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Full text of "Die Inquisition der Russisch-orthodoxen Kirche: Die Klostergefängnisse"

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Die Inquisition 

der russisch-orthodoxen Kirche. 
Die Klostergefängnisse. 



Von 



Ä. S. Pnigawin. 



Mit einem Geleitwort 

von 

M. von Rensner, 

ehemalig. Professor des Staaterechts an der Universität Tomsk, 




Berlin - Charlottenburg, 

Friedr. Oottheiners Verlag 

August Brenzinger. 
1905. 



PUBLIC LIBRARY 



A8T0R, LENOX ANO 
TILDEN FOÜNDATIONS. 
R 1906 L 



Alle Rechte vorbehalten. 



( 



Vorwort. 



^- 




Das in Rufsland herrschende kirchea-polizei- 
liehe System war nicht nur im Auslande, sondern 
auch in Bufsland selbst verhältnismäfsig wenig be- 
kannt. Die äufserst strenge Zensur der orthodoxen 
Kirche, der alle Artikel und Abhandlungen, die 
das religiöse Leben berühren, unterworfen sind, 
machte die einfachste Zeitungsmitteilung wie die 
wissenschaftliche Untersuchung auf diesem Gebiete 
unmöglich. Anderseits spielt der Umstand eine 
grofse Rolle, dafs nicht nur die orthodoxe Theologie, 
sondern alle Wissensgebiete, welche die Geschichte 
der Religionen, das Kirchenrecht, die Kirchen- 
gesehichte, die Religionsphilosophie und sogar 
f^ manche Teile der Philologie berühren, ausschliefs- 

lieh unter dem Schutze der orthodoxen geistlichen 
* Akademien stehen und dadurch der strengen 

p Zensur der Heiligen Synode unterliegen. Die 

Mafsregdn, zu denen die Heilige Synode griff, 
gingen so weit , dafs Rufsland bis jetzt noch keine 
mehr oder minder ausführliche Geschichte seiner 
eigenen Kirche hat, die auf der Höhe der 
modernen wissenschaftlichen Forschung stünde. 
Nur in sehr geringem Mafse gelang es einigen 



— IV — 

Juristen, insofern das Kirchenrecht in den juristi- 
schen Fakultäten vertreten ist, das in RuTsland 
herrschende kirchen-polizeiliche System teilweise 
zu enthüllen. Allein, wir wiederholen, solche 
Gelehrte gibt es nur wenige. Der Lehrstuhl des 
Kirchenrechtes wird in Rufsland in der Regel von 
den Zöglingen der geistlichen Akademien besetzt; 
•diese Leute aber schämen sich nicht, die wissen- 
schaftliche Wahrheit zu fälschen und zu entstellen. 
Die Archive der Klöster und Kirchen sind selbst- 
verständlich den Vertretern der Wissenschaft ver- 
schlossen , ebenso ist die geheime russische Gesetz- 
gebung auf dem Gebiete der Religion, Kirche und 
des Sektenwesens den fremden neugierigen Blicken 
unzugänglich. Nur einem glücklichen Zufalle ist 
es zu verdanken, dafs vor kurzem Sammelwerke 
geheimer Bestimmungen und Verordnungen ent- 
deckt wurden, die während eines halben Jahr- 
hunderts regulierende Normen für das geistige 
Leben vieler Millionen des russischen Volkes ab- 
gaben. 

Das System der russischen religiösen Polizei 
basiert auf folgenden allgemeinen Prinzipien: Die 
Zulassung resp. Verbietung einer Religion ent- 
scheidet in Rufsland die weltliche Regierung ganz 
nach ihrem Ermessen. Das Gesetz gibt keinen 
Weg an, auf dem ein Glaubensbekenntnis seine 
Anerkennung oder Duldung innerhalb des Staates 
erreichen könnte. Die Liste der zugelassenen 
Religionen in Rufsland ist rein historisch ent- 
standen, als Resultat der Eroberung von anders- 
gläubigen Völkerschaften oder teilweise als Re- 



— V — 

sultat des beständigen Kampfes der Regierung 
gegen die Ketzer und Sektierer. Prinzipiell er- 
kennt das russische Gesetz die Religion als solche 
nicht an, es kennt sie nur als eine gewisse 
nationale Eigentümlichkeit. In dem Mafse, als 
die Regierung eine Nationalität duldet, duldet sie 
dementsprechend auch deren Religion. Diese 
Toleranz hängt ausschliefslich von dem freien Er- 
messen der weltlichen Gewalt ab. Ihrer Rechts- 
stellung nach verteilen sich die „fremden" und 
andersgläubigen Religionen je nach den ihnen zu- 
kommenden Vorrechten (Privilegien) in verschiedene 
Gruppen. Die Kirchen und der Klerus der 
wichtigsten nicht -russischen Völkerschaften ge- 
niefsen die gröfsten Vorrechte. In zweiter Linie 
kommen die zahlreichen und besonders stark ver- 
tretenen religiösen Gemeinschaften des alten 
Glaubens oder des Schisma in Betracht, die sich 
noch im 17. Jahrhundert von der Staatskirche ge- 
trennt hatten. Sie werden geduldet. . Dann folgen 
die russischen religiösen Sekten, die mystischen 
sowohl als auch die rationalistischen, die den grau- 
samsten Verfolgungen ausgesetzt sind. Die reli- 
giösen Gemeinschaften von Buddhisten, Heiden und 
Mohammedanern geniefsen also im Vergleiche zu 
den friedlichen Anhängern der russischen evangeli- 
schen Sekte, ja sogar im Vergleiche zu dem ge- 
duldeten alten Glauben, der ebenfalls orthodox 
ist, geradezu uneingeschränkte Rechte. Es ist 
selbstverständlich, dafs die Geistlichkeit aller 
„fremden" und andersgläubigen Bekenntnisse ganz 
und gar dem Minister des Innern unterworfen ist 



— VI — 

und die Pflieht hat, die politische „Legalität" 
ihrer Geisteskinder zu wahren. Dem »fremden" 
Klerus gegenüber wird das System des durch nichts 
gemilderten staatlichen Eirchenwesens durchge- 
führt , während die Religion und die Geschäfte der 
Kirche durch administrative Verordnungen des ge- 
nannten Ministers reguliert werden. 

Und wenn die orthodoxe Kirche in Bufsland 
schon längst den Charakter einer religiösen Ge- 
meinschaft eingebttfst und sich vollkommen in 
eine polizeiliche Anstalt des schlimmsten Typus 
verwandelt hatte, so erhielt sie dafür ein ganzes 
System von staatlich sanktionierten Verordnungen, 
durch die allerhand „Ketzereien" und Zwistigkeiten, 
die in ihrem Schoofse entstehen , unterdrückt und 
Anhänger anderer Glaubensbekenntnisse zu ihren 
Proselyten gemacht werden können. Der russische 
Staat, der die russische Nationalität mit dem 
russischen Kirchenwesen identifiziert und die russi- 
sche Kirche als das beste Mittel zur Befesti- 
gung loyaler politischer Gesinnung erachtet, — 
dieser Staat schreckt vor keinen Mafsregeln zu- 
rück, um für die Orthodoxie so viel Proselyten als 
möglich zu gewinnen und dadurch dem Throne und 
der Polizei die Treue zu sichern. 

Um für die Orthodoxie Proselyten zu machen, 
sucht die russische Gesetzgebung vor allem mit 
Geldbelohnung, Erleichterung der Steuerlast, Er- 
weiterung seiner bürgerlichen und öffentlichen 
Rechte und durch Gewährung verschiedener wirt- 
schaftlicher Vorteile den Andersgläubigen zu 
locken. Ein anderes Mittel ist die Einräumung 



— VII — 

des Piopagandarechtes zugunsten der orthodoxen 
Kirche. Der Proselyt darf unter allen anderen 
Glaubensbekenntnissen um neue Proselyten werben, 
während es diesen unter strengster Strafe ver- 
boten ist, ihrerseits Proselyten zu machen. Ein 
weiteres Mittel zur Verbreitung der Orthodoxie 
sind die gemischten Ehen, denn wenn einer der 
Erzeuger orthodox ist, müssen auch alle Kinder 
in seiner Religion getauft werden. Um dem Abfall 
von der Orthodoxie vorzubeugen — was vom Straf- 
gesetz strengstens verboten ist — , ist eine orthodoxe 
Zensur, die sich auch auf die Andersgläubigen 
ausdehnt, und ein beständiges polizeiliches Organ 
eingeführt, das die Orthodoxen zu beaufsichtigen 
hat: es hat dafür zu sorgen, dafs sie fromm sind 
und alle Gebräuche der Kirche und alle Wünsche 
der geistlichen Behörden befolgen. Die Polizei 
hat auch die Pflicht, die individuelle und eheliche 
Sittlichkeit einzelner Bürger zu beaufsichtigen. 
Unter der polizeilichen Aufsicht steht ferner die 
christliche Kunst und das Kunstgewerbe. Der 
Abfall von der Orthodoxie wird mit Konfiskation 
des Eigentums, Wegnahme der Kinder und kirch- 
licher Verfolgung bestraft. Das Bekennen zum 
jüdischen Glauben hat den Verlust der elemen- 
tarsten, öffentlichen und privaten Rechte zur Folge. 
Das Bekennen zu evangelisch - christlichen An- 
schauungen im Geiste des Baptismus, zu den 
rationalistischen Sekten (Stundisten, Tolstoianer, 
Paschkowzy, Duchobozzy etc.) hat die Verbannung 
nach Sibirien oder Hinterkaukasus zur Folge. 
Ebenso werden die Anhänger mystischer Sekten, 



- VIII — 

die religiöse Selbstkasteiung oder unsittliche Hand- 
lungen begehen (Chlysty, Skopzy etc.), bestraft. 
Bestraft wird übrigens jeder, der sogar auf dem 
Wege friedlicher Unterhaltung versucht, einen 
orthodoxen Christen zu einer bereits existierenden 
oder zu einer neuen christlichen und sittlichen 
Sekte zu bekehren. 

Allein die allerschrecklichste Waffe in den 
Händen der kirchlichen Gewalt ist die Bestrafung 
der Ketzer mit Einzelhaft in den Klostergefäng- 
nissen, wie sie der berühmte Forscher des russi- 
schen Raskol, A. S. Prugawin, in diesem Werke 
schildert. Diese Einkerkerungsweise, die durch 
die öffentlichen russischen Gesetze in keiner Weise 
gerechtfertigt werden kann, wird von den geist- 
lichen Behörden in einer Form durchgeführt, die 
mit Recht mit der berüchtigten Einkerkerung in 
die venetianischen bleiernen Gefängnisse oder mit 
der Inquisition des grofsen Torquemado verglichen 
werden darf. Ohne jegliche Formalität, ohne Ge- 
richt und Verhör werden Hunderte von russischen 
Bürgern schuldlos in die Klostergefängnisse, die 
unter der Obhut heiliger Väter, Äbte und Ober- 
priester stehen, gesteckt, damit sie dort den 
Verstand verlieren oder durch Hunger und^ Kälte, 
in Schmutz und Finsternis, aber dafür unter 
Glockengeläute und heiligen Hymnen einen qual- 
vollen Tod sterben. Wie schwer es war, die Opfer 
den Krallen der verbrecherischen Geistlichkeit zu 
entreifsen, — das schildert uns Prugawin in grellen 
erschütternden Farben. Die Verkünder der Religion 
der Liebe kennen keine Schonung und keine Nach- 



— IX — 

sieht. Langsam, volle Jahrzehnte hindurch quälen 
sie ihre Opfer im Namen der ewigen Erlösung zu 
Tode. Und in ein undurchdringliches Geheimnis ver- 
mochten sie die Schandtaten ihrer Inquisition zu 
hüllen. 

Prugawins grofses Verdienst besteht darin, dafs 
er es verstanden hat, in die Kasematten des 
Klostergefängnisses zu dringen und die Schrecknisse, 
die dort geschehen, wenigstens zum Teil, zu ent- 
hüllen. Und merkwürdig, als Prugawin beschlossen 
hatte, die Aufsätze über die Klostergefängnisse, 
die früher in der Zeitschrift „Pravo"' veröffentlicht 
waren, in Buchform erscheinen zu lassen, konnte 
die geistliche Zensur nicht umhin, auch hier ihre 
christlichen Gefühle kund zu ^un. Das Buch ist 
mit „kritischen" Bemerkungen des geistlicher 
Autors, des demütigen Mönches Alexander, versehen, 
der die Welt verlassen hatte, um seine Seele retten 
und Gott besser dienen zu können. Diese An- 
merkungen sind in ihrer heidnischen Naivität und 
in ihrem polizeilichen Eifer so herrlich, dafs wir 
im Einvernehmen mit dem verehrten Herrn Ver- 
fasser beschlossen haben, sie unverändert auch hier 
wiederzugeben. 

Wir glauben, dafs das Buch einer solchen 
Autorität auf dem Gebiete der russischen Kirchen- 
gesetze und des russischen Sektenwesens, wie es 
Prugawin zweifellos ist, der freundlichen Aufnahme 
des deutschen Lesepublikums sicher sein kann. 

Berlin, im Januar 1905. 

Prof. M. Y. Bensner. 



I. 

%Aiel Schreckliches und Trauriges ist uns auf 
* den verschiedenen Gebieten des staatlichen, 
kirchlichen und sozialen Lebens des Volkes von 
altgrauen Zeiten, unserer historischen Vergangen- 
heit her erhalten geblieben. Die meisten finsteren 
Überreste des Altertums jedoch haben sich bei uns 
gerade auf einem Gebiete aufgehäuft, das seinem 
Wesen, seinem inneren Charakter nach vollkommen 
frei von allem sein mufste, was das Gepräge der 
Grausamkeit und Gewalt an sich trägt. Wir ineinen 
nämlich das Gebiet des Glaubens, das Gebiet der 
religiösen Überzeugungen. 

