Skip to main content

Full text of "Die Idee des europäischen Gleichgewichts in der publizistischen Literatur vom 16. Bis zu Mitte ..."

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct 

to make the world's books discoverablc online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 

to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 

are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the 

publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying. 
We also ask that you: 

+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc 
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of 
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe. 

Äbout Google Book Search 

Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs 
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web 

at |http: //books. google .com/l 



Google 



IJber dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nu tzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 

Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter |http: //books . google .coiril durchsuchen. 




Die Idee ^ 
europflisclieii QleicMlcMs 

lg der putllzlstlsclieii llterotur 
vom 18. bis zur HItte des 18. Jobriiunderts 



E. Kaeber 



ai 




BERLIN 

Verlag von Alexander Duncker 

l«07. 




D 



2.1' 

.Kl 



Die Idee 
des europfilschen GlelchMhts 

ID der DamizIMscIiei Lltentgr 
wn le. üb zur Mitte dei U. Jiilirliiiiilerli 

Von 

Er^aeber 




BERLIN 

Verlag von Alexander Dancker 

1907. 



Die vorliegende Schrift hat als Dissertation zur Erlangung der Doktor- 
würde bei der philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhemsuniversität 
zu Berlin gedient Seite 1-44 sind als Inaugural-Dissertation erschienen. 






• • • • " 

• • • • • 



Druck von Hngo Wilisch in Chemnitz. 






Inhalt 

Seite 

Vorwort 1 

Einleitung 4 

1. Allgemeine Grundlage der Gleichgewichtsidee . 4 

2. Der Universalismus des Mittelalters 5 

I. Das europäische Gleichgewicht im Kampf gegen das Haus 

Habsburg io 

Einleitung: 1. Machiavelli 10 

2. Das italienische Oleichgewicht . . 11 

1. Kapitel: Ursprung der Idee des europäischen Oleich- 

gewichts 14 

1. Wiederaufleben der universalistischen Ideen . . 14 

2. Beginn des Widerstandes g^en die Universal- 
monarchie. Die Venetianer. Deutsche und fran- 
zösische Flugschriften IS 

2. Kapitel: Das Oleichgewicht in der Publizistik bis zu 

den Friedensschlüssen von 1648 und 1659 . 22 

1. Der Kampf gegen Philipp II 22 

2. Der Dreißigjährige Krieg 29 

II. Das europäische Gleichgewicht im Kampf gegen Lud- 
wig XIV. 45 

1. Kapitel: Österreichische und spanische Flugschriften 

aus den Anfängen Ludwigs XIV 45 

2. Kapitel: England unter Karl II 52 

3. Kapitel: Die Zeit Wilhelms III. und des spanischen 

Erbfolgekrieges 62 

1. Bis zum Frieden von Ryswick ...... 62 

2. Englische Publizistik zu Anfang des spanischen 
Erbfolgekrieges 64 

3. Englische Publizistik zu Ende des spanischen 
Erbfolgekrieges 72 

4. Habsbui^sche Publizistik U 



— IV - 

Seite 

III. Vom Frieden zu Utrecht bis zum Frieden von Aachen 77 

1. Kapitel: Von 1713-1740 77 

1. Das nordische Gleichgewicht 77 

2. Die österreichische Literatur im polnischen 
Thronfolgekriege 81 

3. England unter Walpole. Bolingbrokc .... 82 
4 Die Ostendische Handelskompagnie 84 

2. Kapitel: Der österreichische Erbfolgekrieg .... SS 

1. Österreichische Publizistik 88 

2. England und das alte System 91 

3. Erster Widerspruch gegen die Gleichgewichtsidee. 
Charakter der gesamten Literatur dieser Zeit 96 

IV. Der Siebenjährige Krieg 103 

Einleitung 103 

1. Kapitel: Der kontinentale Kri^ 106 

1. Österreichische und andere Flugschriften gegen 

die Übermacht Preußens 107 

2. Preußisch-englische Broschüren. Justis irChimäre 

des Gleichgewichts von Europa'' 113 

2. Kapitel: Der französisch-englische Seekrieg .... 124 

1. Allgemeiner Charakter der englischen Publizistik 124 

2. Die französische Literatur. Das Handels- und 
Kolonialgleichgewicht. Mirabeau, Maubert und 
Moreau 126 

3. Justis »Chimäre des Gleichgewichts der Hand- 
lung und der Schiffahrt" 137 

Schluß 140 

Anhang: Das europäische Gleichgewicht und das natur- 
liche Völkerrecht im 18. Jahrhundert . . . . 143 



< » 






^ Inhalt 

Sdte 

Vorwort 1 

Anleitung 4 

1. Allgemeine Grundlage der Oleichgewichtsidee . 4 

2. Der UniverBalismus des Mittelalters 5 

I. Das europäische Gleichgewicht im Kampf gegen das Haus 

Habsburg io 

Einleitung: 1. Machiavdli 10 

2. Das italienische Gleichgewicht . . 11 

1. Kapitel: Ursprung der Idee des europäischen Gleich- 

gewichts 14 

1. Wiederaufleben der universalistischen Ideen . . 14 

2. Beginn des Widerstandes gegen die Universal- 
monarchie. Die Venetianer. Deutsche und fran- 
zösische Flugschriften IS 

2. Kapitel: Das Gleichgewicht in der Publizistik bis zu 

den Friedensschlüssen von 1648 und 1659 . 22 

1. Der Kampf gegen Philipp II 22 

2. Der Dreißigjährige Krieg 29 

II. Das europäische Gleichgewicht im Kampf gegen Lud- 
wig XIV. 45 

1. Kapitel: Österreichische und spanische Flugschriften 

aus den Anfängen loidwigs XIV 45 

2. Kapitel: EngUnd unter Karl II 52 

5. Kapitel: Die Zeit Wilhelms III. und des spanischen 

Erbfolgekrieges 62 

1. Bis zum Frieden von Ryswick 62 

2. Englische Publizistik zu Anlang des spanischen 
Erbfolgekrieges 64 

3. Englische Publizistik zu Ende des spanisdien 
Erbfolgekricges 72 

4. Habsburgische Publizistik 75 



- IV - 

Seite 

III. Vom Frieden zu Utrecht bis zum Frieden von Aachen 77 

1. Kapitel: Von 1713-1740 77 

1. Das nordische Gleichgewicht 77 

2. Die österreichische Literatur im polnischen 
Thronfolgekriege 81 

3. England unter Walpole. Bolingbrokc .... 82 
4 Die Ostendische Handelskompagnie 84 

2. Kapitel: Der österreichische Erbfolgekrieg .... 88 

1. Österreichische Publizistik 88 

2. England und das alte System 91 

3. Erster Widerspruch gegen die Gleichgevrichtsidee. 
Charakter der gesamten Literatur dieser Zeit 96 

IV. Der Siebenjährige Krieg 103 

Einleitung 103 

1. Kapitel: Der kontinentale Krieg 106 

1. Österreichische und andere Flugschriften gegen 

die Obermacht Preußens 107 

2. Preußisch-englische Broschüren. Justis irChimäre 

des Gleichgewichts von Europa' 113 

2. Kapitel: Der französisch-englische Seekrieg .... 124 

1. Allgemeiner Charakter der englischen Publizistik 124 

2. Die französische Literatur. Das Handels- und 
Kolonialgleichgewicht. Mirabeau, Mauberi und 
Moreau 126 

3. Justis »Chimäre des Gleichgewichts der Hand- 
lung und der Schiffahrt'' 137 

Schluß 140 

Anhang: Das europäische Gleichgewicht und das natür- 
liche Völkerrecht im 18. Jahrhundert . . . . 143 



•9» 



Vorwort. 

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts begegnet in der 
politischen Literatur die Idee des Oleichgewichts der europäischen 
Staaten. Als Grundlage des freien Zusammenlebens der Völker 
Europas verteidigt, in späterer Zeit hie und da auch als un- 
realisierbare Chimäre oder als Deckmantel egoistischer Sonder- 
bestrebungen eines oder des anderen Staates bekämpft, findet der 
Gedanke auch in unserer Zeit bei Staatsmännern und Historikern 
eine Stätte,^) ohne doch wie im 1 7. und 1 8. Jahrhundert ein fast 
unentbehrliches Schlagwort in der Publizistik mancher Staaten 
zu sein. 

Doch darf man nicht annehmen, daß zu allen Zeiten unter 
dem politischen Gleichgewicht Europas dasselbe verstanden 
worden sei. Wie der Gedanke aus bestimmten realen Ver- 
hältnissen erwachsen ist, so hat er sich mit deren Veränderung 
selbst gewandelt. Und wie er keine inhaltslose Spekulation 
philosophierender Staatsmänner darstellt, sondern der Ausdruck 
für konkrete politische Forderungen ist, so hat er mit dem 
Wechseln der Konstellationen auch seinen Zweck mehrfach ge- 
ändert. Die verschiedenen Gestaltungen des Gleichgewichts-^ 
gedankens lassen sich am deutlichsten aus der politischen 
Literatur erkennen, die uns Antwort auf die Fragen gibt, aus 



>) Unter anderen vgl. viele Stellen bei v. Sybel, »Die Gründung des deutschen Reichs, 
durch Wilhelm I." 3. A. München 1890, z. B. I, 223; II, 204, 432, 535. 

Bismarck, »Gedanken und Erinnerungen" II, 99, 251, 253. 

Lenz, »Napoleon«. Leipzig 1905, S. 111. 
. Delbrück (»Erinnerungen, Reden und Aufsätze", 3. A. Berlin 1905) spricht auf S. 48r 
über die Notwendigkeit eines gewissen Gleichgewichts der großen Nationen in dem 
kolonialen Ausdehnungsprozeß. In ähnlichem Sinne gebraucht ein modemer französischer 
Autor die Ausdrücke: 6quilibre africain" und »6quilibre asiatique": vgl. Donnadieu: »Essai 
sur la thferie de l'^quilibre." Paris 1900. S. 21 Off., 21 5 1.) 

Auf die Regierung Wilhelms III. geht es zurück, wenn noch heute in England das- 
stehende Heer jährlich »zur Aufrechterhaltung des europäischen Gleichgewichts" bewilligt wird. 

Kaeber, Das europäische Gleichgewicht. i 



— 2 — 

welchen Zustanden die Idee entsprungen ist, welche Formen sie in 
den verschiedenen Zeiten angenommen hat, und welche Wirkungen 
sie im einzelnen Fall ausüben, welchen praktischen Zielen sie 
dienen sollte. Eine Untersuchung hauptsächlich über diese 
Fragen möchte die vorliegende Arbeit sein. Eine Geschichte des 
europäischen Gleichgewichts selbst, wie sie etwa der bekannte 
Staatsrechtslehrer Schmauß im 1 8. Jahrhundert unternommen hat, 
liegt völlig fem.*) Nur die Perioden gibt die politische Geschichte 
an, nach denen sich auch die sie begleitende publizistische 
Literatur gliedern läßt. Der Abschluß mit dem Ausgang des 
Siebenjährigen Krieges ist gewählt worden, weil mit ihm das 
System der fünf großen Mächte sich herausgebildet hat, das auch 
heute noch trotz des Zutritts Italiens und des sich bildenden 
Weltstaatensystems die Grundlage der europäischen Politik bildet. 
Auch bietet die Publizistik der napoleonischen Zeit, soweit sie 
mir bekannt ist, für die Auffassung des europäischen Gleich- 
gewichts nicht viel neue Gesichtspunkte. 

Es ist versucht worden, das verstreute Material wenigstens 
für die wichtigsten Perioden bis zu einem gewissen Grade voll- 
ständig zu sammeln. Reiche Ausbeute an Flugschriften hätte die 
Pariser Nationalbibliothek bieten können, die ich leider nicht be- 
nutzen konnte. Die wichtigsten, allgemeine politische Fragen 
behandelnden »livrets« scheinen allerdings in die schon während 
des Dreißigjährigen Krieges erschienenen wRecueils« aufgenommen 
worden zu sein. Und da gerade die Gleichgewichtsideen in 
ihnen vielfach einen stereotypen Charakter tragen — einzelne 
benutzte Schriften haben deshalb in der Darstellung keine Er- 
wähnung finden können — darf man vielleicht annehmen, daß 
auch die mir unbekannten Schriften keine wesentlich neue Auf- 
fassung zeigen würden. 



1) Johann Jakob Schmauß, ifEinleitung zu der Staats - Wissenschaft. Erster und 
zweiter Teil : Die Historie der Balance von Europa etc. in sich haltend.«* Leipzig 1 741 und 1 747. 

Von neueren Darstellungen sei außer Rankes Versuch über die großen Mächte, 0er 
in gewissem Sinne hierher gehört, nur das schon zitierte Werk von Donnadieu genannt, 
dessen erster, größerer Teil der politischen Oeschichte mit ständiger Rücksicht auf die in 
ihr sich manifestierende Oleichgewichtsidee gewidmet ist Während die älteren Zeiten recht 
dürftig und in engem Anschluß an die Arbeiten anderer behandelt sind, bietet das Buch 
interessantes Material aus gleichzeitigen Aufzeichnungen und Akten seit dem Ende des 
18. Jahrhunderts; besonders die Friedensverhandlungen von 1813-15 finden eine aus- 
führliche Darstellung. 



— 3 — 

Einzeluntersuchungen über die Verfasser der meist 
anonymen Broschüren verboten sich von selbst bei einer Arbeit, 
die so weite Zeiträume durcheilt^) Übrigens würde selbst bei 
erfolgreichen Versuchen dieser Art der Nutzen für unsere Zwecke 
gering sein. Die uns interessierenden Fragen sind die nach 
Ursprung und Zweck der einzelnen Pamphlete, die sich fast 
stets zur Genüge aus ihrem Inhalt erkennen lassen. 

Die benutzten Flugschriften und Sammelbände befinden 
sich, soweit nichts näheres angegeben ist, auf der Königlichen 
Bibliothek zu Berlin. 

Die völkerrechtliche Literatur über das Gleichgewicht ist 
in einem Anhang behandelt worden. 



1) Wie problenuitisch solche Untersuchungen dabei sind, zeigt eine zwischen zwei 
französischen Gelehrten entstandene Kontroverse. Desdouvres glaubte, in dem P^re Joseph, 
dem Vertrauten Richelieus, einen ungemein fruchtbaren Publizisten entdeckt zu haben und 
verfocht seine These in einem umfangreichen Buche (»Le p^e Joseph pol^miste." Paris 1895). 
Demgegenüber sucht Fagniez^ Autor eines zweibändigen Werkes über den Pater Joseph und 
Richelieu, in einem Aufsatz in der Revue des quest. bist., Bd. 60 (N. S. 16. 1896.) 
Desdouvres* These als unhaltbar hinzustellen. 



^• 






Einleitung. 

1 . Im 18. Jahrhundert, in der Blütezeit der Gleichgewichts- 
idee, bilden Betrachtungen über ihre allgemeine Bedeutung im 
Völkerleben und über ihren Einfluß auf die Politik auch der 
antiken Staaten ein beliebtes Thema.') So anfechtbar die Einzel- 
resultate dieser Untersuchungen sein mögen, sie enthalten doch 
einen berechtigten Kern, den in wissenschaftlich vertiefter Auf- 
fassung und geistvoller Form neuerdings Ratzel aufgenommen 
hat.*) Er macht darauf aufmerksam, daß die meisten mensch- 
lichen Verbände, die über ein beschränktes Gebiet verfügen, eine 
Tendenz nach räumlicher Ausdehnung namentlich bei steigender 
Kultur zeigen, und daß demgegenüber überall da, wo mehrere 
Verbände oder Staaten aneinander stoßen, sich eine allgemeine 
Richtung auf An- und Abgleichung beobachten läßt, deren Ziel 
die Verhinderung des allzu ausgedehnten Wachstums eines 
Staates ist. Ratzel möchte darin einen wichtigen Faktor der 
Staatenbildung sehen und das europäische Gleichgewicht als eine 
besonders scharf ausgebildete Formulierung eines ziemlich all- 
gemeinen Strebens auffassen.^) 

Von diesem Gesichtspunkte aus könnte man dann das 
Resultat der Geschichte des Altertums, das einheitliche römische 
Weltreich, als Produkt des in den Römern zur höchsten Energie 
entfalteten Strebens nach Ausdehnung bezeichnen, und die immer 
fester ausgebildeten Nationalstaaten der modernen Geschichte als 
Ergebnis eines stetigen An- und Abgleichungsprozesses, der seine 



1) Es seien hier nur die weiter unten zitierten Schriften von David Hume und von 
Ludwig Kahle genannt. 

«) Friedrich Ratzel, »Politische Geographie." 2. A. München 1903. S. 2l8ff., 247 ff. 

s) Einen eigentumlichen spekulativen Ausdruck hat die Idee der Ausdehnung als 
Lebensprinzip der Staaten in der modernen Philosophie erhalten: vgl. Spranger, „Alten- 
steins Denkschrft von 1807 und ihre Beziehungen zur Philosophie": Forsch, z. br. und 
pr. Gesch. 18,2 (1905), S. 149. 



— s — 

charakteristische Äußerung in der Gleichgewichtsidee findet 
Zwischen diesen beiden Polen der Entwicklung liegt das 
Mittelalter mit seiner eigenartigen Kultur, die auch das Staats- 
leben aufs tiefste beeinflußt hat Aus dem Gegensatz zu 
seinem Ideal der einheitiichen Christenheit ist der Gleich- 
gewichtsgedanke entsprungen. Es wird nötig sein, zu dessen 
tieferem Verständnis das Wesen des mittelalterlichen Universalismus 
kurz zu skizzieren.^) 

2. War auch das Imperium Romanum in den Stürmen der 
Völkerwanderung untergegangen, so blieb doch die Erinnerung 
an seinen Glanz und als sichtbares Zeichen seiner welt- 
beherrschenden Stellung die christiiche Kirche erhalten. Der 
politische Gedanke einer Erneuerung des dahingeschwundenen 
Reiches verband sich alsbald mit der christiichen Idee der 
Einheit aller Gläubigen und beeinflußte Politik und Welt- 
anschauung des ganzen Mittelalters. Wir betrachten zunächst die 
Universalpolitik. 

Die Wiederherstellung des Imperium Romanum durch 
Karl den Großen war zwar nicht von Dauer, das neue Reich 
war eine ganz extensive Staatenbildung im Gegensatz zu dem 
aus alten Kulturländern zusammengefügten Reich des Augustus, 
aber seine weltgeschichtiiche Bedeutung reichte unendlich viel 
weiter als seine Existenz. Trotz seines Scheiterns blieb der 
Versuch für Jahrhunderte vorbildlich. 

Durch Otto I. für das deutsche Volk gewonnen, hat das 
Imperium der deutschen Politik die Richtung nach Italien ge- 
geben und die Nation durch den nach der Erwerbung Siziliens 
unter den Staufern mit erneuter Heftigkeit entbrannten Kampf 
mit der römischen Kirche in ihrem staatiichen Leben aufs tiefste 
beeinflußt.^) Den Anspruch auf die Weltherrschaft haben deutsche 
Gelehrte für ihren König noch im 1 7. Jahrhundert erhoben, ein 

^) Außer Rankes Weltgeschichte sind zugrunde gelegt v. Eicken, »Oesdiichte und 
System der mittelalterlichen Weltanschauung". Stuttgart 1887. Oierke, »Deutsches 
Oenossenschaftsrecht«, Bd. III. Berlin 1881. § 11. Riezier, »Die literarischen Widersacher 
der Päpste zur Zeit Ludwigs des Bayern«. Leipzig 1874. Hauck, »Der Oedanke der päpst- 
lichen Weltherrschaft bis auf Bonifaz VIII." Universitätsrede, Leipzig 1904. Norden, »Das 
Papsttum und Byzanz". Berlin 1903. Schwemer, »Papsttum und Kaisertum«. Stuttgart 1899. 

Einzelne Nachweise aus anderen Autoren unter dem Text. 

s) Über die Bedeutung der Erwerbung Siziliens vgL auch Ficker, »Deutsches 
Königtum und Kaisertum«. Innsbruck 1862, bes. S. 59. 



v^ 



— 6 — 

Beweis, wie tief sich diese Vorstellungen mit dem ganzen Denken 
der Nation verflochten hatten.^) 

Ganz natürlich war es daneben, daß trotz des römisch- 
deutschen Kaisertums die Herrscher Ostroms ihre Ansprüche auf 
die einstige westliche Hälfte ihres Reiches nicht aufgaben. Die 
Komnenen dachten, durch die Wiedervereinigung mit der 
römischen Kirche das christliche Abend- und Morgenland unter 
ihrem Szepter aufs neue verschmelzen zu können.*) Dem gegen- 
über hat Friedrich Barbarossa mit bewußter Absicht Ostrom als 
»Königtum« bezeichnet, sein Sohn Heinrich VI. eine Eroberung 
von Byzanz erwogen.') Selbst in der Zeit des Todeskampfes gegen 
die Türken hat der damalige Kaiser Johannes VIII. gelegentlich der 
Union von Lyon sich als den Herrn des Universums bezeichnet*) 

Aber die universalen Bestrebungen blieben nicht auf die 
Inhaber des Kaisertitels von West- und Ostrom beschränkt. Der 
Erbe der Staufen in Neapel und Sizilien, Karl von Anjou, nahm 
Heinrichs VI. weitausgreifende Pläne wieder auf. Eine gleich- 
zeitige Quelle sagt, er habe nach der Monarchie des Caesar und 
Augustus gestrebt, eine andere schreibt »aspirava alla monarchia 
del mondo".*) Im Zusammenhang damit werden die Pläne der 
französischen Verwandten Karls gestanden haben. Neben und 
trotz ihrer nationalen Abschließungstendenz fühlten Philipp IV. und 
seine Söhne ein Verlangen nach der Weltherrschaft in sich,*) das 
uns auch in einem Erzeugnis der politischen Literatur ihrer Zeit 
deutlich entgegentritt.') 

Selbst für einen englischen König, Heinrich IL, ist mit 
einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Universalpolitik nach- 
gewiesen worden.®) 



1) Mor. Ritter, .Hortleben als Lehrer der Herzoge Johann Ernst und Friedrich": 
Neues sächsisches Archiv I (1880), S. 194 f. 

s) Norden, a. a. O., S. 88 ff. 

>) Norden, a. a. O., S. 111, bes. Anm. 2, S. 123 f. 

«) Norden, a. a. O., S. 724. 

B) Norden, a. a. O., S. 440 ff., 458 f., 474 ff., 490, 604 f. Die angefahrten Stellen S. 604 *.) 

•) Schwemer, a. a. O., S. llSff. Norden, a. a. O., S. 652 ff., 659, 670. 

7) In einer sehr interessanten kleinen Schrift eines französischen Legisten aus dem 
Jahre 1300: vgl. Natalis de Waillis, »Mtooires de l'Instihit*, Bd. 18, 2 (1849). Es wird 
dtrin der Plan einer französischen Weltherrschaft entwickelt, die sich auch auf Ostrom aus- 
ddinen soll. 

•) Hardegen, .Die Impcrialpolitik König Heinrichs II. von England*. (Heidelberger 
Abhandlungen zur mittl. und neuen Geschichte, Heft 12.) 1905. 



— 7 — 

Und daneben geht das gleichgerichtete Streben der Kirche 
nach der Herrschaft über die Erde, das das notwendige Korrelat 
zu der Verachtung des weltlichen Staats und zu dem Postulat 
des Gottesstaates war.^) Die Kämpfe der Kirche mit dem welt- 
lichen Staat, die daraus folgten, sind bekannt genug. 

Diese mannigfaltigen Versuche, die bekannte Welt unter einem 
einzigen Herrscher zu einen, gerade in einer Zeit, wo der Verkehr 
und überhaupt die ganze materielle Kultur auf die Bildung 
kleiner Staatswesen hinwiesen, wären unverständlich, wenn wir 
uns nicht in die staatliche Gedankenwelt des Mittelalters hinein- 
fühlen wollten, aus der diese Versuche ihren Ursprung und ihre 
immer neue Kraft nahmen. Ihren Ausdruck fanden diese Ideen 
in der publizistischen Literatur, in der theologische, philosophische, 
juristische, praktisch-politische und historische Elemente vereint sind. 

Der Ausgangspunkt war ein theologisch - philosophischer : 
Das Prinzip der Einheit erschien als das Prinzip des Weltganzen, 
verkörpert in dem einen Gott.*) Daraus folgerte man eine 
äußere Verbandseinheit der gesamten Menschheit, des corpus 
mysticum, das einer einheitlichen Regierung bedürfe. Nun sah 
das Mittelalter aber diese einheitliche Menschheit doch wieder 
gespalten in eine weltliche und eine geistliche Organisation. Ganz 
von selbst ergab sich daraus das Bedürfnis, beide wieder zu 
vereinen, und damit war der Kampf der höchsten weltlichen und 
der obersten geistlichen Macht über das »Wie« dieser Ver- 
einigung unvermeidlich. 

Die Ansprüche der weltlichen Macht auf die höchste 
Regierungsgewalt gründeten sich vor allem auf die Vorstellung, 
daß das Imperium Romanum nie enden könne, und daß daher 
die Kaiser des Mittelalters seine direkten Rechtsnachfolger seien.') 
Allerdings hat daraus die Mehrzahl der kaiserlichen Publizisten 
doch keine Herrschaft des Kaisers über die Kirche abgeleitet, 
sondern die beiden Gewalten als gleichberechtigt nebeneinander 
gestellt und die höhere Einheit in Gott gefunden. Nur Marsilius 
von Padua macht eine Ausnahme. Ausgehend von der Idee 

>) Vgl. vor allem v. Eicken, a. a. O. passim. 

«) Oierke, bes. S. 51 4 ff. 

s) Oierke, S. 542. Riezler, S. 156. 



— 8 — 

des Friedens, wie sie Augustin gelehrt und besonders Gr^;or VIL 
für die kirchlichen Anspräche verwertet hatte,^) verlangt er 
Säkularisation der IQrche eben um der »Pax« willen, die durch 
die falsche Auffassung der päpstiichen Gewalt zerstört wird.*) 

Dem g^enüber entwickelte sich in folgerichtiger Konsequenz 
der Gedanke einer päpstiichen Weltherrschaft Die ursprünglich 
auch von den Päpsten anerkannte strenge Scheidung zwischen 
Weltiichem und GeisUichem wird mit dem Wachsen der päpst- 
lichen Macht auch in der Theorie immer mehr verwischt Für 
Gregor VII. ist die päpstiiche Herrschaft ein universale regimen, 
alles weltiiche Regiment ist ihr schon wegen ihres höheren 
Wertes unterworfen.*) Die berühmte Zweischwerter-Theorie wurde 
zu dem Zwecke schon von Bernhard von Clairvaux so gedeutet, 
daß beide Schwerter Eigentum der Kirche seien, und das eine 
von ihr, das andere für sie geführt werde. Ebenso ist durch 
Innocenz III. das alte Bild von den zwei Lichtem, das zuerst 
Nikolaus I. allegorisch aufgefaßt hatte,*) durch streng natur- 
wissenschaftliche Auslegung — der Mond hat nur von der Sonne 
erborgtes Licht — in noch ungünstigerem Sinne gegen die weltiiche 
Macht verwertet worden. Und allen Einwendungen von kaiser- 
licher Seite, die sich auf die Bedeutung des Imperator Romanüs 
beriefen, begegnete Innozenz IV. mit der Behauptung, daß die 
heidnische Kaisergewalt nur auf Usurpation gegründet gewesen 
sei, Konstantin gar keine Schenkung — deren Zulässigkeit 
juristisch angefochten war — , sondern nur einen Verzicht aus- 
gesprochen habe, das christiiche Kaisertum somit ausschließlich 
auf päpsüicher Übertragung beruhe. 

Die ganze Theorie des päpstiichen Universalismus erscheint 
in abgeschlossener Form, ohne neue Zutaten, in der Bulle 
wUnam sanctam« Bonifaz' VIII.*) Allerdings folgt auf diesen 



1) Vgl. Bernheim, .Über einige politische Begriffe des Mittelalters im Lichte der 
Anschauungen Augustins"; in »Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft". N. F. I 
(1896/97), S. if. 

s) Riezler, S. I98ff. ; vgl. auch die Staatsschrift Ludwigs des Bayern gegen 
ohann XXII., Riezler, S. 26: Der Papst wird hier als ntyrannus« bekämpft. 

«) Hauck, bes. S. 25ff. ; v. Eicken, bes. S. 311 ff., 325 ff., wo der psychologische 
und logische Zusammenhang zwischen chrisüicher Askese und kirchlicher Weltherrschaft 
eingehend begründet wird. 

*) Hauck, S. 22; S. 36 ff. 

8) Hauck, S 46. 



— 9 — 

Höhepunkt alsbald der Niedergang mit dem Exil und der 
konziliaren Bewegung. Die große Kirchenspaltung des 16. Jahr- 
hunderts hat diese antipäpstliche Strömung zum Durchbruch ge- 
bracht und die kirchliche Universalherrschaft endgültig vernichtet 
Ebenso wie der Gegensatz gegen die päpstliche Welt- 
regierung bereits im Mittelalter beginnt, treten damals auch schon 
einige Schriften hervor, die gegen die weltliche Universal- 
monarchie gerichtet sind. Namentlich französische Gelehrte haben 
die Notwendigkeit der einheitlichen Regierung der Welt be- 
stritten;^) aber ihren Ausführungen haftet doch im ganzen noch 
so der mittelalterliche Geist an, daß wir sie nicht an die Spitze 
der neuen, sondern an den Schluß der alten Zeit setzen müssen. 
Ähnlichen Motiven verdankt die Wendung ihren Ursprung, die 
bei Baldus und ganz allgemein bei französischen Publizisten be- 
gegnet: »Der französische König ist in seinem Lande Kaiser.« 
Mit ihr soll nicht gerade die universale Gewalt des römischen 
Kaisers bestritten werden, aber die tatsächliche Unabhängigkeit 
der französischen Krone ihm gegenüber findet darin einen 
charakteristischen Ausdruck.') Auch das vereinzelte Vorkommen 
des Kaisertitels bei einigen mittelalterlichen Herrschern, wie den 
angelsächsischen Monarchen, bei Knut dem Großen, einigen 
spanischen Königen und am Beginn der Neuzeit bei Heinrich Vlll. 
von England, dürfte wenigstens zum Teil in denselben Gedanken- 
kreis gehören.^ Eine ganz andere Auffassung vom Staat lenkte 
die Fürsten, die das moderne europäische Staatensystem ge- 
schaffen haben. 



J) So zuerst Johann von Paris und andere zur Zeit Philipps IV.; vgl. Riezler 
S. 148 ff. und Oierke, S. 544, und auch S. 639 über die seit Bartolus schon ganz modernen 
Ansichten der Fach Juristen über die Verbände ohne superior. 

Über den allerdings schon ganz schemenhaften Charakter, den auch sonst die 
universalistischen Ideen am Ausgang des Mittelalters angenommen hatten, vgl. die Be- 
merkungen bei Oierke, »Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staats- 
theorien.« 2. A. Breslau 1902. S. 232. 

S) Jellinek, »Allgemeine Staatslehre". Beriin 1900. S. 402 f. Die Stelle aus 
Baldus S. 402 >) 

>) Hardegen, »Imperialpolitik König Heinrichs II. von England," Exkurs. Anderer- 
seits schdnt der Kaisertitel die Herrschaft über mehrere, vorher unabhängige Reiche, zu 
bezeichnen. 



I. 

Das europäische Gleichgewicht 
im Kampf gegen das Haus Habsburg< 



Einleitung. 

1. Wenn die politische Literatur des Mittelalters mehr von 
einer Idee, nämlich der der Einheit der Welt, ausgegangen war 
als von der Betrachtung der Wirklichkeit, so ist Machiavelli, der 
große »Restaurator der Staatswissenschaft«,^) gerade ausschließlich 
von der Betrachtung der politischen Realitäten aus zum Theoretiker 
des Staates geworden. 

Daher treten die Unterschiede zwischen dem Mittelalter und 
der modernen Zeit, insbesondere die neuen staatlichen Tendenzen, 
in seinen Schriften uns zuerst entgegen. Da aus diesen Tendenzen 
die Idee des europäischen Gleichgewichts geboren worden ist, 
seien Machiavellis Äußerungen über sie kurz angeführt. 

Für Machiavelli fallen alle theologischen, juristisch-historischen 
oder philosophischen Gründe fort, auf Grund derer noch von 
Dante eine weltliche Universal-Monarchie gefordert worden war.') 
Im Gegenteil, Machiavelli sieht für seine historischen Beispiele, 
aus denen er neben der Beobachtung der politischen Wirklichkeit 
seine Lehren gewonnen hat und mit denen er dann wieder diese 
Lehren in der Darstellung begründet, von dem Imperium Romanum 
des Mittelalters völlig ab. Im «Principe« wird es gar nicht, in 
den »Discorsi« wird es nur an einer Stelle erwähnt, und zwar 
als eine abgetane Sache.') Wenn Machiavelli sonst von Imperio 

1) Fester, «Machiavelli". Stuttgart 1900. S. 139. 
^ «De monarchia libri III«, her. von Witte, Wien 1874. 

^ Discorsi, 1. II, c. 19. Die Erwähnung von Dantes Monarchia (Disc. 1. 1, c. 53.) 
geschieht bezeichnenderweise bei einer psychologischen, nicht einer politischen Frage. 



— 11 — 

oder Imperatore Romano spricht, denkt er immer an das 
antike Reich. 

Was stellt Machiavelli nun an die Stelle des Gedankens 
von der Einheit der Welt unter einem Monarchen? Eine Herr- 
schaft der Kirche gewiß nicht! Die Kirche muß nach seiner 
Meinung als weltliche Macht mediatisiert werden; sie nützt nur, 
soweit sie dem Staat dienen kann.^) Machiavelli betrachtet den 
Staat dafür als das, was er seiner Natur nach ist, als politisch 
organisierte Macht Das Vorbild des rechten Staates ist ihm daher 
die römische Republik in der Zeit der Dezemvirn und Samniter- 
kriege*) Neben dieser Erkenntnis aber, die das Gefühl der 
Herrschenden seiner Zeit widerspiegelt, gibt es für Machiavelli 
noch eine andere, die allerdings nicht überall offen zutage tritt: 
Die Überzeugung davon, daß der beste Staat der Nationalstaat ist.^ 
Darum haßt er den Kirchenstaat, der die nationale Einheit Italiens 
hindert, nach der er mit leidenschaftlichem Patriotismus verlangt.*) 
Allerdings fehlt bei Machiavelli noch die Stellung oder gar die 
Lösung des Problems der Einordnung des absoluten Fürsten, 
dessen Herrschaft ihm neben der republikanischen Verfassung 
als die wünschenswerteste Staatsform erscheint, in die Nation; 
auch dies ist charakteristisch für seine Zeit, wo die Bestrebungen 
nach politischer Macht und nach nationaler Staatenbildung noch 
häufig miteinander im Kampfe lagen. 

2. Wir sagten oben, daß Machiavelli seine Lehre ebenso 
aus dem Studium der Vergangenheit, wie aus der Beobachtung 
der Gegenwart gewonnen habe. Bei dieser letzteren Tätigkeit 
hat er vor allem die Verhältnisse der italienischen Staaten geprüft.*) 
In der Tat boten sie ihm die günstigsten Objekte und lagen ihm 
natürlich auch am nächsten. Indessen finden wir bei ihm über 
eine merkwürdige Erscheinung des staatlichen Lebens Italiens 
keine Auskunft, die zur Zeit der Abfassung des »Principe« und der 
»Discorsi« allerdings im realen Leben schon nicht mehr bestand, 

») bes. Discorsi 1. I, c. 11-15. 
S) Fester: S. 140. 
s) Discorsi 1. I, c. 12. 
«) Fester: S. 143, 145. 

5) Man vgl. die Häufigkeit, mit der Florenz oder Venedig als Beispiele in den 
Discorsi" herangezogen werden. Wo außeritalienische Staaten oder Fürsten em^nt werden, 
geschieht es doch fast stets im Zusammenhang mit Schicksalen Italiens. 



— 12 — 

nicht lange vorher aber existiert hatte, zum Bewußtsein mehrerer 
Politiker gekommen war, und bei einem von ihnen zuerst liter- 
arischen Ausdruck gefunden hat. Es ist die Vorstellung von einem 
System und einem Gleichgewicht der italienischen Staaten, die als 
Analogie zu dem Qleichgewichtssystem der europäischen Staaten 
unser Interesse beansprucht Wir müssen dabei einige Be- 
merkungen über die tatsächlichen Zustände vorausschicken, denen 
diese Idee ihren Ursprung verdankt. 

In der Mitte des 15. Jahrhunderts etwa hatten sich in Italien 
neben kleinen Stadtrepubliken einige größere staatliche Gebilde 
konsolidiert, die den einen der charakteristischen Züge des 
machiavellischen Staate^ trugen: es waren Staaten, die sich ihres 
Charakters als unabhängiger politischer Mächte bewußt waren. 
Zugleich fehlte damals jeder fremde Einfluß auf Italien, der 
imperiale wie der päpstliche Universalismus hatten keine lebendige 
Kraft mehr. So bildete sich in diesem politischen Mikrokosmus, den 
man so dem europäischen Makrokosmus gegenüberstellen kann,^) ein 
Zustand aus, den der gelehrte Staatsmann Rucellai, der Schwager 
Lorenzos von Medici, in seinem Buche über den italienischen Zug 
Karls VIII. von Frankreich in der Einleitung geschildert hat*) Es 
habe damals, in der zweiten Hälfte des 1 S.Jahrhunderts, vier mächtige 
italienische Staaten gegeben. Einer von diesen, Venedig, habe »seit 
hundert Jahren« seine Macht ständig erweitert und die übrigen, 
Florenz, Mailand und Neapel, dadurch sämtlich bedroht Diese 
hätten deshalb mehrere Kriege gegen Venedig »pro communi 
übertäte" geführt. Schließlich sei durch das Verdienst zweier 
Fürsten, König Ferdinands von Neapel und Lorenzos von Medici ein 
endgültiger Friedenszustand erreicht worden. Diese beiden Fürsten, 
die klügsten in Italien, haben sich nämlich zum Schutze wiederum 
»der gemeinsamen Freiheit" — das heißt also gegen Venedig — 
verbündet und »nach ihren eigenen Worten" mit allen Kräften 
das Ziel verfolgt, daß die politischen Verhältnisse Italiens in einem 
Zustand der Ruhe und des Gleichgewichts erhalten blieben.') Jede 

1) Ähnlich drückt sich Charri^re aus: ■Ndgodations de la France dans le Levant«, 
1. I, p. XXXVIIl., zitiert bei Emest Nys: »La theorie de T^quilibre europ4enne« : Revue 
de droit international, vol. 25 (1893), S. 37. 

S) Bemardus Oricellarius : De hello Italico commentarius. 

^ ». . . ea assidue agitare, monere, niti, quibus res Italicae starent, ac (ut illorum 
verbis utar) examine aequo penderent Zr« S. 4 der von mir benutzten Ausgabe: London 1733. 



— 13 — 

Schwächung eines anderen italienischen Staates haben sie auch 
als Verringerung ihrer eigenen Macht betrachtet 

Ganz ähnlich ist, was Quicciardini einige Jahrzehnte später 
über dieselben Dinge ebenfalls in der Einleitung seines großen 
Werkes berichtet Er ist dabei zweifellos von seinem älterea 
Landsmann abhängig;^) bei der großen literar- historischen Be- 
deutung aber, die sein Werk besitzt, möchte ich doch einige Ab- 
weichungen seiner Darstellung von der Rucellais erwähnen. Einmal 
tritt bei ihm Lorenzo noch mehr in den Mittelpunkt der Gleich- 
gewichtspolitik,*) sein und Florenz' Interesse erscheint als deren. 
Begründung. Dies Interesse erfordert den Frieden, zu dessea 
Bewahrung er im Jahre 1 480 mit König Ferdinand und Lodovico- 
Sforza ein Bündnis mit der Spitze gegen Venedig schließt, da 
dieses seinen Sonderinteressen statt den allgemeinen Interessen 
Italiens folgt und das »Imperio di tutta Italia« gewinnen will. 

Bei beiden Schriftstellern begegnet uns also der Gedanke 
eines Systems nebeneinander bestehender, unabhängiger Staaten, 
deren gemeinsames Interesse eben die Erhaltung dieser Unab- 
hängigkeit ist Venedig erscheint als Stärkster und damit als 
Feind der Selbständigkeit der übrigen. Aber seine Absichten 
auf die Alleinherrschaft in dieser kleinen Staatenwelt gründen sich 
auf keine mittelalterlichen universalen Ansprüche, sondern auf das- 
natürliche Ausdehnungsbedürfnis des blühenden Staates.*) Gegen 
diesen Übermächtigen verbünden sich die Nächstmächtigen und 
suchen so einen Zustand des Gleichgewichts, das heißt des^ 
Friedens herbeizuführen. Die Gruppierung der Mächte ist 1 : 3,. 
ohne daß aber nun die 3 an Kräften der 1 gleichgesetzt würden,, 
sie sind vielmehr stärker. Rein mechanisch muß der Begriff des. 
Gleichgewichts hier also nicht aufgefaßt werden.*) 



^) Schon von Ranke gezeigt: »Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber. « 2. Aufl. 
S. 15 ff. u. S. 85. 

>) Darauf geht es wohl zurück, wenn bei Trajano Boccalini, „Pietra del Paragone 
Politico" (zuerst 1616 in Venedig, dann noch öfter gedruckt und fibersetzt), Lorenzo als 
der Halter der großen Wage erscheint, auf der alle Fürsten Europas gewogen werden. 

>) vgl. o. S. 5. 

^ Meinberg, («Das Qleichgewichtssystem Wilhelms III. und die englische Handels- 
politik,* Berlin 1869) konstruiert eine Konstellation von je 2 : 2 Staaten, unter denen ein 
fünfter (er rechnet den Kirchenstaat zu den vier anderen hinzu) das Oleichgewicht aufrecht, 
erhalten soll. Das entspricht weder den Tatsachen noch den Quellen. 



— 14 — 

Das italienische Staatensystem ist dann bekanntlich bald 
durch den Einfall Karls VIII. umgestürzt worden. Es fehlte ihm 
das zweite Element der modernen Staaten, das Machiavelli doch 
auch schon, wenn auch nicht in seiner ganzen Bedeutung, erkannt 
hatte, die nationale Basis seiner einzelnen Glieder. So waren sie 
alle zu schwach, den neuen nationalen Qroßstaaten zu wider- 
stehen. In seiner politischen Ohnmacht glich Italien einem leeren 
Raum, in den sich die angrenzenden Mächte begierig stürzten, 
um dort ihre Machtkämpfe auszufechten. Aus diesen aber ging 
ein System von Staaten hervor, das sich nach mancherlei Wand- 
lungen zu einem allgemein europäischen entwickeln sollte. Diese 
Wandlungen fanden ihren Ausdruck in der Idee des europäischen 
Gleichgewichts und seinen verschiedenen Formen. 



1. Kapitel. 

Als Machiavelli das Bild des modernen Staates zeichnete, 
gab es drei große europäische Staaten, die sich seit kurzem diesem 
Bilde überraschend genähert hatten, Spanien, Frankreich und 
England, die Schöpfungen der drei großen »Magier«, wie Bacon 
Ferdinand den Katholischen, Ludwig XI. und Heinrich VII. ge- 
nannt hat^) Zwei dieser Nationen aber, Frankreich und Spanien, 
waren zu einem Jahrhunderte währenden Kampf um die Vor- 
herrschaft in Europa bestimmt, während England fürs erste nur 
zeitweilig eine ähnlich bedeutende Stellung einnehmen sollte. In 
diesem Kampf, der sich durch die Friedensschlüsse von 1648 
und 1659 in zwei große Perioden scheiden läßt, taucht zuerst das 
Schlagwort vom europäischen Gleichgewicht in der politischen 
Literatur auf. Es soll hier nur in größter Kürze auf die historischen 
Tatsachen hingewiesen werden, die dazu geführt haben. 

1 . Es ist bekannt, daß durch den Gegensatz der spanischen 
und französischen Macht der Gedanke der Weltherrschaft neues 
Leben gewonnen hat, ja daß in seltsamer Fügung gerade der 
französische und dann in noch ganz anderem Maße der spanische 
Nationalstaat in den Dienst einer Idee gestellt worden sind, die 

1) Franc. Baconis de Verulamio »Historia regni Henrid VII, Angliae Regis." Aus- 
gabe Lug. Batavorum 1642, S. 402. 



— 15 — 

sie schon durch ihre Existenz zu negieren schienen.^) Franz I. 
hat lange Zeit, etwa bis zum Jahre 1536, eine offensive Politik 
verfolgt, mit sehr weitausgreifenden Plänen.*) Für Karl V. be- 
darf es keines näheren Hinweises auf den Umfang seiner Ab- 
sichten. Es kamen damals besonders zwei Ereignisse solchen 
Tendenzen entgegen, die Türkengefahr und die Reformation. 
Gegen beide schien eine Erneuerung der weltlichen Universal- 
monarchie im christlichen Abendlande die sicherste Rettung zu 
gewähren. Aber darin ist vielleicht ein bedeutsames Moment zu 
sehen, daß der Ausgangspunkt des Streites zwischen Franz I. und 
Karl V. ein rein politischer Interessengegensatz in Italien und 
Burgund gewesen war, und daß die großen allgemeinen Gesichts- 
punkte erst während des Kampfes recht lebendig wurden und 
nun selbst ins Zentrum der Politik traten. 

2. Hat man nun schon zu Karls V. Zeit selbst seine letzten 
Ziele deutlich gesehen, hat man schon den Gegensatz zwischen 
der Habsburgischen und der französischen Monarchie in seiner 
ganzen Bedeutung erkannt? Politische Streitschriften liegen mir 
nicht früher als aus den fünfziger Jahren des 16. Jahrhunderts 
vor, vom politischen Gleichgewicht vollends spricht die Publizistik 
erst zur Zeit der Kämpfe der Liga. Die Entwicklung der in ihr 
damals auftauchenden Ideen über den großen europäischen Gegen- 
satz können wir indessen an der Hand einer anderen Quelle ver- 
folgen, an den Finalrelationen der venetianischen Gesandten, die 
wir ergänzend neben der Publizistik für das 16. Jahrhundert 
heranziehen. 

Zum ersten Male spricht der Gesandte Contarini in seinem 
Bericht aus dem Jahre 1525 von dem Wiederaufleben des Ge- 
dankens einer christlichen Universalmonarchie mit dem Kaiser 
als Haupt, eines Gedankens, der lebhaft von der Partei des 
kaiserlichen Kanzlers Gattinara vertreten würde, und dem der 
Kaiser selbst sich zuzuwenden scheine.*) Aber der Venetianer 

1) Vgl. über Karl VIII. Ranke, »Geschichten germanischer und romanischer Völker.* 
2. A. 1874, S. 9, 63. - Ober die Macht der mittelalterlichen Universalidee überhaupt vgl. 
Baumgarten, »Geschichte Karls V.« Stuttgart 1885, I, 108 f. 

«) Vgl. für diese Zeitgrenze Moritz Ritter, »Deutsche Geschichte im Zeitalter der 
Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges.« I. Stuttgart 1889, S. 21. Dazu Ranke, 
.Französische Geschichte«, 3. A. 1877, I, 98 ff. 

») Gedruckt in der Sammlung von Alb^, 1. Ser., IV, 58. 



— 16 — 

sieht darin keine Gefahr für sein Vaterland, sondern meint, da& 
innerhalb eines solchen Weltreiches kleinere Einzelstaaten friedlich 
weiterbestehen könnten, ähnlich wie einst in dem Reich des 
großen Cyrus. Nicht minder kaiserfreundlich äußert sich Niccolö- 
Tiepolo 1532. Trotz der Besorgnisse, die andere Fürsten vor 
Karls V. Macht hegen, sieht er in diesem den wahren Schirmer 
von Ruhe und Frieden, in Franz I. dagegen einen ehrgeizigen 
Friedensstörer.^) Mit diesen Ansichten stimmt im allgemeinen 
Marino Qiustiniano überein, der 1535 aus Frankreich zurück- 
kehrte und viel von Franz' I. nie ruhenden Plänen gegen Mailand 
mitzuteilen wußte. Immerhin spricht er auch häufig von der 
großen Macht des Kaisers und dem natürlichen Interesse, das 
der französische König an deren Verringerung haben müsse.*) 

Auch der Krieg von 1536 — 38 führt keinen anderen Ton 
in den Berichten herbei — im Gegenteil: Francesco Giustiniano- 
urteilt, daß der französische König eher von jedem anderen 
Herrscher zu fürchten sei, als daß er selbst eines anderen Macht 
zu befürchten habe. Allerdings sei er sorgfältig darauf bedacht, 
daß sein Gegner nicht zu mächtig werde, und strebe danach,^ 
»sich an Kräften dem Kaiser gleich zu machen:«') ein inter- 
essantes Wort, das den Kern der Gedanken der späteren Flug- 
schriftenliteratur enthält. Es muß aber betont werden, daß nach 
Giustinianos Ansicht Franz I. allein imstande ist, sein Ziel zu 
erreichen, und daß von einem Interesse anderer Mächte an seinem 
Kampfe gegen den Kaiser keine Rede ist. Doch darf in 
diesem Zusammenhang eine Äußerung Franz' I. selbst erwähnt 
werden, die allerdings den zuletzt berührten Gedanken enthält. 
Sie findet sich in einem Briefe von ihm an die Fürsten des 
Schmalkaldener Bundes vom 23. Mai 1537 und lautet: kluge 
Männer hätten schon längst erkannt, »nullum aliud propugnaculum 
adversus immodestum illud immodicumque totius orbis imperium 
quam mutua nostra amicitia opponi posse".*) 

Ob dieser Gedanke des königlichen Schreibers schon da- 
mals in der politischen Literatur verwertet worden ist, kann ich 

1) Alberi I, I, bes. S. 69, 77, 82, 85 f., 88. 

«) Alberi I, I, 166 ff, passim. 

«) »farsi per forze eguale a esso imperatore«, Albiri I, I, 207. 

*) Zitiert bei Baumgarten, a. a. O. IIl, 321 ».) 



— 17 — 

leider bei dem Mangel an Material nicht sagen. Ob gar schon 
die Balanceidee irgendwo zu Lebzeiten Franz' I. aufgetaucht ist, 
ist mir. ebenso wenig möglich zu entscheiden; ich bin geneigt, 
die Frage zu verneinen, ehe nicht ein positiver Beweis sich er- 
bringen läßt^) 

Die Stimmung der venetianischen Gesandten gegenüber 
dem Kaiser und seinen Anhängern ändert sich seit dem Beginn 
des Schmalkaldischen Krieges. Wenn noch 1541 einer von ihnen 
die Herrschaft König Ferdinands über Böhmen und Ungarn für 
ein Glück auch für Venedig erklärt hatte, da sie allein imstande 
sei, der Türkengefahr einen Damm entgegenzusetzen, so legt 
gerade der ebenfalls von Ferdinands Hof zurückkehrende Lorenzo 
Contarini im Jahre 1547 in vorsichtiger Weise der Signorie die 
Vorteile eines Anschlusses an Frankreich dar. Er sieht Karls V. 
Ziel darin, in Deutschland ein ihm ergebenes starkes Fürstenbündnis 
zu bilden und sich nach Unterwerfung von Frankreich, Venedig, 
der Schweiz und des Papstes zum Alleinherrscher (monarca) zu 
machen. Sein Bericht ist entschieden antikäiserlich gefärbt und 
verrät ein starkes italienisches Nationalgefühl.^) 

Derselbe Lorenzo Contarini ist dann 1551 von einer Ge- 
sandtschaft aus Frankreich zurückgekommen, ganz erfüllt von 
dem französisch-kaiserlichen Gegensatz und der Voraussicht des 
kommenden Krieges. Wieder wägt er die Interessen seiner 
Vaterstadt bei dem bevorstehenden Kampfe ab, ohne sich recht 
selbst zu entscheiden. Unter der Bedingung, daß Venedig durch 
eine eigene starke Rüstung sich fähig mache, eine kräftige selb- 
ständige Politik zu verfolgen, scheint er ein Bündnis mit Frank- 
reich zu billigen.*) 

Damit sind -wir bis zu dem Augenblick gelangt, wo auch 
in der Literatur, soweit sie uns zur Verfügung stand, der Kampf 
gegen die habsburgischen Weltmachtspläne erwacht, um dann mit 



>) V. Heyking, »Zur Geschichte dei^Handelsbilanztheorie", Berliner Diss. 1880, be- 
hauptet zwar auf S. 31 bestimmt, die Idee des europäischen Oleichgewichts erscheine zuerst 
zur Zeit Karls V. und Franz' I. Seine Quellen aber (Kahle, Justi, Hertzberg) beweisen 
nichts. Auch Zeller: »La diplomatie fran^aise vers le milieu du XVI. sitele«, Paris 1881, 
spricht viel von Franz' I. Verdiensten um das Oleichgewicht, in den Berichten seines Helden 
Pellissier aber findet sich weder das Wort balance noch der Gedanke. 

«) Albtri, I, I, 371 ff., bes. 438—47. 

») Alb^ri, I, IV, bes. S. 100 ff. 

Kaeber, Das europäische Gleichgewicht. 2 



— 18 — 

dem jähen Sturz des kaiserlichen Glückes wieder für längere 
Zeit zu verstummen. Mir liegen drei im Jahre 1552 gedruckie 
Broschüren vor, von denen zwei schon im Jahre vorher ge- 
schrieben sind. 

Die erste ist das Manifest Moritz' von Sachsen und seiner 
Verbündeten.^) Sein Ton ist scharf und energisch, und schon 
der Titel deutet an, daß es im Einverständnis mit dem französischen 
Hofe verfaßt worden ist Es ist wohl anzunehmen, daß man 
sich bei den Verhandlungen zwischen Sachsen und Frankreich 
über das zu erlassende Manifest verständigt hat. Zwei Gedanken 
beherrschen es, deren erster in der späteren französischen 
Publizistik mit Vorliebe wieder aufgenommen wird, ja der auch bei 
einem Venetianer 1546 ausgesprochen wird:*) dem Kaiser wird 
der Vorwurf gemacht, daß ihn nicht religiöse Gründe in den 
Krieg gegen die Lutheraner getrieben haben, sondern daß es 
ihm darum zu tun sei, »daß er under dem schein der ge- 
spaltenen Religion seyn eigene Domination, nutz und Gewalt^ 
durchdringen und erlangen möchte.«') Es ist ganz deutlich, daß 
dieser Vorwurf gegen den Kaiser besonders im französischen 
Interesse erhoben wird. Denn wenn Karls Kampf wirklich ein 
Religionskrieg war, wie hätte da der allerchristlichste König 
Heinrich IL, der in seinem eigenen Lande die Ketzer auszurotten 
gedachte, den Kaiser bei der gleichen löblichen Betätigung seiner 
religiösen Pflichten hindern dürfen! Vor den Augen der Welt 
mußte also der Schein gewahrt werden; die Verbündeten mußten 
ihre Oberzeugung von dem rein politischen Charakter des kaiser- 
lichen Vorgehens gegen die Schmalkaldener beteuern. — In der 
Tat zieht sich ja dieser innere Widerspruch durch die französische 
Politik von Franz I. bis zu Richelieu: mehr oder minder 
energische Bekämpfung der Ketzer im Innern, Unterstützung der 
Glaubensverwandten derselben Ketzer im Ausland. Er spielt auch 
in der politischen Literatur noch lange eine bedeutsame Rolle, 



1) »Sendschrdben etlicher Churffirsten, Farsten und Stend, des Heiligen Römischen 
Reichs, darinn angezeygt sein, die Ursachen, derwegen sie, und andere Christliche Könige» 
Potentaten, Fürsten, Stett und Stende zu gegenwärtigem Feldzug und Kriegsrfistung ge- 
drungen worden.« s. I. 1552. 

s) Relation Bemardo Navageros 1546. Alb^ri I, I, S. 363. 
«) a. a. O. S. 2. 



