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//
Die
Grnndzflge meiner Lehren
über
Cholera und Typhus
von
Franz X. von ^etl,
Geh. Rath und Leibarzt Sr. Majestät des Königs Ludwig IL,
Professor und Oberarzt der L medicinischen Klinik und Abtheilung im
städtischen Krankenhause 1. d. J. etc. etc.
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MÜNCHEN
Jos* Aiit. Finsterlin'sefae Bnekkandlnnsr
187 5.
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Akademische Buchdruckerei von F. Straub.
/Vieine Forschungen und Arbeiten über Cholera
und Typhus, welche sich unter fortwährendem Ver-
gleichen und Prüfen durch Jahrzehende hinziehen,
führten mich zu Sätzen, die immer bleiben werden.
Diese sind nun in der Allgemeinen Zeitung zur Ver-
breitung in die Kreise der Laienwelt in möglichster
Kürze erschienen. Denn bestimmte Kenntnisse über
Volkskrankheiten — wie Cholera und Typhus es im
eminenten Grade sind — sollen unter Hinweisung auf
die Mittel und Wege zum Schutze gegen dieselben
die weiteste Verbreitung finden.
Diese Sätze, welche die Grundzüge meiner Lehren
über die zwei Seuchen enthalten, sind in dieser Schrift
unter einigen Zusätzen wieder aufgelegt.
München, den 30. Juli 1875.
1140:53
1*
\VV
lieber die Cholera.
I. Asiatische Cholera.
Im Jahr 1831 — der ersten Einschleppung der Cholera
nach Deutschland — hatte die bayerische Regierung Aerzte
zur Beobachtung der Cholera in die preussischen und die
österreichischen Staaten ausgeschickt. In dieses Jahr fällt
die erste Reihe meiner Beobachtungen, welche ich in Ber-
lin, Breslau, Ratibor, Troppau, Olmütz, Brunn, Wien ge-
macht habe. Im Jahr 1832 ward ich der Kreisregierung
zu Regensburg wegen drohenden Einfalles der Cholera
von Böhmen her zugetheilt. In dieses Jahr fällt die zweite
Reihe meiner Forschungen in den Epidemien zu Chotie-
mirz und Mies in Böhmen. In den Jahrgängen 1836/37,
1854/55 und 1873/74 — den drei Epidemien in München
— war ich im grossen städtischen Krankenbause 1. d. J.
thätig, und in diese Jahre fallt die dritte Reihe meiner
Arbeiten über die Cholera. Sechs Berichte, welche im
Staatsministerium des Innern deponirt sind, und fünf Druck-
schriften enthalten meine sämmtlichen Beobachtungen und
Arbeiten über die Seuche. ^)
Im Jahr 1831 kam ich in preussisch und in öster-
reichisch Schlesien — wo kurz vor meiner Ankunft die
Flüsse ausgetreten waren — zu dem Resultat: dass doch
der Mensch das Gift verschleppe, und dessen Verbreitung
durch Feuchtigkeit des Bodens, Unreinlichkeit und Fäul-
1 ) Gedrängte Uebcrsicbt meiner Beobachtungen über die Cholera vom
Jahre 1831 bis 1873 von Franz X. v. Gictl. Die Erp^ebnisse meiner Be-
obachtungen über die Cholera vom Jahre 1831 -—1874 in ätiologischer und
praktischer Beziehung von Franz X. v. Gietl etc. München, Christ.
Kaiser, 1874.
- 6 —
niss begünstigt und unterstützt werde '). Die kleine leicht
zu überschauende Epidemie in Chotiemirz brachte mir über
manche Punkte Ueberzeugung , und war mir vielfach be-
stimmend in den Beobachtungen späterer Epidemien *).
Chotiemirz, ein Dorf von 258 Einwohnern in Böhmen,
liegt in einem sumpfigen Thal und ist von der Südseite
von zwei Teichen eingeschlossen. Ein verheiratheter Mann
dieses Dorfes hielt sich im Rakowitzer Kreis auf, wo die
Cholera herrschte, und wurde wegen Betteins nach Chotie-
mirz zurückgebracht. Auf der Rückreise ward er von
Diarrhoe befallen, ohne dass sich daraus eine höhere Cho-
leraform entwickelte oder er sich besonders krank fühlte.
Dieser Mann Hess nun seine verunreinigte Wäsche, weil
sie sein eigenes Weib nicht waschen wollte, in einem an-
dern Hause von einer armen Frau (Sibylla Kormann)
waschen, welche die Wäsche in ihrer Stube trocknete.
Zwei oder drei Tage darauf erkrankte am 10. Mai 1832
der Mann (Sebastian Kormann) dieser Frau nach 3 — 4 mal
vorhergegangener Diarrhöe an sehr intensiver Cholera und
starb nach 18 Stunden. Am 12. Mai erkrankte in dem
Hause des Sebastian Kormann eine Frau, Anna Koch-
mann, und in dem Nachbarhaus eine Weberfrau, und zu-
gleich, entfernt von diesen beiden Häusern, ein 7 5 jähriges
Weib. Am 13. Mai wurden die SibyUa Kormann, welche
die Wäsche des obenerwähnten Bettlers gewaschen hatte,
und der Mann der Anna Kochmann von der Cholera be^
fallen. So überfiel sie nun Haus für Haus, und hielt sich
vorzüglich in jenen Häusern fest, welche zunächst den
Teichen liegen. Im Ganzen erkrankten 26 Bewohner dieses
Dorfes.
Diese Epidemie gibt nun Beweise bis zur Evidenz,
dass an den Ausleerungen das Gift haftet, sich dasselbe
ausserordentlich rasch verfielfaltigt und mit Diarrhöe Be-
haftete, welche sich gar nicht krank fühlen, Epidemien
veranlassen können. Von Epidemie zu Epidemie habe ich
immer die Beobachtungen der vorhergegangenen controlirt
und geprüft, und bin allmählich zu folgenden Sätzen gelangt :
Es gibt viele Schädlichkeiten und Gifte, welche Cho-
1) IIL Bericht über die Cholera -Epidemie in Breslau, den 28. Nov.
1831. IV. Bericht aas den Beobachtungen über die Cholera in Schlesien,
Mähren und Wien, den 22. Dec. 1831.
2) y. Bericht über die Cholera-Epidemie zu Chotiemirz im Klattaner
Kreis in Böhmen, Contumaz zu Höll bei Waldmünchen, den 5. Mai 1832.
— 7 —
lera- Anfalle veranlassen, aber das Choleragift steht an der
Spitze dieser Schädlichkeiten und besitzt diese Kraft im
eminentesten Grade mit der Eigenschaft, sich in grossem
Masse zu vervielfältigen. Es gibt keine Differentialdiagnose
der Cholera - Anfälle nach den Ursachen, und die giftige
— asiatische — Cholera kann erst diagnosticirt werden,
wenn mehrere Fälle in immer kürzeren Zeiträumen auf-
einanderfolgen. Ist das Gift in den Körper gerathen , so
entzieht es demselben auf der Magen - Darmschleimhaut
grosse Quantitäten von Gewebswasser, verlangsamt den
Säftestrom und Blutkreislauf und hemmt schliesslich die-
selben, aus welchen physiologischen Störungen alle die
furchtbaren Erscheinungen und das rasche Hinsterben sich
sattsam erklären lassen. Der Träger des Choleragiftes ist
ein Staub (organischer Natur), wofür es die schlagendsten
Beweise gibt^), welcher wohl desswegen mit allen Mitteln
noch nicht erkannt wurde, weil dieser Giftträger, gleich
einem jeden andern Staube, durch seine Form das Gift so
wenig erkennen lässt, als das Mikroskop und die Chemie
den Pocken-, Rotz- und syphilitischen Eiter etc. von
dem nicht giftigen sogenannten guten Eiter unterscheiden
können.
Der Leib und die Leiche des Cholerakranken , wenn
sie rein gehalten sind, geben keine Veranlassung zur An-
steckung ; daher kommt es, dass doch im Allgemeinen die
Zahl der Erkrankungen im ärztlichen und im Wärter-Per-
sonal gering ist. Die diarrhöischen Stühle aber bergen
das Gift, dessen Träger noch mannigfache Metarmophosen
bis zu einer zur Verbreitung befähigten Gestaltung durch-
zumachen hat. Dieser Giftkörper kann sich seiner Be-
schaffenheit nach überall niederschlagen und an allen Ge-
genständen festsetzen. Das Choleragift besitzt ein zähes
Leben und behält seine Wirksamkeit und Kraft Monate
lang. Bisher ist es nicht gelungen, Gegenstände und Dinge
herauszufinden, auf welche sich das Gift mit besonderer
Vorliebe niederlässt und daran festhält. Es bleibt überall
da haften, wo ein so feiner Körper wie Staub hingerathen
kann. Gewiss ist es, dass der Mensch nicht cholera ver-
giftet sein kann, wenn er das Gift nicht verschluckt hat;
daher vorzüglich Speisen , weniger Getränke , weil sie in
mehr geschlossenen Gefässen aufbewährt werden, eine so
1) Die Ergebnisse meiner Beobachtungen über die Cholera Seite 12
und 19.
— 8 —
grosse Rolle bei der Verbreitung des Giftes übernehmen.
Das Wasser gibt nur Veranlassung zu Choleraanfällen,
wenn Gift in dasselbe gekommen ist.
In überwiegender Mehrzahl der Fälle treten die stür-
mischen Erscheinungen 3 — 5 Stunden nach eingenommener
Mahlzeit ein. Uebrigens weisen doch meine Nachforsch-
ungen und Beobachtungen auf Speisen hin, welche eine
Bevorzugung für das Festhalten und Gedeihen des Giftes
zu haben scheinen. Alle Zubereitungen aus fetten Fleisch-
sorten, aus Eingeweiden und namentlich alle Artikel aus
Charcuterien — als Blut- und Leberwürste, die verschie-
denen Sorten geräucherter Würste, Presssack, Leber-
käs etc. , welche ohnehin fast immer von Schimmel und
Pilzen durchzogen sind, gehören dahin. Die eigenthüm-
liche und häufig räthselhafte Zerstreuung, dann das blitz-
ähnliche Auftauchen einzelner ausser allem Verkehr ge-
standenen Fälle finden ihre Erklärung nur darin , dass
ihnen das Gift durch Speisen zugetragen wurde. Ich be-
gegnete Bäckern und Köchinnen in Kaffeehäusern, welche
mit Choleradiarrhöen behaftet noch mehrere Tage das
Kneten des Teiges und das Zubereiten von Speisen bis
zum Ausbrucl^ heftigster Anfalle fortsetzten, wobei man
jsich des Gedankens nicht entschlagen kann, ob nicht auf
diesem Wege Gift in Brod und Speisen kam. Daher ge-
wiss Gasthöfe und Kaffeehäuser, vorzüglich aber Charcu-
terien, kleine Wirths- und Kaffeehäuser, wo fortwährend
ein lebhafter Menschenverkehr stattfindet und in solchen
Häusern auch Cholerafälle vorkamen, eine grosse Anzahl
von Choleravergiftungen liefern.
Die strenge Ordnung und Aufsicht über die Soldaten
der Garnison München haben die Cholera-Erkrankungen
auf eine sehr massige Zahl beschränkt. Aber unzweifel-
haft haben viele der zerstreuten Fälle aus der Garnison
ihre Infectionen aus den Wirthshäusern geholt. Die Nach-
forschungen und Untersuchungen über die Wohnungen,
namentlich die Schlafzimmer, führen zu denselben Ergeb-
nissen wie beim enterischen Typhus. *) Kleine, dumpfe,
dunkle Schlafzimmer neben Abtritten und Versitzgruben
geben die grösste Zahl bei den Zusammenstellungen über
die Wohnungen, insonderlich die Schlafzimmer der von
Diarrhöen und den höheren Choleraformen Befallenen.
2) Die Ursachen des enterischen Typhus in München von Franz X.
Gietl. Leipzig 1875 S. 98 u. s. f.
- 9 —
Aus dert Zusammenstellungen aller Umstände und
Verhältnisse, unter welchen kurz vor dem Anfall die Er-
krankten sich befanden , ergaben sich folgende Zahlen :
ein Drittheil kommt auf die oben genannten Speisen, das
zweite Drittheil auf dunkle dumpfe Schlafzimmer neben
Abtritten, Versitzgruben etc., und auf Häuser, in welchen
Cholerakranke waren oder noch sind, das dritte und klei-
nere Drittheil konnte keine Verhältnisse angeben, welche
der Aufnahme des Giftes günstig gewesen wären. Dabei
ist zu bemerken , dass viele den höheren Choleraformen
Verfallenen unter dem Druck der Krankheit keine oder
nur unsichere Angaben machen konnten, welche nicht zu
verwerthen waren. Bei den Choleradiarrhöen aber fällt
eine noch grössere Zahl auf den Genuss der oben er-
wähnten Speisen.*) Durch Speisen und in Schlafzimmern
geschieht die weit überwiegende Zahl der Infectionen.