Diesmal wollen wir an die traurige und düstere 
Anomalie erinnern, die sich in unserem staats- 
kirchlichen Leben von den vergangenen Zeiten 
religiöser Verfolgung und Unduldsamkeit erhalten 
hat. Wir wollen an das Schicksal der sogenannten 
Klosterhäftlinge erinnern, d. h. solcher Leute, die 
das Unglück hatten, wegen Vergehen oder Ver- 
brechen gegen die Kirche und Religion in das Kloster- 
gefängnis gesteckt zu werden. Bekanntlich gab es 
seit jeher in manchen unserer Klöster Gefängnisse. 
Besonders weit bekannt war das Gefängnis im 
Solowezky-Kloster, wohin in früheren Zeiten nicht 
nur religiöse, sondern auch politische Verbrecher 
verbannt wurden, die nach der Terminologie der 
Zeit als „Diebe und Rebellen" bezeichnet wurden. 
Die Verbannung der religiösen und politischen Ver- 

Prugawin, Die Inquis. d. russ.-orthod. Kirche. 1 



— 2 — 

brecher nach dem Solowezky-Kloster hatte schon in 
der Mitte des 16. Jahrunderts, in der Regierungs- 
zeit Johann des Schrecklichen, häufig stattgefunden. 
Im 17., 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahr- 
hunderts war das Gefängnis am Solowezky-Kloster 
nicht selten von Gefangenen überfüllt. 

Dadurch ist wahrscheinlich die Tatsache zu 
erklären, dafs in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- 
hunderts ein neues Kloster gefängnis, eine neue Festung 
entstand — diesmal im Herzen Rufslands, nämlich 
im Spas-Euphimius-Kloster, das sich in Susdal, Gou- 
vernement Wladimir, befindet. 

Dieses Kloster zählt zu den ältesten in Rufs- 
land. Es ist gleichzeitig mit der Troiz - Sergius 
Laura vor 550 Jahren entstanden. Seine Be- 
gründer waren der heilige Euphimius und der Grofs- 
fürst von Susdal und Nischni-Nowgorod, Boris Kon- 
stantinowitsch. In den früheren Zeiten hatte dieses 
Kloster unter tatarischen und polnischen Über- 
fällen zu leiden. Das veranlafste auch die Eürsten 
von Susdal, das Kloster nach Möglichkeit zu be- 
festigen, um es den Überfällen unzugänglich zu 
machen. So wurde das Spas-Euphimius-Kloster 
nach und nax^h von hohen, ungewöhnlich massiven 
Mauern und Türmen umgeben, mit „Geschützen, 
Kanonen, Hellebarden, Harnischen" usw. versehen 
und verwandelte sich allmählich in eine, wie es in 
der Beschreibung dieses Klosters heifstS „kolossale 
Feste", „eine fürchterliche unzugängliche Festung". 



^ Die historische Beschreibung des hervorragenden 
Spas- Euphimius -Klosters in Susdal von L. Sacharo w. 
Wladimir an der Kljasma, p. 1 — 8. 



r 



— 3 — 

Zum Yerbannungs- und Gefängnisort wird das 
Spas-Euphimius-Kloster seit 1766, seit dem Aller- 
höchsten Erlafs Katharinas II., in dem es unter 
anderem heifst : „Diejenigen Sträflinge, welche die 
frühere Geheimkanzlei in verschiedene Klöster ver- 
bannen liefs, damit sie, zehn an der Zahl, ihre 
Gesinnung bereuen, sollen nun aus den Klöstern, 
die sich im Gouvernement Moskau befinden, nach 
dem Spas - Euphimius - Kloster gebracht werden, 
damit sie strenger beaufsichtigt und ihr Leben 
besser gesichert wäre, ebensowie damit ihr Wahn- 
sinn niemandem einen Schaden zufüge. Zur Be- 
wachung sollen sie einem Militärkommando aus 
der Provinzkanzlei in Susdal unterstellt werden." 

Indem die Heilige Synode diesen Aller- 
höchsten Befehl dem Archimandriten des Spas- 
Euphimius-Klosters Euphrem kundgab, schrieb sie 
ihrerseits: „Da Du aber in diesem Kloster die 
höchste Gewalt repräsentierest, soll das Militär- 
kommando unter Deine Obhut gestellt werden, 
dann soll Dir empfohlen werden , auf jegliche Art 
zu versuchen, diese Häftlinge zu bessern; denn 
dadurch können sie sich, Archimandrit, ihrem Be- 
rufe entsprechend für die Erhaltung des mensch- 
lichen Lebens nützlich machen. In bezug auf den 
Empfang der Sträflinge und über die Zahl der 
Zellen, die ihnen anzuweisen sind, ebensowie über 
die notwendigen Mafsregeln zur Besserung der 
Gesinnung dieser Wahnsinnigen, hast Du, Archi- 
mandrit, nach dem Allerhöchsten Befehl Ihrer 
Kaiserlichen Majestät Verordnungen von der Heiligen 

Synode gehorsamst zu erbitten." 

1* 



— 4 — 

Gleich nach dem oben angeführten Allerhöchsten 
Befehl wurde eine besondere Instruktion zur Behand- 
lung der Sträflinge, die nach dem Spas-Euphimius- 
Kloster verbannt werden sollten, veröffentlicht» 
Diese Instruktion wurde von dem Oberprokurator 
der Heiligsten Synode, dem Kämmerer General 
und Kavalier Fürst Wjasemskij, dem Wojewoden 
(Oberkommandant) in Susdal und dem Archiman- 
driten mitgeteilt : „Diese Wahnsinnigen sind in die 
vom Archimandriten angewiesenen zwei oder drei 
leeren Zellen einzuquartieren, jedoch ohne Fesseln ; 
sie sind zu beaufsichtigen, damit sie infolge ihres 
Wahnsinnes sich selber und den anderen keinen 
Schaden verursachen; zu diesem Behufe soll von 
ihnen jegliche Waffe femgehalten werden, ebenso 
ist ihnen das Schreiben zu verbieten. Falls einer 
von ihnen zu toben beginnt, so ist er in Einzel- 
haft und für einige Tage ohne Nahrung unter- 
zubringen. Hat er sich dann beruhigt, so kann er 
wieder zu den anderen zurückkehren. Diejenigen, 
die still sind und keine Unruhe verursachen, 
dürfen unter der Aufsicht der Wache in die Kirche 
zugelassen werden, um den Gottesgesang anzu- 
hören; dabei ist streng zu beachten, dafs sie mit 
niemand unziemliche Gespräche anknüpfen und dafs 
sie nicht aus dem Kloster entfliehen. Die Wache 
hat sie nach Möglichkeit ohne Härte zu behandeln ; 
insofern sie geisteskrank sind, sollen sie mit 
menschenmöglicher Nachsicht behandelt werden. 
Wenn jemand von ihnen etwas Wichtiges sagt, so 
ist darüber, da es ein Wahnsinniger gesagt hat, 
keine Anzeige zu machen, nur mufs das Gesagte 
dem Kommandanten mitgeteilt werden." 



— 5 — 

Freigelassen konnte der Verbannte nur dann 
werden, wenn er seinen „Wahnsinn" * völlig auf- 
gegeben hatte. 

Bald darauf wurde in dem Spas-Euphimius- 
Kloster eine besondere, sogenannte „Sträflings- 
abteilung" oder ein Gefängnis eingerichtet. Eine 
ganze Ecke des Klosters, in der dieses Gefängnis 
eingerichtet wurde, war von einer massiven Mauer 
umgeben und als „Festung" bezeichnet. Zugleich 
änderte sich auch das Ziel und die Bestimmung 
dieser Festung : anstatt ein Aufenthaltsort für wahn- 
sinnige Gefangene zu sein, wird sie zu einem Ge- 
fängnisse, in das Leute verbannt werden, die sich 
irgendwie gegen die Kirche und Religion vergangen 
haben. 

Tag und Nacht ist die Festung unter Schlofs 
und Biegel. Das einzige Fort, das in die Festung 
ftlhrt, wird immer von Soldaten bewacht. Ohne 
besondere Erlaubnis oder, wie man hier sagt, ohne 
den Segen des Archimandriten , der zugleich der 
Kommandant der Festung ist, darf niemand über 
die Schwelle des Tores treten. 



II. 

Die ersten zehn Menschen, die 1776 in das 
Susdalkloster kamen, waren folgende Personen : der 
Dragoner Nikanor Ragosin, der Kapitän a. D. Iwan 
Njemtschinow, der Leutnant Korobkow, der Fourier 
Sawwa Petrow, der Mönch Wladimir Selentkij, der 



1 Ebenda p. 72—73. 



— 6 — 

Pfarrerssohn Andrei Jegorow, der Kopienschreiber 
Wassilij Stscheglow, der Diener des Fürsten Urussow, 
Michail Wassiljew, der Bauer Iwan Wassiljew und 
der Bahnwächter Wassilij Smagin. 

Diesen ersten Gefangenen folgt eine lange 
Reihe von Personen, die entweder als Amtsbrüder 
der Klostergemeinde verbannt oder als Sträflinge 
in das Klostergefängnis verbracht wurden. Es ist 
zu bemerken, dafs die erste Gruppe einen ver- 
hältnismäfsig unbedeutenden Prozentsatz von der 
Gesamtzahl derjenigen bildete, die nach dem Susdal- 
kloster verbannt waren, und vorzugsweise aus den 
Vertretern der Weifsen^ und Schwarzen^ Geist- 
lichkeit bestand, die sich irgend etwas hatten zu- 
schulden kommen lassen. 

Unter den „Gefangenen" und „Sträflingen", die 
in das Susdalsche Klostergefängnis verbracht wurden, 
befanden sich Offiziere, Adelige, Beamte, Soldaten, 
Bauern, Kaufleute, Kleinbürger, Kanzleischreiber, 
Leibeigene, Raskolniki und Sektierer, Pfarrer, 
Mönche, Archimandriten, Diakone, Küster, Kloster- 
diener, Kirchendiener usw. Während der Zeit 1766 
bis 1902 beträgt die Gesamtzahl der Gefangenen im 
Susdalschen Spas-Euphimius-Kloster mehr als 400. 
Diese Zahl setzt sich aus zwei Hauptgruppen zu- 
sammen: aus geistlichen und weltlichen Personen. 
Zur ersten Gruppe gehören 108 Pfarrer, darunter 
5 Oberpriester, 1 Schliefser der Kathedrale und 
Mitglied des geistlichen Konsistoriums; Archiman- 



^ Weltgeistlichkeit. 
^ Mönchsgeistlichkeit. 



— 7 — 

drite und Äbte : 16 ; Mönche, Hieromönche und Hiero- 
diakone: 65; Diakone: 16; Küster, Kirchen- und 
Klosterdiener usw.: 17. Aufserdem befanden sich 
in dem Kloster zu verschiedenen Zeiten: 1 Baka- 
laurus der geistlichen Akademie in Kiew, 1 Psalmen- 
leser, 1 Pfarrerssohn und 1 Diakonsohn. 

Zur zweiten Gruppe gehören : Offiziere , Adelige 
und Beamte : 50 an der Zahl , darunter 1 General- 
major, 2 Barone, 1 Graf und 2 Fürsten ; Soldaten und 
Unteroffiziere: 16 an der Zahl; Bauern: 51; Klein- 
bürger : 10 ; Kaufleute : 3 ; Leibeigene : 2 ; Kanzlei- 
schreiber, Protokollisten und Kopisten : 6 ; Geistliche 
von den Sektierern (Raskolniki), Pfarrer und Mönche : 
11; Erzbischöfe unter den Raskolniki : 4; Personen 
unbekannten und unbestimmten Berufes: 8. 

Aufserdem: 1 Lehrer, 1 Schauspieler, 1 Kadett 
des Berginstitutes, 1 Kosak, 1 Polizeiaufseher, 
1 Schiffskapitän und 1 Schuster aus Saratow. 

Abgesehen von diesen, safsen im Susdalschen 
Kloster : 2 rumänische Mönche, 1 bulgarischer Archi- 
mandrit, 1 griechisch-katholischer Pfarrer und 
1 griechisch-katholischer Mönch und endlich 1 Fran- 
zose, Bardio, und 1 Deutscher, Krüger. Die letzteren 
zwei wurden Januar 1773 in das Klostergefängnis 
gebracht und verblieben dort bis zu ihrem Tode, 
Oktober 1791. Von der Gesamtzahl der Gefangenen 
fallen auf das 18. Jahrhundert (von 1766 bis 
1800): 62, auf das 19.: 341 Personen. Teilen wir 
diese letzte Zahl nach den Jahrhundertvierteln 
ein, so erhalten wir folgende Zahlen: vom 1. Ja- 
nuar 1800 bis zum 1. Januar 1825 betrug die 
Zahl der nach dem Susdalschen Kloster Ver- 



— 8 — 

bannten: 55; vom 1. Januar 1825 bis zum 
1. Januar 1850: 53; vom 1. Januar 1850 bis zum 
1. Januar 1875: 117 und endlich vom 1. Januar 
1875 bis zum 1. Januar 1902: 116. Wir überlassen 
es den Lesern selbst, aus diesen Zahlen, die 
auf Grund archivarischer Forschungen festgestellt 
sind, den Schlufs zu ziehen. Wir glauben nur 
folgendes bemerken zu müssen. Da die Archive 
die Prozesse der letzten Zeit nicht enthalten, so 
dürfen unsere Angaben bezüglich der Personen, die 
in letzter Zeit nach dem Susdalschen Kloster ver- 
bannt waren, zum Teil nur als annähernd richtig 
gelten. Es ist sehr leicht möglich, dafs unsere 
Angaben gerade die Zahl der Personen, die in 
letzter Zeit verbannt wurden, nicht enthalten. 
Zieht man diesen Umstand in Betracht, so gelangt 
man mit Recht zu dem — allerdings sehr un- 
erwarteten — Schlüsse, dafs in Rufsland die An- 
wendung der längst abgelebten, mittelalterlichen 
Straf form, als welche die Klosterverbannung gelten 
mufs, in den fünfziger und sechziger Jahren des 
verflossenen Jahrhunderts den Gipfelpunkt erreicht 
hatte und seitdem bis auf den heutigen Tag auf 
demselben Niveau geblieben ist. Da völlige Sühne 
„aufrichtige Abbitte" aller „Verirrungen" und 
ketzerischen Ansichten die unentbehrliche und uner- 
läfsliche Bedingung zur Freilassung aus dem 
Klostergefängnis war, so ist es natürlich, dafs Leute, 
die von der Wahrheit ihrer Ansichten vollkommen 
überzeugt waren, es vorgezogen haben, lieber in 
der Gefangenschaft ihre Tage zu beschliefsen, als 
das als Lüge zu bekennen, woran sie mit aller 



— 9 — 

Leidenschaft der religiösen Begeisterung glaubten. 
In die Elostergefängnisse gerieten aber meistens 
Menschen von diesem Schlage. Daher sehen wir, 
dafs nur sehr wenige die Freiheit erlangt hatten, 
während die meisten hier bis zu ihrem Lebensende 
verblieben. 

