der  Beweis 
am  konkretesten,  zwingendsten,  lichtvollsten,  weil  er  sich 
aufbaut  über  dem  Fundament  der  uns  unmittelbaren  Tat- 
sache, über  dem  Bewußtsein  unserer  Akte". 

„Der  sich  selbst  gegenwärtige,  auf  sich  selbst  reflek- 
tierende Geist  ist  sich  hier  selbst  der  Stützpunkt,  er  ist 
der  Pfeiler,  welcher  den  Bogen  trägt,  den  er  vom  Dies- 
seits ins  Jenseits  hinüber  spannt.  Er  ist  nicht  mehr  bloß 
das  Auge,  welches  in  die  Außenwelt  hineinblickt  und  in 
ihr  ein  mattes,  dunkles  Spiegelbild  göttlicher  Macht  und 
Weisheit  erschaut,  er  ist,  indem  er  auf  sich  selbst  reflektiert, 
Auge  und  Spiegel  zugleich,  und  in  demselben  Maße,  wie  er 
die  bewußtlose  Natur  an  Vollkommenheit  überragt,  in  dem- 
selben Maße  übertrifft  das  Spiegelbild  Gottes,  das  in  ihm 
erscheint,  an  Klarheit  und  Schärfe  jenes,  welches  in  der 
äußeren  Natur  sich  darstellt.  Hier  beobachtet  er  in  den 
Grundmanifestationen  seines  geistigen  Wesens  den  Wider- 
schein einer  den  endlichen  Geist  weit  überragenden 
Wesenheit  .  . 


J  Sehe  eben    Dogmatik  I  473. 


136  Ideologischer  Gottesbeweis. 

Das  Rätsel  des  Daseins  eines  vernünftigen,  sittlicti 
freien  Geistes  in  der  Natur  und  in  allseitiger  Beziehung  zu 
derselben  löst  nur  das  Dasein  eines  persönlichen  Gottes, 
der  die  vernünftige  Kreatur  sowohl  wie  die  dieselbe  um- 
gebende Natur  geschaffen  und  durch  die  Natur  den  Geist 
nach  Vernunft  und  Willen  zu  sich  als  der  höchsten  Wahr- 
heit und  dem  höchsten  Gut  hin  bewegt."  ^ 

Die  neuere  Apologetik  widmet  darum  den  psycholo- 
gischen, auch  anthropologischen  genannten  Gottesbew^eisen 
eine  besondere  Aufmerksamkeit.  Sie  betrachtet  hierbei 
entweder  den  einzelnen  Menschengeist  nach  seinen  intel- 
lektuellen Vermögen  und  sittlichen  Anlagen,  nach  seinem 
Wesen  und  seinen  Wesenskräften  Denken  und  Wollen  und 
schließt  daraus  auf  Gott  als  oberste  Wahrheit  und  höchstes 
Gut,  als  Grund  aller  Erkenntnisse  und  Urheber  der  sitt- 
lichen Ordnung  in  dem  sog.  noetischen  und  ideologischen 
und  moralischen  (ethischen)  Gottesbeweis;  oder  sie  faßt 
den  Ausdruck  all  dieser  auf  Gott  hinweisenden  Anlagen 
des  menschlichen  Geistes  in  der  Geschichte  der  Menschheit 
überhaupt,  in  dem  Zeugnis  der  Völker  für  Gott  ins  Auge 
und  erhält  so  den  historischen,  auch  ethnologischen  oder 
religiösen  genannten  Gottesbeweis. 

Neuntes  Kapitel. 

Ideologischer  Gottesbeweis. 

a)  Gewöhnliehe  Fassung*. 

Der  gewöhnlich  -  sogenannte  ideologische  Gottesbeweis 
geht  aus  von  der  Existenz  der  Wahrheit  und  dem  eigen- 
tümlichen und  unzerstörbaren  Verhältnis  des  Menschen- 
geistes zur  Wahrheit. 


1 


^  V.  Endert,  Der  Gottesbevveis  in  der  patristischen  Zeit  17—19. 
Freiburg  1869. 

-  Manche  gebrauchen  eine  andere  Bezeichnung,  so  z.  B.  nennt  ihn 
Schill  den  „noetischen"  Gottesbeweis  (Prinzipienlehre  127),  Weber 
(Christi.  Apologetik  71)  den  „noologischen",  Fesch  (Praelectiones  dogm. 
11-  21}  den  „ontologischen^ 


Gewöhnliche  Fassung.  l'^7 

Es  gibt  außer  den  wirklich  existierenden  Dingen  ein 
Reich  der  Wahrheit,  d.  h.  „eine  Summe  von  Prinzipien 
oder  objektiven  Urteilen,  deren  Gewißheit  und  Notwendig- 
keit unbestritten  und  für  jedermann  einleuchtend  ist'V 
wie  die  logischen,  mathematischen,  metaphysischen  und 
moralischen  Grundideen. 

Diese  Wahrheiten  existieren  unabhängig  von  unserem 
Denken.  Obwohl  sie  formell  nur  in  unserer  Erkenntnis 
existieren,  sind  sie  nicht  etwas  rein  Subjektives,  ein  sub- 
jektives Denkgebilde,  ein  Produkt  unserer  Vernunft.  Wir 
erkennen  die  Wahrheit,  aber  wir  schaffen  sie  nicht.  Sie 
ist  notwendig  und  allgemein,  wandellos  und  ewig.  Sie  hat 
eine  von  unserem  Geiste  unabhängige  Realität,  objektive 
Gültigkeit,  geht  aller  menschlichen  Vernunft  und  ihrer 
Tätigkeit  logisch  und  ontologisch  voran.  Die  Wahrheit 
ist  auch  unabhängig  von  den  Dingen  selbst,  sie  entsteht 
und  vergeht  nicht  mit  den  Dingen. 

Obwohl  aber  die  Wahrheit  unabhängig  ist  von  unserem 
Denken  und  vom  Sein  der  Dinge,  so  ist  doch  das  Sein 
der  Dinge  und  unser  Denken  nicht  unabhängig  von  der 
Wahrheit. 

Die  Wahrheit  übt  auf  das  Sein  der  Dinge  und  auf 
unser  Denken  eine  absolute  Herrschaft  aus.  So  müssen 
sich  beispielshalber  alle  Wesen  dem  Prinzip  der  Identität 
oder  des  Widerspruchs  oder  der  Kausalität  fügen.  Alles 
richtige  Denken  ist  nur  Nachdenken  dessen,  was  wahr  ist, 
ohne  daß  es  von  uns  qedacht  wurde  und  vor  allem  mensch- 
liehen  Denken.  Wir  können  nur  richtig  denken,  wenn  wir 
den  logischen  Grundgesetzen  unbedingt  folgen.  „Die  Denk- 
gesetze stehen  also  über  dem  Geiste,  dessen  Leitregeln  sie 
sind,  aber  auch  über  den  Dingen,  die  in  ihrer  Realität 
gemäß  den  in  den  Denkgesetzen  im  Bewußtsein  erkannten 
Regeln  gestaltet  und  geordnet  sind."- 

Ebenso  übt  die  Wahrheit  ihre  Herrschaft  über  den 
Geist  dadurch  aus,  daß  sie  ihn  anspornt,  nach  ihr  zu 
forschen  und  erst  in  ihrem  Besitz  zu  ruhen. 


»  Lehmen.  Theodizee-  52.  -  Weber,  Christi.  Apologetik  71. 


138  Ideologischer  Gottesbeweis. 

Diese  genannten  psychologischen  Tatsachen:  die  Exi- 
stenz der  Wahrheit,  die  Unabhängigkeit  derselben  von 
unserem  Denken,  ihre  beherrschende  Macht  über  das 
Denken  fordern  einen  genügenden  Erklärungsgrund.  Der 
Grund  für  die  reale  Macht  der  Wahrheit  muß  selbst  ein 
realer  sein,  muß  Urgrund  aller  Wahrheit  sein,  muß  die- 
selben Eigenschaften  wie  die  Wahrheit  haben,  d.  h.  ewig, 
unveränderlich,  notwendig  und  absolut  unabhängig  sein. 
„Die  Wahrheit  kann  diese  Herrschaft,  sei  es  mittelbar 
oder  unmittelbar  nur  üben,  wenn  sie  als  solche  über  den 
Dingen  und  von  ihnen  unabhängig  für  sich  als  das 
schöpferische  Prinzip  derselben  existiert,  wenn  es  eine 
wesenhafte,  nicht  nur  passive,  sondern  aktive,  also  sich 
selbst  denkende,  schöpferische,  absolute,  unendliche  Wahr- 
heit gibt;  d.  h.  wenn  der  absolute  Geist,  Gott,  also  Schöpfer 
der  Welt  ist."i 

Gott  steht  aber  nicht  unter  der  Wahrheit,  er  ist  die 
Wahrheit.  „Dies  läßt  sich  nur  so  denken,  daß  jenes  Wesen 
das  Urbild  aller  möglichen  Wesenheiten  ist,  welche  nur 
dadurch  das  sind,  was  sie  sind,  daß  sie  eine  jede  auf  ihre 
Weise  und  in  bestimmten  Grad  jenes  Urbild  darstellen." - 

„Es  ist  darum  nicht  sowohl  die  Wahrheit  an  sich,  als 
vielmehr  Gott,  die  ewige,  in  sich  selbst  gründende,  absolute 
Wahrheit,  der  allem  Denken  und  Sein  das  Gesetz  der  Wahr- 
heit auflegt,  wie  dem  Reiche  des  Physischen  die  Natur- 
gesetze. Darum  ist  wie  der  Schluß  von  der  Welt  auf  ihren 
Urheber,  so  auch  jener  vom  Wahrheitsgedanken  des  ge- 
schaffenen Geistes  auf  die  Urintelligenz  stringent."-^  Gott 
actus  purissimus. 


I 


1  Weber,  Christi.  xA.pologetik  72. 

-  Gutberiet,  Apologetik  P  197. 

^  Schill,  Prinzipienlehre  129—130;  vgl.  überhaupt  127—130.  Vgl. 
Dippel,  Die  beiden  Grundfragen  253  f.  Hettinger,  Apologie  I^  142— 
148.  Hontheim,  Theod.  123  —  129.  Boedder,  Theol.  nat.  48  —  51. 
Gutberiet,  Apologetik  P  195—198.  Hagemann,  Metaphysik^  183. 
Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur  Gottheit  97  —  104.  Lehmen, 
Theodizee-  50 — 56. 


Der  ideologische  Gottesbeweis  i)ei  Schell.  139 

b)  Der  ideologische  Gottesbeweis  bei  Schell. 

Auch  bei  Schell  finden  wir  an  der  Spitze  der  psy- 
chologischen Gottesbeweise  ein  Argument,  das  den  Namen 
„ideologischer  Gottesbeweis"  ^  trägt.  Doch  hat  der  Beweis 
bei  Schell  eine  ganz  andere  Form,  so  daß  wir  ihn  eigens 
behandeln  müssen. 

Schell  führt  den  ideologischen  Beweis  aus  dem  „vor- 
stellenden Bewußtsein",  „schließt  vom  bedingten  Be- 
wußtsein der  menschlichen  Seele  auf  das  absolute,  selbst- 
bestimmte, schöpferische  Bewußtsein,  auf  Gott".- 

„Der  ideologische  Gottesbeweis  geht  von  der  Tatsache 
aus,  daß  uns  die  Welt  der  Gegenstände  durch  einen  ganz 
eigentümlichen  Vorgang,  durch  Empfindung,  Vorstellung 
und  Denken,  in  der  Innerlichkeit  unserer  Seele  bewußt 
oder  gegenständlich  wird."'^ 

„Die  Tatsache  des  Bewußtseins  ist  aber  in  keiner  Weise 
aus  der  Natur  oder  der  mechanischen  Naturnotwendigkeit 
verständlich  zu  machen,  und  zwar  weder  als  Anlage  und 
Wechselbeziehung  zwischen  Natur  und  Seele,  noch  als 
Gesetz  und  Kunst  der  Ideenbildung,  noch  in  seiner  Be- 
deutung als  Zweck  der  gesamten  Wirklichkeit  sowie  ihrer 
geordneten  Mannigfaltigkeit  und  Pracht  .  .  . 

Zu  erklären  ist  nämlich  die  tatsächliche  Scheidung 
des  Universums  in  eine  Welt  der  gegenständlichen  Schön- 
heit, der  Wahrnehmungsgegenstände,  und  in  eine  Welt  der 
darstellenden  bewußten  Kunst,  der  wahrnehmenden  Seelen, 
und  zwar  so,  daß  die  Gegenstände  geeignet  sind,  die 
schlummernde  Anlage  der  Ideenbildung  in  den  Seelen  zu 
erw^ecken,  obgleich  die  Natur  an  sich  nichts  als  der  kahlste, 
aller  .  höheren  Schönheitsformen  entbehrende  Wirbel  der 
Atome  ist.  Weder  irgendein  Bedürfnis  noch  eine  mecha- 
nische Notwendigkeit  ist  als  hinreichender  Erklärungsgrund 
der  Scheidung  denkbar  .  .  . 

Keine  monistische  Entwicklungslehre  vermag  das  Be- 
dürfnis   nach    dem   Bewußtsein    darzutun  .  .  .    Denn   von 


'  Schell,  Gott  und  Geist  IL  473—499. 
•'  A.  a.  0.  I  214.  ^  A.  a.  0.  II  473. 


140  Ideologischer  Gottesbeweis. 

ihrem  Standpunkt  aus  .  .  .  hat  das  Bewußtsein  nur  die 
verhängnisvolle  Folge,  daß  mit  ihm  der  Schmerz  und  das 
Leiden  seinen  Einzug  in  die  Schöpfung  feiert  und  gerade 
den  Kampf  ums  Dasein  zum  Übel  aller  Übel  macht  .  .  . 
Die  hinreichende  Ursache  dieser  Scheidung  und  Wechsel- 
beziehung kann  nicht  in  der  Natur  liegen;  denn  das 
Bewußtlose  kann  aus  sich  weder  die  Anlage  noch  die  er- 
wachende Tat  des  Bewußtseins  hervorbringen  .  .  .;  auch 
nicht  in  der  Seele,  denn  sie  ist  aus  sich  nur  schlum- 
mernde Anlage.  Die  wahre,  also  die  höchste  Ursache  muß 
die  zu  erklärende  Wirkung  in  sich  enthalten,  um  sie  in 
verständlicher  Weise  hervorzubringen  .  .  . 

Prinzip  der  Vervielfältigung,  der  Mannigfaltigkeit  und 
des  Reichtums  an  Formen,  Gegensätzen  und  Wechsel- 
beziehungen ist  nur  der  denkende  Geist  .  .  . 

So  kann  auch  die  Scheidung  des  Universums  in  eine 
Welt  des  Bewußtseins  und  der  Bewußtseinsgegenstände, 
welche  den  Stoff  zur  Verinnerlichung  darbieten,  nur  aus 
der  Innerlichkeit  der  denkenden  und  erfinderischen  Weisheit 
erklärt  werden,  und  zwar  einer  solchen,  welche  selbst  über 
den  Gegensatz  erhaben  ist,  weil  sie  ja  als  der  schöpferische 
Erklärungsgrund    dieses  Gegensatzes   gefordert   wird  .  .  . 

Sodann  ist  zu  erklären,  woher  die  Gesetze  und 
Formen  stammen,  nach  denen  und  in  denen  die  sinn- 
liche und  geistige  Seele  die  Eindrücke  der  Außenwelt  in 
das  Bewußtsein  aufnimmt  und  im  Bewußtsein  darstellt. 

Aus  der  Natur  stammen  diese  Gesetze  und  Formen 
der  Ideenbildung  nicht,  weil  die  Natur  selbst  nichts  anders 
als  ein  System  von  Bewegungsgegenständen  ist,  und  weil 
die  Wahrnehmungsgegenstände  gar  nichts  mit  jenen  sinn- 
lich schönen  und  geistig  klaren  Vorstellungsformen  gemein- 
sam haben  .  .  .  Die  Seele  selbst  hat  diese  Gesetze  der 
Ideenbildung,  diese  Formen  des  sinnlichen  und  geistigen 
Bewußtseins  nicht  erfunden,  nicht  aus  sich  selber  geschöpft, 
sondern  findet  sie  ohne  alles  eigene  Zutun  in  ihrer  Wesens- 
anlage vor  ...  — 

Auch  der  Zweck  des  Bewußtseins  und  der 
Ideenbildung  kann  nicht  aus  dem  Naturzusammenhang 


Der  ideologische  Gottesbeweis  bei  Schell.  141 

abgeleitet  werden,  auch  nicht  aus  der  zeitlichen  Welt- 
entwicklung des  Endlichen  ;  jedenfalls  nicht  aus  dem  Nutzen, 
den  die  Empfindung  im  Kampfe  ums  Dasein  darbietet; 
denn  gerade  hier  ist  sie  um  den  Preis  des  Schmerzes, 
der  Todesqual,  des  Bewußtseins  von  Schmerz  und  Tod 
erkauft  .  .  . 

Das  Bewußtsein  ist  nicht  wertvoll  oder  gar  notwendig 
als  Mittel  im  Kampfe  um  ein  vergängliches  Dasein,  sondern 
als  Form  eines  unvergänglichen  I-ebens  und  zwar  aus 
dem  Ganzen,  als  der  große  Endzweck,  auf  den  die  ganze 
Natur  und  Weltentwicklung  angelegt  ist  und  der  ihr  allein 
Smn  gibt.  Denn  wozu  all  dieser  Reichtum  von  schönen 
Formen  ohne  eine  Seele,  in  der  er  zum  Bewußtsein  kommt 
und  zum  Gegenstand  des  idealen  und  ästhetischen  Genusses 
wird?  .  .  . 