— 19 — 

Der zweite Hauptgedanke des Manifestes ist die patriotische 
Verteidigung »der alten löblichen Libertät und Freyheit unsers 
geliebten Vatterlands der Teutschen Nation« gegen »das be- 
schwerlich Joch des vorgestellten viehischen Servituts und 
Dienstbarkeit«.^) 

Beide Gedanken werden verbunden in der Abwehr der »so 
lange gepracticierten Monarchie" Karls, »die dann nichts an- 
sehnlichs neben sich leiden kann«; unter »Monarchie« ist hier 
und ebenso in einer großen Zahl französischer und deutscher 
Schriften der nächsten Jahrzehnte offenbar wie bei Dante 
»Universalmonarchie« zu verstehen. Gegen diese richtet sich also 
der Kampf. Sie wird dem Publikum, vor allem also den deutschen 
Fürsten, als Schreckbild vorgeführt, im schärfsten Gegensatz zum 
Mittelalter, wo der universalistische Gedanke gerade in Deutschland 
noch im 14. Jahrhundert überall lebendig war.*) Jetzt wird die 
deutsche Freiheit der gleichmachenden Weltmonarchie gegenüber 
gestellt, während im späteren Mittelalter in Deutschland gerade 
die nationale Gesinnung mit dem Anspruch zusammenfällt, das 
herrschende Volk im Weltreich zu sein. 

Ein neues positives System des staatlichen Zusammenlebens 
an Stelle der bekämpften universalen Idee fehlt allerdings noch. 
Ein Ansatz dazu findet sich auch in den beiden anderen aus 
derselben Zeit stammenden Schriften nicht. Diese sind aus dem 
Französischen übersetzt, wie sich denn eine beträchtliche Zahl 
von Flugschriften aus der zweiten Hälfte d#s 16. Jahrhunderts 
finden, die aus dem Französischen ins Deutsche übertragen 
worden sind. Die beiden Schriften*) polemisieren wieder gegen 
die gefährlichen Pläne Karls V., betonen die Uneigennützigkeit 
des französischen Königs und die Bedeutung der deutschen 
Freiheit, dieser »festen Vorburg, nicht allein der Krone Franckreich, 
sondern der gantzen Christenheit«*) Heinrich II. ist der Retter 

1) a. a. O. S. 6. 

s) Vgl. Ficker, .Deutsches Königtum und Kaisertum," S. 121 f. 

>) Ihre Titel sind »LibertasScndschrifften der Königlichen Majestit zu Franckreich etc. 
an die Chur und Fürsten, Stende und Stet des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, 
darin sie sich ihrer itzigen Kriegsrfistung halben aufs kürzest erkleret.« s. I. 1552. 

„Rechtschaffene Verantwortung, wider diegantz unverschampten Lügen der Kayser- 
liehen, für den aller Christlichsten König, Herr Heinrich den Andern, König zu Frankreich.** 
s. 1. 1552. (Im Dez. 1551 geschrieben.) 

^ In der »Libertas* etc., s. Anm. 2. 

2* 



— 20 — 

dieser Freiheit, die durch eine kaiserliche Monarchie vernichtet 
worden wäre.*) — Es braucht wohl nicht darauf hingewiesen 
zu werden, daß der Ausdruck „ganze Christenheit" hier allein 
religiöse, nicht politische Bedeutung hat. Der Gedanke des ein- 
heitlich regierten christlichen Abendlandes wird ja eben abgewiesen. 

Noch in demselben 1551 ausgebrochenen spanisch- 
französischen Kriege, der, wie wir sahen, von französischer Seite 
mit der laut verkündeten Absicht begonnen worden war, keine 
neue Weltmonarchie zu dulden, haben venetianische Staatsmänner 
den Gedanken gefaßt, daß eine gute Staatskunst dritten Mächten 
die Aufgabe zuweise, zwischen den beiden größten Mächten 
Europas eine Art Gleichgewicht zu erhalten. 

Zum ersten Male finde ich ihn allerdings nicht von einem 
Venetianer selbst, sondern von der verwitweten Königin Maria 
von Ungarn, damals Statthalterin der Niederlande, ausgesprochen. 
Aus der Stelle selbst aber geht hervor, daß die Idee aus Venedig 
stammt. Die Königin schreibt nämlich an den kaiserlichen Ge- 
sandten in England, Renard, im Oktober 1553 über die Ziele 
der Politik der italienischen Staaten und besonders Venedigs, um 
ihm Direktiven für seine schon begonnenen Unterhandlungen 
mit dem venetianischen Gesandten in London, Giovanni Michele, 
zu geben.®) Sie ist der Ansicht, daß die Italiener begründete 
Ursache hätten, sich gegen Frankreich zu erklären, aber, so fährt 
sie fort, „Ihr kennt die Befürchtungen, die sie vor der Größe des 
einen wie des andern dieser zwei Fürsten (Karls V. und Franz' I.) 
hegen, und ihre Sorge, deren Macht zu balancieren."^) Trotzdem 
rät die Königin dem Gesandten, seine Bemühungen bei dem 
persönlich kaiserlich gesinnten Michele fortzusetzen, da eine ge- 
. wisse Wirkung auf Venedig ja immerhin dadurch möglich sei. 

1) In einer Flugschrift des 17. Jahrhunderts, »Le catholique d'estat" von du Ferrier 
(gedruckt bei Hay du Chastelet, «Recueil de diverses pi^ces pour servir k Thistoire« s. 1. 1635) 
wird eine stelle aus einer mir sonst nicht bekannten Broschüre von 1552 mitgeteilt, die den 
Titel führt: T Apologie de la France contre Charles le Quint.« Karl V. wird redend ein- 
geführt und sagt: mit Hilfe der Kirche will ich den König von Frankreich niederwerfen, 
»lequel seul me peut faire teste, et obvier k la fin de mes entreprises, qui sont de devenir 
Monarque, et finalement establir la grandeur de ma Maison, et perpetuer ainsi ce grand 
Empire, que j'auray curieusement gagn6, et le laisser herdditaire ä ma postdrit^." Nach Er- 
reichung dieses Ziels will Karl V. sogar den Kirchenstaat vernichten, a. a. O. S. 108. Der 
rein politische Charakter von Karls Weltpolitik, den bie Franzosen behaupteten, wird hier 
mit besonderer Schärfe betont. 

«) Gedruckt bei Weiß, «Papiers d'^tat du cardinal de Oranvelle.- t. IV. Paris 1843. 
S. 120 ff. Der Brief ist datiert von Brüssel, d. 8. 10. 1553. 

8) a. a. O. S. 121. 



— 21 — 

Im Jahre 15S4 spricht dann ein Venetianer selbst, der Ge- 
sandte Giovanni Cappello, über die Bündnisanträge, die Heinrich 11. 
Venedig mehrfach gemacht hat, ohne daß die Republik auf sie 
hätte eingehen wollen. Der König sei überzeugt, dieser Entschluß 
beruhe auf der Furcht Venedigs, Spanien möchte bei dem 
etwaigen Tode Karls V. Frankreich unterlegen sein; Venedig aber 
strebe dahin, die Dinge im Gleichgewicht zu erhalten.^) 

Ausführlicher entwickelt Giovanni Soranzo 1558 diese 
Politik bei derselben Gelegenheit der Zurückweisung eines 
französischen Bündnisses: man meine, daß die zu große Macht 
Spaniens wie Frankreichs Venedig argwöhnisch mache, und 
danach beurteile man das Verhalten der Republik während der 
letzten Kämpfe in Italien. Und der Herzog von Guise habe das 
auch ihm, Soranzo, gegenüber ausgesprochen. Er habe nämlich 
auf die Versicherungen von Venedigs tiefer Betrübnis über die 
französischen Verluste geantwortet, er sei immer von Venedigs 
Neigung für Frankreich überzeugt gewesen, aber er habe auch 
bemerkt, daß Venedig danach strebe, »daß die Wage sich nicht 
auf die eine Seite neige." ^) Soranzo fügt hinzu, daß diese Politik 
von klugen Männern gelobt, ja bewundert werde. Denn bei den 
schweren Erschütterungen der Christenheit fänden die Bedrängten 
jeglicher Nation nirgends Schutz, als bei der Republik Venedig: 
daher wünschten besonders alle Italiener deren Unabhängigkeit 
und freuten sich über ihre Rüstungen. 

Darin, daß Venedig während des Krieges von 1551— -59 
zwischen Frankreich und Spanien eine regulierende Stellung ein- 
genommen hat, und daß augenscheinlich über diese prinzipielle 
Stellungnahme mehrfach debattiert worden ist, darf man wohl 
den Ursprung der bewußten Bestrebungen für ein Gleichgewicht 
der Mächte sehen. Zwar steht das Interesse Italiens bei dieser 
Politik noch im Vordergrunde, aber das Interesse auch der 



>) AlbM, I, II, S. 287: Heinrich II. »ha opinione che questa repubblica non ha 
voluto entrare in lega con lui, affinch^, se morisse rimperatore, restando 11 re di Spagna 
inferiore di forze, la serenitä vostra si voglia accostare ad esso per tener le cose in 
eguale stato.« 

S) Alb^ I, II, bes. S. 462 ff. die zitierte Stelle S. 464 »sua eccellenza mi rispose 
che lo credeva di certo, avendo sempre conosduto l'affezione che porteva la serenitä vostra 
a quella Corona, ma che conosceva anco, che lei faceva che la bilanda non pendesse da 
alcuna parte." 



— 22 — 

anderen Staaten wird doch wenigstens von Soranzo schon her- 
vorgehoben. Die Idee ist da; bei dem nächsten großen Vorstoß 
der spanischen Weltmacht wird sie zum ersten Male nicht nur 
in der praktischen Politik, sondern auch als Kampfmittel in der 
Literatur erscheinen. 



2. Kapitel. 

1. Der Ursprung des Gedankens des politischen Gleich- 
gewichts beruhte auf dem Gegensatz der zwei mächtigsten Staaten 
Europas; er hatte Gestalt genommen erst nach langem Kampfe 
der beiden Gegner. Nach dem Frieden von Chateau Cambr&is 
begegnet er fürs erste auch in den venetianischen Relationen 
nicht mehr. Das Hauptinteresse nehmen die religiösen Gegen- 
sätze in Anspruch, wenn auch eine latente politische Feindschaft 
zwischen Frankreich und Spanien von den Venetianem mehrfach 
betont wird.^) Erst mit der wachsenden Gefahr einer Einmischung 
Philipps II. in die französischen Unruhen, die Frankreich politisch 
von Spanien abhängig machen und das Fundament für die von 
Philipp in den letzten Jahren seiner Regierung geplante katho- 
lische Universalmonarchie abgeben sollte,*) erscheinen die ersten 
bedeutenden Flugschriften, die energisch die modernen politischen 
Ideen den mittelalterlichen gegenüberstellen. 

In einer sechsbändigen Sammlung von allerlei interessanten 
Schriften aus der Zeit der Liga findet sich auch ein #/ Discours au 
Roy Henry III., sur les moyens de diminuer TEspagnol, du 
24 Avril 1S84".') Gleich im Beginn verkündet der Verfasser, 
ein lebhaft national denkender Franzose, seine Ansichten über 
auswärtige Politik. Sie sind erfüllt von staatsmännischem Realis- 
mus und zeigen doch zugleich Sinn für eine allgemeine Be- 
trachtung der politischen Verhältnisse: »Alle Staaten werden für 
stark oder schwach gehalten im Vergleich zu der Stärke oder 
Schwäche ihrer Nachbarn; deshalb suchen weise Fürsten gegen 
ihre Nachbarstaaten ein Gegengewicht zu bilden, soweit sie dazu 



1) Vgl. Michele Soriano 1562, Alb. I, IV, S. 147. Aloise Contarini 1572, Alb. I, IV, 
S. 260, 262, 266. Sigismondo Cavalli 1574, Alb. I, IV, S. 337; ders. 1584, Alb. I, IV, S. 442. 
«) Vgl. Ranke, W. W. 24, S. 236. 
s) »M^moires de la Ligne,* Nenausgabe, Amsterdam 1758, I, 598 ff. 



— 23 — 

imstande sind; solange es ihnen gelingt, können sie in Frieden 
leben; gerät das Verhältnis der Gegengewichte ins Wanken, so 
haben Friede und Freundschaft ein Ende, denn diese beruhen 
zwischen Fürsten nur auf gegenseitiger Furcht und Achtung.« 

Nur mit anderen Worten wird hier also inhaltlich ziemlich 
dasselbe gesagt, was oben in der Einleitung im Anschlüsse an 
Ratzel ausgeführt worden ist. Es ist die Grundlage, auf der sich 
eine den jeweiligen staatlichen Verhältnissen angepaßte Gleich- 
gewichtspolitik entwickeln kann. In der Tat wendet der Verfasser 
des »Discours" seine allgemeinen Prinzipien sofort auf die Gegen- 
wart an: »Die Häuser Frankreich und Österreich sind heute 
wegen ihrer Größe die, von deren Friedens- oder Kriegszustand 
Frieden oder Krieg in der ganzen Christenheit abhängen: für 
ihre — der Christenheit — Ruhe liegt also viel daran, sie so- 
weit möglich zwischen zwei Eisen zu halten. Besonders aber 
muß Frankreich, das zuerst Gefahr und Schaden fühlen würde, 
an seine Angelegenheiten denken, zumal es in der letzten Zeit 
sehr geschwächt worden ist, Österreich aber seine Macht sehr 
verstärkt hat: so daß die Wage zweifellos auf der einen Seite zu 
schwer belastet ist, und es für den, der Frankreich nicht schließ- 
lich ganz überboten sehen will, Zeit wird, ein wenig auf die 
andere Seite zu drücken.«*) Dieser Einsicht muß die Politik 
entsprechen, die Forderung der Idee muß in praktische Wirklich- 
keit umgesetzt werden. So traurig dem Schreiber auch die Lage 
seines Vaterlands erscheint, so sehr das bis zum Frieden von 
Chateau Cambr&is bewahrte Gleichgewicht zwischen Frankreich 
und Habsburg gestört, so tief Frankreich von Bürgerkriegen zer- 
rüttet ist, der Kampf muß aufgenommen werden. Und der 
Kampf ist auch nicht hoffnungslos. Gerade das Wachsen der 
spanischen Macht hat alle Fürsten mit Furcht erfüllt; sobald das 
Lilienbanner sich entfaltet, werden alle bereit sein, unter ihm zu 
kämpfen gegen »die unverhältnismäßige Größe und den zügel- 
losen Ehrgeiz des Hauses Österreich«. 

Für den Kampf werden mehrere Maßregeln empfohlen, be- 
vor es Frankreich zu einem offenen Kriege kommen lassen darf. 



1) »tdlement que la balance est sans doute trop chargfe d'un cöt6, et s'en va temps 
de peser nn peu sur Tautre qui ne veut que notre Franoe en soit enfin empörte. * 



— 24 — 

In erster Linie soll es eine mächtige antispanische Liga um sich 
scharen. Mehr wie ein Staat kommt dafür in Betracht. Vor 
allen anderen erwartet Königin Elisabeth von England nur die 
Aufforderung zu einer Allianz, die natürlich nur von Frankreich, dem 
mächtigeren Staate, dem die Initiative gebührt, ausgehen kann. Die 
ewigen Attentate gegen ihre Person und ihren Staat, die jüngste 
scharfe Spannung, die durch die Ausweisung des Gesandten Mendoza 
in ihre Beziehungen zur spanischen Krone gekommen ist, lassen 
der Königin gar keine andere Wahl. In Deutschland kann man 
an die Partei des Erzbischofs Gebhard Truchseß von Köln an- 
knüpfen. Dänemark muß zum Anschluß gebracht werden. Und 
zu diesen Mächten kommen dann die alten Freunde.*) Neben 
den Allianzbestrebungen muß man alle die Elemente unterstützen, 
die sich im Herrschaftsbereich der habsburgischen Macht selbst 
gegen diese erhoben haben. Die Kölner Frage wird dabei wieder 
herangezogen und der Gedanke ausgesprochen, daß nach der 
Restitution des vertriebenen Erzbischofs vielleicht später einmal 
die deutsche Kaiserkrone an Frankreich kommen könnte! Natür- 
lich werden auch die Niederländer nicht vergessen, eine kräftigere 
Unterstützung für sie wird angeraten, aber zugleich die nicht 
sehr uneigennützige Aussicht daran geknüpft, durch solche Hilfe 
die reichen Länder dermaleinst für Frankreich zu erwerben. 

Schließlich könne man Spanien noch auf eine dritte Weise 
Abbruch tun, wenn man mit Hilfe der guten Beziehungen zu 
den Türken den Versuch machen wolle, den ostindischen Handel 
wieder durch das Mittelmeer zu lenken und in Marseille zu 
konzentrieren. Dadurch würde der Nutzen der Erwerbung 
Portugals für Spanien illusorisch gemacht werden. 

Fassen wir Inhalt und Bedeutung des » Discours« zu- 
sammen, so werden wir umgekehrt wie sein Verfasser von den 
praktischen Zielen ausgehen. Diese bestehen charakteristischer- 
weise nicht allein in der Zurückdrängung der habsburgischen 
Übergriffe, sondern sie gehen weiter und zielen auf eine Ver- 
größerung der französischen Macht Ein französischer König, 
gestützt auf ein im Innern geeintes Reich, im Besitz der Nieder- 



1) Die Schweiz und Venedig sind vermutlich gemeint. 



— 25 — 

lande und womöglich der deutschen Kaiserkrone, an der Spitze 
eines fast ganz West- und Mitteleuropa umfassenden antihabs- 
burgischen Bundes ist das Ideal der Zukunft — mit anderen Worten, 
Frankreich soll selbst die erste Stelle in Europa einnehmen! Das 
ist die glänzende Aussicht, mit der die französischen Katholiken 
von ihren spanischen Sympathien abgezogen werden sollen. 

Denn um das hohe Ziel der französischen Politik zu er- 
reichen, ist auf Grund der vorangeschickten allgemeinen Aus- 
einandersetzungen ein Bündnis auch mit den protestantischen Staaten 
unvermeidlich. Allerdings zieht der Verfasser diese Schlüsse nicht 
selbst, er vermeidet es, auf die religiösen Fragen einzugehen, 
aber sicherlich hat ihm bei der Widmung an den gut katholischen 
König die Absicht im Sinn gelegen, diesen aus den Prämissen 
die notwendigen Folgerungen selbst ziehen zu lassen. Durch 
das Eingehen auf die religiöse Frage mit eigenen Worten hat 
der Verfasser offenbar die Geschlossenheit der politischen Beweis- 
führung nicht stören wollen. 

Erscheint so die Forderung eines politischen Gleichgewichts 
der beiden führenden europäischen Staaten als eine literarische 
Streitwaffe im Kampfe der feindlichen Parteien im Innern Frank- 
reichs, so ist doch auch deutlich die Anwendung auf die aus- 
wärtigen Mächte gegeben. Für ihre eigene Sicherheit müssen diese 
Frankreich unterstützen und das Gleichgewicht bewahren. Die 
Notwendigkeit, die Balance aufrecht zu erhalten, erscheint fortan 
als Werbemittel der französischen Politik bei den fremden Höfen. 

Nicht viel später als der » Discours au Roy Henry III" ist 
in Deutschland eine kleine Schrift erschienen, die großes Auf- 
sehen gemacht haben muß. Nach dem Vorwort wäre das mir 
nicht bekannte Original von einem vornehmen Adligen in latei- 
nischer Sprache abgefaßt worden. Deutsch ist die Flugschrift 
zuerst im Jahre 1585 erschienen,^) dann 1587 etwas umgearbeitet 
mit besonderer Rücksicht auf die Verhältnisse der Schweiz, 1599 



1) »Ein sehr Notwendige, Trewhcrzige und wolgemdnte Warnung und Vcrmah- 
nungsschrift ahn alle Chur und Fürsten, Stcnde und Stette des Heiligen Reichs Teutscher 
Nation : auch alle anderen Christlichen Potentaten : Umb den gemeinen Nutz, Freyheit und 
Wolfahrt der gantzen Christenheit zu erhalten« s. 1. 1585. - Ich zitiere nach der pagi- 
nierten Ausgabe von 1619. 



— 26 — 

unverändert, 1619 nur mit neuem Titel. Andere Ausgaben 
mögen sich wohl in manchen Bibliotheken noch nachweisen 
lassen. 

Auch dieser deutsche Edelmann geht nicht vom Besonderen, 
sondern vom Allgemeinen aus. Er weist darauf hin, daß das 
ehrgeizige Umsichgreifen einer Macht alle anderen in Mitleiden- 
schaft ziehe, daß sich daher alle gegen sie vereinen und ihr einen 
festen Damm entgegensetzen müßten, wie man es sonst gegen 
die zerstörende Gewalt der Meeresfluten tut. Zur näheren Be- 
gründung folgen einige historische Beispiele aus der alten und 
neuen Geschichte; dabei wird mit charakteristischen Worten 
Venedigs Politik in der jüngsten Vergangenheit besprochen: »Die 
Venediger haben bey unserm gedenken und zuvor von viel Jahren 
hero ... ihr bedenken dermaße gehabt, . .. Wo etwan Fürsten 
oder Herren ihre Benachbarte mit gewalt angriffen, und aus trieb 
ihres unzimlichen, gewaltgierigen gemüths undertrucken wollen, 
daß sie allwegen dem schwächern theil, ihr hülff und rettung 
geschickt haben, damit also der Italiänischen Fürsten macht und 
Sterke im zäum gehalten und in der Wag entschieden werde, 
niemand understehen, noch verhoffen könnte, der Venediger 
Herrschaft mit gewalt zu undertrucken.« Dadurch hat sich 
Venedig »über tausend und viel Jahr« erhalten. Dieselbe kluge 
Politik hat Lorenzo von Medici «nach allen Historikern« inne 
gehalten — wobei dann freilich dem Verfasser einige historische 
Versehen unterlaufen,^) die aber für uns irrelevant sind. 

Den angeführten Beispielen müssen alle Völker folgen; 
lassen sie aber die Macht irgend eines Staates zu sehr an- 
wachsen, so sind sie »als Verrähter des gemeinen Vatterlands 
schwerlich anzuklagen.« Auf die augenblickliche politische Lage 
angewendet, folgt aus den allgemeinen Grundsätzen, daß die 
Fortschritte der Spanier eine »gemeine Gefahr für die gantze 
Christenheit« sind. Die Untätigkeit so vieler Völker gegenüber 
dem Heldenkampf der Niederländer ist daher zu tadeln, denn der 
Krieg Spaniens gegen die Aufständischen ist nur die Einleitung für 
die Unterwerfung auch Frankreichs, Englands und Deutschlands. 



1) So wird Lorenzo als Schüler der Venetianer hingestellt (S. 10), Venedigs Be- 
deutung als selbständiger Staat viel zu hoch zurückdatiert 



— 27 — 

Das letzte Ziel Spaniens ist ja »ein newe Monarchiam äuff und 
anzurichten«, während der Eifer für die katholische Religion nur 
ein Vorwand ist Besonders groß ist die Gefahr einer habs- 
burgischen Weltherrschaft für Deutschland. Mit der deutschen 
Freiheit und Wohlfahrt wird es dann vorbei sein, ja auch der 
deutsche Handel wird vernichtet sein, wenn Habsburg nach Be- 
zwingung der Niederlande und der Besetzung eines Emshafens 
die wichtigsten deutschen Ströme, Rhein, Ems und Donau, beherrscht. 

Wir haben diese »Sehr notwendige Warnung" des deutschen 
Edelmanns eingehender besprochen, weil in ihr die Idee der 
politischen Wage in einem Sinne gebraucht wird, wie er sonst 
in dieser Zeit und im ganzen 17. Jahrhundert selten begegnet. 
In der deutschen Flugschrift fehlt die Gegenüberstellung von zwei 
großen Staaten, denen sich alle übrigen politisch angliedern. 
An ihre Stelle tritt die Vorstellung, daß unter einer Zahl mit- 
einander in näherer Berührung stehender Staaten nie einer so 
mächtig werden darf, daß er allen anderen zusammengenommen 
überlegen ist. Die Forderung des Gleichgewichts erscheint 
bildlich etwa so dargestellt, daß in der einen Schale der Wage 
die nach Universalherrschaft strebende Macht, in der andern die 
übrigen Mächte gewogen werden, und die Politiker dafür zu 
sorgen haben, daß die erste Schale nicht zu schwer wird. Darin 
beruht das gemeinsame Interesse aller Schwächeren, dadurch be- 
wahren sie sich das kostbare Gut der politischen Freiheit, das 
zu erhalten geradezu Pflicht ist, auch wenn die Gefahr zunächst 
einen andern bedroht. Dies Band des gemeinsamen Interesses 
aller an der Freiheit aller ist es, das die Staaten West- und Mittel- 
europas zusammenhält, was sie unter dem gemeinsamen Namen 
der Christenheit auch politisch als eine Einheit zu fassen erlaubt. 

Wir können diese Vernachlässigung der besonderen Stellung 
Frankreichs bei dem deutschen Politiker wohl verstehen. Er sah 
gerade damals Frankreich in den mehr als zwei Jahrzehnte schon 
währenden inneren Hader verstrickt. Deutschland war trotz seiner 
territorialen Zersplitterung und der konfessionellen Gegensätze noch 
ein reiches Land, im Besitze einer fast alle Stände durchdringenden 
Kultur^) — von seinem Standpunkt aus konnte dem Deutschen 

1) Vgl. die Bemerkung Rankes: Franz. Gesch. II, 128. 



— 28 — 

Frankreichs Lage der der übrigen Staaten ziemlich gleich er- 
scheinen. Anders lagen die Dinge für den französischen Ver- 
fasser des w Discours«. Ihm mußte das Bild Franz' I. und 
Heinrichs II. und die Bedeutung der französischen Macht zu 
ihrer Zeit vor Augen stehen ; Frankreich sollte wieder zu gleichem 
Glänze emporgehoben werden. Danach gruppierte sich ihm das 
europäische Staatensystem um den Gegensatz zwischen Spanien 
und Frankreich. Deren Gleichgewicht war nach seiner Ansicht 
die Basis des friedlichen Zusammenlebens der europäischen 
Staaten, war das gemeinsame Interesse der Christenheit. 

Ungefähr aus derselben Epoche, in der die soeben be- 
sprochenen Schriften geschrieben sind, dürfte eine dritte Auf- 
fassung des europäischen Gleichgewichts stammen, die uns in 
einem in Camdens Geschichte der Königin Elisabeth enthaltenen 
Passus einer mir sonst leider nicht bekannten Schrift entgegen- 
tritt.*) Der englische Historiker erzählt zum Jahre 1577 von 
Verhandlungen der Königin mit dem Statthalter der Niederlande, 
Don Juan D'Austria. Dieser beklagt sich über den Beistand, den 
sie den Aufständischen geleistet hat, die Königin aber bleibt bei 
der von ihr als richtig erkannten Politik und weist die Be- 
schwerden höflich zurück. Camden fügt, ihre Festigkeit rühmend, 
hinzu: »So saß sie da als eine heroische Fürstin und als Schieds- 
richter zwischen Spaniern, Franzosen und Niederländern, sodaß 
sie wohl das Wort ihres Vaters hätte brauchen können: cui 
adhaereo, praeest . . . Und wahr ist, was jemand geschrieben 
hat, daß Frankreich und Spanien gewisser Maßen die Schalen in 
der Wage Europas sind, und England das Zünglein oder der 
Halter der Wage."«) 

Es ist deutlich, daß die zitierten Worte dieses »jemand« nicht 
im Jahre 1577 geschrieben zu sein brauchen. Camden hat sie 
in der von ihm benutzten Literatur, vermutlich in einer Flugschrift, 
gefunden und nun bei einer Gelegenheit untergebracht, wo ihm 



1) William Camden, "The Hislory of thc most Rcnowned and Victorious Princess 
Elizabeth, late Queen of England." 3. A. London 1675. S. 223. 

S) Die wichtigsten Worte lauten: "And true it is vhich one hath vritten, that 
France and Spain are as it were the Scales in the Balance of Europe, and England the 
Tongue or the Holder of the Balance." 



— 29 — 

seine Heldin — übrigens wohl kaum mit Recht — eine be- 
sonders glänzende Schiedsrichterrolle zu spielen schien. Viel 
wahrscheinlicher ist, daß die Flugschrift in die neunziger Jahre 
des 16. Jahrhunderts gehört, und daß sie gelegentlich der 
kräftigen Unterstützung Heinrichs IV. durch Elisabeth entstanden 
ist Das war ganz der rechte Augenblick dazu, England als die 
ausschlaggebende Macht zwischen Spanien und Frankreich zu 
bezeichnen, während man vor der Niederlage der spanischen 
Armada kaum Elisabeth eine so stolze Stellung hätte anweisen 
können. 

Mit dieser Einordnung in die politischen Verhältnisse ist 
im Grunde auch schon die Bedeutung der Stelle gegeben. In 
den Jahren, in denen Elisabeth ihre bisherige vorsichtige Politik 
verließ und offen Spanien entgegentrat, hat ein Engländer im 
Vollgefühl der neu errungenen Weltstellung den Gedanken gefaßt, 
daß das europäische Staatensystem auf dem richtigen Verhältnis 
von drei Mächten, Frankreich, Spanien und England beruhe. 
England hätte dabei, seiner insularen Lage entsprechend, 
regulierend in die Machtverhältnisse der beiden großen 
Kontinentalmächte einzugreifen, die Wage im Gleichgewicht zu 
erhalten, ähnlich wie früher Venedig. Aber diese Form des 
europäischen Gleichgewichts ist ebensowenig, wie die der oben 
angeführten deutschen Flugschrift diejenige, die sich für die 
nächste Zeit in der politischen Auffassung durchgesetzt hat; wir 
werden ihr häufiger erst in der Periode des Obergewichts 
Ludwigs XIV. wieder begegnen. 

2. Wie in der Politik der spanisch -französische Gegensatz 
mit der Thronbesteigung Heinrichs IV. ebensowenig wie mit dem 
Frieden von Vervins und dem Tode Philipps IL nachläßt, so ist 
auch die politische Literatur noch lange von ihm beherrscht 
Allein in zahlreichen Flugschriften aus der Zeit Heinrichs IV. 
habe ich wohl mehrfache Angriffe gegen den spanischen Univer- 
salismus gefunden, so in einer Broschüre des bekannten Huge- 
nottenführers du Plessis-Mornay, ^) oder in dem leidenschaftlichen 



1) In den M^moires de U ligne II, 106 ff. 



— 30 — 

Pamphlet irL'Anti-Espagnol«,*) aber das Gleichgewichtsprinzip 
wird in ihnen nicht angerufen. Ja halbmittelalterliche Ideen be- 
gegnen uns, wie die Schwärmerei für einen Kreuzzug als bestes 
Mittel, den Frieden der Christenheit zu wahren!*) Oberhaupt 
waren damals und auch später noch Kreuzzugsgedanken ein sehr 
beliebtes Thema für politisierende Schriftsteller.*) 

In einem gewissen Zusammenhang mit den Gleichgewichts- 
ideen steht allerdings der sogenannte »große Plan« Heinrichs IV» 
in den Memoiren Sullys. Indessen hat es für uns keinen Zweck, 
näher darauf einzugehen, da Kükelhaus die allmähliche Ent- 
stehung dieser berühmten Chimäre literar-historisch völlig auf- 
gedeckt hat.*) Einen eigentlich politischen Zweck hat die Idee 
bei Sully nicht, und mit Heinrichs IV. Plänen hat die Sache 
nichts gemeinsam als ihre Richtung gegen Habsburg. 

Von Interesse sind erst wieder Schriften, die seit dem 
zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts erscheinen. Der sich 
ankündigende große deutsche Krieg, vor allem dann das Prager 
Bündnis, das die beiden habsburgischen Kronen aufs neue, dies- 
mal unter österreichischer Leitung, vereinte, endlich der Dreißig- 
jährige Krieg selbst geben den immer mächtiger werdenden 
Impuls für antihabsburgische Streitschriften. 

Schon im Jahre 1615 erschien in Berlin die deutsche Ober- 
setzung*) der mir nicht im Original bekannten Schrift eines 
Franzosen, deren unmittelbare Veranlassung das Einrückea 
spanischer Truppen in die jülich-bergischen Länder, vor allem, 
die Besetzung der Festung Wesel bildete.*) Es wäre interessant 
zu erfahren, ob an der Abfassung dieser Schrift die branden- 
burgische Regierung beteiligt gewesen ist; es ist bekannt, daR 
Kurfürst Johann Sigismund schon mit Heinrich IV. in engea 

1) M6m. de la ligue IV, 211 ff. Eine charakteristische Stelle lautet »la religion de 
l'Espagnol consiste k. s*agrandir, son z^Ie k Commander ä ses voisins, son ardeur ä devenir 
Monarque«. 

s) »Discours sur la Palx", in »M^m. de la ligue VI, 61 7 ff. 

*) Näheres hei Theod. Kfikelhaus, »Der Ursprung des Planes vom ewigen Friedea 
in den Memoiren des Herzogs von Sully." Berlin 1893. 

*) s. Anm. 3. 

s) »Politischer Discurß, Ob sich Franckreich der Protestierenden Chur und Fürsten 
wieder Spannien annehmen, oder neutral erzeigen, und mit diesem Hause befreunden solle. 
Aus dem Frantzösischen ins Deutsche gebracht." Berlin 1615. 

«) Auf S. 9 der Schrift wird davon gesprochen. Vgl. Moritz Ritter, Deutsche 
Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation II, 408. Wesel fiel am 5. September 1614. 



— 31 — 

Beziehungen stand. Besonders auffallend ist der Druck der 
deutschen Obersetzung in Berlin und die Angabe des Druckorts,, 
die damals im allgemeinen zu unterbleiben pflegt. 

Die Schrift wendet sich an die Franzosen und sucht sie 
zu einer Allianz mit den protestantischen deutschen Standen 
zu bewegen. Infolgedessen bekämpft ihr Verfasser kräftig die 
Vermengung von religiösen und politischen Fragen. Da nun 
als politische Grundregel für alle Fürsten aufgestellt wird, ndaß» 
sie nimmermehr einen andern lassen so groß werden, daß er 
sie nachmale alle leichtlichen unterdrücken könne", so folgt für 
Frankreich, daß es die deutschen Protestanten unterstützen muß. 
Von den andern europäischen Staaten wird nicht gesprochen,. 
Frankreich erscheint als der natürliche Antipode Habsburgs. Die 
Regel, »daß ein theil dem andern wegen der gemeinen Sicherheit 
die Wage hält«, leidet keine Ausnahme durch religiöse Bedenken. 
Da zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts außer den eigenen 
Mitteln auch Allianzen nötig sind, so muß man diese auch mit 
Ketzern schließen, wenn das vorteilhaft erscheint Der Verfasser 
stützt sich für diese Folgerung ebenso wie für die Richtigkeit 
seines Gleichgewichtsprinzips auf historische Beispiele, besonders, 
auf die Politik Heinrichs IV. Überhaupt ist der ganze Ton dieser 
Flugschrift auf eine Wiederbelebung der Tendenzen des großen 
Königs abgestimmt Ihr Verfasser wird zu der Partei der Oppo-^ 
sition gegen das schlaffe Regiment Concinis gehört haben, die 
eine Stellung ähnlich der Partei der »Politiker« zur Zeit Heinrichs IIL 
in den Fragen der innern und äußern Politik einnahm. Ihr Haupt 
fand diese Partei in Richelieu, der mit den politischen Schrift- 
stellern in mannigfachen Beziehungen stand. Ober seine Ver- 
bindung mit einem von ihnen, Fancan, besitzen wir auch eine 
Monographie, aus der der Gegensatz Richelieus zu der Politik der 
Regierung bis zu seinem zweiten Ministerium neu beleuchtet wird.*) 

Ebenfalls aus der Betrachtung der deutschen Dinge und 
ihrer Bedeutung für Frankreich entsprungen ist eine Untersuchung; 

1) Leon Oeley: Fancan et la Politique de Richelieu.« Paris 1884. Dazu kommt 
das o. S. 31) zitierte Buch des Abb6 Desdouvres über den Pater Joseph als Polemiker, dessen 
Auszüge ans den angeblichen Schriften seines Helden leider zu fragmentarisch sind, um ffir- 
uns nennenswerte Ausbeute zu geben, und dessen kritische Ergebnisse, die zum Teil gegeni 
Oeley polemisieren, ich wegen des energischen Widerspruchs von Fagniez nicht zu über- 
nehmen wage. Ein eigenes Urteil in der Frage kann Idi mir nicht erlauben. 



— 32 — 

des Interesses, das dieses und daneben auch die andern Mächte 
an der Besetzung der Kaiserwürde haben.^) Sie stammt aus dem 
September 1617. Der schon erwähnte Prager Vertrag und die 
in Verbindung damit geregelte Kaiserwahlfrage veranlassen den 
Verfasser, die politische Zweckmäßigkeit der erneuten Sukzession 
eines habsburgischen Prinzen im einzelnen zu analysieren und 
zu verneinen. Die »Staatsraison«, die hier ausdrücklich an einer 
Stelle angerufen wird, muß alle Mächte zu einer Politik der 
»Gegengewichte« veranlassen. Da Spanien die Universalmonarchie 
zu erringen trachtet, richtet sich diese Politik gegen eben diese 
Macht und den mit ihr verbündeten deutschen Zweig der Habs- 
burger. Ja selbst der Papst kann sich aus weltlichen wie geist- 
lichen Interessen dem Widerstand gegen Habsburg nur an- 
schließen; auch sein Ansehen ist »plus respect^e en l'egalit^ des 
Princes et contrepoids des affaires, qu'en l'estendue d'une grande 
et sur^minante domination.«*) 

Mit diesem allgemeinen, etwas blassen w Systeme des contre- 
poids" verbindet der Verfasser aber den konkreteren großen 
spanisch-französischen Gegensatz. Denn er weist die Erwerbung 
der Kaiserkrone für Ludwig XIII. mit denselben Gründen zurück, 
mit denen er das habsburgische Kaisertum bekämpft hat: Staats- 
raison und Selbstbewahrung müssen jeden europäischen Staat 
einen solchen Plan bekämpfen lassen. Dem französischen 
Herrscher ziemt vielmehr, durch seinen Einfluß irgend einem 
anderen Fürstenhaus die Krone zuzuwenden. Dadurch wird er 
der allgemeine Schiedsrichter werden »und die Wage der Welt 
in seinen Händen halten, die er \on\ Himmel empfangen hat".*) 
Seine Stellung wird so eine außerordentlich glänzende sein, selbst 
über dem von ihm geschaffenen und geschützten Kaiser wird er 
in den Augen der Welt stehen. Bei alledem aber wird er nicht 



>) ifDiscours, auquel est examin^ sMl seroit exp^dient au Roy d'entendre k. I'Empire 
pour lui : ou seulcment de tenir la main pour le faire tomber ä un autre Prince qui ne fust 
point de la Maison d' Austriebe. * Gedruckt im »Recueil de quelques discours politiqucs, 
escrits sur diverses occurences des affaires et guerres estrangeres depuis quinze ans en 9a. 
s. 1. 1632. Erstes Stück. 

s) a. a. O. S. 8. Die Bedeutung Frankreichs für den Papst als contrepoids gegen 
Habsburg bildet auch ein Argument der o. S. 20, Anm. i) zitierten französischen Broschüre 
des Jahres 1626. Chastclet: Recueil etc. S. 149. 

<) Le roy «tiendra la balance du monde en ses mains, qu'il a apportee du Ciel,« 
£. a. 0., S. 29. 



— 33 — 

wie die habsburgischen Fürsten wegen ihres zügellosen Ehrgeizes 
gehaßt werden, sondern den Ruf der Klugheit und Mäßigung 
besitzen. 

Das Ziel dieses Appells an den glorreichen französischen 
König ist völlig klar. Nicht durch Eroberungen, sondern durch 
weise Politik soll er die führende Stellung in Europa zu gewinnen 
suchen. Die religiösen Bedenken gegen eine antihabsburgische 
Politik werden schonender Weise nicht direkt berührt, sondern 
nur indirekt durch die Aufdeckung des Interesses gerade auch 
des Heiligen Stuhles an der Einschränkung der habsburgischen 
Macht widerlegt. Die Schrift scheint ihrem Stil nach aus den 
höfischen Kreisen hervorgegangen und auf sie berechnet zu 
sein.^) Weniger deutlich ist das Gleichgewichtssystem zu be- 
zeichnen, das dem Verfasser als Ideal vorschwebt; es ist aber 
charakteristisch, daß er trotz seiner etwas verschwommenen Vor- 
stellungen bei seiner Polemik gegen die habsburgischen Welt- 
machtspläne auf die Gleichgewichtsidee nicht hat verzichten wollen. 
Zu erwähnen ist auch die allgemeine Schiedsrichter -Rolle, die 
dem französischen König als Ziel seiner Bemühungen in Aus- 
sicht gestellt wird. Dieser Gedanke ist sehr beliebt seit Heinrich IV.*) 
Richelieu hat den Titel »arbitre de la chrestienti« schon 1616 
als eine Erwerbung Heinrichs IV. für die französische Krone be- 
zeichnet.*) Mit der Gleichgewichtspolitik ist das wohl vereinbar. 
Frankreich sammelt gerade in Befolgung dieser Politik alle Mächte 
um sich, bildet dadurch das nötige Gegengewicht gegen die 
habsburgische Macht und gewinnt ganz von selbst bei allen 
Streitigkeiten den maßgebenden Einfluß. 

Weniger hohe Ziele stecken sich einige Politiker, die in 
den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges während des fran- 
zösischen Hugenottenaufstandes (1620 — 1622) ihre Stimme gegen 
Österreich -Spanien erheben. Bei der schwierigen Lage ihres 
Vaterlandes suchen sie vor allem im Ausland Stimmung gegen 



1) DafQr spricht auch, daß derselbe Schriftsteller im folgenden Jahre eine Vertei- 
digung der habsburgischen Kaiserkrone geschrieben hat ; wie der „Recueil« sagt, auf Wunsch 
des ersten Staatsministers (Luynes); in demselben Recueil, zweites Stfick. 

*) Vgl. Kfikelhaus, a. a. O. (s. o. S. 30«)), S. 25, 42, 72 f. 

s) Vgl. die Instruktion an den nach Deutschland gehenden Gesandten Schomberg: 
»Lettres etc. du Cardinal de Richelieu.« Paris 1853, I, 208. 

Kaeber, Das europäische Oleichgewicht. 3 



— 34 - 

die wieder eifrig als nahe bevorstehende Gefahr geschilderte 
Weltherrschaft Spaniens zu machen und die Fürsten zum An- 
schluß an Frankreich zu bringen. So werden die italienischen 
Staaten gegen die spanischen Umtriebe im Veltlin zu einem fran- 
zösischen Bündnis eingeladen mit dem Hinweis auf das Ver- 
hängnis, das der ganzen Christenheit droht. ^) Ahnliche Auf- 
forderungen enthält eine ziemlich umfangreiche Untersuchung 
aus dem Jahre 1 620 oder 1 622 über die Verhältnisse derjenigen 
europäischen Staaten, die für Frankreich ein besonderes Interesse 
haben.*) Die Untersuchung aber wird eingerahmt durch die 
Forderung einer energischen Gleichgewichtspolitik. Um deren 
Möglichkeit und Nutzen im einzelnen zu zeigen, scheint sie über- 
haupt geschrieben zu sein. Wieder wird dabei das Bild Hein- 
richs IV. beschworen. Charakteristisch aber für das Gefühl der 
eigenen Schwäche gegenüber den Habsburgem ist die Vorstellung, 
daß dies Gleichgewicht auf der einen Seite nicht eigentlich durch 
ein zu stärkendes Frankreich gebildet werden soll, sondern durch 
eine große Koalition, als deren Zentrum dann allerdings der 
französische König erscheint') Von seiner starken Hand müssen 
alle Bedrückten emporgehoben werden. — Neben diesem all- 
gemeinen Gleichgewicht aller Staaten gegen den einen über- 
mächtigen Staatenkomplex, der ausdrücklich als eine Einheit trotz 
seiner zwei Herrscher bezeichnet wird, begegnen auch hier mehr 
lokale Gegengewichtssysteme, so besonders ein italienisches, das 
durch die spanischen Besitzungen auf der einen, Venedig, 
Toscana, Savoyen und den Papst auf der andern Seite gebildet 
wird.*) 

War so innerhalb Italiens ein engeres Gleichgewicht ge- 
fordert worden, so stellt eine energische Kampfschrift des Jahres 
1621 zum erstenmal die These von einem deutschen Gleich- 



1) MDiscours sur le sujet de l'invasion de la Valteline," in der Sammlung üMercure 
d'Estat ou Recueil de divers discours d'Estat« s. 1. 1635. 

*) »Discours des princes et estats de la chrestientö plus considerables k la France, 
Selon leurs divers qualitez et conditions:« Mercure d'Estat S. 293 ff. Wenn die Angabe 
*40 Jahre nach der Eroberung Portugals« (S. 304) richtig ist, gehört der Discours ins Jahr 1620. 
S. 399 aber wird von dem durch Ludwig XIII. glücklich wiederhergestellten guten Zustand 
Frankreichs gesprochen, was man eigentlich nur auf die Beendigung der Hugenotten - Un- 
ruhen 1622 beziehen kann. 

>) Vgl. S. 296 f. u. S. 399. 

*) Vgl. S. 316. 



— 35 — 

gewicht auf, zu der die Niederlage Friedrichs V. von der Pfalz 
die unmittelbare Veranlassung gegeben hat.^) Danach soll inner- 
halb der Deutschen Republik, wie man sich im 1 7. und 1 8. Jahr- 
hundert gern ausdrückt, zwischen den Kräften Österreichs und 
denen der protestantischen Stände ein Gleichgewicht bestehen. 
Mit dem Imperium dürfen die deutschen Habsburger nicht die 
wirkliche Beherrschung der deutschen Fürsten verbinden. Wenn 
dieser Zustand des Gleichgewichts geändert würde, müßten bei 
den »pr^tensions imaginaires" des Hauses Habsburg auf die 
Universalmonarchie alle Staaten der Christenheit in die größte 
Gefahr geraten. Am nächsten bedroht diese Gefahr Frankreich, 
dessen Sicherheit allein auf dem rechten Gleichgewicht der Kräfte 
innerhalb de^ deutschen Reichs beruht. Deshalb muß Frankreich 
in die deutschen Angelegenheiten eingreifen, und wenn Österreich 
sich nicht im Guten fügt, als Schiedsrichter der Christenheit alle 
Mächte vereint gegen den Feind ins Feld führen. 

Man begreift leicht, daß ein solches System für Frankreich 
sehr vorteilhaft sein mußte; allen Eingriffen in deutsche Ver- 
hältnisse wäre damit ein wohlklingender, uninteressiert scheinender 
Vorwand geliehen worden. Frankreich hatte dann auf der einen 
Seite die Pflicht, um des allgemeinen Besten willen das europäische 
Gleichgewicht bei jedem Kriege Habsburgs gegen eine schwächere 
Macht durch sein Einschreiten zu wahren, auf der anderen Seite 
hatte es auch über allen staatsrechtlichen Änderungen innerhalb 
des Reichs zu wachen, um das durch absolutistische kaiserliche 
Pläne bedrohte deutsche Gleichgewicht zu schützen. Indessen 
beabsichtigte der Verfasser dieser Flugschrift offenbar weniger, 
dem Argwohn der deutschen oder anderer Fürsten gegen eine 
französische Einmischung in die deutschen Verhältnisse durch 
den Nachweis ihrer höheren politischen Notwendigkeit zu be- 
gegnen, sondern das deutsche Gleichgewichtssystem sollte vor 
allem den Widerspruch entkräften, den ein antiösterreichischer 
König in Frankreich selbst fand. Der Verfasser polemisiert gegen 
die Vorwürfe, mit denen die streng katholische Partei in Frankreich 
jedes Vorgehen gegen die katholischen Habsburger als Verbrechen 



1) Discours sur oe qai peut sembler estre plus expedient, et k moyenner au sujet 
des guerres entre TEmpereur et le Palatin«: Recudl von 1632, bes. S. 139. 



— 36 — 

an der Kirche brandmarkte, eine Auffassung, die in leiden- 
schaftlichen Pamphleten gegen die gottlosen Freunde der deutschen 
Ketzer vertreten wurde.^) Gegenüber dieser Partei vertritt unsere 
Flugschrift die „wahren Interessen des Staats",*) deren Be- 
gründung eben durch die Lehre vom deutschen Gleichgewicht 
gegeben wird. 

Ganz der gleiche Gesichtspunkt leitet häufig Fancan bei 
den Angriffen, die er gegen die leitenden Kreise der französischen 
Politik von 1621 an bis zum entscheidenden Siege Richelieus ge- 
richtet hat. Auch er kämpft gegen die konfessionellen Rücksichten 
in Frankreichs auswärtiger Politik. Ganz im Geiste Richelieus 
verlangt er nicht eine katholische, sondern eine »patriotische« 
Politik; seine Partei, die geistigen Erben der »Politiker", nennt er 
deshalb die »Patrioten«.^) Er weist die Vorstellung zurück, als seien 
bon catholique und Espagnol, und bon Fran^ais und huguenot 
identisch;*) der Patriotismus hat nichts mit der Konfession zu tun. 
Von dieser Stimmung aus hat er auch gegen die spanischen 
universalistischen Tendenzen seine Feder gewandt*) und in einer 
Schrift gerade auch das Interesse des Papstes an dem Gleich- 
gewicht der beiden führenden Nationen Europas behauptet.*) 
Nicht um im Ausland, sondern um im französischen Volke selbst 
Stimmung für eine kräftige auswärtige Politik zu machen, hat 
Fancan Richelieu sein Talent zur Verfügung gestellt und von 
Gleichgewichtspolitik gesprochen. Allerdings tritt dieser Gedanke 
in seiner Polemik nicht an die erste Stelle. 

Es würde kaum etwas Neues lehren, wollten wir sämtliche 
uns bekannte Schriften besprechen, die in den nächsten Jahr- 
zehnten noch die Gleichgewichtspolitik Frankreichs verteidigt 
haben. Es überwiegt jetzt ganz allgemein die Auffassung, daß 
Frankreich allein imstande sein müsse, Habsburg gegenüber das 



>) Gegen solche Pamphlete sind z. B. einzelne Schriften Fancans direkt gerichtet, 
deren eine betitelt ist »La R6ponse au libelle intitul6 Admonitio ad regem Qalliae«, Oeley, 
a. a. O. S. 238 ff. Vgl. Mercure d'Estat, 2. Stück, S. 51 ff. 

«) a. a. O. S. 139. 

I) Vgl. die reichen Auszüge, die Oeley, «Fancan« aus den verschiedenen seinem 
Helden vindizierten Flugschriften gibt, bes. S. 60. 

<) Oeley, a. a. O. S. 142. 

») Oeley, a. a. O. S. 64, 279. 

9) Oeley, a. a. O. S. 256/57. Derselbe Oedanke ist uns schon früher begegnet, 
vgl. oben S. 32. 



— 37 — 

nötige Gegengewicht zu bilden. Seit der aggressiven Richtung 
der französischen Politik, die Richelieu ihr nach Besiegung seiner 
Gegner zu geben wußte, ist Frankreichs Rolle mehr die des Be- 
schützers der Kleinen, die sich ihm von selbst anschließen, als 
die der ängstlich überall nach Bundesgenossen gegen den über- 
mächtigen Gegner ausschauenden Macht Aber ehe wir einige 
der hierhin gehörenden Flugschriften anführen, weisen wir auf 
eine im März 1624 erschienene politische Betrachtung hin, die 
einen sonst in dieser Zeit kaum begegnenden Gedanken vertritt.^) 

Hier wird offenbar ganz nach den Ideen Richelieus, zu 
dessen Programm eine auf einer Verbindung der beiden könig- 
lichen Familien beruhende gemeinsame Politik Englands und 
Frankreichs gehörte, England dieselbe Aufgabe zugewiesen, die 
einst Königin Elisabeths Ruhm gebildet hatte.') König Jakob wird 
aufgefordert, als drittmächtigster Herrscher nach Spanien und 
Frankreich dem glorreichen Beispiel seiner Vorgängerin und 
Heinrichs VIII. zu folgen, »der so gut seinerzeit zwischen Kaiser 
Karl V. und König Franz seine Rolle gespielt hat, indem er sich 
von beiden fürchten und umschmeicheln ließ und gewissermaßen 
das Gleichgewicht zwischen ihnen hielt"*) — Eine solche Auf- 
fassung des Grundverhältnisses der europäischen Staaten mußte 
schwinden, als das englisch - französische Einvernehmen sich 
während der Kämpfe um La Rochelle löste, und die englische 
Regierung durch ihren Kampf mit dem Parlament keine Mittel 
mehr für ein einigermaßen wirksames Eingreifen in die aus- 
wärtigen Verhältnisse übrig hatte. 

Im allgemeinen erscheint, wie gesagt, Frankreich selbst als 
Regulator des Gleichgewichts. Recht hübsch wird Anfang 1625 
trotz des Hinweises auf den Nutzen, den alle Mächte an dem 
Widerstand gegen die immer noch lebendigen Ideen Karls V. und 
Philipps II. haben, vor allem auf die Bedeutung des Gleich- 



1) »Discours des princes et estats de la Chresticnt^ plus considerables k la France, 
Selon leurs diverses qnalitez et conditions" : Mercure d*Estat, S. 161 ff. 
«) a. a. O. S. 204 f. 

I) a. a. O. S. 204. Übrigens wird auf die Gefahr einer spanischen Universal- 
monarchie auch in einer sonst nicht bedeutenden englischen Flugschrift derselben Zeit hin- 
gewiesen: »An excellent and material discours . . . what great danger will hang over our 
hcads of England and France . . . if it shall happen, that those of Oermany which are our 
friends be subdned, and tfae king of Denmark vanquished.* s. 1. 1626. 



— 38 — 

gewichts für Frankreich hingedeutet: wenn man mit rechter Über- 
legung den Zustand der Christenheit betrachtet, »sieht man, daß 
in diesem Gleichgewicht der Kräfte Frankreichs und Spaniens, 
die wie durch ihre (bloße) Erschütterung durch die Federn, die 
sie in Bewegung setzen, alle anderen (Mächte) Europas wegen 
ihrer Bedeutung nach sich ziehen, jeder Zuwachs des einen sicht- 
lich dem andern schadet, und daß genau so viel, wie einer im 
Werte steigt, der andere sinkt. «^) - Es ist ein Versuch, die 
mechanische Auffassung, die in der Balanceidee liegt, im Bilde 
streng durchzuführen. 