Nicht umsonst ist der Elostergarten , der an 
das Gefängnis schliefst und „als Friedhof der 
Sträflinge" bezeichnet wird, von Gräbern früherer 
„Gefangener" und „Arrestanten" bekränzt. Von 
den vielen Gräbern früherer Gefangener sind nur 
drei bis vier erhalten geblieben, unter anderem 
die Gräber der Fürsten Feodor Petrowitsch 
Schachowski und Wladimir Nikolojewitsch ßantysch- 
Eamenski. 

Die verstorbenen Arrestanten werden hier in 
der Begel im Garten beerdigt — ohne Kreuz, 
ohne Platte, ohne jede Bezeichnung oder Inschrift, 
auf Grund deren die Verwandten das Grab des 
teueren Verstorbenen aufsuchen könnten. Bei der 
Bestattung eines Führers des Raskols oder des 
Sektierertums sorgt die Obrigkeit streng dafür, 
dafs der Begräbnisort unbekannt bleibe, um da- 
durch einer eventuellen Pilgerfahrt der Anhänger 
und Verehrer vorzubeugen. Zu diesem Zwecke 
werden solche Personen manchmal aufserhalb des 
Gefängnisses begraben, und die Bestattung findet 
heimlich am frühen Morgen, wenn alle noch 
schlafen, statt. Das Grab wird dem Boden gleich- 
gemacht und Reisig darauf gestreut. Dadurch 
werden alle Merkmale beseitigt, die auf den 
Begräbnisort hindeuten könnten. So wurde z. B. 



— 10 — 

das Haupt und der Begründer der Sekte der kau- 
kasischen „Priguni" (Springer), der Kosak Maxim 
Rudemetkin , der im Klostergefängnisse am 13. Mai 
1877 gestorben war, beerdigt. 



III. 

1902 befanden sich im Gefängnis des Spas- 
Euphimius-Klosters 12 Gefangene, von denen manche 
mehr als 10, 15 sogar 20 Jahre eingekerkert 
waren. So z. B. sitzt der Diakon Nikolai 
Iwanowitsch Dobroljubow, aus dem Gouvernement 
Nischni-Nowgorod , schon 23 Jahre in diesem Ge- 
fängnisse. Aber andere Gefangene sind erst in 
letzter Zeit dahin verbannt worden: so ist der 
Bauer aus dem Gouvernement Samara Jermolai 
Fedossejew 1900 da eingetroffen, der Pfarrer 
Keratim Iwanot witsch Zwjetkow im Sommer 1901. 
Über den Grund, der zur Verbannung des Bauern 
Feodosejew führte, finden wir folgende Angaben 
in dem Bericht der eparchialen Verwaltung in 
Samara für das Jahr 1900. „Die eparchiale 
Obrigkeit hat zu dem äufsersten Mittel gegriffen, 
um auf die gefährlichen und unverbesserlichen 
Ketzer und Propagandisten einzuwirken, als sie die 
Heilige Synode ersuchte, dieselben aus der orthodoxen 
Kirche auszuschliefsen und nach dem Spas-Euphi- 
mius-Kloster zu verbannen. So sah sie sich ge- 
zwungen, einem gewissen Jermolai Feodossejew 
gegenüber, der in einer Höhle lebte und durch 
seine Scheinheiligkeit die Massen des einfachen 



— 11 - 

Volkes verführte, so zu handelnd Über den 
Grund, der zur Verbannung des Pfarrers Zwjetkow 
aus dem Gouvernement Tambow führte, war aus- 
führlich in den „St. Peterburgskija Wjedomosti** 
berichtet. Dem zufolge ist der Pfarrer Zwjetkow 
von der höheren Obrigkeit wegen mancher Ansichten, 
die den bei unserer Geistlichkeit herrschenden 
widersprechen, zur Verbannung nach dem Susdal- 
schen Kloster verurteilt worden. So z. B. verwarf 
Zwjetkow die Unterordnung der Kirche unter die 
weltliche Gewalt in der Person des Oberprokurators 
der Heiligen Synode; er erklärte ferner für not- 
wendig, ein Konzil einzuberufen zur Lösung der 
vielen Fragen, die in der orthodoxen Kirche heran- 
gereift seien; er leugnete die Autorität der 
Heiligen Synode u. dergl. mehr. In diesem Sinne 
erklärte er sich dem Oberprokurator der Heiligen 
Synode und vielen höheren Hierarchen der russi- 
schen Kirche gegenüber, was gleichfalls die Kloster- 
verbannung Zwjetkows behufs Besserung und Reue 
zur Folge hatte." Aufser dem Pfarrer Zwjetkow, dem 
Diakon Dobroljubow und dem Bauern Feodossejew 
sitzen gegenwärtig in der Susdalschen Festung noch 
zwei Pfarrer: Peter Rudokow und Gabriel 
Alexandrowitsch Sinzorow, dann ein Mönch aus 
Moldau, der Hierodiakon Pimen, ein Sektierer, 
ein Bauer aus dem Gouvernement Wladimir 
Anikij Antonowitsch Utotschkiu, vier Sektierer aus 
der Sekte Jenochowzi, die aus dem Gouvernement 
Saratow hierher gebracht wurden, und endlich ein 



Samarer eparchiale Nachrichten 1901. Nr. 16 p. 886. 



— 12 — 

Bauer aus dem Gouvernement Cherson, der be- 
kannte Sektierer Feodor Kowalew, der etwa 20 
Personen , Verwandte und Gesinnungsgenossen 
während der allgemeinen Volkszählung, die er für 
eine Sache des Antichristen hielt, eingemauert 
hatte. 

1901 brachten die Blätter die Nachricht, dafs 
Kowalew wegen seines Übertritts zur orthodoxen 
Kirche aus dem Klostergefängnisse freigelassen 
wurde. Diese Nachricht ist, wie wir uns ge- 
legentlich selbst überzeugen konnten, falsch, da 
Kowalew noch heute im Gefängnis sitzt, obwohl 
er sich seit seinem Übertritt zur Orthodoxie einer 
relativ besseren Behandlung erfreut. 

Zwei aus den „ Jenochowzy" betragen sich sehr 
aufrührerisch, sie schelten den Archimandriten 
des Klosters „Antichrist" und leisten den Befehlen 
der Wache keine Folge; daher werden sie fort- 
während, Tag und Nacht, hinter Schlofs und Riegel 
gehalten und niemals aus der Zelle gelassen. Allem 
Anschein nach sind diese Jenochowzy zweifellos 
psychisch kranke Menschen. Öfters gehen sie 
nachts ans Fenster und beginnen laut zu schreien 
und zu weinen; mitunter hört man einzelne Worte 
und Sätze wie: „Christus ist auferstanden! Der 
Antichrist ist gekommen ! Heilige Dreieinigkeit ! "usw. 

Überhaupt ist der Prozentsatz der psychischen 
Erkrankungen unter den Klostergefangenen sehr 
hoch. Wenn die Psychiater Gelegenheit hätten, 
den Seelenzustand derjenigen zu untersuchen, die 
in den Klostergefängnissen . 10 , 15 und 20 Jahre 
zugebracht hatten , so könnte man sicher sein, dafs 



— 13 — 

sie unter diesen Unglücklichen nur sehr wenige 
finden würden, die geistig gesund sind. Es ist 
dabei zu bemerken, dafs in die Elostergefängnisse 
früher und zum Teil auch jetzt noch vorzugsweise 
Leute verbannt werden, deren geistiges Vermögen 
mehr oder minder gestört und zerrüttet ist. So 
z. B. hielt man es für notwendig , den Dekabristen 
F. P. Schachowsky, der, 1839 nach Krassnojarsk 
verbannt, geisteskrank geworden war, nach dem 
Kloster in Susdal zu transportieren, wo er auch in 
demselben Jahre starb. Viele solche Beispiele 
könnte man aus der Geschichte des Solowezky- 
Gefängnisses anführen. Es unterliegt selbstver- 
ständlich keinem Zweifel, dafs die Verhältnisse 
des Klostergefänguisses für Kranke dieser Art 
keineswegs günstig sind. 

Wegen religiöser Verbrechen werden nach den 
Klöstern nicht nur Männer, sondern auch Frauen ver- 
bannt. In den zwei Frauenklöstem der Stadt Susdal : 
Risopoloschensk und Pokrowsk, befinden sich immer 
Frauen, die wegen Vergehen gegen die Kirche, 
öfters aber wegen Verbreitung von Lehren, die der 
Orthodoxie widersprechen, hierher verbannt wurden. 
Auch jetzt befinden sich dort einige verbannte 
Frauen, unter anderen Nastasja Kusnainischna 
Schuwina, als Nonne „Marie" genannt, die Be- 
gründerin des bekannten Bakowschen Klosters im 
Gouvernement Samara. In ihrer Heimat, im 
Gouvernement Samara, genofs sie Popularität und 
Vertrauen der Bevölkerung, weshalb es ihr auch 
gelang, ein Kloster zu errichten. Die lokale Geist- 
lichkeit aber beschuldigte sie der Zugehörigkeit 



— 14 — 

zu der Sekte „Chlystowtschina" ; es erfolgten 
Anzeigen, Prozesse, bis sie schliefslich nach Susdal 
gebracht und ins Pokrowsk-Kloster gesteckt wurde. 
Die in die Klöster verbannten Frauen leben 
in besonderen Zellen unter strenger Bewachung der 
Nonnen und dürfen das Tof des Klosters nicht 
überschreiten. 

IV. 

In der vorpetrinischen Zeit hatten aufser dem 
Zaren der Patriarch, die Metropoliten und sogar 
die Erzbischöfe das Recht, nach den Klöstern zu 
verbannen. Im 18. Jahrhundert sind viele Sträf- 
linge auf die Verordnung fler geheimen Unter- 
suchungskanzlei und dann auf Grund der Resolu- 
tionen der Heiligen Synode verbannt worden. 
Seit 1835 konnte man nur auf Allerhöchsten Be- 
fehl nach den Klöstern verbannend Diese Ver- 
fügung war scheinbar das Resultat der Revidierung 
des Solowezky- Zuchthauses, die im selben Jahre 
auf Allerhöchsten Befehl wegen der darin statt- 
gefundenen Unruhen erfolgte^. 

Die Untersuchung ergab unter anderem, dafs 
von den 50 Sträflingen, die in diesem Zuchthause 
safsen**, 41 auf Allerhöchsten Befehl verbannt worden 



1 Russkaja Starina, 1887, Nr. 11 p. 340. Kiltschin. 

^ Diese Unruhen äufserten sich unter anderem darin, 
dafs der Porutschik Goroschansky, der geheim gehalten 
wurde und offensichtlich geisteskrank war, den Soldaten 
Skworzow auf der Wache mit einem Messer getötet hatte. 

* Unter diesen 50 Sträflingen waren : Pfarrer, Offiziere, 
Studenten, Bauern, Leibeigene, Soldaten, Vagabunden, ein 



— 15 — 

waren, 9 auf Verordnung verschiedener Begierungs- 
behörden: der Heiligen Synode, des Ministerkomitees, 
des Senats, des Generalstabs und ein Arrestant 
schliefslich, „Lew Pawlow", wurde wegen des „alten 
Glaubens" auf Grund eines Geheimschreibens der 
Gouvernementsverwaltung Archangelsk hierher ge- 
bracht. 

Wie es kam, dafs die mehr als bescheidene 
Gouvernementsverwaltung in Archangelsk unter die 
höheren Staatsbehörden geraten ist, die, wenn 
nicht de jure, so doch de facto über das Becht, 
Menschen nach den Klöstern zu verbannen, ver- 
fügen, ist unerfindlich. Ebenso ist es unerfindlich, 
wer der Lew Pawlow war, den die Gouvemements- 
verwaltung in Archangelsk „wegen des alten Glau- 
bens" nach Solowki verbannen zu müssen glaubte. 

Gegenwärtig werden Gesuche um Verbannung 
und Einsperrung in die Klostergefängnisse aus- 
schliefslich von den lokalen geistlichen Behörden 
eingereicht, von den Pfarrern und Missionären, die 
dann durch die eparchiale Verwaltung nach der 
Heiligen Synode weiter befördert werden. Wenn 
die letztere das Gesuch der eparchialen Verwaltung 
als begründet erklärt, so stattet der Oberproku- 
rator der Synode diesbezüglich den allerunter- 
tänigsten Bericht ab. 

Was die Verpflegungsverhältnisse in den Kloster- 
gefängnissen und die Besultate betrifft, die in un- 
serer Zeit durch diese Verbannungen behufs Besse- 



Lehrer einer Kirchenschule, ein Kosakenoffizier, ein Be- 
amter 8. Klasse, zwei Mönche, ein Küster und ein Kleinbürger. 



— 16 - 

rung der Gesinnung erreicht werden, davon werden 
wir eingehend in den folgenden Kapiteln berichten. 



V. 

Durch die Klosterverbannung und Einkerke- 
rung derjenigen, die sich irgendwie gegen Kirche 
und Religion vergangen hatten, wurden in der 
Regel folgende drei Ziele verfolgt. Vor allem 
sollte freilich der Schuldige oder der Verdächtige 
durch die Entziehung der Freiheit, durch die 
Strenge der Verbannung und Kerkerhaft bestraft 
werden; dann sollte dadurch der Verbreitung der 
Irrlehren vorgebeugt werden, um von vornherein 
die Ideen und Ansichten, die vom Standpunkte der 
Kirche aus als falsch, schädlich und ketzerisch galten, 
zu unterdrücken; endlich beabsichtigte man da- 
durch, den „Verbrecher" zu bessern und zur Reue 
zu bewegen, um ihn womöglich wieder in den 
Schofs der orthodoxen Kirche zurückzuführen. 

In den Zuschriften und Instruktionen, die bei der 
Einlieferung der Verbannten und Sträflinge folgten, 
wurde immer, mehr oder minder bestimmt, auf 
diese drei Hauptziele der Verbannung hingewiesen. 
Zugleich enthielten diese Zuschriften und Instruk- 
tionen ausführliche Anweisungen bezüglich der 
Art der Verbannung und Einkerkerung, der Be- 
handlungsweise des Arrestanten im Gefängnisse, be- 
züglich der Beaufsichtigung seines Verkehrs und 
seiner Korrespondenz usw. Daher ist es in viel- 
facher Beziehung interessant und lehrreich, diese 
Art Instruktionen und Anweisungen, die aus ver- 



— 17 — 

schiedenen Epochen unserer Vergangenheit stam- 
men, kennenzulernen. 

