El JlEDRICH DELITZSCH
DIE
GROSSE
TÄUSCHUNG
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT
STUTTGART/ BERLIN
DIE GROSSE Täuschung
FRIEDRICH DELITZSCH
DIE GROSSETÄUSCHUNG
ERSTER TEIL
Kritische Betrachtungen
zu den altteftamentlichen Berichten über Ifraels
Eindringen in Kanaan, die GottesofFenbarung
vom Sinai und die Wirkfamkeit der Propheten
NEUAUSGABE
13. und 14. Taufend
Motto >
Um »Gottes« willen!
~ II. SM
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT
STUTTGART UND BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
Copyright 1921
by Deutfdie Verlags 'Anftalt, Stuttgart
Drude der
Deutfchen Vcrlags^Anflalt in Stuttgart
Vorwort zur Neuausgabe
Die ,, Babel-Bibel-Zeit" ist vergangen. Fünfzehn große
Faszikel von Zeitungs- und Zeitschriftartikeln und
Broschüren konnten nach ihrer Durchsicht dem Feuer
übergeben werden, zehn, elf Gegenschriften blieben übrig,
die reiflich durchdacht wurden, mich aber nicht bewegen
konnten, die Anschauungen, die ich in meinen drei Vor-
trägen über ,, Babel und Bibel" imd den sich anschließen-
den kleinen Schriften vertreten habe, ihrem Kerne nach
zu ändern. Seitdem habe ich während der Ausarbeitung
meines Hebräisch-Aramäischen Wörterbuches zum Alten
Testament Gelegenheit gehabt, meine alttestamentlichen
Studien mehr und mehr zu vertiefen, und lege nunmehr
einen Teil der Ergebnisse dieser fortgesetzten Forschungen
in dieser Schrift vor. Es wird mir an erbitterten Gegnern
nicht fehlen, aber was will das besagen gegenüber der
Pflicht des wissenschaftlichen Forschers, das, was er als
wahr erkannt zu haben imd beweisen zu können vermeint,
auch öffentlich darzulegen, zumal wo es sich um die
höchsten Fragen des menschlichen Daseins handelt?
Jeder Mensch hat seine besondere Lebensführung. Ich
hörte als junger Student bei einem gefeierten liberalen
alttestamentlichen Theologen das Kolleg ,,Alttestament-
liche Einleitung" imd lernte dort eines Tags, daß das sog.
5. Buch Mosis, das Deuteronomium, gar nicht von Moses
verfaßt sei, obwohl es sich durchweg als von Moses selbst
gesprochen, ja sogar niedergeschrieben bezeugt, daß es
vielmehr erst sieben Jahrhunderte später zu einem ganz
bestimmten Zwecke verfaßt worden sei. Aus einer streng
rechtgläubigen lutherischen Familie hervorgegangen, war
6 Vorwort.
ich durch das Gehörte, gerade weil es mich überzeugte,
tief bewegt, und besuchte deshalb noch am gleichen Tage
meinen Lehrer in dessen Sprechstunde, wobei mir mit
Bezug auf den Ursprung des Deuteronomiums das Wort
entschlüpfte: Da ist also das 5. Buch Mosis, was man
eine Fälschung neimt? Die Antwort lautete: ,,Um Gottes
willen ! Das wird wohl wahr sein, aber so etwas darf man
nicht sagen!" Dieses Wort, sonderlich sein ,,Um Gottes
willen !" klingt in meinen Ohren fort bis auf den heutigen
Tag und wurde deshalb, obschon mit tieferer Bedeutung,
als Motto dieser Schrift vorgesetzt. Denn ich habe nie
begriffen, warum man in solchen ernsten Dingen dasjenige,
was wahr ist, nicht auch aussprechen soll. Ich habe, was
ich in strengster, immer erneuter Prüfung als wahr er-
kannt zu haben glaube, hier offen ausgesprochen und kann
nur bitten, zu verzeihen, wenn ich mich in der Wahl dieses
oder jenes Ausdrucks vergriffen haben sollte. Obwohl
eine Kampfschrift, ist sie meinerseits von ihrem ersten
Entwürfe ab völlig sme ira et studio geschrieben und will
nur dem Einen Zwecke dienen — der Wahrheit über Gott
und sein Walten.
So lautete das Vorwort zur Erstausgabe. Ich hatte
am Schlüsse desselben bzw. im ,, Nachwort" bemerkt, daß
die Schrift ,,in allen wesentlichen Punkten" seit 1914
druckfertig gelegen habe, das sollte heißen: in den auf
dem Titel genannten drei Hauptteilen I — III, S. 7 — 91,
nebst Anhang, während S. 94 f. (leicht erkennbar genug)
nebst anschließender ,, Schlußbetrachtung", dazu etliche
Anmerkungen und wenige sonstige Änderungen erst vor
Veröffentlichung des Buches Anfang 1920 hinzukamen.
Mein am 15. Dezember 1914 in Berlin gehaltener Klriegs-
vortrag ,, Psalm worte für die Gegenwart" lehrt hiernach
nur das Eine, daß auch ich damals noch, wie gegenüber
den Schriften der ,, Propheten", so vor allem gegenüber
den Psalmen, desgleichen bezüglich der Beurteilung des
Vorwort. n
Verhältnisses des Neuen Testaments zum Alten in den
nämlichen Vorurteilen befangen war wie noch heute
nahezu die ganze Christenheit, und daß ich von den
durch Haus und Schule mir anerzogenen religiösen An-
schauungen nur ganz allmählich und mit schweren inneren
Kämpfen mich freizumachen vermochte.
Auch der Anfang des Vorworts bedarf vielleicht der
Modifizierung, insofern die ,, Babel-Bibel-Zeit" möglicher-
weise doch noch nicht ganz vergangen ist. Zwar habe
ich meinen zweiten und dritten (Schluß-) Vortrag über
Babel und Bibel, nachdem sie seit Jahren vergriffen ge-
wesen, im Einvernehmen mit der Verlags- Anstalt aus dem
Buchhandel zurückgezogen, da sie ihren Zweck erfüllt
hatten und das, was bleibenden Wert besitzt, anderweitige
Verwendung finden konnte (z.B. schon in der Neuausgabe
dieser Schrift) und weiterhin finden wird. Aber der erste
Vortrag über Babel und Bibel wird noch jetzt nach
i8 Jahren so lebhaft begehrt, daß sich die Verlagshand-
lung entschlossen hat, noch in diesem Winter eine Neu-
auflage erscheinen zu lassen. Bs bleibt abzuwarten, ob
sich die Geister über seinen Inhalt jetzt einigermaßen
beruhigt haben werden oder nicht.
Erlangen, Februar 192 1.
Friedrich Delitzsch.
Die in verhältnismäßig geringer Zahl erhalten ge-
bliebenen (Anm. i) und dazu außerordentlich fehler-
haft überlieferten (Anm. 2) Überreste der althebräischen
Literatur, die man in gründlich irreführender Weise die
,, Heilige Schrift Alten Testamentes", ja sogar das
,,Wort Gottes" zu benennen pflegt, machen es dem
Laien schlechterdings unmöglich, den sittlichen und reli-
giösen Werdegang des israelitischen Volkes wahrheits-
gemäß zu erkennen. Dies deshalb, weil einesteils die
älteren, etwa aus dem 9,, 8. Jahrhundert v. Chr. stammen-
den Schriften geschichtüchen Inhalts von jüngeren Händen
vielfach überarbeitet und durch allerlei Einschiebsel ver-
mehrt wurden, ohne daß diese Änderungen und Zusätze
irgendwie kenntlich gemacht wären, anderenteils jüngere
und jüngste Schriften, wie die Psalmen, weit über ein halbes
Jahrtausend älteren Verfassern, wie David oder Salomo,
zugeschrieben wurden, von dem mit dem Namen Moses
getriebenen Unfug hier noch zu schweigen — alles dazu an-
getan, den gläubigen oder richtiger leichtgläubigen Bibel-
leser in gröbste Täuschung und heillose Verwirrung zu
verstricken. Diesen Knäuel wahrheitswidriger Geschichts-
überlieferung imd skrupelloser Verschiebungen aller Art
aufgedeckt und entwirrt zu haben, ist das unvergängliche
Verdienst der textkritischen Arbeit der christlichen alt-
testamentlichen Wissenschaft, gipfelnd in Julius Well-
hausen, dessen ruhmvolle Arbeiten erst jüngst anläßlich
seines Todestages (7. Januar 1918) in allen deutschen und
fremdländischen Blättern nach Gebühr gefeiert worden
sind. Die folgenden Blätter möchten dem gebildeten Laien
an drei Beispielen zum Bewußtsein bringen, in welchem
Grade es notwendig ist, die uns überkommenen alttesta-
mentlichen Glaubensanschauungen zu überprüfen und von
Grund aus neu zu gestalten.
10 I- Israels Kindringen in Kanaan.
I.
Israels Eindringen in Kanaan
In einer Zeit wie der unsrigen, in welcher so viel von
der zionistischen Hoffnung auf Rückkehr des „auser-
wählten" Volkes in das „gelobte" Land die Rede ist, dürfte
der Versuch, den wirklichen Hergang des Eindringens der
Israeliten in Kanaan, soweit dies möglich, in streng ge-
schichtlichem Sinne darzustellen, vielleicht das Interesse
weiterer Kreise finden. Das Thema wird auch dadurch
nahegelegt, daß der berühmte, im Jahre 1887 in Mittel-
ägypten gemachte Tontafelfund von El-Amarna und die
Entdeckung des Palastarchivs der alten Hettiterkönige
in Boghaz-köi (Kappadozien) durch den BerHner Assyrio-
logen Hugo Winckler 1906 und 1907 die bis dahin in
tiefes Dunkel gehüllte Geschichte Vorderasiens im 15.,
14. vorchristlichen Jahrhundert plötzlich gleich einem
mächtigen Scheinwerfer erhellt und ebendamit auch für
die Eroberung Kanaans durch die israelitischen Wüsten-
stämme allerlei wichtige neue Tatsachen erbracht haben.
Die für diesen Gegenstand in erster Linie in Betracht
kommenden alttestamentlichen Quellen : das 2. bis 5. Buch
Mosis nebst Josua und dem Richterbuch leiden sämtlich
unter den eingangs erwähnten literarischen Mängeln, zu
denen sich bei ihnen auch noch der weitere Mangel gesellt,
daß Geschichte und Sage bzw. Märchen bunt durchein-
ander gemischt sind, wie dies auch im Königsbuche der
Fall ist. Es wird also die Aufgabe dieser Darlegungen
sein, spätere Zutaten sowie Geschichte und Sage möglichst
streng auseinanderzuhalten. Die Einwanderung der Israe-
liten in Kanaan vollzog sich ja in verhältnismäßig junger,
vollkommen historischer Zeit, etwa um 1290 v. Chr., also
in einer Zeit, über die wir betreffs des ägyptischen, baby-
lonisch-assyrischen, hetti tischen Altertums durch zahl-
reiche gleichzeitige Schriftdenkmäler eingehend unterrichtet
sind, aber die schriftliche Fixierung jenes für die Geschichte
Die Zahl der liindrin^lingc. II
Israels grundleglich bedeutsamen Geschehnisses erfolgte
mindestens um vier bis fünf Jahrhunderte später, als die
Propheten, in deren Hand die Geschichtsschreibung vor-
zugsweise lag, die Geschichte Israels von einem ganz beson-
deren theologischen Standpunkt aus zu betrachten und dar-
zustellen sich gewöhnt hatten. Vier bis fünf Jahrhunderte
später! Da begreift es sich leicht, daß die wirklich ge-
schichthchen Erinnerungen und Überlieferungen bereits
ziemlich verblaßt waren und sich nur allzu leicht der Er-
gänzung und Ausschmückung durch freie Erfindung dar-
boten. Ebendeshalb ist es dankbar zu begrüßen, daß wir
durch die oben erwähnten archäologischen Entdeckungen
über Palästina vor der israelitischen Einwanderung
authentisch unterrichtet worden und, nicht länger aus-
schließlich auf die Darstellung der israelitischen Geschichts-
schreibung angewiesen, Geschichte und Sage schärfer zu
trennen imstande sind, als dies vordem der Fall gewesen.
Wir geben nun zunächst in möglichst knapper Zu-
sammenfassung den alttestamentlichen Bericht über die
Einwanderung Israels in Kanaan in genauestem Anschluß
an die oben genannten Quellenschriften, indem wir gleich-
zeitig, doch zunächst nur bei Einzelheiten, allerlei Zweifeln
und Bedenken freimütig Ausdruck geben.*
Die Gesamtzahl der allesamt nach Ägypten eingewan-
derten männlichen Mtglieder des Hauses Jakobs betrug
mit Einschluß Josephs und seiner beiden in Ägypten ge-
borenen Söhne, Manasse und Ephraim, 12 Söhne, 51 Enkel
und 4 Urenkel Jakobs, in Summa 67 Seelen (Gen 46*-^',
rund 70 Seelen Gen 46 2' Ex i ^ Dt i o 2^), und diese 67 mäim-
lichen Nachkommen Jakobs hatten sich während der
430 Jahre (Ex 12*"') des ägyptischen Aufenthaltes Israels
^) An Abkürzungen bitte ich zu beachten: Gen (d. i. Genesis), Ex
(d. i. Exodus), I,ev (d. i. Leviticus), Nu (d. i. Numeri), Dt (d. i. Deutero-
nomium) = i. — 5. Buch Mosis; Jos, Ri = Josua, Richterbuch; i ,2Kö =
I., 2. Buch der Könige; Ps = Psalmen usw. — Acta= Apostelgeschichte.
12 I- Israels Eindringen in Kanaan.
trotz des harten Frondienstes zu rund 600000 Mann (Ex 12 3')
mit Ausschluß der Kinder vermehrt (Anm. 3). Die Frauen
sind außer Betracht gelassen: sie waren gewiß nur zum
Teil israelitischen Ursprungs, einen großen Prozentsatz
bildeten wohl Ägypterinnen und Angehörige der in der
benachbarten sinaitischen Wüste sich herumtreibenden
Nomadenstämme, die sich später als Mitläufer (vgl.
Jos 8 3^) den ausziehenden Israeliten anschlössen (Ex 12^^).
Auch Negerinnen mögen zu ihnen gezählt haben, wie ja
Moses selbst zum gerechten Entsetzen seiner Schwester
Miriam und seines Bruders Aaron ein solches Negerweib
geehelicht hatte (Anm. 4). 600 000 Mann, genauer 603 550
(Ex 38 2^) kriegstüchtige Männer von 20 Jahren und dar-
über waren es, die die Musterung im zweiten Jahre nach
dem Auszuge aus Ägypten ergab (Anm. 5).
Ein Volk, das, aus dem ägyptischen ,, Diensthause" zur
Freiheit entronnen, mit seinem großen Besitzstand an
Herden zum Suchen neuer Wohnsitze auszog, mußte
naturgemäß seinen Weg zunächst ostwärts nach den
Wüsten der sinaitischen Halbinsel südlich von Kanaan
nehmen. Und da das israelitische Volk auch seinerseits,
gleich anderen blutsverwandten Nomadenstämmen vor
ihm, innerhalb des Ländergebietes östlich der Mittelmeer-
küste Kanaan als Ziel der Inbesitznahme ins Auge ge-
faßt hatte, konnte nichts natürlicher sein, als daß Moses
vom Berge Horeb (oder Sinai) aus sein Volk durch die
Wüste direkt nach dem Amoritergebirge führte, um von
Süden her auf dem kürzesten Wege in Kanaan einzu-
dringen.^ Der Hebräergott Jaho (Jäho, Jähü, s. Anm. 6)
^) Der allerkürzeste und bequemste Weg wäre ja die längs der Küste
des Mittelmeers führende Straße nach dem Lande der Philister ge-
wesen, aber dieser Etappenweg der Pharaonen nach ihren palästinen-
sischen Garnisonen war für ein aus Ägypten „entflohenes" Volk ausge-
schlossen. GemälB Ex 13I' führte Gott Israel diesen Weg nicht, weil
„er dachte, es könnte das Volk gereuen, wenn es Kämpfe zu bestehen
hätte, und sie könnten nach Ägypten zurückkehren wollen".
Die erste Kiiudschaftersendung. I^
hatte es selbst so gewollt (Dt i"). In Qadesch-Barnea
traf Moses die nötigen Vorbereitungen. Einem Vorschlage
des Volkes entsprechend, sandte er zunächst Kundschafter
aus, die sich über den einzuschlagenden Weg und die
zunächst zu erreichenden Städte unterrichten sollten
(Nu 13 Dt i). Die zwölf Kundschafter, je einer aus jedem
Stamme (unter ihnen Kaleb vom Stamme Juda und Josua
vom Stamme Ephraim), zogen geradenwegs hinauf ins
Gebirge, gelangten — speziell wird dies von Kaleb be-
richtet — bis nach Hebron ^ und zogen dann nach dem
fruchtbaren Wadi Eschkol, aus welchem sie neben Granat-
äpfeln und Feigen mächtige Weintrauben als Zeichen der
Fruchtbarkeit des Landes zu ihren Volksgenossen zurück-
brachten. Was sie freilich von der hochgewachsenen,
starken Bevölkerung des Landes und seinen ,, himmelhoch"
befestigten Städten zu erzählen wußten, entmutigte das
Volk dermaßen, daß es sich trotz Mosis eindringlicher
Mahnung weigerte, hinaufzuziehen. Und als es späterhin,
da Moses ihm als Strafe 40 weitere Jahre der Wüsten-
wanderung in Aussicht stellte, gegen Mosis Willen dennoch
zum Angriff überging, wurde es von den Amoritern *
geschlagen und bis Chorma zersprengt (Nu 14, Dt i i^-*^)
Wir wissen ja aus den Amarnabriefen, wie zäh sich die
vor den Israeliten in Kanaan eingedrungenen Amoriter
gerade in Südpalästina sogar gegen die ägyptische Ober-
herrschaft behaupteten, also daß sie diese selbst mehr
und mehr erschütterten, und können es verstehen, daß
sie den unter schweren Kämpfen errungenen Besitz mit
äußerster Kräfteentfaltung gegen jede Konkurrenz zu
schützen gewillt waren.
*) Nu 1322. Daß die Kundschafter das Land ,,bis nach Rechob gen
Harn ath hin" (V. 21) ausgekundschaftet hätten, ist eine der vielen in der
hebräischen Literatur sich findenden orientahschen Hyperbehi und zeugt
obendrein von großer geographischer Unklarheit, zumal wenn man be-
denkt, daß die Auskundschaftung mit Hin- und Rückweg nur 40 Tage
dauerte.
2) Gemäß Nu 14*3 «^ von den Kanaanitem und Amalekitem.
JA I. Israels Eindringen in Kanaan.
Nach Qadesch-Barnea zurückgekehrt, durchzog Israel
die Steppe bis zum Schilfmeer, immer um das Edomiter-
gebirge Seir herum, um schließlich, nordwärts sich wendend,
nach den Steppen Moabs zu gelangen. 38 Jahre nach
dem Weggang von Qadesch sind die Stämme Israels im
Osten des Toten Meeres imd des unteren Jordanlaufes im
Moabiterland angelangt. Die erste Generation, die aus
Ägypten ausgezogen war, war in der Wüste gestorben,
eine zweite Generation war an ihre Stelle getreten. Doch
hatte die zweite Musterung am Jordan, Jericho gegen-
über, nahezu das nämliche Gesamtergebnis wie die oben
erwähnte erste Musterung, indem sie 601 730 BewafiEnete
ergab (Anm. 7). Das Buch der Richter (20 2-^') spricht nur
noch von 400 000 SchwertbewafEneten (die Benj amini ten
abgerechnet), was auf sehr starke Verluste während der
Eroberung Kanaans schließen läßt.
Die Bewaffnung der Isr achten, die Kanaan zu erobern
unternahmen, war die denkbar einfachste. Wie der ,, Feld-
hauptmann Jahos", der Josua bei Jericho erschien, nur
ein Schwert trug, so hatten auch die israeUtischen Klrieger
lediglich Eine Hauptwaffe, nänüich ein großes scharfes
Messer, d.i. einen Dolch oder ein Schwert. Nirgends lesen
wir von Bogenschützen (denn die einmalige Paarung von
Schwert und Bogen Jos 24^* ist lediglich rhetorisch).
Neben dem Schwert mögen auch Wurfspieße in Gebrauch
gewesen sein, doch lesen wir von einem solchen nur als
in der Hand des Oberbefehlshabers Josua befindlich imd
von diesem zu Signalzwecken benutzt. Auch von Be-
rittenen ist nirgends die Rede, und von irgendwelchen
Vorkehrungen zum Angriff auf befestigte Städte natürlich
erst recht nicht. Eine von Bogenschützen verteidigte, um-
mauerte Stadt konnte infolge dieses Mangels jeden Be-
lagerungsmaterials überhaupt nicht anders als durch List
oder — ein Wunder erobert werden, und gegenüber einem
mit Streitwagen versehenen Feinde hatten die Hebräer bei
einer Schlacht in der Ebene außerordenthch schweren Stand.
Die Kämpfe im Ostjordanland. jC
Schleuderer werden erst in der Richterzeit (Ri 2 o ^*) erwähnt.
An Lanzen- und Schildträgern, desgleichen rossebespannten
Streitwagen war seit SalomosZeitkein Mangel, wie jaSalomo
gemäß I Kö lo^" (vgl. 5' 9'^'^) über 1400 Wagen und 12000
Reiter verfügte (s. weiter für Asa's Zeit 2 Chr 14'). Aber zur
Zeit der Eroberung Kanaans war das israelitische Heer kein
eigentliches, aus verschiedenen Waffengattungen bestehen-
des Heer, sondern eine mit dem einfachsten Mordwerkzeug,
Dolch oder Schwert, bewaffnete Nomadenhorde.
Die ersten Kämpfe entspannen sich im Ost jordanlande.
Als Sichon, der Amoriterkönig von Chesbon, Mosis Auf-
forderung, ihm Durchzug durch sein Land zu gestatten,
nicht nachkam, vielmehr mit seinem ganzen Kriegs volke
Israel bei der Stadt Jahaz entgegentrat, wurde er aufs
Haupt geschlagen und verlor sein Land an Israel. Alle
seine Städte wurden erobert und in jeder Stadt an Männern,
Weibern und Kindern der ,,Bann" vollstreckt, d. h. alles
niedergemetzelt, sodaß niemand entraim (Dt 2^*). Ebenso
erging es dem Könige Og von Basan, der in Aschtaroth
residierte. Bei der Stadt Edrei stellte er sich zur Schlacht,
die er verlor. 60 stark befestigte Städte, dazu zahllose
offene Landstädte, verfielen dem ,,Bann" : Männer, Weiber
und Kinder wurden ausgetilgt (Dt 3 *"*) . Das Land Sichons
imd Ogs erhielten, da es in hervorragender Weise zu Weide-
land geeignet war, die an Viehherden besonders reichen
Stämme Rüben, Gad und Halb-Manasse. Diese zweiein-
halb Stämme besiedelten die Ortschaften und Steppen des
Ostjordanlandes. Wir wissen leider nichts Näheres über
die beiden Schlachten gegen Sichon und Og, obwohl die
alttestamentlichen Schriftsteller wiederholt gerade dieser
beiden Siege Erwähnung tun. Trotz der primitiven Be-
waffnung erklären sich Israels Waffenerfolge leicht durch
seine große numerische Überlegenheit, welche auch die
von den Kundschaftern betonte Kleinheit und Schwäch-
lichkeit der israelitischen Männer gegenüber den Ein-
geborenen des Landes (Nu 13'^) einigermaßen aufwog.
l6 I. Israels Eindringen in Kanaan.
Nach Einnahme des Ost Jordanlandes erfolgte von den
Steppen Moabs aus, Jericho gegenüber, der Einbruch in das
West j ordanland .
Moses war tot. Von dem aus der moabitischen Steppe
emporsteigenden Gebirge Pisga, näher vom Gipfel des
Berges Nebo, hatte ihn Jaho weithin bis hinauf nach
Gilead imd über das Jordantal hinüber nach dem West-
meere das ,, gelobte Land" schauen lassen, das er selbst
nicht betreten sollte. Er starb auf dem Gipfel des
Berges, i2o Jahre alt, „ohne daß seine Augen matt ge-
worden wären oder seine Körperfrische gehtten hätte",
und fand sein Grab (durch Jaho selbst? Dt 34^) im Tale
des Landes Moab, ohne daß jemand jemals die Stätte
seines Begräbnisses erfahren hätte. Geburt wie Tod des
ersten , »Knechtes Jahos" sind von der Sage umrankt.
An Mosis Statt ward sein Diener Josua, der Sohn
Nuns, von Jaho persönlich bestimmt (Jos i^'*), das Volk
über den Jordan zu führen und in den Besitz Kanaans
zu setzen. Die Ordner (Anm. 8) des Volkes erhalten von
Josua Befehl, im Feldlager kimdzutun, daß nach Verlauf
von drei Tagen der Jordan überschritten und daß zu
diesem Zwecke Proviant bereitgehalten werden solle.
Josua selbst befiehlt den Stämmen Rüben, Gad und Halb-
Manasse, Frauen, Kinder und Herden in den ihnen zuteil
gewordenen Gebieten zu belassen, sich selbst aber in der
Gesamtzahl ihrer kriegstüchtigen Männer, zirka 40 000 an
Zahl,^ an die Spitze der Israeliten kampfgerüstet zu
1) Jos 4^. Die Zahl zirka 40 000 ist im Hinblick auf die Zahlen-
angaben der Anm. 7, die auf weit mehr als 100 000 schließen lassen,
axif fallend niedrig. Wenn es überhaupt lohnt, den im Alten Testament
durchweg höchst unzuverlässigen Zahlen solche Bedeutimg zuzu-
erkennen, so müßte ein Ausgleich vielleicht in der Richtung versucht
werden, daß zvir Sichenmg des eroberten ostjordanischen Gebietes sowie
all der Frauen, Kinder vmd Herden der 2 Yj Stämme gegen die von allen
Seiten her drohenden Angriffe feindlicher Wüstenstämme imd Völker eine
beträchtliche bewaflEnete Macht notwendig mit zurückbleiben mußte.
Erwähnt wird dies freilich nirgends. Oder hatten die drei Stämme in
Die Kuudschaftcr in Jericho. I7
stellen, um bei der Eroberung des Westjordanlandes mit-
zuhelfen. Dem Befehle wird bereitwillig entsprochen.
(Kap. 2.) Eine zweite Vorbereitungsmaßnahme be-
zweckte die Erkundung des ersten Angriffsobjektes, der
,, Palmenstadt" Jericho. Zwei junge Männer (Jos 6^3)
wurden als Kundschafter ausgesandt, die sich allerdings
ihres Auftrages in erhebUch befremdender Weise ent-
ledigten. Wie sie über den Jordan kamen, der ebenda-
mals über seine Ufer getreten war, wird nicht gesagt,
das Hinüber und Herüber kann jedenfalls nicht schwer
gewesen sein. Bei einbrechender Nacht durch die Torwache
Jerichos glücklich in die Festung geschlüpft, begaben sie
sich schnurstracks in das unmittelbar an der Stadtmauer
belegene, in sie sogar hineingebaute Haus einer Hure namens
Rachab, um dort die Nacht zu verbringen (Anm. 9). Aber
ihr Aufenthalt dortselbst wurde ruchbar, ihre Anwesen-
heit und zugleich der Ort ihrer Unterkunft dem ,, König"
von Jericho gemeldet. Rachab versteckte die Männer
und rief den Boten des Königs zu, augenscheinlich ohne
die Tür ihres Hauses zu öffnen, es seien wohl zwei
Mäimer dagewesen, deren Herkunft sie nicht keime; als
aber in der Finsternis das Stadttor (Anm. 10) ver-
schlossen werden sollte, hätten sie sich wieder entfernt:
,,Jagt ihnen eilends nach!" Dann versteckte sie die beiden
Kundschafter, um sie einer etwaigen nochmaligen Nach-
forschung zu entziehen, auf dem Dache tmter aufge-
stapelten Hölzern. Der König ließ sich irreführen. Seine
Boten eilten durch das Stadttor, das man sofort wieder
verschloß, den Kundschaftern nach bis an die Jordan-
furten, aber ohne Erfolg. Rachab sagte zu den Kund-
schaftern (man beachte, wie vorausgesetzt wird, daß
Rachab eine den israelitischen Kundschaftern durchaus
verständliche Sprache redete) : ,,Ich weiß, daß Jaho euch
den Kämpfen gegen Sichon und Og so schwere Verluste erlitten? Dill-
manns Übersetzung von i": „alle die Kriegstüchtigsten" statt ,,alle
Kriegstüchtigen" ist sprachlich nicht zu rechtfertigen.
Delitzsch, Die grosse Täuschung. I 2
l8 I. Israels Eindringen in Kanaan.
das Land gegeben hat, und daß euer Schrecken uns be-
fallen hat, und daß alle Bewohner des Landes vor euch
verzagt sind. Denn wir haben gehört, daß Jaho vor euch
die Wasser des Schilfmeeres trocken gelegt hat, als ihr
aus Ägypten auszogt, und was ihr den beiden Amoriter-
königen jenseits des Jordans, dem Sichon und Og, getan
habt, welche ihr barmtet. Und wir hörten es, und imser
Mut schmolz und in niemandem ist mehr Lebenskraft vor
euch, denn Jaho, euer Gott, ist Gott im Himmel und auf
der Erde". ^ Erstaunlich ist es, wie dieses von seinen
Volksgenossen ausgestoßene Weib sich anmaßt, im Namen
,, aller Bewohner des Landes" zu sprechen, sie sich mit
,, wir "imd,, uns" zum Sprachrohr der ganzen kanaani tischen
Bevölkerung macht; noch erstaunhcher, daß die beiden
Kundschafter mit diesem Worte der Rachab als dem ein-
zigsten Ergebnis ihrer Auskundschaftung sich zufrieden
geben; am erstaunlichsten aber, daß Josua — doch hier-
über erst imten. Nach diesen ihren Worten läßt Rachab
die Kimdschafter schwören, daß sie das ihnen erwiesene
Wohlwollen durch gleiches Wohlwollen ihrem väterHchen
Hause gegenüber vergelten würden, indem sie bei der
Eroberung Jerichos ihre Eltern, Geschwister und sonstigen
Angehörigen sowie sie selbst am Leben ließen. Sie leisteten
diesen Schwur, worauf die Hure noch während der Nacht
die beiden Kundschafter an einem Seil durch das Fenster
ihres Hauses die Mauer hinabließ, ihnen gleichzeitig den
Rat erteilend, zunächst ins Gebirge zu fliehen, um nicht
den Verfolgern in die Hände zu laufen, sich drei Tage
versteckt zu halten und dann ihres Weges zu ziehen. Die
Kimdschafter machen noch mit ihr aus, daß sie den
karmesinfarbenen Knäuel, mit dessen Hilfe sie sie herab-
1) Jos 2 8-". Die alttestamentliche Textkritik hält die von Rachab
zu den Kundschaftern gesprochenen Worte für einen späteren (sog.
„deuteronomistischen") Zusatz zur Kundschaftererzählung. Mag sein»
aber dann wird die Erzählung von dem Avifenthalt der zwei Kund-
schafter in dem Hurenhause von Jericho erst recht verdächtig.
Die erlogene Kunde aus Jericho. ig
gelassen hätte, als Erkennungszeichen an ihr Fenster
binden, auch daß sie alle ihre Anverwandten in ihrem
Hause behalten solle. Zu Josua zurückgekehrt, meldeten
sie: ,,Jaho hat das ganze Land in unsere Hand gegeben,
alle Bewohner des Landes sind verzagt". Und nun kommt
das Erstaunlichste, worauf oben vorbereitet wurde, daß
nämhch Josua diesen Worten, die die Kundschafter ledig-
lich aus dem Munde einer Person wie Rachab vernommen,
ohne weiteres Glauben schenkte, Worten, die von A
bisZnach Jahos eigenem Urteil erlogen waren! Er-
logen. Denn nicht allein, daß der weitere Verlauf der
Unternehmungen Israels gegen Kanaan die kanaanitische
Bevölkerung nichts weniger als verzagt fand, vielmehr
voll todesmutiger Entschlossenheit, ihr Land gegen die
hebräischen Eindringünge zu verteidigen, sondern wir
lesen sogar, daß Jaho selbst sie in ihrem mutigen Wider-
stände bestärkt habe, um sie um so sicherer der Ausrottung
durch das Schwert Israels zu überantworten ! ^ Das ist
der erste Punkt, der unsern Glauben an die Glaubwürdig-
keit der hebräischen Berichterstattung über die Eiimahme
Kanaans schwer erschüttert. Die Bewohner Kanaans
leisteten den eindringenden israeütischen Nomaden solchen
Widerstand, daß diese ihn überhaupt nur teilweise
zu brechen vermochten!
(Kap. 3 f.) Am nächsten Morgen Aufbruch aus Schittim
(den ,, Akazien") an den Jordan. Rast. Nach drei Tagen
erließen die Ordner des Volkes im Lager den Befehl:
,, Sobald ihr die Bundeslade seht, getragen von den levi-
tischen Priestern, dann brechet auf und ziehet hinter ihr
drein mit einem Abstand von zirka 2000 Ellen (d. i. zirka
1000 m),2 sie diene euch als Wegweiser!" Josua gab den
1) Siehe Jos ii^O; „Von selten Jahos geschah es, ihr Herz zu ver-
härten zum Krieg mit Israel, damit man ohne Gnade sie bannen,
ja ausrotten könne, wie Jaho Mose befohlen hatte".
^) Nach Berliner Verhältnissen eine Entfemvmg so groß wie vom
Brandenburger Tor nach der Universität.
20 I- Israels Eindringen in Kanaan.
Priestern entsprechenden Befehl, worauf am folgenden
Tage die Priester die Lade vor dem Volke hertrugen und
gemäß dem Befehle Josuas am Jordan stillstanden, so-
bald sie den äußersten Rand des Jordanwassers erreicht
hatten, welches ebendamals zur Erntezeit weit über seine
Ufer getreten war. Und siehe! sobald die Fußsohlen der
Priester das Wasser berührten, wurden die von oben her
kommenden Wasser fern unweit der Ortschaft Zaretan
jählings abgeschnitten und standen aufrecht wie ein Wall,
während sie nach Süden hin zum Toten Meere abflössen
(Anm. ii). So gelangten die Priester mit der Lade und
hinter ihnen drein bzw. an ihnen vorüber das Kriegsvolk
trockenen Fußes durch den Jordan. Die Lade selbst hatte
in der Mitte des Flusses Halt gemacht. Sobald auch die
Priester das trockene Land erreicht hatten, kehrte der
Jordan in seine frühere Strömung zurück und trat von
neuem über seine Ufer. Warum Jaho solchen Wert darauf
legte, daß die israelitischen Wüstensöhne trockenen
Fußes den Jordan überschritten, ist schwer einzusehen.
Denn ein nennenswertes Hindernis koimte der Übergang
über den Jordan nicht bilden. Ströme, auch noch so breit
und reißend, pflegten, wenigstens bei den übrigen Völkern
Vorderasiens, keinerlei Hemmnis der Kriegsführung zu
büden, wie ja auch die Amoriter augenscheinlich gar nicht
daran dachten, den Israeliten gleich am Ufer des Jordans
entgegenzutreten und ihnen den Übergang zu wehren
oder wenigstens zu erschweren. Wenn die beiden Kund-
schafter sowohl auf dem Hin- wie auf dem Rückweg ohne
Schwierigkeit den Jordan passierten, obwohl dieser Hoch-
wasser führte, so kotmten dies Hunderte und Tausende
genau so gut. Überdies besaß der Jordan gerade Jericho
gegenüber mehrere (nämlich fünf) auch vom Alten Testa-
ment bezeugte Furten (Jos 2 '), die sich ebendieser Stelle
gemäß auch die Kundschafter trotz des Hochwassers
zunutze gemacht hatten. — Es wird dann noch weiter er-
zählt, daß zur ewigen Eriimerung an dieses wunderbare
Der Übergang über den Jordan. 21
Ereignis, das zu dem ebenso wunderbaren Durchzug
Israels durch das sog. Schilf meer ein Seitenstück bildet,
je ein Mann von jedem Stamme von dort, wo die
Priester inmitten des Jordans stillgestanden hatten, je
einen Stein auf seine Schultern nehmen solle, und daß
dann diese zwölf Steine im nächsten Nachtquartier
namens Haggilgal aufgestellt worden seien. Nach einer
anderen Sage (schon das Nebeneinander beider Erzählungen
charakterisiert dieselben als Sagen) hätte Josua selbst
zwölf Steine mitten im Jordan auf dem Halteplatze
der Priester aufgerichtet.
Am zehnten Tage des ersten Monats ward Kanaan be-
treten.^ Und zwar war, wie gesagt, Haggilgal am Ost-
ende von Jericho die erste Station. Dort schlug Josua
für die Zeit seiner nächstfolgenden Unternehmungen sein
Hauptquartier auf.
Kap. 5 begirmt mit der wunderlichen Erzählimg, daß
vor dem Weiterzuge alles Märmliche mit steinernen
Messern beschnitten worden sei, da die Nachkommen der
während des vierzigjährigen Wüstenzuges gestorbenen
ersten Generation unbeschnitten geblieben waren. Wie
das letztere der Fall sein konnte, darauf gibt kein Grübeln
auch nur den Schein einer befriedigenden Antwort. Ge-
rade während des Wüstenzuges mit seinen vielen, monate-
langen Aufenthalten an allen einzelnen Stationen hinderte
rein gar nichts, die wie bei vielen alten Völkern: den
Ägyptern, Tyrem, Arabern, so auch bei den Hebräern
eingebürgerte Sitte der Beschneidung auszuführen, oder,
um mit dem Alten Testamente zu reden, den von Jaho
schon mit Abraham geschlossenen bindenden Vertrag zu
erfüllen, demgemäß ,, alles Mäniüiche im Alter von acht
Tagen zu beschneiden", ,,ein unbeschnittener Mann
1) Wo die vielen Tausende von Frauen imd Kindera und alle die
Herden der 9^2 Stämme beim und nach dem Übergang über den Jordan
blieben, wird zwar nirgends gesagt, doch läßt sich ihre Mitanwesenheit
in dem eroberten imd zerstörten Jericho aus Jos 7'^* schließen.
22 !• Israels Eindringen in Kanaan.
aber aus seinen Volksgenossen ausgetilgt werden solle"
(Gen 17^2-14^ ygi 21^) — erst jetzt, und zwar unmittelbar
nach dem ersten Betreten des feindlichen Bodens, in un-
mittelbarer Nähe des Feindes, das ganze Heer mit Ein-
schluß der männlichen Kinder, also etwa eine Million
Menschen sich gegenseitig beschneidend und zu tage-
langer Ruhe verurteilt sich vorzustellen, fällt schwer. Die
ganze Erzählung ist wahrscheinlich als eine der vielen,
Ortsnamen zuliebe erfundenen. Sagen zu fassen. Auf dem
Westufer des Jordans lag nämlich ein Hügel, genannt Hügel
der 'Araloth, das man als „Hügel der Vorhäute" deuten
zu sollen glaubte — eine etymologische Wortspielerei, die
an der im gleichen Zusammenhange sich findenden haar-
sträubenden Etymologie des Namens Haggilgal ein wür-
diges Gegenstück hat.
Es wird dann noch weiter erzählt, daß am 14. des ersten
Monats das Passahfest gefeiert worden sei, und daß die
Kornvorräte des Landes das weitere Herabfallen des
„Himmelsbrotes" oder Mannas entbehrlich gemacht hätten.
Bei der Feier des Passahfestes erinnert man sich an die
schier unglaubliche, aber durch 2 Kö 23^^ authentisch be-
glaubigte Tatsache, daß ,,seit den Tagen der Richter, die
Israel gerichtet, und während der ganzen Zeit der Könige
von Israel und Juda bis zum 18. Jahre des Königs Josia
kein solches^ Passahfest gefeiert" worden war. Für
die Richterzeit ist dies ja begreiflich, da diese Zeit auch
der hebräischen Geschichtsschreibung als eine Zeit voll-
kommenster Gesetzlosigkeit galt (s. 2 Chr 15^ und S. 50).
Auch für das Reich Israel begreift es sich. Aber daß selbst
zur Zeit der Könige David und Salomo und ihrer Nach-
folger trotz des Tempels auf Zion und der jerusalemischen
Priesterschaft das bedeutsamste Fest Israels, das Passah-
fest, so vollständig in Vergessenheit geraten war, nachdem
es noch beim Betreten Kanaans gefeiert worden, muß
äußerst nachdenklich stimmen.
^) „Kein solches", näml. wie es das Deuteronomium fordert (V. 21).
Die UmkreisuuK Jerichos. 23
Das Ende des Kap. 5 enthält noch das Bruchstück
einer Erzählung, derzufolge der Feldhauptmann Jahos mit
gezogenem Schwerte Josua bei Jericho begegnet sei und
Josua ihn angerufen habe: „Freund oder Feind?", worauf
der Feldhauptmann Jahos sich als solchen zu erkennen
gegeben und ihm befohlen habe, seine Sandalen auszu-
ziehen, da die Stätte, auf der er stehe, heilig sei. Fort-
setzung und Schluß fehlen.
Es folgt Kap, 6, Jericho war ummauert und fest ver-
schlossen, also für einen Angriff von Kriegern, die nur mit
Schwert bewaffnet waren, uneinnehmbar, aber die Stadt
fällt auf besonders wunderbare Weise. Jaho befiehlt näm-
lich Josua, daß sämtliche ICrieger sechs Tage hindurch
je einmal am Tage die Stadt lautlos umschreiten sollten,
während sieben Priester sieben Widderhörner vor der
Lade Jahos einhertrügen. Am siebenten Tage aber sollten
die Krieger siebenmal die Stadt umschreiten, beim siebenten
Mal die sieben Priester in die Hörner stoßen, die Elrieger
gleichzeitig in Kriegsgeschrei ausbrechen, worauf die
Stadtmauer einstürzen werde. So geschah es. Hinter den
Bewaffneten, die wir uns etwa in Reihen zu fünf geordnet
zu denken haben (Anm. 12), schritten die sieben fort-
während in die sieben Widderhörner stoßenden Priester,
gefolgt von der von Priestern getragenen Lade, und hinter
dieser eine Nachhut (Anm. 13), ebenfalls fortwährend in
Widderhörner stoßend.^ So geschah es sechs Tage lang.
Am siebenten Tage begannen die Umzüge gleich beim Er-
scheinen des Morgenrots. Beim siebenten Umzug Hörner-
klang mit gleichzeitigem lauten Kriegsgeschrei — sofort
stürzte die Mauer in sich zusammen, ^ das Kriegs volk
*) Beachte hier die häßliche Ineinandermengvmg zweier ganz ver-
schiedener Berichte. Als richtig ist gewiß nur der erste anzuerkennen,
demzufolge die Umzüge an den ersten sechs Tagen absolut lautlos vor
sich gingen, sowohl seitens der Krieger als auch seitens der Priester.
2) Auch sonst stürzen im Alten Testament Stadtmauern ein, ohne
daß über das Wie Rechenschaft gegeben würde. Als die geschlagenen
24 !• Israels Eindringen in Kanaan.
dringt in die Stadt, die ganze Stadt, mit Ausnahme der
in Rachabs Hause Befindlichen, wird gebannt, d. h. Mann
und Weib, Jüngling und Greis, Rind, Schaf und Esel
werden erbarmungslos mit dem Schwerte niedergemacht,
das Gold, Silber, die kupfernen und eisernen Geräte ver-
fallen dem Schatze Jahos, die Stadt selbst wird verbrannt
und für ewige Zeiten als nie wieder aufzubauen verflucht. *
Diese Erzählung von der Einnahme Jerichos ist wohl
das Äußerste, was orientalischer bzw. israelitischer Wunder-
glaube dem blindgläubigen Verstände der Leser des Alten
Testamentes zugemutet hat. Wir sind, was die Wimder-
kraft der sog. Bundeslade betrifft, jenes hölzernen Kastens,
in welchem sich die zwei Gesetzestafeln befanden, schon
durch eine andere Erzählimg belehrt worden, daß wir es hier
nicht mit Geschichte, sondern mit Märchen zu tun haben.
Ich meine die Erzählung im 5. und 6. Kap. des i. Buches
Samuelis. Als zu Samuels Zeit die Lade in die Hände der
Philister fiel und von diesen in den Tempel des Gottes
Dagon zu Asdod verbracht worden war, fiel das Dagons-
bild zu Boden und, von neuem aufgerichtet, brach es in
Bruchstücken zusammen. Überdies wurden die Bewohner
der Stadt und des Stadtgebietes mit Beulen geschlagen.
Als dann die Lade nach Gath verbracht wurde, brachen
auch bei den dortigen Bewohnern, groß und klein, die
Beulen aus. Das gleiche wiederholte sich in Ekron, also
daß „das Wehgeschrei der Stadt zum Himmel empor-
stieg". Nach sieben Monaten entschlossen sich die Philister,
die Lade wieder außerhalb ihres Landes zu bringen, und
zwar rieten ihre Priester und Wahrsager, gemäß der Zahl
der Philisterstädte fünf goldene Beulen und fünf goldene
Aramäer unter Benhadadll nach der Stadt Apheq in der Ebene Jezreel
fliehen, stürzt die Stadtmauer ein und. begräbt unter sich den ganzen
Rest der Entflohenen, 27 000 Mann (i Kö 20^**) I
^) Ein prophetischer Fluch auf Grund des. i Kö 16'* erzählten Er-
eignisses, überdies in Widerspruch mit der Tatsache, daß die „Palmen-
stadt" Jericho niemals aufhörte zu existieren (s. z. B. Ri 3" 2Sa 10').
Die wundertätige Buudeslade. 25
Mäuse (offenbar ein zweites Strafgericht, das über das
Philisterland gekommen war) der Lade als Sühnegeschenk
mit auf den Weg zu geben und sie dann auf einem neuen
Wagen von zwei Kühen, auf die noch kein Joch gekommen,
über die Grenze bringen zu lassen. Dabei sollte jedoch
eine Probe gemacht werden: gingen die Kühe geraden-
wegs nach Beth-Schemesch, dem israelitischen Grenzort,
so hatte wirklich Jaho solches Leid über Philistäa ge-
bracht, wo nicht, liege ein bloßer Zufall vor. ,,Da liefen
die Kühe geradeaus in der Richtung nach Beth-Schemesch,
immer gingen sie auf der gebahnten Straße, imaufhörlich
brüllend, ohne nach rechts oder links abzubiegen; die
Fürsten der Philister aber folgten ihnen bis in das Gebiet
von Beth-Schemesch". Aber auch dort war das Unheil,
das die Lade anrichtete, noch nicht zu Ende. Etliche Leute
der Grenzortschaft ^ besahen sich die Lade, zur Strafe
wofür Jaho 70 Mann von ihnen schlug; einem anderen
,, Berichte" zufolge hätte Jaho ,,im Volke" sogar eine
Niederlage von 50000 Marm (!) angerichtet (6^^). Schon
die letzte Differenz erweist die ganze Erzählung als Mär-
chen. An einer anderen Stelle (2 Sa 6^') wird erzählt,
daß, als einer der beiden Männer, die den Wagen mit
der Lade Gottes kutschierten, die Lade in bester Absicht,
wohl um sie vor dem Herabfallen zu bewahren, berührte,
er sofort tot zusammenbrach. Für was anderes als Märchen
könnten ja diese Erzählungen von der todwirkenden
magischen Kraft der Bundeslade auch gelten, nachdem
die Geschichte gelehrt hat, wie bei der Eiimahme Jeru-
salems durch Nebukadnezar die Wunderkraft der Lade
vollkommen versagte! Auch für die Propheten (beachte
Jer 3^*"-) hatte sie ihre Rolle ausgespielt.
In noch höherem Maße erhellt der Sagen- oder Märchen-
charakter bei der Erzählung von der Eirmahme Jerichos.
Sie strotzt von Unmöglichkeiten. Jericho, die erste
^) Nach der griechischen Bibelübersetzung die Söhne Jechonjas.
20 !• Israels Eindringen in Kanaan.
und wichtigste Grenzfestung des Landes, völlig ausge-
storben ! Kein Ausfall, wie ihn doch sogar die Bewohner des
noch viel kleineren Nachbarstädtchens Hä-'Ai zweimal
machten ! kein Bogenschütze auf der Mauer der Stadt, der
auch nur den Versuch gemacht hätte, die Stadt zu ver-
teidigen, oder den wenigstens die Neugierde getrieben hätte,
die feierliche Prozession rings um die Stadtmauer mit anzu-
sehen! Ganz Jericho, König und Krieger, während der
ganzen siebentägigen Prozession sozusagen vom Erdboden
verschwunden! Und nun erst gar, wenn wir uns die
näheren Einzelheiten klar machen ! Wie die Ausgrabimgen
der Deutschen Orient-Gesellschaft gelehrt haben, beträgt
der Umfang der Mauern von Jericho nur etwa 750 Meter.
Da sich die Prozession doch wohl auf Bogenschußweite von
der Mauer ferngehalten haben wird, die Weite eines Bogen-
schusses aber kaum mehr als 40 Meter zu rechnen ist,
dürfte in diesem Abstände die zu den Mauern konzentrische
Linie eine Länge von rund 1000 Metern gehabt haben. An
sich würde ein Mann zum Umwandeln der Länge von
I Kilometer nur rund 10 Minuten gebrauchen, aber es
steht ja ausdrücklich geschrieben, daß alle Krieger die
Stadt umschreiten sollten, d. h. also — die 9V2 Stämme
mit den 40 000 Mann der 2 V« Stämme zusammengerechnet
— 531 150. Nehmen wir nun an, daß dieses Heer in Gliedern
zu fünf marschierte (siehe S. 23), so bedeutet dies eine
Marschtiefe von 106230 Mann und, da man nicht anders
als mit wenigstens einem Schritt Abstand marschieren
kann, eine Kolonne von 106 230 Schritt Länge. Den
Schritt wiederum normal zu 0,80 Zentimetern angenommen,
bedeutet das eine Länge von 84,384 Kilometern, d. h.
die Kolonne ist 84,4 oder rund 90 mal so lang wie
der zu umwandelnde Weg. Es würde also 15 Stunden
dauern, bis das letzte Glied der Kolonne an der Stelle
des ersten GUedes angelangt ist, wozu dann noch die
10 Minuten für den Umzug kommen. Wenn aber eine
einzige Umwandlung der Stadt 15 Stunden 10 Minuten
Jericho fällt durch Verrat. 27
kostete — wie konnte dann Jericho an Einem Tage siebenmal
umwandelt werden (Anm. 14) 1 Das alles ist so wunderbar
wie das Zusammenstürzen der Mauer durch bloßen Hörner-
schall. Nein! Für jeden, der in der Geschichtsschreibung
jener alten Völker einigermaßen bewandert ist, steht diese
wundersamste aller Wundererzählungen auf ganz der näm-
lichen Linie wie die persische Erzählung von der Erobe-
rung Babylons. Wer kennt nicht den langatmigen Bericht
Herodots über die Einnahme Babylons durch Cyrus: wie
Cyrus den Euphrat oberhalb der Stadt habe ableiten
lassen und wie dann das persische Heer zur Nachtzeit,
während die Bewohner Babylons ein großes Fest feierten,
in die Stadt eingedrungen und plötzlich an allen Orten und
Enden aufgetaucht seien! während wir jetzt den authen-
tischen Bericht der Belspriester von Babylon in Händen
haben, demzufolge die Stadt durch Verrat in die Hände
des Perserkönigs fiel! Kein siegreiches Volk gesteht gern
zu, daß ihm die Eroberung der feindlichen Feste lediglich
durch Verrat ihrer Einwohner geglückt sei, geschweige
denn in einem Falle, wie dem von Jericho, wo es sich tun
eine ganz kleine Grenzfestung handelt. So klein Jericho
war (Anm, 14), so konnte es doch, weil ummauert, selbst
einem so übergewaltig überlegenen Heere, wie dem israeli-
tischen, längere Zeit Widerstand leisten, und die Bogen-
schützen auf den Zinnen der Mauer konnten den An-
greifern, die nur mit Schwertern bewaffnet waren, schwer-
sten Schaden zufügen. Die Möglichkeit, die Mauer zu
unterminieren oder zu erklettern, war jedenfalls aus-
geschlossen, und dem Stadttore so sich zu nahen, daß man
den Versuch machen konnte, Feuer anzulegen, wäre ohne
die schwersten Verluste auch kaum möglich gewesen. Des-
halb der Besuch der beiden Kundschafter bei Rachab,
deren Haus innerhalb der Mauer gelegen, deshalb die
Kenntlichmachung dieser Mauerstelle durch den karmesin-
f arbenen Knäuel — eine List seitens Josuas bzw. ein Verrat
seitens Rachabs brachte Jericho zu Fall, aber lücht „die
28 I- Israels Bindringen in Kanaan.
starke Hand und der ausgestreckte Arm" Jahos. Die Er-
zählung des Buches Josua ist eine Sage, die den geschicht-
lichen Hergang zum größeren Ruhme Israels und des
israelitischen Nationalgottes verschleiert. Der Unterschied
zwischen Wahrheit und Dichtimg kann in krasserer Weise
kaum veranschaulicht werden als durch die Erzählung vom
Falle Jerichos. Die Dichtimg lautet: Einsturz der Mauern
Jerichos durch die Macht der von Priestern siebenmal
um sie herumgetragenen Bundeslade; die Wahrheit da-
gegen : Eroberung mittels Verrats einer zu diesem Zwecke
bestochenen Hure,
Das einzigste, was selbst aus dieser Sage vom Falle
Jerichos zu lernen ist, ist die bedeutungsvolle Tatsache,
daß damals, als die Erzählung niedergeschrieben wurde,
das strenge Sabbathgebot noch kaum bekannt gewesen
sein konnte. Denn wie hätten sonst die Priester am
siebenten Tage die Lade Jahos um die Mauer von Jericho
tragen können, da doch — für die Priester in erster Linie —
geschrieben steht: „Du sollst den Sabbathtag heiligen",
und jeder, der eine Arbeit an ihm verrichtet, getötet
werden sollte (Ex 31^^352)?
Nach diesen beiden phantastischen Wundererzählungen
vom Übergang über den Jordan und von der Einnahme
Jerichos beginnt mit Kap. 7 der den Leser in die rauhe
Wirklichkeit versetzende geschichtliche Bericht von dem
weiteren Verlauf des Eindringens der israeUtischen No-
madenhorden in Kanaan.
Es wird zunächst erzählt, daß ein nach vorhergegangener
Auskundschaftung von Josua gegen das benachbarte
Städtchen Hä-'Ai gesandter kleinerer Heerhaufen von zirka
3000 Mann seitens der Amoriter wider Erwarten eine
Schlappe erlitt (die Israeliten flohen und verloren 36 Mann),
was bei Josua und den übrigen Führern des Volkes die
größte Entmutigimg auslöste. Der Mißerfolg war nach
der Darstellung des Geschichtsschreibers die göttliche
Strafe dafür, daß ein gewisser Achan vom Stamme Juda
Der Kampf gegen Hä-'Ai. 20
trotz des über Jericho verhängten Bannes sich an der
Beute vergriffen und einen babylonischen Mantel, eine
Goldzunge im Gewichte von 50 Sekeln und außerdem
200 Sekel Silber sich angeeignet hatte. Erst nachdem die
Verletzung der auch damals als unerläßlich geforderten
militärischen Disziplin gesühnt, Achan durch das Los als
Dieb entlarvt und an ihm mitsamt seinen Söhnen und
Töchtern,' seinem Rinde, Esel und Kleinvieh die Strafe
der Steinigung unter der Mitwirkung von ganz Israel voll-
zogen worden, zieht Josua — diesmal mit dem ganzen
Kriegs Volke — abermals gegen den König von Hä-'Ai. Ein
Hinterhalt wird während der Nacht im Rücken der Stadt
gegen Westen, nicht sehr weit von ihr entfernt, gelegt
(auf 30000 Mann beziffert einer der beiden „Berichte" die
Zahl des Hinterhaltes, der andere begnügt sich mit 5000),
während Josua selbst bei der Hauptmacht verblieb. Die
Stadt wird von Norden her angegriffen. Die Bewohner von
Hä-'Ai ziehen den Angreifern entgegen. Israel flieht wie
das erstemal, doch diesmal nur zimi Schein. Die Bewohner
der Stadt sehen Israel von neuem fliehen, verlassen ins-
gesamt, Israel zu verfolgen, ihre Stadt, ohne diese zu ver-
schließen. Auf ein Zeichen, das Josua mit seinem Wurf-
spieße gibt, brach nunmehr der Hinterhalt aus seinem
Verstecke, überfiel die geöffnet gebliebene Stadt und steckte
sie in Brand. Die von Josua selbst befohlene Kriegslist
(Anm. 15) war vollständig gelungen. Als die Verfolger
sich umwandten und den Rauch ihrer Stadt zum Himmel
emporsteigen sahen, sahen sie sich gleichzeitig von beiden
Seiten angegriffen. Nach keiner von beiden zu fliehen im-
stande, wurden sie bis auf den letzten Mann niedergemacht.
Darauf wurden die übrigen Bewohner der Stadt erschlagen,
sodaß sich die Gesamtzahl der an jenem Tage umge-
kommenen Männer und Frauen auf 12 000 ( ! s. Anm. 14
Schluß) belief. Das Vieh und die sonstige Beute verblieb
*) Widerspruch mit dem Gesetze Dt 24 1° (siehe Anhang Nr. 12).
ßo !• Israels Eindringen in Kanaan.
diesmal dem Kriegsvolk. Der König von Hä-'Ai, der seine
Stadt pflichtgemäß so tapfer verteidigt hatte, wird vor
Josua gebracht imd gehängt, sein Leichnam bei Sonnen-
untergang vom Pfahle herabgenommen, an den Toreingang
geworfen und mit einem groiBen Steinhaufen zugedeckt.
Die Stadt selbst machte Josua zu einer „Ruinenstätte
für ewig".
Es folgt hier (8^""^^) ein Einschiebsel, welches lehrt,
welchen Grad von Gutgläubigkeit oder richtiger Urteils-
losigkeit die Überarbeiter tmd Schlußredakteure der hebräi-
schen Schriftdenkmäler bei ihren Lesern voraussetzen
durften, um sie mit ihren Geschichts Verschiebungen zu
täuschen. ,, Damals" — so lesen wir, d. h, als die israeliti-
schen Nomadenstämme unter schweren Kämpfen eben be-
gonnen hatten, sich den Weg in das Westjordanland zu
bahnen — „baute Josua Jaho, dem Gotte Israels, einen
Altar auf dem Berge Ebal", einem bekanntlich bei
Sichem, etwa zwei Tagereisen von Israels damaligem Stand-
orte mitten in Feindesland belegenen Berge ! Er baute ihn
aus unbehauenen Steinen, brachte Opfer auf ihm dar
und schrieb auf die ( !) Steine (welche Steine gemeint sind,
wurde bei der Einschiebung ganz vergessen zu sagen) „die
Wiederholung C eth misne) ^ des Gesetzes Mosis", d. i.
das sog. Deuteronomium, das Moses kurz vor dem Über-
gang über den Jordan geredet und niedergeschrieben haben
soll. Ganz Israel — so wird weiter erzählt — mit seinen
Ältesten, Richtern usw., seinen Weibern und kleinen
Elindern hätten zur Seite der Bundeslade gestanden, die
eine Hälfte der Versammlung gegenüber dem Berge
Garizim, die andere gegenüber dem Berge Ebal. Nach
Segnung des Volkes habe Josua die ganze Thora vorge-
lesen. Das Einschiebsel verfolgt den Zweck, dem Dt ii^'
und Kap. 27 Mose in den Mund gelegten Befehl zur Aus-
führung zu verhelfen, aber ein unglücklicherer Platz als
^) Kautzsch's Bibelübersetzung: „eine Abschrift des Gesetzes Mosis",
aber s. zum „Königsgesetz" (Nr. 98 des Anhangs).
Die List der Gibconitcn. ^j
Jos Kap. 8 konnte unmöglich gewählt werden. Da der
Überarbeiter ganz genau wußte, daß die hier gemeinte
Thora Mosis erst fast 700 Jahre nach Josua verfaßt wurde,
liegt hier eine grobe Täuschung des leichtgläubigen Lesers
vor. Beiläufig bemerkt, sollten gemäß Dt 27 große, mit
Kalk übertünchte (!) Steine auf dem Berge Ebal aufge-
richtet und in sie ,,alle Worte dieses Gesetzes" sorgfältig
eingegraben (!) werden, was so unklar und mißverständ-
lich wie möglich ist. Gemeint dürften die in Vers 15 — 26
geschriebenen 12 Flüche sein, woraus vielleicht auf Auf-
stellung von 12 Steinen geschlossen werden darf.
Der Erfolg der israelitischen Stämme am Jordan ver-
anlaßte die Könige des West Jordanlandes im Gebirge, in
der Niederung und an der ganzen Meeresküste bis hin
zum Libanon zum Zusammenschluß gegen den gemein-
samen Feind. Bevor aber Josua zu weiteren KJriegstaten
schreitet, wird (Kap. 9*") erzählt, wie die Bewohner von
Gibeon einer List sich bedienten, um dem allgemeinen
Gemetzel zu entgehen. Ihre Abgesandten kamen zu Josua
in dessen Hauptquartier nach Haggilgal und sagten Josua
unter Hinweis auf ihre abgerissenen EQeider, Schuhe usw.,
daß sie aus sehr fernem Lande kämen, Jahos Großtaten
in Ägypten und gegen Sichon und Og gehört hätten, ihre
Unterwerfung anböten, aber gleichzeitig um ein friedliches
Abkommen bäten, daß ihr Leben geschont werde. ,,Ohne
Jaho zu befragen", schloß Josua einen Vertrag mit ihnen,
daß er sie am Leben lassen wolle, und die Häupter des
Volkes beschworen den Vertrag. Aber schon drei Tage
später wurde bekannt, daß die Gibeoniten ganz in der
Nähe, nur drei kleine Tagereisen entfernt, wohnten — Josua
hatte sich täuschen lassen, und die Gibeoniten wohnten
fortan unversehrt inmitten der Israeliten, diesen als Holz-
fäller und Wasserschöpfer „für das Haus Gottes" (Jos 9^^),
„für die Gemeinde und den Altar Jahos" (9 2«) dienend.
Josua verflucht sie zwar, kann aber damit nicht ändern,
daß Jahos eindringliches Gebot und immer wiederholte
22 !• Israels Eindringen in Kanaan.
Verheißung, daß alle Einwohner des Landes vor Israel
her vernichtet werden sollten (9^*), zum ersten Male durch-
kreuzt war: die „große Stadt" (10 2) Gibeon nebst den
zugehörigen Ortschaften Hakkefira, Beeroth und Qirjath-
Jearim war ihrem Schicksal glücklich entrormen.
(Kap. IG.) Adoni-Zedeq, der König von Jerusalem,
fordert Hoham, den König von Hebron, Pir'am, den König
von Jarmuth, Jafia, König von Lakisch, und Debir, König
von Eglon, zu einem Bunde auf, um Gibeon, das mit
Josua Frieden geschlossen und sich Israel ergeben hatte,
zu bestrafen. Die fünf das Gebirg bewohnenden Amoriter-
könige zogen herauf und lagerten sich wider Gibeon. Die
Gibeoniten schicken nach Haggilgal und bitten um schleu-
nigste Hilfe. Josua zieht mit seinem ganzen Kriegsheere
die ganze Nacht hindurch, überrumpelt den Feind, bringt
ihm vor Gibeon eine große Niederlage bei imd verfolgt die
verbündeten Feinde in der Richtung des Aufstieges von
Beth-choron bis Azeqa und Maqqeda. Als sie den Abstieg
von Beth-choron hinabflohen, ließ Jaho „große Steine
vom Himmel" auf sie fallen bis nach Azeqa, und es kamen
durch die Hagelsteine (solche dürften gemeint sein) mehr
um als durch das Schwert. Nach der Erzählung eines jetzt
verloren gegangenen Buches, des „Buches des Recht-
schaffenen", hätte damals Josua zu Jaho gebetet: ,, Sonne!
stehe still bei Gibeon, imd Mond ! im Tale von Ajjalon" —
Worte, in denen man bekanntlich ein Zeugnis wider das
kopernikanische Weltsystem erkennen zu dürfen wähnte.
Aber was die Erwähnung des Mondes betrifft, so ist diese
nur ein stilistisches Beiwerk dem Parallelismus mit der
Sonne zuliebe (wie wahrscheinlich auch Psi2i'). Die
Bitte aber, daß die Sonne ,,in der Mitte des Himmels"
stehen bleibe, will nur poetisch zum Ausdruck bringen,
daß der Tag voll und ganz und imverkürzt zur Verfolgung
und Vertilgung der Feinde ausgenutzt werden könne.
Denn sie wird unmittelbar darauf von dem alttestament-
lichen Schriftsteller selbst dahin erläutert, daß „die
Das Blutbad in Südpalästina. oo
Sonne wie an einem vollen Tage nicht zum Untergange
drängte". *
Die fünf Könige selbst versteckten sich in der Höhle
bei Maqqeda. Auf diese Meldung hin befahl Josua, den
Eingang mit großen Steinen zu verrammeln und zu be-
wachen, seine Truppen sollten sich aber nicht aufhalten,
sondern die Feinde verfolgen, die Nachzügler nieder-
machend, und ihnen die Rückkehr in ihre Städte ab-
schneiden. Nur wenige Entronnene entgingen der großen
Niederlage und erreichten ihre befestigten Städte. Josuas
Krieger kehrten dann zu ihm nach Maqqeda zurück. Die
fünf Könige werden aus der Höhle vor Josua gebracht,
dieser läßt die Anführer seiner Krieger ihren Fuß auf
ihren Nacken setzen, worauf die Köiüge getötet und bis
zum Abend auf fünf Pfähle gehängt wurden. Dann wurden
ihre Leichen abgenommen und in die Höhle geworfen, die
abermals mit großen Steinen geschlossen wurde.
Noch am selben Tage fällt Maqqeda gleich allen sofort
zu nennenden Städten nach heldenmütiger Gegenwehr
(„in blutigem Kampfe erobert") in die Hand der Sieger,
sein König und seine Bewohner werden ,, gebannt", d. h.
alles mit Einschluß der Frauen und unschuldigen Kinder
jeden Lebensalters wird niedergemetzelt, keiner bleibt am
Leben. Undmit grausig erMonotonie, über dieder Bibel-
leser durch den Ausdruck „bannen" hinweggetäuscht wird,
wird dann ebendasselbe berichtet von den Städten Libna,
von Lakisch, das nach zweitägiger Belagerung fällt —
alles erbarmungslos niedergemacht. Horam, der Körüg
von Gezer, eilt Lakisch zu Hilfe — er wird gänzlich ge-
schlagen, kein Flüchtling entkommt. Weiter geht der
Zug nach Eglon, das belagert und am gleichen Tage er-
obert wird — alles niedergemacht; nach Hebron und den
zugehörigen Ortschaften — Hebron ebenfalls ,,in blutigem
*) Die hier folgende Notiz (V. 15), daß Josua in sein Hauptquartier
nach Haggilgal zurückgekehrt sei, ist verfrüht, sie kehrt V. 43 an rich-
tiger Stelle wieder.
Delitzsch, Die grosse Täuschung. I i
OA I. Israels Eindringen in Kanaan.
Kampfe erobert", alles gebannt, kein Lebewesen entrinnt.
Weiter nach Debir — alles niedergemetzelt. Das ganze
lyand: Gebirg und Südland und Niederung imd die Ge-
birgsabhänge werden geschlagen und alle beseelte ELreatur
gebannt, ,,wie Jaho, der Gott Israels, befohlen hatte" —
von Qadesch-Barnea bis Gaza und ganz Goschen bis nach
Gibeon Ein Blutmeer.
Josua kehrt mit dem gesamten Israel zurück in das
Hauptquartier nach Haggilgal.
Mit Ende des Kap. lo des Buches Josua endet der erste
Akt des Eroberungsdramas.
Mit Kap. II beginnt der Schlußakt.
Josua wendet sich nach dem Norden des Westjordan-
landes. Eine große Liga von Königen tritt ihm entgegen.
Jabin, König von Chazor, hatte sich mit Jobab, König
vonMadon, den Königen von Schimron und Akschaf, weiter
den Königen nördlich im Gebirge und in der Steppe süd-
lich von Genezareth, ferner dem Könige von Dor am
Mittelmeer, den Kanaanitern im Osten und Westen, den
Amoritern, Hettitern, Perizzitern und Jebusitern (?) auf
dem Gebirge und den Chiwwitern am Fuße des Hermon
im Lande Mizpa verbündet. Sie zogen mit allen ihren
Kriegern aus, zahlreich wie der Sand am Meere, dazu sehr
viele Rosse und Wagen. Am Gewässer Merom stellten
sie sich zum Kampf wider Israel. Aber plötzlich über-
fallen, wurden sie geschlagen und nach allen Winden, bis
nach Groß-Sidon im Westen und bis zum Tale von Mizpe
im Osten, verfolgt, bis auf den letzten Mann niedergemacht,
ihren Pferden die Sehnen durchhauen, die Wagen ver-
brannt. Darauf wandte sich Josua gegen Chazor, den
Mittelpunkt des feindlichen Widerstandes, „das Haupt
aller Königreiche", eroberte die Stadt, erschlug ihren
König, verbrannte die Stadt, kein Lebewesen blieb übrig.
Auch alle übrigen Städte und Könige der Liga werden ge-
nommen und gebarmt, ,,wie Moses befohlen hatte". Doch
wurden die „auf ihren Trümmerhügeln stehenden", d. h.
Die Eroberung Nordpalüstinas. q^
immer wieder neu erstandenen Städte nicht verbrannt,
sondern nur Chazor allein. Die Beute und das Vieh wurde
i^eraubt, aber alle menschlichen Wesen ausgerottet. „Wie
Jaho Mose befohlen hatte, so befahl Moses Josua, und so
tat Josua" (Jos ii*'*).
Damit war alles Land genommen von dem kahlen Ge-
birge Edoms bis nach Baal-Gad im Tale des Libanon am
Fuße des Hermon, und alle Könige getötet. „Lange Zeit ^
führte Josua Krieg mit allen diesen Königen" (ii^*), „es
gab keine Stadt, die sich den Israeliten freiwillig unter-
warf, wie es die Chiwwiter von Gibeon getan, alles ward
mit Waffengewalt erobert" (n^®). Das also pazifizierte
Land wurde nunmehr von Josua an die einzelnen Stämme
verteilt (Kap. 13'^^— 21*-).
Zu dieser angeblichen Verteilung des Landes durch
Josua werde gleich hier eine kritische Bemerkung gefügt.
Gemäß dem Buche Josua selbst ^ und dem Richterbuch
(Kap. I nebst 3^~^) befand sich bei Josuas Tod noch ein
sehr großer Teil Kanaans von Nord bis Süd in den Händen
seiner alteingesessenen amoritischen Bevölkerung, die
selbstverständlich angesichts der von den Israeliten ver-
übten Grausamkeiten die Eindringlinge bis aufs Blut haßte.
Es muß deshalb als absolut ausgeschlossen gelten, daß
bereits Josua den 9^/2 west jordanischen Stämmen ihre
Grenzen bis in die kleinsten Einzelheiten hinein festgesetzt
und daß er dieses getan habe, indem von ihm zu diesem
*) Beachte für die Zeitdauer von Josuas Kriegführung die Stelle
Jos 14^", derzufolge Kaleb, als er bei der Teilixng des Landes durch
Josua in Haggilgal das ihm von Moses zugeschworene Hebron fordi-rte,
85 Jahre zählte. Da gemäß V. 7 Kaleb bei seiner Aussendung als Kund-
schafter vor Beginn des 40jährigen Wüstenzuges 40 Jahre alt war, er-
gibt sich für die Eroberung des Westjordanlandes der Zeitraum von
5 Jahren. Umgekehrt ergibt es für Josua, der im Alter von iio Jahren
starb (242»), das Alter von 105 Jahren bei Beginn des west jordanischen
Feldzugs und das Alter von 85 Jahren zur Zeit der Kimdschaftersendung.
-) Jos 13^: ,,Als nun Josua alt und hochbetagt war, spra h Jaho zu
ihm: Du bist alt und hochbetagt, aber ein sehr großer Teil des
Landes ist noch immer nicht in Besitz genommen". S. femer V. 2 — 13.
oß I. Israels Eindringen in Kanaan.
Zwecke ausgesandte Männer das ganze Land bereist und
schriftlich (also zum mindesten kartographisch skizziert)
aufgenommen hätten. Selbst wenn angesichts des Tief-
standes der damaligen Bildung der israelitischen Nomaden-
stämme die letztere Unmöglichkeit als möglich angenom-
men werden sollte, so wäre diese Darstellung dennoch von
der Hand zu weisen, da es unvorstellbar ist, wie solche
Grenzbestimmungen inmitten eines den Israeliten tod-
feindlichen und den israelitischen Abgesandten topo-
graphisch völlig unbekannten Landes möglich gewesen
sein sollte. Die Kapp. 14 — 21 des Buches Josua, in denen
neben den Grenzen der einzelnen Stämme auch die Asyl-
städte (Kap. 20) und die Levitenstädte (Klap. 21) fest-
gesetzt werden, sind vielmehr ein neues klares Beispiel,
wie die hebräische Geschichtsschreibimg es liebt, allmäh-
lich Gewordenes oder weit später Geschehenes bereits auf
ältere Zeitläufte zu übertragen. Die Grenzen der einzelnen
Stämme, wie sie im Laufe der späteren Jahrhunderte all-
mählich mehr oder weniger sich konsolidierten, und die Aus-
scheidung bestimmter Ortschaften als Asyl- oder Leviten-
städte werden als bereits von Josua vollzogen angenommen,
der Leser aber wird dadurch abermals gründlich getäuscht.
Dies in kurzer Zusammenfassung der Bericht des Buches
Josua über den Hergang der Eroberung Kanaans durch Israel .
Wenn wir uns nun in diese Darstellung des Buches Josua
sowie in die mit ihr engst zusammengehörigen Stellen des
Pentateuch ohne Voreingenommenheit versenken, drängt
sich unwiUkürHch eine weitere Reihe von Betrachtungen
und Fragen auf, die unsere von Jugend auf überkommenen
Anschauungen auf das schwerste erschüttern.
Zunächst beobachten wir einen unüberbrückbaren Gegen-
satz zwischen Verheißung und Erfüllung, und zwar in
zwiefacher Hinsicht.
Immer und immer wieder bezeichnen die alttestament-
lichen Schriftsteller als das zunächst Abraham und seinen
Die unerfüllte Verheißung „bis zum Kuphrat". ß^
Nachkommen verheißene, später als das dem Volke
Mosis, dem „auserwählten" Volke, von Jaho zu eigen zu
gebende Land ganz Kanaan vom Flusse Ägyptens bzw.
von der Wüste bis zum Euphrat. ,,Vom Strome
Ägyptens bis zum Euphrat" (Gen 15^*), ,,bis zum
Euphrat" (Dt i'), ,,von der Steppe bis zum (?) Libanon,
vom Euphrat bis zum Westmeer soll sich euer Gebiet
erstrecken" (Dt 11 2* vgl. Jos i*). Der Euphrat mit seinem
kösthchen Wasser bildete ja begreiflicherweise zu allen
Zeiten das Ziel der Sehnsucht für die Nomaden der syrisch-
arabischen Wüste (Anm. 16), aber jene vermeintliche, durch
göttlichen Schwur bekräftigte Verheißung Jahos trägt doch
zu sehr den Stempel eines rein menschlichen, über die geo-
graphischen und politischen Verhältnisse kaum notdürftig
unterrichteten Wunsches, als daß der Name Gottes, ja
auch nur der Name Jahos mit ihm hätte verquickt werden
dürfen. Die betreffenden alttestamentlichen Schriftsteller
hatten augenscheinlich von den politischen Verhältnissen
Vorderasiens zwischen Libanon und Euphrat in der Zeit
der hebräischen Einwanderung auch nicht die blasseste
Ahnung. Eine Ausdehnung des Israel gelobten, ja ,, seinen
Vätern zugeschworenen" Landes bis zum Euphrat hätte
die Niederwerfung des starken Amoriterreiches von Da-
maskus^, die Austilgung all der zahlreichen Staaten und
Städteherrschaften vonHamath undZoba bis nach Aleppo,
die Bezwingung des ebendamals immer erfolgreicher aus
Kleinasien und Mesopotamien nach Süden vordringenden
mächtigen Hettiterreiches zur notwendigen Voraussetzung
gehabt! Von alledem kann natürlich nicht die Rede sein.
In keiner Periode der Geschichte Israels, auch nicht zur
Zeit Sauls, Davids oder Salomos (Anm. 17), erstreckte sich
die Grenze Israels im Norden und Nordosten weiter als bis
an die Südabhänge des Hermon. Das von Israel mehr oder
weniger fest eingenommene Gebiet von 20 600 qkm blieb
^) Zur Zeit der Könige von Israel hatte der König von Damaskus
gemäß I Kö 20^ nicht weniger als 32 Könige zu \'^erbündeten.
28 !• Israels Eindringen in Kanaan.
an Umfang um rund 30 500 qkm hinter der Verheißung
zurück (Anm. 18) — ein armseliger Bruchteil!
Aber nehmen wir das gelobte Land auch nur in solcher
beschränkten Ausdehnung vom Flusse Ägyptens bis an
die Südabhänge des Hermon, so tut sich uns abermals
eine womöglich noch tiefere Kluft auf zwischen Verheißung
und Erfüllung, eine Kluft, die in Anbetracht ihrer Folgen
als abgrundtief bezeichnet werden muß, ebendeshalb
auch von den alttestamentüchen Schriftstellern trotz aller
Beschönigungs- und Bemäntelungsversuche dennoch als
nicht wegzuleugnende, beschämende und unheilschwangere
Tatsache zugestanden wird.^ Auf der einen Seite die immer
wiederkehrende feierliche Versicherung Jahos, daß er
imter persönlicher Mitwirkung ,, sieben große und starke
Völker vor Israel her ausrotten" werde (Anm. 19); daß
,, niemand vor Josua standhalten solle sein Leben lang"
(Jos I ^) ; daß Jaho seinen Engel mit ihnen ziehen lassen
(Ex 232"" 2') und ,,der Schrecken Jahos alle Feinde in die
Flucht schlagen werde" (Ex 23 2'), jeden Widerstand nieder-
werfend; „Jaho, dein Gott, zieht als verheerendes Feuer dir
voran, er wird sie vertilgen und wird sie vor dir nieder-
werfen, sodaß du sie rasch ^ aus ihrem Besitz vertreiben
und vernichten kannst, wie dir Jaho verheißen hat"
(Dt 9'), „ja auch die Hornissen (? Anm. 20) wird Jaho, dein
Gott, gegen sie entsenden, bis vernichtet sind, die übrig-
geblieben sind und die sich vor dir versteckt haben"
1) Eine Ausnahme macht nur der sog. Deuteronomist, der trotz
Jos 13^ wenige Kapitel später die Unverfrorenheit hat, zu schreiben
^21 43-45). ,,Und Jaho verlieh Israel das Land, dessen Verleihimg er
ihren Vätern eidlich verheißen hatte, imd sie nahmen es in Besitz und
siedelten sich dort an. Und Jaho verschaffte ihnen ringsum Ruhe (!),
ganz wie er ihren Vätern geschweren hatte . . . Jaho gab alle ihre
Feinde in ihre Gewalt (!). Von allen den schönen Verheißvmgen, die
Jaho dem Hause Israel gegeben hatte, war keine hinfäUig geworden (I),
alles war in Erfüllimg gegangen (!)".
2) Beachte den Widerspruch zu Dt 7" („du darfst sie nicht rasch
vertilgen") und zu Ex 2330 Dt 7^^ („ganz allmählich").
Die anerfüllte Verheißunj; der Ausrottung der Kanaanitcr. oq
(Dt 7*"), USW. (z.B.Dtii*^). Auf der anderen Seite die lange
Liste der von Israel nicht vertriebenen, geschweige ver-
tilgten Kanaaniter Jos 13^"", die Wiederholung bei jedem
einzelnen der zehn Stämme des West Jordanlandes, daß
die Kanaaniter fortfuhren in seinem Gebiete zu
wohnen, da sie nicht vertrieben werden konnten (Ri i).
Es konnte ja auch gar nicht verheimhcht werden, daß die
gesamte Meeresküste nach wie vor in den Händen der
Phönizier einerseits, der Philister andererseits verblieb.
Die fünf Philisterfürsten behielten je und je ihre volle
Selbständigkeit. Der Stamm Dan, der seinen Erbbesitz
in nächster Nähe, ja innerhalb der Grenzen des Philister-
landes erhalten hatte, verlor diesen so gut wie vollständig
an die PhiUster (Jos ig**^*') und besaß noch nach mehr
als 300 Jahren (vgl. Ri 11 2") keinen für ihn ausreichenden
Erbbesitz (Ri 18^). Bis hinab in Davids Zeit machten die
Philister mit ihren unaufhörlichen Einfällen dem Volke
Israel das Leben nur allzu schwer, wie ja noch zur Zeit
Sauls ein philistäischer Statthalter in Gib'a (i Sa i o ^
13 2'") und zu Davids Zeit ein solcher in Bethlehem resi-
dierte (i Cht 11^')! Und ebenso verloren die Phönizier-
städte Sidon usw. keinen Tag ihre Selbständigkeit, sodaß
die Israel verheißene Westgrenze des Mittelmeers zum
allergrößten Teile von ihm ebensowenig erreicht wurde,
wie die Nordgrenze des Euphrat (vgl. Ri3'). Aber auch
innerhalb der von der Meeresküste entfernteren Länder-
gebiete sowohl östlich wie westlich des Jordans blieb in
vielen der wichtigsten Städte die alteingesessene amori-
tische Bevölkerung wohnen und wurde höchstens nach und
nach Israel mehr oder weniger dienstbar. Im Süden des
Landes blieben die Jebusiter, die Juda nicht vertreiben
konnte (Rii^i), noch Jahrhunderte hindurch die Herren
der späteren Stadt Jerusalem. Erst David entriß die Burg
Zion der einheimischen Bevölkerung der Jebusiter, doch
blieben diese nach wie vor alldort seßhaft (Jos 15^'). Auch
in Hebron und Zefath (Ri i ^"" ^') blieben die Kanaaniter
40 !• Israels Eindringen in Kanaan.
wohnen. Ebenso im Zentrum und im Norden des Landes
inmitten des Stammes Manasse: in den Städten Beth-
Schean, Taanach, Dor, Jibleam, Megiddo, wo sie höch-
stens fronpflichtig wurden (i^"'); inmitten des Stammes
Ephraim in Gezer (i"); im Stamme Sebulon (i^®) und
in den dem Stamme Ascher zugeteilten Städten Akko,
Sidon, Achlab, Akzib usw. (i^i'). Und der von Josua
vermeintlich aufs Haupt geschlagene König von Chazor
verfügte bereits zur Zeit der Richterin Debora wieder über
900 Streitwagen und bedrückte Israel 20 Jahre (Ri 4).
In mannigfacher naiven Weise suchen die alttestament-
lichen Schriftsteller diesen offenkundigen Zwiespalt zwi-
schen hochklingender Verheißung und mehr als mangel-
hafter Erfüllung zu übertünchen. Bald wird gesagt, daß
Jaho, entgegen seiner Verheißung, die Kanaaniter doch
habe bestehen lassen, damit sie Israels Gehorsam gegen
die Gebote Jahos auf die Probe stellen sollten (Ri 3 *) ;
bald, daß auch jüngere Geschlechter Israels die Krieg-
führung lernen sollten (Risi*-), als ob nicht auch sie
bereits reichlich Gelegenheit hierzu gehabt hätten; bald
lesen wir die ans Komische streifende Rechtfertigung, daß
Jaho die Kanaaniter deshalb nur nach und nach vertrieben
habe, damit „die wilden Tiere" nicht überhand nähmen
(Ex 2329'-)i. Aber alle diese Beschönigungs versuche ver-
mögen nichts an dem den Gott Jaho und seinen Schwur
schwerst diskreditierenden, ja das ganze Gefüge der prophe-
tischen Geschichtsdarstellung vernichtenden Urteil zu
ändern, das Ri 3^'- in die Worte gefaßt ist: „So wohnten
die Israeliten inmitten der Kanaaniter. Hettiter und Amo-
riter und Perizziter und Chiwwiter und Jebusiter und
nahmen sich ihre Töchter zu Weibern und gaben
ihre Töchter deren Söhnen und dienten ihren Göttern".