Dass unter solchen Verhältnissen nicht noch mehr
Menschen vergiftet werden, mag ^^ohl in den vielen Um-
wegen und Zufälligkeiten liegen, welche zur Einführung
des Giftes in den Magen nothwendig sind.
Hat das Gift nun einmal einen Ort eingenommen, so
bleibt es Monate lang daselbst haften, wozu dann wieder
Zufälligkeiten gehören, bis es in den Magen des einen
oder andern Inwohners geräth. Das Choleragift findet im
allgemeinen sein Gedeihen überall da, wo Unreinlichkeit
und Fäulniss ist, wo alle die niedersten der Beobachtung
sich entziehenden Organismen in kolossaler Menge ihre
Entstehung und Entwicklung haben. Daher das Gift in
jenen Bevölkerungsschichten in so überwiegender Zahl
1) Als Beispiel und Coranicntar mag dienen: im Monat Decembor 1873
wurden 167 ('holerakranke auf nioinor .Äbtheilung behandelt, wovon 36
asphyktisdie Fälle, 35 Cholerinen und 96 Cholcradiarrhöen waren. Von
dieser Gesammtzabl wurden 79 nach dem (ienusse folgender Speisen von
der Cholera befallen: Frankfurter Blutwurst, Leberwurst, Milzwurst, Zungen-
wurst, Schwartenraagcn , Leberkäs,, geräucherte Würste, roher Schinken,
fetter Schweinsbraten, geröstete und sogenannte saure Leber, eingemachte
Lunge, eingemachtes Gekröse, Käse, übriggebliebene Speisen in Wirths-
häuscrn; 45 hatten ungesunde Schlafstätten: diese waren dunkel, mit
kleinen Fenstern oder ohne Fenster, neben Aborten oder über Versitzgruben,
Ueberfüllung kleiner Zimmer mit hiwohnern , oder sie kamen von Cholera-
Herden; 10 gaben Verkältung an, 3 wurden im Krankenhause, nachdem sie
schon längere Zeit mit andern Kranklieiten behaftet daselbst gelegen, von
der Cholera inficirt; eine Kranke nahm ein Abführmittel (Salzburger Tliee,
dessen Bestandtheil grösstentheils Sennablätter sind) ; zwei wurden bewusst-
los ins Krankenhaus gebracht, und 27 wussten keine Einflüsse anzugeben,
welche die Aufnahme des Giftes begünstigt hätten.
— 10 —
seine Verwüstungen anrichtet, welche sich den die Fäul-
niss befördernden Einflüssen nicht entziehen können ; wäh-
rend es im Verhältniss zu jenen in sehr wenigen und nur
einzelnen Fällen in die höheren Schichten hinaufreicht.
Fäulniss und faulende Stoffe könnefn durch sich allein
alle Formen der Cholera — bis zum asphyktischen An-
fall — veranlassen, aber ohne Fortpflanzungs- und Ver-
vielfältigTingsvermögen. Witterungs- und Temperaturver-
hältnisse haben keinen merkbaren Einfluss auf die Ver-
breitung dieses Giftes; aber Elementar-Ereignisse, wie
Ueberschwemmungen, welche Fäulniss und Elend als Be-
gleiter haben, geben dem Gifte Gedeihen und Verbreitung.
Vielleicht vermögen Winde und Stürme dem Giftstaube
grössere Verbreitung zu geben, worüber aber keine
sichern Beobachtungen existiren. Ebenso sind die Jahres-
zeiten ohne besonderen Einfluss auf den Verlauf der Epi-
demie. Denn die Zunahme und das Exacerbiren derselben
im Spätherbst und Winter liegt zum grössten Theil in der
Zuwanderung von Arbeitern in die Städte, in dem Zu-
sammendrängen der Einwohner in enge Räume beim Ein-
tritt der Kälte und in dem Mangel an Reinlichkeit unter
solchen Verhältnissen; daher auch im Winter die Epide-
mien in Städten bei dem für das Gift so gedeihlichen
Boden nicht zu Ende gehen wollen.
Dysenterie und Cholera sind Geschwister und Kinder
heisser Länder — der Tropen; sie entstehen nun da aus
uns unbekannten Factoren, deren Keim im Menschen sich
vervielfältigt und durch deti Menschen überallhin verbreitet
wird. Cholerafalle mit dysenterischen Stühlen habe ich
in allen Epidemien beobachtet.
Das Choleragift kann sich daher nie und nimmermehr
autochthon entwickeln , und wird immer durch den Ver-
kehr — den Menschen und die Gegenstände, welche mit
Cholerakranken in Berührung waren — importirt und
weiter verschleppt.
Wenn nun einmal das Gift den Menschen verlassen
hat, so ist er nicht mehr zur weitern Verbreitung noth-
wendig, indem diese durch Tausende von Gegenständen
geschieht; daher auch Gesunde das Gift verschleppen
können.
Das Gift hat Intensitätsgrade, indem dasselbe einfache
gefärbte Diarrhöen, Gewebswasserstühle (Reiswasserstühle)
ohne weitere Ausschreitungen, Cholerinen und endlich
Cholera- Anfalle , die in wenigen Stunden tödten , veran-
— 11 —
lasst. Diese Stufen liegen in den Intensitätsgraden des
Giftes und in jedem Falle in viel geringerem Grad in der
Disposition und Individualität als man gewohnlich annimmt.
Denn man kann täglich in grossen Spitälern sehen, wenn
in einem Saale gleichzeitig mehrere Infectionen geschehen,
wie die Kräftigsten von schnell tödtender Cholera befallen
werden , und diesen gegenüber Schwächliche und schon
Sieche mit leichten Anfällen durchkommen
Das Choleragift verhält sich' zur Disposition wie etwa
der Arsenik zu derselben; man wird vom Arsenik mehr
oder weniger vergiftet nach der Stärke des Giftes und der
Gabe, in welcher es in den Magen kommt.
Die geringen Cholera-Infectionen , als Diarrhöen und
Cholerinen, machten nach Zusammenstellungen auf meiner
Abtheilung — in den Jahren 1854/55 und 1873/74 — et-
was mehr als zwei Drittheile gegenüber den schweren
Fällen aus. Allerdings ist eine genaue Statistik nicht
möglich, weil eine Differentialdiagnose der gewöhnlichen
Diarrhöen und einheimischen Choleraanfälle von den giftigen
nicht besteht. ^)
Uebrigens ist es eine durch massenhafte Thatsachen
erhärtete Wahrheit, dass die Diarrhöen die Verschlepper
und Zerstreuer des Giftes sind , und die asphyktischen
Fälle erst heraufkommen, wenn schon lange durch Diar-
rhöekranke und die verschiedensten Gegenstände das Gift
in Städten und Ortschaften verbreitet ist. Man kann diess
in Hospitälern, Casernen und überhaupt stark bevölkerten
Häusern sehen, wie lange vorher Diarrhöen den asphyk-
tischen Fällen vorhergehen.
In Häusern, in welchen Cholerakranke lagen oder
liegen, kommen viele Diarrhöen vor.
1) Beeilt anschaulich wird dieser Satz gemacht durch die sorgfältige
Zusammenstellung der im kgl. Garnisons-Lazareth vom 8. August 1873 his
31. März 1874 behandelten epidemischen Diarrhöen und Cholera<ällo.
Jahr.
Monat.
Cholera.
Epidemische Diarrhöe.
1873
August
20
119
September
9
19
October
1
19
November
12
48
December
26
135
Januar
40
202
Februar
50
99
März
5
45
126
686
— 12 —
Gleichfalls macht man sehr häufig die Beobachtung,
dass in einem Hause mehrere Inwohner an Diarrhoe leiden
und schliesslich nur einer von diesen nach kurzer Diar-
rhöe einer asphyktischen Cholera verfällt, und dann keine
weiteren Cholerafälle mehr vorkommen.
Es ist durch viele Beobachtungen nachgewiesen, dass
ein Choleradiarrhöekranker, der weder ein besonderes Ver-
halten, noch viel weniger ärztliche Hülfe bedurfte, eine
Cholera-Epidemie veranlassen kann. (Chotiemirz.)
Die Annahme, als wenn die ganze Bevölkerung einer
Stadt oder eines Ortes an dem Gifte theilnehmen könnten,
was sich durch Unruhe , Beklommenheit , Kollern in den
Gedärmen kundgibt, und es nur eines äussern Anstosses
bedarf, um einem starken Ausbruch der Cholera zu ver-
fallen, ist eine chimärische Vorstellung.
Die Epidemie im Ganzen verläuft unter Ab- und Zu-
nahme — in Curven — macht aber nie vollständige Inter-
missionen, indem die Epidemie in diarrhöischen Formen
noch fortläuft und die scheinbaren Intermissionen sich nur
auf die asphyktischen Fälle beziehen.
In den Diarrhöen liegt der Schwerpunkt der Cholera-
Erkrankungen , sie sind der rothe Faden, welcher durch
die Epidemie zieht.
Die Cholera hat, wie alle die niedern Organismen,
eine gewisse Lebensdauer, indem sie ihre Vervielfältigungs-
kraft verliert, schwächer wird und abstirbt.
Jedoch die Dauer der Epidemie hat noch" einen zwei-
ten Factor in den Verhältnissen und Unterlagen, in denen
sie mehr oder weniger Nahrung für ihr Forleben findet.
Wiederholte Infectionen von Choleradiarrhöen, aber
nicht von höheren Choleraformen , habe ich beobachtet.
In jedem Falle scheint der einmal eholeradurchseuchte
Körper für die Wiederaufnahme des Giftes abgestumpft
zu werden.
Die voran stehenden aus Erfahrungen geschöpften
Sätze geben von selbst die Massregeln an die Hand, welche
als Prophylaxis und Schutz gegen die Seuche zu ergreifen
sind. Es ist hier nicht der Raum, in Einzelheiten einzu-
gehen, und es wäre auch überflüssig, indem die Prophy-
laxis in einer grossen Zahl von Schriften ') behandelt und
deren Kenntniss überallhin verbreitet ist. Aber doch sollen
hier einige Punkte berührt werden.
1) Die Cholera nach Beobachtungen auf der I. med. Klinik und
Abtheilung etc. von Franz X. v, Gietl, München 1855, pag. 43 u. s. f.
— 13 —
Quarantänen und Absperrungen , welche vielleicht in
den asiatischen, der Cholera heimathlichen Ländern, um
sie da festzuhalten, in Anwendung kommen könnten, sind
in Europa unmöglich, daher alle Massregeln dahin ge-
richtet sein müssen : der Seuche den Boden , auf dem sie
Nahrung und Gedeihen findet, zu entziehen. Bisher haben
sich fast alle Massregeln auf di^ aus cholerainficirten Län-
dern kommenden Personen concentrirt, während noch zu
wenig Aufmerksamkeit todten Gegenständen zugewendet
ist, durch welche gleichfalls das Choleragift verschleppt
und zerstreut wird. Daher sollen gebrauchte Wäsche,
Kleider, Möbel, Lumpen, dann alle Stoffe und Fabricate,
welche den Staub festhalten, als wollene Decken, fertige
wollene Kleider , aus inficirten Gegenden und Städten
einer Quarantäne von mehreren Wochen unter gehöriger
Desinfection unterzogen werden. Aber alle Esswaaren
aus Fleisch, alle Charcüterie-Artikel, als die verschiedenen
Sorten von Würsten, geräuchertes Fleisch, Fische und die
sogenannten Delicatessen , dann Speck, Butter, Schmalz,
sollen aus inficirten Gegenden nicht eingeführt werden.
Die asphyktischen Fälle zünden seltener, und das Gift
scheint mit dem Tode des Kranken zu erlöschen. Daher
in jedem Falle die Diarrhöen so viel und wohl noch mehr
Aufmerksamkeit verdienen, als die asphyktischen Fälle.
Die seit dem Jahr 1836 in München eingeführten Cholera-
stationen müssen auch Diarrhöestationen sein, in welchen
die Einrichtung getroffen ist, dass die daselbst dienst-
machenden Aerzte die Bevölkerung ihrer Bezirke über die
Diarrhöen belehren und überwachen, dass jede auch schein-
bar unbedeutende Diarrhöe zur Anzeige und Behandlung
komme. Denn wegen Mangels einer Differentialdiagnose
ist während der Epidemie jede Diarrhöe als ein Abkömm-
ling des Choleragiftes zu behandeln.
Die Desinfectionen der Aborte sind unerlässlich, aber
sie können nur erfolgreich sein, wenn die Gruben in kurzen
Zwischenzeiten geräumt werden, denn bei starker Massen-
anhäufung derselben wird die Desinfection illusorisch.