Wir verweilen bei den typischsten dieser In- 
struktionen, die aus einer entlegenen Zeit stammen, 
nämlich aus der in der Geschichte der russischen 
Kirche bedeutsamsten Epoche des 16. Jahrhunderts, 
als die Verquickung der Kirche mit dem Staate 
stattgefunden hätte ^. Eine der ersten Zuschriften 
dieser Art stammt, soweit unsere Kenntnisse reichen, 
aus der düsteren Epoche Iwan des Schrecklichen, 
nämlich aus dem Jahre 1554, und* betrifft die Ver- 
bannung des Abtes Artemius, den die Versammlung 
der Geistlichen der Gemeinschaft mit Baschkin, 
dem bekannten „Ketzer" und Rationalisten des 
16. Jahrhunderts, schuldig gesprochen hatte. 

In dieser Zuschrift, die im Namen des Metro- 
politen Makarius verfafst ist, werden ausführlich 
die Beschuldigungsgründe der geistlichen Versamm- 
lung gegen Artemius dargetan und wird in folgen- 
den Worten Anweisung gegeben, wie er im Kloster 
zu behandeln sei: „Artemius soll im Kloster Auf- 
enthalt nehmen, streng bewacht und in einer 
stummen Zelle gehalten werden, damit sein 
seelengefährlicher und gotteslästerlicher Geist nie- 
manden anstecke, damit er mit niemandem Ge- 
spräche führe, weder mit den Mönchen der Kirche 
noch mit den anderen, die sich im Kloster befinden." 
Ferner wird streng vorgeschrieben, dem Verbannten 
nicht zu erlauben, Briefe und Nachrichten zu senden. 



^ Näheres bei Miljukow: Skizzen aus der russischen 
Kulturgeschichte, II. Teil, p. 25—33. 

Fragawin, Die Inquis. d. russ.-orthod. Kirche. 2 



— 18 — 

ebensowie solche und andere Gegenstände von 
jemandem zu empfangen ; kurz , es wird ihm jeg- 
licher Verkehr mit Freunden und anderen Menschen 
verboten, damit er „in stummer Haft und Ver- 
bannung die Ketzerei bereue, der er anheimgefallen 
ist" K 

In dieser Zuschrift wird also die Einkerkerung 
des Artemius im Klostergefängnis nicht erwähnt, 
obwohl es vorgeschrieben wird, ihn mit möglichster 
Strenge und „Härte" zu beherbergen. Daraus ist 
zu schliefsen, dafs es damals, nämlich in der Mitte 
des 16. Jahrhunderts, in Solowki noch keine Ge- 
fängnisse gab. „Die stumme Zelle", von der in 
der Zuschrift die Rede ist, und in die Artemius 
untergebracht werden sollte, darf nicht als eine Ge- 
fängniskasematte aufgefafst werden, um so weniger, 
als es an einer anderen Stelle der Zuschrift heifst, 
er müsse „innerhalb des Klosters gehalten werden". 

Diese Meinung wird auch durch den Umstand 
bestätigt, dafs in den Zuschriften der späteren Zeit 
— die den Verbannten folgten — sich ganz be- 
stimmte und genaue Anweisungen bezüglich der 
Einkerkerung der Sträflinge in ein Gefängnis finden. 
So z. B. heifst es in der Zuschrift gelegentlich der 
Verbannung des ehemaligen Bischofs Ignaz aus Tam- 
bon nach Solowki im Jahre 1701: 

„Ignaz ist in das Golowlenkow-Gefängnis unter- 
zubringen und hat dort bis zu seinem Lebensende 
zu verbleiben. Es darf ihm nur Sträflingskost 
verabreicht werden. Tinte und Papier sollen ihm. 



Busskaja Starina 1887, Buch XI, Koltschin. 



— 19 — 

Iwaschka*, nicht gestattet werden. Er darf keine 
Briefe fortschicken und keine empfangen. Falls er, 
Iwaschka, irgendwelche Briefe von jemandem er- 
halten oder selbst Briefe an jemanden geschrieben 
hat, so sind diese nach Moskau, nach der Preobra- 
schensky-Kanzlei zu beförden." ^ 

Heute ist es schwer, sich nur eine Vorstellung 
von den Schrecknissen zu machen, welche die 
Klostergefangenen in früheren Zeiten über sich 
ergehen lassen mufsten. Keiner von ihnen hat uns 
eine Beschreibung seiner Leiden und seines Märtyrer- 
tums zurückgelassen. Warum nicht — ist leicht zu 
begreifen. In den Zuschriften und Erlassen, die 
der Verbannung folgten, hiefs es immer wieder, 
„Papier, Tinte und Bleistift sind den Gefangenen 
zu verbieten, damit sie, die Gefangenen, unter 
keinen Umständen korrespondieren können". 

Man mufs dabei in Betracht ziehen, dafs die 
Sträflinge meistens nach überstandener Folterung 
direkt aus der Folterkammer in die Klosterkase- 
matten gesteckt wurden. Zu Tode gequält durch 
allerhand Folterqualen, „schonungslos" mit Peit- 
schen geschlagen, wurden sie mit verstümmelten 
Nasen und abgeschnittenen Zungen nach Solowki 
oder in andere „entlegene Klöster" gebracht und 
in feuchte, finstere, kalte Erdgeschosse, sogenannte 
Gefängniszellen, geworfen. Hier waren sie zu 
ewiger Einsamkeit, zu ewigem Schweigen, Not 
und Kummer verdammt. Es schien, als hätte man 



^ Yerächtliche Bezeichnung des Namens Ignaz. 
a Ebenda p. 356. 

2* 



- 20 — 



sie nach der Verbannung völlig vergessen, aus der 
Liste der Lebenden gestrichen. Und wirklich, oft 
war es nur der Tod, der die unglücklichen Ge- 
fangenen von weiteren Qualen erlöste, nur das 
Grab, das die gequälten Leiber zur Ruhe aufnahm. 



VI. 

Als die härteste Strafe galt die Einkerkerung 
in die „Erdgefängnisse" oder richtiger in die unter- 
irdischen Gefängnisse. Es gab solche Gefängnisse 
in Solowki und in anderen Klöstern. In Solowki 
waren die unterirdischen Gefängnisse unter einem 
Klosterturm eingerichtet, der sich in der nordwest- 
lichen Ecke der Festung befand. Den älteren Be- 
schreibungen zufolge waren die Erdgefängnisse in 
Gruben, drei Meter tief unter der Erde ; am Rande 
waren sie mit Ziegelsteinen eingefafst; ihr Dach 
bestand aus Brettern, die mit Erde bedeckt waren. 
Im Dache befand sich eine kleine Öffnung, die 
eine Tür schlofs. Durch diese Öffnung wurde der 
Sträfling hinuntergelassen resp. hinaufgezogen, und 
durch diese Öfliiung wurde ihm auch Nahrung 
gereicht. Für die Notdurft liefs man besondere 
Gefäfse hinunter, die einmal im Tage hinauf- 
gezogen und gereinigt wurden. Ob in diesen Erd- 
geschossen Öfen waren, ist unbekannt. 

In diese dunklen, feuchten Keller, tief unter 
der Erde, liefs man oft Menschen hinuntersteigen, 
die an Händen und Ftifsen gefesselt waren. In 
diesen Gefängnissen gab es in der Regel eine Menge 
Ratten, die häufig den schutzlosen Sträfling über- 



— 21 — 

fielen ; es kamen Fälle vor , wo Ratten Nase und 
Ohren der „Verbrecher", die in dem Erdgefängnisse 
safsen, weggefressen hatten. Es wurde verboten, 
ihnen etwas zur Wehr gegen die kleinen Übeltäter 
zu geben. Diejenigen, die diese Verordnung ver- 
letzten, wurden äufserst grausam bestraft. So z. B. 
wurde ein Wächter, der „dem Diebe und Rebellen 
Iwaschka Saltykow" einen Stock zur Wehr gegen 
die Ratten gegeben hatte, „wegen dieser Nachsicht 
schonungslos mit Ruten gezüchtigt". 

Nur selten und bei weitem nicht allen Ge- 
fangenen in den Erdgefängnissen gelang es, das 
Licht der Welt nochmals zu erblicken und die 
Kirche zu besuchen. So wurde in einem Erlasse, 
der aus dem Ende des 17. Jahrhunderts stammte, 
vorgeschrieben , den Sträfling des Erdgefängnisses 
Mischka Amirew während des Kirchengesanges 
aus dem Gefängnisse hinaufkommen und nach 
dem Gottesdienste wieder in das Gefängnis hin- 
untersteigen zu lassen. 

Es ist übrigens zu bemerken, das die Ein- 
kerkerung in die Erdgefängnisse in manchen 
Klöstern auch bedeutend später stattfand, nämlich 
in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. So 
z. B. wurde nach den Angaben W. J. Semjewskis im 
Jahre 1768 die bekannte Saltytschicha in das Erd- 
gefängnis, das sich im Iwanow -Frauenkloster in 
Moskau befand, gesteckt. Sie verbrachte dort 11 Jahre. 

Um wenigstens eine annähernde Vorstellung 
über die Verhältnisse der Klosterverbannung in den 
früheren Zeiten zu gewinnen, mufs man die so- 
genannten Geheimprozesse der Preobraschensky- 



— 22 — 

Kanzlei und ähnlicher Einrichtungen der damaligen 
Zeit, die Untersuchungsberichte , die Verbannungs- 
verordnungen , die Instruktionen bezüglich der Be- 
handlungs weise der Gefangenen in den Klöstern 
usw. studieren. Die Erlasse bezüglich der Ver- 
bannung und Einkerkerung einer Person wurden 
in der Regel an den Gouverneur des Ortes und 
zugleich an den Archimandriten des Klosters „mit 
seinen Amtsbrüdern " verschickt. Oben haben wir 
erwähnt, dafs im Erlasse des Metropoliten Makarius 
bezüglich der Verbannung des Abtes Artemius nach 
Solowki alle Gründe der geistlichen Versammlung, 
infolge deren er zur Einkerkerung in das Kloster 
verurteilt war, dargelegt wurden. Wenn man aber 
zu jener Zeit, in der Mitte des 16. Jahrhunderts, 
es noch als notwendig erachtete, in den Erlassen 
ausführlich die Gründe der Verbannung anzugeben, 
so wurde zuletzt diese Sitte aufgegeben , so 
dafs in den Erlassen des 17. und 18. Jahrhunderts 
sich nur selten eingehende Angaben darüber 
finden, worin eigentlich die Verbrechen derjenigen 
bestanden , die einer so grausamen Strafe anheim- 
gefallen waren. Am häufigsten hiefs es in dieser 
Art Erlassen: „wegen seiner Verfehlung" oder 
„infolge seiner vielen Vergehen" soll der Gefangene, 
anstatt mit dem Tode bestraft, „schonungslos mit 
Ruten gezüchtigt werden", soll ihm die „Zunge aus- 
geschnitten werden" oder er soll nach dem 
Solowezky-Kloster zur ewigen Einkerkerung in 
das Kotroschenski - Gefängnis verbannt werden. 
Nach dem Vollzug der Strafe ist er unter Be- 
wachung des Unteroffiziers und so und so vieler 
Soldaten nach dem Solowezky-Kloster zu bringen. 



— 23 — 

Wenn in den Erlassen manchmal erklärt 
wurde, worin die Schuld oder das Verbrechen be- 
stand , das die Verbannung zur Folge hatte , so 
wurde diese Erklärung nur in allgemeinen Rede- 
wendungen angegeben. 

So z. B. heifst es in dem Erlasse vom 
15. Januar 1722 bezüglich der Verbannung des 
Fürsten Jephim Mestscherski nach Solowki, unter- 
zeichnet vom Vorsitzenden der Kanzlei geheimer 
Prozesse, Peter Andrejewitsch Tolstoi, folgender- 
mafsen: „wegen der Gottlosigkeit, die er sich zu- 
schulden kommen liefs, soll er nach dem Solowezky- 
Kloster gebracht werden und dort bis zu seinem 
Lebensende verbleiben." Worin aber diese „Gott- 
losigkeit" des verbannten Fürsten bestand, darüber 
ist kein Wort gesagt. 



VII. 

Dafür wird in allen diesen Erlassen und 
Instruktionen ausführlich darüber berichtet, wie 
die Gefangenen im Kloster zu behandeln sind. In 
den Erlassen, die an den Archimandriten gerichtet 
waren, hiefs es in der Regel: „und wenn dieser 
Gefangene in dem Solowezky-Kloster eintrifft, und 
Du, unser Gottesdiener, Archimandrit (so und so), 
mit Deinen Brüdern ihn, den Gefangenen, empfängst 
und für alle Zeiten in das Kotroschenski-Gefängnis 
gesteckt und befohlen hast, ihn dort ohne 
Ausgang zu halten, damit er, der Gefangene, 
aus dem Gefängnisse nicht entfliehe , so ist ihm 
weder Papier noch Tinte zu geben; und wenn er. 



— 24 — 

der Gefangene, während er im Gefängnis sitzt, 
zu schreien beginnt und von unserem kaiserlichen 
Wort und Tat (Folter) erzählt, so ist auf diese, 
von ihm so gesprochenen Worte nicht zu hören." 

Oder z. B. in folgender Weise: „Er, der Ge- 
fangene, ist in strenger Haft unter der Aufsicht des 
Archimandriten des Klosters zu halten, während 
der Unteroffizier und die Soldaten der Wache 
unablässig darauf zu achten haben, dafs er Feder, 
Tinte und Papier nicht bei sich habe, und dafs 
er mit niemandem spreche und nichts Ungeziem- 
liches predige ; deshalb soll nicht nur kein Fremder 
zu ihm hineingelassen werden, sondern auch niemand 
von der Klostergemeinde und den Dienern darf seine 
Zelle aufsuchen; weder während der Messe und 
des Kirchengesanges, noch zu einer anderen Zeit 
ist ihm erlaubt, zu sprechen." 

Besonders wurde darauf geachtet, dafs die 
Gefangenen mit „niemandem über den Glauben 
Gespräche führen und somit die eingebildeten Vor- 
züge ihres Glaubens und die Frechheiten, die der 
Frömmigkeit widersprechen, nicht weiterverbreiten 
können, sondern in Demut und Reue sollen sie, 
die Gefangenen, verharren und sich mit tränen- 
begossenem Brot nähren." 