^) „Ich will sie aber nicht im Verlauf Eines Jahres vor dir vertreiben,
sonst würde das Land zur Wüste werden und die wilden Tiere würden
zu deinem Schaden überhandnehmen. Ganz allmählich will ich sie
vor dir vertreiben, bis ihr zahlreich genug sein werdet, um euch in den
Besitz des I^andes zu setzen". Ganz ähnlich Dt 7^-.
Jabos Gtlnirtstan. AI
Also das direkte Gegenteil des mit dem ,, Bannen" beabsich-
tigten Zweckes (Dt 7')! Das Ziel des von Jaho befohlenen
grausamen Ausrottungskrieges war so wenig erreicht, daß
nicht nur zur Zeit Salomos ^i Kö 9*"'), nein! daß sogar
noch zu Ezras Zeit alle jene auszurottenden Völkerschaften
fortbestanden und die aus dem Exil heimkehrenden Juden
sich mit ihnen durch Heirat vermischten (Ezra 9*)!
Zum Verständnis der ganzen Tragweite dieses denkbar
schroffsten Widerspruchs zwischen Verheißung und Er-
füllung ist ein doppeltes Axiom der alten semitischen Völker
Vorderasiens ins Auge zu fassen. Das erste lautet: kein
Volk ohne Gott, näher: kein Volk ohne seine besondere
Gottheit. Volk und Volksgott bilden eine unzertrennliche
Einheit. ,,Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist
mein Gott" sagt bekanntlich (Ru i ^*) die Moabitin Ruth zu
ihrer Schwiegermutter Noomi. Kemosch (richtiger Kam-
mosch) ist der Gott Moabs und Moab ist das Volk des
Kemosch, So haben die Ammoniter, Philister, Phönizier usw.
alle ihre speziellen Gottheiten (vgl. auch Jon i^). Sobald
das assyrische Volk, das aus einer Kolonie seines Mutter-
landes Babylonien hervorgegangen war, sich selbständig
machte und als selbständiges Volk anerkannt sein wollte,
schuf es sich in Aschur, dem ,, heilbringenden, heiligen"
Gotte, seinen Nationalgott (Anm. 21). Sobald die bis da-
hin in ägyptischer Knechtschaft gehaltenen israelitischen
Stämme sich durch die Flucht aus Ägypten zu einem
freien, selbständigen Volke erhoben, war es das allererste,
daß sie sich einen Nationalgott erkoren, und dies war
nach Mosis Vision im Lande Midian Jaho (Anm. 22). Das
Alte Testament selbst bezeugt den Tag des Auszugs Israels
aus Ägypten als den Geburtstag sozusagen Jahos ^, Moses
') Ex 62'-: ,,Da redete Gott zu Moses und sprach zu ihm: Ich bin
Jaho. Ich bin als El laddai (d. i. hocherhabener Gott) Abraham, Isaak
und Jakob erschienen, aber mit meinem Namen Jaho bin ich
ihnen nicht bekannt gewesen". Vgl. 3^^: ,,Jaho ist mein
Name auf ewige Zeiten und meine Benenniing auf Geschlecht und
Geschlecht", V, 18: „Jaho, der Gott der Hebräer".
42 !• Israels Eindringen in Kanaan.
war der erste ,, Diener Jahos" und Mosis Diener Josua war
der erste Hebräer, der einen mit Jaho zusammengesetzten
Männernamen führte: Jehoschü'a, d.h. „Jaho ist Reich-
tum". Daher die hundertfach wiederkehrenden Worte :
„Jaho, der sein Volk aus Ägypten, dem Knechteshause, ge-
führt". Jaho ward der Gott Israels imd Israel das Volk
Jahos, das er sich auserwählt und das ihm zu eigen gehörte.
Das zweite Axiom aber, das aus dem ersten Satz: kein
Volk ohne Gott, und dem selbstverständlichen Zwischen-
satz: kein Volk ohne Land, automatisch folgt, lautet:
kein Gott ohne Land. Um Israels Gott zu sein, be-
durfte Jaho eines Landes, und zwar eines Landes, das ihm
bzw. seinem Volke ganz allein zu eigen gehörte, auf dessen
Boden er ganz allein und genau so, wie er es wünschte
(Anm. 23), verehrt werden konnte, ohne sich mit andern
Göttern in die Herrschaft zu teilen. Um Jaho auch in
Damaskus anbeten zu können, erbat sich der syrische Feld-
hauptmann Naaman vom Propheten EHsa so viel Erde,
als von einem Paar Maultiere gezogen werden könnte, um
Jaho auf dem Boden seines Landes anbeten zu können
(2 Kö 5^'), und die jüdischen Exulanten antworten auf die
Forderung, ein Lied von Zion zu singen, mit der Weh-
klage (Ps 137*) : ,,Wie könnten wir Jaho besingen auf Boden
der Fremde?"
Dieses zweite Axiom war es, das zwei der denkbar
schwersten Folgen zeitigte, von denen eine jede ein-
gehendste Besprechung heischt.
Die eine war, daß Jahos Volk und damit Jaho selbst
um jeden Preis in den Besitz eines eigenen, ihm allein
gehörigen Landes kommen mußte. Daher das ebenso
unmenschHche wie ungötthche Gebot, die Bevölkerimg
Kanaans mit Stumpf und Stiel auszurotten, „ohne mit-
leidig auf sie zu bücken" (Dt 7^*), ein Gebot, das Jaho
sozusagen in Einem Atemzuge mit dem Verbote: ,,du
sollst nicht morden", erlassen hatte! Und Josua, dem
befohlen war, Tag und Nacht in dem Gesetze Mosis zu
Die Kanaaniter ein Brudervolk der Hebräer.
43
lesen und zu forschen (Josi"), der Vollstrecker dieses
Gebotes! Fern ist es von mir, das Volk Israel einseitig
wegen dieses seines Eroberungskrieges zu verurteilen. Das
Land Kanaan war ein selten herrliches Eroberungsziel :
„ein schönes Land mit Wasserbächen, Quellen und Seen,
die in den Tälern und auf den Bergen entspringen, ein
Land mit Weizen und Gerste, mit Weinstöcken, Feigen-
und Granatbäumen, mit Olivenbäumen und Honig, ein
Land, dessen Steine eisenhaltig und aus dessen Bergen
du Erz graben kannst" (Dt 8'"), ,,ein Land, das von
Milch und Honig überfließt" (z. B. ii*), und wir können
es verstehen, welche Versuchung es für Israel war, „ein
Land mit großen und schönen Städten, die es nicht
gebaut hatte, mit Häusern, die ohne sein Zutun mit
Gütern jeder Art angefüllt waren, mit ausgehauenen
Zisternen, die es nicht ausgehauen, und mit Wein- und
Olivengärten, die es nicht gepflanzt hatte" (Dtö^'^'-), mit
Gewalt an sich zu reißen, um sich Wohnsitze zu ver-
schaffen. Aber gleichzeitig viele Tausende wehrloser Frauen
und ungezählte Mengen unschuldiger kleiner Kinder mit
unbarmherzigem Dolche hinzuschlachten, das findet weder
vor Menschen noch viel weniger vor Gott Rechtfertigung.
Wenn ,, sieben große und starke Völker" restlos ausgetilgt
werden sollten, nur um für Jaho und sein Volk Platz zu
schaffen, konnte dann Jaho nicht wenigstens eine Seuche
(vgl. Nu 14^^) all diese Tausende von Menschen hinweg-
raffen lassen, ohne die wehrlosen Weiber und Kinder
die grausige Todesangst vor dem gezückten Dolch ent-
menschter Feinde auskosten zu lassen?
Aber es kommt noch ein weiterer, die Anklage furchtbar
erschwerender Punkt hinzu, indem der archäologische
Fund von El-Amarna gelehrt hat, daß die Amoriter den
Hebräern nächstverwandt, ein Brudervolk der Hebräer
gewesen sind. Als erste geschichtliche Bevölkerung
Kanaans (Anm. 24) haben die semitischen Amoriter zu
gelten, die, als die große syrisch-arabische Wüste mit
AA I. Israels Eindringen in Kanaan.
ihren Oasen zu ihrer und ihrer Herden Ernährung nicht
mehr hinreichte, sich fruchtbarere Wohnsitze aussuchten
und die Gebirge und Täler ost- und westwärts vom Jordan
sich wählten, nachdem ein anderer Zweig des amori tischen
Volkes in die fruchtbare Niederung des Euphrat- und
Tigrislandes eingedrungen war (um 2000 v. Chr.). Seit
dem 15. und 14. Jahrhundert finden wir diese Amoriter in
Kanaan ansässig: die einzelnen größeren Städte bildeten
den Mittelpunkt ebenso vieler kleinerer selbständiger Ge-
meinwesen, die politisch unter gemeinsamer ägyptischer
Oberherrschaft, kulturell unter tiefgehendem Einflüsse des
Zweistromlandes standen, wie ja der schriftliche Verkehr
dieser Amoriter-Schechs, z. B. mit dem Pharaonenhof,
ganz von babylonischen Schreibern in babylonischer
Schrift und Sprache auf Tontafeln geführt wurde. Die
Sprache dieser Amoriterbriefe aber zeigt in vielen Punkten,
daß sie dem Hebräischen allernächst verwandt war
(Anm. 25), ebenso nahe verwandt, wie dies von der
Sprache der Moabiter durch die Mescha-Inschrift erwiesen
worden ist. In der Zeit nun, als unter Amenophis IV. die
Vorherrschaft des ägyptischen Pharao über Kanaan sich
mehr und mehr lockerte, zog für die Amoriter Kanaans
eine schwere Bedrohimg herauf, indem immer neue bluts-
verwandte Nomadenstämme aus der Wüste ihre Hände
begehrlich nach Palästina ausstreckten, nämlich die von
den Amoritem so genannten Habiri, graphisch wenig
schmeichelhaft, aber sachlich gewiß nur allzu gerecht-
fertigt, als ,, Räuber" und ,, Mörder" bezeichnet. In
nach Hunderten zählenden, immer dringHcher werdenden
Schreiben machen die kanaanitischen Amoriterfürsten den
Pharao auf diese schwere Gefährdung auch des ägyptischen
Besitzstandes aufmerksam und erbitten schleunigste be-
waffnete Hilfe, aber diese wird ihnen zwar immer und
immer wieder versprochen, aber sie kommt nicht, wenig-
stens nicht in halbwegs genügendem Umfange, sodaß
eine amoritische Stadt nach der andern freiwillig oder
Fadenscheinige Begründung der Ausrottung. ^z^
gezwungen den Habiri anheimfällt. Wir haben hier im
Lichte gegnerischer Bezeugung offenbar die nämlichen
geschichtlichen Vorgänge, wie sie der Einfall der Hebräer
in das kanaanitische Amoriterland darstellt. Und wenn-
gleich Habiri in den Amarna- und Boghaz-köi-Urkunden
eine etwas weitere Bedeutung als das uns geläufige „He-
bräer" hat, so kann doch darüber kaum länger Zweifel ob-
walten, daß die Hebräer mit zu den Habiri gehörten und
der Name 'Ibrz mit Habiri eins ist (Anm. 26). Sei dem
aber wie ihm wolle — so viel steht fest, daß gleich den
Moabitern, Ammonitern, Edomitern, für welche das Alte
Testament selbst dies bezeugt, auch die Amoriter-Kana-
aniter ein Brudervolk Israels waren.
Ein drittes Anklagemoment gegen den israelitischen
Eroberungs- und Ausrottungskrieg ist der, daß das Alte
Testament ihn mit allerlei fadenscheinigen Vorwänden
sittlich-religiöser Art zu begründen sucht.
Die erste Begründung geht dahin, daß jene Völker ihre
Vertilgung durch ihre Sündhaftigkeit, ihre Frevel ver-
schuldet hätten (Dt 9*'*, vgl. Gen 15 1^). Die Anklage über-
rascht einigermaßen. Denn von Melchizedeqs Idealgestalt
(Gen 14) ganz zu schweigen, erfahren wir aus der Genesis
über diese vorisraelitische Bevölkerung nur Rühmliches:
wie sich bei Saras Tod die in Hebron wohnhaften Het-
titer im allgemeinen und Ephron, der Eigentümer der
von Abram gewünschten Höhle Machpela, im besonderen
Abram gegenüber wahrhaft edel benahm, also daß man
in diesem Kap. 23 etwas wie Höhenluft verspürt gegen-
über den mancherlei Erzählungen von Blutschande im
Kreise von Abrams nächsten Anverwandten und gegen-
über anderen sittlich höchst anstößigen Erzählungen, wie
z. B. jener von der raffinierten Erschleichung von Isaaks
Erstgeburtssegen durch Jakob auf Anstiften seiner Mutter
Rebekka (Kap. 27). S. weiter auf S. ^^ ^. Aber freüich,
wir erinnern uns gleichzeitig auch wenigstens Einer dies-
bezüglichen Anklage in der Genesis, nämlich des den Sodo-
^5 ^* Israels Bindringen in Kanaan.
mitern nachgesägten sexuellen Lasters (Kap. 19). Indes
abgesehen davon, daß die Sodomiter für diese ihre Sünd-
haftigkeit schon längst auf das schwerste gestraft worden
waren mit der sprichwörtlich gewordenen Strafe von
„Sodom und Gomorrha" — war sich der israelitische An-
kläger gar nicht bewußt, daß er mit seinem Verdammungs-
urteil gleichzeitig den ganzen Stamm Benjamin traf?
daß genau das nämliche, was GeniQ*"^*' erzählt wird,
Ri 19 — 21 wiederkehrt? Einem zur Richterzeit in einem
entlegenen Teile des Gebirges Ephraim aufhältlichen Le-
viten war sein aus Bethlehem-Juda stammendes Kebsweib
davongelaufen und hatte vier Monate wieder in ihrem
Elternhaus zugebracht. Der Levit reiste ihr nach. Vom
Vater des Weibes wohlwollend aufgenommen, gelang es
dem Leviten, sein Weib sich wiederzugewinnen. Nachdem
der Schwiegervater den Leviten immer von neuem ge-
nötigt hatte, noch einige Tage vor der Abreise zuzugeben,
machte sich endlich am Abend des fünften Tages der von
einem Burschen und einem Paar Eseln begleitete Levit
auf den Heimweg, sein Weib nach dem Gebirge Ephraim
zurückzuführen, Sie erreichten bei Sonnenuntergang das
Benjamin zugehörige Gib'a, aber niemand nahm sie in sein
Haus auf, als sie auf dem freien Platze der Stadt Halt ge-
macht hatten. Ein alter Mann, der von der Arbeit auf dem
Felde heimkehrte, ein Landsmann des Ephraimiten, bat
ihn, in seinem Hause zu nächtigen, was der Levit annahm.
Während sie sich aber gütlich taten, hatten benjaminitische
Lotterbuben das Haus umstellt und forderten, ungestüm
an die Haustür trommelnd, den greisen Hausbesitzer auf,
ihnen den Gast auszuliefern, um an ihm ihre sinnliche
Begier zu stillen. Der Hausbesitzer trat hinaus und redete
ihnen zu, an seinem Gaste solche Schandtat nicht zu üben,
er wolle ihnen lieber seine eigene jungfräuliche Tochter
überlassen. Als aber die Leute nicht auf ihn hören wollten,
nahm der Levit sein Kebsweib und gab dieses ihnen preis.
Nachdem das Weib die ganze Nacht über ein Opfer der
Die Sclinndtnt von Gib'a. An
viehischen Sinnlichkeit der Lüstlinge gewesen, ließen sie
es, als der Morgen anbrach, laufen, es schleppte sich noch
bis an die Tür des Hauses, wo ihr ritterlicher Ehemann
wohnte, dann brach es auf der Schwelle tot zusammen.
Als nun der Levit die Tür öfTnete, nicht um sich nach
seinem unglücklichen Weibe umzusehen, das er so feig
und herzlos geopfert hatte, sondern ,,um seines Weges zu
ziehen", sah er das Weib tot vor der Türe liegen, die Hände
auf der Schwelle. Der Levit nahm den Leichnam mit nach
seinem Wohnort, zerlegte ihn mit dem Messer in zwölf
Teile und schickte diese durch das ganze Gebiet Israels,
um weiterhin vor der schleunigst nach Mizpa einberufenen
Volksversammlung Gesamtisraels öffentliche Anklage zu
erheben. Aber das Unerhörte geschah. Statt jene Schand-
buben von Gib'a zur Bestrafung auszuliefern, wie die
Gemeinde Israels gefordert, erklärte sich der ganze
Stamm Benjamin mit jenen Lüstlingen solidarisch,
eilte Gib'a zu Hilfe und ließ es auf den Kampf ankommen
— 26 700 benj amini tische Krieger gegen 400 000 Krieger
des übrigen Israels. Doch scheint der Kampf der letzteren
äußerst laß geführt worden zu sein, sodaß die Benja-
miniten anfangs große Erfolge davontrugen, bis sich
schließlich das israelitische Heer aufraffte, Gib'a mittels
der bekannten Kriegslist eines Hinterhaltes zu Fall
brachte und hart bestrafte. Doch war das sogar in Tränen
sich Luft schaffende Mitgefühl Israels mit Benjamin so
groß, daß es, damit solch edler Stamm des ,, heiligen"
Volkes nicht ganz verloren gehe,^ den entkommenen
600 Benjamirnten zu Frauen verhalf, indem es ihnen
400 Mädchen aus Jabesch-Gilead raubte und außerdem den
Rat gab, sich mit eigener Hand Jungfrauen des benach-
barten Städtchens Silo zu rauben, die eben festfeiernd mit
Reigentanz in den Weingärten des Ortes arglos sich ver-
gnügten.
*) Nach den Gesetzen der Thora hätte der Stamm Benjamin aus-
gerottet werden müssen, s. z. B. L,ev i8^''/29.
^8 !• Israels Eindringen in Kanaan.
Wenn aber Dti8'~^2 ^g kultischen „Greuel" jener
Völker als weiteren Grund ihrer Ausrottung nennt: daß
sie ihre Söhne und Töchter durchs Feuer gehen ließen,
Wahrsagerei und Zeichendeuterei und Zauberei trieben,
die Toten befragten u. dgl. m. — warum wurden dann die
Hebräer nicht erst recht für ewig ausgerottet, sie, die alle
diese ,, Greuel" Jahrhunderte hindurch genau so trieben
und dabei Jahos auserwähltes Volk waren?
Noch hinfälliger ist endlich die dritte Begründung:
,, Damit sie euch nicht lehren, alle ihre Greuel nachzu-
ahmen, die sie ihren Göttern zu Ehren verübt haben, und
ihr euch so gegen Jaho, euren Gott, versündigt" (Dt 20^).
Dieser Zweck wurde j a völlig dadurch vereitelt, daß Israel
„unter den Kanaanitern zu wohnen" gezwungen blieb.
Wir sprachen oben (S. 42) bei der Erwähnung des zweiten
altsemitischen Axioms, daß es zwei der denkbar schwersten
Folgen gezeitigt. Die erste: die versuchte restlose Aus-
rottung der ,, sieben großen und starken Völker" wurde
nach ihren verschiedenen Seiten hin beleuchtet. Die zweite
Folge war, daß das Volk Israel vom ersten Tage der Ein-
wanderung an und weiter während der ganzen 480 Jahre
des Bestandes des Reiches Juda und der 240 Jahre des
Bestandes des Reiches Israel der einheimischen kanaani-
tischen Religion und dem einheimischen kanaanitischen
Kultus sich anschloß, wie ja selbst Salomo seinen Weibern
zuliebe die Astarte, die Göttin der Sidonier, Kemosch, den
Gott der Moabiter, und Milkom, den Gott der Ammoniter,
anbetete (i Kö 11^^), und daß die Propheten als die Ver-
künder Jahos, als die imentwegten Vorkämpfer israeli-
tischen Nationalbewußtseins, das ist eines selbständigen
israelitischen Volkstums mit Jaho als nationalem Gott an
der Spitze, alle Jahrhunderte hindurch einen geradezu
gigantischen Kampf wider diesen vermeintlichen Abfall von
Jaho führten. Wie kam das? Einfach daher, daß Palästina
das rechtmäßige Land Israels und Jahos weder gewesen noch
auch trotz Anwendung brutalster Gewalt geworden war, daß
Baal der legitime Gott Kanaans. A(\
es Israel nicht gelungen war, die Kanaaniter auszutreiben
oder gar auszurotten, daß vielmehr das Land Kanaan nach
wie vor zu einem großen Teil in der Hand seiner älteren
Bewohnerschaft blieb, und daß infolgedessen nach dem
schon damals geltenden Satze : cjij'us regio, ejus est religio,
Baal der alleinige rechtmäßige Gott Kanaans zu sein fort-
fuhr. Wie die in Babylonien eingewanderten semitischen
Akkader eo ipso Religion und Kult des einheimischen
sumerischen Volkes übernahmen, so fühlten sich die
israelitischen Stämme eingewurzelter Glaubensanschauung
nach an die Verehrung der einheimischen kanaanäischen
Gottheiten Baal und Astarte gebunden, und keine pro-
phetische Beredsamkeit, keine Drohung, keine Verheißung,
kein Gewaltstreich gegen die einheimischen Gottheiten und
deren Priester und Propheten vermochte hierin dauernden
Wandel herbeizuführen, während umgekehrt gerade diese
Mißerfolge die prophetischen Eiferer veranlaßten, vor
keinem Mittel der Rede und vor allem auch der Schrift
zurückzuschrecken, um Jaho als den legitimen Gott
Kanaans zu erweisen (Anm. 27).
Es wird hiervon noch weiter in Kap. III die Rede sein. Zu-
nächst haben wir noch den ersten Gegenstand unserer histo-
rischen Untersuchung : die Einwanderung Israels in Kanaan,
zu Ende zu führen, indem wir das Volk Israel während der
ersten Jahrhunderte nach Josuas Tod auf Grund des
Richter buches betrachten, sowohl nach seinen äußeren
und inneren politischen Zuständen, als auch nach dem
Grade seiner kulturellen und sittlichen Entwicklung.
Das erstere ist schnell abzumachen. Die über 300jährige
Richterzeit war für die israelitischen Stämme nach außen
hin ein fast ununterbrochener Kampf gegen die benach-
barten Staaten und Nomadenstämme, unterbrochen nur
durch kurze Perioden vorübergehender „Ruhe" von 20
bis 40 Jahren Dauer. In schwerster Bedrängnis erstand
dann ein Retter des Volkes in Person eines ,, Richters",
welcher mehrere Stämme gegen den gemeinsamen Feind
Delitzsch, Die grosse Tänschang. a
^0 ^' Israels Eindringen in Kanaan.
ZU einigen und mit ungestümer Tatkraft das Stammgebiet
von den Eindringlingen zu säubern verstand. Als Feinde
Israels sehen wir in erster Linie die Philister und die
Moabiter, die Wüstenstämme der Amalekiter und Midia-
niter, aber auch innerhalb des von Israel okkupierten
Landes regten sich immer von neuem die früheren Landes-
bewohner, wie z. B. Jabin, der König der nordpalästi-
nischen Stadt Chazor. Nach innen kann natürlich auch nur
von einem halbwegs diesen Namen verdienenden Staats-
wesen nicht die Rede sein. Die innerpolitischen Zustände
Israels waren die denkbar verwahr losesten, wie ja das
Richterbuch wiederholt sagt und auch zu seinem Schluß-
worte gemacht hat: ,,In jenen Tagen war kein König in
Israel, jeder tat, was ihm recht dünkte". Es war, wie es
2Chri5^ heißt, eine Zeit ,,ohne wahren Gott und ohne
belehrenden Priester und ohne Gesetz (Thora)", Die
einzigste richterliche Instanz war zeitweilig ein Richter
(wohl auch eine Richterin, wie Debora), der, wie dies von
Samuel (iSa7^"-) berichtet wird, im Lande umherzog
und an einzelnen Orten Recht sprach, ganz so, wie es
während des Wüstenzuges durch Moses und seine Unter-
richter geschehen war. Daß aber die wilden Nomaden-
horden, als welche wir die Stämme Israels nach den gleich-
zeitigen keilschriftlichen Denkmälern zu betrachten haben,
auch sittlich auf sehr tiefer Stufe standen, bezeugt das
Richterbuch selbst neben der oben erwähnten Schandtat
von Gib'a noch durch ein weiteres drastisches Beispiel
(Kap. 17 f.).
Die Mutter eines Ephraimiten namens Micha hatte
Jaho zu Ehren aus 200 Sekel Silber ein metallüber-
zogenes Schnitzbild anfertigen lassen, das in Michas Haus
Platz fand. Dieser selbst besaß eine Hauskapelle nebst
Ephod ^ und Penaten und hatte das Priesteramt zunächst
einem seiner Söhne übertragen, weiterhin aber einen von
Bethlehem- Juda zugewanderten jungen Leviten zur Über-
1) Priesterliches Schulterkleid mit Orakeltasche.
Der Stumm Dun sucht nach einem Wohnsitze. 51
nähme seines Hauspriestertums gegen feste Besoldung ge-
wonnen. Der junge Levit war bei Micha wie Kind im
Hause. Der Erzähler bemerkt abermals, daß „damals
kein König in Israel war, jeder getan habe, was ihm recht
dünkte", und gibt dadurch zu verstehen, daß noch zur
Richterzeit Bildnisse zur Verehrung Jahos aufgestellt
wurden und dieser Brauch erst in der Königszeit streng
verpönt wurde. Auch Gideon hatte ja kaum das Wort aus-
gesprochen: ,, Nicht ich noch mein Sohn, sondern Jaho soll
über euch herrschen", so fertigte er auch schon aus einem
Teile der Beute Midians im Betrag von 1700 Goldsekeln
ein metallüberzogenes Bild und stellte es in Ofra auf
(Ri S^'^"^'), wo es von ganz Israel abgöttisch verehrt wurde.
In eben jener Zeit suchte der Stamm Dan (s. oben
S. 39) nach einem Wohnsitze. Er sandte zu diesem
Zwecke fünf Kundschafter aus, und diese nächtigten auf
ihrem Wege durch das Gebirg Ephraim im Hause des
Micha. Der junge Levit befragte auf ihr Verlangen Jaho,
ob ihre Reise erfolgreich sein werde, und dieser gab ihnen
ermutigenden Bescheid. So zogen sie weiter und ge-
langten zu der im nördlichsten Palästina belegenen Ort-
schaft Laisch, deren Bewohner ein ideal friedliches, im-
gestörtes und zugleich, obwohl der Ort zu Sidon gehörte,
völlig unabhängiges Leben führten.
Zu ihren Stammesgenossen zurückgekehrt, priesen sie
diesen die Friedlichkeit jenes Ortes und die Güte seiner
weitgedehnten Landschaft. Daraufhin zogen 600 be-
waffnete Daniten aus, nahmen ebenfalls ihren Weg durch
das Gebirg Ephraim und wurden, in die Nähe des Ge-
höftes des IVIicha gelangt, von den fünf Kundschaftern
darauf aufmerksam gemacht, daß sich in Michas Hause
ein Priestergewand, Hausgötter und ein silberüberzogenes
Schnitzbild befänden. Der Wink genügte — sofort be-
setzten die 600 Bewaffneten das Tor, während die fünf
Kundschafter die ihnen vordem erwiesene Gastfreund-
schaft damit lohnten, daß sie alle diese wertvollen Gegen-
22 I- Israels Eindringen in Kanaan.
stände kurzerhand raubten. Als der Levit fragte, was
sie täten, erhielt er die brutale Antwort: ,, Halte das
Maul ! Komme mit uns und sei uns Vater und Priester !"
Jedes Ehr- und Pflichtgefühles bar, ging der Levit auf
ihren Vorschlag ein und packte Michas Hausschatz zu-
sammen. Ein ganzer Stamm Israels verübt schändlichsten
Raub! ^ Um der zu erwartenden Verfolgung wirksam
begegnen zu können, stellten die Daniten die kleinen
Kinder, die Viehherden und den Troß an die Spitze
ihres Weiterzuges. In der Tat, sie hatten kaum Michas
Gehöft verlassen, so sahen sie hinter sich das Auf-
gebot von Michas Leuten. Micha schreit: „Meine Götter,
die ich gemacht, habt ihr genommen und den Priester
dazu — was habe ich noch?" Aber auch er erhält die
brutale Aufforderung zu schweigen, daß er nicht nieder-
gestochen werde! Micha weicht der Übermacht. Die
Daniten gelangten mit ihrem Raube nach dem im tiefsten
Frieden daliegenden Laisch, erschlagen die Bewohner mit
dem Schwerte und verbrennen die Ortschaft mit Feuer.
Dann bauten sie die Stadt neu und benannten sie nach
ihrem Stammvater Dan. Das gestohlene Bild aber blieb
ihr Heiligtum bis zur Wegführung des Stammes in die
assyrische Gefangenschaft^, und ein Sohn Gerschoms,
Enkel Mosis, und seine Nachkommen waren durch zwei
Jahrhunderte und mehr des gestohlenen Jahobildes Prie-
ster! Man versteht, warum die Amoriter ihre aus der
Wüste eingedrungenen Stammesgenossen, die Habiri,
als „Räuber" und , .Mörder" bezeichneten. Abermals
(s. S. 28) ein schreiender Gegensatz zwischen Wahrheit
und Dichtung: in unserer Jugend stellten wir uns nach
dem 2. und 4. Buch Mosis den Zug der Kinder Israel
1) Mit Raub von Silber und Gold begann ja auch Gesamtisraels
Aufbruch aus Ägypten, s. S. 79.
2) Nach einer anderen Quelle wäre Michas Schnitzbild aufgestellt ge-
blieben, solange „das Haus Gottes" sich in Silo befand. Gemeint ist
die Bundeslade nebst dem zugehörigen Unterkunftszelte.
Die Hebräer ruiibende und mordende Nomaden. 53
vor wie die feierliche Prozession eines Volkes von Priestern,
begleitet von einem prächtigen Heiligtum Jahos mit
goldenem Altar und goldenem Leuchter, und jetzt erfahren
wir aus den zeitgenössischen Schriftdenkmälern, die oben-
drein vom Buche Josua und vom Richterbuche bestätigt
werden, daß die in Kanaan eingedrungenen alten Hebräer
gar kein heiliges Volk waren, sondern im Gegenteil raubende
und mordende Nomaden.
Aber, wird man fragen : wie sind solche Zustände denk-
bar? Kein Sabbath, nicht einmal von den Priestern
gehalten, Gußbilder zu Ehren Jahos gemacht, Mord,
Menschenraub und sonstiger Raub — und das bei einem
Volke, dem Jaho auf dem Berge Sinai sich persönUch
geoffenbart, dem er vom und am Berge Sinai gegen 60 enge
Druckseiten lange Gebote gegeben und dem er 39 Jahre
später noch einmal kurz vor dem Übergang über den
Jordan durch den Mund Mosis die gleichen und andere
Gebote unter den eindringlichsten Ermahnungen und ab-
schreckendsten Drohungen hatte zukommen lassen, und
auf welche sich Israel immer von neuem feierlichst ver-
pflichtet hatte? Die gleiche Frage drängt sich auch über
die Richterzeit hinaus auf. Das von Jaho Mose kundgetane
Königsgesetz z. B. (Nr. 98 des Anhangs) gebietet, daß
der König sich nicht viele Rosse halten und das Volk nicht
nach Ägypten zurückführen solle, um sich viele Rosse zu
verschaffen ; daß er sich nicht viele Frauen zulege ; daß er
Gold und Silber sich nicht in Mengen aufhäufe. Und doch
tut Salomo, ,,der Geliebte Jahos", von alledem gerade
das Gegenteil : er betreibt ein lebhaftes Importgeschäft mit
ägyptischen Pferden, legt sich einen Harem von 700 Frauen
und 300 Kebsweibern zu (i Kö ii^) und kennt im Aufhäufen
von Gold und Silber kein Maß imd Ziel, wie er sich ja auch
den tyrischen Schiffssendungen nach Ophir anschließt.
Und wie haben wir es gar zu verstehen (s. bereits oben
S. 22), daß die schon beim Auszug aus Ägypten und
weiterhin vom Sinai den Israeliten als eine fundamentalste
Sa II. Die Gottesoffenbarung vom Sinai.
Forderung eingeschärfte Feier des Passahfestes nach
dem Eingeständnis von 2 Kö 2 3 ^^ seit der Richterzeit
imd bis hinab auf Josia, also viele Jahrhunderte hindurch
nicht gefeiert wurde? Wie reimt sich das alles zu der
Gottesoffenbarung vom Sinai, wie sie im 2. bis 5. Buche
Mosis „überliefert" ist?
Und damit kommen wir zu dem zweiten Hauptteil
dieser Schrift,
II.
die Gottesoffenbarung vom Sinai
kritisch zu beleuchten. Die Kritik drängt sich hier fast
noch unwiderstehlicher auf als beim ersten Hauptteil, in-
dem das Alte Testament selbst die widerhistorische Dar-
stellung der Vorgänge mit leichter Mühe erkennen läßt,
ja uns unmittelbar zur Aufdeckung großer Täuschungen
die Hand bietet. Es handelt sich bei den genannten vier
Büchern Mosis oder richtiger des Pentateuchs in erster
Linie um zwei große Täuschungen oder Verschiebungen;
Die erste Täuschung betrifft das2.bis 4. Buch Mosis.
Es ist traurig zu sagen, daß den Mittelpunkt der sog. Thora
•Mosis, des vom nachexihschen Judentum, vor allem auch in
den Psalmen , vergötterten Buches, eine einzigegroße
Täuschung bildet, indem die ganzen 27 Kapitel des Le-
viticus, dazu die unmittelbar vorhergehenden Kapitel 25 —
31, 35 — 40 des Exodus und die unmittelbar anschließen-
den Kapitel i — 10 nebst anderen größeren Abschnitten
des Buches Numeri (z. B. Kapp. 15. 17 — 19. 34 — 36), also
in Summa gegen 60 lange Kapitel des Pentateuchs mit
Mosis bzw. Jahos Gesetzgebung vom oder am Sinai gar
nichts zu tun haben, sondern den kompakten Bestandteil
eines im 5. Jahrhundert, der Zeit Ezras, von den jüdischen
Priestern verfaßten bzw. zusammengestellten Gesetzes-
kodex bilden, welcher zwecks größerer Autorität auf
Jahos Offenbarung vom Sinai zurückgeführt wird, wobei
Die Fiktion eines tempelartigen Wüstenheiligtums. cg
es dem Verfasser gar nichts verschlägt, nicht allein mit
seinem an sechzigmal wiederholten ,,und Jaho sprach zu
Mose" den Namen Jahos ebensoviele Male gröblich zu
mißbrauchen, sondern überdies ganze Geschehnisse ein-
fach zu fingieren. In letzterer Hinsicht meine ich alles von
der Herstellung und Ausstattung des sog. Stiftszeltes
(Anm. 28) in den obengenannten Kapiteln des Exodus
Erzählte. Den religiösen Mittelpunkt Israels während
des Wüstenaufenthaltes und noch lange Zeit nach der
teilweisen Inbesitznahme Kanaans bildete der hölzerne
Kasten, in welchem die zwei Gesetzestafeln niedergelegt
waren, „Bundeslade" genannt nach ebendiesen den Bund
Jahos mit Israel enthaltenden Gesetzestafeln (Anm. 29).
Es läßt sich denken, daß diese die Gegenwart Jahos
symbolisierende Lade nicht unter freiem Himmel, sondern
unter einem Zelte bewahrt wurde, wie dies noch zu
Davids Zeit der Fall war. David ließ die aus Qirjat-
Jearim nach Zion verbrachte Lade in dem Zelte nieder,
das er für sie ausgespannt hatte, und brachte Trank-
und Huldigungsopfer vor Jaho dar, was natürlich auf
einem ad hoc erbauten Brandopferaltar geschah (s. 2 Sa
6"). Dagegen läßt jener Priesterkodex schon während
der Wüstenwanderung Jaho ein überaus prächtiges Zelt-
heiligtum bewohnen, welches mutatis mutandis ganz dem
späteren salomonischen Tempel auf Zion entsprach: ein
großes Gerüst aus Akazienholzbrettern, die mit Gold über-
zogen und von je zwei durch goldene Ringe gestoßenen
Riegeln zusammengehalten wurden. Die Wände dieser
„Wohnung" waren innen mit Teppichen behangen. Im
Innern schied eine Scheidewand von Teppichen das
20 Ellen lange ,, Heilige" von dem 10 Ellen langen „Aller-
heilig.sten". In ersterem stand der Schaubrottisch aus
goldüberzogenem Akazienholz, ferner Schalen und Kelche
zum Trankopfer, sowie ein siebenarmiger goldener Leuchter,
an der Mitte der Hinterwand aber ein mit Hörnern an den
vier Ecken versehener Räucheraltar. Im Allerheiligsten
e6 II' DJs Gottesoffenbarung vom Sinai.
stand die Bundeslade, Das ganze Zeltheiligtum umgeben
von einem durch Säulen abgegrenzten Vorraum, in welchem
sich vor dem Zelteingange der Brandopferaltar befand aus
kupferüberzogenem Akazienholz (Ex 27 *) . Aber dieses
ganze prachtvolle Zeltheiligtum samt seiner ganzen Aus-
stattung an goldenen Gefäßen und Geräten ist eine
reine Fiktion, eine tendenziöse Rückübertragung des
salomonischen Tempels in die Zeit des Wüstenzuges, mit
nackten Worten : eine Geschichtsfälschung. Weder beim
Übergang über den Jordan noch hinterher in der Richter-
und Königszeit geschieht jemals eines solchen Wüsten-
heiligtums Erwähnung; das 5. Buch Mosis weiß nichts von
alledem, und bei der Erbauung des salomonischen Tempels,
der doch dieses Wüstenheiligtum zum Vorbild gehabt
haben würde, ist mit keiner Silbe von einem „Stiftszelte"
oder dessen Einrichtungsgegenständen die Rede. Auch
im einzelnen stimmt es nicht. Das erste Gebot, das Jaho
nach dem Dekalog vom Sinai spricht (Ex 20 2^), lautet
(s. Nr. 134 des Anhangs) : „Einen Altar aus Erde sollst
du mir machen und auf ihm deine Brand- und Huldigungs-
opfer, deine Schafe und deine Rinder, opfern; an jedem
Orte, woselbst ich meinen Namen nennen werde, werde
ich zu dir kommen und dich segnen" — wie kaim Jaho
im selben Atemzuge (Ex 27^) die Anfertigung jenes
kupferüberzogenen Bretteraltars anbefohlen, ja sogar ein
Modell desselben Mose auf dem Sinai gezeigt haben!
Die Täuschung ist eine ganz absichtliche, da nicht allein
gesagt wird, daß Jaho das Modell zu diesem Zeltheiligtum
und zu seiner Inneneinrichtung Mose gezeigt habe ^, auch
die ganze Masse des verarbeiteten Materials an Gold,
Silber und Kupfer, an Purpur, Karmesin, Byssus und
Ziegenhaar, an Akazienholz, öl und Spezereien, Edel-
steinen aller Art genau angegeben und zum Teil detailliert
^) Das Zeltheiligtum sollte Jaho errichtet werden „genau nach dem
Modell der Wohnvmg und aller ihrer Geräte, das ich dir zeige" (Ex 25 »).
„Modell des Leuchters, das dir auf dem Berge gezeigt wurde ' (25**).
Rückdatierung des „Priesterkodex" um <joo Jahre. ^j
berechnet ist, sondern weil sogar die Namen der beiden
Tausendkünstler genannt werden, die alle diese Kunst-
werke im ersten Jahre nach dem Auszuge aus Ägypten in
der Wüste hervorgezaubert haben sollen, Kunstwerke
ersten Ranges in Teppichweberei, Goldschmiede- und Edel-
steinschneidekunst usw., was um so befremdlicher wirkt,
als Salomo für die Inneneinrichtung seines Tempels ganz
und gar auf tyrische Hilfe angewiesen war (i Kö7^^"*)!
Die ganze Fiktion eines solchen Zeltheiligtums mit seinen
verschiedenen Altären, seinem Schaubrottisch, goldenem
Leuchter usw., das natürlich von einem ganz ausgebildeten
Priesterstande nebst niederen Tempeldienern bedient
werden mußte, ermöglichte es jenem Priesterkodex, auch
das im Laufe von Jahrhunderten ausgebildete Opferritual *
und Priesterzeremoniell fix und fertig bereits in die Zeit
Mosis zu verlegen. Er läßt daher nicht allein die Her-
stellung und Einrichtung des Zeltheihgtums schon am
Sinai anbefehlen und ausführen, sondern zugleich die
Priestergarderobe bis in alle Einzelheiten hinein anordnen
nnd anfertigen, er läßt Aaron und seine Söhne, „die die
Speise Jahos darbringen" (Lev2i^*), nach feierlichstem
Zeremoniell zum Priestertume weihen, und schließt daran
eine schier endlose Reihe ausgetüftelter Vorschriften für
die einzelnen Opferarten, ganz so wie sie in Babylonien
für die ,, heidnischen" Götter Marduk, Nebo usw. sich
finden, Bestimmungen für den Anteil der Priester an
den Opfern, für die Zubereitung des heiligen Salböls usw.,
für reine und unreine Tiere', ferner von Aberglauben
strotzende hygienisch-medizinische Vorschriften für die
Wöchnerin, die Menstruierende, für Krankheiten der
Harnröhre, für sog. Aussatz (Anm. 30) am menschlichen
Körper, an Linnen- und Wollenkleidern, an Leder, an
*) Vgl. Jer 7": ,,Ich habe euren Vätern, als ich sie aus Ägypten
herausführte, nicht geredet und keinen Befehl ihnen gegeben betreffs
Brandopfer und Schlachtopfer".
*) Schon im Deuteronomium Kap. i^^~-°.
^8 li. Die Gottesoffenbarung vom Sinai.
Häusern — alles Bestimmungen, die in ihrer Gesamtheit
geeignet sind, Jaho auf eine Linie mit jedem beliebigen
babylonischen sog. „Götzen" zu stellen. Ganz wenige
Einzelheiten mögen das Gesagte illustrieren. Für Geflügel-
brandopfer wird z. B. vorgeschrieben, daß der Priester
der darzubringenden Taube den Kopf einknicken und
das Blut an die Wand des Altars auspressen solle, den
Kropf dagegen wegnehmen und östlich vom Altar auf
den Aschenhaufen werfen; dann solle er ihr die Flügel
einreißen, jedoch ohne sie abzutrennen usw. (Lev i^*"*).
Oder es sei erinnert an die Bestimmungen zur Reinigung
des Aussatzes, die damit beginnen, daß der Priester zwei
lebende reine Vögel nehmen solle und den einen Vogel
schlachten lasse in ein irdenes Gefäß über lebendigem
Wasser, der andere lebende Vogel aber solle unter Zutun
von Zedernholz, Karmesin und Ysop in das Blut des ge-
schlachteten Vogels getaucht, der zu Reinigende sieben-
mal besprengt, der lebende Vogel ins freie Feld fliegen ge-
lassen werden usw., woran sich dann weitere schier end-
lose, gleich abergläubische Bestimmungen schließen (Lev 14)
— ein bedauernswertes Zeichen für den grenzenlosen Aber-
glauben selbst der Intellektuellen des jüdischen Volkes, der
Priester und Schriftgelehrten, noch im 5. vorchristlichöi
Jahrhundert, der Zeit der Entstehung des Judentums.
Die zweite große Täuschung betrifft das 5. Buch Mosis,
das sog. Deuteronomium: eine Sammlung der Reden,
die Moses am ersten Tage des 11. Monats des 40. Jahres
nach dem Auszug aus Ägypten jenseits des Jordans im Lande
Moab den Israeliten kurz vor deren Übergang über den
Jordan verkündete, verbunden mit einer Sammlung von
Gesetzen, die Jaho vom Sinai dem Volke gegeben hatte, die
Gesetze des sog. „Bundesbuches" (s. S. 61)* teils variierend,
■ 1) Der Name „Btmdesbuch", d.i. eefer habberith, Ex 24', richtiger
Bach des (von Jaho mit Israel geschlossenen) Vertrages, sei hier für
die im Buche Exodus überlieferten Gesetze beibehalten, obwohl nicht
zu vergessen ist, daß auch das Deuteronomium so genannt wird (2 Kö23*i).
Rückdatierung des Deutcronomiums am 680 Jahre, cg
teils durch neue Gesetze erweiternd. Moses habe — so lesen
wir Dt3i'" ^*" — die Worte dieses zweiten Gesetzes in
ein Buch niedergeschrieben und die Leviten beauftragt, es
neben die Bundeslade zu legen. Es ist nicht denkbar, daß
Mose nach 39 Jahren noch so viele neue Gesetze ein-
gefallen sein sollen neben denen, die ihm Jaho schon auf
dem Sinai in persönlicher Zwiesprache aufgetragen und
die Moses sogar, unmittelbar nachdem Jaho sie ihm ver-
kündet, in einem Buche schriftUch aufgezeichnet hatte!
Vielmehr handelt es sich bei diesen Gesetzen des Deutcro-
nomiums um eine im Laufe der Zeiten entstandene zweite
Serie von Gesetzen, die gleich der ersten auf Jaho als den
Gesetzgeber Israels zurückgeführt wurde, umrahmt von
Erinnerungen an die Hauptereignisse des Wüstenzugs und
an Jahos Großtaten bei der Einnahme Kanaans sowie von
langatmigen, in ihrer Gleichartigkeit ermüdenden Pre-
digten mit eindringlichen Ermahnungen, an Jaho fest-
zuhalten, mit furchtbaren Strafandrohungen und herr-
lichen Lohnverheißungen, alles Mose selbst in den Mund
gelegt, aber durchaus entsprechend der durch das ganze
Königsbuch sich hinziehenden Geschichtsbetrachtung der
Propheten. Und diese Entstehung des Deutcronomiums
in der späteren Königszeit bestätigt das Alte Testament
selbst in authentischer Weise! Denn das zweite Königs-
buch erzählt uns (Kap. 22 f.), wie der König Josia seinen
Sekretär namens Schaf an zum Hohenpriester Chilqia in den
Tempel gesandt habe mit dem Auftrage, das für den
Tempel eingegangene Geld an die bei der Tempelrestau-
rierung beschäftigten Arbeiter zur Auszahlung zu bringen,
und der Hohepriester ihn mit den Worten empfangen
habe: „Ein (?) Gesetzbuch* habe ich gefunden!"
*) Da auch für das ..Bundesbuch" mit seinen älteren Gesetzen schrift-
liche Fixierung anzunehmen ist (Ex 24^-*), so dürfte, was sprachlich
durchaus möglich ist (Anm. 31), die Übersetzung ,,ein Gesetzbuch"
statt des üblichen „das Gesetzbuch" für sefer hattörä (ohne vorstehendes
'ith) wohl in Erwägung zu ziehen sein. Man braucht nur anzunehmen.
6o I^- Die Gottesoffenbarung vom Sinai.
Schäfän las es, ging zum König, um wegen der Geld-
auszahlung zu berichten, sagt weiter, daß der Hohepriester
ihm ein Buch gegeben habe, und las dieses dem Könige
vor. Der König zerreißt seine Kleider und läßt durch
Chilqia, Schäfän und drei andere königliche Würdenträger
Jaho betreffs dieses Buches befragen, überzeugt, daß der
Zorn Jahos gegen ihn und ganz Juda groß sein müsse, da
sein Volk nicht nach dem Inhalt des gefundenen Buches
getan hätte. Sie gingen zu der in Jerusalem II wohnhaften
Prophetin Chulda. Diese, die augenscheinlich über alles,
auch über den Inhalt des Buches bereits vollkommen
tmterrichtet ist^, stellt den königlichen Boten das über
Jerusalem kommende Unglück in sichere Aussicht, doch
würden die Augen des Königs selbst Jahos unauslösch-
lichen Zorn und das Unglück nicht sehen. Nun versammelt
der König alle Ältesten Jerusalems und zieht mit ihnen,
den Priestern, Propheten und dem ganzen Volke zum
Tempel, liest ihnen das gefundene Gesetzbuch vor, worauf
König und Volk sich auf das Gesetz feierlich verpflichten.
Es erfolgt dann die große Reinigung des Tempels, der
Stadt Jerusalem und des ganzen Landes von allem Götzen-
dienst, der sich im Laufe der Jahrhunderte in Juda und
Jerusalem festgesetzt hatte, und wir sind starr beim
daß das in Israel gültige Gesetz schlechtweg hattörä hieß und dem-
entsprechend jede schriftliche Gesetzessammlung ein sefer hattörä war.
Daß zu der ersten, älteren Gesetzessammlung im Laufe der Jahrhunderte
noch eine weitere hinzugekommen, der abermals der (bzw. ein) Dekalog
vorgefügt war, würde nichts Auffälliges haben. Auf die Wieder-
auffindung eines verloren gegangenen Gesetzbuches lassen
Chilqias Worte überhaupt nicht schließen.
*) Es lehrt dies, daß das Deuteronomium in seiner ursprünglichen
Gestalt aus Prophetenkreisen, näher aus den der Prophetin Chulda
nächststehenden Kreisen hervorgegangen ist, gleichzeitig unter Mit-
wirkung von Priestern, wie aus den im Deuteronomium enthaltenen
mannigfachen Kultvorschriften zu schließen ist, deren wichtigste die
ist, daß nur in Jerusalem, der Stätte, die Jaho aus allen Städten er-
wählt hat. seinen Namen dort wohnen zu lassen (Dt i2*- ^M, geopfert
werden darf.
Die Rückdatierung des ..Bundesbuclies" in die Zeit Mosis. 6l
Lesen von 2KÖ2 3*~**, wie Jahos Tempel in Jerusalem
mit götzendienerischen Gegenständen zu Ehren Baals, der
Aschera und des ganzen Himmelsheeres angefüllt war. Die
von den Königen Judas bestellten Götzenpriester, die auf
den Kulthöhen allüberall dem Baal, der Sonne, dem Mond
usw. geopfert hatten, wurden verbrannt, die im Tempel zu
Jerusalem dem Sonnengott von den Königen Judas gestif-
teten Rosse nebst den Wagen desgleichen. Um denkbar
größten Einfluß auf den König Josia zu üben, hatten die
prophetischen Strafprediger ihre Worte Mose selbst in den
Mund gelegt, der sie kurz vor seinem Tode gleichsam als sein
religiöses und politisches Testament kundgetan habe, und
sie hatten diesen Eindruck auch bei den eingestreuten
Gesetzen dadurch zu wahren gesucht, daß sie (im Unter-
schiede vom ,, Bundesbuch") immerfort auf die bevor-
stehende Einnahme Kanaans durch Israel hinwiesen — eine
durch die fromme Absicht zwar entschuldbare Täuschung,
aber dennoch eine Täuschung, und zwar nicht allein des
Königs Josia, sondern, was schwerer wiegt, aller mensch-
lichen Generationen bis tief herab in die christliche Zeit.
Es kann nicht wundernehmen, daß, wenn die vermeint-
lichen Gesetze Jahos vom Sinai im Deuteronomium als
ungleich viel jüngere Gesetze rein menschlichen Ursprungs
erwiesen sind, kodifiziert in den Jahren vor 621 v. Chr.,
und wenn alle die Kultus- und Priestergesetze des 2. bis
4. Buches Mosis gar erst als im babylonischen Exil kodi-
fiziert erkannt wurden, auch gegen die noch übrigbleibenden
israelitischen Gesetze, die Jaho vom Sinai herab verkündet
haben soll, das heißt also gegen das sog. „Bundesbuch"
(Ex 21 2 — 23^'), eine gewisse Skepsis von vornherein als
gerechtfertigt erscheint. Dies um so mehr, als der größte
Teil dieser buntscheckigen Sammlung sehr ungeordneter,
zuweilen ineinander gemengter* Gesetze und sonstiger Vor-
*) Vgl. die an ganz falscher Stelle stehenden Gesetze Ex 21 **• ^^'^ 22 *•
la. 8. 30 Aug ^em Dt vgl. 25 *, wo zwischen Prügelstrafe und Leviratsehe
das Gesetz steht : dem Stier beim Dreschen nicht das Maul zu verschließen.
62 II- I^ifi Gottesoffenbarung vom Sinai.
Schriften für das damalige Wüstenleben der Israeliten ohne
jeden Zweck war, vielmehr die Seßhaftigkeit des Volkes
zur notwendigen Voraussetzung hat. Gemäß Ex 24'"^
hätte Moses alle diese Gebote Jahos aufgeschrieben (24^),
und dann unter Darbringung von Opfern seitens des
Volkes auf einem von Moses am Fuße des Berges erbauten
Altar das ,, Bundesbuch" dem Volke laut vorgelesen und
den Bund Jahos mit dem Volke geschlossen. Was seitdem
mit diesem von Moses niedergeschriebenen Bundesbuch
geworden ist, erfahren wir nirgends. Denn neben der
Bundeslade bewahrt wurde nur das spätere, zweite Ge-
setzbuch, das sog. Deuteronomium (s. oben S. 59).
Zur leichteren Orientierung des Lesers habe ich in dem
die israelitischen Gesetze in neuer Übersetzung enthalten-
den Anhang die Gesamtheit dieser ältesten Gesetze nach
Rubriken geordnet und ihnen die entsprechenden jüngeren
Gesetze des Deuteronomiums (sowie des Leviticus) an-
gegliedert. Die Gesetze des Exodus geben sich als die erste
Zusammenstellung der innerhalb des seßhaft gewordenen
Israels zur Geltung gekommenen Gesetze, stammend aus
einer Zeit, da nicht länger „jeder tun durfte, was ihm
recht dünkte", also wohl aus der der Richterzeit folgen-
den Königszeit.
Nehmen wir alle Gesetzessammlungen zusammen, so
erkennen wir leicht, daß die Gesetze durchaus nichts
Neues, besonderer göttlicher Offenbarung Wertes oder
Bedürftiges enthalten, sondern daß es Gesetze sind, wie
sie bei jedem einigermaßen geordneten Zusammenleben
zivilisierter Menschen sich von selbst ergeben, Gesetze,
wie sie genau so und zum Teil besser seit zwei Jahrtausen-
den bereits in Babylonien und Assyrien in Geltung waren.
Nur diesem Zwecke, nicht dem Erweis äußerer Abhängig-
keit der israelitischen Gesetze von den babylonischen, dient
der Vergleich einzelner analoger Gesetzesbestimmungen
aus dem babylonisch-assyrischen Altertum , vornehmlich
aus dem Hammurabi-Kodex (HK), die ich hinzugefügt
Die OffenbarunR der zehn Gebote vom Sinai. 63
habe, ohne auch nur entfernt Vollständigkeit zu beab-
sichtigen. Wir verargen es den israelitischen Geschichts-
schreibern durchaus nicht, daß sie stolz auf ihre Gesetze
waren, wie ja auch der Hammurabi- Kodex solch stolzes
Gefülil reichlich zum Ausdruck bringt. Aber Eines dürfte
denn doch die Vergleichung des israelitischen und baby-
lonischen Gesetzes ergeben, daß es nicht allein eine maßlose
Überhebung, sondern vor dem Forum vorurteilsloser For-
schung objektiv unwahr ist (Anm.32), wenn es im Dt 4*"*
heißt: ,,Wenn die Völker von diesen Satzungen hören, wer-
den sie sprechen: Wahrlich, ein weises und kluges Volk
ist diese große Nation! Denn wo wäre irgendeine große
Nation, die einen Gott hätte, der ihr so nahe ist wie Jaho,
unser Gott, so oft wir ihn anrufen? Und wo wäre irgend-
eine große Nation, die so vollkommene Satzungen
und Rechte besäße, wie dieses ganze Gesetz, das ich
euch heute vorlege?" Siehe speziell für den Dekalog S. 70
imd zu weiterer Würdigung vorstehenden Urteils S. 80 f.
Kommen hiernach bei der Gottes erscheinung auf dem
Sinai die dorthin ,, zurückdatierten" drei Gesetzessamm-
lungen in Wegfall, so bleibt nur das Wunder über alle
Wunder: die Gotteserscheinung selbst nebst dem
Dekaloge, d.h. den zehn Geboten, übrig. Zu beider
Beurteilung gilt es zunächst, die erzählten Haupttatsachen
kurz zusammenzufassen. Aus dem von verschiedenen
Händen bearbeiteten, zum Teil widerspruchsvollen Be-
richt Ex 19 ff . läßt sich etwa Folgendes feststellen :
Im dritten Monat nach dem Auszuge aus Ägypten an
ebendem Tage kamen die Israeliten, von Rephidim auf-
brechend, in die Wüste Sinai und lagerten sich dort dem
Berge gegenüber. Als Moses ,,zu Gott hinaufsteigt", ruft
Jaho ihm vom Berge herab zu, den Kindern Israel zu sagen,
daß sie vor allen Völkern der Erde ihm zu eigen gehören,
ihm ein Reich von Priestern und ein heÜiges Volk sein
sollten. Moses tut es, das Volk erklärt einstimmig, alles
zu tun, was Jaho befiehlt, und Moses berichtet dies Jaho.
64 II- I5ie Gottesoffenbarung vom Sinai.
Jaho sagt zu Moses, er werde zu ihm kommen in dichtem
Gewölk, „damit das Volk es höre, wenn ich mit dir rede,
sowie auf ewige Zeiten an dich glaube". Heute und
morgen solle er sie heiligen und das Volk seine Kleider
waschen, denn übermorgen werde Jaho vor den Augen
des ganzen Volkes auf den Berg Sinai herabfahren.
Niemand komme dem Berge zu nahe oder berühre ihn,
weder Mensch noch Vieh. Da stieg Moses vom Berge zum
Volke hinab und überbrachte den Befehl Jahos. Am dritten
Tage nun, als es Morgen wurde, brachen Donnerschläge
und Blitze los, während eine schwere Wolke auf dem
Berge lagerte, und es erscholl sehr starker Hörnerschall,
sodaß alles Volk im Lager erschrak. Moses führte das
Volk aus dem Lager Gotte entgegen an den Fuß des
Berges Sinai, der ganz in Rauch eingehüllt war, da Jaho
im Feuer auf ihn herabgefahren war, und stark erbebte.
Und der Hömerschall wurde immer stärker. Jaho berief
Moses auf den (etwa 2000 Meter hoch vorzustellenden) Gipfel
des Berges, Moses stieg hinauf, um sofort von Jaho wieder
herabgeschickt zu werden, das Volk eindringlich zu
warnen, zu Jaho vordringen zu wollen. Auch die Priester
sollten sich der Reinigung unterziehen. Moses wendet
zwar ein, der Berg sei bereits vollkommen gegen das Volk
hin abgesperrt, aber Jaho bleibt dabei, daß er hinabsteige
und Aaron mitbringe. Moses folgt dem Befehl. Darauf
redete Gott unter Donner und Blitz und Hörnerschall
vom rauchenden Berge herab zunächst die zehn Worte,
die nach ihrer uns geläufig gewordenen Wiedergabe im
Buche Exodus (20^-1') bekanntUch folgendermaßen lauten
(die kleineren Varianten in der Wiedergabe des Deutero-
nomiums 5 ^"^^ sind in Klammern, die größeren in extenso
beigefügt).
I. Ich bin Jaho, dein Gott, der ich dich heraus-
geführt habe aus dem Lande Ägypten, dem Knechts-
hause. Nicht sollst du andere Götter zu mir hinzu
haben (V.2f.).
Der Wortlaut der jüugereu zehn Gebote. 65
II. Du sollst dir nicht machen ein Schnitzbild und
(Dt fehlt „und") irgendwelche Gestalt, die im Himmel
droben und die auf Erden drunten und die in den Wassern
unter der Erde ist. Du sollst ihnen zu Ehren nicht nieder-
fallen und ihnen nicht dienen, denn ich, Jaho, dein Gott,
bin ein eifersüchtiger Gott, der heimsucht die Missetat
von Vätern an Söhnen, an Nachkommen dritter und vierter
Generation, soweit sie mich hassen, aber Gnade tut
Tausenden, soweit sie mich lieben und meine Gebote
halten (V. 4 ff.).^
III. Du sollst den Namen Jahos, deines Gottes, nicht
fälschlich aussprechen, denn Jaho läßt nicht ungestraft
den, der seinen Namen fälschlich ausspricht (V. 7).
IV. Gedenke des Sabbathtages, ihn zu heiligen. Sechs
Tage sollst du arbeiten und all dein Werk tun. Aber der
siebente Tag ist Sabbath Jaho, deinem Gotte, nicht soUst
du irgendwelches Werk tun, du und dein Sohn und deine
Tochter, dein Sklave und deine Sklavin und dein Vieh und
dein Schützling, der in deinen Ortschaften lebt. Denn sechs
Tage (lang) hat Jaho die Himmel und die Erde, das Meer
und alles, was in ihnen ist, gemacht, und ruhte am siebenten
Tage. Deshalb hat Jaho den Sabbathtag gesegnet und
ihn geheiligt (V. 8— 11). 2
Dagegen Dt: Beobachte den Sabbathtag, ihn zu heiligen,
wie Jaho, dein Gott, dir befohlen hat. Sechs Tage usw.
und dein Sklave und deine Sklavin und dein Stier und
dein Esel und all dein Vieh und dein Schützling, der in
deinen Ortschaften lebt, damit ruhe dein Sklave und deine
1) Vgl. Dt 2715; „Verflucht der Mann, der Schnitz- und Gußbild
macht, den Greuel Jahos, das Händemachwerk eines käräs (Holz- und
Metallarbeiters), und es im Verborgenen aufstellt". Femer Dt4i^-^i^'
23. 25_
2) Vgl. Ex 2 3 12; Sechs Tage sollst du deine Arbeiten tun, aber am
siebenten Tage sollst du feiern, damit ruhe dein Stier und dein Esel
und aufatme der Sohn deiner Sklavin und der Schützling. S. femer
Ex 31" (f..
Delitzsch, Die grosse Täuschung. e
56 II' Die Gottesoff enbaiung vom Sinai.
Sklavin gleich dir. Und du sollst gedenken, daß du ein
Sklave gewesen bist im Lande Ägypten und Jaho, dein
Gott, dich von dort herausgeführt hat mit starker Hand
und mit ausgestrecktem Arm. Deshalb hat Jaho, dein
Gott, dir befohlen, den Sabbathtag zu machen (V. 12 — 15).
V. Ehre deinen Vater und deine Mutter, daß du lange
lebest auf dem Erdboden, den Jaho, dein Gott, dir gibt
(V. 12).
Dt: Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie Jaho,
dein Gott, dir befohlen hat, daß du lange lebest und daß
es dir gut gehe auf dem Erdboden usw. (V. 16),
VI. Du sollst nicht töten (V. 13). ^
VII. Du sollst nicht ehebrechen (V. 14). ^
VIII. Du sollst nicht stehlen (V. 15).
IX. Du sollst nicht gegen deinen Nächsten das Wort
nehmen als Lügenzeuge (V. 16 f.). (Dt läßt den Geboten
VII — IX je das Wörtchen ,,und" vorhergehen.)
X. Du sollst dich nicht gelüsten lassen nach dem Hause
deines Nächsten. Du sollst dich nicht gelüsten lassen
(Dt: Und du sollst nicht Verlangen tragen) nach dem
Weibe deines Nächsten (Dt stellt Haus und Weib um, wie
dies auch die griechische Übersetzung des Exodus tut, und
fügt dann noch ein: seinem Felde) und seinem Sklaven
und seiner Sklavin und (in Dt fehlt ,,und") seinem Stier
und seinem Esel und allem, was deinem Nächsten gehört
(V. 17).
Als dann Moses an das dunkle Gewölk herantrat, in
welchem sich Gott befand, befahl Jaho (20 22"-): ,, Nicht
sollt ihr euch neben mir silberne imd goldene Götter
machen", und gab weiter kurze Vorschriften betreffs der
ihm zu errichtenden Altäre (s. Anhang Nr. 134), worauf
1) Vgl. Dt 272* : Verflucht sei, wer seinen Nächsten heimlich er-
schlägt. Verflucht sei, wer sich bestechen läßt, unschuldig Blut zu er-
schlagen.
2) Philo stellt das VI. tmd VII. Gebot um; der Cod. Vaticanus der
griechischen Bibelübersetzung ordnet VII, VIII, VI.
Die Vernichtung der ersten Gesetzestafeln. 57
dann unvermittelt bis Kap. 23 ^" das „Bundesbuch" (s. oben
S. 61 f.) folgt, welches Moses zunächst mündlich, dann nach
seiner eigenen Niederschrift dem Volke mitteilte.
Nun stieg Moses von neuem mit Aaron, Nadab, Abihu
und 70 Ältesten auf Jahos Geheiß zu Jaho hinauf. Mosis
Begleiter blieben von fern stehen, immerhin erbUckten
sie den Gott Israels, zu seinen Füßen etwas wie eine
Saphirplatte und gleich dem Himmel an Klarheit, ,,sie
schauten Gott und aßen und tranken"! Inzwischen stieg
Moses, von seinem Diener Josua begleitet, auf den Berg,
da Jaho ihm die von ihm selbst geschriebenen Stein-
tafeln mit dem Gesetz und den Geboten geben wolle. Am
siebenten Tage rief Jaho Mose aus der Wolke zu, Moses
begab sich in die Wolke und stieg auf den Berg, wo er
40 Tage und 40 Nächte blieb (24^'- ^^^), um die neun Jahr-
himderte später geschriebenen Gebote für die Errichtung
des Wüstenheiligtums, Ex 25^ — 31^' (s. oben S. 55 ff.), zu
empfangen.
Nach Beendigung dieses Gespräches mit Moses auf dem
Berge Sinai übergab Jaho Mose die beiden steinernen, von
Gott selbst angefertigten imd von Gottes Finger auf beiden
Seiten geschriebenen ,, Tafeln des Zeugnisses" (31^^).
Da sich Mosis Rückkehr verzögerte, veranlaßte das
Volk Aaron, ihm einen Gott zu machen, der vor ihm her-
zöge. Aaron bildet das goldene Kalb und sagt: ,,Das ist
dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten weggeführt hat!"
Moses, von Josua begleitet, kehrt, die beiden Gesetzes-
tafeln in der Hand, zimi festfeiernden Volke zurück und
zerschmettert voll Zornes die göttlichen Tafeln am Fuße
des Berges. Das Kalb wird zermalmt, worauf Moses zu
Jaho zurückkehrt, um für das Volk Fürbitte zu tim
(Kap. 32).
Weiterhin (Ex 34^"*) befahl Jaho Mose, zwei den
früheren gleiche Steintafeln zuzuhauen, ,, damit er (Jaho)
auf die Tafeln die Gebote schreibe, die auf den früheren
Tafeln standen" (Ex 34^ Dt 10 2); dann solle er, allein.
68 II- Die Gottesoffenbarung vom Sinai.
ZU ihm auf den Gipfel des Berges Sinai steigen. Als
Moses den Befehl ausgeführt, fuhr Jaho in der Wolke
herab, offenbarte sich Mose von neuem und gab ihm
(Ex 34^*"^^) zehn Worte mit dem Befehl, dieselben nieder-
zuschreiben. Die zehn Gebote lauteten:
I. Du sollst dich vor einem andern Gotte nicht nieder-
werfen, denn Jaho — ,, eifersüchtig" ist sein Name, eifer-
süchtig heißt er, daß du nicht einen Vertrag mit den
Landesbewohnern schließest und sie hinter ihren Göttern
her huren und ihren Göttern opfern und es (das einhei-
mische Volk) dich einlade und du von seinen Opfern essest.
Und (daß du nicht) seine Töchter für deine Söhne nimmst
und seine Töchter hinter ihren Göttern her huren und sie
deine Söhne verleiten, hinter ihren Göttern her zu huren
(V. 14—16).
II. Einen Gott aus Gußwerk sollst du dir nicht machen
(V. 17).
III. Das Fest der ungesäuerten Brote sollst- du halten.
Sieben Tage sollst du ungesäuerte Brote essen, wie ich
dir befohlen habe, zur Zeit des Monats Abib, denn im
Monat Abib bist du aus Ägypten ausgezogen, und nicht
soll mein Antlitz mit leeren Händen gesehen werden
(V. 18 nebst 20'). ^
IV. Jeder erste Wurf ist mein, der männliche: der erste
Wurf von Rind und Schaf und von allem deinem Vieh-
besitz. Und den ersten Wurf des Esels sollst du mit einem
Schaf auslösen, und wenn du ihn nicht auslösest, so sollst
du ihm das Genick brechen. Alle Erstgeburt deiner Söhne
sollst du auslösen (V. 19 f. ).^
1) Vgl. Ex 23i*"- : Dreimal im Jahr sollst du mir ein Fest feiern.
Das Fest der ungesäuerten Brote sollst du beobachten: sieben Tage
sollst du ungesäuerte Brote essen, wie ich dir befohlen habe, zur be-
stimmten Zeit des Monats Abib, deim in ihm bist du aus Ägypten aus-
gezogen, imd nicht soll mein Antlitz mit leeren Händen gesehen werden.
S. femer Dt 16^-8.
2) Vgl. Ex 2228'- 132.12t. Dtl5l9-23.
Der Wortlaut der älteren zehn Gebote. 6q
V. Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten Tage
feiern, (selbst) zur Pflüge- und Erntezeit sollst du ruhen
(V. 21).
VI. Und das Wochenfest sollst du veranstalten, (das
Fest) der Erstlinge der Weizenernte und das Fest der
Herbstlese an der Wende des Jahres (V. 22). Dreimal im
Jahr soll all dein Männliches vor dem Herrn Jaho, dem
Gotte Israels, erscheinen (V, 23). Wenn ich Völker vor
dir vertreibe und dein Gebiet weit mache, so soll niemand
sich nach deinem Lande gelüsten lassen, wenn du hinauf-
ziehst, vor Jaho, deinem Gotte, zu erscheinen, dreimal im
Jahre (V. 24).!
VII. Du sollst nicht zu Gesäuertem das Blut meines
Opfers schlachten (25'')."
VIII. Und nicht soll über Nacht zum Morgen bleiben
das Opfer des Passahfestes (V. 25").
IX. Die besten Erstlinge deines Erdbodens sollst du in
das Haus Jahos, deines Gottes, bringen (V. 26'). ^
X. Du sollst ein Böckchen nicht im Fette seiner Mutter
kochen (V. 26'').'»
Es heißt dann weiter, daß Moses fastend bei Jaho
40 Tage und 40 Nächte verweilt und die Bundesgebote,
die zehn Gebote, auf die Tafeln geschrieben habe (Ex 34 27"-),
in direktem Gegensatze zu Ex 34^ imd vor allem Dt 10 2*,
wonach Jaho auch das Duplikat der beiden Tafeln be-
schrieb und zwar mit den nämlichen Worten, die er
auf die ersten Tafeln geschrieben hatte.
Mit diesem unerhörten Widerspruche, was auf dem Dupli-
kate der Tafeln gestanden, und wer (Jaho oder Moses) sie
geschrieben, endet der für uns hier in Betracht kommende
Teil der Gottesoffenbarung vom Sinai. Ein Blinder er-
kennt, daß Worte, die Jaho selbst zu Moses geredet und
») Vgl. Ex 23"'- Dt 16«-".
2) Vgl. Ex 23 18,
3) Vgl. Ex 23"».
*) Ebenso Ex 23"" Dt 14"''.
fjQ II. Die Gottesoffenbarung vom Sinai.
dann, wohl sogar zweimal, auf steinerne Tafeln geschrieben,
Mose übergeben hatte, unmöglich in solcher grundver-
schiedenen Weise überliefert werden konnten ; daß viel-
mehr augenscheinlich zwei verschiedene Auslesen ^ von
zehn Geboten in den Priester- und Prophetenkreisen kur-
sierten, die als die Quintessenz der Gebote Jahos galten
(Anm. 33). Was die uns von Jugend auf geläufige jüngere
Rezension des Dekalogs betrifft, so enthalten die Gebote
V — X Gesetze, die bei den Babyloniem schon viele Jahr-
hunderte früher in Kraft waren (Anm. 34) . Was das Bilder-
verbot und Sabbathgebot betrifft, so machen das Buch
Josua und das Richterbuch ihre Existenz, wie auf S. 53
gezeigt wurde, für die Richterzeit mehr als fraglich. Dar-
über aber, daß die Gesetze VI und IX des älteren Dekalogs
die Seßhaftmachung des Volkes voraussetzen, ist wohl
kaum ein Wort zu verHeren.
Kommt somit alles, was von Jahos Gesetzgebung vom
und am Sinai berichtet wird: die drei Gesetzessamm-
lungen mitsamt den beiden Dekalogen als spätere Zurück-
tragungen in Wegfall 2, so verbleibt nur noch der oben
gegebene, an inneren Unmöglichkeiten überreiche Bericht
über die vermeintliche Gottesoffenbarung. Gott, der Un-
erforschbare, Unausdenkbare, ,,der Allumf asser, der All-
erhalter", über dessen Dasein und Wirken und Walten
die Völker und ihre größten Geister seit Jahrtausenden
1) Die Auslese in Ex34"-26 jg^ geiu willkürlich tmd wenig ansprechend
so wenig wie die der zwölf Flüche Dt27i*-".
2) Angesichts der Unwahrscheinlichkeit und Zerfahrenheit der ,, Über-
lieferung" von der sinaitischen Gesetzgebung braucht die Frage, ob
Moses überhaupt habe schreiben können, gar nicht berührt zu werden.
Ebensowenig verlohnt es sich, sich über Größe und Material der beiden
Steintafeln und über die Art und Weise, wie wohl die zehn Worte auf
Vorder- und Rückseite der beiden Tafeln verteilt gewesen sein mögen,
irgendwelche Gedanken zu machen. Während wir über unendlich gleich-
gültigere Dinge, wie z. B. die Ringe und Stangen des Kastens, der den
zwei Tafeln zur Aufbewahrung diente, eingehend unterrichtet werden,
erfahren wir über die Beschaffenheit der Tafeln selbst, ihr Material.
Format u. a. rein gar nichts.
Jalios Offeubarung vom Sinai eine Hallucination. 71
grübeln, nach dem wir mit der ganzen Unzulänglichkeit
unserer Erkenntnis zeitlebens suchen und forschen, der
letzte und höchste Begriff des menschlichen Denkens, das
Ziel unsres Hoffens, an welches wir armen Erdgeborenen
uns klammern mit der ganzen Inbrunst unserer Seele —
dieser Gott offenbart sich persönlich Mose und dem
Volke Israel im Jahre 1330 v. Chr., die Ältesten Israels
essen und trinken ( !) auf Gesichtsweite in seiner Nähe, Gott
gibt Mose und Aaron, dem Haupte des israelitischen
Priestertums, unter Donner und Blitz das Gesetz : ,,Du sollst
dir kein Schnitzbild machen" usw. (Ex 20*), und abermals:
,, Nicht sollt ihr euch neben mir silberne und goldene
Götter machen" (20^3) — und dieser selbe Aaron, einer
für den menschlichen Geist gar nicht zu fassenden Gottes-
offenbaning gewürdigt, macht unmittelbar hernach ein
goldenes Kalb! Gott schwört in hellem Zorn dem Volke
Untergang, aber schon im nächsten Augenblicke gereut
es ihn (Ex 32 '~^*) ! Die ganze Erzählung gibt sich als eine
Ausgeburt echt orientalischer, ausschweifender, fast krank-
haft zu nennender Phantasie. Die Wahrheit ist, daß,
nachdem Jaho von dem ,, Propheten" Moses zum National-
gott Israels ernannt worden war, Jaho sich als solchen
gleich nach dem Auszuge aus Ägypten auch vorstellen,
offenbaren mußte, tmd nach der Art und Weise dieser
Offenbarung erscheint es mehr als wahrscheinHch, daß
für die Schilderung von Jahos Erscheinung am Sinai unter
Feuer und Rauch, Donner und Blitz, Beben und Hömer-
schall ein schweres Gewitter mit dröhnenden, in den
Bergen widerhallenden Donnerschlägen und Blitzen und
alles umnachtender Finsternis Anlaß und Grundlage ge-
geben, wobei man sich bei der Beschreibung im einzelnen
ausschließlich von der Phantasie leiten ließ, selbst über
die geographischen Verhältnisse kurzerhand sich hinweg-
setzend. Denn wohlgemerkt! über die Lage des Offen-
barungsberges, bald Sinai, bald Horeb genannt, wissen
die israelitischen Erzähler überhaupt nicht Bescheid, ihre
fj2 n. Die GottesoflFenbarung vom Sinai.
Angaben sind wie immer in heillosestem Widerspruch,
ja ein Berg, an dessen Fuß die über eine Million zählenden
Kinder Israel die Gotteserscheinung auf dem Sinai hätten
beobachten können, existiert auf der ganzen Sinai-
halbinsel überhaupt nicht! ^ Nicht Gott hat sich
am Sinai offenbart, sondern Jaho, der Nationalgott Israels,
gemäß der Fiktion prophetischer Theologie oder richtiger
Phantasie.
Und damit sind wir nach so vielen anderen Täuschungen
zu der großen Täuschung, ursprünglich Selbsttäu-
schung, gelangt, nämlich der von den israelitischen Ge-
schichtsschreibern kurzerhand angenommenen und von
uns unbesehen übernommenen Vereinerleiung von Jaho
mit Gott überhaupt, einem Irrglauben ohnegleichen, der
durch alles bisher Ausgeführte bereits genügend als solcher
erwiesen sein dürfte, der aber bis auf den heutigen Tag
ungezählte Millionen gefangen hält. Jaho = Gott! Es kann
ja nur als begreiflich bezeichnet werden, daß Jaho der
alleinige Gott Israels sein wollte, daß er als ein „eifer-
süchtiger" Gott keine anderen Götter neben sich haben
wollte — Ein Volk, Ein Gott, el^ uolQavos earoj (Einer sei
Herrscher!). Auch dagegen ist im Grunde nichts einzu-
wenden, daß Israel seinen Gott als den höchsten Gott,
als den Gott betrachtete und benannte. So macht es ja
jedes Volk mit seinem Spezialgott. Wie Marduk, der Gott
1) Auch sonst macht die Kühnheit der israelitischen Phantasie das
Unmöglichste möglich, um einen bestimmten Zweck zu erreichen.
Wie wenn z. B.2Chr I3*''- erzählt wird, daß während des erbitterten
Bruderkriegs zwischen Juda und Israel der jüdische König Abijja
sich mitten im Feindesland auf einen Berg gestellt und eine lange
Straf rede imd Bekehrungspredigt an den König Jerobeam und ganz
Israel gehalten habe ! Ein analoges Phantasiebild bietet die Parabel von
den Bäumen, die einen König über sich salben wollten, die der kaum
den Händen der sichemitischen Mordbuben entronnene Jotham auf dem
Berge Garizim den Bürgern von Sichem vorgetragen haben soll, worauf
er eilends entfloh (Rig^-^"^).
Der Irrglaube Jaho = Gott. 73
der Babylonier, als ,,(lcr Gott der Götter und Herr der
Herren" gefeiert wird, ebenso fordert der 136. Psalm auf,
Jaho zu lobpreisen als „den Gott der Götter, den Herrn
der Herren" (vgl. Dt 10"). Es ist um so verständlicher,
als Jaho gar nicht der einzigste Gott überhaupt sein will,
das Alte Testament vielmehr mehrfach erkennen läßt, daß
es auch den ,, andern" Göttern, den Göttern der andern
Völker, ihre volle Realität zuerkennt, und für Jaho
nur die höchste Götterwürde beansprucht. Und endlich be-
greift sich vom israelitischen Standpunkt vollkommen die
Übertragung des Appellativwortes für ,,Gott" (El, Elbhim)
auf den Gott Jaho und die Vereinerleiung beider Begriffe.
Aber dieser „Gott" ist und bleibt gemäß der Lehre des
Alten Testaments vom ältesten bis zum jüngsten Buche,
in den Jahrhunderten vor wie nach dem Exil der aus-
schließliche Gott Israels und keines anderen Volkes
sonst. Der gläubige christUche Leser wird sich ja leider
viel zu wenig darüber klar, daß die schönsten Stellen des
Alten Testamentes für alle Nichtisraeliten gar keine Be-
deutung haben, da sie eben einzig und ausschließlich dem
israelitischen bzw. jüdischen Volke gelten : ,, Tröstet, tröstet
mein Volk, spricht euer Gott" (Jes 40^) ; ,,um Jerusalem
her sind Berge und Jaho ist um sein Volk her von nun
an bis in Ewigkeit" (Ps 125 2), und das , »Rühmet Jaho, alle
Völker! lobpreiset ihn, alle Nationen" (Ps 117^) findet seine
arg ernüchternde und enttäuschende Fortsetzung in Vers 2 :
,, darum daß groß ist über uns (d. h. Israel) seine Güte".
Jaho, der Spezialgott Israels, der höchste unter allen
Göttern, Israels „Gott" schlechtweg — all das ist kon-
sequent gedacht, aber diesen Partikulargott Jaho mit
Gott, dem Weltgeist, dem allerhöchsten geistigen Wesen
über alle Völker der Erde, zu vereinerleien ist eine
Selbsttäuschung der alttestamentlichen Propheten und
eine gar nicht auszudenkende Täuschung der Menschheit
überhaupt. Es ist eine Begriffsvermengung, die seitens
der alttestamentlichen Schriftsteller zur Vereinerleiimg
fTA II. Die Gottesoffenbarung vom Sinai.
der beiden Wörter „Jaho" und „Gott" führte und die
dann weiter durch die Wiedergabe von Jaho seitens
der jüdisch-griechischen Bibelübersetzer durch ö Kvqlo£
d. h. „der Herr" über alle Welt verbreitet wurde. Und
diese große Selbsttäuschung Israels führte dann folgerichtig
zu der ungeheuerlichen Annahme, daß alle Nationen der
Erde, mit einzigster Ausnahme des Volks der Beschneidimg,
von Gott ausgeschlossen sind, einem Wahne, dem der
Prophet Zacharja (S^^) mit den Worten Ausdruck gibt:
,,So spricht Jaho Zebaoth: In jenen Tagen geschieht's,
daß zehn Männer aus allen Zungen der Völker sich fest-
klammem werden an den Rockzipfel eines jüdischen
Mannes, bittend: laßt uns mit euch gehen, denn wir
haben gehört : Gott ist mit euch !" — ein Irrwahn, welchem
das Christentum durch die unglückseligen judenchristlichen
Prägungen vom ,, geistigen Israel" und von der ,, Beschnei-
dung im Geiste" verblendet genug ist Vorschub zu leisten.
