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Full text of "Die historisch-dogmatische Auslegung des Neuen Testamentes : Nach ihren Prinzipien, Quellen und Hülfsmitteln dargestellt"

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Theological Seminary, 
PRINCETON, N. 


Case, 42 S4 8 7 6 1 Divison- hd 7° 
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ai Shelf, BD 84. Section. 
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„ har isch; 
dogmatiſche Auslegung 
. N des | | 
Neuen Teſtamentes. 


Nach ihren 
Prinzipien, Quellen und Huͤlfsmitteln 
dargeſtellt 


von 


Karl Gottlieb Bretſchneider, 
Baccalaureus der Theologie 


N und Adjunkt der philoſephiſchen Fakultat auf der Unis 
verſitaͤt Wittenberg. 


Ds Spανα˖j Asyw? τα,RÄ ymas 0 Guam 
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5 i dLeipzig, 
dei Johann Ambroſius Barth. 
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Seinem 


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wuͤrdigen und verehrten Lehrer, 


« 


dem 


Herren Doctor Keil, 
ordentlichem Profeſſor der Theologie auf der Univerſitat 
Leſpzig, Kanonikus des Stifts Zeitz und Aſſeſſor des 
Conſiſtoriums zu Leipzig ze. 


* 


widmet 
dieſe Schrift 
aus 


innigſter Hochachtung und Dankbarkeit 


der 


Verfaſſer. 


Pr, ® 


A run — —— — — é 


Vorrede. 


en 


Juden ich dem theologiſchen Publikum dies 
ſe Schrift uͤbergebe, fuͤrchte ich nicht, daß 
ſie eine Materie behandle, die ſchon hin— 
laͤnglich durchgefuͤhrt ſeyß. Denn obgleich 


durch die Bemühungen mehrer Gelehrten für . 


die hiſtoriſche Auslegung des N. T. Vieles 
geleiſtet, manche ſchaͤtzbare Bemerkung ge— 
legentlich vorgetragen, und mancher gelun— 
gene Verſuch dieſer Erklaͤrungsart bekannt 
gemacht worden iſt; ſo wird doch Niemand, 
der den Zuſtand der Exegeſe genau kennt, 
laͤugnen, daß alle jene Bemerkungen und 
einzelne Erklaͤrungsverſuche die hiſtoriſche 
Auslegung als Wiſſenſchaft noch nicht be— 
gründen konnten. Denn dieſe Wiſſenſchaft 
iſt als ſolche noch gar nicht vorhanden, ins 
dem bisher weder ihre Prinzipien begruͤndet, 
noch ihre Quellen und Huͤlfsmittel verzeich— 
net, noch die Regeln eines kritiſchen Ge— 
brauchs derſelben beim N. T. aufgeſtellt wa— 


ren. ie bisher erſchienenen Lehrbuͤcher der 


Hermeneutik des N. T. uͤbergingen dieſen 
Theil der Auslegung entweder ganz, oder 


4 
ez . 


i Pe Vorrede. W 


beruͤhrten ihn nur kurz und unvollſtaͤndig. 
Doch haben wir eine vorzügliche Dearbeis 
tung deſſelben theils im 2ten Theile der 
Mouogr. herm. des Hrn. Prof. Beck, theils 
im zien Theile der hermegeutiſchen Vorle— 
ſungen des ſel. Morus vom Hrn. Hofrath 
Eichſtaͤdt zu hoffen, der uns hier wahr⸗ 
ſcheinlich eine eigene gruͤndliche Abhandlung 
liefern wird, da Morus in Erneſti's Inter— 
pres wohl wenig Veranlaſſung fand, ſich 
darüber zu verbreiten. 

In dieſer Rückſicht ſchien mir eine be— 
ede Bearbeitung des Theils der hiſtori— 
ſchen Auslegung, den ich den hiſtoriſch— 
dogmatiſchen nenne, und eine wiſſen⸗ 
ſchaftliche Darſtellung der Grundſfaͤtze, Quel— 
len und Hülfsmittel deſſelben nicht uͤberfluͤ— 
ßig, ſondern nuͤtzlich zu ſeyn ; befonders weil 
die hiſtoriſche Auslegung immer noch nicht 
ſo viele Freunde unter den Theologen findet, 
als ſie verdient, unſer Zeitalter immer noch 
nicht von dem Mißbrauche einer philoſo— 
phirenden und moraliſtrenden Exegeſe zuruͤck— 
kommt, und die wahre Auslegung durch den 
Unfug des erwachenden Myſticismus gefahr. 

det zu werden jcheint, 
23 war bin ich mir wohl bewußt für 
den gelehrten und wahren Interpreten we— 
nig Neues geſagt zu haben, was er nicht 
ſchon ſelbſt bemerkt, oder zerſtreut bei An⸗ 
dern gefunden haͤtte. Es konnte auch zu— 
nächfi meine Abſicht nicht ſeyn, etwas Neues 

8 Kam 


ſchen Witz, indem er, wie ein zweiter Phi⸗ 


22 Vorrede. 0 vır 


in der Hauptſache vortragen zu wollen; wohl 
aber hoffe ich, daß auch der ſeines Faches 
vollkommen kundige Interpret einige nuͤtzli⸗ 
che Bemerkungen finden, und dieſe Schrift 
als den erſten Verſuch einer wiſſenſchaftli— 


chen Darftellung des Ganzen, an den er 


ſeine eigenen Ideen anſchließen kann, mit 
Wohlwollen aufnehmen werde. Dem wes 
niger unterrichteten und angehenden Inter⸗ 
preten hingegen, ſollte ſie ein Handbuch ſeyn, 
das ihn mit den allgemeinen Grundſaͤtzen, mit 
den Quellen und Huͤlfsmitteln der hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſchen Auslegung bekannt machen, 
und vor den exegetiſchen Fehltritten des Zeit— 
alters warnen koͤnnte. Daß dieſe Warnung 
nicht uͤberflußig ſey, bedarf wohl keines Be— 
weiſes, und ergiebt ſich hinlaͤnglich aus den 
im 11. $. gemachten Bemerkungen. Denn 
ein nicht geringer Theil der angehenden Theo« 
logen hat einen ſehr unvollſtaͤndigen oder 


ganz falſchen Begriff von Auslegung des 


N. T., und duͤnkt ſich gewöhnlich in alle 
Weisheit der Schriftforſchung eingeweiht zu 
ſeyn, wenn er entweder griechiſch verſteht, 
und die Worte des N. T., die doch nur 
die Schale find, mit einer Fluth von nichts⸗ 
ſagenden philologiſchen Anmerkungen oder 
Parallelen aus den griechiſchen Klaſſikern 
uͤberſchuͤttet, durch welche der individuelle 
Geiſt des N. T. ohnmoͤglich entwickelt wer« 
den kann; oder wenn er feinen philoſophi— 


lo, 


vi Vorrede. 


lo, philoſophiſch oder moraliſch allegoriſirt, 
zur Schau ſtellt; oder endlich ſeinen gram— 
matiſchen und logiſchen Scharfſinn in 
geſuchten und paradoxen Erklaͤrungen, die 
nur blenden, nie überzeugen konnen, glaͤn— 
zen läßt." Die beiden letztern Fälle find die 
haufigſten, und wen wird es befremden, daß 
ſie es ſind? Der ganze Geiſt des Zeitalters 
fuͤhrte dahin, und dieſer Geiſt wird zum 
Theil immer noch von bedeutender Maͤnnern 
genaͤhrt und fortgepflanzt, deren eregetifche 
Schriften bei einem großen Theile des Pu— 
blikums nicht geringes Gewicht haben; ſo 
haͤufig ſich auch einzelne Stimmen gegen ſie 
erheben, ſo ſehr man, bei dem uͤbrigen Gu— 
ten das ſie enthalten, feſte und richtige 
hermeneutiſche Prinzipien in ihnen vermißt. 
Verdienten es daher nicht die richtigern 
Grundſaͤtze der Auslegung, daß man end» 
lich einen Verſuch machte, ſie als ein wiſ— 
ſenſchaftliches Ganze aufzuſtellen? Laͤßt ſich 
nicht hoffen, daß auf dieſem Wege der Miß⸗ 
brauch des philoſophiſchen und grammati— 
ſchen Scharffinns in der Auslegung weit 
eher verhuͤtet werden koͤnne, als durch Be— 
ſtreitung einzelner Erklaͤrungsverſuche, bei 
denen man ſich doch immer auf die Grund— 
ſaͤtze der hiſtoriſchen e ſelbſt bezie⸗ 
hen muß? 
Jae weniger aber für eine ausführliche 
wiſſenſchaftliche Behandlung derſelben bis jetzt 
geſchehen iſt, je weniger ich alſo durch die 
| Vor⸗ 


Borrede ae” 


Vorarbeiten Anderer meine Einſichten erwei— 


tern und berichtigen konnte; deſto mehr hof: 
fe ich auf billige Nachſicht bei Beurtheilung 
dieſes Verſuchs. Denn nur als einen Ver— 


ſuch betrachte ich dieſe Arbeit, und konnte 
fie nicht anders betrachten, weil es uns, 


theils noch an einer vollſtaͤndigen und ge— 
nauen Kritik der Quellen dieſer Auslegung, 
namentlich der Kabbaliſten, der Rabbinen 
und der Apokryphen mangekt, theils die ver— 
ſchiedenen Formen, zu denen ſich die juͤdi— 


ſche Theologie geſtaltete, noch nicht gehoͤrig 


geſchieden, die Reſultate für eine vollſtaͤn— 
dige und kritiſche Geſchichte der jüdischen 
Religionslehre bei weitem noch nicht aufge— 


ſtellt und endlich die Vorarbeiten zur Spe⸗ 
cialhermeneutik des N. T. nur erſt angefan⸗ 


gen ſind. 
Was die Literatur betrifft, ſo bes 


ſtrebte ich mich, fie, fo weit fie zur die 


ſtoriſch-dogmatiſchen Auslegung ge 
hoͤrt, ſo vollſtaͤndig anzugeben, daß wes 
nigſtens keine bedeutende Schrift unbemerkt 
bleiben ſollte. Denn ich bin von der Un⸗ 
entbehrlichkeit der Literatur bei dieſem Stu⸗ 
dium, da es ganz hiſtoriſch iſt, vollfommen 
uͤberzeugt, und hoffe, daß es auch der Ken— 
ner der Literatur bequem und nüglich finden 
werde, die literaͤriſchen Notizen dieſer Wifs 
ſenſchaft, die bis jetzt noch nicht geſammelt 


waren, in Verbindung mit einander zu er⸗ 


blicken. 1 
15 Ye 


** 8 Vorrede. 


Uebrigens fuͤrchte ich nicht, daruͤber ge- 
tadelt zu werden, daß ich die hier aufge⸗ 
ſtellten Grundſaͤtze nicht auf das Detail ein— 
zelner hermeneutiſcher Unterſuchungen (z. B. 
uber die tropiſchen Ausdruͤcke, die Allego— 
rien, Parabeln, Beſtimmung des Subjekts 
und Praͤdikats, die Citationen altteſtament— 
licher Stellen u. ſ. w.) ausgedehnt hahe, da 
ſich dieſe Anwendung von felbft ergiebt, 
und dieſe Schrift zu ſehr e haben 
wurde. 

Was endlich die Frage betrifft: ob die 
hiſtoriſch⸗dogmatiſche Auslegung das dog— 
maͤtiſche Syſtem der Kirche vorzuͤglich bee 
gunſtige, und zeige, daß daſſelbe dem Geiſte 
des N. T. am meiſten entſpreche; ſo iſt die— 
ſes allerdines zu bejahen. Denn fie vins 
dicirt dem N. T. ohne Widerrede die Leh— 
ren z. B. vom Verſoͤhnungstode Jeſu, von 
Jeſu goͤttlicher Natur, von den Engeln, der 
Auferſtehung ꝛc. als bibliſche Dogmen. Als 
lein dieſe Unterſuchungen weiter und bis 
zu dem Punkt zu verfolgen, wo dieſe Dog⸗ 
men durch das goͤttliche Anſehen der Schrift 
zu Offenbarungslehren erhoben werden, ge— 
buͤhrt nicht dem Hermeneutiker, ſondern iſt 
das Geſchaͤft der theologiſchen Kritik. — — 
Wittenberg, am 29. 5 8 


Ein 


§. 1. 


Inhaltsanzeige. 


Kap. 1 


Von der hiſtoriſchen Interpretation 
uͤberhaupt. RR S. 1826. 
Verhaͤltniß der Schrift zu den Vorſtellun⸗ 
gen. 5 S. 1. 
Dollmetſchung und Erklärung. 8 
Doppelte Art der Auslegung.“ 5. 

Entſtehung der grammat. und hiſtor. 

Auslegung. g D de 
Hiſtoriſche Ausſeg. „ 12. 

Unterſchied der grammat. und hiſtoriſchen 

Aus leg. tits, 

Umfang des hiſtor. Ausleg. 9 24. 


Kha p. 


X11 Inhaltsanzeige. 
Naß ıit 


Von der hiſtoriſch⸗dogmatlſchen 
Auslegung des N. T. insbeſon⸗ 


dere. -9 s ©. 27-66, 
6. 8. Weſen derſelben. D S. 27. 
— 9. Nothwendigkeit derſelben. D 29. 


— 10. Zweifel dagegen von der allegor. Aus⸗ 
leg. und der eſoteriſchen Lehrart entlehnt. 34. 
— 11. Nachtheile der Vernachlaͤßigung der hiſt. 


dog. Ausleg. z 41. ö 
— 12. . derſelb. 49. 
— 13. Unterſchied zwiſchen . und 

. „ s 52, 


— 14 u. 18. Unmittelbare Folgerungen hieraus. 57. 


(Negative Prinelpien.) 


Kap. III. 
Von den Quellen und Hülfsmit⸗ . 
teln der hiſt. dogm. Aus leg. 66-206, 
§. 16. Einleitung. s . a 66. 
— 17. Giebt es eine orientalische Religionsphi⸗ 8 
loſophie? D z 69. 
— 18. Umfang derſelben, 4 FU; 
— 19. Quellen derſelben das A. T., . 
— 20. Die Apokryph. des A. T. 5 79. 
— 21. Joſephus. Nr , 89. 


— 22. Philo. D) D 96, 


N 
1 


Inhaltsanzeige. K 111 


. 23. Die EKR. ’ S. 103, 
24. Das N. T. 1% O. 10s. 
25. Die Targumim. ö „ 110. 
26. Die Pſeudepigrapha des A. T. 119. 
27. Die Kabbaliſten. 5 8 128. 
28. Der Talmud. ' N . 
29. Die Sabaͤer. 8 , 146. 
30, Der Zend: Aveftas u, 148, 
3. Indiſche Religionsbuͤcher. N N36. 
32. Die Apokryphen des N. T. ' 163. 
33. Aelteſte Kirchenvater und Ketzer. 171. 

34. Regeln fuͤr den Gebrauch dieſer Quel⸗ 

len. D ’ 179. 

35. Literatur der juͤdiſch. Theologie. 184. 

Kap. IV. 


Allgemeine Grundſaͤtze der his 
ſtoriſch, dogm. Auslegung. 206-251. 
36. Feſtſtellung eines allgem. Kanons. 206. 
(enthaͤlt keinen Zirkel.) 
37. Naͤhere Anwendung deſſelben 1) in 
Ruͤckſicht der Quellen. ⸗ 216. 


38. 2) in Ruͤckſicht des N. T. 220. 


39. Beſondere Anwendung deſſelben in ein⸗ 
zelnen Faͤllen. z 223, 


Apho⸗ 


xv Inhaltsanzeige. 


Aphorismen zu einer hiſtoriſch⸗ 
dogm. Special hermeneutik des 


Kap. J. 


N. T. s S. 251-304. 
Einleitung. 3 +. 251, 
Die drei erften Evang, P 253. 
Lukas. : . 259. 
Binden ra et 99 262. 
Johannes. 3 a 267. 
Paulus. y W C 276. 
Brief an die Hebraͤer. . 293. 
Jacobus, Petrus und Judas. N 298. 
Apokalypſe. 5 f 5 300. 
e 
N ‚ 


SEELE 


Begriff der hiſtoriſchen Interpretation 
überhaupt, 


H. 1. 
Verhältniß der Schrift zu den Vorſtellun⸗ 
ur Yeah 


Nachdem der Menſch ſeine Empfindungen und 
Gedanken mit Lauten hatte bezeichnen lernenz 
nachdem ſich dieſe Naturlaute in artikulirte Toͤ⸗ 
ne verwandelt, und bei einzelnen Familien, Voͤl⸗ 
kerſtammen und Nationen zu einem beſtimmten 
ſymboliſchen Gebrauch für die Bezeichnung des 
Gefuͤhles und der Vorſtellungen fixirt hatten; 
nachdem durch fortgeſetzten Gebrauch jener Toͤ⸗ 
ne und die nach feſten Geſetzen wirkende Ver⸗ 
nunft die erſte Sprache ausgebildet worden 
war: ſo waͤhrte es nicht lange, als auch 
der Menſch, bei erhoͤhter Kultur und Kunſt⸗ 
fertigkeit, ſeine Empfindungen und Gedanken 
dem Auge durch ein materielles Bild zu ver⸗ 
ſinnlichen, und beſonders auf dieſe Weiſe merk⸗ 

A wuͤrdige 


a Interpretation und Erklärung, 


wuͤrdige Begebenheiten der Nachwelt zu uͤberlie⸗ 
fern verſuchte. — Die Tempel der Götter und 
die oͤffentlichen Denkmaͤler, das heilige und 
unverletzliche Gemeingut der Nationen der Ur: 
welt, wurden mit Hieroglyphen bedeckt, die 
Anfangs wohl weniger Symbole von Vorſtel⸗ 
lungen und Wahrheiten, als vielmehr Dar⸗ 
ſtellung ſinnlicher SEA und ee 
ten ſelbſt enthielten. 


Lange mag ſich wohl die Urwelt an die⸗ 
ſer hiſtoriſchen Mahlerei begnuͤgt, und lange 
mag es gedauert haben, ehe man die einzel⸗ 
nen Laute der Woͤrter mit Buchſtaben ſchrieb. 
Denn nicht eher konnte Buchſtabenſchrift entſte⸗ 
ben, als bis man anfleng die einzelnen Laute, 
welche zu einem Worte verbunden unmerklich in 
einander fließen, aufzufaſſen, und die Worte 
ſelbſt in ihre Theile zu zerlegen. Dieſe Analyſe, 
welche zunaͤchſt auf Buchſtabenſtchrift führen muß⸗ 
te, konnte aber wohl nicht eher vorgenommen 
werden, als bis man auf den Bau ſeiner eige⸗ 
nen und fremder Sprachen aufmerkſam wurde; 
wozu hoͤchſt wahrſcheinlich der Handel, dem 
wir ſo manche treffliche und wichtige Erfindung 
verdanken, die naͤchſte Veranlaſſung war, weil 
er es unumgaͤnglich noͤthig machte, Sprachen 
zu lernen und zu lehren. Die Tradition 
ſchreibt daher auch den, als Handelsleuten bes 
ruͤhmteſten, Nationen der alten Welt die Er⸗ 
Findung der Buchſtabenſchrift zu. 

5 Da 


Dollmetſchung und Erklaͤrung. 3 


Da Buchſtabenſchrift nichts anders iſt als 
ſinnliche Bezeichnung der einzelnen Laute, deren 
Verbindung Worte geben; da dieſe gleichfalls 


blos ſinnliche Zeichen von Gefuͤhlen, Vorſtels 


lungen und Gedanken ſind: ſo folgt, daß Worte 
nicht nur an und für ſich an Inhalt ganz 
leer ſind, und nur erſt durch das, was fie 
bezeichnen, eine Bedeutung bekommen; ſondern 
daß ſich auch ihr Gebrauch nicht nach eigenen 


Regeln, ſondern nach den Geſetzen, nach de⸗ 


nen geſprochene Laute gebildet werden, und ihre 
Verbindung untereinander theils nach der Ge⸗ 
wohnheit, thels nach den Geſetzen, wie Vor⸗ 
ſtellungen und Gefuͤhle überhaupt PORN ge⸗ 
W werden, richtet. 5 


. 


Eine Schrift enthaͤlt alſo nichts anders, ö 
als eine Reihe Woͤrter, oder ſymboliſcher Zei⸗ 


chen, und eine Reihe Gefuͤhle und Vorſtellun⸗ 
gen, welche durch ſie bezeichnet werden. Jene 
ſind der Koͤrper, dieſe der Geiſt; jene die 
Form, dieſe die Materie der Schrift. 


g. 2. 


Dollmetſchung und Erklärung. 


Eine Schrift verſtehen, heißt folglich: 


dieſelbe Reihe von Gefühlen „Vorſtellungen und 


Gedanken bei ſich erwecken, welche ein Schrift- 


ſteller bei den ſymboliſchen Zeichen der Worte 
on und durch dieſelben bei andern erwecken 
22 wollte. 


4 Dollmetſchung und Erklärung, 


wollte. — Daß auch andere, die ohne Un⸗ 
terricht und Huͤlfe ein Buch nicht verſtehen wuͤr⸗ 
den dieſelbe Reihe von Vorſtellungen bei ſich er⸗ 
wecken, welche der Verfaſſer hatte, geſchieht durch 
Interpretation. 


Die Interpretation iſt eine doppelte: theils 
Dollmetſchung oder Interpretation im ei⸗ 
gentlichen Sinne, theils Erklaͤrung. Die erſte⸗ 
re (Leh eic) findet nur dann ſtatt, wenn ein 
Schriſtſteller in einer fremden Sprache geſchrie⸗ 
ben hat, und geſchieht durch Ueberſetzen. 
Sie thut nichts, als daß ſie die ſymboliſchen 
Zeichen (Sprache, — Worte) einer fremden 
Gegend, eines fremden Volks, mit ſolchen 
ſymboliſchen Zeichen der Vorſtellungen, Gedan⸗ 
ken und Gefuͤhle vertauſcht, welche unter der 
Nation, oder unter dem Volke, wo der Doll⸗ 
metſcher lebt, üblich ſind. Dieſes iſt die aͤlteſte 
Art der Aefrebeen 


Da nun aber Begriffe und Ideen bei je⸗ 
der Nation unendlich verſchieden ſind; da jeder 
Schriftſteller mehr oder weniger Dunkelheit in 
ſeiner Sprache und in ſeinen Vorſtellungen hat; 
da er oft manches nur mit halben Worten ſagt, 
manches der Ergaͤnzung ſeiner Leſer uͤberlaͤßt; 
da er Nuͤckſicht nimmt auf Ereigniſſe, Sitten, 
Gebraͤuche, Einrichtungen und Denkungsart ſeines 
Volkes: ſo iſt es nicht ſtets genug, ihn in ei⸗ 
ne andere Sprache uͤberzutragen, oder zu doll⸗ 

metſchen, 


4 


Doppelte Art der Auslegung. 5 


metſchen, um ihn zu verſtehen; ſondern es 


muß auch noch Erklaͤrung dazu kommen. 
Dieſes iſt Auslegung im eigentlichen Sinne, 
und mußte dann eintreten, wenn die bloße Ue⸗ 
berſetzung oder Dollmetſchung einer Schrift zu 
ihrem Verſtehen nicht hinreichend war. 


Zu den Schriften dieſer Gattung gehoͤrt 
auch das neue Teſtament, bei welchem zu der 
Dollmetſchung auch die Erklaͤrung noͤthig iſt, 
um es zu verſtehen. Ja die Erklaͤrung iſt nament⸗ 
lich bei dieſen Schriften die Hauptſache, und 
wird daher auch einzig unter dem Ausdruck 


Interpretation des N. T. verſtanden. 


K 2. 
Doppelte Art der Auslegung. 
Da jede Auslegung nichts anders iſt, als 


Entwickelung der Vorſtellungen, welche der 


Verfaſſer einer Schrift mit ſeinen Worten ver⸗ 


band, und verbunden wiſſen wollte; ſo beſchaͤf⸗ 
tigt ſie ſich mit der Geltung der Worte. 


Dieſe iſt eine doppelte: eine allgemeine und ei⸗ 
ne beſondere. Jede Sprache naͤmlich iſt auf 
der einen Seite als ein Gemeingut einer oder 
mehrerer Nationen anzuſehen; als eine ſymboli⸗ 


ſche Bezeichnungsart, über deren feſten Gebrauch 
Hund Sinn man ſich nach und nach vereiniget 
hat. Daher giebt es einen allgemeinen Sprach⸗ 


gebrauch, eine allgemeine Geltung (oder Ver⸗ 
f ſtand) 


6 Doppelte Art er Auslegung. 


ſtand) der Worte. Die Sprachen ſind aber auch 
auf der andern Seite das Eigenthum jedes ein⸗ 
zelnen, der ſich ihrer bedient, um ſeine indivi⸗ 
duellen Anſichten, Begriffe und Ideen durch ſie 
zu bezeichnen. Es giebt daher auch einen be⸗ 
ſondern Sprachgebrauch, eine beſondere Gel⸗ 
tung (Verſtand) der Worte. Dieſe letztere iſt 
eben fo verſchieden modiſicirt, als die Indivi⸗ 
duen, die Provinzen, die Zeitalter, die herr⸗ 
ſchenden Meinungen und die Kulturſtufe einzel⸗ 
ner Schriftsteller. 


Die Wiſſenſchaft, welche den allgemeinen 
Sprachgebrauch, die gewohnliche Verbindung der 
Worte, und die allgemeinen recipirten Bedeu⸗ 
tungen derſelben bei einer Nation lehrt, iſt die 
Philologie, und ſie iſt der Inhalt der gram⸗ 
matiſchen Auslegung. Beim N. T. alſo 
iſt es der griechiſche Sprachgebrauch, der unter 
den Juden herrſchte, oder die hebraiſirende 
Schreibart. — 


Die Auslegung hingegen, welche ſich mit 
der beſondern Geltung der Worte, in Rückfiche 
einzelner Individuen, ihrer Meinungen ih⸗ 
res Zeitalters ꝛc. beſchaͤftigt, iſt die hiſto riſche 
Auslegung, welche ihren Namen daher hat, 
daß ſie ihre Erklaͤrungsgruͤnde nicht aus dem 
Sprachgebrauch, ſondern aus der Geſchichte 
nimmt. — Beide Arten der Auslegung finden 
auch beim neuen Teſtamente ſtatt; ſind aber 
nicht immer angewendet worden. 
| j Der 


Entſteh. d. grammatlſchen u. hiſtor. Auslegung ꝛc. 7 


Der Herr Stiftspfarrer C. F. Böhme theilt 
in einem Aufſatz: Neue Theorie der Aus⸗ 
legungskunſt, mit beſonderer Ruͤckſicht 
auf neuteſtamentiſche Schriftforſchung. 
In Scherers Schriftforſcher 2 B. 1 St. 
S. 112 ff. die Auslegung, in Ruͤckſicht ihrer Gruͤn⸗ 
de, in objektive und ſubjektive. Eine Einthei⸗ 
lung, die neu ſcheinen kann, es aber nicht iſt. 
Denn unter der objektiven verſteht er die gram⸗ 
matiſche und hiſtoriſche; unter der ſubjſektiven 
aber das, was man laͤngſt exegetiſchen Sinn 
nannte, der von der Indlividualltaͤt des Inter⸗ 
preten, in wie fern dieſe mit der Indlividua⸗ 
litaͤt des Schriftſtellers uͤbereinſtimmt oder nicht, 
abhaͤngt, und ſich auf die Aehnlichkeit der Ge⸗ 
fuͤhle uͤberhaupt, der Ideenfolge und Ideenverknuͤ⸗ 
pfung, auf Gleichheit der Empfindungen fuͤr 
das Schoͤne und Wahre, mit einem Worte, 
auf eine beſondere Harmonie des intellektuellen 
und moraliſchen Charakters zwiſchen Schrift⸗ 
ſteller und Ausleger gruͤndet. Dieſes findet man 
in der Abhandlung von Böhme mit Klarheit 
und Beſtimmtheit entwickelt, ſo wie ſie auch 

beherzigenswerthe, wenn auch nicht ganz neue 
Gedanken uͤber den Unterſchied des Hermeneuti⸗ 
kers und des Kritikers enthaͤlt. 


N K. 4. 
 KEntfehung der grammatiſchen u. hiſtort⸗ 
ſchen Auslegung des N. T. 

So lange ein Schriftſteller noch von ſei⸗ 
nem Zeitalter geleſen wird, bedarf es, wenn 
er nicht ganz neue Dinge vortraͤgt, keiner Erklaͤ⸗ 
rung ſeiner Schriften; die aber dann noͤthig 
wird, wenn ſeine Sprache, Ideen und die 

5  Befchichte 


8 Ueſprung der grammatischen 


Geſchichte ſeiner Zeit veralten, und den ſpaͤtern 
Generationen unverſtaͤndlich werden. So trat bei 
den Griechen das Zeitalter ein, in dem Homer 
erklaͤrt werden mußte; und bei den Juden das 
Zeitalter, in dem ihre heiligen Schriften einer 
Auslegung bedurften. So lange noch die erſte 
chriſtliche Kirche mit der Sprache, den Sitten 
und den Meinungen des apoſtoliſchen Zeitalters 
bekannt war, bedurfte man keiner Erflärung 
der Apoſtoliſchen Schriften; hoͤchſtens nur ei⸗ 
ner Erlaͤuterung der Lehre ſelbſt fuͤr Unwiſſende 
und Neubekehrte. Nur das alte Teſtament be⸗ 
durfte, ohnerachtet der griechiſchen Ueberſetzung, 
einer Erklaͤrung. Spaͤterhin aber, da ſich 
der Geiſt der chriſtlichem Kirche aͤnderte, fuͤhlte 
man auch in eben dem Maaße, in welchem 
man ſich von dem Zeitalter der Apoſtel, ihrem 
Sprachgebrauch und den Begriffen deſſelben ent⸗ 
fernte, das Beduͤrfniß einer Erklaͤrung ihrer 
Schriften immer dringender. Die Kirche be⸗ 
nahm ſich aber dabei hoͤchſt ungeſchickt, und ganz, wie 
ein Anfaͤnger, der weder einen richtigen Begriff von 
feinem Gefchäfte noch einige Uebung in demſelben hat. 
Die allegoriſche Erklaͤrungsart der Schriften des alt. 
Teſtaments, welche von den Juden auch zu den Chriſten 
übergegangen war, und, ohnerachtet einige Kirchen⸗ 
lehrer auf die Nothwendigkeitleiner grammatiſchen 
Interpretation aufmerkſam gemacht hatten ), 

nicht 


. J 10. en Dathe di. 15 ag N, 
Erneſti) 


und hiſtoriſchen Auslegung. | 9 


nicht nur bei dem alten ſondern auch ſpaͤterhin 
beim neuen Teſtamente angewendet wurde, ver⸗ 
rückte den Interpreten den richtigen Standpunkt 
durchaus, und die dogmatiſchen Streitigkeiten, 
das Eindringen barbariſcher Voͤlker und dann der 
Afterwitz der ſcholaſtiſchen Theologie, nebſt der 
groben Unwiſſenheit der Laien und Prieſter waren 
nicht dazu geeignet, eine beſſere Erklaͤrungsart 
vorzubereiten. Doch die Wiederherſtellung der 
griechiſchen und orientaliſchen Sprachkenntniſſe, 
die Bemühungen mehrerer gelehrter und ſcharf⸗ 
ſinniger Maͤnner brachen einer gereinigtern Aus⸗ 
legung die Bahn, auf welcher die Reformato⸗ 
ren, als Evangeliſche, oder ſolche, die 
ihre Lehren blos aus der Bibel ſchoͤpfen wollten, 
eifrigſt fortgehen mußten. Das Studium der 
heiligen Schriſt in den Grundſprachen, das 
bisher ganz geſchlafen hatte, erwachte zu neuem 
Leben; und ohnerachtet es durch heftige dogma⸗ 
tiſche Streitigkeiten aufgehalten wurde, ſo fehlte 
es doch nicht an Männern, welche die Ausle⸗ 
gungskunſt wiſſenſchaftlich behandelten. Was 
die herrſchende Philoſophie, wie die Wolfiſche, 
oder der ſchwaͤrmeriſche Geiſt der Pietiſten in 
der Hermeneutik verdorben und verdunkelt hat⸗ 

Sr te, 


Erneſti) de Origene interpretationis libro- 
rum 88. grammaticae auctore, Lipf. 1786. 
4. — Mori acroafes ſuper Herm. N. T. 
Vol N der Vorrede von Eichſtädt. 


10 Urſprung der grammatiſchen 


te, das ward in der Mitte des vorigen Jahrhun⸗ 
derts durch Semler und Erneſti und deren 
Schuͤler reichlich verbeſſert. Beſonders ward 
der letztere durch ſeine geſchmackvolle Philologie, 


und ſeine richtigen Auslegungsprincipien in gram⸗ 


matiſcher Hinſicht der Vater der richtigen gram⸗ 
matiſchen Interpretation, deren Grundſaͤtze er 
in feinem klaſſiſchen Interpres niederlegte. 


Doch um auch hiſtoriſcher Exeget des 

N. T. zu werden, dazu fehlte es ihm an tiefe⸗ 
rer Kenntniß der Dogmengeſchichte, und an 
einer das Gute wie das Schlechte, das Wich⸗ 
tige wie das Geringe gleich frei umfaſſender 
Wiſſenſchaft der Religionsmeinungen der orien⸗ 
taliſchen Voͤlker um Jeſu Zeit. Dieſe fand ſich 
Haber bei Semler, einem Manne, der mit eis 
ner großen Freimuͤthigkeit zugleich ein ausgebrei⸗ 
tetes Studium der Religions- und Dogmenge⸗ 
ſchichte, und ein richtiges Urtheil verband. 
Er interpretirte das N. T. zuerſt hiſtoriſch, d. h. 
im Geiſte des apoſtoliſchen, nicht unſers Zeit⸗ 
alters, ob er gleich dieſe Auslegungsart nicht 
auf beſtimmte Grundſaͤtze zuruͤckfuͤhrte, noch 
dieſe ſcientiſiſch ordnete, ſondern nur fragmen⸗ 
tariſche Bemerkungen und Regeln lieferte, die 
theils in ſeinem apparatus ad liberal. N. T. 
interpretationem (Halae, 1767. 8.) theils 
in ſeiner Vorbereitung zur theologiſchen 
Hermeneutik (Halle 1760 — 69. 4 Stuͤcke 
in g. 95 in einigen andern ſeiner Schnifte zerſtreuet 
und 


und hiſtoriſchen Auslegung. 11 


und in ſeinen ſpaͤtern Paraphraſen des N. T. 
angewendet ſind. Er war aber zu ſehr mit andern 
Gegenſtaͤnden, mit zu vielen Streitigkeiten be⸗ 
ſchaͤftigt, und auch zu wenig Syſtematiker, 
als daß er ein gerundetes Syſtem der hiſto— 
riſchen Exegeſe haͤtte liefern koͤnnen. 


Je mehr man aber anfing die Dogmenge⸗ 
ſchichte und die juͤdiſche Theologie zu ſtudiren, 
je haufiger machte man von ihr Anwendung bei 
der Erklaͤrung des N. T, und die hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſche Exegeſe gewann immer mehr an 
Umfang und Anwendung, ohngeachtet ſie immer 
noch auf keine feſten Regeln zuruͤckgefuͤhrt war. 
Hieher gehoͤren die Schriften eines Eichhorn, 
beſonders in ſeiner Bibliothek, Keil in den 
Abhandlungen uͤber den Platonismus der Kirchen⸗ 
vaͤter, Corrodi beſonders in den Beitraͤgen zur 
Befoͤrd. des vernuͤnft. Denkens in der Relig., J. 
E. Chr. Schmidt in ſeiner Bibliothek fuͤr Kritik 
und Exegeſe ꝛc. und mehrere andere Gelehrte. 
In einem allgemeinen Umriſſe zeichnete den Um⸗ 
fang dieſer Auslegung Keil in einem ſchaͤtzbaren 
Programm: Car. Aug. Gottlieb Keil com- 
mentat io de hiftorica librorum fa- 
erorum interpretatione eiusque ne- 
ceffitate Lipf. 1788. 16 S. 4. (auch von 
Hempel ins deutſche uͤberſetzt und herausgegeben 
Leipz. 1793. 8. — dagegen vergl. Beweis, 
daß die von Koppe, Keil u. a. verthei⸗ 
digte hiſtoriſche Interpretation der 
f | Reden 


12 Hiſtoriſche Auslegung. 


Neden Jeſu nicht ſtatt finden konne. 
In Auguſti theol. Monatsſchrift 5 Hſt. 
Jahrg. 1801. N 7 


155 . 5. 
Hiſtoriſche Auslegung. f 


Daß zu einer vollſtaͤndigen Erklaͤrung ei⸗ 
nes Schriftſtellers, die hiſtoriſche Erklaͤrungs⸗ 


4 art vorzuͤglich nothwendig ſey, iſt ſo evident, 


daß es beinahe keines Beweiſes zu beduͤrfen 
ſcheint. Denn es iſt nicht binlaͤnglich, den all⸗ 
gemeinen Sprachgebrauch uͤberhaupt zu kennen, 
zu wiſſen, was dieſes oder jenes Wort übers 
haupt, oder in einem einzelnen Dialekte beſon⸗ 
ders bezeichne, welche Bedeutungen es in die⸗ 
ſer oder jener Verbindung habe; es iſt nament⸗ 
lich beim neuen Teſtamente nicht hinlaͤnglich, den 
hebraiſirenden Sprachgebrauch mit ſeinen Eigen⸗ 
heiten erforſcht zu haben: — ſondern man muß 
nun auch unterſuchen: in welchem Sinne Wor⸗ 


te und Redensarten namentlich zu der Zeit, uns. 


ter dem Volke, in dem Lande, wo der Schrift⸗ 
ſteller lebte, uͤblich waren; welche Vorſtellun⸗ 
gen damals uͤberhaupt herrſchten; welche Leſer 
der Verfaſſer vor Augen hatte; welche Gegner 
er beſtritt; welchen Grad der intellektuellen 
Kultur er erreicht hatte; welchen politiſchen, 
philoſophiſchen und religioͤſen Ideen er folgte; 
zu welcher Parthei oder Sekte er gehoͤrte; wel⸗ 
che eigenthuͤmlichen Vorſtellungen er wohl nach 

ſeiner 


Hiſtoriſche Auslegung. 13 


feiner Lage mit den Worten verbunden haben 
mag; u. ſ. w. Denn da einen Schriftſteller 
verſtehen nichts anders heißt, als: genau dass 
ſelbe bei ſeinen Worten denken, was er dabei 
dachte und gedacht wiſſen wollte; ſo muß man 
auch genau wiſſen, wie viel oder wie wenig, 
und welche Vorſtellungen und Ideen Er dar⸗ 
ſtellen wollte. Folglich muß der Ausleger, be⸗ 
ſonders eines ſehr alten Buchs, ſeine Verhaͤlt⸗ 
niſſe, Anſichten der Welt und Ideen gaͤnzlich 
vergeſſen, und ſich ganz in die Lage und Um⸗ 
gebungen des Verfaſſers, den er erklären will, 
verſetzen, und deſſen Zweck, Meinungen und 
Begriffe, ſo wie die ganze Eigenthuͤmlichkeit 
des Zeitalters, wo er lebte, im Auge behal⸗ 
ten. - BR . 


Doppelt noͤthig werden dieſe Ruͤckſichten 
bei Religionsſchriften, weil ſich dieſe auf Mei: 
nungen, Glaubensſaͤtze und Ideen beziehen, 
die bei jedem Volke und in jedem Zeitalter, oft 
auch bei jedem einzelnen Schriftſteller individuel 
modificise find. 


Weil alle dieſe Unterſuchungen hiſtoriſch 
ſind; ſo hat man die Auslegung, welche ſich 
auf dieſe Unterſuchungen als ihre Prämiſſ en 
ſtuͤtzt, und aus ihnen die Erklaͤrungsgruͤnde 
ableitet, die hiſtoriſche genannt. + 


In treffender Kürze beſchreibt fie e Keil in 
dem angeführten Programm S. 8 f: 
In 


14 Hiſtoriſche Auslegung. 


In fingulorum, ſagt er, ver borum for- 
mularumque loquendi ſignificationibus 
explorandis non ſufficit ſeire,; quid verbum 
quodque hac illaue lingua omnino ſignifi- 
cauerit; ſed quaerendum etiam eſt, quo ſen- 
ſu illo nominatim tempore, quo liber is, quem 
explicandum nobis ſumſimus, ſeriptus eſt, in- 
que ea, qua vixit auctor eius, gente et re- 
gione fuerit vſurpatum. Tum vero quaeri 
etiam debet, quinam cuiusque verbi fenfus 
in hoc potiſſimum, quem interpretamur, lo- 
co obitineat et quemnam quafi ambitum nune 
complectatur. Conſtat enim, laepe verbis 
quibusdam non modo ampliorem anguſtio- 
remue, quam qui ipſorum fignifieatione de- 
ſcriptus eſt, ambitum tribui, ſed loco fignifi- 
cationis iplorum alium etiam ſenſum iis eſſe 
ſubjiciendum. In vtroque igitur quaerendo 
non pro lubitu verfandum eſt interpreti, ſed 
omnia potius ad ipfius ſeriptoris ſententiam 
et mentem ſunt reuocanda, atque cum ad 
poſterius quidem genus verborum, quorum 
ſignificationi alius ſenſus eſt ſubſtituendus, 
tropica potiſſimum vocabula et loquendi for- 
mulae pertineant, in his omnium maxime 
eauendum eſt interpreti, ne ab hiſtorica in- 
ter pretandi ratione recedat. — — — In plu- 
rium autem vocabulorum fententia- 
rumque inuicem iunctarum nexu indagan- 
do non minus necefle eſt, vt id potiſſimum 
quaeratur, quaenam ſeriptor verba inuicem 
nexa eſſe voluerit, et quemnam nexum ſibi 
cogitauerit, neque, hoc neglecto ea inter fe 
iungantur, quae interpreti videantur hoc il- 
loue modo inuicem necti poſſe. In rebus 
denique, quae apud quemlibet ſeriptorem tra- 
ditae reperiuntur, ſedulo ſpectandum eſt hoc, 
vt earum omnium, quantum fieri poteſt, eas- 
dem plane formet fibi interpres notiones, quae 
foeriptoris 


’ 


7 


Hiſtoriſche Auslegung. 15 


ſeriptoris lectorumque eius menti fuerunt ob- 
verlatae; alioquin nullo modo poterit eorum, 
quae dieuntur, fenlum illum adlequi, qui 
in ipiius feriptoris, dum, cum feriberet, ani- 
mo inſedit. In rebus igitur iis, quae ſenſi- 
bus fubiacent, quarumque in libris ſ. mentio 
aliqua injieitur, quales ſunt v. c. hominum, 
quorum res geſtae narrantur, mores et ritus, 
regionumque, in quibus illi vixerunt, ſitus 
et indoles, hoc curandum erit interpreti, vt 
earum omnium eam conditionem cognitam 
ſibi reddat, quam feriptor quisque eiusque 
lectores illo ipſo tempore oculis ſuis vſurpa- 
runt, quo liber eius eſt exarstus. Multo ma- 
gis vero in iis rebus, quae animo tantum 
comprehenduntur, in eo ipfi erit elaboran- 
dum, vt omnium, quas ipſi ſibi formauit, 
aut ab aliis accepit, harum rerum notionum 
penitus obliuiſeatur, et in eius potius, qui 
librum quemque ſeripſit, eorumque quibus 
deſtinatus eſt, notiones his de rebus concep- 
tas inquirat. Quod vbi factum fuerit, tum 
has iſtorum hominum notiones ita animo de- 
bet amplecti, vt omnem quali eorum perfo- 
nam induat, et quaenam ipfis haec fcriben- 
tibus aut legentibus idese neceflario debue- 
rint obuerfari, diligenter cogitet. 
f \ 
Vergl. auch Eichhorns Vorſchlaͤge zur Her⸗ 
meneutik. In der allgem. Bibl. d. bibl. Lit. 
4 B. 2 St. S. 330 — 343. Poͤlitz Ber 
trag zur Kritik der Religionsphiloſoph. und 
Exegeſe unſers Zeitalters, S. 390 f. I. G. 
A. Hacker de defcenfu Chr. ad infe- 
ros. Diſſ. (Dresd. 1802) S. 2 ff. 


Ne. 


16 Unterſchied der grammatiſchen 
ö N 


Unterſchied der grammatiſchen und h iſto⸗ 
riſchen Auslegung. 


Gegen dieſe richtige Anſicht einer gedoppel⸗ 
ten Erklaͤrung des N T. ſind die Gruͤnde, mit 
denen man hat beweiſen wollen, daß es uͤber⸗ 
haupt nur Eine Erklaͤrung, naͤmlich die gram⸗ 
matiſche gebe, von keiner Bedeutung. Man 
erinnerte naͤmlich, daß jede Erklaͤrung eines 
Schriftſtellers uͤberhaupt hiſtoriſch ſey, indem 
ſich die Auslegung mit Auffuchung der Vorſtel⸗ 
lungen und Ideen, die man mit den Worten 
einer Sprache bezeichnet habe, beſchaͤftige, alſo 
mit einer hiſtoriſchen That ſache. So wahr 
dieſes nun auch iſt, ſo wenig reicht es zum 
Beweiſe hin, daß grammatiſche und hiſtoriſche 
Auslegung identiſch ſeyen. Denn es iſt doch 
ohnſtreitig zu viel in den Begriff des Hiſtori⸗ 
ſchen gezogen, wenn man ihm auch die Wiſſen⸗ 
ſchaft alter Sprachen beimiſchen will; da ſich 
die Geſchichte nicht mit Worten und deren Be⸗ 
deutungen, ſondern mit Sachen, Ideen und 
Perſonen beſchaͤftigt. Mit gleichem Rechte würde 
ſich die Kunſt, alte Diplome und Hieroglyphen 
zu entziffern, zur Geſchichte rechnen laſſen, da 
doch dieſe nur auf den Inhalt jener Diplome 
und Hieroglyphen Ruͤckſicht nehmen kann. Doch 
man hat nicht noͤthig uͤber den Gebrauch und 
Umfang des Portes „hiſtoriſch“ zu ſtreiten, weil 
es keinem Zweifel unterworfen ſeyn kann, daß 

f es 


1 


und hiſtoriſchen Auslegung. 17 


es ein ſehr verſchiedener Proceß ſey, einen 
Schriftſteller aus dem Sprachgebrauch, oder 
aus der Geſchichte (Geographie, Kirchen: Dog» 
men⸗Religions⸗Politiſche Geſchichte 20 zu erklaͤ⸗ 
ren. Denn die Ideen und Begriffe ſind nicht 
ſo feſtſtehend wie die Sprache ſelbſt, ſondern 
mobifteiren ſich nach Ort, Zeitalter und Umge⸗ 
bungen zu unendlich mannigfaltigen Geſtalten. 
Die Sprache, die fuͤr dieſe neuen oder indi⸗ 
viduellen Begriffe und Vorſtellungen noch nicht 
geſchmeidiget iſt, und immer nur, auch wenn 
ſie ſehr gebildet iſt, noch ein unvollkommenes 
Mittel zur Bezeichnung darbietet“), wird daher 
veraͤndert, die Bedeutung der ſymboliſchen Zeichen 
der Begriffe (der Worte) wird, da man neue 
weder ſchaffen kann noch will, modificirt, und 
ſo entſteht die Nothwendigkeit, die Geſchichte 
und deren Quellen zu Huͤlfe zu rufen, um, be⸗ 
ſonders alte, Schriften zu verſtehen; welches 
doppelt nothwendig wird, wenn ſie die Reli⸗ 
gion betreffen. Man erinnere ſich nur an die in 
Mu verſchiedenen 


1 Man e ſich an das Beispiel ke 
Zeit, wo die philoſophiſche Sprache durch Kants 
originelle Ideen eine ſo bedeutende Veraͤnderung 
litt, und fo viele Mißverſtaͤndniſſe dieſer Philos 
ſophie daher entſtanden, daß man die Worte, 
deren ſich Kant bediente, immer im Sinn der 
alten Metaphyſik nahm, und uͤberhaupt Kanten 
aus dem Standpunkt derſelben erklaͤrte und beur⸗ 


theilte. 


18 luterſchied der b Kammotſſhen i 


verſchiedenen Zeitaltern und bei . 
Voͤlkern ſo mannigfaltig modificirten Begriffe 
Geiſt, Himmel, Gott, ſchaffen u. ſ. w. 
Iſtges hier genug zu zeigen, daß mveuax uns 
ter mehrern Bedeutungen, auch Geiſt heiße; 
daß ovecvos den Himmel bezeichne u. ſ. w. 
Iſt es Sache des Sprachgebrauchs, zu unterſu⸗ 
chen, wie dieſe Begriffe modificirt wurden, oder 
nicht vielmehr der Geſchichte? — Muß uns 
dieſe nicht lehren, was man ſich für Vorſtellun⸗ 
gen von Geiſt, Himmel ꝛc. zu verſchiedenen 
Zeiten, und bei dem Volke, zu dem ein Schrift⸗ 
ſteller gehoͤrt, mache? — Und wie koͤnnte 
es Sache der grammatiſchen Erklarung ſeyn, 
alle die Umſtaͤnde anzugeben und aufzuſuchen, 
durch deren Kenntniß, Worte und de erſt 
ihr volles Licht erhalten? 


Wer wird es nicht zugeſtehen, daß die Saty⸗ 
ren eines Perſius und Juvenals ſowohl einer 
grammatiſchen als hiſtoriſchen Erklaͤrung beduͤr⸗ 
fen? Wer wird es laͤugnen, daß man dieſe 
Schriften nach den Regeln der lateiniſchen Sprach⸗ 
kunde vollkommen erklaͤren, und ſie demohn⸗ 
geachtet nicht verſtehen koͤnne, wenn man nicht 
weiß, auf welche Sitten, Laſter, Meinun⸗ 
gen, Vorurtheile, oder Begebenheiten ſie die 
Spitze ihrer Satyre richten? Wer wird ſich 
ruͤhmen koͤnnen, die Briefe eines Cicero zu ver⸗ 
ſtehen, wenn er nicht mit der Zeitgeſchichte 
jenes Mannes und deſſen bee Verhaltniſſen 
| bekannt 


N 
* 


und hiſtoriſchen Auslegung. 19 


bekannt iſt? — Wer kann behaupten, die philoſo⸗ 
phiſchen Schriften dieſes roͤmiſchen Weiſen zu faſſen, 
wenn er nicht mit den aͤltern philoſophiſchen 
Syſtemen, auf welche er ſtete Ruͤckſicht nimmt, 
vertraut iſt? — Der bloße grammatiſche Er⸗ 
klaͤrer aller dieſer Schriften wird zwar die Wor⸗ 
te haben, und auch Begriffe mit ihnen verbin⸗ 
den, einen Sinn in den Saͤtzen finden; aber 
gewiß nicht die Begriffe, nicht den Sinn, 
den jene Schriſtſteller ſelbſt darſtellen woll⸗ 
ten; — er hat blos das Zeichen aber nicht 
den Sinn, nicht den SAN des ſinnlichen Zei⸗ 
chens gefaßt. 
Diaſſelbe gilt auch bei der Erklaͤrung der 
Bücher des neuen Teſtaments. Denn da) fie 
auf eben die Weiſe wie jedes andere menſchliche 
Buch erklaͤrt werden muͤſſen, und folglich ihr 
i B 2 Sinn 


U N — 
*) Er neſti in ſ. inſtit. interpretis N. T. pag. 11. 
(der zten Ausg.): „elus (vfus loquendi) ob- 
feruatio propris eſt Grammaticorum, quo- 
rum artis maxima et praecipua pars in eo 
verlatur, vt quid verbum quodque, tempore 
quoque, apud ſeriptorem quemque, in dil- 
eiplina et forma denique loquendi 
quaque (?) fonuerit, diligenter exquirant. 
Vnde ſenſus literalis idem grammaticus dici- 
tur, nec minus recte hiſtoricus voca- 
tur, quod, vt caetera, quae ſunt in facto, 
teſtimoniis et auctoritatibus continetur. Ita- 
que nullus alius verborum ſenſus eft, nifi 
grammaticus.“ Vergl. mit Mon ‚acröalı, 
luper hermeneut. N. T. P. I. p. 66 14 


— 


20 Unterſchied der grammatiſchen 


Sinn nur Einer, und nur Einer der wahre 
ſeyn kann!); da dieſe Schriften ein ganz eigenthuͤm⸗ 
liches Gepraͤge der Zeit, des Ortes und der Nation, 
unter der die Verfaſſer lebten, an ſich tragen: ſo 
muß auch ihr einziger und wahrer Sinn durch 
Anwendung der grammatiſchen und hiſtoriſchen 
Auslegung gefunden werden. Wie verſchie⸗ 
den aber hierbei das Geſchaͤft des gramma⸗ 
tiſchen und hiſtoriſchen Auslegers ſey, iſt aus 
dem, was bisher geſagt worden iſt, ſehr deut⸗ 
lich, und kann an einigen Beiſpielen ganz evident 
erwieſen werden. f 
Alo bedeutet bekanntlich in der hebraiſi⸗ 
renden Schreibart: Zeit, Lebenszeit, En 
keit, Welt (Hiob. 13, 6. 10. Weish. 13, 9. 
K. 4, 2. Ki 3, 14.) Dieſe Bedeutungen zu 
verificiren und ihre Ableitungen zu zeigen, iſt 
das 


6 S. Ernefi interbres pag. II. 12. Morus 
acroafes P. I. p. 69. Gelbricht commen- 
tatio qua docetur, interpretationem librorum 
diuinorum ab interpretatione librr. humano- 
rum nihil differre. Zeitz 1274. 4, I. As- 
both comment. de interpretstione codicis fa- 
eri ad communia omues libros interpretandi 
principia reuocata. Goett, 1791. 4. Guil. 
Nic. Freudentheil commentatio de codice 
facro, more in reliquis antiquitatis libris ſo- 
lemni ingenue interpretando; adiectis difficul- 
tatibus Nouo T. propriis. Goett. 1791. 8. 
Herders Briefe, das Studium der Theologie 
betreffend, 1. Th. S. uff. 


und hiſtoriſchen Auslegung. 21 


das Geſchaͤft der grammatiſchen Interpretation. 
(Vorſtius de hebraism. N. T. ed. Fichh. p. 
38 faq.) Doch eben dieſes Wort hatte auch 
bei den Juden in der Ver bindung ce O 
rum de]], und csc o Eh N DO, 

einen beſtimmten hiſtoriſchen Sinn. Das erſtere 
naͤmlich bezeichnete die jetzige Weltperiode vor 
der Erſcheinung des Meſſias; das letztere die 
Weltperiode, wenn der Meſſias erſcheinen und 
fein Reich errichten wuͤrde.“ Denn ſie theilten 
die Zeit in zwei Perioden, in die vor, und in 
die waͤhrend der Regierung des Meſſias. (Light- 
foot horae hebr. ad Matth. XII, 35.) Diefen 
Sinn der Worte, wobei die Bedeutung des 
Wortes cio als Zeit ungekraͤnkt bleibt, giebt 
nicht die Philologie an die Hand, ſondern die 
juͤdiſche Dogmengeſchichte; daher der Beweis 
derſelben zur hiſtoriſchen Exegeſe gehoͤrt. Finden 
wir daher im N. T. Stellen, wo entweder 
Juden ſprechen (wie Matth. 19, 16.), oder wo 
Jeſus mit Juden ſpricht, bei denen er voraus⸗ 
ferren mußte, daß fie dieſe Worte in der ihnen 
bekannten und gewoͤhnlichen Bedeutung nehmen 
wuͤrden; ſo verfahren wir wahrſcheinlich am 
richtigſten, wenn wir ſie nach dieſen Vorſtellun⸗ 
gen, und alſo hiſtoriſch erklaren; z. B. Matth. 
12, 32. Daher heißt auch Cam ceich os nicht 
nur das zukuͤnftige Leben nach dem Tode, in 
welchem Sinne es nicht nur im N. T. ſondern 
auch im 4 Buch der Makkab. (das aber freilich 
ein ſpaͤtes e Produkt, und frei 
I, von 


— 


22 Unterſchied der grammatiſchen. 


von der hebraiſirenden Schreibart iD K. 15, 3 
K. 17, 18. vorkommt; ſondern es bedeutet 
im hiſtoriſchen Sinne bisweilen auch die Gluͤckſe⸗ 
ligkeit des Meſſiasreichs, wie z. B. Mark 10, 30. 
Ein anders Beiſpiel ſey das ſchwere Wort 
0 Ab % Joh. 1, 1. Die grammatiſchen Inter⸗ 
preten haben es auf verſchiedene Weiſe erklaͤrt, 
indem einige es durch o Ne eEEρ), der Ver⸗ 
fprochene “) d. w. EmanyyeNhowsvos, erklaͤrten; 
andere ) nahmen es fuͤr 8 Ne, der Spre⸗ 
cher, interpres, und Doͤderlein *) erklaͤrte es 
nach derſelben grammatiſchen Form durch auctor 
doctrinae, und nahm alſo Ne in der ge⸗ 
woͤhnlichen Bedeutung, doctrina chriſtiana. Die⸗ 
ſe Erklaͤrung laͤßt ſich vollkommen grammatiſch 
rechtfertigen, da Johannes ſehr haͤufig das Ab⸗ 
ſtraktum fuͤr den Urheber deſſen, was das 
Wort bezeichnet, ſetzt, z. B. wenn er Jeſum 
den Weg, d. i. den Führer auf dem Wege, 
die Wahrheit, d. i. den Lehrer der Wahrheit, 
Auferſtehung, Leben u. ſ. w. nennt. Endlich 
nahm ein Theil der Interpreten Ao’yos, in 
der Bedeutung Weisheit, und erklaͤrte die 
ganze Stelle für Perſoniſikation der Weisheit 

Gottes 


*) Deyling obſſ. ſ. T. I. pag. 7217 Titt- 
99135 de Veſtigiis Gnoſt. in N. T. fr. au. 


550 4 in den Memorab. 8. St. S. 94 
ff. welche Erklärung er in feinem Commentar 
über den Johannes mit Recht zuruͤcknahm. 

elt) inftit, theol. Chr. T. I. p. 364. 


1 


7 


und hiſtoriſchen Auslegung. 23 


Gottes als Eigenſchaft“). Alle dieſe Erklaͤrungen 
beruhen auf grammatifchen Grunde, und laſſen 
ſich nach den Regeln der grammatiſchen Exegeſe 
vertheidigen. — Hingegen der hiſtoriſche Exeget 
unterſucht, ob nicht Nes bei den Juden zu 
jenen Zeiten einen beſondern, beſtimmten Sinn 
gehabt habe, und wenn er nun findet, daß 
fie allerdings oft von einem göttlichen und ſub⸗ 
ſtanziellen Weſen, dem Aoryos, ſprechen, der 
vor Urbeginn (2v cen) der Welt aus Gott 
hervorgegangen ſey, die Welt erſchaffen habe, 
und in Ruͤckſicht ſeiner Natur der Abglanz, das 
Ebenbild der goͤttlichen Majeſtaͤt und Vollkom⸗ 
menheit ſey, und Gott genennt werden duͤrfe 
(ace Oeog nv ò Noos); fo wird er das Wort 
Aoyos als einen Kunſtausdruck betrachten, und 
nun nach der Geſchichte beſtimmen, welche Vor⸗ 
ſtellungen man ſich von dieſem Weſen zu machen 
habe, und wie ihm das, was Joh. 1. geſagt 
wird, beigeleget werden koͤnne. — Wie ſich 
die grammatiſche und hiſtoriſche Erklaͤrung in 
der berühmten Stelle 1 Petr. 3, 19. 20. gegen 
einander verhalten, iſt treffend gezeigt worden 
von Hacker (diſſ. de defcenfu Chrift. ad inf. 
p. 18 ff.) Endlich iſt, — um noch ein geo⸗ 
a N graphiſches 


) Löffler uͤber den Platanism. d. Kirchen v. 
S. 394. Jeruſalem nachgelaſſ. Schriften 
I. Th. S. 565 ff. Eckermann theol. Bel⸗ 
traͤge, I. B. S. 5 ff. 


24 Umfang der hiſtoriſchen Auslegung. 


graphiſches Beiſpiel aus andern Buͤchern zu waͤh⸗ 
len, — die Bedeutung von- UHER iſt bekannt⸗ 
lich Leiter. Es wird aber 1 Makk. 11, 59. 
eine Aνεt Tec erwaͤhnet, welcher Aus⸗ 
druck aus der Geographie zu erlaͤutern iſt. Naͤm⸗ 
lich aus Joſephus (juͤd. Krieg. 2 B. 10 Kap. 
S. 169. der Haverk. Ausg.) lernen wir, daß 
KN. T. ein hoher und aͤußerſt ſteiler Berg 
zwiſchen den Staͤdten Tyrus und Ptolemais war, 
der wegen ſeiner Steilheit (vielleicht auch weil 
Stufen in ihm eingehauen waren) dieſen Namen 
erhalten hatte. — Diefe. Erörterung iſt aber 
ganz hiſtoriſch. 


§. 7. 
Umfang der hiſtoriſchen Auslegung. 


Die hiſtoriſche Interpretation iſt von weitem 
Umfange, und umſchließt alles das, was aus. 
fer. der Kenntniß des allgemeinen und beſondern 
Sprachgebrauchs noch außerdem zur Erklarung 
eines Schriftſtellers aus der Geſchichte aufzu⸗ 
ſuchen und anzuwenden iſt. Es gehoͤrt alſo in 
das Gebieth derſelben erſtlich Kenntniß der Alter⸗ 
thuͤmer, der Sitten, Gebraͤuche und Einrich⸗ 
tungen des Volkes und des Zeitalters, in dem 
die Verfaſſer ſchrieben; ferner der Geographie ih⸗ 
rer Zeit und ihrer naturhiſtoriſchen Kenntniſſe 
und Meinungen; ferner Kenntniß der Geſchichte 
des ganzen Zeitraums, in dem ein oder mehrere 
Verfaſſer ſchrieben, und beim neuen Teſt. nament⸗ 

lich 


0 


Umfang. der hiſtoriſchen Auslegung. 25 


lich der juͤdiſchen und roͤmiſchen Geſchichte, und 
deren Chronologie; ferner die Kenneni der hi⸗ 
ſtoriſchen Umſtaͤnde der Verfaſſer und ihrer "Bir 
cher, folglich Geſchichte ihres Lebens, ihrer 
Geſchaͤfte, ihrer Kultur, der Schickſale ihrer 


Buͤcher bis auf unſre Zeiten; vorzuͤglich aber 


der Perſonen, fuͤr welche ſie ſchrieben; des Zwecks, 
den ſie durch ihre Schrift erreichen wollten; 
des Zuſtandes und Verhaͤltniſſes derer, an wel⸗ 
che ſie ſchrieben; der Veranlaſſungen, wegen 
welcher, der Zeit und des Ortes wo, und 
der individuellen Gemuͤthsſtimmung, in welcher 
ſie die Feder ergriffen. 


Beim neuen Teſtamente kommt aber vorzuͤg⸗ 
lich die Geſchichte der religioͤſen Meinungen, nicht 
nur der Juden, ſondern des ganzen Orients 
in damaligen, fruͤhern und ſpaͤtern Zeiten, der 
Streitigkeiten der juͤdiſchen Sekten, der Art, 
nach welcher juͤdiſche Lehrer bewieſen, erklaͤrten 
und disputirten in beſondere Betrachtung, weil 
das N. T. lauter ſolche Schriften enthält, die 
ſich auf eine neue, unter den Juden entſtandene, 
Religion beziehen. Dieſen Theil der hiſtoriſchen 


Auslegung nenne ich die hiſtoriſch-dogmatiſche, 


und ſie iſt es, die mir noch einer beſondern 
Bearbeitung zu beduͤrfen ſchien, ſo reichlich auch 
die Vorarbeiten fuͤr dieſelbe ſind. 


Denn was die Alterthümer, die Geogra⸗ 
phie, Naturgeſchichte Palaͤſtinas, die politiſche 
8 Geſchichte 


26 Umfang der hiſtoriſchen Auslegung. 


Geſchichte jenes Zeitraums und die Chronologie 
deſſelben anbetrifft; fo iſt dafür in Schriften, 
die allgemein bekannt, und in allen hermeneu⸗ 
tiſchen Lehrbuͤchern angefuͤhrt ſind, ſehr viel 
geleiſtet worden. Was aber die Kenntniß der hi⸗ 
ſtoriſchen Umſtaͤnde der Verſaſſer des N. T., ihrer 
Bücher, deren Schickſale, Zeit der Abfaſſung ꝛc. 
anlangt; To iſt dieſe in den Einleitungen in das 
N. T. (das Verzeichniß derſelben f. in meinem 
Verſuch einer ſyſtematiſchen Ent wickelung aller 
in der Dogmatik vorkommenden Begriffe, nebſt 
der Literatur der Dogm. S. 78 — 80) und 
zum Theil in den Schriften uber den Kanon 
(S. ebendaſ. S. 102 — 104) und über die 
Aechtheit und Integritaͤt des N. T. lebendaſ. 
S. 83 ff.) zu ſuchen. Doch die einzelnen Ab⸗ 
handlungen uͤber dieſe Materien ſollen, weil ſie 
bedeutenden Einfluß auf die hiſtoriſch dogmati⸗ 
ſche Exegeſe haben koͤnnen, zu Ende dieſer Un⸗ 
terſuchungen angegeben werden. 


85 Pr Kap. 


27 
— . . — — — 


Es 


N 


K a p. II. 


Bon der hiſtoriſch⸗ dogmatiſchen Auslegung a 
des N. T. insbeſondere. 


4 ” 3 
4 Kn inn 


8 £. 8. 


weten der hicsriſch dogmatischen Aus- 
legung. N 

Um die hiſtoriſch⸗ dogmatiſche Auslegung beim 
N. T. anwenden zu koͤnnen, muß man ſich das 
ganze Syſtem der religioͤſen Meinungen des 
Orients, die vor, waͤhrend und nach den 
Zeiten der Apoſtel in jenen Ländern herrſchten, 
genau bekannt machen, die Anfaͤnge und Fort⸗ 
bildung jener philoſophiſch⸗ religioͤſen Ideen aufs 
Iſuchen, ihre Modiſicationen bei verſchiedenen 
Nationen und unter dem Einfluß früberer reli⸗ 
gioͤſer Grundſaͤtze verfolgen, die einzelnen Data 
pragmatiſch verbinden, und zu einer belehren: 
den und umſchließenden juͤdiſchen Theologie (oder, 
wenn man lieber will, Theologie des Orients) 
verarbeiten; eine Geſchichte, die das Ganze 

eben 


| 1 
28 Weſen der hiſtoriſch⸗ dogmat. Ausleg. 


eben fo gut mit umfaſſendem und pragmatiſchem 
Blicke uͤberſchaut, als ſie das Einzelne kritiſch 
erörtert, und in Verbindung mit dem Ganzen 
fest. Denn die hiſtoriſch⸗dogmatiſche Interpre⸗ 
tation ſelbſt beſteht darin, daß man nicht nur 
einzelne Worte in dem Sinne nehme, in wel⸗ 
chem ſie in jener Theologie gebraucht wurden; 
ſondern daß man auch den Sinn ganzer Saͤtze 
und Stellen, wenn ſie aus derſelben erlaͤutert 
werden koͤnnen, in Gemaͤßheit dieter theologi⸗ 
ſchen Meinungen beſtimme; vorzuͤglich dann, 
wenn die Verfaſſer ſelbſt ſolche Meinungen zu 
berückfichtigen ſcheinen. So wird der hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſche Interpret z. B. den Worten Logos, 
Satan, Damon, Höfer. ihre Geltung nach 
der juͤdiſchen Theologie beſtimmenz er wird 
ſich die undankbare Muͤhe erſparen, den Satan 
mit ſeinen Wirkungen aus dem N. T. hinweg 
zu erklaͤren, die Wunder Jeſu durch philologi⸗ 
ſche Kuͤnſteleien oder pſychologiſche Erklärungen 
als natuͤrliche Begebenheiten darzuſtellen, oder 
ſie als einfache Fakta, welche durch Tradition 
zu Wundern ausgeſchmuͤckt worden ſeyen, zu be⸗ 
handeln, da er weiß, daß Jeſus, als Meſſias, 
Wunder thun mußte, weil die Juden in dem 
Meſſias einen großen Wunderthaͤter erwarteten, 
und beide Begriffe bei ihnen beinahe identiſch 
waren; er wird es fuͤr Ungerechtigkeit gegen 
die Rechtſchaffenheit und den religioͤſen Eifer 
der Apoſtel, beſonders eines Paulus halten, 
unter der Auferſtehung der Todten eine morali⸗ 

ſche 


1 


Nothwendigkelt derſelben. 29 


* 


1 18 öl 5 
ſche Erweckung aus dem Tode der Suͤnden zu 
verſtehen, da er weiß, daß die Juden allge⸗ 
mein eine Auferweckung der Koͤrper glaubten, 
und folglich unter der dvasacıs nichts anders 
verſtehen konnten. So wird er uͤberall das neue 
Teſt. ſo verſtehen, wie es nach hiſtoriſchen 
Gründen wahrſcheinlich iſt, daß es die damali— 
gen Leſer deſſelben verſtehen konnten 
und mußten. 8 
Vortrefflich ſagt Mosheim in f. izyſtit. biſt. 
chriſt. mai. Sec. I. p. 134. : „ fi quae ſtudio- 
rum rationes inter populos Orientis, prae- 
ſertim in Afia et Aegypto floruerint, cum 
ed nos deſcenderet filius Dei, monumen- 
tis explöratum hodie eſſet minime dubiis, 
magna vteremur luce adlibrosdiui- 
nos melius intelligendos, ad vim 
veterum formularum et dogmatum Chriſtia- 
norum rationes reddendss, ad leita denique 


eorum explicanda, qui rei Chriftianae initia 
ſoedis erroribus contaminarunt.“ 


9. 9. 
Nothwendigkeit derfelben, 


5 Denn wenn man, was man doch muß, 
vorausſetzt, daß die Schriftſteller des N. T. 
ſchrieben, um von ihren Leſern verſtanden zu 
werden; wenn ſie folglich dieſelben Begriffe, 
Vorſtellungen und Ideen mit ihren Worten ver⸗ 
binden mußten, welche ihre Leſer damit zu 
verbinden pflegten; ſo muͤſſen auch wir, wenn 
wir dieſe Schriften richtig verſtehen wollen, die 
N Vor⸗ 


380 Nothwendigkeit derſelben. 


Vorſtellungen der Leſer kennen und bei der Er⸗ 
klaͤrung zu Grunde legen. Denn hatten die neu⸗ 
teſtamentlichen Schriftſteller mit ihren Worten 
einen neuen, ungewoͤhnlichen, oder wenigſtens 
bedeutend modificirten Sinn verbinden wollen; 
ſo mußten ſie ſich ſo ausdruͤcken, daß ihre 
Leſer dieſe Modifikationen bemerken, dieſen Sinn 
verſtehen konnten. Außerdem hatten ſie volles 
Recht, die Briefe und Schriften ſo zu verſtehen, 
wie es der allgemeine dogmatiſche Sprachgebrauch 
heiſchte. Denn die neut. Schriſtſteller ſchrieben 
doch wahrhaftig nicht zur Taͤndelei, und um 
zu ſchreiben, ſondern um bei ihren Leſern wich⸗ 
tige Abſichten zu erreichen. Mußte ihnen nicht 
daran liegen, verſtanden zu werden? Konnten ſie 
von dem recipirten dogmatiſchen Sprachgebrauch 
abgehen, ohne es deutlich zu ſagen? Wenn 
fie alſo z. B. mit vios Jeop nicht den Meſſias 
oder die goͤttliche Natur des Logos, die ſich, 
mit Jeſu vereinigt hatte, ſondern den morali⸗ 
ſchen Sohn Gottes bezeichnen wollten; ſo muß⸗ 
ten ſie, da ihre Leſer von dieſer Kantiſchen 
Begriffsverwandlung keine Kenntniß haben konn⸗ 
ten, dieſes ausdruͤcklich ſagen. Wollten fie, 
daß ſich ihre Leſer bei venue c νν blos einen 
geiſtigen Sinn, oder eine heilig wirkende 
Geiſteskraft denken ſollten; ſo mußten ſie 


dieſes ausdruͤcklich bemerken, da außerdem die 


Leſer an den heiligen Geiſt, ein ſubſtanzieles 
Weſen, gedacht Bohr würden. PER | 


Und 


* 


* 
1 


1 


Nothwendigkett derſelben. es 
BR 


= 


und in der That würde ſich nicht begrei⸗ 


ſen laſſen, wie und warum die Apoſtel und 
die andern Verfaſſer des N. T., die ihre Ueber⸗ 
zeugung ſo frei und offen an den Tag legen, 
und Alles fuͤr dieſelbe zu thun und zu leiden be⸗ 
reit ſind, die Zweideutigkeit Einiger unter uns 
haͤtten nachahmen ſollen, die ſich der Worte 
des N. T. ſcheinbar im bibliſchen Sinne bedienen, 


eigentlich aber etwas ganz Anderes, was nur 


den Eingeweihten deutlich iſt, ſagen wollen. Die⸗ 
ſes Temporiſiren war dem feurigen und ehrlichen 
Charakter der Apoſtel durchaus zuwider, bei 
denen Alles, was ihren großen Meiſter und 
deſſen Lehre betraf, Sache des Herzens, der 
Pflicht, und der lebendigſten Ueberzeugung war, 
und die es fuͤr das ſchwerſte Verbrechen ange⸗ 
ſehen haben würden, feine Lehre aus Menſchen⸗ 
gefaͤlligkeit zu veraͤndern und zu verfaͤlſchen. 
Greifen ſie doch ſo manche juͤdiſche Vorurtheile, 


ja die ganze moſaiſche Verfaſſung mit ernſter 


Strenge an; wie konnten fie bei andern Lehren 


temporiſiren? Bahnten ihnen nicht ſogar die 


Sadducaͤer einen Weg, um ſo manches aus 
der juͤdiſchen Theologie zu verwerfen? — Wie 
leicht konnte doch Paulus, da man an der 
Wiederkunft Chriſti zum Weltgericht, weil ſie 
ſich immer verzog, zweifelte, wie leicht konn⸗ 
te er die s Ohe xveiov als geſchehen 


betrachten, wenn er erklaͤrt hätte, daß er ſich 


blos nach den Vorurtheilen ſeiner Leſer akkom⸗ 
modirt, oder die Gruͤndung der chriſtlichen 


9 2 12 
1 3 0,17% Kir⸗ 
a ‚ 
N 


U 


32 Nothwendigkeit derſelben. 


Kirche, oder die moraliſche Herrſchaft Jeſu 
durch ſeine Lehre, oder die Ausgießung des hei⸗ 
ligen Geiſtes, der ein νονοο magarAnros ſeyn 
und Chriſti Stelle vertreten ſollte, darunter 
verſtanden habe! Wie leicht war dieſe Wen⸗ 
dung zu nehmen, da ſie ganz der damals all⸗ 
gemein herrſchenden allegoriſchen Auslegungsart 
entſprach! Aber er war fern von ſolchen kuͤnſt⸗ 
lichen Wendungen der Lehre, und mußte es 
auch ſeyn, da ihm ſonſt ſeine Leſer den Vor⸗ 
wurf machen konnten, daß er dieſe Erklarung 
ſogleich haͤtte darlegen ſollen, als er eine Wie⸗ 
derkunft Jeſu, des Meſſtas, lehrte. Da 
Johannes bekannte moraliſche Begriffe in ſeinem 
erſten Briefe erklaͤrt, wie haͤtte er es nicht 
angeben ſollen, wenn er das Wort Ao- 
%s in einem andern, als dem gewöhnlichen 
Sinn, nahm? — Wie deutlich ſpricht doch 
Paulus mit den Athenern (Apoſtelg. 17.), er⸗ 
klaͤrt ihnen den Begriff von Gott, und um: 
ſchreibt ihnen v. 30. und 31. den Begriff 
vom Meſſias. Er wußte ja wohl, daß feine 
Zuhoͤrer keine Juden waren; er wußte wohl, 
daß ſich dieſe Zuhoͤrer unter den Worten geos 
und xeısos nicht das denken würden, was er 
ſich dabei dachte, und was ſich juͤdiſche Zuhoͤ. 
rer gedacht haben wuͤrden. Wie deutlich ſucht 
er es dem Prokonſul Felix zu machen (Apoſtelg. 
24), was ſein Geſchaͤft als Religionslehrer ſey! 
Sollte er gegen die Leſer ſeiner Schriften nicht 
gleiche Sorgfalt gebraucht, uud es ihnen aus⸗ 

druͤck⸗ 


Nothwendigkeit derſelben 32 


druͤcklich geſagt haben, wenn er mit dogmati⸗ 
ſchen Worten und Saͤtzen andere Begriffe vers 
bunden wiſſen wollte, als er wußte, daß feis 
ne Leſer damit verbinden wuͤrden? Oder ſollte 
er, da er ſo ſorgfaͤltig Mißverſtaͤndniſſe zu ver⸗ 
meiden ſucht ſ. z. B. Roͤm. 3, 31. 4, 1 ff. 
6, 1 ff.) nicht dieſelbe Sorgfalt uͤberall, wo 
es noͤthig war, beobachtet haben? Und iſt 
es nicht offenbar, daß er da, wo er ein 
Wort in einem andern Sinne nimmt, dieſes 
durch die ganzen Umgebungen und den Zuſam⸗ 
menhang den Lefern fuͤhlbar macht? (z. B. Roͤm. 
2, 28. 29. Galat. 4, 26. Eph. 4, 22 — 24. 
Coloſſ. 3, 2 — ) — Sorgen nicht auch 
die Evangeliſten durch eingeſtreute Bemerkungen 
dafuͤr, daß die Leſer ſie recht verſtehen? (z. B. 
Joh, 4, 2. 6, 65. 64. 11, 181, 38. 45.) 
Wuͤrden ſie nicht bei Jeſu Wunderthaten, wenn 
ſie dieſelben als ganz natuͤrliche Begebenheiten 
haͤtten darſtellen wollen, ein Gleiches gethan 
haben? — N | 


Hieraus folgt alſo der Kanon für den 
Hermeneutiker: daß er bei Erklarung des 
N. T. nie von dem hiſtoriſch-dogmatiſchen Sin⸗ 
ne abweichen duͤrfe, wenn ihm nicht die neutes⸗ 
tamentlichen Schriftſteller ſelbſt dazu hinreichende 
Veranlaſſung geben. Folglich iſt die hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſche Auslegung durchaus nothwendig, und 
dieſes um ſo viel mehr, da die Schriften des 
N. T. von ihren Verfaſſern fuͤr ihr Zeitalter 

f C und 


34 Zweifel dagegen. 


und ihre Leſer zunaͤchſt geſchrieben wurden, und 
folglich lokale und temporelle Entſtehung und 
Beſtimmung haben. Wir muͤſſen ſie daher 
ganz mit den Vorſtellungen, Ideen 
und Meinungen leſen und erklären, 
mit welchen ſie erweislich von den da⸗ 
maligen Leſern geleſen und verſtanden 
wurden, und alſo bei Stellen, die 
ſich auf die damalige Theologie bezie⸗ 
hen, die Vorſtellungen mit den Worten 
verbinden, welche jenes Zeitalter, er⸗ 
e damit verbunden hat. . 


§. 10. . Hi 


Zweifel dagegen, von der allegoriſchen 
Auplegung und der eſoteriſchen Lehrart 
entl ehnt. d n 


Doch es iſt moͤglich, daß man vielleicht 
hier die Frage aufwirft: ob auch wirklich die 
neuteſtamentlichen Schriftffeller nur Einen, und 
zwar den naͤchſten hiſtoriſch-dogmatiſchen Sinn 
mit ihren Worten verbunden haben wollten, und 
ob nicht ihre Leſer einen andern, reinern und 
hoͤhern Sinn damit verbinden konnten? — Ließ 
ſich dieſes darthun; ſo wuͤrde zwar die hiſtori⸗ 
ſche Auslegung nicht uͤberfluͤſſig ſeyn, da 
man doch immer zuerſt den naͤchſten Sinn auf 
ſuchen muͤßte; aber ſie wuͤrde doch nicht die 
hermeneutiſche Wahrheit beſtimmen koͤnnen, wel⸗ 
5 a alsdann der Akähß, e bliebe. 

Die 


= Zweifel dagegen, . 35 


Die Juden zu Ehriſti und der Apoftel 
Zeiten hatten eine allegoriſche Erklaͤrungsart an⸗ 
genommen, nach welcher ſie die Schriften des 
alten Bundes nicht nach ihrem wahren, ſon⸗ 
dern nach einem geheimen hoͤhern Sinn erklaͤr⸗ 
ten“) Diefen geheimen Sinn behielten die Einge— 
weihten verborgen, und trugen ihn dem Volke 
nicht vor. Philo namentlich erinnert die Ge⸗ 
weiheten oͤſters, die geheimen Lehren den Un⸗ 
geweiheten nicht bekannt zu machen“); und auch 
die Kabbaliſten hatten eine geheime Auslegungs⸗ 


art der Bibel, und einen geheimen Verſtand 


C 2 der⸗ 


ö 9 Ueber die "alleobe, Ausleg. unter den Juden 
ſ. Eichhorns Briefe, die bibliſche Exegeſe des 
treffend; in der allgem. Biblioth. der bibl. 
Lit. „ B. 2 St. S. 203 — 298. Poelitz⸗ 
Beitrag zur Kritik der Religionsphiloſophie und 
Exegeſe unſers Zeitalters S. 363 fl. Horn 
uͤber die bibliſche Gnoſis S. 362 ff. Die ge⸗ 
n Lehre der Orientaler und Juden ꝛe. S. 


5 9 51 cherubim p. 116. edit Mang. rare, W 
vs nenaJüpmevor 7 G ws bega Ovrws K 
21% duxass 7 s ERUrWV rape de, c c under 
ry amunrwv In ινe De lacrif, Abr p. 139. 
5 Lexi ru relawy MUusıs Yeyvomsım, Myder ro- 
 xapus Era ra Ida eus NG > recfete uten 9 a- 
r Ee AN ονοννν Ev og gn S — 
Als ein Beiſpiel ſ. man Philos Commentar 
über die moſaiſche Erzählung von den Rie⸗ 


fen vor der Suͤndfluth, in den Bei⸗ 


traͤgen zur Beiden, d. v. Denk 5 Hſt S. 
106 ff. 


36 Zweifel dagegen. 


derſelben. Denn ſie behaupteten, daß die Kab⸗ 
bala allein den rechten Sinn des Geſetzes ent⸗ 
halte, und daß der, welcher die heil. Schrift 
nach den Worten, erkläre, dem Volke Unwahr⸗ 
heiten aufbuͤrde ). Wie allgemein dieſe. Ausle⸗ 
gungsart geweſen ſey, zeigt ſelbſt die chriſtli⸗ 
che Kirche, in welche ſie zugleich mit dem Ju⸗ 
denthum übergieng**), und überhaupt unter 
ſchieden ſelbſt ein Theil der griechiſchen Philoſo⸗ 
phen eine eſoteriſche und exoteriſche Weisheit“). 

f Auch 

— — — . — — i' 

S. Die geheime Lehre der Orientaler ꝛe. S. 22. 
wo die Stelle aus Cod. Kiddufchin, fol. 49. col. 
1. angeführt wird: qui explicat paragraphum 
ſecundum formom ſuam, ecce is eſt mendax. 
Es ſcheint mir aber, als ob da nicht ſowohl 
von der Schrift, als vielmehr von den Buͤchern 
und geheimen Chlffern der Kabbaliſten, die 

Rede ſey. S. auch Eiſenmengers entdecktes 
Judenthum 1 Thl. S. 453 fl. 

**) Ueber die alleg. Ausleg. unter den Chriſten 
ſ. Roſenmuͤller hiſtoria interpretat. librorr. 
fl. in ecceſ. Chriſt. inde ab Apoſtolorum acta. 
te vsque ad Origenem. Hildburgh. 2 Thei⸗ 
le 1795 und 98. 8. Io. Gottf. Koerner 
de allegorica interpretandi ratione. 2 Pros 
gramm. Leipz. 1782. 4. G. J. Plank 
Einleit. in die theol. Wiſſenſchaften 2 Tol. S. 
127 ff. 

*) S. Ueber die exoteriſche und eſoteriſche Lehr⸗ 
art der griech. Philoſophen, mit Anwendung 
auf die chriſtlich⸗tbeologiſche Lehrart; in den 
Beitraͤgen zur Beförd. des vernünft, Denk. ꝛc. 
Heft S. 36 — 44. 


7 


Zweifel dagegen. 37 


Auch im neuen Teſtamente finden ſich Spu⸗ 
ren dieſer allegoriſchen Erklaͤrungsart. So 
macht Paulus Roͤm. 28, 29. eine Anwendung 
der juͤdiſchen Beſchneidung auf die innere Geſin⸗ 
nung des Herzens, ſtellt 1 Kor. 5, 5. 8. 
die ungeſaͤuerten Brode als Bild eines gereinig⸗ 
ten Herzens auf“), und giebt noch andere allego⸗ 
riſchen Anwendungen und Erklaͤrungen; ſ. 1 
Kor. 10, 1 — 4. Galat. 4, 22 ff. Außer⸗ 
dem gehoͤrt auch beinahe der ganze Brief an 
die Hebraͤer hieher. Nicht nur aber die allego⸗ 
riſche Erklaͤrungsart findet ſich im N. T., ſon⸗ 
dern man hat auch Spuren einer eſoteriſchen 
Lehrart, einer geheimen Gnoſis in ihm zu fin⸗ 
den geglaubt, auf welche Jeſus Mark 4, 
21 — 23. anſpiele, und von welcher vorzuͤg⸗ 
lich Paulus 1 Cor. 2, 6. 12. 13. 14. 2 Kor. 
3, 6. 15. 18. ſpreche, der zwiſchen Milch⸗ 
ſpeiſe fuͤr Kinder und ſtarken Speiſen fuͤr Er⸗ 
wachſene unterſchieden, dem Timotheus zu Ly⸗ 
ſtra die Beſchneidung erlaubt, den Chriſten 
in Galatien aber verbothen, die Korinther, 
daß Goͤtzenopfer an ſich nicht verunreinigten, 
und daß jedem frei ſtehe zu eſſen, was auf 


vor 


denn Markte feil ſey, gelehrt, und doch auch 


) Philo de ſeptenar. T. II. p. 292. ed. Mang. 
macht dieſelbe Anwendung: ois de v gira ge · 
e wpos. αν ,p eg, YPuxus AνHννονν 
e rer. dau H. 


38 Zweifel dagegen. 


vor dem Eſſen vor Goͤtzenopfern gewarnt habe) Man 
iſt daher auch ſo weit gegangen, zu behaupten, 
daß die chriſtliche Religion nichts anders ſey, 
als eine Bekanntmachung der eſoteriſchen Philos 
ſophie, oder der religioͤſen Myſterien der Grie⸗ 
chen *). r \ 


Aber man wuͤrde ſehr unrecht folgern, 
wenn man aus dieſen Vorderſaͤtzen, die weder 
gehoͤrig zuſammenhaͤngen, noch gradezu vom N. T. 
gelten, folgern wollte, daß es nicht Einen 
hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Sinn des N. T. gebe, 
ſondern daß die Verfaſſer deſſelben einen doppel⸗ 
ten, einen gewoͤhnlichen und einen geheimen, mos 
raliſchen, welcher eigentlich der rechte ſey, mit 
ihren Worten verbunden haͤtten. Denn was 
erſtlich die allegoriſche Auslegungsart anbetrifft; 
fo bedient ſich zwar Paulus ihrer öfters, aber 
nicht als Auslegung, ſondern als Er laͤu⸗ 
terung und Ausſchmuͤckung des Vortrags, 
wie die Stellen Galat. 4, 22 — 25. und 

x | Ephef. 


2 


*) ©. Beiträge zur Befoͤrd. des vernunft. Denk. 
1 Hft S. 42. und: De vſu interpretationis 
allegoricae in Noui Foed. tabulis, auct. Ad. 

loh. Onymus. Bamb. et Wurceb. (1803. 
8.) p. 35 — 47. Horn uͤber die bibl. Gnoſis, 
©. 84 — 96. 

) Namentlich Schelling. Dagegen ſ. I. A. L. 
Wegfcheider de graecorum Myfteriis Re- 
ligioni non obtrudendis diſſ. Goetting. 1805. 

78 S. 8. 


Zweifel dagegen. 39 


Et 5, 31, 32. hinlaͤnglich zeigen; und wenn 
er ſich in Ruͤckſicht der verſchiedenen Subjekte, 
die er zu belehren hat, nach dem Maaße ihrer 
Einſichten, und nach ihren Vorurtheilen rich⸗ 
tet, ſo iſt dieſes gewiß nicht ein Zeichen einer 
eſoteriſchen oder exoteriſchen Lehrart, ſondern 
einer Lehrweisheit, die in manchen Faͤllen der 
Schwaͤche der Lehrlinge nachgiebt. Wenn aber 
endlich Paulus von einer got mVeunarıny, 
einer Kenntniß und Geſinnung xuT% TVevuo 
und v vun redet; fo weiß man ja, daß 
dieſe Ausdrücke ſich theils auf die neuen Beleh⸗ 
rungen des Chriſtenthums, beſonders vom Meſ⸗ 
ſias und ſeiner veraͤnderten Beſtimmung, theils 
auf das Wunderbare der Schickſale Chriſti und 
der Rathſchluͤſſe Gottes (1 Tim. 3, 16), theils 
auch auf die moraliſche Geſinnung der gebeſſer⸗ 
ten Chriſten beziehen. Nirgends findet ſich im 
N. T. eine ſichere Spur einer geheimen, nur Einge⸗ 
weiheten bekannten Lehre; und ſollte ja eine 
ſolche da ſeyn, fo würde es die juͤdiſche Theo⸗ 
logie ſelbſt ſeyn muͤſſen. Wenn Philo Myſterien, 
die den Ungeweihten verborgen bleiben ſollen, 
kennt; ſo gilt davon gar keine Anwendung auf 
das N. T.; denn Philo lebte in Alexandrien 
und war griechiſch⸗juͤdiſcher Philoſoph, von 
der Sekte der Therapeuten, deren geheime Leh⸗ 
re nichts anders war, als ein Gemiſch der ſpaͤ⸗ 
tern platoniſchen und pythagoriſchen Philoſophie, 
und welche in das A. T. hineinzutragen, und 
dieſes zu einem dieſer Philoſophie entſprechenden 
5 Sinn 


40 Zweifel dagegen. 


Sinn zu deuten, das Geſchaͤft ihrer allegori⸗ 
ſchen Auslegung war. Wo zeigen aber die 
Schriftſteller des N. T., daß ſie jene Philoſophie 
hatten, daß ſie dieſelbe verborgen hielten, und 
ſie durch allegoriſche Erklaͤrung dem A. T. auf⸗ 
drangen? Wo zeigen ſich uͤberhaupt Spuren, 
daß dieſe geheimnißvolle Philoſophie in Palaͤſtina 
eindrang und Volksglaube wurde; da viel⸗ 
mehr die Sekte der Phariſaͤer und deren Mei⸗ 
nungen daſelbſt allgemein herrſchten, die Sad⸗ 
ducaͤer weit von jener Philoſophie entfernt waren, 
und die Eſſaer, die ſich vielleicht am meiſten 
zu ihr hinneigten, nur ſparſam und kuͤmmer⸗ 
lich exiſtirten. Wie koͤnnte man namentlich 
Paulus als jenen Myſterien geneigt, oder in 
ſie eingeweiht, darſtellen, da er ein Phariſaͤer 
war? — Vielmehr war die Theologie der Pha⸗ 
riſaͤer allgemein bekannt, und zugleich die Theo⸗ 
logie der großen Menge der Juden (S. Horn 
uͤber die bibl. Gnoſis, S. 332 ff.). Eine 
Anwendung endlich der Myſterien der Kabbala 
auf einen geheimen Sinn des N. T. zu machen, 
wuͤrde fehr unſicher ſeyn, da es zwar gewiß 
iſt, daß die Grundlinien zur Kabbala bereits 
zu Jeſu Zeiten gezogen waren, ſie ſelbſt aber 
in der Form, im welcher fie fpaterhin erſcheint, 
noch nicht vorhanden war. Ueberdieſes aber 
hielten die Kabbaliſten ihre Lehren nicht geheim, 
ſondern hatten ſich nur eine geheime Bezeich⸗ 
nung derſelben entworfen durch welche ſie das, 
was ſie in ihren Schriften vortrugen, den Au⸗ 
gen 


der hiſtor. dogm. Auslegung. 41 


gen der Ungeweihten, das iſt der Heiden 
oder Nichtjuden, und den Augen ihrer Ver⸗ 
folger verbargen “). Ihre Geheimniſſe waren 
weniger in den Lehrſaͤtzen ſelbſt als in den ges 
heimen Chiffern, mit welchen ſie dieſelben bes 
zeichneten, und in der Kunſt in einzelnen Wor⸗ 
hen des A. T. und in einzelnen Einrichtungen 
des Cerimonialgottesdienſtes myſtiſche Beziehun⸗ 
gen zu entdecken. Ueberdieſes iſt auch die Lehre 
der Kabbaliſten nichts anders als ein weiter 
und feiner ausgeſponnener Phariſaͤismus, und 
ſchon deswegen, wenigſtens in feinen Haupt⸗ 
ſaͤtzen, die auch in den Schulen vorgetragen 
wurden, allen Juden hinlaͤnglich bekannt. 


Es kann alſo daraus kein Einwand gegen 
den Grundſatz hergenommen werden (ſ. §. 8 zu 
Ende), daß wir das N. T. in eben dem Sinne 
leſen und erklaͤren muͤſſen, in welchem es erweis⸗ 


liiUch von den erſten Leſern deſſelben verſtanden 


0 werden konnte und mußte. 


1 §. 11. 
Nachtheile der Vernachlaſſigung der his 
f ſtoriſch dogmatiſchen Auslegung. 
a Die Vernachlaͤſſigung dieſes Grundſatzes hat 
ſich durch unendlich verſchiedene, falſche, ges 
7 . zwun⸗ 


*) Man erinnere ſich hier an das kabbaliſtiſche 
Alphabeth Atbaſch. S. die geheime Lehre 
der alten Orientaler ze. S. 25 ff. und 
die Nachricht, die Hieronymus in f. Commenrar, 

in lerem. lib. V. c. XXV. davon giebt. 


n * 1 


42 Nachtheile der Vernachlaſſigung 


zrungene, philoſophirende, dogmatiſirende und 
myſtiſche Erklaͤrungen geraͤcht und der Schrift 
der Religion ſelbſt, und der theologiſchen Ge 
lehrſamkeit den empfindlichſten Schaden zugefügt: 
Denn haͤtte man ſich uͤberzeugt, daß nur Ein 
Sinn und zwar der grammatiſch-hiſtoriſche der 
wahre Sinn der Schrift ſeyn koͤnne; ſo 
wuͤrden wir nicht ſo viele nach der Dogma⸗ 
tik des Erklaͤrers geformte Auslegungen, keine 
allegori chen Interpretationen, keine fromme pie⸗ 
tiſtiſch⸗moraliſche Hermeneutik“), und nicht einen 
ſo unendlichen Schwall unnuͤtzer Kommentarien 
uͤber das N. T. und einzelne Stellen erhalten 
haben. Der Grundſatz des Koͤnigsberger Wei⸗ 
fen, der als moraliſche Deutung einer Offen⸗ 
barung nach der Harmonie mit dem Sittengeſetz 
der Hermeneutik durchaus fremd iſt, wuͤrde 
nicht ſo unverſtaͤndig, als es geſchehen iſt, und 
nat Nachtheil aller Gelehrſamkeit angewendet 

worden 


) Herm. Aug. Franke lieferte ſie nach den Grund⸗ 
ſaͤtzen der Erbaulichkeit. Franke praelectio- 
nes hermeneuticae ad viam dextrae indagan- 
di et exponendi ſenſum ſeripturae facrae, 
‚Hal. 1722: 8. Vergl. Dau. Mehner di; 
(ſub praef. Chr. A. Crußi) de vi atque 
efficacia interpretstionum Seripturae ſ. ſatis 
. piarum ſed minus accuratarum, Eipf, 1756, 
4. S. Planks Einleit. in die Theol. 2 B. S. 
138 ff. Schuͤler Geſchichte der populaͤren 
Schriſterklarung 2 B. S. 94 ff. 


1 


' ſterei ſeyn? Oder vielmehr, welchen Schaden 


der hiſtor. dogm. Auslegung. 43 


worden ſeyn!), wenn man beſſer uͤberlegt hätte, 
was das heiße, einen Schriftſteller erklaͤren. 


Was ſoll man denken, wenn z. B. Penzenkuffer ““) 


die Worte Joh. 4, 24. uͤberſetzt: „Gott iſt ein morali⸗ 
ſches Weſen und ſeine Verehrer muͤſſen ihn daher durch 
die Ausuͤbung des Moralgeſetzes ehren,“ und meint, 
dieſe Erklärung fey weder gezwungen, noch 
dem Zuſammenhange, noch den Denkfaͤhigkeiten 
der Samariterin entgegen? — Wenn er (S. 
383) das „Wehe“ über die ausruft, welche 
die Ausſpruͤche Jeſu nicht auf gleiche Weiſe er⸗ 
klaͤren; wenn er nach dem Sprachgebrauchl?) 
mveua@ Hes durch „moraliſchen Vernunftgeiſt“ 
(S. 384 f.) und Basıklaw rο Jeov nach 
eben dieſem Sprachgebrauch „die Herrſchaft des 
moraliſchen Vernunftgeiſtes“ (S. 386), eins 
gehen in das Himmelreich „die Prinzipien 
der geſetzgebenden Vernunft in die Maxime des 
Willens aufnehmen“, das Himmelreich iſt 


nahe, durch „der ethiſche Staat Gottes faͤngt 


an ſich zu bilden“ erklaͤrt? — Was kann 
aber endlich der Nutzen ſolcher unnützer Sophi⸗ 


muß 


) Dle Schriften uͤber die Moraliſche Auslegung 
des M. T. habe ich in meinem „Verſuch einer 
ſyſtemat. EN aller in der Dogmat. 
vorkomm. Begriffe sc. S. 1777 angegeben. 
**) über einige Stellen im N. T. nach Kantiſcher 
S Ne in Henke's Magaz. 3 B. 
S. 379 fl.) a 


4 Nachthelle der, Vervachläßigung 


muß fie haben, wenn man, fie, wie dieſer Ges 
lehrte, ernſtlich auf das N. T. überträgt, und 
uͤber andere Interpreten, denen philoſophiſches 
Geſchwaͤtz dieſer Art anekelt, das Wehe aus⸗ 
ruft, und fie als, — ich weiß nicht was! — 
wenigſtens als Unphiloſophen und Blindglaͤubige 
darſtellt? — 


Was wollte endlich aus unſrer Exegeſe wer⸗ 
den, wenn wir fie nicht auf feſte Grundfage 
zuruͤckfuͤhren wollten? Würden fie nicht die 
Erklaͤrungen und Streitigkeiten noch weit mehr, 
als bisher geſchehen iſt, haͤufen, da allemahl 
die Willkuͤhr alsdann eintritt, wo die hiſtori⸗ 
ſchen Erklaͤrungsgruͤnde verworfen werden. „Fuͤr⸗ 
wahr, ſagt Horn“) mit Recht, es iſt in 
keinem andern Mittel hier Heil zu finden, als 
allein nur in einer feſten und ſichern Herme⸗ 
neutik der Bibel, die ſich auf eine juͤdiſche 
Dogmengeſchichte ſtuͤtzet.“ — Empfindlich iſt 
der Schaden geweſen, den die hermeneutiſche 
Willkuͤhr fuͤr Gelehrſamkeit uud Religion gehabt 
hat. Jede chriſtliche Religionsparthei erklaͤrte 
die Schrift nach ihrer eigenthuͤmlichen Dogmatik, 
und fand dann ganz natuͤrlich, was ſie darin 
ſuchte und hineintrug. Selbſt die Theologen 
einer und derſelben kirchlichen Parthei erklärten die 

| | Schrift 


*) bibl. Gnoſis S. 2. Vergl. mit Elchhorns 
Bibl. 4 B. 2 St. S. 330. ö 


* 


der hiſtor. dogm. Auslegung. 45 


Schrift auf die verſchiedenſte Weiſe, gaben 


jeder ſeine eigene Erklaͤrung fuͤr die richtige aus, 
verfolgten und verketzerten ſich, oder behandelten ein⸗ 


ander wenigſtens ſtuͤrmiſch und unglimpflich genug, 


indem die ſe über gewaltſame und unnatuͤrliche Erklaͤ⸗ 
rung der Schrift, durch welche das Ganze, was dem 
Chriſtenthum eigenthuͤmlich iſt, hinweggeraͤumt, 
die Geſchichte der Evangeliſten entſtellt, und 
Philoſophie in das N. T. hineingetragen werde, 
klagten, jene aber den Vorwurf zuruͤckgaben, 
und ihren Gegnern Geſchmackloſigkeit, einen 
befangenen Verſtand, ſteife Orthodoxie Schuld 
gaben, und behaupteten, daß durch ihre, der 
Vernunft (Philoſophie) unannehmlichen Auslegun⸗ 
gen das Anſehen der Schrift herabgeſetzt wer⸗ 
de. Koͤnnen wir es denn der katholiſchen Kir⸗ 
che uͤbel auslegen, wenn ſie, mit Ruͤckſicht 
auf dieſe Streitigkeiten, alle verſchiedene Ausle⸗ 
gung der Schrift verbiethet, und die allgemei⸗ 
ne Lehre der Kirche oder den Papſt zum Richter 


des Sinnes der Schrift macht? 


Ja, dieſer Inkonſequenz der Hermeneutik 


iſt es groͤßtentheils zuzuſchreiben, daß ſich der 
elende Grundſatz bei Halbgelehrten und Laien 
ſixirt hat: man koͤnne Alles aus der Schrift 


beweiſen, was man nur wolle; was 
man durch das unedle, aber oft gebrauch⸗ 
te, Gleichniß ausdruͤckte: die Schrift ſei eine 


10 waͤchſerne Naſe, die jede Form annehmen koͤn⸗ 


ne. Und in dieſer Ruͤchſi cht konnte ein neuerer 
Schrift⸗ 


45° Nactheile der Vernachlaͤſſgung 


Schrifſteller gar ſo weit gehen, zu behaupten: 
daß es beſſer geweſen ſey, wenn wir gar keine 
ſchriſtlichen Urkunden des Chriſtenthums haͤtten ). 
— Die Folgen jenes Grundſatzes waren eben ſo 
nachtheilig fuͤr die wahre Gelehrſamkeit 
als fuͤr die Religion ſelbſt. 

Denn der junge Theolog, der mit ſo 
verſchiedenen, oft gezwungenen, und nicht ſel⸗ 
ten mit vieler Gelehrſamkeit prunkenden Erklaͤ⸗ 
rungen des N. T. uͤberladen wurde, und bei 
der Sinnplieitaͤt des neuteſtamentlichen Ausdrucks 
keine Moͤglichkeit ſah, Einen Sinn, als den 
allein wahren, auszumitteln, bekam an dem 
ganzen Geſchaͤfte des Auslegens einen Ekel, gab 
die Exegeſe, indem er ſie entweder fuͤr unnuͤtz, 
oder fuͤr zu ſchwer für feines Kraͤfte hielt, auf, 

5 („ un 1 und 
*) Dieſes wurde in einer Abhandlung behauptet: f 
Waͤre es nicht beſſer, wenn wir gar 
keine ſchriftlichen Nachrichten von 
Jeſus Chriſtus hatten? In Auguſti's 
theolog. Monatsſchrift, Jahrg. 1801. 9 Hft. 
no. IV. dagegen: Noch einige Bemerkk. 
über den Aufſatz waͤreſes nicht beſſerꝛe. 
von G. C. Horſt; ebendaſ. Jahrg⸗ 1802. 5 
Hft no. III. Noch einige Bemerkk. uͤber 
den Aufſfatz: wäre es nicht beſſerꝛc. 
In Beziehung auf das 4 Kap. (Th. 1) der 
Hänleinſchen Einleitung des N. T. 
nach der zten Ausg. Ebend. Jahrg. 2. Hft. 
7. no. 3. — und: Nachtrag zum Aufſatz: 
"wäre es nicht beſſere. 9 Ebend. 
8 Hſt. no. IV. 


der hiſtor. dogm. Auslegung. 47. 


und warf ſich um ſo williger einer oberflaͤchli⸗ 
chen philoſophirenden Auslegungsart in die Arme, 
je mehr dieſe auf der einen Seite ſeiner Ei⸗ 
genliebe ſchmeichelte, und mit ſeinen philoſophi⸗ 
ſchen Ideen harmonirte, und je weniger ſie 
auf der andern Seite Gelehrſamkeit und Anſtren⸗ 
gung erforderte. Wie ſehr aber dadurch die rich⸗ 
tige Exegeſe und grammatiſche und hiſtor iſche 
Gelehrſamkeit in ihrem Werthe ſinken und 
vernachlaͤßiget werden mußte, leuchtet von ſelbſt 
ein; weil nichts bequemer und leichter war, als 
einen philoſophiſchen Guß über die antiken For: 
men des N. T. zu werfen, und dazu weder 
Anſtrengung noch Gelehrſamkeit, ſondern blos 
ein philoſophirender Sinn gehoͤrte. 
Da aber der Zuſtand der Theologie im⸗ 
mer auch auf die Religion ſelbſt Einftuß hat; 
fo blieben auch dieſe traurigen exegetiſchen Strei⸗ 
tigkeiten nicht ohne Nachtheil fuͤr dieſelbe. Die 
naͤchſte Wirkung der modernen philoſophirenden 
1 Auslegung war wohl dieſe, daß der Glaube 
der Kirche als ein Syſtem willküͤhrlicher Satze, 
die keinen Grund in der Schrift hatten, dargeſtellt, 
und nun um ſo viel kuͤhner dem Spotte der 
philoſophiſchen Syſteme, oder wenigſtens der 
Willkuͤhr derſelben Preis gegeben wurde. Ein 
Verfahren, das den Religionsglauben, wie 
er bisher geweſen war, nicht nur bei Halbge⸗ 
lehrten und Anfaͤngern in der Theologie, ſon⸗ 
dern auch beim Volke, das man an dem neuen 
Lichte Theil en ließ (man eringehe ſich nur 
* an 


433 Nachtheile der Vernachlaͤſſtgung 


an C. F. Babrdt), — verdächtig, und als 
vernunft und ſchriftwidrig veraͤchtlich machte. Es 
konnte aber nicht befremden, daß das Volk mit 
dem Kirchenglauben zugleich auch das Chriſten⸗ 
thum mit ſeinen eigenthuͤmlichen Lehren verdaͤch⸗ 
tig fand, weil ihm fein richtiges und unverdor⸗ 
benes Gefuͤhl ſagte, daß der kirchliche Glaube, 
die kirchliche Anſicht der Schrift und der evan⸗ 
geliſchen Geſchichte die richtigere ſey. Noch groͤ⸗ 
fer und bemerkbarer war dieſe Wirkung jener 
exegetiſchen Streitigkeiten bei gebildeten Laien, 
und den Wahn mancher gutmuͤthigen Theologen, 
daß das Anſehen der Schrift durch Erklaͤrun⸗ 
gen nach dem Geiſte des Zeitalters gerettet und 
hergeſtellet werden koͤnnte, widerlegte der Er⸗ 
folg. Denn der gebildete Laie ſah theils den 
Ungrund dieſer Auslegungen ein, theils wußte 
er wohl, warum man den Stellen der Schrift 
einen andern Sinn unterlege, theils vernahm 
er auch die Stimme der andern Parthei, wel— 
che der Schrift die aͤltere Erklaͤrung vindicirte. 
Selbſt unfaͤhig ſolche Streitigkeiten zu entſcheiden, 
füxirte ſich bei ihm die Meinung, daß die 
Schrift ein dunkles, verworrenes Buch ſey, aus 
dem man beweiſen koͤnne, was man wolle. Und 
ſo war auch auf dieſer Seite der Lauigkeit in 
der Religion und dem Indifferentikmus vorgear- 
beitet; und, ob es gleich gewiß iſt, daß hier 
viele andere Urſachen mitwirkten, ſo iſt doch 
auch nicht zu leugnen, daß der Gebrauch, den 
man von der Schrift machte, und die exegeti⸗ 

| ſchen 


Hinderniſſe derſelben. 49 


ſchen Streitigkeiten der Theologen viel dazu bei⸗ 
trugen. 


17 
e hilte der Fitage wgre 
Auslegung. 

Es iſt aber eine eigne Erſcheinung, daß 
die hiſtoriſch dogmatiſche Interpretation des Neuen 
Teſtamentes noch lange nicht ſo viele Freunde, 
und Verehrer gefunden hat, als fie hatte fin⸗ 
den ſollen; da man es bei jedem andern Bu⸗ 
che zugeſteht, daß es hiſtoriſch, und, wenn 
es ſich auf Religion bezieht, wie z. B. die Schrif⸗ 
ten der Kirchenvater, hiſtoriſch⸗dogmatiſch ers 
klaͤrt werden muͤſſe, und daß nur in der Ver⸗ 
bindung dieſer Erklaͤrung mit der grammatiſchen 
eine vollkommene und richtige Auslegung beſtehe. 
Der Grund dieſer Erſcheinung, der zugleich 
der Grund der vielen widerſtreitenden Erktarun⸗ 
gen des N. T. iſt, lag in der Verwechſelung 
der hermeneutiſchen Wahl heit mit der logiſchen, 
und 1 mit der Kritik der chriſtli⸗ 
chen Lehre. Man gieng namlich von dem Grund⸗ 
ſatz aus, 15 der Sinn der heiligen Schrift 
jederzeit logiſche Wahrheit enthalten muͤſſe, weil 
ſie der Codex einer goͤttlichen Offenbarung ſey. 
Da nun die Meinungen über das, was logiſch 
wahr ſey, unendlich verſchieden waren, und 
jede Parthei, oft jeder Exeget im Beſis ders 
ſelben zu ſeyn glaubte; fo mußte wohl die Er 

D laͤ⸗ 


so Hinderniſſe derſelben. 


klaͤrung ſelbſt ſehr bunte Nefultate geben. Die 
hiſtoriſch⸗dogmatiſche Auslegung namentlich fand 
bei den Lehrern der Kirche nicht den Beifall, 
den ſie verdiente, weil durch ſie ein großer Theil 
der geoffenbarten Lehre zu menſchlichen Meinun⸗ 
gen oder wohl gar zu Irrthuͤmern herabzuſinken 
ſchien, da es doch der hiſtoriſchen Auslegung 
gleichguͤltig iſt, ob jener dogmatiſche Sprachge⸗ 
brauch des Orients, ob jene Lehren der juͤdi⸗ 
ſchen Theologie aus der Offenbarung des alten 
Teſtamentes, oder aus menſchlichen Quellen 
gefloſſen find, und die Entſcheidung dieſer Als 
ternative keinen, oder wenigſtens unbedeutenden 
Einfluß auf die Auslegung ſelbſt hat. Es iſt 
hier genug zu wiſſen: dieſe oder jene religioͤſen Ideen 
herrſchten zu Jeſu Zeit, und nachher, und 
wurden mit dieſen Worten bezeichnet; folglich 
mußten die Leſer des N. T. und die Zuhoͤrer 
Jeſu dieſe Worte in dem ihnen ekanpeen Sinne 
nehmen, und die Verfaſſer des N. T. muͤſſen 
ſie auch zunaͤchſt in dem Sinne haben BALL 
wiffen wollen. Hierdurch wird aber nicht ges 
laͤugnet, daß nicht Jeſus und die Apoſtel die 
religioͤſen Ideen ihrer Zeitgenoſſen haͤtten modi⸗ 
ficiren und berichtigen konnen. Vielmehr muß 
der Ausleger ſorgfaͤltig darauf ſehen, ob, und 
wo dieſes geſchehen ſey. Nur muß Er ſich da> 
bei blos hermeneutiſcher, nicht aber kritiſcher 
und theologiſcher Gruͤnde bedienen. 
Die philoſophirenden Ausleger hingegen 
(es iſt hier nicht von der kantiſch⸗moraliſchen 
Aus⸗ 


* 


Hinderniſſe derſelben. 51 


Auslegung allein die Rede) waren aus eben dem 
Grunde der hiſtoriſch-dogmatiſchen Interpretation 
abgeneigt, weil ſie das N. T. als Codex einer 
Offenbarung auslegten. Denn da ihnen nur 
das einer goͤttlichen Offenbarung wuͤrdig ſchien, 
was ihre Philoſophie fuͤr richtig erklaͤrte, von 
dieſer aber Wunder, Weißagungen, und ein 
großer Theil der chriſtlichen Lehre (von den En⸗ 
geln, Auferſtehung, Gericht, vom Sohne 
Gottes und Heil. Geiſt ꝛc) theils wegen ſeiner 
Unbegreiflichkeit, theils als der Philoſophie wi⸗ 
derſtreitend, verworfen wurde; ſo bemuͤhten ſie 
ſich zu seigen, > daß dieſe Lehren entweder gar 
nicht im N. T. vorgetragen, oder doch in ei⸗ 
nem hoͤhern philoſophiſchern Sinne gelehrt worden 
ſeyen, und daß die Wunder und Weißagungen bei 
einer richtigen Interpretation verſchwaͤnden. Hierbei 

war ihnen nun die hiſtoriſch-dogmatiſche Auslegung 
am meiſten hinderlich, und ſie verwarfen ſie daher, 
weil man, wie ſie meinten, ſonſt in Gefahr 
ſtehe, alle Irrthuͤmer und allen Aberglauben 
der juͤdiſchen Nation (z. B. den Teufel und Teu⸗ 
felsbeſitzungen) im N. T. zu finden; womit 


5 aber die Goͤttlichkeit der Lehre Jeſu eben fo tes 


nig als das goͤttliche Anſehen des N. T. beſte⸗ 
hen koͤnne. 


Allein das Gewicht, das die hiſtoriſchen 


Interpreten ihrer Auslegung zu geben wußten, 
war doch zu groß, als daß man nicht auf ſie 


hätte hoͤren ſollen; und man gab ihr endlich 


D 2 um 


— 


52 unterſchied zwiſchen 


um ſo viel lieber Gehör, je leichter man fie 
durch einen gefundenen Ausweg mit feinen anders 
weitigen Grundſaͤtzen vereinigen zu koͤnnen glaub⸗ 
te. Man ließ naͤmlich die hiſtoriſch-dogmatiſche 
Exegeſe in ihrer vollen Kraft, und behauptete, 
Jeſus und die Apoſtel haͤtten ſich in den Punkten, 
die man aus der chriſtlichen Lehre entfernen zu 
muͤſſen glaubte, nach den Meinungen und dem 
Sprachgebrauch ihrer Zeitgenoſſen akkommo⸗ 
dirt“). Dieſe Unterſuchung aber, ob und wenn 
Akkamodation zu geſtatten ſey, gehoͤrt durchaus 
nicht in das Gebiet der Hermeneutik, ſondern in 
das der Kritik uͤber die chriſtliche Theologie. 


§. 13. 
Unterſchied zwiſchen Hermeneutik und 
Kritik. 


| Denn will man ſich nicht in einem Zirkel 
herumdrehen; ſo muß man das Geſchaͤfte des 
Hermeneutikers durchaus von dem des kritischen 
Dogmatikers ſcheiden, und darf den einen wah⸗ 
ren Sinn der Schrift (denn daß nur einer der 
wahre ſey, haben die beſten Hermeneutiker, Er⸗ 
neſti, Morus ꝛc ſtreng behauptet) nicht nach der 
Kritik einer Dffenbarung beſtimmen. Denn iſt 

der 


*) Die Stieitſchriſten über die Aktommodation ge⸗ 
hoͤren nicht hieher. Man findet ſie in meinem 
Ver ſuch einer ſyſtemat. Entwickelung 
der dogmat. Begriffe ꝛe. S. 70 — 72. 


Hermeneutik und Kritik. 53 


der Satz richtig, den alle Interpreten zugeben, 
daß die heil. Schrift, wie jedes andere menſchliche 
Buch, ausgelegt werden muͤſſe; ſo ſind hiermit 
dem Ausleger ſeine Grenzen gezogen; und er 
unterſucht blos, welches der Sinn des N. T. 
ſey: hingegen der Kritiker; ob dieſer gefunde⸗ 
ne Sinn logiſche Wahrheit und Brauchbarkeit 
habe. Wird uns namlich eine Sammlung Buͤ— 
cher als Codex einer goͤttlichen Offenbarung vor⸗ 
gelegt; ſo muͤſſen wir zuvor, und ehe wir 
ihn als goͤttliche Offenbarung annehmen koͤnnen, 
unterſuchen, was ſein Inhalt ſey, und dann: 
von welcher Beſchaffenheit dieſer Inhalt, 
und ob er einer goͤttlichen Offenbarung 
würdig fey*). Das erſte iſt eine hermeneutiſche, 
das zweite eine kritiſche Unter ſuchung. Denn 
wenn man Etwas fuͤr goͤttlich halten ſoll, muß 
man vorher wiſſen, was es ſey; da man 
außerdem gar kein Subjekt haben wuͤrde, dem 
man das Praͤdikat beilegen koͤnnte. Nun ſind 
aber offenbar nicht die Worte (denn dieſe find 
an ſich leere Töne) das Subjekt, ſondern der 
Inhalt der Worte, die Vorſtellungen ſelbſt, 
- für. welche die Worte als ſymboliſche Zeichen 
ſtehen (ſ. $. 1.). Unterſucht man alſo, ob der 
Codex des N. T. goͤttlich ſey; ſo unterſucht man 

8 f ei⸗ 


) Ueber dieſe Rechte der Vernunft, in Hinſicht 
70 e ſ. Reinhards Dogmatik, 
80 ff. 


50 Unterſchled zwiſchen 


eigentlich: ob die Vorſtellungen, welche durch die 
Porte gegeben ſind, goͤttlich ſeyen. Hieraus folgt 
aber nothwendig, daß man dieſes nicht eher bejahen 
koͤnne, als bis man ſchon wiſſe, welches dieſe Vorſtel⸗ 
lungen ſeyen. Folglich muͤſſen die Worte zuvor 
erklaͤrt werden, um ihren Inhalt, die Vor⸗ 
ſtellungen, zu finden; und die Hermeneutik 
mittelt alſo erſt das Subjekt aus, deſſen logiſche 
oder goͤttliche Wahrheit man unterſuchen will. 
Die letztere Unterſuchung koͤnnte man die dog— 
matiſche Kritik uͤber den Inhalt des N. Teſtam. 
oder vielleicht beſſer; kritiſche Exegeſe, und 
in wie fern man bei ihrer Anwendung Prinzipien 
zu Grunde legt: kritiſche Exegetik des N. 
T. nennen, in welcher auch die Prinzipien der 
Beurtheilung der Akkommodation liegen“). Dieſe 
alſo gruͤndet ſich auf die Hermeneutik, und kann 

| nicht 


) S. Hebenſtreit obferuationes ad moralem 
f. practicam libror. facır, interpretationem per- 
tinentes (Lipl. 1796. 8.) p. 7 faq. Polis; 
Beitrag zur Kritik der Religionsphiloſ. und 
Exegeſe unſers Zeitalters (Leipz. 1795. 8.) S. 

392 ff. Eichhorn: Vorſchlaͤge zur Herme⸗ 
neutik; in der allg. Bibl. der bibl. Lit. 4. Bd. 
S. 331 ff. Letzterer ſagt: „den Sinn einer 
„alten philoſophiſchen Schrift erörtert man nach 

„Philologie, und logiſchen Zuſammenhang, nach 
„Kritik und Geſchichte, unbekuͤmmert, ob auch 
„das Reſultat einer ſolchen Behandlung die 
„Laͤuterung der Vernunft aushalte, weil man nie 
„vorausſetzt, daß ein Philoſoph in allen Stuͤcken 
„wahr, richtig und eonſequent gelehrt habe. Beim 


6108 


Fi 


Hermeneutik und Keltik. . 55 


nicht eher angewendet werden, als bis die Hermeneu⸗ 

tik ihr Amt verwaltet, und den Stoff der Exege⸗ 
tik ausgemittelt hat. Wollte man aber das N. 
T. im Voraus fuͤr Offenbarung annehmen, es 
als ſolche erklaͤren, und dem zufolge nur den⸗ 
jenigen Sinn für den hermeneutiſch-wahren hal⸗ 
ten, der einer Offenbarung wuͤrdig zu ſeyn 
ſcheinet; ſo wuͤrde man einen Zirkel machen, 
indem man den Beweis der Goͤttlichkeit des In⸗ 
halts des N. T. aus einer Erklaͤrungsregel fuͤhrt, 
die dieſen Beweis, als ſchon gehoͤrig durchge⸗ 
fuhrt, vorausſetzt, und ſich auf ihn gruͤn⸗ 
det. Mit gleichem Rechte wuͤrde man alsdann 
jede andere angebliche Offenbarungsurkunde, wie 
den Koran oder die Zendbuͤcher, auf dieſelbe 
Weiſe auslegen, und dadurch ihren Inhalt lo⸗ 
giſch richtig und wahr finden koͤnnen. 


Der Interpret muß alſo die Erinnerung, 
daß er hier Urkunden einer goͤttlichen Offenba⸗ 
rung vor ſich habe, ganz von der Hand wei⸗ 

0 8 f fen, 


„N. T. hingegen nimmt man als ausgemacht 
pan, daß in demſelben die Lehren eines un⸗ 
„ truͤglichen Lehrers treu, aͤcht und unverſtellt 

„ dargeſtellt, und der Nachwelt uͤberliefert wors 

„den; daß man weniaſtens in ſolchen Stel—⸗ 

„len, die Lehren enthalten, keine Spur von 

„Irrthum, Aberglauben, Schwaͤrmerei ſin⸗ 

„den duͤrfe; kurz daß der ganze Inhalt fo bes 

„ſchaffen ſeyn muͤſſe, daß er einer richtigen und 

„beſcheidenen Vernunft acceptabel ſey.“ 


56 Hermeneutik und Kritik. 


ſen, und die weitere Unterſuchung uͤber den 
Werth, die Wahrheit und Brauchbarkeit des 
nach hermeneutiſchen Gruͤnden gefundenen 
Sinnes ganz dem Theologen und der theologi⸗ 
ſchen Kritik uͤberlaſſen, ob er gleich auf den 
Geiſt und Charakter des Schriftſtellers aller: 
dings Nuͤckſicht zu nehmen hat; eine Sache, 
die mit zur hiſtoriſchen Auslegung (ſ. §. 5.) ge⸗ 
hoͤrt. 


Ganz richtig urtheilt hieruͤber Erneſti, wenn 
er in ſ. inſtitutio interpr. N. T. p. 12 (der 
zten Ausg.) ſagt: — — .„pätet non alio mo- 
do vel quaeri vel reperiri ſenſum verborum 
in libris facris, quam quo in hu- 
manis, vel folet vel debet. — — Per- 
niciofi ſunt ii, qui in interpretando re bus 
potius quam verbis nituntur. Efheitur enim 
interpretatio incerta, et ad judieium hu- 
manum reuocatur veritas, cum pri- 
mum a verbis difceditur, et alfunde fen- 
ſus iudicium; quem a verbis ducitur: nec 
es ratio valet vllo modo ad coarguendos a d- 
verfarios doctrinae, qui et ipfi e re- 
bus fe interpretari iactant, hoc eft vel e 
luis :decretis et opinionibus ante 
fufceptis, vel e fententiis philofo- 
pbicis —— — „Non poteſt,“ fährt er 
p. 13 fort, „leripturs intelligi rheolo- 
gice“ verifimum Melanthonis dictum eff, 
„nifi ante intelleetg fit grammatice.“ 


Vergl. „Ueber den Einfluß der kantiſchen Unter⸗ 
ſcheidung der Geſchaͤfte des hiſtoriſchen und des 
moraliſchen Auslegers auf die hiſtoriſche Schrift⸗ 

a er⸗ 


Folgerungen. 8 57 


erklaͤrung. Ein Fragment von Joh. E. Chr. 
Schmidt.“ In deſſen Bibliothek für Kris 
tik und Exegeſe des N. T. ꝛc. 1. B. 4, St. 
©. 588 — 601. n 


§. 14. 


Einige unmittelbare Folgerungen aus 
ö dem Vorigen. 


Aus dem, was bisher geſagt worden iſt, 
ergeben ſich einige unmittelbare Folgerungen fuͤr 
die hiſtoriſch-dogmatiſche Auslegung uͤberhaupt, 
welche hier am ſchicklichſten ihren Ort zu finden 
ſcheinen. 


Die naͤchſte Folgerung iſt die: daß we⸗ 
der der Theologie noch der Philoſophie 
eine Stimme. über das Geſchaͤfte des 
Hermeneutikers einzuraͤumen iſt. Denn 
die Hermeneutik iſt, wie wir ſahen, von beiden 
ganz unabhangig, und verhalt ſich zu beiden 
beinah wie die Lehre von dem Mechaniſchen in 
den bildenden Kuͤnſten zu den allgemeinen Grund⸗ 
ſaͤtzen der Aeſthetik der bildenden Kuͤnſte. Sie 
geht aller theologiſchen Kritik, oder kritiſchen 
Exegetik voraus, und beſtimmt ihre Wahrheit 
(die hermeneutiſche) nicht nach der logiſchen. — Die 
Theologie hat es ſich aber angemaßt, uͤber das 
Geſchaͤft des Hermeneutikers und uͤber die Aus⸗ 
legung zu entſcheiden, indem ſie den Stellen 
der Schrift einen ſolchen Sinn beilegte, der mit 
der kirchlichen Dogmatik uͤbereinſtimmte, und Wor⸗ 
N te 


58 Folgerungen. 


te und Formeln in der Bedeutung nahm, wel⸗ 
che fie im Syſteme haben; ohne Ruͤckſicht zu 
nehmen, ob auch die Leſer, fuͤr welche die 
einzelnen Buͤcher des R. T. geſchrieben wurden, 
daſſelbe dabei denken konnten, und ob die 
Verfaſſer das dabei gedacht wiſſen wollten. 
Dahin gehört z. B. daß lie die im Johannes 
oft wiederkehrende Formel: daß Jeſus und der 
Vater Eins ſeyen (Ev eiva) von der Einheit bei⸗ 
der, als Perſonen, in Einem goͤttlichen Weſen 
erklaͤrten; oder L nogeve ren Joh. 16, 29. in 
demſelben Sinne nahmen, in welchem die Kir⸗ 
che ein Ausgehen des Geiſtes vom Vater und 
Sohne lehrt; oder msıs, das ſo verſchiedene 
Bedeutungen hat, immer von dem ſeligmachen⸗ 
den Glauben, im Gegenſatz der Werke, ver⸗ 
ſtanden. 


Eine beſondere Anwendung der Theologie 
auf Hermeneutik, war die Analogie des Glau⸗ 
bens, in wie fern man dieſe als Auslegungs⸗ 
regel betrachtete. Unter Analogie des Glaubens 
verſteht man die Hauptſumme der chriſtlichen Leh⸗ 
re, welche ſich aus ganz deutlichen und eviden⸗ 
ten Stellen erkennen läßt. Nach dieſer ſeyen nun 
die weniger deutlichen Stellen zu erklaͤren So 
richtig auch dieſer Grundſatz an ſich iſt, indem 
man vorausſetzen kann, ein Schriftſteller wolle 
ſich nicht wiſſentlich widerſprechen; fo behutſam 
muß man doch bei ſeiner Anwendung verfahren, 
um die Mißbraͤuche zu vermeiden, zu denen 

er 


Folgerungen, 59 


er Veranlaſſung gegeben hat, und geben kann. 
Denn erſtlich beruht ſelbſt die Erklärung ganz 
deutlicher Stellen auf den Grundſaͤtzen der gram⸗ 
matiſch⸗hiſtoriſchen Auslegung, und dieſe kann 
folglich keine Geſetze von der Analogie des Glau⸗ 
bens annehmen. Zweitens erklaͤrte jede Kirche 
und Parthei auch die deutlichen Schriftſtellen in 
ihrem Sinne, d. h. nach ihrem theologiſchen 
Syſteme, und bewieß eben dadurch, daß auch 
deutliche Stellen nach einer richtigen hermeneu⸗ 
tiſchen Behandlung erklaͤrt werden muͤſſen, und 
daß man in dem, was man fuͤr ausgemachte 
Lehre des N. T. haͤlt, noch gar nicht einig 
ſey. Drittens wird bei der Analogie des Glau— 
bens oft vorausgeſetzt, daß ſich die Schrift- 
ſteller des N. T. nicht widerſprechen, ihre Leh⸗ 
ren nicht hier und da anders modiſiciren, und 
an andern Orten etwas anders ſagen könnten, 
als was fie ſchon geſagt haben. Voxausſetzun— 
gen, von denen ſich der Hermeneutiker, der 
das N. T. nicht als Codex einer göttlichen Of— 
fenbarung, ſondern als ein meuſchliches Buch 
auslegt (ſ. den vorigen §.), nicht leiten laſfen 
darf; da dieſe Unterſuchung fuͤr den Theologen, 
Der den ie Exegeten gehoͤrt. 


So wenig aber die Theologie eine Stimme 
über das Geſchaͤft des Hermeneutikers hat; eben 
fo wenig kann fie der Phi loſophie eingeraͤumt 
werden. Denn auch dieſe kann die hermeneuti⸗ 
ſche Wahrheit, den Zweck aller Auslegung, in 

154 kei⸗ 


60 Folgerungen. 4 


keinem Falle beſtimmen, ſondern (. H. 13.) bes 
ſchaͤftigt ſich bloß mit der Kritik uͤber den be⸗ 
reits gefundenen Sinn der Worte. Die Herme⸗ 
neutik wuͤrde nie eine ſelbſtſtaͤndige Wiſſenſchaft 
werden, wenn man ſie in der Verwaltung ihrer 
Funktionen von der Philoſophie abhaͤngig machen 
wollte, da man ſich uͤber das Logiſchwahre nie 
vereiniget hat, und nie vereinigen wird, und 
folglich die Erklaͤrung, der das Prinzip des Lo⸗ 
giſchwahren zu Grunde gelegt wird, eben ſo bunt 
und widerſprechend ausfallen wird, als die menſch⸗ 
lichen Behauptungen uͤber objektive Wahrheit und 
moraliſche Moͤglichkeit ſind. Und koͤnnte hier noch 
ein Zweifel ſeyn, ſo erinnere man ſich nur an 
den herineneutifchen Unfug, der mit der morali⸗ 
ſchen Auslegung Kants, die, nach dieſes Weiſen 
Willen mit der eigentlichen Hermeneutik gar nichts 
zu thun haben ſollte, von mehrern Interpreten 
getrieben worden iſt, und an alle die Aftererklaͤ⸗ 
rungen, welche uns die philoſophirenden Ausleger 
gegeben haben, indem ſie bald den Teufel, bald 
die Wunder, bald den heiligen Geiſt, bald die 
Gottheit Jeſu ꝛc. aus dem N. T. wegerklaͤrten. 


In dieſer Ruͤckſicht hat wohl Eichhorn 
der Philoſophie zu viele Rechte über die Hermes 
neutik eingeraumt, wenn er in der H. 13. An⸗ 
merk. 2. ang zogenen Gielle fo fortfaͤhrt (S. 332): 


„dieſem zufolge“ (naͤmlich daß man annimmt, 0 


der ganze Inhalt des N. T. muͤſſe ſo beſchaffen 
ſeyn, daß er einer richtigen und beſcheidenen Ver⸗ 
“ nunft 


Folgerungen, | 61 


nunſt acceptaven ſey) „müßte die Auslegung des 
„N. T. einen eigenen Pruͤfſtein, der bei keinem 
„Schriftſteller des roͤmiſchen und griechiſchen Al⸗ 
„terthums angewendet wird, voraus haben: 
„Harmonie mit einer gelaäͤuterten und 
„beſcheidenen Philoſophie. Wenn Bibel⸗ 
„ ſinn und Philoſophie im Widerſpruch ſtehen; ſo 
„muß in einem von beiden der Fehler liegen. 

„Billig unterwirft man zuerſt die Philoſophie der 
attrengſten Pröfunge und haͤlt ſie dieſelbe aus, 


„und muß ſie als richtig von der richtenden Ver⸗ 


— 


„nunft anerkannt werden; fo iſt man wegen der 
„Vorausſeszung von der Natur der Lehren des 
„N. T. gezwungen, auf ein Vereinigungsmittel zu 
ſinnen. Unter andern iſt das Hineintreten in 
„die Zeitideen ein vortreffliches und weit reichen⸗ 
„des Mittel, die gewuͤnſchte Harmonie herzuſtel— 


„len.“ — Eichhorn meint hiermit das Akkom⸗ 


modationsſyſtem, das aber gewiß nicht in die 
Hermeneutik gehoͤrt, noch weniger, ſo wie die 
Harmonie der Vernunft und Schrift ein Prinzip. 


der Auslegung ſeyn kann, da dieſe Harmonie 


nicht zwiſchen dem noch zu findenden, ſondern 
zwiſchen dem hermeneutiſch ſchon gefundenen Sinn 


der Schrift und der Vernunft bewirkt werden 
ſoll. Doch er nimmt das, was er hier ſagte, 
im folgenden beinahe zuruͤck. Nachdem er nam: 
lich (S. 339 ff.), um jene Harmonie herzuſtel⸗ 


len, vorgeſchlagen hat: alle die Stellen und 


Lehreu des N. T., welche die Vernunft in An⸗ 


ſpruch nimmt, in Klaſſen zu bringen, um be; 
X ſtimmt 


* 


62 Folgerungen. 


ſtimmt angeben zu koͤnnen, worin juͤdiſche Volks⸗ 
meinungen und die Condeſcendenz Jeſu und ſeiner 
Apoſtel zu denſelben beſtehe, und um (S. 341) 
die Regeln abſtrahiren zu koͤnnen, die man der 
Vernunft in ihren Entſcheidungen bei der Inter⸗ 
pretation vorſchreiben muͤſſe, damit ſie ſich be⸗ 
ſcheiden in ihren Schranken halte; nachdem er 
noch (S. 342) geaͤußert hat, daß man zuletzt 
erſt an das Ideal eines Volkslehrers werde den, 
ken duͤrfen, um die gemachten Erfahrungen von 
Jeſu und ſeinen Apoſteln zu vergleichen, und zu 
erforſchen, ob ſie das Nationelle, Temporelle, 
Lokale und Individuelle fo ſchonen durften, wie 
ſie es gethan haben; ob dabei ihre Wahrhaf⸗ 
tigkeit und Ehrlichkeit beſtehen koͤnne, oder ob 
ſie limitirt werden muͤſſe; ſo ſetzt er hinzu: „es 
iſt gar nicht zu beſorgen, daß die forſchende Kri⸗ 
tik (dieſe koͤnnte es allerdings!) in Gefahr kom⸗ 
men ſollte, ſich zum letztern (zu dieſer Limita⸗ 
tion der Wahrhaftigkeit Jeſu und der Apoſtel) 
gezwungen zu fuͤhlen. Aber mit dieſer Eroͤrte⸗ 
rung anzufangen, wuͤrde eine Aengſtlichkeit in 
die Unterſuchung bringen, die ihr ſelbſt nach⸗ 
theilig ſeyn muͤßte; fie würde ihr Grenzen a 
priori ſtecken, die nur zu Einlenkungen, oͤko⸗ 
nomiſchen Mitteln und Winkelzuͤgen verleiten koͤnn⸗ 
ten.“ Mit dieſen letzten Worten legt der treffe 
liche Verfaſſer offenbar das Geſtaͤndniß ab, daß 
jene Unterſuchungen und deren Principien nie die 
Principien der Hermeneutik ſelbſt werden duͤrfen, 
weil dieſe nicht nach Gruͤnden a e entſchei⸗ 
den 


Folgerungen. 0 63 


den kann, welches der Sinn ſey, ſondern bloß 
und einzig, nach Gründen a polleriori. 


9. 15. 
Fortſetzung. 


Wir koͤnnen alſo aus dem bisher Geſagten 
den zweiten Hauptſatz der hiſtoriſch⸗ dogmatiſchen 
Auslegung ableiten, naͤmlich dieſen: man ſehe 
nie auf die logiſche Richtigkeit des Re⸗ 
ſultates, das die hiſtoriſch⸗dogmati— 
ſche Auslegung giebt. Denn wenn auch 
das Reſultat, auf das man gefuͤhrt wird, eine 
irrig ſcheinende Vorſtellung oder einen Satz ent⸗ 
halten ſollte, der mit dem Begriff einer wahren 
goͤttlichen Offenbarung nicht vereinbar ſcheinen 
koͤnnte; ſo darf ſich der Interpret in der Erui⸗ 
rung des hiſtoriſch⸗ dogmatiſchen Sinnes nicht 
irren laſſen, und muß das Weitere der theolo⸗ 
giſchen Kritik uͤberlaſſen, die nun entweder die 
Richtigkeit des Satzes zu beweiſen, oder zu zei⸗ 
gen hat, daß dieſer Satz nicht zur geoffenbar⸗ 
ten Lehre gehoͤre, oder daß, obgleich der Satz 
in den Worten liege, man dennoch berechtigt 
ſey, nach dem ganzen Geiſt des Schriftſtellers 
oder des Sprechenden zu ſchließen, daß er die 
ſen Satz entweder in einem andern und beſſern 
Sinne behauptet, oder ſelbſt nicht gebilligt, ſon⸗ 
dern als irrig betrachtet habe. 


Als dritte Folgerung ergiebt ſich aus Obi 
gem dieſer Hauptſatz: man gehe nicht we⸗ 
GEN 


64 Folgerungen. 


gen Inkonſequenz der Vorſtellungen und 
wegen Widerſßrüchen von dem hiſto⸗ 
riſch⸗dogmatiſchen Sinne einer Stelle 
ab, wenn er nach hinreichenden herme— 
neutiſchen Gruͤnden in ihr zu liegen 
ſcheint. Denn ſo wahr es auch iſt, daß ſich 
ein Schriftſteller, dem es um die Wahrheit deſ—⸗ 
ſen, was er vortraͤgt, zu thun iſt, nicht wiſſent⸗ 
lich widerſprechen, ſondern Inkonſequenzen, wenn 
er ſie bemerkt, vermeiden wird; ſo darf doch 
der Interpret deswegen, weil er das N. T. wie 
jedes andre menſchliche Buch auslegen muß cf. 
oben S. 19f.), nicht ſchon im Voraus annehmen, 
daß ſich keine Widerſpruͤche und Inkonſequenzen 
im N. T. finden würden, und nach dieſem Grund⸗ 
ſatz bei der Erklarung verfahren. Zwar liegt es 
ihm ob, auf Widerſpruͤche Ruͤckſicht zu nehmen, 
und auch eine Vereinigung widerſprechender Saͤtze 
und Vorſtellungen zu verſuchen; allein er hat 
hier eine beſtimmte Grenze, die er nicht 
uͤberſchreiten darf. Er unterſucht erſtlich: ob 
nicht in der Sache ſelbſt ein Grund liege, der 
eine Inkonſequenz oder einen Widerſpruch leicht 
verurſachen konnte; zweitens: ob nicht viel⸗ 
leicht jener Widerſpruch oder jene Inkonſequenz 
nicht nur dem vorliegenden Schriftſteller, ſon⸗ 
dern dem ganzen Zeitalter und deſſen Reli-⸗ 
gionsmeinungen gemein war; oder ob nicht 
drittens ſich der Widerſpruch ohne Zwang 
heben, und eine inkonſequente Stelle ohne 
Zwang anders erklaͤren laſſe; wo er dann ei⸗ 
ne 


— 


Folgerungen. 65 


ne Vereinigung zu verſuchen hat. Weiter darf er 
aber nicht gehen, wenn er nicht ſein Gebiet 
uͤberſchreiten und in das der kritiſchen Exegetik 
eintreten, wenn er nicht ſeine Prinzipien mit 
den Prinzipien der letztern verwechſeln will. 
Denn wenn der erſte und zweite Fall ſtatt fin 
det, oder der dritte nicht in Anwendung ge⸗ 
bracht werden kann; fo hat er in feiner Wiſ⸗ 
ſenſchaft gar keinen Entſchulbigungsgrund mehr, 
und muß den Sinn, den ſeine Auslegung giebt, 
der kritiſchen Theologie zu weiterer Beurtheilung 
uͤbergeben. 


Diäieſes find die drei Hauptſaͤtze für die his 
ſtoriſch⸗dogmatiſche Auslegung, die ihr Gebiet 
begraͤnzen und gegen alle Eingriffe der Theolo— 
gie und Philoſophie ſichern. Sie muß, in Ver⸗ 
bindung mit der grammatiſchen Auslegung, eine 
eigene abgerundete Wiſſenſchaft ſeyn, die nach 
ihren, aus der Natur der Sprache und der 
Schriften ſelbſt hervorgehenden Datis urtheilt, 
und ſich in ihren Funktionen eben ſo wenig ſtoͤh⸗ 
ren laͤßt, als die Mathematik durch Prinzipien 
der Metaphyſik, oder die Optik durch die Lehre 
von Raum und Zeit, oder die Astronomie AB 
teleologiſche Grundſaͤtze. 


Bevor aber die Regeln der Anwendung der 
hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Auslegung bei Erklärung 
des N. T. aufgeſtellt werden, muß zuerſt unter⸗ 
ſucht werden, aus welchen Quellen, und was 

E ſie 


Pi 


66 Quellen der hiſt. dogm. Auslegung. 


fie aus dieſen Quellen ſchoͤpfen koͤnne, und wel⸗ | 
che Huͤlfsmittel wir zum Gebrauch jener Quellen 
und für die Kenntnuß der bike Theologie 


überhaupt haben. 


4 


— . NIE . IN IT 


Ka p. III. 


Von den Quellen und Huͤlfsmitteln der 
hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Auslegung. 


$. 16. 
Einleitung. 


Fern von den Ländern, in den es jetzt am ſchöͤn— 
ſten bluͤbt, entſtand das Chriſtenthum in dem 
ſchmalen Strich Landes der zwiſchen Arabien, 
dem Mittellaͤndiſchen Meer, dem Libanon und 


Aegypten liegt. Fremd ſind unſerm Geiſte die 


Sitten jener Gegend, fremd uns der Geiſt ſei⸗ 
ner Bewohner, ihr Denken, Wollen und Ahnen; 
doppelt fremd derer, die vor beinahe zweitauſend 
Jahren jenen Landſttich bewohnten. 5 
Durch die Moſaiſche Geſetzgebung war den 
Juden ein origineller Nationalcharakter angebil⸗ 


det worden, deſſen Form ſie ſich nicht ohne Wi⸗ 


der⸗ 


Quellen der hiſt. dogm. Auslegung. 67 


derſtreben aufpraͤgen ließen. Dieſe Nation be: 
kam eine eigene Individualitaͤt, nicht nur des 
Zeitalters und Ortes, ſondern auch des Natio⸗ 
nalcharakters. Raſch und gewaltig war der An⸗ 
drang fremder Nationalindividualitaͤt, den die⸗ 
ſes Volk, da es durch Nebukadnezar aus den 
Fugen ſeines gewöhnlichen Lebens herausgeriſſen, 
nach Cbaldaͤa verſetzt, und in den großen Strom 
der Voͤlker, die ſich bei dem Umſturz des per⸗ 

ſiſchen Reichs bekaͤmpften und miſchten, hinein⸗ 
geworfen wurde, erleiden mußte. Die rauhen 
Ecken ſeiner Individualitaͤt wurden in dieſem Ge⸗ 
draͤnge etwas abgeſchliffen, und ſie wuͤrde ganz 
verwiſcht worden ſeyn, waͤre es ihm nicht ge⸗ 
gluͤckt, ſich, wenn auch unterjocht, nach dem 
Exil in feinem Vaterlande als Nation zu erhal⸗ 
ten, und einen Theil ſeiner nationellen Eigen⸗ 
thuͤmlichkeit zu bewahren. Es eignete ſich zwar 
manches Fremde an; verband es aber mit ſei⸗ 
nen altern Meinungen und Sitten, und indis 
vidualiſirte und nationaliſirte es dadurch. — Dies 
fe Individualitaͤt ſpricht uns aus allen Schriften 
dieſes Volkes, aus dem Zeitraume von 300 Jah⸗ 
ren vor Chriſtus, an, und iſt beſonders in 
Hinſicht ſeiner intellektuellen und moraliſchen, 
oder mit einem Worte, feiner religioͤſen Bi 
dung ſehr r 8 


Die PR Pehrer des Chriffentfund + wa⸗ 
ren alle gebohrne Juden; auch die Schriftſtel⸗ 
ler des N. T. waren dieſes, bis auf wenige; ih⸗ 

E 2 re 


1 
68 Quellen der hiſt. dogm. Auslegung. 


re Schriften ſind in der unter Judeu damals 
uͤblichen Schreibart und Lehrart geſchrieben; ſie 
ſchrieben ſaͤmmtlich, wenn auch nicht allein, 
doch vorzuͤglich, fuͤr Chriſten aus dem Judenthume, 
oder nehmen wenigſtens auf dieſe uͤberall bedeus 
tende Ruͤckſicht. Wollen wir alſo dieſe Schrif— 
ten richtig verſtehen; fo muͤſſen wir die reli⸗ 
gioͤſe Individualitaͤt der Juden damaliger Zeit 
kennen lernen, deren Reſultate eine juͤdiſche 
Theologie enthalt. Da aber die Juden mit ans 
dern orientaliſchen Voͤlkern in näherer und ent— 
fernterer Beruͤhrung und ſich derſelben oder ganz 
verwande religioͤſe philoſophiſche Meinungen bei 
andern Voͤlkern finden; ſo muß der hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſche Interpret eine genaue, voll ſtaͤn di⸗ 
ge und pragmatiſche Kenntniß der religiöfen 
und philoſophiſchen Meinungen des Orients uͤber⸗ 
haupt, und der Juden insbeſondere beſitzen. 


Es kann nun hier meine Abſicht nicht ſeyn, 
dieſe Meinungen und Lehrſaͤtze ſelbſt darzuſtellen, 
und eine juͤdiſche Theologie zu ſchreiben; ſon— 
dern die Quellen und Huͤlfsmittel derſelben anzu⸗ 
geben, und den Gebrauch, den man von ih— 
nen bei Erklaͤrung des N. T. machen kann, zu 
beſtimmen: — dieſes allein kaun in eine Ent⸗ 
wickelung der Prinzipien der hiſtoriſchen-dogma⸗ 
tiſchen Auslegung des N. T. gehoren. 


Orientaliſche Religlonsphiloſophle. 69 


$. 17. 


Giebt es eine orientaliſche Mae ee 
loſophie? 


Es iſt hier nicht meine Abſicht, den ehe⸗ 
mals gefuͤhrten Streit: ob es eine orienta— 
liſche Philoſophie gegeben habe, oder nicht? 
zu erzaͤhlen, vielweniger zu entſcheiden. Man 
findet eine genaue Erzaͤhlung dieſes Streits, zus 
gleich mit einer kritiſchen Beurtheilung bei Horn 
in der bibliſchen Gnoſis S. 25 ff. Doch gleich⸗ 
guͤltig iſt uns jene Streitfrage hier nicht, weil, 
wenn es keine orientalifche Religionsphiloſophie 
gaͤbe, und die juͤdiſche kein Theil davon waͤre, 
eine nicht unbedeutende Anzahl von Quellen, des 
ren wir erwaͤhnen muͤſſen, nicht hieher gehoͤrte. 


Ob es aber gleich gewiß iſt, daß man unter 
orientaliſcher Philoſophie nicht ein abgeſchloſſenes 
Syſtem einer Schule oder einer philoſophiſchen 
Parthei zu verſtehen hat; ſo glaube ich doch 
hier ſo viel als allgemein zugeſtanden annehmen 
zu koͤnnen, daß es zu Jeſu Zeiten im Orient 
eine weit verbreitete Religionsphiloſophie gab, 
und daß ſich dieſe bei den Parſen, bei den 
Aegyptern, bei den Juden und ihren Sekten, 
und ſpaͤterhin bei den Rabbinen finde, die aber 
nach der Individualitaͤt der verſchiedenen Natio⸗ 
nen, welche fie in ihre religioͤſen Ideen auf- 
nahmen, verſchieden modiſteirt wurde. Dieſes 
hat Horn in der angefuͤhrten Schrift nach ſo 

vielen 


20 Otientaliſche Relſglonsphiloſophle. 


vielen Gruͤnden dargethan, daß wohl weiter 
kein Zweifel uͤbrig bleiben kann; ob man gleich feis 
nen anderweitigen Behauptungen, daß dieſe Philos 
ſophie ſich ganz allein auf den Parſismus gruͤn⸗ 
de, die Emanationslehre zur Grundlage habe, 
und von den Parſen zu den Juden, Aegyptern 
und andern Voͤlkern gedrungen ſey, nicht allge: 
mein und unbedingt beiſtimmen duͤrfte. Gewiß 
iſt es uͤbrigens, daß ſich bei allen dieſen Voͤl⸗ 
kern, wie der Zend-Aveſta, die indiſchen Nes 
ligionsbuͤcher, die Apokryphen des A. und N. 
T., die Schriften Philos, des Joſephus und 
der Rabbinen unwiderſprechlich lehren, durch⸗ 
aus verwandte und oft ganz gleiche Religions- 
ideen finden; gewiß iſt es, daß dieſe Ideen ih⸗ 
re beſtimmte Bezeichnung durch Worte hatten, 
oder daß es eine im Orient verbreitete Sprache 
der Religionsphiloſophie gab. Dieſes iſt dem 
hiſtoriſch -dogmatiſchen Exegeten genug; er 
findet darin, daß dieſe Religionsphiloſophie 
und ihr Sprachgebrauch da war, einen hin⸗ 
laͤnglichen Grund, fie in ihren Modiſicationen 
bei den Juden und bei andern Völkern zu ver⸗ 
gleichen, und die Reſultate zur Erklaͤrung des 
N. T. anzuwenden. Es kann ihm aber von 
weniger Wichtigkeit ſeyn, zu unterſuchen, ob 
dieſe Vorſtellungen und Lehrſaͤtze von den Juden 
zu andern Voͤlkern, oder von dieſen zu den 
Juden übergiengen. Denn haͤtte auch das erſte⸗ 
re ſtatt gefunden; fo wuͤrde ſich doch daraus 
auf die Grundſaͤtze der Juden ſelbſt zuruͤckſchlie⸗ 

ne ben 


Deren Umfang. 71 


ßen laſſen. Was kann z. B. dem hiſtoriſch⸗dog⸗ 
matiſchen Ausleger daran liegen, zu unterſuchen, 
ob die Lehre von dem Satan und den Daͤmonen 
von den Juden zu den Perſern kam, oder von 
dieſen zu jenen uͤbergieng? Es iſt ihm genug, 
zu wiſſen, was Juden und Perſer uͤber jenen 
Punkt in dem Zeitalter lehrten, in welchem die 
Schriſten des N. T. abgefaßt ſind; weil ſich 
daraus ergiebt, was er unter Teerrceyees und 
dzimovioy im N. T. zu verſtehen habe. Oder 
welchen Einfluß auf die Erklaͤrung des N. T. 
koͤnnte die langgefuͤhrte Streitfrage haben: ob 
die Lehre von der Auferſtehung im A. T. ſchon 
vorkomme; oder ob ſie die Juden aus Chal⸗ 
daͤa zurückgebracht haben? — Fuͤr ihn und 
ſein Geſchaͤft iſt ſchon der hiſtoriſch erweisliche 
Satz genug, daß die Juden zu Jeſu Zeit eine 
avasasır eben ſo gut als die Perſer geglaubt, 
und darunter eine Wiederauferweckung der Koͤrper 
verſtanden haben. Dieſes iſt fuͤr ihn hinreichen⸗ 
der Grund in den Stellen des N. T., wo von 
einem Zoravas die Rede iſt, der Jeſum ver⸗ 
ſuchte, an keine aufſteigende innere Begierde, 
oder einen juͤdiſchen Prieſter (Ver fuͤhrer), und 
bei avasacıs nicht an eine moraliſche Auferſte⸗ 
hung vom un der Sünde zu denken. 


* 


8 
Umfang der tenen Religlensphi⸗ 
loſophie. 
Sey daher auch der urſprung jener philo⸗ 
ſophiſchen⸗ religioͤſen Meinungen, welcher er wolle 


72 Deren Umfang, 


fo fragt der hiſtoriſche Interpret vorzüglich dar⸗ 
nach: wie weit, bis zu welchen Voͤlkern wa: 
ren dieſe Ideen verbreitet; welches iſt folglich 
der Umfang der Quellen, aus denen ſie zu ſchoͤpfen 
und zu lernen iſt? Die Denkmaͤler des Alter⸗ 
thums, die wir theils ſchon laͤngſt beſaßen, theils 
auch neuerlich erſt kennen lernten, wie den Zend» 
Aveſta und die indiſchen Neligionsbucher, laſſen 
uns den Umfang beurtheilen, in dem jene religioͤſen 
Ideen im Orient, und ſpaͤterhin in den Abend» 
laͤndern verbreitet wurden. Das meiſte trug 
zu deren Verbreitung die Macht und Ausdeh⸗ 
nung des perſiſchen Reichs unter Cyrus und 
ſpaͤterhin bei, durch welche die Lehre Zoroaſters 
nach Indien, Syrien, Kleinaſien und Aegyp⸗ 
ten drang. Nach dem Sturz des perſiſchen Reichs 
waren vorzuͤglich die Juden die Nation, welche 
jene religioͤſen Ideen in ihren Schriften aufbe⸗ 
wahrte, in ihren Schulen lehrte, und endlich 
zu dem zwar ſpitzfuͤndigen, aber immer ſcharfſinni⸗ 
gen Syſtem des Kabbalismus ausbildeten. Auch 
in die chriſtliche Kirche giengen jene Ideen zu⸗ 
gleich mit der Sprache dieſer Religionsphiloſophie 
theils durch Juden ſelbſt, die ihre aͤltern Meinun⸗ 
gen in der neuen Kirche beibehielten, theils durch 
aͤgyptiſche und kleinaſiatiſche Griechen über, und 
entartete ſpaͤterhin zu den Syſtemen der Gnoſti— 
ker. — Der hiſtoriſch⸗dogmatiſche Exeget hat 
alſo die Vorſtellungen und Lehrſaͤtze aller dieſer 
Voͤlker und Partheien zu unterſuchen, und muß 
dabei auf die drei Hauptfamilien, bei denen 
j fich, 


Quellen; das A. T. 73 


ſich, vermoͤge der Nationaleigenthuͤmlichkeit, jene 
Religionsphiloſophie zu beſondern und abweichen⸗ 
den Formen bildete, vorzuͤglich ſehen; naͤm⸗ 
lich auf die Juden, die Perſer und die Griechen. 

Sonach zerfallen auch die Quellen jener Philoſo⸗ 
phie in drei Hauptklaſſen: in juͤdiſche, perſi⸗ 
ſche und griechiſche. 5 


§. 19. 
) Juͤdiſche; a) das A. T. 


Die aͤlteſte und Hauptquelle der juͤdiſchen 
Religion ſind die heiligen Schriften dieſer Nation, 
welche die ganze Grundlage der buͤrgerlichen und 
religiöfen Verfaſſung dieſes Volkes, die Geſchich⸗ 
te ſeines Staates und feiner Religion, und meh: 
rere Schriften juͤdiſcher Weiſen und Religions: 
lehrer aus ſehr verſchiedenen Zeitaltern enthal⸗ 
ten. — Hier iſt alſo die Geſchichte der erſten 
charakteriſliſchen Bildung der juͤdiſchen Nation 
zu ſuchen, die Kenntuiß ſeiner religioͤſen Vorſtel⸗ 
lungen in aͤltern Zeiten, und der Berichtigung 
und Vermehrung derſelben durch ſpaͤtere Prophe— 
ten und andere Weiſe; die Kenntniß feines kirch—⸗ 
lichen, politiſchen und ſittlichen Zuſtandes, und 
des Einfluſſes deſſelben auf Denkart, Sitten 
und Meinungen. — Ohne dieſe Unterſuchung 
würde uns der religiöfe Zuſtand der Juden zu 
Jeſu Zeit unerklaͤrlich, und das Verhal tniß ih ⸗ 
rer Theologie zu der Religionsphiloſophie ande⸗ 
rer benachbarter Nationen unverſtandlich ſeyn. 

\ Bel 


7 


74 Quellen; das A. T. 


Bei dem Studium des alten Teſtaments iu reli⸗ 
gioͤſer Ruͤckſicht hat man aber darauf vorzuͤg⸗ 
lich zu ſehen: erſtlich, daß man ſich mit dem 
Geiſt der moſaiſchen Religionseinrichtung bekannt 
mache, um die Wirkungen, die fie für die Kul⸗ 
tur der Nation haben mußte, beurtheilen zu koͤn⸗ 
nen; daß man die einzelnen Buͤcher des A. T. 
nach ihrer hiſtoriſchen Aufeinanderfolge, in ſo 
weit diefe auszumachen iſt, ſtudiere, und auf die 
Veranderungen und Erweiterungen des Religions⸗ 
ſyſtems ſorgfaͤltig achte. Vorzuͤglich genau muß 
man die Schriften unterſuchen, die den Zuſtand 
der Juden kurz vor, waͤhrend und nach dem 
Exil beſchreiben, oder religioͤſe und moraliſche 
Abhandlungen aus dieſem Zeitraum enthalten; 
alſo die Bücher der Chronik, Esdra, Nehemia, 
Eſther, die ſpaͤter lebenden Propheten (Jere⸗ 
mias, Ezechiel, Malachias 1c.), den Prediger Gas 
lamo's, einen Theil der Palmen u. ſ. w. ö 

Unter den Huͤlfsmitteln fuͤr dieſes Stu⸗ 
dium wuͤrde eine pragmatiſche Geſchichte der juͤ⸗ 


diſchen Religion bis auf Jeſum, den erſten 


Platz einnehmen, wenn wir eine hatten Sie 
fehlt uns aber noch ganz, und nur Beitraͤge, die 
aber ſehr febasbar find, haben wir von verſchie⸗ 
denen Gelehrten erhalten. Denn was ſich in den 
Buͤchern findet, welche die politiſche Geſchichte der 
Juden beſchreiben, ite ganz ſparſam und duͤrftig *). 
Mit 
— — . — — ũ —Eꝓ2—äͤ RE 
) Auch eine pragmatiſch geſchriebene politiſche Ges 
ſchichte 


Mit 


Quellen; das A. T. x 7 


” i 


vorzuͤglicher Ruͤckſicht auf Religion und reli⸗ 


wir 


gisſe Kultur der Juden ſind folgende Abhandlun⸗ 


gen, 
ben: 


die ſich uͤber das Ganze erſtrecken, geſchrie⸗ 
Herders Ideen zur Philoſophie der Ge⸗ 
NN ſchichte 


— 
7 


ſchichte dieſer Nation fehlt uns noch. Indeſſen 
vergl. man: Ludw. Holberas jüdifhe Ges 
ſchichte von Erſchaffung der Welt bis auf ges 
genwaͤrt. Zeiten. Altona 1747. 2 Thl. 4. Ant. 
Fr. Buͤſching Geſchichte der juͤd. Religion, 
oder des Geſetzes. Berl. 1779. 8. I. Fr. Bu d- 
deus hiſtoria eccleſ. V. T. Hal. 1726 29. ed. 
3. 2 Voll. 4. (Kundl) Geſchichte des juͤd. 
Volks von Abraham an bis auf Jeruſalems Zer— 
ſtör, für denkende Leſer der Bibel. Lpzg. 1791. 
8. G. Lor. Bauer Handbuch der Geſchichte 
der hebr. Nation, von ihrer Entſtehung bis zur 
Zerſtoͤrung ihres Staats, 2 Bände, Nuͤrnberg 


1800 u. 1804. gr. 8. — Ueber den Zeitraum 


vom Exil an: Joh. Remond Verſuch einer 
Geſchichte der Ausbreitung des Judenthums v. 
Cyrus bis auf den gaͤnzlichen Untergang des 


jüd. Staats. Lpzg. 1789. kl. 2. Joh. Imm. 


— 


Fried. Schmid Geſchichte des juͤdiſch. Volks, 
von ſeiner Wegfuͤhrung nach Babel bis auf Je⸗ 
ruſalems Zerſtör. durch die Roͤmer. Tuͤb. 1792. 
8. — Hiermit iſt zu vergleichen: C. G. En⸗ 
kelmann: uͤber die kanoniſchen Buͤcher des A. 
T. als Quellen der juͤdiſchen Geſchichte betrachs 
tet. In Henkers neuen Magaz. zter Band 
S. 1— 86. — Ueber die moſ. Verfaſſung ſ. 
J. D. Michaelis moſ. Recht. Frankf. am 
M. 6 Theile 8. wovon eine 2te Ausg. des 1. 
Theils 1775. des zten und zten 1776. des an 
1778. und des sten 1780, der ſechſte aber 
1785. erſchien. 


/ 
HER ir Quellen; das A. T. 


ſchichte der Menſchheit zr Th. S. 104 - 121. 
Pölitz, pragmatiſche Ueberſicht der Theologie der 
ſpaͤtern Juden (Leipzig 1795.) S. 53 — 128. 
Horn, über die bibl. Gnoſis, S. 327 — 404. 
— Abriß der hebr. Kultur bis auf das Zeital⸗ 
ter Jeſu, beſonders mit Hinſicht auf die 
Fortſchritte ihrer Moral. In Henke's Ma⸗ 
gaz. zr B S. 506 - 506. Hiermit vergleiche 
die hiſtoriſche Einleitung ꝛc. die ich meiner Dog⸗ 
matik der Apokryphen des A. T. S. 1— 45. 
vorgeſetzt habe. Johann Diet. Hartmann, 
vom polit. veligiöf, und wiſſenſchaftlichen Zuſtande 
des juͤdiſch. Staats bei Entſtehung des Chriſten⸗ 
thums. In ſ. Beiträgen zur chriſtlichen Kir⸗ 
chen⸗ und Religions-Geſchichte ter Bd. S. 33. 
Poͤlitz, hiſtoriſche Einleitung in das Zeitalter 
Jeſu; in ſeiner populären Moral des Chriſten⸗ 
thums, 8. 23 — 138. 


Auch gehoͤren noch folgende 215 Ab⸗ 
handlungen hieher: Etwas über die [Vervoll⸗ 
kommnung der! iſraelitiſchen Religion; in den 
Beitraͤgen zur Befoͤrderung des vernuͤnftigen 
Denkens ꝛc. 1 3tes Heft Seite 82 — 114. — 
Frank progr. cur philofophia apud He- 
brasos non floruerit, au alia in eruditionis 
laue eminutrint. Erf. i. 4. — Ver- 
Wey di. (fub praef. Verschuir) de 
origine et canfis infani idololatriae amoris 
el fudi, maxime in gente Lſrablitica. Fra- 
neg. 17% — G. F. Seiler progr. Deus 

an, 


Quellen; das A. T. 77 


an, quod multi contendunt, Domini pot iſſi. 
mum forma et nomine fe ſub oeconomia mof. 
deferibi curauerit? Unde fenfus ſeruilis Ifrai- 
litarum fit derinandus? inquiritur. Erlang. 
1796, J. — J. C. C. Nachtigal, über die 
Weiſen⸗Verſammlungen der Ifſraeliten. In 
Eichh. Bibl. 9. B. 3. St. S. 379 — 451. 
— Warum die ſchriftlichen Orakel der hebr. 
Propheten erſt um das J. 1800 vor Chriſto 
anfangen. Ebendaſ. 10. B. 6. St. S. 1077 
— 1117. 


Außerdem muß man ſich in dogmatiſcher 
Hinſicht an einzelne Abhandlungen, die unten an⸗ 
geführt werden ſollen, und an die bibliſchen 
Theologien halten, deren wir vorzüglich drei 
von Hufnagel, Ammon und Bauer haben. 
Die von Hufnagel und Ammon erſtrecken ſich 
uͤber das alte und N. T. zugleich, und ſind, 
weil ſie mehr den Kapiteln der Dogmatik fol— 
gen, weniger brauchbar als die von Bauer. 


\ W. Friedr. Hufnagel, Handbuch der 
bibliſchen Theologie. Erlangen 1785 — 1791. 
zwei Theile, gr. 8. — C. Fr. Ammon, 
Entwurf einer reinen bibliſchen Theologie, drei 
Theile, neue Auflage. Erlangen, 1891 — 802. 
gr. 8. Sie enthaͤlt, außer vielen vorzuͤglichen 
Bemerkungen, eine ſchoͤn ausgearbeitete und nach 
der Zeitfolge der altteſtamentiſchen Buͤcher durch⸗ 
geführte Chriſtologie kim 2. B. S. 1240). — 
| G. Lor. 


78 Quellen; das A. T. 


G. Lor. Bauer, Theologie des A. T., oder Ab⸗ 
riß der religioͤſen Begriffe der alten Hebräer. 
Von den aͤlteſten Zeiten bis auf den Anfang 
der chriſtlichen Epoche. Zum Gebrauch akade⸗ 
miſcher Vorleſungen. Leipzig 1796. 430 Sei⸗ 
ten gr. 8. N 


Endlich kommen noch die Schriften in Bes 
trachtung, welche die Moral der Hebraͤer be— 
handeln; worunter zuerſt Imman. Berger's 
praktiſche Einleitung ins A. T. (iſter Theilf 
Lpzg. 1799. 416 Seiten 8. die fuͤnf Buͤcher 
Moſis. Zweiter Theil die hiſtoriſchen Buͤcher 
des A. T. ebendaſ. 1800. 538 ©. 8.) genannt 
zu werden verdient, da ſie die Bekanntſchaft mit 
den religioͤſen und moraliſchen Ideen des A. T. 
einleiten, und deren praktiſche Anwendung theils 
vorbereiten, theils zeigen ſoll. — Naher. aber 
gehoͤrt Ge. Lor. Bauers bibliſche Moral des 
A. T. (Reipjig, zwei Theile 1903. gr. 8.) 
fuͤr den hiſtoriſchen Exegeten, beſonders, da ſie 
auch die apokryphiſchen Buͤcher des A. T. mit 
umfaßt. Hiermit vergl. Joh. Dan. Schul⸗ 
ze, uͤber die Bewegungsgruͤnde zur Tugend im 
A. T. und in den apokryphiſchen Buͤchern 
deſſelben. In Henke's neuem Magazin, Gter 
Band. Seite 40 — 86. — Zur Geſchichte der 
Moral der Hebraͤer vor Chriſtus uͤberhaupt 
verdient vorzuͤglich bemerkt zu werden: Carl 
Friedrich Staͤudlin, Geſchichte der Sit— 
tenlehre Jeſu, der erſte Band (Goͤttingen 

| 1799. 


Die Apokryphen des A. T. 79 


1799. 833 Seiten und XXXIV. 8.) wo 
man eine ausfuhrliche Darſtellung der Sitten⸗ 
lehre der Hebraer vor Jeſu und ihrer Ges 
ſchichte findet. Vorher hatte er ein Programm: 
theologiae Moralis Ebraeorum ante Chrifzum 
Hifioria. Goett. 1794. 4. darüber geſchrieben. 
·— Vergl Verſuch den Urſprung der Sittenlehre 
Jeſu hiſtoriſch zu erklaͤren; in Henke's Magaz. 


5. B. S. 363 — 437. 0 


§. 20. | 
b) Die Apokryphen des A. T. 


Die Schriften, die unter dem Namen der 
Apokryphen des A. T. vorhanden ſind, füllen die 
Lücke der juͤdiſchen Schriften in dem Zeitraum | 

vom Exil bis auf die Zeiten Jeſu nur mangels 
haft aus, beſonders in Nuͤckſicht der Geſchichte 
der religioͤſen Ideen unter den Juden; weil ein 

Theil von ihnen bloß hiſtoriſch, ein anderer 
Theil, wie das Buch der Weisheit und das drit⸗ 
te und vierte Buch der Makkabäer in Aegypten 
geſchrieben ſind, und uns folglich keine Rechen⸗ 
ſchaft von den religiöfen Ideen der Palaͤſtinenſer 
geben, und endlich ein Theil von ihnen ſelbſt 
von zu jungem Alter zu ſeyn ſcheint, um den 
Gang, den die Religions philoſophie während und 
bald nach dem Exil bei den Juden in Palaͤſtina 
nahm, zu beſtimmen. Demohnerachtet aber ſind 
ſie uns, da wir außer Joſephus und Philo fein, 
weitern Urkunden uͤber jenen Zeitraum haben, vo 
23 groß 


go Die Apokryphen des A. T. 


großer Wichtigkeit, und lange Zeit, mehr als 
fie verdienten, vernachlaͤſſigt worden. Nur in 
neuern Zeiten hat man ſie der gehorigen Auf⸗ 
merkſamkeit gewuͤrdiget, und zur hiſteriſchen Aus⸗ 
legung benutzt. ö 


Bei ihrem Gebrauch fuͤr die Kenntniß der 
Religionsphiloſophie des Orients und für die his 
ſtoriſche-dogmatiſche Auslegung hat man aber 
die doppelte Ruͤckſicht zu beobachten, daß man 
ſie nach Unterſchied des Ortes wo, und der 
Zeit, da ſie geſchrieben wurden, benutze und 
verarbeite. Denn anders erſcheint der Jude in 
Chaldaͤg, anders in Palaͤſtina und anders in 
Aegypten und Kleinaſien. Ich habe in dieſer 
Ruͤckſicht in meiner Dogmatik der Apokryphen des 
A. T. S. 5 1 ff. dieſe Bücher in drei Claſſen 
geordnet: in chaldaͤiſch⸗palaͤſtinenſiſche, in rein- 
palaͤſtinenſiſche, und in alexandriniſch⸗ juͤdiſche; 
eine Klaſſiſikation, die ſich auf den verſchiedenen 
Geiſt ihrer Dogmatik gruͤndet, und daher in 
hiſtoriſch⸗dogmatiſcher Ruͤckſicht wichtig iſt. „Die 
chaldaͤiſch⸗paloͤſtinenſiſchen zeichnen ſich (ſagte 
ich a. a. O. S. 52 ff.) aus durch Abſcheu vor 
dem Goͤtzendienſt; durch außerordentliche Erhe— 
bung des Werthes der Almoſen und anderer Wer— 
ke der Mildthaͤtigkeit; durch eine weit ausgeſpon⸗ 
nene Lehre von den Engeln und beſonders von 
den Daͤmonen; durch Wunderglauben; durch 
beſtimmtere Begriffe von der Fortdauer der From⸗ 


men nach dem Tode, und durch die Erwartung 
5 einer 


Die Apokryphen des A. T. 81 


einer Auferſtehung. Dahin gehoͤren das Buch 
Tobias und das zweite Buch von den Makkabaͤern 
ohnſtreitig; vielleicht auch das Buch Baruch 
und die apokryphiſchen Stuͤcke aus Daniel.“ 
„Die rein palaͤſtinenſiſchen Buͤcher zeich⸗ 
nen ſich aus durch beſondere Ehrfurcht gegen das 
Geſetz, die heilige Stadt, den Tempel und 
den moſaiſchen Gottesdienft, und den hohen 
Werth, den ſie dieſen Gegenſtaͤnden beilegen; 
durch Bigotterie fuͤr ihre Religion, indem ſie 
ſich als das heilige Volk und alle andere Voͤlker 
als unreine betrachten; durch rohe Begriffe 
von der goͤttlichen Strafgerechtigkeit, durch 
duͤrftige Vorſtellungen uͤber Unſterblichfeit, ſel⸗ 
tene Erwaͤhnung der Engel, noch ſeltener der 
Daͤmonen; durch gaͤnzliches Stillſchweigen uͤber 
die Auferſtehung, und endlich durch eine geringere 
Geneigtheit zu Wunder- und Aberglauben. Dahin 
gehoͤrt das erſte Buch von den Makkabaͤern, das 
Buch Sirach, und vielleicht auch das Buch 
Judith.“ 


„Den ale xandriniſch-juͤdiſchen Bis 
chern iſt ein gewiſſer philoſophiſcher Anſtrich ei⸗ 
gen; — — fie weben gern moraliſche Betrach⸗ 
tungen ein; auch ihnen iſt der Judaismus theuer; 
aber ſie ſehen hierbei weniger auf das Aeußere 
des Moſaismus, und ſetzen die Heiligkeit der 
juͤdiſchen Nation mehr in die Verehrung des 
wahren Gottes und in ein heiliges Leben; ſie 

dringen Nane auf Enthaltſamkeit und Be⸗ 
f 5 zaͤh⸗ 


82 Die Apokryphen des A. T. 5 


zaͤhmung der Leidenſchaften; ſie kennen gute En⸗ 
gel, aber keine Daͤmonen; ſie haben reinere 
Begriffe von Unſterblichkeit, platoniſche Ideen 
von der menſchlichen Seele, und von der goͤtt⸗ 
lichen Sophia, erwaͤhnen aber der Auferſtehung 
mit keinem Worte.“ Dahin gehoͤrt das Buch der 
Weisheit, das vorzuͤglich mit Philo viel Aehn⸗ 
liches hat, das dritte Buch von den Makkabaern; 
die Fragmente des Buchs Eſther, und das ſo⸗ 
genannte 4. Buch von den Makkabaͤern, das in 
einigen Ausgaben der LXX, e e 
l | 
In Nuͤckſicht des Gebrauchs dieſer Buͤcher 
für die hiſtoriſch dogmatiſche Erklärung des N. 
T. hat man die chaldaͤiſch-palaͤſtinenſiſchen und 
rein⸗palaͤſtinenſiſchen deßwegen vorzüglich zu bes 
ruͤckſichtigen, weil fie den religioͤſen Geiſt der 
palaͤſtinenſiſchen Juden vorzuͤglich bezeichnen. Doch 
find auch die alexandriniſch⸗ judifchen forafältig 
zu vergleichen, weil dieſe wieder den Zeiten 
der Apoſtel naͤher ſind, und durch Handel und 
religioͤſe Verbindungen die Grundſaͤtze der Alexan⸗ 
driner auch in Palaͤſtina bekanut wurden. So 
finden wir z. B. im Sirach noch bloße Perſo⸗ 
nifikation der göttlichen Sophia, und vom goͤtt⸗ 
lichen Logos noch gar nichts; hingegen das Buch 
der Weisbeit, ob es gleich das Wort Aoryos noch 
nicht braucht, beſchreibt die Sophia ſchon als 
ſubſtanzielles Weſen, und ſtimmt in der Be⸗ 
ſchreibung deſſelben ſchon ſehr mit Johannes und 
Pau⸗ 


Die Apokryphen des A. T. 83 


Paulus uͤberein. Es wuͤrde daher ein falſcher 
Gebrauch des Sirach ſeyn, wenn man aus ihm 
beweiſen wollte, daß Aoyos beim Johannes 
nichts anders ſey, als die perſonificirte Weis⸗ 
heit Gottes. \ \ 


Meberbaupt muß man beim Gebrauch die⸗ 
ſer Schriften zur hiſtoriſch⸗ dogmatiſchen Aus⸗ 
legung, das was dem ganzen Oriente gemein— 
ſchaftlich war, und beſonders bei den Juden 
allgemein gefunden wird, von dem, was durch 
den Einfluß der pythagoreiſch platoniſchen Phi— 
loſophie in Aegypten dem orientaliſchen Reli⸗ 
giousſyſteme Hinzugefügt ward, abſondern, und 
das Letztere nur, mit großer Vorſicht, und alle⸗ 
mal nur mit gehoͤriger Unterſuchung der Wahr⸗ 
ſcheinlichkeit und Wirklichkeit des Uebergangs die⸗ 
ſer Ideen in die Theologie der Juden brauchen. 
So iſt es z. B. bekannt, daß Philo und ande⸗ 
re aͤgyptiſche Juden an keine Daͤmonen glaub⸗ 
ten, weil ſie außerhalb der irrdiſchen Sphaͤre 
kein boͤſes Weſen annahmen. So kennt das Buch 
der Weisheit und das 4. B. der Makkabaͤer 
keine Auferſtehung; vielmehr (wie dieſes das 
4. B. der Makkabaͤer zeigt, wo die Reden der 
ſieben Bruder, die wir 2 Makkabaͤer 7 leſen, 
gleichfalls angefuͤhrt, aber der Auferſtehung 
durchaus keiner Er waͤhnung, geſchieht) mußten 
fie dieſe Lehre verwerfen, da fie den Körper 
fuͤr einen Kerker, fuͤr ein Strafbehaͤltniß der See⸗ 
le erklaͤrten. Weisheit 9, 15. Und wie ver⸗ 

J 2 ſchie⸗ 


84 Apokryphen des A, T. 


ſchieden ſind nicht die Erwartungen der Alexan⸗ 
deiner von dem Meſſias von denen der Palaͤſti⸗ 
nenſer, beſonders zu Jeſu Zeiten? — Als Pros 
be der Erlaͤuterung des N. T. moͤgen folgende 
Beyſpiele hier ſtehen; 

Weish. 2, 23 f. Erı ö eos ex rige Tov cc. 
Sea E Megan PIovo ds M νναð e Ia- 
vg eigne eis Tov Xormov. Sirach 25, 24. 


MO g ce Kexn dmagrırg nos ÖL ce. 


an dmodynsnonev navres. Vergl. Joh. 8, 44. 
der HD — vdgwmorrovos Av am dexus. 
Roͤm. 5, 12. 3 Evos AvKwmou N duagrın eis 
roy xoomov eic e, xc dia ns dumagrıns o 


Yavaros, c ohr eis mavras avdewmeus d 
Savaros dind ey, EP & re Äuagrov. 


Weish. 7, 26. (die Weisheit iſt) &rau- 
ec ,ỹ Daros ανοE e (1 Tim. 6, 16. Jess — 
Dws oinον amgoaırov), . Ecomtgov armÄ- 
doro ng Tov Yeov sveg Vece xc ein vn 
oc yo. Non ονο ον Vergl. Hebr. 1, 3. 05 
(vios geov) d enavyaonarıs de Ens, x Ne- 
nr Y d os, aurou. Coloſſ. 1, 15. 
os ss eino r Heoο Tov H οάνο. 


Weish. 7, 27. Hie de obe (die Weiß 
heit) mayra dvvarıı — — K. 8, 1. ee. 
de cio MegnTos EIS vegas EUQWSWE, cel doi et 
Ta mavra Xensws. Vergl. Hebr. 1, 3. Pegwv 
(vos Yeov) r Mayı® T@ inmarı Tag Öuve- 
tue So Coloſſ. 1, 17. x cus Esı arg 
MAVTW), xc. T a Ev eur hL. 

Matth 


Die Apokryphen des A. T. 85 


Matth. 28, 18. 2doIn fel , EC ov Eu 
ougavm Ms ET vn ns. 


Weish. 9, 9. 10. x fer co u Mo. 
Dia j eiò iwer Ta k α vou ns Magouoa ore 
EMSIEIS TOV KOTMOV, MOM Ls] , TI eig 
ev ODIaAnoıs aov, au TI sudes W Evroν 
co E£umoseAov air e M orgavov, 
wo mo Deovov dens sev meuov aürny, Ive 
TUUTagoVeR Wo nomaon, ve % TI EURLE- 
sov ssi Teige Tor. Olde e ven mayra Kos 
avvier. Vergl. Joh. 1, 1. Ey dexy iv © No- 
Jes, 4 © Nodes iv meos Tov Deov. v. 3. May 
7a M aurov Eryevero. v. 9. W To Os To 
arndwov, © Darıda Ravyra avydewmov. V. 18. 
geoy odd eis dcενε TOomoTE' © HoOοον,¹]σ vios 
5 c eig rey r Tov MArTgos, Enesvog s En- 
nr. K. 3, 13. N Trou OUEAVoU KAT- 
Bas, 6 vios Tov audgomou, & dy Ev r o. 


Die Apokryphen des A. T. ſind gewoͤhn⸗ 
lich zugleich mit den LXX herausgegeben wor⸗ 
den. Die neueſte Handausgabe derſelben, bei 
der der roͤmiſche Text mit Lesarten des alexan⸗ 
driniſchen Kodex zu Grunde liegt, iſt: Libri 
H. T. apocryphi. Textum graecum veco- 
gnouit et variarum lectionum delectum adiecit 
lo. Chriſt. Guil. Auguſti. Lipf. 1804. 
gr. 8. — Ueber ihren Geiſt, Inhalt, Schick⸗ 
ſale, Verfaſſer u. ſ. w. vergl. J. G. Eich⸗ 
horn, Einleitung in die apokryphiſch. Schrif⸗ 

ö ten 


— 


85 Die Apokryphen des A. T. 


ten des A. T. Leipz. 1795. gr. 8. (Auch 
unter dem Titel: Eich h. kritiſche Schriften, 
ter Bd.) — Ueber ihre Dogmatik und Mor 
ral ſ. K. G. Bretſchneider ſyſtematiſche Dar⸗ 
ſtellung der Dogmatik und Moral der apokry⸗ 
phiſchen Schriften des A. T. fter Band, die 
Dogmatik enthaltend Leipz. 1805. 8. (der zwei⸗ 
te wird die Moral enthalten und naͤchſtens er⸗ 
ſcheinen.) — Erläuterungen und Ueberſetzungen ein: 
zelner Bücher, die in hiſtoriſch⸗dogmatiſcher Ruͤck⸗ 
ſicht wichtig ſind: 


Buch der Weisheit: To. Melch. 
Faber, prolufiones IV ſuper libro Sapientiae. 
Onoldi 1776. 77. u. 1786 87. 4. — J. Fr. 
Kleuker, Salamoniſche Denkwuͤrdigkeiten. Als 
Anhang d. Buch d. Weisheit uͤberſ. und durch 
Anmerkk. erlaͤutert. Riga 1785. 8. — Joh. 
Gottfr. Haſſe, Salomo's Weisheit neu uͤberſ. 
mit re und Unterſuchungen. Jena 1785. 
fl. J C. C. Nachtigal, das Buch 
der Di heit Halle, 1799. gr. 8. (In den 
Vorerinnerungen findet man S. 46 ff. viele gute 
Bemerkungen uͤber den Gebrauch des Buchs der 
Weisheit, zur Erklaͤrung des N. T. und Seite 
195 — 232. eine „Zuſammenſtellung einiger 
Sprach- und Sinnverwandten Stellen im B. d. 
Weisheit und im N. T.“ Dieſe Abhandlung 
war vorher ſchon in Henke's neuen Magaz. zter 
Bd. ıfled St. S. 136. eingeruͤckt. — C. G. 
e dif I. II. III. de libri 

Sap. 


& 


Die Apokryphen des A. T. 87 


Sap. parte priore cap. I — XI. e duobus li. 
bellis, diuerfis conflata. Hiteb. iso. 4. — 
Hierzu vergleiche zwei Abhandlungen von Jak. 
Brucker: uͤber die Spuren der alexandrin. Phi⸗ 
loſophie im Buche der Weisheit. In den Mif- 
cell Beroliu. J. VA. p. ı50. und Grim m: 
Etwas von der Alexandriniſch. Philoſophie und 
deren Spuren im Buche der Weisheit. (Ein 
Schulprogramm) Annaberg 1773. 4. (behan⸗ 
delt bloß die Stelle Weish. 1, 7. und ſucht zu 
beweiſen, daß der Verfaſſer hier an die platoni⸗ 
ſche Weltſeele gedacht habe) — Iſt Logos und 
Sophia im Buch der Weisheit und im Sirach 
ein fuͤr ſich beſtehendes Subjekt? Im neuen 
theolog. Journ. Hr Bd. S. 218 ff. 


Sirach: J. W. Linde, Glaubens- und 
Sittenlehre Jeſu des Sohnes Sirach. Neu uͤber⸗ 
fest und mit erlaͤut Anmerkk. 2te Aufl. Leipzig 
1795. kl. 8. — Sententiae Iefu Siracidae. 
Groece. Textum ad fidem codd. et verj]. 
emendauit et illuſtr. I. G. Linde. Gedani 
1795. 8. min. Eine kritiſche Ausgabe des Si— 
rachs mit einer annotatione perpetua wird 
Oſtern 1806, von mir gearbeitet, erſcheinen. — 
Vergl. Heß Geſchichte des Reichs Juda nach 
dem Exil, 2. Bd. S. 134 ff. wo man einen 
Abriß der Dogmatik und Moral des Sirachs 
findet. 


Tobias. C. Dav. Ilgen, die Ge 
ſchichte des Tobias nach drei verſchiedenen Ori⸗ 
| EL gina⸗ 


c 


* ro a 
* 


88 Die Apokryphen des A. T. 


ginalien, dem griechiſchen, dem lateiniſchen des 
Hieronymus und einem ſpriſchen uͤberſ. und mit 
Anmerkungen erlautert. Jena, 1800. gr. 8. — 
Io. Chr, Grünberg, 'exereitatio de libro 
Baruchi apocrypho- Goett. 1797. 8. — J. ©. 
Haſſe, das andere Buch der Makkabaͤer, neu 
uͤberſetzt, mit Anmerkk. und Unterſuchungen. Jena 
1786. 8. N 


HR 
2 


Außerdem vergl. die zu Ende des 79. $. 
angefuͤhrte Abhandlung von J. Dan. Schulze. 
— und die Abhandlung von Friſch: Verglei⸗ 
chung zwiſchen den Ideen, welche in den Apokr. 
des A. T. und den Schriften des N. T. über 
Unſterblichkeit, Auferſtehung, Gericht und Ver⸗ 
geltung herrſchen. In Eichhorns Bibl. 4. B. 
S. 653 — 718. — lo. God. Ienichen, . 
diſſ. (praef. F. V. Reinhard) de petenda 
rerum quas libri N. T. continent, e libris 
77, T. apoeryphis illuſtratione. Viteber gat, 
7787. 409). — 


§. 21. 


*) Kuͤndls obſſ. ed N. T. e librr. apocr. V. 
T. (Lipſ. 1794. 8.) beziehen ſich blos auf 
grammatiſche Auslegung. — Die Abhandlung 
von Henr. Chr. Millies (diſſ. philologico- 
hermeneutica de viu librorum V. T. apocry- 
phorum in N. T. interpretatione, die zu Hals 
le, wahrſcheinlich 1800 erſchien) kenne ich nicht 
genauer. te 


2 


Joſephus -/ 80 


2 
c) Joſephus. 


An die Apokryphen des A. T. ſchließt ſich 
der Zeit und der Wichtigkeit nach Joſephus 
an, ein juͤdiſcher Gelehrter, aus Hoheprieſterli⸗ 
chem Geſchlecht, und von der Sekte der Pha⸗ 
riſaͤer. Er bluͤhte kurz nach Jeſus, zur Zeit der 
Zerſtoͤrung des juͤdiſchen Staates durch die Roͤ⸗ 
mer. Seine Schriften, die wir noch beſitzen, 
charakteriſiren ihn als einen ſehr gelehrten und 
ſelbſt durch Lektuͤre der griechiſchen Schriftſteller 
ausgebildeten Mann. Demohnerachtet aber zeigt 
fib in ſein en Schriften uͤberall der Jude, und 
nur uͤber die Erwartungen ſeiner Nation vom 
Meſſias ſcheint er aus politiſchen Gruͤnden einen 
Schleier geworfen zu haben. Er beſchrieb in 
19 Büchern, denen er den Titel: dexmmoAoryın 
gab, die Geſchichte ſeines Volks nach der Grund: 
lage der Buͤcher des A. T., und die politiſchen 
und religioͤſen Einrichtungen deſſelben, und in ſie⸗ 
ben Buͤchern erzählte er den juͤdiſchen Krieg und 
den Untergang des Staates. Außerdem haben 
wir noch von ihm ſeine eigene Lebensbeſchreibung; 
und einen Aufſatz gegen den Apion, in welchem 
er die Glaubwuͤrdigkeik ſeiner Archaͤologie und 
des A. T. vertheidigt. 


Joſephus iſt zwar eigentlich Geſchichtſchrei⸗ 
ber, und feine Werke haben daher vorzüglich 
für die politifche Geſchichte feiner Zeit, und für 

die 


90 Joſephus. 


die Erklaͤrung der hiſtoriſchen Data des N. T. 
bedeutenden Nutzen; allein ſie gewaͤhren auch 
fuͤr die Erklaͤrung der Stellen des N. T. in de⸗ 
nen Sitten und Gebraͤuche der Zeitgenoſſen er⸗ 
waͤhnt werden ), fo wie fuͤr die hiſtoriſch dog⸗ 
matiſche Auslegung des N. T. uͤberhaupt, vie⸗ 
le Belehrung. Denn ob gleich Joſephus nicht 
in der hebraiſirenden Schreibart ſchrieb, ob er 
gleich feine Grundſaͤtze uͤber Religion und jüdis 
ſche Theologie nur gelegentlich darlegt; ſo gab 
ihm doch die Geſchichte haͤufig Veranlaſſung, dog⸗ 
matiſche Exkurſionen einzuſchalten; und da er 
Phariſaͤ er war, ſo finden wir auch bei ihm 
die Meinungen dieſer Parthei, deren Religions 
glaube auch der Glaube der großen Maſſe der 
Nation war. Fuͤr die hiſtoriſch dogmatiſche Aus⸗ 
legung des N. T. iſt er noch wenig oder gar 
nicht benutzt worden, und er verdiente ſchon 
in der Ruͤckſicht, wie er das A. T. und deſſen 
dogmatiſche Parthien behandelt, eine Verglei— 
chung. Wir finden uͤbrigens bei ihm alle die 
religioͤſen Meinungen des Volks, die auch im 
N. T. als Glaube des Volks erſcheinen, und 
er iſt nicht frei von dem Aberglauben deſſelben. So 
erzaͤhlt er z. B.) von einem Ort, Barras 

ge 


„) f, Mori seroaſes ſuper Hermeneut. N. CT. 
p. 195 ff. 5 

*) im jaͤd. Krieg, 7. Bd. 6. Kap. S. 1077 5 
der Oberth. Ausg. g 


Joſephus. 91 


genannt, wo eine Wurzel gleiches Namens wach⸗ 
fe. Es fen ſehr ſchwer ſich ihrer zu bemaͤchti⸗ 
gen; denn die Pflanze ziehe ſich zuruͤck (UmoQev'yri) 
und halte nicht eher Stand (saraı), als bis 
man weiblichen Urin oder Etwas von der monat⸗ 
lichen Reinigung auf ſie gieße. Aber auch da 
noch drohe dem ein gewiſſer Tod, der ſie be⸗ 
ruͤbren wuͤrde, wenn er nicht gluͤcklicher Wei⸗ 
ſe ein Stuͤckchen dieſer Wurzel an der Hand tra⸗ 
ge. Man bemaͤchtige ſich aber auch ihrer auf 
eine leichtere Art, indem man rings um ſie 
das Land aufgruͤbe, daß die Wurzel nur leicht 
bedeckt bleibe. Darauf binde man einen Hund 
an fie lan die Pflanze] an, der, indem er 
ſeinem Herrn folgen wolle, ſie ausriß, aber 
gleich ſterbe, gleichſam an deſſen Sie, der 
eigentlich die Wurzel haben wollte. Nachher 
bringe ſie aber weiter keine Gefahr. Ihre Tu⸗ 
gend ſey, daß ſie, ſo bald ſie nur den Kran⸗ 
ken nahe gebracht werde, die Daͤmonen — 
welches die Seelen boͤſer Menſchen ſeyen, die 
in die Lebenden eingiengen, und die umbrach⸗ 
ten, denen keine Huͤlfe geſchehe — vertreibe. 
Aus dieſer Stelle ſieht man aber auch, daß 
Joſephus unter Daͤmonen die Seelen verſtorbe— 
ner boͤſer Menſchen verſtanden habe; denn er 
ſagt: x urcvumern daxıpevia, das iſt: was das 
Volk Daͤmonen nennt, und ſetzt zur Er⸗ 
klaͤrung hinzu: Tvre de ron esu cy. 
r perl. — Eine andere weitlaͤuftige 
Nachricht von den e Kranken finden 

wir 


[4 


92 Joſephus. 


wir bei ihm in den juͤdiſchen Alterlhuͤmern 8. B. 
2 Kapitel S. 859., wo er von Salomo ruͤhmt, 
daß er die Kunſt verſtanden habe, die Daͤmo⸗ 
nen aus dem Kranken zu treiben, und Zauber: 
formeln hinterlaſſen habe, durch welche man ſie 
verbannen koͤnne. Er habe ſeloſt das Beiſpiel 
einer ſolchen Kur geſehn, die ein gewiſſer Elea⸗ 
zar in Gegenwart des Kaiſers Veſpaſian und 
der Heerfuͤhrer verrichtet habe. „Nachdem er,“ 
ſagt Joſephus, „an die Naſe des Kranken einen 
Ring, deſſen Kaſten ein Stuͤckchen jener Wur⸗ 
zel, die Salomo kennen gelehrt hatte, enthielt, 
gebracht hatte; fo zog er hernach dem Kran: 
ken, der daran gerochen hatte, den Daͤmon 
zur Naſe heraus. Als hierauf der Menſch fox 
gleich (wie leblos] hinfiel; ſo beſchwor er den 
Daͤmon, indem er den Namen Salomo's und 
deſſen Zauberformeln gebrauchte, daß er nie 
wieder in dieſen Menſchen zuruͤckkehren ſolle. Da 
aber Eleazar die Zuſchauer uͤberzeugen wollte, 
daß er dieſe Gewalt uͤber die Daͤmonen beſaͤße; 
ſo ſetzte er nicht weit davon einen Becher oder 
ein Gefaͤß mit Waffer hin, und befahl dem 
Damon, der aus dem Menſchen ausging, dies 
ſes umzuſtuͤrzen, damit die Zuſchauer ſelbſt fe 


hen moͤchten, daß er den Menſchen verlaſſen 


habe. Dieſes geſchah auch wirklich, und be- 
ſlaͤtigte die Weisheit und Kenntniß Salomo 's 
Ne 

Man 


*) Man ſieht daraus, wie die Gergeſener (Matth. 
g, 88 


Joſephus. 93 


Man kann hieraus einen Schluß auf die 
Meinungen des Volks uͤber die Daͤmonen machen, 
und es zur Erlaͤuterung deſſen, was im N. T. 
von den Daͤmoniſchen geſagt wird, ſehr gut 
brauchen. Aber nicht uͤber alle Punkte des Volks⸗ 
glaubens erklaͤrt ſich Joſephus ſo weitlaͤuftig, und 
namentlich findet man dei ihm wenig oder gar 
nichts vom Meſſias. Denn er mochte es bedenk⸗ 
lich finden, von den fanatiſchen Hoffnungen des 
Volkes auf einen Weltbezwinger in ſeiner Lage zu 
ſprechen, und die Roͤmer zu härtern Maasregeln 
zu veranlaſſen. 


So wenig treuer Referent Joſephus in die⸗ 
ſem Punkte geweſen zu ſeyn ſcheint; ſo wenig 
iſt es uͤberhaupt zu verkennen, daß er ſich be⸗ 
ſtrebte, die Parthei der Phariſaͤer, zu welcher 
er gehoͤrte, hervorzuheben, ihre ſchlechten Sei— 
ten zuverdecken, und ihr Gutes in einem ſchoͤ⸗ 
nern Lichte zu zeigen; die andern juͤdiſchen Sek— 
ten aber, vorzuͤglich die der Sadducaͤer in Schat⸗ 
ten zu ſtellen. Ueberhaupt ging er wohl nicht 
immer mit der Sprache ſo frei heraus, und 
mochte ſich ſcheuen, vor den Roͤmern, unter 
deren Augen er ſchrieb, ſeine Nation ganz in ihrer 
| Sonbertarti und Individualitaͤt erſcheinen zu 

a laſſen. 


8, 28 ff.) und die Zuſchauer jener Begebenheit 
das Schickſal der Schweine für Wirkung der 
ausgefahrnen Dämonen. halten konnten. 


94 Joſephus. 


laſſen. Hierauf muß man beim Gebrauche ſei⸗ 
ner Schriften immer Ruͤckſicht nehmen, und 
es nie vergeſſen, daß man einen vorſichtigen 
Geſchichtſchreiber der Maͤngel ſeiner Nation und 
einen kobredner der vaterlichen Religion, und 


insbeſondere der Sekte, der er zugehoͤrte, vor 


ſich habe; beſonders aber aus feinem Stillſchwei⸗ 
gen uͤber Glaubenspunkte und hiſtoriſche Data 
keine voreiligen Schluͤſſe ziehen “). 


Die vorzuͤglichſten Ausgaben ſeiner Werke 
ſind die von Joh. Hudſon, Oxonii 1720. 


II Voll. 


„) Er hat in ſeiner Darſtellung des Judaismus N 


viel Aehnliches mit einem Boſſuet und deſ— 


fen milderer Darſtellung des Katholtetsmus, 
der giſichfalls, obne Im Weſentlichen dem Glzu⸗ 


ben feiner Kirche etwas zu vergeben, durch fei⸗ 


ne Wendungen und eine gefaͤllige Darſtellung 


dieſen Glauben den Proteſtanten in einem min⸗ 


der anſtoͤßigen Lichte zu zeigen ſuchte. „Als 
Patriot,“ ſagt Oberthuͤr in der Vorrede ur 


Ueberſ. d. Joſ. v. Frieſe, „wollte Joſephus 


feine Nation in den Augen der Völker, für die 


er ſchrieb, in einem lichten Glanze zeigen; und 


* 


als ein kluger feiner Welt- und Menſchenkenner 
ſtellte er alles Wundervolle der Theokratie in 
— eine milde Daͤmmerung; in der allein glaubte 


er, daß Profane es faſſen und ertragen moͤch⸗ 
7 en N 
ten: ſprach daher von den groͤßten Vorzuͤgen 


ſeiner Nation mit einer ſolchen Beſcheidenheit, 
mit der er als Jude, Prieſter und Phariſaͤer, 


ſonſt nicht hätte ſprechen dürfen.“ — 


Joſephüs. 95 
II Voll. — Flau. Iofephi opera omnia, ed. 
a Hauercamp. Amſtel. 1726. II 
15 fol. und Fl. loſephi opp. omnia, grae- 
ce et latine excuſa ad editionem Lug . Bat, 
Havercampii cum Oxonienſi Jo. Hudfoni 
collatam, curauit Franc. Oberthür. Lipf. 
1782. 83. und 85. 3 Tom. gr. 8. (die letztere 
Ausgabe iſt zwar in fo fern vollendet, daß die 
ſaͤmmtlichen Werke des Joſeph. nebſt einer la⸗ 
teiniſchen Ueberſetzung in ihnen enthalten ſind; es 
fehlt abe. noch der verſprochene apparatus Fla- 
vianus.) — Flavius Joſephus vom jüdifchen 
Kriege. Ueberſetzt von J. B. Frieſe, und mit 
einer Vorrede verſehen von Oberthuͤr, 1—3. 
Buch. Er ſter Theil. Altona 1804. LXIV. u. 
424 ©. gr. 8. — Chrellomathia Flauiane ſ. 
loci iiluſtres ex Flauio loſepho collecti et 
animaduerff. illuſtrati a Io. Gerh. Trende- 
lenburg. Lipf. 1789. 8 5). 


Um einige Beiſpiele zu geben, wie Joſephus 
die Geſchichte des A. T., in wie fern ſie hier 
in Betrachtung kommt, behandelt, ſey es mir 
erlaubt, hier noch folgendes herzuſetzen: 


„Gott bildete den M enſchen aus Erde, x 
% e vnney ccονοο He.. PV nv.“ Ar- 


wart, 1. B. 1. K. p. 10. ed. Oberth. 
Sen 


5 Die obſſ. in N. T. e Flau. 1 von 


Krebs (Lipl, 1755.) find blos philologiſchen 
Inhalts. 


96 Joſephus. 


„Da aber zu jener Zeit“ (vor dem Falle) 
„alle Thiere ſprechen konnten; ſo uͤberredete die 
Schlange, die freundſchaftlich mit Adam und 
Eva lebte, ihnen ihre Gluͤckſeligkeit beneidete, 
und hoffte, daß ſie, wenn ſie das Gebot uͤber⸗ 
traͤten, ungluͤcklich werden wuͤrden, das Weib 
von dem Baum des Erkenntniſſes zu eſſen.“ 
Ebend. p. 15. 

Daß die erſten Menſchen unſterblich ge⸗ 
ſchaffen worden wären, ſcheint Joſephus nicht 
gemeint zu haben, denn er läßt Gott, da ſie dies 
ſerwegen des Eſſens von dem verbotenen Bau⸗ 
me zur Rede ſtellt, ſagen: „ich hatte befchlofs 
ſen, daß ihr ein gluͤckliches und von allen Ue⸗ 
beln freies Leben fuͤhren ſolltet, ohne Arbeit und 
Sorge und Muͤhe, wodurch das Alter fruͤ— 
her herbeigeführt, und euer Lben ver 
kuͤrzt wurde.” Ebend. p. 15. 


Die Kinder Gottes, Geneſ. 6, 2. erkläre 


mit den Alexandrinern durch aryıyeAos Saov, u- 


vagı gumpryevres, Ebend. p. 24. — Von 
Henoch ſagt er p. 27: Avexmgoe meos W 
Deiov, 6Iev obde TeAeurny aUrTev eg Oo 
(namlich in die Geſchlechtsregiſter). 


§. 22. 
d) P h i lo. 


Philo, ums Jahr 20 oder 25 vor Chriſti 
Geburt, zu Alexandrien aus prieſterlichem Ge⸗ 
' ſchlechte 


Philo. N 97 
ſchlechte geboren, wurde der berühmteſte Phi⸗ 


loſopb der jüdifchen Nation in altern und ſpaͤ⸗ 


tern Zeiten. Das Schickſal gab ihm reiche und 
angeſehene Aeltern, und ließ ihn an einem Orte 
geboren werden, der damals der Sitz der 
Philoſophie und der Literatur uͤberhaupt war; 
einem Orte, wo die Juden in ſehr gluͤcklichen 
Verhaͤltniſſen lebten, und an den griechiſchen 
Wiſſenſchaften eifrig theilnahmen. 


Schon in fruͤhern Zeiten war griechiſche 
Religion und Philoſophie in Aegypten eingedrun⸗ 
gen, die aber durch den Parſismus, den Camby⸗ 
ſes zugleich mit ſeinen Waffen nach Aegypten trug, 
vermiſcht wurde ). Als aber ſpaͤterhin unter 
der milden Herrſchaft der Lagiden griechiſche Sit⸗ 
ten, griechiſche Kuͤnſte und Literatur in Aegyp⸗ 
ten, und beſonders in Alexandrien empor bluͤ⸗ 
beten; ſo bekam griechiſche Religionsphiloſophie 
bei weitem die Oberhand uͤber die aͤltere aͤgyp⸗ 


tiſch⸗perſiſche Lehre. Beſonders waren es Py⸗ 


thagoras und Plato, die, jener durch ſeine 
Strenge, dieſer durch ſeine phantaſieenreiche 
Contemplation dem Geiſte der Aegypter am mei⸗ 


ſten zuſagten, und deren Lehrſaͤtze von ihnen vor⸗ 


zuͤglich ausgebildet, oder vielmehr nach und 
nach verbildet wurden. Die Juden, welche auf 
dieſen Boden verpflanzt wurden, nahmen fruͤh⸗ 

zei⸗ 


*) S. Horn in der bibl. Gnoſis, S. 236-316, 
N 6 


08 Pyhilo. 


zeitig Theil an der griechiſch⸗ aͤgyptiſchen Kultur; 
ihr Geiſt ſchmiegte ſich dem neuen Lande, den 
neuen Sitten und Meinungen an, und ſie neigten 
ſich endlich hin zu einer gemafigten Aſceſe und 
ſtiller Contemplation. Die Geſchichte und die 
Einrichtungen, die in ihren heiligen Schriften 
gelehrt wurden, ſuchten fie dem Zeitgeiſt und 
der Philoſophie anzupaſſen, und legten daher 
durch die allegoriſche Auslegung und Erklaͤrung 
der Geſchichte und den Einrichtungen des A. T. 
einen andern, philoſophiſchern Sinn unter. Es 
bildeten ſich unter den alexandriniſchen Juden 
zwei -Claſſen, von denen eine das Judenthum 
und die moſaiſche Verfaſſung ganz vernachlaͤßig⸗ 
te; die andere aber aͤußerlich ſtrenger an ihren 
alten religioͤſen Einrichtungen feſthielt, und ihre 
philoſophiſchen Einſichten vor dem großen Hau⸗ 
fen verbarg. Zu dieſen gehoͤrte auch Philo; ein 
eifriger Verehrer der platoniſchen Philo ſophie und 
einer gemaͤßigten Aſceſe und Contemplation. Er 
hat viele Schriften hinterlaſſen, von denen nur 
zwei hiſtoriſchen die übrigen aber philoſophiſch⸗ 
religioͤſen Inhalts ſind, und entweder morali⸗ 
ſche Themata abhandeln (z. B. uͤber de wahre 
Freiheit des Tugendhaften, uͤber das contempla⸗ 
tive Leben ꝛc.), oder ſich uͤber die Geſchichte des 
A. T. und dogmatiſche Materien verbreiten, z. B. 
das Leben Moſis, Abrahms ꝛc. über die Weltſchoͤ s 
pfung ꝛc. Dieſe Schriften ſchrieb er nicht fuͤr 
den großen Haufen, ſondern fuͤr die Gebildeten 
und Eingeweihten. . 4 
Bei 


4 Philo. 99 


Bei dem Gebrauch dieſes Schriftſtellers 

zur hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Auslegung des . 

hat man daher nie zu vergeſſen, daß er Philo⸗ 

ſoph war, und daß in ſeinem Syſtem die py⸗ 

thagoraͤiſch⸗platoniſche Philoſophie vorherrſcht; daß 

aber dieſe mit der juͤdiſchen Religionsphiloſo⸗ 

phie und dem Parſismus tingirt iſt. Man muß 
ihn daher mit Vorſicht gebrauchen, und kann 

ſich nicht unbedingt auf ihn berufen, um die 
Theologie der Palaͤſtinenſiſchen Juden zu belegen, 
da dieſe ſich weſentlich von ihm unterſcheiden. 
Man darf nur ſeine dogmatiſchen Satze z. B. 

uͤber den Meſſias und uͤber die Daͤmonen mit denen 

der Palsſtinenſer vergleichen. Er laͤugnet das Da⸗ 

ſein boͤſer Geiſter und Daͤmonen und ſcteint ſelbſt 
die Engel nur da zu erwähnen, wo ſie in der 
heil. Schrift des A T. genannt werden. We⸗ 

nigſtens behauptet dieſes Stahl Seite 8 57. 

Die Auferſtehung kennt er gar nicht, und 

mußte ſie verwerfen, da er den Leib fuͤr die 

Quelle der Suͤnde, und fuͤr den Kerker der 

Seele erklärte; und das Meſſias reich beſchreibt 
er als eine ploͤtzliche allgemeine moraliſche Beſſe⸗ 

rung der Juden, verbunden mit einer Ruͤckkehr 
nach Palaͤſtina, und einer Herrſchaft dieſes Volks 
über andre Nationen vermoͤge ihrer Ueberlegen⸗ 

heit in ſittlicher Vollkommenheit. Wie ganz an⸗ 

ders erklaͤren ſich die Palaͤſtinenſer uͤber dieſe 

Punkte? — Ferner traͤgt er haͤufig in das 

A. T. einen philoſophiſchen Sinn hinein, und 

verſteht z. B. unter der Schlange welche die er⸗ 

G 2 ſten 


100 Philo. 


ſten Menſchen zur Suͤnde verleitete, die Wol⸗ 
luſt, unter dem Manne den Verſtand, und 
unter dem Weibe die Sinne, bei denen ſich die 
Wolluſt einſchmeichelt, und dadurch den Ver⸗ 
ſtand betruͤgt und zum Boͤſen verleitet“). Dieſe 
philoſophirende Auslegungzart **) darf man nun 
nicht unbeſtimmt auf alle Juden und namentlich 
auf die Palaͤſtinenſer übertragen, und meinen, 
daß auch die Verfaſſer des N. T. wenn ſie die⸗ 
ſe oder aͤhnliche Begebenheiten erwaͤhnen, ſich 
gleiche Erklaͤrungen dabei gedacht haͤtten. Denn 
ob es gleich gewiß iſt, daß auch die Palaͤſti⸗ 
nenſer allegoriſch erklaͤrten; ſo weichen ſie doch 
darin weſentlich vom Philo ab, daß ſie nicht 
ſowohl über die Geſchichte, als vielmehr über 

das Ceremonialgeſetz und die gottesdienſtlichen 
Einrichtungen allegoriſiren, und in dieſen einen 
geheimen Sinn, geheime Bezeichnung verborge⸗ 
ner dogmatiſcher Saͤtze, nicht aber philoſophi⸗ 
ſcher Ideen ſuchen. Dieſes zeigt die Art und 
Weiſe, wie Joſephus, der Phariſaͤer, die 

Geſchichte des A. T. behandelt. Er laͤßt naͤm⸗ 

lich 


99 S. das Buch de allegor, II. p. 1100, ed. 
. Mang. a | i 


3 7 

**) Als Beiſpiel vergl. man den Aufſatz: Phi⸗ 
lo des jübiſchen Weltweiſen Commentar uber 

die moſ. Erzaͤhling von den Rieſen vor der 
Suͤndfluth; in den Beiträgen zur Beford, d. 
‚vorm Denk. stes Heft. S. 106 ff. a 


| 


Philo. 107 


lich die Fakta ganz ſo ſtehen, wie ſie im A. T. 


ſind, und erlaubt ſich nur bisweilen einiges zur Er⸗ 
laͤuterung hinzuzuſetzen und zu pragmatiſiren. Hin⸗ 
gegen allegoriſirt er uͤber die gottesdienſtlichen Ein⸗ 
richtungen und legt dieſen oͤfters eine beſondere Be⸗ 


deutung bei; wie er z. B. Archaͤologie 3. B. 8. K.) 


den Schmuck des Hohenprieſters eben ſo deutet, wie 


der Verfaſſer des Buchs der Weisheit K. 18, 


24. der Verfaſſer des 4. Buchs der Makkabäer 
7, 11. und Philo ). 


Vorzuͤglich wichtig iſt in neuern Zeiten 
Philo zur Erklaͤrung der Johanneiſchen Schriſten, 


beſonders des Evangeliums geworden, da man 
den Johanneiſchen Logos nicht nur aus ihm vor⸗ 


zuͤglich erlaͤuterte, ſondern auch noch mehrere 
Spuren feines Syſtems im Johannes finden wolß 
n 

i Die 


*) „Des Oberprieſters Gewand bedeutet die Ers 
de, ſagt Joſeph. in der angef. Stelle, in ſo 
fern es von Flachs (einem Erdgewaͤchs) bereitet 
iſt; die hyacinthne Farbe bedeutet den Himmel, 
die Granataͤpfel die Blitze, das Schellengeläute 

den Donner.“ 

) Vergl. Heinr. Chriſtian Ballenſtedt, 
Philo und Johannes, oder neue philoſophiſch⸗ 
kritiſche Unterſuchung, des Logos beim Johannes 


G nach dem Philo, nebſt einer Erklaͤrung und 


Ueberſetzung des erſten Briefs Johannes aus 
der geweihten Sprache der Hierophanten. Braun⸗ 
ſchweig 1802, 8. 


102 Philo. 
Die Hauptausgabe feiner Werke iſt: Phi- 


lonis opera, quae reperiri potuerunt, omnia 
cum notis et obferuat. edidit Thom. Man- 
gey. 1742. II. Vol. Fol. Eine Handausgabe 
iſt die von Aug. Fr. Pfeifer, Erlang. 1785 
ff. 4 B. 8. (noch nicht vollendet.) Außerdem 
Vergl. I. Chr. Guil. Dahl, chreſtoma- 
thia Philoniana ſ. loci illuſtres ex Philone 
Alex. decerpti. Hamb. 1800. 2. B. 8. der 
2. B. vorzuͤglich enthaͤlt meiſtens Stellen theo⸗ 
logiſchen Inhalts. Eine ſehr brauchbare Dar. 
ſtellung des Lehrbegriffs Philo's hat geliefert C. 
H. Stahl: Verſuch eines ſyſtematiſchen Ent⸗ 
wurfs des Lehrbegriffs Philo's von Alexandrien; 
in Eichhorns Bibl. 4. B. 5. St. S. 771 - 890. 
womit eine aͤltere Disp. von Car. Frider. 
Lohdius, (diſſ. de modo, ſummam religio- 
nis chriſtianae ante Chriſtum tradendi, eius- 
que vefligiis in Philone Iudaeo, Lipſ. 1774. 
4.) zu vergleichen iſt. — Ueber Philo und fein 
Stan |. Io. Alb. Fabricius, diſſ. de Pla- 
tonismo Philonis, Lipf. 1693. 4. und wieder 
abgedr. in ſ. Sylloge diſſertatt. p. 150. Cud- 
worth, ſyſtema intellectuale, ed. Mos heim, 
Vol. I. p. 826. Tiedemann Geiſt der fpe> 
kulat. Philoſophie, 3. Thl. S. 128. Beitraͤge 
zur Befoͤrd. des vernuͤnft. Denk. 16. Heft. S. 
168 ff. Brucke r hifl philof. Tr pag. 
684 ſqq. Ballenſtedt a. a. O. Horn uͤber 
d. bibl Gnoſis S. 363 ff *). 9 23. 
*) Die obfl. ad N. T. e Philone Alex. v. Lö s- 
ner 
ö 


Die alexandr. Ueberſ. des A. T. 103 
§. 23. 


| e) Die . Ueberſetzung des 
a A. T. 


— 


Ferner verdient hier auch die griechiſche 
Ueberſetzung, des A. T., die zu Alexandrien ge— 
macht wurde, einer Erwaͤhnung, da die Ueber— 
ſetzer es ſich bisweilen erlaubten, in den Hebraͤi⸗ 
ſchen Text ihre ſpaͤtern Meinungen, entweder aus 
Unwiſſenheit, oder um ſie durch das Anſehen des 


A. T. zu ſtuͤtzen, hineinzutragen. Man kann 


dieſe Stellen dazu benutzen, um zu zeigen, wie 
frühe ſich ſchon gewiſſe Meinungen, die den In- 
halt der ſpaͤtern juͤdiſchen Tradition aus machten, 
bei den Juden bildeten, da es gewiß iſt, daß 


dieſe Ueberſetzung wenigſtens der größte Theil der> 


ſelben zweihundert Jahre vor Chriſto gemacht 


worden iſt . Denn das A. T. wurde nicht 


auf einmal, ſondern nur nach und nach, und 


von verſchiedenen Verfaſſern uͤberſetzt; die wich⸗ 
tigſten Stücke zuerſt; die ſogenannten c 
aber gewiß zuletzt **). 
Stellen dieſer Art, die ſie nach der juͤdi⸗ 
ſchen Tradition erklaͤrten, find z. B. 5 Mof. 
33, 2. wo fie die Worte: JOH MIUN WW 
„zu ſeiner Rechten war die Feuerſaͤule zu ihrem 
Schutz“ 


ner (Leipz. 1777. 8.) ſind bloß philologiſchen 
Inhalts. 
) S. Eichhorns Einleit, ins A. T. ıfter Theil, 
164. 


H. 1 
* S. Eichhorn a, a. O. e. 319 f. 


8 \ 


104 Die alexandr. Ueberſ. des A. T. 


Schutz“ uͤberſetzen: Fu dec cure N 
per’ aurov, weil nach der ſpaͤtern juͤdiſchen 
Lehre das Geſetz durch Engel gegeben worden 
war. Siehe Hebr. 2, 2. wo der Verfaſſer die⸗ 
ſelbe Lehre bei ſeinen Leſern vorausſetzt. Vergl. 
Apoſtelg. 7, 38. Galat. 3, 19. — 5 Mof. 
32, g., wo geſagt wird, Gott habe die Graͤn⸗ 
zen der Voͤlker feſtgeſetzt N fen dn, 
nach der Zahl der iſraelitiſchen Staͤmme, uͤber⸗ 
ſetzen fie xara N aryyeruy You; denn 
ſpaͤterhin glaubten die Juden, daß jedes Volk feinen 
Schutzengel habe, und daß Gott die Anzahl der 
Voͤlker nach der Anzahl der Engel beſtimmt habe *). 
— Geneſ. 6, 2. wo fie e, welche ſich 
mit menſchlichen Weibern vermiſcht hatten, & e 
Heov uͤberſetzen, weil nach der fpatern Tradition eben 
darin der Fall der guten Engel beſtanden habe. 
Vergl. Tob. 6, 14. Daß aber dieſes die rechte 
Lesart ſey, und nicht vios Tov Jeov, hat Keil 
a. a. O. Comm. V. p. 12. hinlaͤnglich erwie⸗ 
fen, und auch Joſephus (Archaͤolog. 3. Bd. 
3. Kap.) nennt hier dryyerous Deo, — Da⸗ 
hin gehoͤrt auch Jeſ. 9, 6. der Name des Meſ⸗ 


8 ſias, e, BovAns ayyedos, und daß ſie 


die hebraͤiſchen Worte DVS und dy durch 
! 7 | Seal ac li | 


) S. Lightfoot. hor. hebr. et talmud, be! 
Luk. 3, 39. und Keil de doctoribus vet. ec- 
clef. culpa corruptae per platon. ſent. theol. 
liberandis Comment: I. p. 43 ſpꝗ · 


Das neue Teſtament. 105 


done uͤberſetzen, weil fie glaubten, die Daͤmo⸗ 
nen hielten ſich vorzuͤglich an wuͤſten und ver⸗ 
fallenen Orten auf. 


Auf aͤhnliche Spuren einer ſpaͤtern Reli⸗ 
gionsphiloſophie in den LXX machte ſchon J. 
D. Michaelis aufmerkſam in einer Abhandl. 
dit. de indiciis philoſophiae gnoſticae tem- 
pore LXX. In dem Syntagma Commentatt. 
Goetting. 1767. Pars II. No. 13. pag. 249. 
Beiſpiele aus dieſer Abhandl hat Horn, uͤber 
die bibl. Gnoſis S. 68 ff. angefuͤhrt. Dagegen 
ſ. Erneſti's exeget. Bibl. 8. Bd. 


9. 328: N 
f) Das neue Teſtament. 


Auch das N. T. liefert uns einen nicht 
unbedeutenden Beitrag zur juͤdiſchen Theologie 
und orientaliſchen Religionsphiloſophie uͤberhaupt. 
Denn nicht nur wird auf die Religionsſaͤtze der 
damaligen Juden haͤufig Ruͤckſicht genommen, 
und dieſe oͤfters berichtiget und verbeſſert; ſon⸗ 
dern es werden die Juden auch oͤfters redend 
eingeführt, oder ihre Meinungen ausdruͤcklich an⸗ 
gegeben. Man wuͤrde aber willkuͤhrlich und falſch 
verfahren, wenn man das N. T. uͤberhaupt, be⸗ 
ſonders aber die Ausſpruͤche Jeſu und der Apo⸗ 
ſtel, in eben dieſe Klaſſe von Stellen werfen, und 
als Erkenntnißquelle der juͤdiſchen Theologie über: 
haupt brauchen wollte; da auf der einen Seite 
* Jeſus 


106 Das neue Teſtament. 


Jeſus und die Apoſtel haͤufig von den Meinun⸗ 
gen der Juden abgehen, auf der andern Seite 
aber eben das N. T. aus der juͤdiſchen Theolo⸗ 
gie erſt erklärt werden ſoll. So berichtiget z. 
B. Jeſus Matth 5, 20. die Meinung der Su: 
den, daß ſie ſchon als Juden und Nachkommen 
Abrahams Antheil an der Seligkeit des Meſſias⸗ 
reichs haben muͤßten, und verſichert ſeinen Juͤn⸗ 
gern, daß ſie nur durch ein beſſeres morali⸗ 
ſches Verhalten, als das der Phariſaͤer ſey, 
dieſe Gluͤckſeligkeit erlangen wuͤrden. — Eben 
ſo benimmt er feinen Juͤngern Matth. 171 10. 
die Meinung, daß der Prophet Elias vor der 
Erſcheinung des Meſſias, wieder kommen wer— 
de, und deutet dieſe Erwartung der Juden auf 
den Taͤufer Johannes; und widerſpricht Joh. 
9, 2. 3. der juͤdiſchen Meinung, daß koͤrper⸗ 
liche Gebrechen beſondere Strafen Gottes ſeyen, 
die entweder der Leidende ſelbſt, oder feine Ael— 
tern verſchuldet haͤtten. 


Der Gebrauch des N. T, als Erkennt⸗ 


; nißquelle der juͤdiſchen Theologie, iſt alſo einzuſchraͤn, 


ken, und zwar vorzüglich auf folgende Punkte: 
daß man erſtlich diejenigen Stellen gebrauche, 
wo Juden ſelbſt redend eingefuͤhrt, und ihre 
Meinungen erwaͤhnt werden. Dieſes iſt beſonders 
in den vier Evangelien haͤufig der Fall. So 
werden z. B. ihre Aeußerungen uber den Meſſias 
und deſſen Reich Matth. 11, 14. K. 2, 5. 
K. VE, 13% ff. K. EZ 10, , K. 

20, 


Das neue Teſtament. 107 


20, 21. K. 22, 42. Joh. 1,21. 50. K. 4, 25. 
K. 7, 26 f. 41 f. u. ſ. w., die Meinungen der 
Phariſaer und Sadducaͤer Matth. 22, 23. Apſt. 
23, 6 ff. ꝛc., die Aeußerungen der Juden uͤber 
die Daͤmonen, z. B. Matth. 10, 34. K. 12, 
43 ff. (denn in der letztern Stelle ſpricht Jeſus 
im Sinne der Juden) angefuͤhrt. 


Zweitens ſind die Stellen zur Erkennt⸗ 
niß der juͤdiſchen Theologie zu brauchen, wo Je⸗ 
ſus mit Individuen aus dem gemeinen Volke re⸗ 
det, und auf ihre Meinungen Ruͤckſicht nimmt. — 
Dahin gehoͤrt z. B. wenn er Matth. 8, 11. 12. 
ſagt: „viele werden vom Aufgang und Unter⸗ 
gang kommen, und mit Abraham, Iſaak und 
Jakob zur Tafel ſeyn (avandrdnrovrai) im 
Meſſiasreich; die aber, denen das Reich beſtimmt 
iſt, werden hinausgeſtoßen werden in die tiefſte 
Finſterniß, wo Heulen und Zahnklappen herrſcht.“ 
Die ganze Stelle gehört zu denen, wo Jeſus im 
Geiſte der Juden ſpricht; daher er hier das 
große Gaſtmahl im Reiche des Meſſias erwahnt, 
und das bei Tiſche liegen mit Abraham Iſaak 
und Jakob, als das Symbol der hoͤchſten Ehre 
und Gluͤckſeligkeit. Was er aber eigentlich mit 
dieſen Worten gemeint habe, ſieht man leicht 
ein; nämlich, daß nicht die Juden ſondern 
andre Voͤlker der Wohlthaten, die durch ihn ge⸗ 
geben werden ſollten, heilpaft werden würden, 
Dahin gehoͤrt auch, daß Jeſus Matth. 9, 
2 — 5. den Ausdruck: dir find deine Suͤn⸗ 

e den 


108 Das neue Teſtament. 


den vergeben“ ſo braucht, daß er heißt: „du 
ſollſt geheilt werden,“ und dadurch auf die be⸗ 
kannte Meinung der Juden Ruͤckſicht nimmt, 
nach der fir jedes koͤrperliche Gebrechen als Strafe 
betrachteten. Denn er ſpricht hier vor dem gro⸗ 
ßen Haufen, und nach deſſen Sprachgebrauche. 


Drittens ſind auch die Stellen zu brau⸗ 
chen, wo die Apoſtel vor ihrer voͤlligen Beleh⸗ 
rung, beſonders vor der Ausgießung des hei⸗ 
ligen Geiſtes (Joh. 14, 16. 16, 7. 13.) ſprechen, 
weil es ihnen ſehr ſchwer wurde, ſich von 
ihren alten Meinungen zu trennen, und Jeſus 
ihrer Schwaͤche ſchonte (Joh. 16, 12.). Da⸗ 
her auch die Stellen zu brauchen ſind, wo 
Jeſus ſeine Juͤnger, beſonders im Anfange, lehrt, 
und ihre juͤdiſchen Meinungen noch ſchont, und 
nur mit Vorſicht berichtiget. — So aͤußern 
auch die Schuͤler Jeſu Joh. 9, 2. die Meinung, 
daß Gebrechliche ſelbſt, oder deren Aeltern ges 
ſuͤndiget haben müßten; daß (Matth. 17, 10.) 
Elias vor der Ankunft des Meſſias erſcheinen 
ſolle; und daß ſie Luk. 24, 21.) einen weltli⸗ 
chen Retter Iſraels erwartet hätten. — So 
nimmt Jeſus beſonders zu Anfange ſeines Lehr⸗ 
amts haͤufig auf die Meinungen feiner Schüler 
Ruͤckſicht, und ſpricht gleichſam aus ihrer See⸗ 
le; wie z. B. wenn er Matth. 15, 24. ſagt; 
„er ſey nur für die Israeliten als Meſſias er⸗ 
ſchienen?“ dieſe Meinung aber (v. „27. 28) 


durch die That widerlegt; wenn er Matth. 13, 


50. 


| 3, 19. 


Das neue Teſtament. 109 


50. von einem feurigen Ofen als Strafort ſpricht; 
wenn er Matth. 19, 27 f. auf die Frage der 
Juͤnger: welche Belohnungen er ihnen, fuͤr 
ihre Aufopferungen, als Meſſias ertbeilen wuͤr⸗ 
de, antwortet, daß ſie dereinſt, wenn er in 
feinem Reiche berrſchen würde, auf zwölf Thronen 
figen, und die zwölf Stämme Iſraels beherr⸗ 


ſchen (denn fo iſt ee hier zu überfegen) folls‘ - 


ten; womit er blos ſo viel ſagen will: ihr 


ſollt reichlich belohnt werden. Dieſes ſieht man 


aus v. 30. K. 20, 26 - 29. und K. 21, 31. 
wo er ihnen alle Hoffnung aͤußerlicher Vorzuͤge 
in ſeinem Reiche benimmt. ö 

Endlich kommen hier auch die Stellen 
der apoſtoliſchen Briefe in Betrachtung, wo fie 
mit Juden, oder Chriſten, die aus dem Juden⸗ 
thum übergetreten find, ſprechen, und deren 
Meinungen zu Grunde legen, um irgend eine 


ihrer Lehren daran anzuknuͤpfen, oder daraus 


zu erlaͤutern. Dahin gehöre vorzüglich der Brief 
an die Hebraͤer und mehrere Stellen der Pau⸗ 
liniſchen Briefe. z. B. Hebr. 2, 2. Galat. 


Was die Apokalypſe anlangt; ſo habe 
ich dieſe hier mit Fleiß noch nicht genannt, weil 
die Streitigkeiten uͤber ihre Aechtheit ſo wohl 
als uͤber ihre Auslegung, namentlich ob ſie 
blos als Dichtergemaͤhlde oder im chiliaſtiſchen 
Sinne auszulegen fen, noch nicht beigelegt find. — 

Wer 


110, Die Targumim. 


Wer das letztere annimmt, kann Pe ganz als 
eine vorzügliche Quelle der im zweiten Jahrhun⸗ 
dert vorhandenen meſſianiſchen Erwartungen ge⸗ 

brauchen. 198 ö 


H. 25. | 
g) Die chaldäiſchen Paräphrafen des A. T. 


Auch die chaldaͤiſchen Paraphraſen des A. 

T. oder die Targumim (DIN, interpretatio 
paraphrafis) find für die Kenntniß der juͤdiſchen 

Theologie, beſonders der ſpaͤtern Tradition von 
Nußen, ohnerachtet fie meiſtens jung, und 
mit ſpaͤteren Zuſaͤzen interpolirt ſind. 


Alle chaldaͤiſche Ueberſetzungen und Para⸗ 
phrafen des A. T. führen bei den Juden den ge: 
meinſchaftlichen Namen: Targum. Es erſtreckt 
ſich aber keine derſelben uͤber das ganze A. T., 
ſondern nur uͤber einige Buͤcher derſelben. Die 
beiden aͤlteſten, von Onkelos und Jonathan, er⸗ 
ſtrecken ſich nur uͤber den Pentateuch und die 
Propheten; die uͤbrigen altteſtamentlichen Schrif⸗ 
ten aber find nach und nach und fpaterhin uͤber⸗ 
ſetzt worden. Sie ſind von ungleichem Werthe 
für den hiſtoriſchdogmatiſchen Exegeten, und 
dieſer hat die altern Targumim jederzeit den juͤn⸗ 
gern, die weniger durch rabbiniſche Maͤhrchen 
entſtellten, den fabelhaftern vorzuziehen. Zu 
jenen gehoͤren vorzuͤglich der Targum des Onkelos 
und des Jonathans; zu dieſen die uͤbrigen, naͤm⸗ 

lich 


Die Targumim. | 111 


lich der Targum des Pſeudo Jonathon über den 
Pentateuch, der erſt nach dem 6. Jahrh. ge⸗ 
ſammelt iſt, und voll rabbiniſcher Maͤhrchen 
wimmelt *); der Targum von Jeruſalem über 
den Pentateuch, von gleichem Gehalte und noch 
tieferer Jugend **); die Targumim über die Ha⸗ 
giographa, die Joſeph zugeſchrieben werden, 
aber von mehrern Verfaſſern geſammelt, und 
von ungleichem Werthe und Brauchbarkeit find (die 
ſchlechteſten find die über die fünf Megilloth) ) z. 
Targumim uͤber das Buch Eſther (in der Antwerp. 
und Londner Polygl.), uͤber die Buͤcher der 
Chronik, die ſehr jung iſt **), und endlich ein 
Targum uͤher die apokryphiſthen Stuͤcke in Eſther, 
der in der roͤmiſchen Ausgabe der LXX Doll⸗ 
1 vom Daniel ſteht ee), 

Der 


*) Kam heraus mit Onkelos. Venedig 1591. 4. 
Hannov, 1614. 8. Amſterd. 1640. 4. Prag 
1646. 8. und ſteht auch in der Londner Pos 
lyglotte. 8 

*) Herausgegeb. in den biblieis 1 18 Ve- 
net. 1518. und in den bibl. rabb. R. Iacob. 
Ben. Chajim Venet. 1526. und in d. Lond⸗ 

ner Polygl. 

da) Herausgeg. zu Vened. 1518. 

en) paraphraſis chald. libri Chronicorum cura 
Matth. Frid. Beckii T. I. Aug. Vindel. 
1680. T. II. 1683. 4. vol ſtändiger in der Am⸗ 
ſterdamer Ausgabe: paraphraſis chald. in li- 
brum priorem et pofterior, Chronic. ed, Dau. 
Wilkius. Amſtel. 1715. 4. 

Waere Daniel lecundum LXX, ex tetrsplis Ori- 
ginis nune Fiat editus, . Rom. 1772. ‚fol, 


112 Die Targumim. 


Der Targum des Onkelos uͤber den Pen⸗ 
tateuch, und der des Jonathans uͤber die Pro⸗ 
phbeten muͤſſen alſo in vorzuͤgliche Betrachtung 
gezogen werden. 8 


Onkelos, uͤber deſſen Zeitalter die Juden 
ſehr widerſprechende Nachrichten haben *), und 
den Wolf *) für einen Zeitgenoſſen Jeſu, Eich⸗ 
horn aber ***) für betraͤchtlich jünger halt, war 
ein babyloniſcher Jude, deſſen chaldaͤiſche Ueber⸗ 
ſetzung des A. T. dem hebraiſchen Texte am ge⸗ 
naueſten folgt, die wenigſten Fabeln einmiſcht, 
und nur hie und da aus ſpaͤtern Targumim in⸗ 
terpolirt iſt. Seine Paraphraſe iſt oͤfters ge⸗ 
druckt worden und ſteht in der komplutenſiſchen, 
Antwerpner und Londner Polyglotte, ſo wie in 
den bibliis rabbinicis, Venet. 1518. 


Jonathan, uͤber deſſen Leben die Rabbinen 
viele Fabeln haben, bluͤhte nach Wolf *) wahr⸗ 
ſcheinlich zu Chriſti Zeit, nach Eichhorn * 
aber geraume Zeit nach Chriſto. „Denn,“ ſagt 
der letztere, „ſeine Ueberſetzung iſt das Werk 
eines Palaͤſtinenſiſchen Juden: wie konnte ſie 
den Kirchenvaͤtern unbekannt bleiben, wenn fie 

5 i i alter 


2 ſ. Wolfii 19 5 ar Vol. II. p. 1148. 
**) d. d. O. S. 

uk) In der Einl. 15 A. T. 1. Th. §. 221 ff. 

»***) bibl. hebr. T. II. p. 1160. 

re Einl., ins A. T. 1. Th. 227, b 


Die Targumim. 5 0 113 


älter als Chriſti Geburt war? Sodann iſt 
ſie auch voll ſolcher Fabeln, die erſt ſpaͤterhin 
in Palaſtina in Umlauf kamen. Endlich ſucht 
fie den Meſſias aus den Stellen weg zu übers 
ſetzen, welche die Chriſten von ihm auslegten 
(als Jeſ. LIII LAIII. 19, ein offendarer Bes 
weis, daß der Ueberſetzer zu einer Zeit lebte, 
da die Polemik der Chriſten mit den Juden ſchon 
im Gange war“. Der Targum über den Pen, 
tateuch, der erſt nach dem 6. Jahrg. zuſam⸗ 
mengeſchrieben if}, und über die Hagiographa, 
die dieſem Jonathan beigelegt werden, ſind nicht 


von ihm. Sein Targum ſteht in den genann⸗ 


ten Polpglotten und in der bibl. rabb. (Vened. 


1 51 8). | 


Außer den Spuren der ſpaͤtern juͤdiſchen 
Traditionen, die man in dieſen Schriften, be⸗ 


ſonders in den ſpaͤtern Targumim findet, ſind 


dieſe Paraphraſen dadurch vorzuͤglich merkwuͤrdig 
geworden, daß fie finnliche Ausdruͤcke von Gott, 
die haufig im A. T. vorkommen, mit unfiguͤrlichen 
vertauſchen das Subjekt umſchreiben, und oͤſters 


die Form Name, Wort, eines Dinges 


(Nd für das Subjekt ſelbſt ſetzen. Bes 


ſonders umſchreiben fie den Namen Gottes MM. 


haufig durch n Nod. Wort Jehovas, 
Onkelos auch durch WI Nepp Pracht, Ma⸗ 
jeſtaͤt Gottes, und IM ND. Majeſtaͤt 
(Schechina) Gottes. Ob es nun gleich ſcheint, 


als wenn dieſes eine bloße grammatiſche Figur 


ſey/ 


i14 Die Targumim. 


1 
ſey, indem auch ein dW Davids, der Ruth ır. 
erwaͤhnt wird; ſo hat man doch hier die Lehre 


vom Nelſes, oder dem ſubſtanziellen Worte Got: 
tes zu finden gemeint, und die Paraphbraſen bei 


Erlaͤuterung jener Lehre genutzt. Und es ſcheint 


auch allerdings, daß fie jenen Ausdruck nicht 


blos als Redefigur gebraucht haben *). 

Bei dem Gebrauch derſelben zur hiſtoriſch-dog⸗ 
matiſchen Auslegung hat man vorzüglich darauf zu 
ſehen, daß man die ſpaͤtern Targumim mit Vorſicht 
brauche, ihr Alter erſt unterſuche, und bei ihnen, 
ſo wie bei den aͤltern Targumim ſich hüte, die ſpaͤ⸗ 
ten Interpolationen der Rabbinen, und deren 
oft laͤppiſche und kindiſche Traditionen nicht ſo⸗ 


fort als Meinungen der altern Zeit zu betrach⸗ 


ten. Onkelos und Jonathan find zwar vorzüglich 
wichtig, aber auch die ſpaͤtern Targumim, wie 
den des Pſeudojonathan und den Jeruſalemita⸗ 
niſchen und andere kann man benutzen, weil fie 
aus aͤltern und juͤngern Arbeiten zufammende> 
ſchrieben ſind, und alſo auch fuͤr die Tradition 
fruͤherer Zeiten gebraucht werden konnen. 


27 


Als 


*) Ueber den darüber geführten Streit verglei be 


Wolfs biblioth. hebr. Vol. II. p. 1186 ff. 
7 Joh. Buxterf Lex. Chold. Kah- 
bin. p. 128 Georg Frid. Richter dill, 
de p N, Cipf. 1770. 4. lob. He hr. 


Michaelis Gift. de Fargumim . verſionum 


ge paraphtafium V. I. cheldaic. lu. Hal. v 


1720. 4. — 


} 


Die Targumim, 115 


Als Probe will ich hier die Zuſaͤtze in den 
erſten zwei Kapiteln der Geniſis anfuͤhren, die 
ſich in den Targum Peudojonathand (wie er in 
der kondner Polyglotte 4. Be ſteht, finden. 


J. 16 ff „und Gott machte zwei große Lich⸗ 
ter, und ſie waren einander ein und zwanzig 
Jahre lang on Yichte gleich; — — aber nach⸗ 
per verlaumdete der Mond die Sonne, und 
ward an ſeinem lichte geſchwacht und er, (Gott) 
machte die Sonne zum groͤßern Lichte und Her⸗ 


ren des Tages, den Mond aber zum kleinern, 


daß er Herr der Nacht und der Sterne ſey.“ — 
Bekanntlich waren die Nele Jahre Monden⸗ 
jahre (. PM. 104, 19.0, und dieſe Fabel ſoll 


wohl erklaren, wie der tond um ſeine Herr⸗ 


fibaft gekommen ſey. Es liegt dabei die unter 
den ſpaͤtern Juden nicht ungewöhnliche Vorſtellung 


zu Grunde, daß die Geſtirne Seelen. haben 
und Au ſeyen. 


a 1 d Gott chuf große 


Wallſiſche, den Levigthan und ſein Weibchen, 
\anan) D19 e die bereitet ſind 
auf den Tag (die Zeit des Troſtes“ (d. i. des 
Glucks im Reiche des Meſſias. Denn die Ju⸗ 
den bofften in Meſſtasreich den Leviathan als ei⸗ 
nen Leckerbiſſen zu ſpeiſen. Eine ſehr 1 Fa⸗ 
bel der Rabbinen. Er 


% 36: „Und Gott ſprach zu den Engeln, die 
ihm dienten, und die am zweiten Schoͤpfungs⸗ 


5 ee e tage 


116 Die Targumim. 


tage“) geſchaffen worden waren: laſſet uns 
ee bilden“ ꝛc. 


V. 27. und er ſchuf ſie ein sräfnfein und 
Fräulein: dieſes überſetzt Jonathan: 24 
pam dp paz dap „Mann und Weis 
ſchuf er in feinem (bes Adams) Koͤrper,“ Dies 
ſes bezieht ſich auf den Adam Kadmon der Kab⸗ 
baliſten, und den Kaimorts Zoroaſters, die 
gleichfalls als Urmenſchen und Prototypen des 
Menſchengeſchlechts beide Geſchlechter in l ver⸗ 
8 ri 


| Kap. 2, 7. und Elohim Jehova fehuf 
den Menſchen in zwei Schoͤpfungen, und nahm 
Staub von dem Platze des Tempels und von 
den vier Himmelsgegenden der Welt, und miſch⸗ 
te ihn mit Waſſer aus allen vier Himmelsge⸗ 
genden, und ſchuf ihn braun, ſchwarz und 
weis ꝛc.“ V. 8.,, Und das Wort des Herrn 
755) pflanzte aus Eden einen Garten 
fuͤr die Gerechten, vor der Schoͤpfung der 
Welt. “ — Denn das Paradies, der Tempel 
und mehrere Heiligthuͤmer waren, nach der Tra⸗ 
dition, ſchon vor der Schoͤpfung in einem Urbil⸗ 
de vorhanden. Vergl. Buch d. Weish. 9, 8 


) Nach der Gene ſis parua, einem Pſeudepi⸗ 
graphen des A. T., wurden die Engel am er⸗ 


Einige 


ſten Tage erſchaffen. S. Fabrice. Cod. Pfeu- Wi 


dep. V. T. Tom. I. p. 851. 
/ a 


4 ] x 1 
Die Targumim. 886112 


Einige Beiſpiele, die zur Erlaͤuterung des 
N. T. angewendet werden koͤnnen, moͤgen hier noch 
ihren Platz finden. — Paulus (2 Tim. 3, 8.) 
erwähnt die juͤdiſche Tradition, daß Jannes und 
Jambres dem Moſes, als er vor Pharao Wun⸗ 
der that, widerſtanden haͤtten; daſſelbe erzaͤhlt 
auch Pſeudojonathan bei 2 Moſ. 1, 15. K. 7, 
11. — Der Verfaſſer der Apokalypſe ſpricht 
K. 20, 6. 14. von einem zweiten Tode, deſſen 


auch Pſeudojonathan bei 5 Moſ. 33, 6. erwahnt; 


und ſo wie Apok. 5, 10. die Verehrer des Meſ⸗ 


ſias Koͤnige und Prieſter genannt werden, ſo 


geſchieht dieſes auch bei Jonathan 2 Moſ. 19, 
6. — Die Paraphraſe uͤber die Hagiographa 
erklaͤrt den Pf. 45. wie der Verfaſſer des Briefs 
an die Hebr. K. 1, 8. vom Meſſias. Jonathan 
erklart Jeſ. 9, 6. und auch die wichtige Stelle 
Sei: 52, 13. ff. vom Meſſias, eben fo wie das 
N. T. Jonathan ſagt, die Wunder wuͤrden nicht 
zu zahlen ſeyn, die der Meſſias verrichten wuͤr⸗ 
de; und im N. T. laͤßt Jeſus dem Johannes, 
auf ſeine Anfrage: ob er der Meſſias ſey? ant⸗ 
worten: die Blinden ſehen, die Lahmen gehen ꝛc. 