Aus allen diesen Anweisungen ist unter anderem 
zu ersehen, welche schwere Pflichten die Archiman- 
driten und die Klostergemeinden zu jener Zeit auf 
sich nehmen mufsten, um diejenigen zu beaufsich- 
tigen, die eines Verbrechens gegen die Religion und 
Kirche beschuldigt oder verdächtigt wurden und da- 
her unter die Gefangenen und Sträflinge geraten 



— 25 — 

waren. Es ist jedoch zu bemerken, dafs diese Pflichten, 
die sich so wenig mit der Würde des Mönches, 
besonders des Ärchimandriten , vertragen, leider 
noch jetzt den Äbten und den Vorstehern der 
Klöster auferlegt sind. 

Was die Verpflegung der Klostersträfliuge be- 
trifft, so wurden sie auch in dieser Hinsicht nicht 
verwöhnt. Nur in seltenen Fällen war es erlaubt, 
einem Gefangenen Nahrung von der Tafel der 
Brüdergemeinschaft zu gewähren; am häufigsten 
jedoch wurde vorgeschrieben: „Als Nahrung hat 
der Korporal nur Brot und Wasser durch das Fenster 
zu reichen." Ferner war es streng verboten, dafs 
die Gefangenen Geld oder irgendwelche Gegen- 
stände bei sich tragen. 

Manche Gefangene wurden nicht nur hinter 
Schlofs und Riegel gehalten, sondern die Türen 
ihrer Gefängniszellen wurden mit besonderen 
Siegeln versehen, welche die Offiziere und die 
Soldaten besonders zu beaufsichtigen hatten. Wir 
lassen auszugsweise eine diesbezügliche Ver- 
ordnung an einen Offizier folgen: „Wenn er, der 
Gefangene , ins Gefängnis gesteckt wird , so ist da- 
vor eine Wache von zwei Soldaten mit geladenem 
Gewehr aufzustellen; ein Soldat von der Garde 
und ein zweiter von der Garnison. Die Tür mufs 
unter Schlofs und Riegel sein und mit Deinem 
Siegel versehen werden; die Zelle darf nur ein 
kleines Fenster besitzen, durch das Nahrung ver- 
abreicht wird; Du selbst darfst die Zelle nicht 
betreten. Zur Kirche darf der Gefangene nicht 
zugelassen werden. Wenn der Gefangene krank 



— 26 — 

wird und dem Tode nahe ist, so ist ihm nach 
der Beichte das heilige Sakrament in dem Gefäng- 
nisse, in dem er gehalten wird, zu spenden. Zu diesem 
Zwecke soll die Tür geöffnet und der Siegel ge- 
brochen werden; darauf aber ist die Tür wieder 
zu schliefsen und mit Deinem Siegel zu versehen 
und streng zu bewachen, wie es in den früheren 
Erlassen bekannt gegeben ist." ^ 

Fürwahr, das waren wirklich lebendig 
Begrabene. 

Alle Anweisungen dieser Art schliefsen mit 
der Drohung, diejenigen, die sich die geringste 
Verletzung der Instruktion und die Vernach- 
lässigung der Bewachungsregeln zuschulden kom- 
men lassen, mit aller Strenge der Militärartikel 
„zu verurteilen und zu bestrafen" . . . Diese 
Drohungen konnten natürlich nicht ohne Wirkung 
bleiben. 

Wie streng alle diese Erlasse und Instruktionen 
befolgt wurden , ist unter anderem aus dem folgen- 
den Falle zu ersehen. Ein Gefangener des Solo- 
wezky-Klosters — Fürst Wassilij Lukitsch Dolgo- 
rukow — wurde ernstlich krank ; er bedurfte eines 
Beichtvaters. Da aber in dem Erlasse, mit dem 
er eingetroffen war, vorgeschrieben wurde, „nie- 
manden von den Fremden zu ihm in die Zelle zu 
lassen", so konnten weder der Archimandrit noch 
der wachhabende Offizier sich entschliefsen , den 
Wunsch des Sterbenden zu erfüllen. Sie wandten 
sich betreffs dieser Angelegenheit an die Gouver- 



Archangelsker Gouvernementsnachricliteii, 1875, Nr. 25. 



— 27 — 

nementskanzlei in Archangelsk. Die Gouvernements- 
kanzlei wagte auch nicht, der Bitte des kranken 
Gefangenen Folge zu leisten und wandte sich 
ihrerseits an den Senat, der im Erlasse vom 
29. März 1731 an den Gouverneur entschieden 
hatte, der Beichtvater habe nur im äufsersten Falle 
die Zelle des Fürsten Dolgorukow zu betreten ^ 
Manche Gefangene safsen das ganze Leben in 
Ketten gefesselt. Erst nach dem Tode wurden sie 
die Ketten los. Eine fürchterliche, blutige Zeit! 
Wie ein finsteres Gespenst sieht sie auf uns aus 
der Ferne herab. 



VIII. 

Da wir die Verhältnisse der Verbannung und Ein- 
kerkerung in unseren Klöstern bis jetzt hauptsäch- 
lich auf Grund der Angaben geschildert haben, die 
sich auf das Solowezky-Kloster und Spas-Euphimius- 
Kloster in Susdal beziehen, so könnte der Gedanke 
entstehen, dafs nur diese zwei Klöster bei uns als 
Ort der Verbannung und Einkerkerung galten. 
Diese Vermutung aber entspricht nicht völlig der 
V?^ahrheit, da die Klosterverbannung in früheren 
Zeiten in Rufsland in weitestem Mafse und zwar 
der verschiedensten Verbrechen wegen stattge- 
funden hat. 

Im 16. bis 18. Jahrhundert spielten sehr viele 
unserer Klöster die Rolle von Staatsgefängnissen, 
in welche die wichtigsten Verbrecher gegen Religion 



^ Archangelsker Gouvemementsnachrichten, 1875, Nr. 25. 



— 28 — 

und Kirche sowohl als auch gegen Staat, Regierung, 
öffentliche Sittlichkeit usw. geworfen wurden. 
Dabei war die Klosterverbannung bekanntlich mit 
der gewaltsamen Einweihung zum Mönch ver- 
bunden. Diese Mafsregel wurde häufig Leuten 
gegenüber angewandt, die aus politischen oder 
besser dynastischen Gründen der Verbannung an- 
heimgefallen waren. 

Die Sitte der gewaltsamen Einweihung wie 
viele andere „böse" Sitten kamen zu uns aus 
Byzanz. Dort wurden oft Leute gegen ihren Willen 
zu Mönchen gemacht, die, weltlich lebend, der Kirche 
oder ihren Vertretern schaden konnten. Die Kaiser 
verschickten die ihnen gefährlichen Verwandten und 
Höflinge in die Klöster, die Männer ihre Frauen, 
wenn sie sie nicht mehr liebten oder aus einem 
anderen Grunde nicht mehr bei sich haben wollten. 
„Die gewaltsam dem Mönchstande Geweihten, die 
also vor Gottes Antlitz auf alle weltlichen An- 
sprüche verzichten, die Welt verlassen und ihre 
Rechte aufgeben mufsten, räumten auf diese Weise 
ihren Verfolgern für immer und unabänderlich den 
Platz." ^ In Rufsland machten von dieser Sitte 
gern Gebrauch: die Grofsfürsten Iwan III., 
Wassilij Iwanowitsch, Iwan der Schreckliche, 
Boris Godunow und manche der nachfolgenden 
Kaiser. 

Wir lassen hier einige von den Klöstern folgen, 
die — abgesehen von dem Solowezky-Kloster und 



^ Die rechtgläubige Grofsfürstin Solomonia (Saburow) 
als Nonne „Sophie^ genannt. 



— 29 — 

dem Susdalschen — zum Verbannungsort bestimmt 
waren. Diese Klöster sind : Nikolajewski Korelski, 
Gouvernement Archangelsk; Sijsk, an der Dwina; 
Spas - Priluzk , in der Nähe von Wologda; Now- 
gorod-Sjewerski, Kirillo-Bjelooserski, Walaam, Spas- 
Preobraschenski in Staraja Russa; Jurjewski, in 
der Nähe von Nowgorod; Pskowski, Swijaschski, 
Gouvernement Kasan; Dalmatow - Uspenski , Gou- 
vernement Perm ; Troizki Selenginski , in der Nähe 
von Baikal ; Wosnesenskij, Uspenskij, Nertschinskij 
usw. Das sind alles Männerklöster. Die Frauen 
wurden hauptsächlich in folgende Frauen- 
klöster verbannt: Pokrowski und Risopoloschenski 
in der Stadt Susdal, Gouvernement Wladimir; 
Dalmatowski Wwedenski , Gouvernement Perm ; 
Kaschinski, Gouvernement Twer ; Jenissejski, Bosch - 
destwenski, Irkutski, Snamenski u. a. 

Die Verbannungs- und Einkerkerungsver- 
hältnisse waren in allen diesen Klöstern dieselben, 
wie im Solowezky- und Susdalkloster. So z. B. 
wurde bezüglich der obenangeführten sibirischen 
Klöster in den Blättern berichtet, dafs sich darin 
„grofse Gefängnisse befanden", in die Baskolniki 
und andere wichtige Verbrecher geworfen wurden. 
Dabei wurden viele nicht nur ohne nähere An- 
gabe ihrer Schuld in die Verbannung geschickt, 
sondern nicht einmal ihre Namen wurden genannt. 
Auf diese Weise figurierten sie als anonyme 
Verbrecher. 

„Die Verbannten standen unter der Verant- 
wortung der Klosterbehörden. Die Klostervor- 
steher hatten sich diesbezüglich mit den Wojewod- 



— 30 — 

Schäften ins Einvernehmen zu setzen/ Die Sträf- 
linge dieser Klöster wurden in einzelnen Kasematten 
gehalten oder in „Zellen" und zwar gefesselt. 
Besonders waren die Gefängnisse des Troizki- 
Selenginski-Klosters überfüllt. 

Die gleichen Verbannungsverhältnisse hatten 
bei den Sträflingen selbstverständlich die gleichen 
Folgen, nämlich den frühzeitigen Tod und einen 
grofsen Prozentsatz psychischer und geistiger Er- 
krankungen. „Viele Menschen, die ohne Angabe 
ihrer Namen verbannt wurden , sind dort (d. h. im 
Troizki - Selenginski - Kloster) zugrunde gegangen, " 
sagt der Verfasser des Artikels: ,Die Verbannung 
bedeutender Männer nach Ostsibirien.' „Aus den 
Meldungen der Klostervorsteher ist zu ersehen, 
dafs sie ab und zu die Obrigkeit des Selenginski- 
Klosters von dem Tode der namenlosen Gefangenen 
in Kenntnis setzten. In einer der zwei Zuschriften, 
die ich zu Gesicht bekommen habe, bringt eine 
Klosterbehörde zur Kenntnis, dafs zwei unbekannte 
Verbrecher infolge der langen Kerkerhaft den Ver- 
stand verloren haben und bald darauf gestorben 
sind. Die andere Zuschrift berichtet: Nach der 
Aufhebung der Geheimkanzlei wurde der Ver- 
waltung des Selenginski - Klosters befohlen, alle 
Gefangenen zu befreien, wobei es sich herausstellte, 
dafs alle Gefangenen, die darin waren, ge- 
storben waren und nur einer am Leben geblieben 
war, der einstmalige Padporutschik des sibirischen 
Infanterieregiments, Rodion Kowalew, der in Einzel- 
haft des Klostergefängnisses mehr als 25 Jahre in 
Fesseln zugebracht hatte. Als dieser unglückliche 



— 31 - 

Märtyrer aus der Zelle (!) entlassen wurde, war er 
schon ganz wahnsinnig und konnte fast kein Wort 
mehr sprechen. Dem Berichte des Klostervorstehers 
über den Zustand Kowalews zufolge wurde be- 
fohlen, den Gepeinigten seinen Verwandten zu über- 
geben, falls solche vorhanden sind." ^ In demselben 
Artikel finden wir manche Angaben über die Ge- 
fängnisse in den Frauenklöstem. Es stellte sich 
heraus, dafs in dem Roschdestwenski - Kloster zu 
Jenisseisk „eine besondere Gefängisabteilung mit 
eisernem Gitter für den Aufenthalt der Verbreche- 
rinnen weiblichen Geschlechts eingerichtet war". 
In früherer Zeit wurden in dieses Kloster viele 
Frauen verbannt, oft ohne Angabe der Namen. 
„Auch solche Verbrecherinnen befanden sich dort, 
die, zur ewigen Kerkerhaft verurteilt, in besonderen 
Zellen (d. h. Kasematten) gehalten wurden und 
nicht einmal in die Kirche gehen durften. Die 
Verbannungsstrafe von Personen weiblichen Ge- 
schlechts hatte verschiedene Stufen : manche wurden 
für eine bestimmte Frist verbannt und konnten 
dann wieder zurückkehren, die anderen hingegen, 
die wichtigeren Verbrecherinnen, kamen in den 
Klostergefängnissen für immer um." * 

Es ist zu bemerken, dafs viele der oben auf- 
gezählten Klöster nicht nur in den früheren Zeiten, 
sondern auch in einer viel späteren Epoche, näm- 
lich im Laufe des eben verflossenen 19. Jahr- 
hunderts, zum Verbannungsort bestimmt wurden. 



^ Yerbannung bedeutender Männer nach Ostsibirien. 
Russkoje Slowo. 1861, August, p. 24 — 25. 
2 Ebenda. 



— 32 — 

IX. 

Bei dem Übergang zum 19. Jahrhundert durften 
wir freilich hoffen, dafs, wenn dieses Zeitalter der 
Humanität und Freiheitsbestrebungen die Kloster- 
verbannung, diese mittelalterliche Bestrafungsform 
nicht völlig unmöglich mache, so würde es doch 
wenigstens die Verhältnisse in den Klostergefäng- 
nissen und die Lage der Sträflinge darin günstig 
beeinflussen. 

Leider aber rechtfertigte die Wirklichkeit diese 
Hofltaung nicht. Die Klostergefängnisse sind uns 
erhalten geblieben und nicht nur erhalten ge- 
blieben, sondern aus dem verflossenen Jahrhundert 
in das neue 20. mit gleichen Befugnissen über- 
gegangen. . . . 