Allein  dieser  Zweck,  der  die  Voraussetzung  und  das 
maßgebende  Gesetz  für  die  ganze  Einrichtung  der  Natur 
wie  der  Geisteswelt  und  ihrer  Zusammenordnung  ist,  steht 
beherrschend  über  ihnen  und  kann  aus  keiner  von  beiden 
als  notwendige  Folge  abgeleitet  werden  .  .  . 

Vom  Standpunkte  der  rein  mechanistischen  Welt- 
anschauung konnte  der  Stoff  und  die  bewußtlose  Natur- 
welt ganz  gut  bestehen  und  ihre  Entwicklung  mit 
mechanischer  Notwendigkeit  irgendwie,  sei  es  im  Kreis- 
lauf oder  sonstwie,  vollbringen,  ohne  daß  deshalb  die 
Welt  des  bewußten  Lebens  daraus  entstehen  mußte.  Viel- 
mehr ist  das  Bewußtsein  für  die  mechanistische  Welt- 
anschauung ein  unlösbares  Rätsel,  ein  erratischer  Blök 
aus  einer  ganz  anderen  Welt,  den  man  um  so  lieber  ver- 
missen würde,  zumal  ein  vergängliches  Bewußtsein  nicht 
einmal  geeignet  ist,  dem  mechanischen  Entwicklungsgang 
Sinn  und  Zweck  zu  geben  .  .  . 

Der  persönliche  Gott  ist  der  einzig  mögliche  Erklärungs- 
grund in  der  Welt.  Als  hinreichender  Erklärungs- 
grund für  die  tatsächliche  Einrichtung  und  Entwicklung 
des  Bewußtseins,  seiner  Gesetze  und  Formen  sowie  seiner 
Zweckbedeutung  als  Brennpunkt  und  Sammelpunkt  des 
Universums     ist     notwendig     anzunehmen     das     absolute 


142  Ideologischer  Gottesbeweis. 

Bewußtsein,  als  die  selbstwirkliche  Idee  aller  Vollkommen- 
heit, als  die  ewige  Selbstvergegenwärtigung  der  unend- 
lichen Schönheit  (durch  eigene  Kunst),  als  die  in  tätiger 
Lebendigkeit  ewig  vollzogene  Einheit  der  ganzen  Wesens- 
fülle des  Seins  mit  dem  vollkommenen  Bewußtsein  und 
zwar  in  weisheitsvoller  Entfaltung  dieser  Wesensfülle,  in 
allseitiger  Yergegenwärtigung  und  vollkommener  Wieder- 
gabe durch  ein  wesensgleiches  Bild  .  .  . 

Dieses  absolute  Bewußtsein  ist  der  einzig  mögliche 
Erklärungsgrund  für  die  Tatsache  des  geschöpflichen 
Bewußtseins,  das  als  schlummernde  Anlage  entsteht  und 
durch  die  Einwirkung  der  Gegenstände  zum  lebendigen 
Bewußtsein  und  zur  Ideenbildung  erweckt  wird,  weil  es 
erhaben  über  den  Gegensatz  von  Subjekt  und  Objekt 
oder  Seele  und  Wahrnehmungsgegenstand,  weil  es  ferner 
erhaben  ist  über  das  Bedürfnis  der  Anregung  von  außen 
oder  über  den  Gegensatz  von  Bewußtsein,  Anlage  und 
Tätigkeit  .  .  . 

Das  absolute  Bewußtsein  ist  der  einzig  mögliche  Er- 
klärungsgrund für  unsere  Ideenbildung,  welche  sich  nach 
vorgängigen  Gesetzen  und  in  bestimmten  Formen  voll- 
zieht, die  beide  von  unserer  Willkür  durchaus  unabhängig 
sind,  weil  es  die  lebendige  Einheit  von  Gesetz  und 
Tätigkeit  ist  .  .  .  und  denkend  alle  Formen  der  Wirk- 
lichkeit wie  der  Innerlichkeit  erfindet,  nicht  wie  wir 
vorfindet  .  .  . 

Das  absolute  Bewußtsein  ist  endlich  der  Erklärungs- 
grund für  den  Zweck  des  Bewußtseins.  Denn  die  Voll- 
endung wird  erzielt  durch  die  Aufnahme  der  Wirklichkeit 
in  unser  Denken  .  .  . 

Die  unbestreitbare  Tatsache  des  Bewußtseins  erscheint 
der  gesamten  unbewußten  Natur  gegenüber  trotz  all  ihrer 
Masse  und  Kraft,  Schönheit  und  Pracht  unverkennbar  und 
ausschließlich  als  Zweck.  Das  Bewußtsein  ist  auch  allein 
geeignet,  die  zwecksetzende  Ursache  zu  sein.  Was 
aber  seinem  Wert  nach  ausschließlich  geeignet  ist,  als 
Zweck  zu  gelten,  und  seiner  Kraft  nach  allein  befähigt 


Der  noetische  Gottesbeweis.  143 

ist,  die  zwecksetzende  Ursache  zu  sein,  das  ist  das  Erste, 
das  Ewige,  das  Urtatsächliche."  ^ 

Den  Wert  des  ideologischen  Beweises  findet  Schell 
darin,  daß  er  unmittelbar  die  Notwendigkeit  Gottes  als 
des  absoluten  Bewußtseins  und  der  absoluten  Persönlich- 
keit dartut  gegenüber  der  philosophischen  Kritik,  die 
Bewußtsein  und  Persönlichkeit  des  Absoluten  und  Unend- 
lichen bestreitet.- 


Zehntes  Kapitel. 

Der  noetische  Gottesbeweis. 

Einen  weiteren  psychologischen  Gottesbeweis  gewinnt 
Schell  aus  der  Tatsache  der  Wahrheitsveranlagung  der 
menschliehen  Seele,  aus  der  Denk-  bezw.  Erkenntnistätig- 
keit der  menschlichen  Seele  und  nennt  ihn  den  noetischen 
Gottesbeweis. 

„Der  noetische  Gottesbeweis  betrachtet  den  mensch- 
lichen Geist  in  seinem  eigentümlichen  und  unzerstörbaren 
Verhältnis  zur  Wahrheit.  Das  Denken  läßt  sich  von  keiner 
Theorie  in  das  Geheimnis  der  Subjektivität  und  des  wahr- 
heitslosen Traumlebens  einschließen;  es  verzichtet  nie  auf 
den  Adel  der  Natur  und  die  Bestimmung,  in  die  Welt  der 
Wirklichkeit  erkennend  hinauszudringen."^ 

Die  Eigentümlichkeiten  der  menschlichen  Erkenntnis, 
die  einen  hinreichenden  Erklärungsgrund  fordern,  sind 
nun  folgende : 

„Die  menschliche  Erkenntnis,  welche  durch  selbstän- 
diges, reines  Wahrheitsverlangen  und  durch  Einsicht  aus- 
gezeichnet ist,  beruht  zunächst: 

a)  auf  dem  Unterschied  zwischen  der  Tatsache  und 
der  Anerkennung  von  Tatsachen,  zwischen  der  rein 
gegenständlichen  Wahrheit  und  der  innerlich  erkannten 
und  gewürdigten  Wahrheit.     Schon   hier   erhebt   sich   die 


i  Schell,  Gott  und  Geist  II  473-493. 
-•  A.  a.  0.  493     499.  ^  A.  a.  0.  ölu. 


1 44  Der  noetische  Gottesbeweis. 

Frage :  Wie  kommt  der  erkennende  Geist  überhaupt  aus 
seiner  subjektiven  Innerlichkeit  in  die  Welt  der  Tatsachen 
hinaus?  Wie  kommt  er  zur  Idee  der  Tatsächlichkeit,  der 
objektiven  Wahrheit,  zur  Unterscheidung  von  Wahrnehmung 
und  Einbildung?  .  .  . 

b)  Sodann  beruht  unsere  Erkenntnis  auf  dem  Unter- 
schied von  Anlage  und  Anregung.  Unser  Erkenntnis- 
vermögen ist  ruhende  Kraft  und  wird  erst  angeregt  zur 
Tätigkeit  durch  die  Einwirkung  der  realen  Tatsachen. 
Woher  nun  diese  Zusammenordnnng?  Und  wie  beschaffen 
ist  die  hinreichende  Ursache  dafür?  .  .  . 

c)  Unsere  Erkenntnis  beruht  auf  dem  Unterschied  von 
Erkenntnistätigkeit  und  Erkenntnisgesetz,  nach 
welchem  das  Tatsächliche  von  den  Einbildungen  zu  unter- 
scheiden ist,  und  zwar  durch  Untersuchung  des  Ursprungs 
unserer  Ideen,  ob  sie  willkürlich  gebildet  sind  oder  unter 
dem  Einfluß  hinreichender  Gründe  und  Ursachen,  tatsäch- 
licher oder  innerer  Notwendigkeit  .  .  .  Welches  ist  nun 
der  hinreichende  Grund  für  diese  Geistesanlage  und  für 
die  Herrschaft  jenes  Wahrheitsgesetzes?  .  .  . 

d)  Unsere  Erkenntnis  beruht  auf  dem  Unterschiede 
zwischen  Anlage,  Entwicklung  und  Zielvollendung. 
Die  Erkenntnisanlage  hat  zum  Zweck  die  bewußte  und 
einsichtige  Übereinstimmung  mit  den  Tatsachen  .  .  . 

Nun  aber  ist  alle  Vielheit  und  Unterschiedenheit  auf 
eine  höhere  Einheit  zurückzuführen;  das  ruhende  Ver- 
mögen auf  das  Ewig- Wirkliche,  die  anregungsbedürftige 
Fähigkeit  auf  die  ewige  Tätigkeit,  das  Unvollkommene, 
welches  zwar  fehlen  kann,  aber  ohne  sein  eigenes  Zutun 
eine  Richtschnur  zur  Vermeidung  und  Richtigstellung  der 
Fehler  in  sich  vorfindet,  auf  die  allseitige  Vollkommenheit 
als  ihr  maßgebendes  Gesetz  und  Urbild,  die  Anlage  und 
Entwicklung  zur  Zielvollendung  auf  den  in  sich  selber 
erfüllten  Zweck  als  Urheber  und  Zielgut  .  .  . 

Ferner  ist  zu  beachten,  daß  bei  den  vier  Wechsel- 
beziehungen, welche  unsere  Erkenntnis  bedingen,  der  eine 
Gegensatz  dem  andern  nicht  bloß  gegenübersteht,  sondern 
ihn  umfaßt  und  einschließt,  nicht  aber  umgekehrt  .  .  . 


Der  noetische  Gottesbeweis.  145 

Als  der  allein  hinreichende  Erklärungsgrund  aller 
Erkenntnis,  aller  objektiven  und  subjektiven  Wahrheit, 
allen  Zusammenhangs  zwischen  Wirklichkeit  und  Erkennt- 
nis, zwischen  Erkenntnistätigkeit  und  Erkenntnisgesetz, 
zwischen  Erkenntnis- Anlage  und  -Aufgabe  ist  folglich  Gott 
anzunehmen.  Und  zwar  ist  er  zu  denken  als  die  selb- 
ständige Erkenntnis,  welche  schlechthin  keiner  Anregung 
bedarf,  weil  sie  ganz  aus  sich  allein  heraus  Tätigkeit 
ist  .  .  .,  als  die  ewig  vollendete  Erkenntnis  und  Einsicht 
in  alle  Wahrheit  .  .  .,  welche  geeignet  ist,  die  menschliche 
Anlage  und  Sehnsucht  nach  der  vollkommenen  Einsicht 
in  die  Wahrheit  zu  begründen  und  auf  dem  Wege  der 
mannigfachen  Entwicklung  zum  Ziele  zu  leiten'*;  „als  die 
absolute  Wahrheit,  in  welcher  Sein  und  Erkennen  iden- 
tisch, und  welche  daher  Prinzip  der  Erkennbarkeit  und 
Erkenntnisfähigkeit  ist". 

„Das  Ergebnis  des  noetischen  Bew^eises  ist  die  Er- 
kenntnis, daß  die  Wahrheit  im  vollsten  Sinne  und  Umfange 
als  ewiger  Selbstand  anzunehmen  sei,  um  einen  hin- 
reichenden Erklärungsgrund  für  unser  Erkenntnisleben 
und  Erkenntnisstreben  zu  gewinnen."  ^ 

Verwandt  mit  diesem  Schell  sehen  Beweis  ist  der 
Gottesbeweis,  den  M.  Limbourg  aus  der  Harmonie 
zwischen  Denken  und  Sein  führt.  Seine  Grund- 
gedanken sind  folgende:  Zwischen  den  Gesetzen  unseres 
Denkens  und  den  Gesetzen  des  Seins  der  Dinge  offenbart 
sich  eine  höchst  merkw^ürdige  Übereinstimmung,  eine  voll- 
kommene Kongruenz.  Beweis  für  die  Existenz  dieser 
Harmonie  ist  das  Wort  „Wahrheit". 

Der  letzte  Grund  der  Harmonie  zwischen  unserem 
Denken  und  Sein  kann  nicht  im  Intellekt  des  Menschen 
gefunden  werden;  denn  er  ist  nicht  Urheber  der  Denk- 
gesetze, unterliegt  ihnen  vielmehr  erfahrungsgemäß  mit 
Notwendigkeit;    ohne  die  Annahme  des  der  Tätigkeit  des 


1  Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  II  557—577;  Dogm.  I  223.  Pader- 
born 1889.  Vgl.  auch  Rolfes,  Die  Gottesbeweise  129—163.  v.  Holtum, 
Gottes  Existenz  bewiesen  aus  dem  Verhältnis  des  Geistes  zur  Wahrheit. 
(Studien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benediktinerorden.    26.  Jahrg.) 

Staab,  Gottesbeweise  in  der  katli.  Literalur.  10 


146  Moralischer  Gottesbeweis. 

Intellektes  vorangehenden  Bestehens  dieser  Harmonie  wäre 
eine  Erkenntnistätigkeit  absolut  undenkbar.  Auch  das 
Objekt  läßt  sich  nicht  als  letzten  Grund  der  Harmonie 
zwischen  dem  Objektiven  und  Subjektiven  erweisen.  Es 
ist  eine  das  Denken  geradezu  aufhebende  Behauptung,  die 
Dinge  selbst  seien  das  Prinzip  ihres  Seins  und  der  Gesetze 
ihres  Seins.  Die  Denkbarkeit  der  Dinge  geht  ohne  Zweifel 
ihrem  Dasein  voran  und  bleibt  bestehen,  auch  wenn  ihr 
Dasein  aufgehört  hat.  Darum  kann  die  Denkbarkeit  der 
Dinge  nicht  in  ihrem  Dasein  ihren  letzten  Grund  haben. 
Der  letzte  Grund  der  Harmonie  ist  ohne  Zweifel  in 
einem  Wesen,  dessen  Erkennen  Sein  und  dessen  Sein 
Erkennen  ist,  in  welchem  mithin  Erkennen  und  Sein  in 
absoluter  Identität,  in  vollendeter  Einheit  sich  finden. 
Dieses  Wesen,  das  absolutes  Sein  und  zugleich  absolute 
Idee  ist,  ist  actus  purus,  ist  Gott.^ 

Elftes  Kapitel. 

Moralischer  Gottesbeweis. 

§  15. 
a)  Deontologiseher  Gottesbeweis. 

Der  moralische  Gottesbeweis  geht  aus  von  den  Tat- 
sachen des  sittlichen  Bewußtseins.  Diese  Tatsachen  sind 
die  Existenz  eines  objektiven,  absoluten  Sittengesetzes; 
die  theoretische,  subjektive  Verpflichtung,  Verantwort- 
lichkeit und  Verdienstlichkeit;  endlich  die  physische  An- 
regung zur  praktischen  freiwilligen  Ausführung  des 
Sittengesetzes.  Oder  anders  gefaßt:  Der  Mensch  steht 
unter  einem  absoluten  Sittengesetz ;  dieses  Sittengesetz 
muß  zugleich  die  sittliche  Ordnung  und  die  individuelle 
Glückseligkeit  hervorbringen. - 

Diese  unleugbaren  Tatsachen  des  sittlichen  Bewußt- 
seins verlangen   eine   genügende  Ursache.     Nur    der   per- 

1  Limbourg,  Gott  als  die  Voraussetzung  der  Harmonie  zwischen 
Denken  und  Sein.     Zeitschr.  f.  kath.  Theol.  3  (1881)  660—671. 

2  Didio,  Der  sittl.  Gottesbeweis  188—89.    Würzburg  1900. 


Deontoloffischer  Gottesbeweis.  14:7 


'e 


sönliche  Gott  ist  die  vollgenügende  Erklärung  dazu;  denn 
nur  er  ist  jenes  höchste  Gut,  welches  das  objektive  Sitten- 
gesetz mit  seinen  eigentümlichen  Eigenschaften  erklärt, 
bestimmt,  normiert.  Er  ist  die  verpflichtende  Kraft, 
welche  den  freien  Willen  des  Menschen  bestimmen  kann, 
das  Sittengesetz  als  absolut  gültige  Regel  seines  Handelns 
anzuerkennen  und  praktisch  zu  befolgen,  er  kann  das 
Lebensziel  des  Menschen  sein,  dadurch  daß  er  Verdienst 
und  Schicksal  harmonisch  ausgleicht;  er  bietet  die  Gewähr, 
daß  vollkommene  Sittlichkeit  zur  vollkommenen  Glück- 
seligkeit führt.^ 

Schell  gibt  den  Grundgedanken  des  Beweises  in 
folgender  Form:  „Es  besteht  notwendigerweise  eine  per- 
sönliche Vollkommenheit  und  Heiligkeit,  welche 

a)  als  Urbild  und  Inbegriff  alles  Guten  dem  mensch- 
lichen Geiste  das  reine  Wohlgefallen  und  die  uneigennützige 
Liebe  zum  Guten  als  natürliche  Mitgift  eingeflößt  hat ; 

b)  ihm  die  Verpflichtung  zum  Guten  als  unverbrüch- 
liches Gesetz  eingeprägt  und  als  unersetzliches  Zielgut 
seine  volle  Hingebung  fordert; 

c)  als  vollkommene  Gerechtigkeit  der  sittlichen  Ord- 
nung einen  inneren  Zweck  und  das  entsprechende  äußere 
Ansehen,  die  notwendige  Sanktion  gibt. 

