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101
Die Gottosboweise in (h^r katliolisclien
doutsclieii Literatur von LSOO 1000.
Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie
im 19. Jahrhundert.
Inaugural-Dissertatioa
verfaßt und der
Hohen philosophischen Fakultät
der
Kgl. Bayer. Julius-Maximilians-Universität Würzburg
zur
PMaiiguiig der Doktonvünle
vorgelegt
am 11. Juni l[H)\)
von
Dr. theol. Karl Staab
aus
Großlaudenbach.
Fadt^rborii.
Druck von Ferciinaml Schöninyh.
19U1>.
Referent: Prof. Dr. Stölzle.
LIBRARY
1
727239
UNIVERSITY OF TORONTO
Vorwort.
ixngeregt hat die vorliegende Arbeit Herr Univer-
sitätsprofessor Dr. Stölzle. Auch gab er mir manchen
freundlichen Ratschlag bei der Ausarbeitung des Themas.
Hierfür sei auch an dieser Stelle der gebührende Dank
gesagt.
Der Verfasser.
Inhaltsverzeichnis.
Seile
Einleitung 1
Erster Teil.
Möglichkeit und Notwendigkeit der Gottesbeweise.
1. Kap.: Kant und die Gottesbeweise 2
>? 1. Der transzendentale Idealismus 2
§ 2. Kritik des Kantschen Idealismus 7
2. Kap. ; Nachwirkungen der Kantschen Kritik. Neue Wege zur ob-
jektiven Gotteserkenntnis 14
^ S. Ontologismus und Traditionalismus 14
^ 4. Reformversuche von Frohschammer und W. Rosenkrantz 21
3. Kap.: Die katholische Tübinger Schule 28
?? 5. Die Theorie J. Kuhns 28
^ 6. Kritik der Kuhnschen Theorie 36
4. Kap.: Die Neuscholastiker öo
^ 7. Erkenntnistheorie 50
J^ 8. Notwendigkeit, Möglichkeit, Ötringenz der Gottesbeweise 55
Zweiter Teil.
Die einzelnen Gottesbeweise.
Einteilung der Gottesbeweise «sei
I. Gottesbeweise a priori.
5. Kap.: Der ontologische Goltesbeweis und seine heutige Wertung . 63
II. Gottesbeweise a posteriori.
A. Gottes beweise aus dem Makrokosmos.
Die kosmologischen Gottesbeweise 73
6. Kap.: Die fünf sog. aristo! elisch-thomisti.«chen ^.WoKe"* .... 74
?? 9. Beurteilung dieser ^Vege 75
§ 1<». Der Gottesbeweis aus der Bewegunii- .... .77
7. Kap.: Ko.«Jinologiseher Kontingenzbeweis 82
§ 11. Formulierung des Beweises 82
§ 12. Einwändo gegen den kosmologischen Kontingenzbeweis 93
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
8. Kap.: Teleoloirischer Gottesl)eweis 106
§ 13. Nomologischer Gottesbeweis 107
a) Formulierung des Beweises 107
h) Einvvnnde gegen den nomologischen Gottesbeweis . 111
§ 14. Teleologischer Gottesbeweis 115
a) Formulierung des Beweises 115
b) Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis 121
a) Kant als Gegner des teleol. Gottesbeweises . . 121
ß) Der Pessimismus als Gegner des teleol. Gottes-
beweises . 126
y) Der mechanische Monismus als Gegner des teleol.
Gottesbeweises 128
rfi Der Psychismus als Gegner des teleol. Gottes-
beweises 132
Das theologische oder thaumatologische Argument 133
B, Gottesbeweise aus dem Mikrokosmos.
Die psychologischen Gottesbeweise 13.5
9. Kap.: Ideologischer Gottesbeweis 136
a) Gewöhnliche Fassung 136
b) Der ideologische Gottesbeweis bei Schell . . . . 139
10. Kap.: Der noetische Gottesbeweis 143
11. Kap.: Moralischer Gottesbeweis 146
§ 15. a) Deontologischer Gottesbeweis . 146
§ 16. b) Eudämonologischer Gottesbeweis 151
§ 17. cj Religiöser Gottesbeweis 154
12. Kap.: Historischer Gottesbeweis 157
1. Der eigentliche historische Gottesbeweis 157
2. Der sog. historische oder ethnologische Gottesbeweis . 158
a) Formulierung des Beweises 158
b) Bedenken gegen den historischen BeAveis .... 161
13. Kap.: Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 166
a) Alle Gottesbeweise nur ein Gottesbew^eis 167
b) Gottesbeweise und Gottesbeweis 170
Schluß 174
Literatur .... 178
Personenregister 186
Sachregister 189
=-<!&^
E i n 1 e i t u II g*
Gewöhnlich glaubt man Philosophie nur in Werken
von Männern zu finden, welche Philosophie als Beruf
treiben. Man übersieht aber dabei, daß auch in theo-
logischen und naturwissenschaftlichen Arbeiten viel Philo-
sophie enthalten ist. Besonders gilt dies für die Theologie,
die mit der Philosophie die wichtigsten Probleme gemein-
sam hat. Gleichwohl meldet die Geschichte der Philosophie
gewöhnlich nichts oder doch nur vereinzelt von dieser philo-
sophischen Arbeit.
Wir meinen darum eine Lücke auszufüllen, wenn wir
die philosophische Arbeit der Theologen über das bedeut-
samste aller philosophischen Probleme, das Gottes-
problem, zum Gegenstand einer speziellen Schrift
machen. Und zwar werden wir zunächst die philoso-
phische Arbeit der katholischen Theologen in dieser
Beziehung ins Auge fassen, die gleiche Arbeit bei den
protestantischen Theologen einer späteren Zeit vor-
behaltend. Wenn wir gerade den Zeitraum von 1850 ab
w^ählen. so tun wir es deshalb, weil mit der Mitte des
verflossenen Jahrhunderts die katholische Wissenschaft in
Deutschland einen besonderen Aufschwung genommen hat.
Unsere Darstellung wird auf eine zweifache Frage
Ant\yort zu geben versuchen:
1. Wie stellt sich die katholische wissenschaftliche
Literatur zur Frage nach der Möglichkeit und Notwen-
digkeit der Gottesbeweise?
2. Wie führt sie die Gottesbeweise im einzelnen?
Staab, Gottesbeweise in der kath. Literatur.
Erster Teil.
Möglichkeit und Notwendigkeit
der Gottesbeweise.
Erstes Kapitel.
Kant und die Gottesbeweise.
§ 1.
Der transzendentale Idealismus.
Die Lösung der Frage, ob Gottesbeweise möglich sind,
hängt in erster Linie davon ab, ob überhaupt Metaphysik
möglich ist.
Kant leugnete die Möglichkeit der Metaphysik, mußte
darum folgerichtig die Gottesbeweise verwerfen. Er tat
dies auf Grund seiner Erkenntnistheorie. Von der Stellung-
nahme zur Kantschen Erkenntnistheorie hängt darum auch
die Stellungnahme zu den Gottesbeweisen ab.
Wir müssen darum etwas näher auf diese Erkenntnis-
theorie eingehen. Sie findet sich in der „Kritik der reinen
Vernunft".^ Die Metaphysik, behauptet Kant, hat bisher
noch keinen sicheren Gang der Wissenschaft anzuschlagen
vermocht, „obgleich sie älter ist als alles übrige und bleiben
würde, wenngleich die übrigen insgesamt in dem Schlund
einer alles vertilgenden Barbarei gänzlich verschlungen
werden sollten. Denn in ihr gerät die Vernunft kontinuier-
lich ins Stocken, selbst wenn sie diejenigen Gesetze, welche
1 Wir zitieren im folgenden nach der zweiten Ausgabe der Kritik
d. r. V. vom Jahre 1787, herausgegeben von Kirchmann, Philosophische
Bibliothek. 2. Band. Berlin 1870.
Der transzendentale Idealismas. 3
die gemeinste Erfahrung bestätigt (wie sie sich anmaßt),
a priori einsehen will."^
Darum v/ill es Kant auf einem anderen Wege mit der
Metaphysik versuchen.
„Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse
sich nach den Gegenständen richten ; aber alle Versuche,
über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wo-
durch unsere Erkenntnisse erweitert würden, gingen unter
dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher
einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit
besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände
müssen sich nach unserer Erkenntnis richten,
welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit
einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die
über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas fest-
setzen soll. Es ist hiermit ebenso als mit den ersten
Gedanken des Kopernikus bewandt." -
Das ist also Kants neuer Standpunkt bei der Unter-
suchung des menschlichen Erkenntnisvermögens: Unsere
Erkenntnis richtet sich nicht nach den Dingen, sondern
die Dinge richten sich nach unserer Erkenntnis.
Grundlage dieser neuen Lehre Kants ist eine zweifache
Unterscheidung der Urteile zunächst in analytische oder
Erläuterungsurteile, deren Prädikat im Subjektsbegriff
bereits enthalten ist, und synthetische oder Erweiterungs-
urteile, deren Prädikat erst zum Subjektsbegriff hinzu-
kommt. Nur durch letztere wird wahres Wissen gewonnen.
Allein die synthetischen Urteile können nur dann wahre
Wissenschaft erzeugen, wenn sie notwendig und allgemein
gültig sind.
Um den synthetischen Urteilen diese Eigenschaft zu
verschaffen, unterscheidet Kant weiterhin Urteile a priori
und a posteriori. Die Urteile a posteriori sind Erfahrungs-
urteile und tragen den Charakter der Partikularität und
Zufälligkeit, Urteile a priori sind von aller Erfahrung
1 Vorrede zur zweiten Ausgabe der Kr. d. r. V. 26.
2 A. a. 0. 27—28.
4 Kant und die Gottesbeweise.
unabhängig und haben einen notwendigen und allgemeinen
Inhalt.
Wissenschaftliche Erkenntnis können nur Urteile er-
zeugen, die synthetisch und a priori zugleich sind, die
sog. „synthetischen Urteile a priori".
Daß es solche synthetische Urteile a priori gibt, hält
Kant für unbedingt ausgemacht. Er zählt dazu die meisten
mathematischen Urteile und die allgemeinen Sätze der
Naturwissenschaft, ebenso alle metaphysischen Urteile,
z. B. das Kausalprinzip.
Wie sind aber solche synthetische Urteile a priori
möglich?
Die Lösung dieser Frage bildet den Schwerpunkt der
Kritik der reinen Vernunft. Kant unterscheidet ein
dreifaches Erkenntnisvermögen: das sinnliche oder die
Anschauung, Verstand und Vernunft.
Das sinnliche Erkenntnisvermögen vermittelt uns
Anschauungen von sinnfälligen Dingen. Ihr Gegenstand
sind nicht die Dinge selbst, sondern die Erscheinungen
derselben.
Der Verstand bildet Urteile über die Erscheinungen
der Dinge.
Die Vernunft faßt die Verstandesbegriffe durch Schlüsse
zu einer höheren Einheit zusammen.
Jedes dieser drei Erkenntnisvermögen hat seine Er-
kenntnisformen, die a priori, d. h. mit der Natur des
Vermögens gegeben sind. So sind die apriorischen Er-
kenntnisformen des sinnlichen Erkenntnisvermögens oder
der Anschauung Raum und Zeit, die des Verstandes die
Kategorien, die der Vernunft die Idee des Unbedingten.
Aus dem Stoff der Eindrücke und Empfindungen entstehen
zunächst mit Hilfe der Anschauungsformen des Raumes
und der Zeit die Erscheinungen der Dinge, die Voraus-
setzung der Verstandeserkenntnis.
Diese Erscheinungen fügt der Verstand gleichsam in
seine apriorischen Formen ein, und dadurch „erkennt" er
die Erscheinungen der sinnlichen Objekte. Diese Er-
kenntnis heißt dann Erfahrung.
Der transzendentale Idealismus. 5
Die reinen Erkenntnisformen oder Kategorien, die wir
unabhängig von aller Erfahrung besitzen, also nicht erst
durch Abstraktion aus der Erfahrung gewinnen, haben
ihren Wert in synthetischen Urteilen, aber die Gegen-
stände, für welche sie gelten, sind nicht die Dinge an sich,
sondern nur die Erscheinungen der Dinge, wie sie als
Vorstellungen in unserem Bewußtsein sind. Das „Ding an
sich" kann der Mensch nicht erkennen; darum gibt es
keine Metaphysik im eigentlichen Sinn, sondern nur eine
„Metaphysik der Erscheinungen". Zwar sucht naturnot-
wendig unsere Vernunft über die Grenzen der Erfahrung
hinauszugehen, um das Ding an sich zu erkennen, sie sucht
durch Schlußfolgerung vom Bedingten zum Unbedingten
aufzusteigen und die Verstandesbegriffe zu einer sicheren
Einheit zu verbinden. So verirrt sie sich in die Metaphysik
des Übersinnlichen, hält das für erreichbar, was wir nicht
erkennen können.
Das ist aber nur Illusion und zwar unvermeidliche
Illusion, weil die Vorstellung des Unbedingten eine apri-
orische Erkenntnisform unserer Vernunft ist.
Während wir nur berechtigt sind, auf das Unbedingte
als Idee zu schließen, schließen wir auf das Unbedingte als
Objekt.
„Dergleichen Schlüsse sind aber in Ansehung ihres
Resultates eher vernünftelnde als Vernunftschlüsse zu
nennen, wiewohl sie ihrer Veranlassung wegen wohl den
letzteren Namen führen können, weil sie doch nicht er-
dichtet oder zufällig entstanden, sondern aus der Natur
der Vernunft entsprungen sind. Es sind Sophistikationen
nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft, von
denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich hicht
losmachen, und vielleicht zwar nach vieler Bemühung den
Irrtum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich
zwackt und äfft, niemals los werden kann."^ Solcher
„dialektischer Vernunftschlüsse gibt es nun dreierlei Arten,
so vielfach als die Ideen sind, auf die ihre Schlußsätze
1 Kr. d. r. V. 321—322.
6 Kant und die Gottesbeweise.
auslaufen". Wir schließen aber vom Bedingten auf das
Unbedingte in uns, auf die Existenz der Seele, auf diesen
Schlüssen beruht die rationale Psychologie; ferner auf das
Unbedingte außer uns, d. h. auf die Welt, auf diesen
Schlüssen beruht die rationale Kosmologie; endlich auf
das Unbedingte als das mögliche Sein, d. h. auf Gott; auf
diesen Schlüssen beruht die rationale Theologie. Weil nun
rationale Psychologie, Kosmologie und Theologie auf der-
artigen unstatthaften Schlüssen fußen, sind sie nur Schein-
wissenschaften.
Insbesondere ist die rationale Theologie zu verwerfen,
weil sie auf Gott, das allerrealste Wesen, als Objekt schließt.
Alle Gottesbeweise sind hinfällig.
Seele, Welt, Gott können nicht Erkenntnisobjekte sein;
sie haben nur den Wert „regulativer Prinzipien", insofern
sie uns anleiten, in aller Erfahrungserkenntnis Einheit zu
suchen und insofern als sie „die Postulate der reinen
praktischen Vernunft" denkbar machen.
So ist das Resultat der Kritik der reinen Vernunft
Verwerfung der Metaphysik als Wissenschaft; denn wir
erkennen nur jene Dinge, welche für uns Gegenstand der
Erfahrung sein können, aber auch von diesen nur die Er-
scheinung, nicht die Dinge an sich.
Von besonderer Bedeutung ist es für die Gottesbeweise,
daß Kant auch das Kausalgesetz als Kategorie des Ver-
standes, als subjektive, angeborene Denkform, als synthe-
tisches Urteil a priori erklärt. Darum, kann uns das
Kausalgesetz nach Kant durchaus nicht aus der Welt der
subjektiven Erscheinung hinüberführen zur Erkenntnis
des objektiven Seins; kein auf das Kausalgesetz sich
stützender Beweis kann Gewißheit vom. Dasein Gottes
geben, da ja Gott kein Gegenstand möglicher Sinnes-
erfahrung ist. Jeder derartig geführte Beweis bewegt sich
in bloßen Begriffen, mündet schließlich im ontologischen,
dem „Beweis aus lauter reinen Vernunftbegriffen".i
Nun ist aber das Kausalgesetz „das leuchtende Ein-
1 Kr. d. r. V. 502.
Kritik des Kantschen Idealismus. 7
gangstor und Bollwerk zugleich für alles Wissen überhaupt,
sowie für die Erkenntnis des persönlichen Gottes und
Weltschöpfers insbesondere".^
Unsere Gotteserkenntnis ist eine Schlußfolgerung von
der Wirkung auf die Ursache. Soll darum unsere Gottes-
erkenntnis eine wahre und gewisse sein, so muß vor allem
die Gewißheit des Kausalgesetzes feststehen. Darum ist
die erste Voraussetzung, der große Obersatz des Gottes-
beweises, die unbedingte, ausnahmslose Geltung des Kausal-
gesetzes, womit nichts anderes als die Fähigkeit unserer
Vernunft zur Erkenntnis überhaupt ausgesprochen ist;
die zweite Voraussetzung, der Untersatz des großen Gottes-
beweises, die Tatsächlichkeit der geistigen Innenwelt und
der uns umgebenden Außenwelt, die Tatsächlichkeit des
Geistes und der sinnlichen Natur, die Welt der Tatsachen.-
Indem nun Kant das Kausalgesetz als eine Kategorie
des Verstandes erklärte, die nach seiner Ansicht nicht
durch Abstraktion aus der Erfahrung gewonnen, sondern
a priori gegeben ist, hat er „die einzige, solide Basis, das
Dasein Gottes zu beweisen", zerstört, und es war nur
konsequent, wenn er auf Grund seiner erkenntnistheore-
tischen Prämissen die Gottesbeweise ablehnte. Denn je
nach der Stellungnahme zu diesen Prämissen stehen oder
fallen die Gottesbeweise.
§ 2.
Kritik des Kantschen Idealismus.
Wenn sich erweisen läßt, daß die erkenntnistheore-
tischen Prämissen Kants unhaltbar sind, so fällt von selbst
dahin die Schlußfolgerung Kants: Metaphysik, Gottes-
beweise sind unmöglich. Darum prüft der kath. Philosoph
und Apologet vor allem die Grundlage des idealistischen
1 Schell, Gott und Geist l 107. Paderborn 1895.
2 Vgl. Schell, Gott und Geist I 190—101. Braig, Gottesbeweis
oder Gottesbeweise? 156. Stuttgart 1888. Kaufmann, Das Kausalitäts-
prinzip und seine Bedeutung für die Philosophie. Phil. Jahrbuch 4
(1891) 114. Schanz, Apologie P 499. Freiburg 1903.
8 Kant und die Gottesbeweise.
Kantschen Systems, insbesondere ob synthetische Urteile
a priori zulässig sind, und ob das Kausalitätsgesetz eine
angeborene Denkform ist.
Mit Recht wird zunächst gegen Kant geltend gemacht,
daß sein Vorhaben in der „Kritik der reinen Vernunft"
mit seiner Grundvoraussetzung unvereinbar ist.
Er bezweifelt positiv die Leistungsfähigkeit unserer
Erkenntniskraft, stellt aber trotzdem mit ebendieser Ver-
nunft eine kritische Untersuchung über die Frage an, ob
der Vernunft zu trauen sei oder nicht. So sägt er sich
gleichsam selbst den Ast ab, auf dem er bei seiner kri-
tischen Arbeit hätte sitzen sollen.
Wenn die Vernunft überhaupt nichts Wahres erkennen
kann, wer verbürgt uns dann die Wahrheit der Kantschen
Kritik und ihres Ergebnisses? ^
Sodann lehnt man unbedingt ab die Grundvoraus-
setzung Kants von synthetischen Urteilen a priori.^
Der Mensch hat keine Begriffe a priori, sondern ge-
winnt seine sämtlichen Begriffe durch Abstraktion aus der
Erfahrung. Darum haben alle seine Begriffe einen sach-
lichen Inhalt und sind nicht bloß regulative Formen des
Denkens. Durch dieses Prinzip bleibt unserer Erkenntnis
die unmittelbare Verbindung mit der Erfahrungswelt be-
wahrt, und man braucht nicht erst eine Brücke zwischen
ihren Begriffen und Urteilen einerseits und der Erfahrungs-
welt anderseits zu erbauen.
Die menschliche Vernunft betätigt sich nach gewissen
Denkgesetzen, „Denkformen", aber sie befolgt sie nicht
nur, sondern sieht auch ihre Wahrheit ein. „Inhaltleere
Denkformen aber, wie Kant sie aufstellt, welche nur
Voraussetzung, nicht Objekt der Verstandestätigkeit sein
sollen, sind gegen die Natur der Vernunft und eine ver-
nunftwidrige Fiktion."
Es gibt darum auch nur zwei Arten von Urteilen:
analytische, von Kant Erläuterungsurteile genannt, d. h.
i Vgl. Lehmen, Lehrbuch der Phil. I 205—207. Freiburg 1899. |
2 Straub, Kant und die natürhche Gotteserkenntnis. Phil. Jahr-
buch 12 (1899) 406. Geyser, Das philosophische Gottesproblem 150 f.
Kritik des Kantschen Idealismus. 9
solche, in denen der Prädikatsbegriff durch bloße Analyse
des Subjektsbegriffes gewonnen wird, und synthetische
Urteile, von Kant Erweiterungsurteile genannt, d. h. solche,
in welchen der Prädikatsbegriff nicht im Subjektsbegriff
enthalten ist, sondern als neuer Begriff mit ihm ver-
bunden wird.
Sämtliche synthetische Urteile sind notwendig Er-
fahrungsurteile, d. h. empirische Sätze a posteriori. Andere
synthetische Urteile als solche von der genannten Art sind
nicht möglich, denn wir haben nur die beiden Urteils-
quellen der Erfahrung und der analytischen Zerlegung der
Begriffe.
Die Beispiele, die Kant als synthetische Urteile a priori
anführt, sind dies tatsächlich nicht, sondern teils ana-
lytische Urteile, wie die aus der Arithmetik (7 -|- 5 = 12),
teils synthetische, durch die sog. vollständige Erfahrungs-
induktion gewonnen, wie die Sätze der Geometrie oder
gewisse Sätze der Naturwissenschaften.^
Insbesondere ist das Kausalgesetz, das Kant als
erstes Beispiel eines solchen Urteils nennt, kein synthe-
tisches Urteil, sondern ein analytisches und gilt darum
notwendig von jedem Seienden, dessen Existenz geworden
ist. Den Begriff der Ursache denken wir verworren mit
im Begriff des Entstehens.
Analysieren wir letzteren Begriff, so finden wir zu-
nächst den Begriff des zeitlichen Anfangs von etwas.
Vergleichen wir die Begriffe weiter, so ergibt sich aus
der Wahrnehmung, daß etwas nicht immer gewesen ist,
aber doch immer hätte sein können, der Begriff des kon-
tingenten Seins. Daraus schließen wir dann mit Denk-
notwendigkeit, daß ein derartiger Gegenstand durch ein
anderes Seiendes zum Dasein bestimmt werden muß.-
Die Idee der Ursache und das Prinzip der Kausalität
schöpfen wir teils aus der durch die äußeren Sinne und
den inneren Sinn vermittelten Erfahrung und insofern
1 Vgl. Gays er, Das phil. Gottesproblem. Bonn 1899. 138—141.
Lehmen A., Lehrbuch der Philosophie I. Freiburg 1899. 205—212.
- Geyser a. a. 0. 135—137.
10 Kant und die Gottesbeweise.
a posteriori, teils aus Vernunftprinzipien und insofern a
priori. Es setzt die empirische Erkenntnis voraus, daß
es irgendwelches Werden oder irgendwelches Gewordene,
einen Übergang vom bloß Möglichen zum Wirklichen gibt;
an sich ist es eine apriorische Vernunftwahrheit, ein ana-
lytisches Urteil von absoluter Gewißheit.^
Das Kausalprinzip als analytisches Urteil ist also nicht
nur Resultat der Erfahrung, Induktion; die Begriffe von
Ursache und V/irkung müssen ausgehend von Selbst-
beobachtung und der Beobachtung des Werdens in der
Natur vermitteist Abstraktion der Vernunft aus dem Sinn-
lichen gebildet werden.-
Einen eigentlichen, direkten Beweis kann man für
das Kausalitätsprinzip nicht führen; denn es kann
keinen Ober- und Untersatz geben, aus dem mit Notwendig-
keit der Schlußsatz folgte: Keine Wirkung ohne Ursache.
„Wer den Satz vom zureichenden Grund beweisen will,
der setzt bereits voraus, daß es einen zureichenden Grund
für die Wahrheit des Satzes vom zureichenden Grund geben
müsse." ^
Es läßt sich nur eine indirekte, apagogische Begrün-
dung geben, indem man evident nachweisen kann, daß das
Gegenteil unmöglich ist, zur Aufhebung des Identitäts-
gesetzes oder des Satzes vom Widerspruch führt.^
Das Kausalgesetz bedarf auch gar keines Beweises,
weil es als oberstes Denk- und Seinsgesetz unmittelbar
evident ist. Die Kausalitätsidee findet sich darum tat-
1 Heinrich, Dogmatik IIP. Mainz 1883. 213—215.
2 Kaufmann, Das Kausalitätsprinzip und seine Bedeutung für die
Philosophie. Phil. Jahrbuch 4 (1891) 107.
^ Vgl. Reinhold, Die Welt als Führerin zur Gottheit. Stuttgart
1902. 6 (112 ff.). Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 156. Hont-
heim, Institutiones Theodicaeae. Freiburg 1893. 70 — 71. Pesch T.,
Institutiones logicae. Freiburg 1890. II 1593. Gutberiet, Allg. Meta-
physik. Münster 1890. 97. Geyser a. a. 0. 114 f. Lehmen a. a. 0.
412-420.
* Braig a. a. 0. 157—161. Hontheim 1. c. 69—73. Gutberiet
a. a. 0. 95. Vgl. Schell, Gott und Geist I 106—124. Schanz, Apo-
logie P 188 ff. Kaufmann a. a. 0. 105—106.
Kritik des Jvantschen Idealismus. 1 1
sächlich bei allen Menschen und wird von ihnen mit innerer
Notwendigkeit für wahr gehalten. Das Kausalitätsprinzip
als analytisches Urteil hat eine ganz ausnahmslose Gültig-
keit für das ganze Universum der Ursachen und Wirkungen,
für das Gebiet des Denkens und des Seins und erfreut sich
wie alles analytische Urteilen des höchsten Grades der
Gewißheit.' Es ist „einerseits eine subjektive Wissens-
notwendigkeit, anderseits eine das ganze Reich der Wirk-
lichkeit beherrschende und verknüpfende objektive Seins-
notwendigkeit. ^
Weil das Kausalitätsprinzip allgemeine Geltung hat,
darf es nicht auf die sinnlich wahrnehmbaren Erschei-
nungen eingeschränkt werden, sondern wir dürfen dasselbe
auch in den letzten Konsequenzen anwenden, indem wir
aus den Erscheinungen der Dinge auf das innere Wesen
der Dinge, vom Universum auf die höchste Ursache des
Universums, auf Gott zurückschließen.
Es ist eine wissenschaftliche Halbheit, wenn man das
Kausalgesetz nur für die in der sichtbaren Natur beob-
achteten Fälle gelten lassen will, seine Anwendung auf die
transzendentale Ursache aber leugnet. Die Vernunft ver-
langt nicht bloß für eine gewisse Klasse von Dingen eine
entsprechende Ursache, sondern für jede Wirkung, sie
mag sinnlich oder nicht sinnlich sein. Das Kausalgesetz
lautet daher ganz allgemein: keine Wirkung ohne ge-
nügende Ursache!
Kant selbst hat seinen Grundsatz, wonach das Kausal-
gesetz nur in der Sinnenwelt Bedeutung hat, umgestoßen
durch die Annahme von „Dingen an sich". Denn zu dieser
Annahme ist er nur durch einen Schluß von den Erschei-
nungen gekommen. Von den in uns gewirkten Sinnes-
empfindungen oder Erscheinungen hat er auf das Dasein
der Dinge-an-sich als deren Ursache geschlossen, obschon
die Dinge-an-sich nicht zur Sinnenwelt gehören, sondern,
wie er selbst betont, etwas „Übersinnliches" sind. Folg-
lich hat Kant hier selbst von dem Kausalofesetz einen
1 Schanz, Apologie I* 494.
12 Kant und die Gottesbeweise.
metaphj^sischen Gebrauch gemacht und damit dessen Ein-
schränkung auf das Gebiet der Erscheinungen aufgehoben.^
Konsequent würde dies zur Leugnung aller Philosophie,
ja aller Wissenschaft überhaupt führen.- Denn alle Wissen-
schaft, insbesondere auch die Naturwissenschaft, verfährt
nach dem Grundsatz: In allen Fällen, wo eine Tatsache
aus den innerhalb einer bestimmten Sphäre gegebenen
Ursachen nicht erklärlich ist, muß eine außerhalb jener
Sphäre liegende Ursache angenommen werden.
Nach diesem Prinzip verfährt auch die Metaphysik
bei Aufstellung der Gottesbeweise. Der Ursachenkomplex
der Welt genügt nicht zur Erklärung der Welt, darum
muß diese Sphäre überschritten und eine überweltliche
Ursache angenommen werden.-^
Steht so das Kausalitätsprinzip in seiner ausnahms-
losen Gültigkeit fest, so folgt daraus, daß, wenn es Wir-
kungen gibt, auch eine entsprechende Ursache derselben
existiert und zwar eine erste Ursache, die selbst nicht
Wirkung ist, eine causa a se. Dieses Wesen, welches, selbst
nicht verursacht, die Ursache aller gewordenen Dinge und
der Grund ihrer Möglichkeit ist, ist jenes Wesen, das alle
Menschen mit dem Namen Gott bezeichnen.
Aus der speziellen Anwendung des Kausalprinzips auf
die verschiedenen Seinsbestimmungen und Seinsordnungen
ergeben sich die verschiedenen aposterioristischen Gottes-
beweise.*
Die Folgerung, die Kant aus seinen Prämissen zog:
Metaphysik sei als Wissenschaft unmöglich, weil das Meta-
physische „jenseits aller Erfahrung" liege, aber „nur in
der Erfahrung Wahrheit und alle Erkenntnis von Dingen
aus bloßem reinen Verstand oder reiner Vernunft nichts
als lauter Schein sei", ist unrichtig.
^ Vgl. E.Fischer, Das Grundproblera der Metaphysik. Mainz 1894.
17—18 ff.
2 Vgl. Kaufmann a. a. 0. 107—109.
3 Pfeiffer, Analogien zwischen Naturerkenntnis und Gotteserkennt-
nis. Phil. Jahrbuch 3 (1890) 398—402.
* Vgl. Heinrich, Dogmatik lU^ 221—222.
Kritik des Kantschen Idealismus. 13
Gewiß ist Kant einzuräumen, daß wir ohne jegliche
Erfahrung von einer Sache auf natürlichem Wege nichts
wissen können. Denn das reine, empirielose Denken kann
uns über die Existenz oder über die Beschaffenheit eines
Dinges keinen Aufschluß geben, wenn es sich nicht auf
die Erfahrung stützt. Es kann uns nur sagen, ob etwas
möglich oder unmöglich, aber nicht, ob etwas wirklich ist.
Aber die Metaphysik beruht nicht auf apriorischen
Erkenntnissen, sie stützt sich auf die Erfahrungstatsachen.
Zwar tritt das Metaphische nicht direkt in den Kreis
unserer Erfahrungen, wohl aber indirekt, mittelbar : näm-
lich durch das Physische, das eine Wirkung von jenem ist.
Die Erscheinungen der äußeren und inneren Erfahrung
bilden die Brücke zum Metaphysischen. Die Metaphysik
fußt demnach auf der Erfahrung, und es ist unrichtig,
wenn Kant ihre Quelle lediglich in der reinen Ver-
nunft sucht.
Sie ist keine bloße Erfahrungswissenschaft, aber sie
beruht doch auf der Erfahrung, weil sie sich auf der
Physik und der empirischen Psychologie aufbaut.
Ebenso hinfällig ist der andere Einwand, das
Metaphysische sei transzendent und deshalb für uns un-
erkennbar.
Was absolut-transzendent ist, d. h. in gar keiner Be-
ziehung zu uns steht, ist für uns unerkennbar; dagegen
was relativ-transzendent ist, d. h. was nur in ein oder
anderer Beziehung, aber nicht in jeder Beziehung für uns
jenseits liegt, ist für uns erkennbar. Zu letzterem gehört
das Metaphysische. Es ist wohl für unsere Sinne transzen-
dent, aber nicht absolut-transzendent, weil es sich uns
offenbart durch seine Wirkungen, die Erfahrungsdinge,
und so unserem Verstand die Möglichkeit gibt, mittels des
Kausalgesetzes aus seinen Wirkungen auf es selbst zurück-
zuschließen. „Die Möglichkeit der Metaphj^sik beruht
sonach weder auf der bloßen (äußeren und inneren) Er-
fahrung noch auf dem bloßen, apriorischen Denken oder
der reinen Vernunft, sondern ist durch beides bedingt,
indem sie aus der unter der Leitung des Kausalgesetzes
14 Nachwirkungen der Kantschen Kritik.
sich vollziehenden, denkenden Bearbeitung der äußeren
und inneren Erfahrung hervorgeht.** ^ Zwar ist unsere
Erkenntnis auf metaphysischem Gebiet relativ und be-
schränkt wie alle unsere Erkenntnis, aber trotzdem eine
wahre Erkenntnis. Daraus folgt aber noch nicht, daß man
alle und jede Metaphysik als unwissenschaftlich verwerfen
darf, ebensowenig wie man den anderen Wissensdisziplinen,
weil sie mehr oder minder relativ und beschränkt sind,
den wissenschaftlichen Charakter abspricht.^
Zweites Kapitel.
Nachwirkungen der Kantschen Kritik.
Neue Wege zur objektiven Gotteserkenntnis.
§ 3.
Ontologismus und Traditionalismus.
Kant hatte scheinbar die natürlichen Quellen der
Gotteserkenntnis mit seiner „Kritik der reinen Vernunft"
verschüttet. Auf neuen Wegen suchte man nun katholi-
scherseits die Objektivität der Gotteserkenntnis zu sichern.
Zu diesen neuen Wegen zählen vor allem der Ontologismus
und der Traditionalismus.
Zwar hat keines von diesen Systemen seinen Ursprung
in Deutschland noch auch besonderen Anklang daselbst
gefunden. Da aber die deutsche katholische Literatur über
das Gottesproblem die ontologistischen und traditionali-
stischen Irrwege berücksichtigt, so müssen diese Theorien
hier kurz dargelegt werden.
Beide Systeme leugnen prinzipiell die Möglichkeit eines
wissenschaftlichen Beweises für das Dasein Gottes, gehen
aber dabei von ganz verschiedenem Standpunkt aus.
Der Ontologismus (Maret, Gratry in Frankreich;
Gioberti, Ros mini in Italien, Üb aghs in Belgien) lehrt:
Der Gottesbeweis ist etwas Überflüssiges. Denn wir erkennen
1 Fischer, Das Grundproblem der Metaphysik. 12—18.
2 A. a. 0. 23—24.
Ontologismus und Traditionalismus. 15
Gott intuitiv, wir schauen ihn unmittelbar, in seinem
Wesen. Ja dieses Schauen Gottes ist das erste Objekt in
der Ordnung des Erkennens, alles Nichtgöttliche erkennen
wir nur im natürlichen Gotteslichte. Nicht auf dem Wege
des diskursiven Denkens gelangen wir zur Gottesidee,
sondern diese Idee ist der menschlichen Vernunft ange-
boren als primitive Idee des Unendlichen.
Gott ist also das Licht, in dem wir alles schauen, und
alle Ideen sind nur verschiedene Erscheinungsformen der
Idee Gottes.^ —
In Deutschland hat der Ontologismus keine Wurzel
fassen können; man müßte dann höchstens die Baadersche
Theosophie mit dem Ontologismus in Beziehung bringen.-
Man macht gegen den Ontologismus geltend, daß er die
logische Ordnung mit der ontologischen Ordnung ver-
wechselt und Gott, der allerdings das objektive Prinzip
alles Erkennens und Seins ist, zum Ersterkannten und zum
subjektiven Prinzip alles Erkennens macht. Aber es ist
falsch, daß dem Wesen der Wahrheit zufolge die Ordnung
des Seins auch die Ordnung des Erkennens sein müßte;
wie gäbe es dann z. B. eine historische Forschung?
Unser Bewußtsein ferner sagt uns nichts von einem
derartigen natürlichen Licht der unmittelbaren Gottes-
erkenntnis, und jede vernünftige Erfahrung widerspricht
einer solchen Behauptung; denn diese zeigt uns, daß der
Mensch nur von der Erkenntnis des zunächst auf ihn ein-
wirkenden Sinnlichen und der Einzeldinge zur Erkenntnis
des Geistigen und des Allgemeinen sich erheben kann.
Sodann wäre unter der Voraussetzung des Ontologismus
die Tatsache der Gottesleugnung ganz unverständlich.
• Endlich schließt der Ontologismus die nächste Gefahr
des Pantheismus in sich durch Vermengung der allgemeinen
Seinsidee mit der Idee des absoluten Seins.
1 Vgl. Haffner, Geschichte der Philosophie. Mainz ISSl. II 1095.
F elchin B., Zur neuesten Verurteilung des Ontologismus. Stimmen aus
M.-Laach 35 (1888) 215—224.
2 Vgl. A. Schmid, Wissenschaftliche Richtungen auf dem Gebiet
des Katholizismus. München 1862. 112 — 114.
16 Nachwirkungen der Kantschen Kritik.
Wenn der Ontologismus behauptet, der Mensch könne
die Begriffe des Unendlichen und Absoluten oder Gottes,
die er tatsächlich habe, nicht aus dem Endlichen, und
darum nur durch unmittelbare Anschauung des göttlichen
Seins gewonnen haben, so ist das falsch. Wenn der Mensch
allerdings eine adäquate, vollkommene Idee Gottes besäße,
dann wäre dies nur möglich durch unmittelbare Anschauung
Gottes; aber der Mensch hat nur eine inadäquate, unvoll-
kommene, wenn auch durchaus wahre Idee Gottes, und
diese gewinnt er aus den Kreaturen auf dem Wege der
Abstraktion, indem er jede Grenze und Beschränkung des
endlichen Seins negiert.
Obwohl alle Menschen eine Vorstellung von Gott haben,
so gelangen sie doch nicht dazu auf dem Wege des Onto-
logismus; denn sonst könnte man nicht erklären, wie uns
im gesamten Gebiet der Begriffe keiner eine größere
Schwierigkeit macht als der Gottesbegriff, während doch
Gott als die absolute Einfachheit, wenn er unmittelbar
geschaut würde, auch so erfaßt werden müßte.
Auch haben wir von keiner göttlichen Eigenschaft
einen positiven Begriff, sondern nur einen negativen. End-
lich lehrt uns die Erfahrung, daß wir von den Dingen
und den Begriffen, die wir daraus abstrahieren, nur sehr
mühsam und unsicher zur Erkenntnis Gottes aufsteigen,
nicht aber von der Erkenntnis Gottes zur Erkenntnis der
Dinge herabsteigen. ^ Deswegen wird der Ontologismus ver-
worfen und fast einmütig die Notwendigkeit eines wissen-
schaftlichen Gottesbeweises betont.
Auf ganz anderem Wege suchte der Traditio-
nalismus die Gotteserkenntnis für den Menschen zu
sichern.
Hat der Ontologismus behauptet, die Gottesbeweise
seien überflüssig, so erklärt der Traditionalismus,
Gottesbeweise zu führen sei unmöglich.
1 Geyser a. a. 0. 95. Heinrich, Dogmatik IIP 119 ff., 206.
König, Schöpfung und Gotteserkenntnis. Freiburg 1885. 46 — 47.
Haffner a. a. 0. 1095. Kleutgen, Philosophie d. V. Innsbruck 1878.
n^ 599—681.
Ontologismus und Traditionalismus. 17
Der Traditionalismus (de Bonald, Bautain, Ventura,
de Lammenais, Bonetty) lehrt: Die menschliche Ver-
nunft hat infol<^e des Sündenfalles die Fähigkeit verloren,
Gott aus seinen Werken mit Gewißheit zu erkennen und zu
beweisen. Der erste Mensch erhielt die Erkenntnis Gottes
durch Gott selbst, durch sein Wort, seine Offenbarung.
Diese ursprünglich durch Offenbarung empfangene Kenntnis
Gottes hat sich dann auf dem Wege der Tradition durch
das Medium des Wortes und der Sprache in der mensch-
lichen Gesellschaft fortgepflanzt. Offenbarung, Tradition,
Sprache sind die einzigen Quellen unserer Gotteserkenntnis.
Darum gibt uns nur der Glaube Gewißheit vom Dasein
Gottes. Gottesbeweise im gewöhnlichen Sinne sind un-
möglich.
Die katholische Fundamentaltheologie räumt nun dem
Traditionalismus ein, daß Autorität, Überlieferung und
Glaube ein von der göttlichen Vorsehung in der über-
natürlichen Ordnung gewählter Weg sind, um alle Men-
schen leicht und sicher zur Wahrheit zu führen. Faktisch
entsteht das Gottesbewußtsein meist durch Erziehung und
Unterricht. Die Gottesbeweise bezwecken auch zunächst
nicht, den faktischen Ursprung der Gotteserkenntnis zu
erklären. Sie wollen zunächst unsere wie auch immer
erworbene Gotteserkenntnis rechtfertigen, das unwillkür-
liche, unklare Gottesbewußtsein zu einem wissenschaftlichen
erheben, sodann aber auch die Möglichkeit dartun, daß
die Vernunft aus sich die Überzeugung von Gottes Dasein
gewinnen könne und somit der Atheismus unvernünftig
und unentschuldbar sei.^
Offenbarung und Unterricht ist ein Weg zur Gottes-
erkenntnis, aber nicht der einzige, der genügende. Die
menschliche Vernunft kann vielmehr aus eigener Kraft
zur Gewißheit des Daseins Gottes gelangen.
Der Traditionalismus ist im Prinzii) unwahr und in
seinen Konsequenzen verderblich, da er mit dem natürlichen
Wissen die wesentlichen Voraussetzungen des Glaubens
1 Hage mann G., Metaphysik. »^ Fieiburg 1901. 172.
Staab, Goltesbeweise in dor katli. LiltMatur.
18 Nachwirkungen der Kantschen Kritik.
leugnet, er tritt in Widerspruch mit der gesunden Ver-
nunft und kompromittiert, indem er sich für die eigent-
lich katholische Theorie ausgibt, den Glauben in den Augen
der Ungläubigen. 1
Dem Traditionalismus sehr verwandte Anschauungen
vertritt Friedhoff in seiner Fundamentaltheologie und
Apologetik.2
„Gott... als seinem Wesen nach gänzlich von der Welt
verschieden und als Schöpfer der Welt aus nichts, kann
durch die natürlichen Kräfte der menschlichen Vernunft
nicht erkannt und als daseiend bewiesen werden. Denn
die Erkenntnis Gottes in diesem Sinne setzt die Erkenntnis
der Erschaffung des Universums aus nichts durch den
allmächtigen Willen Gottes notwendig voraus. Die Erschaf-
fung der Welt aus nichts kann aber ebensowenig durch
die Vernunft erkannt w^erden als die Dreieinigkeit, wie der
hl. Thomas S. th. I q. 46 a. 2 lehrt. Das Dasein Gottes
in diesem Sinne, als des persönlichen, von der Welt wesent-
lich verschiedenen, kann allein durch die Selbstoffenbarung
Gottes im menschlichen Geschlecht bewiesen werden, d. h.
Gott muß sich durch Offenbarung und Wunder kundgeben,
damit er in diesem Sinne von uns erkannt werde. Daher
vermag die Vernunft Gott in diesem Sinne durch ihre
eigenen oder natürlichen Kräfte insofern zu erkennen, als
sie vermittelst geschichtlicher Forschung die Tatsache,
daß Gott sich dem menschlichen Geschlechte geoffenbart
hat, auffinden kann. . . . Alle andere natürliche Erkenntnis
Gottes wird immer mehr oder weniger eine pantheistische
sein."'^
„Die Ansicht, daß das Dasein Gottes als des an und
für sich bestehenden Schöpfers der Welt aus nichts durch
die bloßen Kräfte der menschlichen Vernunft erkannt und
bewiesen werden kann, ist nicht auf Wahrheit begründet.
^ Heinrich, Dognriatik I - 215. Vgl. Rolfes, Die Gottesbeweise
bei Thomas von Aquin und Aristoteles. Köln 1898, 2.
2 Friedhoff F., Grundriß der kath. Apologetik. Münster 1854.
Friedhoff F., Kath. Dogmatik."- Münster 1871.
3 Friedhoff, Dogmatik-^ 52—53.
Ontologismus und Traditionalismus. 19
weil alle versuchten Beweise bei näherer Prüfung sich als
unhaltbar ergeben und vom Pantheismus längst ver-
schlungen sind, und weil die Ansicht, der Mensch liabe
das Dasein Gottes in dem festgesetzten Sinne durch seine
eigene Kraft erkennen können, mit der Geschichte des
menschlichen Geschlechtes, nach deren Zeugnis Gott sich
uns ursprünglich geoffenbart hat, mit den Ergebnissen
einer gesunden Philosophie, nach deren Zeugnis es un-
möglich ist, durch philosophische Spekulation, das Dasein
eines Gegenstandes zu beweisen; . . . im Widerspruch
steht."
„Wenngleich nun aber der Mensch durch seine eigenen
Kräfte das Dasein Gottes nicht erkennen und beweisen
und auf diese Weise seinen Glauben an die übernatürliche
Offenbarung nicht begründen kann, ... so kann er doch
durch eigene Kraft, wofern er nur die erforderliche wissen-
schaftliche Ausbildung und die gehörige Ausdauer hat, in
der Geschichte der Menschheit die geschichtliche Tatsache
auffinden, daß Gott sich selbst in unserem Geschlechte ge-
offenbart hat." 1
„Als einzigen Weg, Gott als Schöpfer der Welt aus
nichts durch die natürlichen Kräfte der Vernunft zu er-
kennen, nehmen wir daher die Nachweisung der geschicht-
lichen Tatsache an, daß Gott im menschlichen Geschlechte
sich geoffenbart hat. Diese geschichtliche Wahrheit steht
der mathematischen und logischen Wahrheit völlig gleich." -
So stammt also nach Friedhoff alle Gotteserkenntnis
notwendig und einzig aus der Offenbarung. Ohne über-
natürliche Offenbarung ist die menschliche Vernunft außer-
stande, Gott als den von der Welt wesentlich verschiedenen
persönlichen Herrn und Schöpfer aller Dinge zu erkennen
und zu beweisen. Die Offenbarung kann als geschicht-
liche Tatsache nachgewiesen und damit auch das Dasein
Gottes dargetan werden. Alle anderen Gottesbeweise sind
nicht stichhaltig, führen zum Pantheismus.
1 Fried ho ff, Apol. 91—03.
- Fried ho ff, Dogmatik^ 59. Vgl. auch Dieringer F. X.. Lehr-
buch der kath. Doguiatik.^ Mainz 18ö8. § 12. 35—36.
o*
20 Nachwirkung der Kantschen Kritik.
F r i e d li o f f steht bei diesen seinen Behauptungen
offenbar unter dem Einfluß der Hegeischen Philosophie,
die, bekanntlich bei der Kritik der alten Gottesbeweise
mit Hilfe der reinen Logik zum Ergebnis kam, die Gottes-
beweise könnten nicht einen von der Welt verschiedenen
Gott und Schöpfer dartun, wohl aber vortrefflich das pan-
theistische Absolute rechtfertigen. Friedhoff nahm dieses
Resultat als Ergebnis einer gesunden Philosophie unbe-
sehen hin und kam so zur Verwerfung der Gottesbeweise.
Bei dem Versuch, auf andere Art die Gotteserkenntnis zu
begründen, gerät er auf die Irrwege der Traditionalismus,
und alle Gründe, die hiergegen sprechen, gelten auch für
Friedhoff.
Endlich wenn der Schluß von der Existenz und der
Ordnung der natürlichen Welt auf die Existenz und Voll-
kommenheit eines von der Welt substantiell verschiedenen
persönlichen Gottes nicht berechtigt ist, dann ist ebenso-
wenig der Schluß von der Existenz des Wunders und der
ganzen in wahrnehmbare Erscheinung getretenen über-
natürlichen Ordnung auf die Existenz eines persönlichen
Gottes als des Urhebers des Wunders und der übernatür-
lichen Ordnung berechtigt. Denn beidemal vollzieht sich
der Schluß in derselben Weise, nach demselben Gesetz. ^
Auch ist der Begriff der Erschaffung aus nichts nicht
Voraussetzung für die Gotteserkenntnis, sondern nur die
Einsicht, daß die Welt endlich und abhängig ist. Darum
haben auch heidnische Philosophen Beweise für das Dasein
Gottes als eines von der Welt verschiedenen Wesens auf-
gestellt.-
1 Vgl. Prüfung einer neuen Theorie über das Verhältnis der Vernunit
zum Glauben. Katholik 39 (1859) I 296-322, 543-558. Heinrich.
Dogmatik l' 309.
- Lehmen, Theodizee-'. Freiburg 1906. 11.
Die Reformversuche Frohschammers und Rosenkrantzs. 21
§ 4.
Die Reformversuche Frohschammers und Rosenkrantzs.
Unter dem Einfluß der Kantschen Kritik haben zwei
katholische deutsche Philosophen, Frohschammer und
Rosenkrantz, eine Reform der christlichen Philosophie
versucht und dabei auch Stellung zum Problem der Gottes-
erkenntnis genommen.
Frohschammer erstrebte in seinem Werke: „Ein-
leitung in die Philosophie und Grundriß der Meta-
physik. Zur Reform der Philosophie. München
1858" neben der Reform der Philosophie vor allem eine
neue Metaphysik.
Diese seine Metaphysik, die „einzig wahre", ist die „hi-
storisch-psychologische (subjektiv-objektive) Metaphysik",
die sich gründet auf „das Gottesbewußtsein als psychischer,
subjektiver und zugleich historischer, objektiver Tatsache
in der Menschheit" ^ im Gegensatz zur bisherigen „natu-
ralistisch-rationalen Metaphysik der Scholastik", welche
die höchste Erkenntnis und Wissenschaft, deren der
Menschengeist selbständig fähig ist, gewinnen will durch
sogenannte natürliche Vernunft und ihre denkende Be-
trachtung der Natur, durch Schlußfolgerung von der Natur
auf Gott. - Auf letztere Weise kann keine Metaphysik
begründet werden, weil die Natur Gott dem Menschen eher
verhüllt als offenbart.-^
Darum verwirft Frohschammer sowohl den kosmo-
logischen wie den teleologischen Gottesbeweis. Gegen den
kosmologischen Beweis wendet er ein: „Zuerst ist über-
haupt das noch nicht gewiß dabei, ob man vom Dasein
des Endlichen am Faden der Denknotwendigkeit auf das
Dasein des Unendlichen, Absoluten schließen könne. Man
pflegt zwar zu sagen, das Relative setze das Absolute
voraus, aber das ist vorläufig selbst eine noch unbewiesene
Annahme; im Endlichen als solchem liegt kein Grund und
^ Frohschammer, Einleitung in tue Philosophie 146 ff.
2 A. a. 0. 91 ff, 127. ^ a. a. 0. 112.
22 Nachwirkung der Kantschen Kritik.
Beweis des Daseins des Unendlichen. Und wo man wirk-
lich einen solchen notwendigen Zusammenhang zwischen
beiden annimmt, da wird es ein Wesenszusammenhang,
und damit das Endliche selbst zum Unendlichen, das Un-
endliche selbst zum Endlichen, Relativen. Damit ist aber
der Pantheismus angebahnt. Man kann zwar dagegen
sagen, es sei nicht von einem Zusammenhang dem Wesen
nach, sondern nur von einem Zusammenhang der Ursäch-
lichkeit (Kausalität) die Rede. Allein ist diese Ursächlich-
keit eine notwendige, dann ist sie zugleich ein Wesens-
zusammenhang wie vorhin; ist sie aber eine freie, dann
liegt die Schwierigkeit eben darin, das Verhältnis zwischen
Ursache und Wirkung rückwärts in der logischen Ope-
ration zu einem notwendigen zu gestalten, um der logi-
schen Konsequenz willen." ^
Frohschammer verwechselt hier logische und reale
Notwendigkeit. Der Zusammenhang zwischen Ursache und
Wirkung ist logisch immer ein notwendiger; Vv'enn die
Wirkung einmal da ist, muß man von ihr notwendig auf
die Ursache hinüberschließen, welche sie ins Werk gesetzt
hat. Aber daraus folgt doch nicht, daß die Ursache diese
Wirkung mit Notwendigkeit gesetzt hat oder setzen müßte.