Ähnliche Gedanken, wie die oben besprochenen Ideen über 
ein deutsches Gleichgewicht,*) vertritt eine Broschüre des Jahres 
1 629,^) freilich ohne diese Idee selbst wieder aufzunehmen. Das 
Übereinstimmende ist vielmehr nur das Nebeneinanderhergehen 
der zwei Gedanken, daß einmal Frankreich als Bewahrer des 
Gleichgewichts um der Allgemeinheit und zwar hauptsächlich 
der deutschen und italienischen Fürsten willen sich den Habs- 
burgern entgegen werfen muß, andererseits aber ein geeintes 
Deutschland für Frankreich eine unerträgliche Gefahr wäre. Es 
ist nicht leicht zu entscheiden, an wessen Adresse sich diese 
Broschüre richtet, die sich speziell noch mit dem Plan eines 
bayrischen Kaisertums bei der nächsten Vakanz trägt. Sie wird 
ebenso sehr durch die Schilderung der Gefahren eines kaiser- 
lichen Absolutismus in Deutschland, der ja nach Wallensteins 
glänzenden Erfolgen nahe bevorzustehen schien, auf die österreich- 
freundlichen französischen Kreise, wie durch das Betonen des 
allgemeinen Wertes der französischen Balance-Politik auf die aus- 
ländischen Fürsten besonders in Italien und in Deutschland 
haben wirken sollen. Das sehr eigennützige Interesse Frankreichs 
an einem uneinigen Deutschland soll in den Augen der Fremden 
vor der hochherzigen Hingabe an den Gedanken des Gleich- 
gewichts verschwinden, das die Freiheit aller Schwachen sichert. 

Wieder in erster Linie mit den deutschen, daneben auch mit 



*) Mercure d'Estat, S. 211 ff. 

«) s. o. S. 34 f. 

>) »Discours sur roccurence des affaires estranseres, et particulierement sur le snjct 
de Celles d'Allemagne:" Mercure d'Estat« bes. S. 279 ff. u. 307 ff. 



— 39 — 

den italienischen Verhältnissen, im Zusammenhang mit den all- 
gemein-europäischen Zuständen, beschäftigt sich eine Flug- 
schrift, die schon in ihrem Titel angibt, an wen ihre Mahnungen 
gerichtet sein sollen, nämlich an alle christlichen Fürsten.^) 
Sie stammt wohl von einem französischen Geistlichen, der 
zwar in einer Vorrede durch allerhand falsche Angaben über 
sein Leben und seinen Aufenthalt sein Inkognito besonders sichern 
möchte, es aber nach den Andeutungen einer Gegenschrift offen- 
bar doch nicht erreicht hat.') Ein Jahr nach dem Original, 1631, 
erschien eine recht gute, nur dem Geschmack der Zeit entsprechend 
umständliche deutsche Übersetzung.*) Da Droysen diese gekannt 
und als eine »merkwürdige Broschüre" bezeichnet hat,^) möchte 
ich ihren Inhalt kurz skizzieren. Es wird sich zeigen, daß sie 
nach der schon vorangegangenen politischen Literatur im Grunde 
nichts Neues bringt. 

Gleich die Einleitung erinnert an andere ähnliche Erzeug- 
nisse. Die beiden größten Staaten, heißt es, die alle übrigen 
christlichen Staaten im Gleichgewicht halten, sind Frankreich und 
das Haus Habsburg, denn nur sie können ohne fremde Hilfe 
an Geld oder Mannschaften Krieg führen. Aber in ihrer ganzen 
Konstitution sind beide Staaten grundverschieden: Frankreich will 
sich nicht auf Kosten anderer ausdehnen, beschützt seine Freunde 
und befolgt überhaupt eine ruhige Friedenspolitik, Habsburg 
aber trachtet mit allen seinen Maßnahmen nach dem einen End- 
ziel, der Universal-Monarchie. Auf Grund dieser Vergleichung 
werden alle Fürsten aufgefordert, sich Frankreich zuzuwenden, 
das ihre Freiheit schützen will. Deutschland und Italien gilt es 
zu befreien; aus diesem alle Fremden zu verbannen, in jenem den 



1) »Advis aux princes chrestiens, sur les affaires publiques presentes:" Mercure 
d'Estat, 1. Stack. 

s) Diese Erwiderung steht im Mercure d'Estat, S. 51 ff. und heißt: »Aux Princes 
Catholiques sur Testat present des affaires publiques." Ihre Tendenz ist antifranzösisch, 
streng katholisch, mit lebhafter Verteidigung der Gerechtigkeit der habsburgischen Sache. 
Von seinem Oegner sagt der Verfasser: er hat eine Maske vorgenommen »pour se couvrir 
de son hcresie et pertinacit^«, aber er ist erkannt als einer *qui pour son ordre et pour la 
condition de sa naissance devroit plustost publier des escrits qui servissent k relever et 
forb'fier les courages des fideles sujets«, als Ärgernis erregen. 

s) »Rathschlag, Bedenken und Outachten an alle Christlichen Potenzen, fiber den 
gegenwärtigen Zustand des gemeinen Wesens.* s. 1. 1631. 

«) Preußische Politik III, 1, Anm. 9. 



— 40 — 

Mißbrauch der Kaiserdesignierung zu beseitigen und gesetzlich zu 
verbieten, daß hintereinander zwei Kaiser aus derselben Familie 
gewählt werden. 

Zum Schluß wird erneut an die bedeutendsten Fürsten, an 
Gustav Adolf und den englischen König, an die Niederlande 
und an das »primum mobile" von ihnen allen, Frankreichs 
Herrscher, die Aufforderung zum Kampf für die Freiheit ge- 
richtet. Ludwig XIII. soll sich dadurch den Titel »Liberator 
Christianitatis" erringen. 

Die abschließende Darstellung des Qleichgewichtssystems, 
wie es die französische Publizistik im Kampf gegen das Haus 
Habsburg in verschiedenen Nuancen herausgebildet hat, ist 
die bekannte Schrift des letzten bedeutenden Hugenottenführers, 
des Herzogs von Rohan »De l'interest des Princes et Estats de 
la Chrestient^«, zuerst erschienen 1638.^) Der Verfasser hat 
seine Arbeit Richelieu gewidmet; in der Tat ist sie die beste 
Verteidigung der auswärtigen Politik des großen Kardinals von 
allgemeinen Gesichtspunkten aus. Obgleich durchaus auf politische 
Wirkung berechnet, auf Beeinflussung der auswärtigen Mächte zu- 
gunsten der französischen Kriegspolitik, vermeidet die Abhand- 
lung die Unklarheiten, die Stillosigkeiten und den Mangel an 
logischer Beweisführung, die eine fast allgemeine Erscheinung 
bei den schnell geschriebenen und schnell vergessenen politischen 
Broschüren sind. Nicht nur ein Augenblickserzeugnis, sondern 
eine Grundlage der praktischen Politik für längere Zeit beab- 
sichtigt Rohan zu bieten. Trotzdem kann es unsere Aufgabe 
nicht sein, den Inhalt im einzelnen vorzuführen. Denn nicht 
nur ihrem Stil, auch ihrem Gedankenwert nach steht die Schrift 
am Schluß einer Epoche; sie faßt zusammen und ordnet, aber 
enthält nichts, was nicht schon einmal gesagt worden wäre. Wir 
geben daher nur in Umrissen ein Bild von ihr. 

Ausdrücklich bezeichnet Rohan das Nebeneinanderstehen 
Frankreichs und Spaniens, der »beiden Pole« im europäischen 



1) Dies Datum gibt die Biographie Universelle. Mir liegt eine Ausgabe von 1640 
mit königlichem Privileg vor. Eine lateinische Obersetzung zitiert Meinberg: »Das 
Oleichgewichtssystem Wilhelms III." etc., S. 6. 



— 41 — 

Siaatenleben,^) als die Grundlage aller Erörterungen über aus- 
wärtige Politik. Er sucht dann für die einzelnen Staaten nach- 
zuweisen, daß das Gleichgewicht der beiden großen Mächte die 
leitende Maxime für ihr Verhalten sein müsse. Wir begegnen 
wieder dem Interesse der Kurie an der rechten Balancepolitik, 
dem Gleichgewicht zwischen deutschen Protestanten und Katho- 
liken, dem besondern italienischen Gleichgewicht und der ent- 
scheidenden Stellung, die England zwischen den beiden Groß- 
mächten einnehmen könnte. Ein zweiter längerer Teil erläutert 
diese Prinzipien an historischen Beispielen, wie dem Jülichschen 
und dem Mantuanischen Erbfolgestreit. 

Trotz des im allgemeinen sachlich -vornehmen Tones fehlt 
natürlich auch die Polemik nicht Eine Gegenüberstellung der 
politischen Grundsätze der Habsburger und der französischen 
Krone zeigt den anderen Fürsten mit genügender Deutlichkeit an, 
auf wessen Seite sie sich in dem großen Kampfe zu stellen 
haben, falls ihnen das mehr abstrakte Balancesystem noch einen 
Zweifel gelassen haben sollte. 

Fassen wir die Grundgedanken der bisher besprochenen 
Gleichgewichtsliteratur zusammen! Ihr Quell ist die Opposition 
gegen die wirklichen oder vermeintlichen Pläne, alle christlichen 
Völker unter eine politische Herrschaft zusammenzufassen. Als 
positives Ideal erscheint dagegen die Freiheit aller Staaten, die 
durch das politische Gleichgewicht herbeigeführt werden soll. 
Dieses Ideal ist nach der Meinung der Publizisten schon an sich 
von solcher Kraft, daß sie es nie näher in seinem Werte be- 
gründen oder ihm gegenüber die Verderblichkeit einer Welt- 
monarchie nachweisen. Die Vorstellung einer Universalherrschaft 
halten sie allein für genügend, um Furcht und Schrecken her- 
vorzurufen. 

Daneben spielt der Gegensatz zwischen Staatsinteresse und 
katholischer Kirchlichkeit eine bedeutende Rolle. Gegenüber den 
ultramontanen Forderungen nach Solidarität aller katholischen 
Mächte gegen die Ketzer wird die Superiorität der Staatsräson 

») s. 1. 



— 42 — 

begründet und die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts auch 
durch Bündnisse konfessionell getrennter Staaten verteidigt. Ja 
der Hugenott Rohan bezeichnet in seiner dem Kardinal Richelieu 
gewidmeten Schrift zwar deutlich den Zusammenhang zwischen 
protestantischer und Balancepolitik für England/) aber von einer 
ähnlichen Beziehung zwischen katholischer und Gleichgewichts- 
Politik für Frankreich kann er natürlich ebenso wenig wie seine 
literarischen Vorgänger sprechen. Politische und religiöse Interessen 
mögen also, wie in England, zusammenfallen und sich so gegen- 
seitig stützen. Streiten sie aber miteinander, so müssen die 
politischen Rücksichten siegen, in unserem Falle also Gleich- 
gewichtsbestrebungen über Katholizität. 

Daraus ergeben sich für die französische Literatur — und 
diese überwiegt ja durchaus — die Adressaten resp. die Gegner: 
die auswärtigen Fürsten resp. die orthodox katholische Partei 
innerhalb Frankreichs. Die fremden Fürsten sollen im Bunde 
mit Frankreich die Sicherung ihrer Existenz, in seiner Unter- 
stützung gegen das Haus Habsburg eine Forderung ihrer eigensten 
Interessen erblicken. Die extremen französischen Katholiken sollen 
in den einflußreichen Kreisen als Feinde der einzig richtigen, 
nationalen Balance-Politik diskreditiert oder womöglich zum An- 
schluß an die antihabsburgische Partei gebracht werden. Nur 
in zwei Broschüren habe ich neben den beiden großen Zielen 
der Gleichgewichtspolitik, der Bewahrung des selbständigen Neben- 
einanderbestehens mehrerer Staaten und der Aufrechterhaltung 
der bedeutenden Stellung der französischen Krone das Ziel ge- 
nannt gefunden, das später von immer größerer Bedeutung in 
der Literatur wird, die Rettung des Handels der einzelnen Völker 
vor der Ausschließung vom Kolonialhandel durch ein übermäch- 
tiges Reich. Die eine dieser Schriften ist die »Treuherzige Ver- 
mahnung" von 1585, die den Ruin des deutschen Handels durch 
eine spanische Universalmonarchie befürchtet,*) die andere die 
Schrift Rohans, in der für England speziell auf sein Handels- 
interesse neben dem allen Fürsten gemeinsamen Interesse am 



») a. a. O. S. 26. 
«) S. o. S. 27. 



— 43 — 

Gleichgewicht hingewiesen wird. ^) Im allgemeinen kommt 
dieses Moment für die erste Epoche unserer Betrachtung nicht 
in Frage. 

Die Vorstellungen über die Form des Gleichgewichts, also 
wesentlich die Frage, welche Staaten es bilden, sind, wie wir 
sahen, während des besprochenen Zeitraums nicht immer dieselben. 
Fest steht nur, daß es auf der einen Seite durch das Haus 
Habsburg gebildet wird. Die andere Seite wird nach der einen 
Meinung von allen anderen europäischen Staaten eingenommen 
- soweit sie nicht von Habsburg abhängig sind -, nach der 
anderen allmählich sich allgemein durchsetzenden Meinung von 
Frankreich allein. Beiden Anschauungen gemeinsam ist die 
Oberzeugung, daß das Haus Habsburg mit seiner Stellung als 
einer der »Pole der Christenheit« nicht zufrieden, nach einer 
Ausdehnung seiner Herrschaft über ganz Europa strebt. Eine 
dritte Ansicht taucht unter der Königin Elisabeth und dann ver- 
einzelt auch unter den beiden ersten Stuarts auf, wonach England 
neben Frankreich und Spanien - Österreich eine bedeutungs- 
volle Aufgabe, nämlich die Regulierung ihrer beiderseitigen Aus- 
dehnungsbestrebungen, die Rolle als i/Halter'' oder »Zünglein 
der Wage« zukomme. Hinter der anderen Vorstellung aber, 
nach der der schwächere der beiden großen Staaten selbst alle 
anderen zur Wiederherstellung des Gleichgewichts aufruft und 
um sich sammelt, tritt die von Englands besonderem Beruf zu- 
rück. Darin spiegeln sich richtig die tatsächlichen Verhältnisse. 

Treten so die grundlegenden Gedanken des Gleichgewichts- 
systems dem Idealbild der mittelalterlichen Staatsanschauung dia- 
metral gegenüber, so heben die literarischen Vertreter der neuen 
Ideen mehrfach den unmittelaiterlichen Charakter auch der habs- 
burgischen Weltreichstendenzen hervor; denn das wollen sie 
doch bezeichnen, wenn sie - ob mit Recht oder Unrecht, kommt 
für uns nicht in Betracht - die kirchlichen Motive der nach Welt- 
herrschaft strebenden Habsburger leugnen, wenn sie deren Ziele 
als Ausfluß rein staatlichen, weltlichen Ehrgeizes brandmarken, 
dem die Kirche nur als Mittel dient, nicht wie im Mittelalter als 

1) a. a. O. S. 23. 



— 44 — 

höchster Zweck. ^) Aus einer derartigen Auffassung erklärt es 
sich, daß manche Schriftsteller hoffen, selbst den Papst für ihr 
Gleichgewichtssystem gewinnen zu können; sie suchen ihm eben 
zu beweisen, daß unter einem modernen weltlichen Universal- 
herrscher die Rolle des kirchlichen Oberhauptes recht kläglich 
sein müsse. 



1) vgl. o. S. 18; ähnlich in »L'Anti-Espagnol*, 1590, gedruckt in den M^moires de 
la Ligue IV, 211 ff. - Oeley: .Fancan-, S. 279. - Rohan: »De l'interest etc.", S. 11. 

Natürlich fehlt auch die entgegengesetzte Ansicht nicht. Der innige Zusammenhang 
zwischen den Habsburgem und der Kirche, der leidenschaftliche Haß gegen die Ketzer sind 
das Leitmotiv ffir die oben, S. 39 Anm. 2), zitierte ultramontane, antifranzösische Flugschrift. 
Aber auch von deutsch-protestantischer Seite aus vird die Identität von Katholizismus und 
habsburgischem Regiment als ein natürliches Argument in der Polemik verwertet, nur eben 
gegen Habsburg: vgl. ein hübsches fingiertes Gespräch zwischen Papst Paul V. und Philipp III. 
mit König Ferdinand I. : »Colloquium oder Gespräch Bapst Pauli deB V. und deß Königs 
zu Hispanien, und Ertzherzogen Ferdinandi etc." 1608. 



IL 

Das europäische Gleichgewicht im Kampf 

gegen Ludwig XIV. 



1. Kapitel. 

Durch Richelieu und seinen großen Verbündeten, Gustav 
Adolf, war die bis dahin ungestüm vordringende Macht Kaiser 
Ferdinands 11. in ihrem Siegeszuge gehemmt worden; nach 
schwerem Ringen sank die deutsche Linie des Hauses Habsburg 
besiegt zu Boden, und bald folgte der noch tiefere Fall des 
spanischen Zweiges. Gleichzeitig aber stieg die französische 
Monarchie, gestützt auf ihre neue glänzende Armee, von einem 
Willen einheitlich geleitet, mit überraschender Schnelligkeit empor 
und weckte nun selbst Furcht und Mißtrauen, die schnell 
charakteristischen Ausdruck in der politischen Literatur fanden. 

Noch während der Stürme dm Dreißigjährigen Krieges, in 
dem Frankreich die Welt gegen die habsburgische Universal- 
monarchie und für sein System eines auf zwei großen und einer 
Reihe kleinerer Staaten beruhenden politischen Gleichgewichts zu 
den Waffen gerufen hatte, ist der Vorwurf, nach der Weltherrschaft 
zu streben, gegen dasselbe Frankreich erhoben worden. Der 
kaiserliche Publizist von Warendorff hat 1641 eine Broschüre 
veröffentlicht, in der er es unternimmt, Österreich von allen An- 
klagen rein zu waschen, um Frankreich um so heftiger im Namen 
aller Mächte anzuklagen.^) Österreich hat keinen sehnlicheren 
Wunsch, als die Wiederherstellung des allgemeinen Friedens. 



1) »Jean Petage, oder französischer Brillenreißer ... * von Wunefried Alman, von 
Warendorff. Wer dieser Warendorff gewesen ist, liabe idi nicht ermitteln können. 



— 46 — 

Deshalb hat es die Verträge von Regensburg 1630 und von 
Prag 1635 geschlossen; und wie es so die Basis für die Pazifi- 
zierung Deutschlands gelegt hat, so sucht es auch Italien mit 
den Wohltaten des Friedens zu beglücken. Frankreichs Politik 
dagegen ist diktiert vom krassesten Egoismus, der nirgends so 
sichtbar hervortritt, wie in seinem Verhalten gegenüber den Pro- 
testanten. Denn wie kann man anders die Tatsache beurteilen, 
daß es die Angehörigen derselben Religion innerhalb seiner 
Grenzen ebenso hart verfolgt, wie es sie im Auslande eifrig 
unterstützt? Für die französische Politik dienen die Protestanten 
nur als ein Mittel, mit dessen Hilfe sie ihr letztes großes Ziel 
zu erreichen hofft, »daß Regiment über die gantze Welt und 
also alle Menschen unter ihre Botmäßigkeit zu bringen". Denn 
was können sie sonst mit ihrer »mündlichen und schriftlichen« 
Behauptung meinen, »daß Caroli Magni Monarchie ihnen gehöre.« ^) 
Die Franzosen tragen eben gar kein Bedenken, ihrem maßlosen 
Ehrgeiz Ausdruck zu verleihen, und »die Feindschaft der Affek- 
tierten allgemeinen Monarchie, die sie bißher wider die Spanier 
mit so großem Geschrei erwecket, auff sich zu lenken«. Wenn 
also überhaupt jemals die Christenheit »gesambleter Macht und 
mit einhelligem Gemüth« gegen eine einzelne Macht Krieg führen 
soll, darf nur Frankreich das Ziel des allgemeinen Angriffs sein. 
Noch in zwei anderen der mir bekannten Flugschriften aus 
dem Dreißigjährigen Kriege werden gleiche Vorwürfe gegen 
Frankreich erhoben. Die ei^e sucht die deutschen Fürsten gegen 
Frankreich in Harnisch zu bringen.*) Die andere möchte auf 
die Holländer wirken und verdient einige nähere Angaben.*) 
Sie bekämpft eine gegnerische Schrift, sucht ihre Leser von der 



1) Damit dürfte auf das häufig zitierte Werk de Cassans: MLa recherche des droicts 
du roy et de la couronne de France sur les royaumes, duchez, comtez, villes et pais occupez 
par les princes estrangers", 1632, angespielt werden, sowie auf das weniger bekannte des 
Besian Arroy: »Questions d6cid6es sur la Justice des Armes des Rois de France etc.*: vgl. 
O. Friedr. Freuß, •. Wilhelm Hl. von England und das Haus Witteisbach im Zeitalter der 
spanischen Erbfolgefrage. •• I. Breslau 1904. S. 4*. 

S) •»Nächtlich Gesichte, welches einem Teutschen der Kirchen(,) des Römischen 
Reichs und des Hauses Oesterreich besondem Liebhabern, im Schlaaf ffirkommen Aber 
dieser, neulich aus Franckreich herkommenden Prophezeyung Oallus ab Hispana toti do- 
minabitur orbi." 1647. 

9) «Antwort auff ein Schreiben so ein Venedischer Edelmann an seinen Freund zu 
Turin abgehen lassen: In sich haltende die Frage iiWem doch die Schuld bcy zu messen 
daß der Friede nicht fortgehe?" 1646. 



— 47 — 

ehrlichen Friedensliebe Spaniens in ähnlicher Weise zu über- 
zeugen, wie Warendorff Österreichs friedliche Stimmung behauptet 
hatte, und warnt vor Frankreichs kriegerischen Zielen: »könnte 
Franckreich die Monarchie der ganzen Welt erobern, es würde 
dem Könige so glorieus und rühmlich sein, als es jener Zeit 
Augustus und Alexandren gewesen.« Kein Staat wird so sehr da- 
durch bedroht, wie Holland, zumal wenn Flandern, Hennegau, 
Namur und Luxemburg in französische Hände gefallen sein 
werden. Denn diese Provinzen sind Hollands » Außenwerke « ; 
»mehr als zu verwundern« ist es, daß es selbst zu deren Zer- 
störung durch den Krieg gegen Spanien beiträgt. Wie alles 
Irdische vergänglich ist, so wird auch Frankreichs Freundschaft 
für Holland nicht ewig währen. Viele Schwierigkeiten aber wird 
Frankreich nicht zu überwinden haben, sobald es erst bis an den 
Rhein vorgedrungen ist und von dort aus auch Holland unter- 
werfen will: »Dies sind keine Träume, keine Fabeln, es ist 
sonnenklar, alle Wohlaffektionierten sehen es.« 

Es ist nicht zu bezweifeln, daß der Gedanke einer drohenden 
französischen Weltherrschaft, wie ihn der Verfasser dieser Schrift 
vertritt, nichts als eine Übertragung der alten gegen Spanien er- 
hobenen Vorwürfe auf Frankreich darstellt Es ist zu bemerken, 
daß der Verfasser sich an die freien Niederländer wendet, mit denen 
Spanien sich damals noch im Kriegszustande befand. Die spätere 
spanisch-holländische Allianz wird hier schon vorausgesehen und 
der Gedanke einer französischen Universal-Monarchie dient dazu, 
Holland seinem bisherigen Verbündeten abwendig zu machen. 
Der Verfasser dürfte ein spanischer Niederiänder sein, der uns 
vorliegende Druck eine Übersetzung des vermutlich französisch 
geschriebenen Originals. 

Keine der erwähnten antifranzösischen Schriften verbindet 
mit der Warnung vor einer Universal-Monarchie das Lob einer 
Gleichgewichtspolitik. Es ist daraus zwar nicht mit Sicherheit 
zu schließen, daß nicht schon damals der Gleichgewichtsgedanke 
gegen Frankreich geltend gemacht worden ist; auch später, 
nachdem das mehrfach geschehen war, haben zahlreiche Schrift- 
steller gegen Ludwigs XIV. universale Pläne geeifert, ohne die 
Balance- Idee damit zu verbinden. Indessen ist es doch wahr- 



— 48 — 

scheinlich, daß zuerst eine Zeitlang der Welt der Gedanke zum 
Bewußtsein gebracht werden mußte, daß nicht Habsburg, sondern 
der bisherige zuverlässigste Verteidiger der Freiheit Europas, 
Frankreich, die Welt seinem Gebot zu unterwerfen trachte, ehe 
auf Grund dieses politischen Gedankens die weitere Folgerung 
gezogen werden konnte, daß die systematische Unterstützung 
des Hauses Habsburg die neue Basis der europäischen Politik 
sein müsse. 

Erst nach dem Pyrenäenfrieden war aller Zweifel an der 
Niederlage auch der spanischen Linie der Habsburger geschwunden. 
Es fragte sich, ob Frankreich auch im Glänze des Sieges fort- 
fahren würde, sich als den Hort der Freiheit und der Unter- 
drückten zu betrachten. Ludwig XIV. hat die Antwort auf diese 
Frage gegeben; er war nicht gemeint, sich mit dem, was er besaß, 
zu bescheiden. Weitausschauende Gedanken lagen in seiner 
Brust. ^) Die spanische Heirat führte ihn zum Devolutionskriege, 
und gleichzeitig wurde die Welt durch die Aufsehen erregende 
Schrift des Parlamentsrats Aub^ry über den Umfang der An- 
sprüche der französischen Krone belehrt.*) 

Aber sofort eröffnete einer der kühnsten und weitblickendsten 
österreichischen Staatsmänner, ein glänzender und fruchtbarer 
Publizist, Franz Paul von Lisola, den literarischen Gegenangriff.*) 
Noch 1667 ließ er seine bekannte Broschüre, »Le böuclier d'estat 
et de justice", erscheinen. Der weitaus größte Teil ist juristisch- 
historischen Widerlegungen der französischen Ansprüche auf die 
spanischen Niederlande gewidmet; ein sechster Artikel aber be- 
handelt die politische Bedeutung des Krieges, das »Interesse der 
christlichen Fürsten«.*) Was aber bildet den Inhalt dieser Er- 
örterungen? Eine Adoption des Gleichgewichtssystems des Herzogs 
von Rohan, das nach Lisolas Meinung nur den einen Fehler hat, 
bisher immer in falscher Weise angewendet worden zu sein ! 



>) vgl. Erdmannsdörffer: I>eutsche Geschichte 1648-1740. Berlin 1892 f. I, 505 ff. 
Vast : »Des tentatives de Louis XIV pour arriver ä Tempire«. Rev. bist LXV (1 897), bes. S. 224. 

S) D'Aub^ry: »Des justes pr£tensions du Roy sur TEmpire«. Paris 1667; vgl. 
Erdmannsdörffer: a. a. O. S. 509 f. 

*) »Le bouclier d'estat et de justice, contre les desseins manifestement d^couverts de la 
Monarchie Universelle, sous le vain pretexte des pretentions de la Reyne de France." 1667. Vgl . 
Pribram : »Franz Paul v. Lisola«. Leipz. 1894, S. 351 ff. über Lisolas schriftstellerische Tätigkeit. 

*) a. a. O. S. 194 ff. 



~ 49 — 

Der erste Schriftsteller, der die Fahne des europäischen Gleich- 
gewichts gegen Ludwig XIV. erhebt, knüpft bewußt an den 
glänzendsten Vertreter der Oleichgewichtsidee vom französischen 
Standpunkt aus an. Hätte man, ruft Usola aus, die Idee nur 
immer in der rechten Weise und mit der rechten Kraft in die 
Praxis umgesetzt, dann »genösse Europa heute tiefe Ruhe!« 
Alles Unglück ist dadurch entstanden, daß man sich über die 
Seite der politischen Wage geirrt hat, deren Gewicht man ver- 
mehren mußte. Jetzt aber kann der Irrtum nicht länger ob- 
walten, der die Mächte Europas »von ihrer wahren Staatsraison 
hat abweichen lassen«. Man braucht nur Frankreichs und 
Habsburgs Politik zu vergleichen, um klar zu sehen. ^) Die 
habsburgischen Herrscher lieben den Frieden, achten im Innern 
die Privilegien ihrer Stände, kämpfen für ganz Europa gegen 
die Ungläubigen, und wenn sie siegreich sind gegen christliche 
Mächte, beweisen sie edle Milde und Mäßigung. Karl V. und 
Philipp II. haben der Welt diese Eigenschaften gezeigt,*) wie 
kann man da behaupten, daß sie je nach einer Universal-Monarchie 
verlangt haben? Das ist »ein lächerliches Schreckgespenst«*) 
der französischen Diplomatie gewesen ! Frankreich dagegen bietet 
der Welt ein anderes Bild. Kriegslustig und kriegsbedürftig ge- 
horcht es einem absoluten Könige, stellt seine Sonderinteressen 
denen der Christenheit voran,*) und gibt mit alle dem der Welt 
Anzeichen genug »d'un vaste et profond dessein sem6 depuis 
long-temps«. 

Das Neue an Lisolas Auffassung der Gleichgewichts- 
politik, wie er sie im »bouclier d'estat et de justice« vertritt, ist 
lediglich die veränderte Richtung gegen Frankreich und nicht 
mehr gegen Österreich, und die damit geforderte Wandlung der 
europäischen Politik. Für unsere Untersuchung bedeutungs- 
voller sind zwei andere Schriften von ihm, beide von 1673. 



>) Auch dieser Vergleich ist nichts als eine Umkehrung der Gegenüberstellung 
Frankreidis und Habsburgs bei Rohan; vgl. o. S. 41. 

>) Lisola scheut vor gewaltsamen Oeschichtskonstruktionen um des guten Zweckes 
willen nicht zurück. 

s) a. a. O. S. 212. 

<) Der Vorwurf richtet sieb natürlich gegen Frankreichs Beziehungen zu den 
Türken. 

Kaeber, Das europäische Oleichgewicht. 4 



— so — 

In dem »Appel de rAngleterre«*) sieht er von Rechtsfragen fast 
ganz ab, um die politischen Konsequenzen des französisch- 
englischen Krieges gegen Holland auszumalen. Aber er sucht 
mit seiner wie stets leidenschaftlich franzosenfeindlichen Polemik 
nicht mehr alle Mächte auf Grund des apodiktisch als notwendig 
aufgestellten Qleichgewichtssystems zu beeinflussen, er wendet 
sich vielmehr an England allein. Er schildert das Anwachsen 
der französischen Macht, als deren Ziel schon Heinrich IV. die 
Monarchie universelle vorgeschwebt habe, und das Vorgehen 
Ludwigs XIV., um damit alle Fürsten und in erster Linie Karl IL, 
»der dafür besonders empfänglich ist'', zu überzeugen, daß das 
einzige Mittel, die allgemeine Sicherheit zu erhalten, darin besteht, 
wdie Mächte Europas im Oleichgewicht zu halten«.*) 

Gegen dies spezifisch englische Interesse aber verstößt der 
englisch-französische Krieg gegen Holland. Was auch immer das 
Resultat des Kampfes sein mag, es kann auf keinen Fall für 
England wirklich nutzbringend sein. Der Krieg ist ein Fehler, 
denn er entspricht nicht einem der Hauptgesichtspunkte, die 
England und sein König in der gegebenen Situation beobachten 
müssen, nämlich w der Notwendigkeit, Europas Schiedsrichter zu sein" 
und »der Gefahr, die darin läge, dies Schiedsrichteramt aufzugeben«.*) 

Also ein österreichischer Staatsmann ruft England zum 
Kampf gegen die Obermacht Frankreichs auf, weist dem eng- 
lischen Volk und seinem König die Stellung als ausschlaggebendem 
Faktor in dem Gleichgewichtssystem Europas an und sucht zu 
begründen, daß in einem bestimmten Falle das allgemeine Prinzip 
in der Tat dem eigensten Interesse Englands entspricht. Die 
gleiche Tendenz verfolgt im Jahre 1671 die umfangreiche 
Broschüre eines spanischen Niederländers,*) der neben allerhand 

1) nAppel de TAngleterre touchant la secitte Cabale ou Assembl^ ä Withad k et 
envers le Orand Conscil de la Nation. Fait en Angle(teiTe) par un Zelateur de sa patrie". 
Amsterdam 1673. Befindet sich in einem Sammelbande der Wiener Universitätsbibliothek 
(I, 246420) als zweites Stück. Die w. u. S. 51 ») zitierte Schrift in demselben Bande an 
sechster Stelle. Nach Pribram, a. a. O. S. 351 i) von Lisola höchst wahrscheinlich verfftfit. 
Inhalt und Auszüge bei Heinlein: «Einige Flugschriften aus den Jahren 1667-78«: Pro« 
gramm des Realgymnasiums zu Waidhofen a. d. Thaia. 1877. S. 3 ff. 

«) a. a. O. S. 15. 

>) a. a. O. S. 91 ; vgl. auch dieselbe Idee S. 67. 

*) mLc politique desinteress^ ou ses raisonnements justes sur les affaires presentet 
de TEurope." A Cologne 1671. Die Nationalität des Verfassers ergibt sich aus dem Lob des 
neuen Gouverneurs der spanischen Niederlande, Monterey, (S. 214 ff.) und dem angefügten 
Gedicht auf ihn. 



— 51 — 

nicht sehr zusammenhängenden politischen und historischen Be- 
trachtungen, die sich alle gegen Frankreich richten und nur in 
diesem Ziel eine gewisse Einheit finden, vor allem an England 
einen Schirm der bedrohten Freiheit Europas zu finden hoffte. 
Spanien und Frankreich, so meint er, suchen Englands Beistand, 
aber während das eine Schutz und Aufrechterhaltung der Balance 
begehrt, fordert das andere deren Beseitigung und gemeinsamen 
Raub an dem Schwachen.^) Die Wahl dürfte für England nicht 
zweifelhaft sein: v Heinrich VIII. hielt die Balance zwischen den 
beiden Kronen, Elisabeth befolgte diesen Grundsatz; ebenso 
Jakob; Karl I. tat desgleichen, und auch der gegenwärtige Herr- 
scher hat sich dadurch zur Tripelallianz und zum Frieden von 
Aachen leiten lassen . . . Das hieß, Englands Interesse folgen ! " ') 
Nicht nur Neutralität, sondern offensive Kriegspolitik fordert 
Europas Lage von Englands König, wenn »die Machtgleichheit, 
der Friede und die Ruhe Europas bewahrt bleiben sollen.«*) 
Allerdings sollen auch die anderen Fürsten nicht untätig sein, 
auch sie verdienen Tadel, wenn sie sich allein dem augenblick- 
lichen Sonderinteresse überlassen und an das »interest general« 
gar nicht denken.*) 

Einem anderen Zweck widmet Lisola die zweite Schrift 
des Jahres 1673.*) Er möchte durch sie die Holländer in ihrer 
Not aufrichten, sie gleichzeitig durch das Bild der bevorstehenden 
französischen Weltherrschaft*) zum energischen Widerstand an- 
spornen und ihnen Hoffnung auch auf den Beistand anderer 
erwecken. Alle Mächte werden sich ihrer gerechten Sache an- 
schließen, mit Ausnahme höchstens von Schweden und Portugal, 
denn »es ist zu jeder Zeit eine Staatsmaxime gewesen, die Staaten 
Europas in der Weise zu balancieren, daß keine unter ihnen zu 
solcher Größe gelangt, daß sie den andern furchtbar wird«.^) 



1) a. a. O. S. 127. 

«) a. a. O. S. 129. 

•) a. a. O. S. 136 f. 

*) So mit Anwendung auf die deutschen Fürsten, S. 55. 

&) »Considerations politiques au sujet de la guerre presente entre la France et la 
Hollande.* Amsterdam 1673. Auszuge bei Heinldn, a. a. O. S. 7 ff. Auch Pribram hält 
Lisola für den wahrscheinlichen Verfasser, a. a. O. S. 353.^) 

«) a. a. O. S. 4 und S. 40. 

r) a. a. O. S. 37. 

4' 



— 52 -^ 

Eben weil die Holländer auf die Hilfe rechnen dürfen, die ihnen 
Europa wegen des Gleichgewichts bringen wird, müssen sie ihre 
Güter und ihr Leben gegen den Feind einsetzen; es wird nicht 
vergebens sein. 

Im Beginne seiner Siegeszüge trat, wie wir sahen, Ludwig XIV- 
bereits die Idee des europäischen Gleichgewichts gegenüber, in 
der Form des Gegensatzes der zwei großen Fürstenhäuser und 
ihrer Staaten, vertreten von Angehörigen der habsburgischen 
Länder, bestimmt, ihnen die Unterstützung der auswärtigen 
Mächte zu gewinnen. Zugleich aber wiesen zwei Schriften darauf 
hin, daß England in dem System der sich balancierenden Mächte 
berufen sei, die entscheidende Stellung einzunehmen und in der 
Tat auch schon unter früheren Regenten eingenommen habe. 
Aber während dieser Gedanke aus der politischen Literatur des 
europäischen Festlandes mit Lisolas Tod, wie es scheint, für 
mehrere Jahrzehnte ganz verschwand,^) hatte er schon zur 
selben Zeit in England selbst wieder Aufnahme gefunden') 
und war berufen, dort eine für lange Zeit, ja bis auf unsere 
Tage bleibende Stätte zu finden.*) 



2. Kapitel. 

Es wäre nicht unmöglich, daß auch während der Regierungen 
Jakobs I., Karls I. und Cromwells der Gedanke an Englands 
ruhmvolle Stellung in der Welt unter der Königin Elisabeth in 
der Literatur seinen Ausdruck in dem Bild von der politischen 
Wage Europas mit England als ihrem Zünglein gefunden hat. 

1) Allerdings ist gegen Ludwigs XIV. Streben nach der Universalmonarchie wenig- 
stens während des Krieges von 1672—78 noch oft geeifert worden. Titel dahin gehöriger 
Flugschriften, zu denen auch solche von Lisola gehören, hier zu nennen, ist nicht erforder. 
lieh. Belege bieten v. Zwiedineck-Sfidenhorst : »Die öffentliche Meinung in Deutschland im 
Zeitalter Ludwigs XIV. 1650-1700.« 1888. S. 22, 26, 50, 62 f. Ebenso Haller: »Die 
deutsche Publizistik in den Jahren 1668-74. Heidelberg 1892. S. 21 f., 65 f., 75, 110 f. 
Vgl. auch Eman. Münzer: »Die brandenburgische Publizistik unter dem großen Kurffirsten" : 
»Märkische Forschungen« XVIII. (1884). S. 255, 258 und 282. Über die Art, wie Leibniz 
sich in seinem 1670 geschriebenen Aufsatz über die Sekurität des 'Reichs die französische 
Weltherrschaft dachte - als ein »arbitrium rerum in Europa« - vgl. Erdmannsdörfer : 
Deutsche Geschichte, S. 536 ff., bes. S. 538. i) 

«) s. 0. S. 28 ff. über sein erstes Auftreten. 

>) vgl. die Formel für die jährliche Bewilligung des stehenden Heeres in England: 
8. 0. S. 1.») 



— 53 — 

Wirksam geworden ist er erst gegenüber der aufsteigenden Macht 
der Bourbonen unter Ludwig XIV. Zuerst ausgesprochen finde 
ich ihn bereits in einem Briefe des Grafen Arlington an Sir 
William Temple vom 4. Oktober 1667 (a. St.).^) Allerdings 
steht ihm der Graf selbst nicht sehr freundlich gegenüber, 
wenigstens ist die politische Lage nach seiner Ansicht noch nicht 
dazu angetan, daß sich England auf ein so weitaussehendes 
Unternehmen einlassen dürfte, wie es "the keeping of the balance 
even between the two crowns" wäre. William Temple selbst 
schreibt am 27. Februar 1668 während der Verhandlungen, die 
zum Aachener Frieden führten, an de Wit, Spanien müsse endlich 
mit Portugal zum Abschluß kommen, um wieder imstande zu 
sein, durch ungehinderten Widerstand gegen Frankreich die 
Verhältnisse »in das notwendige Gleichgewicht zu bringen«.') 
Später aber setzt er in einem Aufsatz für den Herzog von Or- 
mond aus dem Oktober 1673 auseinander, England müsse ein 
Bündnis mit Spanien schließen, um dadurch nun seinerseits »das 
wahre Gleichgewicht der Christenheit aufrecht zu erhalten«.') 
Schon aber hatte sich die Publizistik des gleichen Themas be- 
mächtigt. 

Noch vor dem Ausbruch des französisch -holländischen 
Krieges schrieb Thomas Manley*) ein kräftiges Pamphlet gegen 
Frankreich, das er aber wegen Karls IL schon damals offen- 
kundiger Hinneigung zu Frankreich nicht veröffentlichte. Es 
erschien erst 1689, wir weisen ihm aber in dem Zusammen- 
hang seine Stelle an, dem es seine Entstehung verdankt.*) 

i) Die betr. Stelle ist gedruckt bei Ranke: »Englische Oeschichte«, V, 52. 

«) „The Works of Sir William Temple«. London, 1770. I, 390. 

*) a. a. O. 11, 238. Die politische Bedeutung Temples ist zwar nach Emerton: 
»Sir William Temple und die Tripelallianz vom Jahre 1668«, Leipz. Diss. 1877, stark 
fiberschätzt worden. Wenn das von Emerton gezeichnete Bild richtig ist, so wfirden 
Temples Äußerungen zwar nicht auf Originalität, daffir aber auf Wiedergabe der allgemeinen 
Meinung der diplomatischen Welt Anspruch m achen können. Vgl. indessen Rankes Urteil 
über Temple: »Englische Geschichte- III, 281 (WW. X). 

4) vgl. fiber seine sonst unbedeutende literarische Tätigkeit das »Dict of Nat. 
Biogr.-, Bd. XXXII. 

6) Neugedruckt im »Harldan Miscellany of Tracts-, London 1744 ff. Der Titel 
ist langatmig: »The present State of Christendom examined, and found languishing, oc- 
casioned by the Oreatness of the French Monarchy: For Cure whercof, a Remedy (from 
former Examples), is humbly proposed. Wrote upon occasion of the House of Commons 
vote to reise 80000 1. to equip a fleet for the year 1671, moved thereunto by the pretended 
march of the French Army, towards the Maritime Parts of Flanders.« By Thomas Manley 
Esq. 1689. I, 190 ff. 



— 54 — 

Manley lenkt die Aufmerksamkeit seiner Landsleute auf den sieht- 
baren Niedergang Spaniens und den Aufschwung der französischen 
Macht, deren junger Herrscher sich die „Western Monarchy" zum 
Ziel gesetzt habe. Um diesem Ziele näher zu kommen, habe er sich 
bemüht, England und Holland miteinander zu verfeinden.^) Das 
einzige Mittel, Ludwigs XIV. Plänen wirksam zu begegnen, sieht 
Manley in der Wiederaufnahme der Politik früherer englischer 
Herrscher, die mit Nichtachtung, ihrer Ruhe und selbst ihres 
Lebens die europäischen Mächte balanciert, ihre Waffen immer in 
die leichtere Wagschale geworfen und dadurch ihren eigenen 
Frieden und ihre Sicherheit gerettet haben. Schon daß er gegen 
diese Regel der politischen Kunst gefehlt hat, würde genügen, um 
Cromwell zu einem hassenswerten, schlechten Politiker zu machen.*) 
Natürlich erkennt Manley Elisabeths Politik im Gegensatz zu der 
Cromwells rühmend an, und ebenso lobt er die Tripelallianz. 
Aber er ist der Meinung, daß sie nicht mehr genüge, solange 
»das rechte Gleichgewicht so sehr gestört bleibe" und Frankreich 
Holland bedrohe. Denn wenn wirklich Holland in französische 
Gewalt gerät, ist auch England verloren, da es allein gegen 
Ludwig XIV. zu schwach ist; ebenso wie alle anderen Nationen 
verloren wären, wenn Frankreich sich zuerst auf England stürzte, 
und sie nicht helfend eingriffen. Deshalb müssen England und 
mit ihm die anderen Mächte die erste günstige Gelegenheit zu 
einem offensiven Kriege gegen Frankreich ergreifen und so das 
ausgezeichnete Beispiel befolgen, das einst Richelieu und Oxen- 
stierna durch ihren Kampf gegen das übermächtige Habsburg 
gegeben haben.*) 

So sieht Manley Englands Freiheit mit der des übrigen Europa, 
besonders der Hollands, unauflöslich verbunden, und das Gleich- 
gewichtssjrstem scheint ihm das Mittel, beide zu erhalten. Darin 
liegt für ihn wie für alle folgenden Publizisten die Basis der 

^) Ein sehr häufiger Vorwurf. Vgl. z. B. den »Appel de TAngleterre" (s. o. S. 50 1) 
S. 31; den vielleicht von Lisola verfaßten »Veridicus Oallicus" (Wiener Univ.-Bibl.) S. 11; 
Pribrani, S. 353 1). 

>) Auch diese Anklage gegen Cromwell begegnet uns immer wieder, z. B. noch bei 
Bolingbroke: Works, London 1754. II, 388. 

S) Es ist interessant, daß hier, noch in verhältnismäßiger zeitlicher Nähe der höchsten 
habsburgischen Machtentfaltung, Richelieu als Qleichgewichtspolitiker gelobt wird. Später 
verwischt sich die Erinnerung daran und wird erst in der französischen Literatur zur Zdt 
des Siebenjährigen Krieges wieder lebendig. 



— 55 — 

Balancepolitik Englands. Doch verbindet sie sich bei den ver- 
schiedenen Schriftstellern mit mehreren anderen Gesichtspunkten und 
erhält dadurch in jedem einzelnen Falle ihr spezifisches Gepräge. 
Für Manley kommt nur ein besonderes Moment neben dem all- 
gemeinen in Betracht. Er macht sich selbst den Einwurf, daß 
ein Krieg gegen Frankreich England nicht nur keinen greifbaren 
Nutzen bringen, sondern seinem Handel schwere Wunden schlagen 
würde. Aber nach seiner Meinung ist der Einwand in doppelter 
Weise nicht stichhaltig. Gesetzt, Englands Handel würde wirklich 
schwer durch einen französischen Krieg leiden, so gilt es, den Ver- 
lust während des Kampfes zu ertragen, wenn dadurch die nationale 
Freiheit und der mit ihr bedrohte Handel für immer gerettet 
werden können. Außerdem ist es aber gar nicht einmal gewiß, 
daß der englische Handel von einem französischen Kriege geschädigt 
werden wird, vielleicht ist gerade das für ihn die einzige Möglich- 
keit, sich auszubreiten und den Handel Frankreichs zu vernichten. - 
Eine sehr beachtenswerte Hypothese ! In der ersten uns bekannten 
englischen Broschüre über die Bedeutung der Gleichgewichtspolitik 
für England wird die Perspektive eröffnet, die französische Handels- 
konkurrenz durch sie zu vernichten. Dem Verfasser erscheint die 
Aussicht allerdings als eine unsichere, er scheint sie nur zu er- 
öffnen, um einem gewichtigen Einwand gegen die von ihm ver- 
tretene Politik zu begegnen, aber leicht kann aus dieser eventuellen 
Aussicht ein unmittelbarer politischer Antrieb werden. - Berechnet 
hat Manley seine Schrift auf das englische Publikum, um es gegen 
die Politik der Regierung einzunehmen. 

In anderer Beziehung verdient eine ebenfalls noch vor dem 
französischen Angriff auf Holland geschriebene Broschüre erwähnt , 
zu werden. ^) Ihr Verfasser gibt sich für einen englischen Pres- 
byterianer aus. Dem ganzen Inhalt nach kann kaum ein Zweifel 
sein, daß diese Angabe auf Wahrheit beruht*) Er erklärt, von 
zwei Dingen handeln zu wollen, vom Staat und von der Religion, 



^) «Trait^ politique sur les mouvemens prcscns de rAngleterre contre ses interests 
et ses maximes fondamentales*. Ville Franche 1672. Wiener Univ. Bibliothek, Sammelband. 

>) Pribram, a. a. O. S. 353^) erwähnt eine Schrift Lisolas, die mit dieser englischen 
Schrift bis auf die letzten Worte, die dort fehlen, gemeinsamen Titel führt, aber von 1671 
datiert ist. Leider habe ich sie nicht erhalten können. Es scheint mir unmöglich anzunehmen, 
daß diese Broschüre Lisolas mit der mir vorliegenden hier besprochenen Flugschrift in 
engerem Zusammenhang steht. Möglicherweise ist nur. der Titel übernommen worden. 



— 56 — 

um Englands Volk über die Politik des Kabinetts aufzuklären. 
Ganz ähnlich wie Thomas Manley sucht er zu zeigen, daß »Eng- 
lands Ruhe von der Ruhe Europas abhängig ist, und daß diese 
Ruhe die Wirkung des ewigen Gegensatzes zwischen Spanien und 
Frankreich ist".^) Diesen Gegensatz muß England nach dem 
Muster Heinrichs VIII. und Elisabeths regulieren. Der Verfasser 
erzählt darauf, mit welchen Künsten Frankreich es fertig gebracht 
hat, England in den letzten Jahren von der Oleichgewichtspolitik 
abzudrängen, wie Karl IL durch die Aussicht auf eine Retablierung 
seines Verwandten, des Prinzen von Oranien, zu seiner feind- 
seligen. Haltung gegen die Republik gebracht worden ist Schlimmer 
aber als die Interessen des Staates werden durch die Politik des 
englischen Ministeriums die der Religion verletzt Elisabeth hat 
auch aus religiösen Motiven Heinrichs IV. Partei ergriffen, und 
Cromwell hat aus denselben Gründen den Krieg gegen die Oeneral- 
staaten so bald wie möglich beendet. Karl II. aber hat seine Re- 
gierung mit der Wiedereinführung der Bischöfe begonnen und 
hat den Marquis von Argyle hinrichten lassen,*) dessen »Manen 
nach Rache schreien", und dessentwegen wder Himmel diesen 
Fürsten strafen wird, weil er der Henker eines Unschuldigen und 
wahren Märtyrers des Glaubens gewesen ist".*) Die Rücksicht 
auf den Protestantismus ebenso wie auf Englands politischen Vor- 
teil fordert, daß die Politik der Tripelallianz fortgesetzt wird, und 
daß »dieser Wahnsinn«, der Krieg gegen Holland, endlich auf- 
hört Beide Ziele will der Verfasser durch die erprobte Anwendung 
des Balancesystems erreichen, zu der er Englands Volk und Re- 
gierung zu bewegen sucht, zu der er eventuell aber auch das Volk 
gegen die Regierung aufzureizen denkt; der gelegentlich sehr 
bittere Ton seiner Anklagen gegen die Regierung läßt daran 
nicht zweifeln. 

Noch enger mit der inneren englischen Politik verwoben 
sind die Ideen des Verfassers von zwei bald nacheinander, die 
eine kurz vor, die andere kurz nach der Eröffnung der Feind- 



«) a. a. O. S. 6. 

S) Der Marquis von Argyle, bekannt als Oegner Karls I., wurde trotz der Amnestie 
nach der Restauration vor dem sdiottisdien Parlament angeklagt und 1661 hingerichtet; 
vgl. Ranke: Englische Geschichte IV, 350. (S. W. 17.) 

8) a. a. O. S. 44. 



— 57 — 

Seligkeiten durch die englische Flotte geschriebenen Pamphleten.^) 
Sie gehören nach Inhalt und Tendenz beide so eng zusammen, 
daß wir sie ungesondert besprechen. Ihr Verfasser macht kein 
Hehl aus seinem grimmigen Haß gegen die Hofpartei, die des 
Königs »grundlose Kriege gegen die protestantischen Staaten*) und 
seine sündige und närrische Verbindung mit den Franzosen« ver- 
schuldet hat*) Dagegen erhebt er nun seine Forderungen, die, 
so verschiedener Art sie sind, doch wohl, ohne den Gedanken 
des Verfassers Gewalt zu tun, sich auf die Grundforderung vereinigen 
lassen, daß der König in der gegenwärtigen Lage »die Balance 
halten und über sie absolut als Schiedsrichter walten muß zwischen 
allen seinen Nachbarn, während diese durch Kriege ermüdet und 
gebrochen sind, um so den Frieden wieder herzustellen, das Recht 
wieder in seihe Stelle einzusetzen und das Interesse der englischen 
Nation kräftig zu fördern«.*) Worin besteht nun aber Englands 
Interesse an der Gleichgewichtspolitik? Natürlich vor allem darin, 
daß durch sie Holland und die spanischen Niederlande vor Frank- 
reich gerettet werden, das sonst durch deren Eroberung sich einen 
bequemen Weg zur Eroberung Europas*) bereiten würde, die 
auch »das arme England« zwingen würde, »den Nacken unter 
das französische Joch zu beugen«. Dazu kommt die zu befürchtende 
Vernichtung des Handels und der Kolonien. Aber noch mehr 
Güter stehen auf dem Spiele! Englands »altes Interesse« besteht 
auch in der »Erhaltung der Religion, der gerechten Freiheit und 
Sicherheit der Parlamente, der wünschenswerten Harmonie zwischen 
Seiner Majestät und ihnen, der Sicherheit und des Vermögens des 
Volkes«.*) Und alles das wird durch die Wendung gegen Frankreich 
geschützt werden, denn nur dieses bedroht Englands heiligste Güter 
durch seinen Bund mit den absolutistischen Bestrebungen Karls IL; 
dessen Ziele sind eben nicht identisch mit den Zielen des englischen 
Volkes, er verfolgt ein besonderes Interesse, nämlich seine Freiheit 
vom Parlament, das er ganz abzuschaffen gedenkt, die ungehinderte 



^) «The English Ballance, wdghing the reasons of Englands present conjuncüon 
with France, against the Dutch«. 1672. Kgl. Univ.-Bibl. zu Oöttingen. 

>) aStaaten« ist hier im technischen Sinne von »Oeneralstaaten« gebraucht. 

^ a. a. O. S. 39. 

«) a. a. O. S. 22. 

») »this part of the World-, a. a. O. S. 57. 

«) a. a. O. S. 61 f. 



— 58 — 

Verfügung über Armee und Schatz, das »stat pro ratione voluntas" 
in Staats- und Kirchensachen. ^) Um diese Pläne durchzuführen, 
bedarf der König der Hilfe Ludwigs XIV.; um sie zu vereiteln, 
muß Englands Volk auf den Kampf gegen die werdende Welt- 
macht dringen, muß es sich auf Hollands Seite stellen, muß es 
das europäische Gleichgewicht erhalten. - Äußere und innere Politik 
verschlingen sich unauflöslich. Wer, wie der Verfasser der vor- 
liegenden Flugschriften, Nonkonformist und Konstitutionalist ist, 
antipäpstlich und antiabsolutistisch fühlt, muß sich gegen die 
katholisch-absolute französische Königsmacht wenden, muß in 
einem festen Bündnis mit den republikanisch - calvinistischen 
Oeneralstaaten Englands wahre Politik erkennen. Nicht aus 
irgendwelchen Idealen für die Bewahrung der Selbständigkeit 
aller bedrohten Staaten Europas, sondern aus konfessionellen und 
konstitutionellen Beweggründen sucht der Verfasser Englands Volk 
zur Qleichgewichtspolitik zu veranlassen. Die Rücksicht auf die 
materiellen Interessen dient ihm nur dazu, seinem Systeme größere 
werbende Kraft zu verleihen. Übrigens dürfte nicht bestimmt zu 
sagen sein, wie sich der Verfasser sein Qleichgewichtssystem 
gedacht hat. Er erwartet von Spanien und dem Kaiser so wenig,*) 
daß ihm kaum ein Zweimächtesystem, sondern mehr eine Kon- 
föderation aller Schwachen mit England als Kristallisationspunkt 
gegen den einen Starken vorgeschwebt haben wird. Auf die Um- 
stände, die nicht viel später Habsburgs Rolle in der Balance Europas 
wieder aufs neue betonen ließen, kommen wir noch zurück. 