Um „Gottes" willen, d. h. zur Steuerung von Irrtum
und Täuschung und zur Wahrung eines reineren, höheren
Gottesbegriffes sei jener unseligen Gleichsetzung von Jaho
und Gott noch mit einigen weiteren Betrachtungen nach-
gegangen. Eigen tHch ist ja jene Gleichsetzung als eine
Selbsttäuschung bereits durch die im I. Teil unserer Unter-
suchungen aufgezeigte Tatsache erhärtet, daß Jaho vor
der entsetzlichen Ausrottung der kanaanitischen Völker
mit Weibern und Kindern nicht zurückschreckte und trotz
alledem seine beschworenen Verheißungen zu erfüllen
nicht vermochte, daß es ihm nicht gelungen ist, sich
imd sein Volk in den Besitz eines eigenen Landes zu
setzen. Der hebräische Nationalgott gehört also ebenfalls
zu den ,, Schwächlingen" {elilim), als welche das Alte
Testament so gern die Gottheiten der übrigen Völker
bezeichnet, und kann unmöglich eins sein so wenig wie
mit dem allbarmherzigen, so wenig auch mit dem all-
mächtigen Gotte,
Israel das Volk Jahos, nicht das Volk Gottes. 7c
Es ist aber auch weiter unmöglich zu glauben, daß
,,Gott", der , .keine Parteilichkeit kennt" (Dt 11") und
Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und
auf Erden, nach ungezählten Jahrtausenden erst um das
Jahr 1330 V. Chr. Ein Volk liebgewonnen und zu seinem
Spezialvolk erwählt habe. ,,Dich (Israel) hat Jaho, dein
Gott, aus allen Völkern auf dem Erdboden zum Eigen-
tumsvolk für sich erwählt" (Dt 7*). , »Obwohl Jaho,
deinem Gotte, der Himmel bis zu seinen höchsten Höhen,
die Erde tmd alles, was auf ihr ist, gehört, hat sich doch
Jaho zu deinen Vätern allein geneigt, sie zu lieben, und
hat euch, ihre Nachkommen, aus allen Völkern erwählet"
(10^* f.). ,,Nur von euch habe ich (Jaho) Kenntnis
genommen unter allen Geschlechtern des Erdbodens"
(1 so steht geschrieben^ Am 3^). „Ich habe euch ab-
gesondert von den Völkern, daß ihr mir angehöret"
(I,ev20^*). Selbst dem israelitischen Schriftsteller er-
scheint das als ein Wunder ohne gleichen. „Denn frage
doch in den früheren Zeiten nach, die vor dir gewesen
sind, seit der Zeit, wo Gott Menschen auf der
Erde erschaffen hat, und von einem Ende des Him-
mels bis zum andern, ob je so große Dinge geschehen sind,
oder ob je dergleichen gehört wurde! ob jemals ein Volk
Gott vernehmhch mitten aus dem Feuer heraus reden
hörte, wie du (Israel) es gehört hast, und am Leben blieb !
oder ob je ein Gott den Versuch gemacht hat, zu kommen,
um sich mit Zeichen und Wundern . . . eine Nation aus
der Mitte einer anderen herauszuholen, wie es doch Jaho,
euer Gott, vor deinen Augen in Ägypten mit euch getan
hat (Dt 4^2 «•) 1" Die Karikatur des Gottesbegriffes ist um
so krasser, da das von Jaho allein geliebte Volk, wie das
*) Ein schreckliches Wort. Denn wen nach alttestamentlichem
Sprachgebrauch Jaho ,, nicht kennt", um wen er ,,sich nicht kümmert",
der geht zugrunde. Kautzsch' Bibelübersetzung: nur von euch habe
ich „genaue" Kenntnis genommen — eine sprachlich wie theologisch
gleich verwerfliche Wortverdrehung.
^6 ^I- ^^^ Gottesoffenbarung vom Sinai.
Alte Testament hundert und aberhundert Male bezeugt,
von Jaho gar nichts wissen wollte, sondern in Halsstarrig-
keit bis zur Wegführung ins Exil ihm den Rücken kehrte,
und das dann später den nach christlicher Lehre ein-
geborenen Sohn Gottes ans Kreuz schlug! Nein! Israel
ist nicht das Volk ,, Gottes", sondern das Volk Jahos,
wie Moab das Volk des Kemosch und Assur das Volk des
Gottes Aschur. An dieser Tatsache können auch alle
Epitheta Jahos wie ,, Schöpf er Himmels und der Erde" oder
,, gerechter Richter aller Völker" usw. nichts ändern, denn
genau so werden auch Marduk, Samas und andere Götter
von den gläubigen Babyloniern angeredet und benannt.*
Ja, diese zum Teil hehren Göttergestalten des sumerisch-
babylonischen Volkes könnten noch immer eher Anspruch
erheben, zu einer höheren Stufe des Gottesbegriffs ent-
wickelt worden zu sein, da ihnen der krankhaft einseitige
Charakter eines partikularistischen Volksgottes nicht ent-
fernt in dem Grade anklebt wie es bei Jaho der Fall ist.
Noch immöglicher aber ist es zu glauben, daß Gott,
der gnädige und gerechte Gott, nicht allein bloß Israel
sich offenbart und Israel zu seinem Volke gemacht,
sondern zugleich allen übrigen Völkern der Erde den
Götzendienst zugeteilt habe! , .Damit du (Israel) deine
Augen lucht himmelwärts richtest und sehest die Sonne
und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels,
und dich abbringen lassest und sie anbetest und verehrest,
sie, welche Jaho, dein Gott, allen Völkern unter dem
ganzen Himmel zugeteilt hat (so steht geschrieben!),
aber euch hat Jaho genommen und herausgeführt aus
Ägypten, ihm zu sein zu einem Volke des Eigentums"
(Dt4^\ s. Anm. 35). Also „Gott" hat die Nichtgötter,
^) „Jaho ist der Gott der Götter und der Herr der Herren, der große,
mächtige und furchtbare Gott, der keine Parteilichkeit kennt und
keine Bestechung annimmt, der Waisen und Witwen Recht schafft" usw.
(Dt 10 "'■) — diese und viele andere Benennungen der Gottheit finden
sich genau so in der keilschriftlichen Literatur.
Jahos sittlicher Tiefstand. 77
deren Verehrung in Israel als Todsünde gilt, als ein Ver-
gehen, das mit der grausamsten Todesstrafe der Steinigung
bedroht ist (Dt 17^"), allen übrigen Völkern der Welt als
ihren Teil zugewiesen! Ist das von dem dreimal heiligen
„Gott" nicht schlechterdings undenkbar, unausdenkbar?
verdient nicht vielmehr ein solcher vermeintlicher „Gott"
erst recht jene Benennung boset d. i. Schandgötze, mit
welcher das Alte Testament die Gottheiten aller nicht-
israelitischen Völker gebrandmarkt?
Indes die Gleichsetzung Jahos mit dem, was wir den
höchsten Gott, den Weltgeist, den ewig uner forschlichen,
das ganze Weltall durchdringenden und beseelenden höch-
sten Verstand, den sittlich absolut reinen Weltenrichter
nennen, ist auch aus sittlichen Gründen schlechterdings
unannehmbar. Jaho steht hierfür auf einer viel zu
tiefen sittlichen Stufe. Jene Vereiner leiung konnte nur
von Leuten ausgehen, deren sittliches Empfinden zum
Teil noch weit unter jenem der von Gott verlassenen
Völker stand, und die deshalb ihrem Gotte unbewußt sitt-
liche Makel zuschreiben, die gegen die Gleichung Jaho =
Gott schreienden Protest einlegen. Dem hebräischen
Nationalgott mögen solche Untugenden zugeschrieben
werden, aber der wahrhafte heilige Gott ist darüber er-
haben wie die Sonne über einem schwelenden Lämpchen.
In der Genesis wird erzählt (12 ^^""2"), wie Abram sein
Weib Sarai beredet, sich den Ägyptern gegenüber als seine
Schwester auszugeben, damit sie durch diese Täuschimg
ihm nicht allein das Leben rette, sondern zugleich große
Besitztümer zubringe, falls der Pharao persönlich an ihrer
großen Schönheit Gefallen finde; wie dann der Pharao
in der Tat arglos Sarai sich zum Weibe nahm, zur Strafe
hierfür aber von Jaho mit schweren Plagen geschlagen
wurde, worauf dann Abram mit seinem Weibe und den
vom Pharao erhaltenen Schafen, Rindern und Eseln,
Sklaven und Sklavinnen, Eselinnen und Kamelen von
dannen zog, durch die Preisgabe seines Weibes und den
^^8 II. Die GottesofEenbarung vom Sinai.
Betrug Pharaos mit Binem Schlage ein reicher Mann ge-
worden, „sehr reich an Vieh, Silber und Gold" (13^). Das
Manöver war so vortreffHch gelungen, daß Abram es
noch ein zweites Mal ausführt, nämhch gegenüber dem
Könige von Gezer, Abimelech, der Abrams vermeintliche
Schwester Sarai ebenfalls zum Weibe nimmt, aber, noch
ehe er sie berührt hatte, von Jaho mit dem Tode bedroht
wird, sodaß er Sarai schleunigst wieder entläßt und Abram
obendrein mit Schafen und Rindern, Sklaven und Skla-
vinnen, dazu 1000 Silbersekel in bar beschenkt! Zu alle-
dem entrinnt Abimelech dem Tode lediglich durch Für-
bitte dessen, der ihn betrogen (Kap. 20) ! Auch Abrahams
Sohn Isaak begeht mit Rebekka, seinem Weibe, ganz den
nämlichen Betrug gegenüber den Untertanen des Königs
von Gerar (26^"^^). Muß nicht gerade die dreimahge Er-
zählung des gleichen Betrugs innerhalb der Patriarchen-
sagen jedes halbwegs ethisch empfindende Gemüt tiefst
verletzen? und müssen nicht solche Erzählimgen in
,, Gottes" Wort Moral und ReUgiosität zugleich unter-
graben, wenn ,,Gott" mit dem Verräter von Frauenehre
und dem Betrüger des NichtisraeHten Hand in Hand geht?*
Man werfe nicht ein: das sind ja alles Sagen — auch
Sagen sind ein vortreffüches Spiegelbild des jeweiligen
sittlich-reUgiösen Empfindens eines Volkes. ^ Alles das
^) Die dreimalige Erzählung vom Betrug mit dem Patriarchenweib
ist im Grunde natürlich nur Eine, aber die Kritik muß sich an , .Gottes
Wort", wie es nun einmal vorhegt, anschUeßen. Auch ist es im letzten
Grunde ziemlich belanglos, ob Eine unsittliche Geschichte von drei Er-
zählern je einmal oder von Einem Redaktor dreimal erzählt wird.
^) Ganz das Nämliche trifft natürUch auch zu auf die Art und Weise,
wie geschichtliche Geschehnisse von einem Erzähler behandelt werden .
Zwei Beispiele mögen anmerkungsweise die auf S. 79 erwähnte Erzäh-
lung von der Beraubung der Ägypter ergänzen. Eine der gepriesensten
Tugenden der Orientalen ist die Gastfreimdschaft, die zugleich den
Schutz des Gastes gewährleistet. Deshalb wird jeder Orientale die Tat
der Qeniterin Jael (Ri4) als die abscheuhchste verdammen, die je auf
Gottes Erdboden verübt worden ist. Sisera, der Feldhauptmann des
Jabos sittliclic Rückständigkeit. yn
Gesagte gilt auch von der bekannten Erzählung (Ex 3'^
jjif. 12^*), dcrzufolge Jaho den Kindern Israel befohlen
habe, sich vor ihrem Auszug aus Ägypten von ihren
ägyptischen Nachbarn und Hausgenossen viele goldene
und silberne Gefäße sowie Kleider zu leihen, das heißt,
wie der Erzähler harmlos hinzufügt, zu rauben, um nicht
,,leer" auszuziehen. Dabei wird Jaho nicht allein als der
Anstifter des Raubes, sondern sogar als der Helfershelfer
bezeichnet, indem er die Ägypter zum Herleihen günstig
stimmte ! Das alles ist für religiöses Empfinden unendUch
schmerzlich, ebenso wie das von Jaho gegebene Gesetz
(s. Anhang Nr. 59), welches Sklaven zwar nicht totzu-
schlagen, aber halbtot zu schlagen gestattet, sodaß der
Sklave erst nach einem bis zwei Tagen stirbt, mit der
hartherzigen Begründung : ,,denn er (der Sklave) ist sein
(des Eigentümers) Geld".
Aber auch abgesehen von solchen positiven Makeln,
mit dem Stamme der Qeniter in Freimdschaft verbundenen Königs
von Chazor, kommt auf der Flucht, zu Tode ermattet, an das Zelt
Jaels. Jael lädt ihn ein in ihr Zelt, wo er ganz ohne Furcht sein könne,
versteckt ihn, reicht ihm, da er um einen Schluck Wasser bittet, Milch
und lullt ihn dadurch in vollkommenste Sicherheit, Sisera schläft fest
ein — da holt Jael einen schweren Hammer und treibt mit diesem
Sisera den Zeltpflock durch die Schläfe, den Verfolgern triumphierend
ihre Heldentat zeigend I Und der hebräische Erzähler feiert diese ruch-
loseste aller Taten mit dem. sog. Deboraüede (Kap. 5), dessen Haupt-
teil anhebt: „Gepriesen vor den Weibern sei Jael, vor den Weibern im
Zelte gepriesenl", und dessen Schlußteil sich nicht entblödet, die Ge-
fühle der auf ihren Sohn vergeblich wartenden Mutter zu bespötteln I —
Nicht ganz so schlimm steht es mit der EJrzählimg von dem Bau des
salomonischen Tempels, den der königliche Bauherr unbezahlt ge-
lassen. Der König von Tyrus hatte mit echt orientalischer Freigebig-
keit dem König Salomo Zedern und Zypressen in unbegrenzter Menge,
dazu 120 Talente Gold (!) für den Tempelbau gegeben, wofür ihm
Salomo später ein Grenzgebiet samt dessen Ortschaften abtrat. Als
aber der Tyrerkönig auszog, die Ortschaften zu besehen — so berichtet
naiv der Erzähler — , ist er ganz entrüstet imd bringt nur Ein Wort
hervor: kabül, ein offenbar sehr kräftiges Wort wie imser „über das
Ohr gehauen" (i Kö g^^-^^^
3o !!• I^iß Gottesoff enbanmg vom Sinai.
mit denen Jaho behaftet ist, gibt sich Jaho mit seiner
Gesetzgebung auf sittlichem Gebiete auch als außer-
ordentlich rückständig, und zwar gerade in dem Punkte,
der recht eigenthch den Mittelpunkt dessen bildet, was
wir Sittlichkeit im engeren Sinne des Wortes nennen,
nämlich hinsichtlich des gegenseitigen Verhältnisses
von Mann und Weib. Bei dem Volke Jahos war von
alters her Bigamie üblich. Auch wenn die erste Frau
ihm einen Sohn geschenkt hatte, konnte der Israelit nach
Belieben eine zweite Frau nehmen, die Thora setzt dies
sogar als das Gewöhnliche voraus (s. Anhang Nr. 53), und
für die Priester bezeugt es 2 Chr 24 ^. Dagegen war die
babylonische Ehe wesentUch Monogamie, indem das Gesetz
nachdrücklich verbot, eine zweite Frau neben der
ersten zu heiraten, wenn diese ihrem Manne EÜnder ge-
geben. Nur wenn die Frau kinderlos blieb, gab sie ent-
weder dem Manne ihre als Mitgift in die Ehe mitgebrachte
Skla^än als ihre Stellvertreterin, damit er von dieser
,, gebauet" werde, d. h. Kinder und insbesondere einen
Sohn und Erben bekomme, oder der Mann nahm sich
eine zweite Frau als Nebenfrau. Doch mußte sich Sklavin
wie Nebenfrau wohl hüten, der eigentlichen Gattin des
Mannes sich gleichsetzen zu wollen — das Gesetz Hammu-
rabis (um 2000 v. Chr.) sieht schwere Strafen hierfür vor — ,
während in Israel kein Gesetz die Zwistigkeiten und gegen-
seitigen Kränkungen von Frau und Sklavin (Geniö*"*),
von Frau und Nebenfrau (i Sam i) unmöglich machte.
,Erst nach dem Exil, also etwa i ^ 2 Jahrtausend nach
Hammurabi, strebt auch in Israel die bessere Volkssitte
auf Monogamie hin", ,,die höhere Auffassung der Ehe,
wie sie Gen 2^^"' vorschwebt", kommt erst ganz allmählich
in nachexilischer Zeit zur Geltung.
Auch sonst gewährte das sumerisch-babylonische Ge-
setz der Ehefrau jeden nur möglichen Schutz, wonach wir
im mosaischen Gesetze vergeblich uns umschauen (Anm. 36).
Insbesondere genoß die babylonische Frau Schutz gegen
Die Leichtigkeit der IChescbeidiiug in Israel. gj
leichtfertige Scheidung. In diesem Punkte steht Ham-
murabis Gesetz turmhoch über dem Gesetze Jahos.
Während das israelitische Weib auf Lebenszeit an den
Mann gebunden war, stand diesem die Entlassung oder
Verstoßung der Frau jederzeit frei, ganz nach Willkür
und ohne jede Verpflichtung zu irgendwelcher Schadlos-
haltung (genau so wie es bei den Assyrern der Fall war,
Anm. 37). In Babylonien war die Scheidung bedeutend
erschwert. Will sich der Mann auch nur von der kinder-
losen Frau scheiden, so nimmt sie ihre Mitgift und hat
außerdem vom Manne den Betrag ihrer Brautgabe, zum
mindesten eine Mine Silber zu erhalten. Und scheidet sich
gar der Mann von seiner Frau, die ihm Kinder geschenkt,
so hat diese außer ihrer Mitgift noch ein Stück Feld,
Baumgarten und sonstige Habe für die Aufziehung der
KÜnder zu erhalten und, wenn die Kinder herangewachsen
sind, noch einen Teil des Vermögens des Mannes, ent-
sprechend Einem Erben. Die verstoßene israelitische Frau
bekam einen Scheidebrief, der sie vor der Beschuldigung
willkürlichen Verlassens schützen sollte, die babylonische
Frau bekam hohes Scheide geld. Wohl hat diese traurige
Stellung der israelitischen Frau, die jeden Augenblick,
namentlich wenn sie unfruchtbar war, besorgt sein mußte,
auf die Straße gesetzt zu werden, wohl hat die Notlage
dieser ,, armen verstoßenen Geschöpfe, die oft nicht einmal
ins Vaterhaus zurückkehren konnten", die Propheten wie
Micha (2^) und Maleachi (2^^) zu heftigen Straf reden ver-
anlaßt, aber deshalb blieb die Ehescheidung dennoch bis
in die späteste Zeit herab bei dem ,, Volke Gottes" üblich,
weil die mosaische Ehegesetzgebung, weil Jahos Gesetz die
Frau in eine Stellung tief unter dem Manne hinabstieß,
nachdem sie bei den Sumerern des 5., 4. vorchristlichen
Jahrtausends eine Ehrenstellung neben dem Manne ein-
genommen hatte! Beachte im Anhang auch die Ge-
setze 47 und 50, denen zufolge es eine Strafe war, eine
Frau zeitlebens behalten zu müssen!
Delitzsch, Die grosse Täaschang. I 5
82 II' ^^^ GottesofFenbarung vom Sinai.
Zu den religiösen und sittlichen Gründen, welche die Ver-
einerleiung von Jaho mit dem wahren Gott ausschließen, ge-
sellt sich endlich die Art und Weise von Jahoskultischer
Verehrung, die durch den Priesterkodex auch noch für die
nachexilische Zeit, und zwar mit besonderer Strenge, fest-
gelegt wurde : ich meine die Verehrung Jahos durch Opfer,
insonderheit blutige Opfer, wie sie genau so jedem andern
vorderasiatischen ,, Götzen" dargebracht wurden, sowie jene
beschränkteste aller Beschränktheiten, derzufolge Jahos
oder „Gottes" kultische Verehrung nur in Jerusalem
allein stattfinden durfte. Wie poetisch mutet uns dagegen
der von den hebräischen Propheten in Grund und Boden
verfluchte Kult der Kanaaniter an, die dem Gotte Baal,
das ist dem ,, Herrn", dem Sonnengott, und der heil-
bringenden Göttin Aschera auf jeder Höhe und unter
jedem üppig grünenden. Schatten spendenden Baum Ver-
ehrung und Anbetimg zollten, ebenso wie wohl kein Mensch
auf Erden, auch wenn er Nichtkatholik ist, sich dem zur
Anbetung des Höchsten und zur inneren Einkehr zwingen-
den Eindruck katholischer Kirchen und Kirchlein auf
Bergeshöhen und von Kapellen am Wege unter schattigen
Bäumen entziehen kann! Es gibt ja Aussprüche innerhalb
der Prophetenschriften und Psalmen (Anm. 38), welche
lehren, wie ernste Israeliten, Propheten und Psalmisten,
den Unwert des ganzen Opferwesens und Zeremonien-
krams erkannten und auf Verinnerlichung der Gottes-
verehrung drangen, aber diese zum Teil sehr späten Licht-
bücke, welche unserem christlichen Religionsbuche an-
gegliedert zu werden verdienen, reichen nicht entfernt
dazu hin, um das über das althebräische Schrifttum als
vermeintliches ,,Wort Gottes" zu sprechende Verdikt zu
ändern oder auch nur zu mildern.
Die literarische TäliRkeit der Propheten. 83
III.
Die Tätigkeit der Propheten.
Zum Schluß noch ein Wort über die Propheten, die
,,Gottes"männer, die begeisterten Vorkämpfer Jahos als
des Gottes Israels und Israels als des Volkes Jahos, wie
sie ja nicht nur sich selbst als die geistige ,, Wehrmacht"
Israels (bildlich als ,, Israels Streitwagen und Reiter")
betrachteten (2 Kö 2 ^2), sondern auch von den Königen
mit diesem Titel ausgezeichnet wurden (13 ^••). In Pro-
phetenschulen, deren Lehrer und Schüler gewiß nach
Hunderten zählten, in dem doppelten Glaubenssatze: es
gibt keinen höheren Gott als Jaho und Israel ist das Volk
Jahos, erzogen und auf ihn eingeschworen, zu ernster
Sittenstrenge angehalten, in bilderreicher, flammender
Beredsamkeit geschult, dazu in allen Mitteln zielbewußter
Schriftstellerei ausgebildet, entfalteten die Propheten die
umfassendste und zugleich rührigste, fast ruhelos zu
nennende Tätigkeit, verschieden an Art, aber geleitet von
Einem Ziel : einerseits Israel bei seinem Nation algotte Jaho
zu erhalten, seinen Abfall von ihm zu strafen, seine Rück-
kehr zu ihm teils durch Drohung teils durch Verheißung
zu erzwingen, andererseits alle Götter außer Jaho zu ver-
höhnen und alle Jaho bzw. Israel feindlichen Völker mit
immerwährendem Haß zu verfolgen.
Um mit ihrer literarischen Tätigkeit zu beginnen, so
waren die Propheten nicht nur Aufzeichner zeitgenössi-
scher Begebenheiten, wie wir aus den Titeln und Inhalts-
angaben jetzt verloren gegangener Schriften wissen
(Anm. 39), sondern auch Verfasser größerer Geschichts-
werke, welche die Geschichte Israels vom Eindringen in
Kanaan an rückwärts bis zu den Patriarchen, ja bis zur
Schöpfung des Menschen zurückführten, oder die Geschichte
der Könige von Juda und Israel behandelten, alles vom
speziell prophetischen Standpunkte aus geschrieben. Jeder
Leser des biblischen Königsbuches weiß ja, daß wir aus
g^ III. Die Tätigkeit der Propheten.
ihm für die Regierungsgeschichte der Könige selbst blut-
wenig erfahren, eigen tüch nur, ob sie ,,das, was gut ist
in den Augen Jahos", taten oder nicht, und im übrigen
immer und immer wieder auf die jetzt ebenfalls ver-
schollenen Jahrbücher der Könige Judas bzw. Israels, wohl
auch der Könige von Juda und Israel verwiesen werden,
daß dagegen die private wie öffentliche Wirksamkeit der
Propheten während der Königszeit in eingehendster,
sprachlich oft reizvoller Weise erzählt ist. Besondere
Hervorhebung verdient, wie die prophetischen Schrift-
steller an ihrem Teil bemüht blieben, mit der Feder nach-
zuholen, was dem Schwerte versagt bheb, und den hand-
greifUchen Widerspruch zwischen Verheißung imd Er-
füllung betreffend die Inbesitznahme Kanaans dadurch
wettzumachen, daß sie, unbekümmert, ob sie dadurch
Jaho meineidig machten oder nicht, Kanaan schon in
der Vorzeit dem Volke Israel von Jaho zugeschworen
sein lassen (übrigens ein Anachronismus, da gemäß Exö^*-
Jaho sich unter diesem Namen erst Mose geoffenbart
hatte, s. S. 41). Dementsprechend muß nicht allein Jaho
in wiederholten Traumgesichten und sonstigen Erschei-
nungen Israels Vorfahren Abram, Isaak und Jakob immer
von neuem Kanaan als das Land ihrer Nachkommen zu-
schwören, sondern müssen die Patriarchen auch an ver-
schiedensten Orten Kanaans von Sichem bis Beerseba
Altäre bauen und Jahos Namen verkündigen^, um auch
auf diese Weise Kanaan als prädestiniertes Land Jahos und
seines auserwählten Volkes erscheinen zu lassen — all das
dem wirklichen Geschichtsverlaufe zum Trotz ! Sogar der
alte Noah, kaum aus seiner Trunkenheit erwacht, muß
dazu herhalten, von den vier Söhnen seines Sohnes Ham
(Gen IG®) ausgerechnet Kanaan zu verfluchen und diesen
zum „Knecht Jahos, des Gottes Sems" zu stempeln
(Gen 9^^'")» obschon der ganz und gar nicht-hami tische
Charakter der kanaanitischen Völker dem Verfasser
1) Gen 127- 8 134. 18 2l33; 2625; 332« 35^
Die rhetorische Tätigkeit der Propheten, g«
zweifelsohne bekannt war' — ein außerordentlich lehr-
reiches Beispiel tendenziöser prophetischer Mache.
Aber auch über den Besitz Kanaans als des Israel „ge-
lobten" lyandes hinaus wußten die Propheten in Wort
und Schrift ihrem Volke als dem Volke Jahos die glän-
zendste Zukunft zu verheißen — sämtliche Propheten, von
Moses bis herab zum jüngsten nachexilischen Propheten,
Musterbeispiele leidenschaftlichsten Rassebewußtseins, alle-
samt darin eins, daß Israel berufen sei, an Volkszahl,
Macht und Reichtum aller Völker der Erde größtes zu sein.
,,Ich will dich (Abram) zu einem großen Volke machen"
(Gen 12'^), und ,, deine Nachkommen wie den Staub der
Erde — unzählig" (13^"), , »unzählig gleich den Sternen des
Himmels", „gleich dem Sande am Meer". ,,Jaho, dein Gott,
hat dich gesegnet, wie er dir verheißen hat, sodaß du viele
Völker zu Pfandschuldnern machen, selbst aber nicht
Pfandschuldner sein wirst, und du viele Völker beherrschen
wirst, dich aber sie nicht beherrschen" (Dt 15®), und noch
die nachexilischen Propheten werden nicht müde, Israels
zukünftigen Riesenreichtum auszumalen. Die Einhellig-
keit und immer erneute Wiederholung dieser Verheißungen
durch das Medium der prophetischen Schriftsteller haben
alle Völker des Erdkreises bis heute inbetreff des jüdischen
Volkes in eitel Täuschung erhalten. Denn wenn von Jaho
= Gott gesprochen, blieb ja nichts anderes übrig, als sich
unter Gottes wahrhaft unerforschlichen Ratschluß zu
beugen. Anders, wenn wir erkannt haben, daß Jaho
lediglich ein Götze, Israels fingierter Nationalgott ist — da
entpuppen sich alle diese Verheißungen als Ausgeburten
eines überspaimten Nationalbewußtseins, wie es bei den
ebenfalls semitischen Arabern genau so zu finden, das
aber durch alle Jahrhunderte hin wach erhalten, ja ins
Ungemessene gesteigert worden ist durch die Hypnotisie-
rung der Christenheit, daß Jaho eins sei mit Gott.
^1 Die Kanaaniter waren zeitweise abhängig von den Pharaonen,
aber damit noch lange nicht Hamiten.
86 III- Die Tätigkeit der Propheten.
Als die geistige „Wehrmacht" des Volkes Israel waren
die Propheten zugleich die geborenen Politiker, die sich
nur selten vom Volke beeinflussen ließen, sondern viel-
mehr umgekehrt es meisterhaft verstanden, das Volk
samt dessen Königen ausschließlich ihrem Willen gefügig
zu machen und zu erhalten. Überall sehen wir in die Ent-
schlüsse der israelitischen Volksgemeinde wie in die Tätig-
keit der späteren Könige die Propheten unbehindert und
machtvoll eingreifen. Sie tadeln den König Asa, daß er
zur Bekämpfung des Bruderreiches Israel ein Bündnis mit
dem Aramäerkönig geschlossen (2Chri6'"-); sie strafen
Ahab, daß er dem gefangenen Aramäerkönig das Leben
geschenkt habe, ja ein Bündnis mit ihm eingegangen sei
(i KÖ20^^~'*2) usw., doch soll die Betätigung der Propheten
auf dem Gebiete der äußeren Politik hier nicht weiter
berücksichtigt werden. Anders steht es mit ihrer Be-
tätigung auf innerpolitischem Gebiete, die so recht zeigt,
wie die in Jahos Namen und Auftrag auftretenden Pro-
pheten nur gar zu oft in echt menschlicher Kurzsichtigkeit
und Willkür handelten, ja zuweilen in blind fanatische
Demagogen ausarteten, die selbst vor Königsmord nicht
zurückschreckten .
Ein gefestigtes, lebensfähiges israelitisches Staatswesen
war an sich schon sehr schwer zu schaffen, da auch nach
der Richterzeit die Anfeindungen von außen her an allen
Orten und Enden fortdauerten. Ein starkes Königtum,
nach welchem das israelitische Volk selbst sich sehnte,
hätte helfen können, half auch eine Zeit lang, wie die
Regierungsgeschichte Sauls, Davids, Salomos lehrt, aber
wie die Propheten gleich von Anfang an sich gegen das
Königtum eingenommen zeigten*, doch wohl, weil sie
dadurch eine Beeinträchtigung ihres Willens zu schranken-
loser Macht fürchteten, so trug ihre unaufhörUche Ein-
mischung in die Politik wesentUch dazu bei, daß der
^) Wie Samuel den König Saul nur widerwillig zum König gesalbt
hatte (i Sagf.), so stürzte er ihn auch wieder {13" i5"'')-
Die politische Tätigkeit der Propheten. 87
Staat Juda wie der Staat Israel als die verlottertsten
Staatswesen bezeichnet werden können, die jemals
auf Erden existierten.*
Konnte es eine kurzsichtigere und unheilvollere politische
Tat geben als jene des Propheten Achijja aus Silo, der im
Auftrage Jahos Jerobeam, den von Salomo über die Fron-
arbeiter gesetzten Oberaufseher, noch bei Salomos Leb-
zeiten zum König über die zehn Nordstämme ernannte als
Strafe für Salomos Hang zur Abgötterei (iKöii^»"-)?
Jerobeam, der kaum den Thron des neugeschaffenen
Reiches Israel bestiegen hatte, als er mitsamt seinem Volke
Jaho für immer den Rücken kehrte und mit den zwei
goldenen Kälbern, die er als Israels Nationalgötter in
Bethel und Dan aufstellte, den denkbar krassesten Götzen -
dienst einführte ! Was für ein blinder Gott war dieser Jaho,
in dessen Auftrag Achijja solche Revolution anzettelte,
die langwierige blutige Bürgerkriege heraufbeschwor
(iKöi4^'' 15') und dem unter Salomo kaum konsoli-
dierten Hebräerstaate den Todesstreich versetzte für
immer !
Und noch ein anderes Beispiel (2 Kö 9 f.) für das auf-
rührerische, hochverräterische Treiben dieser ewig un-
iiihigen ,, Seher" oder ,, Schauer", welche von den hebräi-
schen Heerführern nicht so mit Unrecht als ,, Verrückte"
bezeichnet wurden! Das mit Juda verbündete Heer des
^) Man vergegenwärtige sich nur, daß von den 23 Königen Judas vier,
von 19 Königen Israels sieben ermordet wurden, daß Jehoschafats,
Königs von Juda, Sohn Jehoram, den sein Vater zu seinem Thron-
folger ernannt hatte, während er seine sechs anderen Söhne mit Gold,
Silber, Kostbarkeiten imd befestigten Ortschaften beschenkte, diese
seine sechs Brüder sofort nach seiner Thron besteigimg umbrachte
(2 Chr 2 1^ "•), usw. Und welch beredtes Beispiel des von den Propheten
Hosea, Arnos usw. imablässig bekämpften und gestraften Mangels jeg-
lichen Gefühls für Gerechtigkeit bietet die Erzählung 1KÖ21, der-
zufolge die Ältesten und Vornehmsten Jezreels auf Izebels Befehl so-
fort zwei Lügenzeugen aufstellten, die den Vorwand zu Naboths Steini-
gung lieferten?
38 III- Die Tätigkeit der Propheten.
Reiches Israel stand in heftigem Kampf mit den Aramäern,
die sich der Stadt Ramoth-Gilead bemächtigt hatten.
Ahab, der König von Israel, war in der Schlacht tödlich
verwundet worden und noch am gleichen Tage seiner Ver-
wundung erlegen. Auch sein Sohn imd zweitnächster
Nachfolger Joram war weiterhin im Kampf gegen Hazael
von Damaskus bei der siegreichen Eroberung der Stadt
mehrfach verwundet worden und lag zur Heilung seiner
Wunden in Jezreel. Vater und Sohn hatten an der Spitze
ihrer Truppen tapfer und todesmutig für ihr Land ge-
kämpft. In ebendieser Zeit, als die israelitischen Heer-
führer in Ramoth-GUead sich berieten, trat, vom Propheten
Elisa geschickt, ein Prophetenschüler in ihren Kreis, ruft
den höchststehenden unter ihnen, Jehu mit Namen, zu
sich heran, geht mit ihm in das Haus, führt ihn von Ge-
mach zu Gemach bis in den entlegensten Raum, und gießt
ihm eilends das ihm mitgegebene Salböl über das Haupt
mit den Worten: ,,So spricht Jaho: ich salbe dich hiermit
zum König über das Volk Jahos, über Israel, und du sollst
schlagen das Haus Ahabs, deines Herrn, und an Izebel
rächen das Blut meiner Diener, der Propheten, und das
Blut aller Diener Jahos", worauf er schnell die Tür öffnet
tmd entflieht. Die Heerführer fragen Jehu, was der ,, Ver-
rückte" (V. ii) von ihm gewollt habe. Jehu gibt zunächst eine
ausweichende Antwort, gesteht dann aber ein, daß er zum
König gesalbt worden sei, worauf die übrigen Heerführer
sofort ihre Kleider auf die Stufen des Hauses unter seine
Füße breiten, ihm als König zu huldigen. Man erkennt die
unumschränkte Macht, welche die Propheten über Volk
und Heer ausübten, und ersieht aus dem nun Folgenden,'
mit welch blutigem Hasse die israelitischen Propheten die-
jenigen verfolgten, die ihren Zorn erregt hatten, wie Ahab
durch seine Verheiratung mit der sidonischen Königs-
tochter Izebel und die Erbauung eines Baalstempels in
Samaria, und wie Izebel, die die Propheten Jahos hatte
töten lassen, selbstverständlich eine Schandtat, die aber.
Elisa als Hochverräter. So
da Kanaan Kanaaniterland geblieben war, immer noch
innerlich berechtigter war als die Hinschlachtung der
450 Baalspropheten durch Elias (i Kö i8*°). Noch ehe die
Kunde von der Revolution in das Land dringen konnte,
fuhr Jehu in rasender Eile auf seinem Wagen nach Jezreel,
wo der König Joram, bei dem der König von Juda zu Be-
such weilte, sich eben auf dem Wege der Genesung befand.
Der Turmwächter gewahrt von ferne das näher und näher
kommende Getümmel und meldet Joram, daß keiner der
beiden entgegengesandten Boten zurückgekehrt sei. Nun
fahren die beiden Könige selbst Jehu entgegen, hören aus
Jehus Mund offene Kampfansage und fliehen Von Jehus
Pfeilschuß durchs Herz getroffen, bricht Joram auf seinem
Wagen tot zusammen und wird von Jehus Begleitern auf
das Grundstück Naboths geworfen. Der König von Juda
entkommt verwundet nach Megiddo, wo auch er stirbt.
Und nun hinein durch das Tor nach Jezreel, wo Izebel,
zum Fenster hinausgebeugt, Jehu mit dem Zuruf ,, Königs-
mörder" empfängt. Auf Jehus Befehl wird die Königin-
Mutter von zwei, drei ihrer Eunuchen gefaßt imd auf die
Straße geschleudert, sodaß ihr Blut an Wagenwand und
Pferde spritzte, worauf sie selbst überfahren wird. Jehu ißt
und trinkt tmd gibt dann Befehl, Izebel, die „Königstochter",
zu begraben, aber man findet nur noch den Schädel, die
beiden Füße und Handteller, der übrige Leichnam war
bereits eine Beute der Hunde geworden. Man sollte meinen,
daß Ahabs Sohn Joram und Gemahlin Izebel nun hin-
reichend gestraft worden seien, aber Elisas und seines Send-
üngs Jehu Blutdurst war noch lange nicht gelöscht. Ahab
hatte 70 in Samaria lebende Söhne. Jehu schrieb an die
Ältesten und an die Pfleger der jüngeren Kinder Briefe des
Inhalts, sie sollten, da sie doch über alles Kriegsmaterial und
die Festungen verfügten, den ihnen am geeignetsten scheinen-
den Sohn ihres Herrn auf den väterüchen Thron setzen und
für das Haus ihres Herrn kämpfen. Die Briefempfänger
gerieten natürlich in die größte Angst ob der uimiögHch
QO III- Die Tätigkeit der Propheten.
ernst gemeinten Worte des dreifachen Königs- und Königin-
mörders und unterwarfen sich Jehu bedingungslos. Darauf-
hin verlangt Jehu, daß sie ihm morgen die 70 Köpfe der
Söhne ihres Herrn bringen sollten. Die 70 Söhne bzw. Kinder
werden geschlachtet und ihre Köpfe in Körben Jehu über-
reicht. Dieser läßt sie in zwei Haufen am Stadttore auf-
schichten, worauf er am nächsten Morgen eine Ansprache
an das Volk hält, in welcher er zugibt, daß er es gewesen,
der sich gegen seinen Herrn verschworen und ihn getötet
habe, für alle übrigen Mordtaten aber den Propheten Elisa
und Jaho selbst verantwortlich macht (10 ^'•), Jaho, der
vom Sinai herab feierUch verkündet hatte, daß die Söhne
für die Sünden der Väter nicht büßen sollten!* In der
Tat, nachdem Jehu in Jezreel alle noch übrigen Familien-
angehörige Ahabs, seine Großen, Bekannten, Priester aus-
nahmslos erschlagen, auf dem Wege nach Samaria die eben-
dorthin zum Besuche ihrer Großeltern reisenden 42 Söhne
des Königs von Juda hingeschlachtet und in Samaria die
in den Baalstempel gelockten Unmassen von Propheten,
Priestern und Anhängern des Baal gemordet hatte, des
Baal oder Sonnengottes, dessen Verehrung kein anderer
als Jaho selbst den Kanaanitern zugeteüt hatte (S.76f.), da
sprach Jaho zu Jehu: „Weil du gut daran getan
hast, das, was recht ist in meinen Augen, auszuführen,
genau das, was ich beabsichtigt, dem Hause Ahabs getan
hast, sollen vier Generationen deiner Söhne auf dem Throne
Israels sitzen" (io^°). Und gleichzeitig bemerkt der pro-
phetische Geschichtsschreiber, daß ebenderselbe, von Jaho
also belobte, Jehu von dem Gotte Jaho gar nichts wissen
wollte, sondern dem Kultus der zwei goldenen Kälber frönte
wie nur irgendeiner seiner Vorgänger und Nachfolger auf dem
Throne Israels! Ja noch mehr! Und weruge Jahrzehnte
später sprach Jaho zum Propheten Hosea: ,,Noch
eine kleine Weile, so wül ich die Blutschuld von Jezreel
^) Siehe Anhang Gesetz Nr. 12.
Die Propheten als Sittenprediger. Ol
aa Jehus P'amilie heimsuchen und dem Königtume
des Hauses Israel ein Ende machen!" (Ho i*). Ist dieser
Widerspruch innerhalb gleichzeitiger prophetischer Ver-
kündigungen im ,, Auf trage Jahos" nicht ein klarer Hin-
weis darauf, in welchem Maße die Propheten Unfug trieben
mit der vermeintUchen Inspirierung durch den Gott Jaho*.
und wie Jehus unmenschliche Bluttaten, Jehus Revolution
und Israels Untergang einzig und allein auf das Konto des
Propheten Elisa und seines Prophetenkreises zu schreiben
sind, der in Wahrheit ,, Verrückten", d. h. sinnlos ver-
brecherisch handelnden religiösen Fanatiker? Die nächste
f>olitische Folge von Elisa — Jehus Revolution war, daß
nicht allein Ramoth-Gilead, sondern ein großer Teil des
Reiches Israel an die Aramäer verloren ging (2 Kö 10 ^2'"),
und innerhalb Israels selbst Königsmord auf Königsmord
folgte, bis dem zermürbten Staate der assyrische König
ein Ziel setzte!
Einen Lichtpunkt in diesen Betrachtungen bildet die
Tätigkeit der Propheten als Sittenprediger =^, als strenge
Verfechter von Recht und Gerechtigkeit, wobei wir an
Männer wie Hosea, Arnos, Micha und andere denken und
an Nathans von Jugend auf uns ergreifendes ,,Du bist der
Mann!" Deshalb unterdrücken wir gern allerlei kritische
Bemerktmgen, wie sie sich auch angesichts dieser Betäti-
gung der alttestamentUchen Propheten aufdrängen. Wenn
^) Eine häßliche Szene, wie von zwei Propheten, die sich beide von
Jaho inspiriert wähnen, einer den andern ohrfeigt, lesen wir i Kö 22^*,
und vor ein psychologisches Rätsel stellt uns die Erzählung i Kö i 3 "' "'".
wie einen jüngeren Propheten, dem Jaho befohlen hatte, nicht nach
Bethel zxu-ückzukehren, ein greiser Prophet von Bethel dennoch zxrr
Umkehr bestimmt, indem er ihn belügt, ein Engel habe zu ihm „im
Auftrage Jahos" geredet: führe diesen mit dir zurück, und wie zur
Strafe dafür der junge Prophet von einem Löwen zerrissen wird, während
das alte Lügenmaul vöUig straffrei bleibt bis an sein Ende, ja noch
darüber hinaus (vgl. i Kö i 3^^'- mit 2 Kö 23"*).
*) Daß sich die Propheten für ihre Strafpredigten auch des Briefes
bedienten, lehrt 2 Chr 2 i ^^ '^ .
Q2 in. Die Tätigkeit der Propheten.
wir z. B. bei Nathans Auftreten wider David bedenken,
daß David in raffiniertester Weise zum mindesten zwei
Verbrechen begangen, deren jedes vom mosaischen wie
babylonischen und assyrischen Gesetz mit dem Tode be-
straft wird, so entspricht das, was nach Nathans Straf -
rede erzählt wird (2 Sa 12^^"*): Davids fortgesetzter Um-
gang mit Bathseba, dem Weibe des von ihm ermordeten
Uria, und die Ernennung des aus diesem Incest hervor-
gegangenen Sohnes Salomo zu Davids Thronfolger nur
wenig unserem sittlichen Empfinden.
Dagegen fordert die den Propheten zugeschriebene bzw.
von ihnen selbst für sich in Anspruch genommene Gabe
der Wundertätigkeit abermals Kritik seitens jedes
reHgiös Denkenden heraus. Neben dem Glauben an Jaho
als den vermeintlichen ,,Gott" hat nichts unser religiöses
Denken dergestalt vergiftet wie der in den Propheten-
schulen großgezogene und von der prophetischen Ge-
schichtsschreibung verbreitete Wunderglaube eti gros. Da
jeder Prophet sich bei jedem von ihm verkündeten wich-
tigeren ,, Gottesworte" durch ein Zeichen, ein Wunder als
wirklichen Propheten Jahos zu beglaubigen pflegte (Dt
13^*-), und die orientalische Welt überhaupt hundertfältig
zeigt, wie das Wunder des Glaubens liebstes Kind ist, so
läßt es sich denken, daß innerhalb der religiös über-
spannten prophetischen Kreise eine Unmenge von Wunder-
erzählungen kolportiert wurde, die, so läppisch sie großen-
teüs sein mögen, weil sie jede Spur eines tieferen sittlichen
Gnmdes zu solch göttlicher Wundererweisung vermissen
lassen, dennoch unsern Glauben von Gottes Wirken imd
Walten gründlich verkehrt haben. Eine Schar dummer
Jimgen aus Bethel, die nach alttestamentlichem Sprach-
gebrauch noch nicht zwischen gut und böse zu unter-
scheiden wissen, belustigt sich über die Glatze des vor
ihnen gehenden Propheten Elisa und ruft ihm ,, Kahl-
kopf" nach — da wandte sich Elisa um und verfluchte sie
im Namen Jahos, worauf zwei Bären aus dem Walde
Die Propheteu als Wundertäter. g^
hervorbrachen und 42 der Knaben zerrissen, während
EHsa unbekümmert seines Wegs zieht (2KÖ2""). —
Ein „Gottesmann", der zu einem bestimmten Zwecke als
Kriegsverwundeter dem König Ahab entgegentreten will,
befiehlt seinem , .Genossen" (also wohl ebenfalls Propheten)
,,im Auftrage Jahos", ihn zu schlagen und ihm (etwa über
dem Auge) eine Wunde beizubringen. Dieser weigert sich,
aber kaum ist er vom Propheten geschieden, so trifft ihn
ein Löwe und tötet ihn (iKÖ20^^'*). Diese beiden
Wundererzählungen mögen bezwecken, die Propheten
gegen alle Insulten zu schützen und ihren Weisungen
blinden Gehorsam zu sichern, bei andern ist nicht einmal
solche egoistische Absicht erkennbar. Ein Propheten-
schüler beteiligt sich an der Herstellung von Wohnbaracken
am Jordanufer, er schlägt einen Baum mit einer hierfür
entliehenen Axt, das Eisen entgleitet dem Stiel und fällt
in den Jordan. Der junge Mann schreit über den lumpigen
Verlust — der Prophet Ehsa aber wirft ein Stück Holz
nach und sofort taucht das Eisen empor, schwimmt auf
der Oberfläche des Wassers und gelangt wieder in die
Hand des Prophetenschülers (2 Kö 6 *— ') . — Etliche Israe-
liten begraben einen Toten, sie gewahren eine Streifschar
moabitischer Plünderer und werfen den Toten schnell in
das Grab, in das sie eben EHsa gebettet — kaum hatte
der Leichnam EHsas Gebeine berührt, so stellte er sich
wieder lebendig auf seine Füße (2Köi3'^^). In dieser
phantasieerhitzten Atmosphäre der Prophetenschulen ent-
standen auch die Erzählungen von allen den ägyptischen
Wundertaten und Wundergeschehnissen, z. B. von Mosis
Stab, der sich in eine Schlange verwandelte, das Wunder-
märchen von Jerichos Eroberung und hundert andere ^, und
*) Auch wunderbare Voraussagungen künftiger Ereignisse mit Nen-
nung ganz bestimmter Namen zukünftiger Könige wurden in den
Prophetenkreisen erzählt und geglaubt, Prophezeiungen, die sich
von selbst als vaticinia ex eventu erweisen (vgl. z. B. i Kö 132 mit
2KÖ 23"").
QA III. Die Tätigkeit der Propheten.
die Menschheit hat sie, gerade weil sie bis in alle Einzel-
heiten hinein so lebendig dargestellt waren, wie z. B. die
Kraftprobe zwischen Jaho und Baal auf dem Berge Karmel
(i Kö 1 8 2^^*°), und mochten sie noch so albern sein wie die
Erzählung vom grasfressend enNebukadnezar (Anm.40) .oder
uns das schwerste Opfer abrirgen, nämlich die Preisgabe
unseres Intellektes, wie die Wundererzählung * 2 Chr 20 ^~"*,
zwei Jahrtausende hindurch gläubig in sich aufgenommen
und höchstens im stillen sich gefragt, warum der all-
mächtige Gott urplötzlich mit derlei Wundern im Kleinen
vne im Großen aufgehört hat. Abermals rast ein Volk
aus blassem Neide, ein blutsverwandtes großes Volk auf
die feigste und teuflischste Art, nämlich durch Aushunge-
rung, mitsamt seinen Frauen, Greisen, Kindern und Säug-
Hngen auszurotten, und ist dabei, die Selbständigkeit und
Freiheit aller übrigen Völker des Weltalls mit brutaler
Faust unterdrückend, über einer Welt von Leichen den
Turmbau englischer Weltherrschaft aufzuführen — warum
fährt kein Gott vom Himmel hernieder, den gottgewollten
^) Drei Feinde: Edomiter, Ammoniter, Moabiter waren zur Zeit des
Königs Jehoschafat mit ungeheuren Heerhaufen in Juda eingefallen
und hatten in einem Hochtale an der Westküste des Toten Meeres
Aufstellung genommen. Aber der König von Juda und sein Volk werden
durch einen I<eviten, über den Jahos Geist gekommen war, aufgefordert,
den Kampf gegen die drei feindhchen Heere ausschließhch Jaho zu
überlassen. So zieht zwar der König von Juda mit seinem Volke aus
nach dem Kampfplatz, sie rühren aber, dort angelangt, weder Hand noch
Fuß. Da ließ Jaho, während das judäische Heer I,obpsalmen anstimmte,
die drei feindlichen Heere sich gegenseitig bis auf den letzten Mann um-
bringen (!), und als die Judäer von einem Hügel der Wüste Ausschau
hielten, fanden sie nichts mehr als Leichen. Eine ungeheure Beute
wird drei Tage hindurch geborgen und dann geht's zurück nach Jeru-
salem unter Harfen-, Zithern- und Trompetenschall, während alle
Reiche der Erde, die von dieser Wvmdertat Jahos hörten, von Schrecken
befallen wurden. Kautzsch's Bibelübersetzimg nennt diese Erzählung,
eine „erbauhche" Umgestaltung der 2 Kö 3 erzählten Wimdergescheh-
nisse — sollte nicht statt „erbaulich" vielmehr „psychopathisch"
oder ,, pathologisch" das richtige Epitheton sein?
Das Alte Testament kciii christliches Religiousbiuh. q5
Bestand von Einzelnationcn wiederherzustellen? Auf
Grund der Hunderte von Wundererzählungen ira Alten
Testament würden wir gewiß berechtigt sein, diese Frage
zu stellen. Wir tun es nicht, da wir des Glaubens, d. h.
der felsenfesten Zuversicht leben, daß der deutsche Genius
unzerstörbar ist und daß der allmächtige Gott über Leben
und Tod jedes einzelnen Menschen wie jedes einzelnen
Volkes auch ohne plötzliches ,, Wunder" dem deutschen
Volke heraushelfen wird aus seiner jetzigen Schmach und
Sklaverei und uns aus tiefster Nacht einem neuen lichten
Morgen zuführen wird.
Schlußbetrachtung
Die zufällig erhalten gebliebenen Überreste des alt-
hebräischen Schrifttums, die wir das „Alte Testament"
zu nennen pflegen, enthalten, wie alle aus dem Altertum
überkommenen Schriften, selbstverständlich viel Wert-
volles in profan-, kultur-, literar- und obenan religions-
geschichtlicher Hinsicht. Sie sind, gleich den babylonischen,
arabischen, persischen, indischen und anderen orienta-
lischen Erzeugnissen in Poesie und Prosa, reich an sprach-
lichen Schönheiten, an sinnigen Weisheitssprüchen, tiefen
philosophischen Betrachtungen und ernsten ethischen
Grundsätzen. Aber alle diese alttestamentHchen Bücher
von Genesis bis Daniel haben in religiöser Beziehung
für uns Jetztlebenden, insbesondere für uns Christen,
schlechterdings keine Bedeutung. Das Gleiche gilt auch
für die prophetischen Bücher und Psalmen, über welche
noch besonders gehandelt werden muß, da ihnen gegen-
über wieder besondere Vorurteile eingewurzelt sind.
Wohl gibt es in beiden vereinzelte, zumeist jüngerer und
jüngster Zeit angehörige Stellen, welche wahrhaft religiösen
Geist atmen und, wie einige Psalmen und Psalmstellen,
auch christlichem Empfinden zum Ausdruck dienen können,
sofern man Jaho in wahrheitswidriger Weise über seine
n6 Schlußbetrachtimg.
engen nationalen Schranken hinaushebt oder aber, wie
dies Luther getan hat, Jahos Namen überhaupt ausmerzt
und bedeutsame Stellen mehr umdichtet als übersetzt.
Aber diese Aussprüche und Herzensergüsse sind doch viel
zu spärHch (s. bereits S. 82), als daß sie auch nur entfernt
hinreichen könnten, um ihretwillen die ganze althebräische
Literatur als christHches Religionsbuch anzuerkennen.
Im großen und ganzen bleibt es dabei, daß „das Judentum
unter die heidnischen Religionen gehört" (Goethe), daß
zum mindesten, wie kein Geringerer als Friedrich
Schleiermacher in seiner Schrift über den christlichen
Glauben (5. Aufl., S. ^f) hervorhebt, Judentum xmd
Christentum durch eine hohe Scheidewand getrennt sind.
,,Das Christentum steht zwar in einem besonderen ge-
schichthchen Zusammenhange mit dem Juden tmn, was
aber sein geschichtliches Dasein und seine Abzweckung
betrifft, so verhält es sich zu Judentum und Heidentum
gleich". ,,Wenn wir sonach annehmen müssen, daß die
christliche Frömmigkeit nicht aus der jüdischen weder
damaliger noch früherer Zeit zu begreifen ist, so kann
man auch das Christentum auf keine Weise als eine Um-
bildung oder erneuernde Fortsetzung des Judenttuns an-
sehen". Das viel gehörte und gelesene sentimentale Wort,
daß das Judentum ,,das Heil der Welt" hervorgebracht,
sollte für immer dem geschichtlich weit weniger zweifel-
haften Worte weichen, daß das Judentum das Heil der Welt
getötet hat. Überdies weiß jedermann, daß der geschicht-
liche Wert der Genealogie Jesu in Matth i ^"^^ gleich null
ist — Jesu Eltern und Vorfahren waren als Galiläer nach
alttestamentlicher wie keilschriftlicher Bezeugung ganz
gewiß nicht jüdischen Geblüts (Anm. 41), sondern ge-
hörten zu der großen Zahl galiläischer jüdischer Prosei yten.
Daß Jesus kein Prophet jüdischen Geblüts war, lehrt sein
dem jüdischen diametral entgegengesetzter Gottesbegriff
und bekräftigen alle seine Reden mitsamt seinem ganzen
Leben und Sterben. Näheres am Ende von Teil II.
Aussdieidimg des A. T. aus der cliristlichen Theologie. (.7
Die Erforschung des althebräischen Schrifttums, das
uns Gottes Wesen und Walten so wenig offenbart als es
vielmehr von Anfang bis zu Ende das Spiegelbild eines
engherzigsten und zugleich unwürdigsten Gottesbegriffs
ist, sollte deshalb auch nicht länger einen Zweig der
christlichen Theologie bilden, sondern besser der
orientalischen Philologie und allgemeinen Religionsge-
schichte überlassen werden. Seine Behandlung als „offen-
bartes Gotteswort", als ,, heilige Schrift" sogar seitens der
liberalen alttestamentlichen Theologie ist nur zu sehr
geeignet, dem maßlosen Dünkel des Judentums von seiner
,, weltgeschichtlichen Mission" Vorschub zu leisten, und
droht schon jetzt sich dadurch zu rächen, daß denkende
Laien, die mit Recht an den allzu vielen unsittlichen Er-
zählungen, Unwahrheiten, Übertreibungen, Erdichtungen,
Widersprüchen des Alten Testaments als vermeintlich
, .heiliger Schrift" Anstoß nehmen, diese ihre Abneigung
auch auf das neutestamenthche Schrifttum, ja schließlich
auf die Religion überhaupt übertragen.
Das sog. ,,Alte Testament" ist für die christliche Kirche
und damit auch für die christhche Familie vollkommen
entbehrlich. Es wäre ungleich ratsamer, daß wir uns von
Zeit zu Zeit in die tiefen Gedanken versenken würden, die
unsere deutschen Geistesheroen über Gott imd Jenseits und
Unsterblichkeit gedacht haben und wie sie in Wilhelm
Schwaners Germanen-Bibel (4. Aufl., 1918) so trefflich
ausgewählt und geordnet zusammengestellt sind. Über all
das aber wird es bei Goethes Wort bleiben, daß ,,der
menschliche Geist über die Hoheit und sitthche Kultur
des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert
und leuchtet, nicht hinauskommen werde".
Was aber den Gebrauch des Alten Testaments in der
Schule betrifft, so weiß ich wohl, daß es noch immer nam-
hafte Pädagogen und Philosophen gibt, welche z. B. die
biblische Schöpfungserzählung im Rehgionsunterricht nicht
missen wollen ! Gut ! Aber dann sage man auch den Kin-
Delitzsch, Die grosse Täuschung. I 7
q8 Scblußbetrachtung.
dern aufrichtig, daß diese Darstellung des Weltschöpfungs-
hergangs den Babyloniern entlehnt ist, die der Bildung
des Kosmos ebenfalls ein finsteres, wässeriges Chaos vor-
aufgehen lassen, das zuerst vom Lichte gespalten wird,
worauf daim Himmel und Erde hervortreten, der Himmel
mit Sonne, Mond und Sternen, die mit Pflanzen bedeckte
Erde mit Tieren ausgestattet wird, und schließlich der
Mensch aus der Hand Gottes hervorgeht (Anm. 42). Von
den altisraelitischen Sagen wird die Erzählung von Joseph
und seinen Brüdern ihren Eindruck auf jugendliche Seelen
niemals verfehlen, aber alle übrigen sollten besser durch
unsere germanischen Heldensagen ersetzt und dadurch alle
echt deutschen Tugenden in die Seele der deutschen Jugend
gepflanzt werden (Anm. 43) .Welch schwerwiegendeBedenken
sogar den zehn Geboten als Gegenstand des religiösen
Schulunterrichts entgegenstehen, hierfür möge das folgende
Wort Goethes in Erinnerung gebracht werden. ,,Wie ver-
drießlich ist mir's oft mit anzuhören, wie man die zehn
Gebote in der Kinderlehre wiederholen läßt! Das vierte
ist noch ein ganz hübsches, vernünftiges gebietendes Gebot :
,Du sollst Vater und Mutter ehren !' Wenn sich das die
Kinder recht in den Sinn schreiben, so haben sie den ganzen
Tag daran auszuüben. Nun aber das fünfte — was soll
man dazu sagen ! ,Du sollst nicht töten !' Als wenn irgend-
ein Mensch im mindesten Lust hätte, den andern totzu-
schlagen! Man haßt einen, man erzürnt sich, man über-
eilt sich, und in Gefolg von dem und manchem andern
kann es wohl vorkommen, daß man gelegentlich einen tot-
schlägt. Aber ist es nicht eine barbarische Art, den
Kindern Mord und Totschlag zu verbieten? Wenn es
hieße: .Sorge für des anderen Leben; entferne, was ihm
schädlich sein kann ; rette ihn mit deiner eigenen Gefahr !
Wetm du ihn beschädigst, denke, daß du dich selbst be-
schädigst!' Das sind Gebote, wie sie unter gebildeten,
vernünftigen Völkern statthaben, und die man bei der
Katechismuslehre nur kümmerlich in dem ,Was ist das?'
Israels vorgebliche Weltmission. qq
nachschleppt. Und nun gar das sechste! Das finde ich
ganz abscheuHch! Was? Die Neugierde vorahnender
Kinder auf gefährhche Mysterien reizen, ihre Einbildungs-
kraft zu wunderlichen Bildern und Vorstellungen aufregen,
die gerade das, was man entfernen will, mit Gewalt heran-
bringen ! Weit besser wäre es, daß dergleichen von einem
heimlichen Gericht willkürlich bestraft würde, als daß
man vor Kirche und Gemeinde davon plappern läßt."
(Aus Germanen-Bibel, 4. Aufl., S. 144.)
Zum Schluß noch ein Wort über Israels Wahnidee einer
ihm von ,,Gott" gewordenen weltgeschichtlichen Mis-
sion! Wenn ich recht sehe, ist es ein Dreifaches, das der
Menschheit gebracht zu haben das Judentum sich rühmt.
Das erste ist der vermeintHche ,, Monotheismus", der
durch unsere Ausführungen genugsam beleuchtet sein
dürfte. Die ReHgion Israels war nicht Monotheismus,
sondern, wie einer der größten Kenner der semitischen
ReUgionen, Brnest Renan, schon längst erkannte,
Monolatrie: Israel diente Einem Gotte, nämlich seinem
Spezialgotte Jaho; ob es andere Götter außer Jaho gibt,
war ihm ganz gleichgültig, für Israel war es die Haupt-
sache, daß Jaho der höchste aller Götter war und daß er
seine Verehrung nicht mit anderen Göttern zu teilen
brauchte. — Und wenn Jules Oppert „Wert darauf
legte zu konstatieren", daß in Israel der Glaube an eine
Göttin neben Gott niemals Platz gegriffen, so legen
wir vmsererseits Wert darauf zu konstatieren, daß der
Gedanke an eine weibliche Gottheit den Hebräern über-
haupt nie kommen konnte, weil bei den hebräischen wie
arabischen Wüstensöhnen das Weib eine viel zu niedrige,
ja verachtete Stellung einnahm (Anm. 44). Diese nomadi-
sierenden Hirtenstämme, die in ihren männlichen Be-
standteilen bis heute nicht wissen, was Arbeit ist, ließen
und lassen jegUche Arbeit von ihren Frauen, ihrem „Prole-
tariat", verrichten. Und wenn deshalb Muhammed es
für eine ganz besondere Herabwürdigung Gottes hielt, daß
100 Schlußbetrachtung.
seine Landsleute in den Engeln Töchter Gottes erblickten —
wie hätte bei den Hebräern eine weibliche Gottheit
gleicher Verehrung mit Jaho teilhaft werden können ! Die
Idee männlicher und weibhcher Gottheiten konnte nur bei
einem Volke aufkommen, welches dem Weibe eine mit dem
Manne völlig gleichberechtigte Stellung, ja sogar eine
Ehrenstellung neben dem Marme zuwies, dieses Volk aber
war das sumerische Volk, das in Babylonien, vornehmhch
Südbabylonien, im 3., 4., 5. vorchristlichen Jahrtausend
zu hoher menschhcher Kultur erblüht war. Das Land
Sumer war die Heimat des Glaubens an Gott und Ischtar,
d. h. an eine weibliche, „segenspendende" Gottheit, deren
Kultus unter dem Namen Astarte sich im Laufe der Jahr-
hunderte über ganz Vorderasien verbreitete, auch bei den
Kanaanäern neben Baal Eingang fand — ein weiterer
Grund, weshalb er von den Propheten Israels bis aufs
Blut bekämpft wurde. Wer aber den poetischen Zauber
zu würdigen versteht, den im katholischen Glauben die
Madonnenverehrung auf das menschliche Gemüt ausübt,
oder sich an den Idealgestalten der auch im Christentum
weibUch vor- und dargestellten Engelwesen ergötzt, der
vergesse niemals, daß das erste Volk, das die „Himmels-
königin", ,, unsere liebe Frau", „meine Herrin" (das ist
Madonna) anbetete (den mild blinkenden Morgen- und
Abendstern für ihre Offenbarung haltend), und das auch
die Schutzengel sich weiblich vorstellte, das sumerische
Volk gewesen. Und wenn endlich das Judentum sich
darauf etwas zugute hält, daß die Thora die bildliche
Darstellung Jahos streng verpöne, so ist darauf hin-
zuweisen : erstens, daß Israel bis in die Richterzeit hinein
Gußbilder zu Ehren Jahos fertigte (s. S. 51) ; zweitens,
daß die Begründung jenes Verbots: weil das Volk keine
,, Gestalt" Jahos auf dem Berge Sinai gesehen (Dt 4"),
insofern schief und unbefriedigend ist, als Moses fortwäh-
rend Jahos ,, Gestalt" wahrnahm, wenn Jaho Mund zu
Mund mit ihm redete (Nu 12®); drittens, daß die vielen
Das Gebot der Nächstenliebe. Der Sabbath. lOI
Erscheinungen Jahos unter der Gestalt von Märmern, die
zahllosen anthropomorphischen und anthropopathischen
Aussagen über Jaho sowie die Stelle Dan 7" wesentüch
dazu beigetragen haben, uns vergessen zu machen, daß
Gott ein Geist ist; und viertens, daß mehr als alle baby-
lonischen, assyrischen, griechischen, römischen Götter-
statuen zusammen die Lehre der Genesis (i'^') : ,,Gott schuf
den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er
ihn", unsere Gottesvorstellung irregeleitet hat (Anm. 45).
Das Gesetz, den Nächsten, das ist den Volksgenossen,
wie sich (selbst) zu lieben (s. Anhang Gesetz 132 vgl. 133),
ist gewiß ein sehr schönes Gesetz. Nur bleibt zu beachten,
daß andere Völker, obenan die Babylonier, ganz das
nämliche Sittengesetz hatten (Anm. 46), ja diesen Begriff
der lyiebe vielleicht noch höher faßten als die Thora, die
diesen Begriff des Liebens negativ erklärt: du sollst an
deinem Nächsten nicht Rache nehmen, ihm nicht grollen,
ihn nicht bedrücken (s. Gesetze 131 ff.). Gleichzeitig sei
bemerkt, daß, wenn ebendieses Gesetz vermeintlich auch
den „Fremdling" zu lieben befiehlt, diese Übersetzimg des
hebräischen ger eine Täuschung ist (Anm. 47) . Gemeint
sind Israels Schützlinge, d.h. die innerhalb Israels leben-
den und gleich den Israeliten beschnittenen Abkömmlinge
jener Wüstenstämme, die sich schon bei Israels Auszug
aus Ägypten diesem angeschlossen und bei der Eroberung
Kanaans wie auch noch später gewiß große Dienste ge-
leistet hatten ^ Schützling und Volksgenosse stehen also
1) Vgl. Benzinger, Hebräische Archäologie, S. 339 f. : „Nur auf den
Schutzbefohlenen beziehen sich die gesetzlichen Bestimmungen
über den Verkehr mit dem g&r, nicht aber auf jeden Heiden ohne
weiteres, wie das moderne Judentum gern glauben machen möchte."
Auch Wolf W. Graf Baudissin sagt in seiner Rektoratsrede vom
15. Okt. 1912 ,,Die alttestamentliche Wissenschaft und die Religions-
geschichte" S. 18: „Aber freilich dieser Grundsatz der Ethik («c. die
Nächstenliebe) hat bis zum Ende der alttestamentlichen
Entwicklung vielfache UnvoUkommenheiten beibehalten, so in
Einschränkungen seiner Geltung auf das Verhalten dem Volks-
genossen gegenüber." S. weiter die oben zitierte Anm. 47.
102 Schlußbetrachtung.
nahezu auf gleicher Linie. In stärkstem Gegensatze zu
den Schützlingen stehen die Fremden oder Ausländer,
die seitens Israels je und je gerade das Gegenteil
von Liebe erfahren haben. Und daß selbst dem Volks-
genossen gegenüber sogar die Psalmen Nächstenliebe
vollkommen vermissen lassen, sobald sich der Dichter von
seinem Nächsten irgendwie angefeindet glaubt, muß jeder
wahrheitsliebende Leser zugeben (Näheres s. inTeilIIS.41 f.).
Was aber endHch den wöchentüchen Ruhetag oder
Sabbath betrifft, den das Judentum so stolz ist, der
Menschheit geschenkt zu haben, so bleibt es dabei, daß den
Babyloniern schon lange zuvor der siebente Tag als
ein Unglückstag galt, an dem ebendeshalb keinerlei Arbeit
getan werden sollte, daß somit die Institution des Sabbath-
tages in einem babylonischen Aberglauben wurzelt,
der sich auch den Hebräern mitteilte. Der Gott ,, Sieben",
Schibü, Sibü, galt den Babyloniern und Assyrern als der
Hauptunglücksgott und war als solcher auch den Hebräern
dermaßen geläufig geworden, daß das Hauptverbum für
„schwören" bei den Hebräern nischba wurde, d. h. „sich
verwünschen", wenn man das oder jenes tue oder aus-
sage, ursprünglich „sich dem Gotte Scheba (sozusagen dem
Teufel) verschreiben". Auch Eigennamen lehren, daß den
Kanaanitern- Hebräern der Unglücksgott Scheba wohl-
bekannt war, und es ist gewiß kein Zufall, daß es gerade
drei Mädchennamen sind, die mit Scheba zusammen-
gesetzt sind: EHschebd (woraus unser EHsabeth), Jehb-
schebd und Bath-schebd — sie bestätigen, daß wie allen
Semiten, so auch den Hebräern die Geburt eines Mädchens
als kein reines Glück, viel eher als ein Unglück galt :
„mein Gott" bzw. „Jaho war (diesmal, bei der Geburt
dieses Kindes) der Unglücksgott", „Tochter des Unglücks-
gottes". Der Gott Scheba mitsamt der Sabbathinstitution
lehrt von neuem, in welchem Grade und Umfang die
amoritische oder kanaanitische Kultur von der über-
ragenden Kultur Babyloniens beeinflußt war.
Das jüdische Volk freiwillig vitcrlandslos. 103
Übrigens dient diese ganze so oft gehörte und gelesene
fixe Idee von einer vermeintlichen Weltmission Israels nur
zur Verschleierung einer dem Judentum zu größter Un-
ehre gereichenden geschichtlichen Tatsache. Nach einer
höchst unrühmlichen Geschichte von nicht ganz sechs
Jahrhunderten waren von dem Volke, das allein unter
allen Völkern der Erde von ,,Gott" geUebt und zu ,, Gottes"
Spezialvolk erkoren worden war, fünf Sechstel in die
assyrische Verbannung geführt worden. Ihnen folgten
mehr als zweihunderttausend Judäer, die Sanherib im
Jahre 701 nach Assyrien wegschleppte, bis schheßlich im
Jahre 586 Nebukadnezar den Tempel auf Zion zerstörte
und den Rest Gesamtjudäas nach Babylonien in die Ge-
fangenschaft abführte. Und als dann Jaho sich seines
Volkes erbarmen wollte, als er unter allen Königen der
Erde nach einem gerechten König Umschau hielt und den
Perserkönig Cyrus zu seinem, Jahos, Messias oder Ge-
salbten erkor, damit dieser Jahos Verheißungen zur Wirk-
lichkeit mache und Jahos auserwähltes Volk in das ,, ge-
lobte" Land zurückbringe, und Cyrus in der Tat im
Jahre 538 den Juden die Rückkehr nach Palästina und
den Wiederaufbau des jerusalemischen Tempels gestattete
— da geschah das von keinem Propheten Vorausgesehene,
von keinem für möglich Gehaltene, daß die überwältigende
Mehrzahl des jüdischen Volkes auf Zion und Jerusalem,
auf Vaterland und Verehrung Jahos freiwillig verzichtete
und es vorzog, in dem von seinen Propheten systematisch
vor aller Welt bis auf den heutigen Tag ,, stinkend ge-
machten" Babylon zu verbleiben, einzig und allein an-
gelockt durch die in dem unermeßlich reichen babyloni-
schen Lande sich darbietenden unbegrenzten Möglichkeiten
raschen und leichten Gelderwerbs (üblicher Zinsfuß
20 Prozent). Diese freiwillige Nichtheimkehr des weit-
aus größten Teils des jüdischen Volkes, diese freiwillige
Aufgabe des Landes seiner Väter, diese vor den Augen
der ganzen Welt vollzogene Verleugnung Jahos und seiner
104 Schlußbetrachtung.
Propheten bildet einen niclit abzuwaschenden Schandfleck
auf der Geschichte des jüdischen Volkes und enthüllt
gleichzeitig in nacktester Weise dessen ureigentlichen
Charakter. Denn so unumstößlich es ist, daß Jaho und
Jahos Kultus an das gelobte I^and und an Jerusalem, ,,auf
das allein Jaho seinen Namen gesetzt", unauflöslich ge-
bunden war, so unumstößlich dokumentierte das jüdische
Volk durch seine Nichtheimkehr, daß ihm gleich seinen
Vorfahren der Dienst des goldenen Kalbes vor dem Kultus
Jahos weit vorging, und daß ihm schon damals sein
Nationalgott Jaho nur als Mittel und Werkzeug zu rein
irdischen Zwecken diente, nämlich zur Erhaltung der
jüdischen Rasse, zur Festigung des jüdischen NationaUs-
mus und zur Erreichung der ihm von seinen Propheten
gewordenen, sehr weltlichen Verheißungen des größten
und mächtigsten, alle Reichtümer der Völker in sich auf-
nehmenden Volkes. Das jüdische Volk drückte sich damit
mit vollkommen klarem und bewußtem Willen das Kains-
zeichen eines ,, unsteten und flüchtigen", eines vaterlands-
losen oder internationalen Volkes auf, das zwar den Ge-
boten seines Gottes Jaho schnurstracks zuwiderhandelte,
seinen Namen aber dazu gebrauchte bzw. mißbrauchte,
seine ihm zweckdienlich scheinende Absonderung von allen
übrigen Völkern der Erde aufrecht zu erhalten. Und so ist
es geblieben bis auf diesen Tag. Wie viele Briefe habe ich
zur Babel-Bibel-Zeit von Intellektuellen des jüdischen
Volkes aller Länder erhalten, in welchen sie einerseits zu-
geben, daß „die partikularistische Gottesverehrung des
Judentums eigentlich aufgegeben werden müsse, wie ja
auch der Kultus blutiger Opfer, die mosaischen Priester-
vorschriften und hunderterlei anderes veraltet und ab-
getan" sei, aber andererseits die Überzeugung aussprechen,
,,daß nur dieser partikularistisch-egoistische Gottesglaube
das Judentum als Nation erhalten habe und weiterhin zu
erhalten imstande sei". Also ganz so, wie bereits Goethe
urteilte, wenn er sagt: „Das israelitische Volk hat niemals
Die jüdische Grfalir. I0<
viel getaugt, wie es ihm seine Anführer, Richter, Vor-
steher, Propheten tausendmal vorgeworfen haben; es
besitzt wenig Tugenden und die meisten Fehler anderer
Völker; aber an Selbständigkeit, Festigkeit, Tapferkeit
und, wenn alles das nicht mehr gilt, an Zäheit, sucht
es seinesgleichen. Es ist das beharrlichste Volk der Erde;
es ist, es war, es wird sein, um den Namen Jehova durch
alle Zeiten zu verherrlichen."
Wir haben wiederholt (S. 28 und 52 f.) auf schreiende
Widersprüche zwischen Wahrheit und Dichtung hinge-
wiesen. Auch bei dieser Betrachtung drängt sich ein
solcher Widerspruch auf. Wie schön heißt es doch in der
Dichtung eines nach Palästina heimgekehrten jüdischen
Sängers (Ps. 137) : ,,An den Bächen Babels saßen wir und
weinten, wenn wir an Zion gedachten", während die
prosaische Wirklichkeit lautet, daß die meisten exilierten
Juden, in Kürze nach Millionen zählend, in Babylonien und
im Perser reiche blieben, und infolgedessen die verhältnis-
mäßig wenigen, zumeist dem Priester- und I^vitenstande
angehörenden heimgekehrten Exulanten trotz der Wieder-
herstellung des Tempels nur ein kümmerliches staatliches
Gemeinwesen begründen konnten, sodaß schheßlich nach
dem unglücklichen Ausgang der jüdischen Verzweiflungs-
kämpfe gegen die römischen Cäsaren auch noch der letzte
Rest des jüdischen Volkes über den Erdkreis zerstreut
wurde.
Es liegt auf der Hand, daß ein solches absichtlich vater-
landsloses oder internationales Volk für alle übrigen
Völker der Erde eine große, eine furchtbare Gefahr dar-
stellt. Schon die um zwei Jahrtausende vor 538 zurück-
liegende Zeit bietet ein überaus lehrreiches, obschon tief-
trauriges Beispiel, welche Gefahr die semitische Rasse
schon im allgemeinen für die übrigen Völker der Mensch-
heit darstellt. Im 5., 4. Jahrtausend v. Chr. lebte in
Babylonien, insbesondere im Süden des Landes, das hoch-
begabte, an Siimesart dem deutschen Volke vergleichbare
10 6 Schlußbetrachtung.
sumerische Volk, das in Kultur, Wertschätzung der Arbeit,
gesetzlichem Schutze des Eigentums, Pflichtgefühl, Gleich-
stellung von Mann und Frau, Heilighaltung der Familie,
Innigkeit des religiösen Gefühls, Pflege von Kunst und
Wissenschaft auf einer zum Teil noch heute nicht wieder
erreichten Höhe stand, das aber von den eingewanderten
Semiten (oder „Akkadern") im I^aufe der Jahrhunderte
so gründlich aus- und aufgesogen wurde, daß ohne die
Ausgrabungen unserer Tage selbst sein Name vergessen
geblieben wäre auf ewig. Die mindestens gleiche Gefahr
stellt das jüdische Volk dar, seitdem es freiwillig vater-
landslos geworden. Gleich das Perserreich mußte dies er-
fahren. Xerxes' Großwesir Haman glaubte seinen König
davor warnen zu sollen, daß auf persischem Boden ein
Volk wohne, „umhergestreut und doch zugleich abge-
sondert unter den Völkern durch alle Provinzen des
Perserreiches, mit grundverschiedenen Gesetzen und die
Landesgesetze nicht befolgend" (Esther 3*), und er glaubte,
dieser Gefährdung des Reiches nicht wehren zu können,
ohne dem König den Rat zur Ausrottung des jüdischen
Volkes zu erteilen. Aber der vom Perserkönig gebilligte
Plan wurde ruchbar, Esther, des Juden Mordochai Pflege-
tochter und Xerxes' Gemahlin, vereitelte ihn, worauf
Mordochai Rache nahm (wenige Jahrzehnte nachdem das
Perserreich das jüdische Volk als Gast in seinen Grenzen
belassen!), indem er an einem 13. und 14. Adar die Er-
mordung von 75 800 judenfeindlichen Bewohnern Susas
und der übrigen persischen Provinzen veranlaßte. Zur
Erinnerung an dieses große Morden feiert das jüdische
Volk noch heutzutage alljährlich das Purimfest (Anm. 48).
Und als weiterhin die Scharen des jüdischen Volkes
wie im Perserreich, so in allen großen Handelsplätzen
des Reiches Alexanders des Großen und später des rö-
mischen Reiches Niederlassungen gründeten, muß die für
die betreffenden Völker erstandene Sorge um die eigene
Wohlfahrt keine geringe gewesen sein, wenn Tacitus
Nachwort.
107
glaubte, das jüdische Volk als odium generis ßtumani be-
zeichnen zu sollen.
Auch das deutsche Volk wird beizeiten sich den vSchlaf
aus den Augen reiben müssen, um zu erkennen, daß die
jüdische Frage vielleicht diejenige von allen Fragen ist,
welche die ernsteste Behandlung erheischt. Zu ihrer
richtigen Würdigung auf Grund der Geschichte Israels bei-
zutragen, ist der Zweck dieses Büchleins.
Nachwort^
Seit Ostern 1914 (siehe das Vorwort) war die vorstehende
Schrift in ihren drei Hauptteilen nebst Anhang druckfertig
abgeschlossen. Ich veröffentlichte sie damals nicht, weil
ich ihren Inhalt immer von neuem zu überdenken be-
strebt war und bald danach der Krieg ausbrach. Nach
Beendigung des Krieges aber zögerte ich abermals, weil
mir unser armes Vaterland genugsam durch ,, Fragen"
aller Art durchwühlt schien, um auch noch die jüdische
Frage von neuem anzuregen. Nachdem diese aber während
der letztvergangenen Monate durch zwei Aufrufe in brei-
tester Öffentlichkeit aufgeworfen worden ist, glaubte ich
nicht länger warten zu sollen. Gleich der erste Aufruf
schien mir zu zeigen, daß die Veröffentlichung meiner
kleinen Schrift nach verschiedenen Seiten hin aufklärend
wirken könne. Der ,,Pro Palaestina" überschriebene und
von Ballod, Cohen (Reuß), Hans Delbrück, Erz-
berger, Gothein, Fehrenbach, Noske, Sombart
u. a. m, unterzeichnete Aufruf will dafür werben, daß
„das jüdische Volk, das von den herrschenden Nationen
in der Entwicklung seiner nationalen Eigenart gehemmt
wird, auf dem alten historischen Boden Palästinas eine
nationale Heimstätte jüdischer Kultur und Wirtschaft
errichte, die in allmählicher Entwicklung einen Teil des
jüdischen Volkes in sich aufnehmen soll", und daß eben-
') Ursprünglich datiert vom März 1920.
Io8 Nachwort.
damit ,,in der jüdischen Frage gründlich Wandel geschaffen
werde". Der zweite, vom „Arbeitsausschuß für Volks-
aufklärung des Volkskraft-Bundes" unterzeichnete Auf-
ruf will dem „gegenwärtig im ganzen Vaterland eifrig
geschürten, dem Ansehen deutscher Kultur völlige Ver-
nichtung drohenden Judenhaß entgegenwirken" und wurde
auch mir zugesandt mit der wiederholten Bitte, ,,als nicht-
jüdischer Volksgenosse über die Judenfrage zu urteilen".
Auch dieser Bitte glaube ich mit der Veröffentlichung
des vorstehenden Büchleins entsprochen zu haben.*
^) Siehe jetzt Anm. 49.
Anmerkungen
1 . Im Alten Testament zitierte, aber nicht erhalten gebliebene Schriften
sind: das „Buch der Kriege Jahos" (Nuai^*); das „Buch des Recht-
schaffenen" (Jos lo^' 2 Sa i"); ein „Tagebuch des Königs David"
(iChr27"); eine „Geschichte {sefer dibri) Salomos" (i Kö ii"); das
17- bzw. i5mal zitierte „Tagebuch der Könige Israels" bzw. „Tage-
buch der Könige Judas", woneben die Chronik ein ,,Buch der Könige
Israels" (i Chr 9^ 2 Chr 20^*), ein „Buch der Könige Israels und Judsis"
{2Chr27' 35^7 36^) imd ein ,,Buch der Könige Judas und Israels"
(16" 25" 28^' 32'^) zitiert (die beiden letzteren gemäß 2 Chr 32'*
eins mit dem erhalten gebUebenen ,,Königsbuch"?); d2is , .Tagebuch
der Könige Mediens und Persiens" (Esth 10'); ein ,,midrä8 des Buches
der Könige" (2 Chr 24^7); ,,KlageUeder" (2 Chr 3526). Andere verloren
gegangene, nach dem Namen ihres prophetischen Verfassers betitelte
Schriften siehe in Aimi. 39.
2. Siehe jetzt Friedr. Delitzsch, Die Lege- und Schreibfehler im
Alten Testament, Berlin, Georg Reimer, 1920, sowie Teil II S. 5 ff.