Vom Dasein eines Hauses schließe ich notwendig auf den
Baumeister, der es gebaut hat; aber daraus folgt nicht,
daß der Baumeister dieses Haus auch notwendig bauen
mußte.
Mit diesem Einwand kann also des kosmologische Be-
weis nicht entkräftet werden.
Frohschammer bringt aber noch ein weiteres Be-
denken vor. „Vom Relativen zum Absoluten führt kein
geebneter, stetiger Weg — der Schluß ist nur möglich
durch einen Sprung über eine unendliche Kluft und ist
Übergang zu etwas ganz anderem {fierdßaoig' dg äXXo
yevoc). Und in jedem Fall hätte man keinen genügenden
Grund, gerade auf einen absoluten Urheber für die relative
Welt zu schließen, sondern wenn man wirklich solche
^ Frohschammer a. a. 0. 113.
Die Reformversuche Frohschammers und Rosenkrantzs. 23
Schlußfolgerung zugäbe, so könnte man nur wiederum auf
einen relativen Urheber oder Weltgrund die Schlußfolge
ziehen. Aus dem Endlichen läßt sich keine Leiter bauen,
die zum Unendlichen reicht, und wenn man alles Relative
übereinander türmt, kommt man noch nicht zum Ab-
soluten." 1
Letztere Bemerkung ist allerdings richtig; aber der
kosmologische Beweis kommt auch nicht zum Absoluten
durch Aufeinandertürmen des Relativen. Er schließt viel-
mehr aus der Existenz von Relativem auf die Existenz
eines Absoluten. Denn es gibt nur zwei Wege zur Er-
klärung der Welt, entweder eine unendliche Reihe von
relativen Ursachen oder eine absolute Ursache. Ersteres
ist widersinnig, darum bleibt nur letzteres übrig. Ein
einziges relatives Wesen reicht aus, um aus ihm das Dasein
einer ersten absoluten Ursache zu erweisen.
Der Mensch hat in seiner Vernunft die Fähigkeit, auf
dem Wege der Negation und Abstraktion den Begriff des
Unendlichen zu bilden. Dabei finden wir nicht etwa Gott
oder leiten ihn aus den endlichen Dingen ab, sondern was
wir von den endlichen Dingen herleiten, ist nur der Begriff,
d. h. das Mittel, wodurch wir Gott denken, nicht aber
identifizieren wir Gott als den durch den Begriff gedachten
Gegenstand mit dem Endlichen.-
Wie dem kosmologischen, so spricht Frohschammer
auch dem teleologischen Argument die Beweiskraft ab,
weil die Prämissen desselben nur die Berechtigung geben,
auf einen weisen, gütigen, mächtigen Welturheber, nicht
auf einen absoluten Urheber zu schließen ; ferner, weil in
der Welt auch viele Unzweckmäßigkeiten vorhanden seien,
und endlich weil der Beweis ohne Gewicht sei für den.
der die Welt und ihre Ordnung für ewig hält und darum
einen weisen Ordner und Bildner des Stoffes nicht zu
brauchen vorgibt.^
Es sind hier die Kantschen Einwürfe wiederholt, die
* Frohschammer a. a. 0. 114 — 115.
' Vgl. Lehmen, Theodizee- 11.
8 Frohschammer a. a. 0. 116 — 118.
24 Nachwirkung der Kantschen Kritik.
sich der Hauptsache nach dadurch erledigen, daß die
Ordnung und Zweckmäßigkeit nicht eine bloß äußerliche,
akzidentelle, sondern eine wesentliche, den Dingen imma-
nente ist, also den Schöpfer voraussetzt.
Obwohl aber Frohschammer dem kosmologischen
und teleologischen Beweisverfahren die strenge Konsequenz
absprechen zu müssen glaubt, will er ihnen doch nicht
alle Bedeutung für die Metaphysik und für die wissen-
schaftliche Erkenntnis nehmen. „Die Betrachtung des Da-
seins und der Beschaffenheit der Welt trägt vielmehr
außerordentlich viel bei, das Gottesbewußtsein zur Klarheit
und Bestimmtheit zu bringen, eine wahre Erkenntnis — :
nicht eigentlich des Daseins, sondern vielmehr des Wesens
und der Eigenschaften Gottes zu gewinnen." ^
Diese alten Gottesbeweise will er nun ersetzen durch
einen einzigen, den „eigentlichen, positiven Beweis". „Der
eigentlich positive Beweis für das Dasein Gottes wird so
geführt, daß wir vom Dasein des menschlichen Gottes-
bewußtseins auf das Dasein einer besonderen Potenz oder
Fähigkeit dazu in der Menschennatur schließen und von
dieser auf einen entsprechenden Urheber derselben." „Es
ist dies aber nicht der sog. Beweis a consensu gentium,
denn wir schließen nicht auf das Dasein Gottes, weil die
Völker daran glaubten und glauben, sondern weil sie
daran glauben, davon ein Bewußtsein haben können...
Das Dasein dieser Potenz in der Menschennatur betrachten
wir demnach als die erste, eigentlich natürliche Offen-
barung Gottes und demnach auch als Beweis seines Da-
seins." -
S t ö c k 1 bemerkt hierzu : „Wir haben nichts gegen
diesen Beweis, soweit er bloß auf die Potenz des Gottes-
bewußtseins als Beweisgrund beschränkt bleibt. Er kann
immerhin ins Beweissystem für Gottes Dasein aufgenommen
werden. Aber daß nur dieser Beweis geeignetschaftet sei
vor allen anderen Beweisen, um als alleingültiger Beweis
das Feld zu behaupten, das wird man uns nie einleuchtend
1 Frohschammer a. a. 0. 119. ^ a. a. 0. 343—344.
Die Reformversuche Froh?(hammers und Rosenkrantzs. 25
machen."' Der Beweis ist zudem nicht neu, er ist im
Grunde kein anderer als der des Cartesius, der vom
Dasein der Idee eines unendlichen Wesens in uns auf das
Dasein dieses unendlichen Wesens selbst schloß, weil nur
dieses jene Idee in uns habe hervorbringen können. Unter
„eingeborenen Ideen" verstand aber Cartesius eine be-
stimmte Potenz des Geistes, diese Ideen zu denken.-
W. Rosenkrantz, der in Schelling den letzten großen
Lehrer der Philosophie in Deutschland verehrte und sich
rühmte, in dessen Fußstapfen unmittelbar eingetreten zu
sein, folgte auch dessen Spuren in der Aufstellung „des
einzig möglichen wahren Beweises vom Dasein Gottes".^'
Kants Kritik an den herkömmlichen Gottesbeweisen
nimmt er zunächst beifällig auf und teilt mit ihm die
Ansicht, alle metaphysischen Beweise führten zurück auf
den ontologischen. Darum sind sie „weder einzeln noch
in Verbindung miteinander imstande, uns eine Gewißheit
vom Dasein Gottes zu verschaffen, und alles, was man in
alter und neuer Zeit getan hat, um ihnen einen Anstrich
von Evidenz zu geben, zeigt sich einer strengen Kritik
gegenüber als eitles Blendwerk". ^
„Kann aber das notwendige Sein als ein wirkliches
überhaupt nicht mehr mittelbar durch Beweis gewonnen
werden, so bleibt als einzig möglicher Weg nur noch die
unmittelbare Erfahrung durch Anschauung übrig. Es
muß also in der menschlichen Vernunft einen Punkt geben,
wo das notwendige Sein Gottes Gegenstand ihrer An-
schauung wird."'' Diesen Punkt glaubt Rosenkrantz im
tiefsten Grunde der Vernunft nachgewiesen zu haben.*^
„Das unbedingte Sein ist uns also unmittelbar gewiß.
Den Beweis aber, daß dieses Sein das Sein Gottes ist,
liefern wir, wenn wir beweisen, daß das Seiende in diesem
1 Stöckl, Geschichte der neueren Philoso piiie II 412.
2 Vgl. zu Frohschammers , Reform der Philosophie" Katholik 39
(18.9) I 385-394.
3 W. Rosenkrantz, Die Wissenschaft des Wissens I-. Mainz
1868. XXII.
^ A. a. 0. 448. ^ A. a. 0. 451. ° A. a. 0. 451—454.
26 Nachwirkung der Kantschen Kritik.
Sein Gott ist." — Wir formulieren daher unseren Beweis
wie folgt: „Nur wenn das unbedingt Seiende Gott ist, ist
die gesamte \Yelt alles bedingten Seins, so wie es uns
in der Erfahrung gegeben ist, möglich. Nun existiert
diese Welt wirklich; also muß das unbedingt Seiende not-
wendig Gott sein."i
Wieser bemerkt zu diesem „einzig möglichen wahren
Beweis vom Dasein Gottes": „Es dürfte denn doch weit
besser sein, den Obersatz so zu stellen: ,Nur wenn die
reale Ursache, welche alles bedingt Seiende notwendig
voraussetzt, Gott ist, ist das bedingt Seiende möglich',
d. h. zum kosmologischen Beweis zurückzukehren; dann
bedürfen wir nicht jener exorbitanten Fiktionen, um zum
Unbedingten emporzusteigen. Es ist überhaupt ein sonder-
bares Beginnen, die gewöhnlichen Gottesbeweise, die sozu-
sagen von selbst der Vernunft sich aufdrängen, als nichtig
zurückzuweisen und eine abstruse Mystifikation, die nur
einigen Esoterikern aus der Schule des ,reinen Denkens'
zugänglich sein soll, dafür an die Stelle zu setzen." -
Rosenkrantzs Philosophie ist im Grunde keine an-
dere als die Schellingsche Identitätsphilosophie, welche die
innere Anschauung des Absoluten als erstes und ursprüng-
liches Wissen an die Spitze ihres Systems stellte.
Endlich sei noch erwähnt die scharfe Kritik, die
E. M e 1 z e r an den herkömmlichen Gottesbeweisen in
neuester Zeit geübt hat.-^ Entschieden unhaltbar ist nach
seiner Meinung nicht nur der ontologische, sondern in
gleicherweise auch der historische; der teleologische und
moralische haben nur Bedeutung, wenn die Existenz Gottes
bereits dargetan ist, der kosmologische ist fehlerhaft, wenn
er nur auf der Natur und nicht auf psychologischer Grund-
lage aufgebaut ist*
^ W. Rosenkrantz a. a. 0. 471.
2 Wies er, Die Philosophie von Dr. W. Rosenkrantz. Zeitschr. f.
kath. Theol, 73 (1879) 329.
^ E. Melzer, Der Beweis für das Dasein Gottes und seine Person-
hchkeit mit Rücksicht auf die herkömmhchen Gottesbeweise. Neisse 1895.
^ A. a. 0. 3-16.
Die Beform versuche Frohschammers und Rosenkrantzs. 27
An die Stelle der alten Beweise setzt Melzer seinen
Gottesbeweis, den „im gewissen Sinne einzig möglichen", auf
der Grundlage des Selbstbewußtseins, des Ich-Gedankens.
Im Ich-Gedanken, bezw. durch das im Ich-Gedanken
erlangte Selbstbewußtsein erfaßt unser Geist den Gedanken
des Seins. Weiterhin erkennt er dieses sein Sein nicht
als absolutes, sondern als relatives. Durch Negation dieser
Nichtabsolutheit gelangen wir sodann zum Gedanken der
Existenz Gottes, indem wir uns selbst unterscheiden als
Erscheinung und Sein und beides in einem letzten Real-
prinzip begründen, das weder bedingt noch beschränkt ist.
Dieses Realprinzip ist unser Schöpfer. Denn unser Geist,
der zwar Realprinzip und Substanz, aber endliche Sub-
stanz ist, wird genötigt, über sich hinauszugehen und eine
absolute, unbedingte Kausalität als Schöpfer der bedingten
Substanz seines Geistes und jeder anderen, die etwa außer
dieser vorhanden ist, hinzuzudenken.
Diesen Schöpfer nun kann er in seiner Selbstbestimmt-
heit nur als persönlichen, selbstbewußten auffassen, der
von jeder anderen Substanz wesenhaft verschieden ist.
Als unpersönlich wäre der Schöpfer nicht imstande, qua-
litativ von ihm verschiedene Substanzen zu setzen. — Die
Offenbarung des persönlichen Gottes durch die Schöpfung
hat die Offenbarung seiner als absoluten, persönlichen
Prinzips in seinem eigenen Lebensprozeß zur Voraus-
setzung.
Jeder andere Beweis hat seine Grundlage nur im
Geist des Menschen; darum ist der vom menschlichen
Selbstbewußtsein geführte Beweis in gewissem Sinne der
einzig mögliche.^
Dieser Beweis ist nicht neu. Er lehnt sich an Günthers
Selbstbewußtseinstheorie an. Denn auch nach Günther
wird Gott als das unbedingte Sein erkannt durch das
Selbstbewußtsein und die Realität des Gottesgedankens
durch die Realität des Ich-Gedankens verbürtrt.-
1 E. Melzer a. a. 0. 8—16.
- Günther, Vorschule. I 72. Wien 1824; Eurystheus und Herakles
366. Wien 1834.
28 Die katholische Tühinger Schule.
Es ist im Grunde ein kosmologischer oder psycho-
logischer Beweis, der nach Gutberiet „recht geeignet ist,
unmittelbarer, als es durch die gewöhnlichen Gottesbeweise
geschieht, die Existenz eines persönlichen Gottes darzutun",
der aber nicht als alleiniger gelten kann.^
Drittes Kapitel.
Die katholische Tübinger Schule.
§ 5.
Die Theorie J. Kuhns.
Eine eigenartige Theorie in der Frage der natürlichen
Gotteserkenntnis hat die Tübinger kath. Schule, an ihrer
Spitze der Gelehrte Kuhn vertreten. Sie lautet kurz so:
„Der menschliche Geist erkennt Gott durch denkende
Betrachtung der Welt und kann sein Dasein beweisen;
aber er erkennt ihn nur auf Grund der dem Geiste ein-
wohnenden Gottesidee, ihres lebendigen Bewußtseins und
Gewißseins, das von subjektiv praktischen Bedingungen
abhängt. Darum vermag er zwar die Wahrheit derselben
durch denkende Weltbetrachtuug sich zu entwickeln und
zu vermitteln oder zu bestätigen, und insofern das Dasein
Gottes a posteriori zu beweisen, keineswegs aber unabhängig
davon dasselbe — sei es a priori oder a posteriori — zu
demonstrieren." ^
Kuhns Theorie ist nur zu verstehen vom Standpunkt
seiner Erkenntnistheorie aus, die er die platonisch-patri-
stische im Gegensatz zu der aristotelisch -scholastischen
nennt.
„Die Kardinalfrage des spekulativen Wissens", sagt er,
„wird diese sein : Wie kommt der denkende Geist über die
Erfahrung, deren Gegenstand die Erscheinungswelt ist,
hinaus zur Erkenntnis des Absoluten, der absoluten Wirk-
lichkeit, Gottes? Hierüber sind, wenn wir von dem
1 Philos. Jahrbuch 8 (1895) 324—25.
2 Kuhn, Kath. Dogmatik. I^ 2. Tübingen 1862. 619.
Die Tlieorif J. Kuhns. ^9
Traditionalismus und dem Ontologismus vorerst absehen,
nur zwei Theorien möglich. Entweder faßt man den
menschlichen Geist lediglich als Denk- und Erkenntnis-
Vermögen, als bloß formelles Organ der Wahrheit, in
materieller Beziehung aber als tabula rasa, und nimmt
sofort an, daß er durch denkende Betrachtung des endlich
Wirklichen das absolut Wirkliche zu erkennen, von der
Welt auf Gott in objektiv gültiger Weise zu schließen im-
stande sei. Dies ist die aristotelisch -scholastische, seit
Thomas v. A. in den theol. Schulen verbreitetste . . .
Theorie. Oder man geht davon aus, daß der menschliche
Geist nicht bloßes Denk- und Erkenntnisvermögen und
inbezug auf die Wahrheit tabula rasa sei, daß ihm viel-
mehr in seiner Vernunft (den Vernunftideen) eine Quelle
der Wahrheit fließe, daß insbesondere die Idee von Gott,
wenn auch nicht vor, doch unabhängig von aller em-
pirischen Wahrnehmung und allem reflektierenden Denken
in ihr vorhanden sei und ihm von daher zum Bewußtsein
komme. Demgemäß nimmt man sofort an, daß der Geist
zwar nur an der Hand der denkenden Weltbetrachtung
zur wissenden Erkenntnis Gottes komme, daß aber nur
die im Lichte der unmittelbaren Gottesidee betrachtete
W^elt zu Gott führe, m. a. W., daß der denkende Geist den
Schluß von dem endlichen Sein auf den absolut Seienden
nur auf Grund und in Kraft der ihm vorschwebenden und
vorleuchtenden und insofern unmittelbaren Gottesidee
wirklich und rechtmäßig zustande bringe. Das ist die
platonisch-patristische Auffassung der Gotteserkenntnis." ^
Dieser letzteren schließt Kuhn sich an.-
Kuhn nimmt also neben der objektiven Quelle der
Gotteserkenntnis, der denkenden Weltbetrachtung, noch
eine subjektive Quelle an, die Gottesidee im eigenen
Geiste.
Der Mensch kommt zur Erkenntnis Gottes nicht aus-
schließlich durch formale Abstraktion und Reflexion,
welche auf die sinnlich wahrüenommenen Dini>e angewandt
1 Kuhn a. a. 0. 608-609. - A. a. 0. 616.
l
30 Die katholische Tübinger Schule.
wird, sondern zugleich durch innere unmittelbare Wahr-
nehmung im eigenen Geiste.
Her menschliche Geist ist „Spiegel und Auge" zugleich.
„Der vernünftige Geist ist, wie er unter allen Kreaturen
allein das Vermögen besitzt, zur Erkenntnis des Schöpfers
sich zu erheben, so sich selber zugleich allein dasjenige
Wesen, durch welches er vorzugsweise dieselbe zu ver-
wirklichen vermag, also erkennendes Subjekt und mittel-
bares Erkenntnisobjekt in einem oder Auge und Spiegel
zugleich. Wenn aber der menschliche Geist die unmittel-
barste und vollkommenste Offenbarung Gottes oder der
Spiegel ist, in dem sich dessen Bild dem schauenden Auge
(denkenden Geist) unmittelbar darstellt : was kann dieses
in dem vernünftigen Geiste sich darstellende Bild Gottes
anders sein als die Idee Gottes, die ihm, sofern er in seiner
kreatürlichen Vollkommenheit vorhanden ist, sofort ins
Bewußtsein tritt und sein unmittelbares Wissen von Gott
ist? ein Wissen von Gott, das ihm unabhängig von aller
äußeren Erfahrung und allem reflektierenden Denken bei-
wohnt und ihm als Leitstern bei seinem auf die Betrach-
tung der Außenwelt gerichteten Denken und Erkennen
vorleuchtet?"!
„Die Gottesidee ist jedoch kein begrifflich formierter
Inhalt, sondern dem Lichte zu vergleichen, in welchem
die Welt betrachtet werden muß, um zu erkennen, daß
Gott ist und w^as er ist."- „Die dem Geiste eingeborene
Idee und wenn er wirklich und wahrhaft vernünftig ist,
auch zum Bewußtsein kommende Gottesidee ist für sich
allein nur erst der Anfang und das Prinzip der Gottes-
erkenntnis, nur gleichsam der Selbstlauter des Wortes
Gott, zu dem noch die Mitlauter fehlen. Diese kommen
ihm aus der Betrachtung der Welt im Lichte der ihm
einwohnenden Idee Gottes zu. So erst konstituiert sich die
Gotteserkenntnis im Geiste, diesen Verlauf nimmt sie."^
Die Gottesidee ist also wesentliches Moment in der
Gotteserkenntnis.
* Kuhn a. a. 0. 615. '' A. a. 0. 668. ^ A. a. 0. 545.
Die Theorie J. Kuhns. 31
Aber ihre Wirksamkeit und Kraft hängt von zwei
Bedingungen ab, nämlich von der normalen physischen
und psychischen und insbesondere von der normalen sitt-
lichen Entwicklung des Menschen.
„Wenn die Kirchenväter von einer natürlichen, an-
geborenen Gottesidee, von dem Gottesbewußtsein als der
natürlichen Mitgift der Seele reden, so ist dies jedenfalls
vor allem nicht so gemeint, als ob schon das unmün-
dige Kind von Gott wisse, Gottes inne werde. Denn im
Kinde ist die Vernunft noch eine in ihrem Keim ver-
borgene, schlummernde Kraft, und durch die göttliche
Fürsorge ist es weislich gefügt, daß dem seiner selbst
noch nicht mächtigen, unmündigen Geist in seinem Er-
zieher eine aktive Vernunft zur Seite steht, die ihm für
das höchste Interesse seines Daseins und Lebens (Joh. 17,3)
eben das — nicht mehr — leistet, was dem in die Erde
gesenkten, fruchtbaren Samenkorn Licht und Wärme, Regen
und Feuchtigkeit leisten, unter deren Einfluß es keimt,
wächst und Frucht bringt, — in Kraft seiner eigenen
Natur, nicht in Kraft des äußeren Lichtes usw. Denn die
Gottesidee ist der Vernunft des Menschen innerlich an-
gelegt, sie ist keine bloße Tradition durch das Wort eines
ihm äußerlichen Geistes.
Aber - und dies ist die Hauptsache — nur die reine
Vernunft, die Vernunft der Vernünftigen vernimmt Gott;
der Tor spricht in seinem Herzen: es ist kein Gott. Wie
ein Spiegel, wenn er durch einen widrigen Umstand getrübt
wird, seine urspsüngliche Eigenschaft, die Gegenstände
dem betrachtenden Auge getreu darzustellen, nicht mehr
besitzt, so verhält es sich auch mit der menschlichen
Seele inbezug auf das absolute Objekt. Die Seele verliert
ihre Vernunft nicht, also auch das Vermögen nicht, Gott
zu vernehmen; die Gottesidee ist und bleibt ihr natürlich
eigen, Gott offenbart sich ihr, so gewiß sie Ebenbild Gottes
ist und bleibt. Aber die Gottesidee tritt ihr gar nicht
oder nicht in ihrer Wahrheit und Reinheit ins Bewußtsein.
Gott offenbart sich ihr, aber ihr wird Gott nicht offenbar.
Die W^ahrnehmung Gottes und des Göttlichen, wie sie in
32 Die katholische Tübinger Schule.
ihrer Vernunft natürlich angelegt, und wozu sie durch
ihre Natur aufgelegt, disponiert ist, ist als effektive und
wahre durch ihre eigene Reinheit und Integrität bestimmt;
diese aber beruhen auf der lebendigen und ungeschwächten
Wechselwirkung ihres theoretischen und praktischen Ver-
nunftvermögens, der Vernunft und des Gewissens."^
So kommt denn Kuhn zum Schluß: „Beruht also die
wirkliche und wahre Gotteserkenntnis in letzter Instanz
auf der geistigen und sittlichen Subjektivität, auf der
Persönlichkeit des Menschen, so ist es unmöglich, das
Dasein Gottes auf rein theoretische und objektive Weise zu
demonstrieren, einen allgemein gültigen und überzeugenden,
absolut evidenten Beweis dafür beizubringen." -
„Nach der platonisch-patristischen Theorie kann von
einem rein objektiven und theoretischen, von einem
stringenten oder eigentlichen Beweise des Daseins
Gottes keine Rede sein . . , Nur kraft der unmittelbaren
Gottesidee kommt der menschliche Geist über das Absolute
des Pantheismus, auf welches das bloße Denken des End-
lichen zunächst fällt und allein fallen kann, hinaus zum
persönlichen Gott, zu dem höchsten Wesen, zu dem man
beten kann, d. h. zu dem Absoluten im Sinne des religiösen
Bewußtseins." ^
Es gibt keine objektiven Beweise für das Dasein Gottes
nach Art logischer und mathematischer Erkenntnisse, und
die Gewißheit vom Dasein Gottes ist eine ganz andere als
die Wahrheit geometrischer Sätze oder logischer Gesetze.
„Oder könnte wohl der Gott, von dessen Dasein und Wesen
wir mit derselben Evidenz wissen, durch dieselbe bloß
verstandesmäßige Operation des Geistes uns überzeugen,
wie von der Wahrheit geometrischer Sätze oder logischer
Gesetze, wohl derselbe sein, in dem wir das ewige Leben
haben, wenn wir an ihn glauben, ihn erkennen und ihn
lieben? Dieser Gott wäre vielmehr der Götze unseres
eigenen Denkens, der sich über Gott erhebenden, sich an
2 Kuhn a. a. 0. 611 — 612. ' A. a. 0. 012.
3 A. a. 0. 610.
Die Theorie J. Kuhns. 33
seine Stelle setzenden, endliclien Vernunft. Dieser sich
selbst vergötternden Vernunft ist das Wort zugerufen:
Wer ist wie Gott?
Oder wäre der Gott der wahre, dessen Dasein uns in
derselben Art gewiß ist als das Dasein der Welt, den wir
eben dadurch und darin erkennen, daß und worin wir das
Wesen der Dinge erkennen? Das, was wir so erkennen
und materiell demonstrieren können, ist das pantheistische
Absolute, nicht der Gott des religiösen Glaubens. Ist es
also nicht das tiefste Interesse der Religion, vor solchen
Abwegen der Erkenntnis, vor solchen Täuschungen sich
zu bewahren?" 1
„Die Vernunft, die Gott erkennt und seines Daseins
gewiß ist, ist nicht etwa ein bloßes Denken, eine theoretische
Funktion des Geistes, wie etwa das Zählen oder Messen,
sie ist nicht bloß der ratiozinierende Verstand, wie er in
den Naturwissenschaften tätig ist, indem er Erscheinungen
zählt und miteinander kombiniert. Die Vernunft des Men-
schen ist kein bloß intellektuelles Vermögen des Geistes,
sondern wesentlich zugleich ein praktisches, das mit
seiner Persönlichkeit zusammenhängt. Deshalb sagen
wir: Die tiefste Wurzel und die eigentliche Kraft (die
beseligende) der Erkenntnis Gottes ist der Glaube; wer zu
Gott kommen will, muß glauben, daß er ist, daß er denen,
die ihn suchen, ein gerechter Vergelter ist." (Hebr. 11, 0.)
„Dieser Glaube ist nicht bloß ein unmittelbares, weder
auf der Erfahrung dessen, was wir sehen oder besitzen,
noch auf Verstandesschlüssen beruhendes Wissen, sondern
auch ein freiwilliges, aus der ganzen Persönlichkeit des
Menschen, insbesondere auch aus seinem sittlichen Bewußt-
sein und Gewissen entspringendes Für wahr halten." -
„Alle Gotteserkenntnis beruht auf Glauben (nicht auf
übernatürlichem, sondern auf natürlichem oder Vernunft-
glauben)." ^
„Glauben" wird also diese unmittelbare persönliche
Gewißheit von Kuhn genannt, weil sie hauptsächlich auf
A Kuhn a. a. 0. 624. = a. a. 0. 625. ^ a. a. 0. 623.
Staab, Gottesbeweise in der kaUi. Literatur. o
34 Die katholische Tübinger Schule.
dem unmittelbaren Zeugnis der eigenen Natur beruht und
nicht ausschließlich durch sinnliche oder verstandesmäßige
Evidenz hervorgerufen wird.
Die Gewißheit vom Dasein Gottes kann nicht verglichen
werden mit der Gewißheit logischer oder mathematischer
Erkenntnis. Sie ist die absolut höchste:
„Es ist ein Irrtum, zu glauben, die logische oder
mathematische oder sinnliche Evidenz sei überhaupt und
schlechthin die höchste. Sie ist dies nur für den den-
kenden Geist als solchen oder für den sinnlichen
Menschen als solchen. Die Gewißheit des Gottesbewußt-
seins ist von ganz anderer Art und darf nicht ohne
weiteres mit jenen verglichen oder nach ihnen gemessen
werden. Sie ist die Evidenz für den menschlichen Geist
als solchen in der Totalität seines zugleich intellektuellen
und moralischen Wesens, näher, die Evidenz des persön-
lichen Geistes. So ist sie in der Tat die höchste. Dem
religiös Gläubigen, der dieses wirklich und vollkommen
ist, ist das Dasein gewisser als das eigene Dasein; ihm
tritt an die Stelle des cogito ergo sum, das deus est,
ergo sum."^
Die gewöhnlichen Gottesbeweise (der kosmologische,
teleologische und moralische) haben nach Kuhn nur den
Wert: „auf den unbefangenen Geist des Menschen zu wirken
und die Idee Gottes in ihm zu beleben und zu kräftigen,
besonders in ihrer Verbindung miteinander".- „Es gibt
wie keine absolute Wesenserkenntnis Gottes, so auch keinen
absoluten Beweis seines Daseins, sondern nur Beweise des-
selben, die sich in ähnlicher Weise zu dem (unvollkom-
menen) Beweise desselben zusammenschließen, wie die
eigenschaftlichen Begriffe Gottes zu dem unvollkommenen
Begriff seines Wesens . . . Gleichwie die Erkenntnis Gottes,
die Erkenntnis dessen, was er ist . . . eine bloß vergleichs-
weise und inadäquate ist . . ., ganz ebenso ist auch der
Beweis des Daseins Gottes, die Erkenntnis, daß er, daß ein
persönliche Gott ist, unvollkommen, aus einem subjektiven
1 Kuhn a. a. 0. 626. "^ A. a. 0. 697.
i
Die Theorie J. Kuhns. 35
und objektiven Moment zusammengesetzt, somit kein rein
objektiver und stringenter (apodiktischer), kein schlechthin
demonstrativer Beweis. Sein Wesen besteht in der objek-
tiven Vermittlung der subjektiven, unmittelbaren Vernunft-
idee Gottes, in der Bewährung dieser Idee durch vernünftig
denkende Weltbetrachtung." ^
So will also Kuhn diese große und schwierige Frage,
das Hauptproblem der Philosophie, das Grundproblem der
Theologie, im Interesse des religiösen Glaubens und einer
gründlichen Wissenschaft fassen. Er betrachtet ein sog.
unmittelbares Gottesbewußtsein als primitive und prinzi-
pielle Quelle unserer Gotteserkenntnis und läßt die Beweise
für Gottes Dasein nur als (in sich nicht stringente) Ver-
mittlungen der in jener Quelle unmittelbar gegebenen und
freiwillig für wahr gehaltenen Erkenntnis zu,-
Eine ähnliche Ansicht vertrat vor Kuhn Klee,^ Ber-
lage,^ Dieringer;'^ man vergleiche auch P. Schanz.^
„Alle sog. Beweise von Gottes Dasein," sagt Klee,
„können eben nur dienen, dessen dem Menschen ein-
geschaffene, mittelst innerer und äußerer Offenbarung
erweckte Idee aus dem Zustand der Glaubensunmittelbar-
keit in die begriffliche Form zu vermitteln, das Gottes-
bewußtsein zu erwecken, zu verdeutlichen, über alles aus-
zudehnen, das Gefühl seiner Gegenwart und Unleugbarkeit
nach allen Richtungen außer und inner uns zu entfalten,
in alles hinein- und aus allem herauszuspiegeln, die dem
vollen Aufgang und höheren Aufschwung des Gottes-
bewußtseins entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen.
Wo aber die Idee Gottes und die Überzeugung von seinem
Dasein nicht vorhanden wäre, da blieben alle vorzüglichen
Argumente eine taube Saat."^
« Kuhn a. a. 0. 700—702.
2 Haffner, GrundHnien der Geschichte der Philosophie II 1086.
^ Klee, Kath. Dogmatik IP. Mainz 1844. 1—8.
^ B er läge, System der kath. Dogmatik. II. Münster 1846. 10—20.
5 Dieringer, Lehrbuch der kath. Dogmatik.^ Mainz 1858. 33—36.
6 P. Schanz, Apologie P 166—167.
7 Klee a. a. 0. 7.
3*
36 Die katholische Tübinger Schule.
Darum eifert Klee auch gegen jede Notwendigkeit
eines Gottesbeweises.
„Der notwendig zu beweisende und bloß wegen des
Beweises anzuerkennende, der so unter ein endliches Axiom
eines endlichen Ichs herabgesetzte, nach einer endlichen
Operation im Beweisen und Bestimmen als fix und fertig
dastehende Gott ist keiner, sondern ein nichtiger, selbst-
gemachter Götze, vor dem kein Vernünftiger anbetend
niederfallen kann."^
§ 6.
Kritik der Kuhnschen Theorie.
Die Theorie des berühmten Tübinger Gelehrten hat
in katholischen Kreisen lebhaften Widerspruch gefunden.
Insbesondere hat Seh ä zier dagegen Stellung genommen
in drei Schriften: „Natur und Übernatur", Mainz 1865;
„Neue Untersuchungen über das Dogma von der Gnade
und das Wesen des christlichen Glaubens", Mainz 1867;
„Divus Thomas contra Liberalismum", Rom 1874. Zwei
Punkte werden vor allem beanstandet: die Kuhnsche Er-
kenntnistheorie und das unmittelbare Gottesbewußtsein,
die Gottesidee.
1. Die Erkenntnistheorie Kuhns.
Im Interesse der Religion, damit sie nicht in Ab-
hängigkeit von der Philosophie käme, glaubte Kuhn ein
unmittelbares Wahrheitsbewußtsein annehmen zu müssen :
„Wenn es überhaupt Wahrheit, als solche erkennbare Wahr-
heit und folglich sichere Überzeugungen für den Menschen
gibt, so muß sie allen zugänglich, und die Überzeugung
davon ein Gemeingut aller sein können, diejenige Wahr-
heit wenigstens, die von dem vernünftigen Geistesleben
des Menschen unzertrennlich, die für den vernünftigen
Geist (in seiner Erhabenheit über das Tier) ganz dasselbe
ist, was für den physischen Menschen Nahrung, Bewegung,
1 Klee a. a. 0. 6.
Kritik der Kuhnschen Theorie. 37
Licht, Luft, sinnliche Empfindung und Lust. Dies kann
sie aber nicht sein, wenn die Wahrheit zugleich mit der
Überzeugung von ihr nur erst in der Form des speku-
lativen Begriffs erreicht, nur durch spekulatives Denken
errungen wird; wenn es nicht eine von den Operationen
des wissenschaftlichen Denkens unabhängige Quelle und
ein unmittelbares Bewußtsein derselben, eine unabhängig
von dem reflektierenden und spekulierenden Denken fest-
stehende Überzeugung von ihr gibt. Hierdurch beweisen
wir die Wahrheit unserer Annahme, daß die Quelle der
Wahrheit über dem Denken (Verstand) liege und das re-
flektierende und spekulierende Denken nur das Mittel ihrer
wissenschaftlichen Erkenntnis sei. Stoße diesen Beweis
um, wer es kann."i
Die Alternative, welche diesem Beweis zur Voraus-
setzung dient, nämlich entweder sei die Wahrheit dem Geiste
vor aller Tätigkeit in der Vernunftidee unmittelbar gegeben
oder sie sei ein Produkt unseres Denkens, ist unhaltbar.
Es gibt noch ein Drittes, und das ist das richtige : Die
Wahrheit ist eine an sich gegebene und in den Gegenständen
unabhängig von unserer Geistestätigkeit vorhandene.
Diese an sich gegebene Wahrheit ist zwar für alle
erkennbar, allein schon dadurch noch nicht offenbar.
Dies wird sie erst durch die Tätigkeit unseres Geistes.
Das Bewußtsein der Wahrheit ist wesentlich ein
vermitteltes. Aber deshalb ist die Wahrheit noch kein
Produkt unseres Denkens. Denn dadurch, daß wir die
Dinge erkennen, erhalten sie nicht erst ihre Wahrheit.
Ihre Wahrheit ist nichts anderes als das Wesen der Dinge
in seiner Beziehung auf einen erkennenden Geist, dem sie
entweder gleichförmig gemacht wurden (Beziehung zum
göttlichen Geist) oder umgekehrt, den sie selber sich gleich-
förmig zu machen fähig sind (Beziehung auf den mensch-
lichen Geist). Unser Erkennen ist daher insofern ein
wahres, als es mit seinem Gegenstande übereinstimmt, das
Prinzip seiner Wahrheit aber ist Gott selber.
1 Kuhn a. a. 0. P 1. 238—242.
38 Die katholische Tübinger Schule.
Kuhns Behauptung, die Quelle der Wahrheit läge
ohne Annahme eines unmittelbaren Bewußtseins davon im
Verstände, ist unhaltbar. Gott ist die Quelle der Wahrheit
auch bei der Anschauung, die das Wahrheitsbewußtsein
als ein durch die eigene Tätigkeit des Geistes vermitteltes
versteht. Gott ist aber nicht bloß dadurch Quelle der Wahr-
heit, daß die Wahrheit unseres Erkenntnisgegenstandes
auf seiner Ähnlichkeit mit Gott als der prima veritas
beruht, auch die Wahrheit unseres Erkennens selber hat
hier ihre Norm, denn unser Geist bildet seine Urteile nach
dem Maßstab der göttlichen Wahrheit, als deren Spiegel
er sich darstellt. Gott spricht zu uns durch das Vernunft-
licht, dem unser gesamtes natürliches Wissen seine Gewiß-
heit verdankt. Dadurch, daß wir mit Thomas die Quelle
der Wahrheit in Gott selber suchen, ist ihre Objektivität
sichergestellt, dagegen kommt Kuhn mit seiner Annahme,
daß „dem menschlichen Geist von vornherein in seiner
Vernunft (den Vernunftideen) eine Quelle der Wahrheit
fließe", daß „die Wahrheit ihre Wurzel in der Vernunft-
idee habe",i nicht über die engen Grenzen des Subjekts
hinaus.2
Ein Grundfehler Kuhns liegt darin, daß er Denken
und Erkennen als zwei ganz verschiedene Dinge betrachtet.
Die Erkenntnislehre aber, welche Denken und Er-
kennen nicht bloß wie Mittel und Zweck, wie Werkzeug
und Arbeitsleistung unterscheidet, sondern beide trennt
als ganz verschiedene Dinge, ist verfehlt. Zugleich ist
es eine nutzlose Verdoppelung, dem Verstände ein ver-
mitteltes Wissen und der Vernunft ein unmittelbares
Glauben inbezug auf irgendein Erkenntnisobjekt zuzu-
sprechen. Denn der Vernunftglaube hat keinen Erkenntnis-
wert, bevor das Denken die Gründe dieser Wahrnehmung
festgestellt und begriffen hat.
Diese Spaltung des Erkenntnisvermögens ist zudem
auch nicht unbedenklich. Denn sie kann nicht auskommen
1 Kuhn a. a. 0. P 2. 609; P 1. 176.
2 Vgl. Schäzler, Neue Untersuchungen 437—442.
Kritik der Kuhnschen Theorie. 39
ohne ein zweifelhaftes Medium, welches unzweifelhaft
Familienähnlichkeit hat mit dem „Gefühlsglauben" von
Jakobi, mit der „intellektuellen Anschauung" Schellings,
mit dem „metaphysischen Sinne" bei Neueren, mit der „in-
tellektuellen Spürung" des Vorstellens bei H a r t m a n n.
Es sind all dies die monistisch gedachten subjektiven
Energien des Bewußtseins, welche den Sprung vom Denken
in das Sein, vom Individuellen in das Absolute, von der
Einzelvernunft in den Allgeist hinüber ermöglichen sollen.^
2. Das unmittelbare Gottesbewußtsein, die Gottesidee
bei Kuhn und der Tübinger Schule.
Wie schon erwähnt, lehrt Kuhn: „Der menschliche
Geist ist die unmittelbarste und vollkommenste Offenbarung
Gottes oder der Spiegel, in dem sich dessen Bild dem
schauenden Auge (denkenden Geist) unmittelbar dar-
stellt."- Weil der christlichen Idee gemäß Gott als un-
mittelbare, absolute Ursache, als Schöpfer der Welt zu
denken ist, „so ist diese eine Offenbarung Gottes, so kommt
das Wesen des Unendlichen im Endlichen zur Erscheinung
und zwar in aufsteigender Progression oder so, daß in
den vollkommensten Weltwesen, den Vernunftwesen, diese
Erscheinung Gottes sich zum Bewußtsein von ihm
gestaltet^.3
Kraft dieser uranfänglichen und allgemeinen Offen-
barung trägt der Mensch im seinem vernünftigen Geiste
das Bewußtsein des Unendlichen (die Idee Gottes) un-
mittelbar in sich, so „daß der menschliche Geist nicht erst
durch einen auf sein Selbstbewußtsein gebauten Schluß,
sondern ebenso unmittelbar Gottes inne wird wie seines
eigenen Selbsts". „Dieses unmittelbare Gottesbewußtsein
leuchtet seinem Denken vor, wenn er auf dem Wege der
nachdenkenden Betrachtung Gott erkennt."^
Kuhn beruft sich mit Unrecht für diese seine Auf-
fassung auf die Hl. Schrift;^ sie bezeugt nur die Er-
^ Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 17.
•^ Kuhn a. a. 0. 1- 2. 615. ^ A. a. 0. 589.
* A. a. 0. U 506—507. ^ A. a. 0. P 1. 537.
40 Die katholische Tübinger Schule.
kennbarkeit Gottes aus den Werken der Schöpfung.
Ebensowenig kann er die Autorität der Väter und des
hl. Anselm geltend machen.^
„Wenn der hl. Anselm und die Väter den Geist des
Menschen als einen Spiegel Gottes bezeichnen — und allein
darauf stützt sich die Behauptung Kuhns, seine Ansicht
sei die ,patristische* — , so bezeichnen sie unsere Gottes-
erkenntnis eben da durch als eine mittelbare." -
Auch die inneren Gründe, die Kuhn für seine Lehre
anführt, beweisen nicht, was sie beweisen sollen.
Kuhn glaubt nämlich, ohne die Annahme einer un-
mittelbaren Gottesidee „wäre eine Offenbarung Gottes im
theologischen Sinne unmöglich, könnte Gott nur in dem
Sinne dem Menschen sich offenbaren, als er sich selbst
denkt, indem der menschliche Geist ihn denkt, und in
diesem Geiste und seinem Denken sich selbst erst offen-
bar, selbstbewußter Geist wird".^ Kuhn verwechselt hier
das principium cognoscendi mit dem principium essendi.
Wenn dann Kuhn weiter sagt : „Muß nicht Gottes
bestes, sozusagen gelungenstes Werk, muß nicht die Krone
seiner Schöpfung ihn am unmittelbarsten und vollkom-
mensten offenbaren?'', so beweist dieses Argument nach
Schäzler zuviel und daher nichts. Denn die unmittel-
barste und vollkommenste Offenbarung Gottes im ge-
schaffenen Geiste wäre erst dann gegeben, wenn der
menschliche Geist in sich selber wie in einem Spiegel
nicht bloß die natürlichen Wahrheiten von Gottes Dasein
und Wesen, sondern auch die übernatürlichen von
der göttlichen Dreieinigkeit usw. unmitttelbar zu
erkennen vermöchte, was aber auch Kuhn nicht zu
behaupten wagt.
Der menschliche Geist ist allerdings eine vollkommenere
Offenbarung Gottes als die vernunftlose Schöpfung ; aber
deswegen muß er noch nicht die vollkommenste Offen-
barung Gottes sein; er ist Ebenbild Gottes nicht erst durch
1 Kuhn a. a. 0. V 2. 614. 720.
2 Schäzler a. a. 0. 446. Vgl. Heinrich, Dogmatik IIP 43—91.
3 Kuhn a. a. 0. V- 1. 239.
1
Kritik der Kuhnschen Theorie. 41
das Gottesbewußtsein, sondern schon durch sein bloßes
Vermögen der Gotteserkenntnis. Nur bei dieser Auf-
fassung läßt sich der theologische Begriff der übernatür-
lichen Gottähnlichkeit, sowie die Lehre, daß das Gottesbild
der Seele durch die Sünde zwar getrübt, aber nicht aus-
gewischt werde, halten.
Ferner ist die Gefahr des Pantheismus gegeben, wenn
Kuhn behauptet, der menschliche Geist sei „Spiegel Gottes,
seines Wesens und seiner Eigenschaften, er sei sich selbst
Mittel der Erkenntnis (aber nur Mittel, nicht das Objekt
selbst) und Erkenntnisvermögen, also beides in einem, das
Gott schauende (erkennende) Auge und der Spiegel, in
welchem das Bild Gottes sich ihm darstellt".^
Ohne übernatürliche Erleuchtung ist für den mensch-
lichen Geist eine unmittelbare Gotteserkenntnis unmötrlich.
Endlich hat die Kuhnsche Lehre vom unmittelbaren
Gottesbewußtsein eine gewisse Verwandtschaft mit dem
Ontologismus. Sie unterscheidet sich zwar prinzipiell vom
Ontologismus dadurch, daß sie nicht wie letzterer eine
unmittelbare Berührung des göttlichen Wesens durch das
natürliche Erkenntnisvermögen des menschlichen Geistes
annimmt, stimmt jedoch bezüglich des Einflusses, den das
unmittelbare Gottesbewußtseiu auf unsere übrigen Erkennt-
nisse ausübt, mit dem Ontologismus überein.- Da nun
Kuhn die Behauptung aufstellt, nur im Lichte dieser
Gottesidee könne der Mensch Gottes Dasein erkennen und
beweisen, aber nicht evident und stringent (vgl. Dogm.
L 2; 610. 619), so bildet der Gottesbeweis „gerade eine
der wunden Stellen, eine der schwachen Seiten an der
Tübinger Theologie".''
Ist Gottes Dasein objektiv unbeweisbar ohne Hinzu-
nahme der Gottesidee, kann dann eigentlich von einem
Gottesbeweis geredet werden? . . . Die Konstruktion des
Gottesbeweises nicht auf dem Grund, sondern im bloßen Licht
der Gottesidee kann zur objektiven Konklusion nicht führen.
1 Kuhn a. a. 0. V- 590. 614.
- Schäzler a. a. 0. 443—464. Ders., Divus Thomas 159—167.
^ Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 10.
42 Die katholische Tübinger Schule.
Denn die Vernunftidee selber ist das nicht schlußweise
zu fassende „Real- oder Erkenntnisprinzip"; sie ist der
„Schrittstein", von welchem der Sprung aus dem bloß Lo-
gischen, aus dem formalen Denken in das objektive Sein
hinüber gemacht werden kann.
Bestenfalls vermag der Gottesbeweis im Licht der
Gottesidee darzutun, daß ein von außen her zu bereichernder
Begriff des Absoluten im Menschengeist ist. Nichts aber
kann solch ein Beweis ausmachen darüber, ob und was
das Sein Gottes, abgesehen von jenem Begriff, außer und
über dem Menschengeist ist.^
Zwar versucht Roderfeld in zwei Abhandlungen
„Die katholische Lehre von der natürlichen Gotteserkennt-
nis und die platonisch-patristische und die aristotelisch-
scholastische Erkenntnistheorie";- „Von der objektiv-
theoretischen Beweisbarkeit und von den Beweisen des
Daseins Gottes"^ nachzuweisen, „daß ebenso wie in der
Lehre von der Gotteserkenntnis im allgemeinen, so auch
in der Lehre von den wissenschaftlichen Beweisen Gottes
die von Kuhn entwickelte platonisch-patristische Theorie
sachlich und wesentlich mit der aristotelisch-scholastischen
übereinstimmt, und die Differenzen nur rein formelle,
theoretische Fragen betreffen". Er glaubt, „die Kuhn sehe
Lehre unterscheide sich von der thomistischen lediglich
dadurch, daß erstere die subjektiven Momente oder die
Gottesidee als wesentliche und notwendige Faktoren beim
Prozesse der gemeinen natürlichen Gotteserkenntnis in
Anschlag bringe und dieselben mit den objektiven Mo-
menten in organische Verbindung setze, während die
letztere, nämlich die thomistische Lehre, die subjektiven
Momente zwar anerkenne, aber nicht als wesentliche
Faktoren oder als wirkliche Quelle zugleich mit der ob-
jektiven Quelle verwerte. Dieser Unterschied sei eine
Folge des verschiedenen erkenntnistheoretischen Stand-
punktes; da aber platonische und aristotelische Erkenntnis-
1 Braig a. a. 0. 10—12.
■' Tüb. Theol. Quartalschr. 63 (1881) 77—136; 186—249.
3 A. a. 0. 391—422; 597—640.
Kritik der Kuhnschen Theorie. 43
theorie nicht in einem prinzipiellen Gegensatz ständen,
werde dadurch die sachliche Übereinstimmung der Kuhn-
schen Erkenntnistheorie und der thomistischen nicht
alteriert."^
Wir können uns diesem Urteil nicht anschließen; denn
die Kuhnsche Gottesidee ist etwas ganz anderes als die
von der Scholastik behauptete natürliche Fähigkeit des
Menschen, Gott mit Leichtigkeit aus den Kreaturen zu
erkennen auch ohne streng wissenschaftlichen Beweis. Sie
gehört in das Gebiet der angeborenen Ideen, wodurch die
Objektivität unserer natürlichen Gotteserkenntnis geleugnet
und eine subjektive Gewißheit an deren Stelle gesetzt
würde. Daher Kuhns Abneigung gegen die scholastischen
Gottesbeweise. Zudem hebt Kuhn den objektiven Charakter
unserer Gotteserkenntnis dadurch auf, daß er sie aufbaut
auf einem durchaus subjektiven Element: der sittlichen
Persönlichkeit. Denn, wie erwähnt, ist nach Kuhns An-
schauung der menschliche Geist nur dann ein treuer
Spiegel des göttlichen Wesens, aus dem dasselbe rein und
in seiner Transzendenz erkannt wird, wenn er sittlich
ungetrübt ist.-
Gewiß kann man auf dem Grund der Gottesidee, ver-
standen als das „in der Natur des Menschen wurzelnde,
mit seinem Wesen selbst verwachsene logische, sittliche.
Gewissen des Menschengeistes", als „Wahrheits-, Sittlich-
keits-, Schönheitsdrang und -Gefühl", einen Gottesbeweis
führen, der aber von dem Kuhnschen Licht der Gottesidee
sehr verschieden ist.
Wie wenig übrigens Kuhn und die Scholastiker in
unserer Frage übereinstimmen, wird uns der folgende
Abschnitt zeigen. Doch zuvor wollen wir noch kurz eines
anderen „Tübingers" Erwähnung tun, dessen Anschauungen
bezüglich der Gotteserkenntnis sich vielfach mit jenen
» Roderfeld a. a. 0. 352. 247; vgl. 244.
- Vgl. Heinrich, Dogmatik. Ill- 123—125. Hontheim, Theod.
48—49. Boedder, Theol. natur. IS — 23. Stentrup, De Deo uno
thes. 4. Kleutgen, Phil. d. V. 11- 668-673. Schweiz, Theol. fund.^
Wien 1867. 37—40. Sprinzl. Fundamentaltheol. Wien 1876. 63—64.
44 Die katholische Tübinger Schule.
Kuhns decken. Es ist Matthias Hamm a.i Er glaubt
mit Kuhn, „auf rein aristotelischem Boden könne nie die
Frage, ob Theismus oder Pantheismus das Wahre sei, ent-
schieden werden. Darum stoße der rein aristotelische
Standpunkt den Fundamentalsatz des Theismus um, es
sei unserer Vernunft die Erkenntnis des wahren Gottes
möglich und werde so für den theistischen Standpunkt
unbrauchbar.
Nur Plato gebe uns die weitere Instanz, indem er
sagt, die in unserer Natur angelegte Ahnung des wahren
Gottes leite unsere Schlüsse. So sei die platonische Lehre
von einer uns innewohnenden Gottesidee durch den
Theismus gefordert. „Die Gottesidee dürfen wir uns aber,
(wie er sagt), nicht vorstellen als in uns liegenden, fertigen
Begriff, als genau fixiertes Bild, als mathematische Form.
Die Gottesidee ist das Gravitieren des Menschen, des
einzelnen wie des ganzen Geschlechts, und zwar des ganzen
Menschen nach seinem Erkennen, Wollen und Fühlen,
gegen den einen Mittelpunkt hin, von welchem es aus-
gegangen ist. Dieses Gravitieren äußert sich zunächst im
Gefühl der Abhängigkeit, dann im Sehnsuchtsgefühl nach
Höherem, als diese Welt ist, und zuletzt im Pflichtgefühl,
und diese drei Anlagen der menschlichen Natur in ihrer
Verbindung und Verschmelzung sind das, was man Gottes-
idee nennt." ^
Gegen diese Auffassung wäre an sich nichts einzu-
wenden, wenn Hamma nicht unmittelbar vorher einen
anderen Begriff von der Gottesidee aufstellte, indem er
schreibt : „Wenn der theistische Gott die Welt und uns her-
vorgebracht hat, so muß auch, wie sich die Ursache in der
Wirkung kundgeben muß, sein Wesen in uns und in der
Welt sich reflektieren, und eben dieses Spiegelbild ist
die Gottesidee."
Wie beide Fassungen sich vereinigen lassen, ist schwer
einzusehen.
^ Geschichte und Grundfragen der Metaphysik. Freiburg 1876.