Hatte die Opposition seines Volkes Karl 11. schon nach 
kurzem Kampfe 1674 zum Frieden gezwungen, so fuhr die 
politische Presse trotzdem in ihren Angriffen gegen Frankreich 
fort. Eine Schrift von 1677 verlangt, mit den bekannten Aus- 
führungen über die unmittelbare Gefährdung Englands durch die 
Fortschritte Frankreichs auf dem Kontinent, England solle sofort 
nachdrücklich in den Krieg eingreifen, da »in dieser gefährlichen 
Krisis es der göttlichen Vorsehung gefallen hat, England als Schieds- 
richter über das Schicksal Europas einzusetzen und diesem Amte 
solche Vorteile beizufügen, daß Ehre, Pflicht und Sicherheit der 



1) a. a. O. S. 62. 
«) vgl. a. a. O. S. 57. 



— 59 — 

Nation eng verschlungen zu sein scheinen".^) Unter »Sicherheit'» 
aber ist nach der Ansicht des Verfassers offenbar nicht nur die 
Abwendung der Gefahr einer Eroberung zu verstehen, sondern 
auch die der Vernichtung des englischen Handels, dessen Interessen 
die Flugschrift vielleicht das Hauptmotiv ihrer Entstehung ver- 
dankt. Denn der Gedanke der französischen Universalmonarchie 
wird hier in sehr charakteristischer Weise mit dem eines » Universal- 
handels" verbunden, mit der Begründung, daß dieser »nur die not- 
wendige Konsequenz jener ist«.*) Daher werden beide gleichzeitig 
vereitelt, wenn England sein Schiedsrichteramt ausübt, das heißt, 
mit dem gebräuchlicheren Ausdruck, das Gleichgewicht bewahrt.*) 

Wegen der in ihr zitierten älteren Schriften und des dadurch 
deutlichen Zusammenhangs der publizistischen Ideen verdient eine 
gleichfalls aus dem Jahre 1677 oder Anfang 1678 herrührende 
Schrift einige Worte.*) Sie eifert aus allgemein politischen und 
kommerziellen Interessen gegen Ludwig XIV., dadurch der voran- 
gehenden Schrift verwandt, begründet Frankreichs Pläne zur Er- 
ringung der Weltherrschaft unter anderem mit dem »großen Pro- 
jekt« Heinrichs IV., zitiert zu demselben Zwecke Aub6rys »des 
justes pr^tensions du Roy sur l'Empire«,*) und stützt das von 
ihr vertretene Balancesystem auf »das kleine, aber gewichtige Buch 
des ausgezeichneten Herzogs von Rohan«, der es als Englands 
Interesse bezeichnet habe, immer das Gleichgewicht zwischen 
Frankreich und dem Haus Österreich zu halten, und wenn einer 
eine überragende Stellung gewönne, ihn »zu einer Gleichheit zu 
reducieren«. •) Historische Beispiele bekräftigen die Richtigkeit 
der Regel. 

Vor und während des französisch -holländischen Krieges 
hatte die Publizistik die Gemeinsamkeit der englischen und 



>) nThe present State of Christendom, and the Interest of England, with a regard 
to France: Harleian Mise. I, 242 ff. 

«) a. a. O. S. 245. 

>) Dafür, daß »holder of the ballance* und »arbiter of Europe* gleichbedeutend in 
dieser Zjc'it gebraucht werden, vgl. Lisolas »Appel de TAngleterre«, s. o. S. 50. 

*) »Christianissimus Christianandus : or reasons for a reduction of France to a more 
Christian State in Europe.« Gedruckt in »A Collection of State Tracts, published during 
the Reign of King William III*. London 1705 ff. I, 394 ff. Das Datum ergibt sich nur 
aus dem Inhalt: der terminus ante quem ist der Friede von Nymwegen. 

6) a. a, O. S. 396; vgl. o. S. 48. 

•) a. a. O. S. 417 f. 



— 60 — 

holländischen Interessen gegenüber der Politik Karls H. vertreten. 
Nach dem Frieden von Nymwegen schien auch die Politik des 
englischen Königs ähnlichen Antrieben folgen zu wollen. Die 
im Beginn 1680 im Haag geführten Unterhandlungen über ein 
englisch - niederländisches Bündnis^) scheinen einen Anhänger 
dieser Bestrebungen bewogen zu haben, seine Gedanken darüber 
zu veröffentlichen.*) Nach seiner Ansicht ist Frankreich durch 
seine vollendete innere Einheit, sein besonders auch in finanziellen 
Fragen absolutes Königtum und neuerdings durch seine starke 
Seemacht auf dem besten Wege zur Weltmonarchie. Den ent- 
scheidenden Anstoß zur Realisierung des großen Plans gibt die 
Persönlichkeit Ludwigs XIV. Frankreich wird zuerst die spanischen 
Niederlande, dann das Deutsche Reich bis zum "complete Con- 
quest of that Brauch of the miserable House of Austria" unter- 
jochen. Das wird das Zeichen sein, um von den belgischen 
Häfen aus England zunächst in Irland anzugreifen und es seiner 
»Dominion of the Sea" und überhaupt seines Handels zu 
berauben. 

Nicht minder bedroht ist dadurch der Protestantismus, und 
doch hat während des letzten Krieges Karl IL sich tatenlos ver- 
halten, als ob nicht der Ruhm seiner Vorfahren gerade im 
''holding and casting of the Balance of Europe, and Protection 
of the Protestant Religion" bestände.*) Allerdings ist Frankreich 
schon so stark geworden, daß kein einzelner Staat mehr fähig 
ist, es zu balancieren,^) und auch Qelegenheitsbündnisse ihren 
Zweck nicht erfüllen. Deshalb muß in Europa ein neues v Kapital 
an Macht und Interesse aufgebracht werden«,*) um das Gleich- 
gewicht zu schützen, damit »es nicht wieder in ein Chaos gestürzt 



1) vgl. Ranke: „Englische Geschichte* V, 270 f. 

>) „Discourses upon the modern affairs of Europe" etc : Harleian Mise. I, 411 ff. 
Datiert vom Haag, 24. 5. 1680. 

Der Verfasser dürfte Engländer sein, so wenn er den uns schon andeutungsweise 
begegneten Gedanken vertritt (s. o. S. 56 ff.), eine englisch-holländische Allianz würde Karl II. 
mit seinem Parlament versöhnen (S. 422), oder für England die «Dominion of the Sea* 
<S. 416) beansprucht, oder die Furcht vor englischem Ehrgeiz zurückweist und sich auf 
Heinrich VIII. beruft (S. 420), der nichts wollte, als zwischen Karl V. und Franz I. die 
Balance halten. 

») a. a. O. S. 416. 

*) Hier wird besonders deutlich dem »miserable House of Austria« jede besondere 
Bedeutung für das Gleichgewicht abgesprochen. 

&) "there must be a new Fund of Power and Interest raised up*': a. a. O. S. 417. 



— 61 — 

werde, aus dem die Franzosen eine Universalmonarchie machen 
können«.^) Dieser Zweck wird allein durch eine festgefügte 
Verbindung zwischen Holland und England erreicht werden, 
deren nächste Spezialaufgabe der Schutz der spanischen Nieder- 
lande sein müßte, der für England und Holland wertvoller ist 
als für Spanien,*) und deren allgemeine Bedeutung darin bestehen 
würde, daß durch sie das europäische Gleichgewicht erhalten 
wird, wodurch diese Liga zugleich einen Universalzweck für 
ganz Europa erfüllen und darin ihre höchste Rechtfertigung 
finden würde. Die ausschlaggebende Stellung Englands können 
sich alle Staaten unbedenklich gefallen lassen. Anders wie die 
Völker des Kontinents hat es von Gott in dem Meere, das es 
von allen Seiten umspült, eine so starke natürliche Grenze er- 
halten, daß ihm Ausdehnung zum Schaden anderer verwehrt ist. 
Sein Ehrgeiz kann nur das eine Ziel haben, nach Heinrichs VHI. 
Vorbild Schiedsrichter in den Kämpfen der großen Festlandsmächte 
zu sein. Nichts kann daher Holland abhalten, mit ihm ein 
festes Bündnis zu schließen. 

In dieser Wendung an Holland liegt gewiß die eine 

* 

Tendenz der Schrift, die im übrigen auf die Engländer selbst zu 
wirken sucht. Sie wäre dann die erste, die für Englands Gleich- 
gewichtspolitik im Auslande, und zwar in einem bestimmten 
Staate, Billigung zu finden hoffte. Sämtliche vorher zitierten 
englischen Pamphlete sind dagegen nur auf die Wirkung innerhalb 
Englands berechnet; das würde schon daraus hervorgehen, daß 
sie ausnahmslos zu der Politik der englischen Regierung im 
Gegensatz stehen. Die Schrift des Jahres 1680 zeichnet sich vor 
allen anderen auch dadurch aus, daß sie das große Ereignis von 1 688 
gewissermaßen vorausnimmt: die Verschmelzung der englischen 
und holländischen Politik mit dem Oberwiegen des englischen 
Einflusses, die seit der glorreichen Revolution immer mehr das 
bestimmende Element in der europäischen Gleichgewichtspolitik 
wird, bildet schon die Grundlage des Systems des Verfassers. 
Der Zusammenhang der kontinentalen Machtgruppierungen mit 



1) " . . . to keep the Balance of Earope from being callcd back into a Chaos, out 
of which the French may form a Universal Monarchy": a. a. O. S. 417. 
«) a. a. O. S. 416. 



— 62 — 

den Interessen Englands als selbständiger, Handel treibender und 
protestantischer Macht, der dadurch bedingte Gegensatz zu 
Frankreich, bildet den Inbegriff des Oleichgewichtssystems, wie 
es vom englischen Standpunkt aus aufgefaßt wird, unter Betonung 
der allgemeinen Bedeutung des Systems für ganz Europa, seinen 
Frieden und seine Sicherheit. Es ist die typische Form, der sich 
die englische Gleichgewichtsliteratur der nächsten Jahrzehnte an- 
schließt, je nach den Umständen das eine oder das andere Moment 
stärker hervorhebend oder vernachlässigend, mehr oder minder 
aber auch im Dienste der inneren Parteigegensätze. Denn das 
ist ja das Charakteristische der englischen Politik des 17. und 
18. Jahrhunderts, daß sie nicht wie die der maßgebenden 
Kontinentalstaaten von einer autoritativen Stelle aus ohne Wider- 
spruch des Landes gelenkt wird. Bei der Betrachtung der eng- 
lischen Publizistik darf das nicht übersehen werden. 



3. Kapitel. 

1. So war das Gleichgewichtssystem, das wir gern mit dem 
Namen Wilhelms 111. bezeichnen,^) gedanklich ausgebildet und im 
politischen Kampfe mehr als einmal verwertet worden, ehe der 
große Dränier den englischen Thron bestieg und in Wirklichkeit 
umzusetzen unternahm, was so lange nur politisches Postulat 
gewesen war. Er brauchte nicht, wie Karl IL, erst aufgefordert 



^) vgl. Meinberg: «Das Oleichgewichtssystem Wilhelms III., und die englische 
Handelspolitik". Berlin 1869. M. macht darauf aufmerksam, daß die rastlose politische 
Tätigkeit des großen Oraniers, die ganz Europa gegen die Übermacht Ludwigs XIV. zu 
einen suchte, bis zum Jahre 1688 ihren lebendigen Antrieb aus der Not und Bedrängnis 
Hollands erhielt, während nach Wilhelms Erhebung auf den englischen Königsthron die 
englischen See- und Handelsinteressen ihn in dieselben Bahnen einer antifranzösischen 
Politik wiesen, so daß wir wenigstens in dieser späteren Zeit seines Lebens die englischen 
Handelsinteressen als den realen Inhalt des nach seinem Namen genannten Oleichgewichts- 
systemes zu betrachten haben. 

Ob gerade Wilhelm III. persönlich auf die Vorstellungen von der politischen Balance 
viel Einfluß gehabt hat, läßt sich nach M.s Darstellung nicht entscheiden; daß die prak« 
tischen Erfolge seiner Politik der Idee eine außerordentlich gesteigerte Verbreitung und zuerst 
auch offizielle Anerkennung gegeben haben, geht nicht nur aus der Flugschriftenliteratur 
hervor, sondern z. B. auch aus dem Friedensvertrag zwischen England und Spanien vom 
13. Juli 1713, Art. II., in dem als Ziel des Friedens bezeichnet wird »de r^blir la Paix et 
la tranquillit6 de la Chr6tient6 par un juste 6quilibre de puissance": Lamberty: »M6moires 
p. s. ä rhistorie du XVIIIe siecle-, A la Haye, 1731 ff. VIII, 377. 

In dem Vertrag zwischen England und den Staaten vom 24. August 1689 und in 
der sog. »Großen Allianz« vom 7. September 1 701 ist nur von »repos et tranquillit^ de TEurope" 
oder von der Gefahr der Freiheit Europas die Rede : Lamberty, a. a. O. I., 462 und 621 ff. 



— 63 — 

zu werden, das europäische Oleichgewicht zu verteidigen. Wir 
dürfen uns daher nicht wundem, daß während des Krieges von 
1689-97 die Qleichgewichtsliteratur nicht nur nicht anschwillt, 
sondern im Gegenteil ihr Strom recht spärlich fließt. Wir werden 
daraus schließen dürfen, daß auch jetzt die Idee des Oleichgewichts 
in erster Linie nicht einer Rechtfertigung der englischen Politik 
vor dem Auslande, sondern vor den heimischen Parteien diente. 
Die Bestätigung wird uns die Publizistik zu Beginn und während 
des Spanischen Erbfolgekrieges gewähren. 

Es fehlen uns aber nicht etwa ganz uns interessierende Erzeug- 
nisse der politischen Literatur während der neunziger Jahre des 
1 T.Jahrhunderts. Es sind uns eine Reihe von Flugschriften überliefert, 
von denen mehrere Wilhelms IIL Kriegspolitik verteidigen.^) Sie er- 
innern England daran, daß der Krieg um die höchsten geistigen, poli- 
tischen und materiellen Interessen geführt wird, die notwendigen 
schweren Lasten daher willig getragen werden müssen. Alle pole- 
misieren gegen die Obermacht Frankreichs, die meisten sprechen von 
der drohenden Universal-Monarchie. Nur eine Flugschrift verbindet 
damit die Oleichgewichtsbestrebungen. *) Sehen wir, inwiefern 
sie Neues bietet. Ihr Verfasser untersucht gelegentlich französischer 
Friedensanerbietungen unter schwedischer Vermittelung die Ziele, 
die England in einem annehmbaren Frieden erreichen muß. Er 
verlangt vor allem eine starke Barriere für Holland und zwar 
erstens, weil Hollands Unterwerfung Frankreich zum Oebieter in 
Europa machen würde, zweitens, weil Frankreich durch sie Herr 
des englischen Handels werden würde. Aber auch seinen übrigen 
Verbündeten muß England günstige Friedensbedingungen ver- 
schaffen, und indem der Verfasser das mit den anderen Forderungen 
kombiniert, fährt er fort: »Es ist das allgemeine Interesse der 
gesamten Christenheit, das Haus Österreich wieder in eine gewisse 
Oleichheit mit Frankreich zu bringen. Dies »Equilibrium« ist 

^) »The Pretences of the French Invasion examined, for the Information of the People 
of England". London 1692: Harl. Mise. VIII, 407 ff., u. Somers' Tracts, 1813, X, 349 ff. 

Zwei Schriften des extremen Whig und Nonkonformisten John Hampden : Collection 
of State Tracts, II, 309 ff., 320 ff. Beide von 1692. Ebenso »Short and important conside- 
rations« etc.: State Tracts, II, 299 ff. 

Auch Charles Davenant : »An Essay of the Ways and Means of Supplying the War" : 
Works, I, 3 ff. aus dem Jahr 1695, gehört hierher: vgl. u. S. 65 >) >). 

>) »Reflexions upon the Conditions of Peace, offered by France; and the Means to 
be employed for the procuring of better". Printed 1694: State Tracts, II, 41 2 ff. 



— 64 — 

notwendig für die Sicherheit der Völker und ebenso für die der 
Fürsten. Das besondere Interesse Englands aber ist es, diese 
Gleichheit wiederherzustellen, so daß es die Wage in der Hand 
haben und auf die von ihm gewünschte Seite wenden kann. Das 
ist das einzig mögliche Mittel für uns, nicht nur das »Empire 
of the Seas« aufrecht zu erhalten, dessen Besitz wir in so ruhm- 
reicher Weise wiedergewonnen haben, ^) sondern uns auch zu be- 
fähigen, über den Erfolg des Krieges und über die Friedensbedin- 
gungen zu entscheiden." Um diese Aussichten, die dem Verfasser 
auf Grund ^iner den größten Teil der Flugschrift einnehmenden 
Schilderung der militärischen Lage erreichbar erscheinen, zu rea- 
lisieren, rät er zur Fortsetzung des Krieges. — Zweierlei zeichnet 
diese Flugschrift aus, die gehobene Stimmung des Engländers, 
sein gefestigtes Gefühl für die endlich wiedergewonnene Be- 
deutung seines Landes in der europäischen Staatenwelt, und 
andererseits die Bedeutung, die er für das Haus Österreich in 
Anspruch nimmt. Es ist ganz augenscheinlich der Aufschwung, 
den die Macht der deutschen Habsburger durch die glänzenden 
Siege im Türkenkriege und die Eroberung Ungarns genommen 
hat, der seinen Ausdruck in der Gleichgewichtsauffassung findet *) 
2. Die Zahl der englischen Broschüren und Flugschriften 
aus den Jahren 1700 und 1701, die für unsere Untersuchung 
in Betracht kommen, ist so groß, daß sich ein Eingehen auf 
jede einzelne verbietet.*) Wir finden zudem in ihnen immer 

1) Anspielung auf die Schlacht von La Hogue, im Mai 1692: Erdmannsdörffer: 
Deutsche Geschichte, II, 24. 

*) vgl. Ranke, S. W. XXIV, 15 f. über das neue Österreich der Tfirkensiege. 

*) Die Titel werden nur hier vollständig genannt und von 1-9 numeriert; alle 
späteren Verweisungen geben nur die Nummer und Seite an. 

I. (Defoe): »The two great questions considered". London 1700. Brit. Museum. 
Von demselben »The two great questions further considered", London 1700, gibt nichts Nenes. 

II. bA letter to a Member of Parliament in the Country, conceming the present 
poshire of affairs in Christendom"; datiert vom 1. Dez. 1700: State Tracts III, 194 ff. 

III. Lord Somers: »Anguis in herba: Or the fatal consequences of a treaty with 
France-. 1701. State Tracts III, 312 ff. 

IV. »An Essay upon the present Interest of England.« 1701. State Tracts III, 154 ff. 

V. ,The Claims of the People of England essayed, in a letter from the country.* 
1701. State Tracts III, 1 ff. 

VI. u. VII. »The Duke of Anjou's Succession considered, as to its legality and to 
its consequences", 1701, und »The Duke of Anjou's Succession further considered, as to the 
danger that may arise from it to Europe in general; but more particularly to England, 
and the several branches of our trade". 1700: State Tracts III, 22 ff. und 44 ff. 

VIII. Charles Davenant: »An Essay upon the Ballanceof Power." 1701. Works III, 297 ff. 

IX. „The danger of Europe, from the growing power of France". Nov. 1701. 
State Tracts III, 343 ff. 



— 6S — 

wieder dasselbe mit meist geringfügigen Variationen. Wir werden 
daher die von ihnen vertretenen Forderungen im Zusammenhang 
darstellen und darauf einige Bemerkungen über die praktischen 
Ziele hinzufügen, die sie etwa noch außer den innerhalb des 
Balancesystems vereinigten Tendenzen verfolgen. 

Der Ausgangspunkt für alle Schriften ist natürlich der Tod 
Karls IL von Spanien. Die Gefahr einer Universalmonarchie 
schien dadurch in drohendere Nähe gerückt als je zuvor. ^) 
Während aber bisher allgemein das Wort »Universal Monarchy« 
oder 1» Empire universel" hatte genügen müssen, um Frankreich 
als den Feind Europas erscheinen zu lassen, versuchte jetzt der 
bedeutende politische Schriftsteller Charles Davenant,') seinen 
Landsleuten in einer Abhandlung zu beweisen, daß der das 
Wort begleitende Schrecken wohl begründet sei.*) In einem 
ersten Teile gibt er die psychologische Erklärung des manchen 
Völkern innewohnenden Dranges nach Weltherrschaft, erläutert die 
relative Ausdehnung, die man dem Begriffe unterlegen müsse,*) 
und zeigt an Beispielen der Geschichte, daß in alter und neuer 
Zeit verschiedene Völker tatsächlich mit derartigen Bestrebungen 
große Erfolge errungen haben. Eingehender spricht er von der 
türkischen und der spanischen Universalmonarchie und begründet, 
warum sie nicht zur Vollendung gelangten, um dann auf Frank- 
reich überzugehen, das nach seiner Meinung der Universalherr- 
schaft schon nahe gekommen ist und durch die Erwerbung 
Spaniens die ganze Welt in die größte Gefahr bringen würde; 
''this sad prospect" fügt er hinzu, "has occasioned these papers".*) 
In einem zweiten Teil prüft Davenant die Frage nach dem Nutzen oder 
Schaden einer Universalmonarchie für die Menschheit. Er be- 
kämpft die Ansicht des Spaniers Pedro Mexia, der in seinem 
Buche i,Los Cesares" die glücklichen Zeiten der römischen 
Kaiser des zweiten Jahrhunderts zurückersehnt hatte. Er will 
weder in staatlicher, noch kommerzieller, noch geistiger Beziehung 
unter einer Weltherrschaft die Möglichkeit längere Zeit an- 

») Davon sprechen z. B. I, 15; III, passim; IV, ISS; VI, 32; VII, 54; IX, 344, 372. 
«) vgl. Dict. of Nat. Blogr. XIV, 99 f. 

^ Charles Davenant: «On Universal ' Monarchy. .1701. Neugedruckt in seinen 
«fPolitical and commercial Works", London, 1771. IV, 1 ff. 
*) vgl. die Ansichten von Leibniz, o. S. 52.>) 
ft) a. a. O. S. 28. 

Kaeber, Das europäische Oleichgewicht 5 



— 66 — 

dauernder gesunder Verhältnisse anerkennen; mit besonderer 
Schärfe wendet er sich gegen den auch von sonst ausgezeichneten 
Herrschern wie Trajan geübten Gewissenszwang, dem man sich 
in einem Weltreich nicht einmal durch die Flucht entziehen könne. 
Vor diesen allen Engländern jetzt zusammenhängend ge- 
schilderten, mit einer Weltherrschaft notwendig verbundenen Ge- 
fahren sollen England und mit ihm ganz Europa nach der über- 
einstimmenden Meinung der Publizisten durch das Gleichgewichts- 
system bewahrt bleiben. Diese Gefahren sind so dringend, weil 
nach der allgemeinen Meinung Spanien auch unter der Herrschaft 
eines eigenen Königs aus dem Hause Bourbon in Wahrheit von 
Frankreich regiert werden würde, ^) und weil Ludwig XIV. auf 
diesem Umwege nicht minder sicher seine Universalmonarchie 
durchführen würde. In einer Flugschrift wird ein eigener Nach- 
weis dafür angetreten, daß Ludwig XIV. wirklich die ihm allgemein 
zugeschriebenen Ziele verfolgt,*) während Defoe der Meinung 
ist, daß kein Beweis erforderlich sei, weil naturgemäß jeder 
Herrscher seine Macht soweit ausdehnen werde, wie ihm nicht 
durch einen Stärkeren Halt geboten würde.') Der erste und 
wichtigste Zweck, den England durch die Aufrechterhaltung des 
Gleichgewichts erzielen soll, ist also die eigene Unabhängigkeit 
wie die der übrigen Fürsten; beide sind untrennbar verbunden.*) 
England soll in der Erfüllung dieser Aufgabe eine »unschätzbare 
Prärogative« und seinen schönsten Ruhm sehen.*) Ja, wenn sich 
wie bei dem zweiten Teilungsvertrage •) ein Konflikt zwischen 
dem strengen Recht und dem Prinzip des Gleichgewichts erhebt, 
so muß dieses siegreich bleiben, oder, wie sich der Anwalt 
dieser Meinung, Defoe, ausdrückt: »the Peace of Kingdoms, the 
General quiet of Europe, prevails to set aside the Point of nice 
Justice«.') Wie in den Broschüren der siebziger Jahre werden auch 
jetzt vielfach historische Beispiele herangezogen; Heinrich VIII. und 
Elisabeth ernten reiches Lob, Cromwell und Karl II. scharfen Tadel.®) 

1) II, 202; VI, 26; VII, 46. 
«) III, 326 ff. 

») I. 15. 

*) III, 323; VII, 59; II, 201 f.; IV, 159 ff. 

») II, 196. 

8) vgl. Erdmannsdörffer: Deutsche Geschichte, II, 171. 

') I. 20. 

8) I, 15; V, 17; bes. VIII, 305 f. 



— 67 — 

Ebenso wie sich die Verteidigung der Freiheit Englands 
mit dem Schutz der Freiheit Europas zu einer Einheit verbindet, 
so hängt auch die Rettung der englischen Kirche untrennbar mit 
der Erhaltung des Gleichgewichts zusammen. Nicht nur, daß 
die Universalmonarchie mit dem Katholizismus identifiziert wird, 
für die freie Ausübung ihrer Religion besteht für die protestan- 
tischen Engländer darin eine besondere Gefahr, daß der von 
ihnen vertriebene König Jakob II. im engen Bunde mit der 
katholischen Vormacht stand, ein Bund, der auch unter seinem 
Sohne fortdauert Es taucht wohl die Vorstellung von einem 
»protestantischen Gleichgewicht'' auf, das mit dem politischen 
Gleichgewicht nicht identisch ist, aber durch dieses allein er- 
halten werden kann.^) England erscheint auch in diesen religiösen 
Gegensätzen als ausschlaggebender Faktor, es hat auch hier einen 
doppelten Beruf als Schützer aller Protestanten und seiner be- 
sonderen religiösen Unabhängigkeit auszuüben.^) Eine Schrift 
bringt den Zusammenhang staatlicher und konfessioneller Selbst- 
bestimmung auf die Formel: Der Königin Elisabeth vorbildliche 
Maximen seien es gewesen »das Haupt der Protestanten zu sein 
und die Balance von Europa zu halten «.•) Ein anderer Publi- 
zist spricht die Hoffnung aus, zum Entgelt für die aus den 
allgemeinen politischen Gründen notwendige Unterstützung des 
Kaisers würde England Zugeständnisse für die protestantischen 
Brüder in den kaiserlichen Erblanden erwirken können.^) 

Das dritte Gut, das durch die drohende Universalmonarchie 
dem Untergange geweiht wäre, ist Englands Handel: neben das 
ganz allgemeine Freiheitsinteresse, neben das Wohl des Pro- 
testantismus tritt ein rein englisches Interesse.*) Es ist nicht zu 
verwundem, wenn die meisten Flugschriften von ihm mit größerer 
Ausführlichkeit sprechen, waren doch Englands kommerzielle Be- 
ziehungen damals schon ausgedehnt genug. •) Und gerade die 



1) I, 17. 

^ bes. VI, 37; vgl. auch IV, 156, 165, 172 ff.; eine protestantische Liga VII, 63; 
VIII, 316; "the king was acknowledged to be the head of the Protestant Intercst" : nach dem 
Frieden von Ryswick. 

») V, 17. 

*) VI, 36. 

&) Nur I und V kommen hier nicht in Betracht. 

^ Über die tatsächlichen Verhältnisse vgl. v. Noordcn : „Europäische Geschichte im 
18. Jahrhundert". 1870 ff. I, 37 ff., bes. S. 44. 

5* 



— 68 — 

Aussicht einer Vereinigung Spaniens mit Frankreich regte die 
(öffentliche Meinung Englands aus gewichtigen Gründen auf. Da 
schien der gewinnbringende spanische Wollhandel in französische 
Hände geraten zu sollen, was die englische Tuchindustrie schwer 
treffen mußte; man behauptete, England würde bei einem fran- 
zösischen Monopol auf spanische Wolle in Zukunft Stoffe im- 
portieren müssen, statt sie wie bisher auszuführen.^) Und auch 
der sonstige Warenaustausch mit Spanien, der England gegen 
seine industriellen Erzeugnisse einen Teil an dem aus Amerika 
kommenden Edelmetallstrome vermittelte, würde sicherlich durch un- 
erträgliche Zölle zugunsten Frankreichs unmöglich gemacht werden. 
Nicht England, sondern Frankreich, so hieß es, wird die spanischen 
Kolonien mit Leinen- und Wollwaren versorgen. Französische 
Schiffe werden die Erlaubnis erhalten, direkt nach Westindien zu 
fahren; der an den Weg über Cadiz gebundene englische Kauf- 
mann wird die Konkurrenz nicht aushalten können.*) Nicht viel 
besser wird es dem englischen Levantehandel gehen, denn die 
Straße von Gibraltar kann durch die vereinigten französischen und 
spanischen Flotten gesperrt werden,*) und auch wenn dies Ex- 
trem nicht eintritt, wird Frankreich durch den Besitz oder die 
Verfügung über Neapel und Sizilien die englischen Nebenbuhler 
leicht aus dem Felde schlagen.*) Der afrikanische Sklavenhandel 
wird französischen Handelstreibenden zufallen. *) Womöglich 
werden selbst Englands eigene Kolonien in Gefahr geraten.*) 
Hilft England aber dem Hause Habsburg in den Besitz der 
spanischen Erbschaft, dann darf es zum Lohne günstige Handels- 
bedingungen erhoffen.') 

Eine andere Gefahr für die englische Schiffahrt würde durch 
die Unterwerfung Hollands durch Frankreich drohen, denn England 
kann sich auf seine Seemacht gegenüber der durch die holländischen 
Schiffe verstärkten französischen Marine nicht verlassen.*) 



1) III, 320, 340; IV, 157; bes. VII, 47. 

«) IV, 157 f.; VII, 50 ff. 

») VII, 49. 

<) III, 320; VII, 49. 

») VII, 52; III, 321. 

«) VII, 52. 

f) VII, 66 f. 

«) II, 201 f. 



— 69 — 

»Liberty, religion, trade« ist das allen Schriften aus dem 
Beginn des spanischen Erbfolgekrieges mit gewissen Nuancen 
gemeinsame Motiv, zusammengefaßt überall unter der Forderung 
des europäischen Gleichgewichts, das von da an eigentlich erst 
wieder den Charakter eines Schlagworts erhält Die Form des 
europäischen Gleichgewichts ist in allen Schriften dieselbe : das Haus 
Bourbon auf der einen, das Haus Habsburg auf der anderen 
Seite, England als dritte Macht, nach freier Wahl die politische 
Wage nach der Richtung durch sein Gewicht senkend, wie 
es ihm um des rechten Aquilibriums willen gut dünkt Die un- 
abhängige Existenz mehrerer gleichberechtigter Staaten, die freie 
Ausübung der protestantischen Religion, die ungehinderte Aus- 
dehnung des englischen Handels sollen durch das Gleichgewichts- 
system gesichert werden. 

Aber was bezwecken die politischen Schriftsteller im ein- 
zelnen Falle mit der Darlegung dieser VerhäUnisse? Man wird 
ohne Zweifel annehmen dürfen, daß in mehr oder minder starker 
Weise neben anderen Motiven lebendig patriotische Gefühle sie 
alle oder doch die meisten unter ihnen trieben, die von ihnen für 
richtig gehaltene Politik vor der Nation literarisch zu vertreten. 
Mußte doch das englische Volk wissen, wofür es sich in einem 
neuen Kriege gegen Frankreich neue Opfer an Menschen und 
finanziellen Aufwendungen auferlegen sollte. An das englische 
Volk appellieren in der Tat alle von uns besprochenen Schriften 
der beiden Jahre vor dem Ausbruch des Krieges, nicht an das 
Ausland. Nirgends werden andere Nationen oder Regierungen 
aufgefordert, um des europäischen Gleichgewichts willen sich 
England anzuschließen, im Gegenteil, England wird gemahnt, 
auf Grund dieses Prinzips andere Mächte, vor allem den Kaiser 
und Holland,^) in ihren Ansprüchen zu unterstützen. Eine 
Ausnahme macht höchstens eine Schrift,*) die sich am Schluß, 
nach sehr eingehenden Betrachtungen der Gefahren der Thron- 
besteigung des Herzogs von Anjou für England von den drei 
bekannten Gesichtspunkten »liberty, religion und trade« aus, über 



1) Holland war wegen der spanischen Niederlande von vornherein gegen die Total- 
sukzession eines französischen Prinzen. 
«) VI, 39 f. 



— 70 — 

das voraussichtliche Verhalten der kontinentalen Mächte ausläßt. 
Aber wenn dort gesagt wird, die Schweiz würde am besten 
fahren, indem sie zwischen Habsburg und Bourbon die Balance 
hielte; wenn auch die italienischen Fürsten nach der Meinung 
des Verfassers ihr Interesse in der „ballance of Christendom • 
sehen würden; so scheint damit weniger eine Aufforderung an 
sie beabsichtigt zu sein, dem entsprechend Partei zu ergreifen, 
sondern der Verfasser möchte mehr durch diese Erwägungen 
seinen eigenen Landsleuten Mut machen, zusammen mit dem 
größten Teil von Europa die von ihm empfohlene Politik zu 
befolgen.^) 

Außer den patriotischen Motiven aber können wir in 
mehreren Broschüren auch parteipolitische Tendenzen deutlich 
wahrnehmen. Zwei besonders auffallende Beispiele seien hier 
hervorgehoben.*) Das erste ist Davenants Essay über das Gleich- 
gewicht der Macht.') Davenant macht sich den zweiten Teilungs- 
vertrag zunutze. Indem er diesen auf das heftigste angreift, 
unter sorgfältiger Schonung der Person Wilhelms III., indem er 
die whiggistischen Minister, die ihn abgeschlossen haben, ver- 
dächtigt, gegen ihre ganze Politik die schwersten Beschuldigungen 
erhebt, das »country interest" gegen das »money interest*» aus- 
spielt, das durch Parlamentsbestechungen und die Gründung der 
Neuen Ostindischen Kompagnie und der damit in Verbindung 
stehenden Bank von England das politische Leben vergiftet habe, 
indem er aber andererseits für die absolute Notwendigkeit einer 
Balancepolitik eintritt, macht er jedermann den Schluß leicht, daß 
nur die unehrliche Whigverwaltung durch ein ehrliches Tory- 
regiment ersetzt zu werden braucht, damit jeder Engländer mit 



>) Damit soll In kdner Weise bestritten werden, daß die englische Diplomatie die 
Idee des Gleichgewichts als Werbemittel im Kampfe gegen h'rankreich den kontinentalen Mlcfatoi 
gegenüber verwandt hat. Die Zeugnisse dafür sind in den diplomatischen Verhandlungen 
zu suchen, nicht in der politischen Literatur; diese allerdings ist von solchen Tendensea 
frei. Daß aber wirklich der Olelchgewichtsgedanke während des Spanischen Erbfolgekrieget 
von England aus auf dem Kontinent eingebürgert worden ist, spiegelt auch die Pnblizittik 
wieder. Vor 1713 ist nur die politische Literatur Englands voll von der Balanceidee, iiACh 
dem Utrechter Frieden begegnet sie überall, besonders in Deutschland, und wird hier sofdrt 
ein Gegenstand gelehrter Spekulation. Vgl. auch den Anhang. 

«) Aber frei von Parteitendenzen sind auch andere Schriften nicht, so V, VI und 
jede Schrift, die den zweiten Teilungsvertrag erwähnt, wie II und IV besonders. 

>) Oben als Vlll. bezeichnet. Vgl. auch Ringhoffer: »Die Flugschriftenliteratur fa 
Beginn des spanischen Erbfolgekrieges". Berlin 1881. S. 49 ff. 



— 71 — 

Freuden Gut und Blut zu opfern bereit ist, um das europäische 
Gleichgewicht zu schützen. Allerdings leistet sich Davenant am 
Schluß seines Pamphlets trotz der vorangegangenen Gehässigkeiten 
die Mahnung an »alle guten Engländer", im Interesse des Gleich- 
gewichts II die Parteinamen beiseite zu legen und sich in schuldigem 
Gehorsam gegenüber dem König zu vereinen''; er wird aber alles 
andere lieber gesehen haben, als eine Erfüllung dieses Wunsches. 

Nicht minder leidenschaftlich in ihren Angriffen auf die 
Gegner ist eine Whigschrift, die in ihrer Weise die Kriegsleiden- 
schaften zu steigern und für die Partei auszunutzen strebt.^) 
Während Davenant die Gleichung: Whigs » Geldspekulanten auf- 
gebracht hatte, werden hier Tories und Jakobiten identifiziert, 
um aus den bevorstehenden Neuwahlen überall Whigs hervor- 
gehen zu lassen, die allein zuverlässigen Männer in der großen 
Gefahr. Alle Amter sollen mit ihnen besetzt, die Gesetze gegen 
die Sekten aufgehoben werden.*) Alles wieder im Interesse des 
Gleichgewichts! Die innere Eintracht wird wie von Davenant 
gepriesen, der Verfasser denkt sie sich dadurch erreicht, daß das 
ganze Land whiggistisch wählt, und die paar etwa doch noch vor- 
handenen Jakobiten und Tories gegenüber dem einigen England 
nicht in Betracht kommen. 

Sieht man nur diese beiden Schriften an, so könnte man 
meinen, das europäische Gleichgewicht sei im Anfang des 
1 8. Jahrhunderts in England nichts als ein Schlagwort im Partei- 
kampf gewesen. In dieser Ausschließlichkeit ist das für die bis- 
her angeführte Literatur nicht richtig: Defoes Schrift und auch 
die des Lord Somers sind von direkter Vertretung eines Partei- 
standpunktes fem, die anderen Flugschriften auch nur bis zu 
einem gewissen Grade von ihm beeinflußt. Dem Gleichgewichts- 
gedanken wohnt sichtbar noch eine eigene Bedeutung bei, er ist 
geeignet, auch außerhalb des Parteiinteresses dem politischen 
Fühlen des englischen Volkes einen gewissen idealen Schwung 
zu verleihen. Die Begeisterung für Unabhängigkeit, Protestantis- 
mus und freien Handel ist in ihrer Vereinigung nicht ohne einen 
erhebenden Zug. 



>) Oben als IX bezeichnet. 

s) a. a. O. S. 357 f. : Polemik gegen die Testakte. 



— 71 — 

S. Dieser Schwung fehlt fest gänzlich den Flugschriften 
aus den letzten Jahren des Spanischen Erbfolgekrieges, die in 
beträchtlicher Zahl in England erschienen, und die wir hier an- 
fügen. Durch die glänzenden Siege während des Krieges war 
ja erreicht, was man in England erstrebt hatte. Eine wirkliche 
Oefohr für die großen Güter der Nation bestand nicht mehr. 
Wenn trotzdem die Qleichgewichtsliteratur noch einmal zu einem 
bi^eiten Strome anschwoll, so lag der Qrund in den inneren 
Verhältnissen Englands. Die Torypartei arbeitete aus hier nicht zu 
erörternden Gründen seit dem Jahre 1710 für baldigen Frieden, *) 
während die Fortsetzung d^ Krieges mit dem politischen und 
materiellen Interesse der Whigs zusammenfiel.') Durch den Tod 
Josephs I., im April 1711, und die Wahl des habsburgischen Königs 
von Spanien zum Kaiser erhielten die Tories einen ausgezeichneten 
Agitationsstoff. Gleich das erste berüchtigte Pamphlet gegen die 
Fortsetzung des Krieges^ führte außer den zahllosen einzelnen 
Angriffen auf Englands Verbündete einen allgemeinen Gruiki für 
den Frieden an: Das europäische Gleichgewicht wird verletzt, wenn 
derselbe Mann, der Kaiser ist und die österreichischen Besitzungen 
des Hauses Habsburg beherrscht, gleichzeitig über Spanien regiert 
In derselben Weise verlangte eine andere Toryschrift, daß Philipp 
von Anjou unter gewissen beschränkenden Bedingungen Spanien 
erhalten müsse, da Spanien und Österreich vereint schon dreimal 
in der Geschichte, zur Zeit Karls V., Philipps II. und Ferdinands IL, 
das Gleichgewicht gestört und die politische wie die religiöse 
Freiheit Europas bedroht hätten.*) Bolingbrokes Zeitschrift, der 
Examiner,^) brachte kurze Artikel mit ähnlichen Argumenten. 
Dagegen aber erhoben nun auch die Whigs das Gleichgewicht 
zu ihrem Panier, sie suchten nachzuweisen, daß die ungeteilte 
Sukzession der Habsburger in die Länder der spanischen Monarchie 
unter dem Kampf fürs Gleichgewicht zu verstehen und auch bis- 
her von Krone und Parlament stets verstanden worden sei.*) 

^) ErdmannsdÖrffer, a. a. O. S. 276. 
*) Erdmannsdörffer, a. a. O. S. 268. 

B) „The conduct of the Allies and of the late Ministry, in beginning and carrying 
on the present war." London 1712. (Brit. Museum.) (1. Ausg. 1711.) 
<) „The Ballance of Europe" etc. London 1711. (Brit. Mus.) 
^ Im Brit. Mus. ist ein Exemplar erhalten. 
0) „A few words upon the Examiner*s scandalous peace." London 1711. (Brit. Mos.) 



— 73 — 

Damit verband sich der Streit, ob England in den spanischen 
Erbfolgekrieg als ein Hauptbeteiligter (prindpal) oder nur als 
Hilfsmacht (auxiliary, confederate) eingetreten sei.^) Für die Auf- 
fassung von Englands Bedeutung im europäischen Oleichgewichts- 
system ist die Erörterung nicht unwesentlich. Die Frage, bis zu 
welchem Grade England sich in die kontinentalen Verwicklungen 
einlassen müsse, soll durch eine allgemeine Formel fixiert werden. 
Wir werden der Diskussion darüber noch einmal begegnen.*) 
So wird von Whigs und Tories in ihrem Kampfe die Idee von Eng- 
lands Stellung als Halter der politischen Wage Europas hin und 
her gezerrt, von den Tories ihrer kommerziellen und religiösen 
Bestandteile meist beraubt, während die Whigs gerade religion 
und trade auch jetzt eifrig in diesem Zusammenhange betonen.^ 
Mag man auch annehmen^ daß es ihnen dabei nicht allein um 
wirkungsvolle Worte zu tun ist, daß die Begeisterung für die alten 
Ideale aus dem Beginn des großen Krieges nicht ganz in ihnen 
erloschen ist, im allgemeinen hat man den Eindruck, daß ein 
großer Gedanke, der sich soeben noch von fruchtbarer politischer 
Kraft erwiesen hatte, zu einem Spielball in den Händen von 
Parteiführern geworden ist. 

4. Gegenüber der Zahl der englischen Flugschriften ver- 
schwinden die Erzeugnisse der Gleichgewichtsliteratur anderer 
Staaten aus der Zeit des spanischen Erbfolgekrieges. Es ist schon 
von Ringhoffer*) gezeigt worden, wie geringe Ausbeute die 
österreichische Literatur für die Betrachtung vom allgemeinen 
politischen Standpunkt aus gewährt. Sie ist zum größten Teil 
juristischer Natur. Erwähnenswert ist immerhin eine deutsch 
geschriebene Verteidigung der habsburgischen Ansprüche auf die 
spanische Erbschaft^) Darin wird in einer Weise, die ganz an 

1) Aufgebracht wohl schon Ende 1710 von Bolingbroke in einer Nummer des 
Examiner; neu gedmcktbei Somers: „A collection of scarceuid valnableTracts," Neiumfl. 
London 1814, XIII, 71 ff. Im „Conduct of theAUies" vertreten. Dagegen „The Allies and 
the late Ministry defended against France and the present friends of France". 4 parts. 
London 1712. (Brit. Museum.) 

«) s. u. S. 82 ff. 

•t) „The Allies . . . defended" S. 22 und passim. Ahnlich in „The offers of France 

explained", London 1712. (Brit Mus.) S. 23. Freiheit und Religion auch in „Europe a 

Slave, when the Empire is in Chains". 1713. (Brit. Mus.) 

*) a. a. O. passim. 

I») „Die ans Licht gebrachte Wahrheit des oesterreichischen Rechts und frantzösischen 
Unrechts zur spanischen Succession." Collen 1701. 



— 74 — 

die bald immer lebhafter werdende naturrechtliche Behandlung 
der Qleichgewichtstheorie erinnert, die Gemeinsamkeit der Inter- 
essen aller Völker gegen die zu sehr anwachsende Macht eines 
Staates betont: »Es ist nämlich die Welt ein allgemeines Vater- 
land, worinnen alle freyen selbst herrschenden Völcker und IjCönige 
die Bürger vorstellen.«^) Diese Weltbürger müssen ebenso auf 
das allgemeine Weltbeste achten, wie der Staatsbürger auf das 
Heil seines engeren Vaterlandes. Um dieses allgemeinen Besten 
willen hat die Gemahlin Ludwigs XIV., Maria Theresia, auf ihr 
Erbrecht verzichten müssen, und es ist eine besondere »Glorie« für 
Philipp IV., in dieser Weise für das Interesse ganz Europas ge- 
sorgt zu haben. Prankreich aber treibt eine ganz andere Politik : 
seit Franz I. strebt es nach einer Universalmonarchie. Der Ver- 
fasser weist das im einzelnen nach und fügt hinzu, wer nodi 
jetzt daran zweifeln kann, »der muß wohl noch sehr jung in der 
Welt sein, und wann solche Einfalt bey einigen noch übrigen 
Europäischen Potenzen noch weiter vorhalten sollte, so ist die 
Rechnung bald gemacht; nemlich, die Welt werde auf solche 
Weiß nimmermehr Ruhe haben, bis alles mit einander Frantzösisch 
worden".*) Später erklärt der Verfasser auch, in welcher Weise 
Frankreich seine Absichten verwirklichen wird. Sein »Universal- 
dominat« wird aus zwei Elementen bestehen, dem »Obergebiet^, 
das es direkt oder indirekt beherrscht,') und dem »Alleinkauf 
oder Monopolio«.^) Zu dem Zwecke wird es die wichtigsten 
Seeplätze in der ganzen Welt besetzen und den Handel in Ost- 
und Nordsee, den spanischen, Levante- und Kolonialhandel sich 
vorbehalten, Engländer, Spanier und nordische Staaten von Handel 
und Verkehr ausschließen. Und dabei haben die Franzosen der 
Welt vormachen wollen, Spanien suche sich die Welt zu unter- 
werfen!*) Und wirklich hat die betrogene Welt lange genug 
Frankreichs Warnungen Gehör geschenkt und ist ständig bemüht 
gewesen »wie doch die Waagschal zwischen beyden Monarchien 
gleicher zu machen wäre", wobei sie sich denn stets gegen 



>) a. a. O. S. 8. 

*) a. a. O. S. 22. 

») a. a. O. S. 60ff. 

*) a. a. O. S. 60, und bes. S. 71 ff. 

ß) a. a. O. S. 66 f. 



— 75 — 

Spanien gewandt hat, so daß man von dieser Verblendung der 
Völker »eine recht lustige Komödie" schreiben könnte.^) 

Es scheint so, als ob der Verfasser dieser Broschüre zwar 
gegen den Unfug kämpfen will, den die französische Diplomatie 
mit dem Schlagwort »Universalmonarchie" gelrieben hat, und 
gegen die dadurch irregeleitete Richtung der Gleichgewichts- 
bestrebungen des übrigen Europa, daß er aber im Prinzip diese 
für wohl berechtigt anerkennt Er will eben nur dieselbe Um- 
kehrung des Angriffsobjektes der Gleichgewichtspolitik vornehmen, 
welche Lisola zuerst vertreten hat. *) Und zwar- wünscht der 
Verfasser mit dieser richtig verstandenen Forderung des Ab- 
wägens der beiden großen Mächte auf das Ausland zu wirken, 
in erster Linie wohl auf die Seemächte. Nur diese konnten 
durch die Ausführungen über das geplante französische Handels- 
monopol sich bewegen lassen, Österreichs Ansprüche zu ver- 
teidigen. Innerhalb Deutschlands würden derartige Argumente 
wenig Verständnis gefunden haben. Ahnlich den englischen 
Publizisten verbindet der deutsche Publizist Freiheit und Handel 
als Ziele im Kampf gegen die Universalmonarchie; er läßt den 
dritten Bestandteil des englischen Gleichgewichtssystems, die 
Sicherheit des Protestantismus, dagegen notwendigerweise fort. 
Der literarische Vertreter des katholischen Erzhauses konnte dies 
Element in seinem politischen System nicht brauchen. 

Neben diese österreichische Flugschrift stellt sich eine 
Broschüre ähnlicher Tendenz, die nach Ringhoffers Vermutung 
von einem spanischen Niederländer verfaßt ist.') Sie enthält 
einen umfangreich juristisch und politisch begründeten Angriff 
auf den zweiten Teilungsvertrag, dem gegenüber das Recht des 
Kaisers, resp. des Erzherzogs Karl, auf die ungeteilte Erbschaft 
vertreten wird: Das Interesse Europas verlangt nicht minder wie 

>) a. a. O. S. 67. 

^ S. O. S. 48 f. 

s) Das französische Original zitiert bei Ringhoffer, a. a. O. S. 31. Ich zitiere nach 
einer englischen Obersetzung: „The fable of the Lion's share, verified in the pretended 
partition of the Spanish Monarchy". 1701. State Trads, III, 129 ff. 

Ringhoffer führt namentlich das Interesse an den kommerziellen Verhältnissen für 
die spanisch-niederländische Nationalität des Verfassers an ; nach dem oben besprochenen 
deutschen Traktat erscheint dieser Schluß nicht notwendig. Indessen spricht doch die ein- 
gehende Beschäftigung mit der Bedeutung der einzelnen spanischen L&ider, vor allem die 
Verteidigung und das Lob Philipps II. (S. 138 f.) und die gute Schilderung des wirtschaft- 
lichen Damiederliegens Spaniens (S. 146 f.) ffir Ringhoffers Annahme. 



— 76 — 

die Gerechtigkeit die Abweisung der französischen Ansprfidie^ 
die auf die endgültige Schwächung des Hauses Habsburg und 
damit auf die Vernichtung des Gleichgewichts zielen.^) Noch 
sicherer würde natürlich der »Bruch der Balance«*) eintreten, wenn 
bei dem erwarteten Tode Karls II. ein französischer Prinz sein Nach* 
folger werden würde. Für die beiden großen Seemächte zeigt 
sich die Gefahr besonders in dem Übergewicht, das der franzö- 
sische Handel im Mittelmeer wie in Westindien dadurch erringen 
würde. An England und Holland, beziehungsweise ihre leitenden 
Staatsmänner, richtet der Verfasser daher wohl den Tadel der 
irspeculative'* oder »enthusiastick Politicians'«, die ihre Augen vor 
der dringenden allgemeinen Gefahr nicht offen halten wollen, 
sondern von Zeit und Zufall Hilfe erwarten.^ 

Wir sehen, das europäische Gleichgewicht wird auch in 
dieser Schrift im Interesse der Habsburger angerufen. Die 
Parömie »Freiheit und Handel "«y die den konkreten Inhalt des 
Gleichgewichts bildet, soll England und Holland zu Bundes- 
genossen des Kaisers im Kampf um das spanische Erbe machen. 
Die kaiserliche Politik wendet sich, soweit sie das Schlagwort 
Gleichgewicht sich dienstbar macht, an das Ausland, vor allem 
an die Seemächte, die sich ihrerseits, unter Führung Englands, 
als den dritten großen Machtfaktor in Europa betrachten, als den 
»holder of the ballance of power«. Es war der Ausdruck für 
die Tatsache, daß England unter der Regierung Wilhelms III. 
und der Königin Anna sich als ebenbürtig neben die beiden 
großen Festlandsmächte gestellt hatte. Aus dem spanischen Erb- 
folgekrieg ging das sogenannte »alte System" neu gefestigt hervor.*) 



>) a. a. O. S. 144. 

«) a. a. O. S. 153. 

«) a. a. O. S. 144. 

<) Über dies ..alte System" der englischen Politik vgl. Wolfgang Michael: aDie 
englischen Koalitionsentwürfe des Jahres 1748": Forsch, z. br. u. pr. Oesch. (1888), I, 203 ff. 
Es beruhte auf der Balanceidee, mit einer nun schon traditionellen Vorliebe EngUnds 'f&r 
Habsburg und Feindseligkeit oder mindestens Argwohn gegenüber Frankreich. 



in. 

Vom Frieden zu Utrecht bis zum 
Frieden zu Aachen. 



1. Kapitel. 

Die Zeit von 1714-40 ist eine politisch sehr bewegte, 
so wenig sie auch durch große kriegerische Ereignisse erfüllt wird. 
Dementsprechend ist die Qleichgewichtsliteratur, obgleich gering 
an Umfang, der Ausdruck mannigfacher politischer Konstellationen. 
Sie läßt sich in vier Gruppen ordnen. 

1. Das europäische Qleichgewichtssystem der Publizistik 
zeigte eine Beschränkung, die mit seinem Anspruch auf Allgemein- 
gültigkeit kontrastierte: es beanspruchte, für ganz Europa zu gelten 
und war doch in Wahrheit nur eine Abstraktion aus den poli- 
tischen Verhältnissen West- und Mitteleuropas, und auf die Staaten 
dieses Teils von Europa in der Literatur fast allein bezogen. 
Diese Tatsache war den politischen Schriftstellern im allgemeinen 
nicht recht zum Bewußtsein gekommen, wir haben deshalb noch 
nicht früher darauf aufmerksam gemacht. Eine Änderung scheint 
zuerst während des nordischen Krieges eingetreten zu sein, der 
zugleich mit dem Kampf um die spanische Erbfolge aüsgefochten 
wurde. Aber wie die praktische Politik mit Erfolg bemüht war, 
beide Kriege auseinander zu halten,^) so kam die Publizistik 
auf den Gedanken, ebenso bewußt den Norden von dem übrigen 
Europa zu trennen. Eine schon in anderem Zusammenhang 
erwähnte englische Flugschrift des Jahres 1711 drückt den Qe- 



1) vgl. Erdmannsdörffer, Deutsche Oeschidite II, 307 ff. 



— 78 — 

danken mit deutlicher Schärfe aus:^) ifDem Leser braucht nicht 
gesagt zu werden, daß Europa hier im engem Sinne für die 
Nationen Europas genommen werden muß, die an dem gegen- 
wärtigen Krieg gegen Frankreich auf der einen oder andern Seite 
beteiligt sind, ohne daß wir uns mit den Angelegenheiten von 
Schweden oder Moskovien, Ungarn oder der Türken abgeben 
wollen. Diese liegen zwar in Europa, aber da West- und Mittel- 
europa der regierende Teil von Europa sind, ist die Anwendung 
des Wortes Europa auf dieses allein durch Zeit und Gewohnheit 
legitimiert worden." 