3. Zur Vermehrung von 67 männlichen Mitgliedern des Hauses Jakobs
auf 600 000 Männer im I<aufe von 430 Jahren schreibt mir Herr Geheim-
rat Prof. Dr. v. Luschan (auszugsweise) folgendes: ,,Die rein mathe-
matische Möglichkeit kann selbstverständlich mit vollster Sicherheit
bejaht werden, auch wenn nur die Söhne der Söhne, nicht auch die
Söhne der Töchter gezählt werden, wie ich denn persönlich überzeugt
bin, daß die alttestamentliche Angabe nur auf eine rein rechnerische
Kombination zurückgeht. Anthropologisch wird die Sache aber
anders aussehen. Da wird man fragen müssen, ob die Leute nicht
doch bald anfingen, in der näheren Verwandtschaft zu heiraten oder
irgendwie minderwertige Gatten zu wählen. Beides verdirbt die Rasse,
und es kommen dann nicht mehr regelmäßig drei einwandfreie Nach-
kommen auf jede Ehe; immer noch können einzelne Ehen mit 12 imd
mehr am Leben bleibenden Kindern vorkommen, aber das ändert
nichts am Gesamtergebnis. Das Problem kann ebenso von der physio-
logischen, von der pathologischen, von der rein geographischen, von der
rein sozialen Seite betrachtet werden — immer kommt man gleich-
mäßig zu dem Endergebnis, daß 600 000 Nachkommen eines einzigen
Stammvaters nach 13 — 16 Generationen theoretisch möglich, aber
IIQ AumerkuDgen.
praktisch so ganz überaus unwahrscheinlich sind, daß man von einer
praktischen Unmöglichkeit reden muß. Die praktische Er-
fahrung lehrt, daß im großen imd ganzen die Bevölkerungsziffern
sich mehr oder weniger gleich bleiben imd sich auch in Jahrtausenden
nur unwesentlich ändern. Ein Gebirgsdorf hat durch Jahrhunderte
gleichmäßig immer seine 500 bis 600 Einwohner. Usw. usw. Und
kurz gesagt: Mathematisch selbstverständlich, biologisch
unmöglich."
4. Nu 12. Die Erzählung von der Inschutznahme Mosis durch Jaho
selbst erinnert an eine ähnhche Inschutznahme Muhammeds durch
Allah in der 66. Sure des Koran.
5. Etgebnis der Mustenmg der israelitischen Stämme im zweiten Jahre
nach dem Auszug aus Ägypten (Nu i und 2) : Rüben 46 500, Simeon
59300, Gad 45650 (..Lager Rubens nach Süden": 151450); Juda
74600, Issachar 54400, Sebulon 57400 (..Lager Judas nach Osten":
186400); Ephraim 40500. Manasse 32200, Benjamin 35400 (,, Lager
Ephraims nach Westen": 108 100); Dan 62 700, Ascher 41 500, Naftali
53 400 („Lager Dans nach Norden": 157 600). Summa: 603 550.
6. Solange über die Lesung des hebräischen Tetragramms noch
keine Einigung besteht (Jahwe? früher falsch Jehova), schien es ge-
raten, für den israehtischen Nationalgott die imbestreitbar und im-
bestritten richtige Namensform Jahö (Jehö) zu wählen, welche durch
eine Fülle von Personennamen beglaubigt ist. Vgl. z. B. El-Jeh6-'Snäi
„zu Jehö stehen meine Augen", Jehö-näthän „Jehö hat gegeben", und
hundert andere mehr. Am Ende von Personennamen Jähü: Adönt-
jahü „mein Herr ist J.", 'Azar-jähü „geholfen hat J.", und viele andere.
S. weiter Anm. 22, sowie Teil II S. 10 ff.
7. Ergebnis der zweiten Musterung (Nu 26''^): Rüben 43 730, Simeon
22 200, Gad 40 500, Juda 76 500, Issachar 64 300, Sebulon 60 500,
Ephraim 32 500, Manasse 52 700, Benjamin 45 600, Dan 64 400, Ascher
53 400, Naftali 45 400. Summa: 601 730.
8. Der Amtsname hassöterim (z. B. Jos i^" 3^) ist sehr allgemeiner
Bedeutung wie Aufseher, Amtmann u. dgl. Ob die Gnmdbedeutimg
,, Schreiber" oder „Ordner" ist, bleibt noch zu xmtersuchen.
9. Die Gegend an der Mauer oder am Walle einer Stadt scheint auch
bei den Babyloniem eine ziemlich verrufene gewesen zu sein. An der
Mauer der Unterwelt den Wohnort angewiesen zu erhalten, gilt nach
der Legende von Istars Höllenfahrt als eine besondere Verdammnis,
ja das sumerische Wort (gime) kar-gi scheint die harimäte, die Ver-
führerinnen des Mannes, ebenfalls nach ihrem Wohnort am käru oder
Wall zu benennen. Vgl. auch iKö2 238.
10. Wie alle übrigen kanaanitischen befestigten Ortschaften hatte
auch Jericho nur Ein Haupttor. Aus dem Alten Testament vgl. Ri 1 6* ♦•,
Anmerkungen. III
wonach Simson „das Stadttor von Gaza" auf den ücrg trug. Ein gleiches
bezeugen die El-Amama- Briefe: Turbazu, Zimrida von Lakiscb, Japti-
hadda wurden ermordet im „Stadttor von Zilü" , das ist hebräisch
Sela' (Kn 164*'-"). Je lün Tor hatten Gaza und Joppe (Kn 2963*').
desgleichen Megiddo (244**). Die off ensichtlich verderbte Stelle i Sa 17'*
(,, die Tore von Ekron") kann nicht dagegen in Betracht kommen. Noch
heutzutage haben in Babylonien kleinere ummauerte Ortschaften der
leichteren Verteidigung wegen nur Ivin Haupttor.
11. Nach Guthe's Kurzem Bibelwörterhuch fußt die Erzählung vom
Jordanwuuder auf einer natürlichen Erscheinung, die sich in Zwischen-
räumen von vielen Jahrhimderteu beobachten lasse: daß nämlich in
der Nähe von ad-Ddmije (vgl. Jos 3^®) die 15 — 20 Meter hohen, aus
lockeren Mergelmassen bestehenden Jordanufer, sobald sie genügend
unterwaschen sind, hinabstürzen, das alte Flußbett versperren imd
die Wasser in ein neues zwingen. Im Jahre 1267 habe eine völlige
Abdämmung des Flusses für etwa zehn Stunden stattgefunden.
Ob mit solchem obendrein wenig befriedigenden Versuche einer
uatürhchen Erklärimg des Wimders diesem selbst nicht zu viel Ehre
angetan ist?
12. Da das israelitische Heer gleich dem babylonischen in Abteilungen
von 10, 100, 1000, 10 000 Mann gegliedert war (s. z. B. Ri 20^° und vgl.
decurio, centurio), so ist es das Nächstliegende, den hebräischen Terminus
hamüsim etymologisch mit dem Zahlwort für 5 in Verbindung zu bringen:
„gefünftet", das ist ,,in Zahl von fiinfen geordnet" meinte ursprünghch
vielleicht die kriegsmäßige Marschordnung und wurde dann verall-
gemeinert zur Bed. ,, gerüstet". Daß auch bei der israehtischen Reiterei
die kleinste Abteilung aus 5 Reitern bestand, darf vielleicht aus 2 Kö 7 ^'
geschlossen werden.
13. Die Übersetzung von hebräisch meassef durch ,, großer Haufe"
in Kautzsch's Bibelübersetzimg ist sprachlich und sachlich unmögUch,
ebenso ist die Wiedergabe von 'eqeb 8^^ durch ,, Nachhut" falsch. Übri-
gens bleibt imklar, ob die ,, Nachhut" aus Priestern oder aus Kriegern
gebildet war.
14. Ich verdanke diese Berechnungen der Güte von Herrn Prof.
Dr. Ernst Herzfeld, der in seinem Briefe an mich noch weiter folgendes
bemerkt: ,,Von anderer Seite erheben sich gegen die Zahl von 531 150
die gleichen Bedenken: wie konnte man über 500 000 Mann bei der Be-
lagervmg eines so winzigen Objektes wie Jericho verwenden? Oder:
wie wollte man über 500 000 Mann bei einer solchen Belagerimg oder
bei Märschen, besonders in Steppengebiet ernähren? Irgendwelche
Korrektur der Zahl scheint mir müßig, sie muß falsch sein. Hinzufügen
möchte ich noch, daß 440 Mann, wenn sie sich die Hände geben, oder
etwas bequemer gerechnet 450 Mann die Mauern von Jericho umspannen
112 Anmerkungen.
können. Oder: in Bogenschußweite von der Mauer würden 1333 Mann,
Schulter an Schulter stehend (sehr eng, etwas bequemer 1250), genügen,
eine geschlossene I<in:e zu büden. Wenn die I/änge der Prozession die
Hälfte des Mauerumf angs betrüge, würden in Ghedem zu fünf 3125 Mann
Platz finden. Selbst diese Zahl scheint mir, wenn man sich eine Vor-
stellung von der Zahl der Belagerer von Jericho machen will, schon
hoch gegriffen. " Und betreffs der vorauszusetzenden Einwohnerzahl
Jerichos bemerkt Prof. Herzfeld: ,,Der Flächeninhalt von Jericho be-
trägt nur 35 000 qm. Das ist sehr wenig. Ninewe z. B., allerdings die
größte Stadt des babylonisch-assyrischen Altertums, hatte 6 640 000 qm,
war also igomal so groß. Das heutige Mosul deckt mit seinen Mauern
2 916 000 qm, ist also mehr als 83mal so groß. Mosul hat — wie ich
als ziemlich sicher anzimehmen berechtigt bin — 60 000 Einwohner.
Seine Bevölkerungsdichte ist also 2916 000 : 60 000 oder auf 48,6 qm
I Einwohner. Nimmt man die gleiche Dichte — imd Mosul ist eine
relativ dicht bevölkerte Stadt — auch für Jericho an, so erhält man
zirka 725 Einwohner. Legt man eine noch etwas größere Dichte zu-
grunde, etwa die der Stadtteile Schöneberg, Steglitz von Berlin (30 000
Einwohner auf i qkm), so würde man 1050 Einwohner für Jericho er-
halten. Das wäre das Maximum, meines Erachtens schon zu viel,
denn Jericho ist eben sehr klein!" Hieraus ist ersichtlich, daß die Ort-
schaft Hä-'Ai, die gemäß Jos 7^ noch viel kleiner als Jericho war, im-
möglich 12000 Einwohner gehabt haben kann (Jos 8*^). Interessant
ist, daß trotz der Kleinheit Jerichos sein Areal immerhin noch mehr als
doppelt so groß war als das der zweiten Stadt von Troja.
15. Die ElriegsUst der I<egimg eines Hinterhaltes brachte wie Hä-"Ai
so auch Gib'a (s. S. 47) zu Fall. Auch Saul legt den Amalekitem einen
Hinterhalt (iSais'). Siehe weiter Jer 51". In der Wundererzählung
2Chr2o" müssen tneärebtm die Vernichtung des feindlichen Heeres
herbeiführen, ohne daß nach ihrer Herkunft gefragt wird.
16. Siehe bereits Babel und Bibel II Anm. 20: ,,Wie heutzutage
Damaskus mit seiner reichbewässerten Aue den arabischen Beduinen
als der Abglanz des himmlischen Paradieses erscheint, so bildete für die
semitischen Nomadenstämme des Altertums der Euphrat, der Strom,
wie er auch von den Hebräern schlechtweg genannt wurde, mit den
von ihm bewässerten beispiellos fruchtbaren Landstrichen den Inbegriff
alles Begehrenswerten. Selbst das von Milch und Honig fließende ge.
lobte Land erschien den Kindern Israel unvollkommen, wenn es sich
nicht bis zum Euphrat erstreckte. Darum lesen wir Ex 23*^ zu Mose
gesprochen die Worte Jahos: ,,ich mache dein Gebiet vom Schilf meer
bis zum Meer der PhiUster und von der Wüste bis zumStrom" —
die Verheißung ist, wie ein Blick auf das Kärtchen leicht begreiflich
macht, niemals in Erfüllung gegangen.
Anmerkungen.
"3
17. Daß Saul (i Sa 14*^), David (2 Sa 8. 10) und Salomo (2Chr8'
zeitweilige Erfolge über die Aramäer von Damaskus und Zoba er-
zielten, was dann i Kö 5 • dahin aufgebauscht wird, daß Salomo
„über ganz Transeuphratien von Tifsach bis Gaza geherrscht" habe,
kann natürlich an dem Urteile auf S. 37 nicht das Mindeste ändern,
so wenig wie das 2 Kö 14*' von Jerobeam II. Berichtete. Gegen
die vermeintliche Nennung Tadmor-Palmyra's in Verbindung mit
dem Namen Salomos 2 Chr 8" siehe bereits 1 KÖ9**, — Was, bei-
läufig bemerkt, Tifsach, das ist Thapsakus, betrfft, so schreibt mir
Ernst Herzfeld folgendes: ,,In der ^»-cÄäo/ogtÄCÄen Arne von Sarre
und mir habe ich im 3. Kapitel des I. Bandes ausführlich über Thapsakus
gehandelt. Der große Ruinenhügel existiert, er war eigentlich nur über-
sehen. Es ist der Hügel al-Thadayain oder Qyzlar Memesi, der gerade
da hegt, wo die von Tudmur über Rusäfa herkommende Straße den
Euphrat erreicht. Der Pimkt hegt ganz wenig oberhalb von Süriyya,
dem alten Süra, Sure. Bei Dibsi, woran für Tifsach auch gedacht
wurde, sind keine Reste höheren Altertums."
18. Gemäß gütiger Mitteilimg von Herrn Prof. Dr. Ernst Herzfeld
ist die Längenausdehnimg von Berseba bis Jerusalem 140 km (so weit
wie Berlin — Leipzig), die von Jerusalem bis Damaskus 215 km (Berlin —
Weimar). Das sind gerade Luftlinien, die sich durch die Windungen der
Wege in Natur wohl um 10 Prozent verlängern würden. Die Gesamt-
länge von Juda und Israel oder von Berseba bis zur Linie Sidon —
Damaskus beträgt 330 km, das ist etwa Berlin — Lichtenfels. Die
Flächenausdehnimg des Gebiets von der Linie al-Arisch — Berseba bis
Delitrsch, Die grosse Täuschung. g
jjA Anmerkungen.
zur Linie Sidon — Damaskus westlich des Jordantales ist 20 600 qkm,
die Flächenausdehnung des von letzterer I^inie aus nördlichen Gebietes
bis zur Linie Antiochia — Aleppo — Euphrat 30 500 qkm.
19. Auch mit diesen „sieben großen imd starken Völkern" ist es eine
bedenkliche Sache. Ist es schon an sich mehr als imwahrscheinlich,
daß auf dem beschränkten Boden Palästinas (seiner Längenausdehnung
nach der von Berlin — Lichtenfels entsprechend, s. Anm. 18) sieben
„große" Völker gleichzeitig gewohnt hätten, so läßt sich aus dem
Alten Testamente selbst mit aller Sicherheit nachweisen, daß die Jebu-
siter nur einen kleinen Bestandteil des amoritischen Volkes bildeten.
Von den Perizzitem imd Chiwwitem ist das gleiche mehr als wahrschein-
lich, die Girgesiter aber waren so unbedeutend, daß sie Ex 3 *• ^' unter der
Zahl der ausgerotteten Völker überhaupt nicht erwähnt werden. So
bleiben nur die Amoriter, Kanaaniter imd Hettiter. Inwieweit die
Trennung eines kanaanitischen imd amoritischen Volkes berechtigt ist,
ist zur Zeit zwar noch nicht zu entscheiden, doch scheint einstweilen
die Unterscheidung von Amoritem und Kanaanitem ledighch geo-
graphisch, aber nicht sprachlich und ethnographisch berechtigt, indem,
wie das Alte Testament wiederholt mit Recht bemerkt, die Amoriter
auf dem Gebirge, die Kanaaniter in den Küstenstrichen am Mittelmeer
wohnten. Was aber die Hettiter anbelangt, so gab es wohl zu der
Zeit, da die Hebräer in Kanaan eindrangen, vereinzelte hettitische
Niederlassungen im Lande (einer solchen gehörte z. B. der Stadtherr
von Jerusalem an), wie ja die Hettiter schon seit früher Zeit mit Ägypten
um die Vorherrschaft in Palästina stritten und einzelne Stadthäupter
des vorhebräischen Amoriterlandes hettitische Namen tragen, aber
das Volk der Hettiter als solches wohnte und herrschte in Femen, die
von Israel niemals erreicht wurden, sodaß die Vertreibung oder Aus-
rottung des Hettitervolkes, um den mildesten Ausdruck zu gebrauchen,
eine Übertreibung ersten Ranges ist. Die Siebenzahl der besiegten
Völker gibt sich als eine der beliebten Übertreibungen zur größeren
Verherrlichung Jahos und Israels. Übrigens genügte einem Erzähler
auch die Siebenzahl noch nicht, sondern er erweiterte sie zur Zehnzahl
(Gen 15^^""^^), indem er die Qßniter und Qenizziter und Qadmoniter hin-
zufügt, gleichzeitig die Chiwwiter durch die Rephaiter ersetzend, welch
letztere die allerälteste Bevölkenmgsschicht Kanaans bildeten (Anm. 24).
20. Die Übersetzung des hebräischen sir'ä durch „Hornisse" ist sach-
lich wenig passend: hassir'ä wird von Jaho unter die Kanaaniter ge-
sandt, sodaß auch die Übriggebliebenen und Versteckten vor Israel
umkamen (Dt y^'^; wird vor Israel her gesandt zur Verjagimg der
Feinde (Ex 23"), z. B. der zwei Amoriterkönige (Jos 24"). Vielleicht
ist eher an jähen, lähmenden, ,, panischen" Schrecken oder ähnliches zu
denken.
Anmerkungen . 1 1 5
21. Siehe bereits Babel und liibcl III S. 39 f.: Wie unentbehrlich
jenen Seinitcustämmen ein besonderer Gott als Spitze und Repräsentant
der Volkseinheit erschien, zeigt sich eklatant bei dem assyrischen Volke.
Als in der zweiten Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrtausends die in die
nachmalige Landschaft Assyrien vorgedrungenen semitischen Babylonier
sich zu einem selbständigen Staatswesen entwickelten, gaben sie sich so-
fort, unbeschadet des mitgebrachten sumerisch-akkadischen Pantheons,
ihren besonderen, ursprünglich sogar jeder Partnerin entbehrenden
Nationalgott: Aschur ( Asir , A^sitr ) , den ,, heilbringenden", ,, heiligen"
Gott, der ,,sich selbst gezeugt", der auch nicht mit der Natur oder
irgendwelcher Naturkraft verknüpft war, sondern, hoch über allem
stehend, als der Urgrund aller Dinge, als der Vater, Herr und König
aller Götter gedacht und verehrt wurde. Wie Jaho Ps 1362'- ,,der
Gott der Götter, der Herr der Herren" genannt ist, so wiude es Aschur
genau so, und wenn in Israel der Ruf erscholl: ,,Wer ist wie Jaho
unter den Göttern?", so erklang es am Tigris: ,,Wer ist wie Aschur
unter den Göttern?" Die Fürsten aber über das assyrische Volk
waren ,, Priester Aschurs", von der Urzeit her von Aschur auserwählt,
ihm als Priester zu dienen.
22. Daß Jähö, Jähü als Name des Hebräergottes hundertfach bezeugt
ist, wurde bereits in Anm. 6 bemerkt, imd daß auch das bekannte
Tetragramm Jahö oder Jehö zu lesen ist, glaube ich beweisen zu köimen.
Ein etymologischer Zusammenhang mit dem hebräischen Stamm hüwa
oder gar häjä ,,seiu" ist jedenfalls — trotz Ex 3^* — ausgeschlossen.
Siehe Teil II S. 10 ff. nebst Anm. 2. Jehö, Jähü war einer der vielen
von den verschiedenen amoriti sehen Völkerschaften verehrten Götter
wie Melech, Sedeq, war auch den in Babylonien eingewanderten Amori-
tern unter dem Namen Jahum bekarmt und scheint unter den Kanaan
tmd dessen Nachbarländer bewohnenden Amoritem vor allem von den
Midianitem verehrt worden zu sein, da der brennende Domstrauch,
die Stätte von Jahos erster Offenbarung an Moses, auf midianitischem
Gebiete sich befand. Der Name von Mosis Mutter Jochebed dürfte lehren,
daß Jahos Verehrung bereits zu Mosis Eltern gelangt war. Es wird sich
wohl auch noch herausstellen, daß der Gott Jaho ebenso wie der Gott
Scheba' (s. S. 102) und die Göttin Astarte, Aschera der Zahl derjenigen
amoritischen Gottheiten zugehört, die in Babylonien beheimatet waren,
und daß sein Name den „Erhabenen" bedeutet, in Übereinstimmimg
mit dem gleichbedeutenden El saddai. Siehe hierfür die Neuausgabe
von Babel und Bibel I, Leipzig 1921. — Beiläufig ein Wort über den
zu Mosis Zeit auf der Sinaihalbinsel angesiedelten Zweig der Midianiter.
Die in Boghaz-köi gefundenen Staatsverträge haben uns die interessante
Tatsache gelehrt, daß das W' andern von Volk zu Volk in jener alten Zeit
sehr beliebt war: Untertanen des Hettiterkönigs wanderten in großen
Ij5 Anmerkungen.
Scharen in das Land Isüa, Bewohner des Landes Kizzuatni wanderten
bald nach dem Harri-Land, bald ins Hettiterland. Es dürfte dies die bis
dahin sehr befremdliche Tatsache erklären, daß Pethor, die am Euphrat
gelegene Heimat Bileams, gemäß Nu 22 ^ auch Moabiter zu Bewohnern
halte, und daß gemäß Gen 36^^; i Chr i ** einer der Edomiterkönige aus
Rechoboth ,,am Flusse", das ist dem Euphrat, stammte. So mögen
auch die auf der Sinaihalbinsel seßhaft gewordenen Midianiter sich
von ihrem östlich vom Toten Meer zeltenden Hauptstamme getrennt
haben, wie von einem Zweige des Wüstenstammes der Qeniter durch
Ri 4^^ ausdrücklich bezeugt wird, daß er nach Nordpalästina aus-
gewandert sei. Vgl. auch Thr 4^^.
23. Wie tief eingewurzelt bei den semitischen Völkern der Glaube
war, daß jedes Volk, jedes Land seinen Spezialgott habe, der nicht
nur ausschließlich auf dem Boden seines Landes, sondern auch genau
nach seinesLandesSitte verehrt sein will und nur nach dieser
verehrt werden darf, lehrt die Stelle 2 Kö 17^^—**. Wir lesen dort,
daß, solange die nach Samaria verpflanzten Völkerschaften aus
Babel, Kutha, Hamath usw. ,,Jaho nicht fürchteten" und den
Kultus des ..Landesgottes" nicht kannten, Jaho sie mit Löwen heim-
suchte, bis auf Befehl des assyrischen Königs einer der weggeführten
israelitischen Priester nach Bethel zurückkehrte und jene Völker in
der Verehrung Jahos unterwies. Gleiches tat Sargon II. (gemäß
Sarg. Cyl. 74) mit den von ihm in seiner Sargonsstadt angesiedelten
vielsprachigen Völkerschaften: er ließ sie durch hierzu besonders
befähigte Assyrer in der ,, Furcht Gottes und des Königs" imterweisen
(märe Assür tniXdüt(e) tni kaläma ana sühuzi sibitteji paläh ili u ~sarri
akle säpirS uma'irsunüti). Aus Babel und Bibel III S. 43 f. nebst
Anm. 44.
24. Über die voramoritischen Bewohner Kanaans besitzen wir nur
dürftige Nachrichten. Das Deuteronomium enthält die Notiz, daß
den Moabitem die Emiter (2^'"-), den Edomitem die Choriter {2^- ^'^,
den Ammonitem die Zamzummiter {2^"'), den Kaphtoritem die 'Awwiter
{2^') voraufgegangen seien. Außerdem nennt die im Alten Testament
erhaltene ÜberUefenmg als ältere Bewohner des Ost- wie Westjordan-
landes die 'Anäqim, ein Volk von sehr hohem Körperwuchs, dem gegen-
über sich die Isr achten so klein wie Grashupfer vorkamen. Sie hätten
zum Teil bis in die Zeit der hebräischen Einwanderung fortbestanden.
Josua habe sie zwar aus dem Gebirg, aus Hebron. Debir, 'Anäb imd
dem ganzen Gebirg Juda und Israel ausgerottet imd mitsamt ihren
Städten gebannt, jedoch seien Anaqiter in Gaza, Gath, Asdod, also im
Philisterland übrig gebheben. Sie scheinen mit den Rephaim, als welche
die Urbewohner von Basan, Ammon, Moab galten. Eines Stammes
gewesen zu sein; für Rephaiter in Gath s. 2 Sa 2 i^o- 22; i Chr 20®- ^.
Anmerkungen. II7
25. Die allernächste Verwandtschaft der Sprache der Amoriter und
der Hebräer ist so oft behandelt und bewiesen worden, daß hier nicht
weiter darauf eingegangen zu werden braucht. Nur erinnert sei an
das beiden Sprachen gemeinsame Pronomen der i. Pers. Sing, anöki
,,ich". Die Verwandtschaft erstreckt sich bis auf Redensarten. In
letzterer Hinsicht verdient besondere Hervorhebung, daß die im Alten
Testament so beliebte Redeweise: Jaho habe Jerusalem erwählt, , .seinen
Namen dort wohnen zu lassen" (z. B. Dt 12'- ") bzw. „seinen Namen
dorthin zu setzen" (1 Kö 14''*) genau so und ebenfalls mit Bezug auf
Jerusalem in dem Schreiben des dortigen Stadtherm an den Pharao
sich findet: „Siehe I der König hat seinen Namen auf Jerusalem gesetzt
für ewig" (Kn 287^'-).
26. Die Wiedergabe des 'Ajin von 'Ibrt durch h ist korrekt. Daß aber
76rl = älterem 'Abrt, wird durch die Beobachtung nahe gelegt, daß
hebräisch a in doppelt geschlossener Silbe mit Vorliebe in t übergeht,
vgl. hebräisch Hittt = Hattt imd den Stadtnamen Timnä = Tamnä.
27. Vgl. bereits Babel und Bibel III S. 44 f.: So und nicht anders
wird auch das sonst Unbegreifliche begreiflich, warum die in Kanaan
eingedrungenen Israeliten, hoch und niedrig, sozusagen mit Natur-
notwendigkeit dem Kultus ihres neuen kanaanäischen Heimatlandes,
der Verelirung Baals und Ascheras auf altheihgen Höhen, verfielen,
und die vorexilischen Propheten, trotz des unermüdlichen Kampfes,
den sie für Jaho gegen die kanaanäische ,, Abgötterei" ihrer Volks-
genossen kämpften, einen dauernden Erfolg nicht zu erringen ver-
mochten. Es war ein wahrhaft dramatischer Kampf, den diese be-
geisterten, sittenstrengen Männer mit der ganzen Glut heiliger Leiden-
schaft, mit hinreißender Beredsamkeit und mit allen Mitteln an Ver-
heißungen und Drohungen unablässig gegen Könige, Priester und Volk
führten, um Israel auch auf dem Boden des nur teilweise eroberten
Kanaanäerlandes bei dem Gotte seiner Väter zu erhalten und das
Volk Israel als eine politisch und religiös in sich geschlossene Einheit
rein und unvermischt zu erhalten. Es blieb vergebliche Mühe, es
mußte dies bleiben.
28. In der Wiedergabe von hebräisch ökel hammö'ed durch ,, Stifts-
hütte" ist ,, Hütte" jedenfalls falsch, es muß ,,Zelt" heißen. Die Über-
setzxmg des anderen Namensbestandteiles mit ,, Stifts-" ist ebenfalls
falsch, sie wurde einstweilen nur beibehalten, da eine absolut sichere,
allgemein anerkannte Erklänmg des betreffenden hebräischen Wortes
nicht existiert. Die Übersetzimg in Kautzsch's Bibelübersetzvmg ,,Offen-
banmgszelt" ist gegen Etymon und Wortgebrauch des hebräischen
tnö'ed. Die nächstliegende Deutung ist ,,Zelt, da man sich trifft, Treff-
oder Versammlungszelt", wobei man unwillkürlich an das noch heut-
zutage bei jeder größeren Zeltniederlassung befindliche sog. mudtf
Il8 Anmerkungen
denkt, nur daß mit dem alttestamentlichen , .Treffzelt" nicht allein das
Zelt gemeint ist, woselbst sich die ganze Gemeinde versammelt oder
trifft, sondern zugleich der Ort, an welchem Jaho mit Moses zusammen-
trifft, ihm sich zu offenbaren, mit ihm in einer Wolkensäule zusprechen
(Ex 33), ,, persönlich mit Moses zu reden, wie jemand mit seinem Freund
redet" (V. ii).
29. Nach neuerer Ansicht christlicher Theologen wäre die ,,Bimdes-
lade" oder die ,,I<ade Jahos" überhaupt kein Kasten gewesen, in welchem
zwei Steintafeln oder sonst zwei heilige Steine verwahrt gewesen seien,
sondern vielmehr ein kastenähnlicher Sessel, auf welchem Jaho thronend
vorgestellt worden sei. S. Martin Dibelius, Die Lade Jahves, Göt-
tingen 1906, und Herm. Gunkel, Die Lade Jahves ein Thronsitz,
Heidelberg 1906 (Sonderabdruck aus der Zeitschrift für Missionskimde
imd Religionswissenschaft, herausg. von D. Aug. Kind in Berlin).
30. Für den vermeintlichen Aussatz (hebräisch sära'ai) im Buche
Leviticus beachte den außerordentlich lehrreichen Aufsatz von P. G.
Unna, Ein typischer Fall von ,, Papierwissenschaft" (Sonderabdruck
aus: Das monistische J ahrhimdert) .
31. Daß sefer hattörä ,,ein Gesetzbuch" bedeuten kann, bedarf wohl
kaum eines Beweises. Auch Kautzsch's Bibelübersetzung gibt in dem
Königsgesetze (Nr. 98 des Anhangs) misnß hattörü durch ..eine Ab-
schrift des Gesetzes" wieder. Um so seltsamer ist es, daß in den text-
kritischen Anmerkungen des eben zitierten Buches bezweifelt wird,
daß "sir hamma'alöth ein Pilgerlied bedeuten könne. Aber beachte
is hä-el6htm „ein Mann Gottes", is hä-adämä „ein Sandmann" (Gen g^"^).
'in hammajim „eine Wasserquelle" (Gen 16') usw.
32. Die Schwäbische Kronik (des Schwäbischen Merkurs zweite Ab-
teilung) Nr. 143, 30. März 1903, enthielt in einem kleinen Artikel über
Hammurabi die folgende Stelle : ,,Für diejenigen, die sich für die Ge-
setzgebung des großen Königs Hammurabi interessieren, sei hier mit-
geteilt, daß hierüber die Nr. 5 vom i. März dieses Jahrgangs der
Deutschen Juristenzeitung einen längeren Aufsatz des Amtsgerichtsrats
Dr. Schmersahl unter dem Titel: ..Das älteste Gesetzbuch der Welt?"
enthält, der eine vollständige Übersicht über die haiiptsächlichsten
Grundsätze dieses ältesten Rechts unter Vergleichung mit dem alt-
jüdischen, dem römischen und dem älteren deutschen Rechte gibt.
Schon aus der kurzen Aufzählung in jenem Aufsatz geht hervor, daß
wir es mit einem, besonders auch in sittlicher Hinsicht, hoch
entwickelten, vielfach dem mosaischen Recht weit über-
legenen Gesetzeswerk zu ttm haben". (Babel und Bibel // Anm. 11.)
33. Schon Dillmann, Kommentar zu den Büchern Exodus und
Leviticus, S. 201, kam zu dem Schluß, daß uns die zehn Gebote in
,,zwei verschiedenen Rezensionen vorliegen, die überhaupt nicht
Anmerkungen. IIQ
unmittelbar auf die Tafeln, sondern auf anderweitige Auf-
zeidinungcn zurückgehen".
34. Siehe hierfür im „Anhang" die Bemerkungen zu den betreffenden
alttestamentlichen Gesetzen, sowie die Neuausgabe von Babel und
Bibel I.
35. Die Stelle Dt 4" wird von Dillraauu, Die Bücher Numeri,
Deuieronomiunt und Josua, I^eipzig 1886, S. 256, in folgender Weise
kommentiert: welche Jahve allen Völkern zu.ueteilt hat, nämlich: ,,daß
die Völker ihnen dienen (vgl. 29"). Jedoch ist das nicht dabin ab-
zuschwächen, Gott habe es zugelassen, daß die Heiden sie sich zur
Anbetimg wählen; vielmehr besagt der Ausdruck, daß die Verehrung
der Gestirne durch die Völker im Willen des weltregierenden Gottes
begründet sei. Das, was faktisch besteht, wird auf den Willen Gottes
zurückgeführt: nachdem einmal das Gottesbewußtsein bei den Völkern
verfinstert war, werden ihnen diese imponierendsten aller Natunnächte
(als Surrogat) zur Verehrung hingestellt; es ist Gottes Wille, daß die
Reste ihres Gottesbewußtseins sich (einstweilen) an diesen wach er-
halten." Daß der heilige, gnädige und gerechte Gott allen Völkern
des Erdkreises (außer Israel) Jahrtausende hindurch statt der reinen
Gotteserkenntnis das Surrogat eines in seinen eignen Augen ver-
dammungswerten Gestimdienstes dargereicht habe, ist ein Glaube, zu
welchem sich mein Gottesbewußtsein nicht aufzuschwingen vermag.
36. Näheres über die Stellung der Frau in Altbabylonien siehe in
meiner Schrift: Handel und Wandel in Altbabylonien, Stuttgart 19 10,
S.2lff.
37- § 37 ^^^ Assyrischen Gesetze lautet: Wenn jemand seine Ehe-
frau entläßt, so mag er, wenn er will, geben; wenn er nicht will,
braucht er ihr nichts zu geben, leer geht sie fort.
38. Siehe für diese alttestamentlichen Stellen Teil II Anm. 5.
39. Die Propheten schrieben und hinterließen Aufzeichnimgen der
zeitgenössischen Begebnisse. Zitiert finden sich innerhalb des Alten
Testaments die folgenden. Für die Geschichte Davids verweist
1 Chi 29** auf die ,,dibrS Samuels, des Sehers", die „dibri Nathans,
des Propheten", und die ,,dibr£ Gads, des Schauers". Auf die an zweiter
Stelle genaimten „dibri Nathans, des Propheten" verweist 2 Chr 9**
auch für die Geschichte Salomos. Diese letztere Stelle verweist für
die Geschichte Salomos gleichzeitig auf die „Prophetie Achijjas aus
Silo" und auf die „Schauung 'Iddo's (?), des Schauers, wider Jerobeam,
den Sohn des Nebät". Für eine ausführliche Geschichte Rehabeams
verweist 2 Chi 12^^ auf die „dibrS Schema'jä's, des Propheten" und
(die „dibri) 'Iddo's, des Schauers". Für eine ausführliche Geschichte
Jehöschafats verweist 2 Chr 20 3* auf die „dibri Jehu's, des Sohnes
des Chanäni" (auch für das Buch der Könige Israels verwendet). Und
J20 Anmerkungen.
an der Niederschrift der Geschichte des judäischen Königs Manasse
scheinen alle zu seiner Zeit wirkenden Schauer sich beteiligt zu haben,
s. 2 Chr 3 3^^'- Noch seien erwähnt ein „midras des Propheten 'Iddo"
für die Geschichte von Rehabeams Sohn Abijjam (2 Chr 13") und
ein Buch des Propheten Jesaia über den König Uzzia (2 Chr 26").
40. Das in Babel und Bibel II S. 16 ff. Gesagte finde hier seinen
Platz: „Von Jugend auf werden wir erblich beieistet mit der Wahn-
vorstellung eines vertierten Nebukadnezar, indem uns das
Buch Daniel erzählt (4^*"**), wie der König von Babel auf dem Dache
seines Palastes umhergewandelt sei und, nachdem er sich noch einmal
an der Herrlichkeit der von ihm erbauten Stadt ergötzt, vom Himmel
her die Weissagung vernommen habe, daß er, ausgestoßen aus den
Menschen, mit den Tieren des Feldes und nach Art der Tiere leben
solle. Daraufhin habe dann Nebukadnezar in der Wüste Gras ge-
fressen gleich den Stieren, benetzt vom Taue des Himmels, während
seine Haare wuchsen gleich dem Gefieder des Adlers und seine Finger-
nägel gleich Vogelklauen. Und doch hätte niemals, am wenigsten nach
dem Erscheinen von Eberhard Schraders Abhandlung ,,Die Sage
vom Wahnsinn Nebukadnezars" (in den Jahrbüchern für protestantische
Theologie Band VII S. 618 — 629), irgendein Erzieher der Jugend
solches lehren dürfen, ohne darauf hinzuweisen, daß uns die reinere
und ursprünglichere Form dieser Erzählung längst in einer bei Abydenus
überlieferten chaldäischen Sage bekannt ist. Diese erzählt, daß Nebu-
kadnezar, auf dem Gipfel seiner Macht angelangt, auf die Königsburg
gestiegen sei und, von einem Gotte begeistert, ausgerufen habe und
gesagt: „Ich hier, Nabukodrosor, kündige euch den Eintritt des Unheils
an, das abzuwehren weder Bei noch die Königin Beltis die Schicksals-
göttinnen zu überreden die Macht haben. Kommen wird Perses (d. i.
Cyrus) . . . und euch die Knechtschaft bringen. O möchte er doch,
bevor die Mitbürger zugrunde gehen, . . . durch die Einöde gejagt
werden, wo weder Städte noch die Fußspur eines Menschen angetroffen
werden, wohl aber wilde Tiere weiden und Vögel umherschweifen,
während er allein in Felsklüften und Schluchten umherirrt. Mir aber
möge . . . ein besseres Ende zuteil werden." Wer wollte hier nicht
einsehen, daß der hebräische Schriftsteller die babylonische Sage frei
umgestaltet hat, zumal da er in Vers 16 (,,da nahm Daniel das Wort
und sprach: Mein Herr! der Traum gelte deinen Feinden und
seine Deutung deinenWidersachern!") doch wohl durchblicken
läßt, daß ihm der ursprüngliche Wortlaut sehr wohl bekannt war!
Was Nebukadnezar dem Feinde der Chaldäer anwünscht, läßt der Ver-
fasser der im Buch Daniel gesammelten, an Irrtümern und Nachlässig-
keiten allerart überreichen Flugschriften Nebukadnezar selbst erleben,
um seinen von Antiochus Epiphanes verfolgten Volksgenossen möglichst
Anmerkungen. 121
drastisch die Wahrheit zu exemplißzieren, daß Jaho selbst den mäch-
tigsten König, der gegen ihn sich auflehnt, tiefst zu demütigen vermag.
41. Vgl. Paul II au pt, The Aryan Attcestry of Jesus, in Vol.XXlIl
Nr. 635 (April 1909) der Monatsschrift The Open Court. In Galiläa
gab es seh )n seit ca 732 v. Chr. keine Israeliten mehr, vgl. 2 Kü 15".
Siehe weiter Teil II dieser Schrift S. 50 II.
42. Siehe Babel und Bibel l (5, Ausg.) 35 ff-
43. Die Forderung, die deutschen Heldensagen in der deutschen Volks-
schule zu behandeln, wird erfreulicherweise mehr und mehr als berechtigt
anerkannt. Siehe unter anderem Dr. Otto Steiners Artikel ..Deutsche
Heldensage und deutsche Volksschule" (in Unterhaltungsbeilage der Täg-
lichen Rundschau vom 21. Dez. 1920), in welchem es mit Recht heißt:
,, Davon, daß die deutscheu Sagen einen geringen literarischen Wert
haben sollen, kann gar keine Rede sein. Das Nibelungenlied mit seiner
klangvollen Sprache und seiner dramatischen Wucht muß geradezu als
ein Meisterwerk bezeichnet werden. Kein Geringerer als Hebbel hat
das Nibelungenlied wieder aus seiner Vergessenheit hervorgeholt, und
Richard Wagner entnahm den StofiE zu seinen großen Tonwerken fast
ausnahmslos der deutschen Heldensage. Auch andere deutsche Dichter
fühlten sich von den deutschen Heldensagen angezogen, so hegt z. B.
einem bekannten Gedicht Uhlands die Sage von Kaiser Karls Paladinen
zugrunde. Außer dem Nibelungenlied bilden aber auch die anderen
deutschen Sagen ein wertvolles völkisches Gut: mit tückischen und
neidischen Zwergen, mit giftigen Drachen, welche kostbare Schätze
bewachen, mit starken Riesen, mit kraftvollem Heldentum und mit
minnigUchen Frauen werden wir bekannt gemacht. Es besteht, auch
vom nicht völkischen, rein literarisch wertenden Staudpunkt aus be-
trachtet, kein Zweifel darüber, daß die germanischen Sagen weit höher
stehen als die Sagen des Alten Testaments.
44. Vgl. aus Babel und Bibel II S. 36: ,,Die Stellung der Frau in
Israel war anerkanntermaßen eine niedrige von Kindesbeinen an. Wir
kennen aus dem Alten Testament kaum einen einzigen Mädchennamen,
der in herzhafter Weise, wie das bei den Knaben der Fall ist, freudigen
Dank gegen Jaho für die Geburt des Kindes bezeugte: alle die zärt-
lichen Benermungsweisen der Mädchen wie ,, Geliebte", ,, Duftige"
„Biene", „Gazelle", „Mutterschaf" (Rahel), „Wildkuh" (I<ea) , „Myrte"
und , .Palme", , .Koralle" und , .Krone" können nicht darüber hinweg-
täuschen (vgl. jetzt auch die Bemerkung über die Namen wie Elisabeth
auf S. 102 dieser Schrift). Die Frau ist Eigentum ihres Mannes; sie ist
eine wertvolle Arbeitskraft, der in der Ehe ein großer Teil der schwersten
häuslichen Geschäfte auferlegt ist; sie hat, von ihren I<eibsklavinnen
abgesehen, kein Eigentum, über das sie frei verfügen könnte; sie ist,
wenigstens nach Josephus, zum Zeugnisablegen nicht befähigt; sie ist
122
Anmerkungen.
obenan, wie im Islam, zur Ausübung des Kultus unfähig (vgl.
Ex 23" 34" Dt 16*®: „dreimal im Jahre soll all dein Männliches
vor Jaho erscheinen"). All das war in Eabylonien anders und besser:
wir lesen z. B. in der Zeit Hammurabi's von Frauen, die sich ihren
Sessel in den Tempel tragen lassen; finden die Namen von Frauen als
Zeuginnen unter Rechtsurkunden, u. dgl. m. Alles Beeinflussung seitens
der nichtsemitischen Kultur der Sumerer.
45- Vgl. hierzu auch Babel und Bibel II S. 32 ff.: ,,Wenn das Alte
Testament den Menschen im Bilde Gottes geschaffen sein läßt, ist
es begreiflich genug, wenn die Babylonier umgekehrt ihre Götter unter
dem Bilde des Menschen sich vorstellten
und darstellten. Die alttestamentlichen
Propheten machten es ja wenigstens im
Geiste genau so. In vollständiger Über-
einstimmung mit den Babyloniern und
Assyrern sieht der Prophet Habakuk
(Kap. 3) Jaho herannahen mit Pferden
und Wagen, Bogen und Pfeilen und Lanze,
ja sogar (v. 4) ,,Hörnern an seiner
Seite" (eine andere Bedeutung des he-
bräischen qarnaim ist ausgeschlossen),
mit Hörnern, dem Symbol der selbst-
bewußten Stärke, Hoheit und Sieghaftig-
keit (Am6"vgl.Nu2322ps75 5i-ii), dem
übUchen Schmuck der Kopfbedeckung
auch der babylonisch-assyrischen Götter
(vgl. die Abbildung). Und die Darstel-
lungen Gottes des Vaters in der christlichen Kunst: bei Michelangelo,
Raffael, Kaulbach, in allen unseren Bilderbibeln gehen alle auf die Vision
Daniels (7®) zurück, der Gott schaut als einen ,, Alten an Tagen, sein Ge-
wand wie weißer Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle".
46. Zum Kapitel der ,, Nächstenliebe" beachte, was in Babel und
Bibel III S. 20 ff. gesagt war: „Was die Tugend der Nächsten-
liebe, des Erbarmens gegen den Mitmenschen betrifft, so wird nie-
mand dem Volk Israel die Erhabenheit seines Sittengesetzes: ,, Liebe
deinen Nächsten als dich selbst" bestreiten, trotz dessen von niemand
zu leugnenden Beschränkung auf die Angehörigen und Schützlinge des
eigenen Volkes. Aber so freudig dem Judentum zu geben ist, was
sein ist, so ehrlich gebe man den andern Völkern, was ihrer ist, gebe
man Gott, was Gottes ist. Es darf nicht geduldet werden, daß
auch die Tugend der Nächstenliebe zu einem Monopol des israelitischen
Volkes gestempelt und solch unwahre Worte in die Welt hinaus
geschrieben werden wie das von E . S e 1 1 i n (in Evangelische Kirchen-
Autnerkungen. I23
Zeitung für Österreich Nr. 14, 15. Juli igoj, S. 210). daß ,. die Grund-
prinzipien aller wahren Sittlichkeit, die Liebe, den Nächsten zu lieben
wie sich selbst, in Babylon absolut keine Analoga habe.
Erscheint es schon von vornherein als undenkbar, daß die B ibylonier,
die sich gleich den Hebräern ganz und gar abhängig wußten von der
göttlichen Gnade, ihrerseits gegen ihre Mitmenschen keine Liebe, kein
Krbarinen gekannt hätten, so wird jene Behauptung Lügen gestraff
durch das klare Zeugnis der Denkmäler. Schon in Babel und Bibel I
S. 39 wies ich darauf hin, wie beim Forschen nach der Ursache des
göttlichen Zorns auch gefragt wird: ,,Hat er einen Festgenommenen
nicht freigelassen? einen Gebundenen nicht gelöst? einen Gefangenen
nicht sehen lassen das Licht?" lu einer Sammlung babylonischer
Weisheitssprüche aber (K. 7897, veröffentlicht und übersetzt von
K. D. Macmillan in den Beiträgen zur Assyriologie V, 1905) lesen
wir — einem Juwel vergleichbar, dessen Lichtglanz unberührt bleibt
von Ort und von Zeit — die Ermahnung des babylonischen Weisen,
dem Nächsten Liebe zu erzeigen, ihn nicht zu verachten
oder herrisch zu unterdiücken, was notwendig Gottes Zorn herbei-
führe, vielmehr den, der da bittet, zu speisen und zu tränken, was
Gottes Wohlgefallen sei, hilfreich zu sein und Gutes zu tun allerwege.
Und indem wir uns in Sprüche wie diese versenken, werden wir
freudig inne, daß der allbarmherzige Gott, der die Liebe ist, seine
himmlischen Tugenden nicht Einem Volke allein zu eigen gegeben
hat, sondern daß sein Erbarmen reicht so weit die Wolken reichen und
darum seinen Abglanz findet in den Menschenherzen allüberall. Und
jene Ermahnungen standen nicht nur auf dem Ton, sondern wir
lesen auch Beispiele ihrer sogar auf Sklaven und Sklavinnen aus-
gedehnten Betätigimg. Das biblische Königsbuch selbst schheßt mit
der Erzählung eines Gnadenaktes des babylonischen Königs gegen einen
ihm feindlichen Volksfremden, nämlich der Befreiung des judäischen
Königs Jehoj achin aus dem Kerker durch Nebukadnezars Sohn Evil-
merodach.
47. In seiner Entgegnung auf ,,die große Täuschung" sagt Rabbiner
Dr. Beermann-Heilbronn auf S. lof. folgendes: ,,Ein schönes Muster-
beispiel für D.'s Gerechtigkeit folge hier. D. kann nicht leugnen, daß
Lev 19'' das Gebot der Nächstenliebe auf den Ger ausgedehnt wird.
Gemeint sind aber nach ihm die beschnittenen Schützlinge, trotzdem
Ex 22^°: denn ihr seid Gerim gewesen im Lande Ägyptens, das Un-
mögliche seiner Auffassung ihm hätte zum Bewußtsein bringen müssen.
Ger ist der Volksfremde, der Lev 19^® als ein Mensch ,,wie Du" der
allgemeinen Liebe und Förderung empfohlen wird." Der Passus ist
ein schönes Musterbeispiel für die unglaubliche Seichtheit, Oberfläch-
lichkeit und Unwissenschaftlichkeit, mit welcher Rabbiner zu polemi-
1 2A Anmerkungen.
sieren pflegen. Das zweimalige Zitat Lev 19^' ist falsch. Die von B.,
wie von einem Rabbiner zu erwarten, dreist wieder aufgewärmte Be-
hauptung, daß hebr. gir den ,,Volksf r emden" bedeute (also eins
sei mit nochrt u. a.), ist, wie alle wirkhchen Kenner der hebräischen
Sprache einhellig anerkennen, eine lexikalische Unwahrheit. Jakob und
seine Familienangehörige waren als gSrtm d.i. ,, Gäste, Schützlinge"
Josephsund des Pharao nach Ägypten gekommen, wie Gen 47 * (lägür
bääres bänü) mit klaren Worten bezeugt. Ob es sich auf die Länge
überhaupt lohnt, mit Rabbinern wie Dr. Beermann zu diskutieren ?
48. Daß das Buch Esther als eine Art historischer Roman und nicht
als geschichtlicher Bericht zu betrachten sei, ist auch meine Ansicht.
Worauf es aber für unsere Betrachtung allein ankommt, hat bereits
Kautzsch in seinem Abriß der Geschichte des alttestamentlichen
Schrifttums S. 201 in die Worte gefaßt: ,,Im Buche Esther spricht sich
ein solcher nationaler Dünkel xmd ein solcher Haß gegen die andern
Völker aus, daß man es begreifen kann, wenn selbst bei den Juden
(die doch nachmals dieses Buch höher als alle Propheten geschätzt
haben!), geschweige bei den Christen, starke Bedenken gegen die
Kanonizität erhoben worden sind. Gegenüber dem irregeleiteten apo-
logetischen Eifer, der um der jüdischen Tradition willen dem Buch
Esther die gleiche Würde und Geltung zuerkennen will, wie den Aus-
sprüchen eines Jesaja oder Jeremia, hat ein Christ das Recht, an das
Wort des Herrn zu erinnern : Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder
ihr seid ?"
49. Beide Aufrufe haben augenscheinlich jüdische Verfasser und geben
durch ihren Inhalt manchen dankenswerten Wink bezüglich der in
jüdischen deutschen Kreisen herrschenden Anschautingen. Zwar der
zweite Aufruf des ,, Volkskraftbundes", an welchem bemerkenswert ist,
wie er überhaupt nur noch zwischen ,, jüdischen" und ,, nicht jüdischen
Volksgenossen" innerhalb Deutschlands unterscheidet, bleibe hier unbe-
rücksichtigt. Dagegen verdient der erstgenannte Aufruf „Pro Palaestina"
schon um dessentwillen nähere Beleuchtung, als er die Unterschrift und
damit Zustimmung vieler bekannter, z. T. führender Persönhchkeiten
gefunden hat. Ich für meine Person glaube, daß in ihm Wahres xmd
Falsches bedenklich gemischt sind. Der Aufruf will dafür werben, daß
,,das jüdische Volk auf dem alten historischen Boden Palästinas eine
nationale Heimstätte jüdischer Kultvu: und Wirtschaft errichte, die in
allmählicher Entwickelung einen Teil des jüdischen Volkes in sich auf-
nehmen soll", und daß ebendamit ,, in der jüdischen Frage gründlich
Wandel geschaffen werde". Diesen letzten Optimismus dürften wenige
Einsichtige teilen. Denn so sehr den Zionisten, die treu und wahrhaft
zu dem Gotte ihrer Väter sich bekennen, ein neues staatliches Leben
auf palästinensischem Boden von Herzen zu gönnen ist, obschon sie
AniiurkuiigtMi. 125
fiu historisches Anrecht auf raliistiiia, wie diese Schrift S. ih — 49
V^czcigt hat. nicht besitzen, so ist doch KCßt^» ^1«^" Ranzen Plan mit
einem ausf^ezeichneten Keinier der Verhältnisse von vornherein einzu-
wenden: ,,Wie will man in einem Lande, das jetzt */^ Millionen dürftig
ernährt und das bei intensivem Anbau (soweit solcher möglich) allenfalls,
und nur sehr allenfalls, das Doppelte ernähren könnte, wo Bargeld aber
nicht zu verdienen und wo alles gute Land längst in festen Händen ist,
Millionen von Ksseru unterbringen?" Aber auch wenn England und
l<*rankreich dem jüdischen Volke ganz Palästina mit Syrien bis an die
Ufer des Euphrats nach Jahos Verheißung zur Verfügung stellen würde
— welche Naivität, zu glauben, daß das jüdische Volk dorthin 7nrück-
kehren und seinem Nationalgotte Jaho spät zwar, aber doch noch zur
VerwirkUchung aller seiner Verheißungen verhelfen würde, denen zu-
folge Allisrael in Jerusalem und dem heiligen Lande zuhauf gebracht
werden solle? Von einer verhältnismäßig kleinen Zahl wirklich gläubiger
Zionisten und einer größeren Menge allerärmster Juden abgesehen,
dürfte es keinem Juden in Deutschland (sowenig wie allüberall sonst)
einfallen, dieses gastliche Land, das dem jüdischen Volke vollkommenste
Freiheit und Sicherheit gegeben und in dem es zu Ansehen, Wohlstand
und Reichtum gelangte, zu verlassen. Das fiel ja dem jüdischen Volke,
•wie wir sahen, schon zur Zeit des Königs Cyrus nicht ein, wo die große
Mehrzahl der Juden in dem verhaßten Babylonien bheb, um Geld zu
verdienen, und wird ilmi ebenjetzt, wo es, wenigstens in Deutschland,
so mächtig geworden ist wie nie zuvor, erst recht nicht einfallen. Hier-
nach dürfte sich die Hoffnung, daß durch die Rückkehr nach Palästina
in der jüdischen Frage ,, gründlich Wandel" geschaffen werde, als
trügerisch erweisen.
Auch noch eine andere Behauptung jenes Aufrufs bedarf der Richtig-
stellung, nämlich der den abendländischen Völkern gemachte Vorwurf,
daß sie ,,das jüdische Volk in der Entwickelung seiner na-
tionalen Eigenart hemmen". Entwickelung seiner nationalen
Eigenart. Es wird also dem deutschen Volke unzweideutig vor
Augen gehalten, daß das jüdische Volk eine besondere Nation
mit besonderer nationaler Eigenart ist und sein will, woraus mit
zwingender Notwendigkeit folgt, daß der Jude sowenig ein Deutscher
ist wie der Deutsche ein Jude. Das jüdische Volk ist in der Tat eine
besondere Nation, von alters her durch Jaho, dem „Heiligen Israels",
von den übrigen Völkern ,, abgesondert" (Lev 20'*-'*) und dadurch an
jedem Eingehen in eine andere Nation gehindert; es ist zugleich in-
folge der ihm von seinen nationalen ,, Sprechern" gemachten maßlosen
Verheißungen vom höchsten Nationalstolze beseelt, dermaßen, daß wir
Deutsche es je und je darum zu beneiden allen Grund hatten imd in
der Gegenwart ganz besonders haben. Darum hält es auch an seinem
120 Anmerkungen.
besonderen Gotte, obwohl es dessen Gesetze zum größten Teil schon
längst nicht mehr für verbindlich erachtet, mit gleicher Zähigkeit fest,
wie z. B. an seiner eigenen Zeitrechnung. Kein denkender Jude, welcher
glaubt, daß die Welt in der Nacht zum 7. Oktober 3761 v. Chr. ge-
schaffen worden sei — trotzdem ist diese Ära der Weltschöpfung noch
heute beim jüdischen Volke in allen rehgiösen Angelegenheiten üblich:
bei Fest- und Fasttagen, in Trauungs- und Scheideurkunden, auf Grab-
steinen, hebräischen Buchtiteln, im privaten Briefverkehr zwischen
traditionstreuen Juden usw. Das jüdische Volk hat seine eigene, he-
bräische, Sprache, die es nach der Rückkehr nach Palästina auch als
I,andessprache einzuführen entschlossen ist; es hat seine eigenen Feste,
Speise- und Schlachtungs Vorschriften; es hat endhch in der von den
Ägyptern überkommenen Beschneidung nach Art der bei den wilden
Völkern beliebten Stigmatisierungen ein äußeres Merkmal, das jeden
männlichen Volksangehörigen zum selbständigen Mitglied seines Volkes
stempelt und kraft dessen Israel alle übrigen Völker als Göjtm oder
Heiden zu allen Zeiten verachtet hat. Noch einmal: das jüdische Volk
ist in der Tat eine besondere Nation und ist stolz darauf, eine
solche zu sein und zu bleiben, trotz ihres freiwillig gewählten vater-
landslosen, internationalen Charakters. Die große und schwierige Frage
bleibt nur, ob zwei Nationen, noch dazu zwei nach Rasse und
Religion, Denkungsart, Lebensauffassung und Gewohnheiten so grtmd-
verschiedene Nationen wie die jüdische und deutsche auf dem Boden
Eines Landes eine jede ihre besondere nationale Eigen-
art nebeneinander entwickeln können, ohne daß schwere Konflikte
unvermeidlich sind, wenn das Gastvolk — imd dies bleibt doch das
jüdische Volk trotz aller bürgerlichen Gleichberechtigtheit — nicht takt-
voll bemüht bleibt, die Interessen, Institutionen, die ReUgion usw. des
einheimischen Volkes zu achten und zum mindesten ihnen nicht entgegen-
zuarbeiten. Die Zahl solcher ,, nationaldeutschen' Juden, d. h. deutsch
denkenden und fühlenden Juden, mag keine geringe sein, aber auf jenen
Aufruf ,,Pro Palaestina" haben sie offenbar keinen Einfluß ausgeübt,
denn sonst könnte dieser nicht die faustdicke objektive Unwahrheit
enthalten, daß ,,das jüdische Volk von den abendländischen Völkern
(also auch von Deutschland) in der Entwickelimg seiner nationalen
Eigenart gehemmt werde!" Beruht doch, für jeden Nicht-Blinden
erkennbar, Deutschlands Niedergang und trostlose Gegenwart nicht
zum wenigsten auf der ungehemmten Entfaltung jüdischer
Eigenart auf deutschem Boden! Hierin Wandel, gründlich Wandel
zu schaffen, sollten alle deutschen und christlichen Männer und Frauen
als ihre dermalige heiligste Aufgabe betrachten — furchtlos und be-
harrlich !
Anhang
Israelitische Gesetze
älterer (Ex), jüngerer (Dt) und jüngster (Lev) Kodifizierung
(mit Ausschluß der Speise-, Kultus- und Priestergesetze), *
Richter und Zeugen
Ex: (i) Den Großen sollst du nicht bevorzugen in seinem
Rechtsstreit (2 3 3).
(2) Du sollst das Recht deines Armen nicht beugen in
seinem Rechtsstreit (23®).
(3) Und Bestechung sollst du nicht annehmen, denn die
Bestechung macht die Sehenden blind und verkehrt die
Sachen der Gerechten (23*).
(4) Biete deine Hand nicht einem Frevler, als Ver-
gewaltigungszeuge ^ zu dienen (23^'').
(5) Du sollst nicht der Mehrheit folgen zu Bösem tmd
nicht gegen einen Streitenden das Wort nehmen, im Ge-
folge der Mehrheit [das Recht] zu beugen (2 3 2).
(6) Von Lügenrede halte dich fern, und Unschuldigen
und Gerechten töte nicht (nämhch durch das Zeugnis),
denn ich werde nicht für gerecht erklären den Frevler (23').
Dt : (7) Richter und Amtleute sollst du dir in allen deinen
Ortschaften, die Jaho, dein Gott, dir nach deinen Stämmen
gibt, einsetzen, und sie sollen das Volk mit Gerechtigkeit
richten (16 ^8).
(8) Du sollst das Recht lucht beugen, nicht die Person
ansehen und nicht Bestechung annehmen, deim die Be-
stechung macht bHnd die Augen der Weisen und verkehrt
^) Eckige Klammern enthalten Zusätze, die die Versionen bieten,
nmde Klammem enthalten erklärende Zusätze. — HK bezeichnet das
babylonische Gesetzbuch des Königs Hammurabi.
') Vergewaltigung seil, der Wahrheit.
Delitzsch, Die grosse Täaschung. I a
j-SQ Richter und Zeugen.
die Sachen der Gerechten. Der Gerechtigkeit, der Ge-
rechtigkeit sollst du nachjagen, damit du lebest und in
Besitz nehmest das Land, das Jaho, dein Gott, dir gibt
(9) Du sollst nicht beugen das Recht eines Schütz-
lings . . . ^ und sollst gedenken, daß du Sklave warst in
Ägypten und Jaho, dein Gott, dich von dort erlöst hat.
Darum befehle ich dir dieses zu tun (24^'"- ^^).
(ig) Nicht soll Hin Zeuge wider jemanden aufstehen
betreffs irgendeiner Missetat und betreffs irgendeines Ver-
gehens — bei jeder Verfehlung, die er sich zuschulden
kommen läßt, soll auf der Aussage von zwei Zeugen oder
auf der Aussage von drei Zeugen die Sache ruhen (19^*).^
(11) Wenn ein Vergewaltigungszeuge wider jemand auf-
steht, Lüge wider ihn auszusagen, so sollen die beiden
Männer, die den Rechtsstreit haben, vor Jaho, vor die
Priester und die Richter, die in jenen Tagen sein werden,
treten, und die Richter sollen sorgfältig forschen, und
siehe! ist ein Lügenzeuge der Zeuge, hat er Lüge aus-
gesagt wider seinen Bruder, so sollt ihr ihm tun, wie er
seinem Bruder zu tun gedachte, imd du sollst wegräumen
das Böse aus deiner Mitte. Und die übrigen sollen es hören
und sich fürchten und nicht fortfahren, femer solches
Böse in deiner Mitte zu tun. Dein Auge soll kein Mitleid
haben: Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn,
Hand um Hand, Fuß um Fuß {ig^^-^"-).
Vgl. Lev 19^^" ^^'. Desgl. das sogen. 8. Gebot.
HK: (§ i) Wenn jemand jemanden beschuldigt und ihn eines Morde»
bezichtigt und es nicht beweist, so soll der, der ihn beschuldigt hat,
getötet werden.
1) Folgt: „und nicht pfänden das Kleid einer Wjtwe". Der Zusatz»
der zur Begriindimg nicht paßt, hatte wiederum den weiteren Zusatz
, .Waise" zu „Schützling" zur Folge. — Vgl. 271»; Verflucht sei, wer
das Recht eines Schützlings, einer Waise und Witwe beugt.
*) Vgl. Dt 178 : Auf Grund der Aussage von zwei Zeugen oder drei
Zeugen soll der zu Tötende getötet werden, nicht soll er getötet werden
auf Gnmd der Aussage Eines Zeugen.'
Strafvollzug. I^I
(§ 3) Wenn jemaud in einem Rechtsstreit mit einem Lügenzeugnis
hervortritt und seine Aussage nicht beweist, so soll, wenn jener Rechts-
streit ein Rechtsstreit ums l,eben ist, jener Mensch getötet werden,
(§ 4) Wenn er zur Zeugenschaft in Sachen von Korn und von Geld (mit
einem Lügenzeugnis) hervortritt, so soll er die Strafe jenes Rechts-
streites tragen.
(§ 5) Wenn ein Richter Recht spricht, <las Urteil fällt, eine Urkunde
ausfertigen läßt, nachher seinen Rechtsspruch ändert, so soll man
jenen Richter ob der Änderung seines Rechtsspruches vor Gericht
stellen und er das Klageobjekt, um das es sich in jenem Rechtsstreit
gehandelt, zwölffach geben; auch soll man ihn öffentlich von seinem
Richterstuhl entfernen und er mit den Richtern nicht wieder zu Gericht
sitzen.
Gerechtes Gericht ohne Ansehen der Person, ohne Annahme von
Bestechimg (Dt i^"), war auch bei den Babyloniem die Gnmdf orde-
rung an die Richter.
Strafvollzug
Dt: (12) Nicht sollen getötet werden Väter mitsamt
(oder : von wegen) Söhnen mid Söhne sollen nicht getötet
werden mitsamt (oder: von wegen) Vätern — jeder soll
für sein Vergehen getötet werden (24^^).^
(13) Wenn zwischen Männern Streit ist und sie vor
Gericht gebracht wurden und man ihnen das Urteil ge-
sprochen imd den Gerechten für gerecht erklärt und den
Frevler verurteilt hat, so soll, falls der Frevler die Prügel-
strafe verwirkt hat, der Richter ihn sich hinlegen lassen
und ihm in seinem Beisein Schläge geben (lassen), seinem
Frevel entsprechend an Zahl. Vierzig Schläge soll er ihm
geben (lassen), nicht mehr, daß er ihn nicht über diese
hinaus viel schlage, und dein Bruder verunehrt werde in
deinen Augen (25^"').
(14) Wenn jemand durch ein Vergehen die Todesstrafe
verwirkt hat und er getötet wurde und du ihn an einen
Baum gehängt hast, so soll sein Leichnam nicht auf dem
Baume über Nacht bleiben, sondern du sollst ihn am
^) Dieses Gesetz ist 2 Kö 14* (vgl. 2 Cht 25*) zitiert aus dem „Buch
der Thora Mosis".
J02 Behandlung hebräischer Sklaven
selbigen Tage begraben, denn ein Fluch Gottes ist ein
Gehängter, und nicht sollst du deinen Erdboden verun-
reinigen, den Jaho, dein Gott, dir als Erbteil gibt (21 ^^'•).
Zu obigem Gesetze 12 vgl. das assyr. Gesetz {§ 2): Wenn ein Weib,
sei es jemandes Ehefrau, sei es jemandes Tochter, schimpft oder in
gemeiner Rede sich ergeht, so soll jenes Weib seine Schuld büßen.
Ihrem Mann, ihren Söhnen, ihren Töchtern kann man nicht nahe-
treten.
Behandlung hebräischer Sklaven
Ex : (15) Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst, ^
soll er sechs Jahre Sklave sein, aber im siebenten frei aus-
gehen unentgeltlich. Wenn er ledig (eig. : nur für seine
Person) kommt, soll er ledig ausgehen ; wenn er verheiratet
ist, so soll seine Frau mit ihm ausgehen (21 2*-).
(16) Wenn sein Herr ihm eine Frau gibt und sie ihm
Söhne oder Töchter gebiert, gehören die Frau und ihre
Kinder ihrem Herrn, während er ledig ausgeht (21*).
(17) Sagt aber der Sklave: ,,Ich habe lieb meinen
Herrn, meine Frau und meine Kinder, ich will nicht frei-
gelassen sein", so soll ihn sein Herr vor Gott führen imd
ihn an die Tür oder an den Türpfosten heranbringen, imd
sein Herr sein Ohr mit dem Pfriemen durchstechen, und
er ihm Sklave sein für immer (2i^'*).
(18) Und wenn jemand seine Tochter als Sklavin ver-
kauft, soll sie nicht ausgehen ^ wie die Sklaven ausgehen.
Weim sie ihrem Herrn, für den er (der Verkäufer) sie be-
stimmt hatte, mißfällt, so soll er sie loskaufen lassen,
an ein fremdes Volk hat er nicht die Macht sie zu ver-
kaufen, wenn er treulos an ihr handelt. Und wenn er sie
^) Nämlich von seinem Vater, s. Gesetz Nr. 18.
2) D. h. hingegeben werden? Die Tochter eines freien Mannes kann
nicht, auch wenn sie verkauft wird, an einen Sklaven verheiratet
werden — das bleibt ganz außer Betracht. Nur der Käufer selbst oder
dessen Sohn können mögHcherweise sie zum Weibe bzw. Neben weibe
nehmen.
Behandlung hebräischer Sklaven. 1^3
für seinen (des Käufers) Solm bestimmt, soll er (dieser)
sie nach Art der Töchter behandeln. Wenn er (noch) eine
andere sich nimmt, soll er ihr Fleisch,^ ihre Kleidung und
ihre Beiwohnung nicht verkürzen. Wenn er ihr diese drei
Dinge nicht tut, so soll sie umsonst ohne Entgelt aus-
gehen 2 (21'-").
Dt: (19) Wenn dir dein Bruder, der Hebräer oder die
Hebräerin, verkauft wird und dir sechs Jahre Sklave ge-
wesen, sollst du ihn im siebenten Jahre von dir frei ent-
lassen. Und wenn du ihn von dir frei entlassest, sollst du
ihn nicht leer entlassen. Ein Angebinde sollst du ihm
geben; von deinem Kleinvieh und von deiner Tenne und
von deiner Kufe, womit Jaho, dein Gott, dich gesegnet
hat, sollst du ihm geben und gedenken, daß du ein Sklave
gewesen im Lande Ägypten und Jaho, dein Gott, dich
erlöste. Deshalb befehle ich dir dieses heute (15 ^2~^^).
(20) Falls er aber zu dir sagt: ,,Ich will von dir nicht
weggehen", da er dich und dein Haus lieb hat, da es ihm
bei dir gut geht, so sollst du den Pfriemen nehmen luid
durch sein Ohr und den Türflügel tun, und er soll dir
Sklave sein für immer. Auch deiner Sklavin sollst du so
tun (i5^«'-)-
(21) Nicht soll es dir hart erscheinen, wenn du ihn frei
von dir entlassest, denn das Doppelte des Lohnes eines
Lohnarbeiters hat er dir sechs Jahre als Sklave gedient,^
und Jaho, dein Gott, in allem deinem Tun dich gesegnet
(V. 18).
Lev : (22) Wenn dein Bruder bei dir verarmt und sich
dir verkauft, sollst du ihn nicht Sklavendienste dienen
lassen. Wie ein Lohnarbeiter, wie ein Beisaß soll er bei
dir sein, bis zum Jubeljahre soll er bei dir dienen, dann
aber von dir entlassen werden, er und seine Söhne mit
^) se'sräh kaum ,,thre Fleischnahrung" (Kautzsch), sondern ihren
Leib, d. h. ihr leibliches Wohl, also vor allem ihre Emähnmg.
*) D. h. ohne I/)skauf in das Vaterhaus zurückkehren.
') Der Sklave arbeitet also doppelt so viel wie ein L,ohnarbeiter.
134
Darlehen.
ihm, und zu seinem Geschlechte zurückkehren und wieder
zum Besitztum seiner Väter gelangen. Denn meine
Einechte sind sie, die ich aus dem Lande Ägypten heraus-
geführt habe, nicht dürfen sie sich verkaufen, wie man
einen Sklaven verkauft. Du sollst ihn nicht gewalttätig
beherrschen, sondern dich fürchten vor deinem Gott.
Dein Sklave und deine Sklavin, die dir (dauernd) gehören
— von den Völkern rings um dich her, von ihnen mögt
ihr Sklave und Sklavin kaufen (25^^-**).
HK: (§ 117) Wenn jemand eine Schuldverpflichtung bedrängt und
er seine Gattin, seinen Sohn oder seine Tochter für Geld verkauft oder
in Schulddienst hingibt, so sollen sie drei Jahre im Hause ihres Käufers
bzw. ihres Schuldherm arbeiten, im vierten Jahre soll ihre Freilassimg
erfolgen.
(§ 118) Wenn er einen Sklaven oder Sklavin in Schulddienst gibt, der
Händler (Gläubiger) sie weiter verkauft, so kann er nicht angefochten
werden.
Assyr. Gesetz: {§48) Wenn jemand die Tochter seines Schuldners,
die als Schuldverpflichtung in seinem Hause wohnt, von ihrem Vater
erbittet, mag er sie dem Gatten geben; wenn ihr Vater nicht willens
ist, braucht er es nicht zu tun.
Darlehen
Ex: (23) Werm du meinem Volksangehörigen, dem bei
dir befindhchen armen, Geld borgst, sollst du ihm nicht
wie ein Gläubiger sein, sollst ihm nicht Wucherzinsen
auferlegen (22^*).
Dt: (24) Nicht sollst du von deinem Bruder Wucher-
zinsen nehmen, Wucher von Geld, Wucher von Nahrungs-
mitteln, Wucher von allem Verzinshchen. Von dem Aus-
länder magst du Wucherzinsen nehmen, aber von deinem
Bruder sollst du Wucherzinsen nicht nehmen, damit dich
Jaho, dein Gott, segne in aller deiner Hantierung in dem
Lande, in das du kommst, es in Besitz zu nehmen (232°*-).
Lev : (25) Wenn dein Bruder verarmt und nicht mehr
leistungsfähig bei dir ist, so sollst du ihn halten, daß er
bei dir am Leben bleibe (?). Nimm nicht von ihm Wucher
Pfändung. — Aufbewahrung und ähnliches. 135
und Zinsen, sondern fürchte dich vor deinem Gott, daß
dein Bruder bei dir am Leben bleibe. Dein Geld sollst du
ihm nicht geben um Wucher, und um Zinsen sollst du
deine Speise nicht geben (25^^"^').
Pfändung
Ex; (26) Wenn du das Gewand deines Nächsten pfän-
dest, sollst du bis Sonnenuntergang es ihm zurückgeben.
Denn es ist die einzigste Deckung für seine Haut, worin
soll er schlafen? Und es wird geschehen: wenn er zu mir
schreit, so werde ich hören, deim gnädig bin ich (22^^*').
Dt: (27) Nicht soll [ein Pfändender] Handmühle und
{oder) oberen Mühlstein pfänden, denn das Leben ^ würde
er pfänden (24^).
(28) Wenn du deinem Nächsten irgendetwas leihst,
sollst du nicht in sein Haus eingehen, um ein Pfand von
ihm zu nehmen. Auf der Straße sollst du stehen bleiben,
und der Mann, den du beleihest, soll dir das Pfand auf die
Straße hinausbringen (24^°'-).
(29) Und wenn er ein armer Mann ist, sollst du dich
nicht in seinem Pfände schlafen legen. Zurückgeben
.sollst du ihm das Pfand bei Sonnenuntergang, daß er in
seinem Gewände sich schlafen lege und dich segne, so wird
dir Gerechtigkeit werden vor Jaho, deinem Gott (24^^'*).
{30) Du sollst nicht pfänden das Kleid einer Witwe
Aufbewahrung und ähnliches
Ex: (31) Wenn jemand seinem Nächsten Geld oder Ge-
räte zum Bewahren gibt und es aus dem Hause des Be-
treffenden gestohlen wird, so soU, wenn der Dieb gefunden
wird, er (der Dieb) doppelt begleichen. Wenn der Dieb
nicht gefunden wird, so soll der Hauseigentümer vor Gott
^) Zn mahlendes Brot = I<eban.
I«6 Aufbewahrung und ähnliches.
gebracht werden [und schwören] , daß er sich an der Habe
seines Nächsten nicht vergriffen hat (22^ ') .
(32) Bei jedem Gegenstand einer Verfehlung : bei Stier,
bei Esel, bei Schaf, bei Gewand, bei allem Verloren-
gegangenen, von dem einer sagt: das ist es, soll ihrer
beider Sache vor Gott kommen. Wen Gott verurteilt, soll
es seinem Nächsten doppelt begleichen (22^).
(33) Wenn jemand seinem Nächsten einen Esel oder
Stier oder Schaf und irgendwelches Vieh zum Bewahren
gibt und es stirbt oder sich etwas bricht, ohne daß jemand
es sieht, soll ein Schwur bei Jaho zwischen ihnen beiden
statthaben, daß er sich an der Habe seines Nächsten nicht
vergriffen hat — sein (des Tieres) Eigentümer soll es
nehmen und er (der es zur Bewahrung genommen) nicht
begleichen (22^ '•) .
(34) Wenn es ihm gestohlen wird, soll er (es) seinem
Eigentümer begleichen (22^^).
(35) Wenn es zerrissen wird, soll er es als Zeuge bringen,
das Zerrissene hat er nicht zu begleichen (2 2 ^2).
(36) Und wenn jemand von seinem Nächsten (irgend-
welches Vieh) leiht und es sich etwas bricht oder stirbt,
ohne daß sein Eigentümer dabei ist, hat er zu begleichen.
Wenn sein Eigentümer dabei ist, hat er nicht zu be-
gleichen. Wenn es gemietet ist (? MT: wenn es ein Miets-
arbeiter ist), . . . seinen Mietspreis (22^^*).
HK: (§ 120) Wenn jemand sein Kom zur Bewahrung am Schüttort
in jemandes Haus aufschüttet und im Gebälk ein Defekt (?) eintritt
oder der Hausherr den Schüttort öffnet tmd Kom nimmt oder das
Kom, das in seinem Hause aufgeschüttet worden, überhaupt leugnet,
so soll der Komeigentümer vor Gott sein Kom abschätzen imd der
Hausherr das Kom, das er genommen, doppelt dem Komeigentümer
geben .
(§ 122) Wenn jemand jemandem Silber, Gold und sonst etwas zur
Bewahnmg geben will, so soll er, soviel immer er geben will, Zeugen
zeigen, einen Vertrag machen xmd es zur Bewahnmg geben.
{§ 123) Wenn er es ohne Zeugen und Vertrag zur Bewahrimg gibt
und man es da, wohin er es gegeben, ihm ableugnet, so läßt jener Rechts-
fail eine Klage nicht zu.
Eltern und Kimler. j_yj
(§ 124) Wenn jemand jemandem Silber, Gold und sonst etwas vor
Zeugen zur Bewahrung; gibt und er es ihm ableugnet, so soll man jenen
Menschen belangen und, was immer er geleugnet, soll er doppelt geben.
(§ 125) Wenn jemand Besitztum von sich zur Bewahrung gibt und
dort, wohin er es gegeben, sei es durch ein L,ocli, sei es durch Einsteigen
sein Besitztum mit Besitztum des Hausherrn verloren geht, so soll der
Hausherr, welcher lässig war, was immer er ihm zur Bewahnmg ge-
geben hatte und er verloren gehen ließ, vollständig dem Eigentümer
ersetzen. Der Hausherr soll sein verlorenes Besitztum von dessen
Dieb zu bekommen suchen.
(§ 249) Wenn jemand einen Ochsen oder Esel mietet imd auf freiem
Felde ein Löwe ihn tötet, so ist das Sache seines Eigentümers.
(§ 250) Wenn jemand einen Ochsen mietet imd durch L,ässigkeit oder
durch Schlagen seinen Tod verursacht, so soll er einen gleichwertigen
Ochsen dem Eigentümer des Ochsen ersetzen. — Vgl. §§ 251 — 253.
(§ 254) Wenn jemand einen Ochsen mietet und Gott ihn schlägt
und er stirbt, so soll der, der den Ochsen gemietet, einen Eid leisten
und freikommen.
Eltern und Kinder
Ex: (37) Wer seinen Vater und seine Mutter schlägt,
soll getötet werden (21^^).
(38) Wer seinen Vater und seine Mutter verflucht, soll
getötet werden (21^').
Dt: (39) Wenn jemand einen widerspenstigen und tm-
gehorsamen Sohn hat, der nicht hört auf die Stimme
seines Vaters und auf die Stimme seiner Mutter, und sie
ihn gezüchtigt haben, er aber ihnen nicht gehorcht, so
sollen ihn sein Vater und seine Mutter greifen und ihn zu
den Ältesten seiner Stadt und zu dem Tore seiner Ort-
schaft hinausführen und zu den Ältesten seiner Stadt
sagen: ,, Unser Sohn da ist widerspenstig und ungehor-
sam, hört nicht auf unsere Stimme, schlemmt und säuft",
so sollen ihn alle Bewohner seiner Stadt mit Steinen tot
werfen, und du sollst wegräumen das Böse aus deiner
Mitte, und ganz Israel soll es hören und sich fürchten
(2118-21). X
^) Vgl. auch Dt 27 Iß : Verflucht sei, wer seinen Vater und seine Mutter
Teanmehrt.
jog Unehelicher und widernatürUcher Beischlaf.
Lev: (40) Ihr sollt ein jeder seinen Vater und seine
Mutter fürchten (19').
(41) Fürwahr, jedermann, der seinen Vater und seine
Mutter verflucht, soU getötet werden. Seinen Vater und
seine Mutter hat er verflucht — sein Blut kostet es ihm
(20»).
HK: (§ 201) Wenn ein Kind seinen Vater schlägt, so soll man ihm
die Hand abschneiden.
(§ 170 f.) Wenn jemand sein Kind zu enterben beabsichtigt, zu den
Richtern sagt: „Ich werde mein Kind enterben", so sollen die Richter
seinen Fall klarstellen: wenn das Kind eine schwere, die Enterbung
verwirkende Schuld nicht auf sich geladen hat, so soll der Vater sein
Kind nicht enterben. Wenn es eine schwere, die Enterbung verwirkende
Schuld gegen seinen Vater auf sich geladen, so soll man bei Einem Mal
ihm verzeihen; wenn es eine schwere Schuld zweimal auf sich lädt, so
mag der Vater sein Kind enterben.
Und vgl. die uralten sumerischen Gesetze: Wenn ein Kind zu seinem
Vater spricht: Du bist nicht mein Vater (d. h. ihm den Gehorsam
aufkündigt), so macht er ihm einen Einschnitt (er „zeichnet" es),
legt ihm eine Fessel an und verkauft es für Geld. — Wenn ein Kind
zu seiner Mutter spricht: Du bist nicht meine Mutter, so zeichnet
man seine Stirn, schließt es aus der Ortschaft aus und jagt es aus
dem Hause.
Unehelicher und widernatürlicher Beischlaf
Ex : (42) Wenn jemand eine Jungfrau, die noch imver-
lobt ist, verführt und ihr beischläft, so soll er sie sich
durch Braut gäbe zur Frau erkaufen. Weigert sich
ihr Vater sie ihm zu geben, soll er [ihrem Vater] Geld be-
zahlen entsprechend der für Jungfrauen üblichen Braut-
gabe (22^^').
(43) Jeder, der einem Vieh beiwohnt, soll getötet
werden (22^').
Dt: (44) Wenn jemand einer verheirateten Frau bei-
schlafend getroffen wird, so sollen alle beide sterben: der
Mann, der der Frau beigeschlafen, und die Frau, und du
sollst wegräumen das Böse aus Israel (2 2 ^2).
Unehelicher und widernatürlicher Beischlaf.
139
(45) Wenn ein jungfräuliches Mädchen einem Manne
verlobt ist und es trifft sie ein Mann in der Stadt und
schläft ihr bei, so sollt ihr sie beide zum Tore jener Stadt
liinausführen und sie mit Steinen zu Tode steinigen: das
Mädchen, dieweil es in der »Stadt nicht geschrieen hat, und
der Mann, dieweil er das Weib seines Nächsten genot-
züchtigt hat, und du sollst wegräumen das Böse aus deiner
Mitte (2 2 23'-).
(46) Wenn aber auf freiem Felde der Mann das ver-
lobte Mädchen trifft und der Mann es packt und ihm bei-
schläft, so soll der Mann, der ihm beigeschlafen, allein
sterben. Dem Mädchen sollst du nichts tun, das Mädchen
hat keine den Tod verwirkende Schuld. Vielmehr Hegt
dieser Fall, wie wenn jemand wider seinen Nächsten sich
erhebt und ihn durch Mord des Lebens beraubt. Denn
auf freiem Felde fand er sie — schrie das verlobte Mäd-
chen, so konnte niemand ihm helfen {22^^"-).
(47) Wenn jemand ein jungfräuliches Mädchen, das
nicht verlobt ist, findet und es greift und ihm beischläft
und sie gefunden werden, so soll der Mann, der ihm bei-
geschlafen, dem Vater des Mädchens 50 Sekel Silber geben
und sie soll seine Frau werden. Dafür, daß er sie genot-
züchtigt hat, kann er sie zeit seines Lebens nicht entlassen ^
{2228'-).
(48) Niemand soll die Frau seines Vaters heiraten
und entblößen, worüber sein Vater die Decke breitet
(23^).''
Lev : (49) Ein Mann, der die Ehe bricht mit dem Weibe
seines Nächsten, soll getötet werden, der Ehebrecher
und die Ehebrecherin (20 1®).