2 Hamma, Metaphysik 120—121.
Kritik der Kuhnschen Theorie. 45
Die Gottesidee, „die in unserer Natur angelegte Ahnung
des wahren Gottes leitet unsere Schlüsse" auf Gottes Dasein.
Es gibt nach Hamma aber nur einen Beweis für
das Dasein Gottes, wie es auch nur eine Welt für uns gibt,
von welcher aus wir Gott beweisen können. Dieser eine
Beweis aber zerlegt sich in mehrere Stufenbeweise, zerfällt
in mehrere Segmente, welche alle zusammengehören und
nur in ihrem Zusammenhang Beweiskraft haben. ^ Die
Welt ist nämlich eine reale Vielheit, welche aus ver-
schiedenen Hauptmomenten besteht. Alle diese müssen
wir der Reihe nach ins Auge fassen. Wir können zunächst
die Welt nur nach ihrer Vielheit und weiter nach ihrer
Bedingtheit ins Auge fassen (kosmologischer Beweis) ; wir
können sie rücksichtlich ihrer Zweckmäßigkeit betrachten
(teleologischer Beweis) ; wir können sie endlich vom Men-
schen und seinen Anlagen aus, vom höchsten Gebilde
der empirischen Welt aus betrachten (anthropologischer
Beweis).
Dem kosmologischen Beweis gibt Hamma eine
andere Formulierung, weil der Beweis in der gewöhn-
lichen Form anfechtbar sei, da die Prämisse, die Zufällig-
keit der Welt, nicht formell stringent bewiesen werden
könne.
„Das nächstliegende und unbestreitbarste Moment der
Welt, sowohl der äußeren als der inneren, ist, daß sie eine
reale Vielheit von Seienden ist. Nun ist es aber nicht
nur eine Undenkbarkeit, sondern eine objektive Unmög-
lichkeit, daß eine Vielheit von Seienden existiere, ohne auf
einer Einheit zu beruhen und auf diese hinzuweisen. Also
existiert ein realer Grund der Welt."
•Erst wenn dieser Beweis vorausgeschickt ist, erhalten
die anderen Formen des kosmologischen Beweises ihren
Wert. „Denn wenn erwiesen ist, daß die gegebene Welt
eine reale Vielheit sei, welche auf realer Einheit beruhen
muß, so ist auch bewiesen, daß sie als Vielheit etwas
Sekundäres, Bedingtes, gegenüber der Einheit Zufälliges
Hamma a. a. 0. 121—122.
46 Die katholische Tübinger Schule.
sei. Wenn sie aber zufällig ist, so muß ein notwendiges
Sein existieren und zwar nur ein notwendiges Sein.
Denn -gäbe es mehrere, so wären sie selbst wieder Viel-
heit, welche notwendig die Einheit zur Voraussetzung
hätte.''
„Mit diesem Argument ist der Polytheismus in seiner
Unmöglichkeit dargetan. Nur ein versteckter Polytheismus
liegt in den Systemen, welche eine Vielheit selbständig
realer Seienden für ursprünglich erklären (Demokrit,
Herbart). Eine solche Vielheit ohne reale Einheit ist
eine leere Abstraktion. Ebenso schlummert Polytheismus
in allen dualistischen Systemen. Das Resultat des kos-
mologischen Beweises ist also: Es existiert ein und nur
ein realer Grund der Welt, und wer mehr als einen realen
Grund annimmt, täuscht sich. Aber mehr sagt es uns
durchaus nicht. Ob dieser reale Grund Geist oder Materie,
ob er Substanz der Dinge im pantheistischen Sinne oder
aber der substantiell verschiedene Urheber der Dinge in
theistischem (oder auch noch deistischem Sinne) sei, das
können wir auf dieser Stufe der Weltbetrachtung nicht
entscheiden."^
Die zweite Stufe der Beweisführung ist der physiko-
theologische oder teleologische Gottesbeweis. „Dieses
Argument setzt das kosmologische voraus; falls es dies
nicht tut, fällt es selbst dahin. Denn aus der Gesetz-
mäßigkeit der Welt, für sich genommen, könnten wir noch
nicht auf bloß einen intelligenten Grund schließen; die
Zweckmäßigkeit der Welt ist uns ja nicht als eine gegeben,
sondern als verschieden verzweigte. Auch könnte man,
falls das kosmologische Argument nicht beigezogen wird,
mit Kant schließen: Das teleologische Argument beweist
höchstens einen Weltbaumeister, welcher seine Zwecke in
der ihm von Ewigkeit her gegenüberstehenden Welt ver-
wirklicht habe. Ein solcher Weltbaumeister ist aber ein
dualistischer Gedanke und nur abzuweisen durch das
kosmologische Argument." -
i Mamma a. a. 0. 124—126. ^ a. a. 0. 125 f.
_ir»
Kritik der Kuhnschen Theorie. 47
Um auch diesen Beweis gegenüber allen Einreden, die
der Pessimismus, der Materialismus, die Philosophie des
Unbewußten gegen die Prämisse der Zweckmäßigkeit erhebt,
sicherzustellen, formuliert Hamm a den Beweis in folgender
Weise: „Die Weltdinge sind real viele, und diese reale Vic4-
heit fordert eine ihr zugrund liegende reale Einheit. Die
Weltdinge sind real unterschieden und als solche gesetz-
mäßige Unterschiede. Unterschiedensein und Gesetzmäßig-
keit setzt aber Unterscheidung voraus, folglich ist der
reale Weltgrund ein unterscheidendes Sein . . .
Wir erweisen dadurch allerdings keinen weisen Welt-
grund, aber was ebensoviel Wert hat und die eigentliche
Absicht des teleologischen Argumentes ist, einen unter-
scheidenden, d. i. denkenden, intelligenten Weltgrund.
Abgewiesen ist hierdurch der Materialismus und der
Naturalismus und sämtliche Philosophie des Unbewußten.
Aber nicht abgewiesen ist der Pantheismus. Denn ob
der intelligente Weltgrund die absolute Idee im Hege-
lianischen Sinne sei, welche durch Selbstunterscheidung
alle Unterschiede, d. i. die ganze Welt aus sich gebiert,
oder ob der theistische Gott, — das läßt sich auf der
Stufe der teleologischen Weltbetrachtung noch nicht er-
kennen."^
Erst auf der dritten Stufe der Beweisführung, durch den
sog. anthropologischen Gottesbeweis, wird nach Hamma
die pantheistische Auffassung vollständig widerlegt und
die theistische als die allein wahre dargetan.
Denn der anthropologische Beweis betrachtet das
höchste Gebilde der gegebenen Welt, den Menschen, nach
der Gesamtheit seiner Naturanlagen, den einzelnen wie das
ganze Menschengeschlecht und schließt: Wenn und da auf
der Welt ein Wesen existiert, wie der Mensch, so existiert
auch ein Gott. Wir finden nämlich im Menschen empirisch
vor das religiöse Gefühl, d. h. jene Verbindung des Ab-
hängigkeits-, Sehnsuchts- und Sittlichkeitsgefühls, welche
der menschlichen Natur unverwüstlich innewohnt.
1 Hamma a. a. 0. 127—128. Vgl. Kuhn a. a. 0. P 2. 683 f.
48 Die katholische Tübinger Schule.
Dieses religiöse Gefühl, „die Gottesidee" mit ihren drei
integrierenden Teilen, vernichtet den Pantheismus in all
seinen Formen.
' Diese Beweiskraft wohnt aber vor allem dem höchsten
und besten Gefühl des Menschen inne, dem Gefühl, das
sein eigentliches Wesen ausmacht und ihn zur Person er-
hebt: dem Freiheits- und Pflichtgefühl. „Daß der Mensch
auch verantwortlich ist für seine Handlungen, belohnt
oder bestraft wird, je nach Maßgabe — und Lohn oder
Strafe in seinem Sittlichkeitsgefühl kaum nur ideell anti-
zipiert, das vernichtet den Pantheismus in all seinen
Formen."^ „Mit der empirischen Tatsache des Sittlichkeits-
gefühls ist allein der Standpunkt des Theismus vereinbar.
Während uns also das kosmologische Argument Einen
Weltgrund, das teleologische Einen denkenden Welt-
grund zeigt, zeigt uns das anthropologische in seinem
Hauptmoment, verbunden mit den beiden ersten Beweisen,
Einen, von der Welt verschiedenen, denkenden Welt-
grund, es beweist uns Gott als den freien Urheber alles
Seienden."- —
Das Vorausgehende kurz zusammenfassend, können
wir nun die Lehre der Tübinger Schule bezüglich der
natürlichen Gotteserkenntnis in folgende Hauptsätze zu-
sammenschließen :
L Der Mensch kommt zur Erkenntnis Gottes nur auf
Grund und im Lichte der seinem Geiste eingepflanzten
Gottesidee, nicht aber durch bloß denkende Weltbetrach-
tung, durch formale Abstraktion und Reflexion.
2. Er kann das Dasein Gottes nicht strikte beweisen.
Die Gottesbeweise sind nur eine Vermittlung und Bestä-
tigung der Wahrheit der Gottesidee durch denkende Welt-
betrachtung im Licht des unmittelbaren Gottesbewußtseins,
keine objektive, stringente Beweise.
3. Die einzelnen Argumente vermögen nur in ihrer
Gesamtheit einen vollgültigen Beweis des Daseins Gottes
1 Hamma a. a. 0. 128—129. Vgl. Kuhn a. a. 0. 689—697.
2 Hamma a. a. 0. 130.
Kritik der Kuhnschen Theorie. 49
herzustellen, wegen des innigen Zusammenhangs, der be-
steht zwischen der Erkenntnis des Wesens und des Daseins
Gottes.
Es gibt darum nur einen Gottesbeweis, nicht mehrere
Gottesbeweise.
Nur in ihrer Zusammenfassung können sie eine
wissenschaftliche Überzeugung und objektive Gewißheit
begründen.
Treffend bemerkt Schell zur Theorie der Tübinger
Schule: „Aus der inneren Erfahrung nehmen alle
Gottesbeweise die Idealformen des geistigen und heiligen
Wesens, der denk- und willensmächtigen Persönlichkeit, in
denen allein die wirklich hinreichende Ursache der Welt
gedacht werden kann. Insofern hat die kath. Tübinger
Schule recht, wenn sie auch für die kosmologischen Be-
weise eine Ergänzung durch Gedankenbilder fordert, welche
der inneren psychischen Welt entnommen sind. Allein
diese geistigen Idealformen . . . sind keine angeborenen
Ideen, sondern Errungenschaften und Gebilde der in-
neren Erfahrung . . . Außerdem vollzieht die Seele in
ihren unwillkürlichen Gedankengängen die Schlußfolge-
rungen, insbesondere des inneren Bewußtseins, dermaßen,
daß sie den verpflichtenden, gesetzgebenden, beurteilenden
und dadurch als gut und schlecht innerlich bestimmenden,
als wahr und falsch innerlich begründenden Gott in und
mit den geistigen Lebensbetätigungen selber mit er kennt,
— unter dem bestimmenden Einfluß des Kausalgesetzes.
Auch dadurch entsteht der Schein der unmittelbaren
Intuition oder der angeborenen Idee Gottes. Es ist ja im
Grunde eine einfache und sichere Schlußfolgerung, welche
von. dem erfahrungsmäßigen Tatbestand auf den persön-
lichen Gott und Schöpfer hinführt, so daß es keiner zeit-
lichen Aufeinanderfolge einzelner, unterscheidender Urteile
und Folgerungen bedarf." ^
1 Schell, Gott und Geist I 197—199.
Staab, Gottesbeweise in der kath. Literatur.
50 Die Neuscholastiker.
Viertes Kapitel.
Die Neuscholastiker.
§ 7.
Erkenntnistheorie.
Im Gegensatz zur Tübinger Schule lehrt die Neu-
scholastik mit dem hl. Thomas, das Dasein Gottes könne
durch das bloße Licht der Vernunft, ohne Hilfe einer
Gottesidee, auf dem Wege vernünftiger Schlußfolgerung
aus den Kreaturen sicher erkannt und stringent bewiesen
werden.
Sie stützt sich dabei auf die aristotelisch-thomistische
Erkenntnistheorie, den „aristotelischen Intellektualismus,
aus welchem die einzige Erkenntnistheorie hervorwächst,
deren Prinzipien es ermöglichen, daß die Gottesüberzeugung
nicht lediglich das Postulat eines subjektiven Glaubens-
gefühles, sondern rechtmäßiger Gegenstand objektiven
Wissens ist". ^
Die Grundzüge dieser Erkenntnistheorie sind kurz
folgende :
Gegenstand unserer Erkenntnis sind die Dinge selbst,
sowohl bei sinnlicher Wahrnehmung wie bei intellektueller
Erkenntnis. Das ist der oberste Grundsatz der wahren
Erkenntnislehre.
Alle Erkenntnis kommt dadurch zustande, daß im
Erkennenden ein Bild der erkannten Sache entsteht, und
daß wir durch dieses Bild die Sache selbst, deren Bild es
ist, erkennen. Wir erkennen also die Dinge durch das
Mittel ihrer sinnlichen, bezw. intelligibeln Bilder. Diese
Bilder sind nicht der direkte Gegenstand unserer sinn-
lichen Wahrnehmung oder geistigen Erkenntnis, sondern
nur das Mittel, wodurch wir die Dinge selbst wahr-
nehmen und erkennen. Nur indirekt und durch Reflexion
können unsere Gedanken- und Sinnenbilder Gegenstand
unserer Erkenntnis werden. Durch diesen Grundsatz allein
* Geyser, Gottesproblem 84.
i
Erkenntnistheorie. 51
ist die objektive Wahrheit unserer Erkenntnis verbürgt
und sowohl der transzendentale Idealismus Kants als der
Pantheismus ausgeschlossen.
Aus dem ersten Grundsatz, daß wir die Dinge selbst
durch ihre sinnlichen und intellektuellen Abbilder in uns
erkennen, ergibt sich das weitere Axiom, daß das Erkannte
in dem Erkennenden nach der Weise des Erkennenden ist.
Falsch ist darum die Behauptung, daß nur Gleiches
durch Gleiches erkannt werde, daß also jede Erkenntnis
Gleichheit der Natur zwischen erkennendem Subjekt und
erkanntem Objekt voraussetze. Daher kann der Geist, ohne
selbst Körper zu sein, Körperliches, und das Geschöpf,
ohne selbst göttlicher Natur zu sein, Gott erkennen.
Daraus folgt weiter, daß unsere menschliche Erkenntnis
auf Erden in einer der menschlichen Natur entsprechenden
Weise sich vollziehen muß, nicht aber in der Weise Gottes
durch Anschauung des göttlichen Wesens oder a priori
und auf rein synthetischem Wege, auch nicht durch ein-
geborene Ideen.
Nun ist aber die vernünftige Seele des Menschen nicht
reiner Geist, sondern mit dem Leib zur Einheit der Menschen-
natur verbunden. Entsprechend dieser Natur und der
Erfahrung gemäß befindet sich darum die menschliche
Vernunft bezüglich der Erkenntnis ursprünglich im Zustand
bloßer Potenz, verhält sich zu allem Intelligibelen poten-
tialiter und wird in diesem Sinne von den Scholastikern
nach Aristoteles mit einer tabula rasa verglichen; nur
allmählich kommt sie und zwar durch den Dienst der
Sinne zu einer aktuellen Erkenntnis und zu einem habi-
tualen Wissen.
Es beginnt also die intelligible Erkenntnis des Men-
schen in ihrer natürlichen Entwicklung mit der sinnlichen
Wahrnehmung und hat zu ihrem nächsten und eigentüm-
lichen Gegenstand das Intelligible im Sinnlichen, und von
da aus erhebt sie sich zu einer unvollkommenen Erkenntnis
des rein Geistigen und Göttlichen, aber immer mit Hilfe
der Sinnenbilder (phantasmata). Durch Abstraktion aus
den Phantasmen erfaßt unser Intellekt das Wesen der
52 Die Neuscholastiker.
Körper in geistiger Weise in der Form der Allgemeinheit
und berührt in den rein intelligibelen Begriffen insofern
auch bereits das rein Geistige, als diese metaphysischen
Seihsbestimmungen alles Seienden den Geistern und Körpern
gemeinsam sind. Damit haben wir die Möglichkeit, geistige
Wesen zu erfassen, indem wir an ihnen jene Seinsbestim-
mungen festhalten, die Materialität aber negieren.
Die wirkliche Existenz solch geistiger Wesen erkennen
wir zunächst durch Erkenntnis unser selbst, des Wesens
unserer Seele. Diese Erkenntnis des geistigen Wesens
unserer Seele bietet wiederum die Analogie zur Erkenntnis
reiner Geister.
Auf Grund der so erworbenen Erkenntnis des Wesens
der Kreaturen erschließt unsere Vernunft, vermöge ihrer
ersten evidenten Prinzipien, die Existenz Gottes, als der
ersten und absoluten Ursache aller Dinge, und gewinnt
auf dem Wege der Analogie und Negation eine zwar un-
vollkommene, aber richtige Erkenntnis des göttlichen
Wesens.
So ist also nach scholastischer Anschauung „unsere
vernünftige Erkenntniskraft von einer gewissermaßen
unendlichen Fähigkeit und über alles Sinnliche und jedes
Sinnenvermögen unaussprechlich erhaben, indem sie fähig
ist, alles, was irgendwie unter den Begriff des Seins fällt,
das Wirkliche und das Mögliche, das Körperliche und das
Geistige, das Endliche und das Unendliche, wahrhaft zu
erkennen. Dadurch ist sie ein endliches Abbild des un-
endlichen göttlichen Geistes . . . und vermöge dieser
erhabenen Gottähnlichkeit von Natur aus positiv imstande,
von der gesamten Ordnung der erschaffenen Dinge und
von Gott selbst eine wahre Wissenschaft zu erlangen."^
„Für den aristotelischen Intellektualismus und seine
Ausgestaltung, die er in den christlichen Schulen des
Mittelalters genommen, ist Gottes Dasein und auch ein
gewisser, wenn auch sehr unvollkommener Begriff seiner
Natur weder Sache des bloßen Gefühls, noch Gegenstand
^ Heinrich, Dogmatik IIP 131—151.
Erkenntnistheorie. 53
bloßen, sei es natürlichen, sei es' übernatürlichen Glau-
bens, sondern Objekt einer wissenschaftlichen Vernunft-
erkenntnis." ^
Und zwar steigt er von der Erkenntnis der sinnen-
fälligen Dinge zur Erkenntnis des Daseins Gottes auf mit
Hilfe der selbstgewissen Vernunftprinzipien, speziell des
Kausalitätsprinzips, das er überhaupt gebraucht, um zum
Wissen zu gelangen. Denn „diese Lehre, daß wir Vernunft-
prinzipien besitzen, die von objektiver und absoluter
Gewißheit sind und ihre Wahrheit unmittelbar durch sich
selbst beugen, gehört zum unveräußerlichen Besitzstand
des Intellektualismus. Die Scholastik hat an dieser Lehre
entschieden festgehalten und das mit vollem Recht".-
„Durch das geschaffene Licht der ersten Prinzipien
(das Vernunftlicht der allgemeinen Prinzipien) und das
Licht der endlichen Weltbetrachtung müssen wir uns (nach
Thomas) des Gotteslichtes bemächtigen."^
Die aristotelisch-scholastische Theorie kennt also kein
unmittelbares Gottesbewußtsein, keine angeborene Gottes-
idee, in deren Licht man erst zur Erkenntnis Gottes kommt,
sondern nur das Licht der Vernunft.
Wohl aber lehrt sie, daß die menschliche Vernunft
mit Sicherheit und Leichtigkeit, ohne förmlich wissen-
schaftlichen Beweis, Gottes Dasein erkennen könne.
So sagt K 1 e u t g e n : „Wenn wir jene unmittelbare
Erkenntnis Gottes, die ein Schauen des Absoluten sein
würde, in Abrede stellten, so haben wir doch keineswegs
geleugnet, sondern vielmehr erhärtet, daß es eine unwill-
kürliche Erkenntnis Gottes gibt, die man insofern eine
unmittelbare nennen kann, als sie durch kein angestrengtes
oder auch durch kein bewußtes Nachdenken vermittelt
wird."^
Ähnlich Scheeben: „Obgleich die volle und reine Er-
kenntnis Gottes für den sich selbst überlassenen Menschen
* Geyser, Gottesproblem 156. ' A. a. 0. 88.
3 S c h m i d , Wissenschaftliche Richtungen auf dem Gebiete des
Katholizismus in neuester und gegenwärtiger Zeit. München 1862. 107.
^ Kleutgen, Philosophie der Vorzeit. IP 670.
54 Die Neuscholastiker.
sehr schwierig ist . . ., so ist doch nach Andeutungen
der Hl. Schrift und der allgemeinen Lehre der Väter eine
elementare Erkenntnis Gottes auch in dem Sinne natürlich,
daß sie zugleich mit dem Erwachen der Vernunft spontan,
mit Leichtigkeit und innerer Notwendigkeit aus der gei-
stigen Natur des Menschen sich entwickelt, also nicht erst
von außen beigebracht und vollends nicht erst durch
gelehrten philosophischen Unterricht erzeugt zu werden
braucht; daß sie vielmehr sogar trotz widrigster äußerer
Einflüsse und persönlicher sittlicher Verkommenheit, als
mit der geistigen Natur des Menschen verwachsen, nie-
mals ausgelöscht werden kann."i
Nach Heinrich ist „die Erkenntnis Gottes aus den
Geschöpfen unserer Vernunft so naheliegend und ein-
leuchtend, daß jeder Mensch, wenn er nur, unbehindert
durch Leidenschaften und Vorurteile, dem natürlichen
Licht und Triebe seiner Vernunft folgt, leicht und sicher
zur Erkenntnis Gottes sich erhebt. Insofern diese Fähig-
keit und dieser Trieb zur Gotteserkenntnis unserer ver-
nünftigen Natur w^esentlich eigen ist, kann man sagen, die
Erkenntnis oder das Bewußtsein Gottes sei uns angeboren,
anerschaffen, und insofern es zu dessen Vermittlung
weder eines besonderen Unterrichts, noch einer künstlichen
und wissenschaftlichen Vermittlung bedarf, kann man es
auch ein unmittelbares nennen; keineswegs aber als ob
unsere Gotteserkenntnis nicht durch die Kreaturen und
durch einen Vernunftschluß vermittelt wäre, sondern weil
dieser Vernunftschluß so einfach, leicht und spontan sich
vollzieht, daß er im Vergleich zu der gelehrten und wissen-
schaftlichen Vermittlung als ein unmittelbares Erkennen
und Innewerden bezeichnet werden kann. Diese einfache
und fast unwillkürliche Gotteserkenntnis der gesunden
Vernunft kann sodann durch methodisches Denken zu
immer größerer wissenschaftlicher Vollendung
erhoben oder, wie man auch sagt, durch Denken ver-
mittelt werden. Dadurch wird eine wissenschaftliche
1 Scheeben, Dogmatik II 466; vgl. 467—473. I
i
Notwendigkeit, Möglichkeit und Stringenz der Gottesbeweise. 55
Erkenntnis vom Wesen und der Existenz Gottes gewonnen
und das Dasein Gottes und dessen unendliche Vollkommen-
heit wissenschaftlich bewiesen."^
§ 8.
Notwendigkeit, Mög-lichkeit, String'enz
der Gottesbeweise.
Aus diesen Prinzipien ergibt sich von selbst die Stellung
der Neuscholastik zur Frage nach der
Notwendisfkeit der Gottesbeweise.
»
Weder zum übernatürlichen Glauben an Gott noch
zur Erlangung der natürlichen Gewißheit von Gottes Da-
sein ist ein förmlicher wissenschaftlicher Beweis
notwendig; eines solchen bedarf es nur zur vollkom-
meneren Einsicht in die Gründe der allen von selbst sich
aufdrängenden Gewißheit vom Dasein Gottes und zur
Widerlegung der Einwände, also nicht absolut, sondern
nur relativ und zum besten der Gesamtheit.
Wenn man jedoch die Frage so stellt, ob die mensch-
liche Vernunft, um vom Dasein Gottes Erkenntnis und
Gewißheit zu erlangen, irgendeines Beweises bedürfe,
dann ist die Frage unbedingt zu bejahen, da wir ja
Gottes Dasein und Wesen nicht unmittelbar, sondern nur
aus den Geschöpfen schlußweise erkennen."-
„Die Beweise für Gottes Dasein sind darum nicht bloß
nicht überflüssig, sondern vielmehr schlechterdings not-
wendig für unsere Erkenntnis Gottes."^
„Obgleich nämlich das wirkliche Dasein bei Gott zu
seiner Wesenheit gehört und demnach die Behauptung des-
selben objektiv ein innerlich und unmittelbar evidenter
1 Heinrich, Dogmatik III- 37 — 38; vgl. 43 — 48. Vgl. ferner
I. Jeiler, Der Ursprung und die Entwicklung der Gotteserkenntnis im
Menschen. KathoHk 1877 I 113—148; 224—269; 321—353; J. Wieser,
Die natürtiche Gotteserkenntnis. Zeitschrift f. k. Theol. 1879. 694 — 842.
1880. 1—33; 438—467.
2 Heinrich a. a. 0. III^ 155.
3 Stöckl, Die Beweise f. d. Dasein Gottes. Katholik 1860. I 521.
56 Die Neuscholastiker.
Satz (propositio per se nota secundum se) ist, so ist die-
selbe doch für uns, die wir keinen direkten Begriff von
der Wesenheit Gottes haben, sondern uns denselben erst
von anderen Begriffen aus bilden, kein innerlich und
unmittelbar evidenter Satz (keine propositio per se nota
quoad nos), sondern wird von uns nur in der Form
eines Erfahrungssatzes aus der äußeren Betätigung
und Bekundung des Daseins Gottes und ebendeshalb auch
nur mittelbar als notwendige Voraussetzung unserer
unmittelbaren Erfahrungen erkannt und muß folglich durch
diese (also a posteriori) erst bewiesen werden."^
Mit der behaupteten Notwendigkeit der Gottesbeweise
steht in innigstem Zusammenhang
die Möglichkeit, Gewißheit und Evidenz
der Gottesbeweise.
Hier vertritt die neuscholastische Richtung den Satz:
„Die menschliche Vernunft ist von Natur aus befähigt,
vollgültige und apodiktische Beweise für das Dasein Gottes
zu f Uhren." -
„Es ist für unsere Vernunft nicht unmöglich," sagt
Hagemann, „das Dasein Gottes zu beweisen. Ja ein
solcher Beweis ist notwendig, weil wir keine unmittelbare,
über jeden Beweis erhabene Gewißheit vom Dasein Gottes
haben. Vielmehr muß sie diese Gewißheit durch einen
angestrengten Denkprozeß sich vermitteln." ^^
Der objektive Möglichkeitsgrund der Gottesbeweise ist
die Offenbarung Gottes in der geschöpflichen Welt; der
subjektive liegt im Menschengeist: „Der Menschengeist
besitzt zwar keine angeborenen Ideen; aber er befruchtet
sich zunächst mit den Begriffen der empirischen Welt und
erhebt sich über diese vermittelst gewisser Grundwahr-
heiten (principia per se nota) zur übersinnlichen Welt,
zu Gott. Diesen Übergang zu Gott macht der Geist um
so leichter, als das Gemüt, unbefriedigt mit dem Vergäng-
1 Scheeben^ Dogmatik I 473—474.
■' Stöckl, Die Beweise f. d. Dasein Gottes. Katholik 1860. I 516.
3 Hagemann, Metaphysik 172.
Notwendigkeit, Möglichkeit und Stringenz der Gottesbeweise. 57
liehen und Endlichen, von einem dunklen Sehnen und
Suchen nach dem unvergänglichen, unendlichen Gut er-
füllt ist."i
„Es war daher (nach Heinrich) eine fast unbegreif-
liche und verderbliche Verirrung, wenn in neuerer Zeit
katholische Schriftsteller auf Grund irriger moderner philo-
sophischer Systeme die vernünftige Beweisbarkeit Gottes
leugneten und vielfach noch meinten, der Wahrheit und
dem Glauben damit noch einen Dienst zu erweisen." -
Denn „wie kräftig auch immer die Berufung auf das
unwillkürliche Gottesbewußtsein und wie geeignet sie sein
mag, das Gemüt, besonders das unverdorbene, zu bewegen,
so wird sie doch bei gar vielen alle ihre Wirksamkeit
verlieren, sobald man hinzufügt, daß jedoch, was dem
Herzen sich ankündige, durch kein Nachdenken der Ver-
nunft erreichbar sei. Denn es handelt sich hier um die
Wahrheit, welche in der religiösen Erkenntnis die erste
ist und alle anderen trägt; eine solche aber darf nicht
auf Ahnung und Empfindung ruhen."-^
Diese aposteriorischen Gottesbeweise sind nach der
Lehre der Neuscholastiker „stringente Beweise, welche
eine volle vernünftige Gewißheit begründen; es sind
nicht bloße Induktionsbeweise, sondern Demonstrationen
a posteriori im eigentlichen Sinne: denn sie erweisen ihren
Beweissatz aus evidenten Prämissen durch logisch
notwendige Schlußfolgerung. Die Existenz der Dinge
ist uns durch die Erfahrung, ihre Kontingenz durch Ver-
nunfteinsicht gewiß; daraus folgt aber vermöge des evi-
denten Kausalgesetzes mit logischer Notwendigkeit die
Existenz Gottes als der absoluten Ursache aller Dino:e.
^ Hagemann a. a. 0. 173. Vgl. ferner Hontheim, Theod.
4S— 52. Egg er, Propaedeutica.^ Brixen 1882. Sehen ach, Meta-
physik. Innsbruck 1856. 86—91. Dippel, Die beiden Grundfragen der
Gegenwart. Freiburg 1877. 187 ff. Lehmen, Theodizee.' Freiburg
1906. 7—15.
2 Heinrich, Dogmatik III ^ 160—161.
3 Kleutgen, Phil, der Yorz. 11- 671; vgl. Theologie der Vorzeit
II 34 ff.
58 Die Neuscholastiker,
Dadurch ist zugleich mit derselben Evidenz der substan-
tiale Unterschied Gottes und der Welt bewiesen."^
„Ist die Berechtigung, welche Kant leugnete, über
die Dinge nach unseren Begriffen zu urteilen, wieder an-
erkannt," bemerkt Kleutgen, „so läßt sich mit aller
Zuversicht behaupten, daß es kaum irgendwelche Beweis-
führungen gibt, die einleuchtender und gründlicher wären
als jene, womit man zu aller Zeit das Dasein Gottes dar-
getan hat."-
Doch ist „die Gewißheit und Evidenz der Gottesbeweise
keine solche, daß sie den Intellekt zur Anerkennung oder
Zustimmung zwingt".
„Man braucht nicht zu sagen, die Gottesbeweise hätten
eine mathematische Evidenz; denn die Evidenz der
mathematischen Wahrheiten wird, besonders in der Geo-
metrie, von der Phantasie unterstützt; sie ist ferner in
keiner Weise von der sittlichen Disposition des Subjektes
abhängig und stößt namentlich nicht auf positive ethische
Hindernisse, welche das Auge des Geistes verdunkeln,
während die Gottesbeweise sich nur an die Vernunft
wenden und dieselbe nötigen, über die Phantasie hinaus-
zugehen, eine Wahrheit anzunehmen, welcher man unter
Umständen aus allen Kräften widerstrebt. — Anderseits
ist es aber auch zu wenig, wenn man sagt, die Beweise
hätten bloß eine moralische Evidenz, da sie sowohl
eine absolute, nicht bloß moralische, Gewißheit erzeugen,
wie auch nicht einmal eine positive sittliche Empfäng-
lichkeit für ihre subjektive Wirkung voraussetzen, sondern
mehr oder minder sogar trotz des Widerstrebens sich
geltend machen. Sie haben eben eine metaphysische
Evidenz."3
Bezüglich des Verhältnisses der einzelnen Gottes-
beweise zueinander bezüglich ihrer Tragweite und
1 Heinrich, Dogmatik IIP 201—202.
2 Kleutgen, Philosophie d. V. IP 672. Vgl. Straub, Ge\vißheit
und Evidenz der Gottesbeweise. Phil. Jahrb. 10 (1897) 23—33; 297—309.
Scheeben, Dogmatik I 477.
3 Scheeben a. a. 0. 477.
I
Notwendigkeit, Möglichkeit und Stringenz der Gottesbeweise. 59
Kraft lehren die Neuscholastiker: „Jeder der aposterio-
rischen Gottesbeweise demonstriert den wahren Gott als
das von der Welt verschiedene absolute Wesen und den
Urheber aller Dinge,
Insofern ist jeder dieser Beweise für sich allein
genügend und bedarf nicht der Ergänzung durch andere
Beweise, um die Existenz des wahren Gottes darzutun.
Anderseits entwickeln und beleuchten die ver-
schiedenen Beweise verschiedene göttliche Eigen-
schaften . . . Insofern kann und muß man sagen, daß
die verschiedenen Gottesbeweise einander ergänzen,
nämlich bezüglich der vollkommenen Erkenntnis des
göttlichen Wesens."^
Natürlich verwirft die Neuscholastik alle jene Theorien,
welche die strikte Demonstrabilität des Daseins Gottes
leugnen. „Alle jene Theorien sind als mehr oder minder
irrig und in Irrtum führend zu meiden, welche die Stich-
haltigkeit der herkömmlichen und von der Kirche auf
Grund der Offenbarung gebilligten Gottesbeweise in Ab-
rede stellen . . . Aber auch jene Theorien weichen von der
gesunden katholischen Lehre ab, welche zwar einen Ver-
nunftbeweis des Daseins Gottes anerkennen, aber unter
Verwerfung herkömmlicher Beweise nur ihren eigenen
Beweis gelten lassen wollen (Cartesius, Hermes u. a.);
oder w^elche behaupten, daß das Dasein Gottes zwar bewiesen
werden könne, aber nicht aus der natürlichen Offenbarung
Gottes in der Schöpfung, sondern nur aus den Tatsachen
der übernatürlichen Offenbarung." (Friedhof f.) ^
1 Heinrich, Dogmatik 111- 200—201. Scheeben, Dogmatik I 477.
Vgl. Heinrich, Kosmol. Gottesbeweis und Kants Kritik d. r. V. Gym-
nasialprogr. Mainz 1893. VIII.
- Heinrich, Dogmatik 111^ 165—166.
-JGÖ-
Zweiter Teil.
Die einzelnen Gottesbeweise.
Einteilung' der G-ottesbeweise.
Vor zwei Extremen hat man sich bei der Frage nach
der Beweisbarkeit eines persönlichen Gottes zu hüten. Man
darf weder mit dem Rationalismus und Traditionalismus
Gottesbeweise für ein Ding der Unmöglichkeit erklären,
noch mit dem Ontologismus behaupten, Gottesbeweise seien
überflüssig. Die Wahrheit ist vielmehr die: Der Mensch
kann und muß durch vernünftige Schlußfolgerungen zur
wissenschaftlichen Erkenntnis der Existenz Gottes gelangen
und bedarf hierzu weder einer angeborenen Idee noch
einer übernatürlichen Offenbarung und Überlieferung.
Auf zweifachem Wege suchte die christliche Philo-
sophie einen wissenschaftlichen Beweis für das Dasein
Gottes zu führen, a priori und a posteriori, je nachdem
der Ausgangspunkt die Idee Gottes oder die Wirkungen
Gottes waren. Den ersten Weg hat schon der Gegner
An sei ms, der Mönch Gaunilo, und insbesondere der
hl. Thomas als ungangbar bezeichnet, weil man von dem
Begriff eines Dinges noch nicht auf die Existenz desselben
schließen könne.
In der Gegenwart schließt man sich fast durchweg
diesem Urteil an. Ebenso herrscht fast allgemeine Über-
einstimmung darüber, daß man auf dem zweiten Wege
stringente Beweise für das Dasein Gottes zu führen ver-
möge. Auf die mannigfachste Weise sucht man dies zu
tun. Das Grundprinzip aber, auf dem alle Gottesbeweise
fußen, ist die Offenbarung Gottes in seinen Werken.
i
f
J
Einteilung der Gottesbeweise. 61
Zweifach ist diese Offenbarung Gottes: In der Außenwelt
der Dinge und in der Innenwelt des menschlichen Geistes.
„Die innere und die äußere Welt ist gleichsam der zwei-
fache Spiegel, aus dem uns die Gottheit entgegenleuchtet." ^
So ergeben sich zwei Arten von Gottesbeweisen, die sog.
kosmologischen Beweise aus dem Makrokosmos und die
psychologischen aus dem Mikrokosmus. Zu den ersteren
gehören die ,,fünf Wege des hl. T h o m a s". In dieser
Form behandeln die Gottesbeweise u. a. Schell, Schill,
Pesch, Egger.
„Die Gottesbeweise nehmen ihren Ausgangspunkt stets
von der erfahrungsmäßigen Wirklichkeit, und zwar von
der gesamten Wirklichkeit, ohne irgendeine Tatsache außer
acht zu lassen.
Die kosmologische Gotteserkenntnis geht aus von
der Außenwelt, und zwar sowohl von den Mängeln und
Unvollkommenheiten des Seins wie von den Vorzügen.
Sie betrachtet „die Welt als Summe der Erscheinungen,
die, von verschiedenen Gesichtspunkten aus aufgefaßt, mit-
telst des Kausalitätsgesetzes im Schöpfer und nur in ihm
ihre Erklärung finden".
Die psychologische Gotteserkenntnis geht aus von
der Innenwelt der Seele. Diese führt mit Sicherheit zur
Annahme Gottes als des Wesens, welches die allein hin-
reichende Ursache der geistigen Tätigkeiten und das allein
hinreichende Zielgut der geistigen Anlage ist. In der
Untersuchung seines eigenen Wesens und seiner Wesens-
kräfte vermag der Mensch mit Sicherheit Gott zu finden
als oberste Wahrheit und höchstes Gut, als Grund aller
Erkenntnis und Urheber der sittlichen Ordnung.-
Andere unterscheiden — das ist die gewöhnliche Ein-
teilung — drei Gruppen von Gottesbeweisen, nämlich
metaphysische, physische und moralische, und verstehen
unter metaphysischen Gottesbeweisen jene, deren
Beweisgrund, wenn auch in der materiellen Welt enthalten,
* Egger, Propaedeutica philos. theol.' Brixinae 1882.
2 Vgl. Schell, Gott und Geist I 209—217. Paderborn 1895. Schill.
Theol. Prinzipienlehre 71. Paderborn 1895.
62 Die einzelnen Gottesbeweise.
doch an und für sich vom Materiellen absieht, und inso-
fern immateriell oder metaphysisch ist, also jene Beweise,
in welchen aus der Abhängigkeit, Veränderlichkeit, Mög-
lichkeit und Einheit der Welt auf das Dasein Gottes
geschlossen wird. Physische Gottesbeweise nennen sie
jene, welche ihren Beweisgrund dem entnehmen, was der
materiellen Welt als solcher eigen ist, z. B. aus der mecha-
nischen Bewegung, dem organischen Leben, dem sinnfälligen
Wunder, der Ordnung; endlich moralische jene, die auf
Gründen beruhen, welche sich nur in dem der sittlichen
Ordnung unterworfenen Menschen vorfinden : wie der
Glückseligkeitstrieb, das Pflichtgefühl, die übereinstim-
mende Überzeugung der Menschheit.^
Nach Scheeben zerfallen die Beweise a posteriori
hinsichtlich ihres Mediums in zwei Hauptklassen, die
wesentlich voneinander verschieden sind, nämlich in in-
direkte resp. reflexe und direkte. Die indirekten
stützen sich auf das Zeugnis für das Dasein Gottes, welches
in dem tatsächlich in den Menschen vorhandenen Bewußt-
sein vom Dasein Gottes enthalten ist; sie setzen also
voraus, daß dieses Bewußtsein selbst, als ein vernünftiges
Bewußtsein, durch anderweitige Beweise getragen w^erde.
Die direkten sind eben diejenigen, auf Grund welcher
jenes allgemeine Bewußtsein sich bildet und fortbesteht.
Zu den ersteren rechnet Scheeben den historischen
und moralischen Beweis, zu den letzteren die Beweise,
welche von den wirklichen und möglichen Dingen und
ideellen Wahrheiten ausgehen, deren Ursache bezw. Grund
Gott ist.
Die direkten Beweise haben das Eigentümliche, „daß
sie Gott aus irgendeiner in unsere Wahrnehmung fallenden
Wirkung unter einer durch diese geforderten, ihn von
allen anderen Wesen unterscheidenden Eigenschaft als
wirklich erweisen. In ihrem Wesen sind sie identisch mit
demjenigen Gedankenprozeß, durch welchen das unwill-
1 Vgl. Lehmen A., Theodizee^ 25—26. Freiburg 1906. Hont-
heim, Inst. Theol. 65. Boedder B., Theol. naturalis 23. Frib. 1895.
Der ontologische Gottesbeweis und seine heutige Wertung. 63
kürlich vor wissenschaftlicher Bildung und Reflexion im
Menschen vorhandene Gottesbewußtsein erzeugt wird, und
bringen diesen Prozeß nur zu deutlicherer Aussprache".^
Wir schließen uns im folgenden an die erstgenannte
Einteilung an, weil sie uns die prägnanteste zu sein scheint,
und unterscheiden deshalb zwei große Gruppen von Gottes-
beweisen, nämlich die kosmologischen und die psycho-
logischen. Vorausschicken wir kurz eine Würdigung des
sog. ontologischen Gottesbeweises.
I.
Gottesbeweise a priori.
Fünftes Kapitel.
Der ontologische Gottesbeweis
und seine heutige Wertung.
Der sog. ontologische Gottesbeweis geht von der Idee
Gottes als einer Tatsache in uns aus und will das Dasein
Gottes aus dem Inhalt der Idee, als ein Element nämlich,
das sie einschließe, herleiten. -
Seinen Namen erhielt dieses Argument davon, daß der
nervus probandi in dem Satz liegt: Die absolute Voll-
kommenheit schließt das Sein mit Notwendigkeit in sich.^
Bekanntlich hat der hl. Anselm zuerst diesen Beweis auf-
gestellt, und zwar in folgender Form : Convincitur etiam
insipiens esse vel in intellectu aliquid, quo nihil malus
cogitari potest, quia hoc, cum audit, intelligit, et quidquid
intelligitur, in intellectu est. Et certe id, quo malus cogi-
tari nequit, non potest esse in intellectu solo. Si enim
vel in solo intellectu est, potest cogitari esse et in re,
quod malus est. Si ergo id, quo malus cogitari non potest,
^ Scheeben J., Handbuch der kath. Dogmatik I 475 — 477. Frei-
burg 1873.
- Kleutgen, Philosophie der Vorzeit II- 723.
3 Körber J., Das ontologische Argument 8. Programm. Bam-
berg 1884.
64 Die einzelnen Gottesbeweise.
est in solo intellectu, id ipsum, quo maius cogitari non
potest, est, quo maius cogitari potest; sed certe hoc esse
non potest. Existit ergo procul dubio aliquid, quo maius
cogitari non valet, et in intellectu et in se.
Quod utique sie vere est, ut nee cogitari possit non
esse. Nam potest cogitari aliquid esse quod non possit
cogitari non esse, quod maius est, quam quod non esse
cogitari potest. Quare si id, quo maius nequit cogitari,
potest cogitari non esse: idipsum quo maius cogitari ne-
quit, non est id quo maius cogitari nequit; quod convenire
non potest. Sic ergo vere est aliquid quo maius cogitari
non potest, ut nee cogitari possit non esse : et hoc es tu,
Domine Dens noster. Sic ergo vere es. Domine Dens mens,
ut nee cogitari possis non esse. Proslog. c. 2 et 3.
Jeder Mensch, selbst der Gottesleugner, kann also nach
Anselm sich ein höchstes, vollkommenstes Wesen denken,
hat in seinem Intellekt den Begriff des denkbar höchsten
Wesens. Das denkbar höchste Wesen muß aber notwendig
„existieren"; denn in Wirklichkeit existieren ist vollkom-
mener als nur in der Idee existieren, und notwendig
existieren ist vollkommener als nur kontingent existieren.
Wer also ernstlich das höchste, vollkommenste Wesen denkt,
muß in diesem Gedanken jede Möglichkeit des Nichtseins
ausschließen, d. h. die Vernunft ist genötigt, das höchste
Wesen sich als seiend und zwar als notwendig seiend vor-
zustellen. Folglich muß es auch in Wirklichkeit sein.
Denn ein absolut Höchstes ohne Wirklichkeit denken, hieße
einen Widerspruch denken.
In etwas anderer Form haben später Descartes und
Leibniz den ontologischen Beweis wiederholt.
Descartes sagt: Im Begriff Gottes ist die Notwen-
digkeit seiner Existenz enthalten. Was aber in der Natur
oder im Begriff einer Sache enthalten ist, kann man in
Wahrheit von dieser Sache aussagen. Darum kann man
in Wahrheit von Gott sagen, daß er existiert.^
1 Idenri et dicere, aliquid in alicuius natura sive conceptu contineri,
ac dicere, id ipsum de ea re esse verum. Atqui existentia necessaria in
Der ontologische Gottesbeweis und seine heutige Wertung. <J0
Leibniz hat daran auszusetzen, daß dieser Beweis
nur Geltung habe unter der Voraussetzung, daß das not-
wendige Wesen möglich sei.
Darum weist Leibniz zunächst die Möglichkeit der
Existenz eines allervoilkommensten Wesens nach, bezw.
eines ens a se, und zwar in der Weise, daß er sagt : Wenn
ein ens a se unmöglich ist, so sind die entia ab alio
gleichfalls unmöglich und so wäre überhaupt gar nichts
möglich. Daß aber etwas möglich ist, ergibt sich daraus,
daß wirkliche Dinge existieren. Darum ist auch ein ens
a se möglich.
Der Gottesbeweis hat so bei Leibniz folgende Form :
Es ist ein Wesen möglich, in dessen Begriff die Notwen-
digkeit der Existenz enthalten ist. Folglich muß dieses
Wesen existieren. Denn wenn das notwendige Wesen nicht
existierte, dann gäbe es auch kein mögliches Sein.^
Betrachten wir übrigens die Beweisführung von Des-
cartes und Leibniz etwas genauer, so finden wir, daß
beide den Standpunkt der ontologistischen Beweisführung
verlassen haben. Descartes springt von der rein idealen
Ordnung in die reale über, indem er das begriffliche
Merkmal der notwendigen Existenz ohne weiteres zur
wirklichen Existenz macht; Leibniz nimmt zum Aus-
gangspunkt seines Beweises nicht bloß wie An sehn die
innere Möglichkeit oder Denkbarkeit Gottes, sondern auch
die äußere, adäquate Mögiichkeit.-
So ist also weder bei Descartes noch bei Leibniz
die Beweisführung rein apriorisch. Nach Reinhold wird
zudem Descartes mit Unrecht als Verteidiger des onto-
logischen Argumentes hingestellt; seine Beweisführung sei
eine aposterioristische, kosmologische, ausgehend von dem
Dei conceptu continetur. Ergo verum est, de Deo dicere. iiecessariam
existentiam in eo esse sive eum existere. (Meditationes de prima phi-
losophia, Amstelodami 1G98 p. 89; ctr. p. 60: cfr, Priiicipia phil.
p. 1 § 14.)
^ De la demonstration Cartesienne de l'existence de Dieu du
R. P. Lami. (Leibnitii opera onmia, Genevae 1768 toin. 2. p. 254.)
- Vgl. Lehmen, Theodizee 21 — 22.
Staab, Gottesbeweise in der katb. Literatur. 5
Q6 Die einzelnen Gottesbeweise.
Vorhandensein der Gottesidee in unserem Geiste, welchem
er dieselbe angeboren sein lasse.^
Rein aprioristisch dagegen ist der ontologische Beweis
beim hl. Ansei m.
Bereits ein Zeitgenosse des Heiligen, der Mönch Gau-
nilo, hat in seinem über pro insipiente den Beweis bekämpft,
der hl. Thomas ihn verworfen ^ und mit ihm die philo-
sophischen und theologischen Schulen des Mittelalters; seit
Descartes wurde wieder viel über die Gültigkeit desselben
gestritten; Schelling und Hegel wollten ihn allein von
allen Gottesbeweisen gelten lassen.
Kant erklärte, „an dem so berühmten ontologischen
Beweise vom Dasein eines höchsten Wesens aus Begriffen
sei alle Mühe und Arbeit verloren und ein Mensch möchte
wohl ebensowenig aus bloßen Ideen an Einsichten reicher
werden, als ein Kaufmann an Vermögen, wenn er, um
seinen Zustand zu verbessern, seinem Kassenbestand einige
Nullen anhängen wollte".^
Die weitaus größte Zahl der neueren Apologeten auf
kath. Seite betrachten den ontol. Beweis als unstichhaltig,
und zwar in seinen drei Formen. Dies mit Recht. Denn
aus der Analyse eines Begriffes läßt sich noch nichts über
die objektive Realität seines Gegenstandes feststellen. Mit
der Denkbarkeit ist die Wirklichkeit noch nicht gegeben.
Der Beweis führt aus dem Kreis des bloß Gedachten nicht
hinaus, nur für Pantheisten, die Denken und Sein identi-
fizieren, kann er Beweiskraft haben.^
Nur durch einen „salto mortale", durch eine f/eraßaöig
dq alXo yivoq können wir von der bloß a priori gefaßten
Idee eines allerrealsten Wesens zum wirklichen Dasein
desselben gelangen.^ Denn aus der Denkbarkeit des Un-
» Reinhold, Die Welt als Führerin zu Gott 196.
"- S. theol. p. J. q. 2. a. 1 ad 2; Contr. Gent. 1. 1. c. 11; In sent.
1. 1. dist. 3. q. 1. a. 2 ad 4.
^ Kant, Kritik d. r. V. 483.
■* Hagemaun, Metaphysik 175 — 176.
5 Straub, Kant und die nat. Gotteserkenntnis. Phil. Jahrb. 12 (1899)
264. Fesch Chr., Prael. dogm. 11 ^ 19—20. Freiburg 1899. Lehmen,
Theodizee-^ 18. Hontheim, Theod. 58. Reinhold a. a. O. 188.
I
Der ontologische Gottesbeweis und seine heutige Wertung. 67
endlichen lälU sich ebensowenig wie aus der Denkbarkeit
des Endlichen auf die Wirklichkeit schließen.^
Aus dem ontologischen Beweis folgt nur: Wenn es in
Wirklichkeit ein wahrhaft Unendliches gibt, so muß es ein
Wesen sein, das notwendig ist, dessen Existenz mit seinem
Wesen identisch ist.
Aus der reellen Idee Gottes können wir noch nicht auf
sein reelles Dasein schließen, weil wir bloß eine inadäquate
Idee von Gott haben. Wir erkennen das Wesen Gottes
auf Erden nur nach Analogie der Geschöpfe, wo Dasein
und Wesen nicht identisch sind.-
„Der Begriff des allervollkommensten Wesens sagt rein
gar nichts darüber aus, ob ein solches Ding existiert oder
nicht, der Begriff selbst ist in jedem Fall möglich, und
über die Existenz seines realen Doppelgängers, des aller-
vollkommensten Dinges muß darum auf einem anderen
Wege entschieden werden.
Daß die Existenz Gottes eine notwendige sei, trifft
allerdings für das reale Dasein Gottes zu, aber nicht für
unser Erkennen Gottes. Wenn ich mir Gott als existierend
vorstelle, muß ich mir seine Existenz als notwendig vor-
stellen; ob ich aber das Recht habe, mir Gott als existierend
vorzustellen und ihn mir dann folgerecht als notwendig
existierend, d. h. als ein Wesen, das nicht nichtexistieren
könnte, vorstellen muß, das muß erst auf einem anderen
Wege dargetan werden." ^^
Darum sagt H a m m a mit Recht : „Allen Formulierungen
des ontologischen Beweises fehlt die Verifizierung des Ober-
satzes. Sobald sie aber diesen verifizieren wollen, wird
der Beweis sofort ein aposterioristischer und schließt sich
an den kosmologischen an."^
Der ontologische Beweis ist also nach der wohl-
1 Kleutgen, Phil. d. Vorzeit ll'^ 725.
- Heinrich, Dogmatik ill- 176.
3 Geyser, Das phil. Gotlesproblem 91 — 93. Vgl. Scheeben,
Dogm. I 473-74.
•* Hamma, Geschichte und Grundfragen der Metaphysik 123. Frei-
burg 1876.
5*
68 Die einzelnen Gottesbeweise.
begründeten Ansicht der weitaus meisten neueren christl.
Philosophen „innerlich unmöglich, weil er in jeder Form
von der begrifflichen Erkenntnis in uns unmittelbar auf
die Existenz des Dinges außer uns schließt".
Indes fehlt es auch in der neueren Zeit nicht ganz an
Verteidigern des Anselmschen Argumentes, die allerdings
dabei von sehr verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen.