Atheistische  Moralprinzipien  können  die  Tatsachen  des 
sittlichen  Bewußtseins  nicht  erklären: 

A.  Die  innere  Güte  und  Schlechtigkeit  der  Gesinnungs- 
und Handlungsweise  erklärt  sich  nicht  aus  dem  Gesetz  als 
inhaltleerer  Form  der  Allgemeingültigkeit,  sondern  nur 
aus  dem  Gesetz  voll  Inhalt  und  Zweck,  d.  h.  aus  einem 
Gesetz,  welches  zugleich  das  höchste  Gut  ist. 

B.  Pflicht  und  Verantwortlichkeit  sind  nur  möglich 
vor  einer  Persönlichkeit,  welche  als  Gesetzgeber  und  Gesetz 
vor  und  über  dem  Geiste  steht. 

C.  Verdienst  und  Schuld  ...  ist  nur  möglich,  wenn 
der  absolut  Vollkommene  Richter  ist  und  alles  nach  seinem 
inneren  Wert  vergilt  und  vollendet." - 


1  Didio  a.  a.  O.  209.     Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  II  578—638. 

2  Schell  a.  a.  0.  620.  624—26. 

10* 


148  Moralischer  Gottesbeweis. 

Man  kann  den  sittlichen  Beweis  auch  führen  von  der 
Existenz  des  freien  Willens  aus  und  zeigen,  daß  sich  dieser 
nur  als  das  Werk  einer  durch  sich  selbst  seienden  und 
selbst  freiwollenden  Ursache  begreifen  läßt.  Oder  man 
geht  aus  von  der  Existenz  des  Gewissens,  das  sich  dem 
Menschen  darstellt  als  eine  absolute  Macht,  die  sich  jeder 
menschlichen  Einwirkung  entzieht,  die  unbedingt  gebietet, 
das  Gute  zu  tun  und  das  Böse  zu  unterlassen,  und  nach 
der  Tat  Verdienst  oder  Schuld  jedem  rückhaltlos  zu- 
rechnet.^ 

„Diese  Gewissensherrschaft  und  ihre  Ausflüsse,  An- 
erkennung und  Schuldbewußtsein  sind  ohne  Abhängigkeit 
und  Verantwortlichkeit  von  und  vor  einer  durch  das 
Gewissen  repräsentierten  Autorität  nicht  zu  begreifen;  so 
real  wie  jenes  muß  auch  diese  sein.  Deswegen  ist  das 
Gewissen  ein  Gottesbeweis,  und  die  ethischen  Eigenschaften 
des  höchsten  Gutes  sind  seine  speziellen  Ergebnisse."  So- 
mit ergibt  sich  aus  dem  Dasein  der  Gewissensmacht,  die 
ihrem  Wesen  nach  Bestimmungsgewalt  über  den  Menschen 
durch  ein  höheres  Bewußtsein  ist,  als  seine  Voraussetzung 
das  Dasein  des  absoluten,  welterhabenen  und  absolut 
beherrschenden,  demgemäß  schöpferischen  Geistes,  d.  i. 
Gottes.  Gewöhnlich  aber  wird  der  moralische  Beweis 
aufgebaut  auf  der  Existenz  der  sittlichen  Ordnung  und 
der  absoluten  Verpflichtung  unseres  freien  Willens  auf 
dieselbe,  auch  deontologischer  Beweis  genannt."- 

Wie  man  auch  den  Ursprung  der  Sittlichkeit  erklären 
mag,  wie  verschieden  man  auch  den  Unterschied  zwischen 
Gut  und  Bös  bestimmen  mag,  über  den  Bestand  der  sitt- 
lichen Ordnung,  über  den  sie  bedingenden  Unterschied 
zwischen  Gut  und  Bös,  über  den  absoluten  Charakter  der 
Forderungen  der  sittlichen  Ordnung  besteht  kein  Zweifel. 


i  Schill,  Prinzipienlehre  132—133.  Weber,  Christi.  Apologetik 
72—73.     Vosen,  Das  Christentum^  320  (6  ff.). 

2  Hontheim,  Theod.218— 227.  Boedder,  Theol.  nat.  71— 76.  Gut- 
beriet, Apologetik  P  200;  Der  mechanische  Monismus  2G7.  Lehmen, 
Theodizee^  72—77.  Vgl.  Schill,  Prinzipienlehre  130—131.  Heinrich, 
Dogmatik  II  ^  244—253. 


Deontologisclier  Gottesbeweis.  149 

Woher  diese  unbedingte  moralische  Nötigung  bei  allen 
Menschen,  das  Gute  zu  tun  und  das  Böse  zu  meiden,  woher 
die  absolute  Verpflichtung  unseres  freien  Willens  auf  die 
sittliche  Ordnung? 

Sie  kann  nicht  begründet  sein  in  der  Erziehung  und 
in  menschlichen  Gesetzen,  weil  diese  bei  verschiedenen 
Völkern  sehr  verschieden  und  veränderlich  sind  und  keine 
allgemeine,  unverändert  fortdauernde  Überzeugung  und 
Nötigung  schaffen  können;  sie  kann  nicht  ihren  Grund 
haben  in  den  betreffenden  gebotenen  oder  verbotenen 
Handlungen,  weil  diese  oft  unbedeutend  sind;  sie  kann 
endlich  nicht  herstammen  aus  der  menschlichen  Vernunft, 
weder  aus  der  Einzelvernunft  noch  aus  der  Vernunft  der 
gesamten  Menschheit.  Denn  die  menschliche  Vernunft  ist 
sich  klar  bewußt,  daß  sie  absolut  dem  Sittengesetz  unter- 
worfen ist,  keineswegs  aber  über  demselben  als  Urheberin 
steht.  Sodann  könnte  sie,  weil  endlich,  keine  absoluten 
Forderungen  stellen. 

Nur  ein  absolutes  Prinzip  kann  absolute  Forderungen 
stellen.  Die  sittliche  Ordnung  muß  daher  entweder  selbst 
der  Absolute,  Gott,  sein  oder  mit  dem  Wesen  Gottes  iden- 
tisch sein. 

Die  absolute  Forderung:  Du  mußt  unter  allen  Um- 
ständen das  Gute  tun,  ist  sinn-  und  verstandlos,  wenn  sie 
nicht  gestellt  und  getragen  ist  von  demjenigen,  der  selber 
seinem  Wesen  nach  gut,  das  höchste  Gut,  Prinzip  und 
Inbegriff  aller  Güter  ist.^ 

Sowie  also  die  nach  den  Naturgesetzen  sich  voll- 
ziehende Ordnung  des  physischen  Universums  den  allweisen 
und  allmächtigen  Urheber  dieser  Ordnung  offenbart,  so 
offenbart  die  in  unserem  Gewissen  als  unverbrüchliches 
Gesetz  sich  kundgebende,  durch  den  freien  Willen  des 
Menschen  zu  vollziehende  sittliche  Ordnung  Gott  als  den 
unendlich  heiligen  und  gerechten  Urheber  dieser  Ordnung.- 


'  Schill.  Prinzipienlehre  130—131. 

2  Heinrich,   Dogmatik   IIl"^   217-248.     Rein  hold.    Die   Welt    als 
Führerin  zur  Gottheit  172. 


150  Moralischer  Gottesbeweis. 

Bedenken  gegen  den  deontologischen  Gottesbeweis. 

Gegen  den  Gottesbeweis  aus  der  sittlichen  Verpflich- 
tung, falls  man  ihn  als  direkten  Gottesbeweis  auffaßt, 
hat  in  neuester  Zeit  L.  Lercher^  ernste  Bedenken  er- 
hoben. Er  will  ihn  nur  gelten  lassen  als  indirekten 
oder  reflexen  Beweis,  d.  h.  als  einen  solchen,  „der  aus 
der  Untrüglichkeit  der  tatsächlich  im  Menschen- 
geschlecht vorhandenen  Gotteserkenntnis  auf  die 
Wirklichkeit  ihres  Inhaltes  schließt".^  Die  direkte 
Form  des  Beweises  fordert  dagegen  nach  Lercher  den 
Widerspruch  gleichsam  heraus.  „Der  direkte  Gottesbeweis 
aus  der  moralischen  Verpflichtung  ist  eine  petitio  principii; 
denn  die  Wahrheit  des  antecedens,  in  welchem  das  Bestehen 
der  absoluten  Verpflichtung  behauptet  wird,  kann  unab- 
hängig von  der  Gotteserkenntnis  nicht  erkannt  werden."  •''' 

Zu  diesem  Urteil  kommt  er  durch  Betrachtung  des 
Wesens  der  absoluten  Verpflichtung.  Die  absolute 
moralische  Verpflichtung,  um  die  es  sich  in  unserem 
Beweis  handelt,  ist  die  durch  den  unbedingten  Willen 
eines  unendlich  erhabenen  und  absolut  unabhängigen 
Gesetzgebers  auferlegte  moralische  Notwendigkeit.  Daraus 
folgt,  daß  die  Entstehung  des  Pflichtbewußtseins  bedingt 
ist  durch  die  Gotteserkenntnis,  ein  Ausfluß  des  mehr  oder 
weniger  klaren  Gottesbewußtseins  ist.  Der  Verstand  muß 
erst  urteilen,  daß  ein  erhabenes  Wesen  existiere,  dem 
er  unbedingt  Gehorsam  schulde;  er  muß  erkennen,  daß 
jene  hehre,  über  ihm  stehende  Macht  gewisse  Handlungen 
und  Unterlassungen  von  ihm  unbedingt  fordere,  und  daß 
er  somit  durch  die  Übertretung  dieser  Ordnung  dem  Miß- 
fallen und  der  höchsten  Ungnade  dieses  Wesens  sich  preis- 
gebe. Ganz  und  gar  undenkbar  ist  es  aber,  daß  jemand 
vor  und  unabhängig  von  dieser  Erkenntnis  zur  Einsicht 
gelangen  könnte,  er  sei  zu  gewissen  Handlungen  und  Unter- 
lassungen absolut  verpflichtet.^ 


1  L.  Lercher,    Über  eine  Form   des   Gottesbeweises   aus   der  sitt- 
lichen Verpflichtung.    Innsbr.  Zeitschr.  f.  kath.  Theol.  24  (1900)  463—481. 

2  A.  a.  0.  468.  ^  a.  a.  0.  467—468. 


Eudämonologischer  Gottesbeweis.  151 

Wegen  dieser  Bedenken  gegen  den  direkten  mora- 
lischen Beweis  scheint  es  Lercher  geraten,  „diese  Form 
des  Argumentes  aufzugeben,  damit  nicht  durch  eine  nahe- 
liegende Verwechslung  das  Ansehen  des  moralischen  Be- 
weises überhaupt,  der  wie  kein  anderer  geeignet  ist,  die 
Allgemeinheit,  Tiefe,  Leichtigkeit  und  Energie  der  Gottes- 
erkenntnis in  ein  helles  Licht  zu  setzen,  gefährdet  werde".' 

Ähnlich  äußert  sich  auch  Gut  beriet-  über  den  ge- 
nannten Beweis:  „Freilich  zu  einem  ganz  ursprünglichen 
und  selbständigen  Beweis  für  das  Dasein  Gottes  kann  die 
Verpflichtung  nicht  verwandt  werden.  Denn  eine  eigent- 
liche Verpflichtung  gibt  es  nicht  ohne  Gott,  und  da  das 
Verpflichtungsbewußtsein  uns  nicht  durch  eine  unmittel- 
bare physische  Einwirkung  eingegossen,  sondern  durch 
die  Erkenntnis  vermittelt  werden  muß,  so  kann  niemand 
im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes  sich  verpflichtet  erachten, 
der  nicht  irgendwelche  vorgängige,  wenn  auch  noch  so 
unvollkommene  Erkenntnis  Gottes  hätte.  Zu  dieser  gelangt 
aber  jeder  Mensch  ohne  strengen  Beweis."  Sehe  eben' 
zählt  ihn  überhaupt  zu  den  reflexen  Beweisen. 

§  16. 
b)  Eudämonologischep  Gottesbeweis. 

Mit  der  Tatsache  der  absoluten  Verpflichtung  unseres 
Willens  auf  das  Sittengesetz  steht  im  innigsten  Zusammen- 
hang eine  andere  Erscheinung  unseres  Willenslebens: 
nämlich  das  Glückseligkeitsstreben,  der  Naturtrieb  des 
Menschen  nach  Glückseligkeit.  Wie  wir  durch  das  Kau- 
salitätsprinzip Gott  als  die  erste  Ursache  aller  Dinge 
erkennen,  so  weist  uns  dieser  Glückseligkeitstrieb  auf  Gott 
als  das  letzte  Ziel  aller  Dinge  hin.  Darum  hat  schon 
Augustinus^  aus  dem  Glückseliofkeitsdrang  einen  Gottes- 


^  Lercher  a.  a.  0.  466. 

2  Gut  beriet,  Ethik  und  Religion  56.    Münster  1892. 

3  Scheeben,  Dogmatik  I  475. 

*  S.   Augustinus,    De    Trinitate    13,   3.  4;    Conf.    10,   6:    De  lib. 
arb.  2,  9. 


152  Moralischer  Gottesbeweis. 

beweis  hergeleitet,  der  noch  heute  in  Ehren  steht  und  den 
Namen  „eudämonologischer  Gottesbeweis"  trägt. 

Der  Beweis  baut  sich  folgendermaßen  auf:  Der  Mensch 
strebt  naturnotwendig  nach  vollkommener  Glückseligkeit 
im  Besitz  alles  Wahren  und  Guten.  Das  Naturstreben  des 
menschlichen  Verstandes  geht  auf  den  Vollbesitz  aller 
Wahrheit,  das  Naturstreben  des  Willens  auf  den  Vollbesitz 
alles  Guten  und  findet  erst  darin  seine  Ruhe. 

Der  Naturdrang  nach  Glückseligkeit  ist  die  letzte 
Triebfeder  all  unseres  Tun  und  Lassens.  Die  Allgemein- 
heit und  Unwiderstehlichkeit  dieses  Strebens  nach  voll- 
kommenem Glück  beweist,  daß  es  Naturtrieb  im  eigent- 
lichen Sinne  ist. 

Diese  Glückseligkeit,  nach  der  der  Mensch  natur- 
notw^endig  strebt,  muß  ihm  an  und  für  sich  erreichbar 
sein,  obwohl  er  als  freies  Geschöpf  die  Erreichung  der- 
selben durch  eigene  Schuld  verhindern  kann.  Andernfalls 
wäre  der  Mensch  schlechter  gestellt  als  das  vernunftlose 
Tier,  es  wäre  in  der  vernünftigen  Menschennatur  ein  offen- 
barer V/iderspruch.  Diese  Glückseligkeit,  nach  der  der 
Mensch  naturnotwendig  strebt,  muß  der  Inbegriff  alles 
Wahren  und  Guten,  das  unendliche  und  zwar  persönliche 
Sein,  d.  i.  Gott  sein;  denn  nur  durch  ein  existierendes 
unendlich  vollkommenes  Wesen,  das  alles  mögliche  Sein  in 
Wirklichkeit  besitzt,  kann  das  Naturstreben  des  Menschen 
befriedigt  werden.^ 

Der  eudämonologische  Beweis  in  dieser  Form  ist  nur 
eine  besondere  Anwendung  der  teleologischen  Beweis- 
führung.2 

„Man  kann  aber  auch  die  menschliche  Natur",  sagt 
Reinhold,  „als  eine  solche  betrachten,  die  das  Bedürfnis 
einer  Ergänzung  oder  Vervollkommnung  nach  außen  und 
zwar  einer  durch  Erkennen  und  Wollen  sich  vollziehenden 
Verbindung  mit   einem  unendlichen  Objekt  aufweist.    Bei 


1  Lehmen,  Theodizee^  77—82.  Vgl.  Hontheim,  Theod.  206—208. 
Boedder,  Theol.  nat.  70  —  71.  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur 
Gottheit  166—170. 