Sind sie nun besser geworden? Hat sich die 
Lage derjenigen verbessert, die zur Einkerkerung 
in diese Gefängnisse verurteilt sind? Zweifellos, 
im Verhältnis zum 17. und zur ersten Hälfte des 

18. Jahrhunderts haben sich die Verhältnisse be- 
deutend gebessert. Schon gegen Anfang des 

19. Jahrhunderts waren die monströsen unter- 
irdischen Gefängnisse, die „steinernen Säcke", in 
den Klostermauern und Türmen, in denen die Ras- 
kolniki, Sektierer und andere „Ketzer" eingemauert 
wurden, längst vergessen; vergessen waren die 
Peitschen und Knuten, „das schonungslose Prügeln" 
der Sträflinge, die in den Klostergefängnissen ihre 
Strafen abzubüfsen hatten. Dennoch kann auch 
jetzt in unseren Tagen die Lage der Kloster- 
gefangenen nicht anders als eine äufserst schwierige 



~ 33 — 

und entsetzliche — im vollen Sinne des Wortes — 
bezeichnet werden. 

Bevor wir jedoch über die gegenwärtige Lage 
der Klostergefängnisse sprechen, müssen wir uns, 
wenn auch in allgemeinen Zügen, mit den Ver- 
hältnissen der Klüsterverbannung vertraut machen, 
wie sie sowohl in der ersten als auch noch in der 
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestanden 
haben. Das wird uns die Möglichkeit geben, dar- 
über zu urteilen, wie langsam und mit welchen 
Schwierigkeiten Veränderungen zur Besserung der 
traurigen Lage der Klostergefangenen auf diesem 
Gebiete vor sich gehen. 

In bezug auf die Behandlung der Gefangenen 
im Gefängnis des Solowezky - Klosters teilt Herr 
Koltschin mit, dafs seit dem Anfang des 19. Jahr- 
hunderts „die Lebensweise der Gefangenen sich 
etwas gebessert hat. Sie wurden nicht mehr in 
feuchten und schwülen Kasematten untergebracht, 
sondern in neuen Arrestantenkammern gehalten, 
die mehr Licht haben und trocken sind. Gefangene, 
die nicht besonders isoliert gehalten werden müssen, 
werden nur des Nachts eingesperrt, am Tage aber 
dürfen sie in den Korridoren frei miteinander ver- 
kehren und einander besuchen." 

Es ist jedoch zu beachten, dafs die Lage der 
Klostergefangenen gewissermafsen von dem persön- 
lichen Willen und den persönlichen Eigenschaften 
des Vorstehers abhängt. „Vieles in bezug auf die 
strenge resp. milde Behandlungsweise der Arre- 
stanten" — schrieb Herr Koltschin — »hing von dem 
Vorsteher des Klosters ab, der in Solowki der Gott 

Prugawin, Die Xnquis. d. niss.-orthod. Kirche. 3 



— 34 — 

und der Zar selbst war. Unter guten und humanen 
Vorstehern lebten die Arrestanten erträglich: sie 
wurden an Feiertagen in die Kirche geführt; sie 
durften sich selbst Wasser aus der Grube, die etwa 
eine halbe Werst vom Kloster entfernt war, und 
der Reihe nach Nahrung aus der Klosterküche 
holen; jede Woche konnten sie baden; Spazier- 
gänge wurden ihnen erlaubt. 

Aber das alles wurde nur im Winter gestattet, 
wenn das Kloster niemand aufsuchte; im Sommer 
jedoch durften die Gefangenen das Kloster nicht 
verlassen. Die Kirche, das Wasserholen, alles wurde 
ihnen verboten; nur zum Baden wurden sie am 
frühen Morgen geführt, wenn alles noch schlief." 

So lebten die Klostergefangenen in der ersten 
Hälfte des 19, Jahrhunderts unter „guten und 
humanen" Vorstehern. Sobald jedoch das Amt des 
Vorstehers ein Mann anderen Schlages und anderer 
Anschauungen antrat, veränderte sich die Lage der 
Gefangenen schroff und rasch. 

So z. B. „war die Lage der Gefangenen im 
Solowezky - Kloster unter grausamen und strengen 
Vorstehern unerträglich: man liefs sie in schwülen 
Zellen schmachten, ohne sie auch nur zur Verrich- 
tung der Notdurft herauszulassen, sie wurden schlecht 
genährt, die Beschwerden über die schlechte Be- 
handlungsweise seitens der Bewachung, die sich 
vor der Obrigkeit auszeichnen wollte, blieben un- 
berücksichtigt, Spaziergänge wurden verboten" ^ 

Ein Gefangener des Solowezky-Klosters, Pfarrer 



Russkaja Starina, 1887, Nr. 10. 



— 35 — 

Lasarowski, schildert die Verhältnisse der Kloster- 
verbannung unter dem Archimandriten Dossifei 
Njemtschinow im Anfange der 30 er Jahre folgender- 
mafsen : „Das Solowezky-Gefängnis unter dem Archi- 
mandriten Dossifei war wirklich unerträglich. In 
jeder Zelle, die drei Meter in der Länge, etwas 
über zwei Meter in der Breite hatte und fast 
immer geschlossen war, befanden sich je zwei Arre- 
stanten. Zwischen den zwei Betten war nur so viel 
Baum, dafs kaum noch einer durchgehen konnte. 
Die Fenster hatten keine Luftlöcher, so dafs die 
auch sonst schwüle Luft zum Ersticken wurde. 
Nur Gottes Erbarmen rettete die Dulder. Die Ge- 
fangenen durften nicht einmal den geeigneten Ort 
zur Verrichtung der Notdurft aufsuchen. Nur ein- 
mal im Tage wurden die Gefäfse aus den Zellen 
entfernt und gereinigt. Die Nahrung war ärmlich ; 
die Gefangenen waren schon entzückt, wenn man 
ihnen ab und zu weiches Brot brachte. In langen 
Winternächten gestattete man den Gefangenen nicht, 
bei Licht das Abendbrot einzunehmen. Daher 
konnten sie nur tastend die Nahrung zu sich nehmen. 
Alle Leiden unter jenen Verhältnissen sind jedoch 
nicht aufzuzählen." ^ 

Man braucht nur einen Augenblick diese kurze 
und einfache Schilderung zu betrachten, um sich 
jene wahrhaft entsetzliche Lage, jenes Märtyrer- 
tum vorzustellen, zu dem die unglücklichen Arre- 
stanten des Klostergefängnisses verdammt waren: 
Indessen war gerade in den dreifsiger Jahren die 



^ Ebenda p. 64. 

3* 



— 36 — 

Verbannung in die Klostergefängnisse besonders ver- 
breitet. Überhaupt war Kaiser Nikolaus I. ein grofser 
Anhänger dieses Strafsystems, das während seiner 
ganzen Begierungszeit auch sehr häufig angewandt 
wurde. Er verbannte nicht nur religiöse, sondern 
auch politische Verbrecher ins Kloster. So wurden 
während seiner Regierungszeit 1828 unter anderen 
die Studenten der Moskauer Universität Nikolai 
Popow und Michail Kritski als „Teilnehmer der 
Verschwörung" (Decabristen)nach Solowki verbannt. 
Viel später, nämlich 1850, wurde der frühere Stu- 
dent und Adlige aus Poltawa, Georg Andrusski 
„wegen gefährlicher Gesinnung und schädlicher 
Werke" ins Solowezky-Gefängnis gebracht. 

Die Verbannung nach Solowki drohte auch 
einmal unserem grofsen Dichter A. S. Puschkin. 
Seine bekannte „Ode an die Freiheit" und die 
Tatsache, dafs er im Theater seinen Nachbarn das 
Bild von Luwel, dem Mörder des Herzogs von B., 
zeigtiö, riefen die Verfolgung der Administration 
gegen ihn hervor. Puschkin drohte die Anklage- 
bank imd die Verbannung nach dem 
Solowezky-Kloster oder nach Sibirien. Dank 
dem energischen Eintreten seiner Freunde entging 
der Dichter zum Glücke Bufslands der drohenden 
Gefahr. .Anstatt nach Solowki wurde er nach 
Jekaterinoslaw gebracht. A. S. Puschkin war nicht 
der einzige Vertreter der Literatur, dem die Ver- 
bannung ins Kloster drohte. Viel später, und zwar 
Anfang der sechziger Jahre, wurde der bekannte 
Schriftsteller A. P. Stschapow wegen Abhaltens 
einer Trauermesse für Popow, der die Bauern- 



— 37 - 

Unruhen im Dorfe Besdna, Gouvernement Kasan, 
verursacht hatte, zur Verbannung nach dem 
Solowezky-Kl oster verurteilt. Prof. N. J. Aristow, 
der Biograph Stschapows, teilt mit, dafs die Heilige 
Synode, nachdem die Studenten der geistlichen 
Akademie in Kasan (die der Trauermesse beiwohnten) 
verhört worden waren und vielen von ihnen die Strafe 
zudiktiert worden war, beschlossen hatte, Stschapow, 
als Angehörigen des Departements für kirchliche 
Angelegenheiten, ins Solowezky-Kloster zu 
verbannend 

Aristow zufolge hat es viel Mühe gekostet 
das Urteil der Synode zu verhindern. Stschapow 
aber hatte dadurch viele Unannehmlichkeiten, so 
dafs er einmal unüberlegt ein Gesuch einreichte, 
man möchte ihn lieber nach Sibirien verbannen, 
als ins Solowezky-Kloster, „diese Grube der Hölle". 
Einige hochgestellte Persönlichkeiten traten für 
Stschapow ein , und es gelang ihnen , zu bewirken, 
dafs er, vom Zaren begnadigt, einem geistlichen 
Gerichte nicht mehr unterstellt werden durfte^. 

Wenn es Stschapow, dank dem Eintreten ein- 
fiufsreicher Persönlichkeiten, gelungen war, dem 
Solowezky-Gefängnisse aus dem Wege zu gehen, 
so mufste dafür ein anderer Teilnehmer an dieser 
Geschichte, der Pfarrer Jachontow, der die Trauer- 
messe für Popow gelesen hatte, stark büfsen: er 
wurde gemäfs dem Beschlüsse der Heiligen Synode 
nach dem Solowezky-Kloster verbannt. Diese Ver- 



^ N. J. Aristow, A. P. Stschapow. 
8 Ebenda. 



- 38 -- 

bannung hatte auf ihn einen sehr traurigen Einflufs 
gehabt. Jachontow wurde psychisch krank. Später 
wurde er, nachdem er wiederhergestellt war, 
Mönch des Solowezky-Klosters, dann als Missionär 
nach Sibirien gesandt. 

X. 

Die Instruktion der zwanziger und dreifsiger 
Jahre über die Behandlungs- und Beaufsichtigungs- 
weise der Arrestanten im Klostergefängnisse 
zeichnet sich durch grofse Strenge aus. In den 
wichtigeren Fällen gab es sogar zwei Instruktionen : 
eine von einer Zivilbehörde, dem Ministerium des 
Innern, die andere von einer geistlichen Behörde. 
Z. B. bei der Verbannung des Begründers der Skopzy- 
sekte (Schneidlinge) , des berühmten Kandratius 
Seiiwanow, nach dem Spas-Euphimius-Kloster zu 
Susdal im Jahre 1820 wurde aufser der Instruktion 
des Grafen Kotschubej, des Ministers des Innern, an 
den Archimandriten dieses Klosters, noch eine be- 
sondere Instruktion geschickt, die von dem Metro- 
politen von St. Petersburg und Nowgorod, Michail, 
verfafst und eigenhändig geschrieben war. 

Diese Instruktion betont hauptsächlich folgende 
vier Punkte: 1. Der Arrestant darf keinen Ver- 
kehr haben, aufser mit denjenigen aus dem Mönchs- 
stande, die der Archimandrit behufs Bekehrung 
und Erbauung für ihn bestimmt hat. 2. Er darf 
keine Briefe, Sendungen und Liebesgaben empfangen; 
er mufs von jedem Verkehr mit fremden Menschen 
ferngehalten werden. 3. Sein Aufenthaltsort mufs 
unter allen Umständen geheimgehalten werden, 



-So- 
und endlich 4. der ganze Eorrespondenzwechsel in 
dieser Sache mufs strenges Geheimnis bleiben. 

Der Gouverneur der Stadt Wladimir nahm die 
Instruktion an und schrieb seinerseits an den 
Archimandriten : „Um die Versuche der Gesinnungs- 
genossen, mit dem Arrestanten in den Verkehr zu 
treten , zu verhindern , halte ich es für notwendig, 
dafs sein Aufenthaltsort von wenigstens vier Mann 
aus der Klostergarnison bewacht wird; damit alle 
Ihre Forderungen in dieser Sache genau und un- 
ablässig erfüllt werden, habe ich zugleich mit 
diesem eine strenge Verordnung an den Vor- 
gesetzten des Invalidenkommandos in Susdal erteilt." 
Aufserdem bittet der Gouverneur den Archiman- 
driten, nach Ablauf eines Monats ihm Mitteilungen 
über „den Gesundheitszustand, Gesinnung und Lebens- 
weise des Arrestanten zu machen und festzustellen, 
ob Versuche seitens der Gesinnungsgenossen, mit dem 
Gefangenen in Verbindung zu treten und seinen Auf- 
enthaltsort zu entdecken, stattgefunden haben". 

Nur ein Mensch durfte in das Geheimnis der 
Gefangenschaft Seiiwanows eingeweiht werden, — 
nämlich der Susdalsche Stadtkommandant Makow. 
„Er(Makow)hat die Pflicht," schrieb der Gouverneur 
an den Archimandriten, „jede Bewegung der Gre- 
sinnungsgenossen des Gefangenen, ihre Ankunft usw. 
insgeheim zu verfolgen, persönlich Eure Ehrwürden 
davon in Kenntnis zu setzen und, falls es not- 
wendig ist, Ihre Forderungen zu erfüllen." 

Um das Geheimnis strenger zu bewahren, 
wurde es verboten, selbst im Briefwechsel den 
Namen des „geheimen Gefangenen", d.i. Seiiwanows, 



— 40 - 

anzuführen, und vorgeschrieben, ihn nicht anders 
zu nennen „als den Greisen, den Führer der 
Skopzysekte". Die Akten Seiiwanows, die sich im 
Klosterarchive befinden, führen den Titel: „Das 
Geheimaktenstück von dem Greisen, dem Führer 
der Skopzysekte, der mit dem Schreiben des 
Grafen Kotschubej am 17. Juli 1828 hierher ein- 
getroflFen war. Name unbekannt." Allein, alle 
diese Mafsregeln haben, wie aus den eigentlichen 
Akten zu ersehen ist, ihr Ziel nicht erreicht. 
Von Seiiwanows Verbannung nach dem Susdal- 
kloster erfuhren seine Anhänger und alle anderen, 
die um sein Schicksal besorgt waren, bald. Die 
strengen Mafsregeln der Bewachung und Beauf- 
sichtigung haben ebenfalls nichts geholfen: trotz 
der Einzelhaft gelang es Seiiwanow mit seinen 
Anhängern in Verkehr zu treten. 