Nun wurden aber gerade durch den nordischen Krieg 
die Interessen auch der alten Kulturmächte stark berührt, eine 
völlige Abtrennung des Nordens und Ostens schien doch nicht 
recht möglich. Aber es ist bezeichnend für die Zähigkeit poli- 
tischer Anschauungen, daß die neue Machtentfaltung Rußlands 
auf die Idee des europäischen Gleichgewichts an sich keinen 
Einfluß ausübte, sondern daß man sich mit einem Ausweg half. 
Wie man die innern Verhältnisse der deutschen Mächte mit den 
allgemein-europäischen dadurch verknüpfte, daß man ein deutsches 
Gleichgewicht annahm und von dessen Bewahrung die des euro- 
päischen Gleichgewichts abhängig machte,^) so kam jetzt die 
Idee eines ähnlich mit den allgemeinen Interessen verbundenen 
nordischen Gleichgewichts auf. Noch während des großen Krieges 
forderte eine englische Broschüre unter dieser Devise zur Unter- 
stützung Schwedens und Zurückdrängung Rußlands auf.') 

Allgemeinere Bedeutung hat die Idee wohl erst in den 
diplomatischen Verhandlungen gefunden, die ihren Ausdruck in 
den Verträgen von Wien im Mai und von Herrnhausen-Hannover 
im September 1 725 erhielten. Der Norden wurde dadurch hinein- 
gezogen, daß Rußland der österreichisch-spanischen Allianz bei- 
trat.*) Wie sollte sich Schweden in dieser Lage entscheiden? 



>) nThe Ballance of Europe", Lond. 1711. (Brit. Mus.) S. 25 f. Die Obersdxnng 
ist möglichst getreu; der im Deutschen nicht vörtlich wiederzugebende Schlußpassus lautet 
englisch: "Without conceming ourselves vith the Affairs of Sveden or JVluscovie, Hungaiy 
or the Turks, which, tho'it is true they are in Europe, yet as this is the governing ptrt of 
Europe, it has been a word Legitimated to this Part by the Custom of the Times.'* 

«) s. o. S. 34 f., S. 41, und u. S. 90 f. 

») ,,The conduct of the Allies- etc. (s. o. S. 72 8)) S. 94. 

*) Erdmannsdörffer, Deutsche Geschichte II, 410. 



— 79 — 

Eine Broschüre vom Jahre 1726 sucht darauf zu antworten.^) 
Scheinbar ist sie eine Untersuchung der Gründe für oder gegen 
den Anschluß an das englisch-französische Bündnis, in der Tat 
eine höchst wahrscheinlich von englischer Seite ausgehende Partei-* 
Schrift.') Während der Kaiser angeklagt wird, im Gegensatz zu 
den Bemühungen Englands die schweren Verluste Schwedens 
im Nordischen Kriege verschuldet zu haben, obgleich ihm doch 
ebenso wie den anderen europäischen Fürsten daran hätte gelegen 
sein müssen, Schweden zu helfen und Rußland »zur Bewahrung 
des Gleichgewichts im Norden wieder in seine alten Grenzen 
einzuschließen«,') wird Englands Politik gegen etwaige Angriffe 
verteidigt Der Kaiser hat bewiesen, daß Schweden und das 
ir6quilibre dans le Nord« ihm gleichgültig sind, darum muß 
Schweden sich an England und Frankreich anschließen, die beide 
gern jede Gelegenheit benutzen werden, ihm um ihres Handels 
und des Gleichgewichts im Norden willen das Verlorene wieder 
zu verschaffen. Schweden wird seinerseits durch eine Förderung 
der englischen Interessen zwischen Rußland und England eine 
Balance herstellen können, die ihm, dem Schwächeren zwischen 
zwei Starken, allein Sicherheit vor beiden gewähren kann.*) 

Die Vorstellungen des Schriftstellers über die Gestalt des 
von ihm vertretenen nordischen Gleichgewichts sind nicht ein- 
heitlich: Einmal sind ihm Schweden und Rußland die Gegner, 
zwischen denen England ausgleicht, dann wieder Rußland und 
England, die durch Schweden balanciert werden. Treffend spiegeln 
sich die alten und die neuen Gegensätze des nordischen Staaten- 
systems in diesen schwankenden Vorstellungen. Einheitlich da- 
gegen ist der Zweck, den die englische Politik mit der Idee des 
nordischen Gleichgewichts verbindet, den Schutz der britischen 



1) „R^nse faite de Stockholm k la lettre d*un am! de Province, sur la di versitz 
des opinions au sujet de l'accession de la Suhdt au trait^ de Hannover." s. 1. s. d. Das 
Jahr 1726 ergibt sich aus der Erwähnung der Absendung eines englischen Geschwaders in 
die Ostsee als ,,in diesem Jahre" geschehen. 

s) Dafär spricht außer dem ganzen Ton des Pamphlets die ausführlidie Verteidigung: 
der Haltung Englands im Jahre 1719 und die darauf gegründete Behauptung, die Geschichte 
lehre „de compter TAngleterre . . . la v^ritable pierre de touche de la bonne foi des Princes" : 
S. 11. Vgl. auch die Idee, daß Schweden, England und Rußland balancieren mfissc 
oben im Text 

s) a. a. O. S. 10. 

*) a. a. O. S. 20. Das Vorhergehende auf S. 19. 



— «0 — 

Handelsinteressen in der Ostsee. Es ist der alte Kampf um das 
dominium maris baltid, der unter neuen politischen Konstella- 
tionen mit einem neuen Schlagwort geführt wird, dessen Tendenz 
sich gegen die unbedingte Vorherrschaft einer der die Ostsee 
umgebenden Mächte richtet, in concreto also gegen Rußland. 
Dieselben Gesichtspunkte begegnen uns wieder in einer offiziösen 
englischen Broschüre vom Jahre 1727, die gleichfalls die Aus- 
sendung der englischen Ostseeflotte im Frühjahr 1 726 mit der not- 
wendigen Rücksicht auf das nordische Gleichgewicht verteidigt.^) 
Wenn auch vornehmlich Englands Handelsinteressen zu der 
Forderung eines Gleichgewichts der nordischen Staaten geführt 
haben, und diese Idee von vornherein in ganz anderem Maße 
als das allgemeine europäische Gleichgewicht der Verteidigung 
wirtschaftlicher Interessen dienen soll, so ist sie doch auch von 
anderer Seite als berechtigt anerkannt worden. Eine ausgezeichnete 
österreichische politische Abhandlung über die Aufgaben des für 
Cambray geplanten, tatsächlich dann in Soissons 1728 abge- 
haltenen europäischen Kongresses geht in einer ihrer propositiones 
auf die Verwicklungen im Norden, insbesondere auf die noch 
nicht erledigte Angelegenheit der Restitution des Herzogs von 
Holstein-Gottorp in seine Besitzungen in Schleswig ein.*) Dabei 
kommt ihr Verfasser auf die englische Flottenexpedition von 1726 
zu sprechen und erklärt sie mit der i/uimia Russorum maritima 
potentia«, mit der Furcht vor russischen Angriffen gegen eine 
der andern Ostseemächte, und mit dem großen Interesse der 
britischen Krone »ui Aequilibrium Europae itidem in Septen- 
trionalibus Regnis et Provinciis servaretur". Entsprechend wünscht 
der österreichische Staatsmann die Restitution resp. Entschädigung 
des Gottorper Herzogs, da davon wAequilibrii in oris septentriona- 
libus ratio" hauptsächlich abhänge. Auch er legt also Wert darauf, 
seine Vorschläge mit der Erhaltung des nordischen Gleichge- 
wichts zu begründen. 

1) •»Recherche des motifs sur lesqnels est fond6e la conduite de la Orande- Bretagne, 
par rapport aux affaires de l'^t präsent de TEurope." Traduit de l'Anglais. A la Hay 
1727. Über den Charakter dieses kleinen Buches s. u. S. 84 f. 

S) «Propositiones quaedam de causis ac dissidiis summorum aliquot Europae prin- 
cipum, et de horum amicabili compositione, et solidae pacis restauratione in futuro con- 
gressu Cameracensi perfidenda.« 1728. Enthält zwölf propositiones, den Norden behandelt 
propositio VHI. Über den Charakter der Schrift s. u. S. 86. 



— 81 — 

2. Nur wenige Jahre später fand die österreichische Publizistik 
Gelegenheit, auch die Idee des europäischen Gleichgewichts aus- 
giebiger als bisher zu verwerten. Der polnische Thronfolgekrieg 
bot den Anlaß. Eine Reihe von Flugschriften erschien und 
hallte wider von Deklamationen gegen Frankreichs Universal- 
monarchie, die dieses bei den polnischen Thronstreitigkeiten unbe- 
merkt zu fördern gedenke, nachdem es ihm unter Ludwig XIV. 
mit dem offenen Versuche nicht gelungen. Selbständigen Wert 
besitzen für uns diese Flugschriften meist nicht ^) Englands und 
Hollands Neutralität wird so erklärt, daß es Frankreich gelungen 
sei, irdenen Puissancen, denen am meisten daran gelegen, daß sie 
das Gleichgewicht in Europa erhalten sollten«, eine Falle zu 
stellen.*) In einem Zwiegespräch zwischen einem Deutschen und 
einem Franzosen wirft der Franzose die Meinung auf, England würde 
wohl wegen des Gleichgewichts Frankreich beistehen müssen, wo- 
gegen der Deutsche natürlich protestiert.*) 

Politisch höher als der Durchschnitt steht nur ein Erzeug- 
nis der österreichischen Publizistik, das die polnischen Dinge 
mehr im Vorbeigehen streift, um die Lage in Italien näher ins Auge 
zu fassen. *) Der Verfasser behauptet, Spanien beabsichtige durch 
den Krieg für den Infanten Don Carlos ganz Italien zu er- 
obern und es zu einer neuen bourbonischen Monarchie zu 
machen. Er appelliert dagegen an den Patriotismus der deut- 
schen Fürsten und an das Interesse der italienischen Fürsten an ihrer 
politischen Existenz, um sich dann eingehender über Englands 
und Hollands Rolle in dem polnischen Thronfolgekriege zu 
äußern. Er ist überzeugt genug von der Weisheit Georgs II. 

1) Genannt sdoi: »Antwort auf des Königs von Frankreich Beweggründe, einen 
Schluß, zur Ankfindigimg des Krieges zu fassen.* 1733. Damit z. T. übereinstimmend: 
•Beantwortung der Schrifft, so den Titel führet: Bewegungs-Oründe des vom Könige ge- 
faßten Entschlusses* etc. Dresden 1733: in französischer Obersetzung als »R^nse k 
rdcrit qui a pour titre: Motifs des r^lutions du Roy*, s. 1. s. d. 

Übrigens schleudert das »Manifest des Königs von Spanien« etc (aus dem Franzö- 
sischen übersetzt) den Vorwurf des ! »falschen Wahns seiner Superioritit* zur Abwechslung 
gegen den Kaiser. 

») »Beantwortung* etc. S. 7. 

*) »Curieuse Gespräche im Reiche der Lebendigen zwischen einem Frantzosen und 
Deutschen von denen Ursachen des itzigen Krieges und den Conjuncturen von Europa.** 
1734. S. 55. Dies politisch höchst unbedeutende Pamphlet ist wohl ein reines Erzeugnis 
der »öffentlichen Meinung«, von der wir sonst absichtlich nicht häufig sprechen. 

*) „R^ections sur le projet de la nouvelle Monarchie." 1734. Der Appell an die 
deutschen Fürsten, die Reichsrechte in Italien im Bunde mit dem Kaiser zu schützen, be- 
weist die österreichische Herkunft der Schrift. 

Kaeber, Das europäische Oleichgewicht. 6 



— 82 — 

und seines Parlaments, um darauf zu vertrauen, daß sie ebenso 
wie Holland nicht länger untätige Zuschauer bleiben werdeo, 
Ist doch nach seiner Meinung Englands Wohl abhängig von der 
Bewahrung des Gleichgewichts in Europa, der siebersten Basis 
der allgemeinen Ruhe. Denn bei einem Oberwiegen der bour- 
bonischen Macht fallen auch die zwei Säulen, die Englands Olödc 
tragen, die protestantische Dynastie, zugleich das Bolhverk giegen 
absolutistisches Willkürregiment, und der freie Handel. FQr 
Holland gilt es, sich auch in dieser Frage seinem mächtigen 
Freunde anzuschließen. Dieselben religiösen und kommerziellen 
Interessen leiten beide Staaten, die weisen Maximen der Republik 
»pour maintenir l'^quilibre du pouvoir en Europe« dürfen nicht 
aufgegeben werden. Alles deutet darauf hin, daß England und 
Holland nicht länger zögern dürfen, nach den Prinzipien der 
großen Allianz und des spanischen Erbfolgekrieges auch g^;enüber 
dem neuen Vorstoß der Bourbonen zu handeln. Wollte jemand 
einwenden, daß der Verlust Neapels und Siziliens an einen spa- 
nischen Prinzen die Pläne Karls VI. für die Beförderung des 
Seeverkehrs in seinen Ländern scheitern lassen werde, und daß 
England dabei seinen Vorteil finden würde, so ist das eine 
unhaltbare Ansicht Erstens läßt sich gegen die Absichten des 
Kaisers, von Triest aus seine Besitzungen am kommerziellen 
Leben teilnehmen zu lassen, kein berechtigter Einspruch erhebe 
und selbstverständlich wird der Kaiser auch hier alle wünschens« 
werte Rücksicht auf den Handel der ihm befreundeten Seemächte 
nehmen; zweitens aber würde Neapel in spanischem Besitz un- 
fehlbar Englands Levantehandel ruinieren und das europätsdie 
Gleichgewicht vernichten.*) 

Auch diese Schrift zeigt, wie die Seemächte, in erster Linie 
England, durch die Qleichgewichtsidee in die kontinentalen Kftmpie 
hineingezogen werden sollen. 

3. Gegenüber solchen Versuchen gewinnen die Diskussionen 
doppeltes Interesse, die in den zwanziger und dreißiger Jahren 
in England über die Frage geführt wurden, inwieweit die Rück» 
sieht auf das europäische Gleichgewicht England zum Eingreifen 



1) Ober das bedeutendste koloniale Projekt Karls VI., die Ostendische Kompacnic^ 
vgl. w. XL. S. 84 ff. 



— 83 — 

in die Streitigkeiten des Festlandes verpflichte. Es sind nament- 
lich die Schriften Lord Bolingbrokes, die hier in Frage kommen.^) 
Natürlich entspringen sie nicht wissenschaftlichem Definitionsbe- 
dürfnis, sondern politischen Interessen: gegen den Leiter der all- 
gemeinen englischen Politik, Robert Walpole, und dessen ruhe- 
lose Tätigkeit in den europäischen Händeln richtet Bolingbroke 
seine Erörterungen. Unter dem Pseudonym des »Occasional 
Writer« griff er im Beginn des Jahres 1727 den Gegner an.*) 
In der Form eines Essays über die historische und rationelle 
Bedeutung des Gleichgewichtssystems verfocht er die Forderung 
einer Politik zwischen den Extremen. Als das eine Extrem er- 
schien ihm das Verhalten Karls I. und der folgenden Regierungen 
bis zur glorreichen Revolution, als das andere eine Politik, »die 
unter dem Vorwand, das Gleichgewicht der Macht zu erhalten, 
den Leidenschaften einzelner Männer diente«, so daß das Prinzip, 
in dessen vernünftiger Anwendung Englands Sicherheit beruhte, 
geradezu eine Quelle von Gefahren für England geworden war.') 
- Gleichfalls gegen Walpoles Verwaltung zielten Bolingbrokes 
»Bemerkungen über die englische Geschichte", die zuerst in ver- 
schiedenen Nummern seiner Zeitschrift, des Craftsman, von Ende 
1730 bis zum Frühjahr 1731 erschienen.*) An dem Beispiel 
der Königin Elisabeth suchte er nachzuweisen, daß Englands 
Interesse zwar keine politische Isolierung erlaube, aber doch 
gegenüber den kontinentalen Mächten eine besondere, seiner in- 
sularen Lage entsprechende Politik verlange. Nicht wie bej jenen 
ist »ständiges Verhandeln Leben und Seele ihrer Regierung«, 
sondern nur in den großen Krisen des europäischen Staaten- 
systems darf England mit anderen Mächten Allianzen schließen, 
ohne sich im allgemeinen tief in die Stürme der kontinentalen 
Politik einzulassen. Nur in diesem, von ausschließlich englischem 
Interesse beherrschten Sinne hat Elisabeth das Gleichgewicht in 
Europa aufrechterhalten. Die ständigen Bündnisse Walpoles mit 
allen möglichen Staaten richten sich danach von selbsL 



1) Neugednickt in Si John, Lord Visconnt Bolingbroke: <, Works*'. London 1754 
^ Works Bd. L Der Originaldruck im Brit. Musenm. Hier kommt nur die 
Nummer II in Betracht; a. a. O. S. 144 ff. 
s) a. a. O. S. 158. 
4) Works I, bes. S. 411 ff., 41 5 f., 426 ff., 434, 

6* 



— 84 — 

Bolingbroke hat dann noch einmal seine Gedanken über 
Englands Stellung in der allgemeinen Politik niedergelegt und 
auf breiter historischer Grundlage zu begründen unternommen. ^) 
Er behandelt den großen Kampf zwischen Habsburg und Bourbon 
in seinen verschiedenen Stadien in der Absicht, die Bedeutung^ 
einer gesunden Qleichgewichtspolitik Englands, wie er sie ver- 
stand, an einer kritischen Wanderung durch die moderne Ge- 
schichte darzulegen. Die Tendenz, seine eigene Politik während 
der letzten Jahre des spanischen Erbfolgekrieges zu rechtfertigen^ 
tritt nicht eigentlich störend hervor; aggressive Zwecke verfolgt 
er in dieser Schrift überhaupt nicht. Die eindringende politische 
Schärfe seines Blickes und die Fähigkeit, die Dinge im Großen 
zu sehen, erscheinen daher in diesen Briefen weniger als sonst 
durch Partei-Voreingenommenheit getrübt 

Praktisch wurden die von Bolingbroke als »occasional 
writer" und im »Craftsman« vertretenen Ansichten besonders im 
polnischen Thronfolgekrieg. Die Opposition zeigte sich bestrebt^ 
Englands Neutralität vom Standpunkt des Gleichgewichts anzu- 
greifen,*) die Regierung war bemüht, von demselben Gesichts- 
punkt aus ihr Verhalten zu rechtfertigen. Beide wenden sich an 
die englischen Parteien; neue Gedanken fehlen dieser Polemik. 

4. Wohl aber hat in dieser Zeit das Balanceprinzip bei 
einer andern Gelegenheit eine eigenartige Anwendung erhalten. 
Es handelt sich um die Frage der Kompagnie von Ostende, die 
durch den Wiener Vertrag vom Mai 1725 wieder akut geworden 
war.^) Eine umfangreiche englische, nach ihrer eigenen An- 
gabe zur Aufklärung der öffentlichen Meinung verfaßte 
Broschüre legt den Standpunkt der englischen Regierung dar.*) 
Sie trägt sichtbar offiziösen Charakter, verzichtet auf eigentliche 
Polemik, wendet sich höchstens ganz im allgemeinen einmal 
gegen »andere Meinungen",*^) teilt mit allen offiziösen Publi- 

1) „Letters on the use and study of history", Works II, bes. Brief VI -VIII, S. 358 ff. 

*) „The politick on both sides with retard to foreign affairs" etc. London 1734. 
Dagegen als Antvort „A Series of wisdom and policy manifested in a review of our fordgn. 
negotiations and transactions for several years past" London 1735. Beide im Brit. Museum. 

>) Die ganze Angelegenheit behandelt im Zusammenhang Erdmannsdörffer : Deutsche 
Oeschichte II, 41 5 ff. 

*) „Recherche des motifs sur lesquels est fond^ la conduite de la Orande- Bretagne, 
par rapport aux affaires de l'^tat präsent de TEurope." Traduit de l'Anglais. A la Haye 1727. 

») a. a. O. S. 114 f. 



— 85 — 

kationen den sachlichen Ton und die Vorliebe für juristische 
Erörterungen. Der Inhalt wie die Tatsache, daß von ihr eine 
französische Übersetzung im Haag erschienen ist, läßt mit 
Sicherheit annehmen, daß sie nicht minder für das Ausland wie 
für England bestimmt war. 

Neben den juristischen Betrachtungen fehlen die politischen 
doch nicht ganz. Holland, heißt es da, würde durch die An- 
erkennung der ostendischen Gesellschaft schwer geschädigt werden. 
Und das würde im allgemeinen Interesse nicht geduldet werden 
können. Denn selbst wenn nur Holland durch die Ost- 
ender Kompagnie benachteiligt würde, — was allerdings nicht 
richtig sei - so würde doch. Hollands Ruin den Englands nach 
sich ziehen. Solange nämlich diese beiden Mächte vereint sind, 
können sie die politische Wage in Europa durch Anschluß an 
einen der großen Kontinentalstaaten auf die von ihnen gewünschte 
Seite sich senken lassen. Aber ihre Kräfte reichen für diese 
Aufgabe gerade aus, daher »zerstört der, der ihren Handel 
ruiniert, das heißt ihren Reichtum und ihre Stärke, gleichzeitig 
das Gleichgewicht; und wenn er auch nur einen ruiniert, so 
raubt er doch damit ihrer Allianz die zur Erhaltung des Gleich- 
gewichts nötigen Kräfte". Die Folgen sind leicht vorauszusehen. 
Der Verlust, den England oder Holland in ihrem Handel er- 
leiden, muß einem anderen Lande zugute kommen, und »diese 
Übertragung der Kräfte wird den Verlust des Gleichgewichts zur 
Folge haben, und dieser den Verlust der Freiheit Europas im 
allgemeinen und Großbritanniens im besondem'*.^) Zugleich 
wird diese Machtveränderung einem katholischen Staat zum Vor- 
teil gereichen, und dadurch der Protestantismus bedroht werden, 
ja selbst die gewaltsame Zurückführung des Prätendenten durch 
Spanien und den Kaiser ist zu fürchten. England muß so 
schweren Gefahren gegenüber nicht an die Last seiner Schulden 
denken, sondern tun, was die Gerechtigkeit von ihm verlangt 

Diese Auffassung des Gleichgewichtssystems ist in mehr- 
facher Weise bedeutsam. Nicht nur, daß die Gefährdung des 
Protestantismus und der Dynastie sichtlich nicht mehr wie zur 
Zeit der Vorherrschaft Ludwigs XIV. ein konstitutiver Bestandteil 

1) a. a. O. S. 110 f. 



— 86 — 

des Systems, sondern, statt organisch ihm eingefügt zu sein, 
oberflächlich nur ihm angefügt ist, und daß somit als rationelle 
Grundlage des Qleichgewichtssystems für England nur das 
Handelsinteresse übrig bleibt, auch die Vorstellung über die Art 
und Weise, in der England die rechte Balance zu halten hat, ist 
eine andere. Einmal erscheint es in einer sonst nur in der 
auBerenglischen Literatur gebräuchlichen untrennbaren Verbindung 
mit Holland - diese ist ja, insofern Holland allein der eigentlich 
Bedrohte ist, notwendig, um überhaupt die Balanceidee auf die An- 
gelegenheit anwenden zu können ~ zweitens sollen die so vereinten 
Seemächte nicht nur die schwächere der beiden großen Kontinental- 
machtsgruppen unterstützen, sondern sie sollen zuerst jede 
Schädigung ihrer eigenen Macht verhindern, und zwar im Inter- 
esse ganz Europas, im Interesse des Gleichgewichts. Eine außer- 
ordentlich brauchbare Auslegung dieser politischen Theorie bot 
sich damit der englischen Politik dar, die sie befähigte, ihre 
egoistischsten Bestrebungen vor der Welt mit einem idealen 
Schein zu umgeben. 

Nicht gerade der Polemik gegen die »Recherches des 
Motifs", sondern einer andern englischen Schrift ohne Interesse 
für uns verdankt die schon einmal angeführte österreichische 
Schrift über die Regelung der noch schwebe'nden Zwistigkeiten 
wenigstens teilweise ihren Ursprung.^) In lateinischer Sprache 
geschrieben, diskutiert sie mit wohl dazu passender, fast wissen- 
schaftlicher Ruhe ihre Vorschläge, ohne doch das Interesse der 
Wiener Alliierten vom Mai 1725 irgendwie aus den Augen zu 
lassen. Wir weisen auf die historische Einleitung über die Ver- 
suche, durch verschiedene Bündnisse die im Frieden von Utrecht 
offen gebliebenen Fragen beizulegen und endlich ein gerechtes 
Gleichgewicht herzustellen, nur kurz hin, bemerken, daß das 
Wiener Bündnis gegen den Vorwurf verteidigt wird, das Oleich- 
gewicht gestört zu haben,*) und wenden uns den wichtigsten 
propositiones VI und VII zu. Propositio VI handelt von dem 
mißlungenen spanischen Angriff auf Gibraltar im Jahre 1727, 



1) „Propositiones qaaedam" etc. (s. o. S. 80*)). Der Standpunkt des Verfassen er- 
gibt sich aus dem im Text Gesagten. 
>) a. a. O. S. 2, 3f., 8, 10. 



— 87 — 

rechtfertigt ihn juristisch und schlägt Rückgabe Gibraltars an 
Spanien gegen ein Äquivalent, Ceuta etwa, vor. Die Frage 
dürfe aber erst auf dem allgemeinen Kongreß endgültig ent- 
schieden werden, auch wenn England und Spanien sich etwa 
vorher schon einigen sollten, denn alle Mächte seien an ihrer 
Regelung interessiert und wünschten, daß ihnen »offene und 
sichere Zeugnisse« gegeben würden »über die bessere Befestigung 
des europäischen Gleichgewichts, das durch die allzu große Macl)t 
eines Volkes, sei es eine Land- oder Seemacht, leicht Schaden 
erleiden würde «.^) 

Propositio VII wendet dieselben allgemeinen Gesichtspunkte 
auf die Ostender Frage an. Weder Englands noch Frankreichs 
besondere Interessen würden dabei berührt, und sollte Holland 
wirklich durch die Unterdrückung der Kompagnie gewinnen 
und England ihm aus alter Freundschaft gern zur Seite stehen, 
so müsse man doch einen andern Weg wählen, »zumal trotz 
allem in solchen Geschäften sowohl den Verträgen bequem ge- 
nügt, wie auch das Gleichgewicht in bezug auf Handlung und 
Schiffahrt gewahrt bleiben könne"*.*) Man könne ja eventuell 
die Zahl der Schiffe der Gesellschaft fixieren, aber die Ansprüche 
der Holländer liefen auf ein allgemeines Monopol hinaus, »was 
nicht nur mit einer Schädigung des österreichischen Belgiens, 
sondern auch anderer Nachbarvölker, und mit einer Verletzung 
des europäischen Gleichgewichts durchaus verbunden wäre".') 

Diese Ausführungen, verglichen mit denen der vorher 
analysierten englischen Broschüre, zeigen die außerordentliche 
Elastizität der Gleichgewichtsidee. Der österreichische Politiker 
sieht unter den durch den Wiener Vertrag geschaffenen Kon- 
stellationen von der sonst allgemein üblich gewordenen Gegen- 
überstellung von Habsburg und Bourbon ab und geht wieder 
auf die ursprüngliche Idee zurück, nach der der Gedanke des 



^ . . . „rellqnarani . . Nationtun quam nuudme Interest, poblica vdnti ac certi, 
de pace ac tnuiquillitate servanda, ac Aequilibrio Europae magis stablliendo, utpote quod 
nimia alicujus Oentis potentia, vel terrestri vel maritima, fadle jacturam patiatur aliquam, 
tettimonia edi et promulgari : a. a. O. S. 56. 

>) „praeaertim qonm nihllomlnus In negotiis...qtiibusIibet conventionibus commode 
nttsfieri, ac Aeqnilibrlnm intnitu navigationis et commerdomm quoque servari queat:" 
a. a. O. S. 73. 

s) a. a. O. S. 76. 



— 88 — 

europäischen Gleichgewichts nichts anderes sein soll| als der 
Ausdruck des Protestes gegen jede »nimia potentia«. Das Über- 
raschende aber ist, daß eine solche »nimia potentia« nicht immer 
eine Landmacht zu sein braucht, sondern daß es auch eine »nimia 
potentia maritima« geben kann, und daß gegen diese ein »Gleich- 
gewicht der Schiffahrt und des Handels'' von allen anderen 
Völkern erstrebt werden muß. In concreto macht er im Namen 
des Gleichgewichts ebenso Front gegen einen kleinen, aber 
wenigstens gegenüber neuen Rivalen monopolistisch gesinnten 
Handelsstaat wie Holland, wie gegen eine alle anderen Völker 
bedrohende Kontinentalmacht. Wir machen schon an dieser Stelle 
darauf aufmerksam, daß sich diese neue Auffassung in demselben 
Augenblicke zu erhöhter Bedeutung in der Publizistik erheben 
sollte, als aufs neue und für längere Jahre andere Gegensätze in 
einer großen europäischen Krisis zur Entscheidung kamen, als 
die alte Rivalität zwischen Bourbonen und Habsburgem. 



2. Kapitel. 

Die Gieichgewichtsliteratur während des österreichischen 
Erbfolgekrieges zeichnet sich durch eine verwirrende Mannig- 
faltigkeit der Auffassung und der politischen Tendenzen aus. 
Für die Auffassung ist die enge Verbindung naturrechtlicher An- 
schauungen mit der in ihrem Wesen politischen Gleichgewichts- 
idee charakteristisch, und eben so stark wirkt auf sie vielfach der 
überraschende, glänzende Aufstieg des preußischen Staates. Die 
verschiedenen praktischen Tendenzen finden ihre Erklärung in 
der Zahl der beteiligten Staaten und ihren sich kreuzenden Inter« 
essen. Im allgemeinen decken sich in gewissem Grade gleidi- 
artige Vorstellungen und verwandte Interessen. 

1. Die Verteidigung des »alten Systems«,*) im wesentlichen 
in der bekannten Weise, ist die Aufgabe der österreichischen 



>) Unter dem ,, alten System" ist in diesem Abschnitt die durch den Frieden von 
Utrecht begründete Konfiguration der drei großen Mächte zu verstehen, Habsburg und 
Bourbon als die zwei Schalen der politischen Wage, England als das Zängldn. Durch die 
Natur der Dinge verbindet sich in England mit dem Begriff eine Österreich freundliche, 
Frankreich feindliche Gesinnung, vgl. o. S. 76^. 



— 89 — 

Publizistik. So enthält eine Schrift vom Jahre 1746 Angriffe 
auf Frankreichs Übermacht,^) gegen die es einen etwas allzu 
utopischen Plan aufstellt, nach dem Frankreich seiner nördlichen 
und östlichen Provinzen beraubt und daraus selbständige Republiken 
gebildet werden sollen. Dadurch würde Deutschlands Friede ge- 
sichert werden, und zugleich würden die Seemächte dadurch ^das 
so längst gesuchte Gleichgewicht von Europa finden und ihren 
Handlungen zur See ohne weitere Gefahr abwarten können«.*) - 
Die deutschen Fürsten und die Seemächte sollen hier wie im 
polnischen Thronfolgekriege für die Balancepolitik, das heißt für 
Österreich, gewonnen werden. Es wäre möglich, daß der Ge- 
danke der Zerstückelung eines Teiles von Frankreich und der 
Schaffung selbständiger Kleinstaaten aus ihnen ein Gegenstück 
zu dem Teilungsprojekt des Kardinals Fleury wäre, an das dieser 
im Beginn des Jahres 1741 dachte. Danach sollte Österreich 
Böhmen, Mähren, Schlesien und Oberösterreich verlieren, Preußen, 
Sachsen und Bayern sollten diese Provinzen erhalten und dadurch 
in Deutschland vier kleine Königreiche gebildet werden — Friedrich 
der Große brauchte den Ausdruck »reguli« von ihren Herrschern 
- die sich gegenseitig balancierten und lahmlegten.*) 

In ganz ähnlicher Weise, nur noch nachdrücklicher und mit 
näherer Ausführung hatte sich schon im Jahre 1 745 ein österreichisch 
gesinnter Schriftsteller an die Reichsfürsten und an die Seemächte 
gewandt.*) Mit der Schilderung der nimmer rastenden bösen 
Pläne Frankreichs verband er ein begeistertes, wohl berechnetes 
Lob Georgs II. und seiner englischen Minister, denen er die mit 
ihrer Gleichgewichtspolitik eng zusammenhängende Verteidigung 
der Niederlande als auch im eigensten englischen Interesse ge- 
legen noch besonders ans Herz legte.*^) An die deutschen Fürsten 
richtete er die Mahnung, sich Englands, Hollands und Österreichs 
Gleichgewichtsbestrebungen anzuschließen. Soweit bewegten sich 

1) „Frankreichs Fall, wain solchoi dessen Nachbarn wollen. Oder Betrachtungen 
über den jetzigen Staat von Frankreich, und wie dessen fürchterliche Macht zur allgemeinen 
Sicherheit von Europa könnte in sichere Schranken eingeschlossen weixlen." 1746. 

>) a. a. O. S. 18. 

^ vgl. DroyKn: „Geschichte der preußischen Politik", V, 1, 245 f., 261 und bes. 
S. 276 f. Koser: „König Friedrich der Große", 3. A., Stuttgart u. Berlin 1904. I, 149. 

*) „Das entlarvte Frankreich, oder das entdeckte Projekt von der europäischen 
Universalmonarchie." Im Haag 1745. 

B) a. a. O. S. 17, 19, 21. 



— 90 — 

seine Gedanken in alten Geleisen; doch fügte er auch Neues 
hinzu. Bei Gelegenheit des Appells an die deutschen Stände 
schaltete er folgenden Passus ein: i^Auf daß aber das Qieidi- 
gewicht von Europa gerade bleibe, . . . damit auch nicht einige von 
denen, so von dem Souveränetäts-Geiste aufgeblasen und von 
der Süßigkeit des Regiments trunken gemacht sind, die Autoritftt 
des Reichs an sich ziehen: so muß man solche Gränzen setzen, 
welche die Macht eines oder des andern mäßigen, unter ihnen 
das Gleichgewicht in dem Maße, worinne es bleiben soll, halten, 
und das nöthige Gegengewicht geben . . . Eben diese Gränze 
hat Frankreich oft verrücken wollen, ja eben dieses Gleichgewidit 
hat gedachte Krone vielmals wegzuschaffen und diese vortreff- 
liche Gleichheit, in deren Erhaltung hauptsächlich nicht nur die 
Glückseligkeit von Teutschland, sondern auch die Wohlfahrt von 
ganz Europa beruht, zu Grunde zu richten versuchet.*^) 

Die Stelle ist auf den ersten Blick etwas dunkel. Sie wird 
trotz des schwerfälligen Satzbaus klar, sobald man erkannt hat, 
wer mit denjenigen gemeint ist, »die von der Süßigkeit des 
Regiments trunken gemacht, die Autorität des Reichs an sich 
ziehen«. Die Franzosen können das nicht sein, Karl VII. ebenso- 
wenig, da er durch seine Wahl zum Kaiser ja eine wenn auch 
bestrittene Legitimation zur Lenkung des Reiches besaß. Es kann 
kein anderer als Friedrich II. von Preußen gemeint sein, der 
junge, vor wenigen Jahren zur Regierung gelangte Fürst, der mit 
seinem Heere von 80000 Mann und seinem Manifest vom 
8. August 1744 in der Tat die Vertretung des deutschen Reiches 
offiziell auf sich genommen hatte.*) Dann soll also gegen ihn 
ein »Gegengewicht gegeben werden'', so daß eine »Gleichheit ein- 
tritt«, durch die in erster Linie die Glückseligkeit von Deutsch- 
land, dann auch die von ganz Europa erreicht werden soll. 
Irren wir nicht, so hat der Verfasser die Vorstellung im Sinn, 
die uns als »deutsches Gleichgewicht« schon mehrfach b^;egnet 
ist^) Nur daß bisher dieser Gedanke stets gegen das habs- 
burgische Übergewicht innerhalb Deutschlands gewandt worden 



») a. a. O. S. 29. 

^ vgl. R. Koser, „König Friedrich der Große". I, 228. 

») s. o. S. 34 f. ü. S. 38. 



— 91 — 

war, während er jetzt von österreichischer Seite aus gegen die 
junge preußische Macht gekehrt und durch die Verknüpfung mit 
dem europäischen Oleichgewicht zum Gegenstand des allgemeinen 
Interesses gemacht wird. Es ist das erste Mal, daß der Gegen- 
satz zwischen Preußen und Österreich als das konstitutive Element 
der innerdeutschen Verhältnisse und gleichzeitig als ein bedeut- 
samer politischer Faktor für ganz Europa in der publizistischen 
Literatur erscheint. 

2. Aber nicht nur die österreichische Publizistik suchte das 
»alte System« zu beleben und die Hilfe des Reiches und der 
Seemächte für seine Erhaltung zu interessieren, auch der weitaus 
größte Teil der den englischen Interessen sich widmenden Lite- 
ratur ging auf denselben Wegen. Allerdings waren deren Ziele 
nicht so einheitlich, vielfach diente sie nur den Kämpfen der 
Parteien oder den Leidenschaften der Führer. Denn in England 
waren die Gegensätze fast ausschließlich persönlicher Natur, und 
wir finden daher die seltsame Tatsache, daß Regierungs- und 
Oppositionspresse in den Prinzipien, vor allem in der Verteidigung 
des europäischen Gleichgewichts, völlig einig sind und nur über 
Fragen zweiten oder dritten Ranges streiten.^) Es ist für uns 
wertlos, außer dieser Tatsache noch der Einzelheiten zu gedenken. 
Wir heben vielmehr zwei den Parteigegensätzen entsprungene 
Flugschriften nur deshalb hervor, weil sie für die Auffassung 
des Gleichgewichts als solchen Interesse besitzen. 

Der Empfehlung der Carteretschen Politik vor Englands 
Volk dienend, erinnert das »Politische System Großbritanniens" 
lebhaft an die Broschüren aus dem Beginn des spanischen Erb- 
folgekrieges.*) In geradezu ermüdender Wiederholung rechtfertigt 
der Verfasser das Eintreten für die Unteilbarkeit der habsburgischen 
Erbländer mit dem Nutzen des »natürlichen, ewigen, unveränder- 
lichen Gleichgewichts« •) zwischen Frankreich und Österreich für 



1) vgl. die Darstellung der Tatsachen und die Analysen und Auszüge aus der politischen 
Literatur bei E. von Wiese: „Die englische parlamentarische Opposition und Ihre Stellung 
zur auswärtigen Politik des britischen Kabinetts während des österreichischen Erbfolge- 
krieges, bzw. der Jahre 1740-45. Oöttinger Diss. 1883. 

*) oLe Syst^e politique de la Grande-Bretagne dans la conjuncture präsente . . . 
p. s. de suite ä THistoire de la Grande Crise." A la Haye 1743. Ober den Verfasser vgl. 
V. Wiese, a. a. O. S. 79. 

") a. a. O. S. 83. Vgl. z. B. S. 56. „L'anden et le seul vrai Systtoe'* S, 66. 



— 92 — 

Englands Sicherheit und Handel. Während indessen zu Wilhelms III. 
Zeit das Gleichgewicht einen in jeder Beziehung defensiven 
Charakter trug, hat es jetzt einen stark offensiven Zug bekommen. 
Nicht nur die Gefahren, die dem englischen Handel von der 
aufstrebenden Seemacht Frankreichs drohen, schildert der Ver- 
fasser — »k Proportion de ce que la premiferc (la France) 
gagnera de terrain, la derniere (l'Angleterre) en doit perdre« — 
er deutet auch auf die Vorteile hin, die in einem Seekrieg g^;en 
Frankreich in den verschiedenen Erdteilen zu gewinnen sind. 
Der Krieg ist nötig, wenn die Engländer ihre Freiheit behalten 
wollen ff und ihren Handel weiter als irgend ein anderes Volk aus- 
dehnen".^) - Immer unverkennbarer wird für England die Gleich- 
gewichtspolitik zu einem Mittel im Dienste seiner Handelspolitik. 

Über die Gefahr, in die das von ihm verteidigte »alte 
System«*) durch Friedrichs des Großen Eroberung Schlesiens 
geraten war, ging der Verfasser mit der Wendung hinweg, daß 
diese auf Grund des Friedens, der durch die erfolgreiche eng- 
lische Vermittelung zustande gekommen sei, glücklich beschworen 
wäre.*) Davon wollte aber eine oppositionelle Broschüre nichts 
wissen.^) Unter ständiger Berufung auf pragmatische Sanktion 
und Gleichgewicht polemisierte sie gegen die Anerkennung des 
Breslauer Friedens, um gegen das Ministerium im Lande Stimmung 
zu machen. Die Bedeutung, die Preußen unter seinem kriege- 
rischen jungen Fürsten in Europa gewonnen hatte, hallte wider 
aus der Heftigkeit dieser Diskussionen. 

Auf das Ausland zu wirken, ist dagegen die französische Über- 
setzung eines kleinen Buches bestimmt, das mit antifranzösischer 
Tendenz eine Geschichte der politischen Ereignisse seit 1733 
enthält.*) Der Übersetzer hat dem Buche eine Vorrede zugefugt, 



1) a. a. O. S. 122 und 124. Vgl. fibrigens auch die Bemerkung, daß ffir England 
untrennbar seien ,,rttn d'etre Puissance Maritime, l'autre d'avoir un commerce floritsant, 
et le demier de tenir T^quilibre du pouvoir": S. 124. 

*) So z. B. a. a. O. S. 89; vgl. das Zitat o. S. 91 Anm. 3, das sich allerdings auch 
auf die innere Politik bezieht. 

*) a. a. O. S. 104 f. Der Verfasser scheint dafür einzutreten, daß Österreich dn 
Äquivalent erhalten müsse, vgl. S. 72 f., S. 82. 

<) ,,An Englishman's answer to a Oerman Nobleman. Containing some obser- 
vations upon the poütical System of the present administration." London 1743. 

>) „Histoire de la grande Crise de TEurope" etc. Traduit de TAnglais. A 
Londres 1743. 



— 93 — 

deren Gedanken er als ein Leitmotiv betrachtet haben wird, das 
bei jedem in dem Buche erzählten französischen Übergriffe in 
den Herzen der Leser erklingen sollte. Er fordert darin Europa 
auf, energisch für das Recht Maria Theresias einzutreten. »Es 
handelt sich hier", fährt er fort, »um das öffentliche Interesse 
von ganz Europa, dem, gemäß dem Natur- und Völkerrecht, das 
partikulare Interesse jedes beliebigen Staates oder Herrschers ge- 
opfert werden muß«. Wie innerhalb eines Staates das Recht der 
Gesamtheit dem des einzelnen vorangeht, so muß auch innerhalb 
Europas, das aus mehreren Reichen besteht, ähnlich wie ein 
Reich aus mehreren Provinzen^ das öffentliche Wohl stets voran- 
gehen. Daher ist die pragmatische Sanktion geschaffen worden 
»weil man erkannte, daß das Gleichgewicht und die Freiheit 
Europas, die man jetzt als Gemeinplätze behandelt, während sie 
doch die kostbarsten öffentlichen Güter sind«, von der Erhaltung 
zweier gleich starker, sich gegenseitig balancierender Mächte ab- 
hingen. Selbst wenn Bayern oder die spanischen Bourbonen 
Ansprüche auf die habsburgische Erbschaft hätten, dürfte man 
darüber in gar keine Diskussion eintreten, weil das europäische 
Gleichgewicht von der ungeteilten Einheit der habsburgischen 
Länder abhängt. 

In diesen Ausführungen wird, soweit ich sehe, zum ersten 
Male zu einem bestimmten politischen Zwecke das europäische 
Gleichgewicht mit ausdrücklichen Worten auf das Natur- und 
Völkerrecht begründet^) Deshalb fallen hier alle Erörterungen 
über etwaige besondere Vorteile, die mit der Gleichgewichts- 
poiitik für einen oder den anderen Staat verbunden sind, gänzlich 
fort. Der ideale Charakter der Ausführungen soll nicht gestört 
werden. Aber natürlich verfolgen diese trotzdem einen realen poli- 
tischen Zweck. Sie wollen alle diejenigen, die noch nicht auf Maria 
Theresias Seite stehen, für ihre und damit zugleich Englands 
Sache gewinnen. Es ist eine der seltenen Gelegenheiten, bei 
denen sich die englische Publizistik mit der Gleichgewichtsidee 
an die auswärtigen Mächte wendet Holland und die deutschen 
Anhänger Karls VII. werden gemeint sein; vielleicht darf man 



1) Inhaltlich ähnliche Ideen tauchen allerdinf|[s schon früher auf, auch in der poli- 
tischen Literatur. Vgl. bes. o. S. 73 f. und den Anhang. 



— 94 — 

wegen des völligen Absehens von den Handelsinteressen noch 
mehr an Deutschland wie an Holland denken. 

Diese Erwägungen fähren uns zu der merkwQrdigsten 
Schrift dieser Jahre.^) Ihr Verfasser ist ein deutsdier Gelehrter,*) 
der sie zur Erlangung der juristischen Doktorwürde von der 
Universität Qöttingen verfaßt hat. Seine sdieinbar rein wissen- 
schaftliche Abhandlung über das europäische Oleichgewicht blieb 
nicht im Dunkel weltfremder Gelehrsamkeit Noch im Jahre 
ihres Erscheinens wurde sie von einem Mitglied der Berliner 
Akademie der Wissenschaften, dem Professor Formey, ins Fran- 
zösische übersetzt^) Bald darauf ließ ein Stettiner Gymnasial- 
professor, Stisser, eine Entgegnung in zwei Abteilungen er« 
scheinen.^) Wir wenden uns dem Inhalt zu, um zu sehen, aus 
welchem Grunde die lateinische Abhandlung so viel Beachtung 
gefunden hat. 

Kahle möchte gern das europäische Gleichgewicht, von dem 
die ganze Welt spricht, in seinem Wesen erklären und als eine 
Norm des Völkerrechtes beweisen. Er macht sich die Sache aber 
ziemlich leicht Aus der damals allgemein angenommenen Lehre 
von dem Naturzustande, in dem die Staaten untereinander leben, 
folgert er ihre böse Wesensart und aus dieser die Notwendigkeit eines 
Schutzes vor allzu mächtigen Staaten. Aus dem Trieb der Selbst- 
erhaltung wird das Gleichgewichtssystem geboren. Neben dieser 
völkerrechüichen Konstruktion sucht Kahle in der Geschichte nach 
praktischen Beweisen für die Richtigkeit seines Prinzips, und 
findet sie natürlich. Dann wendet er sich von dieser allgemeinen 
rationellen und historischen Grundlegung Europa speziell zu, von 



1) L. Martin Kahle: „Commentatio iuris publid de tnitint Europae, qnae volfo 
appellatur „Die Ballance von Europa." Qöttingen 1744. 

>) vgl. Ober Kahle A. D. B. XIV, 795. Er war schon 1737 Professor der PhilotopUe 
in Qöttingen, wurde 1744 Dr. juris. Daß die »»Commentatio iuris publid'* de sdne Jvl- 
stisdie Dissertation war und audi als soldie erschien, gibt Mensd im SchrifsteUerlexikoa, 
VI, 389 an. Kahle ist als höherer preußischer Beamter gestort)cn. Daß er diese Arbeit 
überhaupt als juristische Dissertation verwandte, bemJbigelt Stisser (s. v. AnoL 4): 
a. a. O. I, 22. 

B) «La balance de TEurope consid6r^ comme la r^le de la paix d de la gucrre.« 
Berlin und Qöttingen 1744. Über Formey s. A. D. B. VII, 156. 

*) »Freymfithige und beschddene Erinnerungen wider des berühmten OöttingitdMa 
Professors, Herrn Dr. Kahle, Abhandlung von der Balance Europens.* Ldpdg 174S f. 
Ober Stisser s. Meusel, Schriftstdlerlexikon XIII. Er hat auf Friedrich den Oroßcn 174f 
dne Ode, 1742 eine Rede veröffentlicht. Eine Erwiderung Kahles auf Stisaers Angriff tilgt 
rdn logischen Charakter und ist für uns irrelevant. 



— 95 — 

dem er eigentlich allein handeln wollte, und findet, daß hier die 
Balance »die Hauptregel für Krieg und Frieden ist«, ^) und daß 
sie im Orunde allein von Frankreich und Österreich gebildet 
wird, denen sich die übrigen Völker je nach den Umständen 
anschließen.*) Aus der Identität des Heilsamen und Gerechten 
folgert er dann, daß diese Balance keine Chimäre sei, geht auf 
die Nachteile jeder Universalmonarchie ein, um aus der Ver- 
werfung des Gegenteils indirekt sein System zu bdcräftigen, und 
wendet sich den Konsequenzen seiner Lehre zu. Diese führen 
darauf hinaus, daß im Interesse des Ganzen, das heißt in concreto 
des europäischen Gleichgewichts, das Recht des einzelnen verletzt 
werden darf, im besonderen einem Staate rechtmäßige, etwa 
durch Erbfall erfolgte, Vergrößerungen seines Gebietes ver- 
boten werden dürfen. 

Soweit ließe sich zwar mancherlei gegen das logische Rai- 
sonnement und die Anordnung vorbringen,*) aber nichts gegen 
dei rein wissenschaftlichen Geist der Arbeit einwenden. Wenn 
ihr nur Kahle nicht noch einige Paragraphen angefügt hätte, in 
denen er seine Grundsätze auf die politische Lage des Augen- 
blicks überträgt! Spanien, so erklärt er, stört gegenwärtig Eng- 
lands Handel und damit die Balance, denn »es ist für das 
Gleichgewicht Europas wesentlich, daß diese Nation (England) im 
Genüsse ihrer Vorteile erhalten bleibt.«^) Frankreich aber ist mit 
Recht als der Feind ganz Europas anzusehen; ist sein Ziel doch 
die Universalmonarchie. '^) Kahle will offenbar nahe legen, daß 
der französische König eine »puissance excessive« besitzt, und 
daher durch Krieg »sans scrupule« gezwungen werden müßte, 
herauszugeben, was er zu viel hat*) Wer einer solchen über- 
großen Macht Beistand leistet, begeht in jedem Falle eine Unge- 
rechtigkeit, ^ folglich - so soll nach dem ganzen Zusammenhang 
offenbar geschlossen werden, obgleich Kahle es nicht selbst sagt — 

>) a. a. O. S 14. 
^ t. t. O. § 19. 

>) Gelegentlich der Schriften Jnttis verdcn wir nch auf dicae ans tonst nicht be- 
rilncndcn Fragen zurtckkommen. 
«) a. a. O. § 31. 
i) a. a. O. S 39. 

i) a. a. O. § 34. Wohl absichtlich von Kahle nicht mit aosdrficklichen Worten 
mf Frankreich bezogen. 
T) a. a. O. § 33. 



— 96 — 

ist das Bündnis Friedrichs II. mit Frankreich ein Verstoß gegen das 
Völkerrecht! Georg II. von England dagegen ist des höchsten 
Lobes für seine Bemühungen im allgemeinen Interesse würdig, 
für ihn und Maria Theresia steigen die Segenswünsche aller 
Outen zum Himmel. 

Dürfen wir wegen dieser letzten Paragraphen Kahles Schrift 
für eine verkleidete rein politische Tendenzschrift im hannoverisch- 
englischen Auftrage halten? Gewiß nicht, da dann unverständ- 
lich bliebe, weshalb Kahle sie der Universität eingereicht, weshalb 
er sie in lateinischer, nicht in französischer Sprache geschrieben 
hat, der Sprache der Diplomaten und Gebildeten. Aber Tendenz- 
schrift bleibt die Arbeit! Wir werden annehmen dürfen, daß 
Kahle der naheliegende und schon von anderen vor ihm in der- 
selben Weise verwertete Gedanke kam, die Theorie des euro- 
päischen Gleichgewichts für seine juristische Dissertation zu ver- 
wenden,^) und daß er die Gelegenheit benützte, die Wissenschaft 
mit der Politik zu verbinden. So kamen zu seinen naturrecht- 
lichen und historischen Deduktionen die offenen Angriffe auf 
Frankreich und Spanien, der etwas versteckte auf Friedrich von 
Preußen, die Verherrlichung Georgs II. Wahrscheinlich ist, daß 
er sich der hannoverischen Regierung zu empfehlen beabsichtigte. 
Mit seiner anti-bourbonischen Tendenz verbindet auch Kahle die 
Beibehaltung des »alten Systems" der drei Großmächte. Zwar nicht 
im allgemeinen Teil, aber gelegentlich der Anklagen gegen Spanien 
bezeichnet er Englands besondere Bedeutung für das Gleich- 
gewicht, und vertritt die uns schon bekannte Auffassung, daß jeder 
das Gleichgewicht stört, der Englands Handel zu nahe tritt ^) Es 
war die Auffassung, die geeignet war, den Gleichgewichtsgedanken 
absolut den englischen Handelsinteressen dienstbar zu machen. 

3. Ahnlich haben wir uns psychologisch die Gegenschrift 
Stissers zu erklären. Auch ihm ist wissenschaftlicher Eifer nicht 
abzusprechen, seine Beweisführung mit ihrer minutiösen Einzel- 
kritik läßt dem geduldigen Leser keinen Zweifel daran. Der 
unmittelbare Antrieb zu seinem Angriff auf Kahles Schrift dürfte 
aber ein politischer gewesen sein. Stisser war Preuße, sein bc- 

>) vgl. die Titel anderer juristischer Art)dten im Anhang. 
«) vgl. o. S. 86. 



— 97 — 

wunderter König der Verbündete der Franzosen, die Kahle als 
Störer des europäischen Gleichgewichts, als die Feinde aller Völker, 
deren Unterstützung er als einen Akt der Ungerechtigkeit gebrand- 
markt hatte. Anlaß genug für Stisser, Kahles These kritisch zu 
beleuchten und gleichzeitig seine politischen Anschauungen zu 
bekämpfen. In hie und da verstreuten Bemerkungen rügte er, 
daß Kahle gegen Frankreich sehr heftige, in einer wissenschaft- 
lichen Abhandlung unzulässige Ausdrücke gebraucht hatte, während 
er die universalen Bestrebungen der Habsburger, namentlich im 
Dreißigjährigen Kriege, mit rücksichtsvollem Stillschweigen über- 
gangen hatte.^) Er behauptete, daß die Politik der Königin 
Elisabeth mehr in Selbstverteidigung, als in Hingabe an den 
Balanc^edanken bestanden habe, daß man begründetes Mißtrauen 
gegen die Frieden stiftenden Mächte hegen dürfe, die von Gleich- 
gewicht und allgemeinem Wohl sprächen, aber damit nichts als 
ihr eigenes Interesse wahrzunehmen suchten.^) 

Solche politischen Erwägungen führten Stisser zu einem An- 
griff auf die Vorstellung vom europäischen Gleichgewicht über- 
haupt, mindestens in der Form, in der Kahle es wissenschaftlich zu 
begründen versucht hatte. Seine logischen Erörterungen interessieren 
uns hier nicht,*) dafür müssen wir aber auf eine andere Schrift 
etwas näher eingehen, die schon vor ihm aus politischen Motiven 
und mit politischen Gründen das Gleichgewicht bekämpft hatte. 