2  Reinhold  a.  a.  0.  169. 


Eudämonologischer  Goltesbeweis.  153 

dieser  Auffassung  tritt  dann  mehr  die  Beeinflussung  oder  das 
Bewegtwerden  der  menschlichen  Natur  durch  eine  äußere 
Ursache  hervor,  von  der  sie  unwiderstehlich  angezogen 
wird,  und  die  deshalb  real  existieren  muß.  Damit  stünden 
wir  mehr  auf  dem  Boden  des  kosmologischen  Beweises."^ 

Gut  beriet-  betrachtet  übrigens  das  genannte  Argu- 
ment nur  als  Wahrscheinlichkeitsbeweis.  Deshalb 
gibt  er  ihm,  um  es  stringent  zu  machen,  eine  andere 
Form.  Er  bringt  die  Glückseligkeit  mit  der  Wahrheit  in 
Verbindung  und  schließt  dann  aus  der  Macht  des  Guten 
auf  unseren  Willen  auf  die  Realität  eines  unendlichen 
Gutes.  Er  nimmt  also  zum  Ausgangspunkt  seines  Beweises 
nicht  nur  den  Naturtrieb  des  Menschen  nach  Glückselig- 
keit, sondern  vor  allem  den  absoluten  Wert  des  sittlich 
Guten.  Weder  die  sittliche  Handlung  an  sich  noch  ihre 
Beziehung  zur  Vernunft  noch  ein  ideelles  Gut  oder  die 
ideelle  Notwendigkeit  der  Prinzipien  erklärt  diesen  abso- 
luten Wert.  Sodann  sind  die  Forderungen  der  Sittlichkeit 
sehr  real  und  äußern  sich  in  der  Macht  des  Gewissens. 
Darum  muß  ein  reales  Gut  mit  der  Sittlichkeit  verknüpft 
sein,  nur  die  Beziehung  zu  einem  unendlichen,  wirklichen 
Gut  kann  die  absoluten  Forderungen,  den  unendlichen 
Wert  der  Sittlichkeit  erklären.-^ 

Am  besten  scheint  Weber "^  den  Beweis  zu  geben  in 
folgender  Form:  „Die  im  Menschen  (im  Glückseligkeits- 
trieb) sich  ankündigende  Berufung  zum  unendlich  voll- 
kommenen Gut  setzt  über  dieser  Welt  ein  solches  voraus, 
von  welchem  aus  dieser  Antrieb  geweckt  wird.  Das  Streben 
nach  dem  äußeren  vollkommenen  Gut  entsteht  aus  der 
Liebe  zum  Guten  an  und  für  sich,  zum  Guten  schlechtweg 
bei  der  Erkenntnis  der  Bedingtheit  des  eigenen  Daseins  und 
des  Daseins  der  weltlichen  Güter  in  der  Menschenseele.  Nur 
wenn  weder  die  Weltseele  noch  die  Weltdinge  selbst  iden- 
tisch sind  mit  dem  Guten  an  sich,  dem  wesenhaft  Guten  und 


1  Reinhold  a.  a.  0.  170. 

2  Gutberiet,  Phil.  Jahrbuch  2  (1889)  92  t. 

3  Gutberiet,  Apologretik  !•'  198—201. 
■•  Weber,  Christi.  Apologetik  73—74. 


154  Moralischer  Gottesbeweis. 

Vollkommenen,  kann  der  Glückseligkeitstrieb  in  seiner  tat- 
sächlichen Form  als  Streben  nach  dem  äußeren  absoluten 
Gut  im  Menschen  erwachen.  Dann  kann  aber  auch  die 
Liebe  zum  Guten  an  sich  in  der  Menschenseele  nicht  natur- 
haft entstehen,  ohne  daß  es  ein  solches  höchstes  gutes 
Wesen  außerhalb  des  Menschen  und  der  Welt  gibt,  durch 
welches  diese  Liebe  entfacht  wird.  Denn  diese  Entfachung 
kann  nur  dann  geschehen,  wenn  die  Seele  zugleich,  indem 
sie  in  den  Dingen  und  in  ihrer  eigenen  Natur  das  be- 
schränkte Gut  erkannt  hat  und  liebt,  zur  Idee  des  Guten 
überhaupt  geleitet  wird  und  mit  der  Liebe  zu  ihrer  eigenen 
Güte  die  Liebe  zum  unendlichen  Guten  naturhaft  zu  ver- 
binden angeregt  wird.  Ein  solcher  Vorgang  ist  aber 
naturhaft  nur  möglich,  wenn  über  dem  Teilguten  das  all- 
ewige Gute  real  ist,  bezw.  die  einzelnen  bedingten  Güter 
ihre  Güte  durch  ein  höheres  vollkommenes  Gut  erhalten. 
Also  hat  der  Glückseligkeitstrieb  des  Menschen  ein  über- 
weltliches, schlechthin  oder  vollkommen  gutes  Wesen,  nicht 
nur  psychologisch,  sondern  auch  metaphysisch  zur  Voraus- 
setzung, das  Gott  ist.  Da  der  Glückseligkeitstrieb  aber 
wahrhaft  existiert,  so  existiert  auch  Gott." 

§  17. 
c)  Der  religiöse  Gottesbeweis. 

Das  System  der  Gottesbeweise  schließt  Schell  mit 
dem  „Gottesbeweis  der  Hoffnung,  der  seligen  Vollendung, 
der  sittlichen  Vorsehung  und  des  gerechten  Vollenders",^ 
dem  religiösen  Gottesbeweis.  Er  sagt  von  diesem 
Beweis : 

„Wie  der  Kontingenzbeweis  der  abstrakteste  und 
wissenschaftlich  gewichtigste  ist,  so  ist  der  religiöse  Be- 
weis der  konkreteste,  der  am  tiefsten  vom  Gemüt  gewür- 
digte, vom  Gefühl  unterstützte  und  begleitete  Beweis,  so 
daß  es  scheint,  als  käme  in  ihm  nur  ein  blinder  Gefühls- 
drang von  rein  subjektivem  Wert  zur  Geltung." - 


Schell,  Gott  und  Geist  II  686.  ■'  A.  a.  0.  685. 


Der  religiöse  Gottesbeweis.  155 

„Gott  wird  nämlich  vom  sittlichen  Gemüt  gefordert 
als  die  höhere  und  unentbehrliche  Macht,  ohne  deren  Vor- 
sehung und  Hilfe,  Gnade  und  Sündenvergebung,  Gericht 
und  Vollendung  die  sittlichen  Ideale  unausführbar  wären, 
ein  Widerspruch  mit  sich  selbst  und  mit  unserem  innersten 
Gemüt."! 

„Insofern  ist  der  religiöse  Gottesbeweis  allerdings  ein 
Postulat  und  zwar  ein  Postulat  des  religiösen  und  sitt- 
lichen Gemüts,  aber  nicht  anders,  wie  jede  Beweisführung 
ein  Postulat  ist,  nämlich  bedingt  durch  die  Voraussetzung, 
daß  nur  die  Vollkommenheit  bezw.  die  Vollendung  als 
Grund  und  Zweck  hinreicht,  der  Wirklichkeit  Sinn  und 
Ziel  gibt,  die  Wirklichkeit  verständlich  und  befriedigend 
macht." - 

„Das  Gemütsbedürfnis  nach  Vollkommenheit  ist  durch- 
aus logisch  und  rational,  daher  auch  beweiskräftig."-^ 

Ausgangspunkt  des  religiösen  Gottesbeweises  ist  die 
psychologische  Tatsache  und  Forderung  der  Sittlichkeit 
und  der  sittlichen  Vollendung  im  Sinne  der  inneren  und 
äußeren  Vollendung. 

Der  religiöse  Gottesbeweis  geht  also  aus  von  den  un- 
vertilgbaren  Anlagen  und  Bedürfnissen  des  sittlichen 
Gemüts,  das  den  Widerspruch  zwischen  Ideal  und  Wirk- 
lichkeit für  unerträglich  findet  und  darum  die  allgemeine 
und  ungehemmte  Durchführung  von  Wahrheit,  Recht  und 
Güte  fordert. 

Wenn  die  sittliche  Ordnung  von  den  Menschen  inner- 
lich in  Liebe  angeeignet  und  tatkräftig  in  Gesinnung  und 
Leben  wie  in  der  äußeren  Welt  durchgeführt  werden  soll, 
wenn  die  sittlichen  Ideale  und  Verpflichtungen  nicht  in 
unlösbarem  und  unverträglichem  Widerspruch  mit  dem 
innersten  Gefühl  und  Bedürfnis  des  Menschen  stehen  sollen, 
dann  bedarf  es  einer  allwissenden  Vorsehung,  in  deren 
Gegenwart  alles  geschieht,  in  deren  unvergänglichem  Be- 
wußtsein alles  Tun  und  Leiden  unter  dem  Gesichtspunkte 
des  inneren  Wertes  gewürdigt,  bewahrt  und  verewigt  wird ; 


1  Schell  a.  a.  0.  683.  -  A.  a.  0.  684.  ^  A.  a.  0.  690. 


156 


Moralischer  Gottesbeweis. 


dann  bedarf  es  einer  hilfbereiten  Vorsehung  und 
Gnade,  von  welchen  der  sittliche  Wille  die  ihm  fehlende 
innere  und  äußere  Kraft  zum  guten  Streben  und  Voll- 
bringen sowie  der  Sünder  Vergebung  und  Wiederherstellung 
hoffen  kann.  Jede  Weltanschauung,  welche  die  persönliche 
Vorsehung  und  Gnade  Gottes  leugnet,  erweist  sich  als 
unfähig,  dem  schuldbeladenen  Sünder  zu  Hilfe  zu  kommen^ 
kann  den  Reumütigen  nicht  aufrichten,  den  Unbußfertigen 
nicht  erschüttern. 

Der  religiöse  Gottesbeweis  geht  aus  von  dem  Gegen- 
satz zwischen  Verdienst  und  Schicksal,  zwischen  Sittlich- 
keit und  Seligkeit,  von  der  Unfähigkeit  des  Menschen,  das 
Ideal  der  Gerechtigkeit  durch  den  Ausgleich  zwischen 
innerem  Wert  und  äußerem  Schicksal  zu  erfüllen. 

Ohne  Gott  ist  und  bleibt  das  Endergebnis  der  Welt- 
entwicklung und  der  sittlichen  Anstrengungen  eine  Ruinen- 
welt verkümmerter  Geistesanlagen  für  Wahrheit  und  Recht, 
erstrebter,  aber  nur  notdürftig  betätigter  Lebensideale, 
unbelohnter  Verdienste  und  innerlich  zweckloser  Opfer 
und  Anstrengungen. 

Wenn  also  die  sittliche  Ordnung  überhaupt  zur  Ver- 
wirklichung kommen  soll  und  zwar  ohne  inneren  Wider- 
spruch und  ohne  Selbstaufhebung,  ohne  die  trügerische 
Vorspiegelung  und  Illusion  einer  einstigen  Weltvollendung, 
dann  ist  notwendigermaßen  Gott  anzunehmen : 

1.  als  die  persönliche  Vollkommenheit  und  Güte,  von 
deren  allgegenwärtigem  Bewußtsein  alles  Sittlich-Gute  in 
Leiden  und  Tun  seinen  unvergänglichen  Charakter  und 
Wert  empfängt ; 

2.  als  die  lebendige  Heiligkeit  und  freie  Tatkraft,  von 
deren  lebendigmachendem  Geist  der  sittliche  Wille  die 
notwendige  innere  und  äußere  Hilfe  zum  guten  Wollen 
und  Vollbringen  gewinnt; 

3.  als  die  ewige  Gerechtigkeit,  deren  Existenz  die 
Bürgschaft  gewährt,  daß  die  sittlichen  Ideale  des  Guten, 
der  Freiheit  und  des  Rechtes,  sowie  sie  im  Unendlichen 
ihre  allseitige   und   ewige   Erfüllung   gefunden  haben,    so 


Der  eigentliche  historische  Gottesbeweis.  1'^" 

auch  in  der  Welt  des  Endlichen  zur  tatsächlichen  Wahr- 
heit werden  können  und  sollen. 

Der  Grundgedanke  des  religiösen  Gottesbeweises  ist 
also  der:  die  sittlichen  Ideale  können  und  dürfen  nicht 
bloße  Ideale  bleiben,  sie  müssen  Wirklichkeit  werden  innen 
und  außen  und  können  es  nur  in  Gott,  der  persönlichen, 
absoluten  Vollkommenheit.^ 


Zwölftes  Kapitel. 

Der  historische  Gottesbeweis. 

1.  Der  eigfentliehe  historische  Gottesbeweis. 

Der  historische  Gottesbeweis  im  strengen  Sinne  des 
Wortes  ist  der  Beweis  Gottes  aus  „der  in  der  Geschichte 
der  Menschheit  sich  offenbarenden  göttlichen  Leitung, 
welche  die  Hinführung  des  Menschengeschlechtes  zu  seiner 
Bestimmung  und  die  Offenbarung  der  göttlichen  Gerech- 
tigkeit zum  Zweck  hat".- 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  daß  sich  in  der  Geschichte 
der  Menschheit  ein  weiser  und  heiliger  Plan  offenbart,  der 
weder  aus  dem  physichen  Naturlauf,  noch  aus  den  Ab- 
sichten und  Handlungen  der  Menschen  erklärbar  ist,  sondern 
nur  aus  einer  beide  beherrschenden  göttlichen  Leitung. 
Diese  göttliche  Leitung  und  Vorsehung  zeigt  sich  schon 
in  der  Profangeschichte,  in  der  natürlichen  Entwicklung 
des  Menschengeschlechts,  im  Fortschritt  der  Wissenschaft 
und  Kunst  und  überhaupt  der  ganzen  Kultur,  sowie  in 
einer  gewissen  Gerechtigkeit,  welche  die  Tugenden  der 
Völker  belohnt  und  ihre  Fehler  bestraft.  Besonders  aber 
tritt  die  göttliche  Vorsehung,  der  göttliche  Woltplan,  klar 
hervor  in  der  Heilsgeschichte,  in  der  Verwirklichung  der 
übernatürlichen  Ordnung.  „Bei  allem  Dunkel  des  Details 
läßt  sich  doch  im  großen  und  ganzen  nicht  verkennen, 
daß   alle  Ereignisse    (der   Geschichte)    dem    sicheren   und 

1  Vgl.  Schell,  Gott  und  Geist  II  G83-709;  1  21G. 

2  Heinrich,  Dogmatik  HI-  253.  Pesch  Chr.,  Praelect.  dogm.  W  21. 
Weber,  Christi.  Apologetik  74. 


158  Der  historische  Gottesbeweis. 

allumfassenden  Plan  einer  fortschreitenden  Entwicklung- 
des  Menschengeschlechts  zu  jener  allgemein  menschlichen 
Gesittung  dienen,  welche  wiederum  der  Hinführung  der 
Menschheit  zum  Christentum  und  ihrer  Entwicklung  im 
Christentum  zur  natürlichen  Basis  dient."  ^ 

Allerdings  ist  dieser  Beweis  schwer  zu  führen,  da  er 
„eine  vollständige,  äußerst  schwierige  Philosophie  der 
Geschichte  als  Grundlage  fordert".^ 

Mit  Rücksicht  darauf,  und  weil  der  historische  Beweis 
in  dieser  Form  nur  eine  „Spezialität  des  teleologischen 
Gottesbeweises" -^  darstellt  oder  auch  dem  Gottesbeweis  aus 
den  übernatürlichen  Werken  Gottes  beigezählt  werden 
kann,  da  der  göttliche  Weltplan  prinzipaliter  die  Verwirk- 
lichung der  übernatürlichen  Ordnung  bezweckt  und  in 
dieser  am  klarsten  und  vollkommensten  sich  offenbart,* 
gibt  man  dem  „historischen"  Gottesbeweis  heute  eine 
andere  Form  und  baut  ihn  auf  „aus  der  Überzeugung- 
aller Völker  vom  Dasein  Gottes". 

Sein  richtiger  Name  ist  darum  nicht  „historischer 
Beweis",  sondern  „ethnologischer  Gottesbeweis". 

2.  Der  sog.  historische  oder  ethnologische 
Gottesbeweis. 

a)  Formulierung  des  Beweises. 

Der  psychologische  Gottesbeweis  wird  zu  dem  sog. 
historischen  Gottesbeweis,  wenn  wir  die  auf  Gott  hin- 
weisenden Anlagen  des  menschlichen  Geistes  vor  allem 
unter  dem  Gesichtspunkte  ihres  allgemeinen  Vorkommens 
in  der  Menschheit  und  ihrer  Äußerung  im  Gottesbewußtsein 
betrachten.^  Eingehend  behandeln  den  historischen  Gottes- 
beweis  in   dieser  Form  Ehrlich,^   Heinrich,"  Schell,^ 


i  Heinrich,  Dogmatik  III-  255. 

2  Vosen,  Christentum^  310.  ■'  Vosen  a.  a.  0.  310. 

4  Heinrich  a.  a.  0.  253.     Hontheim,  Theod.  204. 

5  Weber,  Christliche  Apologetik  71.  74. 
^  Ehrlich,  Apolog.  Ergänzungen  8 — 21. 
^  Heinrich  a.  a.  0.  180—199. 

s  Schell,  Kath.  Dogmatik  I  215—222.     Paderborn  1889. 


Der  sog.  historische  oder  ethnologische  Gottesbeweis.  159 

Vosen  bezw.  F.  Rheinstädter/  Hontheim,-  Bödder,^ 
Lehmen,*  Reinhold''  u.  a. 

Der  sog.  historische  Beweis  beruht  auf  folgendem 
Schluß: 

Die  Überzeugung  vom  Dasein  der  Gottheit  ist  im 
Menschengeschlechte  eine  allgemeine  und  dauernde  und 
kann  darum  nur  aus  einer  allgemeinen  und  dauernd  wirk- 
samen Ursache  entstehen. 

Weder  in  sich  noch  außer  dem  Menschengeschlecht  ist 
eine  solche  allgemeine  und  dauernd  wirksame  Ursache 
dieser  Erscheinung  denkbar,  ausgenommen  die  mensch- 
liche Vernunft  in  ihrer  Allgemeinheit. 