Graf Araktschejew , der zur Zeit am Ruder 
war, erschien als ein grofser Anhänger des Systems 
der Klosterverbannung. Während der ganzen Zeit 
seiner Herrschaft fand die Verbannung der „reli- 
giösen Verbrecher" nach den Klöstern trotz der 
sanften und humanen Art Alexanders I. die weiteste 
Verbreitung. Unter anderen wurden zur Zeit des 
grausamen Günstlings die berühmten Mystiker 
jener Zeit, die Gutsbesitzer aus dem Gouvernement 
Rjasan: A. P. Dubowizki und L. M. Gagin, nach 
den Klöstern verbannt. Der erste nach Kirillo- 
Bjelooserski-Kloster, der zweite nach Walasmow*. 
In den dreifsiger Jahren befürwortete das System 



^ Dubrowin: „Unsere Mystiker", „Russkaja Starina" 
1895/96. 



- 41 - 

der Klosterverbannung „wegen religiöser Ver- 
irrungen und behufs Bekehrungen der Verbrecher" 
unter anderen der bekannte General Dübelt, der 
Vorgesetzte des Gendarmeriekorps. Auf seine Ver- 
anlassung begannen die Verfolgungen gegen die 
Mitglieder des religiösen „Bruderbundes" ; an 
dessen Spitze E. F. Tatarinowa, geborene Baronin 
Buxgefoen, stand. Der Prozefs, den Dübelt 
gegen diesen „Bund" angestrengt hatte, schlofs 
mit einer ganzen Reihe von Klosterverban- 
nungen ab. Tatarinowa wurde nebst ihrem Zög- 
ling Wassiljewa nach dem Katschinski - Frauen- 
kloster im Gouvernement Twer verbannt, Geheim- 
rat Popow ins SUantow-Kloster von Kasan, wo er 
auch starb; der Staatsrat Pilenski in das Susdal- 
sche Spas-Euphimius- Kloster; Titulärrat Fedorow 
ins Juqewski- Kloster und seine Frau ins Swja- 
toduchow-KIoster der Eparchie Nowgorod usw. 

XI. 

Wie in den fernen früheren Zeiten wird auch 
jetzt bei der Verbannung ins Kloster die Strafzeit, 
die der Verbrecher zu verbtifsen hat, nicht angegeben. 
In den Erlassen und Verordnungen, mit denen 
die Verbannten eintrafen, wurde in der Regel nur 
vorgeschrieben, „sie bis zur Bereuung", oder „bis sie 
sich gebessert haben", oder einfach „bis sie still 
geworden sind", im Gefängnis zu halten, ohne jede 
Angabe der Frist. Die Fristlosigkeit der Ver- 
bannung und Gefängnishaft erschwert freilich am 
meisten die ohnedies äufserst traurige Lage der 
Verbannten und Sträflinge der Klöster. 



— 42 — 

Um eine Vorstellung davon zu geben, wie 
dauernd mitunter die Einkerkerung in den Kloster- 
gefängnissen war, führen wir hier einige Angaben 
an, deren Richtigkeit keineswegs bezweifelt werden 
kann. In der „Russkaja Starina" hat Herr 
Koltschin unter anderem eine Liste der Gefangenen 
veröffentlicht, die im Juli 1885 im Solowezky- 
Gefängnis safsen. 

Diese Liste wurde auf Veranlassung des Ober- 
prokurators der Heiligen Synode, Geheimrat A. J. 
Karasewski, von dem Archimandriten des Klosters 
Alexander aufgestellt. In dieser Liste sind 19 Ge- 
fangene angegeben, von denen einige — es ist 
schrecklich zu sagen — 20, 30, 40, 50, 60 und 
mehr Jahre im Gefängnis gesessen haben ! 

So z. B. hat der Abt des Selenginski-Klosters, 
Israel, der wegen der Begründung einer neuen 
Sekte und „sonstiger gotteswidriger Handlungen" 
seine Abtwürde verloren hat und dem Pfarrer- und 
Mönchstande enthoben wurde, 21 Jahre im Ge- 
fängnisse gesessen. Der Bauer des Gutsbesitzers 
Durnowo aus dem Gouvernement Kaluga, Stepan 
Sergejew, „hat deshalb, weil er sich nach altgläu- 
biger Art bekreuzte und aus religiösem Fanatismus 
Albernheiten verbreitete", 25 Jahre im Gefängnisse 
gesessen. Der Bauer aus dem Gouvernement Saratow, 
Bezirk Otokark, Jegor Afanasjew , hat „wegen der 
Nichtbefolgung der ihm auferlegten Kirchenbufse, 
der Ermordung seines Söhnchens und des Über- 
ganges von der Orthodoxie zum Raskol" 29 Jahre 
im Gefängnisse gesessen. 

Der Kleinbürger aus Petersburg Semjon 



- 43 — 

Konono w hat „wegen Übergangs zur Skopzy- 
sekte und Verharrens in den verderblichen Irr- 
tümern" 33 Jahre im Gefängnisse gesessen. Der 
Bauer des Grafen Golowkins, Anton Dmitrijew, 
hat „wegen Kastrierung und Verbreitung der 
Skopzysekte" 37 Jahre im Gefängnisse gesessen. 
Der Bauer aus dem Gouvernement Wjatka Semen 
Schubin, der auf Allerhöchste Bestimmung, die 
seiner Verurteilung vom Regierungssenat wegen 
Altgläubigkeit, Kirchenlästerung und Beschimpfung 
der heiligen Sakramente folgte, verbannt wurde, 
hat 43 Jahre im Gefängnisse gesessen. In dem 
Momente, als seine Akten veröffentlicht wurden, 
im Juli 1855, zählte er 88 Jahre. 

Man kann sich leicht den Zustand der Ge- 
fangenen vorstellen, die 30, 40 und mehr Jahre 
im Klostergefängnisse gesessen haben. 

Äufserst interessant sind — trotz ihrer Kürze 
und Mangelhaftigkeit — die Charakteristiken, die 
der Archimandrit von jedem Gefangenen gibt. Ich 
führe hier einige davon an. Von dem Bauern 
Semen Schubin, der 43 Jahre im Gefängnisse ge- 
sessen hat, heifst es: „Die Strafzeit ist unbestimmt. 
Wegen seines hohen Alters verläfst er die Zelle 
nie; meistens liegt er im Bette. Ins Bad wird er 
im Wagen geführt. Er kann nur sehr schlecht 
lesen und liest keine Bücher aufser seinem 
eigenen Psalmbuche; die Kirche besucht er 
nie, da er sie hafst. Leidet an Windbruch, 
kann aber nicht geheilt werden, da es hier keine 
Ärzte und keine Arzeneien gibt. Begriffisschwer, 
geistig gesund. Bei jeder Gelegenheit wird ver- 



— 44 — 

sucht, ihn zu bekehren; da er aber in seiner 
Ketzerei alt geworden, hört er auf nichts, und es 
ist ausgeschlossen, dafs er jemals Abbitte 
tut. Sein Charakter ist zänkisch und auf- 
rührerisch. Wegen Verharrens in der Ketzerei 
und wegen des hohen Alters mufs er in dem gegen- 
wärtigen Zustand verbleiben." Der Schlufs, den 
der Archimandrit daraus zieht, ist wirklich uner- 
wartet. Nachdem er selbst Schubin als einen 
unwissenden stupiden Greis schildert, der noch 
dazu nahe am Sterben ist, dürfte man wohl er- 
warten, dafs er seine sofortige Freilassung aus 
dem Gefängnisse beantragen würde. Der un- 
glückliche 90jährige Greis, der mit einem Fufse 
schon im Grabe steht, kann doch wahrhaftig für 
die orthodoxe Kirche und Religion nicht mehr ge- 
fährlich sein. 

Von dem Bauern Anton Dmitrijew, der 37 
Jahre im Gefängnisse gesessen hat, schreibt der 
Archimandrit folgendes: „Er ist 81 Jahre alt. 
Ist für immer eingekerkert. Wird aus der 
Zelle nur zum Spaziergang im Korridor heraus- 
gelassen. Im Sommer darf er seinen Spaziergang 
auch im Gefängnishofe machen. Ist Analphabet 
und hört nur zu, wenn die anderen lesen. Die 
Kirche besucht er nicht. Ist verschlossenen 
Charakters und geistig gesund. Es wird versucht, 
ihn zu bekehren. Er hört aber auf nichts. Es 
ist ausgeschlossen, dafs er Abbitte tut; 
sein Verhalten ist ruhig. Infolge seiner gefähr- 
lichen Ketzerei (Skopzy) mufs er im Gefängnisse 
verbleiben." In diesem Sinne lauten die meisten 



— 45 — 

Charakteristiken bezüglich der Arrestanten, die im 
Elostergefängnisse sitzen. 

Nur für sehr wenige läfst der Archimandrit 
gewisse Erleichterungen zu. So z. B. schreibt der 
Archimandrit in bezug auf den Katholiken und 
Gouvemementssekretär Josif Dubowski, der wegen 
„Frechheit und Gotteslästerung" ins Kloster ver- 
bannt wurde: „Er ist klug, aber von seiner Ketzerei 
gefangen ; scheinbar krank ; ihm kann im Solowezky- 
Kloster nicht geholfen werden. Man versucht ihn 
auf den richtigen Weg zu bringen, indem man sich 
auf seine lateinische Religion stützt. Das wirkt 
aber nicht. Er nennt seinen Glauben jüdisch- 
christlich; Gottesbilder läfst er in seiner Zelle 
nicht zu. Er wollte den Eid der Untertanentreue 
nicht leisten. Wenn die Regierung seine Über- 
führung nach einem katholischen Kloster oder nach 
einer Stadt, wo es katholische Geistliche gibt, ver- 
ordnen wollte, so wäre es leichter, ihn in einen 
gesunden physischen und sittlichen Zustand zu 
bringen und seinen vollen Verstand zu retten; in 
der gegenwärtigen Haft ist es unmöglich, ihn geistig 
zu heilen; er ist reizbar und jähzornig und wartet 
auf Grund geheimnisvoller Zeichen und infolge 
seines kranken Zustandes auf das Eintreffen irgend- 
welcher Ereignisse. Er verdient Nachsicht und 
Erleichterung seines Schicksals durch Überführung 
in ein anderes Kloster." Einige der Arrestanten, 
die auf der Liste verzeichnet sind, wurden, gleich 
Anton Dmitrijew, für immer eingekerkert. Da- 
von haben von neunzehn acht im Jahre 1855 im 
Solowezky-Kloster gesessen. Auf diese Weise waren 



— 46 — 

diese acht MeDScheD, die zur lebenslänglichen Haft 
verurteilt wurden, dadurch auch zum Tode inner- 
halb der Kloßtermauern verurteilt. Es gab aller- 
dings nur sehr seltene Ausnahmen auch hier: 
manche, die zu lebenslänglicher, ewiger Haft ver- 
urteilt waren, wurden noch vor dem Tode frei. 

In der Regel ging es folgendermafsen vor sich ; 
irgendein Administrator oder ein anderer Würden- 
träger erfuhr z. B. während seines Besuches im 
Kloster, dafs unter den Gefangenen sich einer be- 
findet, der hier 50 oder 60 Jahre in Haft ist. Die 
Mitteilung mufste selbstverständlich einen starken 
Eindruck auf ihn machen. Da beeilt sich auch der 
Würdenträger, die Freilassung des greisen Sträf- 
lings, der, von allen vergessen, im Gefängnisse sitzt, 
zu beantragen. Manchmal hatten diese Art Gesuche 
einen günstigen Ausgang, und der Gefangene wurde 
in Freiheit gesetzt. 

Es ist jedoch gerechtermafsen hinzuzufügen, 
dafs es nicht selten auch Fälle gab, wo die Frei- 
heit zu spät kam : der Gefangene, der sein ganzes 
Leben innerhalb der Gefängnismauern zugebracht 
hatte, hatte nicht mehr die Kraft, die Freiheit zu 
geniefsen, die man ihm vor dem Tode zurückgab. 
Das war z. B. der Fall mit dem oben erwähnten 
Anton Dmitrijew. Aufserordentlich traurig war 
das Schicksal dieses Menschen: er hat in den 
Solowezky-Kasematten ganze 65 Jahre in Einzelhaft 
gesessen ! 

Er zählte bereits 90 Jahre, als ihm der Kloster- 
vorsteher plötzlich erklärte, dafs er freigelassen wird, 
dafs er endlich das düstere Gefängnis, in dem sein 



— 47 — 

ganzes Leben begraben wurde, verlassen und nach 
allen Windesrichtungen sich begeben kann . . . 
Der unglückliche Greis erklärte, dafs er niemanden 
mehr habe, zu dem er gehen könnte, da alle seine 
Beziehungen zur Heimat und zu den Verwandten 
längst gelöst waren, und wollte das Gefängnis nicht 
verlassen. Da wurde es ihm grofsmtitig erlaubt, 
„bis zu seinem Lebensende im Gefängnisse zu ver- 
bleiben", und zwar nicht mehr als Gefangener, Er 
ist 1880 gestorben, „ohne seine Verirrungen zu be- 
reuen". 

Von den Personen, die ohne Angabe der Straf- 
zeit „bis zur Besserung" verbannt wurden, sind in 
der Arrestantenliste von 1855 elf angeführt. Dar- 
unter ist Semen Schubin z. B, 63 Jahre im Kloster- 
gefängnisse verblieben, da er bis zu seinem Tode 
„unerschütterlich in seinen Irrlehren verharrte". 
Er ist 1875, 89 Jahre alt, gestorben. Die letzten 
drei Jahre konnte er nicht mehr gehen ^. Hier 
mufs bemerkt werden, dafs bei weitem nicht alle 
Gefangenen ein so hohes Alter erreicht haben wie 
Anton Dmitrijew und Semen Schubin, Im Gegen- 
teil, viele Gefangene starben im Gefängnisse kurz 
nach ihrer Verbannung. So z. B. verlebte der 
Kollegienrat Bautysch - Kamenski , der am 29, De- 
zember 1828 ins Klostergefängnis zu Susdal ein- 
gekerkert wurde, nur einen Monat darin und starb 
am 22. Januar 1829. Der Moskauer Kleinbürger 
Feodor Schigarew, der wegen Raskol am 2, Novem- 
ber 1856 in dasselbe Gefängnis eingekerkert wurde. 