Gegen Blutschande und widernatürlichen Beischlaf
s. i8»-i8- 22 J. 20 "-21.
^) Unfähigkeit sich scheiden zu lassen, gilt hiernach als Strafe.
2) Vgl. 2 7 20; Verflucht sei, wer der Frau seines Vaters beiwohnt,
denn er entblößte, worüber sein Vater die Decke gebreitet. — Andere
Verfluchungen von widernatürlichem Beischlaf s. 2721-23.
IAO Ellegesetze.
HK: (§ 129) Wenn jemandes Frau mit einer andern Mannsperson
beim Schlafen gefaßt wird, so soll man sie (beide) binden imd ins Wasser
werfen.
(§ 130) Wenn der Mann der Frau seiner Frau das Leben schenken
will, mag auch der König seinem Knecht das Leben schenken.
(§ 131) Wenn jemand jemandes Frau, die noch unberührt geblieben
ist und. noch im Hause ihres Vaters wohnt, vergewaltigt vmd bei ihr
schläft imd man ihn faßt, so soll jener Mensch getötet werden, jenes
Weib freikommen.
(§ 156) Wenn jemand seine Tochter erkennt, so soll man jenen Men-
schen aus der Ortschaft jagen.
(§ 157) Wenn jemand seinem Sohn eine junge Frau wählt imd sein
Sohn sie erkennt, er selbst nachher bei ihr schläft und man ihn faßt,
so soll man jenen Menschen binden und ins Wasser werfen. — Vgl. § 158.
(§ 159) Wenn jemand nach dem Tode seines Vaters bei seiner Mutter
schläft, so soll man beide verbrennen.
(§ 160) Wenn jemand nach dem Tode seines Vaters bei seiner Stief-
mutter, die Kinder geboren, schlafend gefaßt wird, so soll jener Mensch
aus dem Vaterhause ausgerottet werden.
Ass3rr. Gesetz: (§12) Wenn jemandes Ehefrau über die Plätze geht,
ein Mann sie packt, ,,laß mich dir beiwohnen", zu ihr sagt, sie nicht
willens ist, sich wehrt, er stärker ist imd sie packt, er ihr beiwohnt . . .
Zeugen ihn überführen, so soll man den Mann töten, das Weib ist straffrei.
(§ 13) Wenn jemandes Ehefrau aus ihrem Hause hinausgeht und zu
einem Manne, wo dieser wohnt, geht, er ihr beiwohnt, wissend, daß
es jemandes Ehefrau ist, so soll man Mann und Weib töten.
(§ 19) Wenn jemand insgeheim seinen Nächsten beschuldigt: „man
habe ihm beigewohnt", oder im Streit vor Leuten zu ihm sagt: ,,man
hat dir beigewohnt, ich werde dich überführen", er die Überführung
nicht vermag, nicht überführt, so soll jener Mensch 50 Stockhiebe
erhalten, einen vollen Monat Königsdienst tun, man soll ihn . . ., auch
soll er I Talent Blei zahlen.
Ehegesetze
Dt: (50) Wenn jemand ein Weib nimmt und ihm bei-
wohnt und Haß wider es faßt und ihm Böses nachredet
und über es einen schlechten Ruf verbreitet und sagt:
Dieses Weib habe ich genommen und habe mich ihm ge-
naht, aber keine Jungfräuhchkeit an ihm gefunden, so
soll der Vater des Mädchens und seine Mutter (den Be-
weis für) die Jungfräulichkeit des Mädchens nehmen und
UhcKcsct/.e. I^I
ZU den Ältesten der Stadt in das Tor hinausbringen und der
Vater des Mädchens zu den Ältesten sagen : Meine Tochter
habe ich diesem Manne zur Frau gegeben, aber er hat
Haß wider sie gefaßt, und siehe ! er hat [ihr] Böses nach-
geredet: ,, ich habe an deiner Tochter keine Jungfräulich-
keit gefunden", aber hier ist (der Beweis für) die Jung-
fräuHclikeit meiner Tochter, und sie breiten das Gewand
aus vor den Ältesten der Stadt, so sollen die Ältesten
jener Stadt den Mann nehmen und ihn strafen und ihm
100 Sekel Silber als Geldstrafe auferlegen und sie dem
Vater des Mädchens geben, weil er schlechten Ruf über
eine Jungfrau Israels verbreitet hat, und sie soll seine
Frau bleiben, zeit seines Lebens kann er sie nicht ent-
lassen (22"-i9).i
(51) Wenn aber Wahrheit diese Rede gewesen, Jung-
fräulichkeit an dem Mädchen nicht gefunden wurde, so
sollen sie das Mädchen zur Türe ihres Vaterhauses hinaus-
führen und die Bewohner ihrer Stadt sie mit Steinen zu
Tode steinigen, weil sie eine Schandtat in Israel begangen,
zu huren im Hause ihres Vaters, und du sollst wegräumen
das Böse aus deiner Mitte (222*"-).
(52) Wenn jemand ein Weib nimmt und es eheUcht, so
soll er, wenn es kein Gefallen in seinen Augen findet,
indem er etwas Anstößiges an ihr gefunden, ihr einen
Scheidebrief schreiben und ihr einhändigen und sie aus
seinem Hause entlassen. Verläßt sie sein Haus und geht
hin und verheiratet sich mit einem anderen Manne, und der
zweite Mann haßt sie und schreibt ihr einen Scheidebrief
imd händigt ihn ihr ein und entläßt sie aus seinem Hause,
oder wenn der zweite Maim, der sie sich zur Frau ge-
nommen, stirbt, so kann ihr erster Gatte, der sie entlassen,
sie nicht abermals nehmen, daß sie seine Frau werde,
nachdem sie verunreinigt worden. Denn ein Greuel ist
das vor Jaho, und nicht sollst du in Schuld bringen das
Land, welches Jaho, dein Gott, dir als Erbe gibt (24^"*).
1) Vgl. S. 139 Anm. i. Welche Ehel
2^2 Ehegesetze.
(53) Wenn jemand zwei Frauen hat, die eine geliebt und
die andere gehaßt (d. h. weniger geliebt), und sie ihm
Söhne gebären, die geliebte und die gehaßte, und der erst-
geborene Sohn der gehaßten angehört, so soll er, wann er
seine Söhne zu Erben seiner Habe macht, nicht den Sohn
der geliebten zum Erstgeborenen machen können vor dem
erstgeborenen Sohn der gehaßten, sondern den Erst-
geborenen, den Sohn der gehaßten, soll er anerkennen,
ihm doppelten Anteil zu geben an allem, was ihm gehörig
gefunden wird, denn er ist der ErstHng seiner Kraft, sein
ist das Recht der Erstgeburt (21^^"-).
(54) Wenn Brüder beisammen wohnen und einer von
ihnen stirbt, ohne einen Sohn zu haben, soll die Frau des
Verstorbenen nicht nach auswärts einem fremden Manne
zu eigen werden — ihr Schwager soll zu ihr eingehen und
sie sich zur Frau nehmen und sie „beschwagern". Und der
Erstgeborene, den sie gebiert, soll auf den Namen seines
verstorbenen Bruders zu stehen kommen, daß sein Name
nicht ausgetilgt werde aus Israel. Wenn der Betreffende
aber keine Lust hat, seine Schwägerin zu heiraten, so soll
seine Schwägerin in das Tor zu den Ältesten gehen und
sagen: Mein Schwager weigert sich, seinem Bruder einen
Namen in Israel bestehen zu lassen, er wiU mich nicht
„beschwagern", imd es sollen ihn die Ältesten seiner
Stadt rufen imd ihm zureden. Bleibt er dabei und sagt:
Ich habe keine Lust sie zu heiraten, so soll seine Schwägerin
vor den Augen der Ältesten an ihn herantreten und ihm
seinen Schuh von seinem Fuße ziehen und ihm ins Gesicht
spucken imd das Wort nehmen und sagen : So geschehe dem
Manne, der nicht baut das Haus seines Bruders! imd es
heiße sein Name in Israel Haus (Familie) des Barfüßers
(25^-^«).
Vgl. zu 50 HK: (§ 127) Wenn jemand eine Priesterin oder jemandes
Frau öffentlich verdächtigt und es nicht beweist, so soll man jenen
Menschen vor die Richter stellen, auch seine Stirn mit einem Schnitte
zeichnen {?).
Verletzung durch Schlagen. I^'j
Verletzung durch Schlagen
Ex : (55) Wer einen Mann schlägt, sodaß er stirbt, soll
getötet werden (21^*).
(56) Wer es aber nicht beabsichtigt hatte, sondern Gott
es seiner Hand zustoßen ließ, so mache ich dir einen Ort,
wohin er f heben soll (2 1 ^^) .
(57) Wenn aber jemand gegen seinen Nächsten aufge-
bracht ist, ihn heimtückisch zu töten, so sollst du ihn von
meinem Altar wegholen, daß er sterbe (21^*).
(58) Wenn Männer streiten und einer seinen Nächsten
mit einem Steine oder mit einem Knüppel (?) schlägt und
dieser nicht stirbt, aber bettlägerig wird — wenn er auf-
kommt und auf seiner Stütze auf der Straße sich ergeht,
so soll der Schläger freigesprochen werden, nur seine Un-
tätigkeit soll er zahlen und die Heilung tragen (2i^^*").
(59) Wenn jemand seinen Sklaven oder seine Sklavin
mit dem Stocke schlägt und er (der Geschlagene) unter
seiner Hand stirbt, soll er gestraft^ werden. Indes,
wenn er einen Tag oder zwei Tage leben bleibt, soll er
nicht gestraft werden, deim er (der Sklave) ist sein Geld^
(21 20 t)
(60) Wenn jemand ein Auge seines Sklaven schlägt oder
ein Auge seiner Magd und es zerstört, soll er ihn anstatt
seines Auges frei entlassen (21^").
(61) Wenn er einen Zahn seines Sklaven oder einen Zahn
seiner Magd ausschlägt, soll er ihn anstatt seines Zahnes
frei entlassen (21''').
(62) Wenn Männer raufen imd ein schwangeres Weib so
treffen, daß deren Kinder (oder Singular) herauskommen,
aber (sonst) kein Schade geschieht, soll er mit einer
Geldstrafe belegt werden, wie sie ihm der Khemann
der Frau auferlegt, und er soll gemäß dem Strafurteil (7) ^
^) über das Wie verlautet nichts.
2) Das ist: sein für Geld erkauftes Eigentum.
ä) Vgl. die Gesetze 67 und 68?.
jAA Verletzung durch Schlagen.
zahlen. Wenn aber Schade geschieht, sollst du Leben für
Leben geben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für
Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für
Wunde, Strieme für Strieme (2122-26).
Dt : (63) Wenn Männer zusammen raufen, ein Mann und
sein Bruder (Volksgenosse), imd die Frau des einen hinzu-
kommt, ihren Mann aus der Hand dessen, der ihn schlägt,
zu erretten, imd ihre Hand ausstreckt und ihn bei seinen
Schamteilen packt, so sollst du ihr mitleidslos die Hand ab-
hauen (2511'-)-
Lev: (64) Ein Mann, der irgendwelchen Menschen durch
Schlagen des Lebens beraubt, soll getötet werden. Und
wer ein Vieh durch Schlagen des Lebens beraubt, soll es
ersetzen: Leben statt Leben. Und ein Mann, der eine Ver-
letzimg seinem Genossen beibringt — wie er getan, so soll
ihm getan werden — Bruch statt Bruch, Auge statt Auge,
Zahn statt Zahn. Wie er den Menschen verletzt, soll er
verletzt werden (24^^—20)
HK: (§ 212) Wenn jemand jemanden in einer Balgerei schlägt und
eine Verletztmg ihm beibringt, so soll jener Mensch schwören: ,, Wissent-
lich schlug ich ihn nicht", auch den Arzt begleichen.
(§213) Wenn er infolge seines Schiagens stirbt, so soll er schwören
imd, wenn er ein freier Mann ist, ^/gMine Silber zahlen. — Vgl. § 214.
(§ 215) Wenn jemand eine freie Frau schlägt imd ihrer Leibesfrucht
beraubt, so soll er 10 Sekel Silber für ihre Leibesfrucht zahlen.
(§216) Weim jenes Weib stirbt, so soll man seine Tochter töten. Vgl.
§§ 217, 218.
(§219) Wenn er eine Sklavin schlägt und ihrer Leibesfrucht beraubt,
so soll er 2 Sekel Silber zahlen.
(§ 220) Wenn jene Sklavin stirbt, so soU er ^/g Mine Silber zahlen.
(§ 202) Wenn jemand das Auge eines freien Mannes zerstört, so soll
man sein Auge zerstören.
(§ 203) Wenn er den Knochen eines freien Mannes bricht, so soll
man ihm einen Knochen brechen. — Vgl. § 204.
(§ 205) Wenn er das Auge eines Sklaven zerstört oder den Knochen
«ines Sklaven bricht, so soll er die Hälfte seines Kaufpreises zahlen.
(§ 206) Wenn jemand einem ihm Gleichstehenden die Zähne aus-
schlägt, so soll man ihm die Zähne ausschlagen. — Vgl. § 207.
Verletzung durch einen Stier. I4.i^
Assyr. Gesetz: (§ 2r) Wenn jemand jemandes Tochter schlägt und
Ihrer I<eibesfruclit beraubt, man ihn durch Zeugen überführt, so soll
er 2 Talente 30 Minen Blei zahlen, 50 Stockhiebe erhalten, einen vollen
Monat Königsarbeit tun.
(§ 50) Wenn jemand jemandes Ehefrau schlägt und ihrer Leibes-
frucht beraubt — wenn die betreffende Ehefrau [am Leben bleibt,
soll er . . .] imd statt ihrer Leibesfrucht das Leben ersetzen. Wenn
aber jenes Weib stirbt, so soll man den Menschen töten, statt ihrer
Leibesfrucht soll er das Leben ersetzen. Und wenn der Gatte jenes
Weibes einen Sohn nicht hat, so schlägt man seine Ehefrau so, daß
ihre Leibesf nicht abgeht, anstatt ihrer Leibesfrucht soll man den Schläger
töten. Wenn ihre Leibesfrucht ein Mädchen ist, soll er das Leben
ersetzen .
Verletzung durch einen Stier
Ex: (65) Wenn ein Stier einen Mann oder ein Weib tot-
stößt, soll der Stier gesteinigt und sein Fleisch nicht
gegessen werden, aber der Eigentümer des Stieres ist straf-
frei (21 28).
(66) Wenn aber der Stier von jeher stößig ist und es
seinem Eigentümer eingeschärft worden ist, er ihn aber
nicht bewahrt, und er einen Mann oder ein Weib tötet,
soll der Stier gesteinigt, auch sein Eigentümer getötet
werden (21 2^).
(67) Wenn Sühngeld ihm auferlegt wird, so soll er das
lyösegeld für sein Leben geben, ganz so, wie es ihm auf-
erlegt wird (21^°).
(68) Oder stößt er einen Sohn oder stößt er eine Tochter,
soll ihm entsprechend dieser Rechtsordnung geschehen
(21 31).
(69) Wenn einen Sklaven der Stier stößt oder eine Sklavin,
soll er 30 Sekel Silber seinem Herrn geben, der Stier aber
gesteinigt werden (2 1 ^^) .
(70) Und wenn jemandes Stier seines Nächsten Stier
totstößt, so sollen sie den lebenden Stier verkaufen und
seinen Erlös teilen, auch das tote Tier sollen sie teilen
(21 36).
Delitzsch, Die grosse Täuschung. I jq
146 Sonstige fahrlässige Gefährdung des Eigentums des Nächsten.
(71) Oder war es bekannt, daß es ein von jeher stößiger
Stier ist, und bewahrt ihn sein Eigentümer nicht, soll er
einen Stier an Stelle des Stiers begleichen und der tote
ihm gehören (21^®).
HK: (§ 255) Wenn ein Ochse beim Gehen auf der Straße jemanden
stößt imd seinen Tod verursacht, so läßt jener Rechtsfall keine Klage zu.
(§ 256) Wenn jemandes stößiger Ochse, daß er stößig ist, seiner Nach-
barschaft zu erkennen gibt, wenn er ihm die Homer nicht verschneidet,
seinen Ochsen nicht knebelt, und jener Ochse einen freien Mann stößt
und seinen Tod verursacht, so soll er ^/a Mine Silber geben.
(§ 257) Wenn den Tod eines Sklaven, so soll er Vs Mine Silber geben.
Sonstige fahrlässige Gefährdung des Eigentums
und Lebens des Nächsten
Ex: (72) Wenn jemand Feld oder Weinpflanzung ab-
weiden und sein Vieh frei laufen läßt, sodaß es auf eines
Andern Felde abweidet, soll er den Ertrag seines Feldes
und den Ertrag seiner Weinpflanzung begleichen (22*),
(73) Wenn Feuer ausbricht und Dornen findet und ein
Getreidehaufe oder das in Halmen stehende Korn oder
der Acker verzehrt wird, so soll der Brandstifter das Ver-
brannte begleichen (22^).
(74) Wenn jemand eine Zisterne öffnet oder wenn jemand
eine Zisterne gräbt und sie nicht zudeckt und ein Stier
oder Esel [oder irgendwelches Vieh] hineinfällt, soll der
Eigentümer der Zisterne begleichen, Geld seinem Eigen-
tümer erstatten, das tote Tier verbleibt ihm (21 ^^'•).
Dt: (75) Wenn du ein neues Haus baust, so sollst du
ein Geländer deinem Dache machen und nicht eine Blut-
schuld auf dein Haus bringen, indem jemand von ihm
hinabfällt (22^).
^K- (§55) Wenn jemand seinen Kanal zur Bewässerung öffnet,
saumselig ist und das Feld seines Nachbarn unter Wasser setzt, so soll
er Korn wie seine Nachbarn darmessen. — Vgl. femer § 56.
{§ 57) Wenn ein Hirt sich mit dem Feldeigentümer nicht einigt, das
Kleinvieh Kräuter fressen zu lassen, und ohne den Feldeigentümer
das Feld dem Kleinvieh zum Fressen gibt, so soll der Feldeigentümer
Uuterslütziin^' des Näthsttn bei Verlust seines Eißentumn. jAy
aeiu Feld ernten, der Hirt aber, der ohne den Feldeigentümer das Feld
dem Kleinvieh r.um Fressen gegeben, überdies auf 1800 SAR 6000 QA
Koni dem Feldeigentümer geben. — Vgl. weiter § 58.
(§ 53) Wenn jemand den Damm .seines Feldes fest zu machen saum-
selig ist, seinen Damm nicht fest macht und in seinem Damme eine
Öffnung sich öffnet, er auch die Flur unter Wasser setzt, so soll der,
in dessen Damm die Öffnung sich geöffnet, das Korn, das er vernichtet
bat, ersetzen.
(§ 54) Wenn er das Korn nicht ersetzen kann, so soll man ihn selbst
and seine Habe für Geld verkaufen und die Flurleute, deren Kom die
Wasser weggeführt haben, es teilen.
Unterstützung des Nächsten, auch des Feindes,
bei Verlust oder Gefährdung seines Eigentums
Ex: (76) Wenn du den Stier deines Feindes oder seinen
Esel irrend triffst, sollst du ihn ihm zurückbringen (23*).
(77) Wenn du den Esel deines Hassers unter seiner I^ast
liegen siehst und du abstehst ihm zu helfen (?), sollst du
im Stich gelassen werden^ gleich ihm (23'').
Dt: (78) Du sollst nicht den Stier deines Bruders oder
sein Schaf verlaufen sehen und unbekümmert um sie sein
— zurückgeben sollst du sie deinem Bruder. Und wenn
dein Bruder dir nicht nahe ist und (oder) du ihn lücht
kennst, so sollst du es (das Tier) in dein Haus aufnehmen
und es soll bei dir bleiben, bis dein Bruder nach ihm
fragt, dann sollst du es ihm zurückgeben. So sollst du es
halten mit seinem Esel, so sollst du es halten mit seinem
Gewände, so sollst du es halten mit allem deinem Bruder
Verlorengegangenen, das ihm verloren geht und du ge-
funden hast — du darfst nicht unbekümmert sein (22^~^).
(79) Du sollst nicht den Esel deines Bruders oder seinen
Stier auf dem Wege gestürzt sehen und unbekümmert um
ihn sein — aufrichten sollst du mit ihm (22*).
HK: (§ 17) Wenn jemand einen entwichenen Sklaven oder Sklavin
auf freiem Felde faßt und seinem Herrn zuführt, so soll 3 Sekel
Silber der Herr des Sklaven ihm geben.
^) ta'axih lies fe'äzeb.
Delitzsch, Die grosse Täuschung. I lO*
148
Diebstahl.
(§ 19) Wenn er jenen Sklaven in seinem Hause zorückbehält, nach-
dem der Sklave bei ihm gefaßt wird, so soll jener Mensch getötet
werden .
Diebstahl
Ex: (80) Wenn jemand einen Stier oder ein Schaf stiehlt
und es schlachtet oder verkauft, so soll er fünf Rinder
statt des Stiers und vier Stück Kleinvieh statt des Schafes
begleichen (21^').
(81) Wenn das Gestohlene bei ihm lebend gefunden
wird, sei es Stier oder Esel oder Schaf, soll er doppelt be-
gleichen (22^).
(82) Begleichen muß er; wenn er nichts hat, so soll
er für das von ihm Gestohlene (d. h. für dessen Wert) ver-
kauft werden (2 2 2").
(83) Wenn der Dieb beim Einbruch betroffen und ge-
schlagen wird, daß er stirbt, so hat es keine Blutschuld.
Wenn die Sonne darüber aufgegangen ist, hat es Blut-
schuld (22^. *').
(84) Wer einen Mann [von den Kindern Israels] stiehlt
und verkauft und er bei ihm gefunden wird, soll getötet
werden (21^^).
Dt: (85) Wenn jemand getroffen wird, der ein Menschen-
leben von seinen Brüdern, den Kindern Israels, stiehlt und
mit ihm Geschäfte macht und es verkauft, so soll selbiger
Dieb sterben, und du sollst wegräumen das Böse aus
deiner Mitte (24').
Vgl. das sogen, 9. und 10. Gebot.
HK : (§ 6) Werm jemand Eigentum eines Gottes oder des Palastes
stiehlt, so soll jener Mensch getötet werden. Auch der, der das ge-
stohlene Gut von ihm angenommen hat, soll getötet werden.
(§ 8) Wenn jemand Ochs oder Schaf oder Esel oder Schwein oder
Schiflf stiehlt, so soll er es, wenn es der Gottheit, wenn es dem Palaste
gehört, 30 fach geben; wenn es einem Hörigen gehört, so soll er es 10 fach
ersetzen. Wenn der Dieb nichts zu geben hat, so soll er getötet werden.
(§ 14) Wenn jemand den kleinen Sohn jemandes stiehlt, so soll er
getötet werden.
Grenzverrückung. I4.Q
(§21) Wenn jemand ein Loch In ein Haas bricht, so soll man ihn
vor jenem Loche töten und einscharren.
(§ 22) Wenn jemand einen Raub begeht und gefaßt wird, so soll
jener Mensch getötet werden.
(§ 25) Wenn in jemandes Haus Feuer ausbricht und jemand, der
zum Löschen gekommen, sich nach einem Btsitzstück des Hausherrn
gelüsten läßt uud das Besitzstück des Hausherrn nimmt, so soll jener
Mensch in jenes Feuer geworfen werden.
Wie streng jede widerrechtli he Aneignung fremden Eigentums auch
in Babylonien geahndet wurde, läßt § 7 ermessen: Wenn jemand Silber
oder Gold oder Sklaven oder Sklavin oder Ochs oder Schaf oder Esel
oder sonst irgendetwas von einem I'reien oder Sklaven ohne Zeugen
und Vertrag kauft oder zur Bewahrung annimmt, so ist jener Mensch
ein Dieb und soll getötet werden.
Ass3rr. Gesetz : (§3) Wenn eines Krankliegenden oder eines Ver-
storbenen Ehefrau aus seinem Hause etwas stiehlt, sei es an einen
Mann, sei es an ein Weib, sei es an sonst jemand verkauft, so soll man
die Ehefrau und die Käufer töten. Wenn dagegen jemandes Ehefrau,
deren Gatte lebt, aus dem Hause ihres Gatten stiehlt , sei es an einen
Maim, sei es an ein Weib, sei es an sonst jemand verkauft, so soll der
Betreffende seine Frau überführen, auch ihr Strafe auferlegen. Der
Käufer aber, der von der Ehefrau des Betreffenden gekauft hat, soll
das Gestohlene abgeben, auch soll man Strafe gleich der, die der Be-
treflende seiner Ehefrau auferlegt, dem Käufer auferlegen.
Grenzverrückung
Dt: (86) Du sollst nicht verrücken die Grenze deines
Nächsten, welche die Vorfahren abgegrenzt haben, in
deinem Erbteil, das du besitzen wirst in dem Lande, das
Jaho, dein Gott, dir gibt, es in Besitz zu nehmen (19^^).^
Vgl. die zahlreichen babylonischen Urkunden über Grundstücks-
verkäufe, deren Inschriften sämtlich mit den schwersten Flüchen
denjenigen bedrohen, der die Grenzen zu verrücken wagen sollte.
AssjT. Gesetz: Wenn jemand ein großes Gebiet seines Nächsten an
sich reißt, man ihn durch Zeugen überführt, so soU er das Feld, so-
viel er an sich genommen, im dreifachen Betrage geben. Seinen
Daumen (?) soll man abschneiden, 100 Stockhiebe ihm geben, einen
vollen Monat soll er König.sarbeit tun.
^) Vgl. Dt 27": Verflucht sei, wer die Grenze seines Nächsten verrückt.
1^0 Richtiges Gewicht und Maß. — Meineid.
Wenn jemand in ein kleines Gebiet mit Brunnen (?) übersteigt, man
ihn durch Zeugen überführt, soll er ein Talent Blei geben. Das Feld,
soviel er an sich gerissen, soll er zehnfach (?) zurückgeben, 50 Stock-
hiebe soll man ihm geben, einen vollen Monat soll er Königsarbeit tun.
Richtiges Gewicht und Mass
Dt: (87) Du sollst in deinem, Beutel nicht zweierlei Ge-
wichtssteine haben: einen großen und kleinen. Du sollst
in deinem Hause nicht zweierlei Epha (ein Hohlmaß)
haben: ein großes und kleines. Vollen und richtigen Ge-
wichtsstein soUst du haben, volles und richtiges Epha
soUst du haben, damit deine Lebenszeit lang sei auf dem
Boden, den Jaho, dein Gott, dir gibt. Denn ein Greuel
Jahos, deines Gottes, ist jeder, der dieses tut, jeder, der
Ungerechtigkeit tut (25^3-16^
Vgl. Levig^s'-.
Meineid
Lev: (88) Ein Wesen, das sündigt und gegen Jaho sich
vergeht und seinem Genossen etwas Anvertrautes oder
Hinterlegtes oder Geraubtes leugnet und seinen Genossen
vergewaltigt oder etwas Verlorengegangenes findet und
es leugnet und einen Meineid leistet in irgendeiner dieser
Taten, womit sich der Mensch versündigt, so soll er, wenn
er sich versündigt und verschuldet, das Geraubte, das er
geraubt, oder die Vergewaltigung, die er verübt, oder das
Anvertraute, das bei ihm zur Bewahrung gegeben, oder
das Verlorengegangene, das er gefunden, zurückgeben —
alles, betreffs dessen er einen Meineid schwört, soll er in
seinem Gesamtbetrag begleichen und sein Fünftteil hinzu-
fügen, seinem Eigentümer soU er es geben am Tag seiner
Verschuldung. Und sein Schuldopfer soll er Jaho bringen :
einen fehlerfreien Widder vom Kleinvieh nach deiner
Schätzung als Schuldopfer (521-26).
Den Babyloniern gilt der Eidschwur beim Namen Gottes als
absolut sakrosankt, in dem Grade, daß in den Gesetzen Hammurabis
sowie in den Prozeßurkunden die Möglichkeit eines Meineides über-
haupt nicht gesetzt wird. — Siehe Babel und Bibel III S. 23.
Gcniciiulevorsthriftcii. Krir>;s- und Lagergesetze. X5I
Gemeindevorschriften
Dt: (89) Nicht werde ein an der Hode Verwundeter
oder einer mit abgeschnittener Harnröhre in die Gemeinde
Jahos aufgenommen (2 3 2).
(90) Nicht werde ein Bastard (?) * in die Gemeinde Jahos
aufgenommen, auch der lo. Generation angehörig, finde
er keine Aufnahme in die Gemeinde Jahos (23^). ^
(91) Nicht soll sein eine ,, Geweihte" ^ von den Töchtern
Israels und nicht soll sein ein ,, Geweihter" von den Söhnen
Israels (23^^).
Kriegs- und Lagergesetze
Dt: (92) Wenn du zum Kampf ausziehst wider deine
Feinde und Pferde und Streitwagen siehst, ein Volk zahl-
reicher als du, sollst du dich nicht vor ihnen fürchten,
denn Jaho, dein Gott, ist mit dir, der dich aus dem Lande
Ägypten heraufgeführt hat." Und wenn ihr anrückt zum
Kampfe, so soll der Priester herzutreten und zu dem
Volke reden und zu ihnen sagen: Höre, Israel, ihr rückt
heute an zum Kampfe wider eure Feinde, nicht sei feig
euer Herz, fürchtet euch nicht und seid nicht bestürzt
und erschreckt nicht vor ihnen, denn Jaho, euer Gott,
ist's, der mit euch zieht, für euch mit euren Feinden zu
kämpfen, euch zu erretten. Und die Amtleute sollen zum
Volke sprechen: Wer ist der Mann, der ein neues Haus
gebaut und es nicht eingeweiht hat? er kehre um in sein
^) Das noch nicht sicher erklärte Wort tnamzSr dürfte wohl das
babylonische zSr ,,Same , Nachkommenschaft" enthalten , also ein
Lehnwort aus dem Babylonischen sein.
') Das gleiche gilt von Ammonitem und Moabitem, , .deren Bestes
Israel niemals in alle Ewigkeit suchen soll" (23*"'), also ewiger Haß
gegen die einstigen poUtischen Feinde. Dagegen können Edomiter
und Ägypter in der dritten Generation in die Gemeinde Jahos aufge-
nommen werden (23^).
') D. h. zu kultischen Zwecken entweiht, prostituiert.
162 Kriegs- und Lagergesetze.
Haus, daß er nicht falle im Kampfe und ein anderer Mann
es einweihe! Und wer ist der Mann, der einen Wein-
garten gepflanzt und nicht geweiht hat? er gehe und
kehre um in sein Haus, daß er nicht falle im Kampfe und
ein anderer Mann ihn weihe! Und wer ist der Mann, der
ein Weib sich an verlobt und es nicht geheiratet hat? er
gehe und kehre um in sein Haus, daß er nicht falle im
Kampfe und ein anderer Mann sie heirate ! Und die Amt-
leute sollen fortfahren zum Volke zu reden und sollen
sagen: Wer ist der Mann, der sich fürchtet und feig ist?
er gehe und kehre um in sein Haus, daß er nicht den Mut
seiner Brüder schmelzen mache gleich seinem eigenen
{Dt2oi-8).
(93) Wenn du gegen eine Stadt anrückst, sie zu be-
kriegen, so sollst du ihr ein friedliches Abkommen an-
bieten. FaUs sie dir zustimmend antwortet und (ihr Tor)
dir öfEnet, so soll alles darin befindliche Volk dir Fron-
knechte und deine Sklaven sein. Wenn sie aber kein fried-
liches Abkommen mit dir trifft, sondern Krieg mit dir
führt und du sie belagerst und Jaho, dein Gott, sie in
deine Hände gibt, so sollst du all ihr Männliches mit dem
Schwerte schlagen, dagegen die Weiber und die kleinen
Kinder imd das Vieh und alles, was in der Stadt ist, ihre
ganze Beute, sollst du dir rauben, und die Beute deiner
Feinde, die Jaho, dein Gott, dir gegeben hat, genießen.
So sollst du allen Städten tun, die sehr fern von dir sind,
die nicht zu den Städten dieser Völker gehören. Dagegen
von den Städten dieser Völker, die Jaho, dein Gott, als
Erbteil dir gibt, sollst du irgendwelches Lebewesen nicht
leben lassen, sondern bannen sollst du sie: die Hettiter
und die Amoriter, die Kanaan! ter und die Perizziter, die
Chiwwiter imd die Jtbusiter, wie dir Jaho, dein Gott,
befohlen hat, damit sie euch nicht lehren zu tun gleich
allen ihren Greueln, die sie ihren Göttern zu Ehren getan
haben, imd ihr euch so an Jaho, eurem Gotte, versündigt
(20 10-18),
Kriegs- und Lagergcuetze. 1^3
(94) Wenn du gegen deinen Feind in den Krieg ziehst
und Jaho, dein Gott, ihn in deine Hand gibt, und du seine
Gefangeneu fortführst und unter den Gefangenen ein
hübsches Weib siehst und an ihm Gefallen findest und
(es) dir zur Frau nimmst, so sollst du es in dein Haus
führen und es soll seinen Kopf scheren und seine Nägel
zurechtmachen und ihr Gefangenengewand von sich abtun
und in deinem Hause wohnen und seinen Vater und seine
Mutter einen vollen Monat beweinen. Danach magst du
ihm beiwohnen und es ehelichen und es deine Frau sein.
Falls du aber keine Lust an ihr findest, so sollst du sie zu
ihrem Leben entlassen. Um Geld verkaufen darfst du
sie nicht, Geschäfte mit ihr nicht machen, dafür daß du
sie geschwächt hast {21^°—^*).
(95) Wenn jemand sich neuvermählt, soll er nicht im
Kriegsdienste ausrücken und irgendetwas ihm nicht auf-
erlegt werden — frei soll er sein für sein Haus ein Jahr,
daß er seine Frau, die er genommen, erfreue (24^).
(96) Weim du ein Feldlager beziehst gegen deine Feinde,
so sollst du dich hüten vor allem Bösen. Wenn jemand
bei dir ist, der infolge von Pollution nicht rein ist, so gehe
er hinaus vor das Lager, komme nicht in das Lager. Zur
Wende des Abends wasche er sich mit Wasser und bei
Sonnenuntergang komme er in das Lager. Und ein Ab-
teil (?) sei dir außerhalb des Lagers, dorthin sollst du aus-
treten. Und einen Pflock sollst du an deinem Gürtel
tragen, und, wenn du dich draußen niedersetzest, sollst
du mit ihm scharren und hinwiederum deinen Unrat be-
decken. Denn Jaho, dein Gott, geht einher durch dein
Lager, dich zu erretten und deine Feinde vor dir in die
Flucht zu schlagen, so soll dein Lager heiUg sein, daß er
in dir nichts Anstößiges sieht und sich von dir abwendet
(23 10-16),
(97) Wenn du eine Stadt lange belagerst, sie bekämpfend
zwecks ihrer Einnahme, sollst du ihren Baumstand nicht
vernichten, die Axt gegen ihn ausholen lassend, denn du
IC^. Das Königsgesetz.
wirst von ihm essen und sollst ihn nicht abhauen. Denn
ist ein Mensch der Baum des Feldes, daß er durch deine
Belagerung leide? Nur einen Baum, von dem du weißt,
daß er kein Baum mit eßbaren Früchten ist, ihn magst du
vernichten und abhauen und ein Belagerungsmittel wider
die Stadt bauen, die wider dich kämpft, bis sie zu Fall ge-
bracht wird (20i»|-).i
HK: (§26) Wenn ein , .Treiber" oder „Fänger" (zwei, militärische
Gradbezeichnungen), der zu einer Unternehmung des Königs zu kommen
befohlen ist, nicht kommt oder einen Mietling mietet imd statt seiner
schickt, so soll jener , .Treiber" oder ..Fänger" getötet werden, der
von ihm Gemietete soll sein Haus an sich nehmen.
(§33) Wenn ein Statthalter oder Amtmann Gesindel (?) annimmt
oder für die Unternehmung des Königs einen Ersatzmann dingt und
zuführt, so soll jener Statthalter oder Amtmarm getötet werden.
Das Königsgesetz
Dt: (98) Wenn du in das Land kommst, das Jaho, dein
Gott, dir gibt und es in Besitz nimmst und in ihm wohnst,
und du sagen wirst : ich will über mich einen König setzen
gleich allen den Völkern, die rings um mich her sind, sollst
du über dich einen König setzen, den Jaho, dein Gott,
erwählen wird : aus der Mitte deiner Brüder sollst du über
dich einen König setzen, du darfst keinen Ausländer,
der nicht dein Bruder ist, über dich setzen. Nur soll er
sich nicht viele Rosse machen und das Volk nicht nach
Ägypten zurückbringen, um viele Rosse zu bekommen,
während Jaho euch gesagt hat: ihr sollt nicht wieder
zurückkehren auf diesem Wege fernerhin. Und er soll
nicht viele Weiber sich zulegen, und nicht soU sein Herz
abweichen, und Silber und Gold soll er sich nicht sehr
viel zulegen. Und wenn er seinen Königsthron besteigt.
*) Vgl. auch das gemäß i Sa 30** von David eingeführte Kriegs-
gesetz: Wie der Teil dessen, der in den Kampf hinabzieht, so der
Teil dessen, der beim Gepäck bleibt — zusammen sollen sie teilen.
Anstand bzw. WohlanstÄndinkcit. ig^
soll er sich diese Gesetzeswiederholung ' von den leviti-
schen Priestern ausbitten und in ein Buch schreiben, und
es soll bei ihm sein und er soll darin lesen alle Tage seines
Lebens, daß er Jaho, seinen Gott, zu fürchten lerne, zu
beobachten alle Worte dieser Thora und diese Gesetze,
sie zu tun, daß sich sein Herz nicht über seine Brüder er-
hebe und nicht abweiche von dem Gebote nach rechts und
hnks, daß er lange regiere, er und seine Söhne in Israel
(17 14-20)
Anstand bzw. Wohlanständigkeit
Dt: (99) Wenn du in den Weingarten deines Nächsten
kommst, so magst du Trauben essen, so viel du Lust hast
(Var; bis du satt bist), aber in dein Gefäß sollst du keine
tun. Wenn du in das Getreidefeld deines Nächsten kommst,
so magst du Ähren mit deiner Hand pflücken, aber eine
Sichel sollst du nicht schwingen über dem in Halmen
stehenden Getreidefeld deines Nächsten (23^^'').
(100) Nicht soll Mannskleidung ein Weib tragen und
nicht soll ein Mann in Weibergewand sich kleiden, denn
ein Greuel Jahos, deines Gottes, ist jeder, der dieses
tut (2 2 5).
(loi) Du sollst dich nicht kleiden in ,, Halbwolle" (?) :
Wolle und Flachs zusammen (22^^).
(102) Quasten sollst du dir machen an die vier Zipfel
deiner Kleidung, mit welcher du dich bedeckst (22^^).
Lev: (103) Ein Kleid aus doppeltem Stoff, ,, Halb-
wolle" (?), soll nicht auf dich kommen (19^^).
^) eth-misne hattörä hazzöth (V. 18) bedeutet nicht: „eine Abschrift
dieses Gesetzes", etwa gar im Sinne von: dieses Königsgesetzes (be-
achte hiergegen V. 19: zeitlebens darin lesen! und in V. 19 ,, diese Ge-
setze"), sondern die Worte wollen gewiß besagen: diese Gesetzes-
wiederholung, dieses zweite Gesetz oder „Deuteronomimn". Das
Adjektiv bzw. Pronomen folgt im Geschlechte auch sonst dem zweiten
Gliede der sog. 8t. -cetr. -Kette.
ic6 Miszellaneen.
Miszellaneen
Ex: (104) Wer [andern] Göttern (Glosse: außer Jaho
allein) opfert, werde gebannt (22^*).
(105) Den Namen anderer Götter sollst du nicht nennen
und nicht werde er gehört in deinem Munde (23^'").*
(106) Gott sollst du nicht verfluchen und einem Hoch-
gestellten in deinem Volke sollst du nicht fluchen (22*').
(107) Eine Zauberin (oder masctil.) sollst du nicht am
Leben lassen (22^').
(108) Du sollst kein falsches Gerücht aussprechen (23^").
(109) Fleisch auf freiem Felde, Zerrissenes sollt ihr nicht
essen, dem Hunde sollt ihr es hinwerfen (Ex 22", vorher-
geht: heilige Leute sollt ihr mir sein).
Dt: (iio) Ihr sollt keinerlei Aas essen. Dem Schützling
in deinen Ortschaften magst du es zum Essen geben oder
an einen Ausländer verkaufen, denn ein heiliges Volk bist
du Jaho, deinem Gotte (14^^').
(iii) Du sollst nicht pflügen mit Stier und Esel zu-
sammen (22^").
(112) Du sollst einem Stier, wenn er drischt, keinen
Maulkorb anlegen (25^).
(113) Wenn dir zufällig unterwegs auf irgendeinem
Baum oder auf der Erde ein Vogelnest vor Gesicht kommt :
junge Vögelchen oder Eier, während die Mutter auf den
Vögelchen oder auf den Eiern ruht, sollst du nicht die
Mutter mitsamt den Jungen nehmen. Freilassen sollst
du die Mutter und die Jungen dir nehmen, damit es dir
wohlgehe und du lange lebest (22'*').
(114) Du sollst nicht deinen Weingarten zwiefach be-
säen, damit nicht das Ganze (?) dem Heihgtum verfalle:
das von dir Gesäete und der Ertrag des Weingartens (22*).
*) Daher, wo immer es anging, die Verhmizung fremdländischer
Gottesnamen, z. B. Molech (Moloch) statt Melech; Aschtoreth statt
Aschtercth (Astarte), u. a. m. Vgl. Teil II S. 7.
Humanität.
157
Lev: Jedweder, der seinen Gott verflucht, soll seine
Schuld büßen (nämlich durch Steinigung, 24*" vgl. **). —
Gegen Zaubereitreiben u.dgl. s. 19^" 20".
Assyr. Gesetz: {§47) Wenn ein Mann oder ein Weib Zaubereien
treibt und diese in ihrem Haus pefaßt werden, man sie durch Zeugen
überfülirt, so soll man den Betreiber der Zaubereien töten.
Humanität
Ex: (115) Irgendeine Witwe und Waise sollt ihr nicht
bedrücken. Bedrückt ihr sie — fürwahr, wenn sie zu
mir schreit, werde ich ihr Geschrei hören, und es wird
entbrennen mein Zorn, und ich werde euch mit dem
Schwerte töten, und eure Frauen sollen Witwen und eure
EÜnder Waisen werden (2 2 ^^ *'•) .
(116) Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seinen
Ertrag ernten, aber das siebente Jahr sollst du es brach und
tmbebaut lassen, und die Armen deines Volkes Nießnutz
haben; was sie aber übrig lassen, fresse das Getier des
Feldes. Ebenso sollst du verfahren mit deiner Wein-,
deiner ölpflanzung (23^®'-).
Dt: (117) Du sollst nicht hart behandeln einen armen
und bedürftigen Lohnarbeiter von deinen Brüdern oder
deinen Schützlingen, die in deinen Ortschaften (Var: in
deinem Lande) sind.] Zur rechten Zeit sollst du seinen
Lohn geben und nicht soll darüber die Soime untergehen,
denn arm ist er und darauf (auf die Lohnzahlung) richtet
er sein Verlangen, und nicht soll er wider dich zu Jaho
rufen, und dir eine Schuld anhaften (24^**).
(118) Wenn du deine Ernte auf deinem Felde erntest
und eine Schwade auf dem Felde vergissest, sollst du nicht
umkehren, sie zu nehmen — dem SchützHng, der Waise und
der Witwe soll sie gehören, damit dich Jaho, dein Gott,
segne in all deinem Händewerk (24^^).
(119) Wenn du deinen Ölbaum abklopfest, sollst du
nicht hinterher Absuche halten — dem Schützling, der
Waise und der Witwe soll es gehören (V. 20).
1^8 Humanität.
(i2o) Wenn du deine Weinpflanzung schneidest, sollst
du hinterher keine Nachlese halten — dem Schützling,
der Waise und der Witwe soU es gehören. Und du sollst
eingedenk sein, daß du ein Sklave gewesen im Lande
Ägypten, darum befehle ich dir dieses zu tun (V. 21 f.).
(121) Am Ende von drei Jahren sollst du den ganzen
Zehent deines Einkommens im selbigen Jahre (d. h. im
dritten Jahre) herausgeben und in deinen Ortschaften be-
lassen. Und es komme der Levit — denn er hat keinen
Teil und Erbbesitz bei dir — und der SchützHng und die
Waise und Witwe, die in deinen Ortschaften sind, und sie
sollen essen und satt werden, auf daß dich segne Jaho,
dein Gott, in allem Tun deiner Hände, das du tust (14^®).
(122) Am Ende von sieben Jahren sollst du einen Erlaß
machen. Und so verhält es sich mit dem Erlaß: erlassen
soll jeder Gläubiger das Darlehen seiner Hand, das er
seinem Nächsten leiht. Er soll seinen Nächsten imd seinen
Bruder nicht drängen, denn man hat einen Erlaß zu Ehren
Jahos ausgerufen. Den Ausländer magst du drängen,
was du aber bei deinem Bruder stehen hast (an Schuld),
soll deine Hand erlassen (15^"^).
(123) Du sollst einen Sklaven seinem Herrn nicht aus-
Hefern, der sich zu dir vor seinem Herrn rettete. Bei dir
soU er bleiben in deiner IMitte,^ an dem Orte, den er
wählt in einer deiner Ortschaften, der, die ihm gefällt,
du sollst ihn nicht bedrücken (2 3 ^^ '•) .
(124) Wenn unter dir ein Bedürftiger ist, irgendeiner
deiner Brüder in einer deiner Ortschaften in deinem
Lande, das Jaho, dein Gott, dir gibt, sollst du dein Herz
nicht verhärten und deine Hand nicht zurückhalten vor
deinem Bruder, öffnen sollst du ihm deine Hand und
ihm den Betrag seines Mangels, der ihm mangelt, gegen
Pfand leihen. Hüte dich, daß in deinem Herzen ein nichts-
nutziger Gedanke aufkomme : nahe ist das siebente Jahr, das
*) D. h. innerhalb deines Landes — ein Zeichen, daß von auswärtigen,
fremdländischen Sklaven die Rede ist.
Hiiiiiaiiität.
159
Erlaßjahr, und dein Auge deinen bedürftigen Bruder böse
ansehe und du ihm nicht gibst und er wider dich zu Jaho
ruft und eine Schuld dir anhaftet. Geben sollst du ihm,
und dein Herz soll nicht böse darüber sein, daß du ihm
gibst. Denn um dieses willen wird Jaho, dein Gott, dich
segnen in all deinem Tun und in aller deiner Hantierung.
Denn Bedürftige werden nicht aufhören im Lande. Darum
befehle ich dir : öffnen sollst du deine Hand deinem Bruder,
deinem Armen und deinem Bedürftigen in deinem Lande
Lev: (125) Du sollst nicht den Lohn eines Lohnarbeiters
über Nacht bei dir behalten bis Tagesanbruch (19^^).
(126) Wenn ihr die Ernte eures Landes erntet, sollst du
den Rand deines Feldes nicht gänzlich abernten und die
Auflese deiner Ernte nicht auflesen, auch deinen Wein-
garten sollst du nicht nachlesen und Abgefallenes deines
Weingartens nicht auflesen — dem Armen und Schütz-
ling sollst du sie lassen — ich bin Jaho, dein Gott (ig^''
V. 9=23").
(127) Sechs Jahre sollst du dein Feld besäen und sechs
Jahre deinen Weingarten beschneiden und den Ertrag
des Landes einheimsen.] Aber im siebenten Jahre soll voll-
kommene Ruhezeit sein für das Land, Ruhezeit für Jaho :
dein Feld sollst du nicht besäen und deinen Weingarten
nicht beschneiden. Den Nachwuchs deiner Ernte sollst
du nicht ernten und die Trauben deines imbeschnittenen
Weingartens nicht abschneiden — ein Jahr der Ruhe soll
es sein für das Land. Der Ruheertrag des Landes aber
soll euch zur Nahrung dienen : dir und deinem Sklaven imd
deiner Sklavin und deinem Lohnarbeiter und deinen Bei-
saßen, die bei dir weilen." Auch deinem Vieh und dem Wild
in deinem Lande soll der Ertrag des Landes zur Nahrung
dienen (2 5 3-').
HK : (§ 48) Wenn auf jemand eine Darlehensforderung lastet und
sein Feld der Wettergott überschwemmt oder Hochwasser (?) es weg-
rafft, oder infolge Wassermangels Korn auf dem Felde nicht wächst.
l6o Den Volksgenosseu und Schützling lieben, nicht bedrücken.
so braucht er in jenem Jahre dem Gläubiger Korn nicht zxirückzngeben . . .
Auch Zinsen für jenes Jahr braucht er nicht zu geben.
(§ 150) Wenn jemand eine Frau heiratet und Entkräftung sie be-
fällt, er eine andere zu heiraten beabsichtigt, so mag er heiraten;
seine Frau, welche Entkräftung befallen, soll er nicht entlassen, in
dem von ihnen gegründeten Hausstand soll sie wohnen bleiben und
er, solange sie lebt, sie erhalten.
(§ 182) Wenn eine Witwe, deren Kinder noch klein sind, sich ander-
weitig zu verehelichen beabsichtigt, so soll sie ohne die Richter es
nicht tun. Wenn sie sich anderweitig verehelichen will, so sollen die
Richter die Verhältnisse des Hauses ihres ersten Mannes klarstellen:
das Haus ihres ersten Mannes sollen sie ihrem zweiten Manne und
jenem Weib übertragen und eine Tafel sie ausfertigen lassen; sie sollen
das Haus bewahren, auch die Kleinen großziehen, die Hausgeräte für
Geld nicht verkaufen. Der Käufer, der das Hausgerät der Kinder
einer Witwe kauft, geht seines Geldes verlustig, das Eigentum geht an
seinen Eigentümer zurück.
Den Volksgenossen und Schützling lieben, nicht
bedrücken
Ex: (128) Einen Schützling sollst du nicht bedrücken
und sollst du nicht bedrängen, denn Schützlinge wart ihr
im Lande Ägypten (22-").
(129) Einen Schützling sollst du nicht bedrängen, ihr
wißt ja, wie es dem Schützling zumute ist, denn Schütz-
linge wart ihr im Lande Ägypten (23').
Dt: (130) Ihr sollt den Schützling lieben, denn Schütz-
Hnge wart ihr im Lande Äg5rpten (10*^).
Lev: (131) Du sollst deinen Nächsten nicht hart be-
handeln und nicht berauben (19^').
(132) Du sollst nicht Rache üben und nicht grollen gegen
deine Volksgenossen, sondern sollst deinen Nächsten wie
dich lieben — ich bin Jaho (19^®).
(133) Wenn ein SchützUng bei euch weilt in eurem Lande,
so sollst du ihn nicht bedrücken. Wie euer Volkszuge-
höriger soll euch der Schützling sein, der bei euch weilt,
und du sollst ihn wie dich lieben, denn Schützlinge wart
ihr in Ägypten — ich bin Jaho, euer Gott (ig^^^-).
Ausgewählte Kultus Vorschriften. l6l
Für die Snuahnung des babylonischen Weisen, dem Nächsten
Liebe zu erzeigen, ihn nicht zu verachten oder herrisch zu unter-
drücken, was notwendig Gottes Zorn htrbcifülire, vielmehr den, der
da bittet, zu speisen und zu tränken, was Gottes Wohlgefallen sei,
hilfreich zu sein und Gutes zu tun allerwege, siehe oben Anm. 46.
Ausgewählte Kultusvorschriften
Ex: (134) Einen Altar aus Erde sollst du mir machen
und auf ihm deine Brand- und Huldigungsopfer, deine
Schafe und deine Rinder, opfern; an jedem Orte, woselbst
ich meinen Namen nennen werde, werde ich zu dir kommen
und dich segnen. Und wenn du mir einen Altar aus Steinen
machst, sollst du kein behauenes Gestein zum Bau ver-
wenden, denn schwingst du über ihm dein Eisenwerkzeug,
so entweihest du ihn.^ Und du sollst nicht auf Stufen
zu meinem Altar emporsteigen, daß nicht deine Blöße auf
(oder an) ihm entblößt werde (20^*"^*).
Dt: (135) Nicht sollst du Jaho, deinem Gotte, einen
Stier oder ein Schaf opfern, an welchen ein Fehler ist,
irgendetwas Böses, denn ein Greuel Jahos, deines Gottes,
ist es (17^).^
(136) Wenn du Jaho, deinem Gotte, ein Gelübde ge-
lobest, sollst du nicht zögern, es zu begleichen. Denn Jaho,
dein Gott, wird es von dir fordern und eine Schuld wird
dir anhaften. Weim du aber zu geloben imterlässest,
haftet dir keine Schuld an. Was deine Lippen verlaut-
barten, sollst du halten und tun, wie du Jaho, deinem
Gotte, gelobt hast — freiwillig war, was du mit deinem
Munde geredet (2 3 ^^ «•) .
») Vgl. Dt 2 78 f. Jos 8".
*) Vgl. das oben zum IV. Gebot zitierte Gesetz Dt i s^*"**, speziell
V. 31. Desgleichen Lev 22^8"",
FRIEDRICH DELITZSCH
DIE GROSSETÄUSCHUNG
ZWEITER (SCHLUSS-) TEIL
Fortgefetzte kritifche Betraditungen
zum Alten Teftament, vomehmlicii den Propheten*»
fchriften und Pfalmen, neblt Scfilußfolgerungen
Motto 1
Um »Gottes« willen!
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT
STUTTGART UND BERLIN
1.9-2.1
Alle Redite voilxhaltcn
Copyright 1921
by Deutfche Verlags 'Anftalt, Stuttgart
DiiKk der
Deutfdteii Veriags-Anftalt in Stoagart
Vorwort
Bei der Veröffentlichung der, .Großen Täuschung" mußte
ich gefaßt sein , daß mir infolge meiner von der alther-
gebrachten abweichenden religiösen Bewertung des Alten
Testaments und des Verhältnisses des Neuen Testaments
zum Alten aus tausend Kehlen jüdischer wie christlicher
Elritiker die Anklage des , .Antisemitismus' ' entgegenschallen
würde*, jenes Schlagwortes, das so vielen Anklägern zum
willkommenen Deckmantel dient für die eigene antideutsche
und antichristliche Gesinnung. Sofern man von mir nicht
das Unmögliche fordert, daß ich unter Millionen Deutscher
und Nichtdeutscher der Einzigste sein soll, der gegen die
Flammenzeichen der jüngsten Vergangenheit und der
Gegenwart blind ist, darf ich mit gutem Gewissen den
Vorwurf des Antisemitismus weit von mir weisen. Ich
♦) „Antisemitische Kampfschrift", „wütender Antisemit" (Frank-
furter Zeitung); „geistiges Pogrom" (Vossische Zeitung); „gallebitteres
Pamphlet, das die antichristliche (!) Richtimg offenbart, die der Anti-
semitismus genommen hat" (Berliner Tageblatt vom 2g. August 1920) ;
„brutaler antisemitischer Angriff auf die alttestamentUche Religion \md
das gesamte Judentum", ,, wilder Zorn gegen das israehtisch-jüdische
Volk", ,,anti jüdischer, zugleich das Christentum (!) untergrabender
Fanatismus" (Kölnische Volkszeitimg). Und Prof. Dr. M. Rosenfeld
in Wiener Morgenzeitung vom 14. Juli 1920: „sinnverwirrender Paroxys-
mus des Hasses", „Nachkriegspsychose", ,, Gewissenlosigkeit teuf-
lischer Täuschimgsversuche", „Haßorgie", ,,D, kämpft mit in Gift
getauchter Pfeilspitze gegen den Gott, den das Judentum die Mensch-
heit gelehrt hat (!), und findet keinen andern Ausweg aus der jüdi-
schen Gefahr als das jüdische Volk auszurotten und zu ver-
nichten" (in der Wiener Zeitimg gesperrt). Und so fort in infinitum.
Zahlreiche Zuschriften jüdischer Männer, Lehrer, sogar Rabbiner zeigen
mir erfreuhcherweise, wie man auch in diesen Kreisen anfängt, solche
Art der Polemik zu verurteilen, ja sich ihrer zu schämen.
A Vorwort.
habe mich mein Leben lang als Gegenteil eines Antisemiten
erwiesen : habe Jahrzehnte hindurch im Verein mit hoch-
gesinnten Männern des Judentums für den Ruhm der
deutschen Wissenschaft gearbeitet, habe viele j unge j üdische
Gelehrte in ihren Studien und in ihrer Laufbahn nach
Kräften gefördert, und bin vielen deutsch denkenden und
deutsch fühlenden jüdischen Familien in Freundschaft
verbunden. Auch ist mir in den zahllosen Kritiken meiner
Vorträge über Babel und Bibel und der anschließenden
Schriften niemals, von keiner einzigen Seite der Vorwurf
des Antisemitismus gemacht worden, im Gegenteil hat
mich der Verfasser der ,, Grundlagen des neunzehnten
Jahrhunderts" unter den heftigsten, mehrere Druckbogen
füllenden Schmähungen des Philosemitismus bezichtigt.
Da nun die der Neuausgabe des I. Teils und die diesem
n. Teile der ,, Großen Täuschung" beigefügten zahlreichen
Anmerkungen aus Babel und Bibel II und III zeigen, daß
sich meine religionsgeschichtlichen Untersuchungen seit
1902 bis heute in durchaus geradliniger Richtung bewegen,
so wird die Wahrheit wohl in der Mitte zwischen Philo-
und Antisemitismus liegen, das heißt: es wird anzuerkennen
sein, daß ausschließlich unbestechliche Wahrheits-
liebe mich leitet. Wenngleich die jetzt lebenden christlichen
Theologen ihre überkommenen Schulmeinungen schwerlich
aufgeben werden, ja kaum aufgeben können, so lebe ich
doch der Hoffnung, daß jüngere, an den deutschen Volks-
wie Hochschulen lehrende und lernende Generationen die
Darlegungen der „Großen Täuschung" ernst und vor-
urteilsfrei prüfen und an ihrem Teüe mit dazu beitragen
werden, das ,,Alte Testament" aus Schule und Kirche
zu verabschieden und die Gestalt und Lehre Jesu der
Christenheit rein und imverfälscht wiederzugeben.
Berlin, März 1921.
Friedrich Delitzsch.
In meiner Studentenzeit erinnere ich mich von einem
berühmten lutherischen Professor der alttestament-
lichen Theologie den Ausspruch gehört oder gelesen zu
haben: „Die Überlieferung des alttestamentUchen Textes
ist vielleicht ein noch größeres Wunder als die alttesta-
mentliche Gottesoffenbarung selbst". Der paradoxe Aus-
spruch bezog sich wohl ursprünglich auf die scheinbar
peinHchst sorgsame Vokalisienmg und Akzentuierung der
alttestamentUchen Schriften und wurde dann auf die
Überlieferung des alttestamentUchen Textes überhaupt
ausgedehnt. Nach dem gegenwärtigen Stande der Wissen-
schaft gäbe es keine gründlichere Verurteiltmg des Alten
Testamentes als einer göttUchen Offenbanmg als jenen
Ausspruch. Denn wir wissen jetzt, daß ims das alttesta-
mentUche Schrifttum, das vermein tUche Wort Gottes, so
fehlerhaft, ja liederUch überUefert worden ist wie nur
irgend denkbar. Ich lasse hier beiseite, daß eine große
Reihe im Alten Testamente zitierter Schriftwerke ver-
loren gegangen ist (siehe Teil I An mm. i und 39), vielmehr
meine ich die von Fehlem allerart geradezu wimmelnde
Rezension der erhalten gebliebenen althebräischenSchrif ten .
Abgesehen von den zahllosen Fehlern der Abschreiber,
die z. B. in den Psalmen nicht einmal die Kehrverse richtig
abzuschreiben sich bemühten ^, und die oft genug Ver-
schreibungen absichtlich stehen ließen, um durch Korrektur
den Wert der Handschrift nicht zu verringern , behandelten
die letzten Abschreiber den ihnen überkommenen Text
dermaßen idiotisch pietätvoll, daß sie sogar alle ausge-
merzten, am Rande verzeichneten Fehler wieder in den
^) Siehe im Anhang die Pss 49, 67, 80.
6 Fehlerhafte Überlieferung des alttestamentlichen Textes.
vermeintlich heiligen Text aufnahmen, ebenso die nach
Tausenden zählenden am Rande vermerkten, zum Teil
ziemHch umfangreichen Notizen allerart^ infolge wovon
die Psalmen z. B. ihrer ursprünglich poetischen Form voll-
ständig entkleidet und Hunderte anderer alttestament-
licher Stellen, z. B. im Buche Hosea, in trostloser Ver-
wirrung auf uns gekommen sind. Dazu kommt aber ein
Anderes, wenn möglich noch Schlimmeres. Die alttesta-
mentlichen Schriften waren gleich vielen anderen semitischen
Schriften ursprünglich so geschrieben, daß nur die Konso-
nanten graphischen Ausdruck fanden, die Vokale dagegen
nur ganz notdürftig und mißverständlich durch die so-
genannten Halbvokale h, j und v {w) bezeichnet wurden.
Erst im 7. Jahrhundert n. Chr., nachdem das Hebräische
bereits acht, neun Jahrhunderte aufgehört hatte, eine
lebende Sprache zu sein, imd authentische hebräische
Sprachkenntnis und natürüches Sprachgefühl mehr imd
mehr verblaßt waren, unternahmen es die sogenannten
Masoreten, die althebräischen Schriften mit unmißver-
ständlichen Vokalzeichen zu versehen, ließen sich aber
dabei in Hunderten von Fällen Fehler, ja sogar Schnitzer
zum Teil bedenkHchster Art zuschulden kommen. Indes,
das sind Interna der hebräischen bzw. alttestamentUchen
Sprachwissenschaft. Für weitere Kreise der Gebildeten
sind diese fehlerhaften Vokalisiertmgen nur insoweit von
Interesse, als sie Eigennamen betreffen, und diese von
jüdischen sprachimkundigen Gelehrten gemachten Fehler
seitdem Gemeingut der abendländischen Völker geworden
sind. So hat es z. B. eine Stadt des Namens Ninewe
{NivevT], so schon griechische Übersetzung und Neues Testa-
ment) niemals gegeben. Diese Vokalaussprache der über-
üeferten Konsonanten ist ebenso willkürUch als falsch. Die
konsonantische Wiedergabe meinte Ninüa, wie die Assyrer
ihre Landeshauptstadt niemals anders als Ninua oder Nina,
^) Siehe für all dies und das Folgende meine in Teil I Anm. 2
zitierte Schrift.
Falsche Überlieferung vieler Eigennamen. 7
griechisch /) Nryog, nannten '. Ein Fall von vielen. Aber
auch nicht einmal die eigenen hebräischen Namen wußten
sie richtig zu lesen. So hat es z. B. auch einen Propheten
Obadja niemals gegeben, der Name Obadja „Knecht
Jahos" ist so unhebräisch wie möglich, aber der Fehler
wird kaum auszurotten sein, obwohl schon die zirka acht
Jahrhtmderte früher lebenden griechisch-jüdischen Bibel-
übersetzer, die noch wesentlich besser hebräisch ver-
standen als ihre Epigonen, den Namen richtig Abdia
lasen, in der lateinischen Bibelübersetzung Abdias, wie
der Prophet demzufolge auch in der katholischen Kirche
mit Recht heißt. Die schönsten hebräischen Personen-
namen wie ,, Harre, hoffe auf Jaho" : Chakke-l'-Jah,
Qawwc-l^-Jäh, JacheUl^-el wurden nicht mehr verstanden
und in Chakalja, Qöläja, Jachl'el verballhornt 2. Absicht-
lich falsche Lesungen erlaubten sich die Punktatoren mit
den fremdländischen Gottheitsnamen. Da es Ex 23^^
heißt: „Den Namen anderer Götter sollst du nicht nennen,
nicht werde er gehört in deinem Munde", gaben sie, so-
weit es möghch war, den fremden Gottheitsnamen die
Vokale des hebräischen Wortes böschet, das ist etwa
,, Schandgötze", daher: 'Aschtöreth, Lä'ömer, und vor allem
Mölech, eine tendenziöse Vokalaussprache, die schon dem
Moloch der griechischen Bibelübersetzer zugrunde liegen
mag. In Wahrheit hat es niemals einen Gott namens
Moloch gegeben, der wirkliche Name dieses kanaanäischen
Gottes war Mälk oder Mäläch. Täuschung über Täuschung
schon in solchen Äußerlichkeiten.
^) Die in den hettitischen Boghaz-köi- Inschriften wechselnden Schrei-
bungen wie Ta-ku-wa und Ta-ku-ü-a (Nr. i Z. 30 f.) = Taküa lehren,
daß auch die Schreibungen wie Ni-nu-wa Ninüa meinten.
^) Ed. König bleibt natürlich bei dem mittelalterlichen Chakalja
und deutet dies „Umdunkelt hat sich J." (!), obwohl bereits Th. Böhme
(1871) das Richtige erkannt hatte. Und Qöläja soll heißen : ,,eine Kunde
(l) = Gnadenzeichen (!) J.'s" — da hört jede wissenschaftliche Dis-
kussion auf.
8 Die Erzählung Lev 24 1*'-'^.
Indes, das alles ist im Grunde wenig belangreich. Un-
gleich wichtiger ist eine andere Irreführung der christ-
hchen Völker — ich meine die allbekannte Aussprache des
israelitischen Gottesnamens als Jehova.
Im dritten Buche Mosis (I^ev 24^*^^^) wird erzählt, daß
der Sohn eines israelitischen, näher danitischen Weibes
imd eines ägyptischen Vaters im Lager mit einem Israeliten
in Streit geraten sei imd den Namen Jahos verflucht^
bzw. geschmäht^ und verwünscht^ habe, worauf Jaho
Mose Befehl gibt, den „Verflucher" {ham-m^qallel) durch
die ganze Gemeinde zu Tode steinigen zu lassen: „jed-
weder, der seinen Gott verflucht (fgallel), soll seine
Sünde büßen 2, und wer den Namen Jahos schmäht
{nöqeb), soll getötet werden — steinigen soll ihn die
ganze Gemeinde....; dafür, daß er geschmäht hat den
Namen Jahos, soll er getötet werden". Der Zusammen-
hang der Erzählung führt mit aller nur erdenkbaren Klar-
heit darauf, daß die betreffenden Gesetzbestimmungen
einzig und allein gegen das Verwünschen, Verfluchen
des Namens Jahos, das ist Jahos selbst, gerichtet sind.*
Wohl alle christlichen Theologen dürften darin einig sein,
daß das betreffende Verbum (näqab) an der Stelle lycv 24^'
nichts anderes als „schmähen" bedeuten kann, wie ja
schon Luther „lästern" übersetzt. D^egen faßten die
späteren jüdischen Schriftgelehrten das Verbum näqab in
*) Je nachdem waj-jiqqHh, V. 11, was das Nächstliegende, von qähab
,, verfluchen" oder, worauf V. 16 führt, |von näqab (s. hierunten Anni.4)
abgeleitet wird.
2) qilUl, das gewöhnliche Verbum für „verfluchen".
3) Vgl. Ex 1222': „Gott sollst du nicht verfluchen" (t^qaltel).
*) Sie beweisen ebendamit für das hebräische Verbum näqab, welches
ursprünglich „durchbohren" bedeutet, neben , .bezeichnen" usw. (vgl.
englisch to style), noch eine weitere Bedeutimg „schmähen", genau so
wie arabisch ta'ana die beiden Bedeutungen „durchbohren" und
„schmähen" in sich vereinigt. Zu dem Bilde: jemand mit Worten durch-
bohren = schmähen beachte auch Ps 42 ^^. Auch das deutsche „Stich-
wort" konnte ein „verletzendes Wort" bedeuten. Und vgl. „sticheln".
Der vermeintlich unaussprechbare Jaho-Name. g
der dritten ihm eigenen Bedeutung: „bezeichnen, be-
stimmen, benennen", verdrehten diese Bedeutungen in
die Bedeutung ,, aussprechen" und fälschten das Gesetz
Lev 24*' gegen Kontext und gesunden Menschenverstand
um in das Gesetz, daß den Namen Jahos auszusprechen
die Todesstrafe verwirke. Gegen den gesunden Menschen-
verstand: denn man fragt sich erstaunt, warum der
Gottesname durch alle Jahrhunderte hindurch von He-
bräern und Moabitern JHVH geschrieben tmd gewiß
auch ausgesprochen wurde (letzteres vom Alten Testament
selbst sogar für den assyrischen Heerführer Sanheribs be-
zeugt, siehe 2 KÖ 18 22. 25. 82. 35; Jes 36'- l«- l«- 2«), bis plÖtZ-
Uch die ganz späte, dem 5. Jahrhundert entstammende
Erzählung des Leviticus die Aussprechung des Gottes-
namens verbot, ja mit dem Tode bedrohte! Indes, gleich-
viel ob noch so unberechtigt, man begaim das sogenannte
Tetragramm, mit welchem der Gottesname, wenn er selb-
ständig gebraucht war, geschrieben wurde, bald durch
Elöhim ,,Gott", bald durch Adönäi ,,Herr" zu ersetzen
(Anm. i), die späteren Hinzufüger der Vokalzeichen aber
gaben dem Gottesnamen bald die Vokale des ersten, bald
jene des zweiten Ersatzwortes, sodaß nun das Tetragramm
bald als Jehovi, bald als Jehovä (hier e statt a) vokalisiert
erscheint, während es nach der Absicht der Vokalisatoren
dort Elohim, hier Adönäi gelesen werden sollte. Sie ver-
sahen also, um das Gesagte an deutschen Wörtern zu illu-
strieren, das für unaussprechbar gehaltene „Herrgott" mit
den Vokalen von „Allherr", damit statt Herrgott vielmehr
Allherr gelesen werde. In vollstem Mißverständnis dieses
Tatbestandes lasen aber die Gelehrten des Mittelalters,
las Luther und liest bis auf den heutigen Tag die ganze
Christenheit den schlechterdings unsinnigen Namen Jehova
und besingt Gott mit dem Namen Jehova, was ebenso
anwidernd ist, als wenn man unsem Herrgott mit Harrgett
besingen wollte. Es wird wahrlich Zeit, daß mit diesem
sormenklaren Unsinn aufgeräumt wird, daß dieses Mon-
10 D'6 unsinnige Lesung Jehova.
strum von Gottesnamen, das unsere Kirchenlieder und
unsere christlichen Bücher schändet, ein für allemal aus-
gerottet werde. ,,Dir, Dir, o Allherr, will ich singen", aber
um Gottes willen nicht länger: ,,Dir, Dir, Jehova, will ich
singen". Die letzte Schuld tragen freiUch auch an diesem
greulichen Worte Jehova die jüdischen Schriftgelehrten,
die sicher nicht so töricht waren, den wahren Sinn der Er-
zählung Lev 24 zu verkennen, die aber mit Freude die
Gelegenheit ergriffen, dadurch, daß sie die Schreibung ihres
Gottesnamens mit den vier Konsonanten für unaussprech-
bar erklärten, diesen hebräischen Gottesnamen mit ge-
heimnisvollem, heiHgem Nimbus zu umkleiden, wie ja die
führenden Männer Israels es je und je meisterhaft ver-
standen haben, Israels Sagen, Geschichte, Institutionen,
hervorragende Männer mit einem durch die Tatsachen ganz
imd gar nicht gerechtfertigten Nimbus der Heiligkeit zu
umgeben, woraufhin natürlich auch unsere alttestament-
lichen Theologen immerfort von „heiliger" Geschichte,
,, heiliger" Sage sprechen, die hebräische Sprache und
Literatur als ,, heilig" bezeichnen und Eduard König jene
vier Konsonanten JHVH sogar das „hochheiligeTetra-
gramm" nennt 1. In Wahrheit ist, wie neuere Funde^
schüeßen lassen, der dritte Buchstabe, das V, nur ein
an sich entbehrlicher Vokalbuchstabe, um die Aussprache
des ursprünglich ,1.1'' geschriebenen Namens als Jaho zu
1) Hebräisches und aramäisches Wörterbuch xum Alten Testament,
Leipzig 1910, S. 144 a.
2) Ich meine die Schreibung auch des selbständig stehenden Gottes-
namens als in^- einmal auch ppi, in den aramäischen Papyri aus
Elephantine (Näheres in Anm. 2). Diese Schreibungen reichen hin zum
Beweise, daß das ^ in rnn"* nicht radikal sein kann, sondern nur
Vokalbuchstabe. Da auslautendes 6 einerseits sowohl durch ^ als
durch n wiedergegeben werden konnte (vgl. die Eigennamen N'chö,
Stlö, Jericho sowie z. B. den]_Inf. abs. rä6 „sehen"), andererseits gern
mit zwei Vokalbuchstaben ^ und {^ geschrieben wurde (vgl. 'Iddö,
Jäphö, N'bd u. a.), so kann die dreifache Schreibung von Jahö {J'hö)
a^ nn^' in^' mn^ nicht verwundern.
Die Ex \ •• versuchte Deutung des Tetragramms. n
sichern, wie ja in den hebräischen Personennamen eben-
dieser Gottesname zu tausend Malen als Jeho, Jähü, er-
scheint, z. B. Jehonäthän, Chizqijjähü usw. Es wäre ja
auch im höchsten Grade befremdend, wenn in dem als
männlicher Personenname dienenden Sätzchen: El-J'ho
(J6)- 'inäi ,,auf Jaho sind meine Augen gerichtet" und in
dem eine gewöhnliche Aussage bildenden Sätzchen:
eläcJm J'hö 'inäi ,,auf dich, T}'\TT, sind meine Augen ge-
richtet" (Ps 141 ^ vgl. 25^®) der einmal kürzer (1,1"'). das
andere Mal mit einem Buchstaben mehr (mn'') geschriebene
Gottesname einmal Jeho, das andere Mal Jahwe gelesen
worden wäre. Das Nebeneinander dieser beiden Aussagen
beweist zugleich von neuem die Widersiimigkeit vom so-
genannten nomen ineffäbile. Die Schrulle der vermeint-
lichen Unaussprechbarkeit des Tetragramms gestattete
nun aber, in das Tetragramm allerhand hineinzugeheim-
nissen, wozu der erste Ansatz bereits mit Ex 3^* gemacht
war. Auf die dortige Frage Mosis, was er den Kindern
Israels sagen solle, wenn man ihn nach dem Namen ihres
Gottes fragen würde, antwortete Gott, den eigenen Namen
als hebräisch deutend : äh^jä aschär äj^jä, was schon nach
I/Uthers Übersetzung heißen soll: ,,ich werde sein, der ich
sein werde", und weiter : ,,so sollst du sagen zu den Kindern
Israel: Ä¥jä hat mich zu euch gesandt". Aber selbst
angenommen, daß das betreffende hebräische Verbum
für ,, werden, geschehen" auch „sein" in dem hier be-
nötigten Siime bedeuten könnte, ist diese Deutung „ich
werde sein, der ich sein werde" so nichtssagend wie nur
möglich. Um die ewig unveränderliche Absolutheit des
göttlichen Wesens ztmi Ausdruck zu bringen, müßte doch
gesagt sein : ich war oder ich bin, der ich sein werde (vgl.
die alte Deutung 6 djv wxl 6 eöö/uevos, sowie z. B. Jes 41*).
Diese Kombination des Gottesnamens J%6, Jähü mit den
von fem anklingenden hebräischen Verbalformen ji¥jä
,,er wird", j'hi ,,es werde" ist eine jener schHmmen Volks-
etymologien, wie sie das Alte Testament so massenhaft
12 Die Unhaltbarkeit der Lesung Jahwe.
verunzieren^ — Wortspielereien, gut gemeint, zum Teil
auch siimig, aber meist von Gnmd aus verfehlt, wie z. B.
der Name Bäb-el's, d.h. , .Pforte Gottes", von dem hebräi-
schen Schriftsteller als , »Verwirrung" gedeutet wird, eine
für jeden Einsichtigen an den Haaren herbeigezogene
Wortverdrehung, die aber von Ed. König dennoch als
einzig richtige Namensdeutung gerechtfertigt^ wird, wes-
halb es mir für meine Person nutz- und zwecklos erscheint,
irgendwelche seiner Darlegungen eingehenderer Beachtvmg
und Widerlegung zu würdigen. Den Ursprung des kana-
anäischen Gottesnamens Jaho darzulegen, ist hier nicht
der Ort. Mag sein Ursprung und seine Bedeutung bereits
aufklärbar sein oder nicht — so viel ist sicher, daß die be-
liebt gewordene Lesung des Tetragrammes als Jahwe und
seine Deutung als „er ist", d. h. „Seiender, Bleibender,
Beständiger, Ewiger", desgleichen daß die Annahme ver-
meintlicher Abkürzung von Jahwe zu Jeho, Jähü, Jäh
aus graphischen wie grammatisch-lexikalischen Gründen
nicht länger haltbar ist (Anm. 2), mögen die alttestament-
lichen Theologen noch so lange fortfahren, an dem her-
gebrachten Irrtume festzuhalten.
Unvergleichlich verhängnisvoller aber als die Um-
vokalisierung des Gottesnamens Jaho in Jehova ist die
von Israel den christHchen Völkern bis auf den heutigen
Tag suggerierte Gleichsetzung des Gottes Jaho mit dem
über alle Völker und Menschen in vollkommen gleicher
Weise waltenden, das ganze Weltall durchdringenden, be-
lebenden und erhaltenden Weltgeiste, den wir ,,Gott"
nennen. Dies ist die im I. Teile meiner Schrift „Die große
Täuschung" gemeinte und bewiesene weltgeschichtHch
größte Täuschung, der alle nichtisraelitischen, im Glauben
an das Alte Testament als an ,, Gottes" Wort erzogenen
^) Ich erinnere nur an die Erklärung des Namens Samuel (i Sa 1 ^)
und vgl. das bereits I S. 22 Gesagte.
2) „^33 .Verwirrimg', als Bäbilu ,GottespioTte' in der Keilschrift-
literatur aufgefaßt" {Hebr. Wörterbuch s.v.)l
Jaho der hebräische Nationalgott. Iß
Völker zum Opfer gefallen sind. Kein urteilsfähiger An-
gehöriger des jüdischen Volkes, der nicht aufrichtig zu-
gäbe, daß der alttestamentliche Gottesbegriff der denkbar
engherzigste, partikularistischste gewesen und bis auf
diesen Tag geblieben ist: Jaho, der , .Heilige Israels", ist
der ausschließliche Gott Israels, der auch ausschließlich
auf dem Boden und nach der Sitte seines Landes verehrt
werden wollte und durfte, und Israel ist unter allen
Völkern des Erdkreises das einzige, das Jaho sich zum
Eigentume erwählt hat. Hundert und aberhundert Stellen
des Alten Testamentes sprechen diese für ewig feststehende
Tatsache imum wunden tmd imzweideutig aus. Mein Nach-
weis brachte und bringt in der Tat an sich absolut nichts
Neues. Nur koimte ich als Forscher auf dem Gesamt-
gebiete altorientaUscher Wissenschaft die alte Wahrheit
noch weiter illustrieren imd bekräftigen durch den Hinweis,
daß alle vorderasiatischen Völker ihren besonderen
Nationalgott besaßen, daß ein Volk erst durch diesen
seinen besonderen Gott als seinem nationalen Oberhaupte
existenzfähig, existenzberechtigt wurde. Auch dies lehrt
das Alte Testament an zahlreichen Stellen, z. B. durch
die bekannten Worte Ruths: „Dein Volk ist mein Volk
und dein Gott ist mein Gott."^ Diese denkbar engste Zu-
sammengehörigkeit Jahos tmd Israels kommt auch darin
ztun Ausdruck, daß die hebräische Namengebung (in
Übereinstimmung mit der anderer semitischer Völker)
nicht davor zurückscheut, Jaho als ,, Bruder" imd ,, Volks-
genossen" des einzelnen Israeliten in Anspruch zu nehmen
(Anm. 3) . Es ist ein wahres Verhängnis, daß von den alten
vorderasiatischen Literaturen bis vor wenigen Jahrzehnten
nur die Literaturreste der Hebräer bekannt waren imd daß
infolge ihrer gnmdfalschen Bewerttmg ein Gottesbegriff
uns übermittelt wurde, der zwar leicht erkennbar alle
*) Beachte auch die dem Abgesandten des assyrischen Königs Sanherib
in den Mund gelegten Worte 2 Kö 18 3*'-; Jes 361"- und 2 Kö 19 ^2;
J es 37 12.
JA Jaho eine Verzernmg des Gottesbegriffs.
Merkmale des beschränkten Gesichtskreises und des maß-
losen Eigendünkels der Wüstensöhne, der Hebräer genau
so wie der Araber, zur Schau trug, aber trotzdem imser
geistiges Auge dermaßen blendete, daß es die große Täu-
schung: Jaho = Gott, nicht längst schon durchschaute.
Trotz alledem, wer möchte es wagen, dem israelitischen
Volke und den übrigen vorderasiatischen Völkern aus dieser
ihnen eigentümlichen engbegrenzten Gottesanschauung
einen Vorwurf zu machen? Wahre ReUgiosität ist
tolerant — Gott der Herr siehe t das Herz an. Um so
ernsteren Widerspruch fordert dagegen der Irrwahn heraus,
der sich im Alten Testament an die alleinige Auserwählt-
heit Israels seitens Jahos oder ,, Gottes" geknüpft findet,
daß nämlich ,,Gott" von allen vorisraelitischen Völkern
überhaupt keine Notiz genommen, ja daß er ihnen
sogar die Verehrung von Sonne, Mond und Sternen, also
den ihm verhaßtesten Götzendienst als ,, Surrogat" für
die Israel allein vorbehaltene wahre Gottesverehrung zu-
geteilt habe ! Ein für den gerechten Gott wie für die ganze
vor- und nachisraeUtische Menschheit empörender Irr-
glaube, eine Verzerrtmg des wahren Gottesbegriffs, in die
aber sogar noch der Apostel Paulus sich verstrickt zeigt,
indem er im Epheserbrief (2^°') annimmt, alle nicht-
israelitischen Völker der Erde seien Jahrtausende hindurch
„ohne Teil am Bürgerrecht Israels, ohne Hoffnung und
ohne Gott in der Welt" gelassen gewesen! Wie
namenlos klein und beschränkt mutet uns diese Gottes-
und Weltanschauimg an angesichts unseres durch die
Ausgrabungen — Gott sei Dank — so außerordentlich ge-
weiteten Gesichtskreises, im Hinblick obenan auf das
sumerische Volk, dessen Existenz gleichzeitig das ganze
Kartenhaus von „Sem, Ham und Japhet" über den
Haufen wirft, jenes Volk, dessen Blüteperiode zwei, drei
Jahrtausende älter ist als das erste Auf treten der Hebräer;
jenes Volk, das einerseits sich ebenso liebevoll wie poetisch
in alle Erscheinungen im Himmel, im Wasser, auf der Erde
Das papierne Dogma vom sogenamiten ,, Heilsweg". x5
versenkte, in ihnen allen göttliche Offenbarungen ver-
körpert sah, aber trotz seines buntgestaltigen Pantheons
das Walten Eines allumfassenden göttlichen Wesens ahnte,
andererseits den theoretischen Gottesglauben in idealste
Praxis umsetzte durch die Lehre, daß jeder Mensch Kind
seines Gottes ist, in jeden Menschen bei seiner Geburt
sein Gott als sein guter Geist Einzug halte, und daß es
für den Menschen keinen größeren Fluch gebe, als wenn
infolge andauernder Sündhaftigkeit sein Gott von ihm
weicht und abseits sich niederläßt.^ Kein Zweifel, daß
diese Religiosität des sumerischen Volkes in der Religions-
geschichte und Religionsphilosophie noch die ihr ge-
bührende Würdigung ^nden wird und daß ebenso wie die
Ethik so auch der Gottesglaube des nach alttestament-
licher Vorstellimg gottverlassenen Volkes der Sumerer
höher eingeschätzt werden wird als Moral und Gottes-
glaube des vermeintlich auserwählten ,, Gottes" Volkes.