Also  ist  die  menschliche  Vernunft  in  ihrer  Allgemein- 
heit, d.  h.  in  ihrer  Denknotwendigkeit,  die  einzig  denkbare 
Ursache  der  allgemeinen  Überzeugung  des  Menschen- 
geschlechtes vom  Dasein  der  Gottheit.  Folglich  ist  es  ver- 
nünftig, das  Dasein  der  Gottheit  zu  bejahen,  unvernünftig, 
dasselbe  zu  verneinen.^ 

Die  Tatsache  des  allgemeinen  Gottesglaubens  ist  nach- 
gewiesen durch  die  Tatsache  der  Allgemeinheit  der  Religion. 
Diese  Allgemeinheit  der  Religion  ist  aber  durch  die  reli- 
gionsgeschichtlichen Forschungen  der  Neuzeit  unzweifel- 
haft festgestellt.  Die  berufensten  Autoritäten,  wie  z.  B. 
Max  Müller,  O.  Peschel,  Ratzel,  bezeugen  es. 

„Religion  ist,  wenn  nicht  so  alt  wie  die  Welt,  doch 
mindestens  so  alt  wie  die  Menschheit,  die  wir  kennen. 
Sobald  wir  nur  etwas  von  den  Gedanken  und  Gefühlen 
des  Menschen  wissen,  finden  wir  ihn  im  Besitze  der 
Religion."  „Wir  können  jetzt  sicher  behaupten,  daß  trotz 
aller  Nachforschungen  keine  menschlichen  Wesen  irgendwo 
gefunden  worden  sind,  die  nicht  etwas  besaßen,  was  ihnen 
als  Religion  galt."" 

1  Vosen,  Christentum^  310—319. 

2  Hontheim,  Theod.  227—237. 

3  Bödder,  Theol.  nat.  76—86. 

^  Lehmen,  Theodizee'^  83-90. 

5  Rein  hold,  Die  Welt  als  Fiihreriu  zur  Gottheit  170  —  185. 

6  Vosen  a.  a.  0.  310. 

"  M.  Müller,  Ursprung  und  Entwicklung  der  Religion  88. 


160  Der  historische  Gottesbeweis. 

„Die  Ethnographie",  sagt  R  a  t  z  el,  „kennt  keine  religions- 
losen Völker,  sondern  nur  verschieden  hohe  Entwicklung 
religiöser  Ideen,  die  bei  einigen  wie  im  Keime,  oder  besser, 
wie  in  einer  Verpuppung,  klein  und  unscheinbar  liegen, 
während  sie  bei  andern  zu  einem  herrlichen  Reichtum  von 
Mythen  und  Sagen  sich  entwickelt  haben.'* ^ 

Darum  „muß  die  Frage,  ob  irgendwo  auf  Erden 
ein  Volksstamm  ohne  religiöse  Anregungen  und  Vor- 
stellungen angetroffen  worden  sei,  entschieden  verneint 
werden." - 

Zwar  ist  der  Gottesglaube  bei  den  verschiedenen  heid- 
nischen Völkern  sehr  verschieden,  doch  findet  sich  überall 
die  Überzeugung  vom  Dasein  überirdischer,  geistiger, 
persönlicher  Wesen,  welche  die  ganze  Welt  regieren, 
welchen  sowohl  die  physische  wie  die  moralische  Ordnung 
unterstellt  ist.  Wenn  auch  die  Heiden  eine  Vielheit  von 
Göttern  annehmen,  so  glauben  sie  doch  auch  fast  durch- 
weg  an  eine  höchste  Gottheit,  von  der  die  anderen  Götter 
in  gewissem  Grade  abhängig  sind.^ 

Die  Tatsache  des  allgemeinen  Gottesglaubens  bedarf 
eines  genügenden  Grundes.  Dieser  kann  nur  gefunden 
werden  „in  der  vernünftigen  Menschennatur,  insofern  sie 
bei  ihrer  Betätigung  gegenüber  den  äußeren  und  inneren 
Erfahrungen  und  Ereignissen  naturgemäß  und  auf  leichte 
Weise  zur  Überzeugung  vom  Dasein  Gottes  gelangt".^  Es 
muß  in  dem  menschlichen  Geiste  nicht  nur  die  Fähigkeit, 
die  Idee  von  Gott  zu  fassen,  sondern  auch  ein  Gesetz 
liegen,  demgemäß  er  die  Realität  dieser  Idee  anerkennen 
muß.  Wenn  aber  die  Vernunft  Vermögen  zu  erkennen 
ist,  so  muß  auch  das  sich  in  ihr  gesetzmäßig  entwickelnde 
Denken  und  Urteilen  Wahrheit  haben,  weil  Erkennen  und 
Wahres  erkennen  dasselbe  ist.'' 


1  Ratzel,  Völkerkunde  I  31  (1885). 

2  Peschel,  Völkerkunde  1,1875)  273.    Vgl.  Fesch  Chr.,  Der  Gottes- 
begriff.    Frbg.  1885  u.  1888;  Gott  und  Götter.     Frbg.  1890. 

3  Vgl.  Hont  heim,  Theod.  228—229. 
*  Lehmen,  Theodizee^  89—90. 

"  Kleutgen,  Philosophie  der  Vorzeit  II 2  716  f. 


Der  sog.  historische  oder  ethnologische  Gottesbeweis.  161 

Will  man  das  nicht  zugeben,  so  muß  man  an  der 
Fähigkeit  der  menschlichen  Vernunft  zur  Erkenntnis  der 
Wahrheit  verzweifeln  und  auf  jede  genügende  Erklärung 
der  Tatsache  verzichten.^ 

b)  Bedenken  gegen  den  historischen  Beweis. 

Der  sog.  historische  Gottesbeweis  beruht  auf  den  zwei 
Prämissen:  auf  der  Tatsache  der  allgemeinen  Überzeugung 
der  Menschheit  vom  Dasein  der  Gottheit  und  auf  der  Ver- 
nunftwahrheit, daß  eine  solche  allgemeine,  dauernde  Über- 
zeugung nicht  aus  dem  Irrtum  entsprungen  sein  kann. 

Gegen  diese  Prämissen  richten  sich  die  Angriffe  der 
Gegner  und  behaupten  zunächst: 

1.  Die  allgemeine  Übereinstimmung  besteht  nicht.  Denn 
es  gibt 

a)  Pol3^theisten;  ja  der  Polytheismus  kann  sich  viel  eher 
auf  den  Konsens  der  Völker  berufen  als  der  Monotheismus; 

b)  Atheisten;  der  Atheismus  ist  in  unseren  Tagen  weit 
verbreitet. 

Auf  den  Einwand,  hergenommen  vom  Polytheismus, 
erwidert  Heinrich:  Der  Polytheismus  hat  zwar  die  Idee 
Gottes  entstellt,  nicht  aber  gänzlich  zerstört,  noch  den 
Glauben  an  die  Existenz  Gottes  vernichtet.  Sodann  war 
nach  dem  Zeugnis  aller  historisch  zuverlässigen  Doku- 
mente nicht  der  Polytheismus,  sondern  die  Verehrung  des 
einen  und  wahren  Gottes  die  ursprüngliche  Religion  des 
ganzen  Menschengeschlechtes;  der  Polytheismus  ist  erst 
später  und  mit  dem  fortschreitenden  Verderben  entstanden. 
Die  Erinnerung  an  den  ursprünglichen  Monotheismus  hat 
sich  auch  bei  allen  heidnischen  Völkern  erhalten.  Endlich 
haben  sich  die  Heiden  trotz  allen  Pantheismus  allezeit  in 
ihrer  vernünftigen  und  gottebenbildlichen  Seele  die  Fähig- 
keit und  den  Trieb  bewahrt,  den  einen  und  wahren  Gott 
zu  erkennen  und  anzuerkennen,  wie  dies  die  ältesten  Väter 
dem  antiken  Heidentum  gegenüber  als  schlagendes  argu- 
mentum ad  hominem  für  die  Einheit  und  alle  Eigenschaften 
des  wahren  Gottes  entgegengehalten  haben. - 


1  Hontheim,  Theoil.  231.  ^  Heinrich.  Dogmatik  II-  186—188. 

Staab,  Gottesbeweise  in  der  kath.  Lateratur.  11 


162  Der  historische  Gottesbeweis, 

Noch  weit  weniger  als  der  Polytheismus  kann  der 
Atheismus  in  seinen  verschiedenen  Formen  die  All- 
gemeinheit des  Gottesglaubens  in  Zweifel  stellen.  Denn 
„abgesehen  davon,  daß  auch  im  Gottesleugner  das  Zeugnis 
der  Seele  sich  geltend  macht,  ist  der  Atheismus  stets  nur 
ein  vereinzeltes  und  vorübergehendes  Produkt 
wissenschaftlicher  Verirrung,  sittlicher  Entartung,  aufs 
äußerste  verderbter  sozialer  Zustände  gewesen".^  Wenn 
man  geltend  macht,  viele  Philosophen  seien  Atheisten 
gewesen,  so  antwortet  Hont  heim:  „Die  größten  und 
dauernd  einflußreichsten  Philosophen  wie  Sokrates, 
Plato,  Aristoteles,  Cicero,  Seneca,  St.  Thomas, 
Cartesius,  Leibniz,  auch  Kant  waren  Theisten.  Außer- 
dem ist  zu  beachten,  daß  viele  nicht  ausgesprochene 
Gottesleugner,  sondern  nur  Agnostiker  waren  oder  den 
Gottesbegriff  im  Sinne  des  Pantheismus  entstellten,  womit 
sie  allerdings  in  der  Tat  Atheisten  wurden.  Endlich  er- 
scheint die  Autorität  der  Philosophen,  die  sich  für  über- 
zeugte Atheisten  ausgaben,  in  einem  zweifelhaften  Lichte, 
wenn  wir  ihre  sich  gegenseitig  oft  widersprechenden 
Gründe  für  den  Atheismus  prüfen  oder  wenn  wir  sie 
Grundwahrheiten  des  menschlichen  Erkennens  und  sitt- 
lichen Handelns  leugnen  sehen."  ^ 

2.  Die  Übereinstimmung  zugegeben  —  behaupten 
ferner  die  Gegner  —  beweist  sie  doch  nicht  die  Wahrheit 
des  Gottesglaubens. 

Denn  a)  die  allgemeine  Übereinstimmung  kann  auch 
ein  allgemeiner  Irrtum  sein.  Man  denke  nur  an  den 
allgemein  verbreiteten  Irrtum,  daß  die  Sonne  sich  um  die 
Erde  bewege.  — 

Allein  hier  darf  man  den  fundamentalen  Unterschied 
nicht  übersehen,  der  zwischen  dem  allgemeinen  Gottes- 
glauben und  diesem  genannten  allgemeinen  Irrtum  bezüg- 
lich ihres  Prinzips  besteht.  Bei  dem  Glauben,  die  Sonne 
drehe   sich    um    die   Erde,    handelte   es    sich    um   Sinnes- 

1  Heinrich,  Dogmatik  IIl^  189.  Vgl.  Schanz,  Apologie  P  94— 103. 
Lehmen,  Theodizee-'  86—87.  96. 

^  Hontheim,  Theod.  235—236. 


Der  sog.  historische  oder  ethnologische  Gottesbeweis.  163 

täuschung;  dagegen  die  Überzeugung  vom  Dasein  Gottes 
stützt  sich  nicht  auf  trügerischen  Sinnenschein,  sondern 
auf  die  Vernunft.  Darum  schwand  mit  dem  Fortschritt 
der  Wissenschaft  der  genannte  Irrtum,  während  die  Über- 
zeugung vom  Dasein  Gottes  dadurch  nur  um  so  mehr 
bestärkt  und  gefestigt  wurde.' 

b)  Die  Übereinstimmung  im  Gottesglauben,  bezw.  die 
Religion,  sagt  man  w^eiter,  kann  aus  äußeren  und  zu- 
fälligen Ursachen  erklärt  werden.  Damit  glaubt  man 
den  historischen  Gottesbeweis  am  radikalsten  entkräften 
zu  können. 

So  will  man  den  Ursprung  der  Religion  und  damit 
die  Allgemeinheit  des  Gottesbewußtseins  herleiten 

ß)  aus  der  Abhängigkeit  des  Menschen  von  und  aus 
der  Furcht  vor  unbekannten  Naturgewalten; - 

ß)  aus  Betrug  und  absichtlicher  Täuschung  von  Seiten 
scharfsinniger  Gesetzgeber,  selbstsüchtiger  Priester  und 
Könige  (Die  Sophisten  alter  und  neuer  Zeit); 

/)  aus  psychologischer  Täuschung,  die  wieder  ver- 
schieden gefaßt  wird.  Nach  Hume  und  Herbert  Spencer 
ist  Religion  Ausgeburt  der  Phantasie,  nach  Feuerbach-^ 
die  ins  Jenseits  verlegte  Personifikation  aller  menschlichen 
Wünsche,  nach  Darwin,*  Lippert^  ist  der  Gottesglaube 
aus  dem  Ahnen-  und  Seelenkult  hervorgegangen,  nach 
Hegel  und  Schopenhauer  hat  endlich  der  Verstand 
selbst  durch  seinen  Kausalitätsdrang  und  sein  Verlangen 
nach  Metaphysik  den  Menschen  getäuscht,  hat  die  nicht 
gefundenen  Ursachen  erfunden,  die  Ursachen  der  Natur- 
erscheinungen als  persönliche  Wesen  gedacht  und  so  den 
Gottesglauben  ersonnen  als  Ersatz  für  die  fehlende  Natur- 
erkenntnis. 


1  Vgl.  Hontheim,  Theod.  237.  Lehmen,  Theodizee' Oc'.  Weber, 
Christi.  Apol.  74.    Schweiz,  Theol.  fund.  30—37. 

-  Hume.  Natural  history  of  religion.  Edinburg  1755.  Strauß. 
Der  alte  und  der  neue  Glaube  96  (Bonn  1852). 

^  Feuerbach,  Wesen  des  Christentums.    1841. 

*  Darwin,  Abstammung  des  Menschen  I  56. 

5  Lippert,  Die  Religionen  d.  europäischen  Kulturvölker.  Berlin  1881. 

11* 


164  Der  historische  Gottesheweis. 

Die  Unzulänglichkeit  dieser  atheistischen  Erklärungs- 
versuche der  Religion  haben  Schell,^  Schill,-  Gut- 
beriet,^  Hontheim^  u.  a.  eingehend  dargetan.  Braig'' 
nennt  all  diese  Erklärungsversuche  „Beweiserschleichun- 
gen".  „Denn  selbst  zugegeben,"  sagt  er,  ,, Erscheinungen 
wie  die  angeführten  hätten  zur  Erzeugung  des  allgemeinen 
Gottesbewußtseins  mitgeholfen:  immer  bleibt  die  Möglich- 
keit, die  innere  und  äußere  Möglichkeit  dieser  Erzeugung 
und  jener  Mithilfe  erklärungsbedürftig.  Aber  selbst  die 
vernunftwidrige  Möglichkeit  zugegeben,  ein  Gottesbewußt- 
sein dem  niedrigen  durch  einen  geistig  höher  stehenden 
Menschen  anzuerziehen,  ihn  darauf  abzurichten  —  wie 
konnte  der  höher  Gestellte  selbst  ursprünglich  auf  reli- 
giöse Ideen  kommen  ohne  die  psychologische  Voraus- 
setzung einer  religiösen  Anlage?  Und  wäre  das  Religiöse 
der  Menschennatur,  der  Zug  nach  dem  Unendlichen,  der 
,Hang  zum  Mysterium',  der  , Kausalitätsdrang',  das  , meta- 
physische Bedürfnis',  ein  körperliches  oder  geistiges 
Krankheitsprodukt,  eine  verschuldete  oder  unverschuldete 
Regelwidrigkeit  der  Gehirn-  und  Xervenfunktionen:  wie 
konnten  diese  naturwidrigen  Zustände  einzelner  Menschen 
allgemein  werden?  Warum  überhaupt  mußte  die  Er- 
krankung gerade  die  Form  des  Religionswahns  annehmen? 
Erkrankung  heißt  und  ist  Degeneration,  Denaturation. 
Warum  soll  in  einem  Fall  die  Natur  des  Menschen  be- 
harrlich und  eigensinnig  über  sich  selbst  hinaustreiben 
und  gerade  in  der  Richtung  des  Übernatürlichen,  dessen 
Begriffe  zugestandenermaßen  weder  in  ihrem  Ursprung 
noch  mit  ihrem  Inhalt  eine  Verneinung,  sondern  vielmehr 
eine  Steigerung  des  Natürlichen  bedeuten?" 

Kurz  alle  diese  Erklärungsversuche  erklären  gerade 
das  nicht,  was  der  Erklärung  bedarf:  die  Allgemeinheit 
und     unvergängliche   Dauer    des    Gottesglaubens    in    der 


'  Schell,  Religion  und   Ofienbarung  17-194.     Paderborn   1901. 

-  Schill,  Prinzipienlehre  38 — 46. 

='  Gutberiet,  Apologetik  1-  57—84. 

^  Hontheim,  Theod.  231  -235. 

^  Braig,  Gottesbeweis  Oeler  Gottesbeweise?  76—78. 