Aber diese Desinfectionen dürfen sich nicht nur auf die
Aborte beschränken , sondern haben sich auch auf alle
Fäulnissstätten der Häuser und namentlich auf die engen
geschlossenen Hofräume zu erstrecken , wenn der Nutzen
derselben ergiebig sein soll. Kleine Wirths- und Kost-
häuser, Wurstküchen, Charcuterien, Fleischbänke, Milch-
häuser, Milchläden und selbst die Kaffeehäuser müssen
— 14 —
der sorgsamsten Ueberwachung unterliegen, weil that-
sächlich aus diesen Häusern in grosser Zahl Infectionen
geholt werden. Kommen Cholerafalle und Diarrhoen in
solchen Häusern vor, so sind sie zu schliessen.
Nach Zusammenstellungen in den Jahren 1854 — 55
und 1873 — 74 liefern die weiblichen Dienstboten ein un-
gewöhnlich hohes Contingent von Cholera - Erkrankungen
mit grosser Sterblichkeit. In der Epidemie des Jahres
1873 — 74 wurden im städtischen Krankenhause 1. d. I.
673 Cholerakranke — davon 325 Männer und 348 Frauen
— behandelt, von welch letztern 233 weibliche Dienstboten
waren. Die Ursache dieses dustern Ereignisses liegt in
den dumpfen, ungesunden Schlafstätten, wie sie oben be-
schrieben worden, und zum Theil auch in der Nahrung
aus Speisen, wie sie ebenfalls oben bezeichnet sind. Es
scheint dieser giftige Staub in so dumpfen, dunkeln, wenig
ventilirten und feuchten Räumen insbesondere Gedeihen
zu finden, was er mit allen niedern Organismen theilt.
Mögen die hier aufgeführten Zahlen ein Mahnruf an die
Familien sein, ihren Dienstboten in der Zeit solcher Epi-
demien gesunde Schlafstätten und unverdächtige Nahrungs-
mittel zu geben.
Bei der Zähigkeit und Lebensdauer des Choleragiftes
können Wohnräume und Häuser, in welchen Cholerakranke
lagen und starben, nicht vor drei Monaten bezogen werden,
nachdem sie vorher ausgeschwefelt, die Wände abgekratzt
und frisch getüncht worden sind.
Einheimische Choiera.
Es gibt eine grosse Zahl von Schädlichkeiten und
Giften, welche choleraähnliche Zufälle selbst bis zur täu-
schendsten Aehnlichkeit veranlassen können. Aber die
fauligen Gifte verursachen Anfälle, welche der asiatischen
Cholera, sowohl in den Symptomen am Lebenden als in
dem Befunde der Leichen , völlig gleichkommen , indem
ihnen nur die Fähigkeit der Fortpflanzung fehlt.
Fäulige Stoffe, als verdorbenes in Fäulniss begriffenes
Fleisch, ranzige Fette, darunter vorzüglich die verschie-
denen Charcuterie- Artikel , Trinkwasser mit organischen
faulenden Stoffen, das Einathmen und Verschlucken fau-
liger Luft aus Fäulnissstätten machen Cholera-Anfälle.
Im Winter des Jahres 1872 war das Krankenhaus 1. d. J.
mit einer Zahl von Fieberkranken überfüllt, wie dasselbe
— 15 —
sie nie verpflegte. Meine Abtheilung hatte durchschnittlich
205 Kranke, von denen 140 — 150 mit Fieber behaftet und
wieder von diesen die grössere Zahl typhos und putrid
Inficirte waren. Unter 417 putriden Infectionen waren
17 Fälle, welche die Cholera in der ausgeprägtesten Art
hatten , und zwar mit bedeutendem Wasserverlust und
bei 14 mit Collaps, von denen 2 starben. Die Section der
beiden Leichen wies einen Magenkatarrh und alle Zeichen
vollständig nach, wie sie bei der asiatischen Cholera vor-
kommen.
Von diesen 17 Cholerakranken hatten 8 ihre Schlaf-
stätten neben Aborten ; wozu eine Kranke, — welche den
heftigsten Choleraanfall mit Collaps, Pulslosigkeit und
eine kaum zu stillende Diarrhoe durchmachte, — ihr
Schlaf- und Wohnzimmer zwischen Küche und Abort
hatte, dessen Fenster in einen geschlossenen Hof geht
und noch unter dem Fenster die Versitzgrube sich be-
findet ; und eine andere Kranke nicht nur ein Zimmer neben
dem Aborte bewohnte, sondern auch noch das Kanal-
wasser in die Küche geleitet wird. Fünf hatten schlechte
Schlafstätten, welche feucht, dunkel sind, und die Fenster
in enge schmutzige Hofräume gehen, von denen eklicher
Geruch in die kleinen Zimmer dringt, in welchen oft drei
bis vier Mägde und mehr schlafen. Zwei hatten Kranke
mit profusen Diarrhöen gewartet. Zwei gaben gute Schlaf-
zimmer an und konnten überhaupt nicht eine bestimmte
Ursache ihrer Erkrankung bezeichnen.
Das Vorkommen von Cholerafallen unter putriden
und typhosen Fiebern ist ein gewöhnliches und steht im
geraden Verhältniss zu der Zahl dieser Fieber. Die ein-
heimische Cholera ist eine stäte Begleiterin des Typhus
und geht aus Typhusherden hervor; daher sie auch eine
putride Erkrankung ist.
Demnach nähert sich die einheimische Cholera auch
in ihrer Ursache der asiatischen, indem letzterer das emi-
tenteste und furchtbarste putride Gift zu Grunde liegt,
welches aus den riesenhaften Fäulnissstätten Asiens heisser
Länder vorzugsweise Indiens Deltagebieten entstammt und
in den kolossalen Sümjpfen durch der Sonne glühende
Hitze erzeugt wird. Dieses Gift, mit Fortpflanzungsfähig-
keit begabt, gewinnt eine solche Selbstständigkeit, dass
es den Mutterboden verlassen und unter ihm günstigen
Verhältnissen, die alle in das Bereich der Fäuleiss gehören,
eine Zeit lang gedeihen und fortleben kann.
— 16 —
Weil es nun zwischen einheimischer und asiatischer
Cholera — weder in dem Lebenden noch Todten — eine
Differential-Diagnose nicht gibt, so kann, wie schon oben er-
wähnt, die asiatische Cholera nur nach ihrer Fortpflanzungs-
eigenschaft diagnosticirt werden, also nur dann, wenn
mehrere Cholerafalle in immer kürzeren Zwischenzeiten
auftreten. Dieser Punkt ist von der grössten Tragweite,
weil, voreilig und ohne diese Rücksicht diagnosticirt, über
Städte und Länder viel Unheil gebracht werden kann.
lieber den Typhus.
Thatsachen.
Meine vieljährigen Arbeiten und Forschungen über
den Typhus im städtischen Krankenhause 1. d. J. vom
Jahre 1838 — 1875, in welchem Zeitraum München seine
grössten Epidemien durchzumachen hatte, erstrecken sich
nun über ein Material von achttausend Fällen ; die daraus
gewonnenen Resultate sind hier in aller Kürze vorgetragen.
Der Mensch schafft sich selbst durch seine Lebens-
weise unbewusst Keime verderblicher Krankheiten, von
denen die durch Fäulniss veranlassten obenan stehen; er
steht immer mehr oder minder im Kampfe gegen die
Fäulniss, die ihn fortwährend tückisch zu beschleichen
droht. Bis zum Jahr 1839 war der Typhus in München,
sehr massig; er gewann aber Verbreitung mit der Zu-
nahme der Häuserzahl und der Bevölkerung. Allgemein
bestand die Anschauung, dass das Nerven- und Schleim-
fieber — jetzt Typhus genannt — sich aus jeder Krank-
heit entwickeln und mit jeder Fieberform verbinden könne;
so nun vermengte sich der Typhus undefinirt und unbe-
gränzt unter die Fieberformen aus den verschiedensten
Ursachen. Vom Jahr 1839—1842 zog sich eine Fieber-
epidemie unter geringen Curven hin, aus welchen bald
herauszufinden war, dass ein specifischer Giftstoff einem
grossen Theil dieser Fieber zu Grunde liegen müsse, und
ich richtete nun meine Forschungen nach den Ursachen
und Quellen dieses Infectionsfiebers. ')
1) Die Ursaclien des entcrischen Typhus in München von Franz X.
y. Gictl. Leipzig 1865. Verlag von Wilhelm Engelmann.
— 17 —
Das grosse städtische Krankenhaus 1. d. J. hat 500
Betten und verpflegt jährlich 9000 Kranke. In den Winter^
und Frühlingsmonaten der letzten Jahre ist das Haus voll-
ständig belegt gewesen, und nahezu zwei Drittheile der
Pfleglinge sind Fieberkranke, welche die Hälfte der Typhus-
kranken der Stadt — mit Ausschluss der Vorstädte —
einschliessen ; die andere Hälfte kommt auf die Privat-
pflege. Obgleich der Typhus in sehr massiger Zahl bis
zum Jahr 1838 im Krankenhause vertreten war, so ver-
fielen doch von Zeit zu Zeit die Assistenten dem Typhus ;
aber von diesem Jahr (1838) ab kamen keine Typhus-
erkrankungen unter den Assistenten mehr vor, nachdem
die Aborte und Versitzgruben umgebaut, für Wasser-
Closets gesorgt und gusseiserne emaillirte Schläuche durch
alle Stockwerke geführt und cementirte Senkgruben her-
gestellt worden sind. Vor allem hat die gewissenhafteste
bis ins Kleine gehende Reinlichkeit unter der segens-
reichen Wirksamkeit des Ordens der barmherzigen
Schwestern vom hl. Vincenz die Erkrankungen im Orden
selbst und in dem Krankenhause wohnenden Dienstper-
sonal auf eine höchst geringe Zahl herabgebracht. Solange
die Wäsche der Kranken unmittelbar von zwölf Mägden
gereinigt und besorgt wurde, verfielen alljährlich mehrere
von ihnen dem Typhus; mit dem Jahr 1851, der Einführung
einer Dampfvorrichtung zur Reinigung der Wäsche, welche
die Mägde nicht mehr unmittelbar mit ihr in Berührung
brachte, hörten diese typhösen Erkrankungen auf. In der
langen Reihe von Jahren, als ich ohne Unterbrechung
Dienste im Krankenhause machte, hat sich nie im Kranken-
hause ein Typhusherd angesetzt Die Uebertragung des
Typhus auf Nebenkranke ist im Ganzen gering und über-
steigt nicht die Zahl von 3 Proc. , obwohl es bei aller
Mühe unmöglich ist eine ganz genaue und richtige Zahl
der im Spital von Typhus angesteckten Nebenkranken
zu gewinnen. Denn in die bedeutende Zahl von Fieber-
kranken eines so grossen Spitals mengen sich manche im
Hospital geschöpfte Infectionen, die aber hinsichtlich ihrer
Quelle nicht immer , zu diagnosticiren sind. Die weit über-
wiegende Zahl der Befallenen waren solche die schon lange
mit acutem Rheumatismus, Entzündung verschiedener
Organe und sonstigen chronischen Krankheiten im Spital
lagen, das Bett nicht verlassen konnten und sich der Leib-
schüssel bedienen mussten, wobei die Vermuthung sich
gehend macht, dass die Leibschüsseln manche Infectionen
2
— 18 —
vermittelt haben mögen. Dagegen stehen die Erkrankun-
gen an Gastricismen , fieberlosen und fieberhaften Diarr-
höen, an Cholera- Anfallen in geradem Verhältniss zu der
Zahl der Fieberkranken, und haben bei ungewöhnlicher
Anhäufung von Fieberkranken in den Jahren 1871 — 1873
eine ausserordentliche Höhe erreicht , indem unter diesem
Einfluss die Typhuskranken selbst kein Gedeihen finden
konnten, wovon mehrere dem Brand der Zunge, des
Gaumens, der Augenlider und der Diphtherie verfielen.