Es bleibt eben dabei, daß Jaho lediglich Israels National-
gott ist, genau so wie nach alttestamentlicher Bezeugung
Kemosch der Gott Moabs, Milkom der Gott Ammons war,
und wie das assyrische Volk Aschur zu seinem Spezialgotte
hatte.
Dieser aus vorurteilsfreier Erforschimg des Alten Testa-
ments sich ergebende Tatbestand ist so klar, daß man
eine Leugnimg desselben oder selbst nur eine Verschleie-
rung für ausgeschlossen halten möchte. Und doch bringen
imsere christlichen alttestamentlichen Theologen, einge-
sponnen in das mittelalterliche papierne Dogma vom so-
genaimten ,, Heilsweg", sowohl Leugnung wie Verschleie-
rung fertig.
Leugnung. Eduard König bleibt dabei: Jaho ist
Weltengott, und wirft mir, gewiß ohne es selbst zu glauben
(denn siehe I, S. 85), Unkenntnis der Stelle Gen 12 ^'- vor:
,,Ich werde dich zu einem großen Volke machen imd dich
segnen und deinen Namen groß machen und sei ein Gegen-
^) siehe hierüber weiter S. 44.
l6 Vemunftwidrigkeit des sogeuannten ,, Heilswegs".
stand des Segnens ! Und ich werde segnen, die dich segnen,
und die dich verwünschen, verfluchen, und durch dich
sollen gesegnet werden alle Geschlechter des Erdbodens"
(vgl. i8^^ u. ö.). Aber diese Worte, die ein Geschichts-
schreiber, richtiger Geschichtsmacher, Jaho als zu dem
fiktiven Erzvater Abraham gesprochen in den Mund ge-
legt hat, besagen doch in nacktester Weise, daß Abrahams
Volk der einzigste Empfänger und Träger des götthchen
Segens ist, Segnimg oder Verfluchung aller übrigen Erden-
völker aber abhängt von ihrem Verhalten gegenüber
Israel: nur wer Israel segnet imd selig preist, gewiimt
Gottes Segen. Der denkbar krasseste partikularistische
Eigendünkel. Dazu : welch unfaßbar kurzsichtiger Welten-
gott, der alle Völker der Erde durch ein Volk segnen wollte,
auf das er selbst Fluch auf Fluch ob seiner Gottlosigkeit
und Sündhaftigkeit von Anfang bis zum Ende seines
nationalen Bestandes zu häufen gezwungen war! Welch
geradezu blind zu nennender Gott, der Abrahams Nach-
kommenschaft ausersah, damit sie in Beobachtung des
Weges Jahos ,, Recht und Gerechtigkeit üben" sollte
(Gen i8^®), während Israel und Juda gerade infolge Nicht-
tims von Recht und Gerechtigkeit zugrunde gingen!
Welch Stümper von Pädagoge dieser Jaho, der nach den
vergilbten Kollegienheften der alttestamentlichen Theo-
logen ,,die wahre Religion zunächst in einem kleineren
Kreise einwurzeln und zu einem starken Baum aufwachsen
lassen wollte", und zu dieser „Pflanzschule der Verehrung
Gottes und der aus ihr geborenen Sittlichkeit" gerade die
Brutstätte der Verehrimg des goldenen Kalbes und einer
von den Propheten selbst gezüchtigten Sittenlosigkeit
ohnegleichen ersah ! * Und nun gar erst vom Standpimkte
1) In der von Ed. König im Reichsboten vom 7. Juli 1920 veröffent-
lichten Entgegnung (vgl. auch die Post vom 9. Juli 1920) heißt es (die
Bemerkungen innerhalb der Klammern und die Ausrufungszeichen
stammen von mir) : „Erst als sich in der Menschheit die Tendenz zeigte,
die irdischen Schranken zu überspringen, gleichsam zum Himmel
Jahos vermeintliche Entwicklung zum Universalgott. 17
des Christentums aus — welch absolut unvorstellbarer
,, Heilsweg", daß der allweise Gott sich zu seinem Eigen-
tums- und LiebUngsvolke ein Volk erkoren habe, das der-
einst den Gottessohn ans Kreuz schlagen und ihm sowohl
wie dem Christentum durch die Jahrtausende hindurch
nie geminderten tödlichen Haß bewahren sollte!
Indes nicht minder verwerflich wie die Leugnung der
Tatsache, daß Jaho zu Unrecht mit dem Weltengott
identifiziert wird, ist die bei den liberalen Theologen be-
liebte Verschleierung, indem sie behaupten, der ur-
sprünglich in der Tat rein partikularistische Gottesbegriff
Israels habe sich allmählich, vor allem durch imd seit
Deuterojesaia nebst den Psalmisten, zur universellen
Gottesidee Jesu entwickelt. Aber angenommen, diese
Behauptung entspräche der Wirklichkeit, so wäre doch
emporzusteigen (!), die eigene Einsicht an Stelle der göttlichen Vor-
sehung zu setzen (I), kurz, die Gottheit zu entthronen (I welchem
Volke wäre dieser Wahnsinn je beigefallen?), wie diese Tendenz des
Menschengeschlechts sich beim Turmbau zu Babel (!) zeigte, erst
damals ist von der göttlichen Geschichtslenkung der Plan ausgeführt
worden, die wahre Religion zunächst in einem kleineren Kreise ein-
wurzeln und gleichsam zu einem starken Baume (vgl. den Kälber-
dienst!) aufwachsen zu lassen, ehe sie allen Stürmen (!) der allgemeinen
Menschenkultur ausgesetzt werden sollte". Es ist dies der Ausbund
veralteter religionsgeschichtlicher Irrlehre, die nur möglich war, solange
für den alten Orient das Alte Testament die einzigste Quelle bildete.
Das Gleiche gilt von Königs weiteren Beweisen für den Universalismus
des Jaho-Glaubens: Jona's Missionstätigkeit in Ninewe (!) und etliche
andere samt und sonders falsche Zitate (Gen 20*, 33», 50^2), die wohl nur
noch für ihn ganz allein unter allen alttestamentlichen Theologen Be-
weiskraft besitzen. Unter allen tief traurigen Erscheinungen unserer Zeit
ist eine der abstoßendsten die, daß der Vorstand der Deutschnationalen
Volkspartei sich in alttestamentliche Fragen mengt, von denen er doch
absolut nichts versteht, und daß er gleich der konservativen Partei
Ed. König zum allein berufenen Interpreten des Alten Testamentes
erhebt und Jaho auch seinerseits als Weltengott proklamiert — o deut-
sches national denkendes Volk, wie bist auch du schon mit Beihilfe
deiner christiichen Theologen vom Judentum umgarnt, ja fast schon
erstickt! S. weiter Anm. 4.
Delitzsch, Die grosse Täascliang. 2
l8 -Die gleiche beschränkte Gottesidee bei den Propheten.
damit erwiesen, daß das Alte Testament, soweit es jener
beschränkten Gottesanschauung huldigt — das ist aber der
weitaus größte Teil des Alten Testaments — , von einem
falschen Gottesbegriff ausgeht und ebendeshalb für
religiöse Zwecke völHg ausgeschaltet werden muß. Jedoch
ist und bleibt diese ganze Annahme einer allmähhchen
Erhebung des partikularistischen Gottesbegriffs zu höherer
und reinerer imiverseller Gottesanschauung unbeweisbar,
sowohl Propheten wie Psalmen bezeugen das Gegenteil.^
Auch die fälschlich „Propheten" übersetzten n^bi'im,
das ist Sprecher, jene nationalgesinnten, für Erhaltung
ihres Glaubens und Volkstums glühenden und mit Wort
und Schrift dafür eifernden Männer sind festgebannt in den
doppelten Glaubenssatz (siehe I, S. 83) : es gibt keinen
höheren Gott als Jaho, und Israel ist das Volk Jahos.
Wäre imseren alttestamentlichen Theologen nicht von
ihrer eigenen Studienzeit her eine ganz falsche Beurteilung
des Verhältnisses des Alten Testaments zum Neuen Testa-
ment in Fleisch und Blut übergegangen, so sollte man über
die engherzige, beschränkte Gottesidee auch der Pro-
pheten vom ältesten bis zum jüngsten füglich gar nicht
mehr zu sprechen haben. Auch ihnen ist Jaho der aus-
schließliche Gott Israels und kein Mensch, kein Volk
hat Zutritt zu Gott außer durch das Medium Israels. Seit
dem Auszug aus Ägypten hat Jaho sich mit seinem Volke
verbunden auf ewig, und wenngleich dieses durch alle
Jahrhtmderte hindurch sich widerspenstig bis zum Äußer-
sten gezeigt, es mit grenzenloser Liebe und Langmut ge-
tragen, während er alle Israel feindlichen Erdbewohner
mit seinem unauslöschlichen Zorne verfolgte imd in alle
*) Ebendeshalb, weil ich weder im Gottesbegriffe noch in der Geistes-
y er anlagung Israels irgend eine Spur von „Entwickelung" zu erkennen
vermag, weder in der exiUschen und nachexilischen Zeit noch sogar
in der Gegenwart, muß ich den mir so vielfach gemachten Vorwurf,
ich hätte keinen Sinn für ,,geschichüiche Entwickelung", als haltlos
zurückweisen.
Die gleiche beschräuktc Goltcsidce bei den Propheten. ig
Zukunft verfolgen wird, ihnen den Taunielkelch seines
Grimmes reichend. „Nur in Israel ist Gott" lesen
wir Jes 45^*. Von einer Entwickelung des engum-
schränkten Volksgottes zum universellen Weltengott kann
sich gar keine Spur finden, solange Israel das Volk bleibt,
das Jaho von Mutterleibe an sich gebildet, das er allein
liebgewonnen und sich auserwählt hat (Jes 41^ 43^- ^® '
44 2*). Ich erinnere nur noch einmal einerseits an das
bitterböse Wort Amos 3^: ,,Von allen Geschlechtern des
Erdbodens habe ich nur von euch Kenntnis genommen",^
andererseits an das von Selbstüberhebung olmegleichen
zeugende Wort des Propheten Zacharia (8^^) : ,,So spricht
Jaho Zebaoth: In jenen Tagen geschieht's, daß zehn
Männer aus allen Zungen der Völker {Göpm) sich fest-
klammern werden an den Rockzipfel eines jüdischen
Mannes, bittend : laßt uns mit euch gehen, denn wir haben
gehört: Gott ist mit euch!" Jahos Universalität besteht
einzig und allein darin, daß seinem Volke Israel die ver-
heii3ene Weltherrschaft zufällt, womit zugleich Jahos
Schwur sich verwirklicht, daß jedes Knie Jaho sich beugen
werde (Jes 45^). Rabbiner Dr. Beermann -Heilbronn
schließt seine Entgegnung auf Teil I der „Großen Täu-
schung" mit dem Hinweis auf das „mit Recht an den
Pforten so vieler Synagogen prangende" Wort Jes56':
,,Mein Haus soll ein Bethaus genannt werden für alle
Völker". Aber gegenüber diesem nicht auszurottenden
gewissenlosen Mißbrauch einer aus dem Zusammenhang
gerissenen Stelle bemerkt mit Recht BernhardDuhm
in seinem Kommentar zmn Buche Jesaia (S. 395): ,,Es
handelt sich hier keineswegs um eine liberale Öffnung des
Tempels für jedermann, sondern um die Möghchkeit der
1) HäßUch übersetzt Ed. König obige Worte: „Nur euch habe ich
zu meinem guten Bekannten gemacht unter" usw. Die Fortsetzung
des Verses 2: „darum werde ich an euch eure Missetaten heimsuchen",
ändert an der vorausgehenden Aussage über J ahos Verhalten gegenüber
den nichtisraelitischen Völkern auch nicht das Mindeste.
20 I^i^ gleiche beschränkte Gottesidee bei den Propheten.
Zulassung von Fremden gegen Erfüllung der vorher ge-
nannten Bedingungen, d.h. des vollständigen Über-
tritts zum Judentum, der Beschneidung usw. Damit
blebit das Judentumhinter den meisten Religionen noch weit
zurück". Gegenüber aber der im vorhergehenden Verse 6
vom Propheten gegebenen Verheißung, daß den Fremd-
lingen gestattet werde, zum Tempel Jahos zu kommen,
weist Duhm gleich richtig darauf hin, daß an dem großen
Bettage nach dem ersten korrekt gefeierten Laubhüttenfest
die Fremdgebornen trotzdem nicht zugelassen wurden
(Neh 9 2). In der Tat ist selbst das dem echten Israeliten
ein Greuel, daß die Heidenvölker an der Verehrimg Jahos
teilnehmen und damit Gotte sich nähern möchten, vielmehr
werden sie von dem Propheten mit kalter, rauher Hand
auf ewig zurückgestoßen! Ach, daß doch imsere Führer
in geisthchen Dingen mit scharfen Augen zu sehen und
zu lesen vermöchten, um dann der vmgeschminkten Wahr-
heit die Ehre zu geben! Wir lesen bei Jes 2 ^'*: ,,Und es
wird geschehen in der Zukunft der Tage, da wird der Berg
des Hauses Jahos feststehen an der Spitze der Berge tmd
überragen die Hügel. Und es werden zu ihm strömen alle
Heiden (Göjim), imd sich aufmachen viele Völker und
sagen: Auf! laßt ims hinaufziehen zum Berge Jahos, zum
Hause des Gottes Jakobs, daß er ims unterweise in seinen
Wegen und wir wandeln auf seinen Pfaden, denn von Zion
geht aus Unterweisimg und Jahos Wort aus Jerusalem".
Es folgt die Schilderung des Anbruchs eines allgemeinen
Völkerfriedens, worauf es in Vers 5 heißt: ,,Haus Jakobs,
auf ! laßt uns wandeln im Lichte Jahos !" Ebendiese Worte
Jes 2 2"* finden sich so gut wie wörtlich bei Micha 4^'^,
aber dort ist sogar diesem Huldigungszug der Völker nach
Jerusalem ein Dämpfer aufgesetzt durch Vers 5: „Für-
wahr! die Völker alle mögen wandeln ein jedes im
Namen seines Gottes, wir aber wollen wandeln im
Namen Jahos, unseres Gottes, für immer und ewig!"
Welcher ruhig Urteilende kann in diesen Worten etwas
Die gleiche beschränkte Gottesidee bei den Psalmisten. 2I
anderes erblicken als eine verletzend stolze Gleichgültig-
keit Israels gegenüber dem Endgeschick aller nicht-
israelitischen Völker?^ Und dabei wagt Ed. König zu
sagen, diese zweimal wiederholte Stelle lehre, daß ,, alles
Menschenringen sein höchstes Ziel habe in dem Hin-
strömen nach dem Tempelhause des Ewigen". Und dabei
spricht Gunkel von , .hohen Wahrheiten reiner Religion",
die uns die Propheten verkünden. Da sind wahrlich die
Juden selbst bessere Interpreten ihrer Bibel, indem, wie
Jakob Fromer^, selbst Kind eines russisch-polnischen
Ghettos, erzählt, die Ostjuden noch heutzutage jedes
Christenkind Schqüsä, das ist ,, Abscheu" oder ,,Aas"
nennen.
Und gleich den Schriften der Propheten atmet auch
der Psalter, wie sich aus seiner Vergöttlichung der Thora
leicht begreift, vom ersten Psalm bis zum Schluß-Halle-
luja ganz den nämlichen Geist engherzigster Gottes-
anschauung, was um so schwerer ins Gewicht fällt, als die
Psalmen die letzte Stufe alttestamentlicher Religions-
geschichte darstellen. Jaho ist noch immer, ja im Psalter
erst recht, der ausschließliche Gott Israels, Israel ist ,,sein
Volk und das Kleinvieh seiner Weide" (Ps 100, 74, 79), alle
Heiden Völker sind nur dazu berufen, Jaho zu preisen, daß
er Israel zum Gegenstand seines Segens und seiner Güte
gemacht hat (Ps 66,67, 117 usw.), während sie ihrerseits
nur durch das Eingehen in das Judentum der Wieder-
geburt teilhaftig werden — eine Welt- imd Gottesanschau-
ung, die der Lehre Jesu direkt zuwiderläuft, ja das Christen-
tum geradezu ausschaltet, die aber die judenchristlichen
Apostel dermoch verstanden haben, den ersten Christen
1) Siehe bereits Babel und Bibel II Anm. 22. Und beachte noch
Joels Worte in Bezug avd Jahos großen und schrecklichen Völker-
gerichtstag (4") : ,,Eine Zuflucht ist Jaho seinem Volke und eine
feste Burg den Kindern Israel", während die Heiden Völker samt
und sonders Jahos furchtbarem Strafgericht verfallen.
^) Das Wesen des Judentums, Berlin-I^eipzig-Paris 190S. S. 5.
22 Inspirierung der Propheten von Jaho, nicht von Gott.
einzuimpfen durch die Schlagwörter vom ,, geistlichen
Israel" und von der ,, Beschneidimg im Geiste". Und
dieser Volksgott kann auch noch gemäß dem Psalter einzig
und allein in Jerusalem, im Tempel auf Zion als einzigster
legitimen Anbetungsstätte Jahos verehrt werden und
wird es mit Opfern, gelegentlich mit Hekatomben von
Rindern und Schafen, und nur an zwei, drei Stellen wird
ein reuiges Herz als das Jaho angenehmste Opfer bezeichnet.
Das Gesagte reicht hin, die unumstößliche Wahrheit
zu bestätigen, daß Jaho nicht der universelle Gott der
Christenheit ist, also auch Propheten und Psalmen — mit
Ausnahme zähliger Stellen, mit deren Zusammenstellung
in Anm. 5 ein Anfang gemacht ist — in ein christliches
Religionsbuch nicht gehören; femer, daß Israel nicht
,, Gottes" auserwähltes Volk ist; endlich daß alles, was
Jaho vermeintlich zu Mose imd den Propheten gesprochen ,
nicht „Gottes" Wort ist.
Was die letztere Erkenntnis betrifft, so hat ja für die
Thora Mosis die alttestamentliche Literarkritik bereits
einen weitgreifenden Anfang gemacht, indem sie außer
Zweifel gesetzt hat, daß keine einzige der in der sogenannten
Thora Mosis vereinigten drei Gesetzessammlungen auf
Moses zurückgeht, daß also die hundertmal wiederholten
Worte: ,,Und Jaho sprach zu Mose" oder „zu Mose und
Aaron" nichts als stilistische Formeln sind, bestimmt,
die Autorität der betreffenden Gesetzbestirhmimgen zu
steigern, sie als göttüchen Urspnmgs zu erweisen, während
sie in Wahrheit ihre menschliche, zum Teil allzu mensch-
liche Herkunft an der Stirn tragen.
Auch wenn die , .Sprecher", vulgo Propheten Israels
im Namen Jahos zu ihrem Volke reden, so sind sie hierzu
nicht von ,,Gott" inspiriert, sondern von Jaho, sie sind
Sprecher des in Jaho verkörperten spezifisch israelitischen
Nationalgenius mit allen seinen völkischen Eigenschaften,
guten und schlechten. Getragen von hohem und hoch-
Uuerfüllte Prophetieen Regen Babel. 23
stem Pathos, sind diese prophetischen Sprüche und
Reden vielfach von großer rednerischer Schönheit, stellen-
weise (z. B. Jes 14) Meisterstücke hinreißender Rhetorik,
die uns vielleicht durch die Fremdheit der Sprache
und die Eigenartigkeit der semitischen Redeform des
Parallelismus membrorum noch in besonderem Grade
blendet, also daß wir allerlei Schwächen, z.B. den vielfach
übertriebenen Redeschwulst mitsamt seinen Hyperbeln und
die bei solcher Schulberedsamkeit tmvermeidlichen Wieder-
holungen von Gedanken, Bildern u. dgl. nicht weiter be-
achten. Daß aber diese prophetischen Reden trotz alledem
inhaltlich nur Menschenworte sind, auf menschliche
Kombinationen, Mutmaßungen, Schlußfolgerungen, Hoff-
nungen und Befürchtungen gegründet, lehrt kein Ge-
ringerer als der Prophet Jeremia selbst, allerdings sehr
wider Willen und Absicht, indem er als einziges untrüg-
liches Merkmal, ob eine Rede wirklich aus göttlicher Ein-
gebung stamme, ihr Erfülltwerden angibt (28^). Wie
viele der alttestamentUchen Prophetieen aber nicht in
Erfüllung gegangen, vielmehr durch den Gang der
Ereignisse Lügen gestraft worden sind, mag wenig-
stens an drei Beispielen gezeigt werden.
Das erste Beispiel betrifft Babylons Untergang.
Nichts ist entschuldbarer als der Haß, der die in Juda
und Jerusalem übrig gebliebenen Judäer gegen das Volk
Nebukadnezars, die Chaldäer, und gegen deren Haupt-
stadt Babel erfüllte. Und nichts ist verständlicher als
daß ihre Propheten, sobald die Kunde von dem im Norden,
näher in Medien und dessen Nachbarländern, über Babylon
sich zusammenballenden Gewitter nach Juda gelangte, in
den leidenschaftlichsten und bis zum Überdruß sich
wiederholenden und variierenden Reden, wie sie in den
Kapiteln 50 und 51 des Buches Jeremia vereinigt sind,
sich und ihren Hörern in den sattesten Farben ausmalten,
wie Babel von den nordischen Horden belagert und ein- .
genommen, geplündert und unter ,, Bannung", d. h. grau-^-
24 Unerfüllte Prophetieen gegen Babel.
samer Niedennetzeliing aller seiner Bewohner, vernichtet
werden würde, seine weiten Mauern bis auf den Grund
niedergerissen und ihre hohen Tore in Brand gesteckt
(51^8), die Bilder Bels und Marduks zertrümmert (vgl.
auch Jes 2i*), alle Städte der Chaldäer mit Feuer ver-
brannt, das ganze Land in eine menschenleere Wüste wie
Sodom imd Gomorrha verwandelt werden würde. Alles
rennet, rettet, flüchtet — aber es kam ganz anders.
Bei der immerhin großen Entfernung von Ort und Zeit,
in der diese Reden gehalten wurden (nämUch in Juda nach
der Erobenmg Jerusalems durch Nebukadnezar) bleibt
der Irrtum verzeihlich.^ Das Nämliche gilt von der dem
Propheten Jesaia, dem Sohne des Amoz, fälschlich zu-
geschriebenen Rede Jes 13 — 14^, die zwar auch nur
von den Med er n als den Feinden Babylons spricht, aber
doch den zum Falle Babylons führenden Ereignissen
bereits recht nahe steht (beachte 13**: ,,und zwar ist
Babels Zeit nahe herbeigekommen, und seine Tage werden
sich nicht hinziehen"). Auch er sieht, wie die Meder
plötzlich hereinbrechen, wie alle Ergriffenen durchbohrt,
ihre Kinder vor ihren Augen zerschmettert, ihre Häuser
geplündert und ihre Weiber geschändet werden (V. 15 f.),
wie Babel Sodom imd Gomorrha gleichgemacht wird
(V. 19). Nichts von alledem ist geschehen. Aber
sogar Deuterojesaia (44^* — Kap. 48), der in Babylonien
und nur durch eine kurze Spanne Zeit von den sich voll-
ziehenden geschichtlichen Ereignissen getrennt lebte und
dem es deshalb ein Leichtes war, ,, das Ereignis zu künden,
ehe es in die Erscheinimg tritt" (Jes 42*), der wohl auch
darum wußte, daß die Tore der uneinnehmbaren Festung
Babel durch Verrat dem König Cyrus, dem ,, Gesalbten
*) Ebenso die ganz falsche Verwendung geographischer bzw. ethno-
graphischer babylonischer Namen, wie „das Land Marratim" und
Pugüd (Piqüd) , die den Prophetenschülem vom Hörensagen bekannt
geworden, aber ihrer eigentlichen Bedeutung nach verborgen geblieben
waren.
üuerfüllte Prophetleen gegen Babel. 25
Jahos", dem „Hirten Jahos", dem ,,aus fernem Lande
berufenen Mann seines Ratschlusses" geöffnet werden
würden, und zwar durch unmittelbares Eingreifen Jahos,
also vielleicht nicht ohne Mitwirkung oder wenigstens
Mitwissen exilierter Juden, weshalb er auch bereits die
unentgeltüche Freilassung der jüdischen Exulanten durch
Cyrus voraussieht (s. Anm. 6) — auch er täuschte sich
über die dem Falle Babylons folgenden Ereignisse: er
sieht den Sturz und die Wegführung der Bildnisse Marduks
und Nebos (46 '') und läßt plötzlichen Untergang über
Babel kommen (47^^), ,,an Einem Tage Kinderlosigkeit
und Witwenschaft" (47®). Aber alle, alle diese Propheten,
die, ihrem und ihres Volkes Herzenswunsch folgend, Babel
ein plötzliches Schreckensende nach Art von Ninewe
verkündeten, haben sich über Gottes, des Welten-
herrschers, Ratschluß vollkommen getäuscht. Ohne
Blutvergießen zogen die persischen Truppen in die Stadt
ein, die ihnen durch Verrat überhefert worden war, die
Babylonier fraternisierten mit den persischen Soldaten,
und als Cyrus bald darauf in die Stadt seinen Einzug hielt,
breiteten ihm die Bewohner Palmenzweige auf den Weg.
Die babylonischen Götterbilder aber tastete Cyrus so
wenig an, daß er vielmehr ihrem Kultus (natürlich aus
politischen Gründen) in jeder Weise huldigte. Und wie
das babylonische Land noch viele Jahrhunderte hindurch
den jüdischen Exulanten und ihren Nachkommen eine
zweite liebgewonnene Heimat war und blieb, so sah die
Stadt Babylon speziell noch Alexander der Große in hohem
Glänze. Bis in die Zeit der Seleukiden bUeb Babylon
absolut unangetastet. Langsam, ganz langsam und voll-
kommen kampflos siechte die Weltmetropole dahin, nach
dreitausend jährigem Bestände das Los alles Irdischen
teilend.^ Und selbst dann noch kam es anders, als es
sich die Propheten Jahos gedacht. Babels Ruinen blieben
bis auf den heutigen Tag eine unerschöpfliche Fundgrube
^) Siehe bereits Babel und Bibel II, S. 38 nebst Anm. 20.
26 Unerfüllte Prophetieen gegen Tyrus.
für Bausteine, in schroffstem Widerspruch zu Jer5i^*:
,,von dir soll man keinen Stein zum Eckstein noch einen
Stein zu Grundmauern holen, ist der Spruch Jahos", und
während Jes 13 ^'^ es heißt: ,, nicht sollen dort Araber
zelten, noch Hirten dort lagern lassen", stehen auf der
Stätte der einstigen Riesenstadt noch heutzutage imter
Palmen versteckte Dörfchen, ja ein freundliches Städt-
chen am palmenbewachsenen Ufer des Buphrat.*
Das zweite Beispiel betrifft das Geschick der großen
Phönikierstadt Tyrus. ^ Als nach der Eroberung Jeru-
salems Nebukadnezar die Stadt Tyrus zu belagern begann,
war der Prophet Ezechiel von dem bevorstehenden Falle
auch dieser Stadt so fest überzeugt, daß er die demnächst
eintretende Katastrophe, in der er eine besonders groß-
artige Offenbarung der Allmacht des Gottes Israels er-
blickte, mit den glänzendsten Farben ausmalte. Aber wie
sich einst schon Jesaia getäuscht hatte, dessen beredte
Verkündigung der Eroberung von Tyrus durch den assy-
rischen König (Kap. 23) sich nicht erfüllen sollte, so ist
es auch bei Ezechiel trotz aller grandiosen Phantasie, mit
der er das stolze Meerschiff Tyrus vom Ostwind zerschellt
sieht (26 — 28^^), bei den bloßen Worten geblieben, Gott
selbst hatte es anders beschlossen. Trotz drei-
zehnjähriger Belagerung gelang es Nebukadnezar nicht,
die Inselstadt einzunehmen. Der Prophet selbst sieht sich
2gi7ff. genötigt, seinen Irrtum einzugestehen, ja Vers 21
^) Weniger Gewicht sei auf die unzutreffende Angabe des Jahres
der Einnahme Babels durch Cyrus vmd der Heimsendung der jüdischen
Exulanten gelegt. ,,Wenn 70 Jahre voll sind, will ich an dem König
von B abel usw . seine Missetat heimsuchen' ' ( Jer 2 5 ^2) . ^ , Wenn 7 o J a h r e
voll sind für Babel, werde ich euch heimsuchen und meine freundliche
Zusage, euch an diesen Ort zurückzuführen, an euch verwirklichen"
(29W). Da Babel im Jahre 539 in die Hände der Perser fiel und die
ersten jüdischen Gefangenen aus Jerusalem im Jahre 597 von Nebu-
kadnezar weggeführt wurden, so fehlt ein gut Teil zur Abrundung von
70 Jahren.
*) Siehe bereits Babel und Bibel II, a. a. O.
Unerfüllte Weissagungen der Heimkehr Gesamtisraels. 27
läßt sogar durchblicken, daß seine prophetische Autorität
durch den unbefriedigenden Ausgang der Dinge ernstlich
erschüttert war.
Das letzte und betrübendste Beispiel unerfüllt ge-
bliebener prophetischer Reden mögen aber die Ver-
heißungen bilden, betreffend die Erlösung Judas aus der
babylonischen Gefangenschaft und GesamtisraelsHeim-
kehr nach Zion. Diese Weissagungen, die bei Deutero-
jesaia mit den herrlichen Worten anheben (Jes4o''"):
,, Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott! redet
Jerusalem zu Herzen und ruft ihm zu, daß sein Kriegs-
dienst beendet, seine Schuld abgetragen ist", gehören zu
den ergreifendsten Reden jener von höchstem National-
gefühl begeisterten Männer, und welch lange, lange Reihe
solcher Verheißungen aus dem Munde der verschiedensten
Propheten verschiedener Zeiten ließe sich hier anführen!
,,Ich will die Gefangenen Judas, die ich von diesem Orte
hinweg in das Land der Chaldäer geschickt habe, freund-
lich ansehen und in dieses Land zurückbringen" (vgl.
Jer 24^'). ,,Ich werde meine Schafe aus den Völkern
herausführen und aus den Ländern sammeln imd in ihr
Land bringen, ich selbst werde sie weiden auf guter und
fetter Weide auf den Bergen Israels — ist der Spruch des
Herrn Jaho" (vgl. Ez34i3ff.)
Auch die Bewohner des Nordreiches Israel, die in
Medien und Chalach und wohin sie sonst gefangen weg-
geführt worden waren, so wenig ihren Untergang ge-
funden hatten wie ihre jüdischen Brüder in Babylonien,
sollen aus allen Völkern gesammelt und nach Jerusalem,
der Stadt Jahos, zurückgeführt werden: ,,Denn Jaho
wird sich Jakobs erbarmen tmd Israel noch einmal er-
wählen und sie auf ihren Heimatboden versetzen" (Jesi4^).
,,In jenen Tagen und zu jener Zeit, ist der Spruch Jahos,
werden die Israeliten kommen, zusammen mit den Judäern,
unter unaufhörlichem Weinen werden sie dahin ziehen und
Jaho, ihren Gott, suchen. Den Weg nach Zion werden
28 Unerfüllte Weissagungen der Heimkehr Gesamtisraels.
sie fragen, ihr Antlitz hierher gerichtet, sie kommen und
schließen sich an Jaho zu einem ewigen, nie mehr ver-
gessenen Bunde" (Jer50^^).^
Und welch wunderherrliche Zukunft, welche Zeit im-
vergänglichen Heils (Am 9'^"-) wird den Heimgekehrten
verheißen! Alle ihre Verschuldungen für ewig vergessen
und vergeben (Jes 44** Jer33^"-); alle ihre Tränen in
Wonne gewandelt, sie selbst getröstet und fröhlich ge-
macht nach ihrem Kummer (Jer 3ii*>'i*), ,,Jahos Befreite
kehren zurück und kommen nach Zion mit Jauchzen, und
ewige Freude umschwebt ihr Haupt. Wonne und Freude
erlangen sie, und Kummer und Seufzen werden entfliehen"
(Jes 35^°). Jaho wird sich mit seinen Wohltaten nie von
ihnen abwenden (Jer32*'*). Er wird sein Volk mehren
und zu Ehren bringen (Jer3oi^). Sie werden in voll-
kommenster Sicherheit wohnen. Keine reißenden Tiere
im Lande, segenspendende Regengüsse, reicher Boden-
ertrag (Ez 34 25-31) ; das ganze Land wieder reichbevölkert
mit Herden von Kleinvieh (Jer 33^2'"). Auch der Handel
wird wieder blühen: ,,Man wird wieder Äcker für Geld
kaufen und Kaufbriefe schreiben und siegeln und Zeugen
hinzvmehmen" im Lande Benjamin wie in allen Städten
Judas (Jer 32**). Und welch alles überragende Stelle wird
Allisrael nach außen hin einnehmen! Israel und Juda,
in das heilige Land zurückgebracht, werden sich vereint
auf die Philister im Westen stürzen und die Ostvölker
plündern, Edom, Moab, Ammon sich imtertan machen
(Jes II ^'*"-, vgl. Am g^^), alle anderen Völker der Erde
aber werden buhlen um die Huld Judas. ,, Siehe! ich will
nach den Heiden hin meine Hand erheben und nach den
Völkern zu mein Panier aufstecken, daß sie Israels Söhne
im Busen herbeibringen und deine Töchter auf der Schulter
hergetragen werden. Und Könige sollen deine Wärter
sein und ihre fürstHchen Gemahlinnen deine Ammen ; mit
dem Angesicht zur Erde, sollen sie dir huldigen tmd den
1) Vgl. ferner Jer 3" 23"- 291"-" 328' 50" Ez 37 '«».
Unerfüllte Weissagungen der Ilciinkehr Gcsamtisraels. 2Q
Staub deiner Füße lecken!" (Jes49"'). Dazu wird
Israel den ganzen Besitz aller Nationen der Erde in sich
aufnehmen: Jaho wird „wie einen vStrom Wohlfahrt und
wie einen flutenden Bach den Reichtum der Völker Jeru-
salem zulenken" (Jes 66 ^2), also daß »Jerusalems Tore
tags und nachts nicht geschlossen werden, um das Ver-
mögen der Völker in sich aufzunehmen" (60^^).
Und je näher der Verrat Babylons an Cyrus rückte und
damit die Befreiungsstunde der jüdischen Exulanten,
desto wort- und bilderreicher löst sich die Zunge Deutero-
jesaias in eitel Jubel aus: , Juble, o Himmel, denn Jaho
hat's vollführt! Jauchzet, ihr tiefsten Erdengründe!
Brecht in Jubel aus, ihr Berge, der Wald und alle Bäume
darinnen, denn Jaho hat Jakob erlöst und an Israel ver-
herrlicht er sich!" (Jes 44^^). ,, Juble, o Himmel, und froh-
locke, o Erde, und brechet aus, ihr Berge, in Jubel ! Denn
Jaho tröstet sein Volk und seiner Elenden erbarmet er
sich" (49^'). „In Freuden sollt ihr ausziehen, und in
Frieden sollt ihr geleitet werden. Die Berge und Hügel
sollen ausbrechen vor euch her in Jubel, und die Bäume
des Feldes in die Hände klatschen" (55'^).
Aber trotz aller dieser Verheißimgen, wie sie stolzer
und herrlicher keinem Volke der Erde jemals geworden
sind, trotz Jahos ins Herz schneidender Worte: ,,Mag
auch ein Weib ihres Säuglings vergessen, daß es sich nicht
erbarmt über den Sohn ihres Leibes, so will doch ich
deiner nicht vergessen; siehe! auf meine Hände habe ich
dich gezeichnet, deine (Zions) Mauern sind mir immerdar
vor Augen" (Jes 49^^*), und trotz allen Jubels der
Propheten, denen ein anderer Ausgang der Dinge nie in
den Sinn gekommen, kehrte das Gros des jüdischen Volkes
aus Babylon nicht zurück, machte die zahllosen Weis-
sagtmgen seiner Gottesmänner nicht wahr, strafte es
Jahos Wort (Jes 55^°*) Lügen, gab rein gar nichts
auf all die Zusicherungen seines Gottes, sondern blieb
zum weitaus größten Teile, durch kalte Berechnung
OQ Der freiwillige Verzicht Israels auf Heimkehr,
der in dem unermeßlich reichen babylonischen Tief-
lande gegebenen unbegrenzten Bereicherungsmöglich-
keiten veranlaßt ^, in dem von ihm selbst vordem bis
zum heutigen Tage stinkend gemachten Babel imd
machte es sich zu einer neuen hebwerten Heimat! Auch
die nach Medien verpflanzten Bewohner des Nordreiches,
die teils in Mediens Hauptstadt ansässig geworden oder
aus Medien ebenfalls nach Babylonien abgewandert waren ,
dachten nicht an Heimkehr in das gelobte Land, sodaß
z. B. auf den Geschäftsurkimden von Nippur aus der
Zeit des Perserkönigs Artaxerxes II. Namen judäischer
und doch wohl auch israelitischer Männer: Abdia,
Achijjau, Gedalja, Jehonatan, Menahem, Haggai und viele
andere mehr mit dem geschäftlichen Treiben der Stadt
eng verbunden erscheinen. Die Zurückkehrenden waren
zumeist Priester und Leviten, aber selbst von den Leviten
bemerkt Franz Deützsch, daß sie nur in geringer Zahl aus
dem Exil zurückkehrten, weil ,,sie an ihrer imtergeordneten
Stellimg keinen Gefallen fanden". Niemand kann leugnen,
daß dieser freiwillige Verzicht auf sein Heimatland,
diese imzweideutige Lossagung von seinem Gotte Jaho,
diese mit kaltem Verstand bevorzugte Rolle eines vater-
landslosen, internationalen „Volkes" (übrigens ein ekla-
tanter Widerspruch in sich selbst) ein nicht zu tilgender
Schandfleck auf der Geschichte des jüdischen Volkes für
alle Zeiten bleibt (s, I 103 f.). Hier hilft auch keine Be-
schönigung, worin tmsere judenchristHchen Alttestamentier,
Juda sich gefälüg zeigend, wetteifern. Prof. Gunkel sagt
in seiner Auftraggeberin, der „Frankfurter Zeitung" Nr. 3 90
vom 30. Mai 1920 : ,, Vaterlandslos sind die Juden vor allem
geworden durch die furchtbaren Gewalttaten der Welt-
^) Ein jüdischer Arzt in Frankfurt a.M. schrieb mir am 11. Juni 1920:
„Die meisten Juden blieben in Babylon. Gib allen Antisemiten Deutsch-
lands am Orinoko zehnmal so viel Gehalt, als sie in Deutschland be-
kommen, aber richtig in amerikanischer Valuta, und zähle dann, wie
viel nach Deutschland gehen". Hier erübrigt sich jede Bemerkung.
Sonstige religiös wertlose Prophetenreden. ßl
reiche, die sie zur Übersiedelung in die Fremde zwangen".
Er erklärt es für „ein gewaltiges Wagnis, das frühere
Vaterland, das längst von Feinden in Besitz genommen
war, aufzusuchen und sich an den schwierigen, gefahr-
vollen und vielleicht unmöglichen Wiederaufbau zu
machen". ,,Die IdeaUsten", sagt er, ,,die für Heimat
und Gott alles drangeben, stellen in jedem Volke eine
Minderheit dar". Eine grausamere Verurteilung des aus-
erwählten Gottesvolkes, eine stärkere Degradierung der
Propheten zu losen Schwätzern seitens eines Theologen,
eine nacktere Entwürdigung Jahos und Entwertung aller
seiner Verheißungen ist nicht denkbar.^
Zu diesen umfangreichen unerfüllt gebliebenen
Spekulationen meist politischer Art gesellen sich aber noch
viele, viele andere Reden der alttestamentiichen ,, Sprecher",
die für uns Jetztlebenden ledighch historisch-poütisches
und vereinzeltes religionsgeschichthches, aber keineSpur
von religiösem Interesse haben. Ich meine z.B. die
mancherlei Reden Jeremias vor und während der zwei-
maligen Belagerung Jerusalems durch Nebukadnezar oder
die Reden, die Ezechiel in Babylonien an seine gleich ihm
bereits im Jahre 597 in die Gefangenschaft geführten Volks-
genossen richtete, als die Eroberung und Zerstörung
^) Ein würdiges Seitenstück solch tendenziöser Beschönigtmg der
vom Alten Testamente selbst gelehrten Tatsachen ist Meinholds und
Anderer Behauptung, daß es mit der vermeintlichen barbarischen
Kriegführung der hebräischen Nomadenhorden gar nicht so schlimm
sei. Israel habe Kanaan friedlich durchdrungen! Also auch das
Buch Josua eitel Lügenwort, alle in Teil I, S. 36 zitierten Worte des Exodus
und Deuteronomiums (vgl. noch Dt 7 ^^ : „und du sollst fressen alle die
Völker, die Jaho, dein Gott, dir gibt, nicht soU dein Auge Schonung
mit ihnen haben") samt und sonders erlogen; das Wort des Propheten
Amos (i^) : ,,Ich war es, der die Amoriter vor ihnen vertilgt hat, deren
Größe wie die der Zedern war und die so stark waren wie die Eichen!
und zwar vertilgte ich ihre Frucht oben und ihre Wurzel drunten"
erlogen, Ps 44^ 106^* desgleichen — alles Bestandteile des Wortes
Gottes, von dem die Theologen mit dem Brustton felsenfester Über-
zeugtheit zu predigen pflegen: , .Gottes Wort bleibet in Ewigkeit!"
02 Religiös wertlose Prophetenreden.
Jerusalems näher und näher rückte . Ich meine die Triumph-
bzw. Spottlieder der Propheten über den Fall Ninewes
(Nah I — 3, vgl. Zef 2^^") und Babylons (Jes 14, 47),
die Spottreden über Pharao Nechos Besiegung bei Karke-
misch durch den babylonischen Kronprinzen Nebukadnezar
und über Ägyptens Eroberimg durch die Chaldäer (Jer 46),
allesamt jeder religiösen Bedeutung entbehrend. Denn
welcher Vernunftbegabte möchte wohl alle die welt-
geschichtlichen Ereignisse auf dem weiten Schauplatze
Vorderasiens während des letzten vorchristhchen Jahr-
tausends ausschließüch als Racheakte Jahos, des Gottes
Israels, betrachten, den Fall Babylons und möglicherweise
auch den Ninewes ausgenommen, bei denen es denkbar
wäre, daß Jaho sich seines Volkes als Mitwirkenden bedient
hätte (Anmm. 6. 7) ? Aber im übrigen bleibt es schwer be-
greiflich, warum wir alle jene ephemeren Redeergüsse an-
läßlich von drei Jahrtausende zurückliegenden Ereignissen
in tmsem Bibeln herumtragen zur Erbauung und religiösen
Erhebimg, während gleichzeitig uns imd imsem Kindern
die erhebende Erinnerung an die denkwürdigen Tage
deutscher glorreicher Vergangenheit aus der Seele ge-
graben wird. Und nun gar noch die vielen immer wieder-
holten haßerfüllten Reden gegen die nächsten Nachbarn
Israels ! Ich kann mich eines Vergleiches nicht erwehren,
so trivial er erscheinen mag. Ich saß einmal bei einer
Abendgesellschaft neben einer sehr „gebildeten" Dame,
die mich den ganzen Abend ebenso leidenschaftlich wie
wortreich über ihre fortgesetzten Häkeleien und Zwistig-
keiten mit einer andern Dame unterhielt. Der abstoßende
Eindruck aber, den ich hierbei empfand, ohne die Unter-
haltiuig auf ein anderes Thema überleiten zu können,
steigerte sich bis zum Zorn über den verlorenen Abend,
als ich hörte, daß die betreffende Widersacherin schon seit
Jahren tot sei! Ein ganz ähnliches Gefühl überkommt
mich immer von neuem, wenn ich die Brandreden der alt-
testamentiichen „Sprecher" etwa gegen Moab und Ammon
Religiös wertlose Prophetenreden. 23
oder gegen Israels gehaßtesten Todfeind Edom lese, z. B.
Jesaias Rede wider Moab (25*"'), die ,,Moab in Grund
und Boden zerstampft" sieht, ,,wie Streu zerstampft wird
in Mist jauche — es breitete seine Hände darin aus wie
der Schwimmer sie ausbreitet zu schwimmen, aber Jaho
hat niedergedrückt seinen Stolz samt den Kunstgriffen
seiner Hände". Oder die berüchtigte Rede des nämlichen
Propheten oder eines anderen Pseudojesaia (Jes 34), die
unter „maßlosen Hyperbeln" (Dillmann) schildert, wie
Jahos Schwert sich zuerst im Himmel mit Zorn berauscht,
um dann, alles vernichtend, auf Edom niederzusausen —
alles nach Sprache, Stil und Gesinnung echt beduinische
Schlacht- und Siegesgesänge (Anm. 8). ,, Verflucht, wer
Jahos Schwert das Blut Moabs mißgönnt" (Jer48^°);
„macht Moab trunken, daß es hinklatscht in sein Gespei"
(V. 26) — erinnern diese und viele andere Kraftworte,
wie sie in den Prophetenschulen gelehrt und geübt wurden,
nicht tmwillkürlich an verwandte Rednerschulen der Neu-
zeit, deren Arsenal zur Schürung des Hasses ebenfalls im-
erschöpflich ist? Wir können es ja verstehen, daß Israel-
Juda gegen seine Nachbarn : Philister, Moabiter, Edomiter
usw. von glühendem Hasse beseelt war, obwohl wir um-
gekehrt deren Haß gegen die hebräischen Eindringlinge
und ihre Gewohnheiten fast noch besser würdigen können.
Aber wie sollen diese aus bestimmten Zeitverhältnissen
herausgeborenen Ergüsse poh tischer Eifersucht tmd Leiden-
schaft längst untergegangener Generationen auch uns
Kindern des 20. Jahrhimderts n. Chr. zur Sittigung dienen
und zu religiöser Erbauung? Statt ims nachdenkend zu
versenken in Gottes wunderbares Walten innerhalb unseres
eigenen Volkes, fahren wir aus Unkenntnis, Gleichgültig-
keit oder Verblendung fort, jenen altisraeli tischen Haß-
reden einen ,,Offenbarungs"charakter zuzuerkennen, der
weder im Lichte der ReUgion noch dem der Ethik stand-
hält. Auch nicht einmal im Lichte der Geschichte ! Denn
alle diese von Jaho durch den Mund seiner Propheten ver-
Delitzsch, Die grosse Täaschnng. II 9
-34 Die oberflächliche Beurteilxing des Bilderdienstes.
wünschten und verfluchten Nachbarstämme Israels haben
die verwahrlosten Reiche Israel und Juda um Jahrhunderte
bis herab in die nachexilische Zeit, ja noch darüber hinaus,
überdauert !
Wenig sympathisch berührt die oberflächliche, nur dem
äußeren Schein folgende Beurteilimg der babylonischen
Bilderverehrung, vornehmlich durch Deuterojesaia, der
sich nicht genug damit tim kann, die technische Her-
stellung eines solchen Götterbildes bis in alle Einzelheiten
zu beschreiben und, wie Kittel mit sichtlichem Wohl-
behagen feststellt, „die schärfste Lauge seines Spottes"
über die Götterbilder ausgießt als Machwerke von Menschen-
hand (z.B.4oi»f- 41^-7 44»ff- 16"- 46«'). Auf das Wesen der
sumerisch-babylonischen Gottesanschauimg und Gottes-
verehrung (siehe oben S. 14 f.) brauche ich hier nicht aber-
mals zurückzukommen. Was aber den ermüdenden Spott
der alttestamentlichen Propheten und Psalmisten auf die
Götterbilder betrifft, die „Augen haben und nicht sehen,
Ohren imd nicht hören, eine Nase imd nicht riechen, Füße
und nicht gehen" (Ps 115,135), so können diesen vor allem
die Babylonier ebenso leicht ertragen wie die katholische
Kirche. Denn genau so wie die denkenden Katholiken im
allgemeinen in den Bildern lediglich die Repräsentanten
Christi, Marias und der Heiligen sehen, so taten dies auch
die denkenden Babylonier: kein Hymnus, kein Gebet,
die an das Bild als solches gerichtet wären — sie wenden
sich stets an die jenseits alles Irdischen waltende Gottheit
(Anm. 9). In keinem Punkte vielleicht haben die alt-
testamentlichen ,, Sprecher" und Dichter befangener, kurz-
sichtiger und ungerechter geurteilt als in dem des baby-
lonischen Bilderdienstes. Worte wie die des Propheten
Habakuk (2^*): ,,Wehe, wer zum Holze sagt: wache auf!
werde wach ! zum stummen Stein" treffen die Babylonier
ganz und gar nicht. Das Urteil der israelitischen Propheten
hat die Welt genasführt, da es an einer Äußerhchkeit
kleben blieb. Auch die babylonischen Gottheiten sind
Die Propheten als Sitten- und Strafprediger. ß^
lebendige Mächte (siehe bereits Babel und Bibel II, S.34),
und sie walten mit gleicher Gerechtigkeit und Barm-
herzigkeit ohne Ansehen der Person über alle Menschen
und Völker des Erdkreises, was Deuterojesaia in Baby-
lonien leider nicht gelernt hat zu Nutz und Frommen
des Gottes Israels.
Gleich allen Göttern Vorderasiens, obenan den sumerisch-
babylonischen Gottheiten, war Jaho eine sittliche Macht,
und so sympathisch ims an sich die prophetischen
Mahn- und Drohreden gegen die in Israel und Juda
grassierende Sündhaftigkeit berühren, so liegt doch kein
Grund vor, ihnen den Charakter einer „eigenartigen"
Gottesoffenbarung beizulegen. Wenn wir nach dem Zeug-
nis aller alttestamentlichen Propheten annehmen müssen ^,
daß in Israel und Juda die Sittenlosigkeit einen nicht mehr
überbietbaren Grad erreicht hatte, daß Ungerechtigkeiten
allerart ungestraft verübt wurden, daß Rechtsbrüchig-
keit, Hinmorden imschuldiger Menschen, Ehebruch, Be-
drückung von Witwen und Waisen, Hurerei von Volk tmd
Priestern usw. an der Tagesordnung waren, so bezeugt
*) Siehe z. B. Ho 4*: „sie (die Israeliten) fluchen und lügen, morden
und stehlen und ehebrechen, sie brechen ein und Blutschuld reiht sich
an Blutschuld". 6': ,, gleich lauernden Räubern ist die Priesterbande".
— Am. 2 «'•: ,,weil sie (die Israeliten) für Geld den Gerechten verkaufen,
und den Dürftigen um eines Paares Schuhe willen (vgl. 8 8), ... die
sich, Vater und Sohn, zur Dirne begeben, um meinen heiligen Namen
zu entweihen". 5^°: ,,sie hassen den, der im Tore für das Recht ein-
tritt, und verabscheuen den, der die Wahrheit redet". Ferner 3 ^", 5 ^2. —
Jer8^°: „vom Jüngsten bis zum Ältesten trachten sie allesamt nach
Gewinn, Propheten so gut wie Priester verüben allesamt Lug und
Trug". 8': ,,mein Volk weiß nichts von der Rechtsordnung Jahos".
9^: „sie sind allesamt Ehebrecher, eine Bande von Treulosen". 9':
,,jeghcher Bruder übt Hinterlist und jeglicher Genosse geht mit Ver-
leumdung um, einer hintergehen sie den andern und Wahrheit reden
sie nicht". 23 1° '• : „voU von Ehebrechern ist das Land, und ihr Rennen
ist Bosheit imd ihre Stärke Unwahrhaftigkeit, denn Propheten tmd
Priester sind ruchlos". 23^*: „bei den Propheten Jerusalems aber er-
lebte ich Schauderhaftes: sie treiben Ehebruch und gehen mit Lüge
um und bestärken den Übeltäter".
20 Ganz ungenügender Ersatz für fehlende Strafrichter.
dies nur die grenzenlose Rechtlosigkeit, die in den beiden
Duodezstaaten fortdauernd herrschten, indem es dort
zwar Gesetze, aber keine Richter gab, die, wie in Baby-
lonien und Assyrien, über der Aufrechthaltung von Zucht
und Ordnung, über der peinlichsten Beobachtung der
staatüchen Gesetze wachten. Wir lesen erschüttert von
jenen schandbaren Zuständen, vermögen aber nicht ein-
zusehen, welches religiöse Interesse für ims Jetztlebenden
alle jene SchändÜchkeiten und ihre ohne Straf richter
schließlich doch nutzlose Geißelung durch noch so beredte
und für Recht und Gerechtigkeit furchtlos kämpfende
Männer beanspruchen können. Die Babylonier waren ge-
wiß so wenig wie alle Menschen Tugendbolde, aber die
harten Strafen, die für Totschlag, Diebstahl und Hehlerei,
Ehebruch, Kebsweiberwirtschaft, Unzucht, Verleumdimg
usw. vorgesehen waren, wurden von unparteiischen Rich-
tern auf das Strengste vollzogen, weshalb ja der baby-
lonische wie assyrische Staat mehr denn tausend-, ja zwei-
tausendjährigen Bestand hatten, während Israel nach
zirka 240, Juda nach 480 Jahren ruhmlos zugnmde ging.
Wenn zur Babel-Bibel-Zeit die ganze Phalanx meiner
Gegner sich auf die Parole des ,,sittüchen Monotheismus
Israels" geeinigt hatte, so ist der Monotheismus Israels
längst in die Brüche gegangen und mußte Renans richtiger
Bezeichnung als Monolatrie weichen.^ Wenn aber im
,, sittlichen Geist des Propheten tums" eine „wirkliche
0£fenbarung des lebendigen Gottes" gesehen wird, dann
erkenne man auch rückhaltlos an, daß diese Gottesoffen-
barimg durchaus nicht auf das vermeintliche Gottesvolk
Israel beschränkt war, sondern daß sie bei den Sumerern,
^) Auch noch den Psahnisten ist Jaho nicht der einzige existierende
Gott, viehnehr haben alle anderen Völker auch ihre Götter (Ps 86 *
96* 97 '-^ 135* 136 2 138^, vgl. 29^ 89'), und obschon der Psalter recht
despektierhch von ihnen redet, werden sie doch in ihrer realen Existenz
anerkannt und aufgefordert, Jaho ihre Huldigung darzubringen. Vgl.
auch das in I, S. 102 über den Unglücksgott Scheba' der israehtischen
VolksvorsteUung Gesagte.
Die Ursachen der Entsittlichung Israels. yj
den Schöpfern, wie wir jetzt wissen, der babylonischen
Gesetzgebung, die in noch ungleich höherem Maße als die
Thora Mosis und die Forderungen der Propheten sittlich
zu nennen ist, sich in weit vollkommnerer Weise
betätigt hat (s. I Anm. 32). Ich erinnere nur noch einmal
daran, wie die Frau bei den Sumerern nicht allein dem
Manne völlig ebenbürtig galt, sondern sogar eine Ehren-
stellung vor diesem einnahm, die unwürdige Stellung der
Frau in Altisrael dagegen einen so tiefen Absturz von
jener Höhe darstellt, daß die Frauen unserer Tage nur
langsam und mühsam die Stellung zurückerobern müssen,
die sie vor 5000 Jahren bereits in idealer Weise besaßen
(s. weiter I, S. 100 nebst Anm. 44).
Und noch zwei andere Betrachtungen drängen sich
auf. Die israehtischen Volksredner hatten gewiß Recht,
wenn sie in der sittlichen Verlotterung ihrer Volks-
genossen einen Hauptgrund der über Israel und Juda
hereingebrochenen Katastrophen sahen, aber es bleibt
sehr zu bezweifeln, ob diese Entsittlichimg, wie die Pro-
pheten meinen, in Zusammenhang steht mit dem Kultus
der kanaanäischen Landesgottheiten. Das letztere dürfte
im Hinblick auf den tausendjährigen Bestand Moabs und
der phönikischen Städtewesen unbedingt zu verneinen
sein. Vielmehr wird jene falsch verstandene Freiheit und
Ungebimdenheit ein aus dem Wüstenleben mitgebrachtes
Erbteil sein, wie ja Blutrache, Mißachtimg des Weibes,
Sinnlichkeit, Herrschsucht, Grausamkeit, Gier nach irdi-
schem Besitz bis heutzutage hervorstechende Eigenschaften
der Nomadenstämme der syrisch-arabischen Wüste bilden,
weshalb ja auch die Propheten selbst, wie das Alte Testa-
ment wiederholt bestätigt (vgl. in Anm. i auf S. 35 die
Zeugnisse des Propheten Jeremia), von jenen sittlichen
Mängeln nicht frei waren. Sodann vermissen wir bei allen
Propheten, die sich mit dem nahen Untergang der Reiche
Israel und Juda befassen, den Hinweis auf einen zweiten
imzweifelhaften Hauptgrimd jener Katastrophen, nämlich
ß8 Die politische Unzuverlässigkeit Israels und Judas.
die politische Unzuverlässigkeit und den fortgesetzten
Treubruch der Israeli tisch-judäischen Könige gegenüber
den mit Assyrien und Babylonien eingegangenen Ver-
trägen, Treubrüche, die freilich nicht selten den Propheten
selbst als den politischen Ratgebern ihrer Könige auf das
Konto zu setzen sein werden. Vgl. 2 Kö 17* 18' 24^ usw.
Bis in die nachexihsche Zeit erhielt sich der Ruf Jerusalems
als einer ewig aufrührerischen Stadt (Ezra 4^*).
Ganz besonders sympathisch stehen wir dem alttesta-
mentlichen Psalter gegenüber, diesem Liederbuch der
nachexilischen jüdischen Gemeinde, jener Unentwegten,
die trotz des in Babylonien lockenden Geldgewinnes und
behaglichen Lebens treu zu ihrem Gotte Jaho und zu
dessen Verheißungen standen, ,,Die Treue steht zuerst,
zuletzt im Himmel tmd auf Erden". Deshalb begleitet
unsere höchste Achtimg und aufrichtiges Mitgefühl das
ursprünglich kleine Häuflein nach Jerusalem und Juda
heimgekehrter jüdischer Exulanten auf Schritt und Tritt.
Wir nehmen verständnisvollen Anteil an ihrer Zähigkeit,
ihrem Mut, mit dem sie den Tempel auf Zion wieder-
aufbauten; haben inniges Mitgefühl mit ihren schweren
Bedrängnissen, die von allen Seiten sie umringten, vor
allem zur Zeit der späteren Verzweiflungskämpfe der
Makkabäer. Wir trauern mit ihnen, als der unter Mühen
allerart wieder aufgebaute Tempel zu Jerusalem unter
Antiochus IV. Epiphanes der greulichsten Verwüstung an-
heimfiel. Wir verstehen den durch die Siege der makka-
bäischen Helden aufs Höchste gesteigerten Jubel der jü-
dischen Frommen: ,,Heil dem Volke, dessen Gott Jaho
ist, dem Volke, das er zum Eigentum sich erwählt hat"
(Ps33^^), ein Jubelgesang, der, in immer neuen Liedern
variiert, Jahos und seines Gesalbten Königtum über alle
Völker des Erdkreises feierte. Und als den Erfolgen der
Makkabäer neue schwere Niederlagen und Heimsuchungen
folgten, bewundem wir das felsenfeste Vertrauen auf Jaho
Psalter und Thura. ^n
und das unerschrockene Festhalten an dem Gotte ihrer
Väter, also daß wir dieser treuen Juden Endgeschick, so-
weit wir zu urteilen in der Lage sind, nur beklagen können.
Aber all dieses unser Mitempfinden, diese unsere ,, Senti-
mentalität", ist unabhängig von der religiösen Bewertung
des Psalters als eines vermeintlich auch für die Christen-
heit noch dienlichen Religionsbuches. Eine solche Be-
wertmig muß mit aller Entschiedenheit abgelehnt werden.
Aus sehr einfachen und jedem unvoreingenommen Ur-
teilenden gewiß einleuchtenden Gründen,
Zunächst beruht der Psalter ganz und gar auf der
Thora, dergestalt, daß sogar Jesus Zitate aus dem Psalter
als Zitate aus dem , .Gesetze" bezeichnet (für Ps 69^ siehe
Joh 15^^, für Ps 82^ Joh 10'*). Der sogenannte i. Psalm,
der die Thora Jahos verherrlicht und als einzigste Richt-
schnur des wahrhaft Frommen feiert, gilt mit Recht
als halb prosaische, halb poetische Einleitung in das
ganze Psalmbuch. ^ Daß diese übertriebene Vergötterung
der Thora, wie sie den Inhalt von Psalm 1 9B, Psalm 11 9 u.a.
bildet, für uns Christen ohne Bedeutung ist, liegt auf der
Hand. Selbst wenn wir über die Entstehung dieser angeb-
lichen Thora Mosis nicht so klar sähen, wie es im I. Teil
der ,, Großen Täuschung" gezeigt ist, würde die Thora
als spezifisch jüdisches Gesetz für uns ebenso unmaßgeb-
lich sein wie das Gesetz Hammurabis oder wie der Sachsen-
spiegel, welch letzterer Vergleich schon bei Luther sich
findet. Ebendamit ist aber auch das Urteil über die vielen
Psalmen gefällt, die von den gesetzestreuen wahrhaft
Frommen (Chasidim) im Gegensatz zu den Gottlosen
und Freigeistern handeln, von dem Ansehen der „Recht-
schaffenen" bei Jaho und dem ihnen bestimmten Glücke
einerseits, von ihrer Verfolgung und Drangsaherung durch
die Gottlosen, die Frevler, auch durch politische Feinde
^) Beachte, daß der Apostel Paulus die Worte von Ps 2': ,,du bist
mein Sohn, heute habe ich dich gezeuget", als Worte des ersten Psalms
zitiert (Acta 138*').
^0 Die thoragläubigen „Frommen" imd die „Frevler".
(Ps 35, 55, 69 u. a.), andererseits. Wir Christen haben
keinerlei Interesse mehr an diesen längst überwundenen,
an die Thora sich knüpfenden Gegensätzen längst ver-
gangener Zeiten, dies um so weniger, als wir ja doch nun
einmal nicht mehr unter dem Gesetze Mosis stehen, son-
dern durch Jesu schlechterdings neue Lehre die herrhche
Freiheit der Eünder Gottes genießen. Und erst recht sind
für uns ohne alle Bedeutung die poetischen oder richtiger :
in Verse gebrachten Darstellungen der im ersten und
zweiten Buche Mosis erzählten vermeinthch historischen
Ereignisse vom Durchzug durch das Schilf meer usw. Be-
merkenswert ist nur, daß auch die Psalmisten den dreimal
erzählten Betrug mit dem Patriarchenweib und die Be-
stehlimg der Ägypter getreulich rechtfertigen. Kein
Mensch dürfte länger wagen, die in „Große Täuschimg"
I, S.77f. besprochenen Erzählungen, wie Abraham bzw.
Isaak ihre Frau als ihre Schwester ausgaben, gutzuheißen
oder auch nur zu beschönigen. Aber Ps 105^^'^^ wagt zu
sagen: ,,Und sie (die Patriarchen) wanderten von Volk zu
Volk, von Königreich zum Volk eines anderen. Nicht ließ
Jaho jemand sie bedrücken und züchtigte um ihret-
willen Könige: Rührt nicht an meine Gesalbten und
meinen Propheten tut nichts Böses!" Und ebendort
V. 37 lesen wir: ,,Und er (Jaho) führte sie heraus mit
Silber und Gold", womit der Diebstahl vom Dichter
auf Jaho selbst zurückgeführt wird! Literarischen Wert
behält Ps 104, die dichterische Darstellung des Schöp-
fungshergangs Gen Kap. i.
Auch sonst sind die religiösen Vorstellimgen der Psalmen
ganz die nämlichen wie in allen übrigen vor- imd nach-
exilischen Büchern des Alten Testamentes. Selbst der
geringste Psalmdichter träumt vom Besitztum der
Völker, das Jaho Israel verheißen (m^). Was aber das
Leben des einzelnen Menschen betrifft, so steht im Mittel-
punkte der diesbezügUchen Vorstellungen, daß das
menschUche Leben ausschließhch ein Leben des Dies-
Der Unsterblicbkcitsglaube im Psalter. 4,1
seits,^ Jaho ausschließlich ein Gott der Lebendigen ist — der
Toten gedenkt Jaho nicht weiter, sie sind abgeschnitten
von seiner Hand (88*). Im Totenreich hat alles ein Ende:
Jahos Wunderkraft (88^^) ebenso wie die dankbare Er-
innerung an seine Güte und Treue (6* 30*° 88^' 115^').
Alles Sinnen und Denken auch der Psalmisten ist auf das
Diesseits gerichtet. Darum ist und bleibt der Lohn der
Frömmigkeit, der Furcht Jahos lange Lebenszeit, große
Nachkommenschaft und Reichtum an irdischen Gütern
(112'). Ist das nicht alles in direktem Widerspruch mit
unsern christlichen Anschauungen, sodaß wir den Psalter
als christUches Religionsbuch ablehnen müssen? Man ver-
gesse doch nie, daß wir einer Unsterblichkeitslehre sogar im
nachexihschen Psalter nur an zwei, drei Stellen (49^* 73^*,
vgl. 39*) begegnen und auch da nur einer auf die Frommen
beschränkten, insofern diese Jaho zu sich nimmt, während
alle übrigen Menschen dem Schattenleben der Scheol oder
Unterwelt verfallen ; daß aber sogar diese wenigen Stellen
nicht allein ganz jungen Datums, sondern augenscheinlich
nicht auf dem Boden des Judentums erwachsen sind.*
Was aber die Betätigung der Religion in der Nächsten-
liebe betrifft, so enthält der Psalter kein einziges Lied,
das dieser schönsten menschlichen Tugend gewidmet wäre,
1) Vgl. hierfür auch 2 Kö 20 3, eine Stelle, die zugleich lehrt, wie sich
selbst die alttestamentlichen „Frommen", z. B. Hizkia, vor dem Sterben
fürchteten.
^) Beachte Ps 73 ", wo der Dichter bekennt, über das Leben nach dem
Tode erst belehrt worden zu sein, als er in Gottes ,, Besonderheiten
(Heiligkeiten)", d. h. doch wohl: in Gottes Geheimnisse eingeführt
wurde. Da die Babylonier schon viele Jahrhunderte vor dem Juden-
tum an ein für Fromme und für Gottlose verschiedenes Leben nach
dem Tode glaubten, entsprechend der späteren Lehre Jesu (siehe meine
Schrift Das Land ohne Heimkehr, Stuttgart 1911, S. 18 ff.), so ist es
sehr wohl denkbar, daß die pharisäische Unsterblichkeitslehre nicht so-
wohl auf griechische Einflüsse zurückgeht, sondern auf den Einfluß der
jüdischen Proselyten aus Galiläa. Aus anderen alttestamentlichen
Schriften sei für die UnsterblichkeitshoflFnung an die bekannte Stelle
des Buches lob 19^6 '• erinnert.
4z
Die Nächstenliebe im Psalter.
die ja ohnehin im Alten Testament auf das Mindestmaß,
nämlich die zu den eigenen Volksgenossen (s. I, S. loif.),
beschränkt ist. Vielmehr gedenken die Lieder eines auf
das Siechlager geworfenen Kranken (Ps 41) oder eines,
der sich von seinen als Frevler bezeichneten Volksgenossen
angefeindet, verfolgt, wohl gar mit dem Tode bedroht
sieht (Ps 6, 11, 13 usw.), des schadenfrohen oder ge-
hässigen Feindes ausnahmslos mit Verwünschungen, was
ja menschlich nur allzu leicht sich versteht, auch bei den
Babyloniern genau so der Fall ist, aber einem religiösen
Erbauungsbuche gewiß nicht zur Zierde gereicht, am
allerwenigsten einem solchen für Christen, welche über-
dies in I Kor 13 das erhabenste, unübertrefEbarste Hohe-
lied der Liebe besitzen. ,,Ist Jaho mein Hirte, hab' ich
nicht Mangel, auf Auen jungen Grüns, an friedlichen Ge-
wässern läßt er mich ruhen, meine Seele erquickt er. Er
leitet mich auf richtigen Geleisen um seines Namens
willen. Auch wenn ich wandle in finsterm Tal [ist mir
nicht bange], fürchte ich kein Unglück, deim du bist bei
mir, dein Stecken imd dein Stab, sie trösten mich". Ge-
wiß ein schöner, zum Herzen sprechender Psalm, wenn wir,
Jaho durch „der Herr" ersetzend, an den Gott denken,
den uns Jesus gelehrt hat. Aber dürfen wir dies, ohne den
Psalm zu fälschen? Denn wenn der Psalmist fortfährt,
sich von Jaho zu Tisch geladen imd königlich bewirtet
vorzustellen und zwar ,, angesichts seiner Feinde" (23^),
sodaß diese, wie es anderwärts (z. B. 112^°) heißt, es
sehen müssen tmd vor Unmut die Zähne zusammenbeißen,
so bringt dies doch einen recht schrillen Mißton auch in
dieses Lied, wie denn die Psalmisten, die doch erst recht
die berufenen Verkünder der Nächstenliebe sein müßten,
samt vmd sonders keinem heißeren Wunsche Ausdruck
verleihen, als ,, seine Lust zu sehen an seinen Feinden"
(z. B. 37^*54^92^2 1128).
Nehmen wir zu allen diesen für uns Christen in Wegfall
kommenden Psalmen noch diejenigen hinzu, die lediglich
Psalm 73 Vers 25 und 26. ^2
längst vergangene geschichtliche Geschehnisse zum Anlaß
und Inhalte haben, so bleibt nur eine verhältnismäßig
sehr kleine Auslese von Psalmen und Psalmstellen
übrig, deren Inhalt den religiösen Regungen unserer Seele
entgegenkommt, als da sind : Liebe zu Gott, Stille zu Gott,
vollste Genüge in Gott, und die dem Neuen Testamente
angegliedert zu werden verdienen. In weitaus erster
I/inie gehören zu diesen wenigen sozusagen neutestament-
lichen Psalmstellen die Verse 25 und 26 des 73. Psalms,
die nach dem hebräischen Wortlaut etwa zu übersetzen
sind: „Wen habe ich im Himmel [außer dir]? und neben
dir (? bei dir, das ist: mit dir vereint?) habe ich kein Ge-
fallen auf Erden. Schwindet mein Fleisch und mein Herz,
so bleibt Jaho mein Teil auf ewig", von Luther frei, aber
ziemlich sinngemäß verdeutscht: ,,Wenn ich nur dich
habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn
mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch,
Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil".
Wenn nun aber der Professor der alttestamentlichen
Theologie Wolf W. Graf Baudissinin seiner im Oktober
1912 gehaltenen Rektoratsrede ,,Die alttestamentliche
Wissenschaft und die Religionsgeschichte" in diesem
Psalm wort ,,eine Höhe der religiösen Auffassung" preist,
,,die alle anderen Höhenlagen in sich faßt und sich nicht
mehr überschreiten läßt", wenn er dieses Bewußtsein der
,, Gottesgemeinschaft" als den ,,Gipfelpimkt des religiösen
Gefühls" bezeichnet, so bricht er, ohne es zu wollen,
meines Erachtens den Stab über die ganze alttestamentliche
Religion. Also erst in „der Zeit der dem Abschluß ent-
gegengehenden alttestamentlichen Religionsgeschichte" ein
Wort, ein einziges Wort, das unsem deutschen Begriff
von Religion als der Gemeinschaft des Menschen mit
Gott (Thomasius) zum Ausdruck bringt, und noch dazu
in einem Psalm, der sich durch das unmittelbar vorher-
gehende Bekenntnis zur Unsterblichkeit des Gerechten
als von fremdem Ideenkreis beeinflußt bezeugt (s. S. 41
AA Der babylonische Gottesglaube.
Anm. 2) ! Gewiß ein herrlicher Gedanke, wenn wir Jaho =
Gott setzen: Gott das Einzigste im Himmel und auf
Erden, woran ich Gefallen finde, Er mein bleibender Teil;
beständig, auch über den Tod hinaus, bei Gott und mit
Gott vereint zu sein das höchste Ziel des Lebens 1 Aber
zeigen nicht bereits die alten Babylonier des dritten Jahr-
tausends mit ihrem einzigartig schönen Personennamen:
„Wenn Gott nicht mein Gott wäre" bereits die nämliche
unüberschreitbare Höhe rehgiöser Auffassung, jenen
„Gipfelpunkt des rehgiösen Gefühls", zu welchem sich
Israel erst im allerletzten Stadium seiner Psalmdichtung,
also kurz vor Jesu Auftreten, emporgerungen hat und
selbst dies nur mit fremder Hilfe? Durch die innige,
sinnige Anschauung der Sumerer, daß jeder Mensch ..Klind
seines Gottes" sei, war sein Leben durchweg in das Licht
des Gottesgedankens gerückt mit allen seinen Tröstimgen,
Ermutigungen und sittlichen Forderimgen einer den gött-
lichen wie irdischen Gesetzen gerecht werdenden Lebens-
führimg. Der Babylonier wußte sich ,,in Gottes Hand";
sein irdischer Wandel geschieht in und durch seinen Gott
(„In meinem Gotte wandle ich"), sein Gott war tmd blieb
sein himmlischer Erzeuger, sein ,, Vater". Die Gottheit,
der der Mensch sein Dasein verdankt, nimmt (vgl. bereits
oben S. 15) als sein guter Geist Wohnvmg in seinem Innern,
sie behält ihn in Not und Krankheit in ihrer Obhut, und
kein schrecklicheres Unglück kann den Menschen treffen,
als wenn infolge fortgesetzter Sündhaftigkeit sein Gott,
seine Göttin von ihm weicht. ,,Sei er den gnädigen Händen
seines Gottes befohlen !" — so lautet der Lieblingssegens-
wunsch, mit dem der babylonische Priester von dem
Kranken und Todkranken Abschied nimmt. Auch im
Tode verbleibt der Mensch in seines Gottes Hand, „sein
Gott ruft ihn zu sich!"^ Die Lehre von der Unsterblich-
keit des Frommen, des Kindes seines Gottes, gibt sich
hiemach gleich jener hohen Auffassvmg der Religion als
*) Siehe für das oben Gesagte Das Land ohne Heimkehr, S. 30 f.
Der Psalter iii der katholischen Kirche. a^
Gottesgemeinschaft als im letzten Grunde sumerischen
Ursprungs. Waren es also die jüdischen Proselyten
Galiläas, die in die starre, unveränderliche Jaho-Religion
die Frühlingskeime einer höheren und reineren Gottes-
anschauung und Gottesverehrung trugen?
Aber wir können vom alttestamentlichen Psalter als
vermeintlichem christlichen Religionsbuch nicht Abschied
nehmen , ohne noch einigen weiteren Betrachtungen Raum
zu geben.
Zwar daß die katholische Kirche dem Psalter solche
Bedeutimg beimißt, daß sie jeden Priester verpflichtet,
das ganze Psalterium allwöchentüch durchzubeten, mag
mit Stillschweigen übergangen werden. Jeder akademisch
gebildete katholische Theologe weiß ja, was von der
lateinischen Übersetzung gerade der Psalmen zu halten
ist, daß also die Priester den Sinn dessen, was sie
beten, an hundert und aberhundert Stellen gar nicht ver-
stehen können, weil er schlechterdings unverständlich ist.^
Wichtiger ist ein anderes, ein zwiefaches.
„Frei, aber ziemlich sinngemäß" koimten wir das oben
besprochene Psalmwort Ps 73 ^^ '" von Luther übersetzt
nennen. Aber nicht immer deckt sich Luthers Psalmüber-
setzung mit dem ursprünglichen Wortlaut und Gedanken
des Psalmisten. Eine §chöne Pfingstsitte ist die
Schmückung von Häusern und Kirchen mit Maien. Aber
an Ps 118^' hat sie keinen Halt, denn der Urtext lautet
nicht, wie Luther übersetzt: „schmückt das Fest mit Maien
^) Ganz wenige Stichproben mögen genügen: Moab olla spei meae
(Ps 59^= 60 10)^ Original: ,, Moab ist mein Waschbecken"; — priusquam
intelligerent Spinae vestrae rhamnum (57= 58 1"); — prodiit quasi ex
adipe iniquitas eorum (72 = 73^); — h(H)erodii domus dux est eorum
(103= 104^'), Original: ,, der Storch, dessen Wohnung Zypressen sind".
,,Ein sehr tüchtiger Professor der Dogmatik übersetzte mir selbst die
Stelle allen Ernstes: ,Das Haus des Herodes war ihr Führer'. Wohl
kam ihm das sonderbar vor, aber er wußte nicht, was es sonst heißen
sollte" (briefliche Mitteilung aus Österreich). — Jerusalem, quae aedifi-
catur ut civitas, cujus participatio ejus in id-ipsum (121 = 122^).
Aß IfUthers Psalmenübersetzung.
bis an die Homer des Altars", sondern : „bindet das Fest-
opfer (gemeint ist die Menge der Opfertiere) mit Stricken
bis an die Hörner des Altars". — In wieviel Tausenden von
christlichen Häusern wird am Silvesterabend der 90. Psalm
gelesen und in ihm der Vers 10 : „Unser Leben währet
siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig
Jahre, und wenn es kösthch gewesen ist, so ist es Mühe
und Arbeit gewesen" als eine dichterische Verherrlichimg
der mühseligen Arbeit dieses irdischen Lebens gewertet!
Aber der Dichter, ein Pessimist nach Art des Predigers
Salomonis, der in dem raschen, flugartigen Aufeinander-
folgen der menschlichen Generationen ausschließUch eine
Folge des göttlichen Zorns, in dem wie Gras vergehenden
Leben der Menschheit wie jedes einzelnen Menschen nichts
als Jahos Zorn über die menschliche Sündhaftigkeit sich
widerspiegeln sieht, darum auch alles menschliche Sich-
mühen im ewigen Wechsel der Geschlechter für Eitelkeit der
Eitelkeiten erachtet (Qoh i ^"'), er wollte sagen : ,,und wenn
es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es
ungewöhnlich ist, so ist es {seil, doch nur) Mühsal und
Nichtigkeit, d. h. Mühe um nichts, vergebhche Mühe, eitel
nutzlos und zwecklos. DasistwahrUch kein erhebender
Gedanke beim Eintritt in ein neues Lebensjahr, das Gottes
Güte uns schenkt. Beiläufig bemerkt, wird der Psalm
„Mose, dem Manne Gottes" zugeschrieben aus leicht er-
kennbarem, aber nichts weniger als stichhaltigem Grimde.
Es soll dies hier nicht näher ausgeführt werden, nur möchte
ich im allgemeinen noch vor den Überschriften der
Psalmen warnen.
Es ist wahrhaft betrübend, die Torheit, die Un-
verfrorenheit, ja zum Teil bewußte Un Wahrhaftigkeit
brandmarken zu müssen, mit welcher so viele Psalmen in
den letzten Jahrzehnten vor Christus datiert worden sind,
mehr als 70 ofEenkiindig nachexiUsche Psalmen David zu-
geschrieben werden, wie in der griechischen Bibelüber-
setzimg sogar der 137. Psalm: ,,An den Bächen Babels
David kein Psalnulichtcr und Liedersänger. ^,7
saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten"
die Überschrift trägt: „Von David", und Petrus (Acta 4^*)
den zweiten Psalm auf David zurückführt — Seitenstücke
zum Chronisten (i Chr 16), der Psalmen des zweiten, ersten
Jahrhunderts (Ps 105 ^'^^, Ps 96) um tausend Jahre zurück-
trägt und von David bei der Überführung der Bundeslade
gesungen sein läßt, obwohl Ps 105^ ein Zitat aus Jesaia
(12 *) ist (Anm. 10) . Das ist eine der gröbsten Täuschungen,
die sich die jüdischen Schriftgelehrten haben zuschulden
kommen lassen. Diese Zurückdatierung von mehr denn
70 Psalmen um ein volles Jahrtausend, ihre Zurück-
führung auf David, die selbst der beschränkteste Schrift-
gelehrte in vielen Fällen, schon aus sprachlichen und sach-
üchen Gründen, als ganz unmöglich erkennen mußte, ja
vielfach obendrein die ganz genaue Angabe der Umstände,
unter denen David jene Psalmen gedichtet und gebetet
haben soll, hat natürlich keinen anderen Zweck, als die
Person des Königs David und mit ihm das jüdische Volk
überhaupt mit dem bekannten Heiligenschein zu umgeben,
den König David, der natürlich auch gute Eigenschaften
hatte, aber im Grunde genommen nach allem, was das
Samuelis- und Königsbuch von ihm erzählt, ganz und gar
kein frommer Liederdichter tmd Liedersänger war, sondern
ein rauher Kriegsmann, der sich durch Verstümmelimg
von 100 Philisterleichen die Brautgabe für Sauls Tochter
Michal verschaffte (i Sa 18 2'); der die gefangen genom-
menen Moabiter auf die Erde sich niederlegen Heß und mit
einer Meßschnur abmaß, um dann je zwei Schnurlängen
zur Hinrichtung, je eine Schnurlänge zum Amiebenbleiben
zu bestimmen (2 Sa 8 '), und s. weiter i Sa 27^- " 2 Sa 12^^.
Ich will nicht von neuem an Davids Ehebruch mit Urias
Weib erinnern (siehe I, S. 92), obwohl ein solch raffinierter
imd grausamer Ehebruch nicht seinesgleichen findet, son-
dern nur noch an Davids letzten, seinem Sohne Salomo
auf dem Sterbebett unmittelbar vor seinem Tode erteilten
Auftrag, den Simei, dem er selbst Sicherheit des Lebens
48 Gegen die Kritiker der ,, Großen Täuschung" I.
zugeschworen hatte, nicht ungestraft zu lassen, sondern
seine grauen Haare mit Blut in die Unterwelt zu be-
fördern (i Kö 2®'). Ein König David mit der goldenen
Krone auf dem Haupte und der goldenen Harfe an seiner
Seite verdient keinen Platz in den christhchen Kirchen,
er verdient es nicht, als Ahnherr Jesu zu gelten.
Damit hätte ich im Großen und Ganzen wohl alles
gesagt, was vom religionsgeschichtüchen, literarischen wie
historischen Standpunkt über die Schriftpropheten imd
Psalmen zu sagen ist, und hätte nachgeholt, was ich
absichthch nicht gleich im I, Teile der ,, Großen Täu-
schung" besprochen habe, obwohl diese vermeintliche
Unterlassung der Hauptvorwurf ist, der mir von meinen
Kritikern samt und sonders gemacht wurde.^ Als ob man
in Einem Buche gleich alles sagen müßte und sagen
könnte, zumal wenn man sich der Verantwortlichkeit bei
diesen ernsten Fragen bewußt ist, imd als ob es bei solchen
grundstürzenden Darlegungen nicht gälte, langsam und
pädagogisch vorzugehen! Zu meiner Genugtuung darf
ich behaupten, daß, abgesehen von jenem Vorwurfe, ich
hätte den Propheten und Psalmen ihr Recht nicht werden
lassen, gegen die Ausführungen meines Buches selbst nach
dem Zeugnisse berufener unparteiischer Beurteiler nichts,
auch rein gar nichts geltend gemacht werden konnte,-
sodaß das in der ,, Großen Täuschung" über den Hergang
^) Als besonders ungehörig ist zurückzuweisen, wenn Meinhold mir
Vorschläge für Themata macht, die ich besser behandelt hätte, z. B.
Messe und Versöhnungslehre. Für solche Themata und ihre richtige
Behandlung muß doch erst die Bahn freigemacht werden, indem die
Unverbindlichkeit des Alten Testaments für unsern christlichen Glauben
und für das kirchliche Dogma mitsamt dem kirchlichen Kxiltus auf-
gezeigt wird.