Der  so;,',  historische  0(Jer  ethnologische  Gottesbeweis.  165 

Menschheit.  Ursache  und  Wirkung  stehen  in  keinem  Ver- 
hältnis, der  blinde  Zufall  soll  den  mächtigsten  Faktor  im 
Leben  der  Gesamtmenschheit  erklären.  Außerdem  über- 
sieht man  hierbei,  daß  es  sich  nicht  bloß  um  religiöse 
Erkenntnis,  sondern  vor  allem  auch  um  die  sittliche  Idee 
in  allen  Religionen  handelt.  Woher  aber  das  Gewissen, 
Schuldbewußtsein,  Verlangen  nach  Versöhnung?  Es  bleibt 
darum  als  einzige  Erklärung  des  allgemeinen  Gottes- 
glaubens die  vernünftige  Menschennatur.  Ist  aber 
der  allgemeine  Gottesglaube  in  der  vernünftigen  Menschen- 
natur begründet,  dann  beruht  er  notwendig  auf  Wahrheit, 
d,  h.  es  gibt  einen  Gott.^ 

So  dürfen  wir  zum  Schluß  das  Urteil  von  Schanz 
über  den  historischen  Beweis  anführen:  „Zwar  wurde  der 
Beweis  ex  consensu  gentium  von  jeher  vielfach  beanstandet, 
weil  die  Entstehung  der  Religion  aus  gemeinsamen  Lebens- 
erfahrungen und  Bedingungen  sowie  die  Fehlbarkeit  der 
Stimme  des  Volkes  dagegen  sprechen  sollen  .  .  .  Aber  das 
erste  ist  bis  jetzt  durchaus  unerwiesen,  und  das  andere 
würde  zum  reinen  Skeptizismus  führen;  denn  keine  Wahr- 
heit erfreut  sich  einer  gleich  allgemeinen  Zustimmung  der 
Gebildeten  und  Ungebildeten.  Der  „allgemeine  Sinn"  stellt 
ein  weit  sichereres  Kriterium  der  Wahrheit  dar  als  die 
Dialektik  weniger  großer  Geister.  Ebensowenig  können 
die  zahlreichen  Irrtümer  der  Natur-  und  Kulturreligionen 
gegen  die  allgemeine  Tatsache  der  Religion  und  ihre  Grund- 
lage im  Geiste  des  Menschen  sprechen.  Denn  der  Irrtum 
setzt  die  Wahrheit  voraus." - 

Der  historische  Gottesbeweis  ist  ein  selbständiger  Be- 
weis, den  allerdings  manche  wie  Scheeben,-^  Reinhold^ 
zu  den  indirekten  Beweisen  rechnen.  Sie  wollen  damit 
sagen :  Der  historische  Gottesbeweis  weist  aus  der  Beschaffen- 
heit des  in  der  Menschheit  tatsächlich  vorhandenen  Gottes- 
bewußtseins  nach,    dieses  Bewußtsein  könne   nur  Produkt 

'  Lehmen,  Theodizee-  95. 

-  Schanz,  Apologie  I-''  94. 

•^  Scheeben,  Dogmatik  I  475 

••  Reinhold,  Die  Welt  als  Führerin  zur  Gottheit  184. 


166  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise? 

der  vernünftigen  Natur  des  Menschen  sein,  und  sein  Inhalt 
müsse  folglich  ebenso  sicher  wahr  sein,  als  die  menschliche 
Natur  eine  vernünftige  ist. 

Dagegen  will  Braig  „die  zeitlich  und  räumlich  ge- 
nommene Allgemeinheit  des  Gottesglaubens  nur  als  eines 
der  Beweismittel,  nicht  als  selbständigen,  unabhängigen 
Gottesbeweis  gelten  lassen.  Der  historische  Gottesbeweis 
tut  nach  ihm  nur  so  viel  dar:  was  die  psychologische  Ana- 
lyse bei  jedem  Menschen  findet,  die  Gottesidee,  wenigstens 
deren  Elemente,  dasselbe  findet  die  Völkerpsychologie  als 
Naturanlage  der  Menschheit.  Diese  Erfahrungstatsache 
verlangt  einen  zureichenden  Grund  der  Erklärung  und 
ihres  Seins.  Erst  indem  die  Erklärung  die  genannte  Wahr- 
nehmung mit  den  übrigen  Bestimmtheiten  der  Natur  und 
des  Geistes  zusammenfaßt,  kann  sie  vermittelst  des  logi- 
schen Schließens  aus  dem  allgemeinen  Gottesglauben 
ein  Wissen  von  Gottes  Dasein  ermitteln.  Indem  man, 
wie  für  die  anderen  teleologischen  Wesensbestimmtheiten 
der  Naturdinge,  so  auch  für  die  religiöse  Anlage  des 
Menschenwesens  die  logisch-vernünftige  Erklärung  sucht, 
fügt  man  dem  einen  Gottesbeweis  sein  letztes  und  wich- 
tigstes Glied  bei.i 

Dreizehntes  Kapitel. 

Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise? 

Wie  sich  aus  unserer  Darlegung  ergibt,  bauen  sich 
alle  Gottesbeweise  auf  ein  und  demselben  Prinzip  auf:  sie 
nehmen  stets  ihren  Ausgang  von  der  erfahrungsmäßigen 
Wirklichkeit,  von  dem  Gesamtkosmos  und  seinen  Eigen- 
schaften und  schließen  mit  Hilfe  des  Kausalgesetzes  auf 
die  Existenz  eines  überweltlichen,  persönlichen  Gottes  als 
einzig  zureichenden  Erklärungsgrund  der  Wirklichkeit. 
In  Anbetracht  dessen  liegt  die  Frage  nahe,  wie  sich  die 
Gottesbeweise    zueinander    verhalten,    ob    sie    selbständig 


'  Val.  Braig,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  75 — 78. 


Alle  Gottesbeweise  nur  ein  Gottesheweis.  167 

nebeneinander  stehen  oder  zusammenj^ehören;  mit  einem 
Wort:  ob  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  Die  Antwort 
auf  diese  Frage  ist  eine  doppelte. 

a)  Alle  Gottesbeweise  nur  ein  Gottesbeweis. 

Der  entschiedenste  Vertreter  dieser  Ansicht  ist  Braig 
in  seiner  Abhandlung:  „Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?" 
Das  Resultat  seiner  Untersuchung  faßt  er  so  zusammen: 
„Der  Sache  nach  kann  es  nicht  mehrere,  voneinander 
unabhängige  Gottesbeweise  geben,  weil  eben  die  Voraus- 
setzung, auf  die  sich  jede  reale  Beweisführung  stützen 
muß,  nur  Eine  ist,  die  bloß  logisch  in  eine  Dreiheit  zer- 
gliederte Existentialform  des  Einen  Weltseins:  Bedingt- 
heit, Gesetzlichkeit,  Zweckmäßigkeit  dss  Seienden,  der 
Seinsgesamtheit.  Die  Ontologie  nötigt  zum  Schluß  auf 
die  causa  essendi,  die  Nomologie  nötigt  dazu,  die  Seins- 
ursache zu  fassen  als  causa  ordinandi,  als  Verstand,  die 
Teleologie  endlich  nötigt  dazu,  die  Trägerin  des  Seins- 
gesetzes zu  verstehen  als  causa  determinandi,  als  Weisheit 
und  Freiheit.  Der  Seiende,  der  Denkende,  der  weise 
Wollende  und  frei  Wirkende,  das  sind  die  metaphysischen 
Merkmale  für  das  Urwesen,  wie  der  theistische  Gottes- 
begriff dieselben  faßt.  Sachlich  sind  die  Merkmale  nicht 
voneinander  zu  trennen,  so  wenig  als  die  Bedingtheit,  die 
Gesetzlichkeit,  die  Zweckmäßigkeit  des  Seienden  jeweils 
ein  eigenes  Sein  am  Seienden  bezeichnen.  Vielmehr  nennen 
diese  Prädikate  die  unter  dreifachem  Gesichtspunkte  dar- 
gestellte Existentialform  des  Seienden,  die  Dreifachheit 
der  Seinsweise  für  die  Einheit  seines  Wesens.  Der  Schluß 
von  dieser  dreifachen  realen  Voraussetzung  auf  das  Dasein, 
Wirken  und  Wiesein  des  Weltgrundes,  das  ist 

der  objektive  Gottesbeweis." ^ 

Braicr  hat  damit  scharf  den  inneren  Zusammenhang 
der  Gottesbeweise  betont  im  Interesse  der  Stringenz.  Er 
steht   mit  seinem  Urteil   nicht   allein.     So   schreibt  Albert 


Braig,  Gottesheweis  oder  Gottesbeweise?  22G. 


I  68  Gott.esbeweis  oder  Gottesbeweise? 

Stöckl:!  „Die  Gottesbeweise  stehen  in  integralem  Zu- 
sammenhang miteinander,  d.  h.  der  eine  ergänzt  immer 
den  anderen,  und  die  Beweisführung  ist  erst  dann  voll- 
endet und  ihrem  Zweck  vollkommen  entsprechend,  wenn 
das  ganze  Beweissystem  nach  all  seinen  integralen  Gliedern 
entwickelt  ist.  Nicht  als  ob  der  einzelne  Beweis  für  sich 
nicht  vollkommen  konkludent  wäre  inbezug  auf  seinen 
eigenen  Schlußsatz,  aber  dieser  Schlußsatz  selbst  wird 
immer  wieder  kompletiert  durch  den  Schlußsatz  des 
anderen  Beweises.  Die  Gottesbeweise  bilden  ein  System, 
zu  welchem  sie  sich  als  integrale  Glieder  verhalten." 

Endert  vergleicht  den  Gottesbeweis  mit  einem  Orga- 
nismus, wo  das  einzelne  Glied  Lebensfähigkeit  hat,  weil 
es  in  einem  Lebensverband  mit  dem  Ganzen  steht,  wo  sich 
die  einzelnen  Glieder  wohl  unterscheiden,  aber  nicht  von- 
einander trennen  lassen. 

„Die  Einzelbeweise  zeigen  durch  die  Betrachtung  des 
Weltwirklichen  unter  einem  bestimmten  Gesichtspunkt  den 
Urgrund  der  Welt  nur  nach  einer  bestimmten  Seite  und 
vermögen  nur  als  Glieder  einer  großen  Gesamtinduktion, 
nur  in  ihrer  einheitlichen  Zusammenfassung  die  in  ihnen 
liegende  Macht  zu  entfalten,  während  sie  vereinzelt  und 
losgelöst  vom  solidarisch  verbundenen  Ganzen  durch  Zer- 
splitterung ihre  Kraft  schwächen  und  ihre  Hauptstärke 
preisgeben." - 

Noch  weiter  geht  Hamma.  Nach  seiner  Ansicht  zer- 
fällt der  Gottesbeweis  in  mehrere  Segmente,  welche  alle 
zusammengehören  und  nur  in  ihrem  Zusammenhang  Be- 
weiskraft haben.  ■ 

Auch    Ehrlich,^    Sprinzl,'^    Dippel,^    Scheeben,' 

^   A.  Stöckl,  Die  Beweise  für  das  Dasein  Gottes.    Katholik  186t). 

II  267. 

-  Endert,  Der  Gottesbeweis  in  der  patr.  Zeit  8 — 9. 
'■'  Hamma,  Metaphysik  122. 

•*  Ehrlieh,  Apol.  Ergänzungen  zur  Fundamentaltheol.  52  —  51. 
Prag  1863. 

5  Sprinzl,  Fundamentaltheol.  60 — 61. 
^  Dippel,  Die  beiden  Grundfragen  192. 
■  Scheeben,  Dogmatik  1  473.  476. 


Alle  Gottesbeweise  nur  ein  Gottesbeweis.  169 

König/  Simar,-  Hagemann  '  treten  für  die  Solidarität 
der  Gottesbeweise,  die  Einheit  des  Gottesbeweises  ein,  der 
sich  darstellt  als  „eine  universale  Induktion,  die  sich  über 
der  Betrachtung  des  einen  Gesamtkosmos  —  dem  Makro- 
kosmos und  Mikrokosmos  —  aufbaut'*.' 

Co  mm  er,'  Grimmich,''  Schanz'  weisen  darauf  hin, 
dal)  auch  nach  der  Ansicht  des  hl.  Thomas  die  „fünf 
Wege"  nur  einen  Gottesbeweis  bilden  sollten;  denn  die 
Einzelbeweise  schließen  für  sich  nur  auf  die  Wirklichkeit 
fünf  bestimmter,  reell  existierender  Eigenschaften,  die  in- 
bezug  auf  das  Subjekt  zusammengehören. 

„Die  fünf  Beweise  für  die  Eigenschaften  können  und 
sollen  einzeln  nicht  für  das  Dasein  Gottes  gelten;  denn 
sie  beweisen  für  sich  noch  nicht  die  Realität  eines  Wesens, 
das  unserem  allgemeinen  Begriff  von  der  Gottheit  ent- 
spricht. Zusammen  beweisen  sie  jedoch  direkt  die  Existenz 
eines  solchen  Subjektes  mit  höchster  metaphysischer  Ge- 
wißheit. Einzeln  für  sich  genommen,  kommt  daher  diesen 
fünf  Beweisen  nur  Wahrscheinlichkeit  zu,  wenn  sie  direkt 
auf  das  Dasein  Gottes  bezogen  werden,  während  sie  bezüg- 
lich des  realen  Vorkommens  jener  einzelnen  Eigenschaften 
vollste  Wahrheit  und  Gewißheit  besitzen.  Deshalb  nennt 
Thomas  jene  fünf  Einzelbeweise  auch  nur  fünf  Wege, 
auf  denen  man  zum  Beweis  für  das  Dasein  Gottes 
gelange."** 

Gerade  durch  die  Betonung  des  organischen  Zusammen- 
hangs der  Gottesbeweise   erwachsen  der  kath.  Apologetik 


V  König,  Schöpfung  und  Gotteserkenutnis  öS. 

2  Simar,  Dogmatik   107. 

a  Hagemann,  Metaphysik ^^  173.  Vgl.  auch  Wieser,  Die  natürl. 
Gotteserkenntnis.     Zeitschr.  f.  kath.  Theol.  1880.     467. 

^  Endert,  Der  Gottesbeweis  7. 

^  Com  m  er,  System  der  Philosophie  30—31.     Münster   1885. 

6  Grimmich,  Lehrbuch  der  theoretischen  Philosophie  439.  Frei- 
burg 1893. 

"  Schanz,  Die  alte  mid  die  neue  Weltanschauung  Theol.  Quartal- 
schritt 1890.     172.  481. 

^  Commer  a.  a.  0.  31. 


170  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise? 

nach  Endert,!  Ehrlich 2  große  Vorteile  gegenüber  der 
Polemik,  weil  viele  Einwände  sich  unter  diesem  Gesichts- 
punkte von  selbst  erledigen.  Ehrlich  faßt  seine  Ansicht 
dahin  zusammen:  „Wenn  man  jeden  einzelnen  der  sog. 
Beweise  als  einen  selbständigen  und  vollständigen  ansieht 
und  ihn  etwa  beliebig  noch  formuliert,  so  läßt  sich  ohne 
Schwierigkeit  zeigen,  daß  keiner  vollkommen  das  beweist, 
was  er  beweisen  will;  woraus  dann  am  Ende  das  Resultat 
sich  ergibt,  daß  das  Dasein  Gottes  sich  nicht  wissenschaft- 
lich beweisen  lasse.  Dies  Verfahren  gleicht  aber  jenem 
einiger  Vertreter  der  modernen  Naturforschung,  wenn  sie, 
um  zu  beweisen,  daß  eine  animalische  Lebenskraft  nicht 
existiere,  uns  das  lebende  Tier  in  Stücke  zerschneiden  und 
nun  zeigen,  daß  die  gesuchte  Lebenskraft  in  keinem  der 
Stücke  sich  finden  lasse."  ^• 

b)  Gottesbeweise  und  Gottesbeweis. 

Eine  andere  Gruppe  verteidigt  dagegen  entschieden 
die  Selbständigkeit  der  einzelnen  Beweise  und  antwortet 
mit  Gutberiet  auf  die  Frage:  „Gottesbeweis  oder  Gottes- 
beweise?": „Gottesbeweis  und  Gottesbeweise." ^ 

Gutberiet  prüft  die  Schwierigkeiten,  die  Braig 
gegen  seine  Gottesbeweise  gemacht  hatte,  und  kommt  zu 
dem  Schluß:  „Wir  wollen  nicht  behaupten,  daß  alle  die 
von  uns  dargelegten  Gottesbeweise  gleich  stringent  sind: 
manche  derselben  erhalten  nur  in  Verbindung  mit  anderen 
ihre  Kraft,  aber  es  ergibt  sich  doch  aus  der  gesamten 
Darstellung,  daß  es  nicht  nutzlos  ist,  den  Nachweis  der 
Existenz  Gottes  in  eine  Mannigfaltigkeit  zu  zerlegen." 
Er  erklärt  sich  dann  für:  „Gottesbeweis  und  Gottes- 
beweise." 


'  Endert,  Der  Gottesbeweis  in  der  patr.  Zeit  8. 
-  Ehrlich,  Apolog.  Ergänzungen  54. 

3  A.  a.  0.  54.  Vgl.  Endert  a.  a.  0.:  „Die  Wahrheit  ist  Einheit 
und  Leben,  und  man  braucht  sie  nur  in  Stücke  zu  reifsen ,  um  sie  zu 
vernichten  " 

4  Gutberiet,  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise?  Phil.  Jahrbuch 
l  (1888).     369—395. 


Gottesbewei.se  und  Gottesbeweis.  171 

Die  Verteidiger  der  vollen  Selbständif,'keit  und  Strin- 
genz  der  einzelnen  Gottesbeweise  gehen  von  dem  Grundsatz 
aus,  den  Kleutgen  inbezug  auf  die  thomistischen  Wege 
aufstellt:  „Um  das  Dasein  eines  Wesens  zu  beweisen,  genügt 
es,  irgendein  Merkmal,  das  ihm  allein  zukommt,  zu  wählen, 
um  sodann  darzutun,  daß  es  in  Wirklichkeit  ein  Wesen 
gibt,  in  dem  dieses  Merkmal  sich  bewährt;  ferner  können 
und  müssen  die  beiden  Fragen:  ,Ob  Gott  sei?'  und:  ,Wie 
beschaffen  er  sei?*  wohl  unterschieden  werden."' 