^ Russkaja Starina, 1887, Nr. 12, p. 614. 



— 48 — 

verlebte darin nur 25 Tage und starb am 27. des- 
selben Monats. Der Dekabrist Fürst Schachowski, 
der am 3. Februar 1829 in diesem Gefängnis ein- 
getroflfen war, starb am 24. Mai desselben Jahres*. 
Es gibt viele Gründe zur Annahme, dafs der erste 
Eindruck, den die Klostergefängnisse auf die Ge- 
fangenen machten, ungeheuer stark war und sie 
manchmal zur Verzweiflung trieb. Als der Stabs- 
kapitän Stschegolew, der 1826 wegen eines „reli- 
giösen Verbrechens" nach Solowki verbannt wurde, 
seine Zelle erblickte, geriet er in ein derartiges 
Entsetzen, dafs er sofort „ganz erzürnt dem Offizier 
der Wache erklärte, er würde sich den Kopf an 
der Wand zerschlagen , wenn man ihn länger hier 
behalten würde". 

Besonders schwierig war die Lage der Ge- 
fangenen, die geisteskrank waren. Und doch war 
die Zahl dieser Kranken in unseren Klöstern, be- 
sonders in früheren Zeiten, sehr grofs. Dies ist 
hauptsächlich auf folgende zwei Gründe zurück- 
zuführen : erstens boten unsere Klöster in früheren 
Zeiten, da es keine Spezialanstalten für Geistes- 
kranke gab, eine Zufluchtsstätte für sie. Dahin 
wurden oft Menschen — nicht selten fürs ganze 
Leben — verbannt, die im wahnsinnigen Zustande 
ein Verbrechen begangen hatten. Andererseits 
mufsten die äufserst schwierigen Verhältnisse der 
Einzelhaft in den Klostergefängnissen eine Zer- 
rüttung der Seelentätigkeit auch bei ganz gesunden 
Menschen hervorrufen, die in diese Gefängnisse ge- 



Aus offiziellen Aktenstücken. 



— 49 — 

raten sind und dort lange Jahre, oft Jahrzehnte 
zugebracht haben. Wir haben bereits früher er- 
wähnt, dafs der Prozentsatz der psychischen Er- 
krankungen unter den Elostergefangenen sehr 
grofs ist. 

Unter den 50 Gefangenen, die 1835 im Solowezky- 
Kloster safsen, gab es viele, die mehr oder minder 
an Geisteszerrtittung. litten. Darauf weist unter 
anderem sowohl der Charakter der von ihnen be- 
gangenen Verbrechen als auch ihre Charakteristik 
seitens der Klosterbehörden hin. So z. B. heifst 
es, dafs ein Bauer, der Raskolnik Stepan Sergejew 
„wegen Albernheiten, die er im religiösen Wahn- 
sinn verbreitete", verbannt wurde. Abgesehen von 
solchen Subjekten, deren anormalen Zustand man 
nur vermuten kann, gab es unter den Gefangenen 
des Solowezky-Klosters fünf, die an deutlich aus- 
gesprochener Seelenzerrtittung im höchsten Grade 
litten. 

Der Handwerker des Modikowschen (?) Gufs- 
eisenwerkes Peter Potapow wurde wegen Er- 
mordung seines Vaters Potaps und dessen Frau 
Praskowja im Zustande des Wahnsinns 1828 zur 
ewigen Einkerkerung nach Solowki verbannt. 
Die Klosterbehörde versieht diesen Namen 1835 
mit folgender Anmerkung: „Ist im höchsten Grade 
wahnsinnig, weshalb die Heilige Synode ersucht 
wurde, ihn in eine Heilanstalt zu befördern." 

In noch entsetzlicherem Zustande befand sich 
der geisteskranke Gefangene Feodor Babotschij aus 
dem Militärbezirk Pskow, der 1830 „wegen der 
Ermordung seiner drei Töchter und seines Bruders 

Frugawin, Die Inquis. d. russ.-orthod. Kirche. 4 



— 50 — 

in wahnsinnigem Zustande und wegen vieler 
anderer Mordversuche" behufs Bufse für immer 
nach Solowki verbannt wurde. Die Klosterbehörde 
versieht seinen Namen mit folgender Anmerkung: 
„Ist jetzt stark wahnsinnig geworden und ifst sogar 
seinen eigenen Kot. Die Heilige Synode wurde 
ersucht, ihn, wohin es sich gehört, zu be- 
fördern." 

Endlich war unter den geisteskranken Ge- 
fangenen des Klosters der Porutschik Goroschankin, 
der 1833, als er im Solowezky-Gefängnisse safs, im 
Wahnsinnsausbruch einen Soldaten aus der Wache 
erstochen hatte. Dieser Mord lenkte die Auf- 
merksamkeit der Kegierungskreise auf ihn, weshalb 
auf Allerhöchsten Befehl eine Kevidierung des 
Solowezky- Gefängnisses verordnet wurde. Diese 
bestätigte die unmögliche Lage der Geisteskranken 
im Klostergefängnisse und brachte eine ganze Reihe 
von Einschränkungen, denen die Gefangenen un- 
verdientermafsen ausgesetzt waren, an den Tag. 
Einen schweren , niederschmetternden Eindruck 
machen diese kurzen, aber laut redenden Angaben 
über die Lage der Geisteskranken, die viele Jahre 
in den „Kasematten" und „Zellen" der Klöster 
schmachten mufsten, ohne Hilfe und ohne Pflege. 
Man darf jedoch bei der Beurteilung dieser Tat- 
sachen die allgemeinen Verhältnisse jener Zeit nicht 
vergessen. Man darf nicht vergessen, dafs eine 
humane und aufmerksame Behandlungsweise der 
Geisteskranken, die ein Verbrechen begangen 
hatten , erst in einer viel späteren Epoche, nämlich 
unter dem Einflufs des neuen, öflFentlichen Gerichts- 



— 51 — 

Wesens, in die Regierungskreise Eingang ge- 
funden hat. 

Es ist übrigens darauf hinzuweisen, dafs 
kranke Gefangene, gleichviel, welcher Art, im 
Solowezky-Gefängnisse überhaupt keine ärztliche 
Hilfe geniefsen. „Wird jemand krank, so kann er 
hier nicht geheilt werden, da es hier keine Ärzte 
und keine Arzneien gibt," berichtet der Archi- 
mandrit Alexander 1855 an der Oberprokurator 
der Heiligen Synode; „wenn aber jemand wahnsinnig 
geworden ist, so wurde er im Einvernehmen mit 
der höheren Obrigkeit in eine bestimmte private 
Krankenanstalt behufs Heilung befördert." * 

Allein , man mufs sagen , dafs die Beförderung 
nach einem Krankenhause nur in seltenen Ausnahme- 
fällen zugelassen wurde. Um dazu die Erlaubnis der 
Obrigkeit zu erlangen, brauchte man ein Jahr Kor- 
respondenz durch allerhand Kanzleiverschleppung. 



XIL 

Bis jetzt haben wir hauptsächlich von der 
Lage der Klostergefangenen in der ersten Hälfte 
des 19. Jahrhunderts und im Anfang der fünfziger 
Jahre gesprochen. Wenn wir dann zum Ende der 
fünfziger Jahre, zu den sechziger und siebziger 
Jahren übergehen, so müssen wir konstatieren, 
dafs gewisse liberale Einflüsse, die die eben ge- 
nannte Epoche auszeichnen, und denen Rufsland 
eine ganze Reihe grofser und wohltätiger Reformen 



Russkaja Starina, 1888, Nr. 2, p. 899. 

4« 



- 52 — 

verdankt, leider keine wesentliche Verbesserung 
in der Lage derjenigen gebracht haben, die der 
Verbannung und Einkerkerung in die Kloster- 
gefängnisse anheimfielen. 

Da ferner die Gesetze , welche das religiöse 
und geistige Leben des russischen Volkes regulieren, 
während dieser Zeit keine wesentliche Veränderung 
erfahren haben, so ist es klar, dafs.die Verhältnisse, 
in denen Millionen unserer Altgläubigen und 
Sektierer leben mufsten, ebenfalls dieselben ge- 
blieben sind wie vor den Reformen. Daher sehen 
wir, dafs gerade während der Blütezeit des Libe- 
ralismus Verfolgungen jeglicher Art gegen die 
Sektierer und Altgläubigen stattfinden. Und wenn 
diese Verfolgungen nicht den systematischen und 
bestimmten Charakter trugen, den sie während 
der Regierungszeit Nikolaus' I. hatten , so fand 
doch die Verbannung der Sektenführer, der Pfarrer 
und Bischöfe der altgläubigen Hierarchie nur zu 
häufig statt. 

Um nicht bei leeren Behauptungen zu bleiben, 
halten wir es für notwendig , hier einige Tatsachen 
anzuführen. 1854 wurden in das Susdalsche Eloster- 
gefängnis Altgläubige, die „auf türkischem Boden 
verhaftet waren", gebracht: Erzbischof Arkadius, 
Bischof Alimpius und Pfarrer Semenow ; 1859 wurde 
in demselben Gefängnisse der im „Gouvernement 
Kiew verhaftete" altgläubige Bischof Konow ein- 
gekerkert. Im gleichen Jahre ist ein Prozefs ent- 
standen wegen der Begründung einer besonderen 
Sekte am Ural, die den Namen „Die Brüder- 
schaft Gottes" erhalten hatte. Infolge dieses 



— 53 — 

Prozesses wurden zuerst im Gefängnisse zu 
Jekaterinburg , dann in der Peter -Paulsfestung 
eingekerkert: der Begründer der Sekte und der 
Mitarbeiter der Zeitschrift „Majak", Artillerie- 
kapitän N. S. Iljin, und seine Anhänger: Beamter 
der Bergverwaltung EoUegienassessor Budrin, 
Titularrat Protopopow, der Podporutschik des Forst- 
korps Laletin und die Frauen von Budrin und 
Laletin. Budrin, der an Schwindsucht litt, ertrug 
die Einkerkerung nicht und starb im Gefängnis. 
Seine Frau wurde nach dem Swjatoduchow-Frauen- 
kloster in Nowgorod verbannt. Saletin wurde 1859 
in das Swjaschski-Kloster verbannt, wo er auch 
nach zehnjähriger Einkerkerung gestorben ist. 
Iljin wurde zu gleicher Zeit im Solowezky- 
Gefängnis in strenge Einzelhaft gesteckt , wo er bis 
zum Herbst 1873 geblieben ist. In diesem Jahre 
wurde er infolge der wiederholten Gesuche seiner 
Töchter um Erleichterung seines Schicksals aus 
Solowki nach dem Klostergefängnisse in Susdal 
überführt , wo er auch bis zum 18. Juli 1879 ver- 
blieb. Die lange Haft verursachte bei ihm eine 
Geisteszerrtittung , weshalb er auf Ersuchen der 
Verwandten aus dem Gefängnis freigelassen und 
dann in Polangen, Gouvernement Kurland, unter 
„strengste Polizeiaufsicht" gestellt wurde. 

1860 wurde der Kosak Maxim Rudometkin 
wegen der Begründung der Sekte Priguni im 
Kaukasus im Solowezky-Gefängnis eingesperrt. 1869 
wurde Rudometkin aus Solowki nach dem Susdal- 
schen Klostergefängnis versetzt, „damit er die 
Korrespondenz mit seinen Gesinnungsgenossen 



— 54 — 

nicht mehr pflegen könne". Hier erlag er 1877 
„einem apoplektischen Schlage", wie darüber der 
Vorsteher berichtet hatte. 

1863 wurde der altgläubige Bischof Gennadius 
in das Susdalsche Gefängnis eingesperrt und safs 
dort bis 1881. 1865 wurde in demselben Gefängnisse 
der Pfarrer P. F. Solotnizki wegen seines Über- 
tritts zu den Kaskolniki-Beglopopowzi eingesperrt. 
1866 wurde der bekannte Sektierer Adrian Puschkin 
in das Solowezky-Gefängnis gebracht usw. 

Was die Haftzeit in den Klostergefängnissen 
während der fünfziger und sechziger Jahre betrifft, 
so mufs man sagen, dafs sie nach wie vor eine 
ungewöhnlich lange war. So befanden sich von 
den ebenerwähnten Personen in der Haft: Kosak 
Rudometkin 15 Jahre, der altgläubige Bischof 
Gennadius 18, der Artilleriekapitän Iljin 20, der 
altgläubige Bischof Konow 22 Jahre, der Erz- 
bischof Arkadius 27 ^ der Pfarrer Solotnizki 32 
Jahre. Der letztere wurde erst 1897 frei. 32 Jahre 
hatte auch der griechisch-katholische Pfarrer Josef 
Antschenski in dem Susdalschen Gefängnisse zu- 
gebracht. Er starb 1877. 

Was, abgesehen von der Strafzeit, die anderen 
Verhältnisse des Klostergefängnisses betrifft, so 
mufs man feststellen, dafs sie sich während der 
sechziger und siebziger Jahre sehr wenig von den- 



^ Arkadius und Gennadius wurden erst 1881 auf An- 
suchen des damaligen Ministers des Innern, Grafen Ignatjew, 
in Freiheit gesetzt. Alimpius starb nach fünfjähriger Einzel- 
haft im Gefängnis. 



— 55 — 

jenigen unterschieden, in welchen die Kloster- 
gefangenen der zwanziger Jahre lebten. Als Beweis 
dafür führen wir auszugsweise die Instruktion an, 
die mit der Verbannung der ebenerwähnten Alt- 
gläubigen , der Erzbischöfe Arkadius und Alimpius 
und des Pfarrers Semenow, im Zusammenhang steht. 
Der Bischof aus Wladimir , Justin , schrieb an 
den Archimandriten des Spas-Euphimius-Klosters, 
Amwrosius: 1. Sobald die Zivilbehörde die ver- 
zeichneten Personen zugestellt hat , ist jedem von 
ihnen eine besondere Zelle zuzuweisen (das Wort 
„Kasematte" fehlt) und die Zeit ihres Eintreffens 
und ihrer Einkerkerung mir mitzuteilen. 2. Sie 
sind streng zu beaufsichtigen , damit sie in keinen 
Verkehr miteinander, mit den Kaskolniki und 
sonstigen Leuten treten können ; ebenfalls