Dazu gehören neben Klee^ und Staudenmaier,- Vosen,-^'
Sprinzl,* Schwetz,^ Schenach,^ Malecek,^ Körber, ^
nach Körbers Ansicht auch Scheeben.^
Den Haupteinwand gegen den ontologischen Gottes-
beweis, man springe von der Region des Denkens in die
des Seins unvermittelt über oder a posse ad esse non
valere conclusionem, will Körb er damit lösen, daß er
sagt: „Das Denken ist der Spiegel des Seins, und darum
kann der Mensch mit völliger und unfehlbarer Zuversicht
von seinen logischen Schlüssen auf die Wirklichkeit kon-
kludieren."^^
Seh wetz erwidert, dieser Satz gelte nur für das ens
finitum, nicht für das ens infinitum; letzteres müsse seiner
Natur nach notwendig ens a se sein, die absolute Not-
wendigkeit der Existenz, in der die Wirklichkeit der
Existenz eingeschlossen sei, gehöre zur Natur des ens
a se.^^
Gewiß ist es eine Eigentümlichkeit des Unendlichen,
daß in ihm das Dasein zur Wesenheit gehört, doch trotz-
dem läßt sich aus der Denkbarkeit des Unendlichen ebenso-
' Klee, Dogmatik 1. B. 1. K. § 2 ff.
2 Staudenmeier, Dogmatik 1. B. § 20. 57-69. 2. B. § 19 ff.
'^ Vosen, Das Christentum und die Einsprüciie seiner Gegner.
SOG ff. Mainz 1861.
* Sprinzl, Fundamentaltheologie. 15. Wien 1876.
- Schwetz, Theologia fundamentalis. 18 ff. Wien 1882.
fi Schenach, Metaphysik. 104—108. Innsbruck 1856.
' Malecek, Die kath. Apologetik für Mittelschulen. 10. Prag 188;-i.
8 Körber, Das ontologische Argument. Programm der kgl. bayr.
Studienanstalt zu Bamberg 1884.
9 Scheeben, Dogmatik I 474 n. 28.
'" Körber a. a. 0. 26. ^^ Schwetz a, a. 0. 22.
I
Der ontologische Gottesbeweis und seine heutige Wertung. ^9
wenig wie aus der Denkbarkeit des Endlichen auf seine
Existenz schließen. Denn die innere Wahrheit, die Wahr-
heit des Begriffes schließt die Wirklichkeit so wenig beim
Unendlichen ein wie beim Endlichen.
Wenn wir ein wahrhaft Unendliches denken, so müssen
wir ein Wesen denken, das notwendig ist. Wir können
aber daraus nichts weiter folgern als dies: „Wenn es in
Wirklichkeit ein wahrhaft Unendliches gibt, so muß es ein
Wesen sein, das notwendig ist, so daß es nicht, wie alles
Endliche, auch nicht sein könnte."
Unser Begriff von Gott ist immer ein vermittelter,
durch Analogie und Verneinung gebildeter Begriff, keine
vom Gegenstand selbst durch intellektuelle Anschauung
empfangene Vorstellung. Er drückt also auch das Wesen
des Unendlichen nicht erschöpfend aus. Schon deshalb
läßt sich die Behauptung, wenn das Dasein dem Absoluten
wesentlich sei, müsse es auch aus dem Begriff erkannt
werden können, abweisen.
Es liegt ferner in der Natur des Denkens, das sich
in entlehnten, durch Abstraktion und Vergleichung gewon-
nenen Begriffen bewegt, daß es aus sich allein die Wirk-
lichkeit nicht erreichen kann. Zwar haben unsere Begriffe
einen Inhalt und objektive Wahrheit, aber dieser Inhalt
ist immer nur das Ideale, die sog. metaphj'sische Ordnung
der Dinge, und darum ist es schlechterdings unmöglich,
aus der bloßen Analyse der Begriffe je eine Wirklichkeit
zu gewinnen. Unser Denken kann nie zum W^irklichen
kommen, wenn es nicht vom Wirklichen ausgeht.
Das Metaphysisch -Reale unseres Denkinhaltes setzt
allerdings ein Wirkliches voraus, in dem es gründet, und
darum kann man aus der objektiven Wahrheit des
Denkens auf das Dasein Gottes als den ewigen Grund
aller Wahrheit schließen. Aber das ist dann kein Gottes-
beweis mehr aus der Analyse des Begriffes, sondern aus
der Existenz der relativen Wahrheit auf die absolute
Wahrheit.i
Vgl. Kleutgen, Phil, der Vorzeit U- 724—28.
70 Die einzelnen Gottesbeweise.
Solange also die Realität der Gottesidee noch nicht
erkannt und bewiesen ist, können aus der Idee unmöglich
Schlüsse auf das wirkliche Dasein Gottes gezogen werden.
Erst wenn feststeht, daß Gott existiert, folgt aus der Gottes-
idee, daß er notwendig existiert.^
Darum ist es ganz verkehrt, wenn behauptet wird,
die aposterioristischen Gottesbeweise hätten die apriorische
Gotteserkenntnis zur Voraussetzung. So sagt Schwetz:
„Die aprioristische Gotteserkenntnis ist der Grund und das
Fundament all unserer aposteriorischen Erkenntnisse. Denn
nur so Gott a priori erkannt wird, der der Urheber unser
selbst wie auch aller kontingenter Dinge ist, kann die
Harmonie zwischen unserem erkennenden Geist und den
äußeren Dingen erwiesen, kann für die Erkenntnisse Ge-
wißheit oder Wahrheit in Anspruch genommen werden."'^
Ähnlich ist die Behauptung Sprinzls: „der kosmo-
logische Beweis habe den ontologischen in gewisser Hin-
sicht, sozusagen implicite zu seiner Voraussetzung und zu
seiner inneren Stütze, weil der kosmologische Beweis nicht
völlig voraussetzungslos sei, sondern wesentlich auf der
Grundlage unseres Wahrdenkens, auf der Überzeugung
beruhe, daß wir in unserem Denken, wenigstens im all-
gemeinen, an die objektive Wahrheit hinanreichen". -^
Nach Ehrlich ist „die im ontologischen Beweis auf-
gezeigte Denknotwendigkeit das erste der Axiome, auf
welche der kosmologische Beweis seine Argumentation
stützt".^
Was den Einwand von Schwetz betrifft, so ist darauf
zu antworten: Gott ist allerdings das erste in der Ordnung
des Seins, aber nicht das erste in der Ordnung unseres
Erkennens. Ebenso unrichtig ist die Behauptung Sprinzls
und Ehrlich s.
* Heinrich, Kosmol. Gottesbeweis und Kants Kritik d. r. V. XXIV.
2 Schwetz, Theol. fund. 22. Vgl. Isenkrahe, Tüb. theol.
Quartalschr. 1887. 409—413.
3 Sprinzl, Apologetik 27.
•* Ehrlich, Apologetische Ergänzungen zur Fundamentaltheologie.
52. Prag 1863.
Der onlologische Gottesbeweis und seine heutige Wertung. 71
Grundlage alles Seins und Erkennens ist das Iden-
titätsgesetz. Davon ausgehend schlieiU der kosmologische
Beweis vom Bedingten, Relativen auf ein Unbedingtes,
Absolutes.
Auch der ontologische Beweis setzt die Möglichkeit
voraus, daß wir mit unseren Erkenntnisfähigkeiten die
Wahrheit erreichen können. Sodann liegt das Wesen der
ontologischen Beweisführung nicht darin, daß dasjenige
als wirklich existierend angenommen wird, was die Ver-
nunft sich als existierend denken mul), sondern darin,
daß der Grund dieses Denkenmüssens im reinen Begriff
als solchem und nicht in einem aprioristischen Element
gesucht wird.^
Indes will doch auch S p r i n z 1 dem ontologischen
Beweis für sich allein keine volle Beweiskraft zuerkennen
und glaubt, zu seiner vollen Gründlichkeit bedürfe der-
selbe einer gewissen Ergänzung a posteriori.- Derselben
Ansicht ist Ehrlich: Der ontologische Beweis lasse nur
die Existenz eines unentstandenen, absoluten, durch sich
seienden Wesens erschließen, keineswegs aber die Existenz
eines persönlichen Gottes, darum müsse gegenüber dem
Naturalismus, Materialismus und Pantheismus noch das
Dasein einer Welt, einer Vielheit von Substanzen, welche
durch das absolute, persönliche Sein entstanden sind und
bestehen, a posteriori aus der Erfahrung über das durch
seine Erscheinung gegebene Seiende bewiesen werden.^
Doch damit kann der Beweis nicht gerettet werden.
Er ist innerlich unmöglich und kann keineswegs die
Existenz eines absoluten Wesens dartun; denn er ist ein
Fehlschluß. Wird er ergänzt a posteriori, so ist er nicht
mehr der ontologische Beweis.
Andere verteidigen das Argument des hl. Anselm,
indem sie es nicht als rein apriorisch, sondern mehr als
aposteriorisch-psychologisch betrachten. So neben Vosen,*
1 Reinhold a. a. 0. 204.
2 Sprinzi a. a. 0. 17.
3 Ehrlich a. a. 0. 25—28.
■* Voseii, Christentum 213.
72 Die einzelnen Gottesbeweise.
Willmann, 1 Schill- besonders Adlhoch.''' Letzterer faßt i
das Argument folgendermaßen: „Es ist Tatsache, daß der
Menschengeist keines höheren Gedankens mehr fähig ist
als des Gottesgedankens. Würde nun der Gottesgedanke
nicht ein real existierendes Objekt haben, so könnte er
nicht der extremste Gedanke sein, der die Kausalität der
Vernunft erschöpft. Also existiert das Objekt des Gottes-
gedankens real, d. h. Gott existiert."^ Nach Schill sollte
„die Beweiskraft des Argumentes nicht sowohl in der Tat-
sache des Gottesgedankens, als vielmehr im Grund dieser
Tatsache und der Notwendigkeit gelegen sein, den
Gottesbegriff so und nicht anders formulieren zu können;
der Beweis greife also über ins Gebiet der inneren Er-
fahrung".'^
Wir können hier nicht näher auf diese Streitfrage ein-
gehen und verweisen auf die diesbezüglichen Ausführungen
bei Reinhold,^^ wo dargetan wird, daß „Anselm sich
zweifellos auf die rein logische Seite des Gottesbegriffs
beschränkt, und daß es sich ihm bei der ganzen Argumen-
tation nicht um aposterioristische Beweismittel, sondern
um rein dialektische Schlußfolgerungen handelt". Als Kron-
zeugen für die Richtigkeit zitiert Rein hold Janssens,^
„den berufensten Erklärer des Anselm in der neuesten
Zeit".
1 Willmann, Geschichte des Idealismus II 379 — 80. Braun-
schweig 1896.
2 Schill, Prinzipienlehre 70. Vgl. auch Scheeben, Dogmatik
II 474 n. 28.
3 Adlhoch, Phil. Jahrbuch 8 (1895) 52 ff. 372 ff., 10 (1897) 261 ff.
394 ff., 16 (1903) 163 ff. 300 ff. Vgl. auch Schneider, Natur, Vernunft,
Gott 204—207.
^ Adlhoch erblickt darin „ein ganz kurzes, aber ungemein tief-
greifendes Argument, in dem einer Jahrhunderte fordernden Ausbildung
unserer Erkenntnistheorie, überdies unserer pathologischen, wie psycho-
djTiamischen und psychologisch ethischen Wertung des Gottesgedankens
nicht minder als der Gottesleugnung ganz genial vorgegriffen ward, so
daß die Genialität des Wurfes selber ihm so oft zum Mißverdienst und
zum Verhängnis wurde". Phil. Jahrb. 10 (1896) 416.
5 Schill a. a. 0. 70. ^ Reinhold a. a. 0. 190—194.
7 Jaussens, De Deo uno. tom. I. 102 sqq. Romae 1899.
I
Die kosmologischen Gottesbeweise. 7^^
So dürfen wir nun zum Schluß den Wert des Anselm-
schen Gottesbeweises mit den Worten Heinrichs dahin
bestimmen : „Das sog. ontologische Argument ist nicht im-
stande, die reale Existenz Gottes zu beweisen, wohl aber
stellt es ans Licht, daß, wenn Gott existiert, seine Existenz
mit seinem Wesen identisch und notwendig, daher auch mit
einer adäquaten Erkenntnis dieses Wesens gegeben ist."*
II.
Gottesbeweise a posteriori.
A.
Gottesbeweise aus dein 3Iakrokosnios.
Die kosmologischen Gottesbeweise.
Grundlage für die wissenschaftliche Erkenntnis Gottes
ist die Betrachtung der Gesamtwelt und ihrer Eigen-
schaften, der äußeren wie der inneren Erfahrungswelt;
daher zerfallen die Gottesbeweise in die zwei großen
Gruppen, die kosmologischen und die psychologischen
Beweise.
„Der kosmologische Beweis geht aus von der Außen-
welt, von der Wirklichkeit der Natur in ihren vier Grund-
formen: Stoff und Kraft, Gesetz und Zweck, von den
Mängeln und Unvollkommenheiten des Seins wie von
seinen Vorzügen. Nach diesen verschiedenen Gesichts-
punkten unterscheidet man verschiedene Formen des
kosmologischen Gottesbeweises, die wir der besseren
Übersicht halber in zwei Hauptformen zusammenfassen,
in den Kontingenz- oder auch kosmologisch-theologischen
oder metaphysischen Beweis und den teleologischen, auch
physiko-theologischen genannten Beweis. Diesen beiden
Beweisen schicken wir die fünf aristotelisch-thomistischen
^ Heinrich, Dogm. III- 167. Vgl. Stöckl, De argumento onto-
logico. 20. Münster 1862. L. Haas, Der Gottesbeweis 19. Progr. der
kgl. Studienanstalt Burghausen 1884 85.
74 Die fünf sog. aristotelisch-thomistischen Wege.
Wege voraus; ihre Grundgedanken sind keine anderen
als die des Kontingenz- und teleologischen Beweises, und
zwar so, daß die ersten vier Wege zum Kontingenzbeweise,
der fünfte zum teleologischen Beweis gehören.
Sechstes Kapitel.
Die fünf sog. aristotelisch-thomistischen Wege.
Bei der Betrachtung der Natur findet der Menschen-
geist fünf Tatsachen, die eine Erklärung verlangen. Es
sind dies die Tatsachen der Bewegung und der Ver-
ursachung, der quantitativen und der graduellen Seins-
verschiedenheit, endlich der Ordnung in den Dingen. Die
Vergleichung der fünf Tatsachen zeigt, daß ihr Inhalt auf
fünf Eigenschaften ein und desselben Subjektes hinweist.
Die Bewegung fordert einen Ursprung, und so entwickelt
Thomas den ersten Gottesbeweis ex parte motus und
findet Gott als den letzten, unbewegten Beweger in der
Welt; die Verursachung verlangt eine oberste Wirk-
ursache; darauf gründet er den zweiten Beweis ex
ratione causae efficientis und findet Gott als letzte Wirk-
ursache; die ihrer Qualität nach zufällige Seinsgröße
fordert ein notwendiges Wesen; so schließt Thomas auf
Gott ex possibili et necessario und findet ihn als das ens
per se necessarium; die Verteilung der Seinsvoll-
kommenheiten verlangt ein Seinsmaximum; so for-
muliert Thomas seinen vierten Beweis ex gradibus und
erweist Gott als den aktiven Urtyp aller endlichen Voll-
kommenheiten; endlich die Ordnung der Dinge fordert
einen intelligenten Ordner; so schließt Thomas ex guber-
natione rerum auf Gott als den zwecksetzenden, vernunft-
begabten Ordner der Natur.^
Diese fünf Beweise hat der hl. Thomas auf Grund
der aristotelischen Philosophie in seinen beiden Haupt-
werken entwickelt, nämlich S. th. I. qu. 2. a. 3, S. contra
i
' Vgl. Schill a. a. 0. 71—72. Gays er, Das phil. Gottes-
Problem 246.
Beurteilung dieser fünf Wege. 75
Gent. I. 13. Sie sind für die ganze Scholastik mafigebend
gewesen und sind in neuerer Zeit ausführlich behandelt
worden von C. M. Schnei der, ^ Rolf es,-' Kleutgen,'
Commer. ^
§ 9.
Beurteilung" dieser fünf Wege.
Scharfe Kritik hat Isenkrahe^ an den thoniistischen
Beweisen geübt. Bei einer näheren Betrachtung über die
wirkliche Stringenz der drei ersten Wege scheint ihm
vieles, um nicht zu sagen das meiste von dem, was der
Aquinate vorbringt, unhaltbar; doch ist er der Meinung,
daß das übrige immer noch hinreicht zu einem völlig
sicheren und unanfechtbaren Gottesbeweis, wofern es nur
auf eine breitere Basis gestellt und allseitiger begründet
werde. Diese breitere Basis besteht nach seiner Meinung
vor allem in dem Nachweis, daß ewige Bewegung in sich
unmöglich, daß die Bewegung entstanden sei. Thomas
untersuche nur das Wie des Entstehens der Bewegung,
das Daß werde vorausgesetzt; darum lasse er die ganze
gegnerische Position, die die Bewegung als ewig annimmt,
unberührt. Der Beweis dürfe ruhig da aufhören, wo er
jetzt anfange. Dasselbe gelte auch vom zweiten Beweis.
Bezüglich des dritten geht seine Ansicht dahin, daß
der Unterschied von Notwendigem und Kontingenten! ein-
fach zu leugnen sei. Es gebe nur Wirkliches und neben
ihm weder Mögliches noch Notwendiges.
' Schneider, Natur, Vernunft, Gott. Regensburg 1833.
- Rolfes, Die Gottesbeweise bei Thomas v. Aquin und Aristoteles.
Köln 1898.
3 Kleutgen,, Phüosophie der Vorzeit IP 673—98.
» Co mm er, System der Philosophie. 3. Abt. 13 ff. Münster 1885.
Vgl. ferner Schill, Prinzipienlehre 71 — 79. König, Schöpfung und
Gotteserkenntnis. 108 — 52. Freiburg 1885. Heinrich. Dogmatik III -
222—42. Schanz, Apologie P. 494—501. Freiburg 1903. Reinhold,
Die Welt als Führerin zu Gott 54—97.
^ Isenkrahe, Der kosmol. Gottesbeweis. Tüb. Iheol. Quartalschr.
1887. 378 tY.
76 Die fünf sog. aristotelisch-thomistischen Wege.
Der Beweis müsse so lauten: Die Dinge haben nicht
die Macht immer zu sein, darum sind sie auch nicht immer;
es muß deswegen ein Wesen geben, welches die Macht hat
immer zu sein, welches immer ist, also ein ewiges Wesen.
„Da man heutzutage an kein Entstehen und Vergehen
mehr glaubt, sondern nur noch an Bewegung des ewigen
Stoffes, so zeige man, daß eine ewige Bewegung unmög-
lich ist."i
Andere, wie Kleutgen, Rolfes, Schanz,- können
diese Fehler nicht entdecken und betrachten diese Beweise
mit Thomas als direkte, als die verschiedenen Auffas-
sungen des einen Grundgedankens: Aus dem wirklichen
Dasein der Welt wird das wirkliche Dasein Gottes er-
schlossen. Sie erw^eisen alle etwas, was Gott durchaus
eigentümlich ist.
Als das schwierigste aller Argumente bezeichnet Rolfes
das vierte, aus den Vollkommenheitsgraden. „Die Idee der
Steigerung des Seins und seiner Vollendung bis zu einem
am meisten Seienden bereitet insofern eine ganz ungewöhn-
liche Schvväerigkeit, größer als bei allen anderen Gottes-
beweisen, weil daraus allein, daß das Sein irgendwo auf
einer niedrigen Stufe steht, folgen soll, daß es von einem
wesensgleichen Sein verursacht ist, das auf der höchsten
Stufe steht.
Dieses Argument hängt mit den höchsten Gedanken
der platonischen und aristotelischen Philosophie zusammen
und wird von Augustin und Ansei m mit Vorzug geltend
gemacht. Es hat einen besonderen Wert; denn es tut
nicht bloß wie alle anderen Beweise das Dasein Gottes dar,
sondern hat auch vor ihnen noch voraus, daß es die Ein-
heit Gottes klarer als die anderen darstellt, indem das
vollkommenste Sein als die Fülle und der Inbegriff des
Seins nur einmal sein kann; sodann, daß es auf die ein-
fachste Weise die Schöpfung beweist." ^
1 Isenkrahe a. a. 0. 379—428.
2 Schanz, Apologie P 497—98.
3 Rolfes, Die Gottesbeweise 205—206. Vgl. Kleutgen, Phil, der
Vorzeit 11- 687—88.
i
Der Goltesbeweis aus der Bewegung. 77
Das Argument setzt allerdings einen gewissen Realis-
mus der Begriffe, eine wahre Wesensgleiehheit oder innere
Einheit voraus.^
Man hat in der neueren Zeit kein weiteres Gewicht
gelegt auf diesen Beweis, weil man ihn blol) als induktives
Wahrscheinlichkeitsargument betrachtete. Demgegenüber
sagt Heinrich: „Es ist ein stringenter SchluP) von der
Endlichkeit und Kontingenz der Dinge und ihrer Voll-
kommenheit auf deren absolute Ursache genau wie die
früheren Argumente. Denn gleichwie die Veränderung,
das Gewordensein, der reale Unterschied zwischen Mög-
lichkeit und Wirklichkeit in den Dingen ein Beweis ihrer
Kontingenz ist, ebenso ist es auch die innere Beschränkt-
heit ihres Seins oder ihrer Vollkommenheit, wie dies zumal
in der Menge, Vielfältigkeit, Mannigfaltigkeit der Dinge
und in der Stufenfolge ihrer verschiedenartigen Voll-
kommenheit sich zeigt."-
Wie der vierte thomistische Beweis in der Gegenwart
am wenigsten betont wird, so erfreut sich der fünfte und
insbesondere der dritte, allerdings entsprechend fort-
gebildet, des meisten Ansehens als teleologischer und
Kontingenzbeweis. Doch hiervon weiter unten. Daneben
wird dem Bewegungsbeweis eine besondere Bedeutung
beigelegt, darum wollen wir auf diesen noch etwas näher
eingehen.
§ U).
Der Gottesbeweis aus der Beweg'ung*.
Beim hl. Thomas lautet er folgendermaßen: Certum
est et sensu constat, aliqua moveri in hoc mundo. Omne
autem quod movetur, ab alio movetur; nihil enim movetur,
nisi secundum quod est in potentia ad illud, ad quod
movetur. Movet autem aliquid secundum quod est in actu ;
movere enim nihil aliud est quam educere aliquid de
potentia in actum. De potentia autem non potest aliquid
' Rolfes a. a. 0. 219.
- Heinrieh, Dogmatik lU-' 235. \'^\. Rein hold a. a. 0. 93—97.
78 Die fünf sog. aristotelisch-thomistischen Wege.
reduci in actum, nisi per aliquod ens in actu; sicut cali-
dum in actu, ut ignis, facit lignum, quod est calidum in
potentia, esse actu calidum, et per hoc movet et alterat
ip'sum. Non autem est possibile ut idem sit simul in actu
et potentia secundum idem, sed solum secundum diversa.
Quod enim est calidum in actu, non potest simul esse
calidum in potentia, sed est simul frigidum in potentia.
Impossibile est ergo quod, secundum idem et eodem modo,
aliquid sit movens et motum, vel quod moveat seipsum.
Omne ergo quod movetur, oportet ab alio moveri. Si
ergo id, a quo movetur, moveatur, oportet et ipsum ab
alio moveri, et illud ab alio. Hie autem non est procedere
in infinitum, quia sie non esset aliquod primum movens,
et per consequens nee aliquod aliud movens; quia moventia
secunda non movent nisi per hoc quod sunt mota a primo
movente sicut baculus non movet nisi per hoc quod est
motus a manu. Ergo necesse est devenire ad aliquod
primum movens, quod a nullo movetur, et hoc omnes in-
tellegunt Deum (S. th. I. q. 2. a. 3; cf. S. contr. Gent. I, 13).i
Thomas nennt diesen Beweis die via prima et mani-
festior und weist ihm die erste Stelle an. Den Grund
hierfür will Heinrich darin finden, daß dieses Argument
das Argument des Aristoteles (Metaph. 12, 7) ist und
das Dasein eines von der Welt verschiedenen Gottes auch
dann beweist, wenn man von dem absoluten Entstanden-
sein der Welt absieht. -
Rolf es erklärt es anders: „Im Bewegungsbeweis wird
mit einer Art mathematischer Sicherheit von dem bewegten
auf ein unbewegtes Prinzip geschlossen, und der so ge-
wonnene Begriff entspricht so sehr dem Gottesbegriff, daß
auch der Begriff des unverursachten, aus sich selbst
' Bezüglich der Kontroverse über den Wortlaut des Textes: Ergo
ad quietem unius partis eius (non) sequitur quies totius, siehe: Weber,
Der Gottesbeweis aus der Bewegung bei Thomas t. Aquin auf seinen
Wortlaut untersucht. Freiburg 1902. Ders., Christi. Apologetik 325—337.
E. Rolfes, Zur Kontroverse über den Wortlaut des Textes in der phil.
Summe des hl. Thomas 1, 13. Jahrb. f. Phil, und spek. Theol. 20. Jahrg.
^ Heinrich, Dogmatik 111^ 222—23.
Der Gotle.sbeweis aus der Bewegung. 79
seienden Wesens im dritten Gottesbeweis an ihn anknüpfen
muß, um sich als Erfüllung des Gottesbe^^riffes zu recht-
fertigen. Denn um zu zeigen, daß das aus sich Seiende
Gott ist, beruft man sich darauf, daß es unveränderlich
oder lautere Wirklichkeit sein muß. Das aber stellt der
Beweis aus der Bewegung unmittelbar als Gottes Eigen-
tümlichkeit heraus." 1
Darum ist der Bewegungsbeweis, wie Schill sagt,
„trotz der antiquierten Anschauungen über das Welt-
system, von dem er ursprünglich ausging, nicht antiquiert,
sondern hat auch heute noch seine volle Beweiskraft".-
Wie schon erwähnt, ist der Bewegungsbeweis bei Thomas
kein anderer als der bei Aristoteles im siebten und
achten Buch der Physik entwickelte Beweis, der in dem
Satz gipfelt: avär/xt] 8irai n o jiqcötov xivh xcd ro jTQajxov
xivovv axlvT/Tov (Phys. 8, 6). Aristoteles huldigte der
geozentrischen Weltanschauung und verstand unter Be-
wegung vorzugsweise die in der Körperwelt sich vor-
findende, in ihren drei Arten: örtliche, qualitative und
quantitative Bewegung oder Veränderung. Thomas faßt
die Bewegung im weiteren Sinne als educere aliquid de
potentia in actum. Er stützt sich nicht auf eine besondere
Art von Bewegung, sondern auf die Bewegung und Ver-
änderung im allgemeinen. Daß in der Welt tatsächlich
eine Kette von Bew^egungen vorhanden ist, setzt Thomas
als evident voraus. Der Grundsatz: quidquid movetur,
ab alio movetur, ergibt sich aus dem Kausalitäts- bezw.
Identitätsgesetz.
Der Beweis hat nach Rein hold' gerade heutzutage,
wo die Naturwissenschaft das Prinzip von der Einheit der
Naturkräfte aufstellt und die Verschiedenheit der Natur-
kräfte auf eine bloße Verschiedenheit der Bewegungsformen
zurückführen will, eine besondere Bedeutung. „Die Fort-
schritte der physikalischen Wissenschaften, die Lehre von
der Einheit der Naturkräfte, von einem Ausgleich der
1 Rolfes, Die Gottesbeweise 302.
'^ Schill, Theol. Prinzipienlehre 7i\.
^ Rein hold, Die Welt als Führerin zu Gott 53.
80 Die fünf so^. aristotelisch-thomistischen Wesre
o^
Spannungsdifferenz der Naturkräfte und der Entropie
haben den Bewegungsbeweis verschärft, insofern als sie
für den zeitlichen Anfang und die äußere Bedingtheit des
Weltverlaufs oder der Bewegung in der Welt neue Zeug-
nisse boten." 1
Besonders eingehend hat in neuester Zeit Gutberiet -
den Bewegungsbeweis behandelt und entsprechend den
Zeitverhältnissen fortgebildet und vor allem auch die
Geistigkeit des jcqcoxov xivovv axivjiTov, den Weltschöpfer
nachgewiesen; ebenso auch Kleutgen,'^ Rolfes,'* Rein-
hold,-^ J. Müller.*^ Bewegung wird dabei nicht im phy-
sischen, sondern metaphysischen Sinne genommen, d. h. als
Veränderung jedweder, auch geistiger Art. Gerade aus
den Veränderungen auf dem Gebiete der Erkenntnis und
des Willens wird als unveränderlicher Beweger die sub-
sistierende Erkenntnis, das subsistierende Wollen oder
der persönliche Gott mit Notwendigkeit erschlossen, weil
nur er die adäquate Ursache des Denkens und WoUens
sein kann.
So formuliert Müller den Bewegungsbeweis in der
Art: „Alles in dieser uns umgebenden Welt unterliegt der
Veränderung, sowohl die körperlichen wie die geistigen
Wesen. Nun wird aber alles, was der Veränderung unter-
liegt, von einem anderen verändert; es existiert also ein
unbewegter Beweger, d. h. ein Wesen, in dem alle jene
Vollkommenheiten, bezüglich welcher die veränderlichen
Wesen von der Möglichkeit zur Wirklichkeit übergehen,
nicht Möglichkeit, sondern reine, lautere Wirklichkeit sind.
Ein solches Wesen ist aber der persönliche Gott."^
i Weber, Christi. Apol. 66.
- Gutberiet, Apologetik I-^ 210 — 231; Der mech. Monismus.
229 fi Münster 1893; Theodizee. 7—12. Münster 1878.
-' Kleutgen, Phil, der Vorzeit W 674—681.
^ Rolf es, Die Gottesbeweise 29 — 167.
^ Reinhold, Die Welt als Führerin zu Gott 55—70.
^ Müller, Der Gottesbeweis aus der Bewegung. Zeitschr. f. kath.
Theol. 21 (1897) 644-672.
" Müller a. a. 0. 647.
Der Gottesbeweis aus der Bewegung. 81
Die Auswege, die man versucht hat, um diesem Schluß
zu entgehen, sind unmöglich. Der regressus in infinitum
löst das Bewegungsrätsel nicht. Denn abgesehen davon,
ob überhaupt eine aktuell unendliche Zahl möglich ist
— Seh wetz, Vosen, Sprinzl, Stöckl, König, T. Pesch,
Hontheim, Isenkrahe, Schill, Rolfes, Heinrich u. a.
verneinen es, während Gutberiet, Schell es dahingestellt
sein lassen — , wird durch Annahme einer unendlichen
Reihe die Beantwortung der Frage nur weiter zurück-
geschoben, aber nicht gegeben.
Ferner einen Kreislauf der Bewegung ohne ersten
Beweger anzunehmen, ist unsinnig.
Sowohl der regressus in infinitum wie der Kreislauf
fordern ein unbewegtes Erstbewegendes, damit überhaupt
eine Bewegung zustande komme.
Auch mit der Annahme der Ewigkeit der Bewegung
kann man des ersten Bewegers nicht entbehren.
Zudem zeugen die Entdeckungen auf dem Gebiete der
Kalorik gegen eine anfangslose Bewegung in der Welt.
So bleibt wahr, was Heinrich von unserem Argument
sagt: „Unser Argument ist von absoluter, metaphysischer
Wahrheit, daher von dem jeweiligen Stande und von allen
wirklichen und möglichen Entdeckungen der empirischen
Wissenschaften unabhängig. Es wird aber auch durch alle
wissenschaftlich möglichen, weil mit den Gesetzen des Seins
und Denkens nicht im Widerspruch stehenden Hypothesen
bestätigt, während es sowohl die Sophismen des Materialis-
mus als insbesondere das Grundsophisma des Pantheismus,
das eben in der Annahme einer sich selbst verwirklichenden
Potenz besteht, im Keime trifft und vernichtet." Darum
müsse man ihm die Stelle belassen, welche die alten Scho-
lastiker ihm einräumten.^
^ Heinrich, Dogmatik UV- 224—26.
Staab, Goltesbeweise in der kath. Literatur.
S2 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
Siebtes Kapitel.
Kosmologischer Kontingenzbeweis.
§ 11.
Formulierung des Beweises.
Wie schon erwähnt, nimmt heutzutage den ersten Platz
in der Reihe der Gottesbeweise der sog. Kontingenzbeweis
ein. Der hl. Thomas führt ihn an dritter Stelle auf und
zwar in folgender Form : Tertia via est sumpta ex possibili
et necessario, quae talis est. Invenimus enim in rebus
quaedam, quae sunt possibilia esse et non esse; cum quae-
dam inveniantur generari et corrumpi, et per consequens
possibilia esse et non esse. Impossibile est autem omnia
quae sunt talia, semper esse; quia quod possibile est non
esse, quandoque non est. Si igitur omnia sunt possibilia
non esse, aliquando nihil fuit in rebus. Sed si hoc est
verum, etiam nunc nihil esset; quia quod non est, non
incipit esse nisi per aliquid quod est. Si igitur nihil fuit
ens, impossibile fuit, quod aliquid inciperet esse; et sie
modo nihil esset; quod patet esse falsum. Non ergo omnia
entia sunt possibilia, sed oportet aliquid esse necessarium
in rebus. Omne autem necessarium vel habet causam suae
necessitatis aliunde, vel non habet. Non est autem possibile
quod procedatur in infinitum in necessariis, quae habent
causam suae necessitatis; sicut nee in causis efficientibus,
ut probatum est. Ergo necesse est ponere aliquid quod
sit per se necessarium, non habens causam necessitatis
aliunde, sed quod est causa necessitatis aliis; quod omnes
dicunt Deum. (S, th. I q. 2. a. 3.)
Indes alle die vier ersten Wege sind nach der tref-
fenden Bemerkung Schills im Grunde nichts anderes
als vier Formen des einen Kontingenzbeweises, wonach
die Welt sowohl auf ihr Sein wie auf ihren Ursprung
und ihr Wesen untersucht allseitig als bedingt und zufällig
erscheint und nur durch das sie bedingende Absolute als
Formulierung des Beweises. 83
ausreichende Ursache ihres Daseins begriffen und erklärt
werden kann.^
Schell sagt von dem Kontingenzbeweis: „Diesta-
Gottesbeweis ist grundlegend, weil er das ganze Sein um-
faßt und jedes Sein in seiner ganzen Tiefe würdigt. Er
kommt dabei zur Erkenntnis, daß kein Tatbestand in sich
selber gründe, also jeder einer höheren Begründung bedürfe.
Die Ursache dieses Bedürfnisses liegt in der inneren End-
lichkeit der Welt oder in der Unvollkommenheit dessen,
was sie ist und wie sie existiert ... Es besteht kein innerer
und notwendiger Zusammenhang zwischen dem, was die
Welt ist, und der Tatsache ihrer Existenz: das ist der
erfahrungsmäßige Tatbestand, von dem der Kontingenz-
beweis ausgeht . . . Die Kontingenz der Welt bedeutet
ihre innere Zufälligkeit, jene innere Beschränktheit ihres
Wesens und jene innere Schwäche ihres Daseins, ver-
möge deren sie den denkenden Menschenverstand von
jeher zu der Frage nötigte: Warum ist denn die Wirk-
lichkeit gerade so und nicht anders beschaffen? Besteht
denn nicht eine innere Notwendigkeit, daß gerade diese
Welt existiert und nicht eine andere, bessere und voll-
kommenere ?"-
Der Grundgedanke dieses Beweises ist immer folgender:
„Da Unvollkommenes existiert, dessen Dasein eben wegen
seiner Unvollkommenheit innerlich unverständlich ist, so
muß auch das Vollkommene existieren, weil allein das
Vollkommene innere Notwendigkeit, Verständlichkeit, das
Recht und die Kraft hat zur eigenen Existenz und zur
Verwirklichung der anderen Existenzen." ^^
Die Formulierung des Beweises ist eine sehr ver-
schiedene.
Am kürzesten faßt ihn Gutberiet: „Es muß ein not-
wendiges, also durch seine Wesenheit zum Dasein bestimmtes
Wesen, ein ens a se existieren, wenn überhaupt etwas
existiert. Denn es ist evident, daß nicht alles von einem
1 Schill, Theol. Prinzipienlehre 79—80.
- Seheil, Gott und Geist 11 1—2. » A. a. 0. 121.
84 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
anderen sein kann. Wäre alles von einem anderen, so wäre
ja kein anderes mehr da, von dem alles sein sollte." ^
Die prägnanteste Form hat ihm Braig gegeben:
Obersatz: Jedes Seiende, soweit die Wahrnehmung im
Reich des Materiellen, Lebendigen und Geistigen dringen
mag, existiert auf Grund und in Kraft von anderen Seienden,
w^elche seine Voraussetzung bilden.
Untersatz : Alle Seienden zusammen können nicht exi-
stieren auf Grund und in Kraft einer anderen, in gleicher
Linie der Bedingtheit liegenden Seinspos-ition. Denn welche
konkrete Realform im Bereich des dreigeteilten Weltseins
man nehmen möchte zum letzten Sein, das die gesetzte
Allheit vollzählig machen würde: immer müßte das letzte
Andere gedacht werden können ohne Grund und existieren
ohne reale Voraussetzung.
Schlußsatz: Es muß angesichts der ausnahmslosen
Bedingtheit des wirklichen Daseins ein Etwas existieren,
welches zu seiner Existenz der Voraussetzung eines
„Anderen" nicht bedarf: ein Etwas, welches schlechthin
unbedingt, einfach und durch sich ist, — unverursacht,
unveränderlich, immer seiend, notwendig, an sich selbst
genügender Realgrund und durch sich selbst wirksame
Ursache. Dieses Etwas ist der Absolute. -
Vosen zerlegt den Beweis in zwei Argumente in der
Weise, daß das erste vor allem gegen den Pantheismus,
das zweite gegen den Materialismus sich richtet.
1. Kosmologischer Beweis gegen den Pantheismus.
L Es existiert ungewordenes, unverursachtes Sein:
A. Weil die Reihen des gewordenen Seins nicht an-
fangslos sein können.
B. Weil unverursachtes Sein ohne verursachtes, nicht
aber verursachtes ohne unverursachtes Sein möglich ist.
IL Unverursachtes Sein ist notwendig unendlich voll-
kommenes Sein.
1 Gutberiet, Apologetik IP 185.
- Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise'? 182 — 184.
Formulierung des Beweises. 85
III. Also existiert unendlich vollkommenes Sein = gött-
liches Sein = Gott.
IV. Unendlich vollkommenes Sein kann nur ein einziges
sein, also kann nur ein einziger Gott existieren.
V. Gott als unverursachtes und einziges Sein muß von
allem verursachten und mehrfachen Sein, wie es der Welt
eignet, wesentlich verschieden sein.
VI. Folglich existiert nur ein einziger, von der Welt
verschiedener Gott.
2. Kosmologischer Beweis gegen den Materialismus.
I. A. Die vom Materialismus behauptete anfangslose
Ewigkeit von Materie und Kraft, mag man sie pantheistisch
oder atheistisch verstehen, läßt sich nicht beweisen, zumal
er Materie und Kraft nicht einmal zu definieren versteht.
B. Weder Materie noch Kraft können anfangslos,
ewig sein.
II. Materie und Kraft können nicht die Ursache alles
gegenwärtigen Seins sein.
A. Das organische Leben fordert eine andere und zwar
schöpferische Ursache, die nur eine göttliche und einzige,
Gott sein kann.
B. Der menschliche Geist fordert eine andere und zwar
geistige und schöpferische Ursache, die nur eine göttliche
und einzige, Gott sein kann.
III. Also existiert eine von Materie und Kraft ver-
schiedene, geistige, schöpferische, göttliche und einzige
Ursache, ein geistiger Schöpf ergott.^
Auch Schell führt den Beweis in zweifacher Form,
als Kontingenz- und Kausalitätsbeweis.
Bei ersterem geht er aus von der Betrachtung der
Welt und der Dinge unter dem Gesichtspunkt ihrer Tat-
sächlichkeit und untersucht, in welchem Verhältnis Wesens-
beschaffenheit und Dasein der tatsächlichen Welt und
Dinge zueinander stehen. Dabei findet er, daß keine innere
^ Vosen, Das Christentum und die Einsprüche seiner Gegner*
247—288. Freiburg 1881.
S6 Kosmologischer Kontingenzbevveis.
Zusammengehörigkeit der beiden besteht, sondern daß die
Welt und die Dinge kontingent, zufällig, rätselhaft sind.
Der letzte zureichende Grund des Daseins der Welt kann
weder die Materie noch der menschliche Geist noch ein
innerweltlicher Geist, wenn es einen solchen gäbe, sein,
denn die Materie hat keine innere Notwendigkeit in ihren
Grundeigenschaften noch auch in der Art ihrer Veränderung
und Wechselwirkung, sie hat alle sekundären Merkmale
der Zufälligkeit an sich: Endlichkeit, Teilbarkeit, Vielheit,
Veränderlichkeit, Bedingtheit, Zeitlichkeit; der menschliche
Geist wie jeder innerweltliche zeigt genug Merkmale, daß
er nicht durch sich selber besteht, daß er verursacht ist
durch eine höhere Ursache, daß er kontingent ist.
Der zureichende letzte Grund für das Dasein der Welt
kann nur der unendliche Geist von schrankenloser Voll-
kommenheit sein.i
Beim Kausalitätsbeweis geht er aus von der
Betrachtung der Welt und der Dinge unter dem Gesichts-
punkt der Ursächlichkeit. Alles steht in ursächlichem
Zusammenhang mit Früherem und Späterem; alles stammt
aus dem Vergangenen und erzeugt anderes . . . Die Ur-
sächlichkeit ist das Band, das die Vielheit der in Raum
und Zeit auseinanderliegenden Dinge zur Einheit des Welt-
ganzen verknüpft; die Ursächlichkeit ist auch das einzige
Mittel, das uns Einsicht in den Tatbestand der Erfahrungs-
welt verschaffen kann, und zwar in demselben Maße, in
dem die Tatsachen auf eine vollkommene und hinreichende
Ursächlichkeit zurückgeführt werden. Die in der Welt
vorhandene Ursächlichkeit bedarf eines Erklärungsgrundes ;
dieser kann nicht in der Welt selbst liegen; Schell
beweist dies
1. aus dem Anregungsbedürfnis oder aus der Abhängig-
keit der Naturursächlichkeit;
2. aus dem vorbereitenden Charakter der Naturursäch-
lichkeit, die eine Ergänzung durch eine eigentliche, voll-
kommene Ursache fordert;
1 Schell, Gott und Geist II 1—21.
Formulierung des Beweises. 87
3. aus der Existenz von Leben, Seele und Geist, die
weder als Wirkung noch als Ursache aus dem Natur-
zusammenhang abzuleiten, sondern nur aus dem unmittel-
baren Gedanken und Willen des Schöpfers zu erklären sind.
Der Erklärungsgrund aller Ursächlichkeit kann nur
eine oberste Ursache sein, die von keiner anderen irgendwie
abhängig ist, der absolute Geist. ^
Doch darf man diese Ursache nicht „Selbstursache"
nennen, wie der wenig glückliche Ausdruck Schells
lautet, in dem Sinne, daß Gott durch seine eigene Tätig-
keit sein eigenes Sein hervorbrächte; bei Gott kann ich
nach einer weiteren Ursache nicht mehr fragen.
Schell glaubte an der Selbstursächlichkeit Gottes fest-
halten zu müssen, weil man sonst den gegnerischen Ein-
wand nicht lösen könne, daß nämlich durch die Annahme
eines Gottes an die Stelle des kosmologischen ein neues
theologisches Rätsel gesetzt werde. Darauf erwidert Rein-
hold mit Recht: „Durch die Selbstursächlichkeit wird
dieses theologische Rätsel jedenfalls nicht gelöst, im Gegen-
teil, es wird eine begriffliche Unmöglichkeit in das Wesen
Gottes hineingetragen." -
In ganz eigenartiger Weise führt endlich Schanz
den kosmologischen Gottesbeweis. Er entwickelt ihn in
vier Stadien.
Im ersten — Anfang und Ende — gibt er den Ge-
danken des aristotelischen Bewegungsbeweises, indem er die
Notwendigkeit des Anfangs dartut, welchem der Atheismus
auf keinem der vielen versuchten Wege entrinne, und findet
dabei als zureichende Ursache den über alle Ursachen
hinausliegenden Urgrund.
Das zweite Stadium — Leben — aus der Tatsache
des Lebens, erweist den Urheber alles Seins als lebendigen,
als das höchste Sein, als höchstes Leben.
Durch das dritte Stadium — Pflanze und Tier —
aus der Mannigfaltigkeit der Lebensformen, „erweist sich
1 Schell a. a. 0. 145— 180.
- Reinhold. Die Welt als Führerin zu Gott 79.
oo Kosmologischer Kontingenzbeweis.
uns die erste Ursache nicht bloß als lebendige, sondern
als eine geistige, denn sie muß höher stehen als die mit
Bewußtsein begabten Tiere".
Das vierte Stadium — Tier und Mensch — , vermittelt
durch die Erkenntnis der Geistigkeit und Sittlichkeit des
Menschen, fordert zur Erklärung der selbständigen Persön-
lichkeit des Menschen die absolute Persönlichkeit des
Schöpfers: „Die Ursache eines selbstbewußten, sittlich
freien, persönlichen Wesens muß absolute Intelligenz, ab-
solute Freiheit, absolute Persönlichkeit sein."^
Welcher Gedanke Schanz bei dieser Fassung des
Beweises leitete, sagt er uns selbst: „Ich habe es möglichst
vermieden, nur die logischen Folgerungen geltend zu
machen, um dem Vorwurf zu begegnen, daß nur die Ge-
danken und Begriffe hypostasiert werden. Ich wollte auch
weniger den Schluß von der Existenz eines wirkenden
Seienden auf jedem Punkt der Kausalität auf ein der
Gesamtheit derselben zugrunde liegendes und von ihr ver-
schieden wirkendes Seiendes ziehen, als vielmehr empirisch
die Gesamtheit der wirkenden Dinge bis zum Anfang
hinauf verfolgen, um hier auf den Punkt hinzuweisen,
welcher auch den Empiriker zwingt, über das Gebiet der
Erfahrung hinauszugehen." ^
Auf den erwähnten Grundgedanken ruhen all die ver-
schiedenen, verschieden bezeichneten Einzelbeweise, in
welche andere, wie Hontheim,'^ Bödder,* Lehmen,^
den kosmologischen Kontingenzbeweis zerlegen; doch
wollen wir nicht weiter darauf eingehen. Nur auf zwei
Argumente, die man auf Grund neuerer naturwissenschaft-
lichen Entdeckungen auf dem Gebiete der Biologie und
Kalorik konstruiert, wollen wir noch einen kurzen Blick
werfen; es sind dies das sog. biologische und das entro-
pologische Argument.
1 Schanz, Apologie P 174—399.
2 A. a. 0. 198.
3 Hont he im, Theodicaeae 108 sqq.
* Bödder, Theologia naturalis 23—51.
5 Lehmen, Theodizee^ 27—58.
Formulierung des Beweises. 89
Der biologisclie Gottesbeweis.
Die moderne Naturwissenschaft hat ohne Zweifel fest-
«^estellt, daß das organische Leben nicht immer existiert,
daß es einmal angefangen hat. Aus der unorganischen
Materie und Kraft konnte es nicht entstehen; es besteht ein
wesentlicher Unterschied zwischen unorganischer Materie
und Organismus.^
Die sog. generatio aequivoca, die Urzeugung, gehört
ins Reich der Fabel. -
Die Helmholtzsche Hypothese,''' es könnten die ersten
Lebenskeime von einem anderen Himmelskörper auf die
Erde gekommen sein, ist zunächst unwahrscheinlich, so-
dann erklärt sie das Rätsel vom Ursprung des Lebens
nicht, sondern schiebt es nur eine Stufe weiter zurück.
So ergibt sich aus der Tatsache des Lebens die Not-
wendigkeit einer schöpferischen, außerweltlichen Ursache,
und diese ist Gott. Auf solche Weise verwerten Hont-
heim,'^ Bödder,* Reinhold*^ die biologischen Tatsachen
zu einem selbständigen Argument, während andere, wie
Schell, Schanz, Vosen, wie schon erwähnt, dieselben
nur als Moment im kosmologischen Kontingenzbeweis
betrachten.
Der antropologische Gottesbeweis.
Wie man aus der Biologie einen Gottesbeweis ableitet,
so benützt man auch die von den Physikern entwickelten
Lehren von der Energie und Entropie zu einem Argument
für Gottes Dasein und nennt es das entropologische. Die
Grundlage desselben bilden die zwei Sätze:
' Gutberiet, Naturphilosophie. Münster 1894. 168 ff.
- Pesch T., Welträtsel. 18i>2. I 174.
» Helmholtz, Populäre wissenschaftl. Vorträge. 1876. H. 3. 139.
* Hontheim, Theod. 196-202.
& Bö d der, Theol. nat. 67—68.
« Reinhold, Die Welt als Führerin zur Gottheit 111—120. Vj:!.
Schill, Prinzipienlehre 84—88. König, Schöpfung 162—174. Duilhe-
Braig, Apologie des Christentums 249—404. Freiburg 1889. Braig,
Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 178 — 180.
ÖO Kosmologischer Kontingenzbeweis.
1. Die Energie der Welt ist konstant (Robert Mayer,
bezw. Clausius).
- 2. Die Entropie der Welt strebt einem Maximum zu
(Clausius).
Aus dem Energie- und Entropiesatz folgt :
a) Die Naturprozesse haben einen zeitlichen Anfang
gehabt.
b) Die Welt hat einen zeitlichen Anfang, hat zugleich
mit den Naturprozessen zu existieren begonnen; darum
ist sie
c) erschaffen worden und folglich existiert
ein allmächtiger und allweiser Schöpfer, Gott.
Denn hat die materielle Welt samt ihren Energien in der
Zeit begonnen, so verlangt sie eine außerweltliche Ursache.
Diese mußte nicht nur alle Bestandteile, welche die Welt
ausmachen, ins Dasein rufen, sondern sie auch mit jenen
Eigenschaften und Kraftanlagen ausrüsten, welche die
ganze künftige durch Jahresmillionen geordnet sich ab-
wickelnde Weltaus- und -Umgestaltung wie im Keime in sich
schlössen und diese unfehlbar von selbst verwirklichten.
Da nun aber in dieser Entwicklung ein überaus weiser
Plan sich kundgibt, so mußte die hervorbringende Ursache
einen höchstverständigen Geist haben, welcher die Natur-
kräfte und -gesetze nicht bloß ihrem innersten Wesen und
Wirken nach genau erkannte, sondern sie auch ersonnen
und in das Wesen der Naturkörper unauslöschlich hinein-
geschrieben hat.^
Denjenigen, welche den Schluß bestreiten, indem sie
einwenden, jener Endzustand sei kein absolutes Weltende,
hinsichtlich Raum und Zeit sei die Unendlichkeit der
' Vgl. Dressel L., Der Gottesbeweis auf Grund des Entropiesatzes
Stimmen aus M.-Laach 76 (1909) 150—160. Hertling, Über die Grenzen
der mechanischen Naturerklärung 18 — 30. Bonn 1875. Gutberiet,
Apologetik P 209-219; Naturphil. 68 ff. Hontheim, Theod. 192—196.
Bödder, Theol. nat. 66—67. König, Schöpfung und Gotteserkenntnis
92-108. Reinhold, Die Welt als Führerin zur Gottheit 104 — 110.
Schill, Prinzipienlehre 88—90. Schanz, Apologie P 193—196.
Formulierung des Beweises. 9 1 ^
Welt für uns ein wirklicher Rückschritt ins Unendliche,
erwidert Schanz:
„Was ist jene Unendlichkeit anders als eine Voraus-
setzung? Wäre aber dem so, wie soll ein neuer Anfangs-
zustand geschaffen werden? Wer bewirkt den Umschlag
von der Positivität in die Negativität? Es kehren alle
Fragen in gesteigertem Maße wieder, denn die endliche
Ausgleichung kann dem ursprünglichen Gasball nicht
gleich sein, weil die bewegenden Kräfte durch die Wärme
aufgezehrt sind."^
Doch verkennt man auf katholischer Seite nicht, daß
„der Beweis der einzelnen Vordersätze unseres Argumentes
manche Schwierigkeiten bietet und in der Tat bei vielen
Autoren mehr oder weniger zu wünschen übrig läßt, mit
zu großer Oberflächlichkeit abgemacht wird, so daß sich
die mit scheinbarer Erudition und mit Aplomb vor-
getragenen Beweise nicht selten bei näherer Prüfung als
unhaltbare Scheinbeweise entpuppen".- Insoweit stimmt
D r e s s e 1 der scharfen Kritik Isenkrahes an dem
Entropiebeweis bei. Dagegen glaubt er, daß diejenigen,
welche die Schwierigkeit des Entropiebeweises für die
zeitliche Erschaffung der Welt so hoch einschätzen, daß
sie sogar die Möglichkeit einer durchschlagenden Beweis-
führung leugnen (Isenkrahe), die Schwierigkeit über-
treiben. Ihm scheint vielmehr der Beweis bei vorsichtigem
und bedächtigem Vorgehen nicht allzu schwer geführt und
auch in allgemein verständlicher Fassung auf mehr als
eine Weise vorgelegt werden zu können.^
Schauen wir nun nochmals zurück auf den ganzen
Beweis und prüfen wir das Resulat, das er uns liefert, so
scheint es auf den ersten Blick, als ob der Kontingenz-
beweis nichts weiter dartue als einen absoluten Urgrund
' Schanz, Apologie P 197.