2) Vgl. z. B. das Urteil von Konsistorialrat Albert Klein im
Türmer (Heft 11, 1920): ,,Prof. Herm. Gunkel hat in der Frankfurter
Zeitung in einem wohl etwas allzusehr für ihr Publikum geschriebenen
Aufsatz erbittert genug über die Große Täuschung abgeurteüt, aber das,
was Delitzsch behauptet xmd vorbringt, hat er nicht widerlegt".
Gegeu die Kritiker der ..CroDtn TäuHchung'' I ^(j
der Eroberung Kanaans durch Israel, die Entstehung
der sogenannten Thora Mosis und über die poUtische
Tätigkeit der Propheten Gesagte als unanfechtbar
gelten kann. Das wird ja auch der letzte Grund all der
Schmähungen sein, die jüdische und christliche Theologen
auf mich gehäuft haben und weiterhin häufen werden.
Was aber das auch gegenüber der ,, Großen Täuschung"
bis zum Überdruß wiederholte Verdikt „nichts Neues"
betrifft, so ist dies bekanntlich der nämliche Vorwurf, der
gegen meinen ersten Vortrag über Babel und Bibel aus
Hunderten von Kehlen erschallte, der aber handgreiflich
dadurch widerlegt ist, daß jetzt nach 19 Jahren der Ver-
leger jenes Vortrages sich genötigt sieht, eine Neuausgabe
vorzubereiten, um der Nachfrage zu genügen. Es gibt
also doch noch Tausende gebildeter und für religiöse Dinge
empfänglicher Deutschen, denen das dort Gesagte auch
heute noch etwas Neues ist. Sollten sich meine theologi-
schen Kritiker nicht auch betreffs des in der ,, Großen
Täuschung" Gesagten einer Selbsttäuschung hingeben, die
Tragweite ihrer eigenen aufklärenden Schriften allzuhoch
einschätzend? Neben den nicht gezählten Schmähbriefen
habe ich auch viele, viele Dankesbriefe geistig hoch- und
höchststehender Männer erhalten, von denen wenigstens
vier im Auszug hier mitgeteilt werden mögen, gewiß nicht,
um mich mit ihnen zu brüsten, sondern lediglich, um
jenen Vorwurf „nichts Neues" auf das richtige Maß
zurückzuführen .
Ein weltbekannter Verlagsbuchhändler und Antiquar
schreibt (24. August 1920): ,, Während meines Ferien-
aufenthaltes haben meine Frau und ich Ihre Schrift ,,Die
große Täuschung" gelesen. Wir waren beide und sind
auch jetzt noch sehr begeistert davon und wünschten nur,
daß das Buch in Millionen von Exemplaren dem deutschen
Volke zugänglich gemacht würde. Die klare überzeugende
Darstellung von Tatsachen, die dem naiv Denkenden bis-
her verborgen waren, ist geeignet, uns allen die Augen zu
Delitzsch, Die grosse Täuschung. II j
50 Gegen die Kritiker der „Großen Täuschung" 1.
Öffnen und uns noch rechtzeitig vor den schweren Ge-
fahren, die dem deutschen Volke drohen, zu retten".
Bin langjähriger deutscher Staatsminister und Aristokrat
konservativster Gesinnung schickte mir folgenden Trost-
brief (15. Juli 1920): ,,Sie haben wegen Ihrer , »Großen
Täuschung" so viel Lästerungen erfahren und werden
sicher noch mehr zu hören bekommen, daß es Ihnen viel-
leicht nicht gleichgültig sein wird, auch ein Wort der An-
erkennung aus Laienkreisen zu hören. Neues hat Ihr Buch
mir nicht gebracht, denn ich verstehe etwas hebräisch, und
ich habe alle einschlägigen Werke von Wellhausen, Eduard
Meyer, Gimkel und den andern Mitarbeitern von Nowacks
Kommentar aufmerksam imd mit Nutzen gelesen. Aber
die große Menge der Laien hat sie eben nicht gelesen und
kann sie wegen mangelnder Sprachvorkenntnisse nicht
lesen. Daher stehen sie vor Ihrem jüngsten Buch wie die
Kuh vor dem neuen Tor. Und wenn sie einmal im Alten
Testament blättern, so tun sie es mechanisch und merken
gar nicht, wie die Millionen des Auszugs aus Ägypten sich
im Handumdrehen in die nicht voll 40 000 Wehrhaften
zu Deboras Zeit verflüchtigt haben". Und weiter: ,,Ich
stehe in gelegentlichem Briefwechsel mit einem evange-
lischen Geistlichen, der selber der strengeren, aber ver-
ständigen Richtimg angehört. Und ich teile dessen in
mehreren Schriften niedergelegte Auffassimg, daß es mit
dem hergebrachten alttestamentlichen Schlendrian in
Schule und Kirche so nicht weitergehen darf, soll die
evangelische Gemeinde nicht schweren Schaden leiden.
So denken nicht wenige, aber wenige haben den Mut, es
offen wie Sie zu sagen oder gar ihrer Überzeugung gemäß
zu handeln".
Bin in allen geschichtlichen und philosophischen Fragen
zu maßgebendem Urteil befähigter geistvoller Forscher
schreibt (11. April 1920): ,,Ich halte die Resultate für
schlechterdings zwingend, namentlich die geschichtlichen
AusbHcke aber sind von ungeheurem Wert. Von ganzem
G«gen die Kritiker der ,, Großen Täuschung" I. ci
Herz€n hoffe ich im Interesse unseres unglücklichen Volkes,
daß das Werk die Resonanz finden möge, die es verdient.
Der mit Sicherheit zu erwartende Widerspruch wird in
sich selber zusammenfallen".
Ein ,, treuer Katholik" endlich, obwohl sich nach der
einen und anderen Seite eine andere Auffassung vor-
behaltend, schrieb mir (ii. April 1920): ,,Mit jubelndem
Herzen habe ich die markante Feststellung der großen
Selbsttäuschung von vmgezählten Millionen, daß Jaho =
Gott sei, begrüßt, Generationen über Generationen werden
Ihnen für dieses Wort ehrlichen Dank sagen. Was ich
schon jahrelang mit Schmerzen empfunden habe, daß wir,
um die große Menschheitsfrage des Wozu? zu lösen, unsern
Blick allzu starr auf das Alte Testament gerichtet haben,
anstatt den Werdegang der gesamten Erdenvölker zu
überschauen, das hat nun in klassischer Form seinen
öffentlichen Ankläger gefvmden. Um Gottes willen, so
wünsche ich, möge diese Erkenntnis allgemeine Verbreitimg
finden".
Auch aus dem Chor der klug und besonnen urteilenden
Zeitungsstimmen sei wenigstens das Urteil einer süd-
deutschen Tageszeitung (vom 26. Oktober 1920) hier mit-
geteilt :
,,Wird man also zum mindesten von einer absicht-
lichen Täuschung der gesamten Menschheit durch die
althebräischen Schriftsteller nicht ohne weiteres sprechen
können, so kann man diesen Vorwurf zum Teil der anderen
Seite, gegen die Delitzsch sich wendet, den heutigen Ver-
tretern der ,,alttestamentlichen Heilswahrheiten" nicht
ersparen. Es läßt sich schUeßUch verstehen, wenn jüdische
und christlich-orthodoxe Kreise aus Tradition und Prinzip
daran festhalten. Ich will auch nicht bestreiten, daß es
eine Anzahl wirklich überzeugter Anhänger dieser An-
schauungen gibt, aber : ein sehr, sehr großer Teil der Leser,
der diese Ausführimgen liest — ich habe bereits manche
Anfrage deswegen erhalten — steht vor etwas ganz
52 Gegen die Kritiker der „Großen Täuschimg" I.
Neuem, noch nie Gehörtem! Und darin liegt die große
unverzeihliche Täuschung, daß man aus kirchUchen und
kirchenpoUtischen Gründen und Grundsätzen all diese
brennenden Probleme dem wirklich ,, leichtgläubigen"
Bibelleser und Kirchengänger vorzuenthalten wußte, ob-
wohl deren Lösung schon lange Allgemeingut der Wissen-
schaft geworden ist. Vertreter und Anhänger der christ-
lichen Kirche und speziell der ,,alttestamentlichen"
Wissenschaft haben schon im Babel-Bibel-Streit Delitzsch
mit der Bemerkung abzutun versucht, was er sage, sei ja
alles längst bekannt. Gewiß: die Theologie hat das
meiste, was Delitzsch vorführt, auch schon lange gesehen ,
manches könnte ebensogut bereits Marcion gesagt haben.
Den wirklichen und wissenschaftlichen Vertretern ist das
wohl bekannt, nicht aber dem größten Teil des gläubigen
Volkes. Und weil Delitzsch nun wieder diese Tatsache
scharf beleuchtet, darum die Erregung und Erbitterung,
mit der gegen ihn angegangen wird. Man sucht ihn mit
wissenschaftlichen Gründen zu erledigen, kann aber —
mag man auch über den einen oder anderen Punkt seiner
Darlegungen ,, wissenschaftlich" verschiedener Meinung
sein — die feststehenden Tatsachen nicht erschüttern,
imd darum findet man in der Form und Tendenz der
Schrift einen Angriffspunkt oder noch besser: man über-
geht sie vollständig, ein bewährtes und oft angewandtes
Prinzip, indem man Leute, die einem unbequem sind,
totschweigt".
Es kommt also nach alledem nicht darauf an, ob das
von mir Gesagte neu oder nicht neu sei — die Hauptsache
bleibt, daß es wahr ist. Diese Wahrheit aber möchte ich
(die religiöse und sittliche Bewertung hier beiseite lassend)
dahin zusammenfassen, daß das Alte Testament voll ist
von Täuschimgen allerart: ein wahres Sammelsurium
irriger, unglaubwürdiger, unzuverlässiger Zahlen, auch
solcher der bibUschen Chronologie; ein wahrer Irrgarten
falscher Darstellungen, irreführender Umarbeitungen, Über-
Sanherib und Hizkia.
53
arbeitungen und Verschiebungen, darum auch Anachronis-
men * ; eine unablässige Durcheinandermischung sich wider-
sprechender Einzelangaben und ganzer Berichte, un-
historischer freier Erfindungen, Sagen und Märchen,
kurzum ein Buch voll absichtlicher und unabsichtlicher
Täuschungen, zum Teil Selbsttäuschungen, ein sehr ge-
fährliches Buch, bei dessen Gebrauch die größte Vorsicht
vonnöten ist. Ich wiederhole es: das Alte Testament ist
in allen seinen Büchern voll von sprachlichen Schönheiten,
von archäologischen Aufschlüssen, es behält auch trotz
seiner Mängel den Wert einer historischen Urkunde, aber
es ist nach allen, allen Seiten hin eine verhältnismäßig
späte und sehr trübe Quelle, ein Tendenzwerk vom
I. Kapitel der Genesis bis zum letzten der Chronik.
Ich will diese Betrachtung mit einem Beispiel schließen,
das für alttestamentliche Theologen und Althistoriker in
der Tat nicht neu, im Gegenteil altbekannt, ja abge-
droschen ist, aber dennoch noch lange nicht gebührend
gewürdigt oder erledigt.
Der König Sanherib, der Sohn Sargons, des Eroberers
von Samaria, berichtet, daß er auf seinem dritten Feldzug
im Jahre 701 v. Chr. nach Niederwerfung Sidons und der
sidonischen Städte bis hinab nach Akko die ununter-
würfige Philisterstadt Askalon bestraft habe und dann
gegen Ekron gezogen sei, welches seinen treu zu Assyrien
stehenden König Padi gefesselt und böswillig dem König
von Juda, Hizkia, überantwortet hatte. Nach Besiegung
ägyptisch-äthiopischer Heerhaufen, die den Ekroniten auf
deren Bitte zu Hilfe gekommen waren, in der Schlacht
von Altaqü wurde Ekron hart gezüchtigt. Das gleiche
*) Ein besonders häßlicher und zugleich verräterischer Anachronis-
mus ist es, daß nach dem klaren Berichte des Exodus Jaho sich unter
diesem Namen erst Mose geoffenbart habe, während die Genesis Jaho
bereits von Noah und zwar als der Gott Sems überhaupt genannt sein
läßt (9**), Abram den Namen Jahos anrief (12*), Jaho schon zum Gott
Abrahams, Isaaks und Jakobs gemacht wird. Vgl. I, S. 84.
54
Sattherib und Hizkia.
Schicksal traf Hizkia, der, obschon er notgedrungen den
Padi auslieferte, vielleicht sogar mittels eines nach Lakisch
gesandten Boten Sanherib um Verzeihung bat (s. 2 Kö i8 ^*) ,
dennoch in seiner Unimterwürfigkeit beharrte. Nach
einem klugen Kriegsplan wurde er von einer detachierten
assyrischen Heeresabteilung in seiner Hauptstadt Jeru-
salem ,,wie ein Vogel im Käfig" eingeschlossen, sodaß er
und die judäische Hauptmacht vollkommen matt gesetzt
war, während Sanherib alle übrigen festen Ortschaften
Judas, 46 an Zahl, nach heftiger Gegenwehr eroberte, ihre
Bewohner samt denen der zahllosen kleineren Nachbar-
ortschaften, klein und groß, Mann und Weib, in der Ge-
samtzahl von 200 150 Gefangenen nebst Viehherden ohne
Zahl wegführte, die also entvölkerten Städte und Dörfer
aber den Philistern von Asdod, Ekron, Gaza zuteilte, also
daß das jüdische Gebiet um einen großen Teil der Niede-
rung und des Gebirges (s. Jos 1588-60^ verringert wurde.
Der Staat Juda war damit für die Assyrerkönige so voll-
ständig erledigt, daß Sanheribs Sohn und Nachfolger
Asarhaddon bei seinen Zügen gegen Ägypten von Juda
und Jerusalem überhaupt keine Notiz nahm. Eine furcht-
bare Bestrafung Hizkias, der es unterlassen hatte, gleich
Ammon, Moab, Edom, Asdod Sanherib rechtzeitig durch
Tributsendung zu huldigen, und obendrein mit den auf-
sässigen Ekroniten gemeinschaftliche Sache gemacht hatte.
Kein Wunder, daß, nachdem Sanherib nach Ninewe
zurückgekehrt war, Hizkias Versuch aber, Jerusalems Be-
festigungen schleunigst zu verstärken, an der Ausständig-
keit (? Bestürzung?) der hierzu in die Hauptstadt genom-
menen Beduinen und sonstigen Landesbewohner geschei-
tert war, Hizkia von denkbar größter Angst vor einer
etwaigen Wiederkehr des assyrischen Großkönigs und
seines Heeres erfaßt wurde und sich ntmmehr zu einer
Tributsendimg entschloß, wie sie selbst den Kanzüsten
Sanheribs als etwas Ungewöhnliches erschien, sodaß sie
den übersandten Tribut so genau detaillierten, wie dies
SatiLerib nn<1 Hizki.i. ^^
sonst selten der Fall ist. Wir lesen auf Sanheribs sechs-
seitigem Tonprisma: , .Neben 30 Talenten Gold, 800 Ta-
lenten Silber auserlesene ..,.., große Libationsgefäße (?).
elfenbeinerne Betten und Stühle, Elefantenhaut, Ele-
fantenzähne, kostbare Hölzer, buntgewebte und linnene
Kleider, violett- und rotpurpurne Wollstoffe, Gerät von
Kupfer, Eisen, Bronze, Blei; Streitwagen, Schilde, Lanzen,
Panzer, eiserne Gürteldolche, Bogen und Pfeile, Speere,
zahlloses Kriegsgerät; dazu seine Töchter, seine Palast-
damen, männliche und weibliche Musikanten sandte er
nach Ninua, der Stadt meiner Herrschaft, hinter mir drein
(bzw. nach meinem Abzüge), und zur Übergabe des Tributs
und Huldigungsleistung schickte er seinen Gesandten".
Da Hizkia für Sanherib eine wenig bedeutende Persön-
lichkeit war, so ist jeder Zweifel an der Glaubwürdigkeit
des keilschriftlichen Berichtes ausgeschlossen, wogegen das
Alte Testament als historische Quellenschrift dermaßen
diskreditiert ist, daß von vornherein niemand geneigt sein
wird, dem Berichte des Königsbuches (2 Kö 18^* bis
Kap. ig fin.) bzw. des Buches Jesaia (Kapp. 36, 37) über
Sanherib - Hizkia höheren Glauben zu schenken. Gleich
die biblische Jahreszahl für Sanheribs Feldzug gegen
Philistäa, 714, ist falsch. Er fand auf Grund der astro-
nomisch beglaubigten assyrischen Reichschronologie im
Jahre 701 v. Chr. statt. Das Alte Testament gibt, wie die
Niederlage der philistäischen Städte (2 Kön 18^), so auch
die Eroberimg aller festen Städte Judas zu, desgleichen
die zeitweise Einschließung Jerusalems, spricht auch von
einer Tributleistung in Höhe von 30 Talenten Gold imd
300 Talenten Silber, die nur zum Teil aus dem Tempel-
und Palastschatze hätten bestritten werden können, aber
im übrigen ist alles im Alten Testament Erzählte als
tendenziös verfärbt und überdies schon durch seine zwei
ineinander gearbeiteten, sich widersprechenden Berichte
als völlig unzuverlässig erwiesen . Nach dem einen Berichte
hätte Sanherib von Lakisch aus ein großes Heer gegen
e6 Sanherib und Hizkia.
Jerusalem gesandt und durch dessen Führer, den so-
genannten Rabschaqe, die auf der Mauer Jerusalems ver-
sammelte judäische Soldateska zur Übergabe der Stadt
aufgereizt.^ Nach dem anderen Berichte hätte Sanherib
nur Boten mit einem zur Übergabe Jerusalems auf-
fordernden Brief an Hizkia geschickt. Nach dem einen
Berichte wäre Sanherib, einem Prophetenwort Jesaias
entsprechend, auf Grund eines Gerüchtes, daß der Äthiopen-
könig Tirhaqa'^ wider ihn ausgezogen sei, in sein Land
zurückgekehrt (2KÖ19'"**; Jes37'"®^); auch nach dem
andern Berichte wäre Sanherib, ebenfalls einer Verkündi-
gung Jesaias entsprechend, von Jerusalem abgezogen und
auf dem Wege, den er gekommen, nach Ninewe zurück-
gekehrt (2 Kön 19^2 "• 36- jes 3733"- 37^ y^i ^^^]^ 2 Kö 19**;
Jes 37^®). Dagegen zog nach wieder einem anderen Be-
richte der Engel Jahos aus tmd schlug 185 000 Mann im
assyrischen Heere, also daß ,,sie, als sie am Morgen auf-
standen, sämtUch tote Leichen waren" ! Ein Märchen, in
direktem Widerspruch mit allen übrigen Berichten sowie
den Aussagen des Propheten Jesaia, noch dazu ein albernes
Märchen, da kein assyrisches Heer weder in seiner Gesamt-
heit noch viel weniger in einem Bruchteil jemals 185 000
^lann gezählt haben dürfte, und da Sanheribs Heer schon
im nächstfolgenden Jahre wieder kämpf gerüstet zum
Dienste seines obersten Kriegsherrn stand; ein Märchen,
an Albernheit nur übertroffen von einer in Ägypten
*) Es mag sein, daß der Führer des zur Zemierung Jerusalems aus-
gesandten assyrischen Detachements auf eigene Faust einen Hand-
streich versuchte und die Besatzung Jerusalems aus eigener Machtvoll-
kommenheit zur Übergabe der Stadt aufforderte, aber die 2 Kö i8^®~^°;
Jes 36*"^° überlieferte Rede des assyrischen Würdenträgers erweckt
in mehr denn Einem Punkte Zweifel an ihrer Authentizität. Auf alle
Fälle widerstreitet sie Sanheribs klarem Bericht, demzufolge der assyrische
Großkönig lediglich eine Einschließung, aber keine Belagerung Jeru-
salems zwecks Aushungerung beabsichtigte.
*) Tirhaqa, ägyptisch Taharqa, assyrisch Tarqü, kam um 704 auf den
Thron und erscheint als Gegner Asarbaddons in den Jahren 674 und 67 1 .
Sanlu-rib und Hizkia. «7
kolportierten tragikomischen Geschichte (s. Herodot II
141), wonach eine ungeheure Zahl Mäuse das Assyrerheer
(vor Pelusium !) überfallen und sämtliches Leder an den
Schilden, Köchern, Bogen aufgefressen habe, wodurch
die Assyrer wehrlos gemacht worden seien ! Was aber die
Tributsendung betrifft, die nach Sanheribs unmißverständ-
lichem Berichte nach Ninewe erfolgte, so wird sie im
Buche Jesaia ganz übergangen, während das Königsbuch
(2 Kö 18^*") den Anschein erweckt, als hätte sie nach
Lakisch, einer Festung des südwestlichen Juda, statt-
gefunden. So unwahrscheinlich es einerseits ist, daß
Sanherib nach erhaltenem Tribute gegen Jerusalem vor-
gegangen sei, so ist andererseits schlechterdings kein Grund
abzusehen, warum die Geschichtsschreiber Sanheribs
Hizkias Tributsendung und Huldigung von Lakisch nach
Ninewe verlegt haben sollten. Umgekehrt läßt sich be-
greifen, daß Hizkia angesichts des kurz vorher infolge von
Hoseas Abtrünnigkeit über Samaria und das Reich Israel
verhängten furchtbaren Strafgerichts und nach solch
großem und empfindlichem Gebietsverluste eine Wieder-
kehr der assyrischen Invasion um jeden Preis, selbst um
den Preis eines Fußfalls in Sanheribs Hauptstadt Ninua,
abzuwenden versuchte. *
^) Trotzdem daß Hizkias Empörung wider Sanherib so unglücklich
verlief wie nur denkbar, indem sie Judäa schon zu Hizkias Zeit dem
Zusammenbruch nahebrachte und ihm einen riesigen Verlust an Gebiet,
Menschen und Vieh kostete, wagt 2 Kö 18 ^ zu behaupten, daß Hizkia
wegen seines frommen Festhaltens an Jaho ,,in allen seinen Unter-
nehmungen eitel Erfolg gehabt" habe! Worte, nichts als Worte,
aber mit solcher Keckheit immer von neuem vorgetragen, daß sie der
Gutgläubigkeit der gedankenlosen Leser noch auf lange Zeit hinaus
sicher sein können. Auch wenn Kautzsch in seinem Abriß der Ge-
schichte des alttestamentlichen Schrifttums S. 165 bemerkt: ,,Als dann
der Gott, der auf dem Zion thront (so schreibt ein christlicher
Theologe!), die unerschütterliche Verheißung (?) seines Propheten wahr
gemacht und in einer Nacht über die Myriaden (?) Assurs triumphiert
hatte" usw., so sind das ebenfalls nichts als inhaltsleere, der historischen
Wahrheit ins Gesicht schlagende Phrasen.
58 I^« Prophetieen Jesaias gegen Sanherib.
Und in welch unvorteilhaftem Lichte erscheint nun gar
alles in betreff des Verhaltens des Propheten Jesaia Be-
richtete 1 Da Sanherib genau so wie später Nebukadnezar
wußte, daß Jerusalem nur durch Hunger, d.h. durch lang-
fristige Belagerung erobert werden könne, fiel es ihm
natürlich nicht im Traume ein, nach jenen schweren
Kämpfen gegen die philistäischen Städte und judäischen
Burgen auch noch Jerusalem belagern und erobern zu
wollen. Was er beabsichtigte und was ihm vollständig
gelang, war, Jerusalem zu zernieren und das dort ver-
sammelte judäische Heer festzuhalten, während er die
46 festen Städte der Reihe nach stürmte und eroberte.
An den ermutigenden Worten, die Jesaia dem König
Hizkia in dessen Riesenangst laut dem ersten Berichte
(2KÖI9*'"; Jes37®*) und laut dem zweiten Berichte
(2 Kö 19^^"'; Jes37'^"') zukommen ließ, wollen wir
keine Kritik im Einzelnen üben. Aber daß auch noch ein
augenscheinlich erst nachexilisches Lied {2 Kö iq"'^^; Jes 37
^■*®), das den Rückzug Sanheribs von Jerusalem zum
Gegenstande hat, Sanherib aber Taten zuschreibt, die er
nie vollbracht hat, Sanherib wohl mit Nebukadnezar ver-
wechselnd, als eine prophetische Verkündigung Jesaias,
des Sohnes des Amoz, in den historischen Bericht mit ein-
geflochten ist, ja daß sogar ein ,, Zeichen" als Unterpfand
für die Erfüllung dieser Stilübung eines späteren Pro-
phetenschülers oder Dichters (Anm.ii) dem Hizkia ge-
geben wird (2 Kö 19^®"; Jes 37^**"), ist doch der ten-
denziösen Täuschung im ,, Worte Gottes" etwas zuviel.
Aber — so höre ich im Geiste Viele einwenden, obwohl
sie meinen bisherigen Darlegimgen vielleicht zustimmend
gefolgt sind — bleibt nicht das Alte Testament trotz alle-
dem für uns Christen imentbehrHch, da das Neue Testament,
da Jesus selbst in seinen Reden fort und fort an das Alte
Testament anknüpft, auf das Alte Testament zurück-
Jesu neue Ivehre. 5Q
weist? Das ist gewiß richtig, jede Seite des Neuen Testa-
mentes bezeugt es. Aber darf ich meine Ivcser vom ersten
Anfang an an Jesu Gleichnis erinnern (Luk 5'^"): „Nie-
mand reißt einen Lappen von einem neuen Kleide ab und
setzt ihn auf ein altes, oder aber er zerreißt das neue und
zum alten paßt der Lappen vom neuen nicht. Und nie-
mand legt neuen Wein in alte vSchläuche, oder aber der
neue Wein zerreißt die Schläuche, er selbst läuft aus und
die Schläuche gehen zugrunde, sondern neuen Wein muß
man in neue Schläuche legen", Jesus bezeugt durch diese
Bilder persönlich und damit unwidersprechbar, daß seine
Lehre gegenüber der synagogalen, in der er auferzogen
worden war, etwas wirklich und vollkommen Neues sei,
für welches das Althergebrachte, das ist aber Gesetz und
Propheten, nicht mehr tauge. Er muß als jüdischer
Proselyt und im Verkehr mit seinen jüdischen Zeitgenossen
fortwährend an das beiden Teilen geläufige Alte Testament:
Thora, Propheten und Psalmen, anknüpfen; er zeigt sich
als Schüler der Synagoge vielfach abhängig von bzw. nach-
giebig gegen irrige Angaben des Alten Testaments ebenso
wie gegen falsche überlieferte Schriftauslegungen; er
behandelt das Alte Testament, sonderlich in mehr oder
weniger untergeordneten Dingen, etwa solchen des Usus
{Luk 5**), schonend und pietätvoll, aber im übrigen
nimmt Jesus durchweg eine schroff gegensätzliche
Stellimg zum Alten Testamente ein, dasselbe nicht bloß
modifizierend, sondern in allen Hauptsachen der Religion
und Ethik unumwunden abweisend, sodaß wir, als Jesu
Lehre folgende Christen, durch Jesus selbst vom Alten
Testamente tatsächlich entbunden sind.
Jesus war jüdischer Proselyt, also überhaupt nicht jüdi-
schen Ursprungs? Ganz gewiß nicht. Aus historischen
und noch mehr aus sachlichen Gründen . Aus historischen .
Schon der assyrische König Tiglathpileser III. oder Pul
war es, der ganz Galiläa samt dessen Nachbargebieten
im Jahre 732 zu Assyrien schlug und ihre Bewohner ver-
6o Jesus, der Galiläer, jüdischer Proselyt.
pflanzte, ebenhierdurch aber im Verein mit Sargon II.,
der die Bewohner Samarias und des Reiches Israel in die
assyrische Gefangenschaft wegführte, für jenes Mischvolk
der Galiläer und Samaritaner Platz schuf, das im 8. und
7. Jahrhundert v. Chr. durch Dorthinverpflanzung fremder
Völkerschaften, obenan von Bewohnern babylonischer
Städte: Babel, Kutha, Erech, entstand. Gemäß 2 Kö 17^*
siedelte der König von Assur (gemeint ist Sargon II.)
in den vStädten Samariens ,,an Stelle der Israeliten" Volk
aus Babel und Kutha und 'Iwwa und Hamath und Sephar-
waim an, während Ezra 4* unter den von Asnappar (das
ist Asurbanpal) nach Samarien und dem übrigen Trans-
euphratien verpflanzten Völkerschaften neben wahrschein-
lich arischen Stämmen und neben Susianern, das ist
Elamiten, ebenfalls Bewohner von Erech und Babel ge-
nannt sind. Der Grundstock dieses Mischvolkes war und
blieb aber in dem Grade babylonisch, daß der Talmud
an zahlreichen Stellen die Samariter geradezu ,,Kuthäer"
nennt nach der babylonischen Stadt Kutha, und daß die
galiläisch-aramäische Mundart mit ihrer spezifisch baby-
lonischen Vereinerleiung der Kehllaute^ noch zur Zeit
Jesu sofort den Gaüläer verriet. Gerade der Umstand, daß
sich Jesus, der ,, Galiläer" (Matth 26^' Mark 14'"), gewiß
ebenso durch seinen galiläischen Dialekt als An-
gehörigen des Mischvolkes der Galiläer verriet, wie dies
von Simon Petrus, dem galiläischen Fischer (Marki^'),
ausdrücklich berichtet wird (Matth 26'^), macht die An-
nahme, daß Jesu Vorfahren irgendwelcher zeitweiligen
jüdischen Diaspora in Galiläa angehört hätten, unmög-
hch. Die kleine vorübergehende jüdische Diaspora, die
^) Vgl. die bekannte Talmudstelle Erubin 53 b: „Wenn der Galiläer
sagte : wer hat ein *^^2^? ' ^° erwiderte man ihm : Du närrischer Galiläer,
meinst du einen Esel (hamdr) zum Reiten, Wein (hamar) zum Trinken
oder WoUe ('amar) zum Kleiden oder ein Lamm (immar) zum Schlach-
ten?" Im Akkadisch-Assyrischen sind die Kehllaute (unter dem Ein-
flüsse des Sumerischen) größtenteils genau so in Spiritus lenit abge-
schliffen worden.
Jesus, der Craliläcr, jüdischer Proselyt. 6l
in der Makkabäerzeit sich in Galiläa befand, aber schon
vom Makkabäer Simon um 165 v. Chr. wieder nach
Judäa zurückgebracht wurde (i Makks^'), kommt ohne-
hin nicht in Betracht. Jesu Vorfahren können nur An-
gehörige des damaligen Ituräerreiches (vgl. Lukß^) ge-
wesen sein, dessen Bewohner Aristobul I. etwa 100 Jahre
vor Jesu Geburt zwang, die Beschneidung anzunehmen
und nach jüdischem Gesetze zu leben (Josephus, Alter-
tümer XIII, II, 3). Sie waren also nach geschichtlicher
Beglaubigung jüdische Proselyten bzw. gewaltsam judai-
sierte Galiläer, ,,Galiläer, die um 100 v. Chr. dem Juden-
tum zwangsweise zugeführt" worden waren. ^ Als An-
gehörige des galiläischen Misch Volkes waren aber Jesu
Vorfahren, selbst wenn sie Babylonier waren, keine reinen
Semiten, sondern Nachkommen des aus Sumerern und
Akkadern verschmolzenen babylonischen Volkes. Sie
könnten natürlich auch Abkömmlinge einer der dem
assyrischen Reiche einverleibten arischen Völkerschaften
gewesen sein, doch wird sich dies mit historischen Gründen
schwerlich jemals beweisen lassen. Den jüdischen Zeit-
genossen Jesu galt dieser in dem Grade als Galiläer, als
Abkömmling des galiläischen Misch volks, daß sie ihn ge-
legentlich sogar als ,, Samariter" schmähten (Joh 8^^).^
^) Siehe den Jesu Abstammung behandelnden Aufsatz von Prof. Dr.
P. Karge (Münster): ,,War Jesu ein Arier}" (die Überschrift ist nicht
ganz richtig formiüiert), in Kölnische Volkszeitung vom 30. Juni 1920,
der beweisen will, daß Jesus jüdischer Rasse gewesen sei, aber vor
allem, soweit geschichtliche Gründe in Betracht kommen, gerade die
gegenteilige Annahme mächtig unterstützt.
2) Ein argumentum e silentio hat ja nie volle Beweiskraft, aber be-
merkenswert scheint doch, daß, während viele Christen in dem ,, jüdi-
schen Manne", an dessen Rockzipfel Zacharja zehn Männer aus allen
Zungen der Heidenvölker sich anklammern sieht (s. obenS. 19), Jesum
geweissagt sein lassen, kein Evangelist, auch nicht Matthäus, und
kein Apostel dieser so nahe liegenden Deutung des alttestamentlichen
Prophetenwortes Ausdruck gibt. — Beüäufig sei darauf aufmerksam
gemacht, daß die Reden Jesu, des ,, Propheten" von Nazareth, selbst
die von großer innerer Erregung getragenen, wie z. B. Matth. 23, die
62 Jesns nicht jüdischen Geblüts.
Daß aber Jesu Vorfahren und Eltern, also auch Jesus
selbst, nicht jüdischen Geblütes waren, sondern nur zu
den ,,Jaho Fürchtenden" (Ps 115" 118* 135 2°, vgl. auch
Jes 56^), das heißt zu den jüdischen Proselyten gehörten,
lehrt die ganze Geistesverfassung Jesu, die der jüdischen
diametral entgegengesetzt war, dergestalt, daß „die
Religion Jesu auf jüdischem Boden (so wenig wie auf
semitischem Boden überhaupt) keine Wurzel hat fassen
können". 1 Gegenüber der dem israeü tischen Nomaden-
volk angeborenen exklusiv-partikularistischen Geistesart,
die in der Abgesondertheit oder Heiligkeit des Volkes
Israel dessen größten Vorzug erblickte und bis auf den
heutigen Tag erblickt, sehen wir alles Reden und Tun
Jesu beseelt von erhabenster großzügigster Gesinnung, die
in allen Völkern und Menschen der Erde gleichberechtigte
Glieder der Menschheit erkannte (Anm. 12). Aus dieser
Geistesart heraus entdeckt und betont Jesus innerhalb alt-
testamentlicher Erzählimgen Züge, die dem israelitischen
Erzähler kaum zum Bewußtsein gekommen waren. Ich
meine Jesu Reden Luk 4 ^^ "* : „Es waren viele Witwen in den
Tagen des Elias in Israel, als der Himmel verschlossen
ward drei Jahre tmd sechs Monate, da eine große Himgers-
not über das Land kam. Und Elias wurde zu keiner von
ihnen geschickt außer nach Sarepta im Lande Sidon
zu einer Witwe. Und viele Aussätzige waren in Israel zur
Zeit des Propheten Elisa, und keiner von ihnen wurde ge-
reinigt außer der Syrer Naeman". Wenn der Evangelist
(V. 28 f.) hieran die Worte schließt: ,,Und es wurden alle
voll Unwillens in der Synagoge, als sie dieses hörten, und
den semitischen Völkern eigentümliche pathetische Redeform des
Parallelismus membrorum vollständig vermissen lassen — eine, Beob-
achtung, die eingehenderer Untersuchung wert scheint.
^) Schon Ad. v. Harnack (Mission, i. Aufl., 8.45) nennt diese
Tatsache „des Nachdenkens so würdig wie kaum eine andere", und
kommt zu dem Schlüsse: ,,Es muß doch etwas in dieser Religion ge-
legen haben und liegen, was dem freieren griechischen Geiste
verwandt ist".
Jesu uutijUdische Geistesart. 53
standen auf und warfen ihn zur Stadt hinaus und brachten
ihn an den Rand des Berges, um ihn hinabzustürzen", so
sprechen diese Worte mehr als Bände vermöchten für
Jesu nichtjüdische, ja antijüdische Geistesart.*
Ich denke weiter an die Aufstellung des Samariters
als ewig gültigen Musters von Barmherzigkeit gegenüber
den jüdischen Priestern und Leviten (Luk lo^''^'), auch
als Musters der Dankbarkeit (17^^'), nicht minder an
Jesu über alle Voreingenommenheit sich hinwegsetzenden
Umgang mit dem samaritanischen Weibe, und zur Un-
zufriedenheit der Pharisäer und Schriftgelehrten mit
Zöllnern und Sündern (Luk 5^'', vgl. 15^'), in schroffem
Gegensatz zu Psalm i.
Dieser nicht jüdischen Geistes Veranlagung entstammten
aber zugleich alle jene großen und neuen, der jüdischen
Lehre schnurstracks zuwiderlaufenden Lehren von Gott
und Gottes Verehrung, zu denen schlechterdings vom Alten
Testamente aus keine Brücke zu bauen oder auch nur
sich und anderen vorzutäuschen ist. Es sind Lehren, die
keinem geistig auch noch so hochstehenden Israeüten
oder Judäer jemals in den Sinn gekommen sind und die
ebendamit ausschheßen, daß Jesu jüdischen Geblütes
gewesen.
Obwohl Jesus als Mitglied der Synagoge den mit dem
Tetragramm niH'' geschriebenen Namen des Gottes
Israels für unaussprechbar hielt, ihn in alttestamentüchen
Zitaten durch „der Herr" ersetzte und damit einzelnen
Stellen des Alten Testaments wie Dt 6^ unbewußt einen
höheren, seiner eigenen Gottesanschauung entsprechenden
Wortsinn unterlegte (s. Mark 12^''), so war doch Jesu
Gottesbegriff himmelhoch erhaben über jenen des Juden-
1) Beiläufig bemerkt, lassen die obigan Worte Jesu nachfühlen, wie
schwer es Jesu gefallen sein mag, die griechische Syrophönikerin mit
den Worten auf die Probe zu stellen: „Laß erst die Kinder satt werden;
denn es ist nicht recht, das Brot den Kindern nehmen und den Hündlein
hinwerfen" (Mark/*').
()A Jesu erhabene Gottesanschauung.
tums. Jesu Gottesglaube war der idealsteMonötheis-
m us.^ Jesus läßt Gott nichtlänger wie Jaho an ein einzelnes
Volk, nämlich an sein auserwähltes Eigentumsvolk Israel,
gebunden sein, sodaß der Zugang zu ihm nur durch das
Medium des Judentums denkbar ist, sondern für ihn ist
Gott ein liebender Gott und himmlischer Vater über alle
Menschen und Völker ohne Unterschied. Er beseitigte
alle vermeintlichen Prärogative des jüdischen Volkes, in-
dem er allen Menschen und Völkern den freien, unmittel-
baren Zutritt zu ihrem Vater im Himmel eröffnete. Er
entfesselte durch die Vernichtung des Dogmas von dem
,, alleinigen Bürgerrecht Israels" (Eph 2^°) jenen Kampf
zwischen Judentum, Judenchristen- und Heidenchristen-
tum, bis Petrus ausrufen konnte (Acta 10^* ') : ,,Ich fasse
in Wahrheit, daß Gott nicht auf die Person siehet, sondern
wer in irgendeiner Nation ihn fürchtet und Gerechtig-
keit übt, der ist ihm angenehm".^ Auch der Gebunden-
heit der Gottesverehrung an einen bestimmten Ort, näm-
lich an Jerusalem, machte Jesus ein Ende: ,, Glaube mir,
Weib, es kommt die Stunde, wo ihr weder auf diesem
Berge (Samarias) noch in Jerusalem werdet den Vater
anbeten" (Joh 4^^). Nicht minder setzte er an Stelle des
heidnischen Opferwesens und priesterUchen Zeremoniells
das ,, Gebet im stillen Kämmerlein" (Matth 6*) und die
Anbetung im Geist: ,,Gott ist Geist, und die anbeten,
müssen im Geist und Wahrheit anbeten" (Joh 4^*).
^) Vgl. bereits Babel und Bibel II, S. 41. — Sehr richtig sagt Hans
V. Wolzogen in seinem Artikel ,,Alttestamentliche Heilandsworte"
(Unterhaltungsbeilage der Täglichen Rundschau vom 27. und 28. De-
zember 1920) : ,, Hierauf kommt es an, daß die jüdische Gottesvor-
stellung nicht die gleiche ist wie die Jesu Christi. Wer aus einer jahr-
tausendalten Tradition oder Suggestion an jener festhält, der hat das
göttlich Neue, Erlösende des Christentums noch gar nicht wahrhaft be-
griffen. Wie es denn doch auch wiederum für jeden rein Christgläubigen
imbegreiflich sein muß, daß heute noch ernste Bekenner der christlichen
Heilslehre behaupten können, zu ihrem Glauben an Christum seien ihnen
die vorverkündenden Zeugnisse des Alten Testaments unentbehrlich".
Jesu anli jüdische I^thrcn. 65
Jesus wandte sich nicht allein gegen die Ehescheidung
und damit gegen Moses (Mark 10 212)^ sondern gegen alles,
was im nachexilischen Judentum zu den höchsten und
heiligsten Dingen gezählt wurde : gegen die Speisegesetze,
z. B. gegen das Verbot des Essens mit ungewaschenen
Händen, das er mit dem schhchten, aber ewig wahren
Worte zurückwies, daß ,, nicht das, was in des Menschen
Mund eingehe, den Menschen verunreinige, sondern das,
was aus dem Menschen (seinem Munde bzw. Herzen)
ausgehe (Matth i5iii'-2o vgl. Mark yiB-äo-aa i^^^ ii"«);
er kehrte sich gegen die Sabbathe, die zu halten und vor
Entweihung zu bewahren im Judentum die strengsten
Vorschriften gegeben waren (vgl. auch Jessö^-*- ß), mit den
mutigen Aussprüchen, daß ,,der Sabbath um des Men-
schenwillen da sei, nicht umgekehrt" (Mark 22') und daß
„des Menschen Sohn Herr sei über den Sabbath" (Matth 12 ^
Luk 6^), sowie mit den hieraus folgenden Krankenheilungen
am Sabbathtage, welche die Schriftgelehrten und Pharisäer
,, ganz unsinnig machten" (Lukö^i; ygj auch 13^°^^ 14^'^).
Und in wessen Ohren klänge nicht Jesu ,,Ich aber sage
euch" (Matth. 5) nach, wodurch er die ganze Thora ver-
innerhchte, den Schwerpimkt der menschlichen Sündhaftig-
keit in das Herz und dessen Gelüste verlegte, zugleich
aller äußeren Gesetzüchkeit und Werkgerechtigkeit ein
Ende bereitend? Und wenngleich Jesu Vorschrift: ,, Alles
was (bzw. Wie) ihr wollt, daß euch die Leute tun, so tut
auch ihr ihnen" (lyuk 6^^) von ihm selbst durch die Worte :
,,dies ist das Gesetz und die Propheten" (Matth 7^^) als
die Quintessenz alttestamentlicher Religiosität bezeichnet
wird,^ so geht schon diese seine Ausdeutung der Nächsten-
liebe ungleich weiter als die negativen Umschreibungen in
der Thora (s. die Gesetze 131 und 132 im Anhang zu
Teil I). Und wenn Jesus das Gebot: ,,du sollst Heben
^) Wie ja auch Hillel (ein Menschenalter vor Jesus) lehrte: „Was
dir unlieb ist, das tu' auch nicht deinem Nebenmenschen. Das ist die
ganze Thora".
Delitzsch, Die grosse Täuschung. 11' e
66 J^su antijüdischer Messiasglaube.
deinen Nächsten wie dich selbst" Mark 12'^ nach der
lyiebe zu Gott als das zweitgrößte Gebot erklärt, so hat
er selbst doch auch dieses zweitgrößte Gebot noch un-
endhch vertieft durch die Ermahnung zur Feindesliebe:
„Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen,
segnet, die euch fluchen, betet für die, die euch be-
schimpfen" (Lukö^'*). ,,Ich bin nicht gekommen auf-
zulösen, sondern zu erfüllen", das heißt: Jesu Lehre
wollte nicht lediglich auflösen und niederreißen, sondern
in höherem als vordem geahnten Sinne ein Neues, Voll-
kommenes aufbauen.
Das Judentum eine Religion des Diesseits und infolge-
dessen des Materialismus, dagegen bei Jesus alle Gedanken
auf ein höheres, überirdisches Leben gerichtet, auf eine
Zusammenklammerung von Erde und Himmel voll tröst-
licher Hoffnimg auf eine dereinstige Rückkehr in Gottes
Vaterhaus mit seinen vielen Wohnungen, eine Religion
unbegrenzten Ideahsmus, von welchem jedes Kruzifix am
Wege immer neu ergreifend predigt: ,,Sei getreu bis in
den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!"
Und welcher Gegensatz zum Judentum bezüglich des
erhofften Messias: Jesu Überzeugung von der der Juden
verschieden wie Himmel und Erde, dem Morgensterne
vergleichbar, der über Nacht imd Nebel aufleuchtet, einen
neuen Morgen verkündend! Während die jüdischen Pro-
pheten alles Endheil von einem weltlichen König oder
Messias erwarteten, der das Reich Israel und mit ihm zu-
gleich Israels Herrschaft über alle Völker imd Reiche der
Erde aufrichten; der alle ihm nicht huldigenden Völker
mit eisernem Zepter zerschmettern werde (Ps 2^),^
<^y
*) Gewalt, nichts als Gewalt gegen die Feinde Israels, wie es auch
Jes4i^5f- heißt: „Siehe, ich mache dich zu einer neuen Dreschwalze
mit vielen Schneiden: du wirst die Berge dreschen und zermalmen
und die Hügel der Spreu gleichmachen! Du wirst sie worfeln, und
der Wind wird sie davonführen, und der Sturmwind wird sie auseinander-
fegen; du aber wirst frohlocken über Jaho, des Heihgen Israels wirst
du dich berühmen".
Dil' SchäudiniR des Josusuamens (liircli die Ju<len Arabiens. 67
machte Jesus mit einem Wahrheitsmute ohnegleichen allen
solchen irdischen Träumen ein Ende, erklärte er das
Himmelreich bereits für gekommen (Matth4^'') in und mit
der Lehre, mit der ihn sein himmhscher Vater betraut habe.
,,Mein Reich ist nicht von dieser Welt". ,, Kommet her zu
mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch
erquicken. Nehmet mein Joch auf euch und lernet von
mir, denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen, so
werdet ihr Erquickung finden für eure Seelen. Denn mein
Joch ist sanft und meine Last ist leicht" (Matth 11 ^s") —
sind das nicht Worte aus einer anderen Welt? Aber indem
nun Jesus folgerichtig sich als den von Gott gesandten
und mit Gottes Geist gesalbten Messias erklärte, die alt-
testamenthchen Bezeichniuigen des Messias „Gottessohn"
(Anm. 13) und „Menschensohn" (Anm. 14) auf sich über-
tragend, auch nach synagogaler Lehre schon Moses und
die Propheten auf sich hinweisen lassend, und indem er
obendrein ebenso folgerichtig sich ,, König der Juden"
(Mark 15^) nannte, mußte er alle jene unausdenkbaren
Martern und schließlich den furchtbaren Tod am Klreuze
erleiden, der ihm trotz alledem mehr als wahrscheinlich
erspart geblieben wäre, wenn er von jüdischem Geblüte
gewesen. Als Angehöriger des jüdischen Volkes würde
Jesus kaum Gegenstand solch grenzenlosen und tm-
auslöschlichen Hasses gewesen und geblieben sein, wie
ihn noch die Juden Arabiens zur Zeit Muhammeds hegten,
dermaßen, daß sie Jesum mit ihrem bösesten Schmäh-
worte ,,Esau" benannten, wodurch Muhammed irregeführt
wurde, Jesum ebenfalls 'Isa zu nennen imd damit Jesu
Namen - — sehr wider Muhammeds eigenen Willen — im
Munde von nahezu 250 Millionen von Moslems tagtäglich
und für ewige Zeiten zu beschimpfen.^
Die alttestamentüchen Bezeichnungen des Messias:
,, Gottessohn", ,, Menschensohn", ,,der Juden König" über-
1) wie ja die jüdischen Lehrmeister Muhammeds die Christen Arabiens
entsprechend als „Edomiter" benannten.
58 Jesus als Messias nicht notwendig Davids Sohn.
trug Jesus auf sich, aber niemals bezeichnete er sich als
Sohn oder Abkömmling Davids. Daß die Evangelisten
den Messias „aus dem Hause und Geschlechte Davids"
stammen und „in der Stadt Davids" geboren sein ließen
(Luk 2*- ^^), dabei vor den gewagtesten Genealogieen
(Matth I ^'^' Luk 3 ^^^®) nicht zurückschreckend ; daß der
Mann aus dem Volke sich den Messias nur als Sohn Davids
vorstellen konnte (Mark 10*' '), für Petrus und Paulus
der Messias „Frucht der Lende Davids" (Acta 2^") bzw.
ein „Nachkomme Davids nach dem Fleisch" (Rom i^)
sein mußte, versteht sich von selbst. Wenn aber von
christUch-theologischer Seite immer und immer wieder be-
hauptet wird, daß ,, Jesus sich selbst für einen echten
Juden gehalten habe", da er ja als Messias aufgetreten
sei, von seinen Anhängern als Messias sich habe feiern
lassen und infolgedessen ,, davidischer Abkunft gewesen
sein müsse", ^ so vergißt man über allen diesen Trug-
schlüssen, in wie wundersam feiner Weise Jesus selbst
die Annahme, daß der Messias, als welcher er selbst sich
berufen fühlte, notwendig davidischen Geblüts sein müsse,
zurückwies, um nicht zu sagen, persiflierte. Siehe
Matth 22*1-*« (vgl. Mark 12 35"- Luk 20*1-**): „Da aber
die Pharisäer versammelt waren, fragte sie Jesus: Was
dünket euch von dem Christus (= Messias) ? wessen Sohn
ist er? Sagen sie zu ihm: Davids. Sagt er zu ihnen: wie
kann ihn dann David im Geiste Herr nennen in den
Worten (Psiio^): der Herr (Jaho) sprach zu meinem
(Davids) Herrn : setze dich zu meiner Rechten, bis ich lege
deine Feinde imter deine Füße? Wenn ihn David Herr
nennt, wie soll er sein Sohn sein? Und niemand konnte
ihm ein Wort erwidern, noch wagte ihn einer von diesem
Tage an weiter zu fragen".
Und wer noch immer an dem hergebrachten, aber durch
nichts zu beweisenden Irrtum, daß Jesus der jüdischen
Rasse angehört habe, festhalten möchte, der vergegen-
1) So z.B. Prof. Dr. P.Kar ge a.a.O.
Die Unabhängigkeit des Christentums vom Judentum. 69
wärtige sich nur einmal den abgrundtiefen Gegensatz
zwischen den leidenschaftlichen Reden irgendeines der
alttestamentlichen Propheten und einer der wunderbaren,
wahrhaft himmlische Ruhe atmenden Parabeln des Weisen
von Nazareth ! Ein größerer innerer und äußerer Gegensatz
ist nicht denkbar.
Das Christentum ist eine durchaus selbständige neue
Religion, keine höhere Entwicklungsstufe des Judentums,
alles eher als auf dem Boden des Judentums oder aus
diesem erwachsen. Man begreift nicht, wie unsere alt-
testamentlichen Theologen, wie z. B. Graf Baudissin
(a. a. O. S. 19, s. Teil I, S. loi Fußnote) sagen kann : ,,Was
derProphet von Nazareth verkündete, war im einzelnen
kaum etwas Neues", ein Verdikt, welches die unmittel-
bar folgenden Worte : ,,aber neu war die Zusammenfassung
dieser Einzelheiten, die er in seiner Person darstellte",
nur notdürftig redressieren. ^ Das Christentum bleibt viel-
mehr ,,eine wahrhaft neue ReHgion, die, wenn befreit
von all den mannigfachen, der Person und dem Leben
Jesu angedichteten fremden Zutaten, für ewige Zeiten
1) Gegenüber solcher Halbheit ist es wahrhaft herzerquickend, in einer
xbeliebigen amerikanischen Kirchenzeitung die folgenden eindeutigen
Worte eines amerikanischen Theologen zu finden :/es«s and Judaism.
The Jew thought hatred of the Gentile compatible with his religion, if not
implied in it; Jesus that the very essence of religion was supveme love
to God, and to man love equal to our love of ouvselves. The Jew believed
sacred places and prescribed ceremonies necessary to worship; Jesus
simply a right condition of the spirit. The Jew imagined that Jehovah
was the God of the Hebrews only; Jesus declared Hirn to be the God and
Father of all men. The Jew thought the kingdom of God was confined to
Israel; Jesus that it was designed to comprehend the whole world. The
Jew conceived the kingdom as outer and temporal; Jesus taught that it
was Spiritual and eternal. The Jew trusted muck to prayer and fasting;
Jesus instructed man to trust in the mercy of God. The Jew regarded the
Pharisee as the ideal of goodness; Jesus preferred the penitent publican.
The Jew believed in the salvation of his own race ahne; Jesus declared
that "God sent not His Son into the world to condemm the world, but that
the world through Htm might be saved".
yo I^ie Entbehrlichkeit des Hebräischen für den christhchen Theologen.
berufen bleibt, die Welt zu gewinnen".^ Und wenn
Reinhold Seeberg in der Monatsschrift „Deutschlands
Erneuerung" (Septemberi 920) schreibt: „Man kann nichts
Höheres zum Preise des Alten Testaments sagen, als daß
es das Buch ist, aus dem Jesus Religion (!) ge-
lernt (!!) hat", so kann ich nicht anders, so schwer es
mir ankommt, dies niederzuschreiben, als diesen Aus-
spruch für einem Verrat an Jesus und dem Christen-
tum nahekommend zu erachten.
Der Studierende der christlichen Theologie kann
sich, wie jeder andere lernbegierige Christ, die nötigen
Vorkenntnisse über die israelitisch-jüdische Geschichte
und Religion mit Einschluß des Kultus mittels hierzu
geeigneter I/Chrbücher unter gleichzeitiger Benützimg
einer wirklich guten Übersetzung der althebräischen
Schriften ausreichend erwerben, ohne viel Zeit und Mühe
mit der Erlernung der hebräischen Sprache zu
vergeuden, wobei nach der Ansicht aller großen Hebraisten
doch nichts Gescheites herauskommt, wenn er nicht bis
zu einem gewissen Grade auch die übrigen semitischen
Sprachen erlernt, wozu allein mehr als ein Triennium
vonnöten ist. Am wenigsten wird der Studierende der
christhchen Theologie, selbst bei gewissenhaftester Aus-
nützung seiner Studienzeit, imstande sein, das hebräische
Alte Testament soweit zu meistern, daß er sich, zur rich-
tigen Würdigung der Himderte von alttestamentUchen
Zitaten im Neuen Testament, über die Richtigkeit oder
Unrichtigkeit der griechischen Übersetzimg und die Richtig-
keit oder Unrichtigkeit ihrer Verwertrmg seitens der
Evangelisten und Apostel ein selbständiges, sicheres Urteil
zu bilden vermöchte, das ihn davon befreit, wie es jetzt
meist der Fall ist, in verba magistri zu schwören. Hier
können nur Bücher erprobter Hebraisten und vorurteils-
freier Exegeten ihm in jedem einzelnen Falle die dringend
nötige Belehrimg vermitteln, in denen alle jene Zitate
») Babel und Bibel III. S. 48.
Die RntViehrlichkcit des Hebräischen für den chrisüü hen Theologen. n\
einerseits wortgetreu aus dem Urtexte übersetzt und nach
ihrem Zusammenhang erläutert werden, andererseits ihre
griechische Übersetzung und ihre Verwertung innerhalb
des Neuen Testaments kritisch und unvoreingenommen
betrachtet wird (Anm. 15). Jeder in der vSchrift forschende
Christ wird auf diese Weise inne werden, wie das unglück-
selige Bestreben der jüdischen Evangehsten und Apostel,
Jesu Lehre bereits im Alten Testamente angebahnt, ja
sogar sein Leben und Sterben ebendort geweissagt zu
finden, mittels falscher Übersetzungen oder Auslegungen
(Anm. 16) das Neue Testament in eine Abhängigkeit
vom Alten Testamente hineingezerrt hat, die wissen-
schaftlich nicht länger haltbar, nicht länger ertragbar ist.
Kurz gesagt: das Neue Testament muß aus seiner künst-
lichen, tendenziösen Umklammerung durch das Alte Testa-
ment herausgerissen, Jesu Lehre und Leben müssen in
ihrer historischen Treue und Reinheit herausgearbeitet
werden zum Segen jedes einzelnen Christen, obenan aber
der zukünftigen Lehrer der christlichen Wahrheit und
ebendamit der ganzen christlichen Kirche. Der Jünger
der christlichen Theologie wird die Unmasse nutzlos auf
das Hebräische zu verwendenden Zeit ungleich nutz-
bringender verwenden, wenn er sich neben allgemeiner
Religionsgeschichte vornehmlich mit den sozialen For-
schungs- und Wissensgebieten der Neuzeit rechtzeitig und
eindringlichst bekannt macht, obenan aber den Kern der
erhabenen religiös-sittlichen Lehre Jesu, des Galiläers,
der verkörperten Liebe, für seine eigene Person und
im Verein mit seinen Freunden praktisch zu üben beizeiten
den Anfang macht, um dereinst nicht als Zionswächter,
sondern als Nachfolger Jesu der christlichen Gemeinde
als Führer voranzugehen und voranzuleuchten . Jesu über-
irdische Mahnung zu einer Nächstenliebe im umfassend-
sten Sinne des Wortes ,, Nächster", ja zur Feindesliebe —
das ethisch denkbar höchste, der Eigenliebe das schwerste
Opfer zumutende Gebot — will von Jugend auf geübt sein.
72 . Mehr wahres Christentum!
Und ZU alledem jene ewig wahren I/ehren, die das Christen-
tum gerade in der Gegenwart, mitten in den die Völker
des Erdballs aufwühlenden Lehren des Sozialismus, als
die höchste und hehrste aller Religionen von neuem er-
weisen: ,,Ich bin nicht gekommen, mir dienen zu lassen,
sondern zu dienen" (Matth 20^^ Markio*^). „Einer
trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz
Christi erfüllen". ,,So viel ihr getan habt einem von diesen
meiner geringsten Brüdern, habt ihr mir getan" (Matth. 25 **)
— diese und andere Lehren, auf dienstbereite Unterord-
nung des Einzelnen zum Wohle der Gesamtheit und werk-
tätige Liebe gegen jedermann hinzielend, werden sich wie
in alle Zukunft, so gerade in der Gegenwart als die ewig
festen Stützen wahrer Rehgion bewähren, in der Gegen-
wart, wo so viele falsche Propheten in den Herzen der
Menschen die gegenseitige Liebe, die Freudigkeit, sich
gegenseitig zu dienen, tagaus tagein zu ersticken trachten.
Das eine, was nottut, ist nur, daß Jesu Lehre auch be-
tätigt wird. Das ,,Herr, Herr sagen" tut's nicht, sondern
den Willen zu tun unseres himmlischen Vaters. Statt des
Absingens der langen Litaneien mit dem deplacierten
Halleluja, d. i. ,, rühmet Jaho", und dem gedankenlosen
Lobpreisen des Herrn Zebaoth, d. i. Jahos als des Gottes
der Kriegsscharen Israels,^ sollten die Glieder der einzelnen
christUchen Gemeinden wenigstens allsonntäglich aus-
schwärmen an die Stätten der Sorge, der Krankheit, der
Vereinsamung, jeglichen Elends, Hilfe zu bringen bis an
die Grenzen der Möglichkeit, Liebe zu tragen in die
Häuser, in welchen eine volksfremde Presse tagtäglich
Haß gegen die Mitmenschen predigt, und durch die Tat
die dem Christentum Entfremdeten diesem wiederzuge-
^) Möchte auch die unser protestantischss ^Kampflied „Ein' feste
Burg ist unser Gott" entstellende Vereinarleiung von Jesus Christ mit
Jaho Zebaoth Abhilfe finden, und möchte überhaupt ein neuer religiöser
deutsch-christücher Geist den verdorrten Zweig des deutschen Kirchen-
liedes zu neuer Blüte bringen !
Die Quintessenz der I,ehre Jesu. 73
winnen.^ Solch wohlorganisierter, praktischer Gottesdienst
würde die sonstigen Gottesdienste mit Predigt und Gesang
heilsamst ergänzen. Überdies vermögen wir ja ausschließ-
lich durch solche eigene andauernde Liebestätigkeit in das
Verständnis der tiefsten Worte Jesu mehr und mehr ein-
zudringen: „Ich und der Vater sind eins", ,,Ehe denn
Abraham ward, bin ich" - „Gott ist die Liebe, und wer
in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und
Gott in ihm".
') Vgl. Zur Weiterbildung der Religion S. 51 f.
Anmerkungen
1. nin^ konsequent durch ElöMm ersetzt in den Psalmen 42 — 84.
Anderwärts schrieb man Elöhim über n*in^, woraus das törichte Jah6
ElöMm, z. B. Gen 2* — 3^3, entstand.
2. An dem a- Vokal des vermeintlichen Qal von niri' nämUch Jahwä,
wird sich angesichts der gleichartigen amoritischen Verbalformen jarbi,
jamlik, ja'we (in Ja(' )we-ilum) u. a. niemand stoßen, auch m'cht an
der Substantiv-Bedeutung der 3. Person Imperfecti, welche durch viele
Eigennamen wiejigäl, Jair (vgl. akk. Munawerum) .Jidbäsch.Jishäq u.a.m.
gesichert ist. Aber das Verbum -^77 bedeutet wohl im Aramäischen
das Nämliche wie hebräisch ^^n , .werden, sein", aber das hebräische
TT^n bedeutet ,, fallen" (wovon höwä, hawwa ,, Unfall, Unglück"),
vielleicht auch ,,aspirare", wovon hawwä ,,1/Ust, Begehr", aber an
keiner irgendwie sicheren Stelle ,,sein, werden". Es kommen für diese
letztere Bedeutung überhaupt nur zwei Stellen in Betracht: Jes 16*
und Gen 27^9, aber für die erstere Stelle bleibt noch die Abfassungs-
zeit festzustellen, und an der zweiten könnte einer der zahllosen Fälle
der Verwechselung von ^ und ^ vorliegen. Entscheidend aber gegen
die Annahme einer solchen Urform Jahwä bleibt die Tatsache, daß
sich aus ihr die vermeintlich abgekürzten Formen Jehö, Jähü schlechter-
dings nicht erklären lassen. Abgesehen davon, daß derartige gekürzte
und dabei selbständig stehende Verbalformen wie j^ht durchweg Optative
Bedeutung gewinnen, wären diese Arten von Abkürzimgen J^hd',
Jähü ohne alle und jede Analogie. Dazu ist ja Jahwe überhaupt keine
Verbalform mehr, sondern ein Substantiv, ein Eigenname, und wo
gäbe es auf dem ganzen Gebiete Vorderasiens einen einzigen abge-
kürzten Gottheitsnamen,! noch dazu einen, der bis auf seinen ersten,
ein reines Büdungselement darstellenden Konsonanten reduziert wäre
wie Jah, Je (vgl. Jehü, Jdschü'a)? Wo ist endlich ein Gnmd zu ent-
decken, daß man in den hebräischen Personennamen niemals Jahwe-
nütan, Chizqijjahwe sagte, sondern immer und ausnahmslos abkürzte?
Beiläufig bemerkt, heißt es den jungen Hebraisten Sand in die
!) Die Zusammenziehung von J^hö zu J6 oder den in einigen wenigen
Eigennamen zu konstatierenden Wegfall des epir. lenis von El ,,Gott"
und des J^ von J^hö wird man wohl nicht einwenden wollen.
Anmerkungen. 75
Augen streuen, wenn man für Jahü auf Nominalbildungen wie iUckA,
schalü hinweist. Diese Vcrgleichungen hätten ja doch nur Sinn,
wenn Jahwe, Jahü auf einen Stamm i^'^i und nicht 71^77 zurückgingen.
Die jetzt allgemein angenommene Lesung des Tetragramms als Jahwe,
der vermeintlichen Grundform von J^hö, Jähü, ist hiernach als ganc
und gar unbegründet endgültig aufzugeben. Daß die Wiedergabe des
Tetragramms bei den Kirchenvätern und andern Schriftstellern der
ersten christlichen Jahrhunderte: teils '/tuö (Diodorus, Origenes. Theo-
doret), Jaho (Hieronymus) ; teils lito) und Ic/ (Origenes), 'loim u. ä.
(Oemens Alexandrinus) ; teils foße (speziell auch als samaritanische
Aussprache des Gottesnamens bezeugt) weder für Jahwe noch für
Jaho irgendwelche Beweiskraft haben, da diese Lesungen sämtlich
nur geraten sind, bedarf heutzutage wohl nicht erneuter Hervorhebung.
Die ganze vorstehende Auseinandersetzung ist nur dadurch gerecht-
fertigt, daß die Theologen an der irrigen Lesung des Tetragramms als
Jahwe noch immer festhalten und trotz aller monumentaler Gegen-
beweise wer weiß wie lange noch festhalten werden. In Wahrheit ist,
wie bereits Eduard Sachau richtig erkannt hat, durch die Schrei-
bungen des selbständigen hebräischen Gottesnamens teils als ^71^, teils
als nn^ (letztere Schreibung auch innerhalb des Personennamens "nj^nn^
,,Jaho ist Licht") das ■) von nin"' ^^s Vokalbuchstabe bewiesen,
also daß über die Lesung des Tetragramms als Jahö', J^hö' künftighin
kein Zweifel mehr obwalten kann. Siehe Ed. Sachau, Aramäische
Papyrus und Ostraka aus einer jüdischen Militär- Kolonie zu Elephantine
(5. Jahrhundert v. Chr.), Leipzig 191 1, p. XXIII und S. 9 f •
Die Ausschaltung eines vermeintlichen Gottesnamens Jahwe hebrä-
ischen Ursprungs stellt nun die Frage nach Bedeutung und Herkunft
des Gottesnamens Jahö' (J'hö), Jähü, Jäh, Je auf eine ganz neue
Basis. Auf dieser neu gewonnenen Grundlage wird die Untersuchung in
der Neuausgabe meines ersten Vortrags über Babel und Bibel fort-
geführt werden.
3. Daher die vielen hebräischen Personennamen wie Ahijjähü (,,mein
Bruder ist Jaho"), Ahi-tüb (,,mein Bruder ist Güte"), AM-nö'am (,,mein
Bruder ist Huld"), AM-nädäb (,,mein Bruder ist freigebig"); 'Ammt-el
(,,mein Volksgenosse ist Gott"), 'Ammt-nUdäb. Analoge Namen bei
nichthebräischen semitischen Völkern: Aht-milki, Name des Königs
von Asdod zur Zeit Asurbanpals; Ammi-nadbi (= hebräisch 'Ammtnädäb) ,
Name des Königs von Ammon aus ebenjener Zeit; Ammi-zadüga
amoritisch-akkadischer Königsname u. a. m.
4. In wohltuendem Gegensatz zu diesem einseitig diktatorischen
Gebaren des Vorstands der Deutschnationalen Volkspartei gibt die
Tägliche Rundschau auch andersgearteten Beurteilungen des Alten
Testaments in ihren Spalten Raum. Vergleiche aus dem in Teil I
y5 Anmerkungen.
Anm. 43 zitierten Artikel Dr. Otto Steiners ,, Deutsche Heldensage
und deutsche Volksschule" : „Die Sagen des Alten Testaments enthalten
nicht den GottesbegriflF, den das Christentum ausgebildet hat, sondern
eine Auffassung von Gott, die mit Ausnahme der Juden jedem anderen
Volke fremd ist". ,,Die Auffassung der Juden von ihrem Gott und
ihrem Verhältnis zu Gott entspricht durchaus dem jüdischen Geschäfts-
geist imd DiesseitssLtin und ist dem deutschen Volke und allen christ-
lichen Völkern fremd". „Die Sagen des Alten Testaments sind dem
deutschen Volke völlig wesensfremd", usw. Und vergleiche ferner aus
Hans V. Wolzogens Artikel „Alttestamentliche Heüandsworte" (siehe
S. 64 Anm. i) gleich den Anfang: ,,In der zweifellos starken Bewegung
unserer Tage nach einer Neubeseelung des reUgiösen Geistes hin kommt
inmier mehr das Bewußtsein zum Ausdruck, daß die deutsche Reh-
giosität, die von jeher einem reinen Christentume zustrebte, dieses
Ziel nvir dann erreichen werde, wenn der christhche Glaube nicht mehr
gefesselt wird an das sogenannte ,,Alte Testament" und dessen jüdische
Gottesvorstellung". Und weiter: ,,Das Alte Testament (im allgemeinen)
kann uns, nicht etwa nur als Deutschen, nein, gerade als Christen
nicht mehr unsere Religionsurkunde, unsere heilige Glaubens-
grundlage sein".
5. In seinem Aufsatz ,, Alttestamentliche Heilandsworte" (s. Anm. 4)
sagt Hans v. Wolzogen: Obschon das ganze Alte Testament nicht
mehr unsere Religionsurkiinde sein kann, ,,so haben wir doch ein volles,
ehrfürchtiges Gefühl für so viele schöne, tiefsinnige, tröstende, er-
hebende, gotterfüllte Worte der Propheten und Psalmisten, welche
ganzen Geschlechtern frommer Menschen eine unvergleichliche Wohl-
tat erwiesen haben und erweisen konnten, weil sie und soweit sie, ab-
getrennt von ihrer zeitlichen und völkischen Sphäre, in der Tiefe religiös
empfundener Wahrheit sich übereinstimmen ließen mit reinster Gottes-
auffassung aller Zeiten. Aus diesen Worten und Sprüchen ein Er-
bauungsbuch zusammenzustellen, das neben unsern Gesangbüchern
und besten religiösen Schriften, ja, an erster Stelle, der Andacht ernster
Christen jedes Bekenntnisses imd jeder Richtung diene, das wäre in der
Tat ein sehr bedeutsames und wünschenswertes, ein wahrhaft wohltuendes
und befreiendes Unternehmen". Ich darf hierzu bemerken, daß ich in
meinen Vorträgen über Babel und Bibel II, III sowie im I. Teüe dieser
Schrift, S. 95 f., wiederholt ganz gleiche Gedanken ausgesprochen habe,
daß nämlich gar manche alttestamentliche Stellen auch christlich-
religiösem Empfinden zum Ausdruck dienen. Ich möchte hier den
Anfang zu einer solchen Zusammenstellung machen, zu deren Erweite-
rung mir jedermanns Mitarbeit willkommen sein wird. Ob sich ein
ganzes ,, Erbauungsbuch" dabei ergeben wird, scheint mir einstweilen
sehr zweifelhaft. Erst durch Hinzunahme der vielen herrlichen Aus-
AninerkittiRcn. 77
Sprüche arischer (indischer, griechischer, Rermanischer usw.) Dichter
und Denker wird das vorschwebende Ziel wahrhaft zu erreichen sein.
Mi 6*-*: „Womit soll ich treten vor Jaho, mich beugen vor dem
Gott droben? Soll ich vor ihn treten mit Brandopfern, mit einjährigen
Kälbern? Hat Jaho Gefallen an Tausenden von Widdern, zahllosen
Bächen von öl? Soll ich meinen Erstgeborenen geben als Sühne, meine
Leibesfrucht als Buße meines Lebens? Rr tut dir hiermit kund, Men.sch,
was frommt und was Jaho von dir fordert: nichts als Recht zu
üben und Liebe zu pflegen und demütig zu wandeln vor
deinem Gott!"
Ho 6 8; ,,An Liebe habe ich Gefallen und nicht an Schlachtopfer,
und Gott erkennen ist besser als Brandopfer".
Psso""-: ,,Esse ich das Fleisch von Stieren und trinke ich das
Blut von Ziegenböcken? Opfere Jaho Lob und bezahle dem Höchsten
deine Gelübde, und rufe mich am Tage der Not, so will ich dich retten
und du sollst mich ehren". Vgl. Jes iii"-
Ps5i^^: ,,Die Opfer Jahos sind ein gebrochener Geist, ein
zerschlagenes Herz wirst du, Jaho, nicht verachten". Beachte
liier freilich die in V. 20 f. zugefügte Einschränkung.
Jes s8"-: „Ist nicht das ein Fasten, wie ich (Jaho) es haben will:
ungerechte Fesseln abnehmen, die Bande des Joches lösen. Zerschlagene
frei ausgehen lassen und jegliches J och sprengen ? Daß du dem Hungrigen
dein Brot brichst und umherirrende Elende ins Haus hineinführest;
daß, wenn du einen Nackten siehst, du ihn bekleidest, und deinem
Fleische dich nicht entziehest?"^
Vgl. auch Joels (2^') Predigt an sein Volk, sich in seiner Not zu
Jaho zu bekehren, indem sie ihre Herzen zerreißen und nicht ihre
Elleider.
Ps 37^: ,, Wälze auf Jaho deinen Weg und traue auf ihn — er
wird's machen".
Jes 40^0 f-: ,, Mögen Jünglinge müde und matt werden und junge
Männer straucheln — die, die auf J aho harren, gewinnen neue Kräfte,
sie verjüngen ihr Gefieder wie die Adler, sie laufen und werden nicht
matt, sie wandeln und werden nicht müde".
Jes 55*'-: „Denn meine Gedanken sind nicht etire Gedanken und
eure Wege nicht meine Wege, ist der Spruch Jahos, sondern so viel
1 Für analoge sittliche Forderungen innerhalb des babylonischen
Schrifttums siehe Teil I Anm. 46 und beachte weiter den babylonischen
Spruch {Babel und Bibel III, S. 32) : „Täglich bete zu deinem Gott,
Reinheit der Rede ist das würdigste Räucheropfer. Gegen deinen Gott
sollst Lauterkeit du besitzen, das ist das Würdigste der Gottheit"
(K.7897Z. 12-15).
yS Anmerkungen.
der Himmel höher ist als die Erde, so viel sind auch meine Wege höher
als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken".
Für Ps 23 s. oben S. 42, für Ps 7325«. S. 43 f . nebst Anhang, für
Ps 15 und obenan 103 s. den Anhang.
Für den aaronitischen Segen Nu ö^*"-, der, richtig und verständlich
verdeutscht, etwa lautet: ,,Der Herr (ursp. Jaho) segne dich und behüte
dich; der Herr bhcke freixndlich auf dich und sei dir gnädig; der Herr
bhcke hebevoll auf dich und gebe dir Frieden", s. Babel und Bibel I.
6. Daß bei dem Verrat Babylons an den Perserkönig Cyrus auch
jüdische Exulanten ihre Hand im Spiele gehabt und daß die von Cyrus
ihnen unmittelbar darauf gewährte Erlaubnis der Heimkehr und des
Wiederaufbaues des Tempels zu Jerusalem der Lohn hierfür gewesen
— diese Vermutung habe ich zuerst bei einem jüdischen Gelehrten ge-
lesen, leider ohne mir das betreffende Zitat zu notieren. Daß Deutero-
jesaia um den von den Belspriestern geplanten Verrat wußte, dar-
über lassen seine auf Cyrus bezüghchen Sprüche wohl kaum einen
Zweifel. Vgl. Jes45i"-: ,,So spricht Jaho zu seinem Gesalbten, zu
Cyrus, dessen Rechte ich ergrififen habe, niederzutreten vor ihm her
Völker und die Hüften von Königen zu entgürten, zu öffnen vor ihm
her Türflügel und Stadttore nicht verschlossen zu lassen.
Ich werde vor dir herziehen und das Höckerichte ebnen, eherne Tür-
flügel zerbrechen und eiserne Riegel zerhauen, und will dir die im
Dunkel geborgenen Schätze geben usw., auf daß du erkennest, daß
ich, Jaho, es bin, der dich bei deinem Namen gerufen, der Gott Israels".
Und Jes48^*: ,,Den Willen Jahos, der ihn heb hat, wird er an Babel
vollstrecken . . . Ich, ich habe es verkündet und habe ihn gerufen,
habe ihn hergeführt und schenkte ihm Gelingen". War
aber Deuterojesaia Mitwisser um den von den Belspriestern geplanten
Verrat, so mußte er von diesen in das Geheimnis eingeweiht worden
sein, und dies könnte die verdächtigen Übereinstimmungen erklären,
auf welche zuerst Kittel in seinem Aufsatze Cyrus und Deuterojesaia
(ZAW XVIII, 1898, S. 149 — 162) hingewiesen hat, die Übereinstim-
mungen nänüich zwischen dem Wortlaut der sogenannten Proklamation
des Königs Cyrus, deren chaldäischer Redaktor wohl sicher zu den
Belspriestern in engsten Beziehungen stand, imd zwischen den Rede-
wendungen Deuterojesaias. In der Proklamation des Perserkönigs
(VR 35) heißt es: „Marduk sah sich um nach einem gerechten Fürsten.
Den Mann seiner Herzensneigung faßte er bei der Hand.
Cyrus, den König von Anschan, nannte er bei seinem Namen,
zur Fürstenschaft über das ganze All berief er seinen Namen", während
Deuterojesaia, wie wir sahen, ebenfalls von Cyrus als dem Geliebten
Jahos spricht, dessen Rechte Jaho ergriffen und den er bei
seinem Namen gerufen habe. Beiläufig bemerkt, zeigt dieser
Anmcrkuuijen. nn
intime Verkehr jüdisclier Exulanten wie Deuterojesaias mit den höohst-
stehenden priestcrlichcu Kreisen Babylons, daß die von Nebukadnezar
weggeführten Judäer vielleiclit im ersten Anfang auch zu Zwangsarbeiten
mit verwendet wurden (vgl. Jes47*), daß sie aber schon sehr bald
vollkommenster Freiheit sich erfreuten, wie auch das Sendschreiben des
Propheten Jeremia aus Jerusalem beweist, in welchem dieser den kurz
zuvor weggeführten Judäcrn rät, ,, Häuser zu bauen, darinnen zu wohnen,
Gärten zu pflanzen und ihre Früchte zu genießen, sich mit aller Macht
mittels Heiraten zu mehren, um nicht weniger zu werden" (Jer 29*").
Auch im Buche Daniel hat sich die Erinnerung bewahrt, daß gebildete
und vornehme jüdische Exulanten schon am Hofe Nebukadnezars zu
den höchsten Ehren und Ämtern gelangen konnten. Wenn aber jüdische
Männer wie Deuterojesaia von den Belspriestern in deren Geheimnis
eingeweiht wurden, so drängt sich die Folgerung von selbst auf, daß
sie dies zu einem ganz bestimmten Zwecke, nämlich zum Zwecke der
Mitwirkung taten. Auf diese Weise erklärt sich, daß Deuterojesaia
in so nachdrücklicher Weise Jaho als den Urheber des Falles Babels
hervorhebt: Ich (Jaho) werde vor Cyrus herziehen, ich habe ihn bei
seinem Namen gerufen, ich, ich habe ihn hergeführt und schenkte
ilmi Gelingen (siehe oben), ,,ich habe ihn erweckt und alle seine Wege
geebnet" (45^^), und an letzteres Wort unmittelbar geknüpft, die be-
deutsame Verheißung: ,,er wird bauen meine Stadt und meine Ge-
fangenen freilassen!" Ähnlich äußert sich Kittel (a. a. O., S. 158):
,,Jes 44^*" 45^"' bat die offenbare Tendenz, Cyrus zum Vorgehen
gegen Babel zu ermuntern, ihm im Namen der Juden und ihres Gottes
Heil zu seinem Vorhaben zu wünschen und in Aussicht zu stellen, ihm
zu sagen, daß im Reich Nabonids selbst ihm viele Herzen entgegen-
schlagen, und ihn wissen zu lassen, welche Hoffnungen Israel an seinen
Zug knüpfte". Mit diesen Worten gibt Kittel die Mitwirkung Deutero-
jesaias und der jüdischen Exulanten überhaupt bei dem Verrate Babylons
auch seinerseits offen zu. — Sehr verdächtig ist auch die enge Verbin-
dung, in welche das Buch Daniel Kap. 5 die Ermordung Belsazars mit
dem echt jüdischen Börsenwitz m^n& m^ni t^qel ü-pharsin setzt. Zum
Verständnis dieser letzteren, so lange rätselhaft gebliebenen Worte sei
hier wiederholt, was in Babel und Bibel III, S. 6 ff ., gesagt war: ,,Von
den wenigen Königen des von Nabopolassar gegründeten Chaldäerreiches
hatten für die Judäer nur zwei Interesse: Nebukadnezar, der das
jüdische Volk in die Gefangenschaft führte, aber selbst seinen Feinden
durch die gewaltige Größe seiner Herrschaft Ehrfurcht abnötigte, und
der letzte wenig bedeutende König Nabuna'id, unter welchem Babylon
dem Perserkönig Cyrus, dem Befreier Judas aus der Gefangenschaft,
anheimfiel. Und je mehr die Erinnerung erblaßte, ward Nabuna'id
dxirch seinen Sohn, den Kronprinzen Belsazar, den Anführer des
go Anmerkungen.
Chaldäerheeres in den Kämpfen gegen die Perser, ersetzt und dieser
letztere irrig zum Sohne des großen Chaldäerkönigs Nebukadnezar ge-
stempelt. Über alles dies wissen wir jetzt, dank den Grabungen, genau
Bescheid, ohne daß hieraus dem Buche Daniel, einem Erzeugnis des
2. Jahrhunderts v. Chr., ein sonderlicher Vorwurf erwüchse. Vielmehr
müssen wir seinem Verfasser dankbar sein, daß er, so frei er auch
sonst mit Geschichte und Auslegung der Worte m^ne m^ni t^qel ü-pharstn
imigesprungen ist, uns dennoch den Schlüssel zu ihrer richtigen Er-
klärung dargereicht hat. Denn wie zuerst der französische Archäologe
Clermont-Ganneau erkannt hat, verrät der im 5. Kapitel des Buches
Daniel so nachdrücklich betonte Gegensatz zwischen dem großen Vater
Nebukadnezar und seinem minderwertigen Sohn, unter welchem die
Perser sich des Reiches bemächtigten, im Verein mit der einzig mög-
lichen Deutung der Worte: ,,Es ist gezählt worden eine Mine, einSekel
und Halbminen", daß dieses „geflügelte" Wort jüdischen Kreisen
entstammt, in denen man den unbedeutenden Sohn eines großen Mannes
bildlich als ,,Sekel, Sohn einer Mine", und umgekehrt zu bezeichnen
pflegte, wozu sich dann das Wortspiel zwischen parstn ,,Halbniinen" und
Perser gesellte. Das geistvolle, aber sarkastische Bonmot, das auch
als Börsenwitz bezeichnet werden könnte, faßt die ganze Geschichte
des Chaldäerreiches summarisch in die Worte zusammen: Eine Mine,
d. h. ein großer König, ein Sekel, d. h. ein minderwertiger Königssohn,
und Halbminen, d. h. Teilung des Reiches unter Meder und Perser".
Vgl. für die Worte mni mnß tkel ü-pharsin Clermont-Ganneau in
Journal Asiatique, S^rie VHI, i (1886), p. 36 ff . Th. Nöldeke in
ZA I, 1886, S. 414 — 418. Georg Hoffmann in ZA II, 1887, S. 45
bis 48. Paul Haupt in John Hopkins University Circulars Nr. $8,
p. 104. Vgl. auch ebenda Nr. 98, May 1892, John Dyneley Prince.