Sehr augenfällig tritt diese Nosokomialinfection durch
folgendes Ereigniss hervor. Im December 1857 und
Januar und Februar 1858 wurden in zwei Reconvale-
scentensälen der Frauen Typhusreconvalescenten und am
Schlüsse des Typhus stehende Kranke, von denen mehrere
brandigen Decubitus und eine Kranke eine* jauchige Zer-
störung der Parotis hatten, mit anderen Kranken zusam-
mengelegt. Nach wenigen Tagen bekamen fast alle
Kranken profuse Diarrhöen, mehrere heftiges Erbrechen
und eine Kranke die ausgebildetste Cholera. Eine an-
dere Kranke hatte ein reines Geschwür an der Schläfe
in Folge eines weggeätzten Hautkrebses, welche ebenfalls
Diarrhöe und Erbrechen bekam und bei der sich das
Geschwür schwarzgrau (diphtheritisch) belegte. Auf mein
Ansuchen hatte Pettenkofer die Luft dieser zwei Säle
untersucht und mir folgende schriftliche Mittheilung ge-
macht: „Die Luft des Saales Nr. 53 enthielt in 10000
Theilen 6,7 Kohlensäure und des Saales Nr. 54 enthielt
in 10000 Theilen 6,6 Kohlensäure. Da nun dieser Kohlen-
säuregehalt noch nicht 1 pro mille beträgt, so kann man
die Luft nicht schlecht in Folge mangelnden Luftwechsels
nennen. Dieses Resultat widerlegt übrigens noch keines-
wegs das Vorhandensein eines Krankheitsstoffes in der
Luft oder im Saal überhaupt ; es sagt nur, dass die Quelle
der Krankheiten nicht im Mangel an Luftwechsel zu
suchen sei.** Die zwei Säle wurden nun evacuirt, durch
mehrere Tage die Fenster und Thüren offen gelassen und
Chlor und Schwefel in Anwendung gebracht. Nachdem
aber wieder Kranke in die Säle gebracht worden, ver-
fielen sie von neuem den vorerwähnten Zufallen. Die
Wände beider Säle wurden nun abgekrazt und getüncht,
womit diese Infectionen aufhörten.
Das Waschhaus des Krankenhauses liegt vom Mutter-
haus (Kloster) in geringer Entfernung. Das Waschhaus
hat ganz nahe einen zwanzig Fuss tiefen Brunnen, von
— lo-
dern das Wasser durch Druckwerk in einen unter dem
Dache des Waschhauses befindlichen Behälter gepumpt
wird. Auf der östlichen und nordlichen Seite des Wasch-
hauses befinden sich in einiger Entfernung fünf Versitz-
gTuben in continuirlicher Kette durch einen Canal ver-
bunden. Die Versitzgruben sammeln das Wasser, welches
zum Reinigen der Krankenwäsche und also auch der vielen
Typhuskranken, gebraucht wurden. Dieses Abwasser ge-
langt nun durch die Canäle in die Versitzgruben. Auf
solche Weise stagniren in den einzelnen Gruben die wenigen
flüssigen Bestandtheile des Abwassers. In der letzten
Grube, welche die meiste Flüssigkeit enthält und in die
auch noch das übrige abfliessende warme Wasser geleitet
wird, bleibt sämmtlicher Inhalt und versickert allmählig
in die umliegende Erde. In Mitte dieser Versitzgruben
liegt nun der Pumpbrunnen. Die fünf unter sich durch
einen Canal verbundenen Versitzgruben enthalten das durch
Schmutz und Excremente von Typhuskranken verunreinigte
Wasser, aber mit dem Unterschied, dass die Gruben, in
welche das Wasser zuerst fliesst , mehr die festen , die
andern die schlammigen und flockigen Stoff^e zurückhalten.
Der Inhalt dieser Gruben, mikroskopisch untersucht, zeigt
alle nur möglich denkbaren Formen von in Zersetzung
begriffenen Substanzen, wie sie eben der Wäsche einer so
grossen Zahl von schwer Erkrankten anklebt. Das Wasser
des Pumpbrunnens zeigt ganz dieselben Bestandtheile der
in Zersetzung und Fäulniss begriffenen Substanzen, aber
in grösserer Verdünnung. Die chemische Untersuchung
des Wassers des Pumpbrunnens wies einen bedeutenden
Gehalt von organischen Stoffen und salpetersauren Salzen
nach. Vom 17. bis 28. September 1860 nun geschah die
Reinigung der Canäle der Stadt, während welcher die
Wasserleitungen sistiren. Spital und Klosterküche wurden
mit Wasser aus Pumpbrunnen im Klosterhofe versehen,
während das Wasser zum Reinigen und zu Bädern aus
dem oben beschriebenen, in Mitte der Versitzgruben liegen-
den, Pumpbrunnen ins Kloster und ins Spital geleitet
wurde. Ungeachtet des Verbots, von diesem Wasser zu
trinken, haben doch mehrere Mitglieder des Ordens ein-
gestandenermassen zwischen dem 17. und 28. September
davon getrunken.
Vom 19. September bis 4. October erkrankten in
rascher Folge 33 Mitglieder des Ordens, meist aber No-
vizinnen. Davon hatten 1 1 schwere und 9 leichte Typhen
2*
— 20 —
und fieberhafte Darmkatarrhe, 6 Erbrechen und Diarrhöen
ohne Fieber. Anfangs October gingen noch 7 Novizinnen,
welche auf das Trinken des erwähnten Wassers sich un-
wohl fühlten, in ihre Heimath. Von diesen 7 starb eine
nach 19 Tagen, und zwei lagen noch schwer darnieder.
Von den 26 im Mutterhaus Verbliebenen starben vier.
Es ist nun bis zur Evidenz erwiesen, dass die 33 Erkrank-
ungen in dem Genüsse des mit Fäcal- und fauligen Stoffen
gemischten Trinkwassers ihre Veranlassung hatten.
Vom Jahre 1839 ab ist der Typhus in München unter
oft bedeutenden Schwankungen und Remissionen stationär
geworden. Er hat sich allmählich über die ganze Stadt
ausgebreitet, und es wird keine Strasse sein, in der nicht
Typhuskranke vorkamen. Aber das Charakteristische seiner
Verbreitung ist das gruppenartige Auftreten ; wo ein
wahrer Typhusfall sich zeigt, waren mehrere oder werden
mehrere nachkommen. Das Verfolgen der Gruppen, die
in grössere und kleinere zerfallen, führte zu der Erkenntniss,
dass ihnen Localursachen zu Grunde liegen.
Aus der Aufzeichnung und Besichtigung der Wohn-
ungen der in meine Abtheilung zugehenden Typhuskranken
durch eine lange Reihe von Jahren ist ersichtlich, dass
mehrere Strassen, kleinere Gruppen von Häusern, dann
selbst einzelne Häuser zu verschiedenen Zeiten Typhusfälle
in geringerer oder grösserer Zahl liefern. Nun aber er-
eignet es sich auch, dass der Typhus einen Theil seiner
früheren Stationen verlässt und frische aufsucht ; ein ander-
mal haftet er fest in einzelnen Strassen und Häusern, aus
welchen dann das ganze Jahr in verschiedenen Zwischen-
zeiten Typhuställe kommen. Demnach gibt es stehende
und wandelnde Typhusherde.
Im Jahre 1852 hatte fast jedes Haus in der Schwan-
thaler-Strasse Typhuskranke, in einem Hause kamen in
kurzer Zeit die schwersten Typhusfalle vor ; in den folgen-
den Jahren war der Typhus aus dieser Strasse verschwunden.
Im Jahre 1853 war in der Schillerstrasse ein bedeutender
Typhusherd. In einem Haus dieser Strasse erkrankte
innerhalb weniger Tage eine Familie von acht Personen,
von welchen zwei starben und die übrigen sechs die bös-
artigsten Formen durchmachten. Die folgenden Jahre war
der Typhus aus dieser Strasse verschwunden. In einem
Haus der Amalienstrasse kamen in einem Zeitraum von
zehn Jahren 14 Erkrankungen an Typhus vor. Die Be-
fallenen waren Studierende der Universität, bewohnten in
— 21 —
diesem Haus der Reihenfolge nach dieselben Etagen und
meist dasselbe Zimmer, und es erlagen zwei von ihnen der
Krankheit. Die königliche Residenz mit ihren hohen und
weiten Räumen, welche immer 80 bis 85 Inwohner hat,
war mit Aborten und Canälen verwahrlosten Zustandes
versehen. Alljährlich kamen ein bis zwei Typhen vor,
denen Diarrhöen und gastrische Fieber vorangiengen oder
nachfolgten, und immer waren dieselben Abtheilungen und
Wohnungen der königlichen Residenz getroffen. In einer
dieser Wohnungen war eine Familie von acht Personen,
welche im Januar des Jahres 1856 nach mehrtägigem Thau-
wetter in Folge heftiger Ausdünstung vom Aborte her an
Diarrhöe und Erbrechen erkrankten ; die Bonne der Kinder
bekam den Typhus und wurde ins Spital gebracht, und
ihre Stellvertreterin verfiel schon am dritten Tag ihres
Aufenthaltes in dieser Wohnung einem Fieber mit Erbrechen
und Diarrhöe. Als nun die Aborte und Canäle gründlich
hergestellt, umgebaut und in den besten Stand gebracht
wurden und darin erhalten werden, sind seit mehr als fünf
Jahren Typhus und putride Erkrankungen verschwunden.
Nur kam in einer Wohnung, dessen Abort vorübergehend
in Unordnung gerathen war, vor etwa zwei Jahren eine
einfache putride Infection mit Fieber vor.
In einer weiten Strasse bildet ein sehr hohes Haus
mit grossen und schönen Räumen und immer von wohl-
habenden Familien bewohnt, mit zwei andern gleich hohen
Häusern ein Dreieck , welches einen gemeinschaftlichen
Hofraum hat. In diesem hohen Haus kamen immer Diarr-
höen und Typhen vor, und wegen des zeitweisen Auf-
tretens fauligen Geruches wurden Verbesserungen der
Aborte vorgenommen, aber ohne besondern Erfolg, die
putriden Erkrankungen hörten nicht ganz auf. Nun ward
zu einer gründlichen Abänderung der Cloake, der Versitz-
grube, der Abortrohre vorgegangen ; bei Vornahme dieser
Reparaturen fand sich eine Versitzgrube, deren Existenz
Niemand ahnte und welche wenigstens vierzehn Jahre nicht
mehr geleert und gesäubert worden war. Nach gründlich
und energisch durchgeführten Arbeiten sind nun in diesem
grossen Haus, dessen Einwohnerzahl sechzig beträgt, die
typhösen und putriden Erkrankungen seit fünf Jahren
verschwunden.
Wies, nicht weit von Steingaden mid eine Stunde
vom Trauchgebirge, 2662 Fuss über der Meeresfläche, hat
fünf Wohnhäu$er mit f^lsig^m Untergrund, kp^tbar^ Trink-
— 22. ~
wasser und die gesündeste Lage weit umher. Die Aerzte
wissen nicht, dass da einmal der Typhus eingeschleppt
worden sei. Ende Juni 1856 kam nun ein beurlaubter
Soldat aus der Garnison München in seine Heimath Wies.
Am vierten Tage nach seiner Ankunft entwickelte sich
bei ihm ein heftiger Typhus, von dem er nach acht
Wochen genas. Sein Bruder, der ihn pflegte, erkrankte
vierzehn Tage darauf an Typhus von nicht sehr intensivem
Verlaufe. Der dritte Bruder, ein stets gesunder, kräftiger
Bursche, Holzarbeiter im Gebirge, kam nach Hause, um
seinen kranken Bruder zu besuchen. Einige Zeit nach
diesem Besuche verfiel er dem heftigsten Typhus, dem er
am 21. Tage erlag. Im August erkrankten derWirth und
die Wirthin an Typhus. Im benachbarten Haus erkrankte
eine alte Frau an Typhus und genas. Erst im November
1856 erlosch der Typhus in diesen Häusern. Von den
fünf Wohnhäusern zu Wies blieb imr ein Haus verschont,
das von zwei alten Leuten, die in grosster Abgeschieden-
heit lebten, bewohnt war. In das Haus, in dem der be-
urlaubte Soldat mit seinen Brüdern lag, kam ein gesundes
Mädchen von 17 Jahren zum Besuche. Bald darauf er-
krankte sie in ihrem väterlichen Hause, das eine halbe
Stunde von Wies entfernt und isolirt steht, an Typhus
und starb am vierten Tage der Krankheit. Dieses Mäd-
chen wurde von ihrer Freundin, einem 18jährigen Mädchen
aus einem benachbarten Dorfe, besucht. Bald nach diesem
Besuche erkrankte sie und darauf ihr Bruder. Während
des in Wies herrschenden Typhus wurden in der dortigen
sehr besuchten Wallfahrtskirche Baulichkeiten vorgenom-
men, bei welchen mehrere Arbeiter beschäftigt waren.
Wegen zu grosser Entfernung ihrer Wohnhäuser über-
nachteten sie auf den dortigen Heuböden. Ein Maurer
aus dem benachbarten Trauchgau schlief in dem Hause
des beurlaubten Soldaten, erkrankte sehr bald in seiner
Heimath und erlag schon am zehnten Tage dem Typhus.
Während der Erkrankung dieses Maurers verfielen in den
benachbarten Häusern vier junge Leute dem Typhus. Von
da wurde von diesen Arbeitern noch in drei nahegelegene
Ortschaften der Typhus verschleppt, in welchen eine ziem-
liche Anzahl Personen erkrankte und mehrere starben.
Ein Soldat lag vier Wochen an Typhus im Militär-
krankenhause zu München und wurde am 31. Decbr. 1869
von da in seine Heimath Pfelling, Bezirksamts Bogen,
entlassen. Sogleich ward er daselbst wieder bettlägerig
— 23 —
und starb an Perforation des Darmes. Darauf erkrankten
mehrere Bewohner des Hauses, in welchem der Soldat
starb, darunter drei Schulkinder. Von da nun wurde der
Typhus in die Nachbarhäuser und selbst in die zunächst
gelegenen Ortschaften verschleppt.
Dr, Alb. Haug, welcher auf meiner Klinik und Ab-
theilung sich auf das einlässigste mit dem Studium des
Typhus beschäftigte, ^) theilte mir schon vor mehreren
Jahren äusserst merkwürdige und werthvolle Beobachtungen
über den Typhus mit. Im Dorfe Riedheim bei Günzburg
a.D. wohnt eine Bauemfamilie Gerstibauer, zu zehn Köpfen,
die beiden Eltern und acht Kinder. Zwei Schwestern
dienten in Ulm und die dritte in einem Hause des Ortes,
so dass die Eltern und die fünf Kinder zusammenwohnten.
Im Dorfe Riedheim gab es durch lange Zeit keine Typhus-
kranken. Im Jahr 1864 und Anfangs 1865 kam in der
Familie Gerstibauer eine Reihe von Typhuserkrankungen
vor. Am 14. Februar 1864 kam die Tochter Christine von
Ulm, wo es Typhusherde gibt, in das väterliche Haus mit
Typhus, der mild verlief. Sie lag im gemeinschaftlichen
sehr geräumigen Wohnzimmer und wurde nur von ihrer
Schwester Margaretha gepflegt, welche bei ihr im Zimmer
schlief und die diarrhöischen Ausleerungen auf den vor
dem Hause befindlichen Düngerhaufen brachte. Am 9. März
kehrte Christine gesund nach Ulm zurück. An diesem
Tage wurde der oben erwähnte Düngerhaufen abgeführt,
und beim Aufladen waren die Töchter Margaretha, Ka-
tharina, Ursula und die Mutter, dann der Sohn Christian
beschäftigt. Nicht beschäftigt waren dabei der Vater und
die jüngste Tochter. Sämmtliche beim Aufladen des
Düngers beschäftigte Personen verfielen später dem Typhus,
die beim Aufladen nicht Beschäftigten , Vater und die
jüngste Tochter, erkrankten nicht. Zuerst erkrankte am
Typhus Margaretha, welche die Christine gepflegt hatte,
und starb am 28. März. Christine kam gleich am 14. März
bei der Erkrankung der Margaretha von Ulm zurück zur
Pflege derselben und der später erkrankten Geschwister,
welche sie allein besorgte. Die Schwestern Katharina und
Ursula schliefen sieben Nächte im Zimmer der Margaretha.
1) BeobacbtangöD aus der medicinischen Klinik und Abtheilung des
Professors v. Gietl im allgemeinen Krankenhause zu München mit einer
BtatisÜschen üebersicht des Jahres 1856/57 zusammengestellt von Dr. Alb
Haag, früher Assistenzart. München 1800. Diese Schrift enthält meine
Lehren über die Ursachen, Pathologie und Therapie des Typhus.
— 24 —
Am 18. März erkrankten Katharina und die Mutter an
heftigem Typhus und berstanden ihn. Am 24. März ver-
fiel Ursula dem Typhus, und genas. Am I.April wurde
der Sohn Christian von Kopfschmerzen, Erbrechen und
vergrösserter Milz befallen, welche Erscheinungen bis zum
10. April anhielten und dann verschwanden. Die Aus-
leerungen der letzterwähnten fünf Kranken wurden in den
vor dem Hause befindlichen Düngerhaufen an einer Stelle
tief vergraben. Der Düngfer ward im Verlaufe des Sommers
drei- bis viermal abgeführt. Bei dieser Arbeit halfen die
nämlichen Personen, als sie nach überstandener Kränkelt
wieder arbeiten konnten, die am 9. März dabei beschäftigt
waren. Nur der Vater und die jüngste Tochter waren
wieder wie am 9. März dabei nicht beschäftigt. Neun
Monate nach den Erkrankungen auf das erste Abfahren
des Düngerhaufens wurde er am 19. Dezember wieder ab-
geführt, wobei hauptsächlich der Vater und der Sohn
Christian, der schon nach dem ersten Wegführen des
Düngers einige Tage gastrisch erkrankt war, Hand an-
legten. Die Düngerstätte ward ganz entleert, und der
Vater erzählt; dass er dem Sohne Christian, aus der Stelle,
wo die Entleerungen vergraben waren, den Dunger zu-
schob zum Aufladen auf den Wagen. Christian erkrankte
noch desselben Abends an anginosen Erscheinungen mit
bald darauffolgendem Typhus, dem er am 18. Januar 1865
erlag. —
Von dieser Familie waren somit sechs an Typhus er-
krankt, wovon zwei starben. Die beiden Töchter, von
denen eine in Ulm, die andere in Riedheim im Dienste
waren, kamen gar nicht in das elterliche Haus. Nur der
Vater und die jüngste Tochter, obgleich sie im Hause
wohnten, erkrankten nicht. In dieser Hausepidemie sind
folgende Thatsachen von Erheblichkeit. Der Typhus wurde
von Ulm her in das Gerstlbauer'sche Haus eingeschleppt.
Nach dem ersten Abfahren des Düngerhaufens am 9. März
erfolgten die Erkrankungen in folgender Reihe: Marga-
retha am 14. März, Katharina und die Mutter am 18. März
und Ursula am 22. März am Typhus, Christian am 1. April
an gastrischen Erscheinungen. Nach dem dreimaligen
Abfahren des Düngers im Sommer kamen keine Erkrank-
ungen vor; die Arbeit wurde von jenen besorgt, die den
Typhus durchgemacht hatten. Bei dem völligen Weg-
bringen des Düngerhaufens am 19. December ward Chri-
stian inficirt und erlag dem Typhus. Margaretha pflegte
— 25 —
ausschliesslich ihre Schwester Christine. Katharina und
Ursula schliefen in dem Zimmer der kranken Margaretha
durch mehrere Nächte, ohne sich an der Wartung der
Kranken zu -betheiligen. Die Mutter und der Sohn
Christian kamen in keine Berührung mit dem kranken
Mädchen, Margaretha, die alleinige Pflegerin der Christine,
wird wahrscheinlich schon in der Krankenpflege die In-
fection geholt haben.
Bei Katharina und Ursula bleibt es unentschieden,
ob die Infection in den Nächten, welche sie in dem Zimmer
der Margaretha zubrachten , oder beim Aufladen des
Düngers am 9. März geschah. Bei der Mutter jedoch
fallt dieser Zweifel weg und die Infection geschah durch
den Düngerhaufen. Neun Monate hatten die Typhus-
erkrankungen im Gerstlbauer'schen Haus ausgesetzt, als
Christian bei dem Abräumen der Düngerstätten eine In-
fection erlitt, der er nach einigen Wochen erlag. Bei
Christian sind gar keine Nebenumstände , welche nur im
entferntesten die Infection durch den Düngerhaufen, in
dem Typhusstühle vergraben waren, zweifelhaft machen
können. Diese Beobachtung beweist auch die lange Dauer
der Keimfähigkeit des Typhusgiftes und, wie es scheint,
auch ein weiteres Aufschliessen desselben durch den
Gährungs- und Fäulnissprocess in Düngerhaufen.*)
Von früheren Assisten meiner Klinik und Abtheilung
erhielt ich die werthvoUsten Mittheilungen über den Typhus
während des deutsch - französischen Krieges der Jahre
1870 und 1871. Namentlich hat Dr. Joseph Hauber, der
schon auf meiner Klinik eingehende Studien und Arbeiten
über das Fieber machte, aus Antony vom 29. Oct. 1870
mir einen vortrefflichen Bericht zugeschickt; in welchem
auseinandergesetzt und dargethan is£, wie unter dem engen
Zusammensein sonst ganz gesunder Menschen, die unter
der eisernen Macht des Krieges in Mitte ihrer Abfalle bei
Mangel aller Pflege und Reinlichkeit des Körpers, leben
mussten, sich von dem einfachen Magen - Darmkatarrh
durch alle Stufen der Zersetzungen und Zerstörungen der
Flüssigkeiten und Weichtheile des Körpers der Typhus
in allen seinen grässlichen Formen herausbildete, und
selbst unter den Symptomen-Gruppen der ausgebildetsten
Cholera ablief. Die Wirkung fauligen Giftstoffes war
hier in grossartigem Stil zu sehen, und Dr. Hauber fand
1) Die Ursachen des enterischen Typhus in München etc S. 86 u. s. f.
— 26 —
alle die Beobachtungen und Sätze, die er in meiner Klinik
machte und horte, im reichlichsten Mass erfüllt und
bestätigt.
Die Strafanstalt Kaisheim, nur für Männer bestimmt,
hatte im Jahr 1859/60 1085 Sträflinge zu verpflegen. In
sechs Jahren herrschten ohne Unterbrechung acute Er-
krankungen des Nahrungskanals, als : Darmkatarrhe, Dy-
senterie und Typhus , und die Gesammtsumme der Er-
krankungen in diesem Zeitraum war 7141. Die Senk-
gruben der Anstalt werden im Juli oder Augxist geräumt,
und der Dünger dieser grossen Anzahl Büsser unmittelbar
und unvermischt auf die neu cultivirten Felder des könig-
lichen Gestüts Neuhof gebracht. Die Strafanstalt Eais-
heim hat von dem konigl. Gestüt 70 Morgen Gründe zum
landwirthschaftlichen Betrieb durch ihre Büsser gepachtet.
Diese Gründe gehen in einer Linie von 4030 Fuss längs
der Weideplätze der Fohlen, und wurden mit Menschen-
dünger aus den Gruben der Strafanstalt überdeckt, wo er
sechs bis acht Tage liegen blieb , bis er untergeackert
wurde. An dem Saume der also gedüngten Felder wei-
deten die ein- und zweijährigen Fohlen von dem Gestüt.
Vor dem Ausbruch der Seuche in dem Gestüt wurden im
weiten Umkreise der Ortschaften keine Krankheiten unter
den Thieren wahrgenommen. Im August 1859 begannen
die Erkrankungen unter den Pferden. Die ersten Er-
krankungsfälle trafen zwei Hengstfohlen mit tödtlichem
Ausgang; nun zogen sich diese Erkrankungen in verein-
zelten Fällen und bei einigen mit tödtlichem Ausgang bis
zum Herbst hin, als in kurzer Zeit rasch sechs Fohlen
fielen. Alle die jungen Pferde waren auf der oben er-
wähnten Weide. Die Seuche erstreckte sich nun auch
auf das Nebengestüt Bergstetten, eine kleine Stunde von
Neuhof entfernt und nur für eine Abtheilung des Gestütes,
vorzüglich für Zuchtstuten bestimmt. Vom August 1859
bis April 1863 • sind 106 Stück an der Typhusseuche ge-
fallen. Am 12. October 1861 wurde eine Commission aus
Thierärzten zusammengesetzt, zu welcher auch der ordi-
nirende Arzt von Kaisheim, Dr. Baur, eingeladen wurde.
Das schwerst erkrankte Pferd ward nun getödtet und
secirt : das Blut war sehr dunkel und theerartig ; Herz und
Lungen sind ohne Veränderung; die Leber ist blutreich
und weich; die Gekrösdrüsen sind sämmtlich geschwellt
und markig infiltrirt von der Grösse einer Bohne bis nahe
einer massigen Mannsfaust; diese Schwellung der Drüsen
— 27 —
ist in der Nähe des Blinddarmes am bedeutendsten, die
Schleimhaut des Dünndarmes ist geschwellt, gewulstet und
ekchymotisch. Dr. Baur erklärte nun schliesslich: dass
dieser Befund jenem in den Leichen typhuskranker
Menschen gleichkomme, bei mangelnder Schwellung und
Schorfbildung der Drüsen der Darmschleimhaut. Ich be-
gab mich nun nach den genannten Gestüten , und habe
die genauesten Untersuchungen nach jeder Richtung an-
gestellt und den Verlauf der Seuche unter den Pferden
weiter verfolgt, welche Forschungen mich zu der Ueber-
zeugfungr drängten , dass diese verheerende Typhusseuche
ihre Quelle in dem auf die Wiesen gebrachten Menschen-
dünger von der Strafanstalt Kaisheim hatte, welcher, wie
schon oben erwähnt, eine lange Strecke hin an dem
Rande des Weideplatzes der Fohlen ausgebreitet wurde.
Am 11. Juli ward zum wiederholtenmal eine commissionelle
Untersuchung, welcher auch der Armee-Oberveterinärarzt
GräfF und ich anwohnten, abgehalten. Nach genauer Be-
sichtigung der Stallungen und Felder wurden zwei kranke
Thiere getodtet und secirt, wobei das gleiche wie bei der
ersten Commission gefunden ward, indem die zweite Com-
mission nun ebenfalls die Ursache der Seuche in den von
Kaisheim her gedüngten Feldern erkannte. Diese lehr-
reiche Beobachtung und für Cavallerie und Gestüte so
wichtige Thatsache — putrider Vergiftung von Pferden
durch Menschendünger — wird durch folgendes Ereigniss
noch weiter erhärtet. In Lancjshut ist eine Station des
königl. Landgestüts, in welcher Hengste aufgestellt sind,
von denen in der zweiten Hälfte des Jahres 1865 mehrere
erkrankten und zwar einige mit tödtlichem Ausgang. In
der nächsten Nähe der Stallung dieser Pferde ist ein Graben
(Johannisgraben), welcher den Inhalt von Aborten aus der
Stadt und der Kaserne in sich aufnimmt und im Sommer
durch Gräser und Pflanzen so verengt wird, dass sein Ab-
fluss sehr schwach ist und eine sehr starke Ausdünstung
dadurch veranlesst wird. Das oberveterinärärztliche Gut-
achten bezeichnet nun auch die fauligen Emanationen dieses
Grabens als Ursache der Typhusseuche unter den Hengsten,
von denen 26 , unter denselben Erscheinungen wie im
Gestüt Neuhof, erkrankt und acht gefallen sind.
— 28 —
Schlussfolgerungen.
Aus meiner massenhaften Sammlung von aufgezeich-
neten Beobachtungen über den Typhus habe ich die vor-
stehenden Thatsachen ausgewählt, welche als Anhalts-
punkte und bildliche Belege für die hier aufgestellten
Sätze gelten sollen.
Der Typhus ist der Repräsentant der Fäulnisserkrank-
ungen und eine eminente Fieberkrankheit. Der enterische
oder abdominale Typhus ist eine specifisch-putride Ver-
giftungskrankheit , welche aus einer Kette von Krank-
heitserscheinungen besteht, die sich unter einander bedin-
gen, aber weder an Zahl noch Reihenfolge eine Regel-
mässigkeit einhalten; seine Lokal Wirkung ist ein Katarrh
des Nahrungsschlauches, die weitere und eigenthümliche,
d. i. specifische, Wirkung ist eine Schwellung des Drüsen-
apparats sowohl des Gekröses als der Schleimhaut des
Nahrungskanals mit gewöhnlich darauffolgender Schorf-
bildung und Verschwärung ; seine Endwirkung ist Morti-
fication aller Grade.
Der Typhus kann sich autochthon entwickeln, wozu
aber immer der Mensch mit seinen Abfallen nothwendig
ist. Wenn mehrere ganz gesunde Menschen in engen
wenig ventilirten Räumen, die wenig Licht haben und
feucht sind, zusammenleben, ihre Abfälle nicht entfernen
und Reinlichkeit und Pflege des Körpers nicht einhalten
können, entstehen Störungen im ganzen Nahrungscanal,
als Gastricismen\ Diarrhöen, Brechdurchfälle, schliesslich
die specifische Erkrankung des Darmdrüsen- Apparates und
Fieber (Typhus) mit seiner zersetzenden und destructiven
Wirkung auf die Flüssigkeiten und Weichtheile des Kör-
pers. Die Ausleerungen des Typhuskranken sind die
Träger des Giftes, deren weitere Zersetzung und Fäulniss
das Gift noch mehr aufschliessen und dessen Verbreitung
begünstigen. Die Keimfähigkeit des Giftes hat eine lange
Dauer. Durch massenhafte Beobachtung wird man zu
der Annahme gezwungen, dass der Träger des Giftes ein
Staub (organischer Natur) sei, welcher, einmal entstanden,
bei langer Lebensdauer die Fähigkeit besitzt, unter ihm
günstigen Verhältnissen sich weiter fortzuentwickeln. Fäul-
niss begünstigt sein Leben und Gedeihen ; in geschlossenen
— 29 —
dunkeln Räumen lebt dieser Giftträger lange fort , wäh-
rend er bei fortwährendem Luftwechsel und Sonnenstrahlen
nicht bestehen und gedeihen kann. Dieser Giftträger hat
sich noch nicht fixiren lassen, weil er — wie jeder andere
Staub — durch seine Form das Gift nicht erkennen lässt.
Seine Verbreitung geschieht wie bei der Dysenterie und
der giftigen Cholera. Er kann zufolge seiner Beschaffen-
heit überall hingetragen werden und haften bleiben. Man
weiss, dass durch Wasser und Milch — in welche Giff
gerathen ist — Typhus-Infectionen bewirkt werden, und
so geschieht es wohl auch durch Speisen. Das Gift muss
verschluckt und eingeathmet werden, wenn eine Infection
zu Stande kommen soll. Die allergrösste Zahl der Infec-
tionen geschieht in den Schlafräumen, die geringere Zahl
durch Getränke und Speisen^) und bei selbst nur vor-
übergehendem Aufenthalt an Typhusherden.
Das Verweilen an einem Typhusherde braucht näm-
lich nicht lange zu sein, um eine Infection hervorzurufen.
Ich habe viele Fälle aufgezeichnet , welche nach Arbeit
von kurzer Zeit an einem Typhusherd oder nach einem
einmaligen Uebei'nachten in einem Gast- oder Privathause
von Typhus befallen wurden. Wo Ausleerungsstoffe hin-
kommen, können Infectionen geschehen. . Der reingehaltene
Leib des Typhuskranken und dessen Leiche stecken
nicht an.
Der Typhus wird durch Typhuskranke , vorzüglich
durch jene die starke Diarrhöe haben und noch herum-
gehen und reisen können, sowie durch verschiedene Gegen-
stände, als facalbeschmutzte Wäsche und Kleider, Betten
und Lumpen, verschleppt. Die Fälle von vermeintlicher
Verschleppung; des Typhus durch Reconvalescenten und
schon langst vom Typhus Genesene gehören auch dahin,
indem nicht durch ihre Leiber, sondern durch ihre Kleider
und Wäsche das Gift eingeschleppt wird. Das Gift be-
sitzt offenbar Intensitätsgrade. Dasselbe erreicht in seiner
Wirkung nicht immer die specifische Veränderung des
Darmschleimhaut- und Gekrösdrüsen-Apparats , sondern
bleibt häufig bei niedern Affectionen stehen, als: Gastri-
cismen, fieberlose und fieberhafte Diarrhöen und Cholera-
l) In einer starkbevölkerten Strasse, aus der zerstreut immer Typbus-
falle kommen, ist ein Wirthshaus mit einer Küche neben zwei Aborten^
aus welchem Wirthshaus viele unbemittelte Leute ihr Mittagessen holen.
Dabei 4cann man sich des Gedankens nicht entschlagcn : ob nicht auf die-
sem Wege der Tjphus Verbreitung findet.
- 30 —
Anfalle des ausgebildet sten Grades.*) Das gewöhnliche
Vorkommniss ist, dass in einem Hause die Inwohner
innerhalb weniger Tage Gastricismen, fieberlose und fieber-
hafte Diarrhöen und nur einer oder zwei ausgeprägten
Typhus bekommen. Immer fallt die grössere Zahl auf die
geringeren Affectionen. Diese Intensitätsgrade geben sich
auch bei ausgesprochenem Typhus kund, indem viele mit
s»^hr leichten Erscheinungen durchkommen, während an-
dere in zwei Tagen zu Grunde gehen, oft schon der Ein-
tritt der Krankheit beginnender Tod ist, und wieder an-
dere bei der sorgfaltigsten Pflege in der kürzesten Zeit
den ausgedehntesten brandigen Zerstörungen verfallen.
Der Typhus scheint das übertragene Gift erst zu erzeugen,
wenn er die specifische Erkrankung des Schleimhaut-
Drüsenapparats erreicht hat. Typhuskranke mit starken
Diarröhen und brandigen Zerstörungen vermitteln zunächst
die Infectionen ihrer Nebenkranken, wie man in Spitälern
immer zu beobachten Gelegenheit hat.
Bei den tausendfachen Berührungen der Menschen in
den Städten und den Hunderten von Wegen, aufweichen
das Gift in diesen verschleppt wird, ist es unmöglich, die
einzelnen Infectionen aufzufinden, während sie auf dem
Lande gewöhnlich von Fall zu Fall zu verfolgen sind.
Daher kommt es, dass die Aerzte in den Städten die An-
steckungsfähigkeit des Typhus läugnen, die Aerzte auf
dem Lande aber sie anerkennen.
Das Typhusgift führt, wie bei Dysenterie und Cho-
lera, wenn es den Körper verlassen hat, ein selbständiges
Leben, das aber wieder in seiner Existenz und seinem
Fortleben von vielen Localverhältnissen abhängig ist —
dadurch zieht sich über die Ansteckungsfahigkeit und Ver-
breitung des Typhus ein Dunkel, welches nun die Quelle
der verschiedensten Anschauungen und Hypothesen ist.
Der enterische Typhus gibt seine Verwandtschaft und
Geschwisterschaft mit dem Flecktyphus , ausser seinem
fast gleichen Verlaufe, auch noch durch das häufige Vor-
kommen von Roseola-Flecken kund; des letztern An-
steckungsfähigkeit und Verbreitung ist aber eine offene
und deutliche, wie bei Scharlach und Blattern.
2} Vorn Januar bis zum April 1872, in welchem Jahr Europa keine
Cholera hatte, war das Krankenhaus mit Fieberkranken überfüllt, unter
welchen 17 Cholerafalle der ausgeprägtesten Art vorkamen, wovon 2 letal
endeten. Sie unterschieden sich in den Lebenden und Todten in nichts
von der asiatischen Cholera, nur dass ihnen die giftige Natur und die
Eigenschaft der Fortpflanzungr fehlten.
— 31 —
Der einmal typhusdurchseuchte Körper verliert die
Empfänglichkeit für Wiederholung der Krankheit. Die
genauesten Nachforschungen haben nur äusserst wenige
Fälle auffinden können, dass Personen zuni zweitenmale
vom wahren enterischen Typhu3 befallen wurden, und
selbst über diese schwebt einiger Zweifel. Die einfachen
putriden Infectionen, die aus Typhusherden kommen, wieder-
holen sich öfters. Die Schwierigkeit der positiven Ent-
scheidung dieser Frage liegt in der Unmöglichheit des
Auffindens und Verfolgens der Linie zwischen Typhus-
fiebern und den ihnen ähnlichen und fast gleichen Fieber-
formen aus ganz andern Ursachen.
Die Witterungsverhältnisse üben keinen directen Ein-
fluss auf die Erzeugung des Typhus, aber einen indirecten,
insoweit sie die Fäulniss befördern. Mehrmals ereignete
es sich, dass der Typhus im Juli und August in gleicher
Zahl wie im März und April vorkam, ja im Jahr 1856
hatte der August sogar die meisten Fälle. Doch begün-
stigen feuchte Luft und Thauwetter die Verbreitung des
Typhus oder das Aufschliessen von dessen Gift. Im De-
cember 1855 waren mehrere laue Tage, dann trat im
Januar 18oC strenge Kälte — 18" R. ein. In diesen kalten
Tagen kamen noch immer Typhen vor ; nun trat mit einem-
mal Thauwetter ein, womit in grosser Zahl Diarrhöen,
Cholerinen, ein ausgeprägter Cholerafall und heftige Typhen
in das Krankenhaus kamen. Mit eintretender Kälte —
10® R. — hörten Diarrhöen und Cholerinen auf, aber
Typhen gingen noch immer zu.
Der Boden hat nur in sofern Einfluss, als seine Be-
schaffenheit die Fäulniss befördert. Gewiss ist aber an-
zunehmen, dass feuchte Luft und feuchter Boden, welche
die Fäulniss unterstützen, auch dem Typhus günstig seien.
Durch mehr als zwanzig Jahre mache ich ohne Unter-
brechung Aufzeichnungen der Häuser, Wohnungen, Ar-
beits- und Werkstätten der auf meine Abtheilung kom-
menden Typhuskranken, mit besonderer Rücksichtnahme
auf die Schlafräume und Fäulnissstätten (als Aborte, Seuk-
und Kehrichtgruben , Düngerstätten und unterirdische
Canäle\ dann auf das Trinkwasser. Diese Untersuchungen
führten zu dem wichtigsten Moment in der Geschichte der
putriden und typhösen Infectionen — zu den Häusern, zu
den Wohnungen. *) Die Zusammenstellungen der Häuser
1) Die Ursachen des enterischen Tjplius in München etc. S. 98 a s. f.
— 32 —
und Wohnungen der Typhuskranken ergaben 66—70 Proc.
von notorisch schlechter Beschaifenheit, und zwar : schlecht
angelegte und nicht cementirte Senkgruben, welche oft
nicht einmal jährlich geleert werden, zumal wenn dieselben
in kleinen eingeschlossenen Hofräumen oder selbst in
Kellern angebracht sind ; die kleinen kaminartigen Höfe,
welche allen Schmutz der Häuser aufnehmen, sind ein
bedeutender Factor zur Schaffung eines Typhusherdes;
dann kleine dunkle Schlafzimmer mit Fenstern in enge
Höfe oder schmale Gänge, oder auch ohne Fenster, Holz-
lagen als Schlafstätten ; UeberfüUung kleiner Schlafzimmer.
In einer Charcuterie haben 10—12 Bursche ein niederes
Schlafzimmer, in welchem ein Abtritt mit einem Verschlag
angebracht ist, und gleich ausser der Thür ist ein zweiter
Abort: das Fenster dieses Schlafzimmers geht in einen
engen Gang, und das Fenster dieses Ganges in den Hof,
in dem täglich viele Schweine geschlachtet werden; von
diesem Hause kommen auch immer putride und typhöse
Infectionen ins Spital.
Ein derartig angelegtes Hans, mit Fäulnissstätten ver-
sehen, kann auf jedem beliebigen Boden, in Niederungen,
auf hohen Bergen, auf Felsen typhöse Infectionen veran-
lassen. In der Typhus-Epidemie zu Berchtesgaden im
Sommer und Herbst 1856 beobachtete ich Gruppen von
Typhusfallen auf einer Höhe bis zu 3500 Pariser Fuss.
Die Trinkwasser veranlassen Typhus, wenn Fäcalstoffe
in sie gerathen ; wenn sie sonst schlecht sind und organische
Bestandtheile enthalten, bewirken sie putride Gastricismen
und Diarrhöen, aber nicht Typhus mit seiner specifischen
Erkrankung des Darmes. Wie in allen grossen Städten,
so gibt es auch in München Brunnen mit schlechtem Trink-
wasser, ich habe aber daraus nie Typhen entstehen sehen.
Wie in Wasser und Milch Typhusgift gerathen kann, so
wird es wohl auch mit den Speisen ergehen ; aber ich habe
nie Fälle aus dieser Quelle sicher constatiren können. Auf
den Genuss verdorbener und in Fäulniss begriffener Fleische,
besonders von Eingeweiden, dann von Charcuterie- Artikeln
habe ich Cholera-Anfälle und heftige Fieber eitstehen
sehen, welche aber nie die Specifität des Typhus — die
Erkrankung des Darmdrüsen-Apparates — erreichten.
üebcr die Aetiologie des Typhus. Vortrago, gelialten in den Sitzangcn des
ärztlichen Vereins in Münclien etc. München 1872. Sechster Vortrag, geh.
von Prof V. Qietl, S. 85 u. s. f.
— 33 -
Aus allem diesem geht hervor, dass der Typhus ganz
vorzugsweise eine Krankheit der Häuser und der Fäulniss-
stätten von Menschenabfallen ist. Dass darin die grossen
Städte vor den Dorfern, wo grössere Sorglosigkeit herrscht,
den Vorzug haben, liegt nicht bloss in der grösseren Menge
der Menschen und deren engerem Zusammenwohnen, sondern
auch in dem Eingeschlossensein dier Fäulnissstätten und
dem Mangel ergiebigen Luftwechsels und Luftzutrittes zu
denselben. In den Städten hört desswegen der Typhus
nie ganz auf, weil er als eine Localkrankheit an vielen
Punkten seine nie versiegenden Quellen hat. Daher liegt
auch dem Typhus keine allgemeine Ursache — als Luft,
Boden, Wasser — ausschliesslich zu Grunde, wie sie die
Verkältungs-, Grippe- oder Influenza-Fieber haben.
Der Typhus bewegt sich in grossen Städten in fort-
währendem Ab- und Zunehmen; das Anschwellen zu einer
Epidemie hängt immer von einem Zusammenfluss von Ur-
sachen ab, welche die Fäulnissstätten in grössere Thätig-
keit versetzen; dahin gehören: rascher Wechsel der Tem-
peratur und Feuchtigkeit, feuchte Wärme, Thauwetter,
Ueberschwemmungen. Das constante Zunehmen des Typhus
im Herbst und Winter liegt zum grössten Theil in dem
Zuwandern von Arbeitern und ärmeren Leuten in die
Städte, einem engeren Zusammenwohnen derselben in be-
schränkten, nicht ventilirten Räumen bei Mangel an Rein-
lichkeit und wenig nahrhafter Kost — Verhältnisse, welche
nun das Ausbrüten eines intensiveren Giftes und das Ver-
schleppen desselben begünstigen. Aus dem allem ist er-
sichtlich, dass diese Krankheit auf der ärmeren Bevölkerung
lastet, und nur zu den Wohlhabenden und Begüterten
hinaufreicht, wenn sie zufallig an Typhusherde gerathen.
Der Wohnungswechsel liefert hierzu ein reiches Beob-
achtungsmaterial : Eingeborne, sowie Eingewanderte, können
bei noch so langem Verweilen in grossen Städten in ihrer
Gesundheit und Behaglichkeit unberührt bleiben, bis ein
Wohnungswechsel das eine oder andere Glied der Familie
ins Grab legt. Noch mehr tritt dieses Ereigniss bei Rei-
senden hervor ; es ist wohl keine grosse Stadt in Europa,
aus welcher von Reisenden nicht tödtliche typhöse In-
fectionen geholt werden. In einer italienischen Seestadt
hat eine deutsche ärztliche Familie — zur Erholung dahin
gereist — fast ihre Auflösung durch Typhus gefunden.
So wurden in einer andern im Süden gelegenen Stadt
Italiens sämmtliche Glieder einer angesehenen deutschen
3
— 34 —
Familie nach einem Aufenthalt von wehigen Tageh vom
Typhus befallen.
Doch am bedauerlichsten gibt sich dieser Vorg-ang bei
den Jüngern der Hochschulen grosser Städte kund. Mangel
an Vorsicht bei der Wahl der Wohnungen, häufiger
Wechsel derselben, das Aufsuchen wohlfeiler Miethzimmer
und der abendliche, bis in die tiefe Nacht sich hinziehende,
Aufenthalt in sehr frequentirten Wirthshäusem , welche
sehr häufig Typhusherde beherbergen, sind die Quellen
typhöser Infectionen bei den Studierenden Komisch ist
es, zu hören, dass in München Pfälzer und Franken vor-
zugsweise dem Typhus verfallen sollen, als ob dessen Gift
vor einem Holsteiner oder Böhmen mehr Respect habe.
Die Erkenntniss des Typhus mit seinem specifisch
ulcerösen Process in dem Darmdrüsen-Apparat stösst sehr
häufig auf Schwierigkeiten, und in manchen Fällen bleibt
selbst dem geübtesten Arzt durch den ganzen Verlauf des
Fiebers Zweifel, bis schliesslich die Section ihn löst. Denn
es gibt eine grosse Zahl von Fiebern, aus den verschiedensten
Ursachen entstanden, welche dem Typhus sehr ähnlich
sind und ihn aufs täuschendste imitiren. Vorzüglich sind
es die Resorptions-Fieber, welche entstehen, wenn. in irgend
einem Gewebe, Schlauch oder einer Höhle des Körpers,
eingeschlossener, geßiulter Schleim, Eiter, Urin, zersetzte
Flüssigkeiten, Jauche, zerfallene Gewebstheile liegen ; und
wenn diese in den Säftestrom gerathen, geben sie zu den
heftigsten Fiebern Veranlassung. *) Deutlich und bildlich
ist dieser Vorgang im G^sichtsrothlauf zu sehen, welcher
so häufig und verderblich den Typhus begleitet. Zahl-
reiche anatomische Untersuchungen, wozu diese fatale
Typhusbeigabe reiche Gelegenheit gab, führten mich in
den Jahren 1850 bis 1852 zu dem wichtigen Resultat: dass
dieser Rothlauf, nicht bloss wenn er in Verbindung mit
T3rphus, sondern wenn er auch selbständig auftritt, Folge
einer Entzündung der Schleimhaut, der Höhlen des Ge-
sichtes und der Stirne mit zurückgehaltenem, zersetztem
und verjauchtem Schleim ist, welcher durch Resorption
die Quelle des hohen Fiebers und durch Reflex die Ursache
des Rothlaufes im Gesicht wird. Die . aus diesem Fund
gezogene Behandlung ^ auf fortwährende Entfernung des
zersetzten und jauchigen Schleimes gierichtet — hat die
_ _ t _
1) Stadion ül>er die Bedingungen des Fiebers, nach Beobachtungen
ans der v. GietPschen Klinik nnd Abtheilang von Dr. med. Joseph Ha ab er,
Assistenzarzt. Mfikichen, Ofarist. Kaiser, 1^0.-'
* k *ij I
>
— 35 —
hochprocentigfe Mortalität des Rothlaufes auf ein nicht
ganzes Procent herabgesetzt. ^)
Auf gleiche Weise veranlasst der um und in dem
Kehlkopf angehäufte faulende Schleim, den die schwachen
Typhüskranken nicht auszuwerfen vermögen, Brand dieses
Organes mit gewöhnlich letalem Ausg'ange und Erhöhung
der Typbusmortalität. Nachdem ich die Ursache gefunden
hatte, lasse ich bei jedem Typhuskranken auf das sorg-
faltigste mehrmals des Tages und nach Bedürfniss auch
in der Nacht den Schlund mit einem Charpiepinsel von
Schleim reinigen, woraufhin diese furchtbare Todesart bei
Typhuskranken eine Seltenheit geworden ist.
Weil nun die Typhusherde neben dem Typhus (der
specifisch putriden Infection) auch noch gleichzeitig in
grösserer Zahl putride Gastricismen und Diarrhöen mit
und ohne Fieber erzeugen , so kommt dadurch ein neuer
Zuschuss zu den oben aufgezählten Fiebern.
Wenn zwei Aerzte in einem Spital bei gleichheitlicher
Vertheilung der Fieberkranken die zwei diagnostischen
Wege einschlagen: dass der eine ein jedes hohe Fieber
mit Eingenommenheit des Kopfes und gastrischen Er-
scheinungen zum Typhus rechnet, der andere aber bemüht
ist Typhus und typhusähnliche Fieber möglichst zu schei-
den, so wird der erste um ein Drittheil bis nahezu um
die Hälfte mehr Typhusfieber zählen als der zweite. Auf
diesem Weg ist München zu einem Ruf gekommen den
die Stadt unverschuldet trägt, welcher aber noch durch
die Gewohnheit der Bevölkerung, in jedem hohen Fieber
Thyphus zu ahnen und zu sehen, unterhalten wird.
Münchens endemische, durch Lage und Klima bedingte
Krankheit ist der acute Rheumatismus mit seinen Con-
sequenzen, aber nicht der Typhus, der aus Quellen kommt
wie sie jede Stadt hat. Denn in Europa, auch in Deutsch-
land, gibt es Städte genug , welche das Jahr durch mehr
Typhen zählen als München.
Weil nun der Typhus eine fieberhafte Fäulnisskrank-
heit ist, so sollte man auch diesem Fieber, statt der sinn-
1) lieber den Gesichtsrothlauf im Typhus. Inanguralabhandlung von
Dr. Zuccarini, Assistenzarzt im allgem. Krankenhaus zu München, 1852.
Beobachtungen aus der med. Klinik und Abtheilune des Prof. v. Gietl
im allgem. Krankenhaus zu München, zusammengestellt von Dr. Albert
Haug, früher Assistenzarzt. München, 1860. S. 178.
Ueber £rysipelas. Inauguralabhandiung Yon Dr. Ign.Lehrnbecher,
Assistenzarzt. München, 1872. S. 28 a. s. f.
3*
— 36 —
losen Bezeichnung Typhus *), seinen natürlichen Namen
geben, und zu dem alten mundgerechten Ausdruck, „Faul-
fieber" zurückkehren, womit die Leute fortwährend er-
innert würden, sich gegen die Brutstätten der fauligen
Gifte zu wehren. Es wäre daher eine Wohlthat für die
Bevölkerung der Städte, wenn die Aerzte sich entschliessen
könnten von dem Ausdruck „Typhus" abzulassen.
In den vorstehenden Aufzählungen der Thatsachen
über die Verbreitung des Typhus liegen die zu ergrei-
fenden Massregeln und einzuschlagenden Wege wie die
fauligen Krankheiten fern gehalten weiden können, offen
und klar zu Tage. Es ist dargethan, dass Typhushäuser ganz
frei gemacht werden können, und so wird es auch gelingen
den Typhus in Städten auf ein Minimum herabzubringen.
Auf diesen Erfahrungssatz gestützt, hat sich in der öffent-
lichen Gesundheitspflege eine Thätigkeit entwickelt, welche
jetzt schon von den wohlthätigsten Folgen ist, und dar-
auf hin auch in München der Typhus in Abnahme be-
griffen ist; und wenn die Bevölkerung den Gemeinde-
behörden, welche mit Energie den nun betretenen Weg
verfolgen, willig und mit Ausdauer entgegenkommt, wird
das Ziel erreicht werden. Während die öffentliche Ge-
sundheitspflege im Grossen aufzuräumen bestrebt ist, hat
doch noch der Einzelne für sich viele Vorsicht einzuhalten,
um dem immer noch furchtbaren und tückischen Feind
ausweichen zu können. Die Haus-, Gasthof- und Wirths-
hausbesitzer mögen nicht säumen ihre Häuser in einem
salubren Stand herzustellen, denn bei den sich mehr und
mehr verbreitenden Kenntnissen in der Gesundheitspflege
werden schlecht besorgte Häuser immer mehr gemieden
werden. Wenn in einem Hause Typhuskranke lagen, sie
mögen nun genesen oder gestorben sein, so reichen zur
Vertilgung des an den Wänden haftenden Gifts ergiebige
Ventilation und der Gebrauch von Chlor und Schwefel
nicht aus, sondern die Wände der Krankenzimmer sollen
abgekratzt und getüncht werden. Familien und Arbeit-
geber mögen ihren Dienstboten und Gesellen, wrlche sich
Wohnungen und Schlafstätten nicht wählen können, ge-
sunde Schlafräume zuwenden, indem erwiesenermassen in
kleinen Lokalitäten, die keine Ventilation und wenig Licht
haben und schliesslich noch fauligen Emanationen aus-
gesetzt sind, das Typhusgift so sehr gedeiht und da die
1) Tv^og — Gefühllosigkeit — Sinnlosigkeit — Schneiders gr.
W., II. B., S. t)37.
- 37 —
häufigsten Infectionen vor sich gehen ; daher auch die
Zahl der Typhuskranken unter Gesellen nnd Mägden so
gross ist. Zusammenstellungen ergeben auch das Resultat,
dass 70 — 80 Proc. der Typhuskranken jenen Classen der
Bevolaerung angehören, die zufolge ihrer Lebensverhält-
nisse und Arbeiten den Infectionsherden zunächst stehen.
In der Wahl der Wohnungen meide man Häuser deren
Aborte schlecht gehalten und neben Wohn- und Schlaf-
räumen angebracht sind, und enge, geschlossene, kamin-
artig*e Hofe — als Aufbewahrungsorte aller Abfälle und
des Schmutzes des Hauses — haben. Häuser in welchen
Gastricismen und Diarrhöen häufig vorkommen, sind eines
Typhusherdes verdächtig, und sollen nicht bezogen werden,
noch viel weniger solche, in welchen Typhuskranke lagen
und starben. Bei dem Bezug der Milch versichere man
sich von der Reinlichkeit der Milchläden und Milchhäuser,
und ob nicht die gefüllten Milchgefässe in Lokalitäten
aufbewahrt sind, welche zugleich als Schlaf- und Kranken-
zimmer dienen, wie ich schon beobachtet habe. Man be-
ziehe das Trinkwasser nicht aus Pumpbrunnen. Man meide
Wirths- und Kaffeehäuser, deren Küchen zunächst den
Aborten gelegen sind.
Alle hier gegebenen Regulative möge namentlich der
Reisende aufs Strengste beachten. Ehe er sich in einem
Gasthof niederlässt, richte er sein Augenmerk auf dessen
Reinlichkeit, insbesondere die der Küche und Aborte, und
achte schliesslich auf sehr reine Bettwäsche, weil der Ver-
dacht, dass von den Betten Infectionen geholt werden,
sehr gross ist. In Schwangau machte ein Taglöhner einen
Typhus leichten Verlaufs durch. Genesen und gekräftigt
g^ng er in Arbeit zu dem Postwirth in Rosshaupten, und
schlief bei dem ganz gesunden Hausknecht. Nach acht
Tagen erkrankte dieser und die Magd , welche das Auf-
betten besorgte. Der Hausknecht ging in seinen Heimaths-
ort, der aus drei Häusern besteht, starb daselbst und ver-
anlasste in den drei Häusern eine Epidemie von acht
Fällen. Nicht sein Leib, sondern die schmutzige Wäsche
und die Kleider waren die Träger des Giftes.
Von Waschanstalten kommen sehr häufig schwere
Typhen ins Krankenhaus, indem sie mehr oder minder
Herde putrider Infectionen sind. Ob von da durch die
vielleicht nicht gründlich gereinigte Wäsche weitere Ver-
breitung des Typhus veranlasst wird, habe ich nicht be-
obachtet, aber eine Wahrscheinlichkeit besteht dafür, und
- ae -
soll hier erwähnt sein. Während die prophylaktischen
Massregeln Ergiebiges zu leisten vermögen , ist auch der
einzelne vom Typhusgift Befallene, nachdem die Behand-
lung des Typhus mehr Bestand gewonnen hat, weniger
gefährdet , obwohl der Typhus noch immer viele Opfer
verlangt. In der Mitte der vierziger Jahre habe ich die
vergessenen kalten Bäder wieder herbeigezogen, und damit
das Chinin, das schon von manchen Aerzten gegen Schleim*
und Nervenfieber gebraucht wurde, in höheren Dosen gegen
den Typhus in Anwendung gebracht, und so die kalten
Bäder und das Chinin in einer methodischen Behandlung
zusammengefasst *) , womit ich dann noch den Gebrauch
des schwarzen Kaffees und eine kräftige Ernährung —
so viel nur immer die Digestion des Kranken leisten
kann — verband. Letztere wird seit einigen Jahren durch
den von Professor Voit angegebenen frisch ausgepressten
Fleischsaft (succus carnis) in vortrefflicher Weise unter-
stützt. Diese Behandlungsweise hat das Mortalitätsver-
hältniss von 24 und 20 auf 13, 10 und 7 Proc. herabgesetzt,
und ist nun allgemein verbreitet.
Wer in grossen Städten, die doch nie ohne Typhus-
herd sind, von gastrischen Erscheinungen und Diarrhoen
befallen wird, soll verbleiben, die Wohnung nicht ver-
lassen und den Verlauf unter entsprechendem Verhalten
ruhig abwarten. Denn ist ein typhöses Fieber im Anzug,
so treibt eine Reise mit den damit verbundenen Versäum-
nissen in der Pflege den Typhus auf die abschüssigste
Bahn mit gewöhnlich letalem Ausgang, und gibt häufig
genug Veranlassung zur Verschleppung und weiteren Ver-
breitung dieser infectiösen Krankheit. Dann soll selbst
der Besuch dieses nun Erkrankten von seiner Verwandt-
schaft mit Auswahl geschehen, indem die Aengstlichen
und von Schrecken Gepeinigten zu Hause bleiben sollen ;
denn ich habe mehrmals beobachtet , dass diese inficirt
wurden und starben, während jener — der zuerst Erkrankte
— durchkam.
So bewährt kalte Bäder und Chinin sich bewiesen
haben , so kann deren Anwendung doch nur von einem
Arzt unter gehöriger Individualisirung geleitet werden.
Denn beide Mittel können gegenüber der Gehirn- und
1) Ueber die Anwendung der kalten Hader und Begiessungen im
Typhus : Inauguralabhandlung von Dr. Julius Stein, Assistenzarzt im
allgemeinen Krankenbaus in München. München 1849. Gedruckt bei
Georg Franz,
- 39 —
Herzschwäche der Typhuskranken auch grossen Schaden
anrichten. Die Bäder und Begiessungen zu kalt und zu
rasch auf einander angewandt, können tödtliche Brustent-
zündungen veranlassen ; sowie das Chinin , in so unmäs-
sigen Gaben zu mehreren Grammen auf einmal oder auch
in kurzen Zwischenzeiten genommen, wie es jetzt vielseitig
angewendet wird, bei sehr hirnschwachen Typhuskranken
den Tod herbeiführen kann. Denn auch in zulässigen
Gaben leistet es bei Typhuskranken, deren Gehirnfunction
tief herabgedrückt ist, wenig oder nichts *).
Fortwährend erneuerte Luft, frisches Wasser, kühle,
laue und warme Bäder, Kaffee (ohne Milch und Zucker),
Wein und kräftige Ernährung, häufiger Wechsel des
Lagfers^und die fleissigste Pflege können ohne Chinin und
jede Medication die schwersten Typhen glücklich durch-
bringen.
1) Im Jahr 1840 gab ich einem Sludirenden der Medicin gegen epi-
leptische Zufälle, die ihn alle Frühjahr befielen, das Chinin zu einem Scrapel
auf einmal in gleichen Zwischenzeiten — typisch. Nach jeder solchen Gabe
bekam er eine Wüstigkeit nnd Stumpfheit des Kopfes, Zittern der Glieder,
Unvermögen zu gehen und eine anendliche Mattigkeit, die ihn zwang, sich
XQ legen. Seit vielen Jahren lasse ich methodisch nach jedem pjämischen
Fieberanfall zehn Gran Chinin mit gntem Erfolg reichen ; wenn nun dnrch
mehrere in kurzen Zwischenzeiten eintretende Anfälle die Gaben des Chinins
sich steigerten, so sah ich eine Eingenommenheit des Kopfes und Taubheit
in einer Höhe eintreten, welche nicht mehr leicht hinzunehmen waren. In
TaB Hasselts Giftlehre I. Bd. S. 436 und Hermanns Lehrbuch der experi-
mentellen Toxikologie S. 365 sind letale Fälle nach zu grossen Gaben von
Chinin constatirt.
Von demselben Verfasser sind erschienen:
■
Heobaehtnngren und Krnnkeiigreschiciiteii Aber die «siatisclie CMMl
aus Berlin in den Monaten October und November des Jabres 1891«
Erstes Heft von Dr. Kr. X. Gietl. MQnchen. Literariscb-artistifebe
Anstalt der J. G. Cotta'schen Bnchliandlon^. 1832.
Die Cholera nach Beobachtnogen auf der I. medicinischeu Klinik
Abthoilang im städtischen Hospital zu München von Franz X. TM
Gietl. München. Christian Kaiser. 1855.
(Neschichtlfcbes znr Cholera-Epidemie in Mfinchen im Jahre 1854 tob
Franz X v. Gietl München. Christian Kaiser. 1855.
Beobaehtniigen ans der mediclnisehen Klinik nad Abtheilung de« Frt-
fessors von Gietl im allgemeinen Krankenhanse zn München mit einer
statistischen Uebersicht des Jahres 1856. 57, zusammengestellt YOii! Dr*
Albert Haug, früher Assistenzart. München. Christian Kaiser 1860.
(Enthält Gictrs Lehren über die Ursachen, Pathologie und Tberapia
des Typhus.)
Die Ursachen des enterischen Typhus in MUiiehen Ton Franz X tob
Gietl etc. Leipzig. Wilh Englmann. 1865.
Stadien Aber die Bedingungen des Fiebers naeh Beobachtangen am
der von Gietrschen Klinik und Abtheilung von med. Dr. Joseph Hauber,
Assistenzarzt der I. roedicinischon Abtheilung des städtischen Kranken-
hauses 1. d. J. München. Christian Kaiser. 1670. (Enthält die Gruod-
Eüge der Fieberlehre des Dr. v. Gietl.)
Ueber die Aetiologie des Typlins. Yorträge, gebalten in den Sitzungen
des ärztlichen Vereines in München etc. Sechster Vortrag, gehalten
von Piof V. Gietl pag. 84. München Jos Ant Finsterlin. 1872-
Gedrängte Uebersicht meiner Beobachtungen Ober die Cholera Tom
Jahre 1831—1873 von Franz X. von Gietl etc München. Christian
Kaiser 1873.
Die Ergebnisse meiner Beobachtungen über die Cholera vom Jahre
1831—1874 in ätiologischer und praktischer Beziehung von Franz X.
von Gietl etc. München. Christian Kaiser 1874.
Obige Schriften sind vorräthig bei Jos. Ant. Finsterlin in
München^ Salvatontrasse Nr. 21.
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[-186 Gletl, Franz X. von
S46 Die GrundzUge meiner
L875 Lehren über Cholera und
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