- Dressel a. a. 0. 150.
^ Isenkrahe, Über die Verwendung mathematischer Argumente in
der Apologetik. Natur und OtYbg. 52 (1906) 705—726.
^ Dressel a. a. 0. 150 — 151.
^2 Kosmologischer Kontin gen zbeweis.
der Welt, das Sein der unbedingten Substanz, aber nicht
den persönlichen, außer- und überweltlichen Gott.
Gewiß finden wir kraft des Schlusses von der Kon-
tingenz der Weltdinge zunächst nur das Absolute, das
unbedingte, notwendige ens a se, in dem die wichtigsten
Merkmale des Gottesbegriffs: Leben, Geistigkeit, Freiheit,
Persönlichkeit nicht direkt enthalten sind. Aber diese
Eigenschaften ergeben sich sofort als denknotwendige
Qualitäten des ens a se, der causa essendi, einmal durch
Inhaltsanalyse des Begriffes ens a se, sodann durch Be-
trachtung der Weltwesen, deren zureichender Existenz-
grund das ens a se ist. Denn die Ursache muß mindestens
so vollkommen sein als die Wirkung, und die Wirkung
besteht ja in dem nach Materie, Leben und Geist bedingten
Weltsein. Hätte das Wesen, das der zureichende Grund
für die Existenz der Weltdinge sein soll, nicht Erkenntnis
und freien Willen, so hätte es nicht die verschiedenen
möglichen Grade der Seinsvollkommenheit erdenken und
aus ihnen den bestimmten Grad auswählen und verwirk-
lichen können. Darum muß die erste Ursache intelligent
sein, weil Freiheit ohne Einsicht nicht möglich ist; sie
muß Schöpfer sein, weil sie zwischen Sein und Nichtsein
der Weltdinge frei bestimmte.
Mit Recht sagt daher Schenach:^ „Wird der kosmo-
logische Beweis nur gehörig entwickelt, so tut er wirklich
dar, daß, wenn etwas ist, Gott im vollen Sinne notwendigste
Voraussetzung sein muß." Neuere Apologeten wie Schanz,
Schell, Braig, Bödder, Lehmen, Vosen betrachten
daher den Beweis noch nicht als abgeschlossen, wenn ein
ens a se, ein ens incausatum gefunden ist, sondern führen
ihn weiter zum persönlichen Gott.^
1 Schenach, Metaphysik 91. Innsbruck 1866.
2 Vgl. Schill, Prinzipienlehre 90. Gutberiet, Apologetik P 181.
Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 184. Reinhold, Die Welt als
Führerin zur Gottheit 49.
Einwände gegen den kosmologischen Kontingenzbeweis. 93
Einwände gegren den kosmologischen Kontingenzbeweis.
Der Kontingenzbeweis ist von grundlegender Bedeutung
im System der Gottesbeweise. Darum richten sich aber
auch die Angriffe der Gegner vorzüglich gegen denselben.
Von drei Seiten kommen diese Angriffe, nämlich
1. vom Kritizismus,
2. vom Pantheismus,
o. vom Materialismus.
Der Abwehr dieser Angriffe widmet die katholische
Apologetik eine besondere Sorgfalt.
a) Einwände von Seiten des Kritizismus.
Der Hauptvertreter dieser Einwände ist Kant. Auf
Grund seiner Erkenntnistheorie, wonach wir nur die Er-
scheinung, das Phänomenon, nicht aber den Gegenstand
selbst, das Ding an sich, das Noumenon erkennen, muß
Kant die Möglichkeit einer objektiven Gotteserkenntnis
leugnen. Von zwei Seiten geht er auch gegen den kos-
mologischen Gottesbeweis vor.
Er stellt zunächst in der transzendentalen Dialektik
sein „System der transzendentalen Ideen" fest in drei
Klassen, nämlich der psychologischen, kosmologischen,
theologischen Idee. Alsdann sucht er die darauf gebauten
Schlüsse als hinfällig zu erweisen, die „eher vernünftelnde,
als Vernunftschlüsse" zu nennen seien, „Sophistikationen
nicht der Menschen, sondern der reinen Vernunft selbst,
von denen selbst der Weiseste unter allen Menschen sich
nicht losmachen und vielleicht nach vieler Bemühung den
Irrtum verhüten, den Schein aber, der ihn unaufhörlich
zwackt und äfft, niemals los werden kann".^
Bezüglich der kosmologischen Idee bestehen die Sophi-
stikationen in den vier Antinomien der reinen Vernunft,
in welchen man über „Weltgröße, Weltinhalt, Weltordnung
und Weltexistenz" sowohl Thesis als Antithesis beweisen
' Kant, Kritik d. r. V. 317. 321—22.
94 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
könne, was Kant auch auf zwei Paralleltafeln getan zu
haben glaubt. Für unsere Zwecke kommen vor allem die
erste und vierte Antimonie in Betracht. Sie lauten:
I. Thesis: Die Welt hat einen Anfang in der Zeit und
ist dem Raum nach auch in Grenzen eingeschlossen.
Antithesis : Die Welt hat keinen Anfang und keine
Grenzen im Raum, sondern ist sowohl in Ansehung der
Zeit als des Raumes unendlich.
IV. Thesis: Zu der Welt gehört etwas, das entweder
als ihr Teil oder ihre Ursache ein schlechthin notwendiges
Wesen ist.
Antithesis: Es existiert überall kein schlechthin not-
wendiges Wesen weder in der Welt noch außer der Welt
als ihre Ursache.^
Beide Sätze, obwohl kontradiktorische Urteile, sind
nach Kant stringent beweisbar.
Woher dieser Widerspruch, wie löst er sich: „Den
Schlüssel zur Auflösung der kosmologischen Dialektik"
findet Kant im transzendentalen Idealismus, w^onach „alle
Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung nichts als
Erscheinungen, d. i. bloße Vorstellungen sind, die so, wie
sie vorgestellt werden, als ausgedehnte Wesen oder Reihen
von Veränderungen, außer unseren Gedanken keine an sich
gegründete Existenz haben." -
„Die ganze Antinomie der reinen Vernunft beruht auf
dem dialektischen Argument: w^enn das Bedingte gegeben
ist, so ist auch die ganze Reihe aller Bedingungen des-
selben gegeben, folglich etc." Doch der Schluß ist falsch,
weil „der Obersatz des kosmologischen Vernunftschlusses
das Bedingte in transzendentaler Bedeutung einer reinen
Kategorie, der Untersatz aber in empirischer Bedeutung
eines auf bloße Erscheinungen angewandten Verstandes-
begriffs nimmt, folglich derjenige dialektische Betrug darin
angetroffen wird, den man Sophisma figurae dictionis
nennt". Darum können „beide streitende Teile mit Recht
als solche, die ihre Forderung auf keinen gründlichen
1 Kant a. a. 0. 346 ff., 3G0, 35l. ^ a. a. 0. 407.
Einwände gegen der: kosmologischen Koniingen zbeweis. 95
Titel stützen, abgewiesen werden", denn sie können über-
führt werden, „daß sie um nichts streiten, und ein gewisser
transzendentaler Schein ihnen da eine Wirklichkeit vor-
gemalt habe, wo keine anzutreffen ist". Denn „wenn zwei
einander entgegengesetzte Urteile eine unstatthafte Be-
dingung voraussetzen, so fallen sie, unerachtet ihres Wider-
streits . . . alle beide weg, weil die Bedingung wegfällt,
unter der allein jeder dieser Sätze gelten sollte".^
Der ganze Beweis kommt also auf den einen Gedanken
Kants hinaus: Wir erkennen nicht das „Ding an sich",
sondern nur die Erscheinungen der Dinge, wir haben keine
objektive Erkenntnis der Welt, darum auch keine Gottes-
erkenntnis. Aber wenn das wirklich so wäre, so setzt sich
ja Kant mit sich selbst in Widerspruch, denn sein Fun-
damentalsatz in der Erkenntnistheorie ist doch nicht in
der Erfahrung gegeben, sondern ein Urteil über etwas
Übersinnliches. Was soll denn überhaupt die ganze Kritik
über die sog. Antinomien ?-
Nach der Kritik der kosmologischen Idee wendet sich
Kant zur theologischen Idee, „dem Ideal der reinen
Vernunft".'^
„Es sind nur drei Beweisarten vom Dasein Gottes aus
spekulativer Vernunft möglich : der physikotheologische,
der kosmologische und der ontologische Beweis."^ Den
letzteren weist er als unmöglich ab;^ sodann formuliert
er den kosmologischen falsch, als schließe er von der zum
voraus gegebenen unbedingten Notwendigkeit irgendeines
Wesens auf dessen unbegrenzte Realität", sein „nervus
probandi sei der Satz : ein jedes schlechthin notwendige
Wesen ist zugleich das allerrealste Wesen". „Wenn etwas
existiert, so muß auch ein schlechterdings notwendiges
Wesen existieren. Nun existiere zum mindesten ich selbst;
also existiert ein absolut notwendiges Wesen. Der Unter-
satz enthält eine Erfahrung, der Obersatz die Schlußfolge
» Kant a. a. O. 413— 41G.
- Vgl. Gut beriet, Monismus 11)2. Schill, Prinzipienlehre 91 — i»3.
=' Kant, Kritik d. r. V. 459 ff. ^ A. a. 0. 475.
s A. a. 0. 476—483.
i^ö Kosmologischer Kontingenzbeweis.
aus einer Erfahrung überhaupt auf das Dasein des Not-
wendigen."
Dann behauptet K, der Beweis schließe noch weiter,
suche nach einem Begriff von einem Ding, dem er das
Prädikat der absolut notwendigen Existenz zulegen könne,
und finde es im allerrealsten Wesen und schließe dann:
es existiert ein notwendiges Wesen notwendigerweise."
„Es ist aber klar," bemerkt K. hierzu, „daß man hierbei
voraussetzt, der Begriff eines Wesens von der höchsten
Realität tue dem Begriff der absoluten Notwendigkeit im
Dasein völlig genug, d. i. es lasse sich aus jener auf diese
schließen; ein Satz, den das ontologische Argument be-
hauptete, welches man also im kosmologischen Beweis
annimmt und zugrunde legt, da man es doch hatte ver-
meiden wollen. Denn die absolute Notwendigkeit ist ein
Dasein aus bloßen Begriffen."^ Alsdann wirft er ihm vor,
„daß er eine ignoratio elenchi begeht, indem er uns ver-
heißt, einen neuen Fußsteig zu führen, aber nach einem
kleinen Umschweif uns wiederum auf den alten zurück-
bringt, den wir seinetwegen verlassen hatten". ^
Schließlich soll sich „in diesem kosmologischen Argu-
ment ein ganzes Nest von dialektischen Anmaßungen ver-
borgen halten". ' Solcher dialektischen Anmaßungen zählt
Kant vier auf:
1. Der transzendentale Grundsatz, vom Zufälligen auf
eine Ursache zu schließen, welcher nur in der Sinnenwelt
von Bedeutung ist, außerhalb derselben aber auch nicht
einmal einen Sinn hat. Denn der bloß intellektuelle
Begriff des Zufälligen kann gar keinen synthetischen Satz
wie den der Kausalität hervorbringen, und der Grundsatz
der letzteren hat gar keine Bedeutung und kein Merkmal
seines Gebrauchs als nur in der Sinnenwelt, hier aber
sollte er gerade dazu dienen, um über die Sinnenwelt
hinauszukommen.
2. Der Schluß, von der Unmöglichkeit einer unend-
lichen Reihe übereinander gegebener Ursachen in der
1 Kant a. a. 0. 484—486. ■' A. a. 0. 487. ^ a. a. 0. 483.
Einwände gegen den kosmologischen Kontin j:enzbeweis. ^7
Sinnenwelt auf eine erste Ursache zu schlielien, wozu uns
die Prinzipien des Vernunftgebrauchs selbst in der Er-
fahrung nicht berechtigen, vielweniger diesen Grundsatz
über dieselbe (wohin diese Kette gar nicht verlängert
werden kann) ausdehnen können.
3. Die falsche Selbstbefriedigung der Vernunft in
Ansehung der Vollendung dieser Reihe dadurch, daß man
endlich alle Bedingung, ohne welche doch kein Begriff
einer Notwendigkeit stattfinden kann, wegschafft und, da
man alsdann nichts weiter begreifen kann, dieses für eine
Vollendung seines Begriffs annimmt.
4. Die Verwechslung der logischen Möglichkeit eines
Begriffs von aller vereinigten Realität (ohne inneren
Widerspruch) mit der transzendentalen, welche ein Prin-
zipium der Tunlichkeit einer solchen Synthesis bedarf, das
aber wiederum nur auf das Feld möglicher Erfahrung
gehen kann usw."^
Das sind gewiß Anschuldiguugen, die den kosmolo-
gischen Beweis um alles Ansehen bringen müßten, wenn
sie wahr wären. Nun ist es aber durchaus unrichtig, daß
der kosmologische Beweis vom notwendigen auf das aller-
realste Wesen schließe, daß er die Existenz Gottes aus dem
Begriff des allerrealsten Wesens herleite. Die Existenz
Gottes wird hier vielmehr bewiesen als die absolut not-
wendige Voraussetzung unserer und der Welt Existenz.
Der kosmologische Beweis schließt vom Tatsächlichen auf
Tatsächliches, auf Grund des Ursachgesetzes. Dieser Schluß
bleibt gültig, wenn auch das erschlossene Wesen nicht
unmittelbar Gegenstand der Erfahrung ist, sondern nur
mittelbar in seinen Wirkungen. Wir erkennen da die
Existenz Gottes unter dem Attribut der schlechthin not-
wendigen Existenz. Dadurch ist festgestellt, daß ein Wesen
existiert, welches von der Art ist, daß seine innere Natur
es mit sich bringt, nicht nicht-existieren zu können. Daraus
'Kant a. a. O. 488. Vgl. K. Fischer, Geschichte der neueren
Philosophie 3, 582 ff., wo die Kantschen Gedanken viel klarer wieder-
gegeben sind.
Sta.ib, Gottesbeweise in der kath. Liloiatiir. 7
98 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
lassen sich dann auf analytischem Wege eine Reihe weiterer
Bestimmungen ableiten.^
- „Der kosmologische Beweis hat keine Pflicht über-
nommen," sagt Rolfes,2 „das Dasein eines allervollkom-
mensten Wesens zu beweisen; er tut seine Schuldigkeit,
wenn er ein aus sich notwendiges Wesen gewiß macht.
Das wird von Kant ganz und gar außer acht gelassen.
Er behandelt die Momente der absoluten Notwendigkeit
des Daseins und der unendlichen Realität der Wesenheit
als unzertrennlich, gleich als ob so lange nichts bewiesen
wäre, als nicht die absolute Vollkommenheit des notwendig
Seienden in Evidenz gestellt sei. Außerdem begeht er
einen ganz unverzeihlichen Mißgriff, jene Folgerung, wo-
durch man aus der Notwendigkeit die Vollkommenheit des
Seins erschließen kann, mit dem ontologischen Argument,
das umgekehrt aus der Vollkommenheit die Notwendigkeit
gewinnt, in einen Topf zu werfen. Er übersieht nämlich
entweder, daß der Schluß von dem notwendigen Dasein auf
die Vollkommenheit das Dasein eines notwendigen Wesens
als rechtmäßig bewiesen voraussetzt, während das onto-
logische Argument das allerrealste Wesen nur als gedacht
annimmt, oder er hat den logischen Faden, der das Mo-
ment der Notwendigkeit und Vollkommenheit verknüpft,
nicht herausgefunden."
Der kosmologische Gottesbeweis schließt also aus der
in der Erfahrung gegebenen Existenz kontingenter Dinge
auf die Existenz eines absolut Notwendigen als Ursache
des Kontingenten. Er ist darum vollständig verschieden
vom ontologischen Beweis und enthält anderseits keines-
wegs „ein ganzes Nest dialektischer Anmaßungen". Bei
näherer Betrachtung zeigt sich, daß diese „dialektischen
Anmaßungen" im Grunde alle in verschiedenen Wendungen
wiederholen, daß wir mit unseren Begriffen und Prinzipien
das unwahrnehmbare Seiende erreichen w'oUten, w^ährend
1 Vgl. Geyser, Das phil. Gottesproblem 151 — 152. Schill, Prin-
zipienlehre 96.
2 Rolfes, Die Gottesbeweise 279. Vgl. Reinhold, Die Welt als
Führerin zur Gottheit 201.
Einwände gegen den kosmologischen Kontingenzbeweis. l^i^
wir doch nur von den empirischen Gegenständen wissen
könnten, ob und was sie seien. ^
Die Anmaßungen sind auf selten Kants.
Was die „erste Anmaßung" betrifft, so erwidert
Schill: „Jeder richtige Schluß geht vom Gegebenen auf
Nichtgegebenes. Das Gegebene darf ich nicht auf das
empirisch Gegebene beschränken, ist doch auch sogar
Sinnliches infolge Entfernung, Vergangenheit wahrhaft
gegeben und doch empirisch nicht erreichbar, ebenso das
Übersinnliche. Die notwendigen Voraussetzungen des
Empirischen sind und müssen sein Wirklichkeiten, sonst
hätten sie das Empirische nicht hervorbringen können." -
Mit dem Kantschen Prinzip ist jede objektive Erkenntnis
in Frage gestellt.
Zur „zweiten Anmaßung" bemerkt Geyser treffend:
„Nun, wer sich eine unendliche Kette von zufälligen, d. i.
kontingenten Dingen denkt, denkt sich eben unendlich
viele kontingente Dinge, oder er denkt sich unendlich
oft Dinge, deren Dasein eine Ursache verlangt oder die
bedingt sind. Es ist aber ein ebenso evidenter Wider-
spruch, zu sagen, daß nur Bedingtes und kein Unbedingtes
existiere, als es einen Widerspruch einschlösse, sich etwa
unendlich viele Bilder zu denken, die alle Kopien von-
einander wären, ohne daß eines derselben nicht Kopie,
sondern nur das Original wäre."^ Die bedingten Dinge
bedürfen unter allen Umständen zu ihrem Sein und Wirken
eines unbedingten Seins- und Tätigkeitsgrundes.
Was sodann die „dritte Anmaßung" anbelangt, so
gibt sich unsere Vernunft keiner falschen Selbstbefriedigung
hin, wenn sie beim Begriff des unbedingt notwendigen
Wesens stehen bleibt. Zwar können wir die Notwendigkeit
Gottes nicht in sich selbst erkennen und näher bestimmen,
aber wir können seine Natur und die Art seiner Tätigkeit,
nachdem wir seine Existenz festgestellt haben, untersuchen
' Geyser, Das phil. Gottesproblem 152.
- Schill, Prinzipienlehre 94.
'^ Geyser a. a. 0. 152.
100 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
und so zur Erkenntnis seiner Einzigkeit, unendlichen Voll-
kommenheit und Persönlichkeit gelangen.^
Endlich existiert die „vierte Anmaßung" überhaupt
nicht; der kosmologische Beweis schließt nicht vom Begriff
des vollkommensten Wesens auf sein Dasein, wie der on-
tologische Beweis, sondern von Tatsächlichem auf Tat-
sächliches als Grund des Tatsächlichen, vom Dasein des
bedingt Wirklichen auf das Dasein des unbedingt Wirk-
lichen. „Dies ist weit weniger eine , dialektische Anmaßung',
als wenn Kant das Dasein Gottes als Postulat der prak-
tischen Vernunft zugibt. Denn letzteres ist ein Übergang
vom Gedachten zum Wirklichen, wenn auch aus Vernunft-
bedürfnis und nicht aus Erkenntnisurteil." -
b) Einwände von Seiten des Monismus.
D. F. Strauß erhebt gegen den Kontingenzbeweis
folgende zwei Einwände:
1. Das vom Kontingenzbeweis erschlossene notwendige
Wesen braucht kein persönliches zu sein.
2. Auf dem Wege der Schlußfolgerung komme man
über die Welt nicht hinaus. Wenn auch von den Welt-
dingen jedes seinen Grund in einem anderen habe, so sei
doch für die Gesamtheit derselben nicht eine Ursache
anzunehmen, deren Wirkung die Welt wäre, sondern eine
Substanz, deren Akzidentien die Weltwesen sind. Es ergebe
sich nur ein auf sich selbst ruhendes, im ewigen Wechsel
der Erscheinungen sich gleichbleibendes Universum.-^
Pesch nennt diesen ersten Einwand den gediegensten.''
Man antwortet darauf: Der Grundgedanke des Gottes-
bew^eises ist der: Aus dem wirklichen Dasein der Welt
» Vgl. Lehmen, Theodizee-^ 38—39.
- Schanz, Apologie P 199. Vgl. auch Vosen, Das Christentum
154 — 57. Pesch, Die Verurteilung des Beweises für das Dasein Gottes
durch die moderne Naturwissenschaft. Stimmen aus M.-Laach 11 (187(3)
132. Hontheim, Theodic. 280—81.
3 Strauß, Alter und neuer Glaube 252. Bonn 1882.
* Pesch, Die Verurteilung des Beweises usw. Stimmen aus M.-
Laach 11 (1876) 124.
Einwände gegen den kosmologischen Kontingenzbeweis. 10.
wird das wirkliche Dasein Gottes als das ens a se ge-
schlossen. Aus der Aseität aber erkennen wir in weiterer
Schlußfolgerung die Unendlichkeit, Einheit, Geistigkeit,
also Persönlichkeit Gottes. Ferner das Wesen, das kon-
tingente Dinge schafft, muß eine causa libera sein; das
ens a se, das den Menschen und seine vernünftige Seele,
das also Persönlichkeiten hervorgebracht hat, muß doch
mindestens so vollkommen sein als seine Wirkung.
Was den zweiten Einwand betrifft, man komme auf
dem Wege einer ordentlichen Schlußfolgerung nicht über
die Welt hinaus, so ist zunächst zu beachten, daß der
Schluß vom verursachten Endlichen auf das Absolute nicht
sprunghaft ist; denn das Bedingte kommt dabei nicht als
Seinsgrund, sondern als Erkenntnisgrund in Betracht.
Ferner, unsere Vernunft verlangt für die Weltdinge, die
alle einzeln den Grund ihres Daseins außer sich haben,
ein ganz anderes Wesen als die Gesamtheit der Weltdinge.
„Ein auf sich selbst ruhendes Universum ist blühender
Unsinn." '
Eingehend beschäftigt sich Schell mit den beiden
Grundsätzen des Strauß sehen Einwands : Was vom
Einzelwesen gelte, gelte deshalb noch nicht vom Welt-
ganzen; was von den Erscheinungen auszusagen sei, gelte
noch nicht von der Substanz, vom Wesensgrund.
Auf den ersten Satz erwidert er: „Es gibt allerdings
Gesamtheiten im Sinne von Kollektivganzen, welche Träger
eigentümlicher Eigenschaften sind, wie Gemeinde, Heer,
Kirche, Schule usw. Was von diesen gilt, braucht noch
nicht von den Einzelwesen zu gelten, aus welchen die
Kollektiveinheit besteht. Allein das bezieht sich nur auf
solche Eigenschaften, welche durch das Zusammenwirken
oder Zusammensein von mehreren Menschen . . . ent-
stehen, aber nicht auf solche Eigenschaften, die einen
eigentümlichen Wesens- oder Einheitsgrund voraussetzen,
i Vgl. Hontheim. Theodic. 121—22. Schill. Prinzipienlehre 9G.
Lehmen, Theodizee- 40. Weber, Christi. Apol. 64. Pesch, Die
Verurteilung des Beweises für das Dasein Gottes 117. Dippel, Die
beiden Grundfragen der Gegenwart 209. Freib. 1877: u. a.
102 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
wie dies der Fall ist bei den „innerlichen Wesen", „Seele
und Geist".
' Die Welt ist und bleibt eine Gesamtheit von Welt-
körpern und Stoffmassen, von Lebensbedingungen in min-
der geschlossener Einheit und von einzelnen Bewohnern.
Bei den Lebens- und Daseinsbedingungen hat weniger die
Einheit eine Bedeutung als der Vorrat und die Masse —
die materielle Seite; bei den Bewohnern steht die lebendige
Einheit im Vordergrund. Folglich kann auch die Welt
als Ganzes nicht Eigenschaften haben, die sie nur als ein
neues Wesen haben könnte, wie die Pflanze im Unterschied
von ihren Gliedern und ihrer Nahrung eine Menge von
Eigenschaften hat.
Allein jene Eigenschaften, auf welche es hier ankommt,
kann die Welt nicht einmal als neues Wesen haben: die
Ewigkeit, Vollkommenheit, Selbstwirklichkeit, Gesetz-
mäßigkeit, Unbedingtheit . . . Solche Verschiedenheit in
ihren Eigenschaften müßte indes die Welt aufweisen,
wenn sie der Erklärungsgrund ihrer eigenen Existenz
und Beschaffenheit sowie aller ihrer Bestandteile und
ihrer Bewohner sein sollte.
Alle Eigenschaften, welche Gott beigelegt werden,
bereiten ebensoviele Nötigungen, beim Suchen nach einem
Erklärungsgrund der Wirklichkeit über die Welt als Welt-
all und Gesamtheit hinauszugehen." ^
Den zweiten Satz, man komme auf dem Wege der
ordentlichen Schlußfolge über die Welt nicht hinaus, weist
er zurück mit folgenden Erwägungen: „Wenn der Monis-
mus die Erscheinungen von der Wesenheit trennt, so schafft
er eine Gespensterwelt, um in ihr Dunkel zu flüchten vor
der Erkenntnis Gottes. Ein verborgenes, unbekanntes,
ganz anders geartetes und geheimnisvolles Wesen in der
Tiefe des Weltganzen und hinter dem Schleier der Er-
scheinungswelt soll durch seine unbekannten Vorzüge all
das leisten, was eben die Annahme Gottes notwendig
macht . . .
' Schell, Gott und Geist II 62—65.
Einwände gegen den kosmologischen Kontingenzbeweis. 103
Forderung des wissenschaftlichen Denkens ist: Wir
müssen über die Welt hinaus, wenn wir den hinreichenden
Grund in der Welt selbst nicht finden können. Die Ver-
nunft mag wohl den Versuch machen, die Welt aus sich
selbst zu erklären; wenn sie mit diesem Versuch indes
grundsätzlich scheitert, dann soll sie wieder zu sich selbst
kommen und die hinreichende Erklärung der Welt dort
suchen, wo sie allein sein kann, wenn sie nicht in der
Welt selber zu finden ist, über der Welt, in Gott . . .
Die Welt ist nicht geeignet, als einheitliches Wesen
gefaßt und erklärt zu werden . . .
Obige Grundsätze, mit welchen sich der Monismus
einführt, sind keine Axiome, sondern Gewalttaten gegen
das Denken und gegen die Grundvoraussetzung aller Er-
kenntnis: daß in den Erscheinungen das Wesen offenbar
werde. Es wird gerade das Dunkel des jenseitigen Geheim-
nisses herbeigerufen, um einen unbestimmten Weltgrund
hineinzudichten; man gibt lieber alle Erkenntnis preis, um
nur die Erkenntnis des überweltlichen Gottes von sich
abzuwehren." 1
Hagemann nennt es „eine Halbheit des Denkens,
wenn der Denkgeist den Weltgrund nicht als wesentlich
verschieden von der Welt auffaßt". „Freilich muß dieser
Weltgrund der Welt als seiner Wirkung ähnlich sein.
Aber wollte man daraus folgern, daß er bedingt, endlich
und veränderlich sein müsse, weil die Dinge diese Be-
schaffenheit haben, so würde man damit die denknotwendige
Wahrheit aufgeben, daß der Weltgrund unbedingt, unend-
lich und unveränderlich ist. Um diese festzuhalten, darf
man die Ähnlichkeit der Welt mit ihrem ewigen Grund
nicht als Gleichwesenheit bestimmen, sondern muß den
Weltgrund als persönlichen Welturheber fassen, welcher
nicht aus seinem Wesen die Welt entlassen, sondern durch
seinen Willen nach dem Vorbild seines Wesens sie gesetzt
hat."- „Die Welt ist in ihrer Existenz durch das Absolute
» Schell, Gott und Geist II 67—70.
- Hagemann, Metaphysik 179.
104 Kosmologischer Kontingenzbeweis.
bedingt nach Analogie des menschlichen Wollens, das auch
Wirkung ohne Substanzangabe setzt." ^
c) Einwände von selten des Materialismus.
Der Materialismus will der Schlußfolgerung des kos-
mologischen Beweises dadurch entgehen, daß er Stoff und
Bewegung für ewig erklärt. Der Hauptvertreter dieser
Ansicht ist Büchner.- Als Grunddogma des Materialismus
erklärt er die vollkommene Einheit von Kraft und Stoff
reell und ideell, die wahre Unsterblichkeit der Atome des
Stoffes und der Kraft, die Bewegung als notwendiges und
unentbehrliches Attribut der Materie und des gesamten
organischen und unorganischen Daseins. Daher sei die
Bewegung ewig und unerschaffen wie der Stoff selbst; es
gebe kein Sein, alles sei unaufhörliches Werden, nur der
Wechsel sei beständig.
Treffend antwortet Schell: „Es ist richtig, Stoff und
Bewegung sind tatsächlich verbunden; allein gerade diese
Tatsache fordert eine Erklärung, warum beide miteinander
verbunden sind, zumal die innere Beschaffenheit der Materie
keine einzige der tatsächlichen Bewegungsformen und
Kraftarten mit sich bringt. Büchner nimmt einfach die
Tatsache als den Beweis dafür, daß die Bewegung ein not-
wendiges und unentbehrliches Attribut der Materie sei.
Die Ewigkeit ist keine Erklärung weder für die Bewegung
noch für die Existenz.
Sodann bleibt die Hauptfrage: Ist der Urstoff mit
seinen mechanischen Eigenschaften der Erklärungsgrund
von Leben und Geist, d. h. ohne daß er selbst in jedem
Atom lebendig ist und denkt, oder ist der Urstoff in jedem
Atom selber schon wirkliches Leben und wirklicher Geist?
Wenn man mit Büchner behauptet, das Bewußtsein sei
'■ Sprinzl, Fundamentaltheologie 24.
•^ Büchner, Kraft und Stoff. 2 Frankfurt a. M. 1856. Der von B.
vertretene Materialismus stellt die gröbere Form des Materialismus dar;
die feinere Form, der mechanische Monismus, sucht dem Denken besser
zu genügen, indem er allgemein gültige Gesetze für alles Geschehen auf-
stellt. Vgl. Schanz, Apol. P 580—81.
Einwände gegen den kosmologischen Kontingenzbewei.s, l^^O
erst die Eigenschaft der sehr fein organisierten Materie,
dann ist das Atom weder Gedanke noch Wille, also dieser
geistigen Vorzüge bar, und wird trotz dieser Armut und
trotz dieses Mangels an Innerlichkeit als das Prinzip des
Geistes ausgerufen . . . Leicht ist es, dem Stoff alle Vor-
züge der Welt zuzuschreiben, aber schwer, darzulegen, wie
er Leben und Geist, Gesetz und Fortschritt, Bewußtsein
und Liebe zeige, berge, verberge, hervorbringe — und
zwar auf dem einzigen Wege, der ihm zugänglich ist,
durch Verbindung zahlloser Atome. Innerlichkeit und
Selbstbewußtsein bekunden den Geist; der Stoff ist das
Nebeneinander von Einheiten, welche keine
Innerlichkeit haben. Und doch muß schon Büchner
gestehen, daß die einfachsten Leistungen des Stoffes selber
nicht mehr Stoff sind! Um wieviel weniger das Denken
und Wollen, Wahrheit und Güte?"i
Es hat darum Schanz recht, wenn er sagt: „Der
alhveise Zufall und die Erhaltung der Energie mögen
ein einfaches Glaubensbekenntnis bilden, eine genügende
Welterklärung bieten sie nicht. Dieser Materialismus ist
nicht einmal imstande, sich selbst oder sein Prinzip zu
definieren: die Materie, wie alte (Lamettrie) und neue
(Häckel) Materialisten unumwunden zugeben. Ungleich
schwerer ist es dem mechanischen Monismus, die Erschei-
nungen auf dem Gebiete des geistig sittlichen Lebens auch
nur einigermaßen aufzuhellen . . .
Ist es nicht eine Mythologie ersten Ranges, und geh(")rt
nicht seltene Naivität dazu, um zu glauben, daß der Tanz
kleiner Würfel oder Sphären, genannt Atome, der Grund
des Seins, des Lebens, der Empfindung, des Gedankens sei?
Selbst wenn der mechanische Monismus erklären könnte,
was Materie und Kraft seien und wie das Bewußtsein zu-
stande komme, hätte er über die Bedeutung und den Sinn
des Seins, der Welt, des Menschen keinen Aufschluß
gegeben. Empfindung, Gefühl, Bewußtsein, Selbstbewußt-
sein, Wille, Freiheit, Pflicht, also die ganze Größe und
1 Schell, Gott und Geist II 44 — 4G.
106 Teleologischer Gottesbeweis.
Macht des Lebens und der Menschheit fallen dem Ignoramus
et ignorabimus anheim ... Es kann aber keinen stärkeren
Beweis gegen die Zulänglichkeit einer Weltansicht geben,
als daß sie das Dasein des Geistes für etwas Rätselhaftes
erklären muß."^
Das Welträtsel findet nur seine Lösung in der Existenz
eines außer- und übernatürlichen, persönlichen Gottes.
Achtes Kapitel.
Teleologischer Gottesbeweis.
Wenn der kosmologische Kontingenzbeweis uns nötigt,
eine ewig existierende, notwendige, aus sich selbst seiende
Weltursache anzunehmen, so sagt uns der teleologische ^
Gottesbeweis, daß wir diese ewige Weltursache, diesen
höchsten Weltgrund in einem mit Vernunft und nach
Zwecken wirkenden, also persönlichen Wesen suchen
müssen.
So ist der teleologische Beweis eine Erweiterung und
Fortführung des kosmologischen Beweises. Aber im Unter-
schied vom kosmologischen Beweis nimmt der teleologische
seinen Ausgangspunkt von der Gesetzmäßigkeit und Ziel-
strebigkeit der Weltdinge, d. i. von der zweifachen Tat-
sache, daß die Weltdinge sowohl passiv zielgemäß geordnet
sind, als auch aktiv zur Realisierung gewisser Zwecke
hinstreben. •
Die Scheidung von Gesetzmäßigkeit und Zielstrebig-
keit wird in neuerer Zeit besonders betont, so von Gut-
beriet/ Schell,^ Braig,^ Schill,' Vosen^ u. a. So
1 Schanz, Apol. P 582—84.
- Auch physikotheologischer Beweis genannt. Der Erfinder des Ter-
minus Physikotheologie ist Derham. Vgl. Schanz, Apol. P 470 Anm.
•' Reinhold, Die Welt als Führerin zur Gottheit 121.
■^ Gutberiet, Apologetik P 186—194.
- Schell, Gott und Geist II 184—304—441.
•' Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise'? 155 — 227.
"' Schill, Prinzipienlehre 97 — 126.
8 Vosen, Das Christentum 288—310.
Nomologischer Gottesbeweis. 107
werden aus dem physikotheologischen Beweis zwei Gottes-
beweise: der nomologische und der teleologische Beweis.
Durch diese Scheidung des alten Begriffs der Zweck-
mäßigkeit in zwei Begriffe (Gesetzmäßigkeit und Ziel-
strebigkeit) wurde größere Klarheit und schärfere wissen-
schaftliche Formulierung erzielt.^ „In der Gesetzmäßigkeit
offenbart sich unmittelbar der unterscheidende und ver-
knüpfende Gedanke, in der Zielstrebigkeit bekundet sich
die treibende Kraft des Wollens . . .
Durch das gründliche Auseinanderhalten der Gesetz-
mäßigkeit und Zielstrebigkeit wird eine rein theoretische
und darum mehr ideale Betrachtung begünstigt. Durch
die Voranstellung des Begriffes , Gesetzmäßigkeit* wird
sowohl die Gefahr als der Verdacht einer mehr utilita-
ristischen Naturbetrachtung ferngehalten, die von dem
einseitigen Gesichtspunkte des praktischen Nutzens für
diesen oder jenen Zweck oder Vorteil dieses oder jenes
Wesens aus urteilt und darum mit Recht verpönt wird."-
Sodann wird durch die Unterscheidung von Gesetz-
mäßigkeit und Zielstrebigkeit die Anerkennung der großen
Tatsache erleichtert, daß die gesamte Natur von bestimmten
Gesetzen einheitlich beherrscht und gegliedert ist. Dies
ist wächtig gegenüber der Kritik des teleologischen Gottes-
beweises, die vor allem daran Anstoß nimmt, daß die
Zweckmäßigkeit sich nur auf dem Gebiet des organischen
Lebens nachweisen lasse.-^
§ 13.
Nomologischer Gottesbeweis.
a) Formulierung des Bew^eises.
Grundlage des nomologischen Beweises ist die in der
Welt herrschende Gesetzmäßigkeit, gesetzmäßige Ordnung.
Diese Gesetzmäßigkeit der Welt bestimmt Schell dahin,
„daß ihre Konstitution oder Einrichtung auf folgenden
1 Schill, Prinzipienlehre 199.
2 Schell, Gott und Geist II 184—185.
8 A. a. 0. 208-209.
108 Teleologischer Gottesbeweis.
Grundlagen ruht: 1. auf dem bestimmten Unterschied der
Arten des Wesens und Wirkens, des Seins und Geschehens,
unbeschadet der Verwandtschaft aller Arten in abgestufter
Gliederung, sodann 2. in der Individualisierung der Ur-
sächlichkeit sowie auf der Selbständigkeit des Einzelwesens
unbeschadet der allgemeinen Gemeinschaft des Wirkens
und Leidens, unbeschadet der wechselseitigen Abhängigkeit
aller Einzeldinge voneinander in abgestufter Ordnung . . .
Diese Gesetzmäßigkeit waltet ausnahmslos und all-
gemein in der ganzen Welt, nicht bloß in den Ordnungen
des organischen Lebens, sondern von den Urelementen an
bis hinauf in die Welt des Geistes und der Freiheit. Alles
ist beherrscht von dem Gesetz der Artbestimmtheit sowie
der individuellen Ursächlichkeit und der selbständigen
Einzelwesen, der allgemeinen Verwandtschaft und der
stufenweisen Zusammenordnung in individuelle kleinere
und größere Gesamteinheiten . . ."^
Einfacher definiert Schill die Gesetzmäßigkeit „als
das Verhältnis der Ordnung (Unter-, Bei- oder Überord-
nung), in welchem die Dinge untereinander und zu ihrer
Gesamtheit stehen".-
Straub versteht darunter „das stabile, beharrliche,
stets und überall sich gleichbleibende Verhalten, welches
die Natur wesen in ihrem Sein und Wirken offenbaren". "^
Näherhin begründet man die Gesetzmäßigkeit der
Welt
1. aus der tatsächlichen Geltung und beständigen
gleichmäßigen Wirksamkeit der Naturgesetze im Reiche
des Anorganischen;
2. aus der Konstitution der Organismen. „Im Reiche
des Lebens ist es zwar nicht möglich, alles in die geo-
metrischen Formeln der mechanischen Bewegung einzu-
schnüren. Dessenungeachtet ist auch das Lebendige in ein
Netz unzerstörbarer Normen gespannt, deren Befolgung
für jedes organische Gebilde Lebensbedingung ist";
1 Schell, Gott und Geist II 185—189; vgl. 207-208.
- Schill, Prinzipienlehre 100.
^ Straub, Der teleologische Gottesbeweis I 13. Würzburg 189-4.
Nomologischer Gottesbeweis. 10l>
;i aus den Grundgesetzen des menschlichen Empfindens,
Denkens und Handelns, also aus den Tatsachen im Reiche
des Intellektuellen oder des geistig-sittlichen Gebietes.
Der beste Beweis für die Herrschaft von Gesetz und
Ordnung in der Welt sind die zahlreichen Wissenschaften,
die sich die Erforschung und wissenschaftliche Erkenntnis
der Welt zum Ziele gesetzt haben. ^
Diese Ordnung ist eins mit den Dingen, bestimmt ihr
Wesen und ihre Natur, mit einem Wort: es ist nicht bloß
äußere, sondern innere, eine substantielle Gesetzmäßigkeit,
was besonders hervorgehoben wird. „Die Naturwesen sind
wesenhaft geordnet, so daß die Gesetzmäßigkeit aus ihrer
innersten Natur hervorwaltet. Die Gesetzmäßigkeit kommt
nicht zur Konstitution der Dinge nachträglich hinzu, son-
dern offenbart sich gerade in ihrer ganzen Wesensanlage
als Bildungsgesetz auch des elementaren Urstoffs."-
Auf Grund der die Welt beherrschenden Gesetzmäßig-
keit formuliert man nun den nomologischen Gottesbeweis
mit folgendem einfachen Schluß:
„Gesetzmäßigkeit und Ordnung fordern überall, wo sie
erscheinen, einen intelligenten Gesetzgeber und Ordner als
Urheber. Nun sind aber Gesetz und Ordnung in der Welt
unleugbar; also ist die Welt das Werk eines intelligenten
Urhebers, der darum existieren muß, und den wir Gott
nennen." (Schill.)-^
Oder mit Schell: „Die in der Welt herrschende Gesetz-
mäßigkeit ist nur aus dem Gedanken einer überweltlichen
Vernunft zu erklären. Sie ist ja die Herrschaft allgemein
ofültiffer Formen und Beziehungen in der Welt des ein-
zelnen. Das Allgemeine kann indes nur im Geiste Bestand
gewinnen und nur durch den Geist zum maßgebenden
' Vgl. Braig, Gottesbeweis 187-195. Schell, Gott iiml Geist
11 189. 303—304. Hontheim, Theod. 159 sqq. Schanz, Apologie P
4f4._461. König, Schöpfung und Gotteserkenntnis 256 ff. Schill.
Prinzipienlehre 100—102. Boedder. Theo), nat. 52 sqq.
2 Schell a. a. 0. II 303. Schill. Prinzipienlehre 100. Sprinzl.
Fundamentaltheol. 29—30.
■^ Schill, Prinzipienlehre 100.
110 Teleologischer Gottesbeweis.
Gesetze werden. Dieser gesetzgebende Geist ist absolut
oder vollkommen selbständig in seinem Denken, da er auch
die Grundeigenschaften der Materie, das Urgesetz ihrer
elementaren Organisation und mechanischen Beschaffenheit
erklären muß, weil er schöpferische Ursache der gesetz-
mäßig verlaufenden Entwicklung und der sich hieraus
ergebenden Ordnung sein muß."^
Schulgemäßer faßt Braig den Beweis.
„Obersatz: Jedes Seiende, soweit die Wahrnehmung im
Reiche des Materiellen, Lebendigen und Geistigen dringen
mag, ist gesetzmäßig bedingt; die Bedingtheit der Welt
hat die unverletzliche Form der Weltordnung, des Seins-
gesetzes.
Untersatz : Gesetz und Ordnung, mögen die Worte als
beharrende Formen des physischen oder des ethischen
Verhaltens verstanden werden, mögen sie auf dem phy-
sischen Gebiete ihren ursprünglichen und auf dem
ethischen Gebiete einen übertragenen Sinn haben oder
umgekehrt — Gesetz und Ordnung sind nicht anders
faßbar denn als Ausdruck des Sammeins von Vielheiten
zu Einheiten, des Verbindens von Einheiten zu Einheits-
gruppen. Sie sind im materiellen wie in dem lebendigen
und geistigen Sein nicht anders wirklich denn als der
sichtbare Erfolg eines Scheidens und Unterscheidens,
welches die Formen des natürlichen Soseins und die Ver-
hältnisse ihres Zusammenseins vorausgewirkt hat.
Schlußsatz : Soll also der Absolute der zureichende,
einzige und allgenügende Weltgrund sein, dann muß er,
indem er die Gesamtheit des Bedingten dem Sein nach
bewirkt, auch die Form der Bedingtheit, die Weltordnung,
die Unterschiede ihrer Elemente und die gesetzmäßigen
Einheiten aller Unterschiede bewirken. Folglich muß der
Weltgrund selber Unterscheiden, Denken und Ordnen
sein." "
' Schell, Gott und Geist 11 c03.
- Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 195 — 196. Vgl. Vosen
Das Christentum 292-97.
Nomologischer Gottesbeweis. 111
Das nomologische Argument erweist also Gott als die
freie, intelligente Ursache der Weltordnung, als schöpfe-
rische Weisheit.
b) Einwände gegen den nomologischen Gottesbeweis.
Zur Erklärung der in der Welt tatsächlich bestehenden
Ordnung und Gesetzmäßigkeit gibt es nur zwei Möglich-
keiten: entweder sie ist von einer schöpferischen Vernunft
begründet oder durch Zufall entstanden. Ersteres ver-
werfen die Gegner der christlichen Weltanschauung, darum
bleibt nichts anderes übrig, als den Zufall als Erklärungs-
grund anzunehmen oder überhaupt auf eine Erklärung zu
verzichten.
Ist aber der Zufall wirklich eine Erklärung? An
und für sich ist es zwar nicht unmöglich, daß einmal durch
Zufall eine Ordnung hergestellt wird, wenn es sich handelt
um eine kleine Anzahl von Elementen und um eine ein-
fache Ordnung; in einzelnen Fällen und bei einzelnen
Individuen können wir von Zufall reden. In der Welt
aber handelt es sich nicht um eine einmalige Lagerung
der Atome, sondern um eine dauernde, nach festen Gesetzen
regelmäßig wiederkehrende, wobei die Atome in einer Menge
von Beziehungen zueinander und zur Gesamtheit stehen;
da ist Zufall ausgeschlossen. Denn jede „zufällige Ordnung"
wirkt selten, regellos und ausnahmsweise.^ Was heißt
überhaupt Zufall? Einen absoluten Zufall gibt es nicht.
Darum sagt mit Recht Vosen:- „Es ist ein reines Spiel
mit Worten, ein abgeschmacktes Sophisma, als Ursache
der Weltordnung den Zufall zu nennen und sich ernstlich
.-»Lehmen, Theodizee- 64. Gutberiet, Monismus 262 tT.; Theo-
dizee-^ 126 ff. Scliill. Prinzipienlehre 103—104. Pesch, Weltrütsel 1-
316-318.
Gutberiet sucht au der betr. Stelle mit Hilfe der Wahrschein-
lichkeitsrechnung darzutun, dali Zufall völlig ausgeschlossen sei. Dagegen
wendet sich Isenkrahe: „Über die Verwendung matliematischer Argu-
mente in der Apologetik." Natur und Offenbarung 52 (1906) 257—269.
415—432, 605—617. Er bält dalür, daß die Wahrscheinlichkeitsrechnung
dem apol. Zweck eher nachteilig als nützlich ist. A. a. 0. 611.
- Vosen, Christentum 294.
1 1 ^ Teleologischer Gottesbeweis.
SO zu benehmen, als ob man eine wirkliche Ursache und
gar noch eine zureichende genannt habe, während man
nur das Nichtvorhandensein oder die Nichterkenntnis einer
Ursache in einem vieldeutigen Wort ausgesprochen hat."
„Den Zufall als Ursache setzen, heißt eine Wirkung setzen
ohne Ursache, den Geist, der immer und notwendig nach
dem Grund der Erscheinung fragt, mit der Geistlosigkeit
zufrieden stellen." ^
Deswegen verbannt auch die atheistische Wissenschaft
neuerer Zeit den „Zufall" als leeres Wort aus ihrer Welt-
auffassung. Aber es ist nur ein anderes Wort für dieselbe
Sache, wenn der Materialismus durch das sog. „blinde
Spiel der Kräfte" die Ordnung in der Welt restlos erklären
Avill in dem Sinne, daß er dies an die Stelle der ersten
Ursache setzt,
„Das blinde , Spiel der Kräfte', wie es der mechanistische
Atomismus für das Weltganze, der materialistische Dar-
winismus für das engere Gebiet des Lebens annimmt, soll
im Universum wie in der Lebewelt unter zahllosen miß-
lungenen Versuchen auch Gelungenes erzeugen, durch den
Vorzug der Dauerhaftigkeit das Gelungene anhäufen und
befestigen und so die ganze Gesetzmäßigkeit erklären." -
Der Materialismus nimmt eine unendliche Vielheit von
gleichen Uratomen an und behauptet, aus dem gedanken-
und planlosen Durcheinanderwirbeln der Atome in ihrem
unendlich langen Spiel seien auch einmal dauerhafte Ge-
bilde mit Notwendigkeit entstanden. Diese seien in ihrem
Fortbestande gesichert gewesen, weil sie glückliche Zu-
sammenfügungen gewesen seien; sie hätten sich immer
mehr angehäuft, so daß der Eindruck eines Sj^stems von
Arten entstand, weil das Nicht-Dauerhafte ebendeswegen
unterging und nur Dauerhaftes übrig bleiben konnte.
Auf dem Gebiete des Lebens klammert er sich an den
Darwinismus an mit seinem Prinzip der natürlichen Zucht-
wahl durch den Kampf ums Dasein und behauptet, da nur
1 Hettinger, Apologie 1« 133.
2 Schell, Gott und Geist II 217.
Nomologischer Gottesbeweis. 113
das Tüchtigere wegen seiner Tüchtigkeit überlebe, so ent-
stehe von selbst die beste und schönste der Welten, welche
durch ihr ganz mechanisches Entwicklungsprinzip zu end-
losem Fortschritt aufwärts getrieben werdet
Indes „alle Verhältnisse und Umstände, welche die
mechanische Entwicklungslehre anruft, sind unfähig, das
zu erklären, was sie erklären sollen. Denn sie setzen alle
die eigentliche Wirkursache voraus, welche bestimmt und
vollbringt." „Analyse und Summierung der Teile und
Umstände ist noch lange keine hinreichende Erklärung." -
Zudem sind die Prinzipien des Darwinismus durchaus
teleologisch und fordern zu ihrer Erklärung die Vernunft.
Die Berufung des Materialismus auf Naturnotwendigkeit
gibt keine Erklärung der Weltordnung in ihrem letzten
Grunde, „sie verlegt den Zufall nur um eine Stufe rück-
wärts, aus den geordneten Weltdingen in ihre unmittel-
baren Ursachen".^
Die Annahme einer gesetzgebenden Vernunft und einer
teleologischen Ursächlichkeit ist auch keine Vergewaltigung
der Natur oder macht auch nicht jede wissenschaftliche
Erklärung unmöglich, wie Lange^ einwendet. Denn „die
teleologische oder geistige Ursächlichkeit steht nicht neben
der mechanischen, sondern über ihr, sie ergänzt sie nicht
äußerlich, sondern begründet, trägt und bestimmt sie,
beherrscht und lenkt sie. Der Geist muß erklären, was
die mechanische Ursächlichkeit nie erklären kann und
was doch in der Natur vorhanden ist: die Einheit, die
Überlegenheit der Wirkung hinsichtlich ihres Wertes im
Vergleich zu den wirkenden Naturursachen, die Verwandt-
schaft und Zusammengehörigkeit aller Dinge, die Beziehung,
welche die Teile zum Ganzen und hinwiederum die Ein-
heiten zu einer Gesamtheit verknüpft".^
1 Vgl. Schell, Gott und Geist II 216—217.
' A. a. 0. II 241, 244.
8 Schill, Prinzipienlehre 104. Vgl. Hagemann, Metaphysik« 180.
* F. A. Lange, Geschichte des Materialismus II ' 273.
6 Schell a. a. 0. 259.
Staab, Gottesbeweise in der kath. Literatur. O
114 Teleologischer Gottesbeweis.
Sowenig wie der Materialismus kann der
Pantheismus
die Ordnung in der Welt erklären.
Er will die Gesetzmäßigkeit, welche die Welt und ihre
Entwicklung beherrscht, aus der immanenten Notwendig-
keit des einheitlichen Weltgrundes und aus der substan-
tiellen Einheit des Weltalls ableiten.