7. Der jähe und vollständige Untergang Ninewes sowie des assyrischen
Reiches und Volkes im Jahre 606 (?) v. Chr. ist eines der größten Rätsel
der Weltgeschichte, zumal da noch wenige Jahrzehnte vorher das
assyrische Heer gegenüber einer Welt von Feinden sich siegreich be-
hauptet, ja weitaus überlegen gezeigt hatte. Der Prophet Nahum, der
seine Jubellieder über die gänzliche Vertilgung Ninewes mit den Worten
beginnt (i^'): „Ein eifernder Gott ist Jaho, Rache nehmend und
ingrimmig, Rache nehmend ist Jaho an seinen Widersachern und
Grollnachtragend seinen Feinden. Jaho ist langsam zum Zorn, aber
ungestraft läßt Jaho nicht", betrachtet Ninewes Untergang als einen
Racheakt Jahos, und die Frage liegt nahe, ob er sich hierbei seines
auserwählten Volkes als Mitwirkenden bedient habe wie bei dem Verrat
Babylons an Cyrus (s. Anm. 6) oder nicht. Die Frage liegt um so näher,
als die Meder es waren, die das Unheil über Ninewe brachten, gerade
in die Städte der Meder aber hundert J ahre früher {722 v, Chr.) Sargon II.
Aumerkungen. 8 1
die Bewohner Samarius und des Reiches Israel überhaupt deportiert
hatte. Daß die Israeliten in dieser ihrer neuen Heimat nicht etwa zu-
grunde gingen, sondern sich bald ebensogut einzurichten wußten wie
ihre judäischen Brüder in Babylonien, kann ebenso als zweifellos gelten,
wie daß sie gegen Assyrien und seine Hauptstadt Ninewe eitel Gefühle
des Hasses und der Rache hegten. Dazu kommt, daß Nahum 3'' sagt:
,,die Tore deines (Ninewes) Landes wurden deinen Feinden weit auf-
getan" (natürlich durch Verrat), in diesem Haupteinfallstor aber, dem
Lande Chalach, von dem aus eine direkte Straße nach einem der Nord-
tore Ninewes führte, ebenfalls israelitische Exulanten angesiedelt
worden waren (2 Kö 17* 18^^). Daß der Prophet Nahum selbst ein
Judäer gewesen, dem die seh were Heimsuchung seines Landes und die
Bedrohung von dessen Hauptstadt Jerusalem durch den assyrischen
König Sanherib (701 v. Chr.) unvergessen geblieben war, hat man längst
aus Nah i ^^ 2*- ' geschlossen. Wenn nun meines Erachtens einerseits
in den drei Kapiteln des Propheten Nahum lediglich Jubellieder über
die soeben vollzogene Eroberung Ninewes gesehen werden können,
andererseits die genaue Schilderung des Hergangs der Einnahme (2*-^^
3' '•) unmöglich auf bloßer Phantasie, sondern nur auf Autopsie be-
ruhen kann, so muß Nahum die über Ninewe hereingebrochene Kata-
strophe persönlich mit erlebt haben und mit unter den ersten gewesen
sein, die diese Freudenbotschaft nach Juda übermittelten. Er muß
hiernach weiter zu den Abkömmlingen jener Tausende von Judäern
gehört haben, die Sanherib 701 in die assyrische Gefangenschaft weg-
führte und aller Wahrscheinlichkeit nach in Assyrien, auch in Ninewe,
niederließ. Auf Selbsterlebtes führen u. a. mit Notwendigkeit die Worte,
daß ,,die Fluß- oder Kanaltore der Stadt geöffnet worden" seien (2') —
die einzigste positive Nachricht, die uns über den Hergang der Er-
oberung Ninewes überkommen ist, da die diesbezügliche Erzählung
des Ktesias geschichtliche Glaubwürdigkeit nicht beanspruchen kann.
Ninewe war von mehreren Fluß- und Kanalläufen durchzogen, die in
den Tigris einmündeten. Diese Wasserläufe waren natürlich an den
Stellen, wo sie die Stadtmauern passierten, durch Tore und Schleusen
auf das Sorgfältigste geschützt, um das Eindringen der Feinde un-
möglich zu machen. Die Frage erhebt sich, ob sie von den Medern
geöffnet wurden oder von Feinden Assyriens, die innerhalb Ninewes
wohnten, also daß Jaho sein Rachewerk an Ninewe mit Hilfe der Judäer
innerhalb und der Israeliten außerhalb Ninewes vollbracht haben würde.
Der Wortlaut der ,,Prophetieen " Nahums legt diese Vermutung sicher-
lich nahe. — Über die Lage des Landes Chalach war auf Grund eines
assyrischen Briefes (83, i — 18, 6) bereits in Babel und Bibel II, S. 7,
die Rede; es wurde dort als ,,noch etwas östlicher als das gebirgige
Quellenland des oberen Zab, namens Arrapachitis" gelegen bezeichnet.
Delitzsch, Die ^osse Täuschung. 11 ß
82 Anmerkungen.
Jetzt wissen wir aus einem neugefundenen Tonprisma Sauheribs, daß
das ostnordöstliche Tor Niuewes ,,Tor des Landes Clialach" hieß, da
die das Tor passierende bzw. vom Tore ausgehende Straße in das außer-
ordentlich fruchtbare (obstreiche?) Gebirgsland Chalach führte. — Nahum
ist im Alten Testament „der Elqoschiter" genannt. Die von J. D.Mi-
chaelis und Eichhorn vertretene Ansicht, daß mit Elqosch die unweit
von Ninewe gelegene assyrische Ortschaft Elqosch gemeint sei, in welcher
das Grab des Propheten Nahum gezeigt wird, gewinnt nach dem oben
Ausgeführten sehr an Bedeutung.
8. Jes34^^° lautet (vgl. bereits Babel und Bibel II Anm. 2i):
, .Tretet herzu, Völker, zu hören, und Nationen, merket auf!
Es höre die Erde und was sie füllet, der Erdkreis und seine Spröß-
linge allel
Denn wütend ist Jaho wider alle Völker und grimmig wider ajl ihr
Heer.
Er hat sie gebannt, hingegeben zum Schlachten,
Und ihre Erschlagenen werden hingeworfen, daß Gestank aufsteigt von
ihren Leichen, und es zerfließen die Berge von ihrem Blut.
Und es vermodert das ganze Heer des Himmels und wird zusammen-
gerollt gleich einem Buche der Himmel,
Und all sein Heer welket, wie Laub abwelket vom Weinstock und
ein welkend Blatt vom Feigenbaum.
Ja, mein Schwert, im Himmel berauscht, fährt, siehe, hinab auf Edom
und auf das Volk meines Bannes zum Gericht.
Ein Schwert hat Jaho, voll ist's von Blut, schmierig von Fett,
Vom Blut der Lämmer und Ziegenböcke, vom Nierenfette der Widder;
Denn ein Opfer hält Jaho in Bosra und ein großes Schlachten im Lande
Edom.
Und es fahren hinab die Wildochsen mit ihnen, und die Farren mit
den Stieren,
Und es trieft ihr Land von ihrem Blut und ihr Staub wird schmierig
von Fett.
Denn ein Tag der Rache ist Jahos, ein Vergeltungsjahr zur Ahndung
von Zion.
Und es werden verwandelt ihre Bäche in Pech und ihr Staub in
Schwefel und es wird ihr Land zu brennendem Pech,
Bei Nacht und Tag verüscht es nicht mehr, in Ewigkeit steiget sein
Rauch auf.
Von Geschlecht zu Geschlecht bleibt es wüste, für immer und ewig
durchwandert es niemand", usw.
Und Jes63i-6:
Wer kommt da aus Edom? in hochroten Kleidern aus Bosra?
Prangend in seinem Kleid, einherschreitend (?) in der Fülle seiner Kraft?
Anmerkungen. 83
„Ich (Jaho) bin 's, der rodet in Gerechtigkeit, der Rroß ist zu helfen!"
Warum das Kot an deinem Gewände, und deine Kleider wie die eines
Keltertreters?
,,Die Kelter hab' ich getreten allein, und von den Völkern war niemand
mit mir.
Und ich trat sie in meinem Zorn und zerstampfte sie in meinem Grimm,
Und es spritzte ihr Lebenssaft auf meine Kleider, imd alle meine Ge-
wänder hab' ich besudelt.
Denn ein Tag der Rache war meine Absicht und mein Erlösungsjahr war
gekommen.
Und ich schaute, da war kein Helfer, und erstarrte, da war kein Unter-
stützer.
Aber es half mir mein Arm, und mein Grimm war meine Stütze,
Und ich trat die Völker in meinem Zorn und machte sie trunken mit
meinem Grimm
Und ließ zur Erde fließen ihren Lebenssaft".
9. Vgl. Babel und Bibel III, S. 29, nebst Anm. 30: „Gewiß wurde
den durchweg ernsten und würdigen Götterbildern, wenn sie in feier-
licher Prozession ausgetragen wurden, wohl auch den kleinen Götter-
figuren, die von den Tempelverwaltungen an die Gläubigen verkauft
worden sein dürften, seitens des schlichten Volkes eine gewisse Ver-
ehnmg zuteil, aber diese Bilderverehrung bildete in keiner Weise den
Kern des babylonischen Gottesglaubens, wie ja die Propheten Judas
selbst von einem geheimnisvollen Götterberge im Norden wissen, auf
welchem die babylonischen Gottheiten wohnen (Jes 14^*, vgl. Ez 28"- ^^),
also sehr gut den Unterschied zwischen den Gottheiten selbst und
ihren irdischen Repräsentativmitteln kannten". — Vgl. noch die Worte
in einem ,,Sions Türmer" unterzeichneten Artikel der katholischen
Zeitschrift Zwanzigstes Jahrhundert (14. März 1903): ,,Die Berechti-
gung des Bilderbrauches nachzuweisen, ist nachgerade überflüssig.
Nur das sei hier hervorgehoben. Der geistig-sinnlichen Menschennatur
entsprechend ist der Gebrauch der Bilder als Repräsentativmittel der
transzendentalen Wahrheiten vernünftig, und ihre Hochschätzung oder
relative Verehrung, wie die Schule sagt, psychologisch wohl begründet".
10. Vgl. Babel und Bibel III, S. 15 f: „Es wird für alle Zeiten eine
hohe Ruhmestat der neueren alttestamentüchen Wissenschaft bleiben,
daß sie in rastlos fortschreitender Geistesarbeit zu der jetzt immer
allgemeiner anerkannten Wahrheit sich durchgerungen hat, daß die
alttestamenthchen Psalmen in ihrer überwältigenden Mehrzahl der
jüngsten Periode der hebräischen Literatur angehören, daß speziell
die etwa 70 Psalmen gegebenen Überschriften ,,von David" späte, mit
Sprache und Inhalt meist unvereinbare Zusätze sind, daß sich über-
haupt für keinen einzigen alttestamentlichen Psalm davidischer Ur-
Qa Anmerkxmgen.
sprang beweisen oder auch nur wahrscheinlich machen läßt. Und es
bleibt nur zu wünschen, daß diese Erkenntnis in immer weitere Kreise
eindringe, da jene Psalmüberschriften ,,von David" ganz besonders
geeignet sind, den Werdegang der Religion Israels gründlich zu
verschleiern".
11. Es ist längst anerkannt, daß viele prophetische , .Reden", z. B.
Ezechiels, überhaupt niemals gehalten worden sind, sondern schrift-
stellerische Arbeiten darstellen. Solche Lieder aber wie dieses ver-
meintlich jesaianische Spottlied auf Sanheribs Rückzug von Jerusalem
bezeugen wieder eine andere Klasse von ,,Prophetieen", nämlich eine
solche frei erfundener Lieder bzw. Deklamationen, wie sie mög-
licherweise in den Prophetenschulen als Aufgaben gestellt wurden.
Solche rein rhetorischen Übungszwecken dienende Prophetieen bilden
vielleicht auch die in das Buch Jeremias aufgenommenen Reden wider
Moab, Ammon, Edom u. a. (Kapp. 48, 49), die zwar die Zeit der syrischen
Aktionen Nebukadnezars zum historischen Hintergrund haben, aber
sich tatsächlich ausschließlich in allgemeinen Phrasen bewegen, ohne
irgendwelcher konkreter Geschehnisse Erwähnung zu tun. Speziell
die ungebührlich lange Rede wider Moab {48^^-*^) zeugt zwar von fleißig-
stem Studium der Geographie des moabitischen Landes, geht aber viel
zu sehr ins Detail, um nicht ihren doktrinären Charakter, ihren Schul-
ursprung zu verraten.
12. Beachte hierfür das bereits in Babel und Bibel III Anm. 22 Ge-
sagte: „Warum Jesus gerade den Samariter zum Vorbild allgemeiner, alle
Menschen und Völker unterschiedslos umfassender Nächstenliebe er-
hoben hat, kann erst jetzt völlig gewürdigt werden. Mit Recht über-
rascht das Gesetzbuch Hammurabis unter anderm auch dadurch, daß
„ein Unterschied zwischen In- und Ausländern so gut wie gar nicht
hervorbricht", weshalb die in Israel ständige Vorschrift, den fremden
Schutzgenossen gut zu behandeln, dort getrost fehlen kann. ,,Es scheint"
— bemerkt Kohler, Hammurabis Gesetz S. 139 — ,,daß in dieser
Beziehung (in Babylonien) eine vollständige Nivellierung eingetreten
ist, ganz den geschichtlichen Vorgängen gemäß, indem man mehr und
mehr fremde Stämme nach Babylon verpflanzte und hier eine unge-
heure Verbindung und Vermischung der Völker der Erde mit ihren
Kulturen herbeiführte. Dem entspricht auch der hochentwickelte
Handelsverkehr, die internationalen Beziehungen und der Charakter
der Weltkultur, welcher der babylonischen Bildung innewohnte. Wir
wissen, daß Hammurabi sich schon, wie die späteren babylonischen
Könige, als Herr der Erde fühlte und ebenso, wie später die deutschen
Kaiser des Mittelalters, alle Stämme mit seiner Herrschaft zu um-
spannen und darum auch den Unterschied zwischen In- und Ausländern
vollkommen zu verwischen trachtete. — Auch dadurch unterscheidet
Anmerkungen. 85
sich die Rechtsknlhir Babylons von der Israels; denn der Fremde
blieb in Israel Fremder und stand dem israelitischen Staatsleben fern;
nur der fremde Schutzgenosse, der gSr, wurde dort in den Verband auf-
genommen, und auch er, ohne daß er im Rechtsgenuß völlig dem In-
länder gleichgestellt wurde. Darum auch die ständige Vorschrift, ihn
gut zu behandeln, eine Vorschrift, die in Babylon, wo man Fremde und
Einheimische nicht unterschied, nicht am Platz gewesen wäre. Aber
auch welch ein Unterschied: die paar fremden Schutzbefohlenen Israels,
wohl Überläufer, Ausgestoßene, flüchtige Leute, welche Blutrache
oder Strafe fürchteten, im Gegensatz zu den Fremden in Babylon, das
sich zur Metropole des Welthandels entwickeitel"
13. Für die auf Ps 2' sich gründende Bezeichnung des Messias als
,, Gottessohn" und die dementsprechende Selbstbezeichnung Jesu
(Matth 16^" 26"') siehe im Anhang zu Ps 2 und bereits meine Vor-
träge Zur Weiterbildung der Religion, Stuttgart 1908, S. 25 f. Daß
Jesus selbst diese Bezeichnung bildlich gefaßt wissen wollte, lehrt
Joh lo^ä ft.. siehe hierfür im Anhang zu Ps 82*-
14. Für das Verständnis der Selbstbezeichnung Jesu als ,, Menschen-
sohn" muß, um dies gleich vorweg zu nehmen, die babylonisch-ezechie-
lische Wortverbindung ,, Menschensohn" ganz außer Betracht bleiben.
Von alters her finden wir in der babylonischen (akkadischen) Literatur
eine Bezeichnung ,, Menschensohn" (mär awilint). Da die Akkader
einen Sklaven niemals als ,,Sohn des und des" bezeichnen (vgl. auch
die Bezeichnung eines Menschen obskurer Herkunft als mär lä maman
«. ä., d. i. ,,Sohn von niemand"), gewann bei ihnen die Bezeichnung
,, Menschensohn" die Bedeutung eines ehrenvollen Ausdrucks, nämlich
den BegriflE eines freien Mannes. In der Hammurabi-Zeit haftete
auch dem einfachen awilu eine gewisse Auszeichnung an, wie die
vielen Briefe lehren, die nicht an den und den Namen gerichtet sind,
sondern ,,an den Menschen, den Marduk mit Leben begaben wird"
(ana awilim sa Marduk uballatusu) — es hat den Anschein, als hätte
man auch noch in dem einfachen awtlum den Begriff ,, Menschensohn"
gespürt (sum. a-mu-lu der Ursprung des etymologisch sonst ganz
dunkeln awiluf). Die Anrede Jahos an Ezechiel als ,, Menschensohn."
(ben-ädäm) gibt sich als ein Babylonismus, als eine ehrenvolle Um-
schreibung statt der direkten Namensnennung — ein Zeichen, wie
sich jener Gebrauch von ,, Menschensohn" durch alle Jahrhunderte hin-
durch in Babylonien erhalten hat. Ganz falsch läßt Smend, Der
Prophet Ezechiel, 2 Aufl., Leipzig 1880, S. 17 den Propheten so an-
geredet sein als einen, der sich der Majestät Gottes gegenüber lediglich
als ein zufällig gewähltes Individuum seiner elenden Gattung
(Ps8* lob 25 •) und nicht mehr als eine eigentümliche Persönlichkeit
fühlt (vgl. Am 7* 8 2 Jer i"), weshalb auch mit Luther genauer (?)
86 Anmerkungen.
,, Menschenkind" zu übersetzen sei. Aber diese innerlich unmögliche
Erklärung wird schon durch die Frage erledigt, warum kein anderer
Prophet jemals von Jaho mit ,, Menschensohn" oder „Menschenkind"
angeredet wird. Vgl. für die vorstehenden Darlegungen bereits Bahd
und Bibel III Anm. 9. Eine ähnliche auszeichnende Bedeutung wie
das babylonische mär awilim zeigt das hebräische ben isch (PS49*),
PI. b'nS isch (Ps 4*).
Jesu Selbstbezeichnimg als „Menschensohn" gründet sich auf zwei
alttestamentliche Stellen, in erster Linie auf Dan 7^', wo mit Bezug
auf den Messias gesagt ist, es sei in den Wolken etwas gekommen wie
ein ,, Menschensohn"; richtiger würde übersetzt sein: wie ein Menschen-
kind, d. h. wie ein Mensch, wie ein Wesen von menschlicher Gestalt.
,, Menschenkind", PI. Menschenkinder, ist in den semitischen Sprachen,
näher im Hebräischen, Aramäischen, Akkadischen, nichts als eine Um-
schreibung für ,, Mensch", genau sowie akkadisch-assyrisch mär ummdni
Werkmeisterssohn = Werkmeister ist oder wie in den Psalmen Götter-
kinder, Göttersöhne Götter bezeichnet. Vor allem im parallelismus
membrorum ist diese Umschreibung des einfachen Begrififs beliebt, wie
z. B. in Ps 72^ , .Königssohn" Parallelglied von König ist. Auch inner-
halb der Tierwelt finden sich solche Wortverbindungen wie ,,1/öwen-
kind", parallel mit ,,I,öwe". Das ben üdäm, womit der Engel Gabriel
Daniel anredet (Dan 8"), wird ebenfalls als Menschenkind = Mensch
zu fassen sein. Aber die Bezeichnung des Messias als ,, Menschensohn"
geht noch auf eine andere, unbegreiflicherweise trotz des sonnenklaren
Kontextes vollkommen mißverstandene Stelle des Alten Testamentes
zurück, nämlich auf PsS^"*, wofür im Anhang nachzulesen ist. Vgl.
Franz Delitzsch zu dieser Stelle: ,, Gerade dieser Psalm, von dem
man's am wenigsten denken sollte, wird im Neuen Testament öfter
zitiert und messianisch gedeutet, ja die Selbstbenennung Jesu mit o ftös
xov avS-^cSnov, wiefern sie auf die alttestamentliche Schrift zurückgeht,
lehnt sich nicht minder an diesen Psalm als an Dan 7^" .
15. Zu der Frage, ob die obligatorische Forderung des Studiums des
Hebräischen für die evangelischen Theologen aufrecht zu erhalten oder
fallen zu lassen sei, siehe jetzt Prof. D. Paul Feine, Zur Reform des
Studiums der Theologie, Leipzig 1920, S. 15 — 22. Ich freue mich, daß
auch Ad. von Harnack in seiner auf Veranlassung des Preußischen
Ministeriimis für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung verfaßten Denk-
schrift für Streichung des Hebräischen aus dem Lehrplan der christ-
lichen Theologen eintritt, obschon sein Vorschlag, das Alte Testament
griechisch, d. h. nach der griechischen Bibelübersetzung lesen zu lassen,
von Graf von Baudissin mit guten Gründen zurückgewiesen wird.
Aber wenn Baudissin meint, es sei „sehr schwer, den Kandidaten die
erforderliche Kenntnis der alttestamentUchen Religionsgeschichte zu
Anmerkungen. 87
vermitteln ohne Voraussetzung einiger Kenntnis des Hebräischen",
80 ist hierauf 7.U erwidern, daß eine wirklich gute deutsche Über-
setzung des Alten Testaments, die bei allen wichtigeren, insbesondere
theologisch wichtigeren Stellen auch die griechische Bibelübersetzung
berücksichtigt, auch die metrische Form vieler Abschnitte gebührend
zur Geltung bringt, in Verbindung mit einer Vorlesung über Geschichte
und Religion Israels vollkommen hinreicht, den Studierenden der evange-
lischen Theologie das, was sie vom sogenannten Alten Testament wissen
müssen, zu vermitteln. Speziell müßte dann noch, wie auf S. 70 f. ge-
fordert wurde, ein Lehrbuch oder ein Kolleg über die alttestament-
lichen Zitate im Neuen Testamente hinzutreten. Auch Jesu Kenntnisse
der hebräischen Bibel beruhten wesentlich auf deren aramäischen
Verdolmetschung. Wenn Baudissin aber weiter bemerkt, daß ,,das
Fallenlas.sen des Hebräischen eine Schädigung des Ansehens und damit
auch der Wirksamkeit des geistlichen Standes nach sich ziehen werde",
so werden alle die Tausende und Abertausende evangelischer Pfarrer,
die ihre mühselig erworbenen hebräischen Brocken schon längst ver-
gessen haben, gegen eine solche Befürchtung gewiß einhelligen Protest
einlegen. Selbst wenn man mit Paul Feine an dem veralteten Irr-
tume festhält, das hebräische Volk für ,,das Volk der Offenbarung",
den ,, Träger der Offenbarungsreligion" zu halten, und es für notwendig
erachtet, ,,die alttestamentliche Anschauung als Vorstufe des Christen-
tums behandeln zu lassen", ist hebräische Sprachkenntnis schlechter-
dings nicht vonnöten, ganz abgesehen davon, daß sich auch nur halb-
wegs zureichende Beherrschung des Hebräischen nebenher, neben den
übrigen theologischen Disziplinen, binnen eines Trienniioms überhaupt
nicht erreichen läßt. Da Jesus sein Evangelium in der palästinisch-
aramäischen Sprache verkündigt hat und die älteste Predigt seiner
Jünger aramäisch gewesen ist, so wird es für die Lehrer der neu-
testamentlichen Theologie in hohem Grade erwünscht sein, bei
einem tüchtigen Semitisten diesen aramäischen Dialekt zu erlernen,
um in wichtigen Fragen selbständig urteilen zu können.
16. Für die vermeintlich Jes7i*- 1« geweissagte Jungfrauengeburt Jesu
(Matth 1 38-25 i^uk 1 26-38)^ ^uf einem Übersetzungsfehler des ® (s. S. 95)
und schwerem exegetischen Mißgriff beruhend, siehe bereits Zur Weiter-
bildung der Religion. S. 29 ff. Für das mißdeutete Zitat Jes 40^ (Mark i^;
Matth 33; Luk 3«; vgl. Joh i23) siehe ebenda S. 37. Für Ps lö»*-, miß-
deutet von Petrus (Acta 2""-) ebenso wie von Paulus (Acta 13^5),
siehe ebenda S. 38 f. Für den mit Ho ii^ getriebenen Mißbrauch
(Matth 2") siehe ebenda S.39f. — Wenn der Apostel Paulus den
Juden zu beweisen sucht, daß die Heiden völker auch schon im Alten
Testament zur Verehrung des wahren Gottes berufen worden seien,
und hierfür u, a. die Stelle Dt 32" gemäß ® ins Feld fuhrt: ,, Jubelt,
33 Anmerkungen.
ihr Heiden, samt seinem Volke" (Rom 15^°), so wissen wir jetzt, daß
der Urtext lautet: ,, Bejubelt, Völker, sein Volk!" (siehe Weiterbildung
Anm^. 26^ und für einen analogen vermeintlichen Beweis für den
Universalismus der Jaho-Religion siehe ,, Große Täuschung" I, S. 73
zu Ps 117)- — Traurig stimmt es zu sehen, wie Paulus sogar Jesu
eigenste, gegen die Speisegebote gerichtete Lehre bereits für das Juden-
tiun in Anspruch zu nehmen wagt, indem er den Jubelruf am Anfang
des 24. Psalms: ,,Jahos ist die Erde und ihre Fülle" (beachte für die
Bedeutung dieser Worte Jes 34^) i Kor 10^' '• dahin deutet, daß, weil
die Erde J ahos ist, auch das, was auf den Markt gebracht wird,
gegessen werden dürfe, ,,ohne nachzuforschen Gewissens wegen". —
Für andere mißverstandene vm^d mißdeutete Psahnstellen, z. B. 8' ",
s. den Anhang.
Anhang
Ausgewählte Psalmen
Bei der Übersetzung der nachfolgenden ausgewählten
Psalmen leitete mich ausschließlich die Absicht, den ur-
sprünglichen Psalmtext möglichst in seiner ursprünglichen
Gestalt wiederzugeben und so genau wie möglich ins
Deutsche zu übertragen, ohne das Metrum der einzelnen
Gedichte, d. h. die Zahl der Hebungen innerhalb der ein-
zelnen Stichen, nachahmen zu wollen.* Von den hier fol-
genden Psalmen dürften nur ganz wenige, etwa Psalm 15
und obenan Psalm 103, Anspruch auf Aufnahme in ein
christliches Erbauungsbuch erheben dürfen (s. S. 78
oben).
Psalm I.
Prolog zum Psalter (s.S. 39) : Seligpreisung der Gesetzes-
treuen im Gegensatz zu den ,, Frevlern".
Selig der Mann, der nicht wandelt im Rate der Frevler, noch
tritt auf den Weg der Sünder, noch Platz nimmt in der Sitzung
der Spötter, sondern an der Furcht (? ) Jahos Gefallen hat und
über seine Thora sinnt bei Tag und bei Nacht — er ist wie ein
Baum, gepflanzet an Wasserbächen, der seine Frucht bringt zur
rechten Zeit und dessen Laub nicht verwelkt, und in allem, was
er tut, hat er Gelingen.
*) Bei der Erfüllung des mir mehrfach geäußerten Wunsches einer
Verdeutschung sämtlicher Psalmen wird natürlich, obschon in knappester
Form, über alle Einzelheiten der Textbehandlung imd Übersetzung
Rechenschaft abzulegen sein. Die kleine Schrift mit ihrer erstmaligen
rationellen Anordnung der Psalmen wird, hoffe ich, gleichzeitig zur
Verbreitung der Erkenntnis mit beitragen, daß es für den evangelischen
Theologen vollkommen ausreicht, die Psalmen wie überhaupt
die althebräischen Literaturreste in deutscher Übersetzung mit kurzem
Kommentare zu lesen.
02 Ausgewählte Psalmen.
*Nicht so die Frevler, sondern wie die Spreu, die der Wind
verwehet. Demgemäß bestehen die Frevler nicht im Gericht noch
die Sünder in der Gemeinde der Gerechten. Denn Jaho nimmt
sich an des Wegs der Gerechten, während der Weg der Frevler
zugrunde^geht ^oder: zum Abgrund führt).
Psalm 2.
Alle Welt diene Jaho und fürchte sich vor seinem
Zorn! Ein schreckendes und mahnendes Ultimatum an
Israels Feinde von selten des Messias, diesem selbst in
den Mund gelegt.
(Vgl. Acta 425-28^ -^o David als Verfasser des Psalms angenommen
ist, ferner i3'^'' Hebr. i^ 5 5.)
Warum toben die Völker
Und sinnen Eitles die Nationen?
Treten einher die Könige der Erde,
Und besprechen sich zusamt die Machthaber
Wider Jaho und wider seinen Gesalbten?
,,Laßt uns zerreißen ihre Bande
Und von uns werfen ihre Stricke!"
Der im Himmel wohnt, lachet,
Der Herr spottet ihrer.
Und dann redet er zu ihnen in seinem Zorn
Und schreckt sie in seinem Grimm:
,,Hab' ich doch meinen König eingesetzt
Auf Zion, meinem heiligen Berge".
''Laßt mich erzählen von einem Rechtsspruche Jahos!
Er sagte zu mir: ,,Mein Sohn bist du,
Ich habe dich heute gezeuget,
^Fordre von mir, daß ich dir gebe
Die Völker zu deinem Erbteil
Und zu deinem Eigentum die Enden der Erde.^
^Zerschmettern sollst du sie mit eisernem Zepter,
Wie ein Töpfergefäß sie zerschmeißen!"
Psalm 2, 6. Q2
Und nun, ihr Könige, seid verständig,
Laßt euch ermahnen, ihr Richter der Erde!
Dienet Jaho mit Furcht
Und gehorsamt (? ) ihm mit Zittern,
Daß er nicht zürne und ihr zugrunde geht,
Denn um ein Haar kann sein Zorn entbrennen.
Selig alle, die in ihm Zuflucht suchen!
a) Die altbabylonischen Rechtsurkunden, desgleichen das Gesetz-
buch Hammurabis geben uns von gewissen kurzen Fonneln Kunde,
mittels deren bestimmte Willensäußeruneien rechtskräftige, unabänder-
liche Geltung erhielten. Wenn ein Vater, eine Mutter zum Kinde
sagt: ,,Du bist nicht mein Kind", so ist es ebendamit verstoßen und
enterbt. Und wenn ein Mann zu den Kindern der Magd sagt: , .meine
Kinder (bzw. Söhne)", also zu einem derselben: „du bist mein Sohn",
so wird dieser Sohn kraft dieser juristischen Formel den Söhnen der
legitimen Gattin gleichgestellt und gleich diesen erbberechtigt. Es
war der Rechtsspruch, der die Erbberechtigung gleich einem
leiblichen Sohne involvierte. Der Psalmist läßt hiemach in dem
bedeutsamen Verse Ps 2 ' den Messias durch Jahos unverbrüchhchen
Rechtsausspruch: ,,Du bist mein Sohn, ich habe dich heute gezeuget"
(d.h.: ich bin heute in Vaterverhältnis zu dir getreten), bildUch zu
Jahos Sohn und Erben, nämlich zum Erben der Völker bis an die
Enden der Erde, erklärt sein. Siehe hierfür bereits meine Vorträge
Zur Weiterentwicklung der Religion, Stuttgart 1908, S. 25 f. (wo auch
auf Ivukj" hingewiesen ist), sowie Ernste Fragen, ebenda 1912, S. 20 f.,
auch bereits Babel und Bibel III, 1905, S. 12 f. Für die Einheit der
Begriffe ,,Sohn" und „Erbe" im vorderen Orient vgl. Matth2i38;
Mark 12^'-. Babylonisch aplum bedeutet sowohl ,,Sohn" als ,,Erbe".
Psalm 6.
Gebet um endliche Hilfe in Todesangst vor den persön-
lichen Feinden.
(Vgl. Ps 13.)
Jaho, in deinem Zorn strafe mich nicht.
Und in deinem Grimm züchtige mich nicht!
Sei mir gnädig, denn zerrüttet hin ich,
Heile mich, denn verstört sind meine Geheine,
Und meine Seele ist sehr verstört.
QA Ausgewählte Psalmen.
Und du, Jaho, wie lange?
Wende dich zu, entreiße mein Leben,
Hilf mir um deiner Güte willen!
Denn im Totenreich gedenkt man deiner nicht.
In der Unterwelt — wer soll dich loben?
''Ich bin ermüdet, Jaho, von meinem Seufzen,
Ich schwemme mein Lager die ganze Nacht,
Durchweiche mein Bett mit meinen Tränen;
Zernagt ist vor Kummer mein Auge,
Gealtert infolge aller meiner Dränger.
Weichet von mir, alle Übeltäter!
Denn Jaho hört die Stimme meines Weinens,^
Jaho nimmt mein Gebet an.
Sehr verstört mögen werden alle meine Feinde,
Sich zurückwenden, zuschanden werden im Nu!
a) Var.: Jaho hört mein Flehen.
Psalm 8.
Lobpreis Jahos im Hinblick auf Makro- und Mikro-
kosmus: das noch lallende Menschenkind, vom Welt-
schöpfer so unausdenkbar hoch begnadet, begabt und be-
vollmächtigt, als ein mächtiger Zeuge wider die Feinde
Jahos.
Jaho, unser Herr! Wie herrlich ist
Dein Name auf der ganzen Erde!
Du, dessen Glorie die Himmel Überragt,
Hast durch den Mund der Kinder und Säuglinge
Eine Veste gegründet um deiner Gegner willen.
Zu Ruhe zu bringen Feind und Rachesüchtigen. ^
Wenn ich sehe das Werk deiner Finger,
Mond und Sterne, die du befestigt —
^Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest.
Und das Menschenkind, daß du seiner achtest?
Psuliii 6, 8, II. Qc
'Ufui ihn nur wenig unteri^ötUich machtest
Und mit Majestät und Herrlichkeit ihn kröntest,
'•Ihn zum Herrscher machtest über die Geschöpfe deiner Hand,
A lies hast du unter seine Füße getan: ^
^Kleinvieh und Rinder allzumal,
Auch die Tiere des Feldes,
Die Vögel des Himmels und die Fische des Meers,
Die dahinziehen die Straßen des Weltmeers.
Jaho, unser Herr! Wie herrlich ist
Dein Name auf der ganzen Erde!
a) Der Sinu dieser Strophe kann nur ein ähnlicher sein wie die Aus-
sage I Kor i": Was töricht und schwach vor der Welt ist, hat er er-
wählt, um zuschanden zu machen die Weisen und was stark ist. b) Der
klare Wortsinn der Verse 5 f. ist von (i) (der griechischen Bibelüber-
setzung) gründlich mißverstanden worden, indem sie übersetzt (ebenso
Hebräerbrief 2 ''■'*); „Was ist der Mensch, daß du sein gedenkest? oder
des Menschen Sohn, daß du sein achtest ? du hast ihn ein kurzes
neben den Engeln erniedrigt," usw. Man sollte eine solche Über-
setzung des hebräischen Textes nicht für möglich halten, und für noch
unmöghcher die im Hebräerbrief 2* hieran geknüpfte Auslegung: ,,Den
aber, der ein kurzes neben den Engeln erniedrigt ist, sehen wir in
Jesus um des Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre bekränzt,
auf daß er durch Gottes Gnade für jedermann den Tod koste". Daß
diese kaum glaubliche Mißdeutung des Urtextes aber bereits zu Jesu
Zeit synagogale ÜberHeferung war, lehrt Jesu Selbstbezeichnung als
,, Menschensohn" (s. Anm. 14). Vgl. noch i Kor 15^7 mit Bezug auf
Christus: ,,Als letzter Feind wird der Tod vernichtet, denn (Ps8^'»)
er hat ihm alles unter die Füße getan".
Psalm II.
Klage eines Gerechten über Verfolgung seitens der
Frevler nebst Verwünschung der letzteren.
(Vgl. zu Ps 82.)
In Jaho Hab' ich mich geborgen —
Wie mögt ihr sagen zu meiner Seele:
Flattre nach dem Berg
Wie ein Vogel!
g5 Ausgewählte Psalmen.
Ja, siehe! die Frevler
Spannen den Bogen,
Legen ihren Pfeil
Auf die Sehne,
Zu schießen aus der Finsternis
Auf die rechtschaffnen Herzens.
Ja, die Fundamente werden niedergerissen,
Der Gerechte — was hat er getan?
Jaho, in seinem Heiligtum,
In den Himmeln thronend —
Seine Augen schauen.
Seine Wimpern prüfen,
Jaho prüft
Gerechten und Frevler,
Und den, der Gewalttat liebt.
Hasset seine Seele.
Er regne auf die Frevler
Feurige Kohlen und Schwefel,
Und Glutwind sei
Der Teil ihres Becherst
Denn gerecht ist Jaho,
Gerechtigkeit lieht er.
Den Rechtschaffnen durchschauet
Sein Blick,
Psalm 13.
Gebet um endliche Hilfe in Todesgefahr durch die
persönlichen Feinde.
(Vgl. Ps 6.)
Wie lange, Jaho,
Vergissest du mich dauernd?
Wie lange verbirgst du
Dein Antlitz vor mir?
Psuliu II, 13, 15. ^7
Wie lange hege ich
Sorgen in meiner Seele,
Kummer in meinem Herzen
Bei Tag und bei Nacht?
Wie lange soll triumphieren
Mein Feind über mich?
* Siehe doch, erhöre mich,
Jaho, mein Gott!
Erhalte hell meine Augen,
Daß ich nicht Todes entschlafe.
Daß nicht sage mein Feind:
Ich habe ihn übermocht.
Meine Dränger frohlocken.
Daß ich zum Wanken gebracht bin!
*Ich aber, Jaho,
Der ich auf deine Güte traue —
Es frohlocke mein Herz
Ob deiner Hilfe,
So will ich Jaho lobsingen,
Dieweil er mir Gutes getan.
Psalm 15.
Die zehn Voraussetzungen für das Bürgerrecht auf Zion .
Jaho, wer darf gasten in deinem Zelte?
Wer wohnen auf deinem heiligen Berge?
Wer untadelig wandelt und Recht tut
Und Wahrheit redet aus seinem Herzen,
Seinem Mitmenschen nicht Böses tut
Und Schmähung nicht ausspricht wider seinen Nächsten,^
Mit Verachtung straft den Verworfenen,
Aber die Jaho Fürchtenden ehrt.
Sein Geld nicht gegen Wucher gibt
Und Bestechung wider den Unschuldigen nicht annimmt,
Sich zum Nachteil schwört und doch nicht ändert —
Wer dieses tut, wird in Ewigkeit nicht wanken.
a) Var. : wer nicht verleumden geht mit seiner Zunge.
Delitzsch, Die grosse Täuschung. II J
q8 Ausgewählte Psalmen .
Psalm 19 A (V. 2 — 7).
Lobpreis der himmlischen Wunderwerke Jahos. Ein
Psalmfragment.
Die Himmel erzählen die Majestät Gottes,
Und das Werk seiner Hände verkündet die Himmelsveste;
Ein Tag läßt Rede zukommen dem andern,
Und eine Nacht teilt Wissen mit der andern.^
^Über die ganze Erde ging aus ihre Meßschnur,
Und bis ans Ende des Erdkreises reicht ihre Ausdehnung}^
Dem Sonnenball hat er ein Zelt in ihnen gemacht.
Und der geht aus wie ein Bräutigam aus seiner Kammer,
Freut sich wie ein Held zu laufen die Bahn.
Vom Ende der Himmel ist sein Ausgang,
Und sein Umlauf erfolgt über ihre Enden,
Und niemand kann sich verbergen vor seiner Hitze.
a) Randnote: es ist nicht Rede und sind nicht Worte, unhörbar ist
ihre Stimme, b) Diese Übersetztmg von V. 5 wird als die einzig richtige
durch den assyrischen Sprachgebrauch erwiesen. Die Übersetzung
von ® und Rom 10 1^: ,,^s ist ihre Stimme ausgegangen in das ganze
Land und ihre Worte bis zu den Enden der Welt" ist falsch. Der Apostel
bezieht den Vers auf die Kunde von Christi Wort!
Psalm 19 B (V. 8—14).
Lobpreis der Thora.
Die Thora Jahos ist vollkommen,
Seele erquickend,
Das Gebot Jahos ist verlässig,
Den Einfältigen witzigend.
Die Vorschriften Jahos sind recht.
Herzerfreuend,
Die Satzung Jahos ist lauter,
Augen erhellend.
^"Die Furcht Jahos ist rein,
Für immer bestehend,
Die Rechte Jahos sind Wahrheit,
Gerecht allzumal,
Psalm lo, 24. QQ
Sie. die köstlicher sind als Gold
Und viel Feingold,
Und süßer als Honig
Und Honigseim.
^'^Auch dein Knecht wird durch sie gewarnt.
In ihrer Bewahrung liegt reicher Lohn.
Irrungen — wer gewahrt sie?
Von verborgenen Sünden halte mich frei!
Auch von Aufbrausung (?) halte zurück deinen Knecht,
Sie gewinne nicht über mich Herrschaft/
Dann werde ich untadelig sein und frei
Von viel Frevel.
Zusatz V. 1 5 : Mögen wohlgefällig sein die Worte meines Mundes
und das Sinnen meines Herzens vor dir, Jaho, mein Fels und mein
Erlöser!
Psalm 24.
Festlied beim Einzug in den Tempel nach errungenem Siege.
(Beim Hinaufzug: V. i f. Chor des Festzugs, V. 3 — 6 zwei ab-
wechselnde Stimmen.)
^Jahos ist die Erde und ihre Fülle,
Der Erdkreis und seine Bewohner.^
Denn er hat über dem Ozean sie gegründet
Und über Strömen sie gefestigt.
^Wer darf hinaufsteigen auf den Berg JahosP
Und wer stehen an seiner heiligen Stätte?
Wer rein ist an Händen und lauteren Herzens,
Nicht auf Eitles seinen Sinn richtet,
Der trägt Segen davon von Jaho
Und Rechtfertigung von dem Gotte seines Heils.
Das ist das Geschlecht derer, die nach Jaho fragen^
Die das Antlitz des Gottes Jakobs suchen.
(Beim Einzug: Festzug und eine Einzelstimme abwechselnd.)
'^Erhebet, Tore, eure Häupter,
Und erhebt euch, ihr ewigen Pforten,
Daß der majestätvolle König einziehe!
'I(X) Ausgewählte Psalmen.
Wer ist das, der majestätvolle König?
Jaho, der Starke und Held,
Jaho, der Kriegsheld I
^Erhebet, Tore, eure Häupter,
Und erhebt euch, ihr ewigen Pforten,
Daß der majestätvolle König einziehe!
Wer ist denn das, der majestätvolle König?
Jaho der Kriegsscharen,
Er ist der majestätvolle König/
a) Für den von Paulus (i Kor lo^^f) mit dieser Stelle getriebenen
Mißbrauch s. Anm. i6 fin.
Psalm 41.
Gebet auf dem Krankenlager.
0 selig Lied an den Elenden:
„Zur Zeit des Unglücks wird Jaho ihn erretten,
Jaho wird ihn behüten und leben lassen auf Erden,
Und du wirst ihn nicht geben in die Gier seiner Feinde.
Jaho wird ihn stützen auf dem Siechbett,
Woran immer er krank liegt, wendest du".
Ich sprach: Jaho, sei mir gnädig.
Heile mein Leben, ich habe an dir gesündigt.
Meine Feinde sprechen schlecht von mir:
„Wann wird er sterben und zugrunde gehen sein Name?"
Und wenn einer zu Besuch kommt, ist Falschheit sein Herz,
Er spickt sich mit Unwahrheit, geht hinaus, redet.
Zusamt tuscheln wider mich alle meine Hasser,
Ersinnen Unglück für mich:
„Etwas ganz Schlimmes ist ihm angegossen,
Und wo er liegt, steht er nicht wieder auf.
^^Auch mein Intimus, auf den ich traute.
Der von meinem Brot aß, vermißt sich wider mich rücklings.^
Aber du, Jaho, sei mir gnädig und lasse mich aufstehen,
Daß ich ihnen vergelte!
Daran erkenne ich, daß du mir wohlwillst.
Psalm 24, 41, 42/43. lOI
Daß mein Feind nicht über mich jauchzt,
Du aber mich festhältst ob meiner Untadeligkeit
Und mich stehen lassest vor dir auf ewig.
a) Dies die sprachlich allein zulässige Übersetzung (s. zu higdtl Ps 35**
38^', zu 'aqeb „hinterrücks" Gen 3i'). 0): ,,dcr mein Brot ißt, hat große
List an mir verübt", während Joh 13I8 ebendiese Worte, frei und un-
genau übersetzt: ,,der mit mir das Brot isset, hat seine Ferse wider
mich erhoben", dazu aus ihrem Zusammenhange gelöst, von Jesus auf
den Verrat des Judas Ischarioth bezogen werden (,,aber es soll die
Schrift erfüllt werden").
Psalm 42/43.
Heimweh nach Zion. Lied auf der Reise (zum Teil See-
reise) zu eigenem Tröste gesungen.
Gleich einer Hindin, die schreiet
Am Ufer von Wasserrinnen^,
So schreiet meine Seele
Zu dir, Jaho!
Es dürstet meine Seele nach Jaho,
Nach dem lebendigen Gott —
Wann werde ich kommen und sehen
Das Antlitz JahosP
Meine Tränen waren mir Speise
Bei Tag und bei Nacht,
Da man immerfort zu mir sagte:
Wo ist dein Gott?
Daran will ich denken und ausschütten
Meine Seele,
Wenn ich mich durch die sich stauende Menge schriti-
weis bewege
Bis zum Hause Jahos,
Unter lautem Jubel und Lobe —
Ein festfeiernd Getümmel.
Was bist du so gebeugt, meine Seele,
Und was so unruhig in mir?
Harre auf Jaho, denn noch werde ich ihn loben
Als meine^ Hilfe und meinen Gott.
102 Ausgewählte Psalmen
Gebeugt in meiner Seele —
So dachte ich dein
Seit dem Jordanlande und Hermon,
Seit dem Berge Mis'ar <=,
Eine Wassertiefe ruft die andere
Beim Schall deiner Wasserstürze,
Alle deine Brandungen und Wogen
Gehen hin über mich.
Bei Tag bestellt Jaho seine Güte,
Und bei Nacht ist sein Lied^ mein Begleiter.
Da sage ich zu Gott: mein Fels!
Warum hast du mich vergessen?
Warum muß ich trauernd wandeln
Unter Drangsalierung des Feindes?
Meine Gebeine durchbohrend.
Schmähen mich meine Dränger,
Da sie immerfort zu mir sagen:
Wo ist dein Gott?
Was bist du so gebeugt, meine Seele,
Und was so unruhig in mir?
Harre auf Jaho, denn noch werde ich ihn loben
Als meine Hilfe und meinen Gott.
Schaffe mir Recht, Jaho, und führe meinen Streit/
Von dem unfrommen Volke,
Von den Leuten des Trugs und der Ungerechtigkeit
Mögest du mich erretten!
Ja, du, Gott meiner Zuflucht,
Warum hast du zornig mich verworfen?
Warum muß ich trauernd einherwandeln
Unter Drangsalierung des Feindes?
Sende dein Licht und deine Wahrheit,
Sie mögen mich leiten,
Mögen mich bringen zu deinem heiligen Berge
Und zu deinen Wohnungen,
Daß ich komme zum Altar Jahos,
Zu dem Gott meiner Freude,^
Und dich lobe auf der Zither,
Jaho, mein Gott!
Psalm 4-^/43. 45- lOJ
Was bist du so (gebeugt, meine Seele,
Und was so unruhig in mir?
Harre auf Jaho, denn noch werde ich ihn loben
Als meine Hilfe und meinen Gott.*
a) Nämlich ausgetrockneten, b) Wörtlich: meine persönliche Hilfe,
c) Wahrscheinlich eine letzte Bergeshöhe, von der der Sänger einen Grufl
nach der Heimat senden konnte, bevor er sich in einem phönikischen
Hafenplatz zu einer Seereise einschiffte, d) Randnote: das Gebet zu
dem Gotte meines Lebens, e) Var. : meines Frohlockens, f) Trotz des
gleichen Kehrverses ist der letzte Dritteil des Psalms als ein besonderer
Psalm (Ps 43) im hebräischen Psalter verselbständigt und vom ersten
und zweiten Drittel (Ps 42) losgerissen. Ja, (ij läßt sogar diesen vermeint-
lichen Ps 43 von David, Ps 42 von den Söhnen Qorachs verfaßt sein !
Psalm 45.
Höfisches Festlied zu Ehren eines Königs nebst könig-
licher Familie.
Vielleicht zur Wiederkehr des Thronbesteigungstages bei
gleichzeitiger Aufnahme einer tyrischen Prinzessin in den
königüchen Harem.
Überquillt mein Herz
Von schöner Rede.
Ich sage mir:
Mein Tun einem König zu Ehren,
Meine Zunge der Griffel
Eines geschickten Schreibers!
^Weit schöner bist du
Als die Menschenkinder ,
Ausgegossen ist Anmut
Auf deine Lippen —
Also hat dich gesegnet
Gott in Ewigkeit.
Gürte dein Schwert
An die Lende, 0 Held,
In deiner Glorie und Pracht
Fahre siegreich hindurch
Um der Wahrheit willen
Und . . . der Gerechtigkeit,
104 Ausgewählte Psalmen.
Und Furchtgebietendes lasse dich sehen
Deine Rechte!
Deine Pfeile geschärft,
Die Völker dir zu Füßen,
Entmutigt werden
Die Feinde des Königs!
''Dein Thron ist göttlich,
Immer und ewig.
Ein gerechtes Zepter
Dein Herrschaftszepter.
^Du liehst Gerechtigkeit
Und hassest den Frevel.
Darob hat dich gesalbt
Jaho, dein Gott,
Mit Freudenöl
Vor deinen Genossen.
Myrrhe und Aloe^
Alle deine Gewänder.
Aus Elfenbeinpalaste
Erfreuet dich Saitenspiel.
Töchter von Königen
Sind deine Kleinode.
Die Königin zu deiner Rechten
In Feingold aus Ophir.
Höre, Tochter, und sieh
Und neige dein Ohr •
Und vergiß dein Volk
Und dein Vaterhaus,
Und läßt sich gelüsten
Der König nach deiner Schönheit —
Denn er ist dein Herr — ,
So fall vor ihm nieder.
Und, Tochter von Tyrus,
Durch Geschenk^
Laß dich begütigen
Die Reichen des Volks.
Psalm 45. 49. I05
Drinnen die Tochter des Könif^s,
In goLddurchwirkten Gewändern
Wird zum König gebracht,
Jungfrauen hinter ihr drein,^
Unter Fröhlichkeit und Frohlocken
Ziehen sie ein in des Königs Palast.
An Stelle deiner Väter '^
Treten deine Söhne,
Du machst sie zu Fürsten
Im ganzen Lande.
Ich will rühmen deinen Namen
In jedem Geschlecht und Geschlecht! ^
a) Var. : Kassia. b) Randnote: k'U käböd d. i. königliche Gewänder
und Schmucksachen? c) Randnote: ihre Freundinnen bzw. Gespiehnnen
werden dir zugebracht, d) Gemeint die Landes,, väter" an der Spitze
der einzelnen Provinzen des Landes, e) Var.: die Völker mögen dich
loben für immer imd ewig!
Der Hebräerbrief (i ^ ' ) folgt der irrigen targumischen Übersetzung
von V. 3: ,, Deine Schönheit, o König Messias, ist vorziighcher
als der Menschenkinder", und läßt dementsprechend die Worte V. 7 i.:
,, Dein Thron, o Gott, ist für alle Ewigkeit" usw. zum Messias gesprochen
sein! ,,Die Aufnahme dieses Psalms in den Kanon bliebe ohne die
Voraussetzling prophetisch-allegorischen Sinnes unerklärlich" (Franz
Dehtzsch).
Psalm 49.
Lebensweisheit: rege dich nicht auf über den Reichen,
denn auch er muß sterben und nimmt seinen Reichtum
nicht mit ins Grab.
Höret dies, alle Völker,
Horchet, alle Bewohner der Zeitlichkeit,
Sowohl Menschenkinder als Herrensöhne,
Zusamt Reich und Dürftig!
Mein Mund redet Weisheitsfülle
Und das Sinnen meines Herzens ist Fülle von Einsicht.
'Ich neige zu einem Weisheitsspruch meinen Sinn,
Erößne unter Zitherspiel mein Rätsel.'^
ir)5 Ausgewählte Psalmen.
Warum soll ich mich fürchten in bösen Tagen,
Da die Missetat meiner Nachsteller mich umringt,
Die vertrauen auf ihr Vermögen
Und der Menge ihres Reichtums sich rühmen?
Loskaufen kann sich keiner,
Noch Jaho sein Sühngeld geben,
^Zu teuer ist der Loskauf seines Lebens,
Sodaß er davon absteht für ewig.
Und lebte einer dauernd für immer,
Nicht sehend das Verderben,
Fürwahr, er wird die Weisen sterben sehen,
Zusamt Tor und Dummen zugrunde gehen,
Und sie lassen anderen ihr Vermögen.
^^Ihr Grab xv erden ihre Häuser für ewig,
Ihre Wohnungen auf Geschlecht und Geschlecht, "^
Nur Erdschollen nennen sie ihr eigen. ^
Der Mensch trotz seiner Ehrung ^ hat nicht seines Bleibens,
Er wird gleichgemacht dem Vieh, das man umbringt.^
Das ist der Weg der mit Torheit Begabten
Und an deren Mund andere Gefallen finden —
Wie Kleinvieh müssen sie hinein in die Unterwelt,
Während der Tod als Hirte sie leitet.
Und fahren schnurstracks hinab,
Ehestens ist ihre Gestalt zu verfallen bestimmt.
^^Indes wird Jaho meine Seele loskaufen.
Aus der Gewalt der Unterwelt fürwahr wird er mich holen.
Fürchte nicht, wenn reich wird ein Mann,
Wenn groß wird der Reichtum seines Hauses,
Denn nicht nimmt er hei seinem Tod das Ganze mit.
Nicht folgt ihm hinunter sein Reichtum.
Mag er sich beglückwünschen bei Lebzeiten,
Und mag man dich loben, daß .du dir's wohl sein läßt —
Er kommt doch zum Geschlecht seiner Väter,
Sieht auf ewig nicht mehr das Licht.
Psalm 40, 54, 66 C- I07
Der Mensch trotz seiner Ehrung hat nicht seines Bleibens,
Er wird gleichgemacht dem Vieh, das man umbringt*
a) Mein Philosophem. b) Die Worte erinnern an die babylonisch-
assyrisclie Sitte, die Verstorbenen im eigenen Hause zu begraben.
c) Wörtlich: sie rufen ihren Namen aus über Erdschollen, d) Bezug
nähme auf Gedanken wie jene von Ps 8 ? c) Ob dieser Kehrvers auch
hinter den V^ersen 5, g, und 16 wiederholt sein müßte?
Psalm 54.
Gebet gegen persönliche Nachsteller und Dank für Hilfe.
Jaho, kraft deines Namens errette mich,
Und kraft deiner Stärke schaffe mir Recht!
Jaho, erhöre mein Gehet,
Horche auf die Worte meines Mundes!
^Denn Frechlinge stehen wider mich auf.
Und Gewalttäter trachten mir nach dem Leben,
Halten sich Jaho nicht vor Augen.^
^ Siehe! Jaho ist mein Helfer,
Der Herr stützet mein Lehen.
Er wende das Böse zurück auf meine Gegner,
Kraft deiner Treue, Jaho, vernichte sie!
So will ich in Freigebigkeit dir opfern.
Deinen Namen lohen, dieweil er freundlich.
Denn aus aller Not hat er mich befreit,
Und an meinen Feinden labt sich mein Auge.
a) V. 5 ziemlich = 86".
Psalm 66 C (V. 13 — 20).
Beim Abtragen eines Gelübdes im Tempel.
Ich komme in dein Haus mit Brandopfern,
Bezahlend meine Gelübde,
Zu denen sich auftaten meine Lippen,
Und die mein Mund geredet, als ich in Not war.
jQg Ausgewählte Psalmen.
Brandopfer von Schafböckchen bringe ich dir dar
Nebst Rauchwerk von Widdern,
Ich opfere dir Rinder
Nebst Ziegenböcken.
Wohlan/ Höret und laßt mich erzählen,
Alle Jaho-Fürchf enden/
Was er getan hat meiner Seele,
[Laßt mich euch künden?]
Zu ihm rief ich mit meinem Munde,
Redlichkeit (?) unter meiner Zunge.
Hätte ich Falschheit gehegt in meinem Herzen,
Hätte der Herr nicht gehört.
Aber Jaho hat gehört.
Hat gemerkt auf die Stimme meines Gebets.
Gepriesen sei Jaho, der nicht entfernt hat
Seine Güte von mir/
Psalm 67.
Dreifacher Segen über Israel, damit alle Völker Jahos
gerechtes Walten erkennen und Jaho loben und fürchten.
Ein Bmtefestlied.
Jaho sei uns gnädig und segne uns.
Er blicke freundlich nach uns hin.
Daß erkannt werde auf Erden dein Walten,
Unter allen Völkern deine Hilfe.^
Es mögen die Völker dich, Jaho, loben,
Dich loben die Völker insgesamt/
Es mögen fröhlich sein und jubeln die Nationen,
Daß du den Erdkreis richtest mit Recht,^
Die Völker mit Gerechtigkeit richtest
Und die Nationen auf Erden leitest.
Es mögen die Völker dich, Jaho, loben.
Dich loben die Völker insgesamt/
Psalm 66 C, 67, 70, 73. lOQ
Die Erde hat gegeben ihren Ertrag.
Es segne uns Jaho, unser Gott!
Es segne uns Jaho, unser Gott!
Und fürchten mögen ihn alle Enden der Erde!
Es mögen die Völker dich, Jaho, loben,
Dich loben die Völker insgesamt!^
a) Die Hilfe, die Jaho je und je seinem Volke erwiesen hat. b) Ge-
meint ist das „gerechte" Strafgericht, das Jaho an den Israel feind-
lichen Völkern vollzieht, siehe Ps 96^ 97^ 98'. c) Im hebräischen Text
fehlt dieser Kehrvers.
Psalm 70.
Gebet gegen lebenbedrohende persönliche Feinde. (Auch
dem Psalm 40 als Schluß angefügt.)
Laß dir's gefallen, Jaho, mich zu befreien,
Eile mir zu Hilfe!
Beschämt und zuschanden mögen zusamt werden,
Die nach dem Leben mir trachten.
Zurückgewendet und mit Schimpf bedeckt werden,
Die Lust haben an meinem Unglück,
Es mögen mit Schande Kehrum machen.
Die sagen: ha! ha!
Es mögen in dir sich freuen und fröhlich sein
Alle, die dich suchen.
Und beständig sagen: Groß ist Jaho,
Die deine Hilfe lieben!
Mir aber, der elend und dürftig,
Jaho, eile mir zu!
Meine Hilfe und mein Retter bist du,
Jaho, verzieh nicht!
Psalm 73.
Der Frevler Glück, aber Ende mit Schrecken, dagegen
des Frommen Trost seine den Tod überdauernde Gemein-
schaft mit Jaho.
jjO Ausgewählte Psalmen.
Eitel gütig zum Rechtschaffenen ist Gott,
Jaho zu denen reinen Herzens,
Und doch wären um ein Haar zu Fall gekommen meine Füße,.
Wie nichts hingeglitten meine Schritte,
Da ich mich ereiferte wider die, die es toll treiben,
Sehend die Wohlfahrt der Frevler:
Denn keine Beschwerden haben sie,
Gesund und feist ist ihr Wanst,
In irdischer Mühsal sind sie nicht,
Und gleich dem Menschen werden sie nicht betroffen^
Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck,
Gewalttat das Kleid, das sie einhüllt.
Es tritt aus dem Fette ihr Auge,
Es strömen über die Gebilde ihres Herzens.
Sie höhnen und führen schlechte Reden,
Bedrückung reden sie von oben herab,
Sie legen an den Himmel ihr Maul,
Während ihre Zunge auf der Erde sich breit macht,
^^ Darum haben sie Lobredner genug (?),
Und wird kein Makel an ihnen gefunden.^
Und sie sagen: wie sollte Gott wissen,
Und Wissen eignen dem Höchsten?
Siehe! so sind die Frevler,
Und die ewig Sorglosen wachsen an Macht.
^^Rein umsonst erhielt ich lauter mein Herz
Und wusch in Unschuld meine Hände,
Und ward immerfort geschlagen
Und Züchtigung ward mir allmor gentlich.
Wenn ich dachte: ich will demgemäß erzählen.
Die Generation meiner Söhne (?) ^
Und will trachten dies zu verstehen,
So schien dies mir Mühsal,
^'^Bis ich Eingang fand in die Geheimnisse Gottes,
Acht gab auf ihr Ende.
Nur auf Glatteis stellst du sie.
Lassest zu Ruinen sie hinfallen.
Psalm 7.^, 80. III
Wie werden nie im Nu zum Entsetzen,
Nehmen sie ein Ende mit Schrecken!
Gleich Träumen nach Erwachen sind sie.
Deren Gebild du im Wachsein verachtest.
Fürwahr, es ward mit Herbheit mein Herz erfüllt
Und ich ward gereizt in meinen Nieren,
Da ich ein unverstätidiger Dummkopf,
Ein Erzvieh '^ war in deinen Augen.
^^Bin ich doch beständig bei dir,
Hältst du doch meine Rechte,
Leitest mich in deinem Rate
Und nimmst mich schließlich in Ehren zu dir.
'^^Wen habe ich im Himmel [außer dir]?
Und neben (?) dir habe ich kein Gefallen auf Erden.
^^ Schwindet mein Fleisch und mein Herz,
So bleibt Jaho mein Teil auf ewig.
Ja siehe! die dir Fernen gehen zugrunde.
Du vertilgst jeden, der von dir weghurt.
Aber mir ist wohl in Jahos Nähe,
Ich habe im Herrn meine Zuflucht.
a) Die Übersetzung von V. 10 ist ganz unsicher, b) Noch unüber-
setzbar, c) Das nämliche Wort bezeichnet auch das Rhinozeros.
Psalm 80.
Gebet zu Jaho, seinem Volke Israel in schwerer feind-
licher Bedrängnis zu helfen.
Hirte Israels, horche!
Der du Joseph leitest wie Kleinvieh,
Auf Kerubim thronest, strahle auf
Vor Ephraim her und Manasse,
Erwecke deine Kraft
Und komm uns zu Hilfe!
*Jaho Zebaoth, bring uns wieder zurecht
Und blicke freundlich, daß wir errettet werden!
112 Ausgewählte Psalmen.
'^Jaho Zehaoth, wie lange
Rauchst du trotz Gebets deines Volkes?
Du speistest uns mit Tränenbrot
Und tränkiest uns kannenweise mit Tränen,
Machtest uns zum Kopfschütteln unsern Nachbarn,
Und unsere Feinde spotten unser.
^Jaho Zebaoth, bring uns wieder zurecht
Und blicke freundlich, daß wir errettet werden!
Einen Weinstock rissest du los aus Ägypten,
Vertriebest Völker und pflanztest ihn,
Du schufest Bahn für seine Wurzeln
Und er wurzelte ein und füllte die Erde,
Berge wurden bedeckt von seinem Schatten
Und von seinen Ästen die Zedern Gottes.
Jaho Zebaoth, bring uns wieder zurecht
Und blicke freundlich, daß wir errettet werden!^
Er entsandte seine Zweige zum Meer^
Und zum Euphrat seine Schößlinge ^ —
Warum rissest du ein seine Mauern,
Daß ihn berupften alle Vorbeigehenden,
Ihn abfraß das Schwein aus dem Walde
Und das Getier des Feldes ihn abweidete?
^^Jaho Zebaoth, bring uns wieder zurecht
Und blicke freundlich, daß wir errettet werden! »^
Schaue vom Himmel und siehe
Und hege, was gepflanzt deine Rechte.
Die ihn mit Feuer verbrannten, wegkehrten,
Mögen zugrunde gehen vor dem Dräuen deines Blickes!
Es ruhe deine Hand auf dem Mann deiner Rechten
Und auf dem Sohn, den du dir auf erzogen (?)!
Jaho Zebaoth, bring uns wieder zurecht
Und blicke freundlich, daß wir errettet werden!
a) Kehrvers fehlt hier, während er in V. 15 nur angedeutet ist.
b) Siehe hierfür Teil I, S. 37 ff.
Psalin 80, 82J II ^
Psalm 82.
Wider eine ungerechte Richterbehörde, Jaho selbst in
den Mund gelegt.
Jaho steht da in göttlicher'^ Versammlung,
Inmitten von Göttern'^ zu richten:
,,Wie lange werdet ihr ungerecht richten
Und die Partei der Frevler nehmen?
Schaffet Recht dem Niedrigen und der Waise,
Elenden und Armen sprechet frei!
Laßt entrinnen Niedrigen und Dürftigen.
Aus der Hand der Frevler befreit ihn!"
Sie haben kein Wissen und keine Einsicht,
In Finsternis wandeln sie,
Demzufolge kommen ins Wanken
Alle Grundvesten des Landes.
^Ich dachte: Götter wärt ihr
Und Höchstensöhne^ allzumal,
Indes gleich einem Menschen werdet ihr sterben,
Und wie irgendeiner der Großen hinfallen s
Zusatz V. 8: Auf! Jaho, richte die Erde, denn du bist Eigentümer
aller Völker.
a) Sarkastisch, b) ..Höchstensöhne" = Gottessöhne = Götter, bildlich
von Richtern, die sich göttliche Würde und Autorität anmaßen. Beachte
Joh IG 33«-: ,, Antworteten Jesu die Juden: wir steinigen dich wegen
Lästening und weil du, der du ein Mensch bist, dich zu Gott machst.
Antwortete ihnen J esus : Steht nicht geschrieben in eurem Gesetz (gemeint
ist Ps 82 ^) : Ich habe gesagt : Götter seid ihr ? Wenn er jene Götter nannte,
an welche das Wort Gottes kam — und die Schrift darf nicht gelöst
werden — , könnt ihr zu dem, den der Vater geheiligt und in die Welt
gesandt hat, sagen: du lästerst, weil ich gesagt habe, ich bin Gottes
Sohn?" Also auch Jesus woUte seine Selbstbezeichnung als , .Gottes-
sohn" bildlich aufgefaßt sehen, c) Gleich vielen andern Psalmen
(11, X2, 13, 58 usw.) zeigt dieser Psalm, daß auch im nachexilischen
Juda die nämhchen an Anarchie grenzenden Zustände herrschten wie
in den vorexilischen israehtischen ,, Reichen".
Delitzsch, Die grosse Täuschnng. II 8
IIA Ausgewählte Psalmen.
Psalm 90 (V. I — 12).
Pessimistische Betrachtimg über das rasche Vergehen
der menschUchen Generationen wie des einzelnen Menschen
als eine Folge des furchtbaren Zornes des ewigen Gottes
ob der menschlichen Sündhaftigkeit.
Herr! eine Veste bist du
Uns gewesen in Geschlecht und Geschlecht.
Ehe die Berge geboren wurden
Und hervorgebracht ward die Erde, bist du Gott.
Du bringst den Sterblichen zur Strecke
Und sprichst: Kehrt zurück, Menschenkinder !
Denn tausend Jahre erscheinen dir
Wie ein gestriger Tag und eine Nachtwache.
Du säest (?) sie jahraus, jahrein,
Sie sind wie nachwachsend Gras,
Am Morgen blüht es und wächst.
Am Abend wird es abgekuppt und verdorret.
'Ja, alle unsere Tage schwanden in deinem Grimm,
Wir endeten unsere Jahre wie einen Gedanken.^
^Du stelltest unsere Missetaten vor dich.
Unsere verborgenen Fehler in die Beleuchtung deines
A ngesichts.
^^Die Zahl unserer Jahre sind siebzig Jahre,
Und wenn's gar groß ist, achtzig Jahre,
Und ungewöhnlich lang, sind sie Mühsal für nichts.
Denn eilends geht's vorüber, sind wir verflogen.
Wer ermisset die Stärke deines Zorns,
Und wer wird inne (?) die Wucht (?) deines Grimms?
^2 Unsere Tage zu zählen — solches laß erkennen,
Daß wir davontragen ein Herz der Weisheit.^
a) Obige Übersetzung ist der Wortlaut von V. 9, vielleicht einer
Var. zu V. 7: Ja, wir nahmen ein Ende durch deinen Zorn und wurden
verstört durch deinen Grimm, b) Sehr zu Unrecht ist mit diesem
pessimistischen Psahn das kleine Lied V. 13 — 17 verbunden worden,
welches ganz andern Seelenstimmungen Ausdruck verleiht. Es lautet:
,, Wende dich wieder zu, Jaho, ach endlich 1 Und habe Mitleid mit
deinen Knechten ! Sättige uns ehestens mit deiner Güte, Daß wir jubeln
Psalm 90, 96. 115
(Var. fröhlich seien) während all unserer Tage. Erfreue uns gleich den
Tagen, da du uns niederdrücktest. Den Jahren, da wir Unglück erlebten.
Es werde offenbar deinen Knechten dein Tun, Und deine Herrüchkeit
ihren Kindern, Und die Huld Jahos ruhe auf uns. Und gib Bestand dem
Werk unserer Hände!"
Psalm 96.
Im Siegesjubel : Jaho, der Gott Israels, König über alle
Götter und Völker.
(= I ehr i623-33^ vyie Ps 105 »-i» = i Chr 168-22.)
Singet Jaho ein neues Lied,^
Singet Jaho, alle Erdbewohner !
Singet Jaho, preiset seinen Namen,
Verkündet von Tag zu Tag seine Hilfe/ ^
Erzählt unter den Völkern seine Majestät,
Unter allen Völkern seine Wundertaten/
Denn groß ist Jaho und sehr rühmenswert,
Zu fürchten ist er über allen Göttern.
Denn alle Götter der Völker sind Nichtse,
Während Jaho die Himmel geschaffen.*^
Glorie und Herrlichkeit sind vor ihm her,
Macht und Pracht in seinem Heiligtum.
Gebet Jaho, ihr Geschlechter der Völker,
Gebet Jaho Majestät und Macht,
Gebet Jaho die Majestät seines Namens,
Bringt ein Speiseopfer und kommt in seine Höfe,
Fallet nieder vor Jaho in heiligem Schmuck,
Zittert vor ihm, alle Erdbewohner/
^^Sagt unter den Völkern: Jaho ward König/
'^^Es freue sich der Himmel und frohlocke die Erde,*^
Es jauchze das Feld und alles was auf ihm,
Auch alle Bäume des Waldes mögen jubelnd
^^Jaho begrüßen, da er gekommen zu richten
Den Erdkreis mit Recht und die Völker mit seiner Wahrhaftigkeit.
a) Vgl. Jes 421°. b) Durch Verleihung des Sieges, c) Eine naive
Begründung, wenn man bedenkt, daß Propheten und Psalmisten
(siehe Babel und Bibel I) Marduks Schöpfungstat auf Jaho übertragen
haben, d) Die Verse 10 und 11, zum Teil auch 13, sind mit Zitaten atis
Ps 93I 98 '-9 überladen.
Delitzsch, Die rosse Täuschung. II 8*
II 6 Ausgewählte Psalmen.
Psalm 100.
Aufruf an alle Erdbewohner zu Jahos Lobpreis und Ver-
ehrung ob der seinem Volke erwiesenen Güte und Treue.
(Vgl. Pss 67, 117.)
Jauchzet Jaho, alle Erdbewohner ,
Dienet Jaho mit Fröhlichkeit,
Kommet vor ihn mit Jubel!
Erkennet, daß Jaho Gott ist:
Er hat uns gemacht und sein sind wir ,
Sein Volk und das Kleinvieh seiner Weide.
Kommt in seine Tore mit Loben,
In seine Höfe mit Rühmen,
Lobet ihn, preiset seinen Namen!
Denn freundlich ist Jaho,
Denn ewig währt seine Güte
Und auf Geschlecht und Geschlecht seine Treue.
Psalm 103.
IvObpreis Jahos als des Gnädigen und Gerechten.^
Preise, meine Seele, Jaho,
Und alles, was in mir ist, seinen heiligen Namen!
Preise, meine Seele, Jaho,
Und vergiß nicht alle seine Wohltaten:
Der alle deine Missetat vergibt.
Der alle deine Gebrechen heilet.
Der dein Leben vom Verderben erlöst,
Der dich umgibt mit Güte und Barmherzigkeit.
Der dich mit Gutem, so viel du bedarfst (?), sättigt.
Daß sich adlergleich deine Jugend erneuert.
Gerechtigkeit tut Jaho
Und Recht allen Bedrückten.
''Er ließ Mose seine Wege wissen.
Die Kinder Israel seine Taten.
^Barmherzig und gnädig ist Jaho,
Langmütig und groß an Güte.
Psalm iO(i, loj. 117
Er wird nicht dauernd hadern
Und nicht ewiglich grollen.
Nicht nach unser n Sündin tut er
Und nicht nach unsern Missetaten vergilt er,
Sondern so hoch der Himmel über der Erde,
Ist hoch seine Güte über die, die ihn fürchten.
So fern der Osten ist vom Westen,
Läßt er fern von uns sein unsere Frevel.^
Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt,
Erbarmt sich Jaho über die, die ihn fürchten,
Denn er kennt unser Gebilde,
Ist eingedenk, daß wir Staub sind.
^^Der Mensch — gleich dem Gras ist seine Lebenszeit,
Gleich der Blume des Feldes, so blüht er.
^*'Wenn der Wind an sie streift, so ist sie nicht mehr,'^
Und nicht erkennt sie m,ehr ihre Stätte.^
Abel" die Güte Jahos ruht auf denen, die ihn fürchten,
Und seine Gerechtigkeit auf Kindeskinder,
Die auf die Stimme seines Wortes hören ^
Und seiner Vorschriften gedenken, sie zu tun.
Jaho — im Himmel ist sein Thron,
Und sein Königtum herrscht über alles.
-"Preiset Jaho, seine Engel,
Ihr starken Helden, die ihr sein Wort tut!
Preiset Jaho, alle seine Heerscharen,
Seine Dinner, die ihr seinen Willen tut!
"Preiset Jaho, alle seine Geschöpfe
An allen Orten seiner Herrschaft!
Liturgischer Zusatz V. 22c : Preise, meine Seele, Jaho!
a) Trotz seiner aramäischen Wortformen und seiner Zitate aus
Deuterojesaia und lob trägt der Psalm die Überschrift : ,, Von David",
b) Und deren Bestrafung. Widerspruch zu Ps 90. c) Grundstelle zu
V. 15, 16^ ist Jes 40«. d) Zitat aus lob 7" („sie" Akt., „ihre Stätte"
Nom.). e) Bessere Var. als: „die bewahren seinen Bund".
Il8 Ausgewählte Psalmen.
Psalm HO (V. i — 4).
Orakelspnich an Simon, den Makkabäer, als den Hohen-
priester und Führer seines Volks.
Spruch Jahos an meinen Herrn:
^ Setze dich zu meiner Rechten,
Bis daß ich mache deine Feinde
Zum Schemel deinen Füßen.
"^Deinen Siegesstab wird ausstrecken
Jaho aus Zion:
[Wohlan!] herrsche
Inmitten deiner Feinde!
^Dein Volk ist ganz Freiwilligkeit
An deinem Heertag.
In heiligem Schmuck aus dem Schöße des Morgenrots
Perlt der Tau deiner jungen Mannschaft.
* Geschworen hat Jaho .^. ,
Und wird's nicht bereuen:
Du bist Priester für ewig
Nach der Weise Melchizedeks.
Diese vier Verse, deren Anfangsbuchstaben den Namen Simon er-
geben, bilden eine zusammengehörige Einheit, während die anschließen-
den Verse 5 — 7 ein anderes Orakel aus ebenjener Zeit enthalten. Für
den Gebrauch, den Jesus von diesem David zugeschriebenen Psalm
machte, siehe oben S. 68. Als Spruch Jahos an den Messias ist der
Psalm auch gefaßt Acta 2^^, Hebr i", i Kor 1520 ff. — Zum histo-
rischen Verständnis des Psalms siehe i Makk 1431-47.
Psalm 117.
Aufruf an alle Völker zu Jahos Lobpreis ob der seinem
Volke erwiesenen Güte und Treue.
(Vgl. VSS67, ;IOo.)
Halleluja!
Rühmet Jaho, alle Völker,
Lobpreiset ihn, alle Nationen,
^Denn mächtig ist über uns seine Güte
Und die Treue Jahos währet ewiglich.
Halleluja!
Zum. Inhalt des Psalms siehe bereits Teil I, 8. 73.
Psaliu HO, 117, 118. IIC^
Psalm 118.
Festliturgie bei der Rückkehr des jüdischen Heeres von
einem siegreichen Feldzuge.
(Chorfülirer und Chor beim Aufbruch des Festzugs.)
Lohet Jaho, denn er ist freundlich —
Fürwahr, ewig währt seine Güte;
Spreche doch Israel —
Fürwahr, ewig währt seine Güte;
Spreche doch das Haus Aarons —
Fürwahr, ewig währt seine Güte;
Mögen doch sprechen die Jaho Fürchtenden —
Fürwahr, ewig währt seine Güte.
(Während des Festzugs: V. 5 — 18.)
^Aus der Drangsal rief ich Jah,
Es erhörte mich Jah mit weitem Plan. —
Ist Jaho für mich, fürchte ich mich nicht,
Was könnte mir tun ein Mensch? —
Ist Jaho unter meinen Helfern,
So werde ich meine Lust sehen an meinen Hassern. —
Besser Zuflucht zu suchen hei Jaho
Als zu vertrauen auf Menschen;
Besser Zuflucht zu suchen hei Jaho
Als zu trauen auf Vornehme. —
(V. 10 — 12: Gesänge der im Festzug mitziehenden Soldaten.)
^"Alle Völker hatten mich umringt —
In Jahos Namen fürwahr werd' ich sie kuppen.'^ —
^^Sie hatten mich umringt, ja umringt —
In Jahos Namen fürwahr werd' ich sie kuppen. —
''■^Sie hatten mich umringt gleich Bienenschwärmen —
Wurden ausgelöscht wie ein Dornenfeuer.^ —
"^^ An gestoßen hattest du mich zu fallen,
Aher Jaho hat mir geholfen. - —
Meine Stärke und mein Lohgesang ist Jah,
Und er ward mir zur Hilfe.'^ —
Lauter Sieges juhel erschallt
In den Zelten der Gerechten. —
120 Ausgewählte Psalmen.
Die Rechte Jahos wirket Sieg,
Die Rechte Jahos erhöht. —
Ich werde nicht sterben, sondern leben,
Und erzählen die Taten Jahs. —
^^Gezüchtigt hat mich Jaho,
Aber dem Tode nicht preisgegeben.
(Bei der Ankunft vor dem Tempel: Festzug, eine Priesterstimme.)
öffnet mir die Tore der Gerechtigkeit,
Daß ich durch sie einziehe, Jah lobe.
Dies ist das Tor, Jaho geweiht —
Die Gerechten ziehen dadurch ein.
(Beim Einzug: Wechselgesang zwischen Festzug und Priester?)
Ich lobe dich, daß du mich erhört hast
Und mir wurdest zur Hilfe.'^
^'^Der Stein, den die Bauleute verworfen,
Ist zum obersten Eckstein geworden.
^^Von Seiten Jahos ist dieses geschehen,
Es ist wunderbar in unsern Augen. ^
Dies ist der Tag, den Jaho gemacht —
Laßt uns frohlocken und seiner uns freuen!
Ach, Jaho, hilf doch!
Ach, Jaho, laß doch gelingen!
(Segensgruß der Priester und Antwort des Festzugs.)
Gesegnet sei, der kommt im Namen Jahos!
Wir segnen euch aus dem Hause Jahos.
Gott ist Jaho und freundlich blickte er auf uns.
(Aufforderung der Priester zum Opfer.)
2' Bindet das Festopfer mit Stricken
Bis an die Hörner des Altars!^
(Zum und nach dem Opfer.)
Mein Gott bist du, ich lobe dich,
Mein Gott, ich erhöhe dich.
^^Lobet Jaho, denn er ist freundlich.
Fürwahr ewig währt seine Güte.
Psalm 118, 121, 124. 121
a) Burschikoser Soldatenausdruck für köpfen, um einen Kopf kürzer
machen, b) Vur. : wie 10'', 11''. c) Gemeint ist die Hilfe durch Ver-
leihung des Siegs, d) Der Wortsinn ist nach dem klaren Zusammenhang,
daß das verachtete jüdische Volk infolge der Makkabäersiege plötzlich
eine hervorragende Stellung in der Völkerwelt gewonnen hat. J esus selbst
(Matth 41 *2; Mark 12 '« '■; Luk 20I') bezieht die von (IJ zum Teil falsch
übersetzte Stelle auf den Sohn und Erben Gottes, den Messias. Ebenso
Tetrus (Acta 4"). Vgl. i Petri 2<-.'. e) Siehe oben S. 45 f.
Psalm 121.
Jaho Israels Helfer und Hüter.
Ein PilgerUed.
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen —
Woher kommt mir Hilfe?
Meine Hilfe kommt von Jaho,
Dem Schöpfer von Himmel und Erde.
Er wird nicht wanken lassen deinen Fuß,
Nicht schlummert dein Hüter,
Siehe! nicht schlummert und nicht schläft
Der Hüter Israels.
Jaho ist dein Hüter, dein Schatten
Über deiner rechten Hand,
Daß bei Tag die Sonne dich nicht verletze
Noch der Mond in der Nacht. [
Jaho wird dich behüten vor allem Unglück,
Wird behüten dein Leben,
Wird behüten deinen Ausgang und Eingang
Von nun an bis in Ewigkeit.
Psalm 124.
Jaho Israels Helfer wider das Wüten der Menschen.
Ein Pilgerlied.
Wäre nicht Jaho für uns gewesen —
Sage doch Israel — ,
Wäre nicht Jaho für uns gewesen,
Wenn die Menschen wider uns aufstunden.
122 Ausgewählte Psalmen.
^Dann hätten lebendig sie uns verschlungen.
Da ihr Zorn entbrannte,
^Dann wären dahingegangen über unser Leben
Die überschäumenden Wasser.^
Gepriesen sei Jaho, der uns nicht gemacht hat
Zum Raub ihren Zähnen!
Unser Leben ist gleich einem Vogel entronnen
Der Falle der Vogler —
Die Falle ist zerbrochen
Und wir sind entronnen!
Unsere Hilfe ist der Name Jahos,
Des Schöpfers von Himmel und Erde.
a) V. 4 enthält zwei kommentierende Notizen zu V. 5.
Psalm 127.
Aller Segen kommt von Jaho, die höchste Segnung aber
sind Söhne.
Ein Pilgerlied.
Wenn Jaho nicht das Haus bauet,
Arbeiten die Bauleute umsonst.
Wenn Jaho nicht die Stadt hütet,
Wachet der Hüter umsonst.
Umsonst ist's, daß ihr frühzeitg aufsteht,
Spät euch niedersetzt,^
Mühseliges Brot esset —
Das Wahre schenkt er seinem Geliebten.
Siehe, das Erbteil von Jaho sind Söhne,
Seine Belohnung Leibesfrucht.
Gleich Pfeilen in eines Helden Hand,
So sind Söhne der Jugendzeit.
Selig der Mann, der gefüllt hat
Seinen Köcher mit ihnen!
Er wird nicht zuschanden, wenn er redet
Mit den Feinden im Tor ^.
a) Var. : spät schlafen geht, b) Der Gerichtsstätte — hübsches Bild
damaliger Rechtspflege.
Psalm 124, 127, 131. 123
Psalm 131.
Selbstbekenntnis zu Demut und Gleichmut.
Ivin Pilgcrlicd.
Jaho! nicht ist hoff artig mein Herz
Und nicht hochfahrend meine Augen,
Und nicht ergehe ich mich in Dingen zu groß
Und außergewöhnlich für mich.
Nein, wahrlich/ ich ebene
Und beschwichtige meine Seele,
Gleich einem Entwöhnten bei seiner Mutter,
Gleich dem Entwöhnten ist meine Seele.
Liturgischer Zusatz V. 3: Harre, Israel, auf Jaho von nun an bis in
Kwigkeit I
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