„Es  kann  nicht  verlangt  werden,"  sagt  Lehmen,  „dali 
jeder  Beweis  die  Attribute  Gottes  (als  eines  von  der  Welt 
verschiedenen,  durch  Verstand  und  Willen  wirkenden  und 
daher  persönlichen  Wesens)  gleich  unmittelbar  hervorhebe; 
es  genügt  schon,  daß  wir  durch  unsere  Beweisführung  zu 
einem  Attribut  gelangen,  aus  dem  die  übrigen  für  den 
Begriff  Gottes  wesentlichen  Attribute  unmittelbar  oder 
mittelbar  sich  ergeben  .  .  .  Dagegen  ist  unbedingt  erfordert, 
daß  sich  aus  den  erwiesenen  Attributen  der  Begriff  Gottes 
als  des  absolut  höchsten  und  vollkommensten  Wesens 
durch  weiteres  Nachforschen  gewinnen  lasse."-  Doch  be- 
gnügen sich  die  neueren  kath.  Philosophen  und  Theologen 
keineswegs  mit  dem  bloßen  Nachweis  des  ens  necessarium 
oder  ens  a  se,  sondern  sie  führen  fast  durchweg  den  Gottes- 
beweis so  weit,  daß  der  Begriff  eines  persönlichen,  von  der 
Welt  unterschiedenen  unendlichen  Geistes,  d.  i.  der  Begriff 
des  wahren  Gottes  deutlich  hervortritt. 

Auf  Grund  der  genannten  Voraussetzungen  erblickt 
Rolf  es  in  den  thomistischen  Wegen  eigene  Beweise;  frei- 
lich werde  in  all  diesen  Beweisen  das  Kausalitätsgesetz 
angewandt,  aber  das  begründe  doch  nur  eine  Überein- 
stimmung in  genere,  da  es  jedesmal  anders  zur  Verwendung 
komme.  Das  eine  Mal  gehöre  Ursache  und  Wirkung  der 
Kategorie  des  Wirkens  und  Leidens  an,  das  andere  Mal 
der  Substanz,  das  dritte  Mal  halte  sie  sieh  im  Bereich 
der  Qualität,  ein  viertes  Mal  in  demjenigen  der  Relation, 


'  Kleutgen,  Philosophie  der  Vorzeit  11 '  1)94. 
-  Lehmen,  Theodizee-  27. 


172  Gottesbeweis  oder  Gottesbeweise? 

indem  die  Beziehung  zwischen  Mittel  und  Zweck  zum 
Ausgang  genommen  werde. 

Wie  der  Beweis,  so  wechsle  auch  jedesmal  der  Ertrag: 
das  erste  Argument  ergebe  die  ewige,  unwandelbare  Tat, 
das  zweite  das  absolute  Sein,  das  dritte  die  schranken- 
lose Vollkommenheit,  das  vierte  die  unergründliche  Weis- 
heit, und  von  jedem  dieser  vier  Momente  lassen  sich  auf 
besonderen  Wegen  eine  Reihe  weiterer  Aufschlüsse  über 
die  Natur  Gottes  gewinnen. 

„Die  Vorzeit  war  mithin  vollkommen  im  Recht,  wenn 
sie  von  einer  Mehrheit  von  Gottesbeweisen  redete,  und  wir 
dürfen  von  ihrer  Anschauung  nicht  abgehen."  ^ 

Zwar  „ergeben  sich",  sagt  Heinrich,  „nicht  aus  einem 
jeden  der  aposterioristischen  Gottesbeweise  für  sich  allein 
und  vollkommen  entfaltet  alle  durch  die  bloße  Vernunft 
erkennbaren  Eigenschaften  des  wahren  Gottes,  doch  be- 
weist jeder  das  Dasein  Gottes  vollständig  aus  doppeltem 
Grunde : 

1.  ein  jeder  dieser  Beweise  demonstriert  Gott  als  das 
von  der  Welt  verschiedene,  absolute  Wesen  und  den  Ur- 
heber aller  Dinge.  Aus  dem  absoluten  Sein  und  der 
absoluten  Ursächlichkeit  Gottes  können  aber  alle  Eigen- 
schaften Gottes,  insbesondere  seine  Unendlichkeit  und 
Geistigkeit,  mit  vernünftiger  Notwendigkeit  abgeleitet 
werden ; 

2.  aber  auch  die  verschiedenen  Gottesbeweise  selbst 
explizieren,  ein  jeder  von  einer  anderen  Seite  die  unend- 
liche Vollkommenheit  Gottes,  so  daß  also  durch  die  her- 
kömmlichen Gottesbeweise,  wenn  man  sie  zusammennimmt, 
alle  Eigenschaften  des  wahren  Gottes  sehr  vollkommen 
entfaltet  und  nachgewiesen  werden  .  .  .  Insofern  kann 
man  sagen,  daß  die  verschiedenen  Gottesbeweise  einander 
ergänzen,  nämlich  bezüglich  der  vollkommenen  Erkenntnis 
des  göttlichen  Wesens."- 

Also    nach    der    zweiten    Ansicht    ergänzen    sich    die 


1  Rolf  es,  Die  Gottesbeweise  des  hl.  Thomas  300—301. 

2  Heinrich,  Dogmatik  III^  200—201. 


Gottesbeweise  und  Gottesbeweis.  173 

Gottesbeweise  nicht  zur  größeren  Evidenz,  sondern  nur 
zur  vollkommeneren  Erkenntnis  des  göttlichen  Wesens.' 

Den  tiefsten  Grund,  warum  die  einen  die  Gottesbeweise 
nur  in  ihrer  Gesamtheit,  die  anderen  joden  einzelnen  als 
stringent  betrachten,  will  Roderfeld  in  ihrem  erkenntnis- 
theoretischen Standpunkt  erblicken,  ob  sie  nämlich  Plato- 
niker  oder  Aristoteliker  seien. 

Zu  den  letzteren  zählt  er  Kleutgen,  Pesch,  Gut- 
beriet, Heinrich. 

Nach  der  Ansicht  Roderfelds  wollen  die  Platoniker 
das  Dasein  Gottes,  den  vollen  Begriff  Gottes,  beweisen  und 
somit  zugleich  die  Falschheit  des  pantheistischen  Gottes- 
begriffs dartun;  die  Aristoteliker  dagegen  begnügen  sich, 
das  Dasein  Gottes  seinem  allgemeinsten,  abstrakten  Begriff 
nach  zu  demonstrieren.  Sodann  nehmen  die  Aristoteliker 
mehr  den  praktisch-populären  Standpunkt  ein,  während 
die  Platoniker  auf  den  rein  theoretischen,  streng  wissen- 
schaftlichen Standpunkt  sich  stellen. 

Doch  gibt  er  zu,  daß  diese  Differenzen  nur  formeller, 
methodischer  Natur  sind  und  das  Wesen  der  Sache  un- 
berührt lassen.  Zudem  muß  er  sagen,  daß  auch  bei  den 
Neuscholastikern  wie  Scheeben,  Heinrich,  Hagemann, 
Kleutgen,  Simar,  v.  Endert  solche  Äußerungen  der 
Zusammengehörigkeit  vorkommen,  daß  selbst  in  formeller 
Beziehung  fast  jeder  Unterschied  zwischen  ihnen  und  den 
Piatonikern  schwindet.'^ 

Darum  dürfte  wohl  Gutberiet  unsere  Frage  am 
besten  beantwortet  haben,  indem  er  sagt: 

Gottesbeweis  und  Gottesbeweise. 


^  Vgl.    J.    B.    Heinrich,    Der    kosniol.    Gottesbeweis   VIII.      Progr. 
Mainz  1898. 

^  Roderfeld,  Von  der  objektiv  theoretischen  Beweisbarkeit  und 
von  den  Beweisen  für  das  Dasein  Gottes  Tüb.  Theol.  Quartalschr.  1881. 
597-602. 


Schluß. 

Das  Gesamtergebnis  unserer  Ausführung  dürfte  sich 
in  folgende  Punkte  zusammenfassen  lassen: 

1.  Man  hält  katholischerseits  unbedingt  fest  an  der 
Möglichkeit  eines  wissenschaftlichen  Beweises  für  das  Dasein 
Gottes  und  betont  dessen  Notwendigkeit  als  Voraussetzung 
des  Glaubens.  Während  die  protestantische  Philosophie 
und  Theologie,  namentlich  seit  Kant  und  Schleier- 
macher, sich  vorwiegend  ziemlich  skeptisch  gegen  die 
metaphysischen  Gottesbeweise  verhält,  verzichtet  die  ka- 
tholische Philosophie  und  Theologie  keineswegs  auf  die 
metaphysischen  Beweise,  „obwohl  sich  die  wahre  und  gesunde 
Apologetik  bewußt  ist,  daß  das  metaphysische  höchste 
Wesen  und  der  religiöse  Gott  auf  unser  Herz  eine  sehr 
verschiedene  Wirkung  hervorbringen.  Denn  der  lebendige 
Glaube  fordert  eine  vernünftige  Voraussetzung  und  Ver- 
mittlung, und  der  denkende  Mensch  muß  sich  von  seinem 
Glauben  Rechenschaft  geben  können.  Die  Mangelhaftigkeit 
der  Beweise  kann  die  Apologetik  nicht  davon  abhalten, 
denn  diese  haftet  aller  menschlichen  Erkenntnis  an,  wenn 
man  sie  auch  eigentümlicherweise  an  der  religiösen  Er- 
kenntnis am  auffallendsten  finden  will".^ 

'1.  Man  begnügt  sich  jedoch  nicht  mit  der  einfachen 
Tradierung  der  scholastischen  bezw.  thomistischen  Beweise, 
sondern  sucht  entsprechend  den  Bedürfnissen  der  Zeit  und 
in  Benutzung  der  wissenschaftlichen  Forschungsergebnisse 
der  Neuzeit  „die  alten  Wahrheiten  im  neuen  Gewände" 
darzustellen.  Denn  „heute  gilt  es,  die  Theodizee  nach 
Möglichkeit  von  der  Stütze  besonderer  Schulansichten 
freizumachen  und  sie  auf  einen  allgemeineren  Boden  zu 
stellen.     Natürlich  kann  die  Theodizee   auch  heute  weder 


1  Vgl.  Schanz,  Apologie  P  6—7, 


Schluß.  175 

ohne  bestimmte  Begriffe  überhaupt,  noch  ohne  ein  gut 
Teil  von  aristoteh'schen  Begriffen  ihre  Aufgabe  erfüllen. 
Aber  man  darf  diese  Begriffe  nicht  mehr  (in  Anbetracht 
der  verschiedenen  Erkenntnistheorien)  als  gegeben  hin- 
nehmen, noch  darf  man  sie  der  Hauptsache  nach  durch 
eine  bloße  Berufung  auf  Aristoteles  begründen  wollen, 
sondern  man  muß  auf  die  äußeren  und  inneren  Er- 
fahrungstatsachen zurückgehen,  um  dort  die  Waffen  zur 
Verteidigung  dieser  Begriffe  zu  holen"  (z.  B.  Kausalitäts- 
gesetz).^ 

Es  finden  darum  in  der  Gegenwart  die  sog.  psycho- 
logischen Gottesbeweise,  welche  die  Scholastik  nicht  aus- 
baute, eine  vorzügliche  Pflege.  Denn  „es  entspricht  den 
modernen  Anschauungen  mehr,  wenn  man  von  den  Tat- 
sachen des  Bewußtseins,  von  dem,  was  wir  selbst,  was  viele 
mit  uns  und  vor  uns  erlebt  haben,  ausgeht  und  die  psy- 
chischen Tatsachen  der  Erfahrung  in  ihrer  unmittelbaren, 
konkreten  Realität  zur  Grundlage  der  Weltanschauung 
macht,  als  wenn  man  eine  durch  Abstraktion  gewonnene 
metaphysische  These  zum  Ausgangspunkt  wählt".- 

Von  diesem  Standpunkte  aus  behandeln  vor  allem 
P.  Schanz  und  Schell  das  Gottesproblem.  Beide  haben 
sich,  „jeder  auf  eigentümliche  Weise  der  geistvollen  Aktions- 
philosophie M.  Blondels  oder  ihr  nah  verwandten  Geistes- 
richtung des  Duc  de  Broglie  in  Frankreich  genähert, 
ohne  sich  ihr  völlig  anzuschließen".^  Denn  diese,  „mit  dem 
modernen  Kritizismus  Fühlung  suchende"  „psychologisch- 
moralische" oder  ,, voluntaristische  französische"  Apologeten- 
schule geht  bis  zur  Verwerfung  aller  metaphysischen 
Beweise  für  das  Dasein  Gottes  fort,  sofern  sie  von  der 
„Handlung"  getrennt  sind,  und  erkennt  nur  den  Beweis 
für  das  Dasein  Gottes  aus  der  Praxis,  aus  der  Aktion  des 
inneren  Lebens,  d.  h.  den  moralischen  oder  psychoteleo- 
logischen   Beweis   an.     Für   Blondel   hat   die  Metaphysik 


^  Geyser,  Das  Gottesproblem  264-265. 
•  Schanz,  Über  neue  Versuche  der  Apolo^'etik  160  —  161. 
■^  Vgl.   Otto  Zö ekler,    Geschichte   der   Apologie    des  Christentums 
690—691.     Gütersloh  1907. 


176  Schluß. 

ihr  Wesen  im  handelnden  Willen,  ist  weniger  eine  Wissen- 
schaft von  dem,  was  ist,  als  von  dem,  was  Sein  und  Werden 
bewirkt.  Der  Begriff  einer  ersten  Ursache  oder  eines 
moralischen  Ideals,  die  Idee  einer  metaphj^sischen  Voll- 
kommenheit oder  einer  reinen  Wirklichkeit,  alle  diese 
Begriffe  sind  eitel,  falsch,  idololatrisch,  wenn  man  sie  für 
sich  als  abstrakte  Vorstellung  betrachtet,  aber  wahr,  lebendig 
und  wirksam,  sobald  sie,  solidarisch,  nicht  mehr  ein  Spiel 
des  Kindes,  sondern  eine  Gewißheit  der  Übung  sind.^ 

Schanz  und  Schell  eignen  sich  nur  den  gesunden 
Kern  dieser  Richtung  an:  Die  Betonung  des  Innenlebens, 
des  Selbstbewußtseins,  der  Psychologie,  verlassen  aber  die 
metaphysische  Basis  nicht. 

Viel  mehr  verwandt  mit  den  Ausführungen  franzö- 
sischer Apologeten  sind  die  Anschauungen  G.  Grupps. 
Danach  führen  die  herkömmlichen  Gottesbeweise  mit  einer 
gewissen  Stringenz  nur  zu  einer  Naturursache,  zu  einer 
natura  naturans,  reichen  jedoch  nicht  zu  zum  stringenten 
Beweis  des  persönlichen  Gottes  und  können  Monismus  und 
Pantheismus  nur  überwinden,  wenn  sie  Anlehen  machen 
bei  der  Psychologie  und  Ethik. ^ 

Neben  dem  besonderen  Ausbau  der  psychologischen 
Gottesbeweise  sind  als  neue  Gottesbeweise  zu  verzeichnen 
das  biologische  und  entropologische  Argument. 

3.  Auch  darin  zeigt  sich  der  Fortschritt  auf  unserem 
Gebiet,  daß  die  neuere  Apologetik  und  Philosophie  fast 
durchweg  eingehend  die  Einwände  der  modernen  Philo- 
sophie und  Naturwissenschaft  würdigt  bezw.  ihre  Resul- 
tate zum  Ausbau  der  Gottesbeweise  benutzt,  so  besonders 
Schill,  Schell,  Schanz,  Hontheim,  Geyser, 
Gutberiet  u.  a.  Gerade  um  modernen  Anforderungen 
entgegenzukommen,  weicht  Schanz  von  der  herkömm- 
lichen Darstellung  der  Gottesbeweise  ab,  indem  er  beim 
Aufbau  derselben  nicht  von  den  allgemeinen  Eigenschaften 


^  Vgl.  Schanz,  Über  neue  Versuche  der  Apologetik  131  — 133. 
Regensburg  1S97. 

-  Grupp  G.,  Die  Grundlage  des  Glaubens.  Phil.  Jahrbuch  10 
(1897).     418. 


Schlul!.  177 

aller  Dinge  ausgeht,  sondern  sich  auf  die  Betrachtung 
besonderer  Klassen  und  Eigenschaften  beschränkt.  Er  hat 
diesen  Weg  eingeschlagen,  „weil  er  der  empirischen  Be- 
trachtung zugänglicher  und  für  die  Verwendung  und 
Beurteilung  der  Resultate  der  modernen  Naturwissen- 
scliaften  geeigneter  erscheint".^ 

Darum  zerlegt  Schanz  das  kosmologische  Argument 
in  vier  Stadien  für  die  einzelnen  Eigenschaften  und  Gruppen 
der  Naturdinge  und  knüpft  die  Schlußfolgerung  an  den 
wesentlichen  Differenzpunkt,  die  sog.  Welträtsel  der  Natur- 
Avissenschaft  an.  Ebenso  gliedert  er  das  teleologische 
Argument,  indem  er  die  stufenmäßige  Steigerung  der 
Zweckmäßigkeit  vom  Anorganischen  zum  Organischen, 
von  der  Pflanze  zum  Tier,  vom  Tier  zum  Menschen  zu- 
grunde legt. 