Nach dem monistischen Grundgedanken ist „die Ent-
wicklung zur gesetzmäßigen Ordnung und Mannigfaltigkeit
des Kosmos erklärbar ohne eine bewußte und absichtliche
Ursächlichkeit, ohne planmäßige Anlage und Zusammen-
ordnung, wenn nur die Wesenseinheit aller Dinge, sowie
der unbewußte Willensdrang zum Dasein und vielleicht
auch noch eine unbewußte Idee vorausgesetzt wird, um
jenem dunklen Willensdrang überhaupt eine Richtung zu
geben".
Doch der Versuch, das pantheistische Absolute zum
Prinzip der Teleologie zu machen, ist ein Widerspruch in
sich, weil er Gedanken ohne denkenden Geist verwirk-
lichen will. „Von der monistischen Substanzeinheit kommt
man verständlicherweise ebensowenig zur Erklärung der
gesetzmäßigen Unterschiede und Wechselbeziehungen, wie
von der materialistischen Vielzahl der Atome und der
Gleichheit des Urstoffes. Wie anders könnte das Urwesen
in die Unterschiedenheit der Arten und Formen ausein-
andergehen als durch Denken und Gestalten und Unter-
scheiden?" Wie anders hätte das von ihm betätigt werden
können als durch den Willen?^ Auch der Pantheismus
tut nichts weiter, als daß er den Zufall wieder einen Schritt
weiter in einen Urgrund verlegt.-
^ Schell, Gott und Geist II 297. Vgl. 268; 285. Gutberiet,
Apologie P 189. Schill, Prinzipienlehre 104. Hagemann, Meta-
physik ^ 181. Straub, Der teleol. Gottesbeweis 11 65—77.
2 Gutberiet a. a. 0. 129.
Formulierung des Beweises. 115
§ 14.
Teleologischer Gottesbeweis.
a) Formulierung des Beweises.
Der teleologische Gottesbeweis geht aus von der in der
Welt herrschenden Zielstrebigkeit. Die neue Terminologie:
Ziel, zielstrebig, Zielstrebigkeit im Unterschied von Zweck,
zweckmäßig, Zweckmäßigkeit hat bekanntlich K. E.v. Baer
in die Wissenschaft eingeführt, um jene anthropomorphe
Auffassung der Teleologie zu beseitigen, wie sie im Gegen-
satz zum ganzen Mittelalter viele Physikotheologen des
17. und 18. Jahrhunderts zum größten Nachteil der Teleologie
vertraten. Dieser Teleologie macht Baer zum Vorwurf,
daß sie die Zwecke durch unmittelbares Eingreifen Gottes
erreicht denke, daß sie die Zwecke auf menschliche Weise
gebildet sich vorstelle, und daß sie nur Zwecke, nicht Not-
wendigkeiten, durch welche sie erreicht werden, im Auge
habe, gleich als ob Zwecke die Notwendigkeit ausschlössen.
Baer leugnet nicht, daß die Zwecke in der Natur
ihren letzten Grund in Gott haben, betrachtet es aber als
eine Gottes unwürdige Vorstellung, wenn man die Ziele
als unmittelbar von Gott gesetzt und nicht durch die Not-
wendigkeit der Naturgesetze erreicht wähne.
Wegen der anthropomorphen Bedeutung, die dem
Wort Zweck anhaftet, da Zweck nur menschliche Ver-
hältnisse bezeichne, ein mit Bewußtsein und Freiheit
gewolltes Ziel sei, will Baer den Ausdruck „Zweck",
„Zweckmäßigkeit" von Naturvorgängen nicht gebraucht
wissen. Wohl aber darf hierauf das Wort Ziel, Ziel-
strebigkeit angewandt werden. Denn „Ziel ist das Ende
einer Bewegung und schließt nicht im geringsten die ver-
wendete Notwendigkeit oder Nötigung aus, sondern wird
durch diese um so sicherer erreicht". „Der Begriff des
Wortes Ziel ist ein mehr unbestimmter, der wegen dieser
Unbestimmtheit den Zweck mit einschließen kann. Er setzt
aber nicht wie dieser ein Bewußtsein voraus." „Ziel-
strebig" nennt er einen Vorgang, dessen Resultat vorher
bestimmt ist.
116 Teleologischer Gottesbeweis.
Wir denken also nach B a e r bei dem Wort „Ziel",
„Zielstrebigkeit" nicht wie bei dem Wort „Zweck", „Zweck-
m'äßigkeit" an Bewußtsein und Willen und vermeiden so
den Anthropomorphismus, den Stein des Anstoßes, in der
Teleologie.
Es soll mit dem Wort Ziel gesagt werden: Zwecke
in der Natur werden erreicht unbewußt durch die in den
Dingen liegenden Fähigkeiten, und zwar erreicht auf
natürliche Weise, nicht durch unmittelbares Eingreifen
Gottes.i
Baers neue Terminologie hat fast überall Aufnahme
gefunden, doch ist die von ihm beabsichtigte, strenge
Scheidung von Ziel und Zweck nicht allenthalben bei den
kath. Theologen festgehalten worden.
Auf der Tatsache der Zielstrebigkeit wird nun der
teleologische Beweis aufgebaut. Man definiert zunächst
den Begriff der Zielstrebigkeit als „die naturhafte Tendenz
eines Wesens oder eines Dinges, in der Gegenwart zweck-
mäßig tätig zu sein"- oder als „jene Anordnung der Welt-
dinge, wonach sie als Mittel zur Erreichung bestimmter
Zwecke disponiert erscheinen". -^^
Als Kriterien der Zielstrebigkeit oder Zweckursäch-
lichkeit führt Schell^ folgende vier an:
L Die Einheit der Wirkung im Vergleich zur Vielheit
der ausführenden Ursachen.
2. Die Anpassungsfähigkeit bei veränderten Um-
ständen.
3. Die Festigkeit und Beharrlichkeit der Richtung, in
der die Ursächlichkeit verläuft, ungeachtet der unzähligen
Möglichkeiten, ebensogut eine andere Richtung einzu-
schlagen, und auch trotz vieler Störungen.
4. Die Regelmäßigkeit, mit der eine Wirkung im Natur-
lauf herbeigeführt wird.
1 Vgl. R. Stölzle, Karl Em st V. Baer und seine Weltanschauung
76—88. Regensburg 1897.
2 Weber, Christi. Apologetik 68.
3 Schill, Prinzipienlehre 105.
4 Schell, Gott und Geist II 316-417.
Formulierung des Beweises. 117
Nun ist unbestreitbare Tatsache, daß die Welt im
allgemeinen und in den Organismen im besonderen von
Zielstrebigkeit durchdrungen ist. Diese offenbart sich :
1. „in der Gesamtentwicklung des Weltalls oder in der
Entwicklungeschichte des Himmels;
2. in der Aufeinanderfolge der Schöpfungsperioden
auf Erden oder in der paläontologischen Entwicklungs-
geschichte der Erdenwelt;
3. endlich im Grundcharakter des organischen Lebens
überhaupt und insbesondere im Naturgesetz der Fort-
pflanzung".-
In drei Stufen entwickelt sich also der Zielstrebigkeits-
gedanke in der Welt zunächst in der anorganischen Natur,
wie dies schön nachweist Pesch,- König, ^ Hontheim,^
Schanz; 5 ihre „eigentliche Heimat" hat er aber in der
organischen Natur: im Pflanzen-, Tier- und Menschen-
leben; im inneren Bildungsgesetz, wonach die Entwicklung
des Organismus erfolgt, im zielstrebigen Detail, das sie
umgibt, in der Erhaltung des pflanzlichen und tierischen
Organismus durch Ernährung usw.; am klarsten in den
Instinkthandlungen der Tiere inbezug auf Ernährung,
Erhaltung und Fortpflanzung.^
Das Gesetz der Zielstrebigkeit beherrscht aber nicht
bloß den einzelnen Organismus in seinem Werden und
seiner Tätigkeit, sondern auch die Summe aller Organismen
in ihrer wundervollen, streng einheitlichen Gliederung und
Entwicklung. Denn „nichts ist ja für die Wissenschaft so
aussfemachte Tatsache als der sfroßartige Zusammenhang
1 Schell a. a. 0. II 336—389.
2 Pesch T., Welträtsel I- 261--2G7.
' König, Schöpfung und Gotteserkennlnis 256—276.
4 Hontheim, Theod. 159—166.
6 Schanz, Apologie P 404—433.
6 Vgl. Pesch T., Die Teleologie in der mittelalterlichen Natur-
philosophie. Stimmen aus M.-Laach 12.(1377) 77—95; Welträtsel I*
241—261. König, Schöpfung 297— 3r 5. Hontheim, Theod. 166—177.
Schill, Prinzipienlehre 106—113. Schanz, Apologie !•' 434 — 456.
118 Teleologischer Gottesbeweis.
der Naturordnung, ein Zusammenhang, den man mit einem
OrganisQius in Parallele stellen kann". ^
' Ihren Höhepunkt aber erreicht die Zielstrebigkeit im
Mikrokosmos, im Menschen, sowohl in der Organisation
des menschlichen Leibes, der sich als Ideal ästhetischer
und teleologischer Vollkommenheit darstellt, als auch vor-
züglich in dem Wesen und der Tätigkeit seines Geistes.
Seine Vorzüge: Selbstbewußtsein, Freiheit, Sprache, Kunst-
anlage sind ebensoviele Einzelbeweise für die teleologische
Anlage des Menschengeistes. Er kann die Gedanken der
schöpferischen Vernunft nachdenken, das Gesetz der Ziel-
strebigkeit erkennen . . ., alles frei auf ein letztes Ziel
hinordnen, nach sittlichen Zwecken handeln.^
„So gelangt die Zielstrebigkeit in der bewußten Er-
strebung des eigenen Zieles durch den Menschengeist auf
ihren Höhepunkt und feiert in der Erkenntnis, welche
dieser von dem Gesamtzweck seines Daseins und der Bestim-
mung seiner ganzen Persönlichkeit gewinnt, ihren höchsten
Triumph." 3
So ist also der ganze gewaltige Kosmos von einer
zweckmäßigen Ordnung umspannt und durchwebt, und
diese Zweckmäßigkeit ist wahre Zielstrebigkeit. Die Stoffe
wirken zielstrebig legaliter, die Pflanzen plastice, die Tiere
instinctive, die Menschen intellectualiter.*
Wo ist nun der Grund dieser Zielstrebigkeit zu
suchen?
Der nächste Grund dieser Zielstrebigkeit ist in der
Wesensanlage der Dinge zu suchen, in einem immanenten
Prinzip, das der mechanischen Kraft nicht neben-, sondern
übergeordnet ist, das Wesensbestandteil der Dinge ist.
Schon „die mittelalterliche Philosophie leitete in der
bestimmtesten Weise die teleologische Harmonie zum Teil
und zunächst aus der ,natürlichen Anlage der Dinge her*,
sah dieselbe durchaus nicht als eine den Dingen zufällige
1 Pesch T., Gott und die Naturordnung. Stimmen a. M.-Laach 13.
(1878) 317—319.
2 Schanz, Apologie P 456—461.
3 Schill, Prinzipienlehre 115. * Hontheim, Theod. 158.
Formulierung des Beweises. 119
an, hat dieselbe sogar mit in die Ausgangsbasis für die
physikotheologische Beweisführung hineingezogen".^
Doch damit ist die Frage für unsere Vernunft nicht
gelöst; sie erhebt sich von neuem mit noch größerer
Macht.
Geschöpfliche Natur- und Geisteswesen genügen nicht
zur Erklärung der Zielstrebigkeit in der Welt. Zu ihrem
vollen Verständnis wird ein über den Natur- und Vernunft-
wesen stehender Urwille gefordert, der die Anlagen der
unbewußten Naturzielstrebigkeit und der bewußten mensch-
lichen Zielstrebigkeit und zugleich die Richtung, in der
sich diese Anlagen betätigen können, erdacht, als Zweck
festgestellt und durchgeführt hat.-
So steigt der christliche Denker auf Grund unerschütter-
lich feststehender Tatsachen zu Gott als dem außerwelt-
lichen, einheitlichen Grund aller Zweckerstrebung empor
und formuliert den Gottesbeweis also:
„Die Zweckordnung als Disposition oder Veranlagung
bestimmter Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke ist
stets das Werk einer die Zwecke setzenden und die Mittel
wählenden Intelligenz. Nun manifestiert aber die Welt
die sors^fältiofste und wirksamste Anordnung der Mittel
zur Erreichung der vielfältigsten und höchsten Zwecke;
folglich ist die Welt das Werk einer jeden irdischen Geist
weit überragenden Intelligenz, des unbeschränkten, un-
bedingten, in sich selbst gründenden absoluten Geistes."'
Oder mit Braig:
Obersatz: „Jedes Seiende, soweit Wahrnehmung und
Gedanke dringen mögen im Reiche des Materiellen, des
Lebendigen und des Geistigen, ist zweckmäßig entweder
als Mittel einem Höheren unter- oder als Glied einem
harmonischen Zusammen eingeordnet.
1 Pesch, Die Teleologie in der mittelalterlichen Naturphilosophie.
Stimmen a. M.-Laach 12. (1877) 361.
2 Th. Mayer, Der teleologische Gottesbeweis 98—103. Mainz 1900.
Schell, Gott und Geist II 43G— 38. Vgl. Straub, Der teleol. Gottes-
beweis I 46—48.
3 Schill, Prinzipienlehre 105.
120 Teleologischer Gottesbeweis.
a) Die nach Konstitution der Materie in den kleinsten
Teilchen und im großen ganzen ist passive Zweckmäßigkeit.
' b) Die Phänomene des Organischen zeigen instinktive
Zielstrebigkeit.
c) Die Energie der freien, religiös-sittlichen Persön-
lichkeit ist selbstbewußtes und selbständiges Zweckhandeln
dem letzten Ziel und höchsten Ideal gemäß.
Untersatz: Nun aber fordert:
a) Die Gestaltbarkeit der Materie eine Intelligenz, durch
welche die wirklichen Gestaltungen vorausbestimmt und
den Seinselementen als wirkliche Zwecke eingeschaffen sind.
b) Die Zielstrebigkeit der Natur eine Intelligenz, durch
welche jedem Lebewesen der Grundriß seines Organismus
vorgezeichnet, der Plan für den organischen Aufbau vor-
geschrieben und in der vollendeten Gestalt der das Wachs-
tum und den Bildungsgang leitende Lebens- und Tätigkeits-
zweck festgestellt ist.
c) Die freie Zwecktätigkeit und das religiös-sittliche
Selbstbewußtsein des Menschengeistes eine Intelligenz,
durch welche die sämtlichen Möglichkeitsfälle der freien
Entschließungen vorausgewußt, in dem Vollkommenheits-
ideal dem freien Streben ein Zielpunkt gegeben und so
der menschlichen Persönlichkeit ihr Daseinszweck geoffen-
bart ist.
Schlußsatz : Also muß der Absolute, soll er zureichen-
der, einziger und allgemein genügender Weltgrund sein,
indem er die Gesamtheit des Bedingten bewirkt und die
Form der Bedingtheit als Gesetzlichkeit ordnet, auch den
Sinn der ganzen Anordnung, die allumfassende Zweck-
mäßigkeit bestimmen. Folglich ist Gottes Schaffen absolute
Zweckmäßigkeit. Und weil ihre, der absoluten Weisheit
Schöpfung sich gliedert:
a) als das Kunstwerk der unbelebten Mechanik in den
Seinselementen und Seinsmassen,
b) als das Kunstwerk der belebten Mechanik in den
Organismen,
c) als das Kunstwerk des freien Geistes in der mensch-
lichen Persönlichkeit, welche den Gedanken ihres Ursprungs
Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis. 121
als Ziel ihrer Selbstbestimmung in sich trägt — darum
muß der Urheber der Natur- und Geisterwelt geistig-
sittliche, selbstbewußte Persönlichkeit, darum muß Gott
der Seiende durch sein Wesen,
der Denkende durch sein Wesen,
der Weise durch sein Wesen,
der Freie durch sein Wesen,
darum muß er die absolute Persönlichkeit sein."^
b) Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis.
a) Kant als Gegner des teleologisclien Gottesbeweiaes.
Unter allen Gottesbeweisen ist der teleologische der
populärste und wohl auch der älteste; bereits mit Anaxa-
goras ist die teleologische Weltbetrachtung in die grie-
chische Philosophie eingeführt worden. Selbst Kant rühmt
von ihm: „Der Beweis verdient jederzeit mit Achtung
genannt zu werden. Er ist der älteste, klarste und der
gemeinen Menschenvernunft am meisten angemessene. Er
belebt das Studium der Natur, sowie er selbst von diesem
sein Dasein hat und dadurch immer neue Kraft bekommt.
Er bringt Zwecke und Absichten dahin, wo sie unsere
Beobachtung nicht selbst entdeckt hätte, und erweitert
unsere Naturkenntnisse durch den Leitfaden einer be-
sonderen Einheit, deren Prinzip außer der Natur ist.
Diese Kenntnisse wirken aber wieder auf ihre Ursache,
nämlich die veranlassende Idee, zurück und vermehren
den Glauben an einen höchsten Urheber bis zu einer
unwiderstehlichen Überzeugung."- Aber nach diesem
scheinbaren Lob verwirft er auch diesen Beweis. Er führt
zunächst „die Hauptmomente des physikotheologischen
Beweises vor und zwar vier an der Zahl, von denen be-
sonders das zweite und vierte zu beachten ist : Nr. 2 : „Den
Dingen der Welt ist diese zweckmäßige Anordnung ganz
fremd und hänat ihnen nur zufällig- an."
1 Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 224—225. Vgl. auch
Vosen, Das Christentum 301—302.
2 Kant, Kr. d. r. V. 497-98.
122 Teleologischer Gottesbeweis.
Nr. 4: „Die Einheit derselben (der weisen Ursache)
läßt sich aus der Einheit der wechselseitigen Beziehung
der Teile der Welt, als Glieder von einem künstlichen
Bauwerk, an demjenigen, wohin unsere Beachtung reicht,
mit Gewißheit, weiterhin aber, nach allen Grundsätzen der
Analogie mit Wahrscheinlichkeit schließen." Daraus zieht
er dann die Folgerung: „Der teleologische Beweis könnte
höchstens einen Weltbaumeister, der durch die Tauglichkeit
des Stoffes, den er bearbeitet, immer sehr eingeschränkt
wäre, aber nicht einen Weltschöpfer, dessen Idee alles
unterworfen ist, dartun," ferner sein Schlußverfahren sei
nur Analogieschluß, der höchstens Wahrscheinlichkeit, nie
aber Gewißheit begründen könne; endlich „gehe man von
der Zufälligkeit (der Ordnung und Zweckmäßigkeit der
Welt) lediglich durch transzendentale Begriffe zum Dasein
eines Schlechthin-Xotwendigen und von dem Begriff der
absoluten Notwendigkeit der ersten Ursache auf den durch-
gängig bestimmten oder bestimmenden Begriff desselben,
nämlich einer allbefassenden Realität",^ d. h. mit andern
Worten, der teleologische Beweis münde in den onto-
logischen ein.
„Diese Sätze," bemerkt Schill, „sind wohl einige
hundertmal- gedruckt worden zum Beweis, wie Kant den
teleologischen Beweis für immer zerstört habe, und doch
sind sie nur Konsequenzen falscher Prinzipien und darum
irrig wie diese." ^
Es ist nicht richtig, was Kant behauptet, daß nämlich
die Teleologie den Dingen „fremd sei und nur äußerlich
anhänge".
„Diese zweckmäßige Form der Naturdinge ist keine
äußere, akzidentelle, es ist ihre innere, wesenhafte, sub-
stantielle Form, d. h. es ist ihre Idee, Natur und Wesenheit
1 Kant, Kritik d. r. V. 493—501.
- Vgl. z.B. Fischer, Geschichte der neueren Philosophie III 585 f.
Schultze, Philosophie der Natur I 70 ff. Leipzig 1881. Wundt, System
der Philosophie 439 ff. Frohschammer, Einleitung in die Phil. 116,
Mach, Religions- und Weltproblem I 119—150.
3 Schill, Prinzipienlehre 116.
Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis. 123
selbst und von dieser durchaus untrennbar; die Zweck-
mäßigkeit ist nicht an den Dingen, sie ist in den Dingen,
eins mit diesen und nicht einmal dem Begriffe nach von
ihnen unterschieden. Eben die Zweckbeziehung ist das
wesentliche Moment des Organismus, dieser ohne jene
gar nicht denkbar. Wer darum die Form gesetzt hat,
hat das Wesen selbst gesetzt, da es wesenhafte Formen
sind; darum ist er nicht bloß Weltbaumeister, er ist
Weltschöpfer." '
„Schon das Atom trägt den Stempel der »Teleologie
und damit des Schöpfers, der den Stoff zum Weltenbau
nicht hinnehmen muß, wie er ihn fand, sondern der ihn
selbst für seine Ziele schuf."- „Die Weltordnung beruht
nicht bloß auf einer Disposition der Teile, sondern auf
bestimmten Eigenschaften und Gesetzen der anzuordnenden
Elemente. Die Stoffe sind so beschaffen, daß von einer
ursprünglichen Disposition aus die Elemente gesetzmäßig
die Wirkung herbeiführen . . . Daß aber gerade diese Stoffe
mit diesen Eigenschaften existieren, dazu liegt der letzte
hinreichende Grund in der freien Wahl des Welturhebers,
der über Sein und Nichtsein derselben entschied. Derselbe
muß also Schöpfer im vollen Sinne des Wortes sein."^
In dieser Weise hat schon die mittelalterliche Natur-
philosophie die Teleologie aufgefaßt, wie Pesch nach-
gewiesen hat.^ Wenn moderne christliche Denker den
unmittelbaren Grund für das Zweckmäßige in der Natur
nicht in den Dingen selbst, sondern ausschließlich in Gott
suchen wollten, so weicht diese Auffassung von der in
der christlichen Philosophie herkömmlichen wesentlich ab.
^ Hettinger, Apologie I« 138—139. Freiburg 1899. Vgl. Geyser.
Gottesproblem 202.
- König, Schöpfung und Gotteserkeuntnis 203—309.
3 Gutberiet. Apologie P 191. Vgl. Schanz, Apologie P 472 f.
Hammerstein, Gottesbeweise 228 iL Pohle, P. Secchis Welt-
anschauung II 855. .Katholik" 1883. Straub. Der teleol. Gottesbeweis
11 16; Kant und die natürliche Gotteserkenntnis. Phil. Jahrb. 1899
u. a. m.
* Pesch T., Die Teleologie in der mittelalterlichen Naturphilosophie.
St. aus M.-Laaeh 12. (1877) 357 IT.
1 24 Teleologischer Gottesbeweis.
sagt Pesch.i Seit Kant aber findet man bei allen
spekulativen Bekämpfern der physikotheologischen Beweis-
führung das Argument gerade in der erwähnten Form
vorgetragen und dann nicht ohne Schein von Gründlich-
keit widerlegt.
„tibrigens", sagt H a g e m a n n , „würde selbst dann,
wenn man die Einwendung Kants als zurecht bestehend
zugeben wollte, der teleologische Beweis nichts von seiner
Bedeutung verlieren, falls man ihn nur im Zusammenhang
mit dem kosmologischen Beweis faßt. Hat letzterer das
Dasein einer unbedingten, unendlichen, unveränderlichen
und daher überweltlichen Weltursache dargetan, so über-
zeugt uns ersterer von der Intelligenz derselben, einer
Intelligenz, welche angesichts der hohen Zweckmäßigkeit
im großen und kleinen ihresgleichen nicht haben kann."^
Mit der Betonung der inneren Zweckmäßigkeit fällt
auch der zweite Einwand Kants, der teleologische Beweis
sei nur „Analogieschluß". „Der teleologische Gottesbeweis
ist genau wie der kosmologische ein Schluß nach dem
Kausalitätsgesetz auf Grund der empirisch betrachteten
Zweckformen in der Welt; auf die Zahl der Beobachtungen
kommt es dabei nicht an. Eine evident konstatierte
Zweckform, wäre sie real oder nur ideal, würde zur Frage
nötigen: Woher stammt sie?""^ „Nicht eine zufällige Ähn-
lichkeit bildet den Angelpunkt des Beweises, sondern man
stützt sich direkt auf die ausnahmslose Gültigkeit des
Kausalitätsgesetzes. Es liegt im Wesen einer zweckmäßigen
Ordnung und Gliederung, daß sie zu ihrer Herstellung
eine intelligente Kraft unabweisbar verlangt."^
1 Pesch a. a. 0. 361. Vgl. S. th. I q. 103. a. 1. Id quod creaturae
a Deo recipiunt, est earum natura, quod autem ab homine rebus natu-
ralibus imprimitur praeter earum naturam, ad violentiam pertinet.
2 Hagemann, Metaphysik ^ 182. Vgl. t. Kirchmann, Erläu-
terungen zu Kants Kr. d. r. V.- 86. Berlin 1870: „Auch ist Kants
Unterscheidung von Weltbaumeister und Welturheber nicht erheblich,
weil hier der Inhalt von der Form sich nicht trennen läßt.** Lehmen,
Theodizee^ 70.
3 Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 149.
•* Straub, Der teleol. Gottesbeweis II 11. Vgl. Lehmen, Theodizee-
Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis. 125
Damit erledigt sich von selbst die dritte Anklage,
der teleologische Beweis münde in den ontologischen und
sei darum hinfällig wie dieser.
Ein anderer Einwand, den der Skeptizismus gegen die
erste Prämisse unseres Beweises erhebt, sei hier noch kurz
erwähnt. Man sagt nämlich, die Tatsächlichkeit der zweck-
vollen Ordnung im Kosmos stehe keineswegs unzweifelhaft
fest, wir kennen nur ein sehr kleines Stück Kosmos und
dürften daraus noch nicht folgern, daß die Welt im ganzen
zweckvoll und harmonisch geordnet sei.^
Indes die Existenz und Kenntnis eines einzigen zweck-
vollen Werkes oder Wesens, z. B. eines Organismus genügt,
um das Vorhandensein einer schöpferischen Intelligenz zur
unweigerlichen Notwendigkeit und Gewißheit zu machen,
selbst wenn dabei die ganze übrige Welt ein Chaos wäre.
Zur Gültigkeit des teleologischen Beweises ist durch-
aus nicht eine Kenntnis des Gesamtzweckes oder eine
Garantie für seine beständige und allseitige Durchführung
erforderlich. Das wäre nur dann der Fall, wenn sich der
Partialzweck nirgends ohne Einsicht in den Totalzweck
feststellen und erkennen ließe, was doch wohl niemand
behaupten wird.-
Dieser Einwand des Skeptizismus führt uns hinüber
zum Haupteinwand gegen die Teleologie, der hergenommen
wird von dem physischen und moralischen Übel in der
Welt. Auf Grund dieses Übels erhebt sich als Haupt-
gegner des teleologischen Beweises der Pessimismus.
69—70. Hontheim, Theod. 177—78. Boedder, Theol. nat. 61—62.
Gutberiet, Apologetik P 193—94. Dippel, Die beiden Grundtragen
232. Schill, Prinzipienlehre 117.
^ Fr. Schnitze, Philosophie der Naturwissenschaft I 70 ff. Leip-
zig 1881. Paulsen, Einleitung in die Philosophie- 170. Wundt.
System der Philosophie 439 f. Lotze, Mikrokosmos 111 553 fl'.
2 Straub, Der teleol. Gottesbeweis II 7—8. Vgl. Hontheim,
Theod. 180—81. Dippel, Die beiden Grundfragen 232.
126 Teleologischer Gottesbeweis.
ß) Der Pessimisnius als Gegner des teleologischen
Gottesbeweises.
' Schopenhauer,^ Hartmann, ^ auch Strauß^ sind
seine Hauptvertreter.
Schell beantwortet die Anklagen des Pessimismus
mit dem Hinweis auf die innere Überwindung von Schmerz
und Tod, Übel und Leid, indem sie keine feindlichen
Mächte für den Schöpfer sind und von diesem in den
Dienst höherer Zwecke gestellt werden.^ »Wie das phy-
sische Übel den Geist des Menschen herausfordert und
schärft und so zu einem Mittel der Kultur und Erziehung
des Menschengeschlechtes wird, so ist die Überwindung
der Sünde und ihrer Folgen die Riesenaufgabe des Men-
schen in der sittlichen Ordnung, und in der Lösung dieser
Aufoabe entwickelt sich in den Graden und Stufen der
Sittlichkeit ein ganzes Reich jener vornehmsten Teleologie,
welche in der Verähnlichung des Geschöpfes mit seinem
Schöpfer besteht."-^
Das ph3''sische und moralische Übel ist also nicht ab-
solut zwecklos oder zweckwidrig.
Sodann ist wohl zu beachten, daß die Welt als ge-
schaffene nicht von absoluter Güte und Vollkommenheit
sein kann, und anderseits, daß man kein Geschöpf zum
Ziel des Universums machen oder vom Zweck des Welt-
ganzen losreißen darf.
Außerdem ist eine Menge physischen und moralischen
Übels in der Welt vom Menschen selbst verschuldet durch
Mißbrauch der Gottesgabe der sittlichen Freiheit. Gott
läßt die Mittelursachen ihrer Natur nach wirken.
1 Schopenhauer, Welt als Wille und Vorstellung I § 56 ff. 363 ff. ;
Parerga und Paralipomena II 303 ff. 398.
'^ Hartmann, Pessimismus 63; Religion des Geistes 282; Philo-
sophie des Unbewußten 645 ff.
3 Strauß, Glaubenslehre 11 384.
^ Schell, Gott und Geist 11 428—36. Vgl. Schill, Prinzipienlehre
120—22. L. Fischer, Das Problem der Welt und die Theodizee. Mainz
1883. Hontheim, Theod. 185-88.
5 Schill a. a. 0. 122.
Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis. 127
Allerdings ein volles Verständnis von Grund und
Zwecks des physischen und moralischen Übels gibt uns
erst die Offenbarung.
„Mit einem absoluten Monismus wird das Rätsel der
Sünde ebensowenig gelöst wie mit einem absoluten Dualis-
mus; wohl aber wird die Sache faßbar auf Grund eines
relativen Dualismus, der identisch ist mit dem christlichen
Theismus. Das moralische Übel erklärt sich danach als
eine Wirkung oder besser als ein Defekt der freigewollten
Handlungen vernünftiger Geschöpfe. Es gibt im Universum
keine substantielle Bosheit," ^
Hierher gehört auch der Einwand Langes, der gegen
die Teleologie „die Vergeudung von Lebenskeimen" geltend
macht,2 sowie überhaupt das Kapitel von den sog. „Dys-
teleologien".
Aber diese angeblichen Zwecklosigkeiten, sagt Pesch,
gehören in die allgemeine Ordnung der bestehenden (kon-
tingenten) Welt hinein. Die ganze Natur ist im Interesse
der Gesamtheit von einem doppelten Prinzip durch-
waltet: sie ist sparsam, ohne aber knickerig zu sein,
sie bekundet ihren Reichtum, ohne verschwenderisch
zu sein.-'
„Die individuelle Zwecklosigkeit ist noch keine schlecht-
hinige, sondern oft für allgemeine (Art-) Zwecke sehr dien-
lich, wenn auch zeitweilig latent. In einem Reiche des
Lebens, wo das eine dem andern dient, wo das eine oft
dem andern zur Nahrung werden muß, können die der
Erhaltung dienenden Einrichtungen nur relativ vollkommen
sein, nicht aber absolut, so daß die Abhängigkeit und
Ernähruno^smöglichkeit aufhörte. Zur Zweckmäßigkeits-
gestaltung gehört es geradezu, daß bei der Konkurrenz
der Zwecke die niederen den höheren, die individuellen
Zwecke dem der Art im allf^emeinen weichen." '
1 Vgl. Straub, Der teleol. Gottesbeweis II 62.
- Lange, Geschichte des Materialismus II 2 246.
a Pesch, St. aus M.-Liach 11. 306 (1876).
^ Weber, Apologetik 69—70.
128 Teleologischer Gottesbeweis.
So wird die getadelte Keimvergeudung zur eminent
zweckmäßigen Einrichtung, dient der Erhaltung der Art
wie überhaupt des Gleichgewichtes in der Xatur.^
Darum dürfen wir nicht voreilig etwas zwecklos oder
zweckwidrig nennen, dessen Zweck wir nicht kennen.
Der christliche Theismus kann von seinem Standpunkt
die angeblichen Mängel und Unvollkommenheiten im Uni-
versum erklären, nicht aber kann dies der Pantheismus.
Noch haben wir den schroffsten Gegner der Teleologie
nicht genannt : den mechanischen Monismus.
y) Der mechanische Monismus als Gegner
des teleologischen Gottesbeweises.
Er erklärt die angebliche Zweckmäßigkeit und Ziel-
strebigkeit für Schein und Dichtung, Stoff und Bewegung
als das hinreichende Erklärungsprinzip aller Welterschei-
nungen. Die Materie ist ewig, der Weltprozeß verläuft
mit mechanischer Notwendigkeit und schließt jede Teleo-
logie aus.
Der mechanische Monismus leugnet die Teleologie,
weil sie unverträglich sei mit dem kosmologischen Mecha-
nismus, er nimmt an, die teleologische Weltbetrachtung
verwerfe die Mechanik. Doch dem ist nicht so. Der Zweck
durchbricht nicht den Mechanismus, sondern fordert viel-
mehr eine ununterbrochene Kette mechanischer Ursachen
und Wirkungen. „Die Mechanik zeigt uns die Mittel, deren
sich die Natur zur Erreichung ihrer Zwecke bedient. Der
Zweck liegt über der Mechanik, ist aber nicht übernatür-
lich, sondern den Dingen als Prinzip der Ordnung und
Harmonie eingeschaffen."- Teleologie und Mechanik
schließen sich nicht aus, sondern bezeichnen nur ver-
schiedene Ursächlichkeit. Beides sehen wir vereinigt bei
der Zwecktätigkeit der menschlichen Vernunft; Zweck und
Mechanik kann sich also nicht innerlich widersprechen.
1 Straub, Der teleol. Gottesbeweis H 57—64. Vgl. Hontheim,
Theod. 181 — 184. König, Schöpfung nnd Gotteserkenntnis 237 — 256.
Schill, Prinzipienlehre 122—126.
2 Schanz, Apologie P 453. Vgl. Fesch, Welträtsel IP 362.
Einwände gegen den teleologischen Goltesbeweis, 129
Darum hat auch die tiefere Ergründun«^ des kosmo-
logischen Mechanismus den Zusammenhang zwischen der
Weltordnung und einer außerweltlichen Intelligenz keines-
wegs erschüttert. Nirgends in der Welt kommt man aus
mit der bloßen Mechanik; jede Erscheinung, jedes Element,
jedes Gesetz weist hin auf eine frei waltende, machtvolle
Intelligenz, welche bei jeder Einrichtung aus unendlich
vielen Möglichkeiten gerade diese Massen und Qualitäten
ins Dasein setzte und zu einer harmonischen Gesamtwirkung
zusammenstimmte. ^
Abgesehen davon, daß der Weltstoff in Anbetracht
seiner Eigenschaften unmöglich ewig sein kann, hat der
mechanische Monismus keine Antwort auf die Frage nach
dem Ursprung der Bewegung und insbesondere nach dem
Ursprung des Lebens und des Geistes und der sittlichen
Ordnung. Allerdings glaubt man in der Darwinischen
Transmutationsh^^pothese die endgültige Lösung des Rätsels
des organischen Lebens und Werdens, dies Geheimnis der
Zweckmäßigkeit ohne Einmischung von Intelligenz durch
das blinde Walten eines Naturgesetzes entdeckt zu haben. -
Da erhebt sich nun die Frage: Hat die Darwinische
Hypothese wirklich die Zielstrebigkeit beseitigt?
Eine unbefangene Prüfung der Darwinischen Selek-
tionstheorie antwortet verneinend auf diese Frage. Im
Gegenteil: der Darwinismus kann der Zielstrebigkeit
schlechterdings nicht entraten, bedarf vielmehr der Ziel-
strebigkeit,
1. um den Ursprung der Organismen zu erklären; die
Naturkräfte mußten einmal nach bestimmten Gesetzen in
Bewegung geraten, um in chemisch organische Verbindung
zu treten;
2. zur Erklärung, warum durch unzählige Generationen
hindurch die einmal einü^eschlaaene Richtung fortschreiten-
O CT* CT
der Transmutation beibehalten wurde;
* Straub, Der teleol. Gottesi)eweis II 22. Vgl, Hagemann, Meta-
physik ^ 180—81.
•' Vgl. Fesch T., Welträtsel P 323.
btaab, Gottesbeweise in der kath. Literatur. 9
130 Teleologischer Gottesbeweis.
3. um zu erklären, wie der Gebrauch der gebrauchten
Organe nicht wieder „herabentwickelt" wurde, da doch der
mechanische Gebrauch abnutzt;
4. zur Erklärung jener Reihen von Durchgangsstadien,
die in den langwierigen Prozessen für die gleichzeitige
Entwicklung eher hinderlich als nützlich sind, da ja das
Passende nicht am Ende der Entwicklung liegt;
5. zur Erklärung der morphologischen Eigentümlich-
keiten, welche im Kampfe ums Dasein nicht den aller-
mindesten Vorteil gewähren, überhaupt zur Erhaltung des
Individuums in keiner Beziehung stehen.
6. Nur aus der Zielstrebigkeit läßt sich die Erblich-
keit, namentlich die Vererbung erworbener Abweichungen
und die damit zusammenhängende Anpassung erklären,
sowie die Entstehung der bestimmten Spezies und all der
anderen Eigentümlichkeiten, die der Darwinismus voraus-
setzt wie das Prinzip der wachsenden Stabilität, Korrelation
der Teile, stetige Fortbildung zum Vollkommenen. ^
Kurz alle Darwinischen Prinzipien sind durchaus
teleologisch.
„Darwin kann für das Walten in der Natur eines ein-
heitlichen intelligenten Prinzips nicht entbehren. Der
Zufall genügt weder für den Anfang noch für die Fort-
entwicklung; denn er ist überhaupt keine Ursache und
könnte es unmöglich zu einer objektiven Ordnung bringen,
wie eine solche tatsächlich und anerkanntermaßen vor-
handen ist . . . Bloß ein intelligentes Prinzip hätte aus
dem Chaos unzählbarer möglicher Kombinationen der
vorhandenen Elemente die beste Auswahl getroffen, die
Entwicklungszustände in die notwendige Abhängigkeit
gebracht und den Endzustand vorbereitet und eingeleitet.
In seinem Plane wäre der Kampf ums Dasein ein Mittel
gewesen, das Vollkommene vor dem Unvollkommenen zu
' Vgl. Pesch, Zweckerstrebung in der Natur. St. aus M.-Laach 12.
93 (1877). Vgl. Pesch, Welträtsel 11-^ 259 — 271. Schell, Gott und
Geist II 216 — 258. Mayer, Der teleologische Gottesbeweis und der
Darwinismus 107 — 272.
Einwände gegen den teleologischen Gottesbeweis. 131
sichern und die aufsteigende Stufenleiter deutlich zu
machen." ^
„Mag es darum sein," bemerkt Hertling,- „daß die
teleologische Betrachtung allzu rasch war, wenn sie in
der Harmonie zwischen den mannigfach organisierten
Pflanzen- und Tierarten und den Bedingungen ihres Le-
bens überall schon den Beweis für die Wirksamkeit einer
nach Zwecken tätigen Macht in der Natur erblicken
wollte. Möge diese Anpassung, die uns jetzt mit dem
Scheine vorherbestimmter Zweckmäßigkeit überrascht,
vielfach nur das endliche Resultat eines langsamen, nach
mechanischen Gesetzen fortgeschrittenen Prozesses sein.
Es ist darum der Zweck dennoch nicht aus der Natur
beseitigt. Er kündigt sich an in diesem Prozesse selbst,
den wir uns in stetigem Fortschritt zum Vollkommeneren
begriffen denken sollen. Er beherrscht die einzelnen
Schritte des Prozesses, wenn in ihm das, was an sich ohne
Wert für das Leben und darum ohne eigenes Recht auf
Dauer ist, gehegt und entwickelt wird, um des zukünftigen
Wertvollen willen, worauf es vorbereitet. Er offenbart
sich endlich unzweideutig überall da, wo das Ganze, das
durch einzelne Teile verwirklicht wird, und das Resultat,
für welches die Mittel schon im voraus vorhanden sind,
einer höheren Ordnung als der bloßen Erhaltung des
physischen Lebens dienen.
Wo aber in der Welt Zwecke sich zeigen, da be-
zeichnen sie ebenso viele Grenzen der mechanischen Natur-
erklärung."
• Schanz, Apologie P 453. Straub, Der teleol. GoUesbeweis
I 23—53. Vgl. Gutberiet, Monismus 248 IT., der daselbst mit Hilfe der
Wahrscheinlichkeitsrechnung darzutun sucht, daß liir die Annahme einer
zufälligen Entstehung der Ordnung und Zweckmäßigkeit eine unendlich
geringe Wahrscheinlichkeit besteht.
- Hertling G. v., Über die Grenzen der mechanischen Natur-
erklärung 74. Bonn 1875.
132 Teleologischer Gottesbeweis.
&) Der Psychismus als Gegner des teleologischen
Gottesbeweises,
Der mechanische Monismus kann die in der Welt
herrschende Zielstrebigkeit nicht erklären. Auf eine
bessere Weise sucht man darum heute das Rätsel der
Teleologie ohne die Annahme eines persönlichen Gottes
zu lösen, nämlich dadurch, daß man sich die Atome als
beseelt denkt, als begabt mit Erkenntnis und Geisteskraft.
„Unter dem mechanischen Vertrieb gestoßener Atome,
unter dem gefühllosen Ringen toter Stoffe, unter dem
herzlosen Walten einer unabänderlichen Notwendigkeit
will der Tiefblick der Forscher einen unbeschreiblichen
Reichtum von Empfindung und Gefühl, von Leben und
Geist entdeckt haben. Ein Erkennen, Empfinden, Wollen
soll das Wesen eines jeden Dinges ausmachen. Nicht als
tote Bausteine, sondern als intelligente Baumeisterlein
sollen wir die Atome zu betrachten haben, keine Mechanik
mit eisernem Zwang, sondern ein buntes Leben und Weben
individueller geistiger Kräfte in der großartigen Erschei-
nungswelt anstaunen."^
Die Teleologie würde damit zur Autoteleologie, und damit
glaubt man, des persönlichen Gottes entraten zu können.
P e s c h prüft nun die psychistische Naturerklärung
auf ihre Berechtigung, indem er eingehend die Gründe
erörtert, die von verschiedenen Seiten für diese Natur-
auffassung geltend gemacht werden. So behandelt er der
Reihe nach folgende Punkte: „Der Psychismus als vor-
geblich notwendiges Komplement des Mechanismus"; „der
Ps. als Komplement zum Naturstreben der Dinge"; „die
Schopenhauersche Begründung des Psychismus"; „das
Offenbar werden der Natur aller Dinge im Menschen";
„die psychische Begabung aller Dinge als Erfordernis der
Psychologie"; „der Psychismus als begründet im Mecha-
nismus"; „der Psychismus als Postulat der einheitlichen
Naturbetrachtung".-
» Vgl. Pesch T., Die großen Welträtsel 1^ 456.
^ Pesch a. a. 0. 465—499.
Das theologische (thaumatologische) Argument. 133
Das Resultat, zu dem er hierbei gelangt, legt er nieder
in diesen Worten: „Durch diese Darlegung ist die Frage,
ob überhaupt die Natur der Dinge, welche der Grund ihres
gesetzlichen Verhaltens ist, als empfindend oder gar als
intelligent aufzufassen sei, ohne weiteres erledigt. Man
braucht — das ist unser ceterum censeo — in jedem Ding
nur einen dessen Wirken bestimmenden Grund anzunehmen,
einen Grund, welcher deshalb regelt und bestimmt, weil
er ein reales Mandat Gottes ist. Das, und nur das, ent-
spricht den Tatsachen. Die vielen Dinge mit ihren viel-
fachen Strebigkeitsgründen sind in geordneter Abstufung
von einer alles umfassenden und das Sein selber ver-
leihenden Intelligenz ins Dasein gerufen; sie sind von
Grund aus zur Hervorbringung der einheitlichen Ordnung
des Kosmos hingeordnet. Aber durch sämtliche beobachteten
Tatsachen, durch die Vielheit und Beschränktheit der
Einzeldinge ist die Möglichkeit ausgeschlossen, den Dingen
selbst diese Intelligenz zuzuschreiben. Die Welt weist un-
weigerlich hin auf eine Urintelligenz und bekundet ebenso
unweigerlich, daß sie selbst diese Urintelligenz nicht ist."^
Das theologische (thaumatologische) Argument.
Der Gottesbeweis aus den übernatürlichen
"Werken Gottes.
Im Anschluß an das physikotheologische Argument
bringen manche noch einen Gottesbeweis aus den über-
natürlichen Werken Gottes und verstehen unter letzteren
vor allem Wunder und Weissagungen. Darum wird der
Beweis gewöhnlich genannt: „argumentum ex miraculis"
oder auch thaumatologischer Gottesbeweis.-
Dieser Beweis schließt folgendermaßen :
Es existiert in der Welt eine Reihe von übernatür-
lichen Tatsachen, die nicht weniger als andere geschicht-
' Pesch a. a. 0. 504.
- Vgl. Hont heim, Theod. 202 sq. Boedder. Theol. nat. 68 sq.
Pesch (Praelect. dogm. 11-) nennt ihn den , theologischen".
134 Das theologische (thaumatologische) Argument.
liehe, natürlicherweise erkennbare Tatsachen sind. Dahin
gehören Wunder, Weissagungen, die Geschichte des israe-
litischen Volkes, Ursprung und Verbreitung der christlichen
Religion fast ganz ohne menschliche Hilfsmittel und trotz
heftigster Bekämpfung, die durch das Christentum bewirkte
sittliche Umwandlung der Welt.
Im Bereich der geschaffenen Dinge ist keine genügende
Ursache hierfür zu finden.
Darum muß notwendigerweise ein Wesen angenommen
werden, das außer dem Bereich der geschaffenen Dinge
steht, unendlich mächtig, unendlich weise usw. ist; das
ist Gott.
Dieses Argument beruht also auf denselben Voraus-
setzungen und Prinzipien und vollzieht sich durch dieselbe
Schlußfolgerung wie die Gottesbeweise aus den Werken
Gottes in der natürlichen Ordnung, hat aber nach Hein-
rich einen doppelten Vorzug vor den Argumenten aus
der natürlichen Ordnung. Es legt nämlich, weil beruhend
auf den ühernatürlichen Werken Gottes, die an sich voll-
kommener sind als die natürlichen, vollkommeneres Zeug-
nis für Gott ab und offenbart vollkommener dessen Eigen-
schaften, sodann tritt uns in den übernatürlichen Werken
die Erhabenheit und Freiheit der göttlichen Tätigkeit im
Gegensatz zu den allgemeinen Naturgesetzen in über-
wältigender Unmittelbarkeit entgegen, während die all-
gemeine göttliche Ursächlichkeit unter der Regelmäßigkeit
des Naturlaufs sich einer oberflächlichen Auffassung
verbirgt.^
„Diese Offenbarung Gottes in objektiv übernatürlichen,
aber natürlich wahrnehmbaren Erscheinungen ist durch
ihre selbständige und eigentümliche Kraft auch besonders
geeignet, die auf der ordentlichen Einwirkung Gottes
beruhende Erkenntnis sowohl zu wecken und zu beleben,
wie sie zu erweitern und zu ergänzen. Ersteres tut sie
in den physischen Wundern und Weissagungen, in welchen
1 Heinrich, Dogmatik IIP 253—256. Vgl. Hontheim, Theod.
203—204.
Psychologische Gottesheweise. 13o
Gott als frei über die Natur schaltende höchste Macht
und als die die Freiheit des Menschen überwachende
Weisheit sich zeigt; das letztere tut sie in den ethischen
Wundern heroischer, übermenschlicher Liebe und Heilig-
keit, worin sich die sittlichen Eigenschaften Gottes lebhaft
vor Augen stellen." ^
B.
Gottesbeweise aus dem ilikrokosinos.
Psychologische Gottesbeweise.
Noch weit mehr als der Makrokosmos, die sinnenfällige
Welt, trägt der Mikrokosmos, der vernünftige Menschen-
geist Gottes Spur an sich, spiegelt die Gottheit wider.
Wir können darum aus der Betrachtung der Innenwelt
unseres Geistes ein verstärktes Zeugnis für das Dasein
Gottes finden. Ja „hier wird", wie Ender t sagt, „der Beweis
am konkretesten, zwingendsten, lichtvollsten, weil er sich
aufbaut über dem Fundament der uns unmittelbaren Tat-
sache, über dem Bewußtsein unserer Akte".
„Der sich selbst gegenwärtige, auf sich selbst reflek-
tierende Geist ist sich hier selbst der Stützpunkt, er ist
der Pfeiler, welcher den Bogen trägt, den er vom Dies-
seits ins Jenseits hinüber spannt. Er ist nicht mehr bloß
das Auge, welches in die Außenwelt hineinblickt und in
ihr ein mattes, dunkles Spiegelbild göttlicher Macht und
Weisheit erschaut, er ist, indem er auf sich selbst reflektiert,
Auge und Spiegel zugleich, und in demselben Maße, wie er
die bewußtlose Natur an Vollkommenheit überragt, in dem-
selben Maße übertrifft das Spiegelbild Gottes, das in ihm
erscheint, an Klarheit und Schärfe jenes, welches in der
äußeren Natur sich darstellt. Hier beobachtet er in den
Grundmanifestationen seines geistigen Wesens den Wider-
schein einer den endlichen Geist weit überragenden
Wesenheit . .
J Sehe eben Dogmatik I 473.
136 Ideologischer Gottesbeweis.
Das Rätsel des Daseins eines vernünftigen, sittlicti
freien Geistes in der Natur und in allseitiger Beziehung zu
derselben löst nur das Dasein eines persönlichen Gottes,
der die vernünftige Kreatur sowohl wie die dieselbe um-
gebende Natur geschaffen und durch die Natur den Geist
nach Vernunft und Willen zu sich als der höchsten Wahr-
heit und dem höchsten Gut hin bewegt." ^
Die neuere Apologetik widmet darum den psycholo-
gischen, auch anthropologischen genannten Gottesbew^eisen
eine besondere Aufmerksamkeit. Sie betrachtet hierbei
entweder den einzelnen Menschengeist nach seinen intel-
lektuellen Vermögen und sittlichen Anlagen, nach seinem
Wesen und seinen Wesenskräften Denken und Wollen und
schließt daraus auf Gott als oberste Wahrheit und höchstes
Gut, als Grund aller Erkenntnisse und Urheber der sitt-
lichen Ordnung in dem sog. noetischen und ideologischen
und moralischen (ethischen) Gottesbeweis; oder sie faßt
den Ausdruck all dieser auf Gott hinweisenden Anlagen
des menschlichen Geistes in der Geschichte der Menschheit
überhaupt, in dem Zeugnis der Völker für Gott ins Auge
und erhält so den historischen, auch ethnologischen oder
religiösen genannten Gottesbeweis.
Neuntes Kapitel.
Ideologischer Gottesbeweis.
a) Gewöhnliehe Fassung*.
Der gewöhnlich - sogenannte ideologische Gottesbeweis
geht aus von der Existenz der Wahrheit und dem eigen-
tümlichen und unzerstörbaren Verhältnis des Menschen-
geistes zur Wahrheit.
1
^ V. Endert, Der Gottesbevveis in der patristischen Zeit 17—19.
Freiburg 1869.
- Manche gebrauchen eine andere Bezeichnung, so z. B. nennt ihn
Schill den „noetischen" Gottesbeweis (Prinzipienlehre 127), Weber
(Christi. Apologetik 71) den „noologischen", Fesch (Praelectiones dogm.
11- 21} den „ontologischen^
Gewöhnliche Fassung. l'^7
Es gibt außer den wirklich existierenden Dingen ein
Reich der Wahrheit, d. h. „eine Summe von Prinzipien
oder objektiven Urteilen, deren Gewißheit und Notwendig-
keit unbestritten und für jedermann einleuchtend ist'V
wie die logischen, mathematischen, metaphysischen und
moralischen Grundideen.
Diese Wahrheiten existieren unabhängig von unserem
Denken. Obwohl sie formell nur in unserer Erkenntnis
existieren, sind sie nicht etwas rein Subjektives, ein sub-
jektives Denkgebilde, ein Produkt unserer Vernunft. Wir
erkennen die Wahrheit, aber wir schaffen sie nicht. Sie
ist notwendig und allgemein, wandellos und ewig. Sie hat
eine von unserem Geiste unabhängige Realität, objektive
Gültigkeit, geht aller menschlichen Vernunft und ihrer
Tätigkeit logisch und ontologisch voran. Die Wahrheit
ist auch unabhängig von den Dingen selbst, sie entsteht
und vergeht nicht mit den Dingen.
Obwohl aber die Wahrheit unabhängig ist von unserem
Denken und vom Sein der Dinge, so ist doch das Sein
der Dinge und unser Denken nicht unabhängig von der
Wahrheit.