Karl VII. und seine Anhänger fühlten sich namentlich in 
Deutschland durch das odium gehemmt, das auf ihrem franzö- 
sischen Verbündeten infolge der zahlreichen Angriffe gegen dessen 
Weltherrschaftspläne lag. Ihren Bundesgenossen von diesem Ver- 
dacht zu reinigen und ihren Gegnern ihr bestes publizistisches 
Kampfmittel zu entziehen, war das Ziel eines Teils ihrer Publizistik. 
Im Jahre 1743 erschien eine aus ihren Kreisen stammende Bro- 
schüre, die in drei » Propositionen« gegen die Lehre vom euro- 
päischen Gleichgewicht zu Felde zog.^) Einigermaßen naiv soll 

1) a. a. O. I, 92ff., 117, 172f. 

^ a. a. O. bes. I, 63ff. 

s) Einzelnes im Anhang. 

^ „RMexions touchant r^uilibre de TEarope." Nach der „Neuen enrop. Fama", 
98. Teil (1743), S. 134, Anm., 1743 französisch und deutsch in Frankfurt erschienen. Die 
ersten Seiten sind in dem zitierten Band der „N. eur. F." im Anhang abgedruckt Ich be- 
nutze eine franz.-deutsche Ausgabe ohne Datum und Druckori (Univ. Bibl. zu Breslau.) 

Kaeber, Das europäische OldchgewichL 7 



— 98 — 

die erste Proposition zeigen, daß die Sorge um das europäische 
Gleichgewicht ein Quell nie aufhörender Beunruhigung der Völker 
sei und zu so ungerechten Vorwürfen Anlaß gäbe, wie den An- 
griffen auf die angebliche französische Universalmonarchie/) die 
ebenso gut einmal ähnlich törichten Beschuldigungen gegen 
Preußen oder Rußland Platz machen könnten. Gerade die Rück- 
sicht auf die allgemeine Ruhe sollte zur Ergebung in den Gang 
der Dinge führen, die die Hand des Allmächtigen ja doch zum 
Besten leitet In der zweiten Proposition verficht der Verfasser 
das Prinzip der Gerechtigkeit gegenüber dem der Opportunität, 
das im europäischen Gleichgewichtssystem seinen Ausdruck ge- 
funden habe. Solle dies System den Ausschlag geben, dann 
würden die besten Rechte hinfällig werden, sobald sie sich g^;en 
österreichische Länder richteten, ja dann würde auch Preußen 
nicht im Besitz von Schlesien bleiben dürfen, auf das es sichere 
Ansprüche habe, und dessen Besitz ihm durch die feierlichsten 
Verträge garantiert sei.*) Wenn englische Schriftsteller die Sicher- 
heit ihres Vaterlandes auf die Balancierung von Habsburg und 
Bourbon begründeten, könne das doch nicht deutsche Fürsten 
veranlassen, sich über das Recht hinwegzusetzen! 

Und um so weniger würden sich die Reichsfürsten dazu 
verstehen, als von ihrem Standpunkt aus das europäische Gleich- 
gewicht ein Unding, ein Umsturz ihres eigenen politischen Systems, 
nämlich des deutschen Gleichgewichts, sei. Eins von beiden lasse 
sich nur erreichen, entweder verstärke man Österreich, damit es 
Frankreich an Kräften gleich sei, das heißt, man helfe ihm selbst 
dazu, eine unumschränkte Macht in Deutschland zu gewinnen, 
oder man lasse die Idee des europäischen Gleichgewichts fallen.*) 
Wer vor Frankreich Besorgnis hege, der begnüge sich mit Alliancen ! 

Herkunft und Tendenz dieser Flugschrift sind völlig klar. 
Da Preußen damals mit Österreich im Frieden lebte, kann sie 
nur aus der Umgebung Karls VII. stammen. 

Wohl nur wenig später veröffentlichte der ir Königlich Groß- 
britannische und kurfürstlich braunschweigische Justizrat« Struben, 

1) Polemik gegen eine ungenannte österreichische Broschüre: a. a. O. S. 14 ff. 
s) Dieser Satz ist aus der 3. Proposition genommen, a. a. O. S. 39. Die „trmit6s 
des plus solenneis" sind die Breslau- Berliner Verträge von 1742. 
s) a. a. O. bes. S. 42 f. 



— 99 — 

^sicher in höherem Auftrag, eine Gegenschrift, die die Gleich- 
^ewichtstheorie in einer Reihe kurzer Aufsätze vom allgemeinen 
Standpunkt wie von dem der deutschen Fürsten mit den üblichen 
Vorwürfen gegen Frankreich und der Zurückweisung der Ver- 
dächtigungen gegen Österreich rechtfertigte.') Man wollte offenbar 
-einer weiteren Verbreitung der Ideen der »R^flexions touchant 
l'^quilibre" sofort entgegentreten. 

Indessen gingen diese trotzdem in eine im nächsten Jahre, 
1744, veröffentlichte, wiederum wohl der wittelsbachischen Partei 
«entstammende Verteidigung des bayrisch-französischen Bündnisses 
über.*) Ihr Verfasser legte zwar den Hauptnachdruck auf den 
Nachweis, daß Frankreich nie gegen das Deutsche Reich als 
solches feindliche Pläne im Schilde geführt, vielmehr allein gegen 
Österreich seine Kri^e gerichtet habe, daß nur Habsburg die 
Freiheit Deutschlands und Europas bedrohe, und daß von einer Ge- 
fährdung des Gleichgewichts durch Frankreich keine Rede sein 
könne.^ Aber trotzdem er im Einklang mit diesen Gedanken die 
deutschen Stände aufforderte, sich Karl VII. gegen das über- 
mächtige Österreich anzuschließen, gerade wenn sie f»das Gleich- 
gewicht von Europa unverletzt erhalten« wollten, fügte er an 
anderer Stelle die Bemerkung ein, daß »eine geschickte Feder«, 
nämlich der Verfasser der »Rdflexions«, schon längst die Ober- 
flüssigkeit des ganzen Gleichgewichtssystems zwischen Habsburg 
und Bourbon nachgewiesen habe.*) Offenbar hat der Autor dieser 
Schrift selbst noch zwischen den alten, allgemein anerkannten An- 
tsichten über die Notwendigkeit des europäischen Gleichgewichts, 
und den neuen, gewissermaßen revolutionären Ideen geschwankt, 
vielleicht auch aus Rücksicht auf seine Leser das Neue nicht un- 
bedingt annehmen wollen. Und so braucht er beide Anschauungen 
nebeneinander für seine praktischen Zwecke. 

Diese Erklärung gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir 
«ein ganz ähnliches Schwanken bei einem anderen Politiker be- 



>) MPrfifung der ans Licht getretenen R6flexions touchant rEquilibre", in Strubens 
^.Nebenstnnden", Hannover, 1747. II, 267 ff. 

s) „Historisch-politische Erörterung der Frage, ob die Crone Franckreich vor einen 
Erb-fdnd des Heiligen Römischen Reiches zu achten sey." 1744. 
*) a. a. O. S. 26 
«) a. a. O. S. 22. 



— 100 — 

obachten. Es ist eine Flugschrift des geistreichen Bewunderers 
Friedrichs des Großen, des späteren Ministers und Staatssekretärs, 
Lord Chesterfield, von der wir sprechen wollen.^) Chesterfleld 
gehörte damals, Anfang 1744, zu der Opposition, die sich vor- 
nehmlich gegen die Person des leitenden Ministers, Lord Carteret, 
wandte. Wir sehen von den Angriffen ab, die er in seinem 
Pamphlet gegen die Regierung richtet, bemerken nur, daß er 
sich ausschließlich an das englische Publikum wendet, und heben 
allein die für uns wertvollen Partien hervor. 

Chesterfield bekämpft die antipreußische Richtung des 
englischen Ministeriums, die er auf ein »Partei Vorurteil« zurück- 
führt*) Eine Entschuldigung für diese Haltung würde nach 
seiner Meinung nur darin gefunden werden können, daß in dem 
Kampfe Preußens »zugunsten des Hauptes und der Freiheiten 
des Reichs" das allgemeine Interesse oder das Gleichgewicht be- 
teiligt wären. Wäre das der Fall, so könnte man darin allerdings 
eine Veranlassung zu kräftigem Eingreifen in die deutschen An- 
gelegenheiten sehen. Aber davon kann nach Chesterfields An- 
sicht keine Rede sein. Die Person des deutschen Kaisers geht 
England als einen Handelsstaat nichts an. Und überhaupt, fügt 
der Verfasser an einer späteren Stelle hinzu, wird Englands 
Handel ebensowenig wie das Gleichgewicht durch Besitzwechsel 
zwischen deutschen Fürsten berührt. Höchstens ein Sieg Öster- 
reichs würde die »Balance of Power in the Empire« und damit 
auch das europäische Gleichgewicht gefährden, das durch Friedrich^ 
den deutschen Patrioten, gesichert wird.*) Zwischen diese An- 
sichten über die Beziehungen des preußisch -österreichischen 
Krieges zu dem Balances)rstem, die charakteristisch sind durch 
ihre Verbindung mit dem deutschen Gleichgewicht und ihre 
Spitze gegen Österreich, schiebt Chesterfield gänzlich un- 
vermittelt die überraschende Behauptung ein, daß die »Balance 
of Power« überhaupt nur eine »ideal chimera" sei, durch be- 
stechliche und intriguierende Minister in England eingeführt, um 

1) „Natural reflexions on the present conduct of his Prussian Majesty." 1744* 
Oedruckt bei Koser: „Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit Friedrichs H.'*- 
Bcrlin 1877 f. I, 597 ff. 

Über Chesterfields Persönlichkeit vgl. Koser: a. a. O. S. 582 ff . 

>) a. a. O. S. 608. 

V) vgl. a. a. O. S. 610 und 616. 



— 101 — 

ihre betrogenen Landsleute zu täuschen und ihren Plänen dienst- 
bar zu machen.^) Wolle man aber annehmen, das Gleich- 
gewicht sei ein Ding der Wirklichkeit, fährt er fort, dann wäre doch 
Frankreich die einzige zu fürchtende Macht, und diese könne durch 
Machtverschiebungen im Reich nichts gewinnen. - Damit ist für 
Chesterfield die Leugnung des Gleichgewichts durch einen etwas 
gezwungenen Obergang für den Rest seiner Ausführungen wieder 
rückgängig gemacht 

Offenbar ist sich Chesterfield des Widerspruchs in seinen 
Anschauungen nicht völlig klar geworden. Ihm ist zum Be- 
wußtsein gekommen - und darin liegt das Interessante seiner 
Schrift -daß bei dem Eingreifen der neuen Großmacht Preußen 
mitten in die Kämpfe der drei bisher führenden europäischen 
Staaten das alte System, wie es im Frieden von Utrecht fest- 
gelegt worden war, antiquiert, unhaltbar geworden war. Indessen, 
die alten Vorstellungen waren noch in der ganzen politischen 
Welt zu mächtig, als daß er sich ganz von ihnen hätte frei 
machen können, und vor allem, sie waren für Chesterfields 
publizistische Zwecke, für die Wirkung auf die englische Nation, 
noch unentbehrlich.*) Eine einzelne ketzerische Bemerkung über 
das Gleichgewichtssystem konnte an geeigneter Stelle Eindruck 
machen, eine konsequente Leugnung war doch nicht gut möglich. 

Um die Verschiedenartigkeit der Interessen, die damals mit 
dem Gleichgewichtsgedanken sich auseinander setzen mußten, 
durch ein letztes Beispiel zu beleuchten, führen wir noch eine 
holländische Flugschrift aus dem Jahre 1744 an.*) Wir haben 
oben eine englische Broschüre besprochen, die wohl auch in 
Holland ihre Wirkung ausüben sollte.*) Die uns hier beschäfti- 
gende Schrift sucht gegenüber den Mahnungen an Holland, sich 
England fest anzuschließen, die abwartende Politik der General- 
staaten zu verteidigen. Es ist fast amüsant zu beobachten, wie 
der Verfasser sich zwischen dem rein holländischen Interesse, 



^) „ . . . introduced among us by comipt and designing ministers, to subject and 
fleece thdr dduded Countrymen'': a. a. O. S. 608; das Folgende ebenda. 

S) vgl. einen Bericht des preußischen Residenten in London, Andri^: Koser, 
a. a. O. S. 581. 

s) „La conduite des Hollandais justifite" etc. Amsterdam 1744. 
«) s. o. S. 92 ff. 



— 102 — 

das ihm den Frieden zu fordern scheint, und der Rücksicht auf 
die allgemeinen Interessen hin und her windet. Kaum hat er 
auseinandergesetzt, daß eine vernünftige Politik der Republik 
durchaus Zurückhaltung auferlege, und daß diese einzig richtige 
Haltung unmöglich würde, wenn Holland sich durch die 
»chimärische Idee, die eine oder die andere Macht zu unter- 
stützen oder zu schwächen'«, von der Sorge um das zunächst 
Notwendige abbringen lasse*) - so lenkt er auch schon wieder 
ein und eifert gegen die Universalmonarchie und b^[eistert sich 
für das Gleichgewicht, um dann doch wieder auf seinen Aus- 
gangspunkt zurückzukommen und sich mit der »Raison d'Etat« 
zu decken.^) Dem unglücklichen Holländer bleibt eben nichts 
anderes übrig, als mit Begriffen zu spielen. Darüber, daß Gleich- 
gewicht und gesunde Realpolitik manchmal unvereinbar sind^ 
kann er natürlich mit aller Rhetorik nicht hinw^kommen. 

In ihrer Gesamtheit zeigt die politische Literatur des öster- 
reichischen Erbfolgekrieges auf der einen Seite, die in der prak- 
tischen Politik die alten Machtverhältnisse unverändert wahren 
möchte, die Aufrechterhaltung des auf Frankreich, Österreich und 
England gegründeten Gleichgewichtssystems, ja seine scheinbar 
ewige Konsolidierung durch die Verbindung mit dem Naturrecht; 
auf der anderen Seite zeigt sie die mehr oder minder unent- 
schiedene Verwerfung des ganzen Systems, in erster Linie ver- 
anlaßt durch das Erscheinen einer neuen Großmacht, die bald 
das alte Machtverhältnis der Staaten endgültig in der Welt des 
realen Lebens wie in der Literatur umstoßen sollte, in zweiter Linie 
durch den vorübergehenden Versuch eines wittelsbachischen Kaiser- 
tums unter französischem Schutze. 



») a. a. O. S. 8. 
«) a. a. O. S. 18, 23. 



IV. 

Der Siebenjährige Krieg. 



Einleitung. 

Im österreichischen Erbfolgekriege war noch einmal die 
Konstellation der europäischen Mächte lebendig geworden, wie 
sie sich zur Zeit Ludwigs XIV. und Wilhelms III. gebildet hatte. 
Zumal seit Preußen aus dem Kampfe ausgeschieden, und der 
wittelsbachische Kaisertraum mit Karls VII. frühem Tode ruhmlos 
beendet war, schien das politische System Europas wieder auf 
den drei großen alten Mächten zu beruhen. Wäre dem wirklich 
so gewesen, so wäre die Möglichkeit geblieben, die sinnlich- 
mechanische Auffassung des europäischen Gleichgewichts zu be- 
wahren, die der Idee plastischen Ausdruck und damit allgemein 
überzeugende Kraft gegeben hatte, die Vorstellung von zwei alle 
anderen Staaten überragenden Kontinentalmächten, deren Kräfte 
wie die Schalen einer Wage von dem englischen Inselstaat im 
Gleichgewicht gehalten werden müßten, damit durch diese Balance 
die Existenz und Unabhängigkeit aller kleineren Staaten gewährleistet 
würde. ^) Dieser Gedanke war von einleuchtender Einfachheit. 



1) So faßt noch Vaitd die konkrete Erscheinungsform des europäischen Olddi- 
gewichts auf: „Le droit des gens", 1. III. c. III § 47 f. Natürlich behaupten Vattel und 
die fibrigen Völkerrechtslehrer nicht, daß das europäische Oleichgewicht auf Österrddi, 
Frankreich und England basiert sein mfisse, sie erklären nur, daß es tatsächlich so ad. 
Indem sie aber das Oleichgewicht als ein Rechtsmittel zum Schutz der Freiheit der einzelnen 
konstruieren, wird der Anschein erweckt, als ob auch seine zufällige Form rechtlich ga- 
rantiert sei. - Übrigens muß Vattel diesen Passus mit dem Lob der Uneigennütziglreit 
Englands und der Oegenüberstellung von Habsburg und Bourbon schon einige Jahre vor 
der ersten Ausgabe seines Werkes - 1758 - geschrieben haben, da er nach dem Ausbmdi 
des Siebenjährigen Krieges auf die politischen Verhältnisse in keiner Weise mehr paßte. 
Dazu stand Vattel 1758 in sächsischen Diensten, hatte also gar keine Veranhissung, das Lob 
Englands, des Alliierten Preußens, zu singen; vgl. Nouv. Biogr. Univ., XLV, 997 ff. 



— 104 — 

Die Natur selbst schien allen Völkern den W^ gezeigt zu haben, 
die Sicherheit ihres politischen Daseins durch sorgfältige Be- 
wahrung des Gleichgewichts zu begründen. So fruchtbar erwies 
sich die Idee, daß man sie schon früh auch auf andere Gebiete 
staatlichen Lebens übertrug. Wo zwei unorganisch sich gegen- 
überstehende Gewalten miteinander im Kampfe lagen, dachte 
man ihre Kräfte durch ein Gleichgewicht vor Obergriffen zurück- 
zuhalten und die Harmonie des staatlichen Lebens zu sichern.^) 
Allerdings erhielt durch diese Vorstellung das europäische Gleich- 
gewichtssystem etwas Unbewegliches, Starres. Die Konsequenz 
dieses konservativen Charakters mußte die Zurückdrängung jedes 
neu aufstrebenden Staates sein, durch den die Machtverhältnisse, 
auf denen das Balancesystem beruhte, hätten verändert werden 
können. Wir haben bemerkt, wie man Rußland auch unter 
Peter dem Großen nicht als neuen Faktor des Gleichgewichts 
hatte anerkennen wollen, indem sich dann der politische Charakter 
der Gleichgewichtsidee mit den völkerrechtlichen Konstruktionen 
verschmolz, konnte der Gedanke entstehen, als ob die Mächte 
des »alten Systems", Österreich, Frankreich und England, ihre 
leitende politische Stellung auch als auf einen Satz des inter- 
nationalen Rechts begründet betrachten dürften und damit in 
der glücklichen Lage der beati possidentes wären, deren Besitz 
durch das Recht geheiligt ist. 

1) Der Gegensatz zwischen dem monarchischen Absolutismus in Frankreich, ver- 
körpert durch den ersten Minister, und den Aspirationen der Stande führte in der Zdt der 
Fronde zu der Forderung eines Gleichgewichts zwischen Regierung und Ständen« das seinen 
Ausdruck in einer hfibschen kleinen Satire fand: «La balance d'estat. Tragi -ComfcUe 
alKgorique." o. D. (Brit. Museum). Ahnlich wird die Theorie der «Teilung der Gewalten* 
unter dem Bilde des Gleichgewichts veranschaulicht, so von J. H. G. JustI (vgl. über Ihn 
u. S. lisff. und S. 122, Anm. 2): »Abhandlung von der Anordnung und dem Gldchgewldit 
der Hauptzwdge der obersten Gewalt", in seinen „Gesammelten politischen und Finanz» 
Schriften", II, 3 ff. JustI wünscht ein Gleichgewicht zwischen der vollziehenden und der 
gesetzgebenden Gewalt, von denen die richterliche Gewalt gleichmäßig abhängig sein soll. Er 
entlehnt nicht gerade den Ausdruck, aber die Idee der sich balancierenden Gewalten 
Montesquieus „Esprit des lois", 1. XI. „Des lois qui forment la libert6 politlque, dans aon 
rapport avec la Constitution". Vgl. bes. die Darstellung der englischen Verfassung im 
diap. VI und den Satz: ,,pour qu'on ne puisse abuser du pouvoir, il faut que, ptr U dis- 
posltion des choses, le pouvoir arr^e le pouvoir": 1. XI, chap. IV. 

Locke: „Two treatles on govemment" kennt zwar die Trennung der Gewalten, 
räumt aber der legislativen eine überragende Stellung dn. 

Für England charakteristisch ist die Idee des Gleichgewichts zwischen Staat und 
Kirche In dner jakobitischen Flugschrift aus dem Regierungsbeginn Wilhelms III.: „The 
balance adjusted or the interest of church and State considered upon this conjunction.*' 
o. D. (Brit Mus.). 

Auch das Gldchgewlcht zwischen Kaiser und Ständen oder das zwischen Pro- 
testanten und Katholiken In Deutschland gehört hierher. 



— 105 — 

Aber die Tatsachen entsprachen dem doch nicht mehr. 
Wenn auch Rußland so wenig mit West- und Mitteleuropa ver- 
wachsen war, daß man es allenfalls als außerhalb Europas stehend 
betrachten konnte, so ging das Preußen gegenüber nicht. Und 
es konnte doch auch nach dem Dresdener Frieden bei ruhigem 
Hinsehen kein Zweifel sein, daß mit Preußen den führenden 
Mächten ein sehr ernsthafter Rivale an die Seite getreten war. 
Es fragte sich nur, ob es auf die Dauer seine Stellung behaupten, 
oder ob es den drei Großstaaten gelingen würde, das alte 
System wieder herzustellen.^) Im Siebenjährigen Krieg ist die 
Entscheidung zugunsten Preußens gefallen. 

Zu der durch Friedrich den Großen inaugurierten .Um- 
gestaltung des europäischen Qleichgewichtssystems kam noch ein 
anderes, nicht minder bedeutsames Moment. Es zeigte sich 
immer deutlicher, daß England durchaus nicht nur die Rolle als 
Zünglein an der Wage zu spielen gedachte, sondern daß der 
englisch-französische Gegensatz im Handel und in den Kolonien 
auch ganz unabhängig von etwaigen französischen Fortschritten 
auf dem Kontinent ausgefochten werden mußte. Vor allem doch 
der Umstand, daß Englands König auch auf dem Festlande 
Besitzungen hatte, fügte es dann so, daß der schon vorher aus- 
gebrochene See- und Kolonialkrieg zum größten Teile mit dem 
kontinentalen Ringen zusammenfiel, das wir im engeren Sinne 
als den Siebenjährigen Krieg zu bezeichnen pflegen. Allerdings 
leiteten den führenden englischen Staatsmann weniger diese 
persönlichen Motive als politische Erwägungen, seinen Einfluß 
für die Verteidigung Hannovers in die Wagschale zu werfen.*) 
Begleitet wurde überall der Kampf der Schwerter von dem Streit 
der Federn, in dem die Gleichgewichtsidee den veränderten 
politischen Kombinationen entsprechend Ausdruck fand. Aber 
wenn schon der politische Zusammenhang zwischen den beiden 

>) Diese Bemerkungen sind nicht ohne starke Einschränkungen richtig. Alle drei 
großen Mächte haben sich nie gemeinsam unter der Devise des Oleichgewichts gegen 
Preußen gewandt. In den ersten Schlesischen Kriegen ist Frankreich, im dritten England 
Friedrichs Verbündeter gewesen. In den vierziger Jahren ist von englischen Schriftstellern 
auf die Gefahr der Balance durch Preußens Beraubung Österreichs nur schwach hingewiesen 
worden, erst im Siebenjährigen Kriege wird das Oldchgewichtsinteresse scharf gegen 
Preußen geltend gemacht. 

>) vgl. A. V. Ruville: „William Pitt, Graf von Chatham". Stuttgart 1905. 
II, 101 ff. u. 159. 



— 106 — 

Kriegen ein ziemlich loser war, so zeigt die Publizistik eine fast 
völlige Divergenz und muß gesondert dargestellt werden, wobei 
als unterscheidendes Merkmal nicht die Herkunft aus dem einen 
oder dem anderen Lager, sondern das Überwiegen der kon- 
tinentalen resp. der maritimen Gesichtspunkte gilt Oemdnsam 
ist den meisten Erzeugnissen beider Gruppen die engere Ver- 
knüpfung von Theorie und Politik, gedanklicher Konstruktion 
und praktischem Zweck, die nicht so scharf wie vorher von 
einander gelöst werden können. 



1. Kapitel. 

Durch das große ifRenversement der Alliancen«, den Bund 
Österreichs und Frankreichs und die Vereinigung von Preußen und 
England, entstand zunächst in der politischen Literatur mehrfach 
ein Gefühl der Verwirrung und Unsicherheit, das durch den 
kühnen Angriff Preußens auf seine mächtigen Feinde noch er- 
höht wurde. — Eben noch war Preußen eine Macht zweiten 
Ranges, so beginnt ein gleichzeitiger Schriftsteller einen Abriß der 
ersten Regierungsjahre Friedrichs des Großen, und jetzt läßt es 
ganz Deutschland vor sich erzittern. Welchen Einfluß wird seine 
Macht auf das politische System Europas ausüben, welche Ver- 
änderungen im Gleichgewicht Deutschlands verursachen?^) Ein 
deutscher Publizist drückt den Wechsel, den der Siebenjährige 
Krieg hervorgerufen hat, mit den Worten aus: vDas politisdie 
Systema, das sonsten die europäischen Völkerschaften gq;en ein- 
ander geheget, sieht bey gegenwärtigem Krieg sehr verwirrt aus^ 
es scheinet, als ob die mehreste im Krieg verwickelte Mächte^ 
ihr altes System über den Haufen geschmissen, und ein gmz 
neues, von dem man sehr ungewiß seyn muß, ob es die Probe 
halten werde? errichtet haben'', während früher der politisdie 
Zustand Europas sehr einfach darin bestand, daß immer zwei 
Mächte abwechselnd nach der Universal-Monarchie strebten und 
sich gegenseitig an der Vollendung ihrer Pläne hinderten.*) 



1) „L'Europe ridicule ou rMexions polltiques sur la gucrre präsente." Colofne ITSf. 
^ „Juristische und politiscfae Briefe von Bcdenklichkdten bey Jetzigem Kiiqie.*' 
Alfdorf 1758. S. 15. Vgl. fiber diese Schrift auch w. u. S. 113 f. 



— 107 — 

Wenn die Politiker sich klar darüber waren, daß die alten 
Konstellationen der Mächte zusammenzubrechen [begannen, so 
erhob sich för sie die Frage, ob man überhaupt noch von einem 
Gleichgewicht sprechen sollte, oder ob der Begriff nicht ganz 
fallen zu lassen war. Zog man diese letzte Folgerung nicht, so 
hatte man zu untersuchen, woher der gegenwärtige Wirrwar ent- 
sprungen war, oder mit anderen Worten, wer das europäische 
Gleichgewicht gestört hatte, und gegen wen daher in seinem 
Namen einzuschreiten war. Eng verbunden damit war die Er- 
örterung über den Einfluß des preußisch-österreichischen Kri^es 
auf die deutschen Staaten, nach damaligem Sprachgebrauch auf 
das deutsche Gleichgewicht Doch brauchten die Antworten auf 
die Frage nach dem Interesse der einzelnen Staaten am europäischen 
und am deutschen Gleichgewicht in derselben Schrift nicht identisch 
beantwortet zu werden. Die Gründe dafür werden sich bei der 
Besprechung der einzelnen Broschüren zeigen. 

1. im Jahre 1716 hatte der bekannte Hallenser Jurist 
Nicolaus Hieronymus Gundling eine ebenso scharfsinnige wie 
witzige Abhandlung über die seit Albericus Gentilis immer wieder 
zur Diskussion gestellte Frage geschrieben, ob die bloße Tatsache 
der übergroßen Macht eines Staates dessen Nachbarn einen ge- 
rechten Grund zum Kriege gewähren könne.^) Gundling hatte 
die Frage bejaht und, ganz sichtbar unter dem noch frischen 
Eindruck des spanischen Erbfolgekrieges, mit der Gleichgewichts- 
idee lose verbunden. Jetzt, im Jahre 1757, wurde die kleine 
Schrift gesondert in Frankfurt und Leipzig neu herausgegeben.*) 
Der Neudruck enthält keinen Kommentar, keine Angabe über 
die Veranlassung der Edition. Und doch kann man nicht glauben, 
daß ein plötzliches wissenschaftliches Bedürfnis der kleinen Bro- 
schüre nach über vierzig Jahren zu verjüngtem Leben verholfen 
habe. Den einzigen Anhalt für eine Vermutung geben der oder 
die Druckorte, beide Zentren der antipreußischen Stimmungen. 
Darf man daraus schließen, daß Gundlings Polemik nach der 
Meinung des Herausgebers jetzt gegen die »übergroße Macht" 

>) Sie steht In den „Oundlingiina". 5. Stfick. „Ob wegen der inwichsenden 
Macht der Nachbarn man den Degen entblößen könne." Halle 1716. 

*) „Nie. Hieronymi Gundlings . . . Erörterung der Frage, ob wegen der anwach- 
senden Macht" etc. Frankfurt und Leipzig 1757. 



— 108 — 

Friedrichs des Großen ihre Spitze richten sollte? Wenn man 
weiß, daß in der Tat von sächsischer wie von österreichischer 
Seite das Gleichgewicht in der literarischen Fehde gegen Preußen 
ins Feld geführt worden ist,^) wird die Vermutung höchst wahr- 
scheinlich, und wir hätten dann in des einstigen preußischen 
Professors Abhandlung das erste Beispiel für eine antipreußische 
Verwendung der Gleichgewichtsidee. Wir gehen jedoch auf die 
Schrift, die immerhin nur indirekt zur politischen Literatur des 
Siebenjährigen Krieges gehört, hier nicht näher ein.*) 

Wenn auch schon in den ersten Jahren des Siebenjährigen 
Krieges mehrfach die Gleichgewichtspolitik in der Publizistik eine 
Rolle spielt, scheint sie doch mit Nachdruck von österreichischer 
Seite aus erst in einer offiziösen Broschüre aus dem Frühjahr 1761 
geltend gemacht worden zu sein.^) Wir analysieren diese, soweit 
sie für uns wertvoll ist, schon an dieser Stelle, obgleich die be- 
deutendste Publikation von englisch -preußischer Seite schon 
drei Jahre früher erschienen war,*) da sie durchaus den Charakter 
des Angriffs, die gegnerischen Schriften den der Abwehr tragen. 

Die österreichische Staatsschrift ist nach Beginn der Ver- 
handlungen über einen dann allerdings nicht zustande gekommenen 
Friedenskongreß geschrieben worden und beabsichtigt, die Forde- 
rungen der Gegner Preußens bei einem Friedensschluß mit all- 
gemeinen Gründen zu vertreten.*) Die Grundsätze, nach denen 
die verschiedenen Staaten Europas ihre Politik während des Krieges 
der österreichischen Koalition gegen Preußen richten sollen, ent- 
wickelt der Verfasser nicht in logischer Gedankenfolge, sondern 
neben einigen im Zusammenhang vorgebrachten und allerdings 
grundlegenden Ansichten stehen an verschiedenen Stellen andere, 
die sie zu ergänzen und genauer zu bestimmen geeignet sind. 
Wir fassen die leitenden Gesichtspunkte zusammen, ohne Rück- 
sicht darauf, wo und in welcher Reihenfolge sie ausgesprochen 



») vgl. w. u. S. 108ff. 

s) Einige Angaben im Anhang. 

*) M Staatsbetrachtungen fiber gegenwärtigen preußischen Krieg in Teutschland. 
Wien 1761. Mit Anmerkungen wieder aufgelegt." Berlin, im Oktober 1761. Daß die 
österreichische Schrift eine aus dem Ministerium hervorgegangene Staatsschrift vom Mai 1761 
ist, sagt die offizielle preußische Erwiderung (s. u. S. 114, Anm. 2), S. 7. 

*) Die w. u. besprochene Schrift Justis. 

s) vgl. Koser: „König Friedrich der Große". II, 283 f. 



— 109 — 

werden, und gehen dabei vom allgemeinen aus, um darauf die 
praktischen Konsequenzen kennen zu lernen. 

Die Notwendigkeit eines Balancesystems in Europa steht 
für den Verfasser gewissermaßen a priori fest; es handelt sich 
für ihn nur darum, sein Wesen näher zu bezeichnen. Aus den 
Betrachtungen eines sonst nicht hervorragenden französischen 
Schriftstellers, Pecquet, sollen die landläufigen Vorstellungen ver- 
vollständigt und vertieft werden.^) Danach ist das Oleichgewicht 
als der Zustand der europäischen Staaten zu definieren, in dem 
sie »unter sich in Ruhe und Frieden sich befinden können, und 
keine Macht von der andern einen Umsturz oder nachtheilige 
Veränderung ihrer Lande oder Gerechtsame zu befahren hat".*) 
Für das Zustandekommen des i^^quilibre" muß zwischen »causes 
premi^res« und »causes secondaires« unterschieden werden;*) 
unter den einen sind die physischen Machtmittel verstanden, 
unter den andern weniger greifbare, aber nicht minder einfluß- 
reiche Momente, wie der Geist der Staaten und vor allem ihrer 
Regenten. Denn nicht nurdieStärkeeinesStaates ist von dem Charakter 
und den Talenten seines Herrschers vielfach abhängig, auch völker- 
rechtlich ist es nicht bedeutungslos, wie der Fürst gesinnt ist. 
Der Verfasser schränkt nämlich die von ihm zitierte Ansicht 
Gundlings, nach der jeder Fürst seinem Nachbarn schaden wjrd, 
sobald es in seiner Macht steht, dahin ein, daß nur eroberungs- 
lustige und ruhmbegierige Fürsten das tun werden. Und nur 
dann darf völkerrechtlich einem übermächtigen Staate ein Teil 
seiner Länder abgenommen werden, wenn bei seinem Herrscher 
»Recht und Gerechtigkeit, Treu und Glauben nichts gelten«, wenn 
er Macht und Willen zum Bösen in sich vereinigt. Nur in diesem 
Falle darf gegen ihn auf Grund des Gleichgewichts, das auf dem 
Recht der Selbsterhaltung beruht, eingeschritten werden.*) Alle diese 
Erwägungen gelten in derselben Weise auch für das Verhältnis der 
deutschen Staaten zueinander, d. h. für das deutsche Gleichgewicht. 



1) Pecquet: „L'esprit des maximes politiques". A Leyde 1758. I. cap. XII, S. 131 ff. 
Vgl. über Pecquet die Nouv. Biogr. univ. : XXXIX, 44 f. Pecquet war eine Zeitlang im „bureau 
des affaires ^trangfcres" in einer höheren Stellung beschäftigt. 

>) „Staatsbetrachtungen" etc, S. 31. 

I) Die „Staatsbetrachtungen" äbemehmen nicht die technischen Ausdrücke Pecquets, 
wohl aber die Sache : vgl. S. 31 . 

«) „Staatsbetrachtungen" etc. S. 31 ff. und 65. 



— 110 — 

Aus diesen Prämissen ergibt sich ohne Schwierigkeit für 
den österreichischen Publizisten der praktische Schluß. Preußens 
Macht übertrifft die aller anderen Staaten und ist, durch die 
Talente seines Königs noch höher gehoben, eine Bedrohung für 
das europäische Gleichgewicht Die Gefahr wird noch schwerer 
dadurch, daß Friedrich IL, »der Eyffer und Talente zum Krieg- 
führen besitzet, selbst zu Felde lieget und obrister Befehlshaber 
ist«.^) Da Friedrich außerdem nach Ruhm und Eroberungen 
dürstet, also sicher seine großen Mittel zum Schaden aller ge- 
brauchen wird, so tritt ihm gegenüber der Grundsatz in Kraft, 
nach dem sich alle Mächte um des Gleichgewichts willen zusammen- 
tun müssen. Es gilt, Preußen zu Boden zu schlagen, aber auch 
es im Frieden wirksam zu reduzieren, da bei dem militärisch- 
despotischen Geist, der in dem ganzen Staate lebt, auch nach 
Friedrichs Tode sein Nachfolger gewissermaßen gezwungen sein 
würde, in seines Vorgängers Fußstapfen zu treten, wenn Preußen 
in seinem alten Umfang erhalten bliebe. Preußen muß, mit 
anderen Worten, »#nach dem allgemeinen europäischen wahren 
Interesse« den übrigen deutschen Kurfürstentümern wieder gleich 
gemacht werden. Demnach hat, falls es auf dem geplanten Kon- 
gresse zum Frieden kommen sollte, Österreich das gemubte 
Schlesien, Sachsen verschiedene preußische Besitzungen, Schweden 
Vorpommern zu erhalten, und auch Ostfriesland und Geldern 
dürfen nicht bei Preußen bleiben.*) Selbst Preußens Verbündeter, 
England, sollte daran denken, seine Politik zu ändern. Bliebe 
auf die Dauer Preußens Macht unbeschränkt, so würde zuletzt 
England selber »noch die Haltung des Gleichgewichts in Europa 
verlieren, . . . weil das Gleichgewicht zu Lande sich dahin lenken 
würde, wohin Preußen sich hinlenkte". Außerdem beruht Eng- 
lands Interesse vornehmlich auf seinem Handel, es kann ihm aber 
um dessentwillen ganz gleichgültig sein, ob Preußen Schlesien 
behält oder Österreich es wiederbekommt*) 

Dieselben Maßregeln, die sich aus dem europäischen Gleich- 
gewicht für alle Staaten ergeben, folgen für die Angehörigen des 



>) a. a. O. S. 31 f. 

«) a a. O. S. 61 f., 68 ff, 76 f. 

>) a. a. O. S. 53 und 26. 



— 111 — 

Reichs aus dem deutschen Gleichgewicht Wie schon Pufendorf 
es definiert hat, besteht das leitende Prinzip aller deutschen Politik 
darin »ne unius gliscens potentia (in imperio) ceteris praegravis 
fiat«. Die preußische Macht aber »zeigt eine brandenburgische 
Haupt-Superiorität über die Reichs-Mitstände, und eine Tretung 
aus dem Oleichgewichte, in betreff des Reichs-Systems, an«. 
Die einzig richtige Politik aller Reichsstände ist deshalb der 
Widerstand gegen Preußen, der auch für Hannover das natürlich 
Gegebene wäre.*) Die Annahme, daß die protestantischen Reichs- 
stände irgend ein besonderes Interesse an einem starken Preußen 
hätten, ist ganz verfehlt, Friedrich IL ist in keiner Weise der be- 
rufene Vertreter des Protestantismus in Deutschland; Religion 
und Politik stehen nicht mehr, wie in früheren Zeiten, in irgend 
einem Zusammenhang.^) 

Neu sind unter diesen Ausführungen der Wiener Staatsschrift 
vor allem zwei Dinge. Einmal die Einführung der »isekundären 
Ursachen« der Macht eines Staates. Darin lag nichts, was logisch 
überraschen könnte, im Gegenteiles war eine ganz richtige Be- 
obachtung, die dazu führte, den Umfang eines Staates, die Ein- 
wohnerzahlen und ähnliches nicht allein als ausschlaggebend zu 
betrachten. Aber natürlich war die Übernahme der Pecquetschen 
»causes secondaires« nur Mittel zu einem bestimmten Zweck. 
Wie hätte jemand Preußen seinem Territorium nach als eine 
Gefahr für ganz Europa bezeichnen können? Erst dadurch, daß 
seine militärische Organisation und die Leidenschaften und die 
Feldhermtugenden seines Monarchen als Gewichte von beliebig 
hoher Schwere in die politische Wagschale geworfen wurden, 
konnte Preußen als eine Bedrohung der Freiheit Europas er- 
scheinen. Das zweite neue Moment ist eben die Wendung des 
Gleichgewichtsgedankens gegen Preußen, das bisher überhaupt 
nicht zu den großen Mächten gehört hatte. Die wahre Tendenz 
dieser Wendung liegt klar vor Augen: nicht eigentlich die Be- 



1) a. a. O. S. 28 ff. 

>) Die angeblichoi UnterdrQckungsgelfiste der österreichischen Regierung gegen 
die Protestanten spielen in der Publizistik des Siebenjährigen Krieges eine sehr große Rolle. 
In den preußischen Staatsschriften wie in privaten Broschfiren dient die Gefahr des Pro- 
testantismus in Deutschland der Stimmungmache gegen Österreich. Die gegnerischen 
Schriften pflegen mehr oder minder energisch solche Beschuldigungen zurückzuweisen. 
Vgl. andi Koser: a. a. O. I, 611. 



— 112 — 

seitigung der preußischen Gefahr, sondern die Rückwandlung des 
jungen Qroßstaats in einen Territorialstaat ist das Ziel der Flug- 
schrift. Das bedeutet der Appell an das europäische und an das 
deutsche Gleichgewicht! Die Großen sollen den kühnen Ein- 
dringling in ihren Kreis wieder ausstoßen, die Kleinen den über 
sie Hinausgewachsenen wieder zu sich hinabziehen. - Wie sich 
der Verfasser den Zustand des europäischen Gleichgewichts nach 
der Zertrümmerung Preußens gedacht hat, läßt sich aus seiner 
Schrift nicht entnehmen. Es ist recht fraglich, ob er sich über 
die Form der Staatengruppierung, die dann zu erwarten war, klar 
geworden ist. Auch wenn Preußen wieder in das politische Nichts 
zurücksank, war damit das alte Staatensystem noch nicht in 
seiner einstigen Form wieder hergestellt. 

Ähnliche Tendenzen verfolgte zum größeren Teil eine schon 
1758 erschienene sächsische Flugschrift, der indessen die so 
charakteristische Staats- und völkerrechtliche Fundierung der Wiener 
Broschüre fehlt.*) Ihr Verfasser spricht nur die Erwartung aus, 
daß »alle Potentaten, um das Gleichgewicht von Europa zu er- 
halten, dem preußischen Adler nicht die Flügel zu lang wachsen 
lassen werden^, und macht auf die Gefahr für den Norden Europas 
und sein Gleichgewicht aufmerksam, dessen Vernichtung durch 
einen übermächtigen Staat auch im Interesse »der Freiheit vieler 
europäischen Teile nicht zu wünschen sei". 

Auch die deutschen Stände dürfen nicht ruhig zusehen, 
«daß ein Reichsmitstand eine verdächtige Übermacht an Mann^ 
Schaft und Zurüstung auf den Beinen habe"; aber an eine Zer- 
trümmerung Preußens sollen sie doch nicht denken, denn »durch 
den gänzlichen Umsturz des Hauses Brandenburg würde das 
deutsche Gleichgewicht ebenfalls gewaltig leiden«! - Gegen 
allzuweit gehende Pläne Österreichs in Deutschland macht selbst 
ein Angehöriger des stets Habsburg freundlichen Sachsen Front 
So wenig er von einer preußischen Hegemonie wissen will, 
auch eine allmächtige Stellung Österreichs im Reich ist ihm 
nicht wünschenswert, gegen beide gilt es das »deutsche Gleich- 
gewicht", den Horf der Kleinstaaten, zu erhalten. Der Dualismus 

1) „Das politische Ma- und Microscoplum des gegenwärtigen Kriegs nnd das 9X1" 
gemeine System des römischen Reichs betreffend.'* 1758. Die angefahrten Stdlcn auf S 31, 
9, 11, 32. Die sächsische Hcrlcunft ist nach dem ganzen Inhalt nicht zu bezweifeln. 



— 113 — 

Preußens und Österreichs scheint schon hier als die Devise der 
deutschen Mittelstaaten verteidigt zu werden. 

2. Gegen die Angriffe der Gegner fand die preußisch ge- 
sinnte Presse vornehmlich zwei Wege für die Verteidigung offen. 
Den einen, den näher liegenden, wählte der Verfasser einer wahr- 
scheinlich aus dem protestantischen Nürnberg stammenden kleinen 
Schrift^) In der Form einer brieflichen Diskussion suchte er 
die deutschen Stande über die wahre Bedeutung der veränderten 
politischen Konstellationen aufzuklären. An die bekannte Schrift 
Kahles und an Stissers »Erinnerungen« anknüpfend,*) untersucht 
€r im ersten Briefe die formale Berechtigung des preußischen An- 
griffs auf Sachsen,') im zweiten und dritten beleuchtet er die 
politische Situation, deren Eigentümlichkeit in dem französisch- 
österreichischen Bunde bestand. Die alten Vorstellungen über 
die Form des europäischen Staatensystems sind nach seiner An- 
sicht nicht länger haltbar;*) aber auch wenn man ganz von ihnen 
absieht und nur die Gegenwart im Auge hat, ist es schwer, sich 
ein Bild von den Zielen der Politik vor allem der kleinen Staaten 
und der deutschen Fürsten zu machen. Man sollte bei der Ober- 
macht der österreichischen Partei über die preußische doch er- 
warten, daß alle nicht direkt interessierten Staaten auf die neue Lage 
die Gleichgewichtsidee anwenden, »die Doctrin wohl studieren« 
und sich auf Preußens Seite stellen würden.*) Aber nichts von 
dem geschieht; dieselben Reichsstände, die früher gegen Habs- 
burg bei Frankreich Schutz suchten, halten es jetzt unbesorgt mit 
dem vereinten Österreich und Frankreich; man muß glauben, 
daß »die Völkerschaften in Europa sich gar nichts mehr aus der 
Doctrin von der Balance in Europa machen . . . und als ob sie 
derselben den Satz: ein jeder für sich, Gott für uns alle entgegen 
setzten«.*) Die betreffenden Staaten können doch nicht etwa 

1) , Juristische und politische Briefe von Bedenklichkeiten bey jetzigem Krieise." 
Altdorf 1758. Der Inhalt läßt in dem Verfasser einen protestantischen Prenßenfreund er- 
Icennen, der Druck in Altdorf, der Nürnberger Universitätsstadt, vielleicht auf einen Nfim- 
l>erger Bürger schließen. 

«) vgl. 0. S. 94 ff., 96 f. 

8) Die Ausführungen bringen nichts Neues. Bei Kahle, Stisser und Justi (s.u S. lisff.) 
sind die beidta entgegengesetzten Ansichten ausführlicher behandelt. 

*) vgl. o. S. 106. 

») a. a. O. S. 15. 

«) a. a. O. S. 19. 

Kaeber, Das europäische Oleichgewicht S 



— 114 — 

annehmen, daß Preußen durch die Eroberung Schlesiens so 
mächtig geworden sei, daß es seinerseits das europäische Gleich- 
gewicht gefährde ! Die Politik Österreichs und seiner Verbündeten 
allerdings ist ganz klar; sie wollen durch den Krieg einen Zustand 
herbeiführen, in dem sie allein die ausschlaggebenden Mächte 
sind, oder im Stil der Zeit, »Österreich, Frankreich, Rußland und 
Schweden wollen die sogenannte Universal-Monarchie als vor eine 
einzige Macht ein unmögliches Werk unter sich teilen«. Es gilt 
deshalb für alle anderen Staaten, sich ihren Plänen zu wider- 
setzen und sich Preußen und seinen Alliierten anzuschließen, »dea 
rechten europäischen Patrioten, die die Knechtschaft des übrigen 
Europa abzuwenden suchen«.^) 

Das Ziel dieser Flugschrift ist nicht zu verkennen. Sie dreht 
zugunsten Preußens einfach die Spitze des von den Gegnern 
gegen Preußens Obermacht gerichteten Gleichgewichtsprinzips unt 
und läßt Friedrich den Großen als den Verteidiger eben des 
europäischen Gleichgewichts erscheinen, das er nach der Be- 
hauptung seiner Feinde zu vernichten beabsichtigt. Interessanter 
ist eigentlich die Vorstellung, die der Verfasser von den politischen 
Zielen der großen Koalition hat. Diese n Universalmonarchie zu 
vieren" ist im Grunde nur eine andere, beschränktere Form für 
das Gebilde, das sich am Ende aus dem siebenjährigen Riesen- 
kampf entwickelte, die Vorherrschaft der fünf großen Mächte, die 
im 1 9. Jahrhundert als System der Pentarchie mit dem Kern der 
heiligen Allianz und später als europäisches Konzert eine bevor- 
mundende Autorität gegenüber den Kleinstaaten beanspruchen 
sollten, eine Autorität, die der Verfasser unserer Flugschrift als 
eine «geteilte Universalmonarchie« bezeichnet haben würde. 

Schärfer war die zweite Waffe der preußischen Publizistik. 
Die offizielle Entgegnung auf die Wiener Staatsschrift vom Mai 
1761, die im Oktober desselben Jahres in Berlin erschien,') löste 
die Verschmelzung von deutschem und allgemein europäischem 
Interesse radikal auf. Innerhalb einer Staatenverbindung, wie das 



1) a. a. O. S. 19 und 22. 

I) „Das wahre Interesse des Teutschen Reiches bei dem gegenwftrtisen Kriefe- 
zwischen den Häusern Preußen und Oesterreich." Berlin 1761. Den Hauptinhalt der Schrift 
bilden nicht die allgemeinen Erörterungen, sondern der Nachweis der Widersprüche der be* 
kämpften Broschfirc. 



— 115 — 

Reich sie darstelle, bestände allerdings der gemeinsame Vorteil 
aller Mitglieder darin, daß niemand unter ihnen allzu mächtig 
würde, und aus diesen «Grundsätzen einer gesunden Staatskunst" 
folge, daß »jedermann die Preußische Macht als das Gleichgewicht 
und den Damm ansehen müßte, welcher die österreichische Ober- 
macht im teutschen Reiche in Schranken hält". Die Geschichte 
bewiese ja zur Genüge Österreichs Versuche, die Freiheit der 
deutschen Stände zu beseitigen, während Preußen gar nicht auf 
einen derartigen Gedanken kommen könne, da ihm das Mittel 
fehle, mit dessen Hilfe Österreich zu jeder Zeit an die allmäh- 
liche Erfüllung seiner Wünsche gelangen könne — die deutsche 
Kaiserwürde. 

Die Waffe des deutschen Gleichgewichts gegen Österreich 
zu wenden, verschmäht also die preußische Broschüre nicht; war 
doch die Behauptung, das Haus Habsburg habe nie aufgehört, 
nach einer wirklichen Herrschaft in Deutschland zu streben, seit 
Richelieus Tagen ein beliebtes Argument aller antiösterreichischen 
Publizistik und auch von Friedrich dem Großen nicht verachtet 
worden,^) Aber von der Theorie eines europäischen Gleich- 
gewichts will die Berliner Schrift nichts wissen. Auf Grund von 
Zitaten aus dem großen Werk des älteren Mirabeau, des »Ami 
des hommes",') und aus der Abhandlung Justis über das Gleich- 
gewicht wird die Notwendigkeit, ja die Möglichkeit des Gleich- 
gewichts geleugnet*) 

Damit sind wir zu der interessantesten Schrift gelangt, die 
wir unter den Erzeugnissen des literarischen Kampfes auf dem 
Kontinent zu betrachten haben.*) Obschon bereits 1758 er- 
schienen, stellen wir Justis Schrift doch an das Ende dieses Kapitels, 
da sie einen abschließenden Charakter durch ihren Inhalt trägt 
Wir geben diesen zunächst wieder, ausführlicher als wir es sonst 
zu tun pflegen, da die Schrift auch heut noch an Klarheit der 
Gedanken kaum übertroffen werden könnte, und werden darauf 
die Frage nach ihrer politischen Tendenz untersuchen. 

1) vgl. Koser: a. a O. I, 611. 
^ vgl. w. IL S. 126 ff. 
>) Eigenes enthält die Broschüre nicht 

*) Johann Heinrich Gottlob v. Justi : „Die Chimäre des Gleichgewichts von Europa." 
Altona 1758. 

8* 



— 116 — 

Justi teilt seine Schrift in fünf Hauptstücke ein, von denen 
vier sich direkt mit dem Gleichgewicht beschäftigen, eins staats- 
wissenschaftliche Auseinandersetzungen enthält, die als Fundierung 
des Baus unentbehrlich sind. Wir folgen Justis Gedankengängen 
unter Auslassung aller etwa zwischen den allgemeinen, theoretischen 
Ausführungen versteckten praktisch-politischen Ziele. 

Die erste Frage, die jede wissenschaftliche Diskussion der 
Qleichgewichtstheorie zu beantworten hat, ist die nach ihrer Ent- 
stehung. Justi widmet ihr sein erstes Hauptstück. Gleich hier 
zeigt sich allerdings die Schwäche aller seiner scharfsinnigen 
Deduktionen, der Mangel an historischem Sinn trotz der ein- 
gehenden Eröriemng der geschichtlichen Vergangenheit, und das 
Oberwiegen des Rationalismus. Justi beginnt mit dem alten Thema, 
der Untersuchung, wann ein Krieg erlaubt sei. Er erklärt den 
Krieg für gerechtfertigt bei friedlich nicht beizulegenden Inter- 
essenkonflikten, das heißt praktisch bei kommerziellen Gegen- 
sätzen. Nur dann sind Kriege vernünftig. Bei dieser engen 
Begrenzung, bei der z. B. das Machtbedürfnis als unvernünftig 
ausgeschaltet wird, lassen sich nun selbstverständlich nicht alle 
Kriege unter die Kategorie der erlaubten, weil vernünftigen, 
Kriege bringen. Justi schließt daraus, daß ^lo ^'l^i* Kriege in 
den Leidenschaften oft ganz untergeordneter Persönlichkeiten ihre 
Erklärung finden. Die allgemeinste dieser Leidenschaften, die 
am stärksten sich bei Fürsten äußert, ist der Neid, und in diesem 
ist auch der Ursprung der Gleichgewichtsidee zu suchen. Weil 
blühende Staaten sofort der Gegenstand des Neides ihrer Nachbarn 
werden, bilden sich alsbald Bündnisse mehrerer Fürsten gegen 
sie. Nun haben aber meistens diese Ligen gegen einen gut 
regierten Staat wenig Erfolg, deshalb beginnen die Unterlegenen 
gegen die Übermacht des Siegers zu eifern, und bei einer solchen 
Gelegenheit ist zum ersten Male als ein Einfall Heinrichs VIII. 
die Idee des Gleichgewichts in die Welt gesetzt worden. Ob- 
gleich längere Zeit ohne Einfluß, haben doch die französischen 
und englischen Deklamationen gegen die habsburgische Universal- 
monarchie sie nicht wie ähnliche Ideen wieder vergessen lassen, 
so wenig reale Berechtigung auch hinter diesem »Geschrei« 
steckte. Zu allgemeiner Anerkennung aber hat erst Wilhelm III. 



— 117 — 

von Oranien die Theorie gebracht Haß gegen Ludwig XIV., 
Furcht vor Jakob II. nach der Revolution von 1688, vor allem 
das englische Handelsinteresse leiteten ihn und seine Berater. 
Die französische Seemacht galt es zu schwächen durch kontinentale 
Angriffe auf Frankreich, »und das System des Gleichgewichts 
war ein schönes Gespenst, die Landmächte zu erschrecken und 
zum Bündnisse mit England zu bewegen, um diese Landkriege 
gegen England zu unterhalten''. 

So erweist sich schon die Geschichte der Gleichgewichtsidee 
als eine Folge von Handlungen des Neides gegen blähende Staaten. 

Der Begriff des Gleichgewichts selbst, wie ihn dessen Ver- 
teidiger aufgestellt haben, ist ein doppelter. Der eine »ist ziemlich 
grob** und betrachtet Österreich und Frankreich als zwei Wag- 
schalen, an die sich je nachdem England und die übrigen Staaten 
anhängen. Trotzdem hat Kahle auf ihn vorzüglich seine Folge- 
rungen aufgebaut Mindestens ist der Begriff jetzt nicht mehr 
haltbar, da Rußland und vielleicht auch Preußen ebenfalls Wag- 
schalen sein müßten, und außerdem ist durch die politische 
Kombination des Siebenjährigen Krieges »dieses ganze System 
als ein Schattenbild verschwunden''. Man kann also von dieser 
Auffassung gänzlich absehen, und hat sich nur mit dem zweiten, 
«ein klein wenig gesünderen", auch schon von Kahle aufgestellten 
Begriff zu beschäftigen, nach dem das Gleichgewicht darin besteht, 
daß kein Staat in Europa so mächtig werden darf, daß ihm die 
übrigen Staaten vereint nicht mehr widerstehen können, und mithin 
ihre Freiheit gefährdet wird. 