Besonders  ausführlich  läßt  Schell  die  Gegner  zum 
Worte  kommen  und  würdigt  eingehend  Gewicht  und  Be- 
deutung der  Einwände. 

So  dürfen  wir  zum  Schluß  unser  Urteil  dahin  zu- 
sammenfassen: Die  neuere  wissenschaftliche  katholische 
Literatur  hat  sich  ernstlich  mit  dem  wichtigsten  aller 
Probleme  unserer  Zeit,  dem  Gottesproblem,  beschäftigt 
und  zwar  in  einer  Weise,  wie  sie  modernem  Denken  und 
Fühlen  entspricht.  Sie  hat  alles  in  allem  genommen  eine 
nicht  zu  unterschätzende  Arbeit  auf  diesem  Gebiete  ge- 
leistet, wenn  auch  manchmal  eine  noch  intensivere  Berück- 
sichtigung der  gegnerischen  Einwände  zu  wünschen  wäre. 

1  Schanz,  Apologie  P  485  f. 


-<£^ 


Staab.  Gottesbeweise  in  iler  katli.  Literatur.  V2 


Literatur.^ 


1849. 

Konrad  J.  A. ,    Wissenschaftliche   Forschung     über     das    Dasein    Gottes. 

Baden  (Schweiz)  1849. 
-Die  natürliche  Gotteserkenntnis. "    Bonner  Ztschr.  f.  Phil.  u.  kath.  TheoL 

1849.    H.  3.    S.  19—36.     H.  4.    S.  93—108. 

1850. 

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Theol.  1888.     1—36. 

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1891. 

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1892. 

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tStöckl  A.,  Lehrbuch  der  Apologetik.     Erste  Abt.     Mainz  1895. 
Otten  A.,   Einleitung  in  «lie  Geschichte  der  Philosophie.     Die  Gottesidee, 

die    leitende    Idee    in    der    Entwicklung    der    griech.    Philosophie. 

Paderborn  1895. 
Adlhoch  B.,    Der   Gottesbeweis    des    hl.   Anselm.     Phil.    Jahrbuch    1895. 

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1896. 

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1897. 

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theol.  prakt.  Quartalschr.  1900.     517—523. 

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Personenregister. 


Adlhoch  72 

Anselm  5.  63—66.  72.  76 
Aristoteles  51.  74.  78.  79.  162 
Augustinus  5.  76.  151 

Raer  K.  E.  v.  115  f. 

Bautain  17 

Berlage  35 

Blondel  175 

Boedder    43.    63.    88  —  90.    92.    109. 

124.  133.  148.  152.  159 
Bonald  17 
Bonetty  17 
Braig  7.  10.   39  f.  84.  89.   92.  106— 

110.    119  —  121.    125.    164.    166  f. 

170 
Duc  de  Broglie  175 
Büchner  104 

Cartesius  25.  64—66.  162 
Cicero  162 
Glausius  90 
C.ommer  75.  169 

Darwin  129.  163 

Demokrit  46 

Derham  106 

Didio  146—147 

Dieringer  19.  35 

Dippel  57.  101.  125.  138.  168 

Dressel  90  f. 

Duilhe-Braig  89 

£gger  57.  61 


Elirlich  70  f.  158.  168.  170 
Endert  135  f.  168  —  170.  173—179 

Felchin  15 
Feuerbach   163 
Fischer  E.  12.  14.  126 
Fischer  K.  97.  122 
Friedhof!"  18—20.  59.  178 
Frohschammer  21 — 24.  122 

Gaunilo  60.  66 

Geyser   8  —  10.    16.    50.    53.   67.    74. 

98  f.  123.  175  f. 
Gioberti  14 
Gratry  14 
Grimmich  169 
Grupp  176 
Günther  27 
Gutberiet  10.  28.  80-  82.  89—92.  95. 

106.  111—116.  123.  125.  131.  138. 

148.   151.  153.  164.  170.  173.  176 

Haas  73 

Haeckel  105 

Haffner  15  f.  35 

Hagemann    17.   56  f.   66.    103.    113  f. 

124.  129.  133.  169.  173 
Hamma  44—48.  67.  168 
Hammerstein  v.  123 
Hartmann  39.  126 
Hegel  66.  163 
Heinrich   10.    12.  16.   18.  20.   40.  43. 

52.   55.   57  —  50.   67.   70.   73.   77  f. 

81.  134.  149  f.  157  f.  161  f.  172 


Personenregister. 


IX' 


lleinrich  J.  H.  59.   173 

Helraholtz  89. 

Herbart  4(i 

Hertling  v.  90.   181 

Hettinger  112.  128.   13h.  179 

Holtum  V.  145 

Hontheim  10.  43.  57.  63.  66.  8(>     90. 

100  f.    117  f.    124.    126.    128.    133. 

135.      138.     148.    152.     157  f.    160. 

162  t.  164.  176 
Hume  163. 

Jakobi  39 

•Tanssens  72 

Jeiler  55 

Isenkrahe  70.  75  f.  81.  91.   111 

Kant  2—14.  51.  58.  66.  93—97.  100. 

121—124.  162.  174 
Kaufmann  7.  10.  12 
Kirchmann  v.  2.   124 
Klee  35  f.  68 
Kieutgen  16.  43.  53.  57  f.  63.  67.  69. 

75  f.  80.  160.  171.  173 
König  16.  75.  81.   89.  109.    117.  123. 

128.  169.  179 
Kürber  63.  68 
Koperuikus  2 
Kuhn  28—50 

Lamettrie  lo5 

Lange  F.  A.  113.  127 

Lehmen  8—10.   20.  23.  57.   62.  65  f. 

88.   92.  101.    111.    124.    137  f.    148. 

152.  159  f.  162—164.  171 
Leibniz.64f.  162 
Lercher  150  f. 
Limbourg  145  f. 
Lippert   163 
Lotze  12") 

Mach  122 
Malecek  68 
Marel  14 
Maver  R.  90 


Mayer  Tli.  119.  130 
Melzer  26  f. 
Müller  .1.  80 
Müller  M.  159 

Paulsen  125 

Pesch  Chr.  66.  157.  16(i 

Pesch    T.    10.    81  -89.    KK)  t.    111. 

117119.    123  t.    127  —  130.    132  f. 

173 
Peschel  O.  159  t. 
Pfeiffer  12 
Plato  44.  162 
Pohle  123 

Ratzel  159  f. 

Reinhold  10.  65  f.  71  f.  75.   77.   79  f. 

87.  89-92.  98.  106.  138.  149.  152  f. 

159.   164 
Roderfeld  42  f.  173 
Rolfes  18.  75—81.  98.  145.  171  f. 
Rosenkrantz  21.  25  f. 
Rosmini  14 

Schäzler  36.  38.  40  f. 

Schanz  7.  10  f.    33.  75.   87     92.  100. 

102.  106.  109.  117  f.  123.  128.  131. 

162.  164.  169.  174-277 
Scheeben  54.  56.  59.  62  f.  66.  68—72. 

135.  151.  164.   168 
Schell   7.    10.   49.   61.   81  f.  85  f.   89. 

92.  102  —  119.    127.  130.    139—147. 

154—157.  164.  175  f. 
Schelling  25.  39.  66 
Schenach  57.  68.  92 
Schill   61.   72-75.   79.   81  f.   89-92. 

95.  98  f.   106—109.  111.  113.  116— 

119.     122.     124.     127  f     136.     136. 

148  f.  164.  176 
Schleiermacher  174 
Schmid  A.  15.  53 
Schneider  72.  75 
Schopenhauer  126.   163 
Schnitze  122.  125 
Schweiz  45.  6S.  70.  81.   163 


188 


Personenregister. 


Secchi  123 

Seneca  162 

Simar  16!».   173 

Sdkrates  162 

Spener  163 

Sprinzl    43.    68.    70  f.    81.    102.    109.       Vosen   68.  71.  81.   84  f.   89.  92.    100. 


Thomas    5.  50.   53.  66.   74—82.    162. 
169 

Uhaghs  14 


106.  110  f.  121.  148.  158  f. 


168 
Staudenmeier  68 
Stentrup  43 

Stockt  24  f.  55  f.  73.  81.  168 
Stölzle  116 
Straub  2.  58.  66.  108.  114.   119.  123       Willmann  72 

—  125.  127.  129.  131  Wundt  122.  125.   127 

Strauß  100.  126.  163 

Zoeckler  175. 


Weber  78.    80.    101.    116.    136—138. 

148.  153.  157  f.  163 
Wieser  26.  55.  169 


Sachregister. 


Absolute,    das   panth.  21  f.   23.  28  f. 

32  f.  83.  99  f.  114  f. 
Antinomien  Kants  93  f. 
Anschauung,  intellekt.  Schellings  39 
Atheismus  161  f. 
Atome  123  f. 

Bewegung,  ewige  75  f.  85.  104  f. 

Gottesbeweis  75 — 82 
Bewußtsein,  das  vorstellende  139  f. 

das  absolute  142  f. 
Biologie  88  f. 

Darwinismus  129  f. 
Denkformen  8  f. 
Dialektik,  trausz.  93 
Dialekt.  Anmaßungen  96  f. 

Ens  a  se  92.  171 

Energie  89  f, 

Entropie  89  f. 

Entwicklungslehre  129.  139 

Erkenntnistheorie : 
Kantsche  2-24 
platonisch-patr.  28  f.  43 
aristotelisch-scholast.  28  f.  43 
Kulms  36—39 
der  Neuscholastiker  50—54 

Ethnographie  160  f. 

Gefühl,  religiöses  47.  48.  154  f. 
Gefühlsglaube  39 
Gesetzmäßigkeit  107 — 115 
Gewissen  43.  148  f. 


Glauben  17  f. 

Glückseligkeitstrieb  151 — 154 
Gottesbeweise : 

Möglichkeit  2—28.  54—59.  174 
Notwendigkeit  15  f.  55  f. 
Evidenz  32  f.  56  ff. 
Stringenz  21.  25.  32  ff.  48.  55  ff. 
75 
Einteilung  59—63 
Gottesweise  a  priori 

der  ontol.  G.  63—73 
a  posteriori  73  —  166 

A)  die  kosmologischen  G.   73 — loö 
die    fünf    aristotelisch -thomist. 

Wege  74  —  77 
Bewegungsbeweis  82 
Kontingenzbeweis  82 — 93 
biolog.  G.  89 
entropol.  G.  88—91 
Einwände  93—106 
Teleologischer  G.  106—133 
nomolog.  G.  107—111 
Ehiwände  111 — 114 
leleolog.  G.  115—121 
Einwände  121—133 
thaumatolog.  G.  133 — 135 

B)  die  psychol.  G.  135—166 

der  ideol.  G.  136—138 
der  ideol.  G.  b.  Schell  139-143 
der  noet.  G.  143—146 
der  moral.  G.  146—157:  vgl.  26 
deont.  G.  146  —  151 
eudämonol.  G.  151 — 154 
religiöser  G.  154—157 


li>0 


Sachregister. 


der  historische  G.  157—166 
der  eigentl.  hist.  G.   157 — 158 
der  ethnol.  G.  158—161 
Bedenken   dagegen   161—166 
Gottesbeweis    oder    Gottesbeweise? 
166—174 
nui'  ein  G.  167 — 170;  vgl.  24—26. 

45—48 
Gottesbeweise  170—174 
Gottesbewußtsein  35.  39 — 48 
Gotteserkenntnis,  neue  Wege  14  if. 
Gottesidee  29.  32  ff.  41  ff.  49  fl. 

Harmonie  zwischen  Denken  und  Sein 
144 

Ichgedanke  27 

Idealismus,  transzend.  2—14.  51.  94 

Idee,  angeborene  49.  56 

absolute  47 

transzend.  93 
Identitätsphilosophie  26 
Intellektualismus,  aristot.  50  IT. 

Kalorik  88 

Kampf  ums  Dasein  112 
Kategorien  5 
Kausalitätsprinzip  6 — 12 
Kritik  d.  r.  V.  2—14 
Kritizismus     99  —  100.      121  —  126. 
175 

Materialismus    47.    84   f.     104  —  106. 

112—114.  128  ff. 
Makrokosmos  61.  73  f. 
Metaphysik : 

Möglichkeit  2  —  14 

Versuch  einer  neuen  21 — 26 
Mikrokosmos  61.  118.  135  ff. 
Monismus  100—104.  128—132 

Neuscholastik  50—59 

Noumenon  93 

Notwendigkeit,  logische  und  reale  22 


Offenbarung    17.    19.    40.    56.    59  L 

127.  134 
Ontologismus  14—16.  41.  60.  63  f. 
Ordnung,  sittliche  148  f.  155. 

Pantheismus  15.  19.  41.  44.  48.  84  f. 

114 
Persönhchkeit  33.  43.  88.  118.  143 
Pessimismus  47.  126 
Phänomenon  93 
Philosophie  12 

Hegeische  21 

des  Unbewußten  47 

Reform  der  Ph.  21 
Polytheismus  161  f. 
Postulate  d.  pr.  V.  6,  100.  155 
Prinzipien,,  regulative  6 
Psychismus  132—133 

Religion ,     verschiedene    Erklärungs- 
ursachen 163  f. 

Scholastiker  43.  50  f.  75 

Sein,  das  notwendige  25.  27 

Selbstbewußtseinstheorie  Günthers  27 

Selbstursächlichkeit  87 

Selektionstheorie  129 

Sittengesetz  146  ff. 

Skeptizismus  125 

Spiel,  das  blinde  der  Kräfte  112 

Spürung  Intellekt.  39 

Theismus  44 
Theodizee  174 
Traditionalismus  16—20 
Tübinger  Schule  28—50 

Übel  126  f. 
Unterricht  17 
Urteile : 

analytische  3 

synthetische  3 

a  priori  3 

a  posteriori  3 

synth.  a  priori  4—10 


^ 


Sachrejrister. 


na 


Urzeugung  99 

Vernunft,  Kr.  d.  r.  V.  2—14.  17  f. 

natürl.  V.  21  f. 
Vernunftideen  29  f.  50  f. 
Verpflichtung,  absolute  148—151 


AVahrheit  12.  36  f.  136—143  f. 

Wege,  die  fünf  aristotel.-thom.  74  tT.      Zufall  111  f 

Weissagungen  133  f. 


Weltbaumeister  46.  122 
WeltgTund  47 
Welträtsel  177 
Wunder  18.  133  f. 

Ziel  =  Zielstrebigkeit  1(>6  IT.  115— 119 
Zweck  24.  73.  106  f.   115  f. 
Zuchtwahl  112  f. 


Lebenslauf. 


Ich, 

Dr.  theol.  Karl  Staab, 

bin  geboren  am  17.  März  1875  zu  Großlaudenbach ,  B.-A.  Alzenau,  als 
Sohn  der  verst.  Müllerseheleute  Joh.  Adam  Staab  und  Dorothea  geb.  Nees. 
kath.  Konfession.  Meinen  ersten  Unterricht  erhielt  ich  in  der  Volksschule 
meiner  Heimat,  die  Gymnasialstudien  machte  ich  zu  Aschaffenburg  und 
Würzburg  in  der  Zeit  von  1888 — 1895  und  absolvierte  am  Neuen  Gym- 
nasium zu  Würzburg  1895.  Im  Herbst  1895  bezog  ich  die  Universität 
Würzburg  und  hörte  während  vier  Jahre  (1895 — 1899)  die  Vorlesungen 
folgender  Herren  Professoren: 

1.  aus  der  phil.  Fakultät: 

Prof.  Dr.  Grasberger,  Prof.  Dr.  Sachs, 

^       ^     Hantzsch,  „       ^  Schanz, 

,       ^     Henner.  „       ^  Stahl, 

„       „     Külpe,  ^       „  Stölzle: 

2.  aus  der  theol.  Fakultät: 

Prof.  Dr.  Abert,  Prof.  Dr.  Merkle, 

^       ,.     Ehrhard,  .       „     Schell, 

^       ,.     Goepfert,  „       ,,     Scholz, 

„     Kihn,  „       ,     Weber. 

Nach  meiner  Priesterweihe  am  30.  Juli  1899  war  ich  Kaplan  in 
Bad  Kissingen  bis  zum  20.  Oktober  1901,  von  da  ab  Domkaplan  in  Würz- 
burg bis  zum  1.  April  1904.  Seit  1.  April  1904  bin  ich  Assistent  am  Klerikal- 
seminar in  Würzburg.  In  dieser  Stellung  promovierte  ich  im  Dezember 
1906  an  der  Kaiser-Wilhelms-Universität  Straßburg  zum  Dr.  theol.  Von 
dem  Wunsch  beseelt,  auch  den  philosophischen  Doktorgrad  zu  erwerben, 
setzte  ich  mich  mit  H.  Prof.  Dr.  Stölzle  in  Verbindung,  dem  ich  die 
Anregung  zu  der  vorhegenden  wissenschaftlichen  Arbeit  und  auch  manchen 
freundlichen  Ratschlag  verdanke. 

Noch  sei  bemerkt,  daß  ich  zum  Zweck  weiterer  Fortbildung  in  der 
Kunstgeschichte  mit  gütiger  Erlaubnis  des  H.  Prof.  Dr.  Knapp  dessen 
Vorlesungen  in  den  beiden  letzten  Semestern  besuchte  sowie  an  den 
kunstgeschichtlichen  Übungen  teilnahm. 

Die  mündhche  Prüfung  fand  am  14.  Juli  1909  statt. 


^, 


BT 
101 
S73 
1909 


Staab,  Karl 

Die  Gottesbeweise  in  der 
katholischen  deutschen 
Literatur  von  1850-1900 


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