Die Wahrheit übt auf das Sein der Dinge und auf
unser Denken eine absolute Herrschaft aus. So müssen
sich beispielshalber alle Wesen dem Prinzip der Identität
oder des Widerspruchs oder der Kausalität fügen. Alles
richtige Denken ist nur Nachdenken dessen, was wahr ist,
ohne daß es von uns qedacht wurde und vor allem mensch-
liehen Denken. Wir können nur richtig denken, wenn wir
den logischen Grundgesetzen unbedingt folgen. „Die Denk-
gesetze stehen also über dem Geiste, dessen Leitregeln sie
sind, aber auch über den Dingen, die in ihrer Realität
gemäß den in den Denkgesetzen im Bewußtsein erkannten
Regeln gestaltet und geordnet sind."-
Ebenso übt die Wahrheit ihre Herrschaft über den
Geist dadurch aus, daß sie ihn anspornt, nach ihr zu
forschen und erst in ihrem Besitz zu ruhen.
» Lehmen. Theodizee- 52. - Weber, Christi. Apologetik 71.
138 Ideologischer Gottesbeweis.
Diese genannten psychologischen Tatsachen: die Exi-
stenz der Wahrheit, die Unabhängigkeit derselben von
unserem Denken, ihre beherrschende Macht über das
Denken fordern einen genügenden Erklärungsgrund. Der
Grund für die reale Macht der Wahrheit muß selbst ein
realer sein, muß Urgrund aller Wahrheit sein, muß die-
selben Eigenschaften wie die Wahrheit haben, d. h. ewig,
unveränderlich, notwendig und absolut unabhängig sein.
„Die Wahrheit kann diese Herrschaft, sei es mittelbar
oder unmittelbar nur üben, wenn sie als solche über den
Dingen und von ihnen unabhängig für sich als das
schöpferische Prinzip derselben existiert, wenn es eine
wesenhafte, nicht nur passive, sondern aktive, also sich
selbst denkende, schöpferische, absolute, unendliche Wahr-
heit gibt; d. h. wenn der absolute Geist, Gott, also Schöpfer
der Welt ist."i
Gott steht aber nicht unter der Wahrheit, er ist die
Wahrheit. „Dies läßt sich nur so denken, daß jenes Wesen
das Urbild aller möglichen Wesenheiten ist, welche nur
dadurch das sind, was sie sind, daß sie eine jede auf ihre
Weise und in bestimmten Grad jenes Urbild darstellen." -
„Es ist darum nicht sowohl die Wahrheit an sich, als
vielmehr Gott, die ewige, in sich selbst gründende, absolute
Wahrheit, der allem Denken und Sein das Gesetz der Wahr-
heit auflegt, wie dem Reiche des Physischen die Natur-
gesetze. Darum ist wie der Schluß von der Welt auf ihren
Urheber, so auch jener vom Wahrheitsgedanken des ge-
schaffenen Geistes auf die Urintelligenz stringent."-^ Gott
actus purissimus.
I
1 Weber, Christi. xA.pologetik 72.
- Gutberiet, Apologetik P 197.
^ Schill, Prinzipienlehre 129—130; vgl. überhaupt 127—130. Vgl.
Dippel, Die beiden Grundfragen 253 f. Hettinger, Apologie I^ 142—
148. Hontheim, Theod. 123 — 129. Boedder, Theol. nat. 48 — 51.
Gutberiet, Apologetik P 195—198. Hagemann, Metaphysik^ 183.
Reinhold, Die Welt als Führerin zur Gottheit 97 — 104. Lehmen,
Theodizee- 50 — 56.
Der ideologische Gottesbeweis i)ei Schell. 139
b) Der ideologische Gottesbeweis bei Schell.
Auch bei Schell finden wir an der Spitze der psy-
chologischen Gottesbeweise ein Argument, das den Namen
„ideologischer Gottesbeweis" ^ trägt. Doch hat der Beweis
bei Schell eine ganz andere Form, so daß wir ihn eigens
behandeln müssen.
Schell führt den ideologischen Beweis aus dem „vor-
stellenden Bewußtsein", „schließt vom bedingten Be-
wußtsein der menschlichen Seele auf das absolute, selbst-
bestimmte, schöpferische Bewußtsein, auf Gott".-
„Der ideologische Gottesbeweis geht von der Tatsache
aus, daß uns die Welt der Gegenstände durch einen ganz
eigentümlichen Vorgang, durch Empfindung, Vorstellung
und Denken, in der Innerlichkeit unserer Seele bewußt
oder gegenständlich wird."'^
„Die Tatsache des Bewußtseins ist aber in keiner Weise
aus der Natur oder der mechanischen Naturnotwendigkeit
verständlich zu machen, und zwar weder als Anlage und
Wechselbeziehung zwischen Natur und Seele, noch als
Gesetz und Kunst der Ideenbildung, noch in seiner Be-
deutung als Zweck der gesamten Wirklichkeit sowie ihrer
geordneten Mannigfaltigkeit und Pracht . . .
Zu erklären ist nämlich die tatsächliche Scheidung
des Universums in eine Welt der gegenständlichen Schön-
heit, der Wahrnehmungsgegenstände, und in eine Welt der
darstellenden bewußten Kunst, der wahrnehmenden Seelen,
und zwar so, daß die Gegenstände geeignet sind, die
schlummernde Anlage der Ideenbildung in den Seelen zu
erw^ecken, obgleich die Natur an sich nichts als der kahlste,
aller . höheren Schönheitsformen entbehrende Wirbel der
Atome ist. Weder irgendein Bedürfnis noch eine mecha-
nische Notwendigkeit ist als hinreichender Erklärungsgrund
der Scheidung denkbar . . .
Keine monistische Entwicklungslehre vermag das Be-
dürfnis nach dem Bewußtsein darzutun . . . Denn von
' Schell, Gott und Geist IL 473—499.
•' A. a. 0. I 214. ^ A. a. 0. II 473.
140 Ideologischer Gottesbeweis.
ihrem Standpunkt aus . . . hat das Bewußtsein nur die
verhängnisvolle Folge, daß mit ihm der Schmerz und das
Leiden seinen Einzug in die Schöpfung feiert und gerade
den Kampf ums Dasein zum Übel aller Übel macht . . .
Die hinreichende Ursache dieser Scheidung und Wechsel-
beziehung kann nicht in der Natur liegen; denn das
Bewußtlose kann aus sich weder die Anlage noch die er-
wachende Tat des Bewußtseins hervorbringen . . .; auch
nicht in der Seele, denn sie ist aus sich nur schlum-
mernde Anlage. Die wahre, also die höchste Ursache muß
die zu erklärende Wirkung in sich enthalten, um sie in
verständlicher Weise hervorzubringen . . .
Prinzip der Vervielfältigung, der Mannigfaltigkeit und
des Reichtums an Formen, Gegensätzen und Wechsel-
beziehungen ist nur der denkende Geist . . .
So kann auch die Scheidung des Universums in eine
Welt des Bewußtseins und der Bewußtseinsgegenstände,
welche den Stoff zur Verinnerlichung darbieten, nur aus
der Innerlichkeit der denkenden und erfinderischen Weisheit
erklärt werden, und zwar einer solchen, welche selbst über
den Gegensatz erhaben ist, weil sie ja als der schöpferische
Erklärungsgrund dieses Gegensatzes gefordert wird . . .
Sodann ist zu erklären, woher die Gesetze und
Formen stammen, nach denen und in denen die sinn-
liche und geistige Seele die Eindrücke der Außenwelt in
das Bewußtsein aufnimmt und im Bewußtsein darstellt.
Aus der Natur stammen diese Gesetze und Formen
der Ideenbildung nicht, weil die Natur selbst nichts anders
als ein System von Bewegungsgegenständen ist, und weil
die Wahrnehmungsgegenstände gar nichts mit jenen sinn-
lich schönen und geistig klaren Vorstellungsformen gemein-
sam haben . . . Die Seele selbst hat diese Gesetze der
Ideenbildung, diese Formen des sinnlichen und geistigen
Bewußtseins nicht erfunden, nicht aus sich selber geschöpft,
sondern findet sie ohne alles eigene Zutun in ihrer Wesens-
anlage vor ... —
Auch der Zweck des Bewußtseins und der
Ideenbildung kann nicht aus dem Naturzusammenhang
Der ideologische Gottesbeweis bei Schell. 141
abgeleitet werden, auch nicht aus der zeitlichen Welt-
entwicklung des Endlichen ; jedenfalls nicht aus dem Nutzen,
den die Empfindung im Kampfe ums Dasein darbietet;
denn gerade hier ist sie um den Preis des Schmerzes,
der Todesqual, des Bewußtseins von Schmerz und Tod
erkauft . . .
Das Bewußtsein ist nicht wertvoll oder gar notwendig
als Mittel im Kampfe um ein vergängliches Dasein, sondern
als Form eines unvergänglichen I-ebens und zwar aus
dem Ganzen, als der große Endzweck, auf den die ganze
Natur und Weltentwicklung angelegt ist und der ihr allein
Smn gibt. Denn wozu all dieser Reichtum von schönen
Formen ohne eine Seele, in der er zum Bewußtsein kommt
und zum Gegenstand des idealen und ästhetischen Genusses
wird? . . .
Allein dieser Zweck, der die Voraussetzung und das
maßgebende Gesetz für die ganze Einrichtung der Natur
wie der Geisteswelt und ihrer Zusammenordnung ist, steht
beherrschend über ihnen und kann aus keiner von beiden
als notwendige Folge abgeleitet werden . . .
Vom Standpunkte der rein mechanistischen Welt-
anschauung konnte der Stoff und die bewußtlose Natur-
welt ganz gut bestehen und ihre Entwicklung mit
mechanischer Notwendigkeit irgendwie, sei es im Kreis-
lauf oder sonstwie, vollbringen, ohne daß deshalb die
Welt des bewußten Lebens daraus entstehen mußte. Viel-
mehr ist das Bewußtsein für die mechanistische Welt-
anschauung ein unlösbares Rätsel, ein erratischer Blök
aus einer ganz anderen Welt, den man um so lieber ver-
missen würde, zumal ein vergängliches Bewußtsein nicht
einmal geeignet ist, dem mechanischen Entwicklungsgang
Sinn und Zweck zu geben . . .
Der persönliche Gott ist der einzig mögliche Erklärungs-
grund in der Welt. Als hinreichender Erklärungs-
grund für die tatsächliche Einrichtung und Entwicklung
des Bewußtseins, seiner Gesetze und Formen sowie seiner
Zweckbedeutung als Brennpunkt und Sammelpunkt des
Universums ist notwendig anzunehmen das absolute
142 Ideologischer Gottesbeweis.
Bewußtsein, als die selbstwirkliche Idee aller Vollkommen-
heit, als die ewige Selbstvergegenwärtigung der unend-
lichen Schönheit (durch eigene Kunst), als die in tätiger
Lebendigkeit ewig vollzogene Einheit der ganzen Wesens-
fülle des Seins mit dem vollkommenen Bewußtsein und
zwar in weisheitsvoller Entfaltung dieser Wesensfülle, in
allseitiger Yergegenwärtigung und vollkommener Wieder-
gabe durch ein wesensgleiches Bild . . .
Dieses absolute Bewußtsein ist der einzig mögliche
Erklärungsgrund für die Tatsache des geschöpflichen
Bewußtseins, das als schlummernde Anlage entsteht und
durch die Einwirkung der Gegenstände zum lebendigen
Bewußtsein und zur Ideenbildung erweckt wird, weil es
erhaben über den Gegensatz von Subjekt und Objekt
oder Seele und Wahrnehmungsgegenstand, weil es ferner
erhaben ist über das Bedürfnis der Anregung von außen
oder über den Gegensatz von Bewußtsein, Anlage und
Tätigkeit . . .
Das absolute Bewußtsein ist der einzig mögliche Er-
klärungsgrund für unsere Ideenbildung, welche sich nach
vorgängigen Gesetzen und in bestimmten Formen voll-
zieht, die beide von unserer Willkür durchaus unabhängig
sind, weil es die lebendige Einheit von Gesetz und
Tätigkeit ist . . . und denkend alle Formen der Wirk-
lichkeit wie der Innerlichkeit erfindet, nicht wie wir
vorfindet . . .
Das absolute Bewußtsein ist endlich der Erklärungs-
grund für den Zweck des Bewußtseins. Denn die Voll-
endung wird erzielt durch die Aufnahme der Wirklichkeit
in unser Denken . . .
Die unbestreitbare Tatsache des Bewußtseins erscheint
der gesamten unbewußten Natur gegenüber trotz all ihrer
Masse und Kraft, Schönheit und Pracht unverkennbar und
ausschließlich als Zweck. Das Bewußtsein ist auch allein
geeignet, die zwecksetzende Ursache zu sein. Was
aber seinem Wert nach ausschließlich geeignet ist, als
Zweck zu gelten, und seiner Kraft nach allein befähigt
Der noetische Gottesbeweis. 143
ist, die zwecksetzende Ursache zu sein, das ist das Erste,
das Ewige, das Urtatsächliche." ^
Den Wert des ideologischen Beweises findet Schell
darin, daß er unmittelbar die Notwendigkeit Gottes als
des absoluten Bewußtseins und der absoluten Persönlich-
keit dartut gegenüber der philosophischen Kritik, die
Bewußtsein und Persönlichkeit des Absoluten und Unend-
lichen bestreitet.-
Zehntes Kapitel.
Der noetische Gottesbeweis.
Einen weiteren psychologischen Gottesbeweis gewinnt
Schell aus der Tatsache der Wahrheitsveranlagung der
menschliehen Seele, aus der Denk- bezw. Erkenntnistätig-
keit der menschlichen Seele und nennt ihn den noetischen
Gottesbeweis.
„Der noetische Gottesbeweis betrachtet den mensch-
lichen Geist in seinem eigentümlichen und unzerstörbaren
Verhältnis zur Wahrheit. Das Denken läßt sich von keiner
Theorie in das Geheimnis der Subjektivität und des wahr-
heitslosen Traumlebens einschließen; es verzichtet nie auf
den Adel der Natur und die Bestimmung, in die Welt der
Wirklichkeit erkennend hinauszudringen."^
Die Eigentümlichkeiten der menschlichen Erkenntnis,
die einen hinreichenden Erklärungsgrund fordern, sind
nun folgende :
„Die menschliche Erkenntnis, welche durch selbstän-
diges, reines Wahrheitsverlangen und durch Einsicht aus-
gezeichnet ist, beruht zunächst:
a) auf dem Unterschied zwischen der Tatsache und
der Anerkennung von Tatsachen, zwischen der rein
gegenständlichen Wahrheit und der innerlich erkannten
und gewürdigten Wahrheit. Schon hier erhebt sich die
i Schell, Gott und Geist II 473-493.
-• A. a. 0. 493 499. ^ A. a. 0. ölu.
1 44 Der noetische Gottesbeweis.
Frage : Wie kommt der erkennende Geist überhaupt aus
seiner subjektiven Innerlichkeit in die Welt der Tatsachen
hinaus? Wie kommt er zur Idee der Tatsächlichkeit, der
objektiven Wahrheit, zur Unterscheidung von Wahrnehmung
und Einbildung? . . .
b) Sodann beruht unsere Erkenntnis auf dem Unter-
schied von Anlage und Anregung. Unser Erkenntnis-
vermögen ist ruhende Kraft und wird erst angeregt zur
Tätigkeit durch die Einwirkung der realen Tatsachen.
Woher nun diese Zusammenordnnng? Und wie beschaffen
ist die hinreichende Ursache dafür? . . .
c) Unsere Erkenntnis beruht auf dem Unterschied von
Erkenntnistätigkeit und Erkenntnisgesetz, nach
welchem das Tatsächliche von den Einbildungen zu unter-
scheiden ist, und zwar durch Untersuchung des Ursprungs
unserer Ideen, ob sie willkürlich gebildet sind oder unter
dem Einfluß hinreichender Gründe und Ursachen, tatsäch-
licher oder innerer Notwendigkeit . . . Welches ist nun
der hinreichende Grund für diese Geistesanlage und für
die Herrschaft jenes Wahrheitsgesetzes? . . .
d) Unsere Erkenntnis beruht auf dem Unterschiede
zwischen Anlage, Entwicklung und Zielvollendung.
Die Erkenntnisanlage hat zum Zweck die bewußte und
einsichtige Übereinstimmung mit den Tatsachen . . .
Nun aber ist alle Vielheit und Unterschiedenheit auf
eine höhere Einheit zurückzuführen; das ruhende Ver-
mögen auf das Ewig- Wirkliche, die anregungsbedürftige
Fähigkeit auf die ewige Tätigkeit, das Unvollkommene,
welches zwar fehlen kann, aber ohne sein eigenes Zutun
eine Richtschnur zur Vermeidung und Richtigstellung der
Fehler in sich vorfindet, auf die allseitige Vollkommenheit
als ihr maßgebendes Gesetz und Urbild, die Anlage und
Entwicklung zur Zielvollendung auf den in sich selber
erfüllten Zweck als Urheber und Zielgut . . .
Ferner ist zu beachten, daß bei den vier Wechsel-
beziehungen, welche unsere Erkenntnis bedingen, der eine
Gegensatz dem andern nicht bloß gegenübersteht, sondern
ihn umfaßt und einschließt, nicht aber umgekehrt . . .
Der noetische Gottesbeweis. 145
Als der allein hinreichende Erklärungsgrund aller
Erkenntnis, aller objektiven und subjektiven Wahrheit,
allen Zusammenhangs zwischen Wirklichkeit und Erkennt-
nis, zwischen Erkenntnistätigkeit und Erkenntnisgesetz,
zwischen Erkenntnis- Anlage und -Aufgabe ist folglich Gott
anzunehmen. Und zwar ist er zu denken als die selb-
ständige Erkenntnis, welche schlechthin keiner Anregung
bedarf, weil sie ganz aus sich allein heraus Tätigkeit
ist . . ., als die ewig vollendete Erkenntnis und Einsicht
in alle Wahrheit . . ., welche geeignet ist, die menschliche
Anlage und Sehnsucht nach der vollkommenen Einsicht
in die Wahrheit zu begründen und auf dem Wege der
mannigfachen Entwicklung zum Ziele zu leiten'*; „als die
absolute Wahrheit, in welcher Sein und Erkennen iden-
tisch, und welche daher Prinzip der Erkennbarkeit und
Erkenntnisfähigkeit ist".
„Das Ergebnis des noetischen Bew^eises ist die Er-
kenntnis, daß die Wahrheit im vollsten Sinne und Umfange
als ewiger Selbstand anzunehmen sei, um einen hin-
reichenden Erklärungsgrund für unser Erkenntnisleben
und Erkenntnisstreben zu gewinnen." ^
Verwandt mit diesem Schell sehen Beweis ist der
Gottesbeweis, den M. Limbourg aus der Harmonie
zwischen Denken und Sein führt. Seine Grund-
gedanken sind folgende: Zwischen den Gesetzen unseres
Denkens und den Gesetzen des Seins der Dinge offenbart
sich eine höchst merkw^ürdige Übereinstimmung, eine voll-
kommene Kongruenz. Beweis für die Existenz dieser
Harmonie ist das Wort „Wahrheit".
Der letzte Grund der Harmonie zwischen unserem
Denken und Sein kann nicht im Intellekt des Menschen
gefunden werden; denn er ist nicht Urheber der Denk-
gesetze, unterliegt ihnen vielmehr erfahrungsgemäß mit
Notwendigkeit; ohne die Annahme des der Tätigkeit des
1 Vgl. Schell, Gott und Geist II 557—577; Dogm. I 223. Pader-
born 1889. Vgl. auch Rolfes, Die Gottesbeweise 129—163. v. Holtum,
Gottes Existenz bewiesen aus dem Verhältnis des Geistes zur Wahrheit.
(Studien und Mitteilungen aus dem Benediktinerorden. 26. Jahrg.)
Staab, Gottesbeweise in der katli. Literalur. 10
146 Moralischer Gottesbeweis.
Intellektes vorangehenden Bestehens dieser Harmonie wäre
eine Erkenntnistätigkeit absolut undenkbar. Auch das
Objekt läßt sich nicht als letzten Grund der Harmonie
zwischen dem Objektiven und Subjektiven erweisen. Es
ist eine das Denken geradezu aufhebende Behauptung, die
Dinge selbst seien das Prinzip ihres Seins und der Gesetze
ihres Seins. Die Denkbarkeit der Dinge geht ohne Zweifel
ihrem Dasein voran und bleibt bestehen, auch wenn ihr
Dasein aufgehört hat. Darum kann die Denkbarkeit der
Dinge nicht in ihrem Dasein ihren letzten Grund haben.
Der letzte Grund der Harmonie ist ohne Zweifel in
einem Wesen, dessen Erkennen Sein und dessen Sein
Erkennen ist, in welchem mithin Erkennen und Sein in
absoluter Identität, in vollendeter Einheit sich finden.
Dieses Wesen, das absolutes Sein und zugleich absolute
Idee ist, ist actus purus, ist Gott.^
Elftes Kapitel.
Moralischer Gottesbeweis.
§ 15.
a) Deontologiseher Gottesbeweis.
Der moralische Gottesbeweis geht aus von den Tat-
sachen des sittlichen Bewußtseins. Diese Tatsachen sind
die Existenz eines objektiven, absoluten Sittengesetzes;
die theoretische, subjektive Verpflichtung, Verantwort-
lichkeit und Verdienstlichkeit; endlich die physische An-
regung zur praktischen freiwilligen Ausführung des
Sittengesetzes. Oder anders gefaßt: Der Mensch steht
unter einem absoluten Sittengesetz ; dieses Sittengesetz
muß zugleich die sittliche Ordnung und die individuelle
Glückseligkeit hervorbringen. -
Diese unleugbaren Tatsachen des sittlichen Bewußt-
seins verlangen eine genügende Ursache. Nur der per-
1 Limbourg, Gott als die Voraussetzung der Harmonie zwischen
Denken und Sein. Zeitschr. f. kath. Theol. 3 (1881) 660—671.
2 Didio, Der sittl. Gottesbeweis 188—89. Würzburg 1900.
Deontoloffischer Gottesbeweis. 14:7
'e
sönliche Gott ist die vollgenügende Erklärung dazu; denn
nur er ist jenes höchste Gut, welches das objektive Sitten-
gesetz mit seinen eigentümlichen Eigenschaften erklärt,
bestimmt, normiert. Er ist die verpflichtende Kraft,
welche den freien Willen des Menschen bestimmen kann,
das Sittengesetz als absolut gültige Regel seines Handelns
anzuerkennen und praktisch zu befolgen, er kann das
Lebensziel des Menschen sein, dadurch daß er Verdienst
und Schicksal harmonisch ausgleicht; er bietet die Gewähr,
daß vollkommene Sittlichkeit zur vollkommenen Glück-
seligkeit führt.^
Schell gibt den Grundgedanken des Beweises in
folgender Form: „Es besteht notwendigerweise eine per-
sönliche Vollkommenheit und Heiligkeit, welche
a) als Urbild und Inbegriff alles Guten dem mensch-
lichen Geiste das reine Wohlgefallen und die uneigennützige
Liebe zum Guten als natürliche Mitgift eingeflößt hat ;
b) ihm die Verpflichtung zum Guten als unverbrüch-
liches Gesetz eingeprägt und als unersetzliches Zielgut
seine volle Hingebung fordert;
c) als vollkommene Gerechtigkeit der sittlichen Ord-
nung einen inneren Zweck und das entsprechende äußere
Ansehen, die notwendige Sanktion gibt.
Atheistische Moralprinzipien können die Tatsachen des
sittlichen Bewußtseins nicht erklären:
A. Die innere Güte und Schlechtigkeit der Gesinnungs-
und Handlungsweise erklärt sich nicht aus dem Gesetz als
inhaltleerer Form der Allgemeingültigkeit, sondern nur
aus dem Gesetz voll Inhalt und Zweck, d. h. aus einem
Gesetz, welches zugleich das höchste Gut ist.
B. Pflicht und Verantwortlichkeit sind nur möglich
vor einer Persönlichkeit, welche als Gesetzgeber und Gesetz
vor und über dem Geiste steht.
C. Verdienst und Schuld ... ist nur möglich, wenn
der absolut Vollkommene Richter ist und alles nach seinem
inneren Wert vergilt und vollendet." -
1 Didio a. a. O. 209. Vgl. Schell, Gott und Geist II 578—638.
2 Schell a. a. 0. 620. 624—26.
10*
148 Moralischer Gottesbeweis.
Man kann den sittlichen Beweis auch führen von der
Existenz des freien Willens aus und zeigen, daß sich dieser
nur als das Werk einer durch sich selbst seienden und
selbst freiwollenden Ursache begreifen läßt. Oder man
geht aus von der Existenz des Gewissens, das sich dem
Menschen darstellt als eine absolute Macht, die sich jeder
menschlichen Einwirkung entzieht, die unbedingt gebietet,
das Gute zu tun und das Böse zu unterlassen, und nach
der Tat Verdienst oder Schuld jedem rückhaltlos zu-
rechnet.^
„Diese Gewissensherrschaft und ihre Ausflüsse, An-
erkennung und Schuldbewußtsein sind ohne Abhängigkeit
und Verantwortlichkeit von und vor einer durch das
Gewissen repräsentierten Autorität nicht zu begreifen; so
real wie jenes muß auch diese sein. Deswegen ist das
Gewissen ein Gottesbeweis, und die ethischen Eigenschaften
des höchsten Gutes sind seine speziellen Ergebnisse." So-
mit ergibt sich aus dem Dasein der Gewissensmacht, die
ihrem Wesen nach Bestimmungsgewalt über den Menschen
durch ein höheres Bewußtsein ist, als seine Voraussetzung
das Dasein des absoluten, welterhabenen und absolut
beherrschenden, demgemäß schöpferischen Geistes, d. i.
Gottes. Gewöhnlich aber wird der moralische Beweis
aufgebaut auf der Existenz der sittlichen Ordnung und
der absoluten Verpflichtung unseres freien Willens auf
dieselbe, auch deontologischer Beweis genannt."-
Wie man auch den Ursprung der Sittlichkeit erklären
mag, wie verschieden man auch den Unterschied zwischen
Gut und Bös bestimmen mag, über den Bestand der sitt-
lichen Ordnung, über den sie bedingenden Unterschied
zwischen Gut und Bös, über den absoluten Charakter der
Forderungen der sittlichen Ordnung besteht kein Zweifel.
i Schill, Prinzipienlehre 132—133. Weber, Christi. Apologetik
72—73. Vosen, Das Christentum^ 320 (6 ff.).
2 Hontheim, Theod.218— 227. Boedder, Theol. nat. 71— 76. Gut-
beriet, Apologetik P 200; Der mechanische Monismus 2G7. Lehmen,
Theodizee^ 72—77. Vgl. Schill, Prinzipienlehre 130—131. Heinrich,
Dogmatik II ^ 244—253.
Deontologisclier Gottesbeweis. 149
Woher diese unbedingte moralische Nötigung bei allen
Menschen, das Gute zu tun und das Böse zu meiden, woher
die absolute Verpflichtung unseres freien Willens auf die
sittliche Ordnung?
Sie kann nicht begründet sein in der Erziehung und
in menschlichen Gesetzen, weil diese bei verschiedenen
Völkern sehr verschieden und veränderlich sind und keine
allgemeine, unverändert fortdauernde Überzeugung und
Nötigung schaffen können; sie kann nicht ihren Grund
haben in den betreffenden gebotenen oder verbotenen
Handlungen, weil diese oft unbedeutend sind; sie kann
endlich nicht herstammen aus der menschlichen Vernunft,
weder aus der Einzelvernunft noch aus der Vernunft der
gesamten Menschheit. Denn die menschliche Vernunft ist
sich klar bewußt, daß sie absolut dem Sittengesetz unter-
worfen ist, keineswegs aber über demselben als Urheberin
steht. Sodann könnte sie, weil endlich, keine absoluten
Forderungen stellen.
Nur ein absolutes Prinzip kann absolute Forderungen
stellen. Die sittliche Ordnung muß daher entweder selbst
der Absolute, Gott, sein oder mit dem Wesen Gottes iden-
tisch sein.
Die absolute Forderung: Du mußt unter allen Um-
ständen das Gute tun, ist sinn- und verstandlos, wenn sie
nicht gestellt und getragen ist von demjenigen, der selber
seinem Wesen nach gut, das höchste Gut, Prinzip und
Inbegriff aller Güter ist.^
Sowie also die nach den Naturgesetzen sich voll-
ziehende Ordnung des physischen Universums den allweisen
und allmächtigen Urheber dieser Ordnung offenbart, so
offenbart die in unserem Gewissen als unverbrüchliches
Gesetz sich kundgebende, durch den freien Willen des
Menschen zu vollziehende sittliche Ordnung Gott als den
unendlich heiligen und gerechten Urheber dieser Ordnung.-
' Schill. Prinzipienlehre 130—131.
2 Heinrich, Dogmatik IIl"^ 217-248. Rein hold. Die Welt als
Führerin zur Gottheit 172.
150 Moralischer Gottesbeweis.
Bedenken gegen den deontologischen Gottesbeweis.
Gegen den Gottesbeweis aus der sittlichen Verpflich-
tung, falls man ihn als direkten Gottesbeweis auffaßt,
hat in neuester Zeit L. Lercher^ ernste Bedenken er-
hoben. Er will ihn nur gelten lassen als indirekten
oder reflexen Beweis, d. h. als einen solchen, „der aus
der Untrüglichkeit der tatsächlich im Menschen-
geschlecht vorhandenen Gotteserkenntnis auf die
Wirklichkeit ihres Inhaltes schließt".^ Die direkte
Form des Beweises fordert dagegen nach Lercher den
Widerspruch gleichsam heraus. „Der direkte Gottesbeweis
aus der moralischen Verpflichtung ist eine petitio principii;
denn die Wahrheit des antecedens, in welchem das Bestehen
der absoluten Verpflichtung behauptet wird, kann unab-
hängig von der Gotteserkenntnis nicht erkannt werden." •'''
Zu diesem Urteil kommt er durch Betrachtung des
Wesens der absoluten Verpflichtung. Die absolute
moralische Verpflichtung, um die es sich in unserem
Beweis handelt, ist die durch den unbedingten Willen
eines unendlich erhabenen und absolut unabhängigen
Gesetzgebers auferlegte moralische Notwendigkeit. Daraus
folgt, daß die Entstehung des Pflichtbewußtseins bedingt
ist durch die Gotteserkenntnis, ein Ausfluß des mehr oder
weniger klaren Gottesbewußtseins ist. Der Verstand muß
erst urteilen, daß ein erhabenes Wesen existiere, dem
er unbedingt Gehorsam schulde; er muß erkennen, daß
jene hehre, über ihm stehende Macht gewisse Handlungen
und Unterlassungen von ihm unbedingt fordere, und daß
er somit durch die Übertretung dieser Ordnung dem Miß-
fallen und der höchsten Ungnade dieses Wesens sich preis-
gebe. Ganz und gar undenkbar ist es aber, daß jemand
vor und unabhängig von dieser Erkenntnis zur Einsicht
gelangen könnte, er sei zu gewissen Handlungen und Unter-
lassungen absolut verpflichtet.^
1 L. Lercher, Über eine Form des Gottesbeweises aus der sitt-
lichen Verpflichtung. Innsbr. Zeitschr. f. kath. Theol. 24 (1900) 463—481.
2 A. a. 0. 468. ^ a. a. 0. 467—468.
Eudämonologischer Gottesbeweis. 151
Wegen dieser Bedenken gegen den direkten mora-
lischen Beweis scheint es Lercher geraten, „diese Form
des Argumentes aufzugeben, damit nicht durch eine nahe-
liegende Verwechslung das Ansehen des moralischen Be-
weises überhaupt, der wie kein anderer geeignet ist, die
Allgemeinheit, Tiefe, Leichtigkeit und Energie der Gottes-
erkenntnis in ein helles Licht zu setzen, gefährdet werde".'
Ähnlich äußert sich auch Gut beriet- über den ge-
nannten Beweis: „Freilich zu einem ganz ursprünglichen
und selbständigen Beweis für das Dasein Gottes kann die
Verpflichtung nicht verwandt werden. Denn eine eigent-
liche Verpflichtung gibt es nicht ohne Gott, und da das
Verpflichtungsbewußtsein uns nicht durch eine unmittel-
bare physische Einwirkung eingegossen, sondern durch
die Erkenntnis vermittelt werden muß, so kann niemand
im eigentlichen Sinne des Wortes sich verpflichtet erachten,
der nicht irgendwelche vorgängige, wenn auch noch so
unvollkommene Erkenntnis Gottes hätte. Zu dieser gelangt
aber jeder Mensch ohne strengen Beweis." Sehe eben'
zählt ihn überhaupt zu den reflexen Beweisen.
§ 16.
b) Eudämonologischep Gottesbeweis.
Mit der Tatsache der absoluten Verpflichtung unseres
Willens auf das Sittengesetz steht im innigsten Zusammen-
hang eine andere Erscheinung unseres Willenslebens:
nämlich das Glückseligkeitsstreben, der Naturtrieb des
Menschen nach Glückseligkeit. Wie wir durch das Kau-
salitätsprinzip Gott als die erste Ursache aller Dinge
erkennen, so weist uns dieser Glückseligkeitstrieb auf Gott
als das letzte Ziel aller Dinge hin. Darum hat schon
Augustinus^ aus dem Glückseliofkeitsdrang einen Gottes-
^ Lercher a. a. 0. 466.
2 Gut beriet, Ethik und Religion 56. Münster 1892.
3 Scheeben, Dogmatik I 475.
* S. Augustinus, De Trinitate 13, 3. 4; Conf. 10, 6: De lib.
arb. 2, 9.
152 Moralischer Gottesbeweis.
beweis hergeleitet, der noch heute in Ehren steht und den
Namen „eudämonologischer Gottesbeweis" trägt.
Der Beweis baut sich folgendermaßen auf: Der Mensch
strebt naturnotwendig nach vollkommener Glückseligkeit
im Besitz alles Wahren und Guten. Das Naturstreben des
menschlichen Verstandes geht auf den Vollbesitz aller
Wahrheit, das Naturstreben des Willens auf den Vollbesitz
alles Guten und findet erst darin seine Ruhe.
Der Naturdrang nach Glückseligkeit ist die letzte
Triebfeder all unseres Tun und Lassens. Die Allgemein-
heit und Unwiderstehlichkeit dieses Strebens nach voll-
kommenem Glück beweist, daß es Naturtrieb im eigent-
lichen Sinne ist.
Diese Glückseligkeit, nach der der Mensch natur-
notw^endig strebt, muß ihm an und für sich erreichbar
sein, obwohl er als freies Geschöpf die Erreichung der-
selben durch eigene Schuld verhindern kann. Andernfalls
wäre der Mensch schlechter gestellt als das vernunftlose
Tier, es wäre in der vernünftigen Menschennatur ein offen-
barer V/iderspruch. Diese Glückseligkeit, nach der der
Mensch naturnotwendig strebt, muß der Inbegriff alles
Wahren und Guten, das unendliche und zwar persönliche
Sein, d. i. Gott sein; denn nur durch ein existierendes
unendlich vollkommenes Wesen, das alles mögliche Sein in
Wirklichkeit besitzt, kann das Naturstreben des Menschen
befriedigt werden.^
Der eudämonologische Beweis in dieser Form ist nur
eine besondere Anwendung der teleologischen Beweis-
führung.2
„Man kann aber auch die menschliche Natur", sagt
Reinhold, „als eine solche betrachten, die das Bedürfnis
einer Ergänzung oder Vervollkommnung nach außen und
zwar einer durch Erkennen und Wollen sich vollziehenden
Verbindung mit einem unendlichen Objekt aufweist. Bei
1 Lehmen, Theodizee^ 77—82. Vgl. Hontheim, Theod. 206—208.
Boedder, Theol. nat. 70 — 71. Reinhold, Die Welt als Führerin zur
Gottheit 166—170.
2 Reinhold a. a. 0. 169.
Eudämonologischer Goltesbeweis. 153
dieser Auffassung tritt dann mehr die Beeinflussung oder das
Bewegtwerden der menschlichen Natur durch eine äußere
Ursache hervor, von der sie unwiderstehlich angezogen
wird, und die deshalb real existieren muß. Damit stünden
wir mehr auf dem Boden des kosmologischen Beweises."^
Gut beriet- betrachtet übrigens das genannte Argu-
ment nur als Wahrscheinlichkeitsbeweis. Deshalb
gibt er ihm, um es stringent zu machen, eine andere
Form. Er bringt die Glückseligkeit mit der Wahrheit in
Verbindung und schließt dann aus der Macht des Guten
auf unseren Willen auf die Realität eines unendlichen
Gutes. Er nimmt also zum Ausgangspunkt seines Beweises
nicht nur den Naturtrieb des Menschen nach Glückselig-
keit, sondern vor allem den absoluten Wert des sittlich
Guten. Weder die sittliche Handlung an sich noch ihre
Beziehung zur Vernunft noch ein ideelles Gut oder die
ideelle Notwendigkeit der Prinzipien erklärt diesen abso-
luten Wert. Sodann sind die Forderungen der Sittlichkeit
sehr real und äußern sich in der Macht des Gewissens.
Darum muß ein reales Gut mit der Sittlichkeit verknüpft
sein, nur die Beziehung zu einem unendlichen, wirklichen
Gut kann die absoluten Forderungen, den unendlichen
Wert der Sittlichkeit erklären.-^
Am besten scheint Weber "^ den Beweis zu geben in
folgender Form: „Die im Menschen (im Glückseligkeits-
trieb) sich ankündigende Berufung zum unendlich voll-
kommenen Gut setzt über dieser Welt ein solches voraus,
von welchem aus dieser Antrieb geweckt wird. Das Streben
nach dem äußeren vollkommenen Gut entsteht aus der
Liebe zum Guten an und für sich, zum Guten schlechtweg
bei der Erkenntnis der Bedingtheit des eigenen Daseins und
des Daseins der weltlichen Güter in der Menschenseele. Nur
wenn weder die Weltseele noch die Weltdinge selbst iden-
tisch sind mit dem Guten an sich, dem wesenhaft Guten und
1 Reinhold a. a. 0. 170.
2 Gutberiet, Phil. Jahrbuch 2 (1889) 92 t.
3 Gutberiet, Apologretik !•' 198—201.
■• Weber, Christi. Apologetik 73—74.
154 Moralischer Gottesbeweis.
Vollkommenen, kann der Glückseligkeitstrieb in seiner tat-
sächlichen Form als Streben nach dem äußeren absoluten
Gut im Menschen erwachen. Dann kann aber auch die
Liebe zum Guten an sich in der Menschenseele nicht natur-
haft entstehen, ohne daß es ein solches höchstes gutes
Wesen außerhalb des Menschen und der Welt gibt, durch
welches diese Liebe entfacht wird. Denn diese Entfachung
kann nur dann geschehen, wenn die Seele zugleich, indem
sie in den Dingen und in ihrer eigenen Natur das be-
schränkte Gut erkannt hat und liebt, zur Idee des Guten
überhaupt geleitet wird und mit der Liebe zu ihrer eigenen
Güte die Liebe zum unendlichen Guten naturhaft zu ver-
binden angeregt wird. Ein solcher Vorgang ist aber
naturhaft nur möglich, wenn über dem Teilguten das all-
ewige Gute real ist, bezw. die einzelnen bedingten Güter
ihre Güte durch ein höheres vollkommenes Gut erhalten.
Also hat der Glückseligkeitstrieb des Menschen ein über-
weltliches, schlechthin oder vollkommen gutes Wesen, nicht
nur psychologisch, sondern auch metaphysisch zur Voraus-
setzung, das Gott ist. Da der Glückseligkeitstrieb aber
wahrhaft existiert, so existiert auch Gott."
§ 17.
c) Der religiöse Gottesbeweis.
Das System der Gottesbeweise schließt Schell mit
dem „Gottesbeweis der Hoffnung, der seligen Vollendung,
der sittlichen Vorsehung und des gerechten Vollenders",^
dem religiösen Gottesbeweis. Er sagt von diesem
Beweis :
„Wie der Kontingenzbeweis der abstrakteste und
wissenschaftlich gewichtigste ist, so ist der religiöse Be-
weis der konkreteste, der am tiefsten vom Gemüt gewür-
digte, vom Gefühl unterstützte und begleitete Beweis, so
daß es scheint, als käme in ihm nur ein blinder Gefühls-
drang von rein subjektivem Wert zur Geltung." -
Schell, Gott und Geist II 686. ■' A. a. 0. 685.
Der religiöse Gottesbeweis. 155
„Gott wird nämlich vom sittlichen Gemüt gefordert
als die höhere und unentbehrliche Macht, ohne deren Vor-
sehung und Hilfe, Gnade und Sündenvergebung, Gericht
und Vollendung die sittlichen Ideale unausführbar wären,
ein Widerspruch mit sich selbst und mit unserem innersten
Gemüt."!
„Insofern ist der religiöse Gottesbeweis allerdings ein
Postulat und zwar ein Postulat des religiösen und sitt-
lichen Gemüts, aber nicht anders, wie jede Beweisführung
ein Postulat ist, nämlich bedingt durch die Voraussetzung,
daß nur die Vollkommenheit bezw. die Vollendung als
Grund und Zweck hinreicht, der Wirklichkeit Sinn und
Ziel gibt, die Wirklichkeit verständlich und befriedigend
macht." -
„Das Gemütsbedürfnis nach Vollkommenheit ist durch-
aus logisch und rational, daher auch beweiskräftig."-^
Ausgangspunkt des religiösen Gottesbeweises ist die
psychologische Tatsache und Forderung der Sittlichkeit
und der sittlichen Vollendung im Sinne der inneren und
äußeren Vollendung.
Der religiöse Gottesbeweis geht also aus von den un-
vertilgbaren Anlagen und Bedürfnissen des sittlichen
Gemüts, das den Widerspruch zwischen Ideal und Wirk-
lichkeit für unerträglich findet und darum die allgemeine
und ungehemmte Durchführung von Wahrheit, Recht und
Güte fordert.
Wenn die sittliche Ordnung von den Menschen inner-
lich in Liebe angeeignet und tatkräftig in Gesinnung und
Leben wie in der äußeren Welt durchgeführt werden soll,
wenn die sittlichen Ideale und Verpflichtungen nicht in
unlösbarem und unverträglichem Widerspruch mit dem
innersten Gefühl und Bedürfnis des Menschen stehen sollen,
dann bedarf es einer allwissenden Vorsehung, in deren
Gegenwart alles geschieht, in deren unvergänglichem Be-
wußtsein alles Tun und Leiden unter dem Gesichtspunkte
des inneren Wertes gewürdigt, bewahrt und verewigt wird ;
1 Schell a. a. 0. 683. - A. a. 0. 684. ^ A. a. 0. 690.
156
Moralischer Gottesbeweis.
dann bedarf es einer hilfbereiten Vorsehung und
Gnade, von welchen der sittliche Wille die ihm fehlende
innere und äußere Kraft zum guten Streben und Voll-
bringen sowie der Sünder Vergebung und Wiederherstellung
hoffen kann. Jede Weltanschauung, welche die persönliche
Vorsehung und Gnade Gottes leugnet, erweist sich als
unfähig, dem schuldbeladenen Sünder zu Hilfe zu kommen^
kann den Reumütigen nicht aufrichten, den Unbußfertigen
nicht erschüttern.
Der religiöse Gottesbeweis geht aus von dem Gegen-
satz zwischen Verdienst und Schicksal, zwischen Sittlich-
keit und Seligkeit, von der Unfähigkeit des Menschen, das
Ideal der Gerechtigkeit durch den Ausgleich zwischen
innerem Wert und äußerem Schicksal zu erfüllen.
Ohne Gott ist und bleibt das Endergebnis der Welt-
entwicklung und der sittlichen Anstrengungen eine Ruinen-
welt verkümmerter Geistesanlagen für Wahrheit und Recht,
erstrebter, aber nur notdürftig betätigter Lebensideale,
unbelohnter Verdienste und innerlich zweckloser Opfer
und Anstrengungen.
Wenn also die sittliche Ordnung überhaupt zur Ver-
wirklichung kommen soll und zwar ohne inneren Wider-
spruch und ohne Selbstaufhebung, ohne die trügerische
Vorspiegelung und Illusion einer einstigen Weltvollendung,
dann ist notwendigermaßen Gott anzunehmen :
1. als die persönliche Vollkommenheit und Güte, von
deren allgegenwärtigem Bewußtsein alles Sittlich-Gute in
Leiden und Tun seinen unvergänglichen Charakter und
Wert empfängt ;
2. als die lebendige Heiligkeit und freie Tatkraft, von
deren lebendigmachendem Geist der sittliche Wille die
notwendige innere und äußere Hilfe zum guten Wollen
und Vollbringen gewinnt;
3. als die ewige Gerechtigkeit, deren Existenz die
Bürgschaft gewährt, daß die sittlichen Ideale des Guten,
der Freiheit und des Rechtes, sowie sie im Unendlichen
ihre allseitige und ewige Erfüllung gefunden haben, so
Der eigentliche historische Gottesbeweis. 1'^"
auch in der Welt des Endlichen zur tatsächlichen Wahr-
heit werden können und sollen.
Der Grundgedanke des religiösen Gottesbeweises ist
also der: die sittlichen Ideale können und dürfen nicht
bloße Ideale bleiben, sie müssen Wirklichkeit werden innen
und außen und können es nur in Gott, der persönlichen,
absoluten Vollkommenheit.^
Zwölftes Kapitel.
Der historische Gottesbeweis.
1. Der eigfentliehe historische Gottesbeweis.
Der historische Gottesbeweis im strengen Sinne des
Wortes ist der Beweis Gottes aus „der in der Geschichte
der Menschheit sich offenbarenden göttlichen Leitung,
welche die Hinführung des Menschengeschlechtes zu seiner
Bestimmung und die Offenbarung der göttlichen Gerech-
tigkeit zum Zweck hat".-
Es unterliegt keinem Zweifel, daß sich in der Geschichte
der Menschheit ein weiser und heiliger Plan offenbart, der
weder aus dem physichen Naturlauf, noch aus den Ab-
sichten und Handlungen der Menschen erklärbar ist, sondern
nur aus einer beide beherrschenden göttlichen Leitung.
Diese göttliche Leitung und Vorsehung zeigt sich schon
in der Profangeschichte, in der natürlichen Entwicklung
des Menschengeschlechts, im Fortschritt der Wissenschaft
und Kunst und überhaupt der ganzen Kultur, sowie in
einer gewissen Gerechtigkeit, welche die Tugenden der
Völker belohnt und ihre Fehler bestraft. Besonders aber
tritt die göttliche Vorsehung, der göttliche Woltplan, klar
hervor in der Heilsgeschichte, in der Verwirklichung der
übernatürlichen Ordnung. „Bei allem Dunkel des Details
läßt sich doch im großen und ganzen nicht verkennen,
daß alle Ereignisse (der Geschichte) dem sicheren und
1 Vgl. Schell, Gott und Geist II G83-709; 1 21G.
2 Heinrich, Dogmatik HI- 253. Pesch Chr., Praelect. dogm. W 21.
Weber, Christi. Apologetik 74.
158 Der historische Gottesbeweis.
allumfassenden Plan einer fortschreitenden Entwicklung-
des Menschengeschlechts zu jener allgemein menschlichen
Gesittung dienen, welche wiederum der Hinführung der
Menschheit zum Christentum und ihrer Entwicklung im
Christentum zur natürlichen Basis dient." ^
Allerdings ist dieser Beweis schwer zu führen, da er
„eine vollständige, äußerst schwierige Philosophie der
Geschichte als Grundlage fordert".^
Mit Rücksicht darauf, und weil der historische Beweis
in dieser Form nur eine „Spezialität des teleologischen
Gottesbeweises" -^ darstellt oder auch dem Gottesbeweis aus
den übernatürlichen Werken Gottes beigezählt werden
kann, da der göttliche Weltplan prinzipaliter die Verwirk-
lichung der übernatürlichen Ordnung bezweckt und in
dieser am klarsten und vollkommensten sich offenbart,*
gibt man dem „historischen" Gottesbeweis heute eine
andere Form und baut ihn auf „aus der Überzeugung-
aller Völker vom Dasein Gottes".
Sein richtiger Name ist darum nicht „historischer
Beweis", sondern „ethnologischer Gottesbeweis".
2. Der sog. historische oder ethnologische
Gottesbeweis.
a) Formulierung des Beweises.
Der psychologische Gottesbeweis wird zu dem sog.
historischen Gottesbeweis, wenn wir die auf Gott hin-
weisenden Anlagen des menschlichen Geistes vor allem
unter dem Gesichtspunkte ihres allgemeinen Vorkommens
in der Menschheit und ihrer Äußerung im Gottesbewußtsein
betrachten.^ Eingehend behandeln den historischen Gottes-
beweis in dieser Form Ehrlich,^ Heinrich," Schell,^
i Heinrich, Dogmatik III- 255.
2 Vosen, Christentum^ 310. ■' Vosen a. a. 0. 310.
4 Heinrich a. a. 0. 253. Hontheim, Theod. 204.
5 Weber, Christliche Apologetik 71. 74.
^ Ehrlich, Apolog. Ergänzungen 8 — 21.
^ Heinrich a. a. 0. 180—199.
s Schell, Kath. Dogmatik I 215—222. Paderborn 1889.
Der sog. historische oder ethnologische Gottesbeweis. 159
Vosen bezw. F. Rheinstädter/ Hontheim,- Bödder,^
Lehmen,* Reinhold'' u. a.
Der sog. historische Beweis beruht auf folgendem
Schluß:
Die Überzeugung vom Dasein der Gottheit ist im
Menschengeschlechte eine allgemeine und dauernde und
kann darum nur aus einer allgemeinen und dauernd wirk-
samen Ursache entstehen.
Weder in sich noch außer dem Menschengeschlecht ist
eine solche allgemeine und dauernd wirksame Ursache
dieser Erscheinung denkbar, ausgenommen die mensch-
liche Vernunft in ihrer Allgemeinheit.
Also ist die menschliche Vernunft in ihrer Allgemein-
heit, d. h. in ihrer Denknotwendigkeit, die einzig denkbare
Ursache der allgemeinen Überzeugung des Menschen-
geschlechtes vom Dasein der Gottheit. Folglich ist es ver-
nünftig, das Dasein der Gottheit zu bejahen, unvernünftig,
dasselbe zu verneinen.^
Die Tatsache des allgemeinen Gottesglaubens ist nach-
gewiesen durch die Tatsache der Allgemeinheit der Religion.
Diese Allgemeinheit der Religion ist aber durch die reli-
gionsgeschichtlichen Forschungen der Neuzeit unzweifel-
haft festgestellt. Die berufensten Autoritäten, wie z. B.
Max Müller, O. Peschel, Ratzel, bezeugen es.
„Religion ist, wenn nicht so alt wie die Welt, doch
mindestens so alt wie die Menschheit, die wir kennen.
Sobald wir nur etwas von den Gedanken und Gefühlen
des Menschen wissen, finden wir ihn im Besitze der
Religion." „Wir können jetzt sicher behaupten, daß trotz
aller Nachforschungen keine menschlichen Wesen irgendwo
gefunden worden sind, die nicht etwas besaßen, was ihnen
als Religion galt.""
1 Vosen, Christentum^ 310—319.
2 Hontheim, Theod. 227—237.
3 Bödder, Theol. nat. 76—86.
^ Lehmen, Theodizee'^ 83-90.
5 Rein hold, Die Welt als Fiihreriu zur Gottheit 170 — 185.
6 Vosen a. a. 0. 310.
" M. Müller, Ursprung und Entwicklung der Religion 88.
160 Der historische Gottesbeweis.
„Die Ethnographie", sagt R a t z el, „kennt keine religions-
losen Völker, sondern nur verschieden hohe Entwicklung
religiöser Ideen, die bei einigen wie im Keime, oder besser,
wie in einer Verpuppung, klein und unscheinbar liegen,
während sie bei andern zu einem herrlichen Reichtum von
Mythen und Sagen sich entwickelt haben.'* ^
Darum „muß die Frage, ob irgendwo auf Erden
ein Volksstamm ohne religiöse Anregungen und Vor-
stellungen angetroffen worden sei, entschieden verneint
werden." -
Zwar ist der Gottesglaube bei den verschiedenen heid-
nischen Völkern sehr verschieden, doch findet sich überall
die Überzeugung vom Dasein überirdischer, geistiger,
persönlicher Wesen, welche die ganze Welt regieren,
welchen sowohl die physische wie die moralische Ordnung
unterstellt ist. Wenn auch die Heiden eine Vielheit von
Göttern annehmen, so glauben sie doch auch fast durch-
weg an eine höchste Gottheit, von der die anderen Götter
in gewissem Grade abhängig sind.^
Die Tatsache des allgemeinen Gottesglaubens bedarf
eines genügenden Grundes. Dieser kann nur gefunden
werden „in der vernünftigen Menschennatur, insofern sie
bei ihrer Betätigung gegenüber den äußeren und inneren
Erfahrungen und Ereignissen naturgemäß und auf leichte
Weise zur Überzeugung vom Dasein Gottes gelangt".^ Es
muß in dem menschlichen Geiste nicht nur die Fähigkeit,
die Idee von Gott zu fassen, sondern auch ein Gesetz
liegen, demgemäß er die Realität dieser Idee anerkennen
muß. Wenn aber die Vernunft Vermögen zu erkennen
ist, so muß auch das sich in ihr gesetzmäßig entwickelnde
Denken und Urteilen Wahrheit haben, weil Erkennen und
Wahres erkennen dasselbe ist.''