Um die Unmöglichkeit auch dieser weiteren Auffassung 
des Gleichgewichts zu beweisen, schaltet Justi als zweites Haupt- 
stück die Beantwortung der Frage ein, worauf die wahre Macht 
eines Staates beruht Denn da sich die Gleichgewichtstheorie 
gegen die zu große Macht eines Staates richtet, muß man wissen, 
nach welchen Kriterien überhaupt staatliche Macht zu beurteilen 
ist Die Anhänger der Gleichgewichtstheorie scheinen dabei 
immer nur an den Umfang des staatlichen Gebiets zu denken, 
obgleich damit durchaus nichts Sicheres über die wirkliche Macht 
gesagt ist. War nicht Spanien mit allen seinen europäischen 
und amerikanischen Besitzungen ein Bild der Schwäche unter 



— 118 — 

Philipp IV. und Karl IL? Und auch die Zahl der Einwohner 
ist kein brauchbarer Maßstab; das ungeheure und gut bevölkerte 
Perserreich, das kaiserliche Rom im dritten und vierten nach- 
christlichen Jahrhundert, oder das menschenreiche China sind 
verhältnismäßig sehr kleinen erobernden Heeren erlegen. Oder 
will man den Reichtum an Edelmetallen oder die Größe der 
Armeen zu Kriftrien machen? Auch dagegen gibt es historische 
Gegenbeweise genug. Die riesigen modernen Heere, wie sie 
Ludwig XIV. zuerst eingeführt hat, sind zudem wegen der Ver- 
proviantierungsschwierigkeiten und der unerträglichen Lasten, die 
sie dem Lande auferlegen, ein sehr zweifelhafter Gewinn. In 
Wahrheit beruht eben die Blüte eines Staates nicht auf solchen 
äußeren Manifestationen, sondern auf der Vollkommenheit seiner 
Regierung. 

Damit ist justi, der große Kameralist, auf sein eigenstes 
Gebiet gekommen« Mit sichtlicher Liebe entwirft er ein Bild 
des vollkommen regierten Staates. Als einem überzeugten An- 
hänger des PoHzeistaats des aufgeklärten Absolutismus gilt ihm 
das Prinzip des Individualismus oder auch der freien Genossen- 
schaft nichts, das der Ordnung des gesamten Staatslebens vom 
Zentrum aus, nach einem genauen, wohl ausgearbeiteten Plane, 
dagegen um so mehr. Als das zu erstrebende Ideal preist er 
das Bild einer kunstvollen Maschine, deren Räder und Trieb- 
werke ohne Störung ineinander greifen und alle dem einen 
großen Zwecke der ganzen Maschine dienen. Eine Reihe be- 
sonders wichtiger Gesichtspunkte hebt er einzeln hervor, so die 
Pflicht des Fürsten, selbst zu regieren, keine Faktionen auf- 
kommen zu lassen, die einheitliche Seele der Staatsmaschine zu 
sein. Die Wahl tüchtiger, nur dem Ganzen dienender Beamter, 
so schwierig sie ist, ist doch von höchster Bedeutung. Der König 
muß mit ganzer Tatkraft sich dazu der Armee widmen, das 
Amt des Heerführers »ist eine der allerwichtigsten Pflichten des 
RQ[enten«. Schließlich wird der Regent Gelegenheit finden, 
einen Schatz zu sammeln, die Kultur des Landes zu heben, die 
Kommerzien zu befördern; aber diese sind nicht das eigentlich 
Wesentliche, sondern folgen aus der guten Anordnung der 
Regierung fast von selbst. Die größten Veränderungen in der 



— 119 — 

Macht eines Staates können also vor sich gehen, ohne daß er einen 
Fußbreit neuen Bodens gewinnt Aber es kann doch auf keinen Fall 
■ein Akt der Gerechtigkeit und nicht vielmehr des Neides sein, einen 
ausgezeichnet gelenkten Staat eben wegen der Weisheit seiner Re- 
gierung anzugreifen ! Das wäre ja nicht anders, als wenn ein Unfähiger 
aus Neid einem Gelehrten Opium eingäbe, um ihn dumm zu 
machen und von seiner Klugheit nichts mehr befürchten zu brauchen. 
Dies würde indessen die Konsequenz der Gleichgewichts- 
Iheorie sein. Diese müßte, so führt Justi im dritten Teil aus, 
•das Recht geben, einem Staate innere Reformen, die geeignet 
sind, seine Macht zu erhöhen, zu verbieten, würde also auf das 
empfindlichste gerade die Freiheit der Staaten beschränken, die 
man durch das Gleichgewicht zu schützen beabsichtigt Das 
Prinzip würde in seiner Anwendung die Legitimation der Rechts- 
^Widrigkeit sein, es würde dem natürlichen Trieb nach Erhöhung 
des Qlücksempfindens, das den Staaten ebenso wie den Individuen 
durch das Naturrecht garantiert ist, eine Schranke errichten, es 
^würde die «Beleidigung" eines Staates erfordern, der selbst 
niemandem unrecht getan, es würde gegebenen Falles gegen 
unstreitige Rechte eines Staates, z. B. bei Eröffnung einer politischen 
Erbschaft, einzuschreiten befehlen. Ebenso unbrauchbar würde 
«ich die Theorie nach Justis Meinung selbst vom Standpunkt der 
Politik erweisen — und hier zeigt sich die dialektische Kunst 
Justis auf der Höhe. Ganz abgesehen davon, daß Gerechtigkeit 
und Staatskunst in ihren Forderungen an sich identisch sind, 
sobald man nur den wahren Vorteil des Staates im Auge hat, 
■so verdankt die Welt dem Gleichgewicht die ungeheuren Armeen 
und die Staatsschulden, also das schlimmste Übel der modernen 
Staaten, verleitet die Balancepolitik zu Kriegen, deren Ausgang 
immer ungewiß ist, um einer vielleicht ganz unbegründeten 
Furcht willen, und kann überhaupt nur in ganz außerordentlich 
seltenen Fällen zur Anwendung kommen. Denn fast nie wird 
der Fall eintreten, daß ein Staat in jeder Beziehung allen anderen 
derart überlegen ist, daß er eine wirkliche Obermacht besitzt 
Tritt dieser Ausnahmefall aber wirklich einmal ein, dann ist die 
einzig vernünftige Politik die, Konzessionen zu machen und den 
Unüberwindlichen nicht zu reizen. 



— 120 — 

Wollte man Justi hier einwenden, daß es sich ja darum 
handelt, einem schon sehr mächtigen, aber noch nicht unbesieg- 
baren Staate weitere Vermehrung seiner Kräfte zur rechten Zeit 
zu verwehren, so führt Justi sein stärkstes Argument ins Feld, 
die Bestreitung auch nur der Möglichkeit der Gleichgewichts- 
politik. Denn da die Macht des Staates auf seinen inneren Vor- 
zügen beruht, diese aber unmerklich wachsen, weil so vieles 
Kleine dabei ineinander greift, so können Angehörige fremder 
Staaten nie den Zeitpunkt bestimmen, wo die Stärke des be- 
treffenden Staates plötzlich »zu groß« wird. Dazu kommt, daß 
der Begriff der »zu großen Macht« ein relativer ist, alle Staaten 
in einem ständigen Fallen und Steigen begriffen sind, und jeder 
feste Maßstab fehlt. 

Damit könnte Justi seine Abhandlung schließen, er zieht 
es aber vor, in zwei letzten Teilen auf den positiven Beweis 
eine Widerlegung der gegnerischen Argumente folgen zu lassen. 
Die Freunde des Oleichgewichts operieren gern mit einer Reihe 
von falschen Voraussetzungen, deren eine die ist, daß es irgendwo 
doch einen Berufenen geben muß, der über den Eintritt der 
Gefahr des Gleichgewichts entscheidet. Aber wo soll man nur 
einen Richter herholen, der über allen Staaten steht? Diese 
können natürlich nicht selbst Richter in einer Sache sein, in der 
sie notwendigerweise immer Partei sind ! Eine andere Annahme 
ist die, daß jeder Mächtige auch den Willen habe, anderen zu 
schaden, was nicht zutrifft, auch wenn man sich alle R^;enten 
von Leidenschaften beherrscht vorstellt; gibt es doch genug un- 
kriegerische Leidenschaften. Gerade der Idealzustand femer, der 
jedem Gleichgewichtsfreund vorschweben muß, der einer völligen 
Gleichheit aller Staaten, würde das traurigste Resultat geben, da er 
jeden Fleiß und Eifer ebenso sicher vernichten müßte, wie es 
etwa volle Vermögensgleichheit unter den Angehörigen eines 
Staates tun würde. Die bestechendste, aber darum nicht weniger 
zu bekämpfende These der Gegner ist schließlich die Konstruktion 
einer Staatengemeinschaft, einer »soci6t6 unie par un lien moral«. ^) 
Zwar hat auch Leibniz in seinem Buche »De suprematu«*) 



1) s. Kahle- Formey § 25. 

S) Erschioicn 1677 unter dem Pseudonym Caesarinus Fuersteneriiu. 



— 121 — 

dieselbe Auffassung vertreten, nallein die Staatskunst war eben 
nicht die Stärke des Herrn von Leibniz«. Davon kann keine 
Rede sein, daß man sich ein Gebilde wie eine allgemeine euro- 
päische »Republik« vorzustellen habe; die verschiedenen Völker 
leben »im Stand der natürlichen Freiheit«, ohne Verbindung und 
Zusammenhang miteinander, und haben überhaupt in ihrer Ge- 
samtheit keine gemeinsamen Interessen. 

Nicht besser wie den naturrechtlichen und logischen Kon- 
struktionen Kahles und seiner Gesinnungsgenossen geht es ihren 
historischen Begründungen. Eine wie zweischneidige Waffe die 
Geschichte in den Händen derer ist, die aus ihr irgend eine 
Wahrheit für einen bestimmten Zweck entnehmen möchten, läßt 
sich hier recht hübsch an einem konkreten Beispiele studieren. 
Man hätte meinen sollen, die Geschichte mindestens der letzten 
beiden Jahrhunderte, die für Politiker und Theoretiker immer 
wieder den Beweis der Realität der Gleichgewichtsidee geliefert 
hatte, hätte nicht umgedeutet werden können. Und doch ge- 
schieht es, und man kann nicht einmal sagen, daß Justi dabei 
viel willkürlicher verführe, wie seine Gegner, die wie Kahle oder 
Hume^) das Gleichgewicht auch im Altertum nachgewiesen zu 
haben meinten. Justi weist nicht ohne Berechtigung auf die 
Sondervorteile hin, die bei den allgemeinen Koalitionen gegen 
eine Macht die anderen Staaten jeder für sich verfolgt haben, er 
macht ganz richtig auf vielfache Unbegreiflichkeiten in der Politik 
der letzten Jahrzehnte aufmerksam, wenn die Rücksicht auf das 
Gleichgewicht immer das leitende Prinzip aller Staaten gewesen 
wäre. Und so kommt er zu dem Schluß, daß in Wahrheit 
sich nie ein Volk nach dem Balancesystem gerichtet hat, sondern 
daß alle »sich dieses Lehrgebäudes bedient haben, um sich 
Bundesgenossen zu verschaffen und ihr besonders Interesse und 
ihre Leidenschaften . . . darunter zu verstecken.« 

Wollte man Justis »Vorbericht« glauben, so hätte ihn allein 
das durch die Lehre vom europäischen Gleichgewicht über die 
Völker gekommene Unglück zu einer Widerlegung dieser un- 
heilvollen Chimäre veranlaßt. Ganz im Geschmack seiner Zeit, 



9 David Hume: »On the Ballance of Power«. In sdnen »Essays and treaties on 
acveral tabjects«. New edition. London 1760. II. 



— 122 — 

in der Kultus der Vernunft und Kultus des Gefühls in so selt- 
samer Mischung oft ineinander übergingen/) einer Zeit, die 
Voltaire und Rousseau gleichzeitig bewunderte, läßt auch Justi 
neben den Gründen des Verstandes die Töne des Gefühls bald 
pathetisch, bald wehmütig erklingen. Mit starken Worten geißelt 
er den unseligen Neid, dessen Ausgeburt die Lehre vom Gleich- 
gewicht ist, mit rührenden Worten beklagt er die Not des 
hungernden Untertanen, der unter den unendlich gesteigerten 
militärischen Lasten seufzt, den unausbleiblichen Folgen des 
Gleichgewichts. Er kann sich darauf berufen, schon in seinem 
Werke über Staatswirtschaft kurz gegen die Balancetheorie pole- 
misiert zu haben,*) er verwahrt sich ausdrücklich gegen die An- 
nahme, als ob er auf die Gegenwart exemplifizieren oder irgend 
jemand persönlich angreifen wolle. 

In der Tat hat Justi den Schein sehr gut gewahrt Denn 
als Schein enthüllt sich bei schärferem Zusehen die Leugnung 
jeder Tendenz, und sollte sie sich natürlich in gewissem Sinne 
auch enthüllen, denn jede Tendenz ist dazu da, verstanden zu 
werden. Wozu dienen sonst die häufigen Zitate aus dem Anti- 
machiavell mit der nie fehlenden Verbeugung vor seinem 
»großen", «weisen und erhabenen", »allen folgenden Zeiten ver- 
ehrungswürdigen Verfasser", dem »größten Monarchen unseres 
Jahrhunderts«?*) Will Justi nichts als eine historische Tatsache 
anführen, wenn er erklärt, daß König Friedrich »die alleredelste, 
wahrhaftigste und weiseste Staatskunst ausübt" ? ^) Ist es ohne 
tieferen Zweck, wenn er an einer Stelle Ludwig XIV. und 
Friedrich den Großen gegenüber stellt, um diesen als das Bild 
«ines idealgesinnten Fürsten, jenen als einen rücksichtslosen 
Eroberer zu malen?*) Polemisiert er nur um der wissenschaft- 



I) vgl. O. Steinhausen: »Verstand und Gefühl im 18. Jahrhundert". Dentsche 
Monatsschrift, 1904, Heft 11 und 12. 

>) Justi meint seine im Jahre 1 755 aus den Vorlesungen am Theresianum hervor- 
gegangene nStaatswirtschaft" ; vgl. den Artikel von Inama-Stemeggs in der A. D. B.^ 
XIV, 747 ff. 

») a. a. O. S. 4, 39, 43, 46, 51, 61. 

«) a. a. O. S. 79. 

&) a. a. O. S. 102. Die Stelle verdient, angeführt zu werden: uwenn Friedrich, 
der wahrhaft Große, sehr wichtige Geldsummen und andere außerordentlich vortheilhaftige 
Bedingungen anbietet, um dasjenige zu erhalten, worauf er gerechte Anforderungen hat; 
wenn er gleichsam in dem Augenblicke eines wichtigen Sieges Frieden schließet, ohne sich 
seines in Händen habenden Vorteils zu bedienen, wenn er in dem Dresdner Frieden nichts 



— 123 — 

liehen Erkenntnis willen gegen diejenigen Engländer, die sich in 
ihren Schriften gegen jede Verbindung Englands mit dem Kon- 
tinent erklärt haben, und die nicht wie Justi der Ansicht sind, 
daß es »immer eine starke Landmacht in seinem Bündnis und 
Interesse haben muß?«*) 

Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein! Und wenn man 
erw^, daß Justi bei Abfassung dieser Schrift königlich groß- 
britannischer Bergrat war,*) und dann die angeführten Verirrungen 
von den Höhen der Theorie in die Welt der praktischen Politik 
in Zusammenhang mit den heftigen Schwankungen der englisch- 
hannoverischen Politik während der ersten beiden Jahre des 
Siebenjährigen Krieges bringt, so kann der realpolitische Zweck, 
den Justi mit seiner Schrift verfolgt, leicht erkannt werden.') 
Gegenüber den Wünschen der hannoverischen Regierung, die 
unter Führung des Kammerpräsidenten von Münchhausen bis 
zu der Schlacht von Roßbach gegen den Anschluß an Preußen 
agitierte,^) gegenüber denjenigen Engländern, die gegen jede 
Allianz mit einer Kontinentalmacht waren, gegenüber all den 
Stimmen, die in dem Staat des Preußenkönigs eine Gefährdung 
des europäischen Gleichgewichts sehen wollten und unter diesem 
Schlagwort gegen Friedrich zu Felde zogen, verteidigt Justi das 
englisch-preußische Bündnis durch den Nachweis, daß Englands 
Politik so wenig wie die irgend eines anderen Staates jemals 
von der Gleichgewichtstheorie bestimmt worden ist noch ver- 
nünftigerweise hat bestimmt werden können. Diese ganze 
Theorie ist nichts als eine Chimäre, erfunden, um die öffentliche 
Meinung irre zu führen; wie sie früher gegen Habsburg und 
Frankreich verwertet worden ist, so soll sie jetzt gegen Preußen 
verwandt werden und damit zugleich auch England, Preußens 



verlanget, als was er schon besitzet, und ihm der vorhergehende Friede versichert hat, . . . 
wenn er, um das Blutvergießen zu hindern, nichts als eine Erklärung verlangt, daß man 
ihn nicht angreifen will ; so sind dieses selbstredende Handlungen, die jeden Unpartheiischen 
fiberzeugen, daß dieser Held von der ersten Größe ebenso sehr durch den Geist der Mftßi- 
gnng geleitet wird, als sich Ludwig XIV. von dem Geist der Herrschsucht und Eroberung 
hat einnehmen lassen." 

J) a. a. O. S. 25. 

s) So bezeichnet er sich selbst auf dem Titelblatt. 

>) vgl. v. Hassel : «Die Schlesischen Kriege und das Kurfürstentum Hannover.« 
Hannover 1879. v. Ruville: .William Pitt, Graf von Chatham«. II. 

4) vgl. ffir diese Zeitgrenze v. Hassel : a. a. O. S. 473 ff. 



— 124 — 

Verbündeter, diskreditiert werden. Es entspricht nur Justis Ten- 
denz, wenn er neben der allgemeinen Rechtfertigung der englischen 
Politik sie indirekt auch insofern verteidigt, als er Friedrich den 
Großen in jeder Weise rühmt. Um so ehrenvoller war es für 
England-Hannover, einen solchen Bundesgenossen zu haben. 

Alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß Justi seine Arbeit 
in höherem Auftrag geschrieben hat, zumal er noch einmal, und 
zwar ohne den Schein so sorgfältig zu wahren, die englische 
Politik verteidigt hat^) 



2. Kapitel. 

1. Wir haben schon oben darauf hingewiesen, daß der 
siebenjährige Seekrieg für sich betrachtet werden muß und auch 
gegenüber den vorhergehenden englisch -französischen Kriegen 
eine besondere Stellung einnimmt. Er brach aus, ehe noch auf 
dem Kontinent ein Schuß fiel, er entzündete sich rein an kolo- 
nialen Gegensätzen, er wurde von England vom Beginn bis zum 
Ende fast nur als See- und Handelskrieg geführt Keine natio- 
nalen englischen Regimenter fochten auf dem Festland, nur 
durch Allianzen und Subsidien schützte das englische Volk das 
Stammland seiner Könige, wenn es damit auch indirekt seine 
amerikanischen Kolonien verteidigte, die das durch den Festlands- 
krieg stark in Anspruch genommene Frankreich nicht mit voller 
Macht angreifen konnte. Als dann auch der Kampf auf dem 
Kontinent ausbrach, stand Frankreich an seines alten Rivalen 
Österreich Seite. Damit fiel für die englische Regierung jede 
Möglichkeit fort, ihre Mitbürger oder die Neutralen gegen Frank- 
reich als den Störer des europäischen Gleichgewichts zum 
Kampf aufzurufen. 

Es ist daher kein Zufall, daß die einzige einer ganzen An- 
zahl englischer Flugschriften aus dem Siebenjährigen Kri^;e, die 
die Idee der »balance of power« verficht, noch aus dem Jahre 
1755 stammt, aus einer Zeit also, wo die Feindseligkeiten in 
Amerika und auf dem Meere schon begonnen hatten, die Neu- 
gruppierung der Kontinentalmächte aber noch nicht eingetreten 

>) vgl. die w. u. S. 137 ff. besprochene Schrift Justis. 



— 125 — 

war.^) Schon damals erhob sich in England die Forderung, 
die Kriegführung von vornherein auf die See und die Kolonien 
zu beschränken. Das englische Ministerium, das durch einen 
Subsidienvertrag mit Rußland versucht hatte, auch auf dem 
Kontinent den englischen Einfluß zum Schutz Hannovers zur 
Geltung zu bringen,«) wurde von der oppositionellen Presse 
angegriffen. Dagegen sucht unsere Flugschrift die Regierung zu 
verteidigen und die Engländer durch die beliebte Erinnerung an 
Königin Elisabeth davon zu überzeugen, daß es Englands eigenes In- 
teresse als Handelsvolk sei, die Verbindung mit dem Kontinent nicht 
zu lösen, sondern ständig das Gleichgewicht zu schützen und Frank- 
reich und seinen Verbündeten nicht zu gestatten, es zu vernichten. 
Dann aber ist höchstens noch einmal in einem Pamphlet 
des Jahres 1760 von dem Interesse des Protestantismus und da- 
mit auch Englands an der Verteidigung Friedrichs des Großen 
und der Bewahrung des deutschen Gleichgewichts die Rede, 
während der Verfasser im allgemeinen der Ansicht zu sein 
scheint, daß England am besten nichts zu tun hat »mit der 
Eifersucht und den Streitigkeiten von Fürsten, die, sich selbst 
fiberlassen, schon das Gleichgewicht der Macht aufrecht erhalten 
vferden«.') Die anderen englischen Flugschriften sind während 
des Krieges ausschließlich den Handels- und Kolonialproblemen 
gewidmet, wenn auch gelegentlich einmal von einem Autor 
Holland durch die Furcht vor der Macht und dem »gefährlichen 
Geist« Frankreichs auf Englands Seite zu ziehen gesucht wird, 
Englands, das mit seiner »Unfähigkeit" irgend welcher eigenen 
ehrgeizigen Absichten zusammen mit Holland dazu bestimmt ist, 
die Welt vor den bösen Plänen anderer zu schützen.*) Im all- 

1) »Reflexions upon the present State of affairs, at home and abroad, particularly 
vifli regard to subsidies, and the differencies between Oreat-Britain and France." London, 
1755. (Brit. Museum.) Die Kenntnis dieser und fünf anderer englischer Schriften aus dem 
Sid>enjlhrigen Krieise, die sich in Berlin und Oöttingen nicht befinden, verdanke ich 
mdnem Freunde H. I. Bell, Assistenten am Brit. Museum, der sich die Mfihe gemacht hat, 
die Schriften zu lesen und mir ausffihrliche Auszüge zu schicken. 

S) Das russisch-englische Bündnis fällt in den Herbst 1755; vgl. Koser, a. a. O. 
I, 5791. 

>) »Letter to the people of England on the necessity of putting an immediate end 
io flie war." London 1760. (Brit. Museum). 

<) Charles Jenkinson : »A Discourse on the conduct of the Government of Oreat- 
Brltain with respect to neutral nations.« 1757. Neugedruckt als Einleitung zu einer 
•Collediön of treaties" etc. London 1785. Die angeführte Stelle auf S. XXXIX; vgl. 
mcfa S. XLVL 



— 126 — 

gemeinen darf man sagen, daß in dem entscheidenden Kampfe 
um die Herrschaft auf dem Meere und in den amerikanischen 
und ostindischen Kolonien England mit dem Schlagwort »Gleich- 
gewicht« weder Bundesgenossen hat werben, noch seine Politik 
vor der Welt hat rechtfertigen wollen. Selbst in der inneren 
Politik ist der Gedanke fast bedeutungslos geworden. 

2. Dafür trat das Unerwartete ein, daß eben die Macht, 
gegen deren unaufhaltsames Vordringen halb Europa unter dem 
Panier »Freiheit und Gleichgewicht" ein Jahrhundert lang in 
stets erneuten Kämpfen ins Feld gezogen war, dieselbe Waffe zu 
seiner Verteidigung ergriff, die seinen Angriffen so starken und 
schließlich erfolgreichen Widerstand geleistet hatte. Ohne auf 
die schwierige Frage nach Recht oder Unrecht beim Ausbruch 
der Feindseligkeiten in Nordamerika einzugehen, dürfen wir doch 
sagen, daß England von Anfang an besser vorbereitet in den 
Krieg eintrat und imstande war, noch im Jahre 1755 durch seine 
überlegene Flotte mehrere hundert französische Handelsschiffe 
abzufangen, ohne wesentliche Gegenwehr zu erfahren. Seine 
Überlegenheit zur See und der Wille, sie rücksichtslos auszu» 
beuten, schienen zweifellos.^) Das schwächere Frankreich suchte 
alsbald die Welt mit allgemeiner Furcht vor Englands Tyrannei 
auf dem Meere zu erfüllen. 

Schon der ältere Mirabeau muß hier genannt werden. Im 
zweiten Bande seines großen Werkes über Volkswirtschaft,') der 
zuerst 1756 erschien, findet er Gelegenheit, auf die allgemeine 
europäische Politik zu kommen. In seiner unsystematischen 
Weise schreibt er die Gedanken nieder, wie sie ihm in bunter 
Fülle zufließen, nicht selten sich widersprechend, immer be- 
herrscht von dem Verlangen, seine neuen Ideen mit Kraft und 
Ursprünglichkeit auszudrücken.') Er weist in einem dem Handel 
gewidmeten Teil mit lebendigen Worten auf die Bedeutung von 
Handel und Verkehr, von Kauffahrtei- und Kriegsflotte für sein 



1) vgl. Mahan: »Der Einfluß der Seemacht anf die Oesdiichte." (Deutsdie Obers.>i 
Berlin 1896. S. 322. 

s) (Victor de Riquette de Mirabeau): »L'Ami des hommes on trait^ de la popu" 
lation«. Nonv. 6d. 1758. 

>) Über Mirabeaus schriftstellerische Eigentfimlichkeit und Bedcntung vgl. Eid» 
mannsdörfer : »Mirabeau«. Bielefeld und Leipzig 1900. S. Uff. Ober den »Ami dct 
hommes« S. 1 7 ff. 



— 127 — 

Vaterland hin:^) Die vorwiegend kontinentale Politik Ludwigs XIV. 
war ein verhängnisvoller Fehler; in erster Linie sollten franzö- 
sische Staatsmänner sich der Sorge für freien Handelsverkehr 
auf allen Meeren und in allen Ländern widmen. Darauf be- 
ruht der Wohlstand der Völker, und doch wird er in der un- 
gerechtfertigsten Weise durch England eingeschränkt. Seit dem 
Erlaß der Navigationsakte, »dieses Attentats auf die öffenfliche 
Freiheit«, »auf das Völkerrecht«, gegen das alle Nationen Front 
machen müßten, sucht England allen Staaten »das Joch seines 
ausschließlichen Interesses« aufzuerlegen, »das im Grunde nichts 
anderes ist, als die Universalmonarchie«.') Nicht diese aber darf 
die handeltreibenden Völker in Fesseln schlagen, nein, ein 
»System der Brüderlichkeit« sollte zwischen ihnen walten und 
sollte auch überallhin übertragen werden, wohin Europäer 
kommen; in Amerika und den dortigen Kolonien sollte es nicht 
minder herrschen, wie in Europa.*) 

Mit den Angriffen Mirabeaus auf England stehen in inne- 
rem Zusammenhang seine Vorstellungen vom europäischen Gleich- 
gewicht, die er an einer etwas späteren Stelle seines Buches, 
leider ohne rechte Konsequenz der Gedanken, auseinandersetzt^) 
Jedenfalls ist soviel gewiß, daß nach Mirabeaus Ansicht bisher 
das Gleichgewicht sich nur als eine gefährliche Chimäre er- 
wiesen und dem »Neid und dem Ehrgeiz einzelner« gedient hat. 
Noch mehr zeigt sich die Wesen losigkeit der Gleichgewichtsidee, 
wenn man sie auf die Gegenwart anwenden wollte. Frankreich, 
gegen das die Idee doch gewöhnlich benützt wird, ist frei von 
allem Ehrgeiz, so daß es seinen Gegnern ganz unmöglich sein 
wird, je wieder das »^quilibre« auf ihre Fahnen zu schreiben, 
und selbst wird es hoffentlich nie wieder so dem »esprit de la 
vertique« verfallen, daß es die Wiederbelebung dieser trügerischen 
Idee nötig hätte. Das wahre Ziel der französischen Politik sieht 
Mirabeau in einem etwas phantastisch ausgemalten Zustand, in 
dem Frankreich nichts als die Ruhe Europas zu erhalten trachtet, 
und in dem sein König als »p^re universel« die Rolle eines 

>) a. a. O. S. 73. 

«) a. a. O. S. 119 und 116. 

^ a. a. O. S. 117. 

*) a. a. O. S. 183 ff. 



— 128 — 

allgemeinen Völkerbeglückers ohne äußeren Zwang spielt. Aber 
- und hier kommt in das ideale Zukunftsbild ein sehr prak- 
tischer Gedanke — dieser Zustand des Friedens, in dem der 
irpacificateur universel« eine Art von Gleichgewicht allerdings 
herstellen wird, etwa nach dem Beispiel Lorenzos von Medici, 
wird nie Sicherheit und Festigkeit gewinnen können, wenn die 
Verhältnisse in Amerika nicht neu geregelt werden, und wenn 
nicht völlige Handelsfreiheit eingeführt wird, ohne die die Eifer- 
sucht nie enden kann. 

Damit kommt Mirabeau wieder zurück auf die Gedanken, 
von denen er bei dem Thema der Handelspolitik ausgegangen 
ist: England stört durch seine kommerzielle Eifersucht die Ruhe 
Europas, während Frankreich der natürliche Beschützer der all- 
gemeinen Freiheit ist. Sein Ehrgeiz darf nur sein, durch den 
friedlichen Einfluß seiner Kultur einen Zustand ruhigen Neben- 
einanderlebens der Staaten herbeizuführen. 

Dies war die Stimmung, von der die eigentliche Publizistik 
des Siebenjährigen Krieges ausging. Zwei französische Literaten, 
Maubert und Moreau, haben in der vordersten Reihe der Kämpfer 
gestanden, ihre Schriften haben wir hier zu besprechen. 

Maubert de Gouvest hatte schon ein seltsam abenteuer- 
liches Leben hinter sich, als er im Siebenjährigen Kriege im 
Dienst des französischen Ministeriums seine Angriffe gegen 
England eröffnete.^) Auch als politischer Schriftsteller war er 
schon 1753 mit dem w Testament politique du Cardinal Alberoni« 
(erschienen in Lausanne) hervorgetreten. Diese ziemlich umfang- 
reiche Broschüre zeigt manche Ähnlichkeit mit den beiden uns 
näher interessierenden Schriften, so die Zusammenhanglosigkeit, 
häufige Wiederholungen, leidenschaftliche Sprache und auch 
schon eine starke Feindschaft gegen England. ^) Wir sehen darin 
eine Bestätigung seiner Autorschaft für die nur von Justi^) ihm 
zugeschriebenen, hier zu besprechenden, zwei Broschüren. 

Wir wenden uns diesen selbst zu und zwar zunächst dem 
wPolitique Danois«, in zweiter Auflage 1759 in Kopenhagen 



») vgl. Nouv. Blogr. Univ., XXXIV, 333 ff. 

S) vgl. bes. S. 327 f. und das ganze VI. Kapitel. 

8) »Chimäre des Oleichgewichts der Handlung etc." (s. u. S. 137, i) S. 7, 8, 10. 



— 129 — 

erschienen.^) Die erste Auflage, die mir nicht zugänglich war, 
muß zwischen dem Januar 1756 und dem April desselben Jahres 
geschrieben worden sein, also nach dem tatsächlichen Ausbruch 
des Krieges, aber vor der Kriegserklärung Frankreichs.*) Maubert 
sudit in der leidenschaftlichsten Sprache einen negativen und 
einen positiven Hauptzweck zu erreichen, nämlich Frankreich 
von allen Vorwürfen zu reinigen und England als den berech- 
tigten Gegenstand allgemeiner Feindschaft hinzustellen. Die 
Theorie des Gleichgewichts muß seinen Zwecken dienen. Er 
leugnet nicht, wie Mirabeau, den Nutzen des Balancesystems, 
sondern sucht es vielmehr naturrechtlich fest zu begründen. Er 
nimmt die von vielen Völkerrechtslehrern verteidigte Ansicht auf, 
daß die europäischen Staaten einen inneren Zusammenhang be- 
sitzen, der sie als einen »corps g^n^ral'' oder als eine »Republik« 
zusammenzufassen gestattet^) In diesem einheitlichen Staaten- 
system hat jede Nation ihren bestimmten Platz, so daß das Ganze 
dne harmonische Gliederung aufweist, die für die Aufrecht- 
erhaltung des Gleichgewichts in ihm notwendig ist.^) Das 
Gleichgewicht selbst wiederum ist für jeden einzelnen Staat ein 
Gebot des wohlverstandenen Vorteils, die Garantie gegen die 
Universalmonarchie. 

Nur muß das Gleichgewicht richtig aufgefaßt werden! 
Man hat bisher stets geglaubt, daß eine Störung des Gleich- 
gewichts im letzten Jahrhundert allein durch die ehrgeizige 
Politik Frankreichs zu befürchten war. Das ist ein schwer^ 
wiegender Irrtum. Der Gedanke, an Stelle des Gleichgewichts 
eine Universalmonarchie zu setzen, kann überhaupt ernsthaft 
einer Landmacht gar nicht kommen, das ganze Schreckgespenst 
»der Universalmonarchie ist so chimärisch, daß die Zukunft 
nicht glauben wird, wenn sie das Wesen der Staaten genau be- 
trachtet, daß diese Fabel unter zivilisierten Völkern je Glauben 
gefunden hat«.*) Gewiß, Versuche dazu sind wohl einmal ge- 

*) In der Universitätsbibliothek zu Oöttingen vorhanden. 

«) Der Vertrag von Westminster (16. Januar 1756) wird mehrfach erwähnt (S. 61, 
66, 97), der Angriff der französischen Flotte auf Toulon (10. April bis 28. Juni) noch nicht. 
Vgl. Mahan : a. a. O. S. 323 ff. 

«) a. a. O. S. 114, 245 f.; vgl. «la r^publique Chretienne« S. 124, 199 und passim. 
Über die völkerrechtliche Auffassung vgl. den Anhang S. 149 ff. 

«) a. a. O. S. 245 f., 250. Viele ähnliche Stellen passim. 

6) a. a. O. S. 101. 

Kaeber, Das europäische Oleichgewicht. 9 



— 130 — 

macht worden, wie z. B. durch Karl V. oder mehr noch durch 
Philipp II. von Spanien, aber ein derartiger Versuch erregt so- 
fort »allgemeinen Haß« und endet stets unter schwersten Ver- 
lusten für den unverständigen Staat, der ihn unternimmt.^) 
Frankreich jedenfalls hat nie danadi gestrebt, so seine Grenzen 
zu überschreiten, ein Satz, der auch für Ludwig XIV. durchaus 
seine Geltung behält, einen in jeder Beziehung ausgezeichneten, 
von seinem Volke angebeteten Monarchen.*) Die Beschuldigungen, 
die die Welt gegen Frankreich und insbesondere gegen seinen 
größten Herrscher erhoben hat, sind nichts als eine Folge der 
klugen englischen Politik, die mit großer Verschlagenheit die 
ganze Welt auf diese falsche Fährte gelockt hat, um ihren eigenen 
geheimen Plänen zu dienen, die erst jetzt offenkundig ge- 
worden sind.') 

Denn der Gedanke »Europa in Ketten zu schmieden«, 
»diese Trunkenheit, kann nur in dem Geist einer Seemacht zum 
Glauben werden".^) In der Tat hat England diese Idee zum 
Leitstern seiner Politik gemacht. Indem es ihm in geradezu un- 
glaublicher Weise gelungen ist, »anderthalb Jahrhunderte lang . . . 
den Versuch zu unternehmen, alle anderen Menschen zu unter- 
jochen und doch ständig zu erklären, daß es seine Macht nicht 
vermehren wolle«, indem es heuchlerisch alle Welt zur Erhaltung 
des Gleichgewichts gegen Frankreich aufrief, hat es ständig seine 
Macht erhöht, sich in immer weiterem Umfang den Welt- 
handel angeeignet, hat Gibraltar und Port Mahon in Besitz ge- 
nommen und »hat so das Recht, nach dem Imperium über alle 
Meere zu verlangen«. Im Vertrauen auf seine unbezwingliche 
Flotte hat es schließlich den letzten Schritt getan und mitten 
im Frieden, gegen alles Völkerrecht, die französischen Handels- 
flotten überfallen und in seine Häfen geschleppt und durch 
diesen Bruch der heiligsten Rechte alle Völker in gleidiem 
Maße beleidigt. •) 



i)a. a. O. S. 239 f. und li7ff. 

>) a. a. O. S. 18, 65, 92, 245 ff. 

s) Besonders S. 193 f. 

«) a. a. O. S. 101 f. 

») a. a. O. S. 28, 56, 75, 103, 104, 196, 255 ff. und sonst 



— 131 — 

Englands Streben nach dem »empire envers et contre tous« 
ist nicht länger anzuzweifeln. Wie soll sich Europa dagegen 
verhalten? Nun, wenn England sein Ziel wirklich erreichte, 
dann wäre für alle Staaten das Unglück gleich groß, das überaus 
wichtige Element in ihrer Staatsverwaltung, ihr Handel, wäre 
vernichtet. Das aber darf nicht geschehen. Nicht nur in den 
Machtverhältnissen der Völker Europas muß ein Gleichgewicht 
herrschen, sondern auch in ihrem Handel; da die Reichtümer 
der Erde »allen Menschen gemeinsam sein müssen«, so ist eine 
»gleiche Teilung des Handels" zu fordern. Ermöglicht werden 
kann diese Forderung bei Englands Widerstand nur dadurch, 
daß alle Staaten sich zuerst gemeinsam gegen England erheben, 
damit eine »Balance in den Kräften der Seemächte'^ eintritt, auf 
die von selbst eine gerechte Teilung der Handelsgeschäfte 
folgen wird.*) 

So hat Maubert eine Basis gefunden, von der aus er alle 
Staaten in ihrem eigenen Interesse, das zugleich das allgemeine 
ist, zum Widerstand gegen England sammeln kann. Er fügt 
dazu Ausführungen über den besonderen Schaden, den die 
einzelnen Nationen durch Englands Politik erlitten haben. Er 
erinnert Österreich an die traurige Geschichte der Ostender 
Kompagnie, er sucht die deutschen Fürsten zu überzeugen, daß 
eigentlidi nur englische Einflüsse das Reich in die langen 
Kriege mit Frankreich gelockt haben, von dem es durch den 
Rhein, eine schöne natürliche Grenze, getrennt sei. Nur 
Wilhelm HI. hat Holland in den Gegensatz zu Frankreich und 
in das englische Bündnis gezogen, sein wahres Interesse fordert 
es auf, sich von dieser Erbschaft zu trennen. Für die italie- 
nischen Staaten gibt es keinen gefährlicheren Feind als die 
englische Herrschaft im Mittelmeer, und auch Spanien und die 
nordischen Mächte haben unter englischer Rücksichtslosigkeit zu 
leiden gehabt') 

Alle diese Erwägungen werden von Maubert nicht in der 
Ordnung vorgebracht, in der sie hier wiedergegeben sind. Bei 
ihm geht alles durcheinander, manches wird in falschen Zu- 



>) a. a. O. S. 20, 84, 87, 109, 165, 244. 

^ a. a. O. S. 78 ff., 56 und 66, 93 ff., 157, 131 und 144. 



— 132 — 

sammenhang gestellt, überall bricht der HaB gegen England in 
leidenschaftlichen Tönen hervor. Kaum wird in einer anderen 
politischen Broschüre ein allgemeines System wie das des Gleich- 
gewichts des Handels in so unverhohlener Weise den besonderen 
Interessen eines Staates dienstbar gemacht worden sein ! 

Neben all den Aufforderungen zum Kriege stehen etwas 
unorganisch Ideen über die Schönheit eines allgemeinen Friedens 
unter der Ägide des deutschen Reichs, Frankreichs und Spaniens, 
eines »Friedens ohne Ende«, der erreichbar wäre, wenn alle 
Staaten auf Ehrgeiz und Vergrößerungen verzichten wollten, eines 
Zustandes, der mit Recht System des Gleichgewichts zwischen 
den Mächten genannt werden könnte.^) Auch dieses Friedens- 
projekt soll deutlich gegen England und seine Seeherrschaft 
durchgeführt werden. 

Sehr viel kürzer läßt sich das Wesentliche über die zweite 
Flugschrift Mauberts und über die Broschüre Moreaus sagen. 
Hatte Maubert in seinem ersten Werk den patriotischen Dänen 
geispielt, so versucht er es in zwei zusammengehörenden Flug- 
blättern vom Jahre 1758 mit der Rolle des Holländers.') Dazu 
hatte er einen besonderen Grund in der Erbitterung, die in 
weiten holländischen Kreisen über die Anwendung der soge- 
nannten »ruie of the seven years war« durch die englischen 
Prisengerichte herrschte.*) Darin sah Maubert einen neuen Be- 
weis für die englischen Pläne, Europa zu knechten, die er dies- 
mal in ihrer Entstehung unter Wilhelm III. genauer aufzudecken 
unternahm: Wilhelm III., der ehrgeiziger war als Ludwig XIV., 
hat seinen »tiefen Plänen«' (vues profondes) ganz Europa dienen 



») a. a. O. S. 213 ff. 

V) „La Voix d*un Citoyen d 'Amsterdam " I., H. Amsterdam 1758. Beide kleine 
Schriften können inhaltlich nicht getrennt werden. 

>) Die Sachlage war folgende : Frankreich sah bei der Schwäche seiner Kriegsflotte 
keine Möglichkeit, seine Handelsschiffe zu schätzen, und hielt sie deshalb überhaupt in den 
heimischen Häfen zurück. Um seine Kolonien aber nicht von dem Verkehr mit Europa 
und dem Austausch der kolonialen Produkte gegen die Erzeugnisse der europäisdien Kultar 
abzuschneiden, gestattete es mittelst besonderer Lizenzen holländischen und auch anderen 
Schiffen den Handel mit den französischen Kolonien, der im Frieden ausschliefilich der 
nationalen Schiffahrt vorbehalten war. England konnte das nicht wohl dulden und ließ 
daher alle mit französischen Lizenzen fahrenden neutralen Schiffe aufbringen als „ainemii 
par adoption." Als Frankreich den Neutralen den Handel ohne Lizenzen erlaubte, erkürte 
England jeden Handel für illegitim, der nicht auch im Fri;.den erlaubt sei. 

vgl. Bergbohm: „Die bewaffnete Neutralität 1780 -1783.« Beriin 1884, S. 33 
Wheaton: *fHistoiredu progr^ du droit des gens." 2me W. Leipzig 1846; S. 271 ff. 



— 133 — 

lassen; sein Ziel war »die allgemeine Herrschaft über das Meer.' 
Es gilt also, das Gleichgewicht des Handels zu bewahren. Hol-, 
land hat dazu die meiste Ursache, aber auch die anderen Staaten 
werden sich gewiß anschließen, »um einen Damm zugunsten 
der allgemeinen Freiheit zu errichten.«^) 

Mit den Angriffen auf England verbindet Maubert eine 
scharfe Polemik gegen die Statthalterpartei in Holland, in der er 
die Freunde Englands bekämpft. Die Schrift wendet sich speziell 
an die kommerziellen Kreise Hollands, die er zu einem festen 
Bündnis mit Frankreich zu veranlassen sucht 

Die beiden ziemlich starken Bändchen, die der später zum 
französischen Historiographen ernannte Jacob Nicolas Moreau*) 
im Beginn seiner ungemein fruchtbaren schriftstellerischen Tätig- 
keit unter einem Qesamttitel 1757 und 1758 veröffentlicht hat,*) 
bestehen aus einer Reihe einzelner Artikel, mit denen er den 
Anfang des englisch -französischen Krieges begleitet hatte. Sie 
sind nicht alle den großen politischen Problemen gewidmet, 
auch die Rechtsfragen, die sich an den Ausbruch des Krieges 
knüpfen, werden mit antienglischer Tendenz dargestellt, während 
ein anderer Teil über die Gründe der Antipathie zwischen 
Engländern und Franzosen handelt Immerhin nehmen die 
politischen Betrachtungen einen beträchtlichen Raum ein und 
lassen sich inhaltlich in allgemeine Grundsätze und praktische 
Erläuterungen scheiden. Sie sind bemerkenswert geschickt ge- 
schrieben, die Sprache ist häufig scharf, aber im ganzen weit 
gemäßigter als die Mauberts. Seine Behauptung allerdings, er 
schreibe »weder als Feind Englands, noch als Freund Frankreichs, 
sondern als Philosoph . . . und als Weltbürger« *) wird nicht nur 
durch den Inhalt, sondern auch durch die Form widerlegt. 
Einzelne Widersprüche und öftere Wiederholungen erklären sich 
ungezwungen aus den publizistischen Bedürfnissen sowie daraus, 



1) a. a. O. I, 3 ff.; II, 6; I, 8 f.; II, 9, 12, 15. 

S) vgl. Nouv. Biogr. Univ. XXXVI, 48 ff. Moreau galt später für streng absolu- 
tistisch und ministeriell gesinnt. 

s) »M^moires pour servir k l'histoire de notre temps, par rapport k la guerre 
Anglo-Oallicane. Par I'Observateur Hollandais. " Frankfurt et Leipzig 1757 und 58. I, II. 
Oe 240 Seiten stark.) Die ersten Briefe (Brief 2 und 3 befinden sich einzeln auf der Kgl. 
Bibliothek zu Berlin) erschienen 1755. 

*) vgl. a. a. O. I, 70. 



— 134 — 

daß die verschiedenen Abschnitte nicht gleichzeitig geschrieben 
worden sind. 

Der Ausgangspunkt^) aller Erörterungen Moreaus ist der- 
selbe wie der Mauberts, Unterschiede im einzelnen lassen es 
gerechtfertigt erscheinen, auf seine Gedanken einzugehen. Auch 
Moreau bekämpft die Idee, als hätte Ludwig XIV. je an das 
»absurde Projekt der Universal -Monarchie" gedacht.*) Nach 
seiner Ansicht hätten die R^fugi^s diese unsinnige Behauptung 
aufgebracht Von den Kanzeln der reformierten Kirchen seien 
ihre Deklamationen zum englischen Parlament, von da zum 
Londoner Kabinett und weiter zu allen europäischen Regierungen 
gedrungen. In panischem Schrecken habe Europa den Sturz des 
Tyrannen als höchstes Ziel seiner Politik betrachtet: »Furcht vor 
der Universal-Monarchie, Gleichgewicht der Macht, das war der 
Leitstern für die Operationen der europäischen Kabinette«.*) Aber 
in Wahrheit war die Universalmonarchie nur ein Traum, und ist 
nicht auch das Gleichgewicht nur ein Schemen? Ist es etwa 
Wirklichkeit geworden? Nein, gewiß nicht, denn würde sonst 
die Herrschaft über das Meer der Macht geblieben sein, die es 
zuerst okkupiert hat? Gleicht nicht »Europa einer Wiese, deren 
sie bewässernder Bach einem fremden Herrn gehört, der nach 
Belieben in ihm fischen oder seinen Lauf abändern kann?«^) 
Gibt es etwa ein Gleichgewicht bei der Teilung der Neuen Welt? 
Nein ! Und dieser Mißerfolg der Bemühungen Europas ist leicht 
genug zu erklären. Unglaublicherweise haben die Diplomaten 
vergessen, die Seemacht der Völker und ihren Kolonialbesitz mit 
in die politische Wage zu legen.^) Und doch könnte man viel- 
leicht behaupten, daß ein Gleichgewicht des Handels und das 
politische Gleichgewicht gar nicht zu trennen, sondern eins sind, 

1) Gemeint ist der Moreau unterzulegende logische Ausgangspunkt. Tatsächlich be- 
ginnen seine Angriffe auf England ganz anders, denn seine Zwecke sind rdn publizistische, 
Iceine systematisdien, während Justi beide vereint 

s) a. a. O. II, 68; vgl. auch I, 213. 

*) a. a. O. II, 69. 

«) a. a. O. II, 69. 

&) Es könnte scheinen, als ob Moreau an einer Stelle (II, 17) und wohl auch an 
einer zweiten, der oben zitierten, (II, 69) gegen das Gleichgewicht sich auszusprechen be- 
absichtigte. Doch wäre das auch bei einem schnell schreibenden Publizisten, wie Moroni, 
ein gar zu starker Widerspruch mit seinen sonst immer wiederkehrenden Ansichten. Ich 
glaube daher, daß die Stellen, wie oben geschehen, aufgefaßt werden mfissen : Moreau be» 
streitet nicht das Prinzip, sondern nur die tatsächliche Existenz eines Gleichgewichts. 



— 135 — 

da auf dem Handel die Kraft eines Volkes beruht, und das Volk, das 
den Handel beherrscht, überhaupt die entscheidende Stimme besitzt 
Dies so nützliche Handelsgleichgewicht braucht natürlich nicht 
darin zu bestehen, daß jeder einzelne Staat den gleichen Handel 
hat — das wäre unmöglich und ungerecht, da es allen Wett- 
bewerb vernichten würde - sondern es fordert nur, daß kein 
Volk ein solches Obergewicht erlangt, daß ihm alle übrigen vereint 
nicht als Gegengewicht dienen können.^) 

Da diese Erkenntnis aber den Staatsmännern gefehlt hat, 
hat es dahin kommen können, daß England Zeit gefunden hat, 
»diese universale Tyrannei zu usurpieren«, gegen die es selbst 
sich mit ganz Europa verbündet hatte.') Sein Ziel ist es, den 
Handel aller anderen Nationen an sich zu bringen. Die Eng- 
länder wünschen dahin zu kommen, daß ganz Europa nur noch 
arbeitet, um sie zu bereichem.*) 

Von diesem Gesichtspunkt aus gilt es, den jetzigen Krieg 
zwischen England und Frankreich zu betrachten. England möchte 
«sein System << auch auf Nord-Amerika ausdehnen und dort alle 
fremden Kolonien vernichten. Dadurch wird die »balance du 
Commerce de l'Am^rique" und weiter der gesamte politische 
Zustand Europas bedroht. Alle Völker müssen also sich mit 
Frankreich vereinen; »die Interessen Hollands, Spaniens, Portugals 
und Dänemarks« sind hier unzertrennlich von denen Frankreichs.*) 
Wenn Frankreich in dieser Lage seine Streitkräfte verstärkt, wo 
es so deutlich sich in Verteidigungsstellung befindet, kann niemand 
es anklagen, »das Gleichgewicht zerstören zu wollen«.*) 

Einzelne Staaten haben besondere Ursache, ihr Verhalten 
gegenüber den Kriegführenden gemäß diesen allgemeinen Grund- 
sätzen einzurichten. Spanien wird durch die englischen Über- 
griffe kaum minder wie Frankreich angegriffen. Allein wird es 
Florida nicht gegen England verteidigen können, sein gesamter 
Kolonialhandel geht einer schweren Gefahr entgegen. Wären die 
spanischen Staatsmänner voraussehende Politiker, so würden sie 



1) a. a. O. II, 42 f. und I, 58. 

s) a. a. O. II, 42 f. 

8) a. a. O. I, 5, 10. 

«) a. a. O. I, 5 ff, 56 ff. 

8) a. a. O. I, 213. 



— 136 — 

sich nicht besinnen, sondern Frankreich in seinem Kampfe um 
die Handelsfreiheit ihren Beistand leihen, wie ein besonnener 
Bürger das brennende Haus seines Nachbarn löschen hilft, um 
das seine zu retten. So sollte auch Holland sich zu seinem 
französischen Nachbarn gesellen oder wenigstens strenge Neu- 
tralität bewahren, damit nicht die Bemühungen Europas zur 
Wiederherstellung des Gleichgewichts zur See sich auch gegen 
den Freund des übermächtigen England richten.^) Vor allen 
anderen Staaten aber sollten die italienischen Mächte sich gegen 
England wenden! Nach dem unverzeihlichen Fehler, den die 
Diplomatie im Utrechter Frieden begangen hat, indem sie Gibraltar 
und Minorka England auslieferte und dadurch Englands Herr- 
schaft im Mittelmeer begründete, haben die französischen Truppen 
zwar Minorka erobert, aber nun gilt es, mit gemeinsamen Kräften 
Gibraltar zu befreien und überhaupt das Handelsgleichgewicht 
wieder herzustellen. Freilich hätte man sich ja alle Not sparen 
können, wenn man in Utrecht den v Engländern den Eintritt ins 
Mittelmeer geschlossen, ihnen jeden Handel mit der Ostsee und dem 
Süden^) verboten und sie gezwungen hätte, Schottland und Irland 
zugunsten des Prätendenten aufzugeben''; aber durch eine gemein- 
schaftliche Eroberung Gibraltars ist auch jetzt noch die Befreiung 
Europas und das w^quilibre du commerce" zu erreichen.') 

Das ist und bleibt das bei Maubert und Moreau bis zur 
Ermüdung des modernen Lesers wiederkehrende Motiv, der Kampf 
Europas für seine kommerzielle Unabhängigkeit zur Begründung 
eines Gleichgewichts im Handel (und, nach Moreau, auch im 
Kolonialbesitz). Wie solch ein Gleichgewicht im einzelnen durch- 
zuführen sei, kümmert sie nicht; anders als den Propheten des 
politischen Gleichgewichts schwebt ihnen kein System von aus- 
schlaggebenden Mächten vor. Nur daß der Gegensatz von Frank- 
reich und England es natürlich macht, daß ihre praktischen 
Vorschläge fast sämtlich darauf hinauslaufen, Frankreich gegen 



1) Für Spanien vgl. I, 67, 102 f., 107; für Holland I, 107 ff., II, 3ff. 

s) Mit dem ,, Süden" wird wohl an das ,, Schiff des Südens" gedacht sein, d. h. an 
das eine konzessionierte Handelsschiff, das nach dem Utrechter Frieden England direkt, 
nicht über Cadiz, nach Portobello schicken durfte - der Anlaß zu einem ungdieuren 
Schmuggel, der bekanntlich dem englisch-spanischen Kriege von 1739 Veranlassung und 
Namen gegeben hat. 

8) a. a. O. II, 18 ff. und bes. S. 42 ff. 



— 137 — 

den Tyrannen der Meere, den allgemeinen Feind Europas, zu 
unterstützen. Charakteristisch für beide Schriftsteller, aber auch 
für ihre Zeit, ist die völlige Vernachlässigung des Ackerbaues als 
Quelle für nationalen Wohlstand. Es ist ohne weiteres zuzugeben, 
daß das in Mauberts und Moreaus Tendenz allein begründet 
sein könnte, doch stimmen ihre Ansichten über die Bedeutung 
des Handels für das Staatsleben so gut zu der Praxis des 
Merkantilismus und der fast allgemeinen Unterschätzung des 
Bauernstandes — Preußen macht aus den bekannten finanziellen 
und militärischen Gründen eine Ausnahme —, daß sie hier 
wenigstens berührt werden mußten. 