Nach im Jeruſalemiſchen Saen ſchuf die 


Nd Geneſ. 1, 27. den Menſchen, und 


daſſelbe Wort wird Geneſ. 3, 22. der einge⸗ 


bohrne genannt: „et dixit verbum domini: 


ecce Adam quem creaui, vnigenitus eſt in 
mundo ſicut ego vnigenitus fm in coelis 
excelfis.“ — 5 Moſ. 32, 39. uͤberſetzt Jona⸗ 

than: 


118 Die Targumim. 


than: quando manifeſtabitur verbum Domini, 
vt redimat Fonte (vum? — und Gene, 
19, 24. demiſſa ſunt ſuper ipſo fulphur et 
115 a Verbo Domini de coelo. — Geneſ. 
ſtatt: „im Anfang“ hat der Jeruſ. Targ. 
800, durch ſeine Weisheit. — Der 
Ausspruch Luk. 6, 38. findet ſich auch im Je⸗ 
ruf. Targ. bei Geneſ. 38, 28. und der Anfang 
des „Vater unſer“ ebendaſ. bei 5 Moſ. 32, 6 
— Der Targum Idnathans uͤberſetzt Jerem. 37, 
‚  zecer dies veniunt, et ſuſcitabo 4200 
op WD, Davidi Met am iuflorum ‚et 
48 wabit rex et profperabitur etc.“ Der 
Targum uͤber die Hagiographa erwaͤhnt bei Hiob 
3, 3, die Engel, welche über die Empfaͤngniß, 
jedes Menſchen geſetzt ſind. — Mehreres hier⸗ 
über f bei Barthol. Mayer in philolog. ſa- 
cia, F. II. p. 184 ff. bei I. G. Cerpzov in 
der eritica Es V. T. p. 5 ff. Br. Wal 
ton in den Prolegomenen zur Londner Polyglot⸗ 
te S. 382 f. 


Ueber die Targumim uͤberhaupt finder man 
die Schriftſteller angegeben bei e in 
der cri ca (acta p. 430. und Wolf in der 
bibl. hebr. T. II. p. 1189. womit nach Wal⸗ 
ton in den Prolegomenen zur Londner Polyglotte 
p. 377 ff. Eichborn in der Einleit. ins A. T. 
1. Th. §. 213 ff. und Bauer in der Critica 
facra p. 288. zu vergleichen ſind. Letzterer lie⸗ 
ferte eine Chreſtomathie; Chiellomathia e pa- 

far 4 


=: 


Pfeudepigrapha des A. T. 119 


raphralibus chaldaicis et Talmude delecta, 
notis breuibus et indice verborum difhsilio. 
rum illuſtrata. Ed. G. L. Bauer. Norimb. 
1792. 360 S. 8. 


. 26. 0 
59/Die Pſeudepigrapha des A. T. 


Ich fuͤhre hier auch die Pſeudepigrapha des 

A. T., dei ſolche Schriften, die den Patriarchen 
und andern beruͤhmten Vorfahren der juͤdiſchen 
Nation untergeſchoben wurden, mit an, ob ſie 
gleich nicht alle juͤdiſchen Urſprungs, ſondern zum 
Theil auch von Juden Chriſten zuſammengeſchrie⸗ 
bee worden find. Denn im Ganzen waren ihre 
Verfaſſer doch fühle treue Anhaͤnger der jüdis 
ſchen Dogmatik nicht nur, ſondern auch der jüs 
diſchen Fabeln, und ein Theil von ihnen mag 
wohl von Juden Chriſten erdichtet oder wenig⸗ 
ſtens ſtark interpolirt worden ſeyn, um das Chri⸗ 
ſtenthum den Juden zu empfehlen. Denn beinas 
he uͤberall, wo man die Hand eines Chriſten er⸗ 
kennen mußte, iſt von dem großen Theiha die 
Rede: daß der Meſſias bereits erſchienen, und 
daß Jeſus, der Gekreuzigte, der Meſſias gewe⸗ 
‚fen ſey. Ein Thema, in dem Juden und Chri- 
ſten vorzuͤglich von einander abwichen, und in 
dem ſich auch in den Pſeudepigraphen der Chriſt 
nur von den Juden unterfcheicet. Denn im Ue⸗ 
brigen wird man wenig finden, was nicht mit den 
Grundſaͤtzen der fpatern Juden e uͤber⸗ 
5 ein⸗ 


120 Pſeudepigrapha des A. T. 


einſtimmte, und ſie beſtaͤtigte. Denn auch in 


den Schriften, die man chriſtlichen Verfaſſern 
beizulegen geneigt ſeyn moͤchte, wie dem Teſta⸗ 
mente der zwoͤlf Patriarchen, dem Buch He⸗ 
noch de. finden ſich is elendeſten acht : jͤdiſchen 
Fabeln vorgetragen. Dieſe Schriſten ſind nicht 
aus einem Zeitalter und Jahrhundert, ſondern 
von verſchiedenen Verfaſſern, an verſchiedenen Or⸗ 
ten und zu verſchiedenen Zeiten, vorzuͤglich kurz 
vor, und in den naͤchſten Jahrhunderten nach 
Chriſti Geburt, geſchrieben; alle aber in der Ab⸗ 


ſicht, um entweder das Judenthum uͤberhaupt zu 1 


ſtuͤtzen; oder von der hohen Weisheit der Urva- 
ter ein Hauptthema Beweiſe zu geben; oder 


die ſpatern juͤdiſchen Dogmen, fo wie die ſpaͤ 
tern Traditionen der Juden dadurch, daß man 
fie als Lehren der Urvater darſtellte, zu heiligen 
und zu bekraͤftigen; oder die Erwartungen des 


Meſſiasreichs aufrecht zu erhalten, und die juͤdi⸗ 


. — EZ te 


ſche Nation in ihren Leiden zu troͤſten; oder end⸗ 


lich (in wie fern Chriſten daran Antheil hatten) 
zu zeigen, daß ſchon die Patriarchen und andere 


heilige Maͤnner des A. T Jeſu Leiden und Tod 
ganz beſtimmt vorhergeſagt hatten, und daß folga⸗ 


lich Jeſus der Meſſias geweſen ſey. 


Ein Theil dieſer Buͤcher iſt offenbar von ö 
ziemlich hohem Alter, da nicht nur Joſephus 


auf ſie Ruͤckſicht genommen bat, ſondern auch 


das N. T. ) wo namentlich (Jud. v. 14.) das 


Buch 


*) ©. Beitraͤge zur Beſörd. des vern. Denk. 20% 


5. Heſt. 


Pſeudepigrapha des A. S. ꝛ2 


Buch Henoch citirt wird, und es ſich außerdem 
nicht erklaͤren lleß, wie die aͤlteſten Kirchenvaͤ⸗ 
ter, ein Origenes, Tertullian, Clemens ꝛc. fie 
fo genau gekannt, und wie einige, namentlich das 

Buch Enoch in andern Pſeudepigraphen !) ſchon 
angefuͤhrt werden koͤnnte. Dahin gehoͤrt, nach 
meiner Auſicht, das ‚Plalterium. Salomonis ge⸗ 
wiß, ob es gleich Corrdi ““) unter Jeſu 
Geburt herabſetzen will. Es ſcheint urſpruͤnglich 
nicht griechiſch, ſondern chaldaͤiſch oder aramaͤ⸗ 
iſch, und bald nach der Nuͤckkehr aus Babel 
geſchrieben, aber nach der Zerſtoͤrung Jeruſalems 
griechiſch uͤberſetzt worden zu ſeyn . Denn waͤ⸗ 
re es nach Jeſu Geburt geſchrieben; ſo wuͤrde es 
weit mehr ſpecielle Hinweiſungen auf die Zeitge⸗ 
ſthichte haben, da es vielmehr uͤberall auf den 
Zuſtand der Juden, während und nach dem Exil, 

Ruͤckſicht nimmt. Ferner gehört das Buch He 

noch unter die aͤlteſten, A vieles darin 


a 7 i vor⸗ 


5. Heft. S. 61, Fobtiest Cod. Pfeudep. I. 
pag. 160. 

*) z. B. im Teſtam. der 12 Patr. ſ. Fabricius I. 

e. 160. 

) Beitrage zur Beford. des v. Denk. 4. Heft. 
S 200 ff. 

a Dadurch erklaͤrt es fh, wie Pf, 2, 1. geſagt 

5 werden kann, die Feinde hätten ſtarke Mauern 

eu: g per arietem durchbrochen. Denn der ſpaͤ⸗ 

tere Ueberſetzer wählte, mit Hinſicht anf die Zeitz 


geſchichte, xpeos, wo er vielleicht bloß ue, 
uͤberſetzen N 8 


a 
122 Mfendepigrapha des A. T. 


vorkommt, was die nachhelſende und uͤberarbei⸗ 
tende Hand eines Juden-Chriſten verraͤth *). 
Eben ſo auch das Teſtament der zwoͤlf Patriar⸗ 
chen, das aber gleichfalls von Chriſten interpo⸗ 


lirt iſtn). Der größere Theil derſelben aber 
iſt gewiß erſt aus dem Anfange des zweiten 
Jahrhunderts, und groͤßtentheils von Judenchri⸗ 


ſten geſchrieben. 


In Ruͤckſicht der Sprache und Grundſaͤtze 
weichen ſie zwar nicht ſehr von einander ab; 


aber man ſieht doch in einigen (wie in den Pſal⸗ 


men 


*) Z. B. wenn es heißt: —-—— weil ihr den Mann, 
der das Geſetz erneuert (evaxaıvoramuvra), durch 
die Kraft des Höchſten, einen Betruͤger nennet, 
und endlich ihn toͤdtet, nicht achtend (ob side- 
rss.) feine Auferſtehung (avasmaa) und fein uns 
ſchuldiges Blut boshaft auf euer Haupt ludet. 

Deswegen wird euer Heiligthum bis auf den 
Grund verwuͤſtet werden, — — ihr werdet 
unter den Völkern ein Fluch ſeyn, bis er 
euch wieder aufhilft, ſich euerer erbarmt, und 
euch aufnimmt im Glauben und Waſſer (ev re- 
Se A Warı), S. Fabric. I. p. 162 f. Die 
Tendenz dieſer Stelle iſt nicht zu verkennen, 


nämlich. die Juden zur Annahme des Chriſten- 


thums zu bewegen. 

**) Nich Grabe's Meinung tft der Verf. deſ⸗ 
ſelben ein Jude (ſ. Fabricius I p. 503.) und 
eben fo urthellte Semler (theolog. Briefe ir 
Th.), aber Corrodi hält es für die Arbeit eis 
1 Chriſten (. he zur . sr Bd. 


©. 81.) 


Pſeudepigrapha des A. T. 123 


men Saloms's) mehr das Zoroaſtriſche Syſtem, 
in andern mehr die rabbiniſchen Fabeln, in an⸗ 
ern mehr den gemeinen palaͤſtinenſiſchen Juden, 
und in einigen den alsrandrinifchen Juden oder 
Judenchriſten durchſchimmern Das Thema al⸗ 
ler laͤßt ſich auf folg nde Hauptſaͤtze zuruͤckbrin⸗ 
gen: 1) auf die angebliche Weisheit der Urvaͤ⸗ 
ter und Patriarchen, 2) weitlaͤuftige Traditionen 
von den Engeln und Daͤmonen, und 3) Dar⸗ 
ſtellung des Weſſias und deſſen Reiches. Ueber 
das letztere iſt vorzuͤglich das vierte Buch Esdra 
(das auch in derkondner Polpglotte 4. B. S. 29. 
ff. ſteht) ſehr reich. 


Bei dieſer Verſchiedenheit derſelben kann 
man wohl der Meinung Semlers “) nicht bei⸗ 
ſtimmen, daß dieſe Schriften ſaͤmmtlich zu einer 
Zeit von einer Geſellſchaft alexandriniſcher Juden 
zu Alexandrien ſeyen geſchmiedet worden; eine 

Neinung, gegen welche Corrodi 0 | Fiete En f 
gruͤndete erinnert hat, 


In welcher Ruͤckſicht dieſe Schriften zur Er⸗ 
klaͤrung des N. T. zu brauchen ſeyen, ergiebt 
ſich aus dem bisher Geſagten von ſelbſt. Sie 

g ſind 


— — 


„Yin feinen theolog. Briefen ir Th. S. 183. 

*) Etwas über Hrn. D. Semlers Briefe, über 
den Lrfpr ung der ſogenannten Piendepigrapha 
des A. T. In den Beiträgen zur Beförd. des 
vernuͤuft. Denk. je. 5. Heft. S. 68 — 90.) 


124 Pſeudepigrapha des A. T. 


ſind von vieler Wichtigkeit, nicht nur in Ruͤck⸗ 


ſicht des dogmatiſchen Sprachgebrauches jener 
Zeit, ſondern auch der Dogmatik der Juden 
ſelbſt, und bis jetzt noch zu wenig verglichen wor⸗ 
den. Nur muß man bei ihrem Gebrauche foß 
gende Regeln beobachten: erſtlich, daß man unter⸗ 


ſucht, wenn, wo und von wem eine Schrift, de⸗ 


ren Stellen man benutzen will, geſchrieben wor⸗ 
den ſey; zweitens, ob die Stelle nicht von einem 
Cbriſten aus irgend einer Abſicht interpolirt ſey; 
drittens, muß man die altern dieſer Schriften 
den juͤngern und die pal iſtinenſiſchen und chal⸗ 
daͤiſchen den alexandriniſchen, jederzeit vorziehen, 
weil die aͤltern und palaͤſtinenſiſchen dem apoſto⸗ 
liſchen Zeitalter und Sprachgebrauch naͤher wa⸗ 
ren; und endlich darf man die ſpaͤtern juͤdiſchen 
Fabeln und Traditionen nicht geradezu auf aͤhn⸗ 
liche oder verwandtſcheinende Stellen des N. T. 
uͤbertragen, und hat diejenigen Stellen zu bemer⸗ 


ken, wo aus dem N. T. ſelbſt etwas in dieſe Bir 


cher gefloſſen iſt. 


Einige Beiſpiele, wie dieſe Schriften, die 
noch einen reichen Ertrag fuͤr grammatiſche und 
hiſtoriſche Exegeſe verſprechen, das N. T. erlaͤu⸗ 
tern, werden auf ihre Wichtigkeit aufmerkſam 
machen koͤnnen. — Paulus braucht Galat. 4, 
4. den Ausdruck νο⁰νNÜxe xgovov von der 
Zeit, da der Meſſias, nach Gottes Nathſchluß, er⸗ 
ſcheinen ſollte; eine aͤhnliche Redensart, die in 
demſelben Sinne gebraucht wird, findet ſich im 

Teſta⸗ 


—— 


— 


ee 


8 
Pſeudepigrapha des A. T. 125 


Teſtamente der 12 Patriarchen, bei Fabtie. T 
J. p. 531. Asus Geese Ne eig Eννν ro 0 
ic ÜMEO r logauı, lte. re Nee 


1 nr Xasov. 


1 Petr. 3, 19, heißt es, Jeſus fen zur 
Hole gefahren. Daſſelbe findet ſich im Buche 
Henoch, wo die Begebenheiten Jeſu in dieſer Zeit⸗ 
folge aufgefuͤhrt werden: „der Herr (der Meſſias) 
wird Gewalt leiden und am Kreutze erhoͤhet wer⸗ 
den (En ZN vbosnserm I. Joh. 3, 14). 
Und der Vorhang im Tempel wird zerreißen, und der 
Geiſt Gottes herabkommen auf die Voͤlker (881), 
wie ausgeſchuͤttetes Feuer. Und nachdem er (der 
Herr — der Meſſias) aus dem Hades wieder 
heraufgekommen (vs oe dr TY edv), wird 
er von der Erde gen Himmel ſteigen (Seel c- 
Berau 'dmwo n eis odeavov), Zu der Stelle 
2 Petr. 2, 4. 5. finden ſich viele Erlaͤuterun⸗ 
gen. Petrus ſcheint die Suͤnde der Engel vor der 
Suͤndſluth zu ſetzen, und dieſe mit jener in Ver⸗ 
bindung zu bringen. Es iſt fchon aus Joſe⸗ 
phus und den LX die juͤdiſche Sage uͤber den 
Fall der Engel beigebracht worden; eine Sage 
die ſich in den Pſeudepigraphen haͤufig findet, 
und mit mancherlei Wendungen. S. Fabricius 
Cod. Pfeud. T. I. p. 167-199. 


Coloſſ. 1, 16. braucht Paulis die Yu: 
druͤcke: Oeevel, auge rnreg, c. und kCov. 
ice wahrſcheinlich von den Klaſſen der Engel. 

We⸗ 


126 | Ofrueisraoie d des A. T. 


Wenigſteus kommen dieſe Worte fo vor in 5 Be⸗ 
ſchreibung des ſiebenfachen Himmels im Teſtam. der 
zwoͤlf Patriarchen (bei Fabrie. 1. B. Seite 546 
ff.): „im zweiten Himmel find marra Ta mveuun- 
1 T S yayan eis E ,HÜù u Twv dvemmı, EN 
To rer eig c S eig T meg, 
ol ra eures eis nuegav αννE,̊e —— — 
In dem folgenden ſind die Engel, ol Depovres 
Tas Kmoxgireis Tas 4 U eN,ł ee 
swmov wugiov. EY Le zo (nämlich ouga- 
vo), Her alrov eg 99% l, e Coo, 
e ch cle d νẽ⁰p Seb 1gοα D οοοννα 


1 Timoth. 3, 16. fast Paulus: Seos SO. 
vego dn Ev g. Im Teſtamente Simeons 
(Fabrice. 1. B. S. 541 f.) heißt es in Bezie⸗ 
hung auf meſſianiſche Zeiten: xueles s Hees 
Keyas Deivouevos. (Vergl. Tit. 2, 13. dm 
Oxvax vn Gens rey Ge 9255 Koh 
oh ry 2 lng. xg.) n 68 4g. 
og, Acer goge % UTW Toy "Adap. “Tore 
Jen . TA ente rns ınAavng \ 
EG Neri, no organ Gacidev- 
c Dνοονα Tuv Movngwv Mvevaarov. Tete & 
Goyre Ev eulooavm, Ku Eidorynew Tev - 
go E reis Yaumamias alrou, orm dees 
sauna N, (Philipp 2, 6. 7. E Re DN 
Seo b nατεα,ð v — AU n dev raßar) 
0 Gvveodiev SAvdE@mas, Erwsev aurovg. — 
— Haus Levi und Juda , ee Uu“ (Hebr. 
7, 14.) „ Gπντν,j Tov Secu (Luk. 2, 3 

| Apo⸗ 


Pfeudeplgrapha des A. T. 127 


Apoſtelg. 28, 28). Avasıca e Kugies S 
re Ae ον ν⏑ ν,Es̃α, mis in ro Joe 
ws Oc NE YE a1 οο οο — 
Im Teſtamente Benjamins (bei Fabricius 1. B. 
p. 745.) — — zur Zeit des Meſſias würden 
die Patriarchen auferſtehen mgoazuvouvres rer 
Bac T onen (den Meſſias), roy em 
n Paver Ev pogOn M ονο r. 
ce — — — — %% MOVIES clp Nov c 
e ue eis dokav oi de eis Gruul, (I Cor. 
15, 42, 43). Kar Ae, xugos. s ngurei 
roy Ioε r. ges ene fiene, Jeoy Ev 1 
(Joh. 1, 14. 6 Aoyos vage Eryevero) ée e- 
eco rn ob emisevsay. — Wenn man auch lan⸗ 
nehmen will, daß dieſe Stellen aus den verwand⸗ 
ten des N. T. gefloſſen ſeyen; ſo bleiben ſie im⸗ 
mer ein merkwuͤrdiger Beweis, wie man dieſe 
Stellen des N. T. damals verſtand. — Aus 
dem Ausbaticus des Jeſaias fuͤhrt Epiphanius 
ee haereſ. LXVII. c. 3. bei Fabricius 
B. p. 1091 folgende Stelle an: dess Ne. 

5 "Aryyehss regt TayTay ling: 20 Mau, No 
EHE Hol; Mo ele DIE esw O € dec die? Feu 
Heu; ns eln cb oldes xvgie; N45 1 ob- 
ros SS & . Janes. Ku rig SS 0K. 
Ng G cmoi0s Kür eg Agi 61 eU. n; ces 
el m, on M neig. Tour 851 To 4 7 
n r νπẽůõỹ- , xa Ev TuS - 
Drug, i 
Herausgegeben ſind die Pſe ubepigrap ha, oder 
vielmehr die Fragmente derſelben, die ſich in 
f ö den 


18 Die Kabbaliſten. 


den Kirchenvaͤtern und anderwaͤrts finden, nebſt 
den Traditionen der Juden, die Joſephus, Phi⸗ 
lo, der Talmud, die Nabbinen und die Kirchen 
vater über merkwuͤrdige Männer des A T. auf 
behalten haben, von Joh. Alb. Fabricius 
in dem Codex Fſeudepigraphus Vet. Pell. ed. 
2. Hamb. 1722. 8 zu welcher 2ten Aufl. noch 
ein Supplementband als ꝛtes Voſutn. Hamb. 
1233. 8. hinzugekommen iſt. Hiermit iſt zu ver⸗ 
gleichen Spicilegium >. S. Patrum vt et haere- 
ticorum leculi poſt Chr nat. 1, 2 et 3. no- 
tis illulir 70. Fru. Grabiu Tom . ed. 3. 
Oxon. 1700. T. II. ibid 1700 8. — 

Von den Apokryphis und Pſeudepigraphis der 
Juden; in d. „ . EN d. vernünft. 


Denkens in d. Relig. . Hft. S. 193-2165. 
(enthaͤlt eine kurze, dr etwas oberflaͤchliche 
Charakteriſtrung derſelben). Erklärende Um 


ſchreibung des Briefs Juda, nebſt einem Anhan⸗ 
ge enthaltend die Fragmente des apokr. Buchs 
Henoch; in d. Beiträgen ꝛc. 2. Heft. S. 132, 
ff. (nach Grabe's Spicileg) 125 


F. 27. 
ER Kabbaliſten. 


Von den Zeiten des babyloniſhen Exils an 
kamen die Juden in ſo mannigfaltige Beruͤhrun⸗ 
gen mit auslaͤndiſcher, beſonders perſiſcher, Reli⸗ 
gionsphiloſophie, daß die denkenden und ſpekuli⸗ 
renden Koͤpfe unter ihnen nothwendig auf ſie auf⸗ 

merk⸗ 


* 


1 


die Kabbaliſten. 129 


merkſam, und ihr auch geneigt werden mußten, 
da ſich dieſelbe an ihre fruͤhern moſaiſchen Grund⸗ 
füge fo leicht anſchloß. Mehrere ihrer Gelehr⸗ 
ten waren ſelbſt in dem Orden der perſiſchen 
Weiſen oder Magier. Der groͤßte Theil der Ju⸗ 
den blieb, da Cyrus ihnen die Nuͤclkehr nach 
Judaͤg erlaubte, in Perſien, und legte in jenem 
Lande beruͤhmte Schulen *) an, welche nach und 
nach fruchtbare Muͤtter einer juͤngern Religionsphi⸗ 
loſophie wurden, deren Grundlage wahrſcheinlich 
das philoſophiſche Reljgionsſyſtem Zoroaſters war, 
da beide einen Hauptcharakter haben, naͤmſich 
die Emanationdlehre “). Dieſe Religionsphilo⸗ 
ſophie blieb aber nicht auf Perſien und die da⸗ 
ſelbſt befindlichen Juden eingeſchraͤnkt, ſondern 
theilte ſich auch den Palaͤſtinenſiſchen, wegen der 
genauen Verbindung zwiſchen beiden, mit. Nur 
nach Aegypten iſt fie fpater eingedrungen, und 
vermochte nicht in dieſem Lande die pythagoriſch⸗ 
platoniſche Philoſophie zu verdraͤngen, oder um⸗ 

| zuge⸗ 


*) Zu Nahardea, Sora, Pumbeditha — ſ. Jo⸗ 
ſephus juͤd. Alterth. 3. B. 12. Kap. 

4 So wie Zoroaſter feine Weisheit in einem 
Buch, dem Wort Zoroaſters, oder dem Licht⸗ 
geſetz, erhalten zu haben lehrte, ſo machten auch 
die Juden den Abraham, oder gar ſchon den 
Adam zu Vaͤtern der Kabbala, die ſie in einem, 
ihnen von Engeln uͤbergebenen, Buche gelernt, 
und ihren Nachkommen überliefert haͤtten. 


3 


\ 


130 die Kabbaliſten. 


zugeſtalten. Alles was ſie bewuͤrkte, war eine 
leichte Schattirung des herrſchenden Syſtems. 


Mit dieſer Philoſophie zugleich entſtanden 
Anſichten und Erklaͤrungen des Alt. Teſt., der 
Geſchichte deſſelben, der gottesdienſtlichen Gebraͤu⸗ 
che und Einrichtungen, die nach den Grundzuͤ⸗ 
gen dieſer Philoſophie gebildet waren, und wel⸗ 
che man, um ihnen deſto groͤßeres Anſehen zu ge⸗ 
ben, theils durch kuͤnſtliche und allegoriſche Deu⸗ 
tungen in das A. T. hineintrug, theils von Adam 
und den Patriarchen, die ſie von Gott und den 
Engeln bekommen haͤtten, als geheime muͤndliche 
fortgepflanzte Lehre erhalten zu haben ruͤhmte. 


Alles was dieſe Religionsphiloſophie um⸗ 
faßte, und auf muͤndlicher Lehre beruhte, oder aus 
dieſer in das A. T. hineingetragen wurde, führte 
den vielumfaſſenden Namen MIIP, wagudorıs, 
mündliche Ueberlieferung (von p, accepit au- 
ſcultauit); ein Name, der ſelbſt von den Juden 
nicht immer auf ein beſtimmtes Syſtem bezogen 
wurde ). N 

Wenn 


) Ipfi Iudsei, (ſagt Wolf in ſ. Biblioth. hebr. T. 
II. p. 1193.) in fignificatu eidem (vocabulo 
Kabbalse) ſubiiciendo varii ſunt Hine nunc 
de lege non ſeripta, quam Miſchnam vel Tal- 
mud alias appellant; nune de ſeriptis prophe- 
ticis, nunc de fcientia diuinitus accepts et arcas 
niore, nunc de arcanis Legis quibuscunque, 
nunc de inuertis ſuis Medicis, Mag iae proxi- 
mis, accipiunt. ; 


* 


die Kabbalſſten. 131 


Wenn man daher fragt: wenn die Kabbala 
entſtanden fey; fo muß man unterſcheiden, ob 
man die muͤndlichen Ueberlieferungen, oder ritua⸗ 
len, dogmatiſchen und hiſtoriſchen Traditionen der 
Juden uͤberhaupt, oder das ausgebildete juͤdiſche 
Emanationsſyſtem, wie es ſich z. B. im Buche 
Sohar und Jerira findet, darunter verſtehe. In 
jenem weikern Sinne war die Kabbala ſchon früs 
he, und bald nach dem babyloniſchen Exil vor. 
handen; denn es finden ſich Spuren derſelben in 
den Apokryphen des. A. T. won im Joſephus ), 

SING wenn 


— 2 * A * 5 2 PEN 


— 


5 So kennt z. B. Joſephus (S. §. 21.) und 
die alexandriniſche lleberſetzung (ſ. 5. 23.) die 
Tradition, vom Fall der Engel (Genſ. 6, 2.) 
Auch Joſephus legt den Urvaͤtern vor Abraham 
und dieſem ſelbſt eine beſondere tiefe Kenntniß 
goͤttlicher Dinge bei; auch er kennt allegoriſche 
Deutungen des Cerimonialgeſetze es. — Das Buch 
Tobias nennt (K. 3, 8.) einen Daͤmon Asmodaͤus, 
wahrſcheinlich ein chaldaͤlſcher Nawe, der nach dem 
chald. 100d, apoſtata, von 0 defecit a re- 


ligione, gebildet iſt, und einen Abgefallenen 
bezeichnet; und dleſer hat ſich gleichfalls (K. 6, 
14, vergl. K. 3, 8.) in die Sarah verliebt. Ja 
Rees ſcheint ſich ſchon in den LXX eine Spur von 
dem geheimen Alphabeth der Kabbaliſten zu fin⸗ 
den. „Was (ſagt der Verf. der geheimen Leh⸗ 


re der alten Orient. und Juden ꝛe. S. 24. ff.) 


die LXX für Anleitung gehabt haben), die hebr. 
Worte Opa, Jerem. 51, 1, durch xar- 
Jabs zu uͤberſetzen, ſcheint vollkommen unbegreif⸗ 
lich zu ſeyn. Die Erklärung hierüber iſt, 105 


132 Die Kabbaliſten. 


wenn auch noch nicht unter dem Namen und in 
der ſyſtematiſchen ſcharfſinnigen Form, die fie 
fpäterhin erhielt. Daß das Wort im N. T., 
namentlich 1 Tim. 1, 15. und K. 4, 19. vor⸗ 
komme, und unter dem Worte Kro n zu vers 
ſtehen ſey, wie außer mehrern aͤltern Auslegern 
(ſ. Wolfii biblioth. hebr. T. II. p. 1194.) 
auch Horn (bibl. Gnoſis, S. 353.) behauptet 
hat, iſt wohl ohne Grund, da m νZhier in 
ſeiner gewoͤhnlichen Bedeutung den beſten Sinn 
giebt, und als Kabbala (traditio) gezwungen er⸗ 
klaͤrt werden muß. 


Die Kabbala im engern Sinne, oder das 
Emanationsſyſtem der Kräfte aus Gott, bildete 
ſich erſt fpater um Jeſu Zeit und nachher aus; 
bekam aber ſpaͤterhin manche Zuſaͤtze aus der ale⸗ 
xandriniſchen Religionsphiloſophie, fo wie aus der 
Magie und Theurgie, und aus Rabbiniſchen Le⸗ 

N gen⸗ 


kabbaliſtiſchen Regeln, dieſe: wenn die Haͤlfte des 
hebr. Alphabeths von der Rechten zur Linken 
und die andere Hälfte zuruͤck, von der Linken 
zur Rechten geſchrieben wird: ſo kommt der letz⸗ 
te Buchſtab gerade unter den erſten, der vors 
letzte kommt unter den zweiten und ſ. f. Dieſe 
geheime Schreibart, welche die Kabbaliſten 
Achbafch nennen, wird auf die Art angewandt, 
daß anſtatt der rechten Buchſtaben die genom⸗ 
men werden, welche gerade unter oder über dens 
ſelben ſtehen, und ſo entſteht W . 


anſtatt pn. “u 


Die Kabbaliſten. 133 


genden). — Man muß ſich alſo huͤten, die ſpaͤ⸗ 
tern kabbaliſtiſchen Schriften mit den aͤlteſten in 
eine Klaſſe zu werfen, und aus ihnen das ganze 
Syſtem des Kabbalismus ableiten wollen. Die⸗ 
ſen Fehler begiengen Mirandola, Reuchlin, 
Paulus Riccius, Knorr von Roſenroth 
und ſelbſt Corrodi in feiner kritiſchen Geſchich⸗ 
te des Chiliasmus. Die Schriften, welche die⸗ 
ſe Maͤnner uͤber die Kabbala geſchrieben haben, 
ſind daher mit Vorſicht zu brauchen, und es iſt 
immer zu unterſuchen, was aͤlteſte Kabbala war, 
und was ſpaͤtere rabbiniſche Ideen ſind. Be⸗ 
lehrend und nuͤßlich wuͤrde es ſeyn, wenn man 
die Spuren der Kabbala in den Schriften der 
Juden vom Exil an bis herab ins dritte Jahr⸗ 
hundert nach Chriſto verfolgte, und dann auch 
die kabbaliſtiſchen Schriften der Rabbinen nach 
der Chronologie claffificirte und behandelte. Bis 
jetzt iſt noch wenig dafuͤr geſchehen, da die ge⸗ 
nannten Gelehrten dieſes nicht beobachtet, und in 
neuern Zeiten (außer von Horn, und einigen an⸗ 
dern die angefuͤhrt werden ſollen) wenig fuͤr das 
kabbaliſtiſche Syſtem iſt gethan worden. 


Die vorzuͤglichſten und aͤlteſten kabbaliſti⸗ 


ſchen Schriften ſi ſind erſtlich das Buch Jetzira, 
deſſen 


9 S. Horn über die bibl. Gnoſis S. 407. Wol- 
fii bibl. hebr. T. II. p. 1207 ſqq. und 1213 ſqq. 
Buddei introd. ad hin, Philoſ. Ebraeor. ed. 
nou, (Hal. 1720. . ) p. 511. fgg. 


1 * 


134 Die Kabbaliſten. 


deſſen Verfaſſer wahrſcheinlich der Rabbi Akib ha, 
der kurz nach der Zerſtoͤrung Jeruſalems lebte, 
iſt. Sein Buch iſt aber, wie wir es jetzt be⸗ 
ſitzen, mit fremden Zuſaͤtzen vermehrt ). Es kam 
heraus in einer lateiniſchen Ueberſetzung von Joh. 
Steph. Rittangel, Amſterd. 1642. 4. % Das 
andere wichtige kabbaliſtiſche Buch, das Buch So⸗ 
har, ſoll der Schuͤler Akibha's, Rabbi Simeon 
Ben Jochai, geſchrieben haben, und es enthaͤlt, 
wie das erſtere, verarbeitete Aufſaͤtze aͤlterer Kab⸗ 
baliſten und muͤndliche Ueberlieferungen, und iſt 
gleichfalls mit ſpaͤtern Zuſaͤtzen bereichert ““). 

Die 


) Vergl. Brucker hiſt. crit. philof. T. II. p. 
834. . 

770 Ueber die Ausgaben deſſelben f „Wolf bibl. 
hebr. T. I. p. 23. ff. Burtorf bibliotl, rabbi- 
nica p. 353. und Petr. Lambecius ! in pro- 
drom, hift, liter p. 52. 


K) S. Brucker a. a. O. Jul. Bartoloceius 
bibl. rabbin, magn. T. IV. — Wolfi bibl. 
hebr. 1.1, Knorr a Rolenroth Kabbala denuda- 
ta Tom. II. Buxton, bibl. rabbin. p. 319 ff. 
Ihrer Merkwuͤrdigkeit wegen ſey es mir erlaubt, 

N zel Stellen des Buchs Sohar anzufuͤhren, die 
Schmidt in ſ. Biblioth. f. Kritik und Exe⸗ 
geſe ꝛc. 1. B. 1. St. ausgehoben hat. — S. 
40. „Sohar. Th. I. fol. 88.“ Das Buch Ra⸗ 

ja Mehimna ſagt: von dir [dem Meffias] 
wird geſagt: kuͤſſet den Sohn; du biſt der Herr 
von Iſrael, der Herr des 1 der Herr 
det Engel des Dienstes um N * PD 


Die Kabbaliften 135 


Die ſpatern kabblaiſtiſchen Schriften, die man bei 
Wolf und Buddeus *) angeführt findet, find 
weit weniger brauchbar, und enthalten ſchon eine 
unreine, durch rabbiniſche Traͤume und Maͤhrchen 
entſtellte Kabbala. 


Das Syſtem der Kabbaliſten hier aufzu⸗ 
fuͤhren, wuͤrde theils zu weitlaͤuftig ſeyn, da es 
ein gerundetes Ganze iſt, theils hier nicht an ſei⸗ 
nem Orte ſtehen. Darſtellungen deſſelben findet 
man bei Buddeus a. a. O. Brucker hilt. crit. 
phil. T. II. und Tom. VI. bei Eiſenmen⸗ 


ger, 


der Sohn des Höchſten (Ny ), der Sohn 
des Heiligen, Hochgelobten, und die Wohnung 
der Gnade (TOT NM). — S. 48. 
f. „Sohar Th. II. Fol. 35. „Im Garten 
Eden iſt ein Tempel, welcher der Tempel der 
Kranken genannt wird. Der Meſſias gieng in 
dieſen Tempel und rief allen Lelden, allen 

Schmerzen, allen Zuͤchtigungen Iſtaels, welche 
kommen ſollen. Und ſie kamen alle uͤber ihn. 

Und waͤre er es nicht geweſen, der Iſrael von 

ihnen erleichtert, und ſie auf ſich genommen 
haͤtte, ſo waͤre kein Menſchenſohn (39 2) 
geweſen, der es vermocht haͤtte, die Zuͤchtigungen 
Iſraels zu ertragen 55 Dh, 
die ſie wegen der Strafen des Geſetzes haͤtten 
ertragen muͤſſen. Dies iſts, was geſchrieben 
ſteht: er trug unſre Krankheit ꝛc. 


9 introd. ad philoſ. Ebraeor. p. 143. ff. 


136 Die Kabbaliſten. 


ger, in ſ. entdecktem Judenthum (Koͤnigsb. 1711. 
2 Thle 4), wiewohl dieſe Schrift nur zerſtreute 
Bemerkungen daruͤber enthaͤlt. De la Nauze 
über das Alter und die Entſtehung der Kabbals; 
in Hißmans Magazin fuͤr die Philoſophie und 
ihre Geſchichte ı Thl. S. 245 ff. Tiedemanns 
Geiſt der fperulativen Philoſoph. 8. B. S. 137. 
— in mehrern Abhandlungen in den Beitraͤgen 
zur Beförderung des vernunft. Denkens ꝛt. die 
bei den Huͤlfsmitteln zur juͤbiſchen Theologie uͤber⸗ 
haupt angefuͤhrt werden ſollen; beſonders im 16. 
Heft S. 152 ff. Kleuker, uͤber den Urſprung 
der Emanationslehre bei den Kabbaliſten. Riga 
1786. 8. — Horn über die bibl. Gnoſis S. 
348 ff. und S. 404 ff. Hallenberg in dem 
Buche: „Die geheime Lehre der alten Orientaler 
und Juden zur innern und hoͤhern Bibelerklaͤrung 
(Roſt. und Leipz. 1805) S. 85 ff. wiewohl dies 
ſer Verf. in den Fehler der aͤltern Bearbeiter 
des kabbaliſtiſchen Syſtems gefallen iſt, daß er 
namlich die reinere und unreinere Kabbala nicht 
gehoͤrig ſcheidet. Dieſes gilt auch von der weit⸗ 
Aauftigeren Darſtellung des Kabbalismus, die bes 
ſonders Knorr von Roſenroth in der Cab- 
bala denudata, Solisbaci 1667. 2 Tomm. 4. 
gegeben hat, (von welchem Werke man eine weit⸗ 
laͤuftige Nachricht bei Buddeus intr. ad phi- 
J0ſ. hebr. p. 280 ff. findet,) und auch von 
Corrodi in ſeiner kritiſchen Geſchichte des Chi⸗ 
ltasmus 1. B. S. 2 ff. und S. 40 ff. und an 
andern Orten. 

Die 


Die Kabbaliſten. 137 


Die aͤltern Schriften über die Kabbala fin⸗ 
det man bei Wolf in der bibl. hebr. Tom. 
II. p. 1243 ff. und uͤber die Sephiroth na⸗ 

mentlich p. 1228 angegeben. — Außerdem ge⸗ 
hoͤren noch hieher folgende zwei Abhandlungen: 
Joel Loͤwe, einige Bemerkungen über die Se 
phiroth; in Eichhorns Biblioth. 5. B. 3. St. 
377-398. und Eichhorn, über die Perſoni⸗ 
fikationen der Eigenſchaften Gottes unter den ſpaͤ⸗ 
tern Juden; in der ee 3 B. 2 St. S. 
nz \ 

Was den Gebrauch der kabbaliſtiſchen Schrif⸗ 
ten fuͤr das N. T. anlangt; ſo iſt derſelbe von 
mehrern aͤltern Exegeten getadelt, von mehrern 
aber ſehr empfohlen worden ). So gewiß es 
iſt, daß die Traͤumereien der ſpaͤtern Kabbaliſten 
für die hiſtoriſch⸗ dogmatiſche Exegeſe von keinem 
Werthe ſind; ſo wenig kann man dieſes von der 
der aͤltern und reinern Kabbala ſagen; beſonders 
wenn man das Wort in weiterm Sinne nimmt, 


und 


5 Buddeus introd. sd hift. philoſ. Ebr. p. 510. 
 „fieri potuit, vt ad certas ludaieorum ile 
phorum hypotheſes aut loquendi formulas, in 
quantum iftae veritati coelefti non repugna- 
bant, ſubinde fcriptores ſacri N. T. alluderent.“ 
Ueber den vierfachen Nutzen den hermeneutiſchen, 
dogmatiſchen, elenchtiſchen und hiſtoriſchen der 
Kabbala bei Erklärung des N. T. ſ. Wolfi 
bibl. hebr. T. II. p. 1238-1242. 


138 Die Kabbaliſten⸗ 


und die ganze eſoteriſche Religtonsphiloſophie der 
Juden, wie ſich dieſelbe ſeit dem Einfluß der 
perſiſchen in Paläſtina und Perſten bildete, dar⸗ 
unter verſteht. Vielmehr muß uns dieſe von 
vieler und gloͤßerer Wichtigkeit als die alexan⸗ 
driniſche ſeyn, da ſie in Palaͤſtina einheimiſch war, 
und ihre Lehren und religioͤſe Sprache den Zeit⸗ 
genoſſen der Apoſtel nicht unbekannt ſeyn konnte. 


Namentlich ſetzt der Verfaſſer des Briefs an 
die Hebraͤer, wenn er die altteſtamentlichen Einrich⸗ 
tungen auf Jeſum und deſſen Schickſale anwen⸗ 
det, eine Tradition uͤber die Auslegung derſelben 
voraus, und die Apokalypſe duͤrſte wohl noch meh⸗ 

reres enthalten, was aus der Kabbala erlaͤutert 
werden kann. Siehe Eichhorns Erklärung der 
Apokalypſe ). 
e 0 Als 


*) Wolf in der bibl. hebr. T. II. p. 1201. ur⸗ 
theilt ſehr richtig: Chriſtus et fcriptores facri 
interpretationes tum typorum, tum obſcurio- 
rum V. T. locorum, quae quoad externas voces 
aliud quid innuere videbantur, vel non cum 
tanta fidueia Iudaeis ſuae aetatis obuertere vo- 
luiſſent, vel fruetum exſpectare non amplum 
potuiſſent, niſi ſeiuiſſent, le ex conceſſis et cogmi. 
ric vtringue principiis diſputare. Huc retero 
argumentationem pro reſurrectione mortuorum >_ 
ex Matth. XXII, 32. etc. pe 1202. „Omit- 
to commemorare res varias, quse a Chrifto et 
Apoſtolis eius Iudaeis de rebus maiorum fuo- 
rum ita narrantur, vt, quamuis earum in ſeri- 

Pturis 


Die Kabbaliſten. 139 


Als Beiſpiel der Erläuterung des N. T. 
aus der Kabbala vergleiche man die Erklaͤrung 
des Vater unſer, die man bei Bud deus in der 
introd. ad hift. philoſ. Ebr. p. 285 ff. fitt- 
det. Vorzuͤglich hat man ſich bemüht), zu zei⸗ 
gen, daß die Kabbala eine Dreiheit in Gott leh⸗ 
re, die mit der chriſtlichen Lehre von der Drei⸗ 
einigkeit ſehr verwandt ſey. Zur Vergleichung 
mag hier Einiges aus Hallenbergs geheimer 
Lehre der alten Orientaler ꝛc. ſtehen, für deſſen 
Richtigkeit ich aber nicht buͤrgen kann. 

„In den Schriften der Juden, (ſagt der 
Verf. S. 93), kommen uͤberall die Einheit und 
Dreieinigkeit Gottes, fo wie die Heiligkeit der 

Siebenzahl und Dreizahl vor. Gott wird eigent⸗ 
lich unter dem Namen Einer oder Einheit 
beſchrieben, welches auch als dem Namen Vater 
unfer, der da iſt in den Himmeln, entſpre⸗ 
chend betrachtet wird.“ — — „Wenn Gott (S. 
94) in Anſehung der Art ſeines Daſeyns betrach⸗ 
tet wird, wird er mit der dreifachen Zeit, der 
vergangenen, gegenwaͤrtigen und zukuͤuftigen ver⸗ 
glichen, er wird in dieſer Hinſicht als dretei⸗ 
nig betrachtet, welches durch die Buchſtaben 
Ih v h (lehouah) angedeutet wird, mit welchen 
man das Weſen and das war, das iſt 
und 


— 


pturis mentio non extet, illae tamen fine exce- 
ptione admiflae fuerint. Matth. XXIII, 35. 2 
Tim. IV, 8. Iud. v. .“ 


140 Die Kabbaliſten. 


und das ſeyn wird. Wenn Gott in Anſe⸗ 
hung ſeiner Wirkungen in der Welt betrachtet 
wird, wird er unter einer Siebenzahl vorgeſtellt, 
und als ſiebeneinig angeſehen. Wenn er ſo⸗ 
wohl ſeinem Weſen als ſeinen Wuͤrkungen nach 
betrachtet wird, wird er als zehneinig ange⸗ 
ſehen, und mit der Zehnzahl, mit dem Namen 
der zehen Sephiroth bezeichnet.“ — — — S. 
164. Nach der Gematria, oder der Berech⸗ 
nungskabbala verſichert der Verf., daß die Ju⸗ 
den dieſen Sinn im Namen Jehova enthalten 
glaubten: Vater, Sohn und heiliger Geiſt. 
„Bold wird, fahrt er S. 165. fort, der Name 
Jehova ſo ausgerechnet, daß er einen aus zwei 
und vierzig Buchſtaben beſtehenden Satz ausmacht, 
und nach der Meinung eines der angeſehenſten 
juͤdiſchen Lehrer“) dieſe Worte enthalt: Gott der 
Vater, Gott der Sohn, Gott der heil. Geiſt; 
drei in Einem, und Einer in dreien.“ 

§. 28. 


*) Rabbi Hakkadofch, ap. Kirch. Oedip. Aegypt. 
T. II. p. 246. „Ex nomine duodecim litera- 
„rum emanat nomen 42 literarum, quod eſt 
„o pn min Dinbn 12 DINON DIN 
„ an MIND MUNG, pater Deus, 
„flius Deus, Spiritus ſauctus Deus, trinus in 
„uno, duus in trino, quae in Hebraico 42 li- 
„terae. Notare autem debes, haec nomina eſſe 
„ex diuinis arcanis, quae a quocunque occul- 
„tari debent, quousque veniat Meſſias iuſtus 
„nolter, 5155 


Der Talmud. 141 


§. 28. ö 
k) Der Talmud. 


Die Lage der Juden um Jeſu Zeit, die ſo 
ſehr verſchieden war von der, unter welcher ſie 
das moſaiſche Geſetz bekamen; die ganz veraͤn⸗ 
derten Umſtaͤnde und die Lange der Zeit hatten 
den Juden fuͤhlbar gemacht, daß das moſaiſche 
Geſetz, als Codex der buͤrgerlichen Geſetze, nicht 
mehr ausreichend, daß manches in ihm nicht bes 
ſtimmt ſey, uͤber welches das aͤngſtliche Gewiſſen 
des Juden Entſcheidung wuͤnſchte, und daß eine 
ganz neue und veraͤnderte Lage auch Veraͤnde⸗ 
rung und Ergaͤnzung der Geſetze erfordere. — 
Die Nabbinen, oder die Ausleger des moſaiſchen 
Geſetzes und juͤdiſche Rechtsgelehrte, halfen ſich 
hierbei theils dadurch, daß ſie das Geſetz will⸗ 
kuͤhrlich auslegten, und oft ſehr heterogene neue 
Geſetze aus aͤltern ableiteten; theils dadurch, daß 
fie ſelbſt Ver haltungsregeln und En ſcheidungen ga⸗ 
ben, die bei dem großen Anſchen, in dem fie ſtan⸗ 
den, geſetzliche Kraft hatten, und fuͤr eben fo 
guͤltig und heilig gehalten wurden, als das mo⸗ 

ſaiſche Geſetz ſelbſt. Und geſchah es auch bis⸗ 
weilen, daß ſich die Rabbinen in Entſcheidung 
der Geſetzfragen widerſprachen, wie die Schule 
Hillels und Schammai's; ſo that dieſes doch ih⸗ 
rem Anſehen keinen Eintrag. 


Auch dieſes, die Entſcheidungen neuer Ver⸗ ü 
bältmiffe aus alten Gefegen, ihre Ausſpruͤche über 
recht⸗ 


142 Der Talmud. 


rechtliche Streitfragen, und alle ihre Zuſaͤtze und | 
Lehren, die ſich auf die bürgerliche Verfaſſung 
und den Cerimonialgottesdienſt bezogen, machte 
einen Theil der muͤndlichen Tradition aus, und 
im zweiten Jahrhundert beſchaͤftigten ſich die Ju⸗ 
den ſehr ernſtlich, dieſe Ausſpruͤche der Rabbinen 
zu ſammeln und aufzuſchreiben. Beſonders war 
dieſes das Geſchaͤft des Rabbi Juda, mit dem 
Beinamen der Heilige (ums Jahr 150 nach 
Chr. Geb.), der dieſe Traditionen von den aͤlte⸗ 
ten Zeiten an ſammelte und aufſchrieb. Daraus 
entſtand das Buch end NED, deuregaris, 
das zweite Geſetz, oder die Tradition, ge⸗ 

woͤhnlich die Miſchna genannt; ein Buch, das 
mit lautem Beifall von den Juden aufgenommen, und 
von den Rabbinen haͤufig commentirt wurde. Den 
beruͤhmteſten Commentar ſchrieb der Rabbi Jo⸗ 
chanan, das Haupt der paͤlaͤſtinenſiſchen Syna⸗ 
goge (er lebte wahrſcheinlich im Jahr 230 nach 
Chr. Geb. nach andern noch ſpaͤter), deſſen Com⸗ 
mentar den Namen Gemara, (Na, Vol⸗ 
lendung, nach andern: Lehre) erhielt, und mi tder 
Miſchna den Jeruſalemitaniſchen Talmud 


ausmacht.) 
Als 


„) Ueber die Erklärung des Wortes Won ſind 
zwar ſelbſt die Rabbinen nicht ganz einig; aber 
es heißt wahrſcheinlich Lehre, von . S. 
Wolfii bibl. hebr. T. II. p. 658. — Auch die 
Miſchna allein hieß oͤfters im engern Sinne 
Talmud; ſ. Wolf. a. a. O. p. 660. 


| Der Talmud. 143 


Als nun die Juden im Jahr 230 und ſpaͤ⸗ 
terhin meiſtens nach Babylonien zogen, und die pa⸗ 
laſtinenſiſchen Schulen eingiengen, ſo machten die 
babyloniſchen Rabbinen, bei denen die Jeruſalemi⸗ 
taniſche Gemara nicht ſo viel Anſehen hatte, ei⸗ 
nen neuen Commentar über die Miſchna, der end⸗ 
lich von verſchiedenen Verfaſſern ohngefaͤhr im 
Jahre 500 nach Chr. vollendet wurde; und dar⸗ 
aus entſtand der babyloniſche Talmud. 


Der Jubalt dieſer Schriſten betrifft, wie 
ſchon erinnert worden, vorzuͤglich das buͤrgerliche 
und Cerimonialgeſetz der Juden, und die Ausſpru⸗ 
che der Rabbinen uͤber dieſelben. Außerdem aber 
enthalten ſie auch noch viele rabbiniſche Maͤhr⸗ 
chen, und einen Theil der dogmatiſchen und bis 
ſtoriſchen Tradition; daher fie fir die ju diſche 
Theologie und den Sprachgebrauch derſelben nicht 
zu vernachlaͤſſigen find. Welche Bücher des Tal: 
muds vorzüglich verglichen werden muͤſſen, naͤm⸗ 
lich die Miſchna und Gemara, leuchtet aus Obi⸗ 
gem von ſelbſt ein. Denn dieſe Buͤcher ſind die 
aͤlteſten, und folglich dem apoſtoliſchen Zeitalter 

und dem N. T. die nächſten. dan findet auch 
in ihnen einen Theil der moraliſchen Ausſpruͤche 
des N. T., und ſie verdienen alſo auch in dieſer 
Ruͤckſicht eine e *). — Die ſpaͤtern 
Rab⸗ 


— nn — 


*) Ueber die Sittenſehre der Rabbinen Vergl. 
1 88 Scharbau difl. hiftorico- moralis de 
fäatis 


— 


144 Dier Talmud. f 


Rabbinen aber kommen bei der Erklaͤrung des N. 
T. weiter nicht in Betrachtung, da ſie zu jung 
ſind, zu viele laͤppiſche Fabeln und Maͤhrchen ha⸗ 
ben, und auch von dem Einfluſſe platoniſcher und 
ariſtoteliſcher Philoſophie nicht frei blieben. In 
dieſer Ruͤckſicht muͤſſen vorzuͤglich Joh. Andr. 
Eiſenmengers entdecktes Judenthum, Koͤnigsb. 
1711. 2 Theile, 4. und Heinr. Corrodi's 
(anonym herausgegeben.) kritiſche Geſchichte des 
Chiliasmus, Zuͤrch 1781, 83. 3 Theile 8. nicht 
ohne Vorſicht gebraucht werden; denn der letzte⸗ 
re mußte nach feinem Plane die fpatern Rabbi⸗ 
nen mit aufnehmen, ohnerachtet er fie haͤufiger 
mit den aͤltern vermiſcht hat, als noͤthig und 
nuͤtzlich war, und der erſtere hat ſich noch weit 
weniger an die Chronologie gebunden, und die 
Ausſpruͤche alter und jüngerer Rabbinen durch 
einander geworfen. 


Da wir von Wetſtein in feiner Ausgabe 
des N. T., von Lightfoot, Schoͤttgen, Meu⸗ 
ſchen u. a. m. viele Erlaͤuterungen des N. T. aus 
dem Talmud und den Rabbinen erhalten haben; 
fo verweiſe ich hier, in Ruͤckſicht der Beiſpiele, auf 
jene Schriften. Ueber den Talmud und die Rab⸗ 

binen 


— Tu — 


fatis ſtudii moralis inter Hebraeos Lipſ. 1712. 
36 S. 4. — Vergleichung einiger Sittenkehren 
Jeſu und der Phartſaͤer [Rabbinen]; in d. Bei⸗ 
traͤgen zur Deford, des Nenänit Denk. ꝛc. 5. 
St. S. 90-105, 


Der Talmud. 145 


binen f. Wolfs bibl. hebr. namentlich T. II. p. 
658-882. Buddeus, introd. ad hiſt. phi- 
lof. Ebr. namentlich p. 118. ff. Herm. Koͤ⸗ 
chers noua bibl. hebr. T. II. (Gen. 1783. 84. 
II. PP. 3.) Fabricius bibliogr. antiquar. cap. 
1, 10. Die Ausgaben des Talmuds ſ. bei Wolf, 
bibl. hebr. T. II. p. 882-913. — Miſchna- 
cum clariſſimorum Rabbinorum Maimonidis 
et Bartenorae commentatiis integris, quibus ac- 
cedunt variorum auctorum notae ao verſiones 

in eos, quos ediderunt, codices, ‚latinitare do- 
nauit ae notis illuflrauit Guil. Surethuſius. 
Amiſt. 1698 - 1703. 6 Theile Fol. — Miſch⸗ 
nah, oder der Text des Talmuds — aus dem 
Hebr. uͤberſetzt, umſchrieben und mit Anmerkk. 


erläutert von Joh. Jak. Rabe. Onolzbach 


1760-63. 6 Theile gr. 4. 


Erlaͤuterungen aus den Rabbinen und dem 


Talmud findet man in den Commentaren von 
Grotius und Wetſtein. Vorzuͤglich in Jo. 
Drufii adnotationibus in totum Ieſ. Chr. Te. 
ſtamentum, ſ. Praeteritorum libri X. Franequ. 
1612. 4. — lo. Lightfoot horae hebraicae 
et talmudicae, cura lo. Ben. Carpzouii, 
Lipf. 1679. 4. und in dem 2. Thl. von Light. 
foots opp. (edit. 2. VItraj. 1699. 2 B. Fol.) 
— Chr. Schoettgen horae hebraicae et 
talmudicae in vniuerſum N. T. Dresd. 1733. 
4. T. II. horae ebr. et talm. in theologiam 
Iudaeorum dogmaticam antiguam et ortho- 

K do- 


146 Die Sabäͤer. 


doxam de Meſſia impenſae. Dresd. 1742. 4. 
— Eine Sammlung einzelner Abhandlungen von 
Danz, Witſius, Scheid und Rhenferd, 
die Erläuterungen des N. T. aus den Rabb. 
und den Talmud enthalten, iſt: To. Gerh. Meu- 
ſchen, N. T. ex Talmude et antiquitatt. he- 
braeorum illuſtratum. Lipf. 1736. 4. 


Von der Uebereinſtimmung der irrigen und 
elenden Vorſtellungen der Chriſten mit den alber> 
nen und fanatiſchen Ideen der Juden; in den 
Beiträg. z. Befoͤrd. ꝛc. 1. Heft S. 44-75. — 
Beſchreibung des Weltgerichts nach dem Talmud; 
in Schmidts Biblioth. für Kritik und e 20. 
2. B. 1. St. S. 72 82. a 


g. 29. 
I) Die Sabaͤer. 


Ein mit dem Chriſtenthum parallel laufen⸗ 
fender Abkoͤmmling des Judenthums iſt die Sek⸗ 
te der ſogenannten Sabaͤer, welche aus der 
Schule Johannis des Taͤufers entſtanden iſt, und 
dieſen als ihren Lehrer, als einen goͤttlichen 
Geſandten, und vielleicht auch als ihren Meſſias 
verehrt. Sie wuͤrde hier gar keiner Erwaͤhnung 
verdienen, faͤnden ſich nicht im N. T. Spuren 
derſelben (z. B. Apoſtelg. 19, 1-7. K. 18, 24 
ff.) haͤtten nicht beruͤhmte Exegeten behauptet, 
Johannes habe namentlich gegen ſie geſchrieben, 
haͤuſige Ruͤckſicht auf ſie genommen, und ſich deß⸗ 

we⸗ 


Die Sabaͤer. 147 


wegen auch der Ausdruͤcke Oos, Aoyos u. ſ. w. 
bedient, und waren fle endlich nicht ein ziemlich 
reiner Stamm der zoroaſtriſchen Religionsphilo⸗ 
ſophie. Denn dieſe iſt die Grundlage ihres gan⸗ 
zen Syſtems, ſo weit wir dieſes kennen. Ueber 
fie, ihre Schriften und Lehren ſ. Walch. de 
Sabaeis, in den Commentatt. Soc. Reg. Goett. 
T. IV. part. philol. — Norberg de reli. 
Ede et Lingua Sabaeorum; Ebendaſ⸗ T. III. 
p. 26 ff. — Tychſen uͤber die Religionsſchrif⸗ 
ten der Sabier oder Johannischriſten. In Stauds 
lins Beitraͤgen zur Philoſ. und Geſchichte der 
Religion und Sittenl. ꝛc. 2. B. S. 289 ff. 3. 
B. S. 208 ff. 226 ff. — Bruns in dem 
Repertor. für bibl. und morgenlaͤnd. Literat. 12 
Thl. — J. E. Chr. Schmidt, über die Jo⸗ 
hannisjuͤnger, die Sabiſchen Religionsbuͤcher und 
den Zweck des Evangel. Johannes; im fein. 5 

blioth. für Kritik und Exegeſe des N. T ꝛc. 
B. 2. St. S. 266 — 293. und Beilagen bal 
zu, ebendaſ. 1. B. 3. St. S. 420 — 430. — 
Overbeck, neuer Verſuch uͤber das Evangel. 
Johannis. Gera, 1784. 8. — G. C. Storr, 
uͤber den Zweck der evangeliſchen Geſchichte und 
der Briefe Johannes. Tuͤbing. 1786. 8. — 
Ueber die Johannisjuͤnger von Lindemann. 
In Eichhorns Biblioth. 10. B. S. 879— 
88. — Ignatius a leſu narratio originis, 
rituum et errorum Chriſtianorum S. Iohan- 
ee a — Jak. Bioͤrnſtahls 
Ra Brie⸗ 


148 Zend s Avefta, 


Briefe über feine anslaͤndiſchen Reiſen; 6. Band 
2. Heft (1783. 8.) 


L. 30. 
2) Perſiſche Quellen der orientaliſchen 
Religionsphiloſophie. 
HOhngefaͤhr 600 Jahr vor Chriſti Geburt 
lebte Zoroafter , von den Perſern Zerduſcht ge⸗ 
nannt, in Medien, und verbeſſerte die alte magi⸗ 
ſche Religion. Der Hauptſitz ſeiner Lehre ward 
Bactra und das mediſch⸗ bactriſche Reich, und er 
uͤbergab ſein Geſetz den Magiern, einer mediſchen 
Kaſte, zur Aufſicht und Aufbewahrung. Die 
Perſer, ein wildes, den Mediern unterworfenes 
Bergvolk warfen unter Anfuͤhrung des Cyrus das 
mediſch⸗ bactrifche Reich in der Schlacht bei Pas 
ſargada (ohngefaͤhr 560 vor Chr. Geb.), und 
breiteten die Religion Zoroaſters in allen Laͤn⸗ 
dern des Orients aus, ſo weit ihr Schwert 
reich⸗ 


n Ich folge bei dieſer Angabe den Unterſuchun⸗ 
gen von Heeren, (Ideen uͤber die Politik, 
den Verkehr und den Handel der alten Welt. 
2. Thl. S. 399 f.) Foucher (memoires de 
Y Acad. des Inſeript. tom. 31.), Buhle 
(Lehrb. der Geſch. der Philof, 1. B. S. 73.) 
und Horn (über die bibl. Gnoſts S. 115 f.). 
Nach Hyde (de relig. vet. Perſ. p. 312 ff.) 

Kleuker Gend- Aveſta 1. Th. S. 41.) und 
Anquetil lebte er unter Darius Hyſtaspis, 
alſo in der Mitte des sten Jahrh. vor Chr. 


— 


Zend » Avefta. 149 


‘reichte. Der Sturz des Perſiſchen Reichs durch 
Alexander, war auch das Ende ihrer Bluͤthe. 
Sie erlitt, waͤhrend der Unruhen unter ihm und 
ſeinen Nachfolgern manche Veraͤnderungen, und 
ward theils vergeſſen, theis mit Zufagen entſtellt. 

eit der wiederkehrenden Freiheit Perſiens, und 
dem neuen Flore des Reichs unter den Arfacis 
den und den Saſſaniden bluͤhete auch ſie wieder 
auf, und ward nach den Zendbuͤchern verbeſſert, 
endlich aber im 7. Jahrh. durch die Araber ge⸗ 
ſtuͤrzt; ſo daß ſie ſich jetzt nur noch bei den 
Fluͤchtlingen des geſtuͤrzten Reichs, bei den Khe⸗ 
bern findet, von denen wir auch durch Anquetil 
den Zend⸗Aveſta erhalten haben. 


Ob aber gleich mehrere Gelehrte die Aecht⸗ 
heit der Zoroaſtriſchen Schriften theils heftig, 
theils gelehrt und 1 8 unig *) angegriffen ha⸗ 

ben; 


) Lettre à Mf. Anquetil du Perron dans la quel- 
le eſt compris I examen de fa traduction des 
livres attribués à Zoroaftre. Londres, 1771. 
und edit. 2. 1777. 8. (von Jones). Deutſch 
iſt dieſer Brief befindlich in Hiß manns Mas 
gaz. für die Philoſophie 3. St. — Richard- 
fon difertat. on the literaturae, languages and 
manners of eaftern nations; fie ſteht vor feis 
nem Perſiſchen Lexikon, und iſt deutſch von Fr. 
Federeau, Leipz. 1779. uͤberſetzt worden. Leſſ⸗ 
über die Religion ꝛc. 1 Thl. (zte Aufl. Goͤtt. 
1786.) S. 404. der in ſeinem Urtheile dem 

N Driefe 


150 Zend » Avefta, 


ben; fo iſt es doch gewiß, daß wenigſtens ein 
Theil der Zindbücher, namentlich der Vendi— 
dad und das Buch Izeſchne, die beiden Haupt: 
ſchriften, von ſehr hohem Alter und achte Schrif⸗ 
ten Zoroaſters find *). 


Der Zend - Aveſta naͤmlich beſteht — 
aus folgenden Buͤchern; 1) „Das Buch Ize⸗ 
ſchne, ** das 2 Theile, oder 72 kleinere Ab» 
ſchnitte enthaͤlt. Es iſt nicht ſyſtematiſch, ſon⸗ 
dern liturgiſch, d. h. ſo abgefaßt, daß es zu Vor⸗ 
leſungen beim oͤffentlichen Gottesdienſt gebraucht 
werden kaun. Nimmt man alles Zufallige, was 
von neuerer Hand ſeyn koͤnnte, hinweg, ſo koͤnnte 
es eine Sammlung einzelner Betrachtungen ſeyn, 

deren 


Briefe von Jones folgt. Vorzuͤglich Meiners 
in einigen Abhandlungen in den Commentatt. 
Societ. Reg, Goetting” Vol. VII-IX, 

9) S. Kleukers Anhang zum Zend» Avefta e. 
B. 1. Thl. S. 157 ff. Tychfen de religio. 
num Zoroaftricarum apud exteras gentes veſti- 
giis; in den Comment. Soc. Reg. Goett. Vol, 
XI. und XII. Buhle, Lehrbuch der Geſchichte 
der Philoſophie 1. Thl. S. 64 1 Vergl. 
Horn, ber die bibliſche Gnoſis, S. 122. ff. 

n) Ich folge hier der Angabe vou Kleuker (in 
einen großen Zend Aveſta 2. B. 1. Thl. S. 
115 ff.) die ich, da ich bloß den Zend» 907 
im Kleinen beſitze, der Freundſchaft des Hrn. M 
Schott in Leipzig verdanke. 

1.) Izeſchne heißt; Erhebung der Seele, Ans 
dacht. 


* 


Zend Aveſta. 3 15 7 


deren Gegenſtand Erhebung der reinen und wohl⸗ 
thaͤtigen Natur iſt, vom Oberhaupt derſelben bis 
auf ihre einzelnen Diener herab. Alle chronolo⸗ 
giſche, hiſtoriſch und geographiſche Angaben ſpre⸗ 
chen dafuͤr, daß es ein achtes Werk Zoroaſters 
iſt, in dem bluͤhendſten Zuſtande der perſiſchen 
Monarchie, aber ſpaͤter als der Vendidad ge⸗ 
ſchrieben. — 2) Das Buch Viſpered ). Es 
beſteht theils in Erhebungen und Lobpreiſungen 
aller Oberhaͤupter der obern und untern Welt, 
theils in beſondern Liturgien bei dem Feuerdienſt. 
Dieſes Buch iſt unter allen vorhandenen Zend⸗ 
buͤchern am letzten geſchrieben, entweder von 
Zoroaſter, oder einem feiner erſten Nachfolger. 
— ) der Vendidad ). Er enthält keine 
Lobpreißungen und liturgiſchen Formulare, ſondern 
Offenbarungen des Ormuzd an Zoroaſter, deren 
Inhalt hiſtoriſch iſt, Regeln der Sittlichkeit, ein⸗ 
zelne Verordnungen fuͤr Ornuzddiener, und im 
18-22. Abſchnitt Entwickelung gewiſſer theolo⸗ 
giſcher Grundlehren, auf welche ſich alles Ande⸗ 
re bezieht. Dieſes Buch iſt vorzuͤglich wichtig, 
und after als alle übrige Zendbuͤcher. J) Jeſchts 
Sades, enthaͤlt, was der Name ſagt, Lobprei⸗ 
ßungen der vornehmſten himmliſchen Genien, naͤm⸗ 
lich des Ormuzd, der 7 Amſchaspands ꝛc. 5 
i 


— — — 


*) Bifpered heißt: Oberhaͤupter der Weſen. 
**) Vendidad heißt: gegen den Dew gegeben. 


| 152 Zend . Aveſta. 


iſt in 18 Abſchnitte getheilt und enthaͤlt vor⸗ 
zuͤglich eigene Ideen vom Geiſterreich und die 
Loca claſſica fuͤr den Naturdienſt der Perſer. 
Dieſe Jeſchts gehören in das Zoroaſtriſche Zeit⸗ 
alter, und ſind von mehrern ſpaͤtern Buͤchern 
gleiches Namens zu unterſcheiden. — 5) Sir u⸗ 
ze Y. Es iſt ein liturgiſcher Kalender, nach den 
30 Tagen des Monats abgetheilt, wovon jeder 
den Namen ſeines Schutzgenius fuͤhrt. Ueber ſein 
Alterthum laͤßt ſich nur dieß beſtimmen, daß es 
im Zend geſchrieben iſt, und eine Zeit voraus⸗ 
ſetzt, in der dieſer Kalender galt. 

Außer den eigentlichen Zendbuͤchern iſt noch 
das Buch Bun⸗Deheſch zu bemerken. Es 
macht keinen Theil *) des Zend-Aveſta aus, iſt 
aber zum Verſtande der Zendbuͤcher, in wie fern 
es ein Kommentar der Magier uͤber dieſelben 
iſt, ſehr dienlich. Es beſteht aus 34 Ab⸗ 
ſchnitten und enthaͤlt theils Theologie und Kos⸗ 
mogonie, theils Geſchichte der Natur und der po⸗ 
litiſchen Begebenheiten. Es iſt nach den Zend⸗ 
buͤchern geſchrieben, und, da es der Dynaſtie 
der Saſſaniden gedenkt, mit welcher das Perſi⸗ 
ſche Reich im 7ten Jahrh. untergieng, wahrſchein⸗ 
lich von tiefer Jugend. 


So 


— — äEmn äR—. 


4) Siruze heißt: 40 Tage. 
) S. Kleukers gend, Aeg im Ae S. 
106. not. 


Zend ⸗Aveſta. 153 


So wichtig auch dieſe Schriften fuͤr die 
Kenntniß der orientaliſchen Religionsphiloſophie 
uͤberhaupt ſind; ſo wenig dürfte ſich ein unkriti⸗ 
ſcher Gebrauch derſelben fuͤr die Darſtellung der 
juͤdiſchen Theologie und die hifforifch- dogmatifche 
Interpretation vertheidigen laſſen. Denn es iſt 
nicht zu laͤugnen, daß der Geiſt, der in den aͤch⸗ 
ten Schriften Zoroaſters weht, von dem Geiſte 
des Judenthums, bei der Zerfförung ihres Staa⸗ 
tes durch Titus, ſehr verſchieden iſt, und daß 
der Philoſoph zu Bactra anders dachte und phi⸗ 
ſophirte, als ein Pharifaͤer in Palaͤſtina. Hier 
zu kommt noch, daß die Zendbuͤcher, wie Kleu⸗ 


ker) bemerkt, nach ihrer jetzigen Form und 


Einrichtung nicht wohl von Zoroaſter ſelbſt kom⸗ 
men, ob ſie gleich groͤßere und kleinere Theile 
enthalten, die ſich, ſelbſt ihrer Form nach von 
Zoroaſter herſchreiben moͤgen, aber erſt nach ihm 
auf die Art zuſammengeſetzt ſind, wie wir ſie 
jetzt haben — Alles dieſes muß dem Ausleger 
des N T. große Vorſicht bei dem Gebrauche die⸗ 
fer Bücher empfehlen, und er hat, nach meiner 
Ueberzeugung die Erklaͤrung, die ſich auf eine 
andere Quelle ſtuͤtzt, allemal der vorzuziehen, die 
aus den Zendbüchern abgeleitet e koͤnnte. 

We⸗ 


— 


*) Zends Av. im Kleinen S. 34 f. vergl. mit dem 


2. B. im Anhang S. 147 f. des großen Zend⸗ 
A, von Kleuk. Pes 


154 Send ; Aveſta. 


Wenigſtens koͤnnnen dieſe Schriften nicht eher in 
weiterem Umfange zur Erklärung des N. T. 
benutzt werden, als bis man den hiſtoriſchen 
Satz als ganz ausgemacht anſieht, daß die Ju⸗ 
den waͤhrend des Exils die Hauptſaͤtze der Zoroa⸗ 
ſtriſchen Religion angenommen haben, und daß 
ihnen dieſe Saͤtze vorher unbekannt geweſen ſeyen. 
Indeſſen bleibt ſo viel immer gewiß, daß ſich im 
Zoroaſtriſchen Syſteme ſehr Vieles findet, was 
auch im N. T. vorkommt, (wie z. B. Engel, 
Daͤmonen, Auferſtehung) und daß man folglich 
dieſe Grundſaͤtzze und Lehren als allgemein im 
Oriente verbreitet betrachten, und ſchließen kann, 
daß auch im N. T. mit den Worten, welche 
ſich auf jeue Lehren beziehen, daſſelbe bezeichnet 
werde. Dabei bleibt aber immer noch der Fall 
zu unterſuchen uͤbrig, ob nicht dieſe Lehren bei 
den Juden eine beſondere Modiſikation erlitten 
hatten. So iſt z. B. ein weſentlicher Unterſchied 
zwiſchen den Daͤmonen der Juden und den Dew's 
Zoroaſters. S. §. 36, f 
Ueber das Religionsſyſtem Zoroaſters ſind, 
außer den ſchon angefuͤhrten Schriften, noch fol⸗ 
gende zu bemerken: das unvollſtaͤndige und man⸗ 
che Unrichtigkeiten enhaltende Werk von: Thomas 
Hyde, hiſtoria religionis veterum Perſarum, 
/eorumque Magorum. Oxon. 1700. 4. (und 
nachher mit einigen Zuſaͤtzen unter dem etwas 
veränderien Titel; veterum Perſarum et Parthe- 
rum et Medorum religionis hiſtoria. Lond. 
1760. 


Zend⸗Aveſta. 155 


1760. 4. — Zend - Aueſta, ouvrage de Zo- 
roaſtre, contenant les idees theologiques, phy- 
ſiques et morales du culte relig eus, qu'il a 
etabli etc. Traduit en francois fur l' Original 
Zend, avec des remarques et accompagne de 
plufieurs traitds propres à eclaircir les matie- 
res, qui en font l’obiet. Par M. Anquetil 
du Perron. à Paris 1771. II Tom. 4. Hier⸗ 
mit vergl.: von der parfifchen Relig. und Geſetz⸗ 
gebung nach dem von Anquetil herausgeg. Werke, 
das Zend Av. betitelt wird; in den Beiträgen 
zur Befoͤrd. d. vernuͤnft. Denk. ꝛc. 13. Heft S. 
136-161. — Vorzuͤglich brauchbar wegen 
ſehr belehrenden Abhandlungen iſt die Ueberſe⸗ 
kung des franzoͤſiſchen Werks: Zend, Aveſta, oder 
Zoroaſters lebendiges Wort ꝛc. von J. F. Kleu⸗ 
ker. Riga, 1776. 77. 3 Theile gr. J. (vom 
erſten Theile eine neue Aufl. ebendaſelbſt 1786.) 
Zu dieſem Werke gehoͤret: Anhang zum Zendave⸗ 
ſta, von J. F. Kleuker. Leipz. und Riga 1 
Band in 2 Theilen 1782, 2 B. in 3 Theis 
len 1783. gr. 4. — Einen ſehr brauchbaren 
Auszug aus ſeinem großen Werke lieferte Kleu⸗ 
ker: Zend-⸗Aveſta im Kleinen — — nebſt ganz 
neuen Abhandll. und vollſtaͤndigen Erläuterungen 
aller hier vorkommenden Sachen und Begriffe 
Riga 1789. 8. — Einen andern brauchbaren 
Auszug, der manches enthaͤlt, was in dem klei⸗ 
nen Kleukeriſchen Werke fehlt, gab: Fried. Sim. 
Eckardt: Ormuzd's lebendiges Wort an Zoroa⸗ 
ſter, oder Zend⸗Aveſta. In einem Auszuge 

f nebſt 


7 


156 AJndiſche Religionsbuͤcher. 


| nebſt einer Darſtellung des Religionsſyſtems der 


Parſen. Greifswalde. 1789. 8. — Eine lichtvolle, 
getreue und ziemlich vollſtaͤndige Darſtellung des 


Zoroaſtriſchen Syſtems nach den Zendbuͤchern fin⸗ 


det man außer bei Kleuker a. a. O., bei Horn, 
über die bibl. Gnoſis, S. 127 ff. — Einen 
Verſuch, das N. T. aus dieſen Schriften und der 
Zoroaſtriſchen Philoſophie zu erlaͤutern, machte 


Herder: J. G. Herder, Erlaͤuterungen zum 


N. T. aus einer neu eroͤffneten morgenlaͤndiſchen 
Quelle. Niga, 1775. 4. 


1 §. 31. 
Indiſche Religiousphiloſophie; ein 
Zweig der perſiſchen. a 


In einer Recenſion der Hauptquellen der 
orientaliſchen Religionsphiloſophie ſcheinen die In⸗ 
dier nicht uͤbergangen werden zu koͤnnen; beſon⸗ 
ders da wir in neuern Zeiten weitlaͤuftige und 
glaubwuͤrdige Nachrichten vou ihren Religions⸗ 
meinungen, und ſelbſt einige ihrer wichtigſten Re⸗ 
ligionsurkunden erhalten haben. Doch laͤßt es 
ſich nicht laͤugnen, daß fie nicht als Duelle der 
Erforſchung der juͤdiſchen Theologie, ſondern nur 
als lehrreiche Vergleichung betrachtet werden 
kann. | 

So weit wir die indiſche Religinsphiloſo⸗ 
phie bis jetzt kennen, ſcheint ſie allerdings aus 
dem Syſteme Zoroaſters entſprungen zu ſeyn, we⸗ 
nigſtens ihre Grundzuͤge aus ihm entlehnt zu ha⸗ 

ben. 


Indiſche Neligtensbücer. 157 


ben. Denn auch fie lehrt eine Emanation der 
Welt aus dem Urweſen, ein gutes und boͤſes 
Prinzip, gute und boͤſe Geiſter (die letztern gleich: 


falls Dews, wie bei Zoroaſter, genanut,) und 


ein Reich des Lichts und der Finſterniß. — Je 
deutlicher uns dieſes auf einen Zoroaſtriſchen Ur⸗ 
ſprung hinweißt, um fo viel glaubwuͤrdiger wer; 
den die hiſtoriſchen Gruͤnde fuͤr die fruͤhe Ver⸗ 
bindung Zoroaſters mit Indien, und den Ueber⸗ 
gang ſeiner Lehre in dieſes Land, die Horn 
über die bl. Gnoſis S. 193 ff.) aufgeſtellt hat. 
Es laͤßt ſich aber für jetzt noch kein gewiſſes Ur. 
theil uͤber das Verhaͤltniß der indiſchen Reli⸗ 
gionsphiloſophie zu der orientaliſchen und nament⸗ 
lich der juͤdiſchen fallen, da es noch unentſchie⸗ 
den iſt, theils wie alt die indiſchen Religions- 
schriften, die bekannt gemacht worden find, theils 
wie treu die Nachrichten, die uns mehrere Schrift⸗ 
ſteller von dieſer Religion gegeben haben, ſeyn 
mogen. Gewiß iſt es uͤbrigens daß nicht nur 
durch die Kriegszuͤge Alexanders im dritten Jahr⸗ 
hund. vor Chriſti Geb., ſondern auch durch das 
ſpaͤtere Eindringen des Islams in Oſtindien *), 
die Religion dieſes Landes manche Veraͤnderung ers 
fahren hat, und beſonders mit vielen Zuſaͤtzen und 
Traditionen bereichert worden iſt. Bis jetzt ha⸗ 
ben wir nur erſt noch halbes Licht uͤber dieſe 

Reli⸗ 


55 Vielleicht ſelbſt durch die Bemuͤhungen if 
cher Miſſionaͤrs. 


158 Indiſche Neligtonsfchriften, 


Religion, und daß Verhaͤltuiß derſelben zu der 
orientaliſchen Religionsphiloſophie kann nicht eher 
mit einiger Gewißheit ausgemittelt werden, als 
bis die Kritik ihr Amt an derſelben verwaltet, und 
uͤber ihr Alter, ihr e e und ihr 
Angeeignetes entſchieden hat. 


Fur die hiſtoriſch⸗dogmatiſche Auslegung 
des neuen Teeſtaments find folglich dieſe Schrif: 
ten wenig oder gar nicht zu brauchen, und Al⸗ 
les was der Interpret her thun kann, duͤrfte 
ſich bloß darauf beſchraͤnken, daß er die Saͤtze 
jener Religion als merkwuͤrdige Parallelen be⸗ 
trachtet, ohne aber ſich zu erlauben, Erklaͤrungs⸗ 
gruͤnde aus ihnen abzuleiten. 

Schriften uͤber die Religion der Indier ) 
ſind folgende: Abraham Roger, offene Thuͤr 
zu dem verborgenen Heidenthum: aus dem holz 
laͤndiſchen, deutſch durch Chr. Arnold. Nuͤrnb. 
1663. 8. (der Verf., hollaͤndiſcher Prediger in 
Indien, ſammlete ſeine Nachrichten aus dem Mun⸗ 
de der Braminen. Nach Leſſ verdienen fie Glau⸗ 
ben.) Mit Rogers Nachrichten harmoniren die⸗ 
jenigen, welche La Croze im 6ten Buch feiner 

hiſtoi- 


4 


) Eine ziemlich genaue Angabe dieſer Schriften 
findet man bei Leſſ, uͤber die Religion, 1. Thl. 
S. 407 ff. in der Note, dem ich e 275 die 
aͤltern Schriften anlangt, folge. 8 


* 


Indiſche Religionsſchrifern. 159 


hiftoire du Chriſtianisme des Indes ( la Haye, 
1724. 8.) p. 424 ff. giebt, und die er haupt⸗ 
farblich aus handſchriftlichen Nachrichten des Miſ⸗ 
ſtonaͤrs Ziegenbalg, genommen hat, genau; 
obgleich der Verf. Rogers Beſchreibung nicht kann⸗ 
te, (S. Leſſ a. a. O.) — Erthuſtaſtiſch für 
die Religion der Braminen eingenommen, und da⸗ 
her wohl nicht ganz unpartheiiſch ſchrieb Hol- 
well, der ſich dreißig Jahre in Bengalen aufge⸗ 
halten hatte, ſeine Intereſting Hiſtorical Events 
relative to the Provinces of Bengal, and 
the empire of Indoſtan: by Iohn Zach. 
Holwell, Lond. 17651777. 3 Voll. 8 
— Jns deutſche uͤberſetzt von Kleuker; Leipz. 
1778. (Horn urtheilt“) guͤnſtiger über ihn.) “). 
— Den Codex eines Braminiſchen Geſetzbuchs 
gab Halhed heraus: Code of Gentoo-Laws, 
or Ordinations of the Pundits from a Perſian 
translation, made from the Original written 
in the -Schanscrit language. Lond. 1777. 8. 
— Eine andere wichtige Religionsurkunde iſt der 
creme! Vedam; L’Ezour- Vedam, ou an- 

i cien 


— — — 
) ueber die bibl. Gnoſ. S. 199. 


*) Ihm widerſprach in vielen Stuͤcken der aller⸗ 
dings weniger eingenommene, aber nicht fo gruͤnd⸗ 
lich unterrichtete Alexander Dow, der ſich 
gleichfalls lange in Indien aufgehalten hatte, 
in feiner hiſtory of Hindoftan,, Lond. 1769. 

3 Voll. 4. — 


160 Indiſche Religionsſchriftrn. 


eien commentaire du Vedam contenant l“ ex- 
poſition des opinions religieuſes et philofo. 
phiques des Indiens. Traduit du Samscretan 
par un Brame. Revu et publi€ avec des ob- 
fervations preliminaires, des notes et des eclair- 
ciſſements. Yverdon, 1778. 2 Tom in 12. ). 
(Kam auch deutſch heraus: Ezour⸗Vedam von 
einem Braminen aus d. Samſkretaniſchen ins 
Franzoͤſiſche, und aus dieſem ins Deutſche uͤberſ. 
und mit einer Einleit. und Anmerkk., nebſt ei⸗ 
nem ungedruckten Fragmente des Bagavadam; 
von Joh. Jeh. Bern, 1779. 2 Bande, gr. 8.) 
Zur Erläuterung des N. T. benutzte ihn Schmidt: 
Stellen aus dem Ezur-Vedam verglichen mit 
Stellen aus dem alten und N. T. von Joh. E. 
Ch. Schmidt; in ſein. Repertor. fuͤr die Lite⸗ 
ratur d. Bibel. 1. St. no. 2. — Bagavadam, 
ou doctrine divine, ousrage indien canoni- 


que, ſur PEtre ſuprème, les Dieux, les Geans, 


les Hommes ete. a Paris, 1788. gr 8. — Bag- 
vat - Geeta, or dialogues of Kreeſchna and Ar. 
joon in eighteen lectures, With notes transla- 


ted 


* 


* 


e 


— 


*) „Die obferustions prelimin. (ſagt Leſſ a. a. 
O. S. 412) des ungenannten Herausgebers ents 
halten einen leſenswürdigen Auszug deſſen, was 
Roger, La Croze, De Guignes, von den heill⸗ 

gen Buͤchern der Indier, auch einige hands 
ſchriftl. Nachrichten in der koͤnigl. Biblioth. zu 
Paris daruͤber haben. 5 


> 


Indiſche Religionsſchriften. 161 


ted by Charl. Wilkins. Lond. 1785. gr. 
4. (Auch Franzoͤſ. Le Bhaguat- Geeta, oll Dia- 


logues etc. trad de “ Angl. en Frang. par Mr. 


Parraud à Londr. et Par. 1787. 8.) Aus⸗ 


zug aus dem helligen Buche der Hindus Bhagat 
Gita; in den Beitraͤg. zur Befoͤrder des ver, 


nuͤnft. Denk. ꝛc. 1 2. Hft. S 35-77. — Vor⸗ 


zuͤglich aber haben Jones, Paullinus und Anque⸗ 
til ſich bedeutende Verdienſte um die Darſtellung 
des indiſchen Religionsſyſtems erworben: Diflerta- 


tions aud milcellanevus pieces, relating to 


the hiſtory and antiquities, the arts; fciences 


and literature of Aſia. By William Io- 


nes. Lond. 1791. 92. deutſch uͤberſ. von J. 


C. Fick und mit Zuſaͤtzen verſehen von J. F. 
Kleuker. Riga, 1795. 8. — Ein Hauptwerk 


iſt das von Fr. Paullinus (Miſfionaͤr in Oſt⸗ 


indien, und Kenner der ſamſkritiſchen Sprache) 


ſyſtema Brahmanicum liturgicum; mytholo- 
gicum, ciuile. Ex monumentis Indicis Mu- 
fei Borgiani Velitris, diflertationibus liſtorico- 
erit. Hluftrauit. Romae 1794. — Oupne- 
k’hat (i.e. ſecretum tegendum), opus in ipfa 


India rarifimum, continens antiquam et ar- 
canam, ſeu theologicam et philofophicam 


doctrinam e quatuor Indorum libris, Rak⸗ 
Beid, Djedir-Beid, Sam- Beid, Athrhan- Beid, 


excerptam, ad verbum e perfico idiomate 


ſamſcreticis vocabulis intermixto, in latinum 
conuerfum, diſſertationibus et annot. illuſtra- 
tum, opera et ſtud. Anquetil du Perfon. 

| 8 At. 


— 


162 Indiſche Religionsſchriften. 


Argentorati, II Voll. 18011 4. Dieſes Buch 

iſt in der Ueberſetzung aͤußerſt dunkel, und ſelbſt ge⸗ 

gen die Aechtheit der Darſtellung hat man Zweifel 

erhoben *). „ b bee > 

Darſtellungen der indiſchen Religion findet 

man außerdem in: „Beobachtung uͤber die Ueber⸗ 

einſtimmung der Goͤttergeſchichte der Braminen 

mit der aͤltern bibl. Geſchichte aus einer Nach⸗ 
richt der Lettres ediſiantes gezogen; in den Bei⸗ 

traͤg. zur Beſoͤrd. d. vernuͤnft. Denk. ꝛc. 1. Heft, 

S. 76-85. (Vergl. mit dem Aufſatz: ob in 

der Bibel ſich Mythen finden; ebendaſ. 18. Hft. 

S. 1-73.) bei Horn, über die bibl. Gaoſis 

S. 206 ff. und Kleuker: das Brachmaniſche 
Religionsſpſtem im Zuſammenhange dargeſtellt und 
aus feinen Grundbegriffen erklärt (1798. 8.), 

welches als 4ter Theil zu den angeführten dif- 

ſertat. von Jones gehört *). §. 32. 


*) S. die Anzeigen in der Eunomia, Jahrg 1803. 
December. S. 415 ff. Schlegels Europa 2. 
Hit S. 115 ff. und die Leipziger Literaturzei⸗ 
tung 1803. Vergl. mit Staͤudlins Magaz. für 
Religions ⸗Moral- und Kirchengeſchichte, 3 
B. 2. St. S. 293-298. f 

*) Außerdem verdienen noch verglichen zu werden: 
De Guignes recherches fur les Philofophes 
apelles Saman&ens; in der hift. de P’Acad. des 
Inſeriptions T. XXVI. (à Par. 1759. 4,) und 
Deſſ. recherches hiſt. fur la relig, Indienne 

‚et für les livres fondamenteaux de cette relig. 
etc. ebend. T. XL. (1780.) Mignot Meémoi- 
res fur les anciens Philofophes de Inde; ebend. 
T. XXXI. (1768). — Sinner Eſſai fur les 

5 ö dog- 


* 


Apokryphen des N. T. 163 


58.32. 
3) Grſechiſche Quellen. 
a) Apokryphen des N. T. 


Unter griechiſchen Quellen wollte ich die 
Schriften der Chriſten aus dem erſten und 
zweiten Jahrhundert begreifen, in wie fern bei 
ihnen die griechiſche Philoſophie, wie fie in Ale— 
xandrien und Kleinaſten bluͤhete, vorherrſchte. 
(Ich geſtehe aber gern zu, daß dieſe Eintheilung, 
zu welcher mich die Sammlungen der Apokry⸗ 
phen verleitete, nicht genau und nicht dogmatiſch 
iſt, indem dieſe Apokryphen bald zu der alexan⸗ 
driniſchen bald zu der palaͤſtinenſiſchen Theologie 
gehören, Haͤtte ich aber der ſchicklichern Eins 
theilung der Bücher nach ihren Grundſaͤtzen fol 
gen wollen; ſo wuͤrde dieſes eine Angabe der 
einzelnen apokryphiſchen Buͤcher nothwendig ge⸗ 
macht haben, die nothwendig zu vielen Unbequem⸗ 
lichkeiten und Weitlaͤuftigkeiten geführt haben wuͤr⸗ 

L 2 de. 


dogmes de la Metempfycofe etc. à Bern. 1771. 
8. (Verſuch uber die Seelenwandr. ıc, Lelpge 
1775. 8.) Skerches of the hiftory, religion 
etc. of the Hindous, by Q. Crawforth, Lond. 
1792. Voll. 2 gr. 8. zte Ausg. und Indian Ans 
tiquities by Thom. Maurice, Lond. 1792 
94. 5 B, gr. 8. Hiermit iſt noch die kleine 
Abhandl. zu vergleichen t Ueber Indien, als Quel⸗ 
le der Mythologie: in Eichhorns Bibl. 8. B. 
S. 608-628, (aus einer vom Hrn. Prof. Lich⸗ 
tenſtein zu Hamb. 1797. gehaltenen latein, Rede, 


164 Apoktyphen des N. T. 


de.) Zu ihnen gehoͤren zuerſt die Apokryphen 
des N. T., oder diejenigen Schriften, die man 
Jeſu, den Apoſteln, Evangeliſten und andern 
merkwuͤrdigen Maͤnnern, die im N. T. erwaͤhnt 
werden, untergeſchoben, oder uͤber die Geſchichte 
Jeſu und der Apoſtel erdichtet hat. Es iſt ih⸗ 
rer eine große Anzahl; die meiſten aber kennen 
wir entweder nur dem Namen nach, oder in duͤrf⸗ 
tigen Fragmenten, welche uns die Kirchenvaͤter 
aufbehalten haben (wie z. B. das Evangel. der 
Hebraͤer), und nur die wenigſten beſitzen wir 
ganz. Denn man ſuchte ſie, vornehmlich ſeit 
dem vierten Jahrhunderte, ihres ketzeriſchen In⸗ 
halts wegen zu unterdruͤcken. Die Urſachen und 
Veranlaſſungen ihrer Entſtehung waren verſchie⸗ 
den, indem einige aus Begierde von Jeſu Schicke 
ſalen genauere Nachrichten zu wiſſen und zu ge⸗ 
ben, einzelne hiſtoriſche Andeutungen der neute⸗ 
ſtamentlichen Schriftſteller weiter auszufuͤhren, 
hiſtoriſche Luͤcken aus der Tradition zu ergaͤnzen, 
andere aber deßwegen verfertigt und den Apo⸗ 
ſteln zugeſchrieben wurden, um gewiſſen Meinun⸗ 
gen und Lehrſaͤtzen ein apoſtoliſches Anſehen zu 
verſchaffen; was vorzuͤglich von den Apokryphen 
gilt, welche die zahlreichen haͤretiſchen e 8 
zum Vorſcheine brachten * 


Der 


25 Mosheim de cauſis ſuppoſ. brerr, in 1 
Differtatt, ad hift, eccleſ. Tom. I. p. 217 fg. 


* 


Apokryphen des N. T. 165 


Der kleinſte Theil dieſer Schriften iſt von 
hohem Alter und kommt dem Zeitalter der Apo⸗ 
ſtel nahe, wie z. B. das Ev. de natiuitate Ma- 
riae (nach dem griechiſchen Text bei Birch, nicht 
nach dem Latein. bei Fabric.); das Evangel. 
Petri und andere; der groͤßte Theil hingegen ent⸗ 
ſtand im zweiten Jahrhundert und iſt alſo immer 
noch ſo alt, um unſre Aufmerkſamkeit zu ver⸗ 
dienen. Nur der kleinſte Theil dieſer Schriften 
iſt aus noch juͤngeren Zeiten; wohin beſonders 
einige mit ſpaͤtern Zuſaͤtzen bereicherte Recenſio⸗ 
nen älterer Apokryphen gehören. — In Ruͤck⸗ 
ſicht ihres Inhaltes ſind ſie theils hiſtoriſch, 
und liefern Traditionen oder hiſtoriſche Fiktio⸗ 
nen von den Schickſalen Jeſu, der Apoſtel, der 
Maria u. ſ. w.; theils hiſtoriſch⸗ dogmatiſch, in 
wiefern fle die Geſchichte als Beweis für gewiſ⸗ 
ſe Dogmen behandeln; theils dogmatiſch, und 
tragen vorgebliche geheime Lehren der Gnoſis und 
Theoſophie, oder dogmatiſche Traditionen vor, die 
durch das Anſehen apoſtoliſcher Namen zu Glau- 
bensſaͤtzen erhoben werden ſollen; theils apoka⸗ 
lyptiſch, und enhalten Prophezeihungen von den 
nahe bevorſtehenden Schickſalen der Kirche und 
ihrer Verfolger, und chiliaſtiſche Hoffnungen und 
Schwaͤrmereien. Ein Theil von ihnen iſt offen⸗ 
bar von Judenchriſten, voll roher juͤdiſcher Na⸗ 
tionalbegriffe; ein anderer aber von Heidenchri⸗ 
ſten, beſonders Alexandrinern, oder alexandrini⸗ 
ſchen Judenchriſten geſchrieben, in denen ſich deut⸗ 
liche Spuren der in Alexandrien bluͤhenden Re⸗ 

gl 


\ 


166 Apokryphen des N. T. f 


ligionsphiloſophie entdecken laſſen. Sie enthalten 
theils Evangelien, (wie das Euang. de Natiu. 
Mariae, Euang. Nicodemi, Euangelia infan- 
tiae Ieſu,) theils find es Acta Apoſtolorum (z. 
B. Acta Petri, Pauli etc.), theils Briefe, die 
den Apoſteln zugeſchrieben werden (4. B. Brief 
Pauli an die Laodicaer, ein dritter Br. Pauli an 
die Korinth.), theils Apokalypſen (z. B. die Of⸗ 
fenbarung Petri, Off. Pauli), theils andere Auf; 
ſaͤtze religioͤſen Inhalts (z. B. die conttitutt. 
apoſtol.). 

Ueber den Gebrauch dieſer in Ruͤckſicht ih⸗ 
res Zeitalters, ihrer Verfaſſer, und ihres In⸗ 
haltes ſo verſchiedenen Buͤcher fuͤr die Religions⸗ 
geſchichte des Orients laßt ſich im Ganzen mehr 
ſagen, als über den Nutzen, den fie dem hiſto⸗ 
riſch dogmatiſchen Ausleger des N. T. gewaͤh⸗ 
ren koͤnnen. Es bedarf kaum einer Erinnerung, 
daß ſie mit großer Vor ſicht und mit gehoͤriger 
Ruͤckſicht auf ihre Beſchaffenheit benutzt werden 
muͤſſen. Denn ſo wenig es erlaubt ſeyn wuͤr⸗ 
de, aus dieſen Buͤchern die evangeliſche Geſchich⸗ 
te des N. T. zu ergänzen, da ſie voll der laͤp⸗ 
piſchten Fabeln ſind; ſo wenig iſt es erlaubt, 
ihre religioͤſen Meinungen ohne naͤhere Unterſu⸗ 
chung zur Erklaͤrung des N. T. anzuwenden, da 
fie fo verſchiedene, fremdartige, und durch mans 
cherlei Umſtaͤnde verunreinigte gnoſtiſche Grund⸗ 
ſaͤtze enthalten, und bisweilen ganz einfache Lehren 
der juͤd. Theologie durch eins Menge von Zuſä⸗ 
Ä ©. gen 


— 


Apoktyphen des N. T. 167 


tzen verunſtalten, welche man nicht mit der ein⸗ 
fachen Lehre zugleich auf das N. T. uͤbertragen 
darf. Doch ſind ſie nicht etwa ganz zu verwer⸗ 
fen, da ſie uns vielmehr, mit gehoͤriger Kris 
tik gebraucht, manche Vorſtellungen der erſten 
Chriſten deutlich machen, und oͤfters durch ihre 
Erklaͤrungen zeigen, wie man Stellen des N. T. 
erklart und verſtanden habe. Man hat aber die 
aͤltern jederzeit den juͤngern, die, welche bloß 
hiſtoriſch find, und Dogmen nur gelegentlich be⸗ 
ruͤhren, den eigentlich degmatiſchen vorzuziehen, 
weil dieſe gewoͤhnlich die Dogmen einer Par⸗ 
thei enthalten. Unter dieſen ſind aber wieder die 
Schriften, welche juͤdiſch⸗ chriſtlichen Partheien 
ihren Urſprung verdanken, denen der heidniſch⸗ 
chriſtlichen Sekten vorzuziehen; weil ſich vor⸗ 
ausſetzen laͤßt, daß die erſtern mit den Vor⸗ 
ſtellungen der Juden zu der Apoſtel Zeiten ge⸗ 
nauer bekannt waren, und feſter an denſelben 
EN ne hierüber ſ. im folgenden h. 


Hier einige Beiſpiele der Erlaͤuterung: 

Das Wort oaceec ue wird im N. T. haͤufig 
von der Suͤndenvergebung gebraucht, und der 
Menſch in ſo fern gerechtfertiget genannt, 
in wie fern er von Gott als ſchuldlos behandelt 
wird, und keine Strafe weiter zu erwarten hat. 
Hierzu finden ſich zwei trefffiche Parallelſtellen im 
Protevangelio Jakobi, wo (Tom. I. p. 78. bei 
Fabricius) Joakim nach einem vollbrachten Opfer 
im a die gewiſſe Hoffnung erhalt, daß er 

Kin⸗ 


ee 


168 Apokryphen des N. T. 


Kinder bekommen werde, deren Mangel er als 
goͤttliche Strafe betrachtet hatte, und ſagt: y 
„%*, ori & avaos N ma, wur d Oed 
RATE Te. Orte ou. Kos A 
er reu vn vu dedızmiwmenos. Und, 
S. 113. ebendaſ. heißt die Salome, da ſie von 
einer Krankheit, die ihr als Strafe auferlegt 
worden war, befreit wurde, gehe ẽům. — 
Joh. 20, 38. ſpricht Thomas zu Jeſus: 6 wu 
eiog n d Oeos mov. Vielleicht hatte der Verf. 
der apokryphiſchen Apokalypſe Johannis dieſe 
Stelle in Gedanken, wenn er (bei Birch p. 
245.) den Johannes Jeſum ſo anreden laͤßt: 
beis 4 Sees mov, © ner ne. douAov 
cο eε,ν,, ü te. — Apoſtelg. 20, 28. su. 
anno r de, I geg ẽNeπο de vo 
do ceHẽrog. Auf ahnliche Art heißt es im Evang. 
Joſephs von Arimath. (bei Birch S. 183.) rey 
geo Esavewaoa..—— So wie bei Johannes 
Jeſus & Noos heißt, fo wurde er auch im Evan: 
gel. Petri fo genannt: ey T Tlergov xn 
1 cg dv Nowov nm Aoyov xugion meoc- 
aryogevonzvov. Clemens Strom. I. bei Grabe 
T. I. Spic. p. 63-63.) — Daß auch vos 
Deo wie Rom. 1, 3. 4. und Joh. 1, 18. 
(nicht nur den Meſſias, ſondern auch) den Sohn 
Gottes, in Rückſicht feiner Natur, nach dem Sprach⸗ 
gebrauche jener Zeit bezeichnet habe, zeigt das 
Euang. Nicodemi (bei Birch 11 5.0, wo Satan 
in der Unterwelt ſagt: Ex roy eve r lov- 
dci 718 Insous Neyo, bg Eaurov 

vloy 


Apokryphen des N. N 169 


vloy Oeov, obres de y A ] -s 
ya erg oldes, r. !, ssi. Eben fo 
ſprachen die Juden Joh. 5, 18. — 1. Joh. 
5, 20. &v Ta: bi cον,õẽñ n Xasw‘ ou ros 

Sg 6 GN Hees Nc I dam eiwuos. Ganz 
parallel iſt die Stelle in den Refer. Tiberii 
(bei Birch, S. 175.): e. de misevowreg 
Xe e Yeov Tov e nx ů gwrnga ). 


Herausgegeben find die apokryphiſchen Bir 
cher des N. T. und deren Fragmente von Gras 
be in dem S. 128. angeführten Spicileg. SS. 
Patrum; I. A. Fabricius, codex Apocry- 
phus N. T. collectus, caſtigatus, teſſimoniis- 
que, cenſuris et anidmaduerſſ. illuſtratus 
Hamb. 1703 und 1719. 3 Tomi in 2 Baͤn⸗ 
den kl. 8. — Auctatium Codicis Apocryphi 
N. T. Fabriciani, continens plura inedita, alia 
ad fidem codd. mfl. emendatius expreſſa. Ed. 
Andreas Birch. Fafcicul. prim. Hauniae 
1804. 8. — Die beſten Nachrichten über die⸗ 
fe Schriften haben, außer Grabe, Fabricius und 
Birch, vorzuͤglich Beaufobre. in ſ. discours 
fur les livres apocryphes, im erſt. Bande ſei⸗ 
ner hiftoire des Manicheens, (ſteben auch in 


Cra⸗ 


9 Doch kommen bald darauf die Worte vor: 
cc TU Gαοννναεαπ aUroy (naͤmlich ev er g 
ueν,E t, die dieſer Schrift einen ſpaͤtern Ute 
ſprung anzuweiſen ſcheinen. 


— 


170 Apokryphen des N. T. 


Cramers Beitraͤg. zur Befoͤrd. theolog. Er⸗ 
kenntniß, 1. B. S. 25 1 ff) und Kleuker 
gegeben. Ueber die Apokryphen des N. T. von 
J. F. Kleuker. Hamb. 1798. 8. (auch unter 
dem Titel: ausfuͤhrl. Unterſuchung der Gründe 
fuͤr die Aechtheit und ee, der 1 
rn des Chriſtenth. 31e Zum: 


user elfgeie diefer Apokryphen: Disquiſitio hi- 
ſtorico - eritica de indole, aetate et vſu libri 
opoer., vulgo inſeripti: Euangelium Nicodemi, 
‘suctore Guil. Lud. Bruns. Berol. 1794. 8. 
Ein Progr. de Euangelio infantiae leſu fi- 
eto et vero. Lipſ. 1285. 4. — Ueber die Evans 
gelien d. Kindheit Jeſu; in Schmidts Bi⸗ 
blioth. f. Kritik und Exeg. e B. 4. St. S. 
4812-503, — Von den apokryphiſchen Evans 
gelien der älteften Zeit. in den Beitraͤg. z. Be⸗ 
find, des vernunft. Denk. 16. Hft. S. 3 ff. 
J. E. Ch. Schmidt, Entwurf einer ber 
flimmtern. Unterſcheidung verſchiedener verloren 
8 Evangelien; in Henke's Magaz. . 
a 3. St. S. 576 595. — Ulrſprung des 
Mannen Evangelium der 12 Apoſtel. (Ein 
Nachtrag zu Schmidts Verf, ein beſt. Unterſch.); 
in 8 Biblloth. f. Krit. und Exegeſe des 
IT, St. S. 459 ff. — Obſerva⸗ 
tionen au E des N. T. aus dem Prot⸗ 
evangel. Jakobi von J. E. Ch. Schmidt; 
in ſ. Biblioth f. Kritik ꝛe. 1. B. 1. St. S. 
130-138, Van Dale de actis Pilati in ſ. 
Buche de orseulis vet, gentil, p. 608. Oel- 
richs collectio opuſcul. hiſt. philol. theolog. 
T. I. p. 303. und Henke Progr. de Pilati 
actis Fa len. 1784. 4. 


6 1 
3 8 


— 


. 


§. 33. 


Aelteſte Kirchenvaͤter und Haͤretiker 171 

F. 33. | 

Kirchenväter und Ketzer des erſten und 
zweiten Jahrh. | 


So wie die Apokryphen, als Denkmäler 
der aͤlteſten Chriſten, eben fo verdienen die Altes 
ſten Kirchenvaͤter und Ketzer uͤberhaupt die Be⸗ 
ruͤckſichtigung des hiſtoriſch⸗ dogmatiſchen Ausle⸗ 
gers, da die Vaͤter, beſonders die apoſtoliſchen, 
mit den Vorſtellungen und dem dogmatiſchen 
Sprachgebrauche der Apoſtel genauer bekannt ſeyn 
mußten, die Ketzer aber, beſonders die juͤdiſch⸗ 
chriſtlichen Partheien, den Geiſt eines Theils der 
Cy iſten charakteriſiren und uns mit ihren Vor⸗ 
ſtellungen bekannt machen. Ueberdieſes iſt es ges 
wiß, daß Paulus ſchon gegen gewiſſe Irrlehrer, 
ſowohl aus dem Juden als aus dem Heiden⸗ 
thume, kaͤmpft, und wahrſcheinlich, daß auch Jo⸗ 
hannes in ſeinen Schriften auf gnoſtiſche Lehrſaͤ⸗ 
tze Ruͤckſicht nahm. Alſo doppelte Gruͤnde fuͤr 
den Ausleger, ſich mit den Grundſaͤtzen der al 
ten Kirche vorzuͤglich im erſten und zweiten 
Jahrhundert bekannt zu machen. Denn ſie 
iſt ja das naͤchſte Glied an der Kette der Leh 
ren, welche durch die Apoſtel ausgebreitet wur⸗ 
den — Doch je weiter in den Jahrhun⸗ 
derten herab, je mehr Kampf und Streit in 
der Lehre, je bemerkbarer der Einfluß fremnm⸗ 
der Philoſophie und Spekulationen, je bedeu⸗ 
tender die Abweichungen einzelner Vaͤter von der 
Einfachheit des apoſtoliſchen Lehrbegriffs; je uns 

ſiche⸗ 


172 Aelteſte Kirchenvaͤter und Haͤretlker. 


ſicherer folglich ihr Gebrauch für die Beſtim⸗ 
mung der alten Theologie zu der Apoſtel Zeiten. 


Was nun den Gebrauch der Schriften 
ber aͤlteſten Kirchenvaͤter und Ketzer fuͤr die 
Kenntniß der juͤdiſchen Theologie uͤberhaupt und 
fuͤr die Erklaͤrung des N. T. ins beſondere be⸗ 
trifft; ſo iſt im Allgemeinen hieruͤber dieſes zu 
zu bemerken; daß es eben fo wenig erlaubt ſeyn 

wuͤrde, die beſondern Meinungen der haͤretiſchen 

Partheien als Theile der juͤdiſchen Theologie uͤber⸗ 
haupt, folglich als allgemeine Quelle der hi⸗ 
ſtoriſch ⸗dogmatiſchen Auslegung zu betrachten, 
als es fehlerhaft ſeyn würde, die aͤlteſten Kirchen⸗ 
väter, ohne Ruͤckſicht auf ihre Individualität, auf 
gleiche Weiſe zu gebrauchen. Denn ſowohl jene 
als dieſe haben ihr Eigenthuͤmliches, und modifi⸗ 
cirten die Summe der von den Apoſteln und des 
ren Schuͤlern empfangenen Lehrſaͤtze, nach Maaß⸗ 
gabe ihrer anderweitigen Meinungen und ihrer 
Philoſophie. Beſonders gilt dieſes von den phi⸗ 
loſophiſchen Kirchenvaͤtern, die, wie die Phi⸗ 
loſophen aller Zeiten, nicht ihre Philoſophie nach 
der Religion, ſondern dieſe nach jener modelten. 
Man muß daher bei ihrem hermeneutiſchen Ge⸗ 
brauche vielfache Ruͤckſichten nehmen, und es 
ſcheint allerdings, als ob man in neuern Zeiten 
hierin zu raſch verfahren ſey. So hat man, 
um eines der wichtigſten Beiſpiele anzufuͤhren, 
neuerlich behauptet, die aͤlteſten Kirchenvaͤter, 

namentlich Juſtinus Martyr, haͤtten keinen we⸗ 

ſent⸗ 


Keitefte Kirchenvater und Haͤretiker. 173 


fentlichen Unterſchied zwiſchen Noos und mvev- 
px eryıov gekannt, und den letztern nur als er- 
p% gien angeführt, weil er in der Tauf⸗ 
formel und im A. T. beſonders genannt werde. 
Dieſes behaupteten unter andern Lange *), Muͤn⸗ 
fiber *) und J E Ch. Schmidt *); und 
letzterer und Horſt * meinten, daß auch Jo⸗ 
hannes zwiſchen No yes und v eν,e &. nicht uns 
terſchieden hahe. Ohne zu unter ſuchen, was die 
Vaͤter und namentlich Juſtin hieruͤber eigentlich 
gelehrt haben moͤgen, indem ich mich hier auf 
Keils gründliche Unterſuchungen ier) berufen 
kann, nach denen fie glaubten, daß der Aoyos 
durch 


) Sam. Gott. Lange diſſ. in qua Iuſtini Mor- 
tyris apologia prima ſub examen vocatur, len. 
P. I. II. 1795. 8. und in ſein. Dogmengeſchich⸗ 
te 1. B. — Eine ſcharſe wiͤderlegende Kritik 
der Langiſchen Abhandl. gab Paulus in der 
Recenſ. im neuen theol. Journ. 6. B. 

609 ff. 
**) in fein. Dogmengeſch. 
**) in den chriſtolog. Fragmenten; in ſ. Biblioth. 
fl. Kritik und Exeg. 1. B. 3. St. S. 357. 

) in einigen Abhandll. Über das Evang. Jo⸗ 
hann. in Henke's Muſeum 1. B. 1. St. S. 
34. und anderwaͤrts. 

44569 Keil, ob die aͤlteſten chriſtl. Lehrer einen 
Unterſchied zwiſchen dem Sohne und dem heil, 
Geiſt gekannt, und welche Vorſtellungen ſie ſich 

davon gemacht haben? Eine patriſtiſche Unter⸗ 

—ſuchung; in Flatts Magazin f. chriſtl. Mor. 
und Dogm. 4. Thl. 


— 


174 Aelteſte Kirchenvaͤter und Hͤretiker. 


durch oder vermittelſt des en aus Gott her⸗ 
vorgegangen ſey; ſo ſey es mir nur erlaubt, ei⸗ 
nige Zweifel dagegen anzuführen, daß auch Jos 
hannes dieſelbe Meinung gehabt habe. Erſtlich 
kann dieſe Vermuthung nur dann zugelaſſen wer⸗ 
den, wenn man Nees in der Bedeutung Vers 
nunft nimmt; denn die ſelbſtſtaͤndige göttliche 
Vernunft mußte als aus Gottes Geiſt her⸗ 
vorgegangen gedacht werden, und leicht war da 
der Schritt, beide zu identiſiciren. Allein Nee 
hat weder im N. T. noch in der hebraifivenden 
Schreibart überhaupt dieſe Bedeutung *). Fer⸗ 
ner verbindet ſich nach Joh. 1, 14. der Nee 
gleich bei der Geburt Jeſu mit ihm; hingegen 
das veuπ⁰,ez kommt erſt (Joh. 1, 32 f.) bei 
der Taufe auf Jeſum herab. Ferner wird das 
E Insov dem vereinigten Menſchen und Lo. 
gos entgegengeſetzt Joh. 14, 16. und ein . 
Ass cr genannt. Endlich ertheilt Je— 
ſus nach ſeiner Auferſtehung den Apoſteln den 
heil. Geiſt (Joh. 20, 22. vergl. K. 7, 39) 
Hieraus folgt wohl unſtreitig, daß Johannes ei⸗ 
nen Unterſchied zwiſchen Wort und Geiſt gemacht 
habe, da von dem erſtern das, was von dem 
letztern geſagt wird, nicht gelten kann. 

Ueber den fpeciellen Gebrauch hingegen 
der Schriften der aͤlteſten Kirche für jüdiſche Theo⸗ 
logie und Exegeſe des N. T. laͤßt ſich eine be⸗ 
ſtimm⸗ 


105 Siehe meine Daene und Moral der Apo⸗ 
kryphen des A. T. 1. B. S. 253 fl. 


Aelteſte Kirchenvaͤter und Haͤretiker. 175 


ſtimmtere Regel geben, welche dieſe iſt: daß man 
unt erſuche, zu welchen individuellen Formen ſich 
das Chriſtenthum in den drei Hauptklaſſen ſeiner 
erſten Bekenner, von denen ſich die Spuren be⸗ 
reits im N. T. finden, ausgebildet habe; nam 
lich bei den palaͤſtinenſiſch rabbiniſchen Juden. 
chriſten, bei den alexandriniſch⸗gnoſtiſchen Chris 
ſten, und bei den Chriſten aus dem Heidenthu⸗ 
me. Denn ohnerachtet dieſe Partheien in vielen 
Punkten uͤbereinſtimmten, ohnerachtet ſich die dog⸗ 
matiſche Grenzlinie zwiſchen ihnen nicht immer 
im Einzelnen ziehen laͤßt; ſo unterſcheiden ſie ſich 
doch im Ganzen deutlich genug von einander, 
ſowohl durch Sprache, als auch durch die uͤber⸗ 
all durchſchimmernden ene ihres vorchriſt⸗ 
lichen einheimiſchen Syſtems. Die erſtern wa⸗ 
ren der Theil der Chriſten, der ſich aus dem 
großen Haufen der palaͤf kinenſiſchen Juden bil: 
dete, mit dem Untergange des juͤdiſchen Staats 
zerſtreut und beinahe vergeſſen wurde, und ſpaͤ⸗ 
terhin, da er wieder hervortrat, ſo merklich von 
der uͤbrigen chriſtlichen Kirche abſtach, daß man 
ihn unter dem Namen der Nazaraͤer oder 
Ebioniten begriff. Sie hiengen dem Moſais⸗ 
mus an, fo wie den rabbiniſchen und phariſaͤi⸗ 
ſchen Traditionen, und zeichneten ſich vorzuͤglich 
durch grobſinuliche Ideen vom Meſſias (den ſie 
uͤbrigens, dem Glauben des gemeinen Volks in 
Palaͤſtina gemaͤß, für einen bloß n Menſchen bil 
ten) und deſſen Reiche, und durch chiliaſtiſche 
Schwaͤrmereien aus. Sie hielten ſich vorzuͤg⸗ 
! lich 


176 Aelteſte Kirchenvater und Häretlker, 


lich an die Schriften Petrus, Judas und 
Jakobus der Vaͤter der patäffinenf iſchen Ges 
meinden. 


Die zweite Parthei begriff diejenigen Ju⸗ 
den⸗ und Heidenchriſten, die Verehrer der ale⸗ 
xandriniſchen und perſiſchen Religionsphiloſophie, 
die fie mit dem Namen Die belegten (S. 
unten $. 38.), waren. Sie folgten vorzuͤglich dem 
Apoſtel Johannes, deſſen Schriften ihrem 
Geiſte am meiften zuſagten, und ſich am: beiten 
mit ihren Meinungen von dem Werthe der Con⸗ 
templationen und der Aſceſe, von dem ewigen 
Worte Gottes u. ſ. w. vereinigen ließen. Sie 
zeichneten ſich aus durch die Grundzuͤge der per⸗ 
ſiſchen und alexandriniſchen Religionsphiloſophie, 
durch beſondere Meinungen uͤber den Urſprung 
der Welt und der Geiſter, durch einen morali⸗ 
ſchen Pragmatismus und Myſticismus, eine Ver⸗ 
einigung mit Gott durch ſtrenge Aſceſe, durch 
Verachtung der Ehe, Vorſtellungen von einem 
moraliſchen Reiche Jeſu und von der goͤttlichen 
Natur des Sohnes Gottes, und endlich durch 
Abneigung gegen chiliaſtiſche Erwartungen und 
alles, was damit naͤher oder entfernter zuſam⸗ 
menhing, namentlich auch die Auferweckung des 
Koͤrpers. Auch der Brief an die Hebraͤer 
gehoͤrte wahrſcheinlich zu ihren eee 
(S. die Specialhermeneutik.) 


Die dritte Parthei endlich, oder die Chri⸗ 
ſten aus dem a folgten vorzüglich ih⸗ 
rem 


Aelteſte Kirderbätn und Shit, 177 


rem eehte Paulus, hatten wohl anfangs, in 
wiefern fie namlich nicht Philoſophen aus der 
alexandriniſchen Schule waren, keinen feſtbeſtimm⸗ 
ten urjprünglichen Charakter außer dem, den 
ihnen Paulus aufgedruͤckt hatte, und bildeten end⸗ 8 
lich, indem ſie ſich der zweiten Parthei naͤherten, 
mit dieſer vereint die ſogenannte ecclefia catho- 
lica aus. Auch in dieſer war eine Zeitlang die 
Verſchiedenheit des Grundcharakters ihrer Theile 
ſichtbar, und es blieben immer noch einzelne Par⸗ 
theien, welche, indem ſie die Hauptzuͤge der er⸗ 
ſten und zweiten Parthei in grellen Farben zeig⸗ 
ten, und durch Zuſaͤtze von eigenen Traͤumereien 
verunreinigten, ſich immer weiter von der eccle- 
ſia catholica entfernten, und die erſtern als chi⸗ 
liaſtiſche Schwaͤrmer, die zweiten aber als 
gnoſtiſche oder philoſophiſche Schwärmer 
und Ketzer erſchienen, die entweder in the ore⸗ 
tiſcher oder in moraliſcher Ruͤckſicht von 
der Lehre der eccleſia catholica immer weiter 
abwichen. — Spuren dieſer drei Familien fin⸗ 
den ſich bereits im 1. Br. an die Korinther (f. 
die Specialhermeneutik). Was aber hieraus fuͤr 
den Ausleger des N. T. folge, ſpringt ſo klar 
in die Augen, daß jede e daruͤber 
überſüzig ſeyn würde. 


„Doch es wuͤrde die Bränen dieſer Schrift 
weit uͤberſchreiten, wenn ich hier eine Angabe 
und Charakteriſirung der aͤlteſten Kirchenvater 
und Ketzer verſuchen wollte, da dieſes ganz ei⸗ 

M gent⸗ 


2 


178 Zelteſte Kirchenväter und Haͤretiker. 


gentlich in die Kirchengeſchichte gehoͤrt, und von Ge⸗ 
lehrten, wie Schroͤckh, Henke u. a. mit eben 
ſo vieler Gruͤndlichkeit als Unpartheilichkeit ge⸗ 
ſchehen iſt, die Lehrmeinungen jener Vaͤter und 
Ketzer aber in den Lehrbuͤchern der Dogmenge⸗ 
ſchichte eines Muͤnſcher, Lange und anderer 
noch beſonders dargeſtellt ſind. Nur folgende 
einzelne Abhandlungen *) neuerer Schriftſteller 
uͤber jene Zeitperiode ſcheinen hier nicht ungenannt 
bleiben zu koͤnnen. 


Ueber die Theologie der erſten Jahrhunderte; in 
d. Beitraͤg. z. Beſoͤrd. des vern. Denk. ꝛc. 12. 
Heft S. 121 139. (die Theolog. Juſtin. Mart.) 
— Lange’s angeführte Abhandl. über Juſt. 
Apol. — H. Eb. G. Paulus, commentatio- 
nes theologicae potiſſimum hiftoriam Cerinthi 
Audaeo- Chriſtiani ac Iudaeo · Gnoſtici atque 
finem Iohannaeorum in N. T. libellorum illu- 
ſtraturae. Ienae 1795. XXXII. und 231 S. gr. 
3. (Vorher als 2 Disp. unter dem Titel: hi- 
ftoria Cerinthi) J. E. Ch. Schmidt, Ce⸗ 
rinth ein judaiſirender Chriſt; in ſ. Bibl. f. 
Kritik und Exeg. des N. T. ꝛc. 1. B. 2. St. 
S. 181-226. (iſt auch auf Philo und die Kab⸗ 
baliſten viele Ruͤckſicht genommen.) Derfels 
be, über die gedoppelte Recenſion der Briefe 
des Ignatius. In Henke's Magaz. 3. B. 1. 
St. — Fr. Muͤnter, Verſuch uͤber die Al⸗ 
terthuͤmer der Gnoſtiker, Anſpach 1790. 8. C. 
F. Rößler, Lehrbegriff der chriſtl. Kirche dun 
; den 


9: Die ältere Literatur ſ. b. Nöſſelt in der An⸗ 
leit. zur theol. Buͤcherkenntniß S. 554-559. 
und über die patr. 2915 S. 497 f. 


Gebrauch dieſer Quellen. 179 


den erſten drei Jahrhunderten, aus d. ſicherſten 
Reſten des chriſtl. Alterthums in feinem Zufams 
menhange vorgetragen. Frankf. 1775. 8. — Defs 
ſen Bibliothek der Kirchenvaͤter. Leipz. 1776 
86. 10, BB. 8. — (J. Fr. Saab), Abs 
handlungen zur Dogmengeſchichte der aͤlteſten 
griech. Kirche, bis auf die Zeiten Clemens von 
Alexandrien. Jena 1790. 8. — Vorzuͤglich 
Keils S. 104. angeführte Commentationes. 


Münfcher diſſ. an dialogus cum Tryphone 


luſtino M. recte adſeribstur? Marb. 1799. 4. 
— Derſelbe: einige Vermuthungen uͤber die 
Nikolaiten; in Gablers Journal f. theol. Lit. 
5. B. 1. St. (1803.) S. 17-29, — H. I. 


Heubner, hiſtoria antiquior dogmatis de 
modo falutis tenendae et Iuftificationis ſeu ve- 


niae peecatorr. a Deo impetrandae inſtrumen- 


tis. Viteb. 1808. 4. (Die apoſtol. Vaͤter bis 
auf Origenes.) b 
§. 34. 


Allgemeine Erinnerungen Über den Bes 
brauch dieſer Quellen fuͤr die Kenntniß 
der Religionsphiloſophie des Orients. 


Aus dieſer gegebenen Ueberſicht der Quellen 


der orieutaliſchen Religions philoſophie leuchtet ohne 
mein Erinnern ein, daß ſie ſehr mannigfaltig, von 


verſchiedenem Werthe, Geiſte und Inhalte ſind, von 
verſchiedenen Verfaſſern, in verſchiedenen Zeitaltern 
und an verſchiedenen Orten gefertiget wurden, und 


daher auch die Farbe ihres Ortes und Zeitalters 
an ſich tragen. Will man fie alſo brauchen, um 


eine vollſtaͤndige und pragmatiſche Darſtellung ih⸗ 


rer Religionsphiloſophie, und der juͤdiſchen Theologie 
M 2 


ins 


u 


3 


— 


180 ö Gebrauch dieſer Quellen. 


insbeſondere aus ihnen zu ſchoͤpfen; ſo muß man 
fie mit kritiſcher Beurtheilung ſtudieren, und auf 
die beſondere Beſchaffenheit derſelben, die ich nach 
ihren Hauptreſultaten (nach meiner Kenntniß und 
individuellen Anſicht) jedesmal anzugeben geſucht 
habe, naͤmlich auf Zeitalter, Ort, Verfaſſer, das 
vorherrſchende Syſtem und die kritiſche Reinheit 
ihres Inhalts, ſorgfältige Ruͤckſicht nehmen. 
Denn außerdem wuͤrde die Darſtellung voll von 
Unrichtigkeiten, Inkonſe quenzen und Widerſpruͤ⸗ 
chen, zum Gebrauch der Auslegung des N. T. 
unbrauchbar werden, und den Exegeten zu bedeu⸗ 
tenden Mißgriffen verleiten. — Vielleicht iſt es 
nuͤtzlich, wenn ich hier ein Verfahren vorzeichne, 
das wenigſtens zu richtigen Reſultaten fuͤhren 
kann, ohnerachtet ich mir nicht anmaaße, es fuͤr 
das ee zu halten. 


Um ſich des Inhalts jener Quellen zu be⸗ 
maͤchtizen, und ihn zu einer pragmatiſchen Dar⸗ 
ſtellung der Religionsphiloſophie des Orients zu 
verarbeiten, ordne man erſtlich die Quellen 
nach dem Orte ihrer Abfaſſung in Klaſſen; denn 
durch dieſe Klaſſifikation wird man zugleich er⸗ 
kennen, welches Spſtem der Religionsphiloſophie 
an einem Orte, und bei deſſen einheimiſchen 
Schriftſtellern das herrſchende war, und was 


aus andern in daſſelbe aufgenommen wurde. Ich 


habe ſchon oben S. 73. erinnert, daß ſich vor⸗ 
zuͤglich drei Klaſſen unterſcheiden laſſen; naͤmlich 
die e jädiſche, oder das Syſtem des 

Pha⸗ 


Gebrauch diefer Abele N | 181 


Phariſätsnus und Rabbinismus; die perfifche 
und die griechiſche Religionsphiloſophie, welche 
letztere man vielleicht wieder in die alexandrini⸗ 
ſche und kleinaſiatiſche eintheilen kann und deren 
Grundlage die platoniſch- pythagoreiſche Philoſo⸗ 
phie, wie ſie in Alexandrien bluͤhete, war. Ich 
geſtehe aber gern, daß ich in der Abhandlung 
der Quellen nach dieſer Eintheilung nicht ganz 
genau geweſen bin, und auch nicht ſeyn konnte, 
da mehrere Quellenſammlungen (wie die Apokr. 
Pſeudepigr. des A. T. und die Apokr. des N. 
T.) zuſammengenommen werden mußten, ob fie - 
gleich ziemlich verſchiedene Produkte enthalten. 
Bei einem aufmerkſamen Studium wird man aber 
leicht bemerken, wohin die einzelnen Buͤcher dies 
ſer Sammlungen gehoͤren moͤgen, und ob nicht 
in einigen die Grundfage fo gemiſcht find, daß 
fie unter mehr als eine Klaſſe gebracht Bean 
koͤnnen. ö 


Iſt dieſes geſchehen; fo zeichne man ſich 
zweitens die Syſteme dieſer Ouellen einzeln 
auf, und zwar ganz vollſtaͤndig, und ordne fie 
hernach chronologiſch in jene drei Hauptklaſ⸗ 
ſen, um ſich theils des ganzen Ertrags der Duel- 
len zu bemaͤchtigen, theils um die Aufaͤnge, Fort⸗ 
bildung und Veraͤnderungen der religioͤſen Ideen 
zu erforſchen; ohne welches die Kenntniß j jener 
religioſen Lehren nie Pragmatiſch werden und 
auch zum Theil unverſtaͤndlich bleiben wuͤrde. 


Dann 


* 1 


182 Gebtauch dieſer Quellen. 


Dann ſtelle man, um eine Ueberſicht des 
Ganzen zu erlangen, drittens die Hauptſyſte⸗ 
me der Quellen nach ihrer Klaſſenordnung auf, 
und ſtelle nun eine allgemeine ſowohl hiſtoriſche 
als dogmatiſche Vergleichung dieſer Syſteme an, 
bei der man vorzuͤglich folgende Punkte zu bes 
ruͤckſichtigen bat: 1) wenn und wo dieſe Syſte⸗ 
me entſtanden, welches das fruͤhere, welches das 
ſpaͤtere ſeyyj 2) welchen Einfluf, vermoͤge der 
politiſchen und religioͤſen Verbindungen einzelner 
Voͤlker, das fruͤhere Syſtem auf das ſpaͤtere 
geaͤußert haben mag, und welche Modifikationen 
durch die Individualitaͤt eines Volkes oder einzel⸗ 
ner Maͤnner dabei eintreten konnten; 3) in wel⸗ 
chen Punkten die Quellen abweichen, und wel⸗ 
ches die Urſachen dieſer Abweichungen ſeyen; 4) 
in welchen Punkten ſie uͤbereinſtimmen; 5) 
wenn und wo ſich einzelne beſondere Meinungen 
bildeten, und 6) welches die allgemeinen Grund⸗ 
zuͤge der geſammten Religionsphiloſophie des 
Orients, gleichſam das Hane aller dieſer 
Quellen, ſeyen. 


Iſt dieſes geſchehen, fo laͤßt ſich nun 
leicht uͤberſehen, was zur juͤdiſchen Theologie 
insbeſondere gehoͤre, und was ihr fremd ſey; 
was alſo zur hiſtoriſch dogmatiſchen Interpre⸗ 
tation vorzuͤglich wichtig, und was weniger 
brauchbar ſey; und endlich, welche Quellen in 
der Specialhermeneutik für jeden Schriftſteller die 
wichtigſten fepen. 

ö Bei 


Gebrauch dieſer Quellen. 183 


Bei dieſem Studium aber bediene man ſich, 

wo möglich, des Textes der Quellen ſelbſt, und 
ſtudiere ſie in der Grundſprache. Denn außer⸗ 
dem ſteht man nicht nur in Gefahr, manches Fal⸗ 
ſche mit in die Darſtellung aufzunehmen; ſondern 
man wird auch nicht leicht vollſtaͤndig ſeyn, und 
manche interereſſante Bemerkung nicht machen. 
Denn die Ueberſetzungen (z. B. der chaldaͤiſchen 
Paraphraſen, der Rabbinen ꝛc.), wenn ſie auch 
fehlerfrei ſind, geben den Geiſt des Originals 
doch nicht ſo treu zuruͤck, daß man dieſes dabei 
entbehren koͤnnte, und verwiſchen nur gar zu leicht 
die Beſonderheit des Ausdrucks im Original, 
durch den bisweilen eine Stelle intereſſant wird. 
Die Darſtellungen Anderer aber von dem Sy⸗ 
ſteme dieſer oder jener Quelle find haufig mangel⸗ 
haft, oft ganz falſch, (beſonders gilt dieſes von 
den Rabbinen und dem Talmud,) gwöhnlich aber 
in einer beſondern Ruͤckſicht gemacht, und enthal⸗ 
ten alſo ſelten Alles, was aus ihr benutzt wer⸗ 
den kann, und was ſich oft erſt erkennen laͤßt, 
wenn man die ſaͤmmtlichen Quellen genau ſtu⸗ 
diert, und dadurch auf einzelne Ausdruͤcke und 
Vorſtellungen aufmerkſam geworden iſt. Daher 
iſt es auch faſt unumgaͤnglich noͤthig, nach Vol⸗ 
lendung der Arbeit die ſaͤmmtlichen Quellen noch 
ein Mal ſorgfaͤltig zu du chleſen, wo man ge⸗ 
wiß noch eine bedeutende Nachleſe zum Ganzen 
machen wird. f 
In eben dieſer Ruͤckſicht werden auch die 
Vorarbeiten für die Kenntniß dieſer Quellen und 
fuͤr 


184 Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 


fuͤr die orientaliſche Religionsphloſophie und juͤ⸗ 

diſche Theologie uͤberhaupt dankbar verglichen und 
benutzt worden muͤſſen; weil man in ihnen man⸗ 
ch Zweifel, manchen Wider pruch gelöfer finden, 
oder auf einzelne Schwierigkeiten aufmerkſam ge⸗ 
macht werden wird. Da die Schriften über die 
Quellen ſelbſt an ihrem Dite angegeben worden 
find; fo iſt nur noch übrig, die literariſchen Huͤlfs⸗ 
mittel anzuzeigen, in denen die Religionsphiloſo⸗ 
phie des Orients im Ganzen oder in einzelnen 
Theilen bearbeitet worden iſt⸗ | 


§. 35. 
Literäriſche Huͤlfs mittel. 


Eine vellſtaͤndige und pragmatiſche Darſtel⸗ 
lune, ſowohl der orientaliſchen Religionsphiloſo⸗ 
phie, überbaupt als der juͤdiſchen Theologie ins⸗ 
beſondere, ſehlt uns noch ganz, und wir beſitzen 
entweder nur Darſtellungen der Theologie e nzel⸗ 
ner Quellen, die an ihrem Orte angegeben ſind, 
oder nur ER über das Ganze, die ſich 
in den Werken über die Geſchichte der Phileſo⸗ 
poie zerſtreut finden, oder Bearbeitungen einzel. 
ner Theile der juͤdiſchen Theologie. Doch hat 
Horn (Joh. Horn, uͤber die bibliſche Gnoſis. 
Pragmatiſche Darſtellung der Religionsphiloſophie 
des Orients zur Erklarung der heil. Schriſt. 
Hannover 1805. 441 S. kl. 8.) den erſten 
wohlgerathenenen Verſuch einer Darſtellung des 
Ganzen geliefert, und ſein Werk wird, wenn 

es 


Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 185 


es vollendet iſt, ein wichtiges Huͤlfsmittel für 
dieſe Unterſuchungen ſeyn. Der Verf. unterſucht 
in dieſem Bande, der aber auch als ein Ganzes 
fuͤr ſich betrachtet werden ſoll, den Mrfprung, 
die Ausbreitung und Schickſale der orientaliſchen 
Religionsphiloſophie, und ſtellt die Syſteme Zo⸗ 
roaſters, der Indier, Aegyptier, Phoͤnicier, der 
Kabvaliften und des Philo, theils aus den Quel⸗ 
len theils nach den beſten Huͤlfsmitteln, in Haupt⸗ 
umriſſen auf, mit Nuͤckſicht auf ihren U ſprung 
und ihre Verwandtſchaft. In einem zweiten 
und dritten Theile will der Verf. von den Spu⸗ 
ren der Gnoſis in unſern heiligen und apokry⸗ 
phiſchen Religionsſchriften, und von der ſpaͤbenn 
Ausartung der Gnoſt 8 handeln. 0 


Weit weniger ſyſtematiſch und umfaſſend 
iſt ein andres neues Werk: „die geheime Lehre 
der alten Orientaler und Juden zur innern und 
hoͤhern Bibelerklaͤrung aus Rabbinen und der 
ganzen alten Literatur, von einem großen Philo⸗ 
logen des Auslandes“ (aus dem Schwediſchen 
uͤberſetztj. Roſtock und Leipz. 1905. 292 S. 8. 
Das Buch iſt beinahe ohne Plan gearbeitet, und 
der Verf. (Hallenberg, Prof. zu Lund) hat die 
verſchiedenen Quellen, den Philo, Joſephus, die 
Platoniker, die Targumim, Kabbaliſten und Tal⸗ 
mudiſten viel zu ſehr durch einander geworfen. 
Die Zendbuͤcher ſind gar nicht benutzt. Am weit⸗ 
laͤuftigſten iſt die Darſtellung des Kabbalismus; 
allein er hat hier die Huͤlfsmittel nicht kritiſch 

gewuͤr⸗ 


186 Elteraͤrlſche Hälfsmittel, 


gewürdigt, und ſich oft auf unlautere Quellen, 
wie z. B. des Jeſuiten Kircher Oedipus Ae- 
gyptiacus (S. oben S. 140.) bezogen, auch 
altere und juͤngere Rabbinen nicht gehoͤrig ge⸗ 
ſchieden Doch als Repertorium mannigfaltiger 
intereſſanter Unterſuchungen iſt das Werk ſchaͤtz⸗ 
bar, ohnerachtet man dem Verf. nicht immer in 

feiner Exegeſe des N. T. beitreten wird. | 


Was die juͤdiſche Theologie insbeſon⸗ 
dere betrifft, ſo haben wir auch hier noch nichts 
vollſtaͤndiges; denn von K. H. L. Poͤlitz „prag⸗ 
matiſcher Ueberſicht der Theologie der ſpaͤtern Ju⸗ 
den“, iſt nur der erſte Thl., (Lpz. 1795. 228 
S. gr. 8.) erſchienen, der bloß allgemeine Be⸗ 
trachtungen uͤber den Gang jener Theologie ent⸗ 
halt. Eine kurze Ueberſicht der hieher gehoͤri⸗ 
gen Lehren, nebſt reichen literaͤriſchen Hinweiſun⸗ 
gen gab der Verf. vorher in f. diſl. de grauiſ- 
ſimis theologiae ſeriorum Iudaeorum decretis, 
quorum veſtigia in libris inde ab exilii aeta- 
te vsque ad ſec. IV. poſt Chr. n. initia depre- 
hnenduntur. Lipſ. 1794. 55 S. 4. Die Schrift: 
de ortu theologiae Veterum Hebraeorum eius- 

que cum diuerſo diuerforum feculorum, qui- 
bus incrementa ſua cepit, ingenio atque indo- 
le congruentia, Pars I. (Erlang. 1803. 147 
S. 8.) 5) beſchaͤftigt ſich vorzüglich mit den Zeis 
ten 


) Es find eigentlich zwei vorher unter demſelben 
Titel erſchienene akademiſche Disputationen. 


Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 187 | 


ten des A. T., und nur erſt der ate Band wird 
den Zeitraum vom Exil bis Chriſtus umfaſſen. 
— Hiermit vergl. die S. 76. angefuͤhrte Ab⸗ 

handlungen. 9903 


Außer dieſen allgemeinen Schriften verdient 
vorzuͤglich das, was Buhle uͤber die Philoſo⸗ 
phie der Juden im Zeitalter Jeſu in ſ. Lehrbuch 
der Geſchichte der Philoſophie und einer kritiſchen 
Literur derſelben ater Thl. S. 69 ff. ) geſagt 
hat, naͤhere Aufmerkſamkeit, ſo wie die einzelnen 
Abhandlungen, die ſich entweder uͤber das Ganze 
oder einzelne Theile erſtrecken. Unter ihnen ver⸗ 
dienen vor allen andern C. A. Th. Keil, com- 
mentationes de doctoribus veteris eccleſiae culpa 
corruptae per platonicas ſententias theologiae 
liberandis. Comm. I- XIV. Lipf. 1293-1804. 
4. genannt zu werden. Die Abſicht des Verf. 
iſt, zu zeigen, daß die Theile der Theologie der 
aͤlteſten Kirchenvaͤter, die ſie nach der Meinung 
mehrerer Gelehrten aus der platoniſchen Philoſo⸗ 
phie geſchoͤpft haben ſollen, aus juͤdiſchen Quel⸗ 
len abgeleitet werden koͤnnen. Dieſe Abhandlun⸗ 

gen 


— — nn 


) Auch in den Werken über die Geſchichte der 
Philoſophie find die Juden mit behandelt. Vergl. 


Buddeus introductio ad Philof. hebraeorum. 


Halae. 1720. Walther Geſchichte der Welt⸗ 
weisheit der Hebraͤer. 2. Abtheil. Goͤtt. 1750, 
31. 4. iſt kurz und kann ganz entbehrt werden. 


188 Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 


gen ſind daher für die Kenntniß der Theologie 
nicht nur der Juden, ſondern auch der aͤlteſten 
Kirchenvaͤter, von vieler Wichtigkeit. — 


Haſſe, Vergleichung der hebraͤiſch⸗ juͤdi⸗ 
ſchen und griechiſch⸗ roͤmiſchen Dogmatik, kurz vor 


Anfang des Chriſtenthums. In ſ. bibliſch⸗ orien⸗ 


taliſchen Aufſaͤtzen (Koͤnigsb. 1793. 8.) ©. 91— 


je, 104. enthaͤlt kurze, aber intereſſante Parallelen 
uͤber die Artikel: Gott, Schöpfung, Inſpjra⸗ 


tion, E bſuͤnde, goldnes Zeitalter, Tod, Gericht ꝛc. 


ueber das N. T. insbeſondere, und deſſen 


Religionslehren find, außer den S. 76 und 77. 


angegebenen Schriften, noch folgende zu bemerken: 
(G. L. Bauer) Bibliſche Theologie des N. T. 
4 Binde Leipz. 1800-1804. 8. Leun weiter 
unten angefuͤhrte Chriſtologie. Die uͤber den Lehr⸗ 
begriff Pauli in der Specialhermeneutik angefuͤhr⸗ 
ten Schriften. „Das Urchriffengbum nach dem 


Geiſte re. ſ. Specialhermeneutik zu Anfang. — 


— 


Ant. Theod. Hartmann Blicke in den Geiſt des 
Urchriſtenthums. Duͤſſeld. 1802. XLII. und 276 


S. 8. (Meſſias; Weltgericht; Wunder; Verſoͤh⸗ 


nung ꝛc.) und: (Thurn) abweichende Vorſtellun⸗ 
gen der neuteſtamentl. Schriftſteller über einen 


und denſelben Gegenſtand. Nebſt einer Abhandl. 


uͤber Emanation und Pantheismus der neuteſt. 
Schriftſteller. zter Thl. Lpz. 1803. 8. Die letz⸗ 
tere Abhandlung enthaͤlt die Darſtellung dieſer 
Lehre bei den Griechen, Orientahern und Iſrae⸗ 

liten, 


Literäliſche Hülfsmüttel. 4 189 


lite); ih auch im N. T. wil We der ah gt 
tunen haben. - 


Endlich ir man nicht nur einzelne Abe - 


handlungen über die juͤd ſche Theologie, ſondern 


auch viele zerſtreute Bemerkungen daruͤber in fol⸗ 


genden Zeitſchriften: 1) Beitraͤge zur Befoͤrderung 


des ‚vernünftigen Denkens. in der Religion (von 


Heinr. Corrodi herausgegeben); Winterthur 


1780-1793. 18 Hefte 8. in denen vorzuͤglich 


folgende allgemeine Abhandlungen zu bemerken 


ſind: Von der Uebereinſtimmung der irrigen und 


elenden Vorſtellungen der Chriſteng mit dem al⸗ 


bernen und fanatiſchen Ideen der Juden; 1 Hft. 
S. 44-75: (beſonders die Lehren: Meſſias, Daͤ⸗ 
monen.) Ueber die juͤdiſche Theologie; 5. Heft 


S. 23-54. (eine kurze und ee Dar⸗ 
ſtellung der Hauptlehren.) Vom Zuſammenhang 


der juͤdiſchen und chriſtl. Religion, und Reli⸗ 
gionsgeſellſchaft in, der aͤlteſten Zeit, und 85 
Sekten der. „Jubdeüchriſten; im Iten Hft. 

ee an zund endlich: Etwas uͤber Ne 
gnoſtiſchen Lehrſaͤtze; im 16. Hft. S. 141-206. 


unter dem Titel: neues Magazin für ꝛc. 2 Bde, 


Helmſt. 1797.98. 8. Wovon als eine Fort 


ſetzung jetzt Deſſelben Muſeum fuͤr Religions⸗ 
wiſſenſchaft in ihrem ganzen Umfange. Magdeb. 
vor 15 1. B. 


= 


2) H. Phil. Cour. Henke. Magazin für j 
Refintonsphllofophie, Exegeſe und Kirchengeſchich. 
te; 6 Baͤnde, Helunſt. 170 1796. 8. Dann 


190 Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 


1. B. 1-4. St. 1803. 1804. 2 B. 1 und 2! 
St. 1804. gr. 8. erſcheint. — 3) Joh. 
Gottf. Eichhorn, allgemeine Bibliothek der 
bibl. Literatur; 10 Bande: Leipz. 1787-1801. 
8. — vorzuͤglich aber 4) Joh. Ernſt Chr. 
Schmidt, Bibliothek fuͤr Kritik und Exegeſe 
des N. T. und aͤlteſte Chriſtengeſchichte. 2 Baͤn⸗ 
de und 3 B. 1. und 2. St. Hadamar 1796 
1805, 8.04 


Abhandlungen über einzelne Kapitel der 
juͤdiſchen Theologie: 5 


H. Eb. Gortl. Paulus: meditatio exegerica: an ſe- 
cundum Acta Apoſtol. primitiui Chriftiani inſpi- 
rationem, quam vocant, atque infallibilitatem gro 
nonimis habere ſoliti fine? Ien. 1802. (ſteht 
auch in Port ſylloge comment, theol. V. III. die 
Frage wird verneint.) — I. A. Millies diſſ. de 
variis generibus JcoBavauy arque Earıymvomy Jawyz 
quae in libris vtriusque foederis et Philonis Iu- 
daei commemorantur. Hal. 1802. 63 S. 3. — 
Vorzuͤglich ſ. Herder, vom Geiſt des Chriftens 
thums. Nebſt einigen Abhandlungen, verwandten 
RR Leipz. 1798, (Auch unter dem Titel: 
Chriſtl. Schriften Jte Samml.) N 


I. Ph. Leisner diſſ. (Sub praeſid. F. V. Reinhard) 
de notione Dei, quae in prioribus Geneſ. XI. ca- 
pitibus zribuitur hominibus primis. Viteb. 1792. 
4 ©. Sam. Ritter, Sfraelitifher Monotheis⸗ 
mus und ſein Urſprung; in Scherers Schriftfors 
ſcher 4 St. (1803.) S. 637-671. — Georg 
Alex. Ruperti, Einige Bemerkungen uͤber die 
Erforſchung und die Zeichen der göttlichen Gunſt 
0 i 8 und 


Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 191 


und Huͤlfe nach der Vorſtellungsart der alten Welt. 
In Henke's Magaz. 6. B. S. 186-194. Der⸗ 
ſelbe Bemerkk. über die Entführung der Mens 
ſchen durch Götter, und über ihren ploͤtzlichen und 
fruͤhzeitigen Tod, nach den Begriffen des Alter— 
thums; ebendaſ. S. 194-210, Derſelbe: 
uͤber die Gegenwart, die Wohnungen und Vereh— 
rungsplaͤtze Gottes nach der Deukaͤrt des hoͤchſten 
Alterthums; ebendaſ. S. 210-220. Derſelbe: 
Deitraͤge zur bibliſchen Theologie; in der Sötting. 
Biblioth. herausg. von Schleusner und Staͤud⸗ 
lin 2. B. 1. St. S. 134. 5, St. S. 682 
217. 6. St. S. 791-809. und fortgefeßt in Hen⸗ 
ke's Magaz. 5. B. 1. St. (enthält die Vorſtel⸗ 
lungen von Gott im A. T.) Derſelbe: Ue⸗ 
ber die Entſtehung und Entwickelung eines Bes 
griffs von einer Gottheit und von einem einzigen 
Gott und Weltſchöpfer; in Velthuſens Brem. 
und Verd. theol. Magaz. 2. B. 1. St. — G. 
L. Bauer, Beilagen zur Theologie des A. T., 
enthaltend die Begriffe von Gott und Vorſehung 
nach den verſchiedenen Büchern und Zeitperioden 
entwickelt. Leipz. 1801. 255 S. 8. — C. W. 
Thurn, uͤber die theoretiſche Vorſtellung von der 
Lichtnatur Gottes und die Emanation des Gan⸗ 
zen aus derſelben, in ſofern ſie in den Urkunden 
des iſraelitiſchen Volks gegruͤndet find; in Sches 
‚vers Schriftforſcher 2. B. 1. St. S. 23-42, — 
Verhaͤltniß Jehova's zu den Heiden [nad den eins 
zelnen bibl. Buͤchern durchgefuͤhrt; In Eich⸗ 
horns Bibl. 8. B. S. 222236. — Verſuch 
einer Entwickelung der Meinung Moſis uͤber die 
Gottheiten der Nichtiſraeliten; von Steger; in 
Henkes Magaz. 4. B. 1. St. S. 191. ff. — 
Stahl, über die Erſcheinung Jehova's und feis 
ner Engel im A. T. In Eichhorns Bibl. 7. B. 
S. 156-180. — I. G. A. Oelrichs comm. de 
doctrina Platonis de Deo chinſtianis et recentiori- 
bus Plasonicis varie explicata, er corrupta. Marh. 


1788. 


192 Literäriſche Huͤlfsmittel. 
1788. 142 S. 8. Vergl. mit Lud. Härſtel, Plato- 
nis doctrina de Deo e dialogis eius — — excerpta 


et in oranem redacta. Lipl. 1804. 48. u. 192 ©. 8. 


Eichhorn, uͤber die Perſonifikationen der Eigen⸗ 
ſchaften Gottes unter den ſpaͤtern Juden. In d. 
Biblloth. 3. B. 2. St. S. 1912225. — Ue⸗ 
ber die Zahl „Sieben“ ſ. zwei Aufſaͤtze im Vers 
kuͤndiger 78. Stuͤck vom Jahr 1804, und im 34. 
Stuͤck vom Jahr 1805. wo auch einige alte 
Schriften über die Zahl 7 angeführt werden; wo⸗ 
mit das zu vergleichen iſt, was der Verf. der ge— 
heimen Lehre der alten Orientaler und Juden ıc, 
S. 80 ff. hieruͤber, und tiber die Entfichung dies 
fer Zahl aus der (alten) Anzahl der (7) Planes © 
ten, und S. 203 über die ſieben vollziehenden Ei⸗ 
genschaften Gottes nach der Lehre der Kabbala 
ſagt. Ueber die Sephiroth ſ. oben S. 137. 


4 


Chr: Dan. Beck, comment. de fontibus, 9295 1 
tentiae et coniecturae de creatione et prima Fa- 
cie orbis terrarum ducumtur. Lipſ. 1782. 23 S. 

Ph. Howard Geſchichte der Erde und 
er Menſchengeſchlechts nach der Bibek, verglichen 
mit den Kosmogenien, Chronologien und Volksſa⸗ 
gen älterer Zeiten. A. d. Engl. uͤberf von J. F. 
Lehzen. Hannov. 1799. gr. 3. — Beobachtun⸗ 
gen über die Uedereinſtimmung. der Goͤttergeſchichte 

der Braminen mit der aͤlteſten Bibelgeſchichte; in 
d. Beitraͤg. z. Befoͤrd. ꝛe. 1. Hft. S. 78 ff. — 
J. G. Eichhorn, Urgeſchichte herausgeg, von | 
Gabler. Altorf und Nürnb. 2 Thle in 3 Baͤn⸗ 
den. 1790. 92. 8. — Herder, aͤlteſte Urkun⸗ 
de des Menſchengeſchlechte. Riga 1774 und 76. 
2 Theile gr. 4. — J. G. Haſſe, Entdeckan⸗ a 
gen 


— n 


Literärifhe Huͤlfsmittl. 193 


gen der Ältefien Erd- und Menſchengeſchſchte, aus 
näherer Beleuchtung ihrer Quellen. Halle u. Lpz. 
2 Theile 1801, und 1805. gr. 8. 


Ueber die Ideen der Alten vom Schickſal; in den 
Horen, Jahrg. 1795. 7. St. — C. P. Conz, 
Etwas uͤber die aͤltern Vorſtellungen vom Schick⸗ 
ſal, Nothwendigkeit und Strafgerechtigkeit, mit 
Beziehung auf einen Aufſ. in den Horen; in 
Staͤudlins Beltraͤg. zur Philoſ. und Geſch. der 
Relig. ꝛc. 3. B. S. 351-82. — De ſſen: weis 
tere Bemerkungen uͤber die aͤltern Vorſtellungen 
vom Schickſal ze. in Staͤudlins Mien für 
Relig. Morals und Kircheng. 1. B. St. — 
Hug. Grotius, Sententiae rere de faro: 
Par. 1648. 12. 


Jo. Lami, de recta Chriftianorum in eo, quod my- 
fterium diuinae trinitatis attinet, ſententia, libri 
VI. Florent. 1733. 4. — Ju. Mast. Glaefener 

dle Trinitate in ſcriptis Cabbaliſtarum et Rabbino- 
vum non Chiriſtiana, ſed mene Platonica. Helmſt. 

1741. 4. — (Sawversin) Le platon isme devoile, 

à Cologne 1700. 8. Deutſch: Verſuch über den 

Platonismus der Kirchenvaͤter, oder Unterſuchung 

über den Einfluß der platoniſchen Philoſophie auf 

die Dreieinigkeitslehre in den erften Jahrhunder⸗ 
ten; A. d. Franz, ‚überf, u. mit Vorr. u. Anmerkk. 

begleitet von J. F. Ch. Löffler, ate Aufl Zuͤl⸗ 

lichau und Fleiſt. 1792, 522 S. gr. 3. (Dage⸗ 

gen vergl, Keils comment. de doctoribus etc, 

comm. I u. II.) — J. A. Cramer, von den 

Widerſachern der Gottheit Jeſu Chr. und der Dreis 

einigkeit im 2. u. zten Jahrh. in der Forrſetzung 

von Boſſuets Weltgeſchichte 2 B. — J. E 

N | Chr. 


194 eiteraͤriſche Huͤlfsmittel 


Chr. Schmidt, einige Bemerkk. zur aͤlteſten Ges 
ſchichte des Dogma von der Trinitaͤt.; inf. Bis 
blioth. für Kritik ꝛe. 2. B. 2. St. S. 207-217. 


Ueber gen und %s, in den Apokryphen des A. 
T. ſ. Bretſchneider Dogmatik und Moral d. 
Apokr. des A. T. 1. B S. 194 ff. Die S. 86 
beim Buche der MWeish. angeführten Abhandlun— 
gen. — G. E. Schulz diff. de ideis Plaronis, 
Viteb. 1787. G. Fh ſe diſſ. de ideis Plaronis, 
Lipſ. 1795. 4. Tiedemanns Geiſt der fpef. 
Poitof 2. B. S. 89 ff. 3. B. S. 132. G. 
Th. Tennemann, uͤber den goͤttl. Verſtand in 
der platon. Philoſophie; in Paulus Memorab. 
1. Thl. S. 34 ff. und die Interpreten zu Joh. 1, 
1. die weiter unten angefuͤhrt werden ſollen. — 
— E. F. C. Oertel, Chriſtologie, oder die Re— 
ſultate der neueſten exegetiſchen Aufklaͤrungen uͤber 
den Artikel von der Gotth. Chriſti. 2 Thle. 1792. 
gr. 8. (Chriſtus ſey der maͤchtigſte Geiſt nach Gott.) 
Vergl. (Stark) Verſuch einer Geſchichte des 
Arianismus 2 Baͤnde Berl. 1783. 85. 8. (vor⸗ 
zuͤglich 1. B. S. 21 ff.) und (Roth) Beitrag 
zur Beantwortung der Frage: ob der Glaube an 
Chriſtum, als den hoͤchſten Geiſt nach Gott, ſchrift— 
mäßig ſey? Ansb. 1793, (vorzuͤgl. S. 38 ff.) — 
I. I. Griesbach de mundo a Deo patre condiro 
per flium, progr, Iende 1781. 18 S. 4. — Des 
merkungen uͤber den Glaubenspunkt: Chriſtus iſt 
empfangen vom heil. Geiſt, und geboren von eis 
ner Jungfrau; in Henke's neu. Magaz. 3. B. 
3. St. S. 321 ff. — Stiagraphie der Geſchich⸗ 
te des Dogma von Jeſu ubernatuͤrlicher Geburt; 
in Schmidts Biblioth. für Kritik und Exegeſ. 
1. B. 3. St. 400 - 410. — G. Conr. Horſt, 
über die beiden erſten Kapitel im Evangel. Lukas, in 
hiſtoriſch⸗ Eric, und exegetiſch-dogmat. Hinſicht; in 
Henke's Muſeum 1. B. 3. St. S. 446-538. 
(Dieſe Kapp. ſeyen ſpaͤterhin zugeſetzt worden, um 

das 


\ 


- = 
— — 


— er 


Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 1095 


das Dogma von Jeſu uͤbernatuͤrl. Geb. zu beftäs 
tigen.) — Die Nachricht, daß Jeſus durch den 
heil. Geiſt und von einer Jungfrau geboren wor— 
den ſey, aus Zeitbegriffen erlaͤutert; in Schmidts 
Biblioth. f. Krit. c. 1. B. 1. St. S. 101 
110, (es werden aͤhnliche Meinungen anderer Voͤl— 
ker über die Entſtehung der Nelinionsftifter bei— 
gebracht.) — — S. I. Plan, obff. quaedam in 
primam doctrinae de maturis Chr. hıfloriam. 
Goett. 1787. 89. wiedergedr. in den commentart. 
theol. Vol. I. p. 141. — Cramer, uͤber die 
Schickſale der Lehre von der Perſon Chrifti, In 
„der Fortſetz. von Boſſuets Weltgeſch. 4 S. 
233 fl. — C. A. G. Keil, ob bie ſeſten 
chriſtl. Lehrer einen Unterſchied zwiſchen dem Soh⸗ 
ne und dem heil. Geiſt gekannt, und welche Vor— 
ſtellungen fie ſich davon gemacht haben? Eine pas 
triſt. Unterſuchung; in Flatts Magazin 4. St. 
— Ueber Jeſus und deſſen Perſon und Amt, nach 
der Meinung der alten Kirchenvaͤter; in Henke's 
Magaz. 3. B. no. V, XI. u. XII. — I. G A. Oel. 
richs comm. de vera et certa eorum, qui medio 
Secundo atque ineunte tertio ec. Noruerunt parrum, 
de rarione fine relarione flii ſ. verbi cum parre 
ſententia. Goett. 1786. 4. — C. D. A. Mer 
tini Verſuch einer pragmatiſchen Geſchichte des 
Dogma von der Gottheit Chriſti in den erſten 4. 
Jahrhunderten, 1. B. Roſtock 1800, 8. 


W. C. L. Ziegler, Geſchichtsentwickelung des Dog⸗ 
ma vom heil. Geiſt. In fein. theologg. Abhandll. 
1. B. (Götting. 1791.) — Koppe, ster Exkurs 
zu dem Br. an die Galat. S. 101 ff. — J. 
G. Herder vom Geiſt des Chriſtenthums. Leipz. 
1798. 8. (der chriſthichen Schriften gte Samml.) 
— Fr. Theod. Rink, de zveuumrı &yın ex mente 


Chriſti Diff. Regiom. 1799. 30 S. 3. — Ent 
N 2 


wurf 


196 Elteraͤriſche Huͤlfsmittel. 


wurf einer Darſtellung der Beariffe, die mit dem 
Namen Geiſt Gottes im N. T. verbunden wers 
den; in Schmidts Biblioth. für Kritik und 
Ex. ze. 1. B. 2. St. S. 226266. — Vergl. 
Beitraͤge zur Beförd. des vernünft, Denk. ꝛc. 7. 
Hft. S. 170 ff. 1 

| 

j 

1 


\ 


Iac. Ode, tracratus de angelis. Traj. 1739. 8. — 
I. F. Major diſſ. de natura er cultu angelorum 
Facta collatione Pagunorum, Iudaeorum, Mula- 
nn et Chriftianorum. len. 1653. 4. — 

Al commentatt. de doctoribus etc. comm. IV. 
ſqq. — Herder, vom Geiſt d. hebr. Poeſie. S. 

48 ff. — Stahl, Ueber die Erſcheinung Jeho⸗ 
vas und feiner Engel im A. T. in Eich h. Bibl. 

7. B. 1. St. S. 156-180. — Beiträge zur 

Befbrd. des vernuͤnft. Denk. ꝛc. 1. Heft S. 54 
ff. — Ueber den Einfluß ber Geiſterwelt auf uns 
Menſchen nach d. pauliniſchen Lehrbegriff Epheſ. 
6, 12. in den Beiträgen z. Beförd. ꝛc. 17. Heft. 
S. 1-12. — Kritik über die Lehre von den En⸗ 
geln in der Dogmatik; In Henkes Magaz. 3. B. 
S. 300-355. und 6. B. S. 152-170. — J. 
Chr, Henrici comm. I. II. de genio natalium prae- 
ide Viteb. 1782. 83. 4. 

G. Wernsdorf' exercitatio de commercio angelorum 
cum feliabuis hominum, ab Iudaeis et parribus plaro- 
nizantibus credito. Viteb. 1742. 4. C. F. Schmid, 
enarratio doctrinae librorum ſacrorum de lapſia 

dlarmonum. Viteb. 1775. 4. — Pſellus tract. 

dle operationibus deemonum; ſteht im Auszug in 
den Beitrag. z. Beförd. ze. 1. Heft S. 875 ff. 
Vergl. mit dem 4. Heft S. 23 f. — Fragmen⸗ 
te über die neuteſtamentl. Daämonologie; von J. 
E. C. Schmidt; in ſein. Bibliothek fuͤr Kritik 
und Exegeſe ze. 1. B. 4. St. S. 525 559. — 
Erklarung der Stelle des Sendſchreibens an die 

hebr. 


J 
1 


— * 
\ 1 


Literärifche Huͤlfsmittel. 197 


hebr. Chriſten Kap. 2, 45 in den Beſtraͤg. zur 
Beford. des vern. Denk, ze. 18. Heft S. 189 — 
191. — Doctrinae de diabolo, in libris Iaaunis 
apoſtoli propoſitae, breuis deſcriptio. Progr. Ienae 
1800. 12 S. 4. — Stolz: wider den Satan; 
in d. chriſtl. Magaz. 2. B: 2. St. (1799.) und 4. 
B. 1. St. (1800). — Gottfr. Menken, Beitrag 
zur Daͤmonologte. 1793. — Ueber den Antichriſt. 
Ein exegetiſcher Einfall, nebſt einer philoſophiſchen 
Zugabe, von L. F. B.; in Horns göttingiſchem 
Muſeum 1. St. S. 129144. 


I. G. Mayer, Hiſtoria diaboli fi commentatio 
de Diaboli malorumque Spirituum exiftentia, ffa- 
tibus, iudliciis, conſiliis et poteſtate. Ed. 2. Tu- 
bing. 1780. 8. — J. F. Cotta, diſſ. II. Hhiſtoriam 
ſucciuctam dogmatis de angelis exhibenres. Tubing. 
1765. 4. — I. Ben. Carpzou, varia hift. ange- 

lorum ex Exiphanio et aliorum vert. MOnumentis 
eruta. Helmſt. 1772. 4 — 


Ven der Hoffnung befferer Zeiten bei den alten Ju⸗ 
den; in d. Beitraͤg. z. Beförd. d. vern. Denk. ꝛc. 
13. Hit. ©. 30. ff. Noch etwas von der Hoffn. 
beſſ. Zeiten ꝛc. ebendaſ. 14. H. S. 30-63, — 
Heinr. Stephani, Meine Gedanken uͤber die 
Entſtehung und Ausbildung der Idee von einem 
Meſſias, Nuͤrnb. 1787. 8. vergl. Eichhorns Bi⸗ 
blioth. 1. B. 5. St. — Ueber bas Verhaͤltniß 
Jehova's zu den Heiden; in Eichhorns Bibl. 8. 
B. S. 222-236. — Ziegler, über den Ur 

ſprung der Ideen vom Meſſtas; in Heuke's Mas 

gaz. 1. B. S. 61 ff. — Stahl von den meſ⸗ 

ſianiſchen Zeiten; in Eichhorns Bibl. 6. B. 4. 

St. S. 597-699, (die Meſſtasbegriffe von Mo⸗ 

ſes bis Joſephus). — Hartmann, uͤber die 

Schilderungen des goldenen Zeitalters bei den He— 

braͤern; 


198 diteraͤriſche Huͤlfsmittel. 

braͤern; der 4te Exc. in feiner Ueberſ. des Pro⸗ 
pheten Micha (Lemgo, 1800. 8.) — I. F. Win- 
zer diſſ. de aureae detatis [pe Iudaeorum. P. I. 
‚ Lipf. 1800. 4. — Gottl. Sam. Ritter, die 
Bec griffe vom Meſſias in ihrer ſucceſſiven Entwi⸗ 
ckeiung. Ein Beitrag zur bibl. Archaͤologie und 
Mythologie; in Scherers Schriftforſcher 2. B. 1. 
St. S. 10-22. 


J. W. Rullmann, in welchem Sinne nennt ſich 
Jeſus des Meuſchen Sohn? Rinteln 1785. 4. 
— C. D. Ligen, de notione tituli filii Dei Mef- 
fiae, hoc eſt vncto Iouae, in libris facris tributi. 
len. 1795. 86 S. 8. — Uoeberſetz. und Erklaͤr. 
aller Stellen des N. T. (und der meiſten des A. 
T.) die ſich auf die Begriffe Sohn Gottes, Men⸗ 
ſchenſohn, Meſſias beziehen; in Henke's 8 2c. 
1. B. 2. St. S. 129-208. — K. Ch. Lud. 
Schmidt, über den Ausdruck 0 vios rev U- 
e im N. T.; Ain Henke's neu. Magaz. 2. B. 
©. 507-576. J. G. Herder, e Schrif⸗ 
ten, zte u, zte Samml. 


br E. Chr Schmidt, fehr wichtige] chriſtologi⸗ 
ſche Fragmente; in f. Bidlioth. für Kritik und 
Creg. ꝛc. 1. B. 1. u. 3. St. Vergl. mit Dep 7 
fen Bemerkk. uͤber Geſchichte der juͤd Chriftelos \ 
gie; in ſ. Magaz. für Reltgions- und Sittenlehre 
1. B. 5. Hft. — J. F. Flatt, Etwas uͤber 
die Beziehung der Lehre Jeſu von ſeiner Perſon 
auf die Denkart der palaͤſtinenſ. Juden; in ſein. 
vermiſchten Verſuchen S. 223. ff. Suͤs kind 
Ueber die juͤdiſchen Begriffe vom Meſſias als 
Weltrichter und Todtenerwecker, und feinem Rei⸗ 
che am Ende der Welt. Zur Beurtheilung der 
Hypotheſe daß die Lehre Jeſu uͤber dieſen Gegen⸗ 
dan Accommodation fey, In Flatts Magaz. 

10. St. no. 2. (zeigt durch viele Stellen juͤis 
ſcher Schriften, daß die Juden verſchiedene Vor⸗ 
a ſtellun⸗ 


eiteräriſche Hülfemittel.. 109 


- ftelfungen über dieſe Gegenſtaͤnde gehabt haben, u. 
daß ihre Aeußerungen nicht ganz mit denen von 
Jeſu in den Evangelien uͤbereinſtimmen. — F. 
Munter, de notione Meſſiae apud Judaeos, pro- 
greſſu er ſublimiori expofitione in doctrina Apo- 
ſtolorum. Hann. 1794. 4. — J. F. Kleuker, 
Johannes Chriſtus und Paulus als Chriſtologen 
betrachtet. Riga 1785. 8. — Jo. Ge. Fried. 
Leun, Grundriß einer neuteſtamentl. Chriſtologie. 
Oder das Urcheiſtenthum nach den Ausſpruͤchen 
feiner erſten Lehrer im N. T, Leipz. 1804. 430 
S. 3. — — Ph. F. Pöſchel, über den ges 
nauen Zuſammenhang der meſſ. Zeitbegriffe mit 
den Wundergeſchichten und poſitiven Lehren des 
N. T.; in Auguſti's theol. Monatsſchrift Jahrg. 

1802, 7. Heft. — 
Chr. Schoͤttgen, Jeſus der wahre Meſſias aus 
der alten und reinen juͤdiſchen Theologie. Leipz. 
1748. 8. — Ueber die Stammtafeln unſers Herrn 
Matth. 1, 1-17. Luk. 3, 23-28. in den Bei⸗ 
trag. z. Beförd, d. v. Denk. 7. Hft. S. 125. — 
Ueber den Meſſtas nach rabbiniſchen Lehrbegriffen. 
Beiträge zur Befoͤrd. der vern. Denk. 1. Hft. S. 
so ff 5. Hſt. S. 35 ff. und Schmidts angeführte 
chriſtologiſche Fragmente. — Fr. Im. Schwarz 
diſſ. nexus doctrinae de ſacriſicio leuitico et Cliri- 
ſti. Lipf. 1778. 4. Deſſ. Meletemata I. II: le- 
ſus Targumicus. Torgauiae 1758. u. Lipſ. 1759. 
4. (zwei ſehr ſchaͤtzbare Programme.) — Gries- 
bach comm. I. II. de imaginibus iudaicis quibus au- 
ctor epiſt ad Hebraeos in deferibenda Meſſiae pro- 
vincia vfus eſt. Ten. 1791. 92. 4. ſteht auch in den 
Commentatt. theoll. Vol. II. — Grundzüge zur 
hiſtor. Beurtheilung der Vergleichung juͤdiſcher 
Opferarten mit dem gewaltſamen Tode des Meſſias; 
in dem neu. theol. Journ. Jahrgg. 1796. Hein- 
richs Exeurf. IV. zum Brief an die Hebr. — 
C. A. Tistmann, de notione facerdotis in epiſt. ad 
Hebr. 


200 Elteraͤriſche Huͤlfsmittel. 


Hebr. in ſ. opufe. th. S. 213 ff. — Ueber 
Jeſus, und deſſen Perſon und Amt nach der Meis 
nung der alten Kirchenvater; in Henke's Magaz. 
3. B. S. 109-352. 


Chr. Schöttgen dliſſ. de regno coelorum; in f, Horis 
hebr. T. I. p. 1147. — lac. Rhenferd diſſ. de 
ſeculo futuro; in Meufchen N. F. ex Talmude 
illuſtr. p. 1116 ſꝗqq. Vergl. mit Hermann Witſius, 
diſſ. de feculo hoc et futuro. Ebendaſ. S. 1171 
ff. — I. B. Koppe, progt. de regno Mefliae, 
Goett. 1780. 4. und deſſen erſter Excurs zum 1. 
Br. an die Theſſal. fo wie der erſte Excurs zum 


— * 
— 


D 


Br. an die Ephefer, (dagegen vergl. Eckermann, 


vom Reiche des Meſſias; in ſ. theol. Beitraͤg. 2. 
B.) — Vorzuͤglich C. A, Th, Keil, hiſtoria dog- 
matis de regno Meſſiae Ieſu et Apoſtolorum ae- 
tate. Lipf, 178m. 4. Vergl. mit (Hebenſtreit) 
Verſuch einer hiſtoriſch Eritifchen Abhandl. über 
die Aeußerungen Jeſu vom Reiche des Meſſia 

zu Matth. 29, 27-30. in Henke's Magaz. 2. 
B. S. 359-422. — Hiſtoriſch-exegetiſcher Ske⸗ 
pticismus in Ruͤckſicht auf die Ausſpruͤche Jeſu 
uͤber das von den Juden erwartete Meſſiasreich; 
in Henkes Magaz. 3. B. S. 320-356. und die 
Abhandlungen von einem Ungenannten unter dem 
Namen Ottmar des Zweiten: Beitraͤge zur 
hiſtoriſchen Interpretation des N, T. aus den das 
mals herrſchenden Zeitbegriffen; in Henke's Mas 
gaz. 3. B. S. 201 ff. und S. 123 ff. 3. B. S. 
492. und in Henkes neu. Magaz. 4. B. S. 123 
ff. und 492 ff — Pd litz, über Roͤm. 8, 19— 
23. in Paulus Memorabtl. 7. St. S. 97-115. 
— Paulus uͤber den Gebr. des Wortes awiwvss 
Hebr. 11, 3. K. 1, 2. und den Zuſammenhang 
der letztern Stelle; ebend. 7. St. S. 198-204, 
— Beiträge z. Beſoͤrd. des vernuͤnft. Denk. 1. 
Heft S. 64 ff. 7. Heft S. 136 ff. 9. Heſt S. 
97 ff. — Ein neues Jeruſalem (Eine Weiſſa⸗ 


gung 


* 


Literaͤriſche Huͤlfsmittel. A 201 


gung im Jeſaias K. 66.) von J. Fr. Telge; 
in Henke's neu. Magaz. 3. B. ©. 87-1356, 


Ueber die Unterſcheidung einer doppelten Wiederkunft 
Sof; in Henke's Magaz. 4. B. S. 175179. — 
Eckermann, uͤber die Begriffe vom Reiche und 
der Wiederkunft Chriſti; in ſ. theolog. Beiträgen 
2. B. 1. St. 215 ff. — Koppe Exc. II. epiſt. 
ad T hei, — Einige Ideen zur Erkiaͤrung der 
Welſſagung Chriſtl von der Zerſtoͤrung Jeruſalems. 
In Eichh. Bibl. 3. B. 4. St. S. 669-693, 
— 1. G. Süskind, de muEnUgLx Chrifti quid ſta- 
tuerit Paulus? Tub. 1795. 4. J. Chr. Koken de 
reditu Meſſiae ad iudicium gentium commenta- 
tio. Goetting. 1800. 72 S. 4. — Hartmann 
uͤber die Wiederkunft zum Weltgericht, und die 
aus dieſer Lehre entſtandenen Erſcheinungen und 
Traͤumereien; in ſ. Blicken ins Urchriſtenthum. 
(Duͤſſeld. 1802, 8.) S. 86-13. — W. Müns 
ſcher, Entwickelung der Lehre vom tauſendjaͤhri⸗ 

gen Reiche in den erſten Jahrhunderten; in Hen⸗ 

ke's Magaz. 6. B. S. 233-253. — (Corro⸗ 
di) keitiſche Geſchichte des Chiliasmus. Zuͤrch. 4 
Theile 1794. 8. 2. Aufl. — Ueber eine bevorſte⸗ 
hende Veraͤnderung der Erde nach 2. Petr. 35 in 
Henke's neu. Mag. 3. B. S. 315-364. 


Iac. Thomafıus de exuſtione mundi ftoica diſſ. XXI. 
Lipf. 1676. 4. — Beſchreibung des Weltgerichts 
nach dem Talmud; in Schmidts Biblioth. fuͤr 
Kritik und Exegeſ. 2. B. 1. St. S. 72-82 
Vergl. mit Tychſens Abh. in den Comm. So- 
eiet. Reg. Goett. Vol. XII. Pocock Speeim. 
hift. arab. p. 276 ff. und Muradgea d’ Oh ſſon 
Schilderung des ottoman. Reichs, 1. B. S. 
85. ff. 


Chriſtologise Koranicae Ren Diſſ. auet. 
Jo. Chr. Gull. Auguſt. Ienae 1799. 32 S. 8. 1 
len 


202 Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 


len des Korans die von Chriſto handeln). Vergl. 

mit: Sagen von Jeſu aus morgenlaͤndiſchen Schrifs 
ten geſammelt von J. E. Ch. Schmidt; in 
fein. Biblioth. für Kritik u. Exegeſ. ꝛe. 1. B. 1. 
St. S. 110-130. und 3, S. 395-400, 


— 


Chr. Wilh. Fluͤgge, Geſchichte des Glaubens an 
Unſterblichkeit, Auferſtehung, Gericht und Vergel⸗ 
tung. 3 Theile 1794 1800. Leſpz. 8. — J. E. 
Chr. Schmidt, Entwurf einer Geſchichte des 
Glaubens an Vergeltung und Uuſterblichkeit bei 
den Juden; erſte Haͤlfte. Marb. 1797 8. — W. | 
K. L. Ziegler, kurze Geſchichtsentwickelung der 
Vorſtellungen der Hebräer von Fortdauer, Leben 
‚und Vergeltungszuſtand nach dem Tode, bis auf 
Chriſtus, in ſ. theol. Abhandlungen 2. B. 167- 
256. (Umarbeitung deſſelben Aufſatzes in Hen⸗ 
kes Magaz. 5. B. S. 1-48.) — Ueber dass 
Nationale, Lokale und Klimatiſche in dem Volks⸗ J 
glauben an Fortdauer; in 1 s Beitraͤgen 
zur e d. Relig. 1. Thl. S. 97 ff. 2 


Y 

1 Hiobs Hoffnungen; in Eichhorn Bibl. 1. B. 
3. St. S. 567-390. Haͤnlein, über die Spu⸗ ö 
ren d. Glaub. an Unſterblichk. u. Bergeltungszu⸗ N 
ſtand im Koheleth; im neu. theol. Journ. 4. B. 
4. St. S. 277 ff. J. E. Ch. Schmidt, ob 
der Verf. des Koheleth ein Leben nach dem Tode 
kannte und glaubte? Exeurs zu Deſſ. Ueberſ. von 
Salomo's Prediger S. 221. — Nachtigall, 
Darſtellung d. Lehre von d. Leben nach d. Tode in 
d. Verſamml. iſraelkt. Weiſen nach dein babyl. Exil, 
und Beurtheil, der im Kohel. vorkommenden Pas 
radoxen; in Deſſen Koheleth (Halle 1798.) — 
Thym, Verſuch einer hiſtoriſch » kritiſchen Dar⸗ 
ſtell. der juͤd. Lehre von einer Fortdauer nach d. 
Tode, ſo weit ſich Spuren davon im A. T. fin⸗ 
den. 


elteraͤriſche Huͤlfsmittel. 203 


den. Berl. 1795. 221 S. 3. — Carl Phll. 
Conz, war die Unſterblichkeitslehre d. alten Hebr. 
bekannt, und wie? in Paulus Memorab. 3. St. 
S. 141-174. — J. Chr. Baͤhrens freimuͤ⸗ 
thige Unterſuchung uͤber den Orkus der alten Hebr. 
Halle 1786. 8. Ziegler, vom Todtenreiche der 


Hebr., erſt. Exkurs zu ſein. Ueberſetz. der Spruͤ⸗ 


che Salomo's. (1791. 8.) Herder, vom Geiſt 
der hebr. Poeſie 1. Thl. S. 215 ff. 2. Thl. S. 
22. Chr. F. Ammon, über das Todtenreich 


der Hebraͤer von den fruͤheſten Zeiten an bis auf 


David. Erl. 1792. 4. und dann in Paulus Me⸗ 
morabil. eingeruͤckt 3. St. S. 188 ff. B. G. Meyer 


comm. de notione orci apud Hebr. Lub. 1793. 


8. . G. Zobel, etwas Über das Schatten⸗ 


reich Der alten Hebr., und einer doppelten, fich 


ſcheinbar widerſprechenden Deutung deſſelben. Wit⸗ 
tenb. 1797. 29 S. 8. (weiter ausgefuͤhrt hat der 
Verf. ſeine Idee in einer ſehr ſchaͤtzbaren Abhand— 
lung: Ueber das Schattenreich der fruͤhern us 
den, und uͤber eine doppelte, ſich ſcheinbar wider⸗ 
ſprechende Vorſtellung von demſelben. In ſ. Ma⸗ 
gazin für bibl. Interpretat. 1. B. 1. Sti. (Epz. 
1805. gr. 3.) S. 1148. 


G. S. Friſch S. 38. angefuͤhrte Abhandl. 
K. F. Lohdius diſſ. I. II. delinestur imago do- 
etrinae de conditione animi poſt mortem eo, quo 
Chriftus et App. vixerunt feculo Fridericoſt. 
1790. u. 91, 4. Trium feriptorum illuſtrium 
de tribus Iudaeorum fectis fyntagma, in quo Ni- 


colai Serrarii, Io. Drulii et Iof. Scaligeri opuſeu 


la exhibentur, 1703. 4. (Schulze) coniecturae 
hiftorico- erit. Sadducaeorum 11 65 Iudaeos fes 
etse nouam lucem accendentes. Halae, 1779. 


gr. 3. K. C. Lud. Schmidt, über Sadducais⸗ 


mus und Phariſaͤismus, oder über den Glaub. an 


Vergelt., Auferſt. u. Unſterbl. bei den Juden; in 


Schmidts Bibl. fuͤr Kritik und Exeg. ꝛc. 2. B. 
’ 4: St. 


204 | Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 


4. St. S. 512-535. Flatt, Etwas über die 
Lehre d. Phartſaͤer von d. Zuſtande nach d. Tode; 
in Pauius Memorabl. 2. St. S. 157 ff. Pau. 
lus progr., Pharifaeorum de reſurrectione mor- 
tuor. ſententis ex tribus loſephi, Archseologi, 
loeis explicatur. lenge 1796. 4. ). C. F. Sräud- 
lin pr. doctrinae, de futura corporum exanimstor. 
inſtauratione ante Chriſtum hiſtoria. Goett. 1792. 
4. und wiedergedr. in d. commentatt. theoll. T. 
I. Edu. Sneedorf Hammer, mortuorum in vitam 
reuocatio fermonibus Chriſti hiſtorieae interpre- 
tationis ope vindicata. Lip. 1794. 4. 


J. S. Semler veftigia doctrinae de reſurreetio- 
ne mortuorum in remotiori Aſia vetuſtiſſima; in 


ſ. progrr. acadd. ſeleetis. Hal. 1779. Fenel, 


über die Lehre der Alten, beſonders der Magier, 
von der Auſerſteh.; in Hißmans Magaz. f. die 
Pyiloſophie, 2. B. S. 351 ff. J. G. Herder, 
von der Auferſtehung als Glauben, e b. 

ehre. 


*) Bardili, vom Urſprung der Begriffe von 
Unſterblichk., in der Berlin. Monatsſchr. Febr. 
1792. G. C. Knapp, comm. ſuper origine 
opinionis de immortalitate animor. apud na- 
tiones barbaras atque a cultu veri Dei alienas. 
Hal. 1790. und wiedergedr. in ſ. fcripus varii 
ergum. T. I. Heeren Entwickelung des Bes 
griffs von Vergeltung bei d. Griechen; in d. 
Berlin. Monatsſchr. May 1785. Myttenbach 
diſſ. quae fuerit vett. philofoph., inde a Tha- 
lete et Pythag. vsque ad Senecam fententia 
de vita et ſtatu anlınarr. poſt mortem corporis. 
Amſt. 1786. 8. Linde dill. de ſolatiis aduerſus 


mortis harrores in N. T. et Platone obuiis. 


Lipl. 1792. 4 4 


r 


Literaͤriſche Huͤlfsmittel. 205 


Lehre. Riga 1794. 8. Beitrage zur Befoͤrd. d. 
vernünft. Denk. ꝛc. 1. Heft S. 60 ff. — Einen 
Auszug aus Fr. Sim. Loeſfler diſſ. de iis, qui in. 
ter gentes in vitam redliſſe perhibentur. Lipf- 
1694. findet man in Paulus 1 uͤber 
das Evang. Johann. S. 568 ff. W. A. 
Teller, fides doctrinae de e carnis per 
quatuor priora fecula enarratio hiſt. critica. 
Helmſt. 1766. 
\ 


Ueber die Emigkelt der Hoͤllenſtrafen; in den Bei⸗ 
trägen z. Beförd. d. ven. Denk. ıc. 7. Heft S. 
41-72, 11. Hft. S. 113 ff. 1. AM S. 63. 
(uber das Paradies |. ebendaſ. 1. Hit. S. 58 f.) 


Ueber 1. Petr. 3, 19, 20; in Schmidts Bir 
blioth. f. Kritik und Exeg. ꝛe. 1. B. S. 301— 
307. J. G. A. Hacker, diſſ. de deſeenſu Chriſti 
ad inferos, Viteb. 1802. 4. Beiträge zur Bes 
foͤrd. d. vernuͤnſt. Denk. ꝛc. 11. Heft S. 133 ff. 
Pott dritt. Excurs in fein epp. catholic. perpet. 
a illuſtr. Vol. II. p. 289 ff. (Vogel) Ueber 

. Petr. 3, 18. 195 in Gablers theol. Journ. 

. B. 3. St. S. 309-326. Dagegen: Ga b⸗ 

ler: über 1. Petr. 3., an Hrn. D. Vogel; eben⸗ 

daſ. s. St. S. 417-466. und: Gabler, über 

1. Se ze. ein Nachtrag; ebendaſ. (1802. 2. 

B.) Vergl. mit einer fruͤhern Abh. Gablers im 
4 u. 5. St. des 10. Bandes. 


{ 


Verſuch den Urſprung der Sittenlehre Jeſu hiſtoriſch 
zu erklaͤren; in Henke's Magaz. 5. B. S. 362 
ff. Joh. Balth. Lüderwald, über den ans 
geblichen Urſprung des Chriſtenth. aus on, 

ekte 


206 elteröriſche Hälfsmittel. 


Sekte der Eſſaͤer; in Henke's Magaz. 4. B. S. 
371-429. (man findet da auch eine ſehr vollſtaͤn⸗ 
dige Nachricht uͤber die Eſſaͤer uͤberhaupt.) Vergl. 
mit Staudlins Geſchichte der Sittenlehre Je⸗ 


fu 1. B. S. 420. Beiträge zur Befoͤrd. d. vers. 


nuͤnft. Denk. ꝛc. 7. Seit. S. 147 ff. Rein⸗ 
hard, Verſuch eines Planes, den d. Stifter ꝛc. 
S. 170 ff. und Bengel, Bemerkungen uͤber 
[gegen] den Verſuch, das Chriſtenth. aus dem 


Eſſaismus abzuleiten; in Flatts Magaz. 7. St. 
— Im. Berger, Verſuch einer moraliſchen Ein⸗ 


ieitung ins (Einleitung in die Moral des) N. T. 


fiir Religionslehrer und denkende Chriſten. 4 Thei⸗ 
le, Lemgo 1797-1800, 8. Weit mehr gehoͤrt 
aber hieher G. L. Bauer, bibliſche Moral des 

N. T. 1. THE Sittenlehre nach den Evangelis 


ſten, Leipz. 1804. 8. 2. Theil, Sittenlehre Pauli, 


Petri, Judaͤ, Jakobi und des Br. an die Hebr. 
ebend. 1805. (Der erſte Theil beginnt mit „ein. 
kurzen Indegriff der hebr. Moral vor Chriſtus.“) 


Wilh. Muͤnſcher, uͤber d. Zuſtand der chriſtl. 
Sittenlehre in dem erſten Zeitalter nach d. Tode 


der Apoſtel; in Veen neu. Magaz 1. B. S. 


337 375. 


Kap. IV. 


Allgemeine Grundfäge der hiſtoriſch-dog⸗ 
matiſchen Auslegung des N. T. 


§. 36. 
n eines allgemeinen Kanone 


Die Guͤltigkeit der hiſtoriſch- dogmatiſchen Aus⸗ 


legung beruht auf dem Grundſatze, der bei je⸗ 0 
5 dem 4 


kur 


Allgemeiner exeget. Kanon. 207 


dem ernſthaften Schriftſteller gilt: jeder Schrift⸗ 
ſteller will von feinen Leſern, für die 
er ſchreibt, verſtanden werden. — Der 
Zuſatz „für die er ſchreibt“ iſt nicht muͤßig, und 
erinnert uns beim N T. namentlich daran, daß 
dieſe Schriften von den Verff. ſelbſt für ihr Zeitz 
alter geſchrieben wurden; ein Satz, den ich hier 
fuͤglich als Emma aus den Einleitungen ins N. 
T. betrachten, und unbewieſen laſſen kann. Das 
Prinzip ſelbſt bedarf keines Beweiſes, da es aus 
der Natur der Sache unwiderſprechlich folgt. 
Denn die Abſicht jedes Aufſatzes, der für Andre 
beſtimmt iſt, kann keine andere ſeyn, als denen, 
für die wir ſchreiben, unſere Vorſtellungen, Ge 
fühle und Gedanken durch Hülfe der Worte deut⸗ 
lich zu machen. Will der Schriſtſteller dieſes; 
ſo will er auch, daß ihn ſeine Leſer verſtehen 
ſollen *). Deng eine Schriſt verſtehen, heißt ja 
die Vorſtellungen, Gefuͤhle und Gedanken mit 
den Worten verbinden, welche der Verf. damit 
verband, und verbunden wiſſen wollte. S. §. 2. 
— Dieſer allgemeine Grundſatz gilt aber auch 
. von 


„) Der beſondere Fall, daß ein Verf. abſichtlich 
fo ſchreibt, um nicht verftanden zu werden, oder 
zweideutig ſpricht, um ſich durch die Moͤglich⸗ 
keit einer doppelten Erklaͤrung eine Ausflucht 
offen zu laſſen, gehort nicht hieher, und kann 
jenen Satz eben fo wenig aufheben, als die Col⸗ 
lifion der Pflichten die Gultigkeit des eines Tu⸗ 
gendgebotes an ſich vernichten kann. 


\ 3 
208 Allgemeiner exeget! Kanon. 


von den Schriften des N. T. ohne Einſchraͤn⸗ 
kung, da den Pf. derſelben, weit mehr als andern 
Schriftſtellern, daran liegen mußte, verſtanden 
zu werden, indem ſich ihre Schriſten ſaͤmmtlich 
auf Religion beziehen, und alle zur Belehrung 
oder Beruhigung der Leſer aufgeſetzt wurden. 


Aus dieſem Hauptgrundſatze ergiebt ſich ein 
zweiter: daß die hermeneutiſche Wahrs 
heit einer Schrift einzig und allein dar- 
nach beurtheilt werden koͤnne, wie der 
Verf. derſelben vorausſetzen mußte, 
daß feine Leſer feine Worte verfieben 
wuͤrden. Denn die hermeneutiſche Wahrheit 
beſteht darin: daß man genau daſſelbe, was der 
Verf. dachte, bei ſeinen Worten denkt S. h. 
13.). Dieſer aber mußte, wenn er verſtanden 
werden wollte, eben die Vorſtellungen mit ſeinen 
Worten verknuͤpfen, von denen er vorausſet en 
konnte, daß fie feine Leſer damit verbinden würs 
den. Vergl. S. 30 ff. 


Iſt nun aber dieſes; ſo muͤſſen wir, wenn 
wir das N. T. der hermeneutiſchen Wahrheit 
gemäß erklaͤren wollen, vor allen Dingen unters 
ſuchen, wie die neuteſtamentlichen Schriften von 
den Leſern, fur welche fie beſtimmt waren, ers 
weislich verſtanden worden ſind, und ſie dem ge⸗ 
maͤß interpretiren. 


Hieraus ſolgt der allgemeine hermeneuti⸗ 
ſche Kanon: 
„Das 


i * 


Allgemeiner exeget. Kanon. % 209 


% „Das N. T. iſt uͤberall fo zu erklaͤ⸗ 
ren, wie es nach hiſtoriſchen Gruͤn⸗ 
den erweislich ist, daß es die da ma⸗ 
ligen Leſer verſtehen konnten und 
mußten.“ Vergl. S. 29 f. und S. 34. 


' Diefer 5 iſt das hoͤch ſte Geſetz nicht 
nur für die Auslegung des N. T. uͤberhaupt, 
ſondern auch für die hiſtoriſch⸗dogmatiſche; denn 
er folgt unmittelbar aus jenem Prinzip, daß je⸗ 
der Schriftſteller von ſeinen Leſern verſtanden 
werden will. — Er iſt aber auch das einzi⸗ 
ge Geſetz der Auslegung, weil er den voliſtaͤn⸗ 
digen Grund fir die Ausmitlelung der hermeneu⸗ 
tiſchen Wahrheit enthalt. Ohnerachtet ſchon 
oben §. 13 ff. der Un erſchied zwiſchen Herme⸗ 
neutik und Kritik genauer entwickelt, und gezeigt 
wurde (S. 57 ff.), daß weder der Theologie 
noch der Philoſophie erlaubt; ſey, andere Geſetze 
der Auslegung vorzuſchreiben, oder die Anwen, 
dung dieſes Kanons zu beſtimmen und eir zuſchraͤn⸗ 
ken; ſo muß hier doch noch Einiges uͤber die 
Zureichenheit dieſes Kanons erinnert werden. 
Naͤmlich man verlangt gewoͤhnlich von dem Aus⸗ 
leger des N. Ti, daß er nicht nur grammatiſch 
und hiſtor iſch interpretire, ſondern „daß er auch 
„ſeine Meinung über den Juhalt einer Schrift 
„ſage, damit man wiſſe, was er davon halte, 
welchen Werth er darauf lege, und was für 
einen Gebrauch er davon mache und gemacht 
„willen, wolle. Wenn er z. B. die Nachrichten 
1 * „von 


216 Allgemeiner exeget. Kanon. 


„von dem Tode, der Auferſtehung und Himmels 
„fahrt Jeſu als Exeget zu bearbeiten hat, ſo 
„iſt es nicht genug, daß er grammatiſch den 
„Sinn der Evangeliſten unparıpeiifch erſt ſetze, 
„und hiſtoriſch die Vorſtellungen der damaligen 
„Juden von den Kennzeichen des erwarteten Meſ⸗ 
„Nas nachweiſe; man erwartet auch von ihm, 
„daß er ſage, was er von dieſen Nachrichten 
„halte, was er als wirkliche Thatſache dabei an⸗ 
„nehme, wie er dieſe fine Anſicht durch die von 
„ihm erklaͤrten Nachrichten rechtfertige, wie viel 
„mithin die Nachrichten der Evangeliſten bei ihm 
„gelten, und was für eine Beweiskraft zur Bes 
„gruͤndung gewiſſer Dogmen er ihnen zuſch reibe 
„oder nicht zuſchreibe.“ Dieſes ſind die Forde⸗ 
rungen eines Recenſenten in der Jenaiſchen All. 
Lit. Zeit. no . 183. 1805. und dieſelben machten 
auch mehrere Hermeneutiker an ſich, wie z. B. 
Seiler und Bauer in ihren Lehrbuͤchern, vorzüge 
lich der erſtere. 


Allein ich glaube, daß hierdurch offenbar 
zwei ſehr verſchiedene Geſchaͤfte vermiſcht wer⸗ 
den, und die Hermeneutik weit uͤber die Gebuͤhr 
ausgedehnt wird. Denn wenn die Hermeneutik 
die Wiſſenſchaft iſt, die uns das hiſtoriſche Fak⸗ 
tum entſcheiden lehrt: welchen Sinn ein Schrift: 
ſteller mit ſeinen Worten verbunden habe, oder 
was er ſagen wollte; ſo erhellt aus dieſer De⸗ 
finition, daß die Unterſuchung uͤber den kritiſchen 
Werth des gefundenen Sinnes gar nicht in dieſe 

Wiſ⸗ 


Allgemeiner exeget. Kanon. 211 


Wiſſenſchaft gehöre. (Vergl. die Bemerkungen 
Eichſtaͤdts zu Moti aeroaſ. Vol. I. p. 7.) Denn 
das letztere iſt hiſtoriſche Kritik, und daß 
man beide Wiſſenſchaften mit Recht trenne, ers 
giebt ſich daraus, weil beide durchaus verſchiede⸗ 
ne Prinzipien haben, auf einem durchaus ver⸗ 
ſchiedenen Grunde beruhen. Denn die Hermes 
neutik gruͤndet ſich auf Sprachgebrauch und Ge⸗ 
ſchichte, die Kritik hingegen muß uͤberall die Phi⸗ 
loſophie zu Grunde legen, und folgt in Ruͤckſicht 
der Lehren den Grundſaͤtzen der Vernunft über 
das logiſch Wahre, oder der Religionsphiloſo⸗ 
phie, in Ruͤckſicht der Thatſachen aber den all⸗ 
gemeinen Regeln der hiſtoriſchen Kritik uͤber das 
empiriſch Wahre, denſelben Grundſätzen, nach 
denen der Werh der Nachrichten eines Livius, 
Dio Caſſius und jedes Schriftſtellers ausgemittelt 
wird. Das N. T. hat viel Aehnlichkeit mit den 
ſymboliſchen Buͤchern, die gleichfalls aus den 
damaligen Streitigkeiten, folglich hiſt ortſch zu 
erklaͤren ſind. Allein wer wuͤrde es fuͤr Herme⸗ 
neutik dieſer Buͤcher halten, wenn man die in 
ihnen feſtgeſetzten Dogmen nach Schriſt und Ver⸗ 
nunft einer Pruͤfung unterwerfen wollte? — 
Was endlich den meiſten Schein hat, naͤmlich 
die Ableitung der Dogmen aus dem N. T.; fo 
kann dieſe nur auf folgende Weiſe geſchehen: daß 
man entweder das Dogma nimmt wie es die 
grammatiſch⸗ hiſtoriſche Auslegung liefert, oder 
daß man das Dogma oder die Stelle in einem 
andern Sinne nimmt. Im letzten Falle iſt man 

O 2 aber 


212 dilgepeiner exeget. Kanon. 


aber nicht mehr Hermeneutiker, ſondern . 
falls Kritiker; denn man unterſucht nicht mehr, 
was der Verf. mit feinen Worten geſegt habe, 
ſondern in welchem Sinne das von ihm Ge⸗ 
ſagte in das Syſtem der Religtonslehre aufge⸗ 
nommen werden koͤnne. — Es wuͤrde gewiß 
ſuͤr die Hermeneutik, Dogmatik und die ganze 
Exegeſe des N. T. ſehr nuͤtziich ſeyn, wenn man 
die Kritik des N. T. nach dem philoſophiſchen 
und hiſtoriſchen Theil beſonders behandelte, und 
dieſe Wiſſenſchaft cht mit der Haenel ver⸗ 
menten ö 


Als hoͤchſtes und einziges Geſetz endlich ft 
jener el von allgemeiner Guͤltigkeit, und folg⸗ 
lich uͤberall anzuwenden, wo die hermencutis 
ſche Wahrheit durch hiſtoriſch⸗dogmatiſche Gruͤn⸗ 
de ausgemittelt werden kann. Denn man muß 
annehmen, daß die Verfaſſer des N. T. überall 
von ihren Leſern verſtanden ſeyn, und alſo auch 
überall das wirklich ſagen wollten, was fie vor⸗ 
herſehen mußten, das ihre Leſer bei den Worten 
denken wuͤrden. — Daß hierbei die Falle, wenn 
das Reſultat der Erklaͤrung einer Offenbarung 
nicht wuͤrdig ſcheint, und wenn die Erklaͤrung 
e und ke 9 giebt, keine 

Aus⸗ 


9 Als Beiſpiele ſolcher Widersprüche berweiſk ich 
auf das, was 4 (in ſ. Bibl. f. Kri⸗ 
tik und Exeg. 2. 5 239.) uͤber die Erzaͤh⸗ 

lung 


Allgemeiner exeget. Kanon. 213 


Ausnahme machen, iſt oben H. 15. bewieſen wor. 
den. 


Allein man macht vielleicht gegen dieſen Ka⸗ 
non und gegen die ganze hiſtoriſch⸗ dogmatiſche 
Auslegung die Einwendung, daß ſie eigentlich ei⸗ 
nen Zirkel enthalte, in wiefern naͤmlich diejeni⸗ 
gen Schriften, aus denen, als Quellen (S. das 
zte Kap.), die Erklärungsgıunde herzunehmen 
ſind, ſelbſt erſt. der hiſtoriſch⸗dogmatiſchen Aus⸗ 
legung beduͤrfen. Woher ſoll aber dieſer ge⸗ 
ſchoͤpft werden? Aus ihnen ſelbſt? — Aber 
warum will man dann nicht auch die Erklaͤrung 
des N. T. in ſich ſelbſt begründen! — Aus 
andern Quellen? — Aber wo ſind dieſe vor⸗ 
handen! Man muß alſo dieſe Quellen aus ſich 
ſelbſt erklaͤren, und kann folglich dabei, in 
wiefern man ihren Inhalt nicht im Voraus be⸗ 
ſtimmen darf, bloß Einer Erklaͤrung folgen, naͤm⸗ 
lich der bemmetsſch e 5 Dieſe iſt e die 
einzige und wahre: 2 


Dieſer Einwurf enthält zwar viel Wahres: 
aber er kann nicht beweiſen, was er beweiſen 
ſoll. Wahr iſt es, daß auch die Quellen ſelbſt 
erſt hiſtoriſch erklärt werten muͤſſen, und zwar 

F nach 


Pc N 
lung von den Mantern, und von den letzten 
Schickſalen Judas Iſchar, erinnert hat. Auch 
vergl. 1 Petr. 5, 8. mit 2 Petr. 2, 4. Jud. 
v. 6. ‘ 


5 


214 Allgemeiner exeget. Kanon. 


nach Sprachgebrauch, Zuſammenhang und Ver⸗ 
gleichung unter einander; wahr iſt es, daß 
man folglich auch eine Quelle aus ſich ſelbſt er⸗ 
klaͤren kann, namlich die dunkeln Stellen aus den 
deutlichen; wahr endlich, daß bieſe Erklaͤrung 
auf der grammatiſchen Interpretation beruht. 
Allein daraus folgt gar nicht, daß die letztere 
die einzige ſey, oder daß man in der hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſchen Auslegung einen Zirkel begehe. Viel⸗ 
mehr nehmen wir dieſe Grundſaͤtze gleichfalls in 
das Syſtem 2 biſtorſſchen Auslegung auf. 


A Jeder Scbriftteller naͤmlich, jede einzelne 
Stelle iſt zuerſt grammatiſch zu interpretiren, 
dann aber hiſtoriſch. Die Gruͤnde fuͤr die letzte⸗ 
re Auslegung werden entweder aus dem Schrift⸗ 
ſteller ſelbſt, d. i. aus den Stellen entlehnt, 
wo er ſeine Meinung Ausführlich, und um fie 
andern verſtaͤndlich zu machen, angiebt , oder 
He werden aus andern Schriftſtellern genommen, 
bei denen ſich gleiche Grundſaͤtze vorausſetzen laf⸗ 
ſen. Daß man aber hier gleichfalls nur die 
deutlichen, eigentlich didaktiſchen Stellen auswaͤh⸗ 
len muͤſſe, verſteht ſich von ſelbſt. (So z. B. 
das S. 24. angegebene Ke Tugov, das 
Joſephus ausführlich erklaͤrt.) Nur dann wuͤr⸗ 

de 


0 Wie z. B. Paulus uͤber die Auferſtehung 1. 
Kor. 15. 


N 


Allgemeiner exeget. Kanon. 215 


de man einen Zirkel machen, wenn man eine 
dunkle Stelle aus einer andern dunkeln erklaͤren, 
unnd den Inhalt der letztern als ſchon aus⸗ 
gemacht vorausſetzen wollte. Allein man 
erklärt hier die kurzen, unvollendeten und dunkeln 
Stellen und Worte aus anderwaͤrts hinlaͤnglich 
bekannten religioͤſen Grundſaͤtzen, die in weitlaͤuſti⸗ 
gen und deutlichen Stellen klar vorliegen; man er⸗ 
klaͤrt nicht aus einer einzigen Stelle, ſondern aus 
einer großen Anzahl Quellen und Stellen, durch 
deren Vergleichung ſich die hermeneutiſche Wahr⸗ 
heit mit Sicherheit ausmachen laͤßt. Man will 
einen Schriftſteller nicht einzig aus andern er⸗ 
laͤutern, ſondern braucht auch die Erklaͤrungen, 
die er ſelbſt in ausfuͤhrlichen und deutlichen 
Stellen an die Hand giebt, und haͤlt es fuͤr ſehr 
noͤthig, ſolche loca claſſica zu bemerken und bei 
der Exegeſe zu Grunde zu legen. — Die Nich⸗ 
tigkeit j nes Einwurfes aber erhellt nicht nur aus 
dem, was F. 6. geſagt worden iſt; ſondern auch 
daraus, daß er offenbar, als Beweis, zu viel 
beweiſet. Denn es waͤre ſonach auch ein Zirkel, 
einen Schriftſteller aus ſich und andern nach 

Parallelſtellen zu erklären; die ganze grammati⸗ 
ſche Auslegung waͤre gleichfalls ein Zirkel, in 
wiefern Stellen und Schriften, aus denen der 
grammatiſche Sprachgebrauch erkannt und belegt 
werden ſoll, ſelbſt erſt der grammatiſchen Er⸗ 
klaͤrung beduͤrfen. Somit wäre die ganze Her⸗ 
meneutik ohne Fundament. 


9. 37. 


en 


216 Naͤhere Anwendung diefes Kanons. 


§. 37. n 

Nähere Anwendung diefes Kanons ) in 

’ Ruckſlcht der Quellen der Rellgions⸗ 
5 lehren des Orients. 0 


& richtig auch dieſer Kanon im Allge⸗ 
meinen, und ſo leicht es iſt, ihn zu beweiſen; 
ſo iſt doch eine naͤhere Erörterung ſeiner Anwen⸗ 
dung noͤthig, um das Geſchaͤft des hiſtoriſch⸗ 
dogmatiſchen Auslegers in einzelnen Faͤllen zu 
leiten. Denn es laßt ſich nicht nur von ſelbſt 
erwarten, ſondern zeigt ſich auch in der That, 
daß jenes Geſetz eine mannigfaltige Anwendung 
leide. Die Gruͤnde dafuͤr liegen theils in den 
Quellen ſeleſt, theils in dem N. Ta. % 


Was die Quellen der orientaliſchen und juͤ⸗ 
diſchen Religions lehren anlangt; ſo ſind ſie, in 
Ruͤckſicht des Ortes, der Zeit, der Verfaſſer, 
und baher auch in Ruͤckſicht der religioͤſen Spra⸗ 
che und Grundſaͤtze, ſehr verſchieden. Folglich 
kann ſie der Exeget nicht ohne kritische Ruͤckſicht 
auf dieſe Verſchiedenheit zur Erklaͤrung des N. 
T. anwenden. Mas uͤber jede jener Quellen 
einzeln zu ſagen war, habe ich bei der Recen⸗ 
ſton derſelben erwaͤhnt; hier muß nun noch das 
folgen, Ra im Allgemeinen daruͤber zu bemer⸗ 
ken iſt. — F lgende Regeln ſcheint namlich i 
der Sntsrpret beobachten zu muͤſſen; | 


erſtlich, daß er die Erklaͤrungen die 
aus palaͤflinenſiſchen Quellen geſchoͤpft werden 
kaoͤn⸗ 


N 1) in Ruͤckſicht der Quellen. m 217 


koͤnnen, jederzeit den Erlaͤuterungen aus perſi⸗ 
ſchen und griechiſchen Quellen *) vorziehe; oder 
mit andern Worten: daß er jederzeit eher aus der 
gemeinen juͤdiſchen Theologie, als aus perfifcher 
und griechifcher Religionsphiloſophie erkläre. Denn 
die Off. des N. T. waren meiſtens Palaͤſtinenſer, 
oder lebten in Nalaͤſtina, oder hatten palaͤſtinenſt⸗ 
ſche Lehrer und Quellen, denen fie folgten. Fer⸗ 
ner ſchrieben die meiſten von ihnen fuͤr palaͤſtinen⸗ 
ſiſche Juden, oder doch, wie Paulus in den mei⸗ 
ſten feiner Briefe, fuͤr ſolche Leſer, die von Pa⸗ 
latina ausgegangen waren und mit dieſem Lan: 
de in Verbindung ſtanden. Denn die Juden in 
Kleinaſien, Griechenland und Italien, darf man 
nicht, wie die aͤgyptiſchen, als Philoſophen, ſon⸗ 
dern als Handelsleute betrachten, die von der 
Philoſophie und Religion der Laͤnder, in denen 
fie lebten, wenig Kenntniß nahmen, ſondern ih⸗ 
rem väterlichen Glauben treu Flieben. Bei ih⸗ 
nen iſt alſo palaſtinenſiſche Theologie vorzüglich 
vorauszuſetzen, und folglich ſind auch die fuͤr ſie 
und von ihren Landesleuten geſchriebenen Schrif⸗ 
ten nach derſelben verzuͤglich zu ertlaͤren. Und 
dieſes um ſo vielmehr, da die palaſtinenſiſche Re⸗ 
ligionslehre von der perſſiſchen und griechiſchen 
abweicht. So ſind z. B. die boͤſen Engel, nach 
A ne e Zo⸗ 

) Hierbei macht Johannes und der Brief an die 


HBebräer eine Ausname; doch davon in der 
Speelalhermeneutkk. 1 Bf 


218 Naͤhere Anwendung biefes Kanons 


Zoroaſters Lehre, nicht von Gott geſchaffen, ſon⸗ 
dern von dem oberſten boͤſen Grundweſen als ur⸗ 
ſprüͤnglich boͤſe Geiſter hervorgebracht. Hinge⸗ 
gen in Paläſtina hielt man, wie wir aus Joſe⸗ 
phus und den Pſeudepigraphen ſehen, die boͤſen 
Engel fuͤr gefallene gute, folglich fuͤr Gottes 
Geſchoͤpfe, und urſpruͤnglich gute Geiſter. Und 
dieſes ſtimmt auch ganz mit dem uͤberein, was 
wir Joh 8, 44. 2 Petr. 2, 4. Jud. v. 6. 
leſen. So waren ferner die aͤgyptiſchen Juden, 
als Platoniker, der Auferftehung abgeneigt; da 
Hingegen die Palaͤſtinenſer dieſe Lehre allgemein 
(mit Ausnahme der Sadducaͤer) glaubten. — 
Wo hingegen die palaͤſtinenſiſchen Quellen nicht 
ausreichen, ſind zunaͤchſt die perſiſchen zur Er⸗ 
laͤuterung zu gebrauchen, da die Juden früher 
und laͤnger mit Perſern in Verbindung waren, 
als mit Griechen, und viel lieber von jenen et⸗ 
was annahmen, als ſpaͤterhin von dieſen. 


Zweitens, ſind, in Rückſcht des Zeital⸗ 
ters, die Quellen, die dem apoſtoliſchen Zeitalter 
am naͤchſten waren, außerdem aber immer die 
aͤltern, vorzüglich zu gebrauchen. Denn es be⸗ 
darf keines Beweiſes, daß die dem N. T gleich⸗ 
zeitigen Quellen, in Ruͤckſicht der Sprache und 
Grundſaͤtze, mit ihm am meiſten uͤbereinkommen 
werden, wie z. B. Joſephus, der groͤßte Theil 
der Pfeudepigraphen und der Apokryphen des N. 
FT. — Außerdem aber iſt herabwaͤrts nach 
Chriſti Geburt die ältere Quelle immer der juͤn⸗ 

gern, 


1) in Ruͤckſicht der Quellen. 219 


gern, folglich die Kabbaliſten dem Talmund, Jo⸗ 
ſephus den Kabbaliſten ꝛc. hingegen hinaufwaͤrts 
vor Chriſti Geburt immer die jüngere, der ältern 
vorzuziehen, z. B. die Apokryphen des A. T. dem 
A. T. ſelbſt u. ſ. w. Denn es liegt in der 
Natur der Sache, daß ſpaͤtere Quellen als das 
N. auch ſpaͤter entſtandene Meinungen, oder we⸗ 
nigſtens ſpaͤter entſtandene Modifikationen derſel⸗ 
ben, enthalten, in den aͤltern hingegen noch Man⸗ 
che Lehre entweder ganz fehlt, oder nur beruͤhrt 
wird. Doch muß man hierbei die Schriften 
der aͤlteſten Bekenner des Chriſtenthums, wenig⸗ 
ſtens in wie weit ſie nicht durch ſpecielle Saͤtze 
haͤretiſcher Partheien, oder philoſophiſcher Sy⸗ 
ſteme verunreinigt ſind, in vorzuͤgliche Betrach⸗ 
tung ziehen, weil dieſe den apoſtoliſchen Beleh⸗ 
rungen am naͤchſten waren, und ſich von ihnen 
erwarten laßt, daß fie, als Schüler der Apoſtel, 
die Veranderungen, welche dieſe mit der juͤdi⸗ 
ſchen Theologie vorgenommen haben, am erſten 
darſtellen weiden. Allein unter ihnen find die 
von Juden⸗ Chriſten geſchriebenen wieder denen 
aus den Heiden⸗Chriſten vorzuziehen; weil jene 
es vorzuͤglich waren, fuͤr welche die meiſten 
Schriften des N. T. geſchrieben ſind. 


Drittens, ſind die Quellen, welche von 
ungelehrten und unphiloſophiſchen Verfaſſern her⸗ 
ruͤhren, denen, welche wir gelehrten und philo⸗ 
ſophiſchen Schriftſtellern verdanken, vorzuziehen; 
folglich die alten Targumim den Kabbaliſten, 


Jes 


230 Nähere Anwendung dieſes Kanons 


Joſephus dem Philo, die Pfeudepigraphen des 
alten und die Apokryphen des N. T. den philoſo⸗ 
phiſchen Kirchenvaͤtern (3. B. einem Juſtinus Mar⸗ 
tur, Clemens Alex. u. ſ. w.) Denn theils ver⸗ 
änderten die philoſophiſchen Schriftſteller vieles 
nach ih em Syſtem, theils war das N. T fuͤr 
Ungelehrte geſchrieben, theils waren die Schrift⸗ 
ſtellr des N T ſelbſt (den einzigen Paulus und 
den Verf. des Briefes an die Hebräer in gewiſ⸗ 
fer Ruͤckſicht ausgenommen weder Gelehrte noch 

. iloſophen. 


Endlich viertens, iſt jeder neuteſtament⸗ 
liche Schriftſteller, nach ſeiner beſondern Eigen⸗ 
thuͤmlichkeit, d. h. nach ſeinem Zweck, fuͤr den, 
nach dem Orte wo, nach den Leſern, fuͤr wel⸗ 
che er ſchreb, und nach feinem Geiſte und ſei⸗ 
ner vorherigen Lage, ehe er Chriſt wurde, zu bes 
trachten, und vorzuͤglich aus den Quellen zu ers 
läutern, welche fur ihn tie naͤchſten und wich⸗ 
tigſten ſind. Doch dieſe ganze Unterſuchung ge⸗ 
hoͤrt in die hiſtoriſch dogmatiſche Specialherme⸗ 
neutik des N. T., und iſt nach den S. 175 ff. 
angeſtellten Bemerkungen zu beurtheilen. N 


, 
2) in Ruͤckſicht des N. T. ei. 
Da die Erklaͤrungsgruͤnde der bitch 


dogmatiſchen Auslegung des N. T. von den Vor⸗ 


5 4 der Leſer e ſind; ſo iſt zwar 
iener 


2) in Rückſicht des N. T. 221 


jener im 35. H. aufgeſtellte Kanon allerdings 
uͤberall ohne Ausnahme anzuwenden; allein 
es fragt ſich nun: haͤtten auch die Leſer diejeni⸗ 
gen Vorſtellungen, die man in den angeführten 
Quellen, vorzuͤglich in der juͤdiſchen Theologie 
findet, ganz unveraͤndert, oder nicht? — 


Dieſe Frage kann nicht von der Hand ge⸗ 
wieſen werden, weil man vorausſetzen kan, daß 
die Schriftſteller des N. T. als ehrer einer neu: 
entſtandenen Religiou (wenn man auch, was 
man hier muß (ſ. H. 13), ganz davon abſtra⸗ 
hirt, daß dieſe Religion eine goͤttliche Offenba⸗ 
rung iſt,) die religioͤſen Grundſaͤtze und Me nun⸗ 
gen ihres Zeitalters werden veraͤndert, und nach 
dem Maaßſtabe ihres neuen Glaubens umgebil⸗ 
det haben. Wie weit ſich dief: Veraͤnderungen 
erſtreckt haben mögen, laͤßt ſich zwar nicht im 
Voraus und a priori beſtimmen, aber doch er: 
warten, daß wenigſtens Einiges einer Verandes 
rung unterworfen worden ſey. Hierauf werden 
wir auch ausdruͤcklich im N T. hingewieſen, ins 
dem die Apoſtel und namentlich Paulus verſt— 
chern, daß fie vieles durch eine gͤͤttliche & o. 
0. erhalten hatten, was vorher nicht bes 
kannt geweſen ſey ); Jeſus aber ſelbſt Matth. 

| . 0 15, 


*) Galat. 1, 15 12. Eph. 3, 3. Röm. 16, 25. 
Apoſtelg. 15, 28 ff. Joh. 14, 16. Kap. 16, 13 ff. 
. f 


% 


222 Nähere Anwendung diefes Kanons 


15, 2. 3. 6. die magmdocıv verwirft. Ohner⸗ 
achtet aber hier von den Cerimonien, welche die 
magndocıs enthielt, zunaͤchſt die Rede iſt; fo 
ſcheint doch Jeſus uͤberhaupt (v. 6.) nicht guͤn⸗ 
ſtig von ihr zu urtheilen. 


Vorzuͤglich aber iſt es Paulus, der uns 
darauf aufmerkſam macht, daß er gewiſſe da⸗ 
mals gangbare religioͤſe Ideen, welche auch in die 
von ihm geftifteten Gemeinden eindrangen, nicht 
billige, ſondern verwerfe. Er warnt z. B. die 
Koloſſer (K. 2, 8.) vor menſchlichen Meinungen, 
org, die er Sorxeı® Tou normov, ON. 
G αα,ν und xevm Krarnv nennt; er warnt 
feinen Titus (K. 1, 14.) namentlich vor uu Nen 
lovdaixcis, und ermahnt ihn (K. 3, 9.) l 
enriceis n "yEevenAoyıans, ou EgEIS E 
paxas vopinas zu fliehen. Was er darunter 
verſtanden habe, iſt zwar nicht ſo ganz klar; 
allein man ſieht doch ſo viel, daß es religioͤſe 
Meinungen waren, durch welche die Chriſten von 
der wahren Lehre abgeleitet werden konnten. Daß 
es namentlich bloße Meinungen der Juden uͤber 
das moſaiſche Geſetz und deſſen einzelne Gebote, 
beſonders des Ritualgeſetzes geweſen ſeyen, laͤßt 
ſich zwar nicht beweiſen; allein es iſt nach dem, 
was Paulus anderwarts aͤußert, wo er gegen 
ſolche Meinungen kaͤmpft, wahrſcheinlich. Be⸗ 
ſonders aber ſcheint Paulus die alexandriniſch⸗ 
juͤdiſche Religionsphiloſophie gemeint zu haben, 
die zu Epheſus unter den Chriſten Eingang fand, 

wenn 


2) in Ruͤckſicht des N. T. 233 


wenn er den Timotheus ermahnt, (1 Tim. 17 
3. 4. ), zu Epheſus zu verweilen, damit er gewiſſe 
Leute erinnere, Ans Meocexew Ab Sols za e- 
vece N ierig e nE, wirwes Cnrnceig oe 
geyovas, und ihn (K. 6, 20.) bittet Ts Oe. 
Aovs h ενοοοονẽ,;̃ ac cee T1 Werdo. 
vαεE.lnh Yywaeos zu fliehen. Avrıd. 7. Weuß, 
Peg. d. i. die dem Chriſtenthum wider ſtreiten⸗ 
den Lehren der faͤlſchlich ſogenannten ie. — 
Tyocis iſt aber ein Ausdruck, mt dem die ale⸗ 
randriniſchen Juden ihre Philoſophie ſo gern be⸗ 
zeichneten *), wie man nicht nur aus Philo, ſon⸗ 
dern vorzuͤglich aus dem Buche der Weisheit 
ſieht, deſſen Verf. nicht nur im Eingange a ſei⸗ 
ner platoniſch⸗ kabbaliſtiſchen Abhandlung von 
der göttlichen c Ot, verſpricht, feinen Zeſern 
die geheime Mu zu lehren, oder vielmehr zu 
offenbaren ), ſondern ſich auch (Kap. 7, 175 
einer yıwcsı Twv dvrwv, womit man die Leh⸗ 
ren der Philoſophie bezeichnete **), ruͤhmt, und 

von 


) ©, Horn, über die bibl. Gnoſis, S. 38 ff. 


,. . bea Ners go ν,o v. 22, r. de ige ob- 
Oi, xo mws u ανEscôs, e νονν, #0 00x UronpU- 
J U eu (ein Lieblingsausdruck Philo's 
von der Weisheit der Eingeweihten), & dr cg - 
us yer,ο,He s Efıyvıarw, zus Iyowelsro - 
Sr Yymdıy αν. 


) So definirt Pythagoras die ſpekulative Philo⸗ 
ſophie durch ages rar orrwr, Plate durch 7e 


. 


224 Naͤhere Anwendung dieſes Kanons 


von Jakob (K. 10, 10), dem auch die Kabba⸗ 
liſten und Rabbinen eine genaue Kenntniß der 
philoſophiſchen Myſterien beilegen, ſagt, Gott ha⸗ 
be ihm u dον gegeben. — Nimmt man 
alles diefes zuſammen, und erinnert ſich, daß 
Apollo, ein Alexandriner, nach Epheſus kam, 
Chriſt ward, und ſpaͤterhin in Korinth Spal⸗ 
tungen veranlaſſete, die Paulus vekaͤmpfte; fo 
wird man es gar nicht unwahrſcheinlich finden, 
daß die evò ee yvarıs. nichts anders ſey, 
als alexandriniſche Philoſophie, und daß nament⸗ 
lich der Streit die Auferſtehungslehre betroffen 
babe, welche bekanntlich die Alexandriner, als 
achte Platoniker, verwarfen. Vergl. 2. Timoth. 
2, 17. Auch zu Corinth, wo Apollo einen An⸗ 
hang hatte, gab es nach 1 Kor. 15, 12. Laͤug⸗ 
ner der Auferſtehungslehre. — Dieſes muß den 
Interpreten des N. T. auf die Veränderungen, 
welche die juͤdiſche Theologie in der Lehre der 
Apoſtel erfuhr, auſmerkſam machen, und es iſt 
für ihn wichtig, zu beſtimmen, worin dieſe Ver⸗ 
änderungen beſtanden haben mögen. Denn we⸗ 
nigſtens ein Theil der neuteſtamentlichen Schrif⸗ 
ten iſt an ſolche Leſer geſchrieben, die ſchon im 
Chriſtenthume unterrichtet waren, wie nament⸗ 
lich die Leſer der meiſten pauliniſchen Briefe. 
; Folg⸗ 
g 
gie zur d h D Abe dvrws dr, Ariſtoteles durch 


yyaoıs Fwy ovrwv; N) ore Est. ©, Horn, über 
d. bibl. Gnoſ. S. 85. f ? 


65 


2) in Ruͤckſicht des N. Ne 225 


Folglich hatten ſie auch durch den muͤndlichen 
Unterricht der Apoſtel ſchon Kenntniß von die⸗ 
ſen Modifikationen, und die Schriftſteller des N. 
T. konnten alfo vorausſetzen, daß fie ihre Schrif⸗ 


ten dieſer Belehrung gemaͤß verſtehen wuͤrden. 


— Iſt nun aber dieſes; fo muß der I terpret 
auf dieſe vorausgegangene Belehrung Ruͤckſicht 
nehmen, weil er ſonſt dem Kanon: das N. T. 
ſo zu erklaͤren, wie es die Leſer, fuͤr welche es 
geſchrieben wurde, erweislich verſtanden haben, 
untreu werden wuͤrde. Hieraus ergiebt ſich iR 
folgende hermeneutiſche Regel: 


Der hiſtoriſch-dogmatiſche Ausle⸗ 
ger muß ſich mit den Modifikationen, 
welche die juͤdiſche Theologie durch Je— 
ſum und die Apoſtel erhielt, bekannt 
machen, und ſie bei der Erklärung ſelbſt 
beruͤckſichtigen. — Doch gilt dieſe Regel 
vorzüglich von den Briefen der Apoſtel, weil 
dieſe an unterrichtete Leſer geſchrieben wurden; 
nicht aber von den Evangelien und der Offenba— 
rung, und eben ſo wenig von den dogmatiſchen 
Theilen der Apoſtelgeſchichte. 


Bei Erforſchung dieſer Modifikationen darf 
aber der Interpret ſeine Grenzen durchaus nicht 
uͤberſchreiten, und ſich folglich weder theolo⸗ 
giſcher noch philoſophiſcher Gruͤude bedie⸗ 
nen, und alſo weder a priori, noch nach dem 


7 einer göttlichen Offenbarung beſtimmen 
P wol⸗ 


226 Naͤhere Anwendung dieſes Kanons 


wollen, welches jene Modifikationen geweſen 


ſeyen. Denn er würde ſonſt fein Feld, die Ges 
ſchichte, ganz verlaſſen, und Principien befol⸗ 
gen, die feiner Wiſſenſchaft durchaus fremd find. 
S. F. 13. 14. Er kann hieruͤber nur nach 
hermeneutiſchen Gründen urtheilen, und hat vors 


zuͤglich auf folgendes zu ſehen: 


1) ob die neuteſtamentlichen Schrift 
ſteller ſelbſt ausdruͤcklich eine Meinung 
der juͤdiſchen Theologie verwerfen, oder 
eine Modifikation ausdruͤcklich anges 
ben, oder wenigſtens einen Satz be— 
haupten, der andern Lehren der juͤdi— 
ſchen Theologie geradezu entgegenges 
fest iſt. In dieſem Falle iſt er dann gend» 
thigt, in allen Siellen, wo dieſe Meinung vors 
kommt, jene Modifikation gehörig zu beruͤckſichtigen. 
So verbeſſert Jeſus die Meinung der Juden, daß 
der Prophet Elias vor der Ankunft des Meſſias 
erſcheinen werde, ausdruͤcklich, und belehrt die 
die Apoſtel, daß Elias ſchon gekommen, und daß 
Johannes, der Taͤufer, zur Vorbereitung auf 
das Reich des Meſſias geſendet worden ſey. 
Matth. 17, 10-12. — So glaubten die Ju⸗ 
den, daß ſie, als Juden, Anthell haben muͤß⸗ 
ten an der Gluͤckſeligkeit des Meſſiasreichs, weil 
ſle das Lieblingsvolk Gottes, die Heiden aber von 
Gott verworfen ſeyen. Allein Jeſus verlangte 
als erſtes Erforderniß, um in ſein Reich zu ge⸗ 
langen, nv mermvoav, - eine Sinnes aͤnderung 

5 ( Matth. 


2) in Ruͤckſicht des N. T. 227 


(Matth. 4, 17. K. 5, 20. K. 7, 2133.) 
erklart, daß die Juden, der Saame Abrahams, 
nicht das Lieblingsvolk Gottes ſeyen (ob. 4, 
21. Matth. 3, 9. Joh. 8, 39.) und daß auch die 
Nichtjuden an der Seligkeit ſeines Reiches An⸗ 
theil haben ſollten. Joh. 10, 16. — Die Ju⸗ 
den erwarteten in dem Meſſias einen irdiſchen 
König, der fie an ihren Feinden rächen und zur 
herrſchenden Nation der Welt erheben wuͤrde. 
Allein Jeſus erklaͤrt vor Pilatus, daß ſein Reich 
kein irdiſches ſeyn ſolle, ſondern daß er deswe⸗ 
gen in die Welt gekommen ſev, um die Wahr⸗ 
heit zu lehren. Joh. 18, 36. 37. ). 
P 2 Die 


) Dieſe Stelle ſcheint mir immer eine der wich⸗ 
tigſten für den Beweiß zu ſeyn, daß Jeſus die 
Idee von einem, bei ſeinem Leben auf der Erde 
zu errichtenden irdiſchen Reiche, verworfen habe. 
Koclies können nicht die Juden ſeyn, denn er 
ſagt: wäre mein Reich de rer zosmov rovreu, ſo 
wuͤrden meine Anhaͤnger nicht zugeben, daß ich 
den Juden übergeben würde, Koc iſt viel⸗ 
mehr die Welt im Gegenſatz gegen den Him⸗ 
mel d. Ji. Gott. „Mein Reich“ ſagt er, „gruͤn— 
det ſich nicht auf Menſchenauetoritaͤt, ſondern 
auf des Vaters Auftrag“ Worin aber fein Ges 
ſchaͤft eigentlich beſtanden habe, zeigt der 37 V. 
wo ihm Pilatus ſagt: daß er doch alſo immer 
ein König ſey. „Du ſaaſt es, antwortet Jeſus, 
denn es Terre YEyevynMmai, nu es our E 
NO eg ren noomar, ly Aue gr νẽỹjGU i wrytag.! 
Dieſes magrvp. 77 . darauf zu beziehen, daß 
er hier vor Fo die Wahrheit fage, verſtat⸗ 

ten 


228 Nähere Anwendung dieſes Kanons 


Die gemeinen Juden zu Jeſu Zeit erwar⸗ 
teten in dem Meſſias einen bloßen Menſchen, ei⸗ 
nen menſchlichen Helden und Herrſcher (vergl. 
oben S. 175.); allein nach Johannes und Paulus 
gehoͤrt es zur Meſſianitaͤt Jeſu, daß er nicht blo⸗ 
ßer Menſch, ſondern zugleich der Sohn Gottes 
im weſentlichen Sinne, das ewige Wort war, 
das die Welt geſchaffen hat, erhaͤlt und regiert. 
— So wie Jeſus die Beſſerung des Herzens 
als Bedingung der Gelangung in die Pacılaav 
r 9 ovgavov aufftellt, eben fo ſagt auch Pau⸗ 
lus haͤufig, daß nicht die Beobachtung des mo⸗ 
ſaiſchen Geſetzes, oder das Judenthum, ſondern 
der Glaube an Jeſum, nicht die ſorgfaͤltige Beob⸗ 
achtung der im Geſetz gebotenen Abſtinenz von 
gewiſſen Speiſen und Getraͤnken (Roͤm. 14, 17.), 
ſondern die durcelec un, eigmn und die g 
&v TVevnarı c die Bedingungen der Gluͤck⸗ 
ſeligkeit des Reiches Gottes ſeyen. Wo aber kei⸗— 
ne ausdruͤcklichen Erklaͤrungen der neuteſtament⸗ 
lichen Schriftſteller ſelbſt vorhanden ſind, da 7 
muß der Ausleger 


2) darauf ſehen, ob nicht die Natur 

der neuen Lehre ſelbſt eine Modifika— 
tion 
R Li I äꝓwt — 


ten die Worte: dazu bin ich geboren und in die 
Welt gekommen“ nicht. Denn offenbar deutet 
Jeſus hiermit auf ſeine ganze irdiſche Beſtim⸗ 
mung hin. f 


2) in Ruͤckſicht des N. T. 229 


tion des juͤdiſchen Nationalsglaubens 
wahrſcheinlich mache. Dieſes gilt beſonders 
in der Lehre vom Nes, d. i. vom Meſſias. 
Nach der gemeinen juͤdiſchen Vorſtellungsart 
mußte der Meſſias, der Sohn Davids, ein welt 
licher maͤchtiger Koͤnig ſeyn, der die Nation aus 
ihrer bedraͤngten Lage herausreißen und zur Be⸗ 
herrſcherin der Unglaͤubigen erheben wuͤrde. Da⸗ 
her ließ ſich der große Haufe noch nach der Zerſtoͤ⸗ 
rung Jeruſalems von Schwaͤrmern oder Betruͤ⸗ 
gern fo leicht bethoͤren, die Waffen gegen die Rö- 
mer zu ergreifen. Daß ſchon zu Jeſu und der 
Apoſtel Zeiten der aufgeklaͤrtere Theil der Ju— 
den ſich andere Vorſtellungen vom Meſſias ge⸗ 
macht, und unter ihm einen Befreier von Suͤnden, 
einen Verbeſſerer der Welt gedacht habe, laͤßt 
ſich wohl ſchwerlich hinlaͤnglich beweiſen, und die 
Belege, die Schmidt *) dafür ausgeſtellt hat, 
ſind groͤßtenheils aus zu ſpaͤten Buͤchern genom⸗ 
men **). Daß ſich aber dieſe Vorſtellung bei 
den Apoſteln finden werde, laͤßt ſich aus der Na⸗ 
tur der 8 (ganz davon abgeſehen, daß ſie eine 

beſon⸗ 

7 ? \ 


) In den Chriſtolog. Fragmenten; in ſ. Bibl. 
fuͤr Kritik und Exeg. des N. T. 1. Thl. S. 
14 ff. vergl. Hartmanns Blicke in d. Geiſt 
des Urchriſtenthums S. 21. 27 f. 


% S. oben S. 134 f. si Gablers Sours 
nal für theol. Literat. 5. B. (1803) S. 116 
ff. und 129 f. 


— ä — 


230 Nähere Anwendung dieſes Kanons | 


ſondere göttliche Belehrung daruͤber hatten) ers 
warten *). Jeſus war der Meſſias; — dieſes 
war ihr erſter Lehrſatz, durch den ſie ſich von 
den Juden unte ſchieden. Jeſus aber war kein 
irdiſcher Meſſias, ſondern ein Lehrer geweſen, 
der endlich den ſchmachvollen Tod am Kreutze 
fand. Dieſes konnte nicht als Strafe fuͤr ihn, 
der ohne Suͤnde war, ſondern mußte als ein 
Theil ſeiner Beſtimmung angeſehen werden; alſo 
als Strafe, die er für Andere erdultete. Der 
Meſſias der Apoſtel mußte daher leiden und ſter⸗ 
ben, und fein L ben für ein Verſoͤhnungs opfer 
für die Suͤnden feiner Verehrer dahingeben. War 
dieſes, ſo konnte der Verehrer Jeſu nur durch 
den Glauben an Jeſus als Meſſias die Verge— 
bung der Suͤnde erlangen; nicht aber durch mo⸗ 
ſaiſche Opfer, welche keinem Chriſten, als ſol⸗ 
chem, etwas helfen konnten. Die moſaiſche 
Opferverfaſſung war daher unnoͤthig, und jeder, 
der an Jeſus, den Meſſias, glaubte, mußte der 
Wohlthaten feines Todes theilhaft werden! Folg⸗ 
lich konnten ſich dieſe auch nicht einzig auf die 
Juden erſtrecken; folglich war Jeſus nicht blo⸗ 
ßer Meſſias für die juͤdiſche Nation, fondern für 
alle, die an ihn glauben würden. Die mısis 
eie 


) A. Th. Hartmann, wie bildeten die App. 
die Lebte von d. Berfohnungstode Jeſu aus. fin 
ſein. Blicken in den Geiſt des Urchriſtenthums. 
(1802, gt. 8.) S. 221 - 242. 


2) in Rüͤckſicht /s N. T. 231 


eis Ineovv Xasor war alſo die einzige Bedin⸗ 


gung der Erlangung derjenigen Wohlthaten, die 


Chriſtus als Meſſias ſeinen Verehrern erworben 
hatte *). 1 


So ſohngefaͤhr konnte die Ideenreihe eines 
Paulus ſeyn; ſo konnte er auf mannigfaltige Mo⸗ 
dififationen des gemeinen juͤdiſchen Glaubens ges 
fuͤhrt werden. Wenigſtens wird der Interpret 
dieſe Saͤtze bei Paulus finden, und auch bemer⸗ 
ken, daß er ſie einen aus den andern ableitet. 
Hierauf hat nun der Ausleger feine beſondere Auf: 
merkſamkeit zu richten, und theils die Spuren 
dieſer Veraͤnderungen, in wie weit ſie von den 
Schriftſtellern ſelbſt ausdruͤcklich angegeben wer⸗ 


den, aufzuſuchen, theils zu überlegen, welche Theis 


le der juͤdiſchen Theologie in der Lehre der Apo⸗ 


ſtel wegen der Perſon und Schickſale Jeſu ſchwer⸗ 


lich unveraͤndert bleiben konnten, und welche 
Wendungen ſie nach Maaßgabe jener Schickſale 
und der Lage der erſten Chriſten erhalten konn⸗ 
ten. Doch, um alle Willkuͤhrlichkeiten zu ver⸗ 
meiden, wird er am ſicherſten verfahren, wenn 
er nur dann ſolche Veraͤnderungen zulaͤßt, wenn 
ihm die neuteſtamentlichen Schriftſteller ſelbſt 
mehr oder weniger Veranlaſſung geben, ſie zu 


vermuthen; nicht aber, wenn ihm die Lehre ſelbſt 
f einer 


**) Vergl. Henkes e e 1 B. . 
70-735. (der 4ten Aufl.) 


— 


232 Naͤhere Anpoeddung dieſes Kanons ꝛc. 


einer Offenbarung nicht wuͤrdig, oder nach ſei⸗ 
ner ſubjektiven Ueberzeugung der Vernunft nicht 
annehmlich ſcheint. Aber auch dann hat er kei⸗ 
ne vermuthliche Veraͤnderung, wenn ſie gleich 
durch die Natur der neuen Lehre wahrſcheinlich 
wird, anzunehmen, wenn die Verſaſſer des N. T. 
und namentlich die Apoſtel in ihren Briefen 
(denn von dieſen iſt hier hauptſaͤchlich die Rede) 
oͤfters auf eine Lehre der juͤdiſchen Theologie zu⸗ 
ruͤckkommen, den Kunſtausdruck derſelben ohne 
weitere Erklaͤrung brauchen, und ſonſt durch nichts 
zu erkennen geben, daß ſie hier von der gewoͤhn⸗ 
lichen en abweichen. 


In allen andern Fallen aber, wo weder 
eine ausdruͤckliche Erklaͤrung der neuteſtamentlichen 
Schriftſteller ſtatt findet, noch die Natur ihrer 
Religion eine Veraͤnderung des religioͤſen Glaubens 
der Juden nothwendig machte, hat der Ausleger feſt 
auf der hiſtoriſch-dogmatiſchen Interpretation zu 
beharren. Denn da er uͤberall den Begriffen der 


bdeſer folgen, und dieſen gemaͤß das N. T. aus⸗ 


legen muß; ſo muß er auch den allgemeinen 
Vorſtellungen der juͤdiſchen Theologie folgen, wenn 
ihn keine beſondern hiſtoriſchen Gruͤnde abhal⸗ 
ten. Vorzüglich findet dieſ 8 in allen den Stellen 
ſtatt, die ſich auf ‚religiöfe Grundſaͤtze beziehen. 


Doch es wird nuͤtlich ſeyn, dieſe Fälle nahmhaft 


zu machen, und uͤber ihre Auslegung Einiges zu 
erinnern. 


. 39. 


N 
Anwendung deſſelben in einzelnen Faͤllen. 233 
g $. 39. 
Beſondere Anwendung diefes Kanons in 
einzelnen Faͤllen. 


Dahin gehoͤren zuerſt alle die Stellen, in 
denen Kunſtausdruͤcke der juͤdiſchen Theologie vor⸗ 
kommen; beſonders wenn dieſe Ausdrucke oͤfters 
wiederholt und ohne weitere Erklaͤrung und ge⸗ 
nauere Beſtimmung gelaſſen werden. Denn alds 
dann iſt vorauszuſetzen, daß die n. t, Schrift⸗ 
ſteller dieſe Ausdruͤcke in der bekannten und 
gewoͤhnlichen Bedeutung nahmen, welche aber 
einzig und allein aus der juͤdiſchen Theologie und 
deren Sprachgebrauch, erkannt werden kann. 
So z. B. die Kunſtausdruͤcke s N yes (beim 

Johannes), | raravas, cp roi vexgwv, 
Dmumoviov, Bee hg Ho, ayarı i ucgœ, viog 
geo, Bacıhaz Feov. oder Toy cvgavuv, TVEUr 

PR . 

Zweitens, wenn dunkle Stellen vorkom⸗ 
men, die nur erſt durch Anwendung der hiſto⸗ 
riſch⸗ dogmatiſchen Exegeſe ihr volles Licht bekom⸗ 
men und deutlich werden. Denn alsdann iſß es 
ein offenbares Zeichen, daß der Verfaſſer vor⸗ 

ausſetzte, feine Leſer müßten ſchon, worauf feine 
Worte hindeuteten, und daß er nicht noͤthig fand, 
eine Bezi hung, die feine keſer ſogleich verſtanden, 
mit ausdruͤcklichen Worten anzugeben. Eines der 
wichtigſten Beiſpiele iſt die Stelle 1 Petr. 3, 
19. 20., an der die Suterpieten ihren Scharf⸗ 
ſinn fo oft geübt, und fo mancherlei Erklaͤrun⸗ 


gen 


234 Anwendung deſſelben 


— 


gen gegeben haben *).) Die vorzuͤglichſte Schwie⸗ 
rigkeit liegt in der Simplicitat der Worte: Sche⸗ 
momdeis de r webe, Ev @ aus Trois EN 
7 OUαννν mievasaı Eungugv. Was iſt hier 
e GO, und xvnguoceiy. Die bloße 
grammatiſche Erklaͤrung dieſer Worte laͤßt die 
Stelle immer noch dunkel, und ſehr verſchiedene 
Deutungen zu. Allein durch die hiſtoriſche Aus⸗ 
legung wird alles klar, feſt und beſtimmt. Denn 
das apoſtoliſche Zeitalter glaubte, Jeſus ſey nach 
ſeinem Tode in den Hades hinabgeſtiegen, habe 
den Vorfahren der Juden die Erloͤſung angekuͤn⸗ 
digt, und ſie aus dem Hades in das Paradies 
verfegt. Hieruͤber S. Hackers difl. de deſcen- 
fu Chr. ad inferos (Dresd. 1802.) p. 28. Gab⸗ 
ler im Journ. f. theol. Lit. 5. B. (1803.) ©. 


445 ff. “). 
Der 


*) Die neueſte ſehr ſcharfſinnige grammatiſche Er⸗ 
klaͤrung dieſer Stelle enthaͤlt ein Progr. des Hrn. 
D. Weber, de defcenfu ad inferos e loco 1 
Petr. 3, 19. tollendo, inque adſcenſum ad ſu- 
peros mutando. Viteb. 1805. 4. desgl. Stans 
ge theologiſche Symmmikta zter Thl. no. 3. 
(Halle, 1805. 8.0 

„%) Die von Hacker angeführte Stelle aus dem 
Evangel. Nikodemi nach Fabricius, will ich übers 
gehen. Veelleicht ſehen es aber mehrere Leſer 
nicht ungern, wenn ich das, was im Evangel. 
Nicod., wie es Birch herausgegeben hat, hier⸗ 
uͤber ſteht, anfuͤhre. Der Verf. des Evang. 
ſagt bei Birch p. 104. „Domine Iefu, permit- 

f te 


in einzelnen Fällen. 235 


; Der Verfaſſer der Apokalypſe K. 20, 14. 
ſcheint einen Unterſchi d zwiſchen ans und Svcz- 
ros zu machen (vergl. 1 Kor. 15, 55. Offenb. 

: 6,8.), 


te nobis loqui myfteria tua, quae poft mor- 
"tem crukis tuae vidimus. Nos autem (va, 
enim) cum effemus cum patribus noftris, 
poſiti in profundo inferni, in caligine tenebra- 
zum, ſubito factus eſt aureus folis color, pur- 
pureaque realis lux illuftrans, ſtatim omnis ge- 
neris humani pater Adam cum omnibus pa- 
triarchis et prophetis exultarunt, dicentes: lux 
ifta auctor Iuminis ſempiterni eſt, quae nobis 
promiſit transmittere lumen aeternum. — — p. 
127. nat aonAdev o HαναEsęs Ans Jo ęnc, woreg c- 
Iewros, HM META TE OHoTav® Tod Klov $Qwrıc)y- 
gu. BUND once d ads‘ Zvınydnmev, o e 
N ne A 0 Ixwv roraurqv b gονν,⁶ Ae No] ;ᷓ 
ums ; — — % re S 4 u ”oewonAuw- 
D, nm dv ro rn N, nu dprı 
EyEvov ü NE eg, nm nursAucas macay rıV 
duyamır uu; — — (p 133.) ode vergos (es 
ſpricht der & e) 27 e αον’ nareAnDIn — c 
(fragt der Hades den Satan p. 135.) raovroy 
pre (Insow) A rw axzorw roury (fuͤr 
ms To o.) zarayaysıy dmekeryras, di 0 U 
KRVTaS vous um odwvns Favsuras essonYnsz 
. Ovrw ro «dev daAsyousvov rw ourava, NrAwdE 
© BaoıAeus aus qu vn defiav ̃ xaa, ND 
IugνEꝝꝗͥ N nyegt Tov mpomaATWgL Adapı. Eira 
p De mas mpos vous Aoımous . devpo mer Zuou- 
mavres 0004 die vou ZuAov ou Hılara olres (Sa⸗ 
tan) e , N Y umas dia ZuAov rou 
Savpov mayras iya HoU avısW. — — A4 mare 
vos e οννd une o Ayıos men! NH ouα 


236 Anwendung beffelben 


6, 8), den auch Plato (Phaed. p. 256. ed. Bi- 
pont. Tom. I.) gekannt zu haben ſcheint, wor⸗ 
über Birch (in den prolegom. zu f. auctar. 
Cod Ap. p. LIV. faq.) lehrreiche Bemerkungen 
macht, und dieſen Unterſchied zur Erklaͤrung der 
Stelle von der Hoͤllenfahrt anwendet ). Eis 

ne 


00: Kgıse, durnp rov nosmov', orı avnyayss du rue 
D@Fogas vu duwyv Nur. Kai G ge — — ro- 
20 Außuv 2x rov adov avedope, IIogeveααͤͤ de 
aurov S, ο ol ayını marzges unoAoufovvrss - 
FW, — — FODEVUOMEVOS (p. 141.) o A To he- 
deco erg ed rov Adam rw KoxayyeAo M- 
Kan, ns Mars Fous dinauovus. Hiermit vergl. 
die S. 125. angeführte Stelle aus dem Bu⸗ 
che Henoch. 

5) „Quis non viderit, ſagt er p. LV, Apoſtolum 
verbis nh v0 R. z Qui. aliud indicare vel · 
le, quam dictione suzyysAıc9n ve (cap. IV, 
6.) et duplicem actum fignificare? Quid? fi 
hune nodum ope Euangelii Nieodemi foluere 
conabimur? Ex narratione auctoris noftri patet, 
eum ſtatuiſſe, regnum inferorum in duas pro- 
vincias diuiſum, imperio duorum {prineipum 
10 varayı et rov dor ſubiectum. Ditione rov 
den patrisrchae, prophetae vt et probi et iufti 
homines tenebantur; reliquis mortuis domi- 
nio z caraya (der in der Apok. a. a. O. J- 
varos heißt vergl. Hebr. 2, 14.) fubditis. Chri- 
ſtus ad inferorum regnum deſcendens primum 
offendit Satanam, qui introitum eius impedi- 
re tentat, ſed fruſtra: interea habitatores row 
cos aduentum victoris pereipientes exſultant, 
atque liberatorem ſumma laetitia excipiunt, qui 
omnes feeum in Paradiſum dueit, tradito Sa- 

tana 


in einzelnen Fällen, ö 237 


ne aͤhnliche dunkle Stelle iſt Brief Jud. v. 8., 
wo von der Beſtrafung ſolcher Engel die Rede 
iſt, die ihre urſpruͤngliche Würde (rw Laura 
ex) nicht bewahrt, ſondern o dd xn. 
. Tnesov verlaſſen haͤtten. Verl. 2 Petr. 2, 4. 
Was iſt nun aber dieſes für eine c n und wel; 
ches iſt das de olnrngiey? Auf welches Fat 
tum beziehen ſich dieſe Ausdruͤcke? Denn daß 
ſie auf eine Thatſache hinweiſen, bedarf keiner 
Erinnerung. Wir kennen fie aber nicht, da fie. 
Petrus nicht angegeben hat, ſondern vorausſetzte, 

ſie 


——— Vʒ¾lxů—ñ—ñññññ᷑ —— — 
0 


tana in cuftodiam principis 20 Hen, qua aſſer- 
vandus eſſet ad tempus rue devrepns mapovCLes 

rob A Hanc auctori noftri expofitionem 
de duplici mortuorum ſtatu, cum alii, ragre-· 
g inclufi, fuppliciis affieerentur, alii, luce mo- 
do priuati, carceribus 2% S elauderentur; 
quidque Chriſtus hac apparitione egerit, ad 
explicationem Petri opportune adhiberi poſſe, 
certa mihi eſt perſuaſio. Chriſtus nempe (c. 
III, 18 fag.) — — anima, quae vita priuari 
nequiret, animabus impiis, refractariis, ragra- 
eg» ineluſis, praedicauit et ad refipifcentiam 

perduxit, vt et ipſi aliquando beneficiorum eius 
compotes fieri poſſent: yerooıs gutem (cap. IV, 
6.), animabus probis 2% din ſeruatis, sunyys- 
%:c9y, laetum nuntium de liberatione, iam 
diu ab ipfis expectata, tulit. Duplici igitur 
officio, ex Apoftoli ſententia, funetus eſt Chri- 
ſtus, cum in mortuis triduo et ad raprages et 
ad «dv defcenderit in rer pre αο Enyavfe reis dv O. 
y. in æ piis et iuftis Ui 


238 Anwendung deſſelben 


ſie ſey ſeinen Leſern bekannt. Da wir nun aus 
der juͤtiſchen Theologie lernen, welches dieſes 
Faktum war (namlich der Fall der Engel, der 
in ihrer Vermiſchung mit menſchlichen Weibern 
(Geneſ. 6, 3. 9) beſtaßden habe; (ſ. oben S. 
96. und S. 104.); fo müͤſſen wir nun auch 
die Stelle ſo erklaͤren, wie ſie die Leſer dieſer 
allgemein bekannten Lehre zufolge verſtehen muß⸗ 
ten. Daſſelbe gilt auch 3 


drittens, wenn Stellen religiöfen Sn: 
halts vorkommen, die nach der bloß grammati⸗ 
ſchen Erklaͤrung inkonſ quent ſind, und ſich mit 
andern Behauptungen der Verfaſſer nicht vereis 
nigen laſſen, hingegen durch Anwendung der hi— 
ſtoriſch⸗dogmatiſchen Auslegung konſequent und 
harmoniſch werden. Ein merkwuͤrdiges Beiſpiel 
dieſer Art ſcheint mir die Stelle Hebr. 1, 3-14. 
5 Me zu 


„) „Wer waren die Kinder Gottes, welche bei 
den Kindern der Menſchen ſchliefen, und ſie zu 
Weibern nahmen? und wer waren die aus eis 
ner ſolchen Ehe erzeugten Tyrannen? Eine hi⸗ 
ſtoriſch-kritiſche Unterſuchung über 1 Moſ. 6, 

2. 4. von Gottl. Sam, Ritter;“ in Henke's 
Muſeum 2. B. 3. St. S. 450-461. der Vf. 
unterſucht das Faktum ſelbſt und meint, es 
habe in der Verheiraſhung Freier mit Sklavin⸗ 
nen beſtanden, deren Soͤhne, ausgeſchloſſen vom 
väterlichen Erbe, Jaͤger, Krieger und Räuber ges 


worden waͤren. N 


in einzelnen Fällen, 239 


zu ſeyn. Das Thema giebt der Verfaſſer ſelbſt 
v 3. und 4. an, naͤulich: daß Jeſus der Ab⸗ 
glanz (wravyarue),. das Ebenbild Gottes ſey, 
der alles Erhaltende *), der zur Rechten Gottes 
Thronende und Herrſchende; daß folglich ſeine 
Majeſtaͤt (v. 4.) weit, unendlich weit über die 
Majeſtaͤt der Engel erhaben ſey. — Dieſen 
Satz beweißt der Verf. v. 5-14. vorzüglich aus 
altieſtamentlichen Stellen, in denen die goͤttliche, 
uͤber alle Engel weit erhabene, Natur des Mef; 
ſias beſchrieben wird. Naͤmlich: 1) Jeſus iſt der 
Sohn Gottes (v. 5.) und Gott iſt fein Va⸗ 
ter, was von keinem Engel geſagt werden kann. 
Piog Oeov iſt aber hier nicht bloß Meſſias, 
denn er wird v. 6. TewWToToxos genannt und ges 
ſagt, er ſey Gott eis viov und Gott ſey ihm eis 
or re, v. 5. Wenigſtens wird der Beweis 
des Verfaſſers ſtringenter, wenn wir vios $. 
hier in der, in der hoͤhern juͤdiſchen Theologie 
üblichen, Bedeutung nehmen, nach welcher es ein 
Verhaͤltniß des Weſens bezeichnet *). 2) Jeſu in 

ſollen, 


) Gleiche Praͤdikate hat der Aoyos bei Philo, und 
die coc im Buche der Weish. f. oben S. 84. 


) So braucht das Wort Philo, fo findet es ſich 
bei den Rabbinen, und in den Apokryphen des 
N. T. ſ. oben S. 134 u. 168 f. Hiermit vergl. 
was in der Speeialhermeneutik uͤber die Ueberein⸗ 
ſtimmung dieſes Briefes mit alerandr, Vorſtel⸗ 
lungen geſagt worden iſt. 5 


1 


249 Anwendung deſſelben 


ſollen, wenn er zu ſeinem Reiche kommt, alle En⸗ 
gel Gottes anderen, v. 6. 3) Dieſe, die Engel 
find dienſtbare Geiſter, Acsrougya, die ſich 
muͤſſen ſenden laſſen, wohin Gott will, v 7., hin⸗ 
gegen 4) zu dem Meſſias ſagt Gott: 5 Oeovos 
oo (v. 8.) 6 Seeg, eig rey cονον etc. 9 70 
Thron, der du Gott biſt, ſteht in Ewigkeit, 
i. du herrſcheſt in Ewigkeit, waͤhrend die a 
gel dienen. Zwar koͤnnte man fagen, und die 
ſes iſt auch die gewöhnliche Meinung, die Worte 
des 8. Verſ. bezoͤgen ſich auf Gott ſelbſt, und 
nur erſt im 9. Vers werde der Vorzug des Meſ— 
ſias, daß ihn Gott mehr als Andere mit Gas 
ben geſalbt habe, angegeben. Allein erſtlich waͤ⸗ 
re das kein Gegenſatz gegen die dienenden 
Engel, welche im Gegenſatz den Begriff des 
Herrſchens (2e Ioovov) fordern; zweitens 
muͤſſen die Worte o Sey. c, 0 Desg etc. 
eben fo von Jeſu geſagt ſeyn, wie v. 7. 6 
ar etc. von den Engeln, weil im 8. Vers 
die Formel ages de roy viov, der im 7ten ges 
ue Tou G²ν., genau entſpricht. Daffelbe gilt 
von dem 5) ſolgenden Grunde: der Meſſias hat 
Himmel und Erde gegruͤndet (v. 10.), was die 
Engel, erſchaffene Geiſter, nicht gethan haben. 
Dieſe Worte av zur’ Ness, ugs, rn ny 
S gehe p etc. muͤſſen auf den Meſſias bezo⸗ 
gen werden, weil fie ſonſt ganz muͤßig und uͤber⸗ 
fluͤßig ſtehen wuͤrden. Endlich 6) der Meſſias 
herrſcht mit Gott v. 13. aber die Engel dienen 
dieſem Reiche, dieſer Herrſchaft v. 14. 

0 Folgt 


ze 


in einzelnen Fällen. 241 


Folgt man hier der gewöhnlichen Ausle. 

ſo iſt kein rechter Zuſammeuhang im gan⸗ 
11 Kapitel; dieſer wird aber auf das ſchoͤnſte 
hergeſtellt, wenn man bemerkt, daß in der hoͤ⸗ 
bern juͤd ſchen Theologie Chriſtus, als No, 
Schoͤpfer, Erhalter und Regierer der Welt, ein⸗ 
geborner Sohn Gottes vor Urbeginn iſt, und 
ſelbſt Gott genennt wird. Die Beiſpiele hierzu 


ſ. g. 26. S. 26 f. §. 37. S. 136. und 1401 


H. 32. S. 168. f. Nun ſteht jeder Beweis an ſeiner 
rechten Stelle. Das Ganze iſt eine ſehr richtige 
und beredte Demonſtration, und belegt die Ei: 
be die der Verfaſſer dem Sohne Gottes 

m 3. Vers beigelegt batte. Naͤmlich der Meſ⸗ 
s iſt *, vis denο ict vaganrng 
ng oro αε Feov), weil er v. 5. vlog $eov 
und v. 6. g rerotes rov arge iſt; daher 
ihn die Engel anderen. — Der Meſſias iſt 
Oegan TA er, 70 ener. rns Jvyce ee 
aurov, und Lx Nef Ev de ler rng leer. 
ob ev d, weil er v. 8. als Gott ewig 
herrſcht, v. ro ff. der Schöpfer und Erhal⸗ 
ter der Welt iſt, und weil (v. 13.) Sat Bott 
zur Mitregentſchaft erhoben hat. 


Die Beweiſe fuͤr dieſe Regel ließen ſich 
leicht vermehren; allein ich will, um nicht weit⸗ 
laͤuftig zu werden, nur noch eins anfuͤhren; nam: . 


3 lich 1 Cor. 15, 26. Nachdem Paulus geſagt 


hat, daß die Todien auferſtehen, dann das En⸗ 
de der Welt erfolgen, jede andere e e und 
| DNA ‚ Ge 


242 Anwendung deſſelben 


Gewalt aufhoͤren, und alles dem Meſſias Feind⸗ 
ſelige bezwungen ſeyn wuͤrde; ſo ſetzt er hinzu: 
EOXATos ExXIgos πνðmſg eic & Ocevc reg, der 
letzte Feind, der bezwungen werden wird, iſt der 
Tod. Verſteht man unter Iavaros die Noth ⸗ 
wendigkeit zu Sterben, oder den Tod als Zu⸗ 
fand, wie man nach der naͤchſten Bedeutung 
muß; ſo iſt nicht einzuſehen, wie Paulus ſagen 
koͤnne, daß er zuletzt bezwungen werde, da er 
fogleich dei der Auſerſtehung aufhoͤren muß. Al⸗ 
lein erinnert man ſich, daß Iavaros nach dama⸗ 
ligem Sprachgebrauch auch den Teufel bezeich⸗ 
net, und daß deſſen Wirkſamkeit als Herrn des 
Verderbens nach der Auferſtehung ganz aufhoͤ⸗ 
ren wird; ſo bekommt die Stelle Zuſammenhang 
und Conſequenz. Daß aber Iavaros dieſe Be: 
deutung habe, lehrt nicht nur Hebr. 2, 14. ſon⸗ 
dern auch die Stelle des Evangel. Joſephs von 
Arimathia (bei Birch p. 189.), in der der 
Schaͤcher am Kreuze Jeſum um Vergebung der 
Suͤnde bittet: „n, ſagt er, s Javaros OH- 
vet flo — — bfi e rns Doßegas cob 
vice, un dos f Cob ,ẽxsv G L XIe@ nure- 
Tore LE — — id Yap (ſetzt der Verf. zur 
Erfauterung hinzu) mus s d ονο raw ᷣ 
Vu iron ei, mus cel cergreg νονντ ονο αοο 
vers Eryevovro. Hiermit iſt die vorhin angeführte 
Stelle aus dem Evangel. Nikodeui zu vergleichen, 

S. 235 f. — Hieher gehoͤren auch 
viertens, ſolche Stellen, in denen Vor⸗ 
ſtellungsarten entholten ſind, die ſich auf damals 
unter 


in einzelnen Fallen. | 243 


unter den Juden allgemein angenommene Anſich⸗ 
ten und Erklaͤrungen altteſtamentlicher Stellen 
gruͤnden. Denn da muͤſſen wir annehmen, daß 
die n. t. Schriftſteller auf dieſe Vorſtellungen Ruͤck⸗ 
ſicht nahmen, und fie bei ihren keſern voraus- 
festen. — Ein Beiſpiel iſt Roͤm. 5, 12. „durch 
einen Menſchen kam die Suͤnde in die Welt, 
und durch die Suͤnde der Tod.“ v. 15. „Durch 
Eines Verbrechen wurden alle en Daß 
dieſer Eine Adam war, zeigt der 14. V; daß 
aber Paulus hier die Geſchichte vom ee 
falle im Sinne habe, durch den die Menſchen 
dem Tode und der Suͤnde unterworfen worden 
ſeyen, iſt ohne Zweifel; denn wir finden dieſes 
als Lehre der jübifchen Theologie uͤberhaupt. 
Vergl. die S. 84. angefuͤhrten Stellen, Weish. 
2, 23. und Sirach, 25, 24. ). — Daß der 
Verfuͤhrer der Eva der Teufel in Geſtalt einer 
Schlange geweſen ſey, ſagt nicht nur der Verf. 
des Buchs der Weisheit, ſondern wir finden die⸗ 
fe Lehre auch an andern Orten, z. B in der 
apoſt. hiflor. de S. Matthaeo *). Daraus 

2 2 erklärt 


— 


——— ——— — 


) S. meine ſyſtemat. Darſtel. der Dogmatik 
der Apokr. des A. T. S. 285 f. und S. 228, 


%) Bei Fabric. im Cod. Apoer. N. T. Vol. I. 
Pp. 647. Hine angelus (der Satan) qui ex fe 
concepit inuidiam (990,9 u ον,ν, Weih. 2, 
23.), per potentiam »ngelicam ſerpentem in- 


eee fuafit vzori Adae, vt de pomo arboris 
man- 


244 "Anwendung deffelben 


erklaͤrt es ſich, wenn Jeſus Joh. 8, 44. den 
Satan einen Menſchenmoͤrder vom Anfang 
(an deu) und der Verf. der Offenb. den Teu⸗ 
fel (Offenb. 20, 2.) den Drachen, und die alte 
Schlange nennt. Beides bezieht ſich ganz of⸗ 
fenbar auf die Geſchichte vom Fall, und auf die 
Vorſtellungen, welche ſich die Zeitgenoſſen Jeſu 
von dieſer Begebenheit machten. 
Fuͤnftens gehoͤren alle die Stellen des 
N. T. dahin, in denen Juden ſelbſt redend eins 
gefuͤhrt werden, wie vorzuͤglich in den Evange⸗ 
lien, und in der Apoſtelgeſchichte; denn da iſt 
auch jederzeit vorauszuſetzen, daß ſie ihre Mei⸗ 
nungen und Vorſtellungen ausdruͤcken. Dahin 
ſind auch die Stellen zu rechnen, wo die Apo⸗ 
ſtel vor ihrer vollkommnern Belehrung durch den 
Geiſt ſprechen, oder wo Jeſus in den Evange⸗ 
lien mit Juden ſpricht, und ſich der Sprache ih⸗ 
rer Theologie bedient. Denn da dieſes noch un⸗ 
belehrte Zuhoͤrer waren; ſo mußten ſie mit den 
ihnen bekannten Worten auch dis gewöhnlichen 
und uͤblichen Begriffe verbinden. Hieruͤber vergl. 
den 24. H., wo auch Beiſpiele angefuͤhrt ſind. 
Seech⸗ 


mm — — — — — — — SERENERESERETERTEEE 
5 

manducaret. Und ebendaſ. p. 621. „nos quip- 
pe omnes homines de vno patre et de vna ma- 
tre nati ſumus. Qui cum facti [creati] eſſent 
et pofii in regione yiuorum, ſusdente ange- 
lo inuidiae, praeuaricati ſuut in lege, quam 
a ſuo conditore ſuſceperant. ete.“ 


I 
Eu FE 


in einzelnen Fällen, 5 245 


Sechſtens gilt dieſes auch überall, wo 


Jeſus und die Apoſtel ex conceſſis, d. h. aus 


den Meinungen und dem Lehrbegriff ihrer juͤdiſchen 
Zuhörer oder Leſer disputiren, oder beweiſen. Denn 
da ſie zunächſt für ibre Leſer ſchrieben und lehr⸗ 
ten, und bei dieſen Ueberzeugung bewirken woll⸗ 
ten; ſo bezogen ſie ſich haͤufig auf den ſchon be⸗ 
kannten Religionsglauben, und entlehnten Beweiſe 
aus demſelben. Mo dieſes geſchehen ſey, iſt 
nicht ſchwer zu erkennen, da uns entweder die 
Religionslehre der Juden ſelbſt, oder die Leſer, 
mit denen ſie ſprechen, oder endlich ihre ausdruͤck⸗ 
liche Angabe darauf hinweiſet. Z. B. Matth. 12, 
28. Nachdem Jeſus im Vorhergehenden ‚bewies 
ſen hatte, daß er die Teufel nicht durch Hilfe 
des Beelzebul, des Fuͤrſten der Daͤmonen, aus⸗ 
treibe, ſondern durch das veνE¶,ñ-b ν ſo fol: 
gert er nun: wenn ich alſo die Dämonen durch 
die Kraft des heiligen Geiſtes austreibe, ſo iſt 
ja das Meſſiasreich vorhanden, der Meſſias euch 
erſchienen. Dieſes ſetzt voraus, 1) daß die 
Juden dem Meſſias das webu aryıov zuſchrie⸗ 
ben; wie dieſes auch Hebr. 1, 9. und die Ge⸗ 
ſchichte der Taufe Jeſu zeigt, wo Johannes dar⸗ 
an, daß ſich der heilige Geiſt mit Jeſn verei⸗ 
nigte, ein Kriterium der Meſſianitaͤt Jeſu fand; 
2) daß fie erwarteten, der Meſſias werde durch 
das mVeuux , die Daͤmonen bekaͤmpfen und 
Wunder thun, worauf auch Jeſus (Matth. 11, 
3-5.) den zweifelnden Johannes, als ein ſiche⸗ 
res dee daß er der egoſleroc fen, ver⸗ 
weiſet 


N 


246 Anwendung deſſelben 


meilet.  Baoıneıs Ieov iſt alſo hier das Reich 
des Meſſias im Sinne der Juden, und die ganze 
Stelle iſt nach den Meinungen der Juden, die 
Jeſus in feinem Beweiſe vorausſetzt, zu erklaͤ⸗ 
ren. — RR 


Hebr. 2, 2. Hier will der Verf. zeigen, 
daß die chriſtliche Religion weit vorzuͤglicher ſey 
als die juͤdiſche; und beweißt dieſes daher, 
daß die chriſtliche d ro Aveo (v. 3. vergl. 
K. 1, 19, die moſaiſche aber bei der Geſetzge⸗ 
bung & c vorgetragen worden ſey; wor⸗ 
aus er folgert, daß alſo die chriſtliche, welche 
der Herr ſelbſt vorgetragen habe, weit vortreff⸗ 
licher ſeyn muͤſſe, als die moſaiſche. Er ſetzt 
nun hier bei ſeinen Leſern die unter den Juden 

ganz bekannte (ſ. §. 23. S. 103 f.) Mei⸗ 
nung voraus, daß die Engel das moſaiſche Ge⸗ 
ſetz auf Sinai ausgeſprochen hätten, und legt 
dieſelbe bei ſeinem Beweiſe zu Grunde. Auf 
ähnliche Art bedient ſich Paulus Galat. 3, 19. 
dieſer Meinung. — Joh. 5, 27. Hier beſchreibt 
ſich Jeſus als Meſſias, und ſagt, Gott habe ihm 
die Gewalt gegeben zen ,,; weil er des 
eyIewmov d i. der Meſſias ſey. Die letztern 
Worte enthalten den Grund der erſtern; denn 
der Meſſias war der, der das Gericht hal⸗ 
ten und die Todten auferwecken ſollte. Daher 
er auch ſagt, daß er (v. 25.) ſchon jetzt Todte 
auferwecke, was er auch Matth. 11, 5. Johan⸗ 
nes, dem Faͤufer, als ein Zeichen, daß er der 

wahre 


in einzelnen Fällen, 247 


wahre Meſſias fen, ſagen laͤßt, und daß er einſt 
(v. 28.) alle Todten erwecken und Gericht hal⸗ 
ten werde. Dieſe Stelle von einer Erweckung 


moraliſch Todter zum geiſtigen oder moraliſchen 
Leben zu verſtehen, wie ſie nur noch neuͤerlich 
Paulus *) erklärt hat, wuͤrde ganz falſch ſeyn, 
weil dann die ganze Erklarung Chriſti den Ju⸗ 
den durchaus unverſtaͤndlich ſeyn mußte, und Je⸗ 
ſus, dem die Belehrung doch ſo ſehr Ernſt war, 
nur feinen Scherz mit zweideutigen Ausdrucken 
getrieben haben wuͤrde, indem er vorher ſehen 
mußte, daß ihn ſeine Zuhörer ganz anders ver⸗ 
ſtehen wuͤrden. N ö 


Matth. 18, 10. Jeſus will hier ſeine 
Jünger und übrigen Zuhoͤrer belehren, daß auch 
die cue nicht zu verachten und gering zu 
ſchaͤtzen ſeyen; und als Grund führt er v. 10. 
an: ri ol eh AU Ev ougavais i mov. 
wog: BAemovss To meoCWmen ob rr MoU, 

Es koͤnnte in diefen Worten kein Grund für ſei⸗ 
ne Warnung liegen, wenn wir nicht wußten, daß 
die Juden jedem Menſchen einen Schutzgeiſt bei⸗ 
gaben **), und daß fie unter „Engeln, die das 
Angeſicht Gottes ſehen“ ganz vorzuͤgliche, die 


. hoͤch⸗ an 


) in ſ. Commentar über den Johann. S. 269 ff. 


**) S. meine Dogmat, der Apokryph. des A. T. 
©. 179 f. | 


* 


— 


* 


— 


* 


1 
— 


— 


248 | Anwendung deſſelden 


hoͤchſten and erhabenſten Engel verſtanden . 
Nun iſt der Sinn: denn ſie haben die hoͤchſten 
und der Gottheit am naͤchſten ſtehenden Engel 
zu ihren Schutzgeiſtern, und ſind alſo in Gottes 
Augen nicht veraͤchtlich. Dieſer Grund war fuͤr 
die Zuhoͤrer Jeſu von vieler Staͤrke, und bei 


dieſer Erklaͤrung, zu der uns die Grundſaͤtze des 
rer, die belehrt werden, berechtigen, bekommt 


* Beweis Jeſu hinlangliche Klarheit . Stärke, 


Endlich kam man auch doch die Stellen 
hieher rechnen, wo die m. t. Schriftſteller auf 
Behauptungen ihrer Gegner Ruͤckſicht nehmen und 
dieſe beſtreiten. Kennt man nun die Meinungen 
der Gegner; ſo wird dieſe Keuntniß ein wichtiges 
Huͤlfsmittel ſeyn, die Stellen des N. T zu ver⸗ 
ſtehen, in denen ſie beſtritten werden. Doch hier 
kommen vorzuͤglich nur die Stellen in Betrach⸗ 
tung, in denen allgemein verbreitete Religions- 


meinungen jener Zeiten, beſonders juͤdiſche Vor⸗ 


urtheile angegriffen werden. Denn was einzel⸗ 


ne Gegner anbelangt, ſo gehoͤrt die Unterſuchung 
Ihrer Meinungen mehr in die Specialhermeneu⸗ 


tik des N. T., und es bleibt immer ein delika⸗ 


ter Punkt, zu beſtimmen, ob ein Verf. Gegner 
beſtritten habe, und welche? wenn er es nicht 
ſeloſt (wie . B. Paulus 1 Kor. 15, 12. Ga⸗ 

lat. 


— 


* S. Tos. 12, 15. vergl das angef. Buch S. 
178. - 


8 


in einzelnen Fallen. 249 


kat. 1, 6. K. % e Joh. 2, 3, K. 4, 
3.) angiebt. | 


Hingegen allgemeiner verbreitete Irrthuͤmer, 
beſonders der Juden, koͤnnen uͤberhaupt den hi⸗ 
ſtoriſch⸗dogmatiſchen Sinn des N. T. aufklaͤren 
und beſtimmen, z. B. Koloſſ. 2, 18. Den Cha⸗ 
rakter der Gegner, vor denen er warnt, beſtimmt 
Paulus nach folgenden Merkmalen: fie find Oe 
Noyreg ev Tamenvoßgscvuy, fie gefallen ſich 
in einer affektirten Demuth und Froͤmmigkeit, 
und in Verehrung der Engel, indem fie fich ſol⸗ 

cher Dinge ruͤhmen, die, fie nie geſehen (Ewgaxev) 
haben, und ſich thoͤricht aufblaſen (Gyoio ee). 
Die Ionen. o iſt aber nicht: vorzuͤgliche 
Froͤmmigkeit, eine der Froͤmmigkeit der Engel 
gleichkommende. Denn erſtlich bezeichnet Ien- 
ei wohl nie die Froͤmmmigkeit als Geſinnung, 
ſondern immer den Cultus ſelbſt, Aurgesav; fer⸗ 
ner, und dieſes iſt das Wichtigſte, lehrt uns die 
juͤdiſche Dogmengeſchichte, daß man die Engel 
verehrte. Denn man betrachtete ſie als Mittels⸗ 
perſonen zwiſchen Gott und Menſchen *), an die 
man ſich, wie Philo ſagt, mit feinen Bitten weu⸗ 
den muͤßte, denn ſie braͤchten das Gebet der 
Frommen vor Gott, der viel zu erhaben ſey, 
als daß man ſich unmittelbar an ihn ſelbſt wenden 


* N 1 koͤnn⸗ 


) Philo de fomniis 1. p. 586. de dig. p. 286. 
ed. Mang. f 


1 


250 Anwendung beſſeiben ꝛc. 


koͤnnte. Diele ſagt auch die Stelle Tob. 3, 
16. 9 


Nicht nur einzelne Stellen, ſondern auch 
ganze Briefe und Abſchnitte bekommen ihr Licht 
dadurch, daß man weis, gegen wen ſie gerichtet 
ſind. Z. B. der Brief an die Galater iſt ge⸗ 
gen ſolche gerichtet, die die neuen Chriſten wie⸗ 
der zum Judenthum zuruͤckfuͤhren, oder wenig⸗ 
ſtens ihnen die Verbindlichkeit, das moſaiſche Ge⸗ 
ſetz zu beobachten, auflegen wollten. Dagegen 
ſtreitet Paulus und behauptet, die June wo vyn 
werde nicht durch die seen vorov ſondern durch 
die misis Insov xXgisov oder eis Ino. Xe. er⸗ 
worben. Mit dieſen Ausdruͤcken will er alſo ſa⸗ 
gen: nicht die Beobachtung (E %) des moſai⸗ 
ſchen Geſetzes, ſondern die Annahme der Religion 
Jeſu, der Glaube an Jeſus als den erſchienenen 
Meſſias, gibt uns Anſpruch auf die durch den 
Meſſias erworbene ee und Gluͤck⸗ 
Wige ö 


Angewendet ſind die Grundſaͤtze der hiſtoriſch⸗ 80 
matiſchen Auslegung in der Ausgabe des N. T. 
cum annotatione perpetua von Koppe, und defs 
ſen Fortſetzern und Nachfolgern. Pott, Heins 
richs, Am Ende, Ammon ꝛc. Desgleichen 
in einzelnen Abhandlungen: Nachtigal S 

8 86. 


„) fi meine Dogmat. der Apokr. des A. T. S. 
179. * 0 


Specialhermeneutik. Er 251 


S. 36. (Pſeudo ) Ottmar, Beitraͤge zur 
hiſt. ſ. ©1200. Vergleichung einiger Sittenlehren ꝛc. 
ſ. S. 144. in d. Note. Geſchichtsmaͤßige Bes 
leuchtung einiger dunkeln Stellen des N. T.; in 
d. Beitraͤg. z. Beford, des vern. Denk. 11. Hft. 
S. 118-137. (Matth. 24. Jud. 7. 1 Kor. 11, 
3-15, Luk. 16, 9. Matth. 5, 29 f. 1 Petr. 4, 
6. 3, 19.) — Herder, Erlaͤuterung des N. 
T. ꝛc. ſ. S. 156. — Außerdem gehören auch die 
S. 189 f. angefuͤhrten Zeitſchriften von Schmidt, 
Henke ze. hieher. i 


Aphorismen 
zu einer hiſtoriſch-dogmatiſchen Special⸗ 


hermeneutik des N. T 


Eine ausführliche Specialhermeneutik des N. 

T., wie wir ſie noch gar nicht beſitzen, zu ſchrei⸗ 
ben, iſt ein ſo vielumfaſſendes Geſchaͤfte, daß 
es, wenn anders die Reſultate der beſondern 
Schriftforſchung nicht ohne Beweis bleiben ſollen, 
ein eigenes Buch erfordern wuͤrde, fie in ihrem 
ganzen Umfange darzuſtellen. Nicht nur aus die⸗ 
ſem Grunde, kann ich mich hier bloß auf Aphoris. 
men einſchraͤnken, welche die hiſtoriſch⸗dog⸗ 
matiſche Specialhermeneutik betreffen; ſondern 
auch deßwegen, weil ich weder die vielumfaſſenden 
Kenntniſſe, die dieſes Geſchaft erfordert, zu beſitzen, 
noch ein ſo vertrautes, lang fortgeſetztes, und auf die⸗ 
fe Beziehung gerichtetes Studium des N T., als erfors: 
dert wird, angeſtellt zu haben glaube. Auch ſind theils 


noch 


.. 


252 Specialhermeneutik. 


noch viele Punkte, die bei dieſem Studium von 
hoher Wichtigkeit ſind, zu wenig unter den Ge⸗ 
lehrten entſchie den, theils die Vorarbeiten noch 
zu unvollſtändig, als daß es jest ſchon zu einer 
vollſtaͤndigen Speciglhermeneutik Zeit ſeyn koͤnnte. 
Die Grundlinien derſelben in hiſtoriſch⸗dogma⸗ 
tiſcher Ruͤckſicht liegen in den oben $. 33. ©. 


175 ff. gegebenen Bemerkungen. | 


Unter Specialhermeneutik des N. verſteht 
man die hermen utiſchen Grundſaͤtze, die bei ein⸗ 
zelnen Schriſtſtellern und Schriften des N. T. 
in Anwendung kommen. Sie gruͤndet ſich auf 


die Individualitaͤt eines jeden Schriftſtellers *), 
auf die Veranlaſſung, den Zweck und die Leſer 


ſeiner Schrift, ſo wie auf die Kenutniß des Zu⸗ 


ſtandes der Leſer *). Hierin Ba " ihre Er⸗ 
f Ela» 


’ 


- mans m nme een men 
77 


>) Hieruͤber iſt 7 Herm. e Cha⸗ 

rakeriſtik der Bibel, 5 Theile (der erſte und 

zweite in der aten Aufl. Halle 1781, der zie 
in aten, der te in der dritten, und der ste 
in d. zweiten Aufl. 1795. gr. 8.) ein klaſſiſches 
Werk findet. 

. Dieſe Kenntniſſe muß man in den Einleitun⸗ 
gen ins N. T. und in deſſen einzelne Buͤcher, 
in den Schriften über den Kanon (die man In 
meinem Verſuch einer Entwickelung aller in der 
Dogmat. vorkommend. Begriffe ıc. S. toe 
104. angegeben findet) und in dem Werke von 
Kleuker: ausführt. Unterſuchung der Gründe für 

dle 


Die drei erſten Evangelien. 253 


. 


klaͤrungsregeln, und ihr Hauptkanon iſt, jeden 
Schriftſteller nach ſeiner Individualitaͤt und nach 
ſeinem ſubjektiven Zweck zu erklaͤren. Vergl. oben 
oben S. 220 ff. Einen uuͤtzlichen Beitrag zu einer 
Specialhermeneutik hat der ungenannte Verf. der 
Schrift; „das Urchriſtenthum nach dem Geiſte 


der ſaͤmmtlichen neuteſtamentl. Schriften entwickelt; 


8 Verſuch in der Specialbermeneutik des N. 
T. 1 Thl, die Evo. des Matth. Mark. Luk. und 
die Apoſtelg.“ (Danzig 1804. 8.) gegeben, wo 
er die Saͤtze der behandelten bibliſchen Buͤcher 
unter gewiſſe Rubriken zuſammenſtellt, um die 
Dogmatik und Moral jedes Schriftſtsllers iſolirt 
aufzuſtellen, und St Schriftſteller aus ſich ſelbſt 
zu erklaͤren. 


7 


Die drei erſten Evangelien haben, ob 
fie gleich von verſchi dnen Verfaſſern find, Ei: 


nen Geiſt und Eine Tendenz mit einander gemein, 


x 


und ſelbſt Lukas iſt von Matthäus und Markus 

vom fuͤnften Vers des erſten Kapitels an, in Ruͤck⸗ 

ſicht des Vortrags und Zwecks ſeiner Schriſt, we⸗ 

nig verſchieden. Die Erklaͤrung dieſes Phaͤno⸗ 

mens hat die . zu mehrern Vermuthun⸗ f 
5 a r 95 


— 
* 


die Aechtheijt und Glaubwürdig d der ſchriftl. 
Urkunden des Chriſtenthums. Leipz . 793. 0 
burg 1798, 5 Bände. 


254 Die drei erſten Evangelien. 


gen veranlaßt ), unter welchen ſich vorzuͤglich die 
Eichhorniſche empfahl *) nach welcher ihnen al⸗ 
len ein Urevangelium, oder ein kurzer aramaifch 
geſchriebener alter Aufſatz user Jeſu Leben und 
Thaten zu Grunde lag. Sie ward nicht nur 


gelegentlich von Storr und andern beſtritten, 
ſon⸗ 


*) I. B. Koppe, diſſ. Marcus non epitomator 
Matthaei. Goett. 1782. 4. I. I. Griesbach 

Comm. I. II, Marci Euang. totum e Matthaei 
et Lucae commentariis decerptum efle. Ienae 
1789. und 90. (ſtehen auch in den Commentt, 
-theoll. Vol. I.) Die entgegengeſetzte Meinung, 
daß bei Matth. und Lukas das Ev. Markus 
zu Grunde gelegen habe, behauptet G. Chr. 
Storr, difl. de fonte Euangeliorum Mattbaei 
et Lucae, Tub. 1794. 4. (ſteht auch in den 
Commentt. theoll. Vol. III.) Hierzu kommt 
die neueſte Hypotheſe Ch. Fr. Ammon progr. 
de Luca, emendatore Matthaei. Erlang. 1805. 
4. 

**) Er trug fie zuerſt vor in einer Abhandl.: Les 
ber die drei erſten Evangelien; in ſ. allg. Bis 
blioth. d. bibl. Lit. 5. B. 5. St. S. 761— 
995. — Ihm folgten im Ganzen: Henr. 
77 Halfeld, commentatio de origine quat. 

uangelior. et de eorum canonica auctoritate, 
Goett. 1794. 80 S. 4. Joh. With. Barth. 
Rußwurm, Unterſuchungen uͤber den Urſprung 
der Evv. des Matth. Mark. Luk. und Johannes, 
und ihre kanoniſche Auctoritaͤt Ratzeb. 1797. 
8. Derſelbe, Urevangelium; ein Verſuch 
aus d. hoͤhern Kritik in Auguſti's theol. Mo⸗ 
nats⸗ 


4 
* 


Die drei erſten Evangelien. 255 


ſondern vorzüglich von Vogel ); und ob fie 
gleich von Eichhorn in ſeiner Einleitung ins N. 
T. 1 Band, umſtaͤndlicher und etwas veraͤndert 
dargeſtellt ward, ſo iſt ſie doch zu ſehr verkuͤn⸗ 
ſtelt, um wahrſcheinlich gefunden zu werden *). 

3 Mat⸗ 


5 vr vu; 
natsſchr Jahrg. 1802. 5. Hft. — J E. Chr. 

Schmidt, exegetiſch-kritiſche und hiſtorlſche 
Unterſuchungen über die drei erſten Evv.; in ſei⸗ 
nem Repertor. für Literat. 1 St. S. 48 = 200. 
— Einige Worte uͤber Herders Hypotheſe, den 
Urſprung der Evv. betreffend; in Schmidts 
Biblioth. fuͤr Krit. und Exeg. ꝛc. 2. B. S. 

5 361-364. Georg Sam, Rit ter, Unterſuchun⸗ 
gen einiger Fragen und Urtheile den Urſprung 
der Evv. betreffend; in Auguſti's theol. Mo⸗ 
natsſchr. 1802. 9. Heſt. — Ueber die Chri⸗ 
ſtologie dieſer Evo. vergl. J. G. Herder vom 
Erloͤſer ze. ſ. S. 198. Außer den F. 35. ange⸗ 
fuͤhrten Schriften find hier noch zu bemerken: 
„Beitraͤge zur Aufklaͤr. über die beiden erſten 
Kapp. im Matth. und Luk. in Henke's Magaz. 
5. B. 1. St. S. 146-131, Votſchlag einer 
neuen Erklaͤrung der Taufformel Matth. 28, 
19. in Schmidts Biblioth. f. Krit. und 
Exeg. ꝛc. 1. B. 1. St. S. 141-144. 

) Vogel, Ueber die Entſtehung der drei erſten 
Evangelien; in Gablers Journal f. auserleſ. 
theol. Literatur 1. B. 1. St. 1801. womit die 
wichtige Recenſ. in der Leipzig. Literaturzeitung 
17 u. 18. St. (1305.) verglichen werden muß. 

) Die wichtigſten Gegenerinnerungen findet man 
in der Recenſ. der Eichh. Einleit, in den Tuͤ⸗ 
binger gelehrten Anzeigen 18-20. St. (1805. ), 

vor⸗ 


255 Die drei erſten Evangelien. 


Matthaͤus, Markus und Lukas ſtimmen ſo 
genau mit einander in Inhalt, Darſtellung und 
Zweck uͤberein, daß folgende Bemerkungen von 
ihnen insgeſammt, oder, wenn man will, von 
ihren Quellen, aus denen ſie ſchoͤpften, gelten. 
Sie ſchrieben als Ungelehrte, bedienten ſich des 
unter dem Volke gewöhnlichen Sprachgebrauchs, 
und erzaͤhlten nach den Anſichten und Erklaͤrungs⸗ 
weiſe deſſelben. Haͤufig ſpiegelt ſich die Perſoͤn⸗ 


llichkeit des Schriſtſtellers in Form und Materie 


der Evangelien, in Urtheilen und Darſtellungen ); 
und bisweilen bemeift man auch, daß durch den 
Sprachgebrauch und die Erzaͤhlungsweiſe des 
gemeinen Lebens eine Begebenheit ein etwas ver⸗ 
aͤndertes Anſehen bekam, indem die Evangeli⸗ 
ſten in ihrer kunſtloſen Erzaͤhlungsform vielleicht 
das Urtheil mit dem Faktum unmittelbar verban⸗ 
den. Vielleicht war dieſes der Fall mit Luk. 8, 
46. ann Kap. 8, 30 ff. vergl. oben S. 92 f. 

Sie 


* 


— 


vorzüglich 15 in der Hai der J Jenaiſch en 

— allgem. Literaturz. no. 127 13 2. (1805.) wo 
fie in ihrem ganzen Umſange mit wichtigen 
Gruͤnden beſtritten ward. 

) Ein vorzüͤgliches neueres Werk hierͤͤber iſt: 
Fried Ad. Krummacher, Ueber den Geiſt 
und die Form der Evangeliſchen Geſchichte in 
hiſtoriſcher und aͤſthetiſcher Hinſicht. Leiozig, 
1805. 8. „Der Grundirrthum (ſagt der Verf. 
S. 34.) der aͤlteſten Exegeten des N. T. be⸗ 
ſteht darin, daß ſie den neuteſtam. Schriftſteller 

aller 


Die drei erſten Evangelien. 257 


Sie ſchrieben, wenigſtens Matthaͤus und 


Markus, fuͤr angehende Cbriſten aus dem Juden⸗ 
thum, nicht nur um ihnen eine kurze hiſtoriſche 
Nachricht von Jeſu zu geben, ſondern auch zus 


gleich aus Weiſſagungen, Wundern, Lebre und 


Schickſalen deſſelben zu beweiſen, daß er der laͤngſt 
erwartete Meſſias wirklich geweſen ſey ). Da⸗ 


— 


ber 


aller Perſönlichkeit berauben, ihn bloß als das 


Organ der goͤttlichen Inſpiration, deren ſich der 


göttliche Geiſt, wie der Tonfünftler des Inſtru⸗ 


ments, bediene, betrachten, und alſo bei ihrer 
Interpretation einen Grundſatz vor ausſetzen, der 
doch natürlich erſt ein Folgeſatz der Interpre⸗ 
tation ſeyn kann.“ Hiermit vergl. oben $. 13. 


) Das Eoangel. des Matthaͤus (ſagt Krummacher 


a. a. O. S. 210.) könnte man das hebraͤiſche 
oder das meſſtaniſche nennen. Es iſt im edlen 
hebraͤiſchen Geiſte geſchrieben; dem Vf. ſchweb⸗ 


te Jeſus der Meſſias und die nun durch ihn 


und in ihm erfuͤllten Hoffnungen Iſtaels vor der 
Seele, obwohl man ihm deßhalb nicht den 


beſtimmten Vorſatz zuſchreiben darf, daß er 


durch daſſelbe einen dogmatiſchen Beweis 
für die Meſſiaswuͤrde Jeſu habe aufſtellen wol⸗ 
len. Er konnte ſich Jeſum nur in dieſer Haupt⸗ 


beziehung denken, und dieſes hat auch auf die 


Oekonomie feines Buches den Einfluß, daß er 
ihn bald als den lehrenden Propheten, bald“. 
als den Wunderthaͤter, bald als ſtrafenden 


Reformatoc abgeſondert darſtellt, und Des 


gebenheſten, Reden und Parabeln aus verſchie— 
denen Zeitperioden, ohne die Veranlaſſung ders 
ſelben anzugeben, zuſammenordnet.“ 


+ R 


258 Die drei erſten Evangelten. 


ber belegen fie die meiſten merkwuͤrdigen Schick⸗ 
ſale Jeſu mit Stellen des A T., um ihren juͤ⸗ 
diſchen Leſern zu zeigen, daß er nach den Weil 
ſagungen der wahre Meſſias ſey *); daher ers 
zaͤhlen ſie ſo viele Wunder Jeſu, und beſonders 
ſo viele Heilungen Daͤmoniſcher, weil nach den 
Grundſaͤtzen ihrer Leſer der Meſſias *) die Herr⸗ 
ſchaft der Daͤmonen zerſtoͤren würde, und Matthaͤus 
uͤberging den Verſuch, den Satan machte, Je⸗ 
ſum gleich bei dem Antritt ſeines Meſſiasgeſchaͤfts 
zu verjühren, nicht mit Stillſchweigen (K. 40. 
Daber die umſtaͤndliche Erzaͤhlung von der Tau⸗ 
fe Jeſu, der Vereinigung des heiligen Geiſtes 
mit ihm, durch deſſen Macht er die Daͤmonen 
austrieb (Matth. 12, 28.), und die feierliche 
Erklärung vom Himmel (Matth. 3, 170, daß 
er der Meſſias ſey. Das Thema, mit dem Je⸗ 
ſus als Lehrer auftrat, war (K. 4, 17) gleich» 
falls die Ankuͤndigung: „der Meſſias iſt erſchienen; 
fein Reich iſt n. he!“ und mit demſelben Thema 
begannen auch die Schuͤler Jeſu ibren erſten 
Lehrverſuch (Matth. 10, 7.). Das Verhaͤltniß 
zwiſchen dem Taͤufer und Jeſus wird aus dein: 
ſelben Grunde ſorgfaͤltig bemerkt (Matth. 1 1, 
79 8 u 
) Dahin gehört auch das Geſchlechtsregiſter Matth. 

1, 1 7., das den Beweiß gab, daß Jeſus der 
Sohn er ſey. K. 1, 27 f vergl. 25. 

K. 2, 5. 16. 23. u. ſ. w. 


Ir Matth. 3, 29. K. 12, 28. A. oben S. 
x 245. 


Lukas. 259 \ 
1-30.), der Beweiß, daß Jeſus der Meſſias 


ſey, kurz angegeben (v 5.) und ausdrücklich ers 
wähnt, daß auch der Täufer (K. 3, 1 ff.) Je⸗ 
ſum fuͤr ſeinen Meiſter erkannt habe. N 
5 Man ſieht, es iſt alles darauf eee 
die Wahrheit des Schluſſes des Evangeliums 
(Natth. 28, 18. 20% n hol mac e C Ev 
o nos Em rn yns) zu beweiſen, und zwar 
fuͤr Zeitgenoſſen und Landesleute; und in der 
That enthaͤlt das Evangelium des Matthaͤus Al⸗ 
les, was nur immer ein Jude bei dem Beweiſe, 
daß Jeſus von Nazareth der Meſſias geweſen 
ſey, verlangen, und wodurch er uͤberzeugt wer⸗ 
den konnte; da der Beweiß uͤberall aus feinen 
Grundſaͤtzen geführt wird. 


Genug fuͤr den hiſtoriſch⸗ dogmatiſchen Aus⸗ 


leger, um einzuſehen, daß bei Matthäus und 
Markus der religioͤſe Sprachgebrauch und die Leh⸗ 
ren der Palaͤſtinenſer vorzüglich zu beachten ſeyen, 
und daß dieſe Schriften, ob ſte gleich bloß 


Denkwuͤrdigkeiten des Lebens Jeſu enthal⸗ 


ten, nach ihrer individuellen dogmatiſchen Ten⸗ 
denz gefaßt, und die einzelnen Data (Wunder, 
Weiſſagungen ꝛc.) dieſem gemäß betrachtet wer⸗ 
den muͤſſen. 

Daſſelbe gilt im Ganzen auch von Lu⸗ 


kas ). Er Kg ſpaͤter als Matthaͤus, und 


AR kann⸗ 


*) Ueber ſein Evangel, und feinen Charakter als 


Schriftſteller findet man feine und neue Anſich⸗ 
ten 


— 


260 Lukas. 


kannte (Luk. 1, 1 f.) ſchon mehrere ſchriftliche 
Nachrichten, die er, wie auch ſein Evangelium 
zeigt, fleißig benutzte ). Er ſchrieb fuͤr einen 
Freund, Theophilus, dem er nicht zunaͤchſt be⸗ 
weiſen wollte, daß Jeſus der Meſſias ſey; denn 
davon war Theophilus ſchon überzeugt; ſondern: 
die Nachrichten, die ſein Freund, und wahrſchein⸗ 
lich auch Andere, von Jeſu hatten, aus glaub⸗ 
wuͤrdigen Quellen zu verificiren (ba S R 
pi n, N ray arDarsıav, Luk. 
1, 3.), und einen ſolchen Abriß des Lebens Je⸗ 
fu zu geben, wie ihn ein Freund Jeſu und ein 
ſpaͤteres Zeitalter, das Jeſum nicht perſoͤnlich 
gekannt hatte, wuͤnſchen mochte Daher iſt bei 
ihm ein Streben nach Vollſtaͤndigkeit; daher 
ſammelte er die kleinern Zuͤge aus Jeſu Leben, 
die ihn charakteriſiren und durch die Zeitferne 
0 n RS mehr 


N 
— ee — 


ten bei Krummacher a. a. O., von denen 
mir aber mein Zweck nur wenlg zu benützen ers 
laubt. ein ee e 
) Ben. Lud. Koenigsmenn, de fontibus 
commentariorum faerr., qui Lucae nomen prae- 
ferunt. Alton. 1798. Kritiſche Bemerkk. über 
das Eo. Luk. nach der Marcionitiſchen und Ka— 
tholiſchen Recenſion; in Schmidts Bibl. f. Kri⸗ 
tik und Exeg. ze. 2. B. 3. St. S. 365-380, 
und S. 563 573. leber das äcte Evang. 
des Luk.; eine Vermuthung von J. E. C. 
Schmidt; in ſ. Bibl. f. Kr. ꝛc. 3. B. S. 
463-520, Ammon progr, ſ. oben S. 255. 


Lukas. 26¹ 


mehr Wichert und Werth erbielten, und nahm 
vorzuͤglich mehrere Nachrichten aus der Jugend⸗ 
geſchichte Jeſu auf, entweder wie er ſie in ſei⸗ 
nen Quellen fand, oder wie fie ihm die Tradi⸗ 
tion überlieferte a 


Doch ward er durch ſeine Quellen, und 
durch die von dem Zeitbeduͤ fniß ſelbſt erzeugte 
Anſicht des Lebens Jeſu unvermerkt auch auf den 
Geſichtspunkt gefuͤhrt, die Geſchichte Jeſu als 
Beweis ſeiner Meſſiaswuͤrde zu behandeln; wel⸗ 
cher Veranlaſſung er vielleicht um ſo williger 
folgte, je weniger er ſeinen Theophilus allein 
beim Schreiben vor Augen hatte. Daher hat 
ſein Evangelium im Ganzen dieſelbe Tendenz: Je⸗ 
ſum, als den durch Taufe, Lehren, Wunder, Tod, 
Auferſtehung und Himmelfahrt beglaubigten Meſ⸗ 
ſias darzuſtellen. Nur iſt er noch ſorgfaͤltiger, 
als Matthaͤus und Markus, Zeugniſſe und Be⸗ 
gebenheiten fuͤr ſeinen Satz beizudringen. Daher 
erkennt ſchon Eliſabeth (K. 1, 42 f.) die Ma⸗ 
ria fuͤr die Mutter des Meſſias; die Engel, die 
Diener deſſelben, erklaͤren ihn feierlich fuͤr den 
(K. 2, 11.) Verheißenen; Simeon, ein Greis, 
voll des heil gen Geiſtes, (K. 2, 29 f.) erklaͤrt 
Jeſum, als Kind, für den Retter Iſraels; ſchon 
als zwoͤlfjaͤhriger Knabe, (K. 2, 49.) macht Je⸗ 
ſus einen Verſuch in ſeinem zukuͤnftigen Berufe, 
deſſen er ſich bewußt it u ſ. w. Alle dieſe Zuͤ⸗ 
ge ſind dem Lukas eigentlich, und haben eine 

unver⸗ 


262 Wunder | 


unerkeiinhane Tendenz auf das Hauptth ma ſei⸗ 
nes und der beiden erſtern Evangelien. 


Was nun namentlich die in dieſen Evau⸗ 
gelien erzählen Wunderbegebenheiten bes 
trifft; ſo zeigt der Zweck dieſer Schriften und 
das Beduͤrfniß der Leſer hinlaͤnglich, aus wel⸗ 
chem Geſichtspunkte ſie zu faſſen ſeyen, und daß 
es ganz vergeblich iſt, durch philologiſche Kuͤn⸗ 
ſteleien oder pſychologiſche Erklaͤrungen jene Bes 


gebenheiten in natuͤrliche umzugeſtalten; daß es 


aber gleichfalls vergeblich iſt, ſie aus einem my⸗ 
ö thologiſchen Geſichtspunkt zu faſſen, naͤmlich 
als ſolche Begebenheiten, die, als urſpruͤnglich 
einfache und natürliche Fakta, nach und nach 
durch die Tradition zu Wundern ausgeſchmuͤckt 
worden ſeyen ). Denn ohnerachtet die mytholo⸗ 

giſche 


* 


— 
— A 


*) Ein Be Verſuch dieſer Erklaͤrungsart 
iſt: L. Bauer, hebraͤiſche Mythologie des 
Salt; Re neuen Teſtaments, mit Parallelen aus 
d. Mythologie andrer Voͤlker, vornehmlich der 
Griechen und Römer. Lpz. 1802. 2 Baͤnde 3. 


Auch Gabler („Über die verſchledene mythiſche 


Behandlungsart der chriſtl. Urgeſchichte;“ in f. 
neueſt. theol. Journal, 1800.) erklaͤrt ſich ihr 
geneigt, und meint, ſie fuͤhre zu minder ſchwie⸗ 


rigen Auflofungen, als die pſychologiſche. Eine 


deutliche Darſtellung der Grundſaͤtze derſelben 


gab 


Wunder, 263 


giſche Erklarungzart auf den Theil br Wunderer⸗ 
zaͤhlungen, der Jeſu Geburt und Schickſale betrifft, 
angewendet werden kann; ſo iſt dieſes doch durch⸗ 
aus bei dem allergroͤßten Theil der neuteſtament⸗ 
lichen Wunder unmöglich, weil ſie ſchon ganz 
einfache Fakta enthalten, und die mythologiſche 
Tradition das ganze Faktum erdichtet haben 


2 RR muͤß⸗ 
5 * | | 


gab W. Tr. Krug: Verſuch über die genetl⸗ 
ſche oder formelle Erklaͤrungsart der Wunder; in 
Henke's Muſeum 1. B. 3. St. 395-413. In 
weiterm Umfange wendete ſie Horſt auf die wun⸗ 
dervollen Schickſale Jeſu an G. C. Horſt: 
Ideen über. die Religion, Mythologie und Chris 
ſtenthum in Beziehung auf den Zeitgeiſt; in 
Henke's neu. Magoz. 6. B. 3. St. Derſel⸗ 
be: Iſt die Religion mehr aus dem Geſichts⸗ 
punkt einer Scienz und des Syſtems, oder 

mehr als Dichtung und Mythologie zu betrach⸗ 
ten? in Scherers Schriftforſcher 1803. 1. und 
2. St. — Hiermit vergl. die ältere Abhandl. 
Ob in der Bibel ſich Mythen finden? in den 
Beitraͤg. z. Befoͤrd. ꝛe. 18. Hft. S. 1 ff. J. 
G. P. Seidenſtuͤcker, uͤber die Mythen der 
Hebraͤer; im Schleßwig. Journ. (Altona 1792.) 
6. St. S. 156. — „Der Jungfrau Maria 
wird durch den Engel Gabriel verkuͤndiget, daß 
ſie einen himmliſchen Sohn durch goͤttl. Kraft 
gezeugt, gebaͤren würde. Eine heilige Dichs 
tung;“ in Scherers Schriftforſcher 2. St. no. 
3. Vergl. oben S. 194 f. C. F. Ammon, 
aſcenſus leſu Chriſti in coelum, hiſtoria bibli- 
ca. Progr. Goett. 1800. 4. (ſteht auch in ſ. 
opuſc. theoll. 1803. 8. 


264 Wunder. 


muͤßte. Doch es iſt unnoͤthig, hier Mehreres zu 
Huͤlfe zu nehmen, da Eines vollkommen hinreicht, 
um die Wunder in ihren Wuͤrden zu erhalten. 
Und dieſes Eine iſt der Zweck der Verfaſſer, und 
die Grundſaͤß der keſer; alſo die Geſchich te. 
Der Zweck der Verfaſſer war, zu bewe ſen: Je⸗ 
ſus ſey der Chriſt. Der Chriſtus aber muß⸗ 
te, nach den Grundſaͤtzen der a on thun, 
und ſich als ſolcher legitimiren, ie nicht nur 
mehrere Stellen des N. T. (z B. Matth. ır, 


2 ff K. 12, 23-28.) ſondern auch anderer 


juͤdiſcher Schriftſteller beweiſen. (vergl. oben S. 
117.) . Folglich find die Wundererzaͤhlungen in 
den Evangelien nicht wie Anectoda zu betrach⸗ 
ten, die man nur ihrer Menge wegen, oder um 
den Leſer durch das Wunderbare zu feſſeln und 
zu vergnügen, eder wegen ihrer Merkwuͤrdigkeit 
der Erzaͤhlung einwebte; ſondern als ein weſent⸗ 
licher, ein Haupttheil der Abhandlung als ein 
wichtiger Beweis fuͤr den Satz des Ganzen an⸗ 
zuſezen.“ Die Wunder, fo wie ſie erzaͤhlt 
werden, waren durchaus noͤthig, und durften 
in den Evangelien nicht fehlen, wenn die Verfaſ⸗ 
ſer derſelben ihre Zeitgenoſſen, für welche ſie doch 
ſchrieben, fuͤr das Chriſtenthum gewinnen woll⸗ 
ten. Sie erzaͤhlen fie daher auch fo, daß jeder 
unbefangene beſer ihre Abſicht, ein Wunder zu 
erzaͤhlen, ohnmoͤglich verkennen kann, und daß 
jede natuͤrliche Erklaͤrung derſelben nothwendig 
verungluͤcken muß Die Unterſuchung der ob> 
jektiven Wahrheit der Wunder hingegen, gehort 
ö (S. 


Johannes. 8 265 


S. 211.) in das Gebiet der hiſtoriſchen Kri⸗ 
tik. RR RN 


Seelbſt einem wenig feinen exegetiſchen Ge⸗ 
fuͤhl iſt die Eigenthuͤmlichkeit der Johannei⸗ 
ſchen Schriften ) bemerkbar. Ein Ton und 
Gift, eine Sprache, wie fie nicht weiter im N. 
T gefunden wird, feſſelt die Aufmerkſamkeit Br), 
Milde des Geiſtes, eine fanfte Schwaͤrmerei im 
edlen Sinne des Worts, ein ausge ildeter Ver, 
ſtand, und die innigſte Liebe gegen Jeſus, der 
hier in einem hoͤhern Sinne als Lehrer und als 
| Sohn 


* \ 
— — — — 


| *) Lange (die Schriften Johannis, des vertrau- 
ten Schuͤlers Jeſu, uͤberſ. und erklaͤrt von S. 

G. Lange. Neuſtrel. 4 Theile 1795-97. gr. 
8.) hätte dieſe Eigenthuͤmlichkeiten wohl ſorg⸗ 
fältiger zum Gebrauche der Specialhermeneutik 
ſammeln konnen, Auch Paulus in ſ. Commen⸗ 
tar über d. Ev. Joh. Ciſte Hälfte, Lubeck 1804. 
gr. 8.) hat dieſes zum Theil vernachlaͤßigt, wenn 
man es nicht noch in den Prolegomenen zu er⸗ 
warten hat. Deſto dankbarer iſt die Arbeit von 
Joh. Dany. Schulze, der ſchriftſtelleriſche Cha⸗ 
rakter und Werih des Johannes, zum Behuf 
einer Specialhermeneutik unterſucht u. beſtimmt. 
Weißenf. u. Lpz. 1803. gr. 8. 195 
**) Gedanken über die Vorliebe zum Ev, des Jo⸗ 


hannes; in Gablers Journ, f. theol, Literat, 
4. B. 1 St. S. 133. 


266 Johannes. 


Sohn Gottes erſcheint, find. die Grundzüge des 
E arakters von Jeſu Liebling, und ſprechen über: 
all aus feinen Schriften ). Sein Stil iſt ein⸗ 
fach und reiner als in andern neuteſtamentlichen 
Schriften, und laͤßt uns vermuthen, daß er mit 


Griechen Umgang hatte; eine Vermuthung, die 


dadurch Gewißheit wird, daß Johannes nach den 
unverwerflichen Nachrichten der Alten *), zu 
Epheſus lebte, und daſelbſt ſchrieb. Dieſes, und 
daß er unter allen Apoſteln am laͤngſten lebte, 
und vielleicht am ſpaͤteſten ſchrieb, ſind Umſtaͤn⸗ 
de, auf welche der Interpret ſeiner Schriften 
(von der Apokalypſe iſt hier nicht die Rede) bes 
ſondere Ruͤckſicht zu nehmen hat; da fie es im 
Voraus wahrſcheinlich machen, daß bei Johan⸗ 
nes der alexandriniſch⸗ griechifche religioͤſe Sprach» 
gebrauch zu finden ſeyn wird, und daß vorzuͤg⸗ 
lich alexandriniſche Quellen, ſo wie der S. 176. 
angeführte Theil der aͤlteſten chriſtlichen Schrif⸗ 
ten, (die Apokr. des N. T. die Pſeudep. des A. 


* 


* „Die Alten, ſagt Krummacher (a. a. O. S. 
209.), nannten das Ev. Joh. das geiſtige (mvev- 
tar leg und legten dadurch demſelben eine be⸗ 

ſondre Tendenz und eine eigene Manier bei, die 
es von den andern merkbar unterſcheide. — Der 
Zweck ſeiner Darſtellung iſt, zu zeigen: daß und 
wie das ewige Wort zur Erde herniederkam 
und ſich mit der Menſchheit We igte.“ 

0 S. Schmidts Einleit. ins N. T. S. 134. 
140. ‚amd 1875 


Johannes. f 267 


T. zum Theil) bei feiner Auslegung in Anwen⸗ 
dung kommen. Und dieſes bewahrt ſich auch 
durch die That. Denn Johannes iſt es eigen⸗ 
thuͤmlich, Jeſum als Nes darzustellen, oder 
vielmehr die Vereinigung des Menſchen Jeſus und 
des göttlichen ewigen Wortes in einer Perſon zu 
zeigen. Eine Lehre, die wir in den Apokryphen 
des N. T. und in dem Theile der Pfeudepigra⸗ 
phen des A. T. der von alexandriniſchen Juden⸗ 
chriſten herruͤhrt wiederfinden. S. §. 20. S. 
84 f. §. 26. S 126 f. F. 32. S. 168 f.) 
Ueberhaupt verraͤth ſich bei Johannes der palds 
ſtinenſiſche Scheiftſteller wenig, und eben fo leicht 
iſt es zu erkennen, daß er nicht fuͤr Palaͤſtinen⸗ 
ſer, ſondern fuͤr Griechen ſchrieb; daher er 
auch nicht eine einzige Heilung eines Daͤmoni⸗ 
ſchen erwaͤhnt; daher auch in den Reden Jeſu, 
wie Er ſie giebt, ein anderer, als in den erſten 
Evangelien, ein Johanneiſcher Geiſt herrſcht Y), 
und es unverkennbar iſt, daß er bei denſelben 
vorzuͤglich auf griechiſche Leſer Ruͤckſicht nahm. 

A We⸗ 


*) Ueber das Unterſcheidende der Reden Jeſu bei 
J.ohannes ſ. Lange, die Schriften Joh. ꝛc. 
2. B. S. 14 ff. Schmidt, Einleit. ins N. 
T. S. 155. H. Ph. K. Henke, Progr. Ioan- 
nes Ap. nonnullorum leſu apophthegmatum 
in euangelio ſuo et ipſe interpres. Helmſt. 
1798. 8. — und uͤber die hiſtoriſche Differenz 
feines Evang. von den 3 erſten, Schmidt a. a. 

O. S. 144 f. a 


268 Johannes. 


Wenigſtens iſt es daraus erklaͤrlich, warum Jo⸗ 
hannes überhaupt wenig Weiſſagungen des A. T., 
anfuͤhrt, und vorzuͤglich die Ausſpruͤche Jeſu 
uͤber folgende Punkte geſammelt hat: uͤber ſeine 
vorweltliche Exiſtenz als Ns; feine Verſiche⸗ 
rung, daß er von Gott ausgegangen; daß er 
das Richt der Welt ſey, und daß er ſeine Lehre 
unmittelbar von Gott empfangen habe. 


Denn die Tendenz ſeines Evangeliums iſt, 
wie er K. 20, 31. ſagt, zu DERDENIEN: ori In- 
cob ssi ô xasos, 6. vios ro Heov; Jeſus 
ſey Meſſias, und zwar als ſelcher Sohn Got⸗ 
tes. Ihm war naͤmlich ) der Meſſias mehr 
als bloß der groͤßte Wunderthaͤter; ihm war er 
zugleich das ewige Wort. Sein Zweck, fuͤr 
ben er das Evangelium ſchrieb, war daher zu be⸗ 
weiſen: Jeſus iſt der erwartete Meſſias; und mit 
ihm hatte ſich das ewige Wort vereiniget. Sei⸗ 
ne Lehre iſt folglich goͤttliche Lehre Dieſes The⸗ 
ma giebt er gleich in der merkwuͤrdigen Stelle 
K. 1, 1-14. an, und die Worte v. 9. Av To 
Os To de, und v. 14., ô Aoyos cg 
S /e ero, zeigen, in welcher Verbindung der No- 
Jos und der Meſſias bei Johannes ſtehen ). 

ö Auf 


* 


Me. Schmitts Einleit. ins N. T. S. 183. 


*) Ueber den Aoyos in dieſer Stelle ſind die In⸗ 


terpreten verſchiedener Meinung. Vergl. S. 22 f. 
h Eis 


Johannes. ü 259 


Auf dieſen Zweck iſt beinahe Alles, was er 
von Jeſu in ſeinem Evangelium ſagt, berechnet; 
Alles hat eine feſte Beziehung; nichts iſt iuͤ⸗ 

ßig. 


Einige glauben, Johannes habe hier auf die 
Juͤnger des Taͤufers Ruͤckſicht genommen, und 
fie in feinem Evangel. beftritten, ſ. F. 29. An⸗ 
dere glauben, er kämpfe hier gegen Gnoſtiker. 
Am richtigſten betrachtet man dieſes Wort als 
Kunſtausdruck der hoͤhern juͤniſchen, beſonders 
der alerandrinifchen Theologie. Die wichtigſten 
Erläuterungen findet man theils in den §. 22. 
u. 5. 3 5. S. 194. u. S. 198.) angeführten Schrif⸗ 
ten, theils in den angeführten Commentar, von 
Paulus, Lange, Storr über d. Zweck sc ſ. S. 
147. Kleuker, über die Emanationsl. (f. S. 
136.) p. 9 ff. Schmidt, chriſtologiſche Frag⸗ 
mente; in d. Bibl. f. Krit. und Exeg. 1. B. 
S. 356 ff. vergl. mit 1. B S. Foo. und den 
S. 193. angefuͤhrten Schriften von Lange, 
Keil ꝛc. Zlegler, Bemerkk. uͤber das Ev. Jo⸗ 
hannes und Erklaͤrungen einzelner ſchwieriger 
Stellen deſſelben; In Gablers Joukn. f. theol. 
Lit. Jahrg. 1802. 1. St. S. 15269. Suͤs⸗ 
kind, Etwas uͤber die neuern Anſichten der 
Stelle Joh. 1, 1-14; in Flatts Magaz. fort⸗ 
geſ. v. Suͤskind 10. St. Ammon Progr. de 
prolog. Iohannis Euang, fontibus et ſenſu.“ 
Goett. 1800. 4. vergl. mit der Recenſ. in der 
Jenaiſch. Liter. (1804: no. 131.) — Neu. theo⸗ 
log. Journal, von Ammon, Haͤnl. und Paul. 
1793. 2. B. S. 463 ff. — Ueber die Theo⸗ 
logie des Johannes uͤberhaupt: C. Chr. E. 
Schmid, diff, de theologia Ioannis Apoftoli. 
Ienae, 1800. 4, 


* 


270 Johannes. 


ßig ). Nachdem er im Anfang fein Thema im 
Allgemeinen (K. 1, 1-14.) angegeben hat, fo ſucht 
er zuerſt zu belegen, daß nicht Johannes der T u: 
fer der Meſſias ſey (1, 6 ff. 20. 27. K. 3, 
27 ff.), ſondern daß auch Johannes Jeſum für 
den Meſſias und zugleich fuͤr den hoͤhern vorwelt⸗ 
lichen Logos erklärt habe, (1, 27. 30. K. 3, 30 
ff.) Als Beweiſe fuͤr die Meſſias wuͤrde Je⸗ 
ſu fuͤhrt er außer einigen wenigen, an ihm er⸗ 
fuͤllten, Weißagungen) Folgendes an: Jeſus wird 
durch das ve u,iT A bei der Taufe (1, 33.) 
als Meſſias legitimirt; Nathanael (1, 50.), 
Martha (11, 27.), das Volk zu Jeruſalem 13, 
13.), die Samariter (4, 42.) erkennen ihn al 
ſolchen; eine Stimme vom Himmel (12, 18. 
30. o d S avın O yeryovav EAN d 
oͤuas) und ſelbſt Pilatus (19, 19.), indem er 
die Aufſchrift am Kreutze nicht aͤndern will, er⸗ 
klaren ihn dafür. Als angeblicher Meſſias wird 
er auch von den Juden (18, 33.) verklagt, 
und von ihnen (19, 3. 7. 14. 19.) verſpottet. 
Er ſegitimirt ſich als Meſſias duch Weißagun⸗ 
gen (2, 19. 21 f. 6, 70. 7. 8 10, 17. 16, 
4. 18, 32), durch Wunder, die er deßwegen 

ver⸗ 


— — — — ——— nr 


9 Hebe vergl. die trefflichen Abhandlungen: 
Tittmann, meletemata facra in 


he Ioh. vermehrt in ſ. opuscul, theol. Lipf. 
1803. 8. 


Johannes. 271 


verrichtet, damit man ihm glauben ſoll, (2, 23. 
5, 36. 10, 24 ff. 10, 38. 11, 42. 45. 14, 
11. 16, 24. 20, 31.) und damit er zugleich 
feine dokn: als Meſſias und Logos (2, 11. 
vergl. 1, 14. 17, 4. 11, 4. 40.) offenbare; 
durch das Zeugniß Gottes (5, 31 ff. 8, 18. 
54.) und durch die Weiſſagungen des A T. (s, 
39. 45 f.), auf welche er ſich beruft. Er verſi⸗ 
chert öfters feierlich, daß er der Meſſias (3, 15 

21. 5, 19 ff. 7. 27 ff.) und das Licht der 
Welt ſey (8, 12 ff. 24. K. 9, 5. 12, 35 f. 
46.) und die Juden erkennen theils aus ſeinen 
Wundern (6, 14. 7, 31. 9, 16 f. 10, 4 f. 
12; 18.) theils aus der Erhabenheit feinr Leh⸗ 
re (7, 40 ff. 46. K. 8, 30.) die Wahrheit 
dieſer Behauptung. — Zum Beweiſe der goͤtt⸗ 
lichen Wuͤrde Jeſu als ewiger Logos wird 
theils das Zeugniß des Taͤufers (1, 27. 30. 3, 
30 ff.) und des Apoſtel Thomas, (20, 28. »), 
theils die ausdruͤcklichen Erklaͤrungen Jeſu (3, 
13. 6, 38. 42. 46. 62. 8, 58. 16, 28. 17, 
5. „theils der Unwille der Juden über dieſe Bes 
dannn (5, 18. 10, 30-33. **) angeführt, 
8 f Elli 


— 


— 


*) Bloßer Ausruf der Verwunderung Eden die 
Worte nicht ſeyn. Denn erſtlich war es ganz 
ungewöhnlich, auf dieſe Art feine Verwun⸗ 
derung auszudruͤcken; und zweitens muͤſſen dle 
Worte eine Anerkennung Jeſu enthalten. 

%) Eigentlich ſieht man nicht ein, wle palaͤſtinen⸗ 

ſiſche Juden, bei denen der Ausdruck vic 90e 

\ ſo 


272 Johannes. 


theils Jeſus uberhaupt als ein hohes, uͤbermenſch⸗ 
liches Weſen, dem Nichts, weder die Zukunft 
noch die Tiefen der menſchlichen Gedanken unbe⸗ 
kannt find (1, 48. 2, 25. 4, 17 ff. 7, 33. 
Im, 1282,13 0.38 30.), 
und der mit einem Worte die Kriegsſchaaren, die 
ihn greifen wollen, niederſtuͤrzt (18, 6. ), darge⸗ 
ſtellt. Die naͤchſte Folgerung aus dem Satze, 
daß er der Nos ſey, iſt dieſe, daß er ſeine Leh⸗ 


re unmittelbar von Gott empfangen, nicht aber 


aus dem Geſetz geſchoͤpft, oder von Menſchen er⸗ 
halten habe n f 32 ff. 8, 1 
38. 13, 490 ff. vorzüglich 9, 28 f. 9. 55 
Die⸗ 


ſo gewshelſch war, und den Meſſias bezeichnete, 
dieſes ſo hoch aufzunehmen, und uber konn⸗ 
ten, Jeſus mache ſich dadurch 7 sw de. — 
Eine Bemerkung, die wohl auf einige interefs 
fante Veimurhungen führen könnte, für welche 
aber hier kein Raum iſt. 

) Storts S. 147. angeführte Schrift; und: 
Rußwurm, über die erſten Leſer und den Zweck 
des Evang. Johannis; in Anguſtſ's nen. theol. 

Blatt. 3. B. 3. St. — Ueber die Chriſtolo⸗ 
gie des Johannes ſ. J. G. Herder, von Got⸗ 
tes Sohn der Welt Heiland. Nach Johann. 
Evang. Riga 1797. 8. auch unter dem Titel: 
chriſtl. Schriften, zte Samml. C ) -Progr. 
doctringe de di bolo, in libris Ioannis Ap. pro- 
Be, breuis deferiptio. Ienae, 1800. 4. — 
K. C. Lud. Schmidt, Ueber das Evangel. 
Johannes; in Schmidts Bidlioth. f Krit. und 
Exeg. e. 2. B. 3. St. S. 386449. (enth aͤlt die 
Stel⸗ 


Sopannes, 273 


Diefe Bemerkungen zeigen dem hiſtoriſch, 
dogmatiſchen Interpreten hinlaͤnglich den Stand: 
punkt, aus weichen er das Evangel. Joh. zu 
erklären hat, und warnen ihn auch hier vor miß⸗ 
lichen Verſuchen das Eigenthuͤmliche des Johan⸗ 
nes, beſonders deſſen Ausſpruͤche über Jeſu hoͤ⸗ 
here Natur wegzuerklaͤren, und die Wunder als 
natuͤrliche Begebenheiten zu betrachten. Die letz⸗ 
tern beſonders haben, nach Johannes ganzer Dar⸗ 
ſtellungsart, die Abſicht, Jeſum als ein übers 
menſchliches Weſen anzukuͤndigen *). 


Stellen K. 3, 121. K. 6, 26-63.) In his 
ftorifch » dogmatiſcher Ruͤckſicht iſt vorzuͤglich zu 
vergleichen: Das Evangelſum, oder Nachrichten 
vom Leben und Tode Jeſu nach der Predigt 
des Johannes. Mit Anmerkk.; in den Beitraͤg. 
z. Beförd. d. vernunft. Denk. ꝛc. s, Bft, S. 
167 204, und 6. Hft. S. 22-53, (enthalten 

die 9 erſten Kapitel.) 
) Beſonders iſt diefes bei der Auferweckung La⸗ 
zarus recht bemerkbar. Die Tendenz dieſes Wun⸗ 
ders giebt Jeſus ſelbſt K. 11. v. 4. an: I Jo- 
Ses i 0 vios ro Feu d aUrys. Deßwegen zoͤ⸗ 
gert Jeſus, nachdem er von der Krankheit ſei⸗ 
nes Freundes benachrichtigt worden war, mit 
Fleiß zwei ganze Tage (v. 6), damit Lazarus 
erſt ſtarb, ehe er hinkam. Dunkel kuͤndigt er 
den Juͤngern das Wunder vorher an: Lazarus 
(v. 11) ſchlaͤft; aber ich will ihn auferwecken, 
und der Evangeliſt bemerkt (v. 13.) ausdrüͤck⸗ 
lich, Jeſus habe hiermit ſeinen Tod gemeint, 
und auch hernach den Apoſteln geradezu erklaͤrt 
J N S (v. 


'274 Johannes. 


Einige neuere Zweifel gegen die Aechtheit 
des Johanneiſchen Evangeliums ), fo wie die 
ö Mei⸗ 


— — 4 w—— — 


(v. 14.) Augapıs dr Martha erklaͤrt (v. 
21.) daß ihr Bruder nicht geſtorben ſeyn wuͤr⸗ 
de, wenn Jeſus zugegen geweſen waͤre; aber 
(v. 22.) ſie wiſſe, daß er ihn auch jetzt noch 
Ces v) wiederherſtellen könne, da ihm Gott 
keine Bitte verweigere. Eben ſo Maria v. 32. 
Lazarus riecht ſchon, weil er vier Tage im Graz 
be gelegen hat (v. 39.). Jeſus bittet Gott, 
ein Wunder durch ihn zu thun, damit das ums. 
ſtehende Volk glaube, er ſey ſein Geſandter (v. 
42.), und darauf ruft er: Lazarus, gehe her⸗ 
aus! (v. 43.) auf welchen Zuruf der Todte 
lebend hervorgeht. Viele Juden glauben deß⸗ 
wegen an Jeſus (v. 45.) und das Synedrium 
fürchtet, das ganze Volk werde ihm zufallen 
(v. 47.). Wie laſſen ſich die Anſtalten, die 
Voraͤußerungen Jeſu gegen ſeine Juͤnger, das 
Gebet Jeſu zu Gott, und der Erfolg des Nur 
fes Jeſu, der hier als Urſache der Wiederer— 
weckung Lazarus dargeſtellt wird, mit der Hys 
potheſe des Hrn. Prof. Paulus, daß Lazarus ein 
bloßer Scheintodter geweſen ſey, vereinigen? 


) Schon Schmidt erregte dagegen Zweifel in 
ſ. Biblioth. für Krit. und Exeg. ꝛc. 2. B. 1. 
St. Vergl. mit Deſſ. allgem. Biblioth. der 
neneſt. theol. u. paͤdagog. Literat. 5. B. 2. St. 
Vorzuͤglich aber (Oertel): Der Evangeliſt 
Johannes und ſeine Ausleger vor dem juͤngſten 
Gerichte 1. Thl. 1801. 2. Thl. 1804. gr. 8. 
Dagegen vergl. C. Schlecker, Widerlegung 
einiger der wichtigſten Einwendungen gegen d. 
Aechtheit d. Ev. Joh. Mir einer e 

- leg⸗ 


P, 


Johannes. 275 


Meinung Horſts, daß es aus Bruchſtuͤcken ver⸗ 
ſchiedener Verfaſſer aus verſchiedenen Zeiten und 
von verſchiedener Tendenz, im 2ten Jahrhunderte 
zum Vortheil der katholiſchen Kirche zuſammen⸗ 
geieät worden ſey »), wuͤrden zwar den Ge: 
ſichtspunkt aus dem das Evanglium zu betrach⸗ 
ten iſt, betraͤchtlich verandern; allein dieſe Mei⸗ 
nungen find bis jetzt noch viel zu wenig bewie⸗ 
fen worden, als daß man Ruͤckſicht auf fie neh⸗ 
men koͤnnte, und es iſt zu klar, daß das Evan⸗ 
gel. Joh. keine Bruchſtuͤcke enthalte, ſondern ein 
Ganzes ſey. Ueberdieſes wird der gleichfoͤrmige 
Geiſt und die eigene gehaltene Sprache dieſer Ans 
ſicht erde vorzuͤglich widerſtreiten. Gleiche 

8 7 Ten⸗ 


= 
— ¼H-t — — 


Ziegler. Roſt. 1802. gr. 8. 96 S. und F. G. 
Suͤskind, Beitrag z. Vertheidſgung der Aecht— 
heit des Ev. Joh. in Beziehung auf die Schrift: 
d. Cvaugeliſt Joh. 2c. in Flatts Magaz. 9. St. 
(1803. und Zieglers Vorhin S. 272. ange⸗ 
fuͤhrte Abh. in Gablers Journ. 

) Georg Konr. Horſt, uͤber einige Ahtchels 
nende Widerſprüche in dem Ev. des Joh. in 
Abſicht auf den Logos, oder das G öbne in Chri⸗ 
flo; in Henke's Muſeum 1. B. 1 Si. S. 
20-46. Derſelbe, läßt fich die Aechtheit 
des Johann. Ev. aus binlänglichen Gruͤnden 
bezweifeln, und welches iſt der wahrſcheinliche 
Urſprung dieſer Schrift? Ebend. S. 47113. 
Dagegen vergl. Flatt, in ſ. Magaz. 11. St. 
©. 57-119. und Schmidts Einleit. ins N. 

T. S. 135 ff. 


276 Johannes. 


Tendenz, wie fein Evangel. haben auch die Brie⸗ 
fe des Apoſtels, namlich die Leſer in der Wahr⸗ 


heit zu befeſtigen, daß Jeſus Meſſias und Lo⸗ 


gos ſey ). 


1 


Paulus, ein Jude aus dem Stamme 


Benjamin, ward als römiſcher Buͤrger zu Tar⸗ 
ſus geboren, und ſtudierte dann zu Jeruſalem 
in der Schule des beruͤhmten Rabbi Gamaliel 
die ganze Weisheit eines juͤdiſchen Geſetzlehrers 
und die gelehrte Theologie der Rabbinen, wie fie 
damals war. Sein Eifer für den Moſaismus, 
ſein feuriger raſtloſer Geiſt und ſein durchdrin⸗ 
gender Verſtand wuͤrden uns ſchon vermuthen laſ⸗ 

ſen, 


* 


1 


) W. K. L. Ziegler, der erſte Brief des Jo⸗ 
hannes, ein Sendſchreiben an eine deſtimmte 
Gemeinde, und keine allgemeine Aöhandi, oder 
Buch; in Henke's Magaz. 6. B. 3. St. S. 
254 276. (gegen Michaelis, der ihn als all⸗ 
gem. Abhandl., und gegen Storr, der ihn als 
den aten Theil des Evang. betrachtet wiſſen 
wollte.) Verſuch einer Einleit. in den erſten 
Brief Joh. von M.; in Schmidts Biblioth. f. 
Krit. und Ex. 1 B. S. 69-86. (Johannes 
habe docetiſche Meinungen beſtritten.) J. F. Chr. 

Loeffler diſſ. Ioannis ep. 1. Gnoflicos in- 
primis impugnari negans. In d. Commen- 
tatt. theoll. Vol. I. no. 5. — H. E. G. Pau- 
Ius commentt. theoll. potiſſimum hiſtoriam 
Cerinthi ete. S. S. 178. 5 


=" 24 4 r 


Paulus. | 277 


fen, daß er die Theologie feines Meiſters mit 
Fleiß, Liebe und Gluͤck ſtudiert habe, wenn es 
auch nicht ſeine Schriften unwiderſprechlich zeig⸗ 
ten. Denn in dieſen finden ſich zahlreiche Spu⸗ 
ren der Gelehrſamkeit und Theologie der Rabbi⸗ 
nen, ſo wie der Methode derſelben im Diſputi⸗ 
ren und Beweiſen. Doch auch ohne dieſe Spu⸗ 
ren wuͤrde er ſchon als Schuͤler Gamaliels fuͤr 
die hiſtoriſch ⸗dogmatiſche Specialhermeneutik bins 
laͤnglich charakteriſirt ſeyn ). Seine Schriften 
enthalten mehr als andere des N. T. die Grund⸗ 
füge der gelehrten juͤdiſchen Theologie, und koͤn⸗ 
nen daher aus denſelben, in wie weit wir ſie aus 
andern Quellen kennen, nuͤtzliche Erlaͤuterungen 
erhalten. Paulus gehoͤrte zu der Sekte der Pha⸗ 
riſaͤer; folglich find es auch vorzüglich die Schrif⸗ 
ten dieſer Parthei, beſonders eines Joſephus und 
der aͤlteſten Rabbinen, die bei feiner Erklaͤrung 
in Betrachtung kommen. Zwar find die Rabbi⸗ 
niſchen Schriften, die wir noch beſitzen groͤß ten⸗ 
theils weit jünger als Paulus, und folglich koͤnnte 
es ſcheinen, als ob von ihnen kein Schluß auf 
die Theologie der Rabbinen zu Paulus Zeiten 
gelte. Allein theils blieben ſich die Rabbinen in 
ihren Lehrſaͤtzen in ſofern gleich, daß ſie nichts 
was ſie ſchon vorfanden, aufgaben, ſondern nur 


) Thalemann, de eruditione Pauli indaica 
non graeca. Lipſ. 1769. 4. und Paleys horae 
paulinae uͤberſ. von Henke, S. 448. 


mit 


278 Panlus. 


mit neuen Zuſaͤtzen, die ſich leicht erkennen laf⸗ 
ſen, bereicherten; theils enthalten die Schriften 
der juͤngern Rabbinen theils die muͤndlichen Ue⸗ 


berlieferungen der aͤltern, theils Erterpte aus des - 


ren Schriften *). 


Zwar litten, da Paulus zum Chriſtenthume 
uͤbergieng, feine religioͤſen Grundſatze eine bedeu⸗ 
tende Veraͤnderung, und er ſelbſt erklaͤrt an meh⸗ 
rern Orten *), er habe beſondere Belehrungen 
durch goͤttliche Offenbarung erhalten. Doch je⸗ 
ne Veraͤnderungen betrafen wohl vorzuͤglich die 
Lehre von der veraͤnderten Beſtimmung des Meſ— 
ſias und dem Werthe des Judenthums. Denn 
der engherzige juͤdiſche Partikularismus, den er 
in ſeiner Jugend eingeſogen hatte, und der ihn 
zum Zeloten machte, verſchwand bei ihm; die 

/ 5 Meis 


) Ein Beiſpiel der Erläuterungen der Schriften 
Pauli aus Rabbinen enthaͤlt C. F. Ammons 
progr. de veſtigiis theologiae, iudaicae in Epiſt. 
Pauli ad Romanos. In f, nouis opuſc. theol. 


Goett. 1803. 8. Das Buch: Apoſtoliſche Bries 


fe erklärt aus den Religionsmeinungen der ers 
ſten Jahrhunderte, Leipz. 1787. 8. führe ich hier 
bloß deßwegen an, um zu bemerken, daß es durch⸗ 
aus nicht, wie er Titel zu ſagen ſcheint, zur 
hiſtoriſch-dogmat. Auslagung gehöre, 


) 3. B. 2. Kor. 12, 1 f. 1 Kor. 1½ 25. 7, 
12. Salat. 1, 11 ff. Eph. 3, 2. 1 Theſſ. 2, 
13. * 


Paulus. 270 


Meinung von dem hohen Werthe des Judenthums, 
das allein Gott wohlgefaͤllig mache, von der 
Gottgefalligkeit und Heiligkeit der Nation, als 
der, welcher Gott allein die Wohlthaten des Meſ⸗ 
ſias beſtimmt habe, loͤſete ſich herrlich auf in die 
Grundſaͤtze von der chriſtlichen Freiheit, einer 
Univerfalreligion und Erloͤſung der Menſchheit. 
Er war es hauptſaͤchlich der das Chriſtenthum 
mit raſtloſer Thaͤtigkeit nicht nur unter den Grie⸗ 
chen verbreitete, ſondern der ſich auch der Beibe⸗ 


haltung der Beſchneidung, und der Verbindlich⸗ 


keit des moſaiſchen G ſetzes in der neuen Reli: 
gionsgeſellſchaft mit großem Muthe, vieler Ge— 
fahr und unerſchuͤtterlicher Standhaftigkeit wider⸗ 
ſetzte, das Chriſtenthum aus dem Judenthum her⸗ 
auszog, und es durchſetzte, daß ſich die Chriſten 
auf ewig von demſelben losſagten. Die Grund⸗ 
ſaͤtze, die ihn dabei leiteten, und deren Beweis 
und Vertheidigung ſind ein Lieblingsthema ſeiner 
Schriften. „Jeſus war der Meſſias; er war 
es nicht bloß fuͤr Juden, ſondern fuͤr alle Men⸗ 
ſchen; nicht durch den Judaismus, (durch die 
Beobachtung des moſ. Geſetzes), ſondern durch 
den Chriſtianismus (den Glauben an Jeſus als 
Meſſias) erlangt jeder Menſch, ſey er Jude oder 
Heide, Anſpruch auf die Can ceiwyoy; dieſe Leh⸗ 
iſt ein pusngiov, (Eph. 3, 4-6) bisher unbekannt 
und unerhoͤrt geweſen, und von der juͤdiſchen 


Theologie abweichend.“ — Dieſes fi d die Haupt⸗ 


ſaͤtze uͤber dieſen Punkt 
Eben 


Pr 


280 | Paulus. 


Eben ſo bedeutend waren die Veraͤnderun⸗ 
gen, die er den juͤdiſchen Begriffen von der Be⸗ 
ſtimmung und den Geſchaͤften des Meſſias gab; 
den er er nicht als Meſſias der Juden, ſondern 
als Erloͤſer und Verſoͤhner der Welt ie 
S. oben S. 228 ff. ). 


Dieſes duͤrſten die Hauptpunkte ſeyn, in 
denen ſich Paulus ganz von dem Religionsglau⸗ 
ben ſeiner Landesleute enſernte. Dadurch aber 
ward feine vertraute Bekanntſchaft mit den reli⸗ 
gioͤſen Ideen derſelben nicht aufgehoben, vielwe⸗ 
niger verwarf er fie uͤberhaupt; ſondern nur in 
ſofern, in wie weit ſie den Grundlehren des Chri⸗ 
ſtent ums geradezu entgegen waren. Und er 
konnte den Religionsglauben ſeiner Landsleute auch 
nicht verwerfen, da ſich der groͤßte Theil deſ⸗ 
ſelben auf die Jem Seomveusov und altere 
Offenbarungen gruͤndete. Uebrigens ſuchte er 
auch, wie er ſelbſt ſagt, allen Alles zu werden, 
und ſchloß daher ſeine Ideen an die vorhande⸗ 
nen Lehrſaͤtze an, die er haͤuſig zu Beweiſen oder 
Erlaͤuterungen braucht und in allen ſeinen Schrif⸗ 
ten mehr oder weniger erwaͤhnt. 


Die 


) Vergl. H. Ch. Zietz, quomodo notio de 
Meſſia in animis Apoſlolorum ſenſim fenfim- 
que clariorem äcceperit lucem, disquifitio 


theol. Lubec. P. I. II. 1793. gr. 6. 112 ©. 


Paulus. 281 


Die beträchtliche Zahl feiner Briefe *), der 
Umſtand, daß fie alle ganz oder groͤßtentbeils 
dogmatiſchen Inhalts find, die Vollſtärigkeit 
und Beſtimmtheit ſeines dogmatiſchen Syſtems, 
wegen welcher er die Hauptg elle fir die kirchli⸗ 
che Dogmatik iſt, machen dem Theologen und 
Exegeten ſeine Schriften beſonders wichtig, und 
fordern ihn auf, dem fpecichen Studium derſel⸗ 
ben nach der Chronologie, in ſo weit dieſe aus⸗ 
zumachen iſt 5), eine beſondere Aufmerkſamkeit 

ö | it 


S ͤ —— 


— — 


> 
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* 


05 Ueber ſeinen Charakter als Schriftſteller und 
Lehrer vergl. H. Theoph. Tzfchirner 

‚dit, obſeruationes Pauli, Apoſtoli, Epiſtola- 
rum Scriptoris ingenium concernentes. Parti- 
culae III. Viteb. 1800. 4. und Ant. Theod. 
Hartmann, (ſehr freimuͤthigen) Verſuch einer 
Charakteriſtik des Ap. Paulus; in Scherers 
Schriftfoeſcher 1. St. 

8 Die in unſern Ausgaben des N. T. gewöhn⸗ 
liche Ordnung Fit nicht chronologiſch, ſondern 
gruͤndet ſich auf das großere Auſehen der Staͤd⸗ 
te, Gemeinden und Perſonen, an die ſie ge⸗ 
ſchrieben wurden; daher der Brief an die Rö⸗ 
mer an der Spitze ſteht. In Marcions 
Sammlung (ſ. Epiphanius adu. haer. XIII, 9.) 
folgten fie in dieſer Ordnung: Galater, die beis 
den an die Korinth, Römer, Theſſalonſcher, 
Epheſer, Koloſſer, Philemon, Phgilipper. 
Schmidt (in ſ. Einl. ins N. T. S. 266.) 
ordnet fie for Galat. 1 Theſſ. > Theſf Ts 
tus, 1 Kor. 1 Timoth. 2 Kor. Röm. 2 Ste 
moth. Philipp. — Epheſ. Koloſſ. und Phi⸗ 
lem. gleichzeitig. 


282 Paulliniſche Briefe, 


zu widmen ). Dabei bat man vorzüglich dar⸗ 
auf zu ſehen: ob er an Juden ⸗ oder Heidenchri⸗ 
ſten ſchrieb; ob er die Gemeinde ſelbſt unter: 
richtet hatte; in welchem Zuſtande dieſe war; 
was den Brief veranlaßte, und was ſein Zweck 
ſey. Was nun die einzelnen pauliniſchen Briefe 
anbetrifft, ſo wuͤrde eine weitlaͤuftige Skizze 
ihres Inhalts, Zwecks, ihrer Veranlaſſung, 
des Zuſtandes der Gemeinden ꝛc. hier zu weit 
fuͤhren, und ein eigenes Buch erfordern. Nur 
einige Bemerkungen will ich mir erlauben. 


In Rom waren die Juden zahlreich; dis 
chriſtliche Gemeinde, die ſich daſelbſt bildete, 
beſtand (Roͤm. 1, 5. 6.) aus Juden und Sei 
den schriften; Paulus hatte die Römer noch 
nicht perfönlich belehrt, da er an fie 
ſchrieb; der Brief iſt aus den ſpaͤtern Lebens⸗ 

jah⸗ 


2) Ueber ſeinen Lehrbegriff verdient vorzuͤglich 
Meyer verglichen zu werden: Entwickelung des 
pauliniſchen Lehrbegriffs; ein Beitrag zur Kris 
tik des chriſtlichen Religionsſyſtems von Gottl. 
Wilh. Meyer. Altona, 1801. 3. — Rit⸗ 
ter, Entwutf der Grundſaͤtze des theolog. Sys 
ſtems und der Lehrmethode des Ap. Paulus; 
in Auguſtl's theol. Monatsſchr. 1801. 10. Hft. 
Reine Auffaſſung des Urchriſtenthums in den 
Pauliniſchen Briefen. (von Bauer) Ein Seis 
tenſtück zur bibl. Theologle des N. T. Epzg. 
1803. gr. 8. C. Chr. Flott diſſ. de Pauli 
Ap. cum leſu Chriſto eonſenſu. Tub. 1804. 4. 


Pauliniſche Briefe, 283 


jahren des Apoſtels ). Der Hauptzweck deſ⸗ 
ſelben iſt, wie er an dieſe gemiſchten Leſer 
in der Hauptſtadt des Heidenthums, die Pau⸗ 
lus noch nicht belehrt hatte, am ſchicklichſten 
war, ein allgemeiner; namlich das Verhaͤltniß 
des Judenthums und Heidenthums zum Chriſten⸗ 
thum. Er ſucht zu zeigen, daß nur durch 
die miss, durch Annahme des Chriſtents ums 
und Befolgung der Lehre deſſelben, der Menſch 
Gott mohlgefällig und der Gluͤckſeligkeit durch 
Jeſum theilbaft werde. Leicht war es, dieſes 
von den Heiden zu beweiſen, da dieſe theils noch 

N ganz 


Pr —————— ren 


— 


*) Ueber dieſen Brief vergl. Semler, de tem- 
pore, quo fcripta fuerit ep, Pauli ad Rom. Ha- 
lae, 1767. Chr. Fr. Franke diſſ. (ſub prae- 
fid. Fr. V. Reinhardi), notae hiftoricae 
conditioni cognofcendae primorum chtiſtiano- 
rum in primis Romanorum cum Paulus ad eog 
ſeriberet, ſeruientes. Viteb, 1791. 4. Flatt 
de tempore, quo Pauli ad Rom. ep. feripta fit 
(Tub. 1789. 4.) in Potts Sylloge commen- 
tatt. theoll. Vol. II. no. 3. (Griesbach?) Progr. 
de originibus Epiſtolae Paulinae ad Romanos 

paralipomena. Tenae 1801. 4. — In hiſto⸗ 

riſch⸗ dogmat. Ruͤckſicht verdient außer der ans 

gefuͤhrten Abhandl. Ammons, noch folgender Auf⸗ 
ſatz genannt zu werden: Ueber die merkwuͤrdigſten 
Stellen im erſten Haupttheil des paulin. Send⸗ 
ſchreibens an die Chriſten zu Rom; in d. Bei⸗ 
trag. z. Beſörd. d. vernuͤnft. Denk. ꝛc. 13. Hſt. 
S. 36-82. S. auch oben S. 200. 


7 


Pr 


1% 


284 Pauliuſſche Brleſe. e 


ganz von der Kenntniß des wahren Gottes und 
dem Begriff eines Meſſias entfernt waren, theils, 
wie Paulus verſichert, wegen ihrer allgemeinen 
Immoralität unmöglich Gott wohlgefaͤllig ſeyn 
koͤnnten. Schwerer hingegen war der Beweis in 
Ruͤckſicht der Juden, und hier verbreitet ſich Pau⸗ 
lus weitlaͤuftig uͤber den Werth des Judenthums, 
und ſucht, ob er es gleich nicht verkennt, daß 
dieſe Nation durch die Kenntniß des wahren Got⸗ 
tes, durch die erhaltenen Offenbarungen, Verheiſ⸗ 
ſungen und Weißagungen auf den Meſſias einen 
Vorzug vor den Heiden habe, zu zeigen, daß fie 
demohnerachtet weder durch Beobachtung ihres 
Geſetzes gottgefaͤllig würden, noch durch den Mo⸗ 
ſaismus die Seligkeit, die der Meſſias bereitete, 
erlangen koͤnnten, wenn ſie nicht Verehrer des 
Meſſias würden Dieſe Hauptſaͤtze unter ſtuͤtzt er 
mit verſchiedenen Beweiſen und Erlaͤuterungen, 
meiſtens im Geſchmacke der Juden, und aͤußert 
alle die Grundſaͤtze, die oben S. 7005 angege⸗ 
ben wur den. a 
Die Gemeinde zu Korinth war durch 
Paulus ſelbſt geſtiftet und belehrt, und er 
ſpricht daher auch im ſtaͤrkern und ſchaͤrfern To⸗ 
ne zu ihr, und beruft ſich oͤfters auf feine ihr 
ertheilten Belehrungen. Die Veranlaſſung zu 
dem erſten Briefe (denn der zweite enthalt eine 
Rechtfertigung des erſten Briefs und Paulus uͤber⸗ 
haupt) waren vorzuͤglich verſchiedene Spaltungen, 
die in der Gemeinde entſtanden waren, indem ſich 
eine 


Daufaifhe Briefe. 285 


eine judaiſirende (hier petriniſche genannt) und 
eine alexandriniſche Parthei durch Apollo gebil⸗ 
det hatte, welche die Auferſtehung (1 Kor. 15, 
12. 35.) und die Ehe (K. 7 f.) verwarf, ganz 
den platoniſch⸗ pythagoreiſchen Brundfagen der 
alexandriniſchen Juden, zu denen Apolſo gehoͤr⸗ 
te, gemäß. (S oben §. 33. S. 176 f. vergl. 
S. 2240. Dieſe Ruͤckſicht if wicheig, und giebt 
uns Auſſchluß über das Verhaͤltniß der Lehrſätze 
Pauli zu der alexandriniſch⸗griechiſchen Reli⸗ 
gionsphiloſophie, der er wenig geneigt ſeyn konn⸗ 
te (S. 224.) Auch laͤßt ſich daraus vermu⸗ 
then was man uͤberhaupt in Palaͤſtina, und was 
namentlich die herrſchende Parthei der Phariſäͤer 
von den Lehren ihrer aͤgyptiſchen Brüder geur⸗ 
theilt haben mag *). N 


In dem Briefe an die chriſtlichen Gemein⸗ 
den in Gallograͤcien, die Paulus (Galat. r, 
8. 9. 10.) felbft unterrichtet hatte, kaͤmpft er 
für fein großes Lieblingsthema, für die gaͤnzliche 
Freiheit der Ehriiien vom Judaismus, und be⸗ 
weiſet, daß der Chriſt unmoglich durch Beobach⸗ 
| | tung 


——— — —— —i — — —ê 


) Storr diſſ. notitiae hiſtoricae epiſtolarum Pau- 
li ad Cor. interpretationem adiuuantes. In ſ. 
‚ opp..acad. ad interpr. N. T. Vol. II. C. W. 
L. Ziegler (klaſſiſche) Einleitung in die Bries 
fe an die Korinth.; in ſ. theologiſchen Abhaud⸗ 
lungen 2. B. S. 1131. a 


286 Pauliniſche Briefe. 


tung des Geſetzes die Seligkeit, die uns Gott 
durch den Meſſias ſchenke, erlangen koͤnne. Bald 
naͤmlich, nachdem Paulus Galatien verlaſſen hat⸗ 
te, waren juͤdiſch chriſtliche Lehrer in dieſe Ge⸗ 
genden gekommen, und hatten mit Herabſetzung 
des apoſtoliſchen Anſehens Pauli, das dem An⸗ 
feben der uͤbrigen Apoſtel weit nachſtehe, und mit 
Verkleinerung ſeines Charakters, als ob er bloß 
das moſaiſche Geſetz verwerfe um ſich unter den 
Heiden Eingang zu verſchaffen, die Nothwendig⸗ 
keit der Beobachtung des moſaiſchen Geſetzes, der 
Beſchneidung und den hohen Werth des Juden⸗ 
thums gelehrt. Aus dieſem Geſichtspunkt iſt der 
Brief Pauli in apologetiſcher, polemiſcher und 
dogmatiſcher Ruͤckſicht zu faſſen 9. 


Der Brief an die Gemeinde zu Epheſus, 
iſt vielleicht ein Cirkularſchreiben, und ſcheint we; 
e f nig⸗ 


5 \ 

*) Einleitungsbetrachtung in den Br. Pauli an 
d. Galater; in d. Beitrag. z. Beförd. des vern. 
Denk. ꝛc. 6. Hſt. S. 1822. Erklaͤrende Um⸗ 
ſchreibung des Briefs P. an d. Galat.; eben⸗ 
dal, 5. Hft. S. 125-157, — In hiſtoriſcher 
Ruͤckſicht vergl. Keil progr. de definiendo tem- 
pore itineris Pauli Hierofolymitani Galat. II, 

- I. 2. commemorati. Lipf, 1798. 4. und: Vo⸗ 
gel Verſuch über chronologiſche Standpunkte 
in der Lebensgeſchichte Pauli; in Gablers 
Journal fuͤr auserleſene theol. Lit. 1. B. 2. 
St. S. 229-264, 


Pauliniſche Briefe . 287 


nigſtens (ſ. K. 1, 15.) an ſolche Leſer geſchrie⸗ 
ben zu ſeyn, die Paulus nicht ſelbſt unter⸗ 
richtet hatte. In Epheſus aber hatte Paulus 
(Apoſtelg. 18, 19. 19, 1-40.) gelehrt. Er 
ſchrieb ihn von Rom aus als Gefangener, und 
zwar an Chriſten aus dem Heidenthume 2, 2. 
3. und v. 11. 2.), die er wegen ihrer Treue 
im Chriſtenthum lobt, zu fernerer Beſtaͤndigkeit, 
zu wahrer chriſtlicher Tugend, und zur Bermei: 
dung von Spaltungen ermahnt. Uebrigens hat 
dieſer Brief ) nicht, wie man nach dem, was 
S. 223 f. erinnert wurde, erwarten konnte, et⸗ 
was Auszeichnendes, und auch dieſes kann man 
als Beweis betrachten, daß Paulus nicht zunaͤchſt 
für die Epheſer, ſondern für mehrere Gemein⸗ 
5 den, 


rr 


) C. W. L. Ziegler, Beitrag zu einer vollſtaͤn⸗ 
digen Einleit. in den Brief an die Epheſer; in 
Henke's Magaz. 4. B. 2. St. S. 225-276. 
(der Brief ſey kein Cirkularſchreiben, was auch 
Koppe in den Prolegom. zu dieſem Briefe, 
und Michaelis in d. Einleit. ins N. T. behau⸗ 
ptet hatten. Das Gegentheil vertheldigte) N. 
Car. Alex, Haenlein progr. de doctori- 
bus, quibus ep. Pauli Ap. quae ad Epheſios 
miſſs traditur, vere fcripta fuiſſe videatur, Er- 
lang. 1797. 4. — Ganz gehört zur hiſtor. 
dogm. Ausleg. dieſes Brieſs: Geſchichtsmaͤßige 
Beleuchtung einig. Stellen der Brieſe des Pau⸗ 
lus an die Epheſer und Coloſſer; in d. Bei⸗ 
rag. z. Deford, d. vern. Denk. ꝛc. 12, Hft. 
S. 1-34. ie 


288 Pauliniſche Briefe 


den, oder für eine ganz andere ſchrieb. — 
Ganz daſſelbe gilt auch von dem Briefe an die 
Koloſſer, der in Ruͤckſicht ſeines Inhalts ganz 
nahe mit dem an die Epheſer verwandt, und 
an ſolche Leſer geſchrieben iſt, die Paulus nicht 
ſelbſt unterrichtet hatte. Er zeichnet ſich aber 
dadurch von jenem aus, daß ſich Paulus uͤber 
die goͤttliche Natur Jeſu (K. 1, 15-17.) ge⸗ 
nauer erklart, und feine Leſer beſ immt vor juͤ⸗ 
diſchen und alexandriniſchen Irrlehrern warnt 
(S. oben S. 222). 


Der Brief, den Paulus von Rom aus an 
die Chriſten zu Philippi *), eine Gemeinde, die 
er ſelbſt geſtiftet hatte, ſchrieb, iſt eigent⸗ 
lich ein Dankſagungsſchreiben. Die Leſer waren 
wahrſcheinlich Heidenchriſten, da nichts im gan⸗ 
zen Briefe vorkommt, was das Gegentheil ver⸗ 
muthen ließe. Außer der Warnung, (K. 3.) 
ſich nicht überreden zu laſſen, daß die Beſchnei⸗ 
dung und der Judaismus einen Werth habe, und 
im Chriſtenthum in Betrachtung komme, findet 
ſich nur noch die merkwuͤrdige Stelle Kap. 2. 


über die Natur des Meſſias, uber welche er ſei⸗ 
ne 


x 
* 


—— 
*) Comment. de tempore feriptse prioris ad Ti- 


moth. atque Philippenſes epiſtolae Paulinae, le- „7 
nae, 1799. 4. | . 


Pauliniſche Belefe. 289 


ne Leſer wahrſcheinlich ſchon vorher meitlauftis 
ger belehrt hatte *). 

Oonerachtet zu Theffalenich eine ſtarke 
juͤdiſche Gemeinde war Apoſtelg. 17, 1 ff.), ſo 
zeigt doch der erſte Brief an die Theſſalonicher, 
daß die chriſtliche Gemeinde daſelbſt, deren Stif— 
ter Paulus ſelbſt war, aus Heidenchriſten beſtand 
(1 Theſſ. 1, 0 3, 1. im zweiten Brief hin, 
gegen findet ſich davon keine beſtimmte Angabe. 
— Im erſten Brief vertheidigt ſich Paulus ge⸗ 
gen mehrere Beſchuldigungen K. 2., die feinen 
Charakter und ſeine Lehrweiſe betrafen, und wahr: 
ſcheinlich von der daſigen juͤdiſchen Gemeinde ges 
gen ibn erregt ſeyn mochten. Er beruhigt aber 
zugleich die Theſſalonicher wegen des Schickſals 
der Verſtorbenen (K. 4, 13 ff.), denen, wie es 
ſcheint, von einigen der Antheil an der Gluͤckſe⸗ 
ligkeit des Reiches Jeſu abgeſprochen, und be⸗ 
hauptet wurde, die bei der Zukunft Jeſu Leben⸗ 
den würden deßwegen einen Vorzug vor den Ver- 
ſtorbenen haben. Dieſes laͤugnet Paulus (ou 
OIacwwev Tous naunderras), ſetzt die Leh⸗ 
re von der Zukunft Jeu und feiner Auferſtehung 
weiter auseinander, und äußert, daß dieſe Zukunft 
nahe bevorſtehe. 

| Da 


— — —tHi —— m 


„) Ueber dieſe Stelle vergl. die klaſſiſche Abhandl. 
von C. A. G. Keil, commentat. I. II. in locum 
Epiſt. ad Philipp. II, 5-11. Lipſ. 1803. und 
— 4. in 4. 
T 


290 Pauliniſche Briefe. 


Da wegen dieſer letztern Erwartung die 
Theſſalonicher aͤngſtlich (2 Theſſ. 2, 2.) und un⸗ 
ruhig wurden; fo benimmt er ihnen im 2ten 
Brief dieſe Angſt dadurch, daß er verſichert, ehe 
Jeſus erſcheine, muͤſſe erſt der Antichriſtus in 
der Welt auftreten, der auch ſchon im Werden 
ſey (K. 2, 7.). Genauer genommen ſagt Pau⸗ 
lus K. 2, 3. die Theſſalonicher ſollten ſich we⸗ 
gen der Zukunft Jeſu nicht fo leicht in Ver: 
wirrung und Angſt ſetzen laſſen, unse dec mVev- 
pares,. unse dice Aoryov une ei! EmısoAng 
os di’ mov, ds em S ve SEN n e 
Tov Avgiov. Und doch hatte er ſelbſt im erſten 
Briefe geſagt, die Zukunft Jeſu ſtehe nahe be⸗ 
vor. Schmidt *) will dieſen Widerſpruch fo 
loͤſen, daß er nach mehrern Gruͤnden vermuthet, 
die Stelle Kap. 2, 1-12. ſey ſpaͤterhin zuge⸗ 
ſetzt worden. Doch ware es ſchon hinlaͤnglich, 
wenn man die Worte d. Emisodns os & Huey 
für unaͤcht erklärte, wofuͤr man aber freilich 
keine hinreichenden Gründe haben wuͤrde. In 
der Lehre ſelbſt iſt kein Widerſpruch; denn in 
beiden Briefen lehrt er, daß die Zukunft Jeſu 
ſo nahe ſey, daß Er und andere ſie noch erle⸗ 
ben koͤnnten. Im 1 Br. K. 4, 15. ſagt er 
gar nicht, daß Jeſu Erſcheinung ganz nahe be⸗ 
5 vor⸗ 
na rn UVV 

) Vermuthungen über die beiden Briefe an die 

Theſſalontcher; in ſ. Bibl. fir Kritik und Exeg. 

des N. T. 2. B. 3. St. S. 380-386. 


Pauliniſche Briefe, 291 


vorſtehe, ſondern bloß, daß noch mehrere damals 
Lebende ſie erleben koͤnnten. Denn es heißt nicht 
njaeis ot greg neu "mepiNcımoueva, ſondern 
o ge, el reg., wer von und dann noch 
leben, noch da ſeyn wird. Vergl. v. 17. Die 
Theſſalonicher aber ſcheinen die Erſch inung Jeſu 
als ganz nahe, und taͤglich bevorſtehend (Evesn- 
xev 2 Theſſ. 2, 2.) erwartet, und ſich deßwe⸗ 
gen geaͤngſtiget zu haben. Und diefe Augſt ſucht 
er durch genauere Darſtellung feine Meinung 
ihnen zu benehmen. So gar nahe ſtehe ſie nicht 
bevor; allein der Vorlaͤufer derſelben, der Sohn 
der Bosheit, zeige ſich, wirke bereits (K 2, 7.) 
Auffallend bleiben aber immer die Worte K. 2, 2. 
unte d & mige ds d. iu, wenn man fie 
nicht uͤberſetzen will; „ſelbſt nicht durch den Brief, 
den ich euch ſchrieb“ naͤmlich, in wiefern ihr ihn 
mißverſtandet. Qs wenigſtens kann entweder durch 
nempe, ſeilicet, wie 2 Cor. 5, 19. oder durch 

vere, oder durch quanquam uͤberſetzt werden. 
Die zwei Briefe, die Paulus von Rom aus an 
ſeinen vertrauten Timotheus ſchrieb, lehren uns 
Pauli ganz unumwundene Erklaͤrung uͤber einige 
Punkte kennen. Thimotheus war (1 Tim K r, 
3.) in Epheſus, und ebendaſelbſt ſcheint er auch den 
2. Brief erhalten zu haben. In dieſer uͤppigen 
Stadt, wo ein Zuſammenfluß von Menſchen aus 
benachbarten Landern und auch eine zahlreiche 
Judenſchaft war, hatten ſich mehrere J rlehrer 
gezeigt, die von dem wahren Bekenntniß der Re 
ligion Jeſu abſielen, oder wenigſtens abwichen 
T 2 1 


292 Pauliniſche Briefe. 


(1 Tim. 1, 19. 20. 4, 1.). Allem Anſcheine 
nach waren ſie aͤgyptiſche Juden, und vielleicht 
auch einige von der Sekte der Eſſener. Denn ſie 
laͤugneten wahrſcheinlich (1 Tim 1, 15.) daß der 
Meſſias als Verſoͤhner der Suͤnden erſchie⸗ 
ſchienen ſey, oder erſcheinen werde ein Punkt an wel⸗ 
chem die alerandrinifche Moral allerdings Anſtoß 
nehmen konnte. Ferner beſtritten ſie wahrſcheinlich 
das, was 1 Tim. 3, 16. geſagt wird, weil Pau⸗ 
lus bieje Lehre als pusegiov enoAoycunens merya 
aufſtellt“); doch wohl nicht wegen Timotheus 
ſelbſt, der das laͤngſt wiſſen mußte, ſondern we⸗ 
gen anderer. Auch die Ehe verwarfen fie, und 
lehrten Enthaltſamkeit in Speiſen und Getraͤnken 
(1 Tim. 4, 3 ff. vergl. K. 6, 20. und oben 
S. 223 f.), laͤugneten die Auferſtehung (welche 
ſchon geſchehen ſey) und daß wir einſt nach der 
Auferſtehung bei Jeſu ſeyn, und mit ihm bereichen 

wur⸗ 


*) In beiden Stellen braucht er den Ausdruck i- 
es 0 Aoyos, der anzeigt, man dürfe von der 
Lehre, die dann genannt wird, nicht abgehen; 
“fie ſey richtig und glaubwürdig. Das zeigt 2 
Tim. 2, 1116. wo dieſe Worte gleichfalls an 
der Spitze bezweifelter Lehren ſtehen. Die Wor— 
te K. 3, 16. ſind alſo gewiß kein altes Kir⸗ 
chenlied. — K. H. L. Schmidt über 1 Tim. 
3, 1416. In d. Bibl. für Krit. und Exeg. 
des N. T. ꝛc. 2. B. 5. St. S. 615635. und 
Ziegler in Henkes neu. Magaz. 1. B. D. 
491-502, 


Brief an die Hebräer. 293 


würden, ſ. 3 Timoth. 2, 11-18. Alles dieſes 
weißt uns auf aͤgyptiſche Juden hin; denn daß 
es Juden waren, zeigt 1 Tim. 1, 3-7.” Das 
her ermahnt er den Timotheus, feſt bei der Leh⸗ 
re zu beharren (2 Tim. 2, 8.), daß Jeſus der 
Meſſias, und von den Todten auferſtanden ſey. 
Uebrigens enthalten dieſe Briefe manche Welch: 
rungen uͤber Kirchenzucht, und Anweiſungen fuͤr 
das Betragen des Timotheus. N 


Daſſelbe gilt auch von dem Briefe an den 
Titus, den er gleichfalls ermahnt, ſich judai⸗ 
ſirenden Lehrern zu widerſetzen, K. 1, 10-14. 
3, 9. IT. 


Ob der Brief an die Hebräer von Pau⸗ 
lus geſchrieben ſey oder nicht, kann hier nicht 


unterſucht werden *); nur fo viel iſt hier zu be⸗ 
mer⸗ 


„) Das Wichtigſte was ſich fr feinen pauliniſchen 
Urſorung ſagen laſſen duͤrfte, findet man in: 
Pauli Brief an die Hebraͤer, erlaͤutert von 

SGottl. Ehr. Storr. Tuͤbing. 1789. (704 S. 
und oe S. Einleit.) 8. vergl. mit der Recenſ. 
in Eichhorns Biblioth. d. bibl. Lit. 3. B. S. 
486 ff. — Vollſtaͤndige Einſeitung in den Brief 
an die Hebr., worin alte und neue Meinungen 
über die Aechtheit, Ranonicität und Grundſpra⸗ 


che none aufs neue krltiſch geprüft find, und 
f der 


294 Brief an die Hebtäer, 


merken: daß dieſer Brief an eine Gemeinde ges 
ſchrieben iſt, die ſchon von dem Verfaſſer unters 
richtet worden war; daß die Leſer Juden waren; 
daß der Brief von Alexandrien aus bekannt, und 
feine Aechtheit, von der alexandreniſchen Kirche 


vorzüglich vertheidigt wurde ). Eine Bemer⸗ 


kung die fuͤr den Interpreten ſehr wichtig iſt, 
und es noch mehr wird, wenn man die Aehnlich⸗ 
keit und Gleichheit der Sprache, Ideen und Dar⸗ 
ſtellung in dieſem Briefe und in den Schriften 
der alexandriniſchen Juden bemerkt. Dieſe Aehn⸗ 
lichkeit koͤnnte man weitlaͤuftig zeigen; doch 
der Raum verſtattet mir nur einige Bemerkun⸗ 
gen. Erſtlich findet ſich hier ganz das alexan⸗ 
driniſche Pragmatiſiren uber die heilige Geſchich⸗ 
te; ſo wie im Buch der Weiheit K. 10. durch 
die Geſchichte von Adam bis Moſes belegt wird, 
daß Alles durch die Weisheit gluͤcklich werde, ſo 
wird hier an derſelben Geſchichte gezeigt, daß 
dieſes K. 11.) der Glaube bewuͤrle. Auch die 
Stellen Kap. 2, 10. 17. 18. ſind ganz in prag⸗ 
matiſirenden Geiſte geſchrieben, vergl. Buch der 
Weish. Tu, 5. 16. 21.2 15% 3. u; w. So 
wie die Alexandriner einen myſtiſchen Sinn im 
A. T. und deſſen Einrichtungen ſuchten, ſo 
Kr 1 wird 

der Werth des ganzen Briefs näher beſtimmt 
wird, von W. C. L. Ziegler. Goͤtt. 791.0294 


1 
Kb . Scripts Einleit. ins N. T. S. 277 fi. 


Brief an die Hebraͤer. 295 


wird hier Melchiſedek mit Chriſtus (K. 7.), der 
Sabbath mit dem Ruhetag nach dem Tode (K. 
4, 9.), die ganze Opferverfaſſung mit Jeſu 
verſoͤhnendem Wirken, und die Seligkeit jener Welt 
mit der Ruhe (zaramavaıs K. 4, 1. wofuͤr 
Weish. 4, 7. avaraucıs ſteht), welche die 
Iſraeliten nach dem Eintritt in Palaſtina genie⸗ 
ßen würden, verglichen. So wie codız im Bus 
che der Weish. in vielfachem Sinne genommen 
und als einzige Bedingung des Gluͤcks und der 
Gottgefaͤlligkeit aufgeſtellt wird (V. der Weish. 
K. 10.), ſo hier (Hebr. 11.) der Glaube. Wie 
Philo den griechiſchen Worten der LXX inhärirt, 
und ohne alle Ruͤckſicht auf den hebr. Text aus 
ihnen beweiſet, ſo auch der Verf. dieſes Briefs 
5. 9, ij eff, 2, 2 Die Ideen 
vom goͤttlichen Logos, ſo wie ſie ſich bei Philo 
und im Buche der Weisheit finden, trifft man 
auch hier, und in einer noch hoͤhern Beziehung. S. 
oben S. 84.) Alles dieſes weiſet den Interpeten 

an, 


) Außerdem vergleiche man Hebr. 4, 12, 13. 
mit folgenden Stellen im B. d. Weisg. 7, 22 ff. 


* 2 2 > 1 5 
Se Dec yt U — 080, GιõMuννοννν EVEOYERLEOV, 


a c Sr Ohh nos dın TOENTWY NL 
eovv mVEvMaTwy, YVOEEWY , nutaguv AETTWTATWYV. 
Auer din mayray — uva Et. — So wie 
das Buch d. Weish, prächtige neue und ausge— 
ſuchte Worte liebt, fo auch der Br. an d. Hebr. 
Ferner vergleiche: Hebr. 12, 28. mit Weish. 

5, 15. 


u 


296 Nef an die Hebraͤer. 


an, hier die Alexandriner bei der Erklaͤrung u 
Grunde zu legen. 

Der Inhalt iſt dieſer “): Kap. 1 und 2: 
Jeſus der göttliche uber alle Engel erhabne Sohn 
Gottes, der auch in den Weiſſag engen ſelbſt 
Gott genannt wird (ſ. oben S. 126 f.) ward 
Menſch (2, 14 — 18) um fuͤr die Menſchen 
ſterben und fie mit Gott verſoͤhnen zu koͤnnen. 
Kap. 3: er iſt weit groͤßer als Moſes; denn 
5 die⸗ 


— —-—̃—̃— — 


— —— 


5 3 8 0 
$, 15. Dan best erg Toy XEwye Sue 2c Andoyras 
> 
Fo Hartge! enge na Fo died ic 70 


xanAovs dr Neos aus. — Mehr. 7, 19. mit 
Weis). 6, 18. 19. u — 2 Ng e. 87% 
eivan 10% Neon. — Hebr. 8, 2. mit Weish. 9, 
8, dv oi oB ohe vero, 1 — — Fursasmpon 


Mina Fans 04 557 Fpoyromaras dm g 
vns. — H br 13, 4. mit Weish. 3, 13. Hebr. 
9, 18. mit Weish. 3, 13. 5, 5 — Auch die 
Beſchreibung des neuen Bundes K. 8, 10. 11. 
hat mit der Ehriftologie Philos viel ähnlicher, 
S. Stahl in Eichhorns Bibl. 4. B. S. 
849 ff. — Ueber die Auferſtehung ſ. zu Ende. 
Io. Ben. Carpzov,; exereitationes in Ep. 


Pauli ad Hebraeos ex Philong Alex. Helmſt. 


1750. 8. 


*) Eine ganz in hiſtoriſch⸗ bohlen ce Hinſicht 
angeſtellte Angabe des Inhalts iſt die Abhand— 
lung: Anmerkk. über einige der merkwuͤrdigſten 


Stellen des Briefes an die Hebr.; in den Bei- 


trag. z. Beford. des vern, Denk. 1c. 10. Hft. 
S. 82 128.— 


— 


— 


Brief an die Hebraͤer. 2097 


dieſer war Sega. Jeſus aber iſt vos (v. 5. 6.) 
daher muͤſſen wir Jeſu folgen, denn (Kap. 4.) er 
fuͤhrt zu einer ganz andern (raramava) Glück 
ſel gkeit als Moſes. Er namlich (v. 14. ff.) 
iſt der vom Himmel gekommene und Menſch ge⸗ 
wordene Hoheprieſter, der durch feinen Tod die 
Verſoͤhnung bewirkt hat. Kap. 5: Als ſolcher 
iſt er von Gott ſelbſt verordnet, daher K. 6. 
man in der Treue an ihm feſt verharren muß. 
Kap. 7. Er iſt ein ewiger Hoheprieſter, ſtammt 
nicht von Levi ab, und iſt in einem weit hoͤ⸗ 
bern Sinn als Melchiſedek, deſſen Aeltern und 
Genealogie man nicht kennt, uͤbermenſchlichen Ur⸗ 
ſprungs. Eben deßwegen Kap. 8. uͤbertrifft er 
den juüͤdiſchen Hohenprieſter, fo wie K. 9. fein 
Opfer weit wirkſamer, feine Heiligthuͤmer weit 
erhabener find, als die moſaiſchen ). Die moſ. 
Opferverfaffung K. 10.) konnte die Menſchen nicht 
gluͤcklich machen, aber durch Jeſum werden ſie, 
wenn ſie treu bleiben, gluͤcklich Denn dieſe 
Treue beim Bekenntniß des Chriſtenthums, der 
Glaube (K. 11.) macht allein gluͤcklich. Daher 
Kap. 12. und 13. ermahnt der Verf. die Leſer 
zu dieſer Treue mit Hinweiſung auf die Belohnun⸗ 
zun im himmliſchen Jeruſalem. Beſonders iſt 

Er AR | es, 


135 * 
— mn ann ı — 


*) I. G. Griesbach commentat, de imagini. 
bus iudaieis, quibustauetor ep. ad Hebr, in de. 
ſeribenda Meiliae prouincia vfus eſt. In d. 
commentt. theoll. Vol. II. no. 8 N 


268 Jakobus, Petrus und Judas. 


es, daß hier die Hoffnung der Auſerſtehung des 
Koͤrpers nicht benutzt, ſondern gaͤnzlich mit Still⸗ 
ſchweigen uͤbergangen wird. Ueberhaupt wird der 
Auferſtehung des Korpers im ganzen Briefe nicht 
gedacht, und nur Kap. 6, 2. im Vorbeigehen eine 
OVASaTıS ον Vergmv erwähnt. Ueberdieſes laͤßt 
die Stelle K. 9, 27. manche Vermuthungen zu. 


* 


Der Brief Jakobi, der erſte unter den 
ſogenannten katholiſchen Briefen ) an die unter 
den Heiden zerſtreuten jüdifch- chriftlichen Ges 
meinden geſchrieben, enthalt in dogmatiſcher Hin⸗ 
ſicht nichts Auszeſchnendes, ſondern eine Menge 
vortrefflicher moraliſcher Saͤtze ). Denn der 

f | 55 angeb⸗ 


*) Die neueſte Bearbeitung derfelben iſt: die ka⸗ 
thol. Briefe, neu uͤberſetzt und erklart, und mit 
Excurſen und erlaͤuternden Abhandlungen her- 
ausgegeben von J. Ch. W. Auguſti. Lemgo, 
1801. i: CHE 8, F Wergl C. F. Stäudlin de fon- 
tibus epp. catholicarum, inprimis de ällegatio- 
nibus, au in ſis deprehenduntur , progr. I. 
Goett. 1790. 4. und C. G. Storr difl. de 
epp - catholicarum ocesfione, et confilio; in ſ. 
opp. acad, ad interpret, S. S. Vol, II. 

*) De lacobo epiftolae eidem adſeriptae auctore, 
diſl. 118 Jo. Ph. Gabler. Altorf, 1787. 
4. — J. D., Schulze, der ſchriftſtelleriſche 
Charakter wg Werth des Petrus und Jakobus, 
zum Behuf der Sperl lalhermeneutik ihrer Schrif⸗ 
ten. Weißenf. und Leipz. 1302, 8. vergl. mit 

den 


J 


IR Jakobus, Petrus und Judas. 299 


angebliche Widerſtreit zwiſchen Jakobus und Pau⸗ 
lus verdient hier keiner Erwähnung. 


| Auch der erſte Brief Petri, indem bie 
rauhe ungeordnete Schreibart den ungelehrten 
Palaſtinenſer verraͤth, enthält Ermahnungen, Er⸗ 
menterung mit dogmatiſchen Saͤ een vermiſcht, ohne 
beſtimmte Ordnung. Er hat dieſelben Leſer, wie 
der Br. Jakobi, und beide ſind folglich nach dem reli— 
gioͤſen Sprachgebrauche des gemeinen Lebens, und 
fo zu erklaͤren, wie ſie von Juden palaͤſtinenſi⸗ 
ſcher Bidung verſtanden werden mußten 1905 


Der zweite Brief Petri, wenn anders 
dieſer Apoſtel Verfaſſer iſt, und der Brief Ju⸗ 
da find ſich an Juhalt und dogmatiſcher Ten 
denz gleich. Beide ermahnen zur Beſtaͤndigkeit 


im Chriſtenthum, warnen vor falſchen Prophe⸗ 


ten und Laſterhaftigkeit, die in den letzten Zei⸗ 
ten vor der Erſcheinung des Meſſias uͤberhand 
nehmen wuͤrden, ſtellen dieſe Erſcheinung als na. 
he bevorſtehend dar, und der zweite Brief Petri 
namentlich vertheidigt dieſe Lehre gegen Einwen⸗ 
a f dun⸗ 


TJ ̃ q 


den Bemerkungen über dieſe Schrift in Gas 

blers neueſt. theol. Journ. 12. B. 4. St. S. 
358 - 368. — G. Chr. Storr diſſ. de epifto- 

la S. Iacobi. Tub. 1785, 4. (enthalt vorzuͤglich 

Erläuterungen dieſes Br. aus dem Buch Sirach. 
\ 


) Die beruͤhmteſte Stelle diefes Briefes iſt K. 
3, 19. 20. ſ. oben S. 234. 


300 Apokaſypſe, 


dungen und Zweifel. An der Aechtbeit des ꝛten 
B efes Petri und des Briefes Jak iſt bekannt⸗ 


lich gezweifelt worden. Doch ohne hierüber zu 


en ſcheiden, find ſie dadurch, daß ſie ſich uͤberall 
auf die Vorſtellungen palaͤſtinenſiſcher Juden, von 
Engeln und deren Fall, vom Reiche des Meſſias 
u. ſ. w. bez ehen, für die hiſtoriſch-dogmatiſche 
Auslegung binlaͤnglich charakterifirt ). Uebri⸗ 
gens iſt der Widerſpruch dieſer beiden Briefe 
(2 Petr 2, 4. Jud. 6.) mit dem 1 Br. Petri 
(K 5, 8) noch zu bemerken, indem jene die boͤ⸗ 
fen Engel als im Tartarus gebunden und bis 
auf den Tag des Gerichts aufbehalten darſtellen, 
dieſer aber dem Teufel eine fortdauernde Wirk⸗ 
ſamkeit und Feindſchaſt gegen die Chriſten beilegt. 


Was endlich die Apokalyſe betrifft, ſo 
muß ſie der Ausleger, bis ihr Johanneiſcher 


Urſprung noch genauer dargethan iſt, als eine 


Schrift fuͤr ſich betrachten, auf welche er das, 
was von Johannes galt, nicht uͤberzutragen hat. 
f „Son⸗ 


*) Der Brief Judaͤ, uͤberſ. und erlaͤutert aus eis 
ner morgenlaͤndiſchen Quelle von F. Jo. Haſ— 
fe. Jena, 1786. 92 S. 8. — Erklaͤrende Um⸗ 
ſchreib. des Briefs ꝛc. ſ. oben S. 128. Epi- 
ftola ludae graece, commentario critico-et an- 
not, perpet illuſtr. a H. C. A. Haenlein. 


Erlang. 1799. 8 


71 


Apokalypfe, 301 


„Sonderbar genug iſt es,“ ſagt Henke (in ſei⸗ 
ner Kirchengeſchſchte 1 Thl. S. 98. f.) „daß Jo⸗ 
„hannes unter den Schriftſtellern des N. T. ge⸗ 
„rade der einzige iſt, der in feinen aͤchten Bi: 
„chern die Erwartung einer ſichtbaren Wieder— 
„kunft ſeines Herrn gar nicht aͤußert, und nun 
„in dieſer Offenbarung, mit fo ausd uͤcklicher 
„Nennung ſeines Namens und ſo kenntlicher Be⸗ 
„zeichnung feiner Perſon, als man in feinen aͤch⸗ 
„ten Schriften vermiſſet, jene Wiederkunft auf 
„eine fo ſinnlich praͤchtige Art geſchildert haben 
„ſoll, als von keinem andern Schriftsteller geſche⸗ 
„hen iſt, und vielleicht nur von einem Cer inth 
„geſchehen konnte.“ Auch das kabbaliſtiſche o av, 
5 „ nee. & koxomevos- (ſ. oben S. 139 f.) de 
Vorſtellungen von der Wirkſamkeit des Sataus 
(vergl. mit 1 Joh. 3, .), von dem was Chri⸗ 
ſtus in Zukunft noch thun wird, der ganze Stil 
und vieles Andere ſticht fo ſehr gegen das ab, 
was man in den achten Schrift en Johannes fin⸗ 
det, daß die ſtaͤrkſten Gruͤnde vorhanden ſind, 
bei der Auslegung dieſes Buchs anders zu ver⸗ 
fahren als bei Johannes Schriften Denn ohn⸗ 
erachtet die Ausleger bei Erklaͤrung der Apoka⸗ 
lypſe von verſchiedenen Geſichtspunkten auszuge⸗ 
hen pflegen, deren Eroͤrterung bieher nicht ge⸗ 
hört; fo iſt doch fo viel gewiß, daß das Haupt⸗ 
thema des Verf. dieſes iſt: den endlichen Sieg 
Jeſu des Meſſias uͤber ſeine Feinde, vorzüglich 
uͤber Juden und Heiden, fein Reich, und den nach 
der Auferſtehung zu erwartenden Zuſtand feiner 

; x ö a Der: 


* 


302 Au uqekalppſe. \ 


Verehrer zu ſchildern. Nur fragt es ſich, ob 
dieſe Schilderung uͤberall eigentlich oder uͤberall 
bildlich zu verſtehen ſey? — oder ob die Apo⸗ 
kalypſe eine dramatiſche Darſtellung zukuͤnftiger 
Hoffnungen, oder eine ni Beſchreibung 
derſelben gebe? 


Doch der hiſtoriſch⸗dogmatiſche Interpret 
kann nach ſeinem Kanon, das N. T. und alſo 
auch dieſes Buch, fo zu erklären, wie es e weis⸗ 
lich die Leſer damaliger Zeit verſtehen mußten, 
nur Einen Geſichtspunkt haben, nach welchem 
dieſes prophetiſche Buch eigentlich zu erklaͤren 
iſt, indem es überall die bekannten Vorſtellungen 
und Erwartungen vom Meſſias und deſſen Reiche, 
wie wir ſie bei palaͤſtinenſiſchen Juden und Ju⸗ 
denchriſten finden, vorausſetzt ). Wenigſtens 

5 muß 


) Viele Aehnlichkeit hat die Apokal. in Einklei⸗ 


dung und Darſtellung mit dem sten Buch Ess 
dra. So wie Apek. 11. zwei Zeugen der Wahr⸗ 
heit vor Chriſti Erſcheinung aufſtehen werden, 
fo heißt es 4 Esdr. 2, 7. (nach der Londner 
Polyglotte) „noli timere mater filiorum (JIeru⸗ 
ſalem); mittam tibi adiutorium pueros meos 
Ilaiam et leremiem ete. — Mit der Beſchrei⸗ 
bung der ſieben Plagen Apok. 16. und anderer 
Strafen vor Chriſti Erſcheinung vergl. 4 Esdr. 
5, 1 12. „de ſignis autem: ecce dies venient, 
in quibus apprehendentur qui inhabitant terram 
ineenlu multo: et abicondetur veritstis via, et 
fterilis, erit a fide regio: et multiplicabitur in- 

iuſti⸗ 


. 


EN 
r en Ha ce nz 


> A * * 
e 


2 nn U 


eu Apokalypſe. 303 


muß auch bei einer bildlichen Erklaͤrung von die⸗ 


ſen Vorſtellungen ausgegangen werden. Daß aber 
demohnerachtet nicht Alles was in dieſer Schrift 
vorkommt eigentlich zu nehmen ſey, verſteht ſich 

von 


. 


— — —— — — —— — — 


juſtitia — — — Si autem tibi dederit Altif- 
ſimus viuere, videbis poſt tertiam tubam, et 
relucefcet ſubito Sol noctu, et luna ter in die, 
et de ligno ſanguis ſtillabit, et lapis dabit vo- 
cem ſuam, et populi commouebuntur. Et re- 
gnabit, quem non ſperant qui habitant ſuper 
terram, et volatilia commigrationem facient: et 
mare fodomiticum pilces reliciet, et dabit vo- 
cem nactu — — omnes autem audient voc-m 
eius. Et chaos fiet per loca mult:, et ignis 
frequenter remittetur. ete.  Apofaiypfe 7, 3 ff. 
und 13 f. mit Esdr. 2, 39-41. „ ſurgite et 
ſtate, et videte numerum ſignatorum in conui- 
uio Gn, Apok. 19, 9.) Domini, qui ſe de 
vmbra ſeculi transtulerunt, ſplendidas tunicas 
a Deo acceperunt. Recipe Sion numerum 
tuum, et conciude candidatos tuos qui legem 
domini compleuerunt. — Ego Esdras vidi in 
monte Sion turbam magnam, et omnes canti- 
cis collaudabant dominum. Hi ſunt qui mor- 
talem tunicam depofuerunt et immortalem ſum- 
lerunt et confeſſi ſunt nomen Dei. Esdr. 6, 
5. antequam confignati eſſent, qui fidem the- 
faurizauerunt. — Apok. 14, 2. mit Esdr. 8, 
17. et ecce vox loquens et ſonus eius ſicut ſo- 
nus aquarum multarum. — Apok. 22, 5. mit 
Esdf. 2, 34. parati eſtote ad praemis regni, 
quia lux perpetua lucebit vobis per aeternita- 
tem temporis. — Dieſe Parallelen ließen ſich 
noch leicht vermehren. 


304 Apokalypſe. 


von ſelbſt, und die hiſtoriſch⸗ dogmatiſche Ausle⸗ 
gung verlangt bei dieſem Buche nur zweierlei: 


erſtlich daß man in demſelben nicht poetiſche Dar⸗ 


ſtellung von Begriffen und Ideen, ſondern 
von zukuͤnftigen Begebenheiten ſuche, und 
zweitens, daß alles das in ihm eigentlich genom⸗ 
men werde, was man damals erweislich eigent⸗ 
lich dachte und nahm. Allein es iſt nicht zu 
laͤugnen, daß hierbei bedeutende Schwierigkeiten 
eintreten, und daß dieſes Buch auch in herme— 
neutiſcher Ruͤckſicht zu den ſchwierigſten gehöre *). 


S282/ͤ ¾] ᷣ ᷣœ „Eil ̃⁊ð ᷣ RER 


*) Briefe uͤber Danſel 1 die Offenb. Johan⸗ 
nis; in d. Beitrag. z. Beford. 9. Hft. S. 76 — 
110. Die Offendar. Johannis; oder der Sieg 
des Ra N das Juden⸗ und Heiden⸗ 
thum. Flensb. 1788. 8. Ueber die innern Gruͤn⸗ 
de gegen die Aechtheit der Apokalypſe; in Eich⸗ 
horns Biblioth. 3. B. 3. St. S. 571-645, 


Commentarius in Apocal. Ioannis, . Seripfit Io. 
God, Eichhorn. Goett. Vol. I. IL 1791. 


8. Muͤnſcher, einige Vermuthungen uͤber die 
Nikolaiten; in Gablers Journ. f. theol. Literat. 
5. B. S. 17229. 


Lite⸗ 


ö 
N 


Literäriſche Nachtraͤge. 


Grulich, Was es heiße einen bibliſchen Schriſt⸗ 
Schriftſteller aus ſich ſelbſt oder aus dem Syſte⸗ 
me erklaren; über Kol. 1, 15 19. in Auguſti's 

neu. theol. Blättern z. B. 1. St. — Albr. 
Kochen, Ueber die Anwendung der Pincolos 
gie in den Erklaͤrungen bibliſcher Schriftſtellen. 
Ebenda. 

Zu S 78. Staͤudlins Geſchichte der philoſo⸗ 
phiſchen, hebraiſchen und chriſtlichen Moral im 
Grundriſſe. Hannover 1805. 8. 

Zu S. 128, A. I. Silveſtre de Sacy Nachricht 
das Buch Henoch [wovon Jam. Bruce drei 
vollſtaͤndige Exemplare mit aus Habeſſinien brach 
te] betreffend. Nach dem Franz. bearbeitet 
und mit Anmerkk. verfehen von Fried. Theod, 
Rink. Koenigsb. 1801. 64 S. 8. 

— C. C Lud. Schmidt corpus omnium veter. . 
apocryphorum extra biblia, pars I. Hadamar. 
1805. 122 S. 8. 

Zu S. 139. Möller über das Vater unſer; in Au⸗ 
guſtt's theol. Monatsſchrift zter Jahrg. 1. Heft 

S. 23 ff. und: Fr. Wil. Gruke, einige Bes 
merkungen uͤber das Vater unſer; in Henke's 

Muſeum 2. B. 3. St. S. 396-412, (Bei⸗ 

de Auffäße enthalten Erläuterungen dieſes Ges 

bets aus Rabbinen.) 

Zu ©. 146. Die Theologie der Rabbinen iſt in 

vielen Schriften meiſtens aber ohne gehörige 

Kritik erläutert worden. Dahin gehört außer 

Eiſenmengers entdecktem Judenthum, Ioh. Ben. 

Carpzov introductio in Theologiam iudaicam, 

die vor feiner Ausgabe von Raim. Martini pu- 

gio fidei etc, (Lipf. 1687. fol.) und in ſeinen 

- u difpp. 


N 


305 Literaͤriſche Nachträge. 


7 


diſpp. academ, (Lipf. 1640. 4.) ſteht — loh. 


a Lent moderna theologia ind. delineata, Her- 


born 1693. 4. — I. H. Majus ſynopfia 


theologiae Iudaicae veteris et nouse. Giefl, 
1698. 4. (ohne Kritik und mit dem Streben 
dle chriſtl. Dogmatik in den Rabblinen zu fin⸗ 
den.) Endlich gehören hieher die Streitſchriften 
zwiſchen Juden und Chriſten, die man bei Noefs 
ſelt (Anweif. z. theol. Buͤcherkenntniß §. 301. 
und 6. 323 f.) angegeben findet. 

Zu S. 170. Das Progr. de euang. infant. Chr. 
f. et vero iſt von F. Imm. Schwarz. — Um 
terſuchung, ob die in den verloren gegangenen 
Evangelien angefuhrten Ausſpruͤche Jeſu wohl 
von Jeſu ſeyn können; von H. H. Cludius. 
In Henkes Muſeum 2. B. 3. St. ©. 352 — 
395 \, a j 

Zu ©, 133. Beiträge zur Erläuterung der biblis 
ſchen Denk- und Sprechart, aus den homeriſchen 
Geſaͤngen. In Auguſtl's neu. theol. Blaͤtt. 3. 
B. 2. St. 

Zu S. 189. Henke's neu. Magaz, beſteht aus 6 
Bänden, 1798-1803, 5 

Zu S. 201. Ueber eine bevorſtehende Veraͤnde⸗ 
rung der Erde nach 2 Petr. 3; in Henke's neu. 

Magaz. 3. B. S. 315 ff. 


— 


307 


Regiſter der gelegentlich erlaͤu— 
terten Sachen. 


S. S. 


Am „ „ 235f. Alphabeth der Kabbali⸗ 
Aw 3 . 20 f.] ſten. „ 41. 131f. 
Aluvuos gun 5 21,1 Athbasch D ebend, 


Apxas . 125.1 Analogie des Glaubens 58. 
Tris 2 176. 223. Apokalypſe 5% 109. 
Ales o „ 167 f. Asmodi f 431. 
‚E£ousıns D 125. Auferſtehung 83. 99. 127. 
Erıpavaz D 31,| 218. im Brief an die 
Zn ci. 5 21.1 Hebr. 298. Litera⸗ 
Owarıs „ 235 f. 242.] tur 202 ff. 
Oęgo vos D 125.] Auslegung, moraliſche 
KA Tooov = 24.] 42 ff. allegoriſche 35 ff. 


im N. T. 37. des Jo⸗ 

ſephus 101. 
Briefe der App. 22 uff. 
Chriſtus ſ. Meſſias 
Chriſten, aͤlteſte, zerfal⸗ 

len in drei Fami⸗ 


Kvsornres 2 125, 
Aoyos ſ. Logos. 
II. Is „58. 231. 250. 
Iangouſuct x. X 124, 
Ilveuuo f, Geiſt. 
Do Ole mveumar. 39. 


Tara gos 4 236. lien 5 175 ff. 
Ties 9 30. 168. 239.] Daͤmonen 83. 9 ff. 99. 
Nr, o, x 0 1 „ 301. 196. 217 f. 
Ebioniten > 175. 
Elias 6 106. 226. 
Adam, d. Vater d. Rabs Engel; Zeit ihrer Ers 
bala ‘ 129 f.] ſchaff. 115 f. ihre Klaſ⸗ 


fen 125 f. bei Philo 
99. ihr Fall 96. 125. 
u 2 104. 


Adam Kadmon IIS. 
Akkommodation - 52. 


—y— — — — —„—᷑d. — — Ten ae 


308 Regifter 


S. 


104. 237. 196. ihre 

Verehrung 249. bei 
der moſ. Geſetzgeb. 
103 f. Eng. des An⸗ 
geſichts 247 f. d. Ems 
pfaͤngniß 118. 196. 
Lit. 196 f. 


Eſſaͤismus. . 205. 


Evangelien, ihre Quel⸗ 


. 


Leviathan 5 115. 
Logos. 22. 32. 82 f. 101. 


168. 174. 194. 147. 
268 f. in den chald. 
Paraphr. 113. 117f. 
im Br. an die Hebr.“ 
239 ff. iſt vom Geiſte 
verſchieden - 172 ff. 


Meſſtas 104. 106 f. 


len 254 ff. 
Galater, Br. „ 250. 
Geiſt, heil. 43. 30. 127. 


108 f. 118. 122 f. 
nach d. Lehre d. App. 
22. f. feine Wunder 
iſt vom Logos vers 345 ff. 264. f, Gott⸗ 
ſchieden 172. d. Bas heit ſ. Jeſus. irrdi⸗ 
ter o 169. Li⸗ ſcher 228 f. im A. T. 
terat. 195. 197. ns 134. 
Geſtirne hab. Seelen. 115. 4.197 ff. 
Gnoſis „ 176. 223. Meſſiasreich 5 200. 
Gnoſtiker 5 177.] moraliſches „226. 
Gott im A. T. 190. [Mond, verl. die Herr⸗ 
ſeine Eigenſch. 192. ſchaft . 115. 
Hebraͤer, Br. 138. 175.| Moral d. Hebraͤer. 78. f. 
Höllenfahrt Chriſti 125.] des N. T. „ 205. 
233 f. 205. Mytholog. Anſicht des 
Jacobus s 176. Chriſtenth. „26a ff. 
Jeſu Gottheit 126. 168. Nazaraͤer 3 175. 
194. 239 ff Paulus Lehrbegr. 230 f. 
Inſplration + 190.1 278 f. 282. was er 
Johannes Evang. 147. über die Alexandriner 


* 


N 5 176. 274 ff.] urtheilt 221 f. 285. 
Judas D 176.1 Paradies N) 116. 
Juden, aͤgypt. 97. 218,1 Petrus. . 176. 
beſtreitet Paulus 285. Pharifäer f 4%. 
Kabbaliſten, ihre Ausl. Philoſophie in d. Her⸗ 
35 f. ſ. Alphab. meneutlkk » 57. 


Kritik, ihr Unterſchied Nabbinen, jüngere, ihr 
von d. Hermeneut. 52 Gebrauch ⸗ 277. 
ff. 209 ff. N Sad⸗ 


Regiſter. 306 


©. S. 
Sadducder 5 40. — 6,2, 96. 104 238. 
Satan. . 9236. 7/19, 24. „113. 


Schöpfung des Men: s Moſ 32, 2. 3. 103. 
ſchen 95. 115. 192. Jeſ. 9, 6. 104. 
Schutzengel + 247.] — 52. 13 ff. 3 117. 
Sekten zu Korinth 176. Jerm. 51, 1. „ 131. 
224.285. juͤdiſche 203 ff. Pf. 104, 19. „115. 
Sinn des N. T. iſt Ei- B. d. Weish. 2, 23. 243. 
ner ; 20 f. 38. <— 6, 9. 22. 18f. 
Suͤndenfall ⸗ 243. . 
Teſtam. neu. iſt wie ein — 7, 12. 223. 
menſchl. Buch zu er — 10, 10. 224. 
klaͤren - 19f. 53. — 138, 24. 101. 
Teufel beim Suͤnden⸗ Sirach 25, 24. 243. 
fall : 243.1 Tobias 3, 8. 131. 
Theologie, juͤd., ihre Ver: — 6, 14. 131. 104. 
aͤnderung im Chriſten⸗ — 15, 5, 28. 
thum 221 ff. Theol. [1 Makk. 11, 89. 24. 
in der Hermeneut. 57. Matth. 2, . „ 92, 
Theologien bibl. 77. 5, 20. „ 106. 
Tod zweiter 117 I, 107. 
Trinitaͤt. 193. der Kab⸗ 8, 28 fl. 92 f. 
bala. 5 139. 193. 9, 2-5. 107. 
Unſterblichkeit 202. der 11, 2 fl. 245. 264. 
erſten Menſchen 96. — 5. 246. 259. 
Urevangelium - 255. 12, 23 f. 264. 
Widerſpruͤche im N. T. 63f. — 28. 245. 247. 
Wiederkunft Jeſu 31 ff. — 32. 35. 21. 
b 201. 289 f. 13,50%,» 108f. 
Wunder „117. 273. 15, 24.27% 188. 
f 17, 10 fl. 108. 226. 
Erläuterte Stellen 18, 10, 2 247. 
der heil. Schrift. 19, „% #.02% 
* 25 27. 3 109. 
1 Moſ. 1, 16. 21. 27. N 28, 18. 35. 259. 
115 . Mark. 4, 21-23. 37. 
d AR: 
Luk. 


CCC 


* 


310 Regiſter. 
©. S. 
Luk. r, 1 f. 3. 259 f. Rom. 14, 17. 228. 
W e 126. 1 Kor. 2, 6. 12 fl. 37. 
6, 31 lig — 5, 5. 8. 37 
— 8, 30 ff. 46. 256.1 — 7 = 285. 
Nas 24, 21, 3 108. — 10, 1-4. 37 
Joh. 1, 1. 22.889141 15, 12. 224,285. 
— 1, 1-14 174.268. — — 26. 241. 
n s 85] — — 42f. 127. 
m 14. 127. 271.] — — 55. 2238. 
— — 18, 85. 168.2 Kor. 3, 6, 15. 18. 37. 
i e . ar 19 104. 246. 
ET eee, N HP RER. 
2, 10% BR C-1 25 00 BETA 22 fl. 37. 
! ; Philipp. 2, 6. 7. 126. 
— J, 13. 85. 271. 
r 125. Koloſſ. 1, 15-17. 84 
— 4, 24. 43. 288 fi. 
== 5, 18. 169. 2714 h Zen 1, 16. 6 125. 
— — 27 ff. . 246. — st 5 ec 
7, ö. % %%% e n 
0 % % . 244. 1 Theſſ. > 230ff. 
— 9, 2. 3. 106. 108. — 4, 13 ff. 280 ff. 
— — 28 f. 3 272. 2 Theſſ. 2, 1-12, 290. 
le, 30% 3. 271. Tim. 1, 3, 4. 222. 
— 11, . 2731 — 1, 15. 32. 292. 
— 11, 4. 271.1 — 3, 16. 126. 292. 
— 14, 6. 1941 — 4, 3ff. 292 ff. 
17, 4. 271. — 4, 19. 132. 
9, 164 | 227. — 6, 16. 9 84. 
— 20, 22. 174. — — 20. 222, 292. 
= 20, 28. 163. 271.2 Tim. 2, 17. 3 224 
20, BR D 261. — 3, 8. 117. 
Apoſtelg. 7, 38. „104. Tit. 1, 14. 222. 
— 20% 28. 168.1 — 2, 13. 126, 
— 289, ar, 127. — 3, 9. 5 22% 
Röm. 1, 3 f. „ 168. Hebr. u 3. 5 84. 
— 5, 12. 84. 243.1 — 1, 5-14 238 fl. 


Hebr. 


S. f S. 

Hebr. — 7. „ 240. 1 Petr. 4, 6 237. 
„„. 5, s. 300. 
, Petr. 2, 4. 5. 125. 
2, 104. 246. 237. 300. 
Hebr. 2, 10. 17 ff. 294. . v e.. 237. 
fans 242, . v. 14. 120. 
24, I. 9. 12 f. 295.1 Joh. 5, 20. 169. 
„ 298.1 Apokal. 5, 10. # 117, 
. ⸗ 126. — 6, 8. 2235. 
7, 19. 296. — 7, 3 fl. 13 f. 303. 
eigen 10f, 296, II. 302. 
d s „296. — 14 2. „1303. 
n i — 16. 9 302. 
n 5 294 f. — 19/9. „ 303. 
6% 12, 295. — 20, 2. „ 2244. 
13 296. — 20, 6. 14. 117. 
1 Petr. 3, 19. 125. 233. f 235. 
h 236. — 2, 5. 303. 


* 


Druck⸗ 


18 


| 


EA TI FI ELENA 


3 7 


Sr ck fehler. 


37. Z. 3, ſt Röm. 28 l. Röm. 2, 28 
65. — 6. ſt. Entſchuldigungsgrund l. Entſchei⸗ 


dungssrund. 
68. — 12. 13. iſt zu leſen: Berührung ſtand, und 
fich dieſelben oder ganz verwandte. 
5. ſt. i l. find. 


84. — 7. ſt. & , l. 1 Ya ö 

96. — 12. fi. dieſerwegen l. dieſer wegen. 
— — 19. nach „erklart“ fehlt „er“. 

102. — 9. fl. 1800. l. 1800 u. 1802. 

113 — 10. ſt. Jahrg. l. Jahrh. 

115. — 2 ſt. Genſſis l. Geneſis. Re 
121. — 8. fi. Corrdi l. Corrodi. 

126. — 20. 65 Gg l. e 

151. — F. v. unt. ſt olchtig l. wichtig. 

161. — I. V. unt. ff. Ve ſitris l. Velitris, 

190. — 2. uach 1804. ſetze a 3. Uu. 4. St. 1805. 
223. — 6. fi. devdo l. eu. 

224. — 10. fi. deudouumos I. Ceudννοαο. 

229. 5. v. unt. ft. ausgeſtellt I. aufgeſtellt. 


239. — I. v. unt. ſt. Jeſu in l. Jeſum. 
267. — 2. ft bewahrt l. bewaͤhrt. 
270. — a: U., 4. ſt. T He l. Täufer. 


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Die historisch-dogmatische Auslegung des 


Princeton Theological Seminar 


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