1 Ratzel, Völkerkunde I 31 (1885).
2 Peschel, Völkerkunde 1,1875) 273. Vgl. Fesch Chr., Der Gottes-
begriff. Frbg. 1885 u. 1888; Gott und Götter. Frbg. 1890.
3 Vgl. Hont heim, Theod. 228—229.
* Lehmen, Theodizee^ 89—90.
" Kleutgen, Philosophie der Vorzeit II 2 716 f.
Der sog. historische oder ethnologische Gottesbeweis. 161
Will man das nicht zugeben, so muß man an der
Fähigkeit der menschlichen Vernunft zur Erkenntnis der
Wahrheit verzweifeln und auf jede genügende Erklärung
der Tatsache verzichten.^
b) Bedenken gegen den historischen Beweis.
Der sog. historische Gottesbeweis beruht auf den zwei
Prämissen: auf der Tatsache der allgemeinen Überzeugung
der Menschheit vom Dasein der Gottheit und auf der Ver-
nunftwahrheit, daß eine solche allgemeine, dauernde Über-
zeugung nicht aus dem Irrtum entsprungen sein kann.
Gegen diese Prämissen richten sich die Angriffe der
Gegner und behaupten zunächst:
1. Die allgemeine Übereinstimmung besteht nicht. Denn
es gibt
a) Pol3^theisten; ja der Polytheismus kann sich viel eher
auf den Konsens der Völker berufen als der Monotheismus;
b) Atheisten; der Atheismus ist in unseren Tagen weit
verbreitet.
Auf den Einwand, hergenommen vom Polytheismus,
erwidert Heinrich: Der Polytheismus hat zwar die Idee
Gottes entstellt, nicht aber gänzlich zerstört, noch den
Glauben an die Existenz Gottes vernichtet. Sodann war
nach dem Zeugnis aller historisch zuverlässigen Doku-
mente nicht der Polytheismus, sondern die Verehrung des
einen und wahren Gottes die ursprüngliche Religion des
ganzen Menschengeschlechtes; der Polytheismus ist erst
später und mit dem fortschreitenden Verderben entstanden.
Die Erinnerung an den ursprünglichen Monotheismus hat
sich auch bei allen heidnischen Völkern erhalten. Endlich
haben sich die Heiden trotz allen Pantheismus allezeit in
ihrer vernünftigen und gottebenbildlichen Seele die Fähig-
keit und den Trieb bewahrt, den einen und wahren Gott
zu erkennen und anzuerkennen, wie dies die ältesten Väter
dem antiken Heidentum gegenüber als schlagendes argu-
mentum ad hominem für die Einheit und alle Eigenschaften
des wahren Gottes entgegengehalten haben. -
1 Hontheim, Theoil. 231. ^ Heinrich. Dogmatik II- 186—188.
Staab, Gottesbeweise in der kath. Lateratur. 11
162 Der historische Gottesbeweis,
Noch weit weniger als der Polytheismus kann der
Atheismus in seinen verschiedenen Formen die All-
gemeinheit des Gottesglaubens in Zweifel stellen. Denn
„abgesehen davon, daß auch im Gottesleugner das Zeugnis
der Seele sich geltend macht, ist der Atheismus stets nur
ein vereinzeltes und vorübergehendes Produkt
wissenschaftlicher Verirrung, sittlicher Entartung, aufs
äußerste verderbter sozialer Zustände gewesen".^ Wenn
man geltend macht, viele Philosophen seien Atheisten
gewesen, so antwortet Hont heim: „Die größten und
dauernd einflußreichsten Philosophen wie Sokrates,
Plato, Aristoteles, Cicero, Seneca, St. Thomas,
Cartesius, Leibniz, auch Kant waren Theisten. Außer-
dem ist zu beachten, daß viele nicht ausgesprochene
Gottesleugner, sondern nur Agnostiker waren oder den
Gottesbegriff im Sinne des Pantheismus entstellten, womit
sie allerdings in der Tat Atheisten wurden. Endlich er-
scheint die Autorität der Philosophen, die sich für über-
zeugte Atheisten ausgaben, in einem zweifelhaften Lichte,
wenn wir ihre sich gegenseitig oft widersprechenden
Gründe für den Atheismus prüfen oder wenn wir sie
Grundwahrheiten des menschlichen Erkennens und sitt-
lichen Handelns leugnen sehen." ^
2. Die Übereinstimmung zugegeben — behaupten
ferner die Gegner — beweist sie doch nicht die Wahrheit
des Gottesglaubens.
Denn a) die allgemeine Übereinstimmung kann auch
ein allgemeiner Irrtum sein. Man denke nur an den
allgemein verbreiteten Irrtum, daß die Sonne sich um die
Erde bewege. —
Allein hier darf man den fundamentalen Unterschied
nicht übersehen, der zwischen dem allgemeinen Gottes-
glauben und diesem genannten allgemeinen Irrtum bezüg-
lich ihres Prinzips besteht. Bei dem Glauben, die Sonne
drehe sich um die Erde, handelte es sich um Sinnes-
1 Heinrich, Dogmatik IIl^ 189. Vgl. Schanz, Apologie P 94— 103.
Lehmen, Theodizee-' 86—87. 96.
^ Hontheim, Theod. 235—236.
Der sog. historische oder ethnologische Gottesbeweis. 163
täuschung; dagegen die Überzeugung vom Dasein Gottes
stützt sich nicht auf trügerischen Sinnenschein, sondern
auf die Vernunft. Darum schwand mit dem Fortschritt
der Wissenschaft der genannte Irrtum, während die Über-
zeugung vom Dasein Gottes dadurch nur um so mehr
bestärkt und gefestigt wurde.'
b) Die Übereinstimmung im Gottesglauben, bezw. die
Religion, sagt man w^eiter, kann aus äußeren und zu-
fälligen Ursachen erklärt werden. Damit glaubt man
den historischen Gottesbeweis am radikalsten entkräften
zu können.
So will man den Ursprung der Religion und damit
die Allgemeinheit des Gottesbewußtseins herleiten
ß) aus der Abhängigkeit des Menschen von und aus
der Furcht vor unbekannten Naturgewalten; -
ß) aus Betrug und absichtlicher Täuschung von Seiten
scharfsinniger Gesetzgeber, selbstsüchtiger Priester und
Könige (Die Sophisten alter und neuer Zeit);
/) aus psychologischer Täuschung, die wieder ver-
schieden gefaßt wird. Nach Hume und Herbert Spencer
ist Religion Ausgeburt der Phantasie, nach Feuerbach-^
die ins Jenseits verlegte Personifikation aller menschlichen
Wünsche, nach Darwin,* Lippert^ ist der Gottesglaube
aus dem Ahnen- und Seelenkult hervorgegangen, nach
Hegel und Schopenhauer hat endlich der Verstand
selbst durch seinen Kausalitätsdrang und sein Verlangen
nach Metaphysik den Menschen getäuscht, hat die nicht
gefundenen Ursachen erfunden, die Ursachen der Natur-
erscheinungen als persönliche Wesen gedacht und so den
Gottesglauben ersonnen als Ersatz für die fehlende Natur-
erkenntnis.
1 Vgl. Hontheim, Theod. 237. Lehmen, Theodizee' Oc'. Weber,
Christi. Apol. 74. Schweiz, Theol. fund. 30—37.
- Hume. Natural history of religion. Edinburg 1755. Strauß.
Der alte und der neue Glaube 96 (Bonn 1852).
^ Feuerbach, Wesen des Christentums. 1841.
* Darwin, Abstammung des Menschen I 56.
5 Lippert, Die Religionen d. europäischen Kulturvölker. Berlin 1881.
11*
164 Der historische Gottesheweis.
Die Unzulänglichkeit dieser atheistischen Erklärungs-
versuche der Religion haben Schell,^ Schill,- Gut-
beriet,^ Hontheim^ u. a. eingehend dargetan. Braig''
nennt all diese Erklärungsversuche „Beweiserschleichun-
gen". „Denn selbst zugegeben," sagt er, ,, Erscheinungen
wie die angeführten hätten zur Erzeugung des allgemeinen
Gottesbewußtseins mitgeholfen: immer bleibt die Möglich-
keit, die innere und äußere Möglichkeit dieser Erzeugung
und jener Mithilfe erklärungsbedürftig. Aber selbst die
vernunftwidrige Möglichkeit zugegeben, ein Gottesbewußt-
sein dem niedrigen durch einen geistig höher stehenden
Menschen anzuerziehen, ihn darauf abzurichten — wie
konnte der höher Gestellte selbst ursprünglich auf reli-
giöse Ideen kommen ohne die psychologische Voraus-
setzung einer religiösen Anlage? Und wäre das Religiöse
der Menschennatur, der Zug nach dem Unendlichen, der
,Hang zum Mysterium', der , Kausalitätsdrang', das , meta-
physische Bedürfnis', ein körperliches oder geistiges
Krankheitsprodukt, eine verschuldete oder unverschuldete
Regelwidrigkeit der Gehirn- und Xervenfunktionen: wie
konnten diese naturwidrigen Zustände einzelner Menschen
allgemein werden? Warum überhaupt mußte die Er-
krankung gerade die Form des Religionswahns annehmen?
Erkrankung heißt und ist Degeneration, Denaturation.
Warum soll in einem Fall die Natur des Menschen be-
harrlich und eigensinnig über sich selbst hinaustreiben
und gerade in der Richtung des Übernatürlichen, dessen
Begriffe zugestandenermaßen weder in ihrem Ursprung
noch mit ihrem Inhalt eine Verneinung, sondern vielmehr
eine Steigerung des Natürlichen bedeuten?"
Kurz alle diese Erklärungsversuche erklären gerade
das nicht, was der Erklärung bedarf: die Allgemeinheit
und unvergängliche Dauer des Gottesglaubens in der
' Schell, Religion und Ofienbarung 17-194. Paderborn 1901.
- Schill, Prinzipienlehre 38 — 46.
=' Gutberiet, Apologetik 1- 57—84.
^ Hontheim, Theod. 231 -235.
^ Braig, Gottesbeweis Oeler Gottesbeweise? 76—78.
Der so;,', historische 0(Jer ethnologische Gottesbeweis. 165
Menschheit. Ursache und Wirkung stehen in keinem Ver-
hältnis, der blinde Zufall soll den mächtigsten Faktor im
Leben der Gesamtmenschheit erklären. Außerdem über-
sieht man hierbei, daß es sich nicht bloß um religiöse
Erkenntnis, sondern vor allem auch um die sittliche Idee
in allen Religionen handelt. Woher aber das Gewissen,
Schuldbewußtsein, Verlangen nach Versöhnung? Es bleibt
darum als einzige Erklärung des allgemeinen Gottes-
glaubens die vernünftige Menschennatur. Ist aber
der allgemeine Gottesglaube in der vernünftigen Menschen-
natur begründet, dann beruht er notwendig auf Wahrheit,
d, h. es gibt einen Gott.^
So dürfen wir zum Schluß das Urteil von Schanz
über den historischen Beweis anführen: „Zwar wurde der
Beweis ex consensu gentium von jeher vielfach beanstandet,
weil die Entstehung der Religion aus gemeinsamen Lebens-
erfahrungen und Bedingungen sowie die Fehlbarkeit der
Stimme des Volkes dagegen sprechen sollen . . . Aber das
erste ist bis jetzt durchaus unerwiesen, und das andere
würde zum reinen Skeptizismus führen; denn keine Wahr-
heit erfreut sich einer gleich allgemeinen Zustimmung der
Gebildeten und Ungebildeten. Der „allgemeine Sinn" stellt
ein weit sichereres Kriterium der Wahrheit dar als die
Dialektik weniger großer Geister. Ebensowenig können
die zahlreichen Irrtümer der Natur- und Kulturreligionen
gegen die allgemeine Tatsache der Religion und ihre Grund-
lage im Geiste des Menschen sprechen. Denn der Irrtum
setzt die Wahrheit voraus." -
Der historische Gottesbeweis ist ein selbständiger Be-
weis, den allerdings manche wie Scheeben,-^ Reinhold^
zu den indirekten Beweisen rechnen. Sie wollen damit
sagen : Der historische Gottesbeweis weist aus der Beschaffen-
heit des in der Menschheit tatsächlich vorhandenen Gottes-
bewußtseins nach, dieses Bewußtsein könne nur Produkt
' Lehmen, Theodizee- 95.
- Schanz, Apologie I-'' 94.
•^ Scheeben, Dogmatik I 475
•• Reinhold, Die Welt als Führerin zur Gottheit 184.
166 Gottesbeweis oder Gottesbeweise?
der vernünftigen Natur des Menschen sein, und sein Inhalt
müsse folglich ebenso sicher wahr sein, als die menschliche
Natur eine vernünftige ist.
Dagegen will Braig „die zeitlich und räumlich ge-
nommene Allgemeinheit des Gottesglaubens nur als eines
der Beweismittel, nicht als selbständigen, unabhängigen
Gottesbeweis gelten lassen. Der historische Gottesbeweis
tut nach ihm nur so viel dar: was die psychologische Ana-
lyse bei jedem Menschen findet, die Gottesidee, wenigstens
deren Elemente, dasselbe findet die Völkerpsychologie als
Naturanlage der Menschheit. Diese Erfahrungstatsache
verlangt einen zureichenden Grund der Erklärung und
ihres Seins. Erst indem die Erklärung die genannte Wahr-
nehmung mit den übrigen Bestimmtheiten der Natur und
des Geistes zusammenfaßt, kann sie vermittelst des logi-
schen Schließens aus dem allgemeinen Gottesglauben
ein Wissen von Gottes Dasein ermitteln. Indem man,
wie für die anderen teleologischen Wesensbestimmtheiten
der Naturdinge, so auch für die religiöse Anlage des
Menschenwesens die logisch-vernünftige Erklärung sucht,
fügt man dem einen Gottesbeweis sein letztes und wich-
tigstes Glied bei.i
Dreizehntes Kapitel.
Gottesbeweis oder Gottesbeweise?
Wie sich aus unserer Darlegung ergibt, bauen sich
alle Gottesbeweise auf ein und demselben Prinzip auf: sie
nehmen stets ihren Ausgang von der erfahrungsmäßigen
Wirklichkeit, von dem Gesamtkosmos und seinen Eigen-
schaften und schließen mit Hilfe des Kausalgesetzes auf
die Existenz eines überweltlichen, persönlichen Gottes als
einzig zureichenden Erklärungsgrund der Wirklichkeit.
In Anbetracht dessen liegt die Frage nahe, wie sich die
Gottesbeweise zueinander verhalten, ob sie selbständig
' Val. Braig, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? 75 — 78.
Alle Gottesbeweise nur ein Gottesheweis. 167
nebeneinander stehen oder zusammenj^ehören; mit einem
Wort: ob Gottesbeweis oder Gottesbeweise? Die Antwort
auf diese Frage ist eine doppelte.
a) Alle Gottesbeweise nur ein Gottesbeweis.
Der entschiedenste Vertreter dieser Ansicht ist Braig
in seiner Abhandlung: „Gottesbeweis oder Gottesbeweise?"
Das Resultat seiner Untersuchung faßt er so zusammen:
„Der Sache nach kann es nicht mehrere, voneinander
unabhängige Gottesbeweise geben, weil eben die Voraus-
setzung, auf die sich jede reale Beweisführung stützen
muß, nur Eine ist, die bloß logisch in eine Dreiheit zer-
gliederte Existentialform des Einen Weltseins: Bedingt-
heit, Gesetzlichkeit, Zweckmäßigkeit dss Seienden, der
Seinsgesamtheit. Die Ontologie nötigt zum Schluß auf
die causa essendi, die Nomologie nötigt dazu, die Seins-
ursache zu fassen als causa ordinandi, als Verstand, die
Teleologie endlich nötigt dazu, die Trägerin des Seins-
gesetzes zu verstehen als causa determinandi, als Weisheit
und Freiheit. Der Seiende, der Denkende, der weise
Wollende und frei Wirkende, das sind die metaphysischen
Merkmale für das Urwesen, wie der theistische Gottes-
begriff dieselben faßt. Sachlich sind die Merkmale nicht
voneinander zu trennen, so wenig als die Bedingtheit, die
Gesetzlichkeit, die Zweckmäßigkeit des Seienden jeweils
ein eigenes Sein am Seienden bezeichnen. Vielmehr nennen
diese Prädikate die unter dreifachem Gesichtspunkte dar-
gestellte Existentialform des Seienden, die Dreifachheit
der Seinsweise für die Einheit seines Wesens. Der Schluß
von dieser dreifachen realen Voraussetzung auf das Dasein,
Wirken und Wiesein des Weltgrundes, das ist
der objektive Gottesbeweis." ^
Braicr hat damit scharf den inneren Zusammenhang
der Gottesbeweise betont im Interesse der Stringenz. Er
steht mit seinem Urteil nicht allein. So schreibt Albert
Braig, Gottesheweis oder Gottesbeweise? 22G.
I 68 Gott.esbeweis oder Gottesbeweise?
Stöckl:! „Die Gottesbeweise stehen in integralem Zu-
sammenhang miteinander, d. h. der eine ergänzt immer
den anderen, und die Beweisführung ist erst dann voll-
endet und ihrem Zweck vollkommen entsprechend, wenn
das ganze Beweissystem nach all seinen integralen Gliedern
entwickelt ist. Nicht als ob der einzelne Beweis für sich
nicht vollkommen konkludent wäre inbezug auf seinen
eigenen Schlußsatz, aber dieser Schlußsatz selbst wird
immer wieder kompletiert durch den Schlußsatz des
anderen Beweises. Die Gottesbeweise bilden ein System,
zu welchem sie sich als integrale Glieder verhalten."
Endert vergleicht den Gottesbeweis mit einem Orga-
nismus, wo das einzelne Glied Lebensfähigkeit hat, weil
es in einem Lebensverband mit dem Ganzen steht, wo sich
die einzelnen Glieder wohl unterscheiden, aber nicht von-
einander trennen lassen.
„Die Einzelbeweise zeigen durch die Betrachtung des
Weltwirklichen unter einem bestimmten Gesichtspunkt den
Urgrund der Welt nur nach einer bestimmten Seite und
vermögen nur als Glieder einer großen Gesamtinduktion,
nur in ihrer einheitlichen Zusammenfassung die in ihnen
liegende Macht zu entfalten, während sie vereinzelt und
losgelöst vom solidarisch verbundenen Ganzen durch Zer-
splitterung ihre Kraft schwächen und ihre Hauptstärke
preisgeben." -
Noch weiter geht Hamma. Nach seiner Ansicht zer-
fällt der Gottesbeweis in mehrere Segmente, welche alle
zusammengehören und nur in ihrem Zusammenhang Be-
weiskraft haben. ■
Auch Ehrlich,^ Sprinzl,'^ Dippel,^ Scheeben,'
^ A. Stöckl, Die Beweise für das Dasein Gottes. Katholik 186t).
II 267.
- Endert, Der Gottesbeweis in der patr. Zeit 8 — 9.
'■' Hamma, Metaphysik 122.
•* Ehrlieh, Apol. Ergänzungen zur Fundamentaltheol. 52 — 51.
Prag 1863.
5 Sprinzl, Fundamentaltheol. 60 — 61.
^ Dippel, Die beiden Grundfragen 192.
■ Scheeben, Dogmatik 1 473. 476.
Alle Gottesbeweise nur ein Gottesbeweis. 169
König/ Simar,- Hagemann ' treten für die Solidarität
der Gottesbeweise, die Einheit des Gottesbeweises ein, der
sich darstellt als „eine universale Induktion, die sich über
der Betrachtung des einen Gesamtkosmos — dem Makro-
kosmos und Mikrokosmos — aufbaut'*.'
Co mm er,' Grimmich,'' Schanz' weisen darauf hin,
dal) auch nach der Ansicht des hl. Thomas die „fünf
Wege" nur einen Gottesbeweis bilden sollten; denn die
Einzelbeweise schließen für sich nur auf die Wirklichkeit
fünf bestimmter, reell existierender Eigenschaften, die in-
bezug auf das Subjekt zusammengehören.
„Die fünf Beweise für die Eigenschaften können und
sollen einzeln nicht für das Dasein Gottes gelten; denn
sie beweisen für sich noch nicht die Realität eines Wesens,
das unserem allgemeinen Begriff von der Gottheit ent-
spricht. Zusammen beweisen sie jedoch direkt die Existenz
eines solchen Subjektes mit höchster metaphysischer Ge-
wißheit. Einzeln für sich genommen, kommt daher diesen
fünf Beweisen nur Wahrscheinlichkeit zu, wenn sie direkt
auf das Dasein Gottes bezogen werden, während sie bezüg-
lich des realen Vorkommens jener einzelnen Eigenschaften
vollste Wahrheit und Gewißheit besitzen. Deshalb nennt
Thomas jene fünf Einzelbeweise auch nur fünf Wege,
auf denen man zum Beweis für das Dasein Gottes
gelange."**
Gerade durch die Betonung des organischen Zusammen-
hangs der Gottesbeweise erwachsen der kath. Apologetik
V König, Schöpfung und Gotteserkenutnis öS.
2 Simar, Dogmatik 107.
a Hagemann, Metaphysik ^^ 173. Vgl. auch Wieser, Die natürl.
Gotteserkenntnis. Zeitschr. f. kath. Theol. 1880. 467.
^ Endert, Der Gottesbeweis 7.
^ Com m er, System der Philosophie 30—31. Münster 1885.
6 Grimmich, Lehrbuch der theoretischen Philosophie 439. Frei-
burg 1893.
" Schanz, Die alte mid die neue Weltanschauung Theol. Quartal-
schritt 1890. 172. 481.
^ Commer a. a. 0. 31.
170 Gottesbeweis oder Gottesbeweise?
nach Endert,! Ehrlich 2 große Vorteile gegenüber der
Polemik, weil viele Einwände sich unter diesem Gesichts-
punkte von selbst erledigen. Ehrlich faßt seine Ansicht
dahin zusammen: „Wenn man jeden einzelnen der sog.
Beweise als einen selbständigen und vollständigen ansieht
und ihn etwa beliebig noch formuliert, so läßt sich ohne
Schwierigkeit zeigen, daß keiner vollkommen das beweist,
was er beweisen will; woraus dann am Ende das Resultat
sich ergibt, daß das Dasein Gottes sich nicht wissenschaft-
lich beweisen lasse. Dies Verfahren gleicht aber jenem
einiger Vertreter der modernen Naturforschung, wenn sie,
um zu beweisen, daß eine animalische Lebenskraft nicht
existiere, uns das lebende Tier in Stücke zerschneiden und
nun zeigen, daß die gesuchte Lebenskraft in keinem der
Stücke sich finden lasse." ^•
b) Gottesbeweise und Gottesbeweis.
Eine andere Gruppe verteidigt dagegen entschieden
die Selbständigkeit der einzelnen Beweise und antwortet
mit Gutberiet auf die Frage: „Gottesbeweis oder Gottes-
beweise?": „Gottesbeweis und Gottesbeweise." ^
Gutberiet prüft die Schwierigkeiten, die Braig
gegen seine Gottesbeweise gemacht hatte, und kommt zu
dem Schluß: „Wir wollen nicht behaupten, daß alle die
von uns dargelegten Gottesbeweise gleich stringent sind:
manche derselben erhalten nur in Verbindung mit anderen
ihre Kraft, aber es ergibt sich doch aus der gesamten
Darstellung, daß es nicht nutzlos ist, den Nachweis der
Existenz Gottes in eine Mannigfaltigkeit zu zerlegen."
Er erklärt sich dann für: „Gottesbeweis und Gottes-
beweise."
' Endert, Der Gottesbeweis in der patr. Zeit 8.
- Ehrlich, Apolog. Ergänzungen 54.
3 A. a. 0. 54. Vgl. Endert a. a. 0.: „Die Wahrheit ist Einheit
und Leben, und man braucht sie nur in Stücke zu reifsen , um sie zu
vernichten "
4 Gutberiet, Gottesbeweis oder Gottesbeweise? Phil. Jahrbuch
l (1888). 369—395.
Gottesbewei.se und Gottesbeweis. 171
Die Verteidiger der vollen Selbständif,'keit und Strin-
genz der einzelnen Gottesbeweise gehen von dem Grundsatz
aus, den Kleutgen inbezug auf die thomistischen Wege
aufstellt: „Um das Dasein eines Wesens zu beweisen, genügt
es, irgendein Merkmal, das ihm allein zukommt, zu wählen,
um sodann darzutun, daß es in Wirklichkeit ein Wesen
gibt, in dem dieses Merkmal sich bewährt; ferner können
und müssen die beiden Fragen: ,Ob Gott sei?' und: ,Wie
beschaffen er sei?* wohl unterschieden werden."'
„Es kann nicht verlangt werden," sagt Lehmen, „dali
jeder Beweis die Attribute Gottes (als eines von der Welt
verschiedenen, durch Verstand und Willen wirkenden und
daher persönlichen Wesens) gleich unmittelbar hervorhebe;
es genügt schon, daß wir durch unsere Beweisführung zu
einem Attribut gelangen, aus dem die übrigen für den
Begriff Gottes wesentlichen Attribute unmittelbar oder
mittelbar sich ergeben . . . Dagegen ist unbedingt erfordert,
daß sich aus den erwiesenen Attributen der Begriff Gottes
als des absolut höchsten und vollkommensten Wesens
durch weiteres Nachforschen gewinnen lasse."- Doch be-
gnügen sich die neueren kath. Philosophen und Theologen
keineswegs mit dem bloßen Nachweis des ens necessarium
oder ens a se, sondern sie führen fast durchweg den Gottes-
beweis so weit, daß der Begriff eines persönlichen, von der
Welt unterschiedenen unendlichen Geistes, d. i. der Begriff
des wahren Gottes deutlich hervortritt.
Auf Grund der genannten Voraussetzungen erblickt
Rolf es in den thomistischen Wegen eigene Beweise; frei-
lich werde in all diesen Beweisen das Kausalitätsgesetz
angewandt, aber das begründe doch nur eine Überein-
stimmung in genere, da es jedesmal anders zur Verwendung
komme. Das eine Mal gehöre Ursache und Wirkung der
Kategorie des Wirkens und Leidens an, das andere Mal
der Substanz, das dritte Mal halte sie sieh im Bereich
der Qualität, ein viertes Mal in demjenigen der Relation,
' Kleutgen, Philosophie der Vorzeit 11 ' 1)94.
- Lehmen, Theodizee- 27.
172 Gottesbeweis oder Gottesbeweise?
indem die Beziehung zwischen Mittel und Zweck zum
Ausgang genommen werde.
Wie der Beweis, so wechsle auch jedesmal der Ertrag:
das erste Argument ergebe die ewige, unwandelbare Tat,
das zweite das absolute Sein, das dritte die schranken-
lose Vollkommenheit, das vierte die unergründliche Weis-
heit, und von jedem dieser vier Momente lassen sich auf
besonderen Wegen eine Reihe weiterer Aufschlüsse über
die Natur Gottes gewinnen.
„Die Vorzeit war mithin vollkommen im Recht, wenn
sie von einer Mehrheit von Gottesbeweisen redete, und wir
dürfen von ihrer Anschauung nicht abgehen." ^
Zwar „ergeben sich", sagt Heinrich, „nicht aus einem
jeden der aposterioristischen Gottesbeweise für sich allein
und vollkommen entfaltet alle durch die bloße Vernunft
erkennbaren Eigenschaften des wahren Gottes, doch be-
weist jeder das Dasein Gottes vollständig aus doppeltem
Grunde :
1. ein jeder dieser Beweise demonstriert Gott als das
von der Welt verschiedene, absolute Wesen und den Ur-
heber aller Dinge. Aus dem absoluten Sein und der
absoluten Ursächlichkeit Gottes können aber alle Eigen-
schaften Gottes, insbesondere seine Unendlichkeit und
Geistigkeit, mit vernünftiger Notwendigkeit abgeleitet
werden ;
2. aber auch die verschiedenen Gottesbeweise selbst
explizieren, ein jeder von einer anderen Seite die unend-
liche Vollkommenheit Gottes, so daß also durch die her-
kömmlichen Gottesbeweise, wenn man sie zusammennimmt,
alle Eigenschaften des wahren Gottes sehr vollkommen
entfaltet und nachgewiesen werden . . . Insofern kann
man sagen, daß die verschiedenen Gottesbeweise einander
ergänzen, nämlich bezüglich der vollkommenen Erkenntnis
des göttlichen Wesens."-
Also nach der zweiten Ansicht ergänzen sich die
1 Rolf es, Die Gottesbeweise des hl. Thomas 300—301.
2 Heinrich, Dogmatik III^ 200—201.
Gottesbeweise und Gottesbeweis. 173
Gottesbeweise nicht zur größeren Evidenz, sondern nur
zur vollkommeneren Erkenntnis des göttlichen Wesens.'
Den tiefsten Grund, warum die einen die Gottesbeweise
nur in ihrer Gesamtheit, die anderen joden einzelnen als
stringent betrachten, will Roderfeld in ihrem erkenntnis-
theoretischen Standpunkt erblicken, ob sie nämlich Plato-
niker oder Aristoteliker seien.
Zu den letzteren zählt er Kleutgen, Pesch, Gut-
beriet, Heinrich.
Nach der Ansicht Roderfelds wollen die Platoniker
das Dasein Gottes, den vollen Begriff Gottes, beweisen und
somit zugleich die Falschheit des pantheistischen Gottes-
begriffs dartun; die Aristoteliker dagegen begnügen sich,
das Dasein Gottes seinem allgemeinsten, abstrakten Begriff
nach zu demonstrieren. Sodann nehmen die Aristoteliker
mehr den praktisch-populären Standpunkt ein, während
die Platoniker auf den rein theoretischen, streng wissen-
schaftlichen Standpunkt sich stellen.
Doch gibt er zu, daß diese Differenzen nur formeller,
methodischer Natur sind und das Wesen der Sache un-
berührt lassen. Zudem muß er sagen, daß auch bei den
Neuscholastikern wie Scheeben, Heinrich, Hagemann,
Kleutgen, Simar, v. Endert solche Äußerungen der
Zusammengehörigkeit vorkommen, daß selbst in formeller
Beziehung fast jeder Unterschied zwischen ihnen und den
Piatonikern schwindet.'^
Darum dürfte wohl Gutberiet unsere Frage am
besten beantwortet haben, indem er sagt:
Gottesbeweis und Gottesbeweise.
^ Vgl. J. B. Heinrich, Der kosniol. Gottesbeweis VIII. Progr.
Mainz 1898.
^ Roderfeld, Von der objektiv theoretischen Beweisbarkeit und
von den Beweisen für das Dasein Gottes Tüb. Theol. Quartalschr. 1881.
597-602.
Schluß.
Das Gesamtergebnis unserer Ausführung dürfte sich
in folgende Punkte zusammenfassen lassen:
1. Man hält katholischerseits unbedingt fest an der
Möglichkeit eines wissenschaftlichen Beweises für das Dasein
Gottes und betont dessen Notwendigkeit als Voraussetzung
des Glaubens. Während die protestantische Philosophie
und Theologie, namentlich seit Kant und Schleier-
macher, sich vorwiegend ziemlich skeptisch gegen die
metaphysischen Gottesbeweise verhält, verzichtet die ka-
tholische Philosophie und Theologie keineswegs auf die
metaphysischen Beweise, „obwohl sich die wahre und gesunde
Apologetik bewußt ist, daß das metaphysische höchste
Wesen und der religiöse Gott auf unser Herz eine sehr
verschiedene Wirkung hervorbringen. Denn der lebendige
Glaube fordert eine vernünftige Voraussetzung und Ver-
mittlung, und der denkende Mensch muß sich von seinem
Glauben Rechenschaft geben können. Die Mangelhaftigkeit
der Beweise kann die Apologetik nicht davon abhalten,
denn diese haftet aller menschlichen Erkenntnis an, wenn
man sie auch eigentümlicherweise an der religiösen Er-
kenntnis am auffallendsten finden will".^
'1. Man begnügt sich jedoch nicht mit der einfachen
Tradierung der scholastischen bezw. thomistischen Beweise,
sondern sucht entsprechend den Bedürfnissen der Zeit und
in Benutzung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse
der Neuzeit „die alten Wahrheiten im neuen Gewände"
darzustellen. Denn „heute gilt es, die Theodizee nach
Möglichkeit von der Stütze besonderer Schulansichten
freizumachen und sie auf einen allgemeineren Boden zu
stellen. Natürlich kann die Theodizee auch heute weder
1 Vgl. Schanz, Apologie P 6—7,
Schluß. 175
ohne bestimmte Begriffe überhaupt, noch ohne ein gut
Teil von aristoteh'schen Begriffen ihre Aufgabe erfüllen.
Aber man darf diese Begriffe nicht mehr (in Anbetracht
der verschiedenen Erkenntnistheorien) als gegeben hin-
nehmen, noch darf man sie der Hauptsache nach durch
eine bloße Berufung auf Aristoteles begründen wollen,
sondern man muß auf die äußeren und inneren Er-
fahrungstatsachen zurückgehen, um dort die Waffen zur
Verteidigung dieser Begriffe zu holen" (z. B. Kausalitäts-
gesetz).^
Es finden darum in der Gegenwart die sog. psycho-
logischen Gottesbeweise, welche die Scholastik nicht aus-
baute, eine vorzügliche Pflege. Denn „es entspricht den
modernen Anschauungen mehr, wenn man von den Tat-
sachen des Bewußtseins, von dem, was wir selbst, was viele
mit uns und vor uns erlebt haben, ausgeht und die psy-
chischen Tatsachen der Erfahrung in ihrer unmittelbaren,
konkreten Realität zur Grundlage der Weltanschauung
macht, als wenn man eine durch Abstraktion gewonnene
metaphysische These zum Ausgangspunkt wählt".-
Von diesem Standpunkte aus behandeln vor allem
P. Schanz und Schell das Gottesproblem. Beide haben
sich, „jeder auf eigentümliche Weise der geistvollen Aktions-
philosophie M. Blondels oder ihr nah verwandten Geistes-
richtung des Duc de Broglie in Frankreich genähert,
ohne sich ihr völlig anzuschließen".^ Denn diese, „mit dem
modernen Kritizismus Fühlung suchende" „psychologisch-
moralische" oder ,, voluntaristische französische" Apologeten-
schule geht bis zur Verwerfung aller metaphysischen
Beweise für das Dasein Gottes fort, sofern sie von der
„Handlung" getrennt sind, und erkennt nur den Beweis
für das Dasein Gottes aus der Praxis, aus der Aktion des
inneren Lebens, d. h. den moralischen oder psychoteleo-
logischen Beweis an. Für Blondel hat die Metaphysik
^ Geyser, Das Gottesproblem 264-265.
• Schanz, Über neue Versuche der Apolo^'etik 160 — 161.
■^ Vgl. Otto Zö ekler, Geschichte der Apologie des Christentums
690—691. Gütersloh 1907.
176 Schluß.
ihr Wesen im handelnden Willen, ist weniger eine Wissen-
schaft von dem, was ist, als von dem, was Sein und Werden
bewirkt. Der Begriff einer ersten Ursache oder eines
moralischen Ideals, die Idee einer metaphj^sischen Voll-
kommenheit oder einer reinen Wirklichkeit, alle diese
Begriffe sind eitel, falsch, idololatrisch, wenn man sie für
sich als abstrakte Vorstellung betrachtet, aber wahr, lebendig
und wirksam, sobald sie, solidarisch, nicht mehr ein Spiel
des Kindes, sondern eine Gewißheit der Übung sind.^
Schanz und Schell eignen sich nur den gesunden
Kern dieser Richtung an: Die Betonung des Innenlebens,
des Selbstbewußtseins, der Psychologie, verlassen aber die
metaphysische Basis nicht.
Viel mehr verwandt mit den Ausführungen franzö-
sischer Apologeten sind die Anschauungen G. Grupps.
Danach führen die herkömmlichen Gottesbeweise mit einer
gewissen Stringenz nur zu einer Naturursache, zu einer
natura naturans, reichen jedoch nicht zu zum stringenten
Beweis des persönlichen Gottes und können Monismus und
Pantheismus nur überwinden, wenn sie Anlehen machen
bei der Psychologie und Ethik. ^
Neben dem besonderen Ausbau der psychologischen
Gottesbeweise sind als neue Gottesbeweise zu verzeichnen
das biologische und entropologische Argument.
3. Auch darin zeigt sich der Fortschritt auf unserem
Gebiet, daß die neuere Apologetik und Philosophie fast
durchweg eingehend die Einwände der modernen Philo-
sophie und Naturwissenschaft würdigt bezw. ihre Resul-
tate zum Ausbau der Gottesbeweise benutzt, so besonders
Schill, Schell, Schanz, Hontheim, Geyser,
Gutberiet u. a. Gerade um modernen Anforderungen
entgegenzukommen, weicht Schanz von der herkömm-
lichen Darstellung der Gottesbeweise ab, indem er beim
Aufbau derselben nicht von den allgemeinen Eigenschaften
^ Vgl. Schanz, Über neue Versuche der Apologetik 131 — 133.
Regensburg 1S97.
- Grupp G., Die Grundlage des Glaubens. Phil. Jahrbuch 10
(1897). 418.
Schlul!. 177
aller Dinge ausgeht, sondern sich auf die Betrachtung
besonderer Klassen und Eigenschaften beschränkt. Er hat
diesen Weg eingeschlagen, „weil er der empirischen Be-
trachtung zugänglicher und für die Verwendung und
Beurteilung der Resultate der modernen Naturwissen-
scliaften geeigneter erscheint".^
Darum zerlegt Schanz das kosmologische Argument
in vier Stadien für die einzelnen Eigenschaften und Gruppen
der Naturdinge und knüpft die Schlußfolgerung an den
wesentlichen Differenzpunkt, die sog. Welträtsel der Natur-
Avissenschaft an. Ebenso gliedert er das teleologische
Argument, indem er die stufenmäßige Steigerung der
Zweckmäßigkeit vom Anorganischen zum Organischen,
von der Pflanze zum Tier, vom Tier zum Menschen zu-
grunde legt.
Besonders ausführlich läßt Schell die Gegner zum
Worte kommen und würdigt eingehend Gewicht und Be-
deutung der Einwände.
So dürfen wir zum Schluß unser Urteil dahin zu-
sammenfassen: Die neuere wissenschaftliche katholische
Literatur hat sich ernstlich mit dem wichtigsten aller
Probleme unserer Zeit, dem Gottesproblem, beschäftigt
und zwar in einer Weise, wie sie modernem Denken und
Fühlen entspricht. Sie hat alles in allem genommen eine
nicht zu unterschätzende Arbeit auf diesem Gebiete ge-
leistet, wenn auch manchmal eine noch intensivere Berück-
sichtigung der gegnerischen Einwände zu wünschen wäre.
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-<£^
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Adlhoch 72
Anselm 5. 63—66. 72. 76
Aristoteles 51. 74. 78. 79. 162
Augustinus 5. 76. 151
Raer K. E. v. 115 f.
Bautain 17
Berlage 35
Blondel 175
Boedder 43. 63. 88 — 90. 92. 109.
124. 133. 148. 152. 159
Bonald 17
Bonetty 17
Braig 7. 10. 39 f. 84. 89. 92. 106—
110. 119 — 121. 125. 164. 166 f.
170
Duc de Broglie 175
Büchner 104
Cartesius 25. 64—66. 162
Cicero 162
Glausius 90
C.ommer 75. 169
Darwin 129. 163
Demokrit 46
Derham 106
Didio 146—147
Dieringer 19. 35
Dippel 57. 101. 125. 138. 168
Dressel 90 f.
Duilhe-Braig 89
£gger 57. 61
Elirlich 70 f. 158. 168. 170
Endert 135 f. 168 — 170. 173—179
Felchin 15
Feuerbach 163
Fischer E. 12. 14. 126
Fischer K. 97. 122
Friedhof!" 18—20. 59. 178
Frohschammer 21 — 24. 122
Gaunilo 60. 66
Geyser 8 — 10. 16. 50. 53. 67. 74.
98 f. 123. 175 f.
Gioberti 14
Gratry 14
Grimmich 169
Grupp 176
Günther 27
Gutberiet 10. 28. 80- 82. 89—92. 95.
106. 111—116. 123. 125. 131. 138.
148. 151. 153. 164. 170. 173. 176
Haas 73
Haeckel 105
Haffner 15 f. 35
Hagemann 17. 56 f. 66. 103. 113 f.
124. 129. 133. 169. 173
Hamma 44—48. 67. 168
Hammerstein v. 123
Hartmann 39. 126
Hegel 66. 163
Heinrich 10. 12. 16. 18. 20. 40. 43.
52. 55. 57 — 50. 67. 70. 73. 77 f.
81. 134. 149 f. 157 f. 161 f. 172
Personenregister.
IX'
lleinrich J. H. 59. 173
Helraholtz 89.
Herbart 4(i
Hertling v. 90. 181
Hettinger 112. 128. 13h. 179
Holtum V. 145
Hontheim 10. 43. 57. 63. 66. 8(> 90.
100 f. 117 f. 124. 126. 128. 133.
135. 138. 148. 152. 157 f. 160.
162 t. 164. 176
Hume 163.
Jakobi 39
•Tanssens 72
Jeiler 55
Isenkrahe 70. 75 f. 81. 91. 111
Kant 2—14. 51. 58. 66. 93—97. 100.
121—124. 162. 174
Kaufmann 7. 10. 12
Kirchmann v. 2. 124
Klee 35 f. 68
Kieutgen 16. 43. 53. 57 f. 63. 67. 69.
75 f. 80. 160. 171. 173
König 16. 75. 81. 89. 109. 117. 123.
128. 169. 179
Kürber 63. 68
Koperuikus 2
Kuhn 28—50
Lamettrie lo5
Lange F. A. 113. 127
Lehmen 8—10. 20. 23. 57. 62. 65 f.
88. 92. 101. 111. 124. 137 f. 148.
152. 159 f. 162—164. 171
Leibniz.64f. 162
Lercher 150 f.
Limbourg 145 f.
Lippert 163
Lotze 12")
Mach 122
Malecek 68
Marel 14
Maver R. 90
Mayer Tli. 119. 130
Melzer 26 f.
Müller .1. 80
Müller M. 159
Paulsen 125
Pesch Chr. 66. 157. 16(i
Pesch T. 10. 81 -89. KK) t. 111.
117119. 123 t. 127 — 130. 132 f.
173
Peschel O. 159 t.
Pfeiffer 12
Plato 44. 162
Pohle 123
Ratzel 159 f.
Reinhold 10. 65 f. 71 f. 75. 77. 79 f.
87. 89-92. 98. 106. 138. 149. 152 f.
159. 164
Roderfeld 42 f. 173
Rolfes 18. 75—81. 98. 145. 171 f.
Rosenkrantz 21. 25 f.
Rosmini 14
Schäzler 36. 38. 40 f.
Schanz 7. 10 f. 33. 75. 87 92. 100.
102. 106. 109. 117 f. 123. 128. 131.
162. 164. 169. 174-277
Scheeben 54. 56. 59. 62 f. 66. 68—72.
135. 151. 164. 168
Schell 7. 10. 49. 61. 81 f. 85 f. 89.
92. 102 — 119. 127. 130. 139—147.
154—157. 164. 175 f.
Schelling 25. 39. 66
Schenach 57. 68. 92
Schill 61. 72-75. 79. 81 f. 89-92.
95. 98 f. 106—109. 111. 113. 116—
119. 122. 124. 127 f 136. 136.
148 f. 164. 176
Schleiermacher 174
Schmid A. 15. 53
Schneider 72. 75
Schopenhauer 126. 163
Schnitze 122. 125
Schweiz 45. 6S. 70. 81. 163
188
Personenregister.
Secchi 123
Seneca 162
Simar 16!». 173
Sdkrates 162
Spener 163
Sprinzl 43. 68. 70 f. 81. 102. 109. Vosen 68. 71. 81. 84 f. 89. 92. 100.
Thomas 5. 50. 53. 66. 74—82. 162.
169
Uhaghs 14
106. 110 f. 121. 148. 158 f.
168
Staudenmeier 68
Stentrup 43
Stockt 24 f. 55 f. 73. 81. 168
Stölzle 116
Straub 2. 58. 66. 108. 114. 119. 123 Willmann 72
— 125. 127. 129. 131 Wundt 122. 125. 127
Strauß 100. 126. 163
Zoeckler 175.
Weber 78. 80. 101. 116. 136—138.
148. 153. 157 f. 163
Wieser 26. 55. 169
Sachregister.
Absolute, das panth. 21 f. 23. 28 f.
32 f. 83. 99 f. 114 f.
Antinomien Kants 93 f.
Anschauung, intellekt. Schellings 39
Atheismus 161 f.
Atome 123 f.
Bewegung, ewige 75 f. 85. 104 f.
Gottesbeweis 75 — 82
Bewußtsein, das vorstellende 139 f.
das absolute 142 f.
Biologie 88 f.
Darwinismus 129 f.
Denkformen 8 f.
Dialektik, trausz. 93
Dialekt. Anmaßungen 96 f.
Ens a se 92. 171
Energie 89 f,
Entropie 89 f.
Entwicklungslehre 129. 139
Erkenntnistheorie :
Kantsche 2-24
platonisch-patr. 28 f. 43
aristotelisch-scholast. 28 f. 43
Kulms 36—39
der Neuscholastiker 50—54
Ethnographie 160 f.
Gefühl, religiöses 47. 48. 154 f.
Gefühlsglaube 39
Gesetzmäßigkeit 107 — 115
Gewissen 43. 148 f.
Glauben 17 f.
Glückseligkeitstrieb 151 — 154
Gottesbeweise :
Möglichkeit 2—28. 54—59. 174
Notwendigkeit 15 f. 55 f.
Evidenz 32 f. 56 ff.
Stringenz 21. 25. 32 ff. 48. 55 ff.
75
Einteilung 59—63
Gottesweise a priori
der ontol. G. 63—73
a posteriori 73 — 166
A) die kosmologischen G. 73 — loö
die fünf aristotelisch -thomist.
Wege 74 — 77
Bewegungsbeweis 82
Kontingenzbeweis 82 — 93
biolog. G. 89
entropol. G. 88—91
Einwände 93—106
Teleologischer G. 106—133
nomolog. G. 107—111
Ehiwände 111 — 114
leleolog. G. 115—121
Einwände 121—133
thaumatolog. G. 133 — 135
B) die psychol. G. 135—166
der ideol. G. 136—138
der ideol. G. b. Schell 139-143
der noet. G. 143—146
der moral. G. 146—157: vgl. 26
deont. G. 146 — 151
eudämonol. G. 151 — 154
religiöser G. 154—157
li>0
Sachregister.
der historische G. 157—166
der eigentl. hist. G. 157 — 158
der ethnol. G. 158—161
Bedenken dagegen 161—166
Gottesbeweis oder Gottesbeweise?
166—174
nui' ein G. 167 — 170; vgl. 24—26.
45—48
Gottesbeweise 170—174
Gottesbewußtsein 35. 39 — 48
Gotteserkenntnis, neue Wege 14 if.
Gottesidee 29. 32 ff. 41 ff. 49 fl.
Harmonie zwischen Denken und Sein
144
Ichgedanke 27
Idealismus, transzend. 2—14. 51. 94
Idee, angeborene 49. 56
absolute 47
transzend. 93
Identitätsphilosophie 26
Intellektualismus, aristot. 50 IT.
Kalorik 88
Kampf ums Dasein 112
Kategorien 5
Kausalitätsprinzip 6 — 12
Kritik d. r. V. 2—14
Kritizismus 99 — 100. 121 — 126.
175
Materialismus 47. 84 f. 104 — 106.
112—114. 128 ff.
Makrokosmos 61. 73 f.
Metaphysik :
Möglichkeit 2 — 14
Versuch einer neuen 21 — 26
Mikrokosmos 61. 118. 135 ff.
Monismus 100—104. 128—132
Neuscholastik 50—59
Noumenon 93
Notwendigkeit, logische und reale 22
Offenbarung 17. 19. 40. 56. 59 L
127. 134
Ontologismus 14—16. 41. 60. 63 f.
Ordnung, sittliche 148 f. 155.
Pantheismus 15. 19. 41. 44. 48. 84 f.
114
Persönhchkeit 33. 43. 88. 118. 143
Pessimismus 47. 126
Phänomenon 93
Philosophie 12
Hegeische 21
des Unbewußten 47
Reform der Ph. 21
Polytheismus 161 f.
Postulate d. pr. V. 6, 100. 155
Prinzipien,, regulative 6
Psychismus 132—133
Religion , verschiedene Erklärungs-
ursachen 163 f.
Scholastiker 43. 50 f. 75
Sein, das notwendige 25. 27
Selbstbewußtseinstheorie Günthers 27
Selbstursächlichkeit 87
Selektionstheorie 129
Sittengesetz 146 ff.
Skeptizismus 125
Spiel, das blinde der Kräfte 112
Spürung Intellekt. 39
Theismus 44
Theodizee 174
Traditionalismus 16—20
Tübinger Schule 28—50
Übel 126 f.
Unterricht 17
Urteile :
analytische 3
synthetische 3
a priori 3
a posteriori 3
synth. a priori 4—10
^
Sachrejrister.
na
Urzeugung 99
Vernunft, Kr. d. r. V. 2—14. 17 f.
natürl. V. 21 f.
Vernunftideen 29 f. 50 f.
Verpflichtung, absolute 148—151
AVahrheit 12. 36 f. 136—143 f.
Wege, die fünf aristotel.-thom. 74 tT. Zufall 111 f
Weissagungen 133 f.
Weltbaumeister 46. 122
WeltgTund 47
Welträtsel 177
Wunder 18. 133 f.
Ziel = Zielstrebigkeit 1(>6 IT. 115— 119
Zweck 24. 73. 106 f. 115 f.
Zuchtwahl 112 f.
Lebenslauf.
Ich,
Dr. theol. Karl Staab,
bin geboren am 17. März 1875 zu Großlaudenbach , B.-A. Alzenau, als
Sohn der verst. Müllerseheleute Joh. Adam Staab und Dorothea geb. Nees.
kath. Konfession. Meinen ersten Unterricht erhielt ich in der Volksschule
meiner Heimat, die Gymnasialstudien machte ich zu Aschaffenburg und
Würzburg in der Zeit von 1888 — 1895 und absolvierte am Neuen Gym-
nasium zu Würzburg 1895. Im Herbst 1895 bezog ich die Universität
Würzburg und hörte während vier Jahre (1895 — 1899) die Vorlesungen
folgender Herren Professoren:
1. aus der phil. Fakultät:
Prof. Dr. Grasberger, Prof. Dr. Sachs,
^ ^ Hantzsch, „ ^ Schanz,
, ^ Henner. „ ^ Stahl,
„ „ Külpe, ^ „ Stölzle:
2. aus der theol. Fakultät:
Prof. Dr. Abert, Prof. Dr. Merkle,
^ ,. Ehrhard, . „ Schell,
^ ,. Goepfert, „ ,, Scholz,
„ Kihn, „ , Weber.
Nach meiner Priesterweihe am 30. Juli 1899 war ich Kaplan in
Bad Kissingen bis zum 20. Oktober 1901, von da ab Domkaplan in Würz-
burg bis zum 1. April 1904. Seit 1. April 1904 bin ich Assistent am Klerikal-
seminar in Würzburg. In dieser Stellung promovierte ich im Dezember
1906 an der Kaiser-Wilhelms-Universität Straßburg zum Dr. theol. Von
dem Wunsch beseelt, auch den philosophischen Doktorgrad zu erwerben,
setzte ich mich mit H. Prof. Dr. Stölzle in Verbindung, dem ich die
Anregung zu der vorhegenden wissenschaftlichen Arbeit und auch manchen
freundlichen Ratschlag verdanke.
Noch sei bemerkt, daß ich zum Zweck weiterer Fortbildung in der
Kunstgeschichte mit gütiger Erlaubnis des H. Prof. Dr. Knapp dessen
Vorlesungen in den beiden letzten Semestern besuchte sowie an den
kunstgeschichtlichen Übungen teilnahm.
Die mündhche Prüfung fand am 14. Juli 1909 statt.
^,
BT
101
S73
1909
Staab, Karl
Die Gottesbeweise in der
katholischen deutschen
Literatur von 1850-1900
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