3. Gegen die neue Theorie von dem »6quilibre du commerce« 
hat sich derselbe Schriftsteller erhoben, der schon das politische 
Gleichgewicht als unrealisierbares Phantasiegebilde bekämpft hatte. 
Hatte er hier im Interesse des englisch-preußischen Bündnisses 
gefochten, so wandte er sich jetzt der Verteidigung der englischen 
Handelspolitik zu.^) Deutlicher als seine erste Schrift verrät die 
zweite ihren Charakter als politische Tendenzschrift Sie beginnt 
zwar auch mit Betrachtungen über den Neid und die Notwendig- 
keit, ihn zu bekämpfen, unter welcher Maske er sich auch zu 
verbergen suche, verfällt aber alsdann in eine überaus scharfe 
Polemik gegen Maubert, die auch an anderen Stellen der Schrift 
wiederkehrt.*) Ebenso dient das ganze sechste Hauptstück dazu, 
die »ruie of the seven years war« gegen die holländischen An- 
griffe zu verteidigen, zu deren Interpreten sich Maubert gemacht 
hatte. Schließlich fehlen nicht politische Ratschläge an einzelne 
Staaten, die zwar nach Justis Wunsch sich aus seinen allgemeinen 
Ausführungen wie absichtslose, rein logische Konsequenzen er- 
geben sollen, die aber natürlich in Wirklichkeit erst die all- 
gemeinen Betrachtungen veranlaßt haben. Wir kommen darauf 
noch zurück. 

Im ganzen lehnt sich diese Abhandlung namentlich in der 
Komposition eng an die «Chimäre des Gleichgewichts von 
Europa« an. Sie zerfällt in zwei vorbereitende » Hauptstücke", 



1) Joh. Hcinr. Gottlob v. Justi : „Die Chimäre des Gleichgewichts der Handlung 
und Schiffahrt" Altona 1759. 

«) Vgl. die Einleitung, S. 7ff. und S. 52, 56, 66, 72 ff. 



— 138 — 

zwei »Hauptstücke", die den positiven Beweis enthalten, und ein 
fünftes, das die gegnerischen Argumente einzeln abweist.^) 

Justi legt auch hier den eigentlichen Nachdruck auf die 
staatswissenschaftlichen Grundlagen, das heißt, eine Untersuchung 
der Natur des Handels. Da dieser allein auf der durch besondere 
Arbeitsamkeit eines Volkes erzielten Oberschußproduktion von 
Gütern über den eigenen Bedarf hinaus und dem Wunsche ihres 
Austausches gegen andere Güter fremder Völker beruht, so liegt 
es in der freien Willkür jedes Staates, ob er überhaupt Handel 
treiben will, oder mit wem und unter welchen Bedingungen er 
zu handeln gedenkt. Ferner muß auch deshalb der Handel ganz 
frei sein, weil er auf gegenseitigen Vorteil gegründet ist, und kein 
Privater und kein Volk mit einem anderen Geschäfte machen 
werden, wenn ihnen ein dritter bessere Bedingungen bietet 
Folglich beruht blühender Handel eines Volkes auf den niedrigen 
Preisen seiner Waren, die es so billig abgeben kann entweder 
vermöge der natürlichen Vorzüge seines Bodens oder der Tüchtig- 
keit und Geschicklichkeit seiner Angehörigen. Den Gewinn oder 
Verlust bei den einzelnen Handelszweigen zeigt die Handelsbilanz 
an, die jedes Volk im Rahmen des natürlichen und arbiträren 
Völkerrechts so günstig wie möglich zu gestalten bemüht sein 
mag.*) Ja, um nicht zurück zu gehen, muß jedes Volk stets 
bestrebt sein, seinen Handel zu erweitem. 

Denn — und hier tritt uns das Prinzip von Justis Staats- 
lehre unmittelbar entgegen — i/der Endzweck eines jeden Staates 
ist seine gemeinschaftliche Glückseligkeit."*) Diese läßt sich zwar 
auch durch völlige Absonderung erreichen und hat bei steter 
Aufmerksamkeit Aussicht auf Dauer,^) aber in der Tat führt auch 
die höchste Blüte von Handel und Schiffahrt zu ihr. Allein dieser 
zweite Weg ist von vielen Gefahren bedroht, und wenn er wirklich 
zu Ende gegangen wird, so wird der Erfolg, so paradox das 

>) Das 6. Hauptstuck, das nur künstlich mit dem Ganzen zusammenhingt, ist 
schon erwähnt. 

S) Justi braucht die technischen Ausdrücke nicht, meint aber S. 19 f. dasselbe, was 
sie besagen. Wenn Justi dabei Maubert die Verwechslung von Handelsbilanz mit der von 
ihm vertretenen Handelsbalance unterschiebt (S. 17 f.), so trifft dieser Vorwurf nicht zu. 

8) a. a. O. S. 22. Das Folgende im 2. Hauptstück. 

*) Auf die interessante Schilderung dieses Idealstaats, bei dem wohl an Aristoteles' 
aviaQxeia gedacht wird, und auch das Beispiel Spartas vorschwebt (vgl. S. 23, 27, 28), 
kann hier nicht eingegangen werden. 



— 139 — 

scheinen mag, mit dem Resultat des Staates, der von vornherein 
den Weg der Absonderung gewählt hat, identisch sein. Der 
Beweis ist nach Justi ganz einfach der, daß der im internationalen 
Verkehr stets gewinnende Staat einen solchen Reichtum an Edel- 
metallen erlangen wird, daß ihr Wert außerordentlich sinkt, der 
Preis der Arbeit im Verhältnis zu anderen Staaten immer höher 
steigt und zuletzt alle Waren so verteuert, daß jeder Export auf- 
hören muß. Trotzdem wird der betreffende Staat bei seinem 
Geld- und Volksreichtum nun in der Abgeschlossenheit einen 
Zustand höchsten Glücks repräsentieren. 

Wer sich über diese Dinge klar geworden ist, kann die 
Idee eines Gleichgewichts des Handels der verschiedenen Völker 
nur unsinnig finden. Wie wären je seine Voraussetzungen zu 
erfüllen? Müßte man nicht alle Völker nach Vorzügen des Bodens 
wie nach Fleiß und Anlagen gleich machen, damit ihr Handel 
gleich werden könnte? Müßte nicht jede freie Wahl beim Handel, 
die Rücksicht auf den eigenen Vorteil fortfallen, ja, müßten nicht 
die Unterschiede der geographischen Lage, die die Handelswege 
und ihre Länge bestimmen und damit den Preis der Waren 
beeinflussen, irgendwie eliminiert werden? Ebenso unmöglich 
wäre ein Gleichgewicht durch eine gleichmäßige Aufteilung der 
Kolonien, da Kolonialbesitz und Handel sich durchaus nicht wie 
Ursache und Wirkung verhalten, wie das Beispiel Spaniens lehrt 
Und da andererseits Handel und Seemacht voneinander wirklich 
abhängig sind, ist auch ein Gleichgewicht der Macht zur See — 
ein ^quilibre maritime — ausgeschlossen. So unmöglich die ganze 
Idee in die Wirklichkeit umzusetzen ist, so ungerecht ist sie^) und 
so unklug. Die höchste kommerzielle Blüte führt ein Volk ja 
zur Absonderung, macht es also für alle anderen Staaten unge- 
fährlich. Der Gedanke gar, England könne mit einer allmächtigen 
Flotte eine Universalmonarchie gewinnen, ist absurd, da alle Land- 
mächte von einer Seemacht überhaupt nichts Ernstliches zu 
fürchten haben. Außerdem beruht ja eine große Seemacht nur 
auf inneren Vorzügen eines Staates; diese gilt es nachzuahmen, 
nicht einen ungerechten und in seinem Ausgang doch höchst 



1) Die hierfür angeführten Gründe sind denen in Justis erster Abhandlung zu 
ähnlich, um ihre Wiedergabe hier zu rechtfertigen. 



— 140 — 

problematischen Krieg zu erregen. Das einzige, was man aus 
dem gleichen Recht aller Völker auf Glückseligkeit folgern könnte, 
wäre also »ein Gleichgewicht des Fleißes, der Arbeitsamkeit und 
Geschicklichkeit«.^) — Alle Folgerungen, die aus der Konstruktion 
einer europäischen Republik gezogen werden, sind ebenso hin- 
fällig wie diese Konstruktion selbst*) 

Die Idee eines Gleichgewichts des Handels ist und bleibt 
also eine Chimäre, und damit alle Vorwürfe, die gegen Englands 
kommerzielle Überlegenheit geschleudert werden. Justi weist des- 
halb die Anklagen über Englands Haltung in der Ostender An- 
gelegenheit zurück,*) und polemisiert gegen die Aufhetzung 
Dänemarks durch Mauberts »Politique Danois''.^) In denselben 
Zusammenhang gehört wohl auch die Ermahnung an alle handel- 
treibenden Völker, sich gerade im Interesse der Ausdehnung ihres 
Handels nicht in einen Krieg mit einer überlegenen Seemacht 
einzulassen.^) Daß Justi diese Broschüre auf höhere Veranlassung 
hin verfaßt hat, dürfte nicht zweifelhaft sein. 



Schluß. 

War das das Ende der Gleichgewichtsidee, daß sie als Chimäre 
unter den Angriffen eines überlegenen Dialektikers endete? Nein, 
sie ist bis auf unsere Tage nicht gestorben und hat zeitweilig 
noch in den diplomatischen Verhandlungen eine Rolle gespielt 
wie nie zuvor.*) Trotzdem bezeichnet der Siebenjährige Krieg 
eine Epoche in ihrer Geschichte. Bis zu diesem mächtigen 
Ringen war sie zuerst der Ausdruck für das auf zwei, dann für 
das auf drei Großstaaten basierte europäische Staatensystem ge- 
wesen, zuletzt mit der Tendenz, den tatsächlichen Machtzustand 
als etwas Festes, völkerrechtlich Begründetes erscheinen zu lassen. 
Jetzt war Preußen ebenbürtig neben die drei alten Mächte getreten, 
und Rußland, durch die Teilnahme an einem allgemeinen euro- 
päischen Kriege mit West- und Mitteleuropa fester verschmolzen, 

») a. a. O. S. 63. 
«) vgl. o. S. 180. 
8) a. a. S. 19 f. 
♦) a. a. O. S. 56 ff. 
ß) a. a. O. S. 55 f. und 58 ff. 

*) vgl. bes. die eingehenden Angaben über die Friedensverhandlungen von 1813-15 
bei Donnadieu: »Essai sur la thtorie de I*^uilibre " Paris 1900. S. 110 ff. 



— 141 — 

als fünfte Großmacht durch die Tatsachen anerkannt worden. 
Wenn man jetzt doch noch vom europäischen Gleichgewicht 
sprach, so verstand es sich von selbst, daß man dabei an fünf 
Mächte dachte, an und um die sich die übrigen Staaten grup- 
pierten. Dies System hat, durch den Hinzutritt Italiens in seinem 
Wesen wenig geändert, die Stürme der französischen Revolution 
und der nationalen Kämpfe des neunzehnten Jahrhunderts über- 
dauert, ja, in der heiligen Allianz und dann im europäischen 
Konzert sich eine Art Organisation gegeben, die der Zeit vor 
den Wiener Verträgen noch fremd war. 

In den Krisen des europäischen Staatensystems erscheint 
auch in der Literatur noch nach 1763 häufig die Rücksicht auf 
das Gleichgewicht als politisches Kampfmittel.^) Auch der im 
Laufe des siebenjährigen Seekrieges zuerst nachdrücklich hervor- 
gehobene Zusammenhang zwischen Handelsmacht und politischer 
Macht wird im englisch-amerikanischen Kriege und während der 
Revolutionskriege wieder berücksichtigt*) Eine besondere Be- 
deutung gewann die Verbindung von Handelsbilanz mit politischem 
Gleichgewicht bei einigen bedeutenden Nationalökonomen des 
18. Jahrhunderts, ohne, soweit ich sehe, in der eigentlich poli- 
tischen Literatur größeren Einfluß zu erlangen.') Eine bemerkens- 
werte Zusammenfassung der Geschichte und Bedeutung der 



1) Das russische Vordringen in Polen und in der Türkei bekämpft Mallet du Pan : 
■Du p6ril de la balance politique de I'Europe.* A Londres 1789. Vgl. bes. S. 3 und S. 90. 

Die Bedeutung des deutschen Oleichgewichts zwischen Preußen und Österreich 
zeigt der Vortrag von Hertzberg : »Sur la v^ritable richesse des 6tats. la balance du com- 
merce et Celle du pouvoir." Der Vortrag ist z. T. eine Apologie der Ffirstenbundpolitik 
Friedrichs des Großen, zu seinem Geburtstag in der Berliner Akademie am 26. Januar 1 786 
gdialten, gedruckt in Hertzbergs «Huit dissertations". Berlin 1789. 

Für die Periode der französischen Revolution sind die Schriften Edmund Burkes 
zu nennen, bes. »Thoughts on French Affairs" : Works. London 1899. IV, 315 ff., bes. 
S. 330. -Gegen das Oleichgewicht vgl. einen Passus bei D(umouriez): »Tableau sp^latif 
de rEuropc.« 1798, S. 13. 

Von französischer Seite stimmt für das politische Oleichgewicht der Kontinental- 
staaten als friedefördemd Charles Theremin : »Des int^rets des puissances continentales 
relativement ä rAngleterre." Paris, Tan III. S. 8. Der Zweck der Broschüre ist: Friede auf 
dem Kontinent, Krieg aller gegen England. 

^ Die Bedeutung des Widerstandes Frankreichs gegen England während des 
amerikanischen Unabhängigkeitskrieges betont lebhaft Hertzberg, a. a. O. S. 19. 

Neben heftigen Angriffen gegen das englische Übergewicht und der Forderung einer 
Handelsbalance von französischen Publizisten (so Thöremin : a. a. O. S. 1, 5, 20, 95) 
erkennt auch Burke die Berechtigung dieser Forderung durchaus an: Works, IV, 447, 457. 

>) vgl. die Angaben v. Heykings : »Zur Geschichte der Handelsbilanztheorie. * 
Bert. Diss. 1880. II. Kap. bes. S. 40 f. Unter den Politikern ist hier wieder Hertzberg 
zu nennen. 



— 142 — 

Gleichgewichtspolitik und Gleichgewichtsidee gab der spätere 
preußische Minister Ancillon.^) 

Der schwerste Stoß, den das europäische Staatensystem in 
der neueren Zeit erhielt, der Angriff Napoleons auf die alten 
Machtverhältnisse, wurde wieder mit dem Schlagwort »Gleich- 
gewicht« bekämpft,') und mit der Rücksicht auf das europäische 
Gleichgewicht begründeten die Diplomaten das Werk der Wiener 
Verträge.') Was 1763 erreicht worden war, wurde 1814 und 15 
wiederhergestellt 

Die weitere Geschichte der Gleichgewichtsidee auch nur 
skizzenhaft darzustellen, liegt außerhalb unserer Aufgabe. 



>) FrMMc Andllon : «Tableaii des r^olutions du systtoie politique de VEnrope." 
Berlin 1803. 

>) Friedrich v. Oentz: •Fragmente aus der neuesten Geschichte des politischen 
Gleichgewichts von Europa.« St Petersburg 1806. Gentz gibt als Einleitung einige all- 
gemeine Begriffe fiber das Gleichgewicht, das er mit Ancillon lieber als «systtoie des 
contrepoids" (S. 8) bezeichnen möchte. Er greift die polnischen Teilungen heftig an als 
Symptome des Mißbrauchs der Form bei Erschlaffung des Geistes der Gldcfagewicfatsidee. 

*) vgl. Donnadieu: a. a. O. S. 110 ff. 



Anhang. 



Das europäische Gleichgewicht und das natürliche Völkerrecht 

im 18. Jahrhundert 

Die Zeit, in der in der Politik die Theorie des europaischen 
Gleichgewichts zu allgemeiner Anerkennung gelangte, war in ihrer 
Weltanschauung von dem »natürlichen System der Geisteswissen- 
schaften« beherrscht^) Gegenüber der theologischen Befangen- 
heit des mittelalterlichen Denkens wurde der Versuch unter- 
nommen, die Welt und in ihr die menschlichen Verhältnisse 
allein mit Hilfe der Vernunft zu begreifen. Eine solche Kon- 
struktion erschien möglich durch die Annahme fester, allgemein 
gültiger Begriffe in der menschlichen Natur; es galt nur, sich 
diese unveränderlichen Züge des Menschen klar zu machen, um 
danach auch im praktischen Leben zu handeln. 

So entstand die Idee einer natürlichen Religion, in letzter 
Wurzel aus dem Bedürfnis nach Einheit inmitten der seit der 
Reformation fast unheilbar gewordenen religiösen Gegensätze 
entspringend,^) und daneben die Annahme der Existenz eines 
natürlichen Rechts, aus dem die wahren Grundsätze der Ordnung 
der menschlichen Verbände abzuleiten seien, aus dem sich aber 
auch die Regeln ergeben müßten, die die gesellschaftlichen Körper 
unter- und gegeneinander zu beobachten hätten.') Neben ein 

*) vgl. die unter diesem Titel erschienenen Aufsitze Diltheys im «Ardiiv f. Oesdi. 
der Philos.« Bd. V und VI, sowie den ergänzenden Aufsatz desselben »Die Autonomie des 
Denkens, der konstruktive Rationalismus und der panthdstische Monismus nach ihrem Tjol- 
sammcnhang im 17. Jahrb.«, a. a. O. VII, 28 ff. 

>) Dilthey: a. a. O. V, 489. 

s) Damit soll nicht geleugnet werden, dafi die Idee des naturlichen Rechts an sich 
viel ilter ist, ebenso wie die Lehren des natfirlichen Staatsrechts in das Altertum und 
Mittelalter zurückreichen. Vgl. Oierke: «Dentschcs Oenossenschaftsrecht, III" und des- 
selben Verfassers »Althusius". 



— 144 — 

natürliches Staatsrecht trat damit das natüriiche Völkerrecht, dieses 
besonders in den Nöten des Dreißigjährigen Krieges als not- 
wendiger Ersatz der verlorenen Einheit der christlichen Welt- 
regierung des Mittelalters zu fast allgemeiner Anerkennung durch 
Hugo Qrotius erhoben.^) 

Die außerordentliche Bedeutung des Naturrechts beruht auf 
dem Bruch mit der scholastischen Denkmethode und auf den 
praktischen, politischen Wirkungen, die es ausgeübt hat, und 
deren Einfluß kaum zu überschätzen ist.*) Seine wissenschaftliche 
Basis allerdings ist im 1 9. Jahrhundert zerstört worden. Ebenso 
wie die Annahme eines Normalmenschen und einer Normalver- 
nunft der modernen geschichtlichen Auffassung des Lebens wider- 
spricht, sind wir auch imstande, die angeblich allein aus der 
reinen Vernunft und der Natur gezogenen Sätze in ihrer Bedingt- 
heit nachzuweisen. Wir sehen zugleich, daß hinter den scheinbar 
allgemeinen und objektiven Formeln der stärkste Subjektivismus 
steckt. Die Folgerungen aus der Natur des Menschen sind 
nichts als die Resultate des Nachdenkens eines, und zwar eines 
von seiner Zeit abhängigen, bedingten Menschen. Daher sind 
die verschiedenen Naturrechtslehrer zu den entgegengesetztesten 
Resultaten gekommen, obgleich das eigentlich unmöglich hätte sein 
sollen, und obgleich sie dadurch gezwungen waren, sich selbst die 
rechte, dem Gegner aber eine getrübte Vemunfterkenntnis zuzu- 
schreiben. Auf der anderen Seite hatte der Subjektivismus eine 
große Elastizität der naturrechtlichen Systeme zur Folge. Diese 
waren schließlich imstande, so ziemlich jeden positiv rechtlichen 
Satz und jedes rechtliche Postulat aufzunehmen.') Dadurch ist 
es möglich geworden, auch eine scheinbar so rein politische 
Theorie, wie die Lehre vom europäischen Oleichgewicht, zu einem 
Satz des Völkerrechts zu machen. 

Erst im spanischen Erbfolgekriege war die Aufrechterhaltung 
des europäischen Oleichgewichts zu einem vor allem in England, 

1) über die theoretisch lange unterschätzten Vorläufer des Orotius vgl. E. Nys: 
»Le droit de la guerre et les pr6courseurs de Orotius.« Bruxelles 1882. Über den durchaus 
naturrechtlichen Charakter des Werkes von Orotius und seine Beschränkung auf das formdle 
Recht - denn der Krieg steht bei ihm ganz im Mittelpunkt - vgl. Bulmerincq: »Die 
Systematik des Völkerrechts von H. Orotius bis auf die Gegenwart." Dorpat 1858. S. 16 ff. 

I) vgl. außer Jellineks Allgemeiner Staatslehre Bergbohm: i.Jurisprudenz und 
Rechtsphilosophie", I. »Das Naturrecht der Gegen vart.« Leipzig 1892, bes. S. 195 ff. 

>) vgl. Bergbohm: a. a. O. S. 161 f., bes. Anm. 15, 



— 145 — 

Holland und Deutschland allgemein anerkannten politischen Dogma 
geworden, mit dem Anspruch, die in seinem Namen geführten 
Kriege vor der Welt zu rechtfertigen. Das war das Signal für 
die Vertreter des Völkerrechts, sich dieser politischen Theorie 
zu bemächtigen und sie von ihrem Standpunkt aus zu unter- 
suchen. Noch innerhalb des ersten Jahrzehntes nach dem Utrechter 
Frieden erschienen mehrere dem Oleichgewicht gewidmete Ab- 
handlungen — meist juristische Dissertationen — und andere 
folgten ihnen. Wenigstens die große Mehrzahl der von Ompteda 
aufgeführten Arbeiten sind mir zugänglich gewesen.^) Die meisten 
haben nur wissenschaftliche, keine politischen Ziele; wo solche er- 
kennbar sind, werden sie doch an dieser Stelle nicht berücksichtigt 
Den Hebel, mittelst dessen das Oleichgewicht in das Völker- 
recht einbezogen wurde, bildete die Lehre vom gerechten und 
ungerechten Kriege, nach der es einen absoluten Unterschied 
zwischen erlaubten und unerlaubten Kriegen gab, der im einzelnen 
durch das natürliche Völkerrecht bestimmt war.*) Es fragte sich, 
ob man in das schon vorhandene Schema das Oleichgewicht würde 
einfügen können. Wirklich fand man eine Kategorie von 
Kriegsgründen, die dazu wohl geeignet schien, in der Lehre 
von den Kriegen gegen die allzu große oder die zu stark wachsende 
Macht eines Nachbarn vor. Man hatte dann eigentlich nichts 

1) Von Ompteda: „Die Literatur des gesammten, sowohl natürlichen als positiven 
Völkerrechts.- Regensburg 1785. S. 485 ff. 

Die Titel der benutzten Schriften - die im folgenden nur mit dem Autorennamen 
zitiert werden - sind : i .Anhänger der Theorie : a) Oundling : MÜb wegen der anwachsenden Macht 
der Nachbarn man den Degen entblößen könne«: Oundlingiana, 5. Stück, Halle 1716. 
b) V. Huldenberg: »Diss. jurid. sol. de aequilibrii alioque legali juris gentium arbitrio in 
gentium controversiis pads tuendae causa interponendo.« Helmstadii 1720. c) Joh. Jac. 
Lehmann : »Trutina vulgo bilanx Europae, norma belli pacisque hactenus a summis impe- 
rantibus habita.« Jena 1716; von mir in dem Abdruck des eigentlichen Teils bei Olafey: 
»Vernunft und Völkerrecht", Frankfurt 1727, benutzt, d) Eberh. O. Wittich (praes. Joh. 
Friedr. Kayser): ifDissertatio juris gentium et publici, de tuendo aequilibrio Europae.* 
Oießae 1723 (Univ.-Bibl. zu Halle), e) Ludw. Mart. Kahle: «Commentatio juris publid 
de trutina Europae, quae vulgo appellatur »Die Balance von Europa." Oöttingen 1744. 
f) Carl Friedr. v. Biehring (praes. Joh. Christ. Muhrbeck): i.Dissertatio de bilance gentium.* 
Oryphiswaldiae 1772. (Univ.-Bibl. zu Ordfswald.) 

2. Gegner der Theorie: a) (Stisser): »Freymütige und beschddene Erinnerungen 
wider des berühmten Oöttingischen Professors, Herrn Dr. Kahle, Abhandlung von der 
Balance Europens." L, IL Ldpzig 1745/46. b. Joh. O. Mans. v. Benzel (praes. Joh. O. 
Neureuter): »Specimen juris naturae de justis aequilibrii f inibus." Maguntiad 1 746. (Univ.- 
Bibl. zu Marburg.) c) Joh. Heinr. Gottlob von Justi : »Die Chimäre des Gleichgewichts 
von Europa." Altona 1758 (vgl. die Analyse o. S. 115 ff.). Einzdne Zitate aus den all- 
gemeinen Lehrbüchern des Völkerrechts s. in den Anmerkungen. 

S) Das moderne Völkerrecht schdnt diesen ganzen Unterschied abzulehnen; vgL 
Lueder in v. Holtzendorfs Handbuch, I, 222 f. Ebenso Bergt>ohm: a. a. O. S. 352. 

Kaeber, Das europäische Gleichgewicht. 10 



— 146 — 

weiter zu tun, als die Verstärkung der Macht eines großen 
Staates als einen Verstoß gegen die ursprüngliche Idee des 
Gleichgewichts zu bezeichnen. Um die besonderen Formen des 
Gleichgewichts, die sich in der praktischen Politik ergeben 
mochten, brauchte sich die juristische Konstruktion nicht zu 
kümmern. Deshalb haben moderne Autoren die Idee des Gleich- 
gewichts zuerst bei Albericus Gentilis finden wollen,^) obschon 
er das Wort nicht kennt und es nur für gerecht erklärt, dafür 
zu sorgen, »ne homines augentur nimium potentia.^') Wenn 
man auch gegen diese Einbeziehung des Gentilis in die Gleich- 
gewichtsliteratur kaum etwas einwenden kann, so bleibt doch so 
viel richtig, daß die ganze Frage erst lebhafter und vor allem 
auch in Spezialuntersuchungen diskutiert wurde, seitdem sie unter 
der Flagge des aequilibrium stand. 

Die Frage, ob und wie weit die Rücksicht auf das Gleich- 
gewicht einen Krieg rechtfertige, ließ sich von zwei ganz ver- 
schiedenen Ausgangspunkten konstruieren, deren Unterschied 
allerdings den Verfassern einiger der dem aequilibrium ge- 
widmeten Schriften nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein 
scheint, so daß sie mit Gründen aus beiden Beweisreihen pro- 
miscue operieren.^ 

a) Der eine Beweis beginnt mit der Lehre vom Status 
naturalis und seiner Anwendung auf das Völkerrecht. Danach 
leben die Staaten untereinander in demselben Zustand und unter 
denselben Gesetzen der Natur, in dem die einzelnen Menschen 
vor der Begründung der societates lebten. Sie alle sind ein- 
ander rechtlich völlig gleich und erkennen keinen superior über 
sich an.^) Daraus folgte, daß es unter den Staaten keinen 

1) vgl. E. Nys : »La thdorie de T^quilibre europtoi« : Revue de droit international, 
(1893), XXV. 44. Der Aufsatz, dessen angekündigte Fortsetzung nicht erschienen ist, 
zitiert zwar die bei Ompteda aufgezahlten Schriften und fügt einige biographische oder kurz 
beurteilende Notizen hie und da hinzu, behandelt aber sonst die historisch-politisdie, nicht 
die völkerrechtliche Theorie. Ganz an ihn lehnt sich Donnadieu (s. o. S. 2, Anm. ^) an. 

I) Alb. Oentilis : »De jure belli libri III.« (Von mir benutzt in der Ausg. von Hanau. 
1598.) 1. I, c XIV. Das Zitat auf S. 103. 

>) So besonders Kahle. 

*) V. Behring § 3, Benzel § 7; Oundling, S. 384: »daß die Republiken, Printzen 
und Herrn in der natürlichen Freiheit stehen, und keinen menschlichen Oberherm haben, 
wird als ein postulatum voraus gesetzet". - Hobbes und Pufendorf folgerten daraus, daß 
es überhaupt kein anderes Völkerrecht als das Naturrecht gebe: vgl. Rivier in v. Holtzcn- 
dorfs Handbuch, I, 416, 425; Landsberg: »Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft", 
III, I, 9, 17. 



— 147 — 

arbiter gab. Mußte man da nicht weiter folgern, daß dann 
auch keine Möglichkeit vorhanden war, überhaupt ein Urteil 
über die Gerechtigkeit eines Krieges zu fällen, wie das z. B. 
Böhmer behauptete?*) Nein, diese Folgerung war durchaus nicht 
notwendig! Ein Dritter allerdings konnte eine Entscheidung 
darüber, wer in einem schon begonnenen Kriege Recht habe, 
nicht fällen, aber man brauchte das Urteil nur vor den Aus- 
bruch des Krieges und in die Gewissen der beiden Parteien zu 
legen. Diese selbst mußten wissen, ob sie nach den auf die 
Staaten anzuwendenden Sätzen des Naturrechts im Begriü waren, 
einen gerechten Krieg zu führen oder nicht. Waren sie sich im 
einzelnen Falle nicht recht klar, nun, so war ja die Völkerrechts- 
wissenschaft dazu da, ihnen Auskunft zu geben. Aber natürlich 
mußte diese die schwierigeren Fragen, wie die des aequilibrium, 
selbst erst gründlich erörtern. 

Einer der einfachsten Sätze des Naturrechts verbietet jede 
Kränkung eines Individuums durch ein anderes, resp. es gestattet 
gegen jedes Unrecht die Verteidigung des Angegriffenen. Ebenso 
ist es im Völkerrecht; ja, die Verteidigung wird von einzelnen 
Autoren zu einer Pflicht der Selbstbewahrung erweitert*) 
Femer ist es eine natürliche Folge des Rechts auf Selbst- 
erhaltung, daß nicht nur gegen eine laesio (injuria) illata, sondern 
auch gegen eine laesio imminens, sofern sie zweifellos eintreten 
wird, oder sofern sie »moraliter certa"« ist, wie man das aus- 
drückt, die Verteidigung gestattet ist.^ Nun lebt jeder Staat, 
resp. jeder Fürst, soweit er nicht Privatmann, sondern Re- 
präsentant des Staates ist,^) »nach seinen natürlichen Begierden", 
d. h. er hat »keinen affectus fortior, als Land und Leute zu ge- 
winnen«.*) Wenn er die Macht hat, seinen Nachbarn straflos 
zu schädigen, mit anderen Worten, wenn er aus der Balance 
getreten ist, wird er unbedingt den Schwächeren unterdrücken. 



1) Böhmer: «Jus publicnm universale«. Halle 1710. S. 308. 

s) vgl. Kahle, § 7. Ahnlich de Bielefeld: «Institntions politiqucs", II, 1760. c. IV, 
§ 27. Allerdings vermengt Bielefeld völlig Politik nnd Völkerrecht: vgl. Bulmerincq: 
a. a. O. S. 50. 

s) Die termini am lusammenhingendsten bei Behring, § 4. 

<) Diese ffir das hlstorisdie Urteil sehr wertvolle psychologische Scheidung bd 
Onndling, S. 406, im Anschluß an Bayle. 

») Oundling, S. 385, 390. vgl. Witticfa, § 1. Kahle, § 6. 

10* 



148 



Folglich ist die Furcht, die der Schwächere vor einem Unrecht 
des Stärkeren hegt, gewiß, »die künftige attaque« ebenso »nicht 
ungewiß, sondern gewiß". Folglich »ist auch das jus belli, vel 
vim adhibendi, vorhanden«,*) d. h. jeder Krieg, der zur Er- 
haltung des Gleichgewichts unternommen wird, ist gerecht. 

Es ist ja deutlich, daß dieser Grundsatz in der Schärfe, in 
der er bei Gundling und bei Kahle begegnet, vielfach Anstoß 
erregen mußte, nicht nur bei den Gegnern, auch bei den Freunden 
der Balancetheorie. Diese suchten deshalb eine Abschwächung 
der extremen Ansicht. Gundling war stark von Hobbeis beein- 
flußt') und räumte außerdem politischen Erwägungen einen Ein- 
fluß auf die Lehren des Völkerrechts ein,*) Kahle schrieb gar 
mit politischer Tendenz*) - davon waren die meisten Völker- 
rechtslehrer frei. Soweit sie daher aus dem Recht auf Selbst- 
bewahrung das aequilibrium zu rechtfertigen suchten, knüpften 
sie es doch an Bedingungen. Sie gaben nicht zu, daß große 
Macht unbedingt gegenüber den Schwachen zu Mißbrauch werde, 
sondern verlangten in jedem Falle einen besonderen Beweis für 
die moralische Gewißheit eines durch einen Obermächtigen 
drohenden Schadens, ehe sie ein Einschreiten gegen ihn für ge- 
recht erklärten.*) Dasselbe hatten auch schon Grotius und Pufen- 
dorf gelehrt, aber sie hatten daraus den Schluß gezogen, daß 
nimia potentia keinen Kriegsgrund in sich schließe.*) Lx)gisch 
war jeder andere Schluß unmöglich, denn sobald eine laesio 
imminens moraliter certa vorlag, dann enthielt eben diese einen 
Grund zum Kriege, und es war ein reiner Zufall, wenn mit der 
Absicht, einem andern zu schaden, große Macht verbunden war. 



1) Oundling, S. 385. 

s) vgl. die Abhandlung: „De statu natural! Hobbesii" seines Schülers v. Kirchen- 
Sittenbach. Halle 1706. (Praes. N. H Oundlingio.) 

*) Qundling, S. 413 : er polemisiert gegen die reinen Philosophen und ihren Grund- 
satz „aliter philosophos, aliter politicos censere" mit den drastischen Worten „es sey zu be- 
■dauern, daß die Philosophen sich einbilden, alle anderen Leute wären ungerecht; Sie allein 
aber sSßen auf dem Catheder der Weißheit, und tränken von den Quellen der Wahrheit: Dahin- 
i;egen diejenigen, velche von ihren Ideen sich entfernen, mit Pffitzen-Wasser sich gurgelten.* 

«) vgl. o. S. 94 ff. 

B) Übrigens hatte auch Kahle zugegeben, daß nicht jeder Ffirst böse sei (§ 6), aber 
er hatte daraus keine seine Ansicht einschränkenden Folgerungen gezogen. 

>) Orotius: „De jure belli et pacis", 1. 11, c. 22; Pufendorf: „De jure naturae et 
gentium", Londini Scanorum 1672, 1. VIII, c VI, § 5. Allerdings windet sich Pttfdidorf 
zwischen seinem Rechtsbewußtsein und den politischen Erwägungen einigermaßen hin und her. 



— 149 — 

Aber die Autorität der Gleichgewichtsidee war so groß, daS 
trotzdem das aequilibrium selbst als causa belli — man kann nur 
sagen — hineingeschmuggelt wurde.^) 

b) Einen anderen Weg schlugen, z. T. neben diesem ersten 
Weg, mehrere Anhänger des Gleichgewichts ein. Sie gingen 
nicht von den einzelnen Staaten, sondern von ihrer Gesamtheit 
aus. Obschon sie den Status naturalis der Staaten nicht bestritten,') 
behaupteten sie doch die Existenz einer Art von Völkergemein- 
schaft und eines allgemeinen Völkerinteresses, ohne den Versuch 
zu machen, die beiden Ideen miteinander auszugleichen. Dieser 
Widerspruch tritt besonders auffällig bei den Autoren hervor, die 
die Gerechtigkeit der Gleichgewichtskriege sowohl auf das Recht 
der Selbstbewahrung des einzelnen Staates begründen, wie die 
aus der Annahme eines allgemeinen Interesses sich ergebenden 
Schlüsse benutzen.*) 

Die wesentlichste Forderung des allgemeinen Interesses ist 
der Friede und die gegenseitige Sicherheit der Existenz.*) Beide 
werden, bei dem vorauszusetzenden logischen Zusammenfoll von 
Macht und Willen zum Schaden,*) durch die zu große Macht 
eines Staates bedroht Es können dabei entweder schon die aus 
der Furcht vor einer nimia potestas entspringenden Rüstungen 
der Nachbarn, deren Lasten für sie den Frieden tatsächlich wertlos 
machen,*) oder nur der reale, von dem Mächtigen zu erwartende 
Schade als Störungen der gemeinsamen Interessen aufgefaßt werden, 
jedenfalls ergibt sich ein Konflikt zwischen der salus publica und 
dem Vorteile der einzelnen mächtigen Mitglieder der Völker- 
gemeinschaft Es handelt sich daher um ein Mittel, beide in 
gerechten Einklang zu bringen. Nun sind schon außer dem 
Gleichgewicht verschiedene Mittel vorgeschlagen worden, deren 
Brauchbarkeit die Balancefreunde gut tun zu prüfen, ehe sie ihre 
Lehre entwickeln. 

Das Mittelalter kannte in der Theorie einen arbiter in allen 



1) vgl. Wittich § 29 ff.; Benzel § 36 f., obgleich dieser eigentlich von den Oegnern 
der Theorie sich kaum unterscheidet 

9) Ausdrücklich erkennt ihn Wittich an, § 16, wenn er alle Staaten für gleich erklärt. 
«) Vgl. Kahle, bes. § 6f. und § 25. Auch Wittich gehört hierher. 
*) Lehmann c III, § 8; Wittich § 3; Huldenberg c. III. 
s) Huldenberg c. III, § 9; Lehmann, c. III, § 75. 
0) Lehmann c. II, § 80. 

lOlI 



— ISO — 

weltlichen Händeln, den Kaiser; das moderne Naturrecht lehnt 
ihn aber in dieser Stellung ab,^) ebenso wie ein eventuelles 
Schiedsrichteramt des Papstes.') Die Idee femer einer tatsäch- 
lichen politischen Vereinigung aller Völker unter einer Universal- 
monarchie könnte nur durch unzählige Kriege realisiert werden, 
wenn man überhaupt an die Durchführung eines so chimärischen 
Unternehmens glauben könnte.*) Wichtiger scheint vom völker- 
rechtlichen Standpunkt der »große Plan« Heinrichs IV. und das 
Friedensprojekt des Abb6 de St Pierre zu sein.*) Indessen läßt 
die nähere Betrachtung ihrer Systeme schon an ihrer politischen 
Unbefangenheit und wenn nicht an St Pierres, so doch an 
Heinrichs IV. reinen Absichten zweifeln, und außerdem ist die 
Ausführung ihrer Vorschläge kaum möglich und würde ähnlich 
wie die Aufrichtung einer Universalmönarchie gerade die blutigen 
Kriege nötig machen, zu deren Vermeidung die Projekte dienen 
sollen. Der von St Pierre zur Unterstützung seiner Ideen an- 
geführte Vergleich mit dem deutschen Reichsverband ist recht 
unglücklich, da dieser auf dem Boden der einen deutschen Nation 
organisch erwachsen ist, während die Union des Abb6 »per mera 
ratiocinia«*) entstehen soll. 

Es bleibt also nur das Gleichgewicht als Mittel der Friedens- 
bewahrung. Nach der Ansicht der Extremen unter seinen An- 
hängern rechtfertigen der allgemeine Nutzen und die aus der 
Geschichte bewiesene Notwendigkeit die Einrichtung eines Gleich- 
gewichts, d. h. einer völkerrechtlichen Institution, kraft derer 
allzu mächtige Staaten soweit eingeschränkt werden, daß eine 
derartige Proportion der Kräfte erreicht wird, wie sie die con- 
servatio gentium erfordert. •) Daraus ergeben sich eine Reihe 
von völkerrechtlichen Gesetzen, wie der Vorrang des allgemeinen 

1) Olafcy: »Vernunft- und Völkerrecht-, Leipzig 1727, 1. VI, c. I, § 3 f. Hulden- 
berg c. VII, § 1. 

5) Huldenberg c. VIII. 

>) Kahle § 21 ff.; Huldenberg c. I, § 4 f. vgl. Wittich § 2: in anderem Zusammen- 
hang wird die Universalmonarchie ffir utopisch erklärt. - Ahnlich schon Pufendorf: „De 
systematibus civitatum" : (Dissertationes academicae selectiores", Lipsiae 1677), § 2. 

4) Huldenberg c II; Lehmann c. III, § 7; Wittich § 4 ff.; Benzel, § 29. - 
Vgl. Pufendorf: a. a. O. § 7, von dem Wittich abhängig ist. 

B) Huldenberg S. 120, Anm. 

6) Lehmann c. III, § 4. Im engsten Anschluß an ihn Kahle, § 4. Überhaupt ist 
Kahle von Lehmann stark abhängig, selbst den Titel hat er mit geringen Änderungen von 
seinem Vorgänger äbemommen. 



— 151 — 

Interesses vor dem Recht des einzelnen, wonach z. B. um des 
Oleichgewichts willen ein mächtiger Fürst zum Verzicht auf eine 
ihm rechtmäßig zugefallene Erbschaft gezwungen werden kann/) 
femer die Pflicht, die Realisierung des Gleichgewichts zu fördenii 
sich jeglicher direkter oder indirekter Störung der Balance zu 
enthalten.*) Natürlich ist der Krieg nur als ultima ratio zu be- 
trachten nach Erschöpfung aller milderen Mittel.^ 

Außer diesen allgemeinen Gesichtspunkten findet sich 
mancherlei Besonderes bei den einzelnen Autoren. Huldenberg 
untersucht, wem das arbitrium legale aequilibrii zustehe, und 
wie ein Mißbrauch am besten zu vermeiden sei.^) Kahle und 
Lehmann werfen die Frage auf, ob auch das Wachstum der 
inneren Kräfte eines Staates Grund zur Geltendmachung des 
aequilibrium gebe, und beantworten sie verneinend.*) Gegen 
die Einwände der Gegner verteidigt Huldenberg die vorher positiv 
bewiesene Theorie. Er bestreitet, daß sie die allerdings unmög- 
liche physische Gleichheit aller Staaten voraussetze,^ weist Analogien 
aus dem bürgerlichen Recht zurück und erklärt ähnlich wie Gund- 
iing die Vorstellung eines sehr mächtigen, aber seinen Nachbarn 
ungefährlichen Fürsten, für eine blutlose, irreale Idee.') 

Auch diese Lösung des Problems ist so gut wie die andere 
von Anhängern der Theorie eingeschränkt worden. Die Idee 
eines »arbitrium juris gentium legale"« schien ihnen mit der Natur 
der Staaten nicht vereinbar, sie wollten dem Gleichgewicht nur 
die Bedeutung beilegen, daß in seinem Namen alle durch eine 
große Macht bedrohten Staaten sich vereinten, aber nur bei dem 
Vorhandensein einer moralisch sicheren Kränkung zu den Waffen 
griffen und einen die Forderungen des aequilibrium berücksich- 
tigenden Frieden schlössen.^) Oder sie gaben zwar eine gemein- 

1) Kahle, § 26, §30. In dieser Folgerung aus dem Oleichgewichtsprinzip lag seine 
fruchtbarste politische Anwendung beschlossen, sowie andererseits die politische Tatsache des 
mit der spanischen Erbschaftsfrage zusammenhängendenKrieges dieTheorie stark beeinflußt hatte. 

2) Die Gesetze ausführlich bei Lehmann c. III. 

«) Lehmann c. III, Gesetz 12; Huldenberg c. IV, § 4. 

♦) Huldenberg c. IV, § 1 ff. 

6) Lehmann c. II, § 89; Kahle § 16. 

«) Huldenberg c. III, § 11. Ebenso Lehmann c III , § 19; Wittich § 19. 

») Huldenberg c III, § 11. 

8) vgl. Wittich § 19, § 36. Mir scheint Wittich wegen des § 36 auch zu dieser 
Gruppe gerechnet werden zu müssen, obgleich er sonst immer von dem Interesse der ein- 
zelnen Staaten ausgeht. 



— 152 — 

same Pflicht aller Völker zu, für die Aufrechterhaltung des allge» 
meinen Friedens zu sorgen, und stellten ein dieser Pflidit ent- 
sprechendes Recht auf die Mittel zu ihrer Durchführung und 
damit ein »jus quoddam naturale . . ad bilancem gentium custo- 
diendam" fest, aber nur insoweit, als dies »medium justum et 
honestum« sei. Damit wurde aus der Verpflichtung, das Gleich- 
gewicht aufrecht zu erhalten, eine »obligatio hypothetica sive 
respectiva«, die immer nur zur Verstärkung eines schon ander- 
weitig vorhandenen Rechtes in Aktion treten konnte.^) 

c) Daß diese Versuche, die Rücksicht auf ein irgendwie 
realisierbares Gleichgewicht^) als gerechten Kriegsgrund natur- 
rechtlich zu konstruieren, leicht zu bekämpfen waren, liegt auf der 
Hand. Trotzdem war die Theorie politisch im allgemeinen 
während des ganzen 18. Jahrhunderts zu fest anerkannt, als daß 
die Wissenschaft ein Bedürfnis empfunden hätte, gegen die juristische 
Form, in die man das politische Postulat gebracht hatte, häufiger 
zu polemisieren. Die beiden einzigen entschiedenen Angriffe auf 
diese ganze naturrechtliche Doktrin, die ich aus dem 1 8. Jahrhundert 
kenne, verdanken daher ihren Ursprung bestimmten politisdien 
Strömungen, die dem Gleichgewichtsgedanken vorübei^gehend 
gegenüber standen.^) Zu ihnen gesellt sich nur eine Dissertation 
aus den 40er Jahren, die Schrift Benzeis, die das Gleichgewidit zwar 
nicht ganz verwirft, ihm aber doch so energisch die juristische 
Seele austreibt, daß man ihren Verfasser wohl am besten zu den 
Gegnern der Theorie zählt. Bei weitem die gründlichste Wider- 
legung ist die von Justi. Da wir diese im Hauptteil dieser 
Arbeit schon eingehend analysiert haben, genügt es, an diesem 
Orte summarisch aus ihr und den gesinnungsverwandten 
Schriften die Hauptgesichtspunkte hervorzuheben. 

Den radikalen Vertretern der beiden Lösungswege wurde 
die ungeheuerliche Konsequenz vorgehalten, die in ihrer Lehre 
lag. Wenn es erlaubt war, einen Stärkeren, nur weil er stärker 



1) V. Behring § i, § 5 ff. Behring bekämpft die zu weiten Folgenmgen ans 
Recht auf Selbstbewahrung, § 3, A. 4. 

s) Mit der praktisch durchführbaren Form des aequilibrium hat die Politik, nldit 
das Völkerrecht, zu tun. 

>) Die Schrift Stissers und die erste Schrift Justis, vgl. o. S. 96 f. und S. IIS ff. 



war, zu mehreren anzugreifen, so mußte dies Gesetz auch im 
Status naturalis der Individuen gegolten haben, was allen, denen 
der Naturstand nicht mit Hobbes und Spinoza ein bellum om- 
nium contra omnes war, eine abscheuliche Annahme war.^) So- 
weit die Gleichgewichtsfreunde etwa auf dem Begriff der zu 
großen, nicht schlechthin der größeren Macht Wert legen wollten, 
nützte ihnen das gar nichts, da ihnen eine genügende Definition 
des Begriffs der nimia potestas nie gelingen konnte.*) Leichter 
noch waren die Gemäßigten zu widerlegen, da sie mit der 
Forderung einer außerhalb der Rücksicht auf das aequilibrium 
vorhandenen causa belli dieses selbst überflüßig gemacht hatten. 
Denjenigen, die etwa den Status naturalis der sodetates überhaupt 
vor der Annahme einer festen Staatengemeinschaft, einer Art 
Völker-Republik, zurücktreten lassen wollten, wurde die Unver- 
einbarkeit ihrer Ansicht mit den unbestrittenen Regeln des natür- 
lichen Völkerrechts entgegen gehalten.') Wenn schließlich die 
meisten Autoren versucht hatten, auch in dem Verlauf der Ge- 
schichte die tatsächliche Bestätigung ihrer Theorie zu finden, so 
wurde teils ihre Beurteilung historischer Ereignisse als willkürlich 
bekämpft,^) teils mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß ihre 
ganze Lehre überhaupt erst aus der Geschichte destilliert sei, und 
CS eine völlige Umkehrung der Tatsachen bedeute, wenn historische 
exempla das beweisen sollten, was aus ihnen allein abgeleitet 
sei.*) Den letzten Grund nahm dann der ganzen Lehre der 
Nachweis, daß sie gerade das erreiche, was sie vermeiden wolle, 
ewigen Krieg und Blutvergießen.*) 



1) Stisser 1, 158 ff. Im Anschluß an ihn der Oberhaupt vor allem St. systemati- 
sierende Benzel § 12. 

*) Stisser I, 148 f., 168 ff., 180 ff., II, 28 ff. und sonst vielfach, da St. Kahle nicht 
systematisch, sondern Paragraph für Paragraph widerlegt und sich daher sehr oft wiederholt. 
Hierher gehören auch die Erörterungen über die Bedeutung der inneren Stärke eines 
Staates für die Erkenntnis seiner Macht, durch die schon Stisser und nach ihm Justi den Be- 
griff der »mimia potestas" völlig ad absurdum fährten. Stisser exemplifiziert das boshaft durch 
eine Rechnung, in der er zeigt, daß ein Ffirst, der, allegorisch gesprochen, 3 Pfd. Macht, 
4 Pfd. Staatskunst, 5 Pfd. Eifer und 2 Pfd. Ehrbegierde besitzt,, offenbar mächtiger ist als ein 
anderer, der 12 Pfd. Macht, aber von den übrigen Eigenschaften nur zusammen 1 Pfd. 
besitzt: vgl. 1, 206 f. dazu Justi, 2. und 3, Hauptstück. 

8) Justi S. 97 ff; Benzel § 14. 

4) Stisser I, 63 ff., 185 ff.; II 91 ff. Benzel § 24. 

6) Benzel § 5. 

«0 Benzel § 3, § 27 f. 



"Archiv fQr Kulturgeschichte ° 

Herausgegeben von 

Professor Dr. Georg Stelnhousen in Rössel. 

Abonnementspreis für den Jahrgang (4 Hefte zu je 8 Bogen) 

M. 12.— 

Probehefte auf Verlangen. 



qj! 



Aus dem Inhalt der bisher erschienenen Jahrgänge: 

Reaktion und Kontrast in der Geschichte von Qeh. Rat Prof. Th. 
L i n d n e r. 

Die Wette von Univ.-Prof. R. M. Meyer. 

Die Entstehung; der neueuropäischen Formen des Lebens von Univ.- 
Prof. B r e y s i K* 

Die Geschichte der Naturwissenschalten und ihre erzieherischen Bil- 
dungswerte von Privatdosent F. 8 1 r u n s. 

Zur Geschichte der Liebe als »»Krankheit** von Dozent HJalmar 
K r o h n s. 

Norddeutschland und der EinfluO römischer und fkühchrlsüicher Kultur 
von Dr. T. Burckhardt. 

Die Selbstbiographie des Stadtpfarrers Ammon (1634) von Marktbreit, 
mitgeteilt von Archivar F. Hüttner. 

Des Vincenso Laurefisi Reise durch Deutschland, die Niederlande und 
England (16x3), mitgeteilt von Geh. Archivrat W. Friedensburg. 

Aus dem Kabinett Friedrichs des Großen von Archivrat Prof. v. Pflug k- 
Hartung. 

Kinderbriefe einer pommerschen Prinzessin des x6. Jahrhunderts, mit- 
geteilt von Archivar O. Heinemann. 

StraOburger Frauenbriefe des x6. Jahrhunderts, mitgeteilt von Archiv- 
rat O. Win ekel mann. 

Von der Ersiehung und Ausbildunn pommerscher Filrsten Im Refor- 
mationszeitalter von Prof. M. Wehrmann. 

Der „Universitätsbereiser** Friedrich Gedike und sein Bericht an 
Friedrich WUhelm IL von Univ.-Prof. R. Fester. 

Rostocker Studentenleben vom 15. bis ins 19. Jahrhundert von Univ.- 
Bibliothekar A. Hofmeister. 

Zur Geschichte der Zensur und des Schriftwesens in Bayern von Dr. 
F. Lorenz. 

Abenteuer eines Alchimisten aus dem 17. Jahrhundert von Archivrat 
E. Fink. 

Cagliostro in StraOburg von Prof. H. P u n c k. 

Augsburgs Warenhandel mit Venedig von Prof. Job. Müller. 

Die Bei^agd in AltpreuDen von Oberlehrer Paul Dahme. 

Die Geschichte der mittelalterlichen Heilkunst im Bodenseegebiet von 
Univ.-Prof. K. Boas. 

usw. usw. 



[Ol; 



r=i Alexander Duncker • Veriaf • Berlin W 35. rsn 
W H 



m m 

$an$-$ouc) 

zur Zell SrltdrlAs des 6ro^en und Deute. 

"*> Betrad)tungen und S^or$d)ungen. ^ 
uon Dr. P. Böcketidoit. 

1903. VIII, 164 S. u. 1 plan. — (Belj. tat. S.-, geb. tat. 7.—. 



Konrad ooit Burasdorff 

ein brandenburgi$d)er Kriegs* und Staatsmann aus der Zeit der 

Kurfürsten 6eord WllDelm und 
$nedrl« Wilbelm (1595-1652). 

Uon Dr. Karl Spannaflcl, Prof. an der UniversitSt zu mOnster i. Ol. 
1903. XVIII, 458 S. - <5el}. Utf. IS.—, geb. Htf. 17.—. 



Die €rititierutigen der Prinzessin 
Ulilbelmine von Oranien 

($d)we$ter K$nig Sriedrid) Olilbelms II.) 

an den Bot !?riedrid)s des Großen (1751—1767). 

Uon Or. B. Volz. 

1903. VII, 93 S. a. 2 JtbbiH». — (Selj. Utf. 3.—, geb. OTf. S.— . 



Briefwechsel zwi$d)en 

l^einrid)» Prinz von Preußen 

und 

Katbarina IL von Rußland. 

Uon Dr. R* Krauclt Kais. Gesandter z. D. 

1903. VIII, 178 5. — (Sei?. Vflt 6.—, geb. Vflf. 8.—. 



n 




Repetitorium der Deutsthen beschichte. 

NFIITPIT i™>nh., Brandenburgisch - Preußische uer- 



HITTELAITEB. '^ Autl«gc Tscleint 1907) 

Abriß der dcubclien Geschichte vor BMlno der Völker- 
wanderuns bis tum Tode Maximillins I, 

Zur VerfnssuriKS- und Tcrritnrlalgcschichie. 

Tabellen lur Entwicklung der bedeutendsten Territorial- 
Staaten. 

Syndironistiidie Tnbtile der Kaiser und P8i»lfc 

Bcmerkiniftcn tv den Quellen. 



Praktische Hartdbacher: Oeti. it Mk. 3J0, geb. i^ Mk. 4- 



sieben tage am hofe 
Friedrich Wilhelms 1. 

Tagebuch tlcs 

Professors ]. A. hREVLINGHAUSEN 

über «Vitien Aiifrnlhall in WuilcrbauS":" vom 4, - in. September 17; 

Mit ElnldlnnKen un«! ErHÜranBen herausgegeben von 

Dr. B. KRIEOEB 

Elreanl ausgrstatitl- ürliefid Mk. 3.-, «ebiiVlev. Mk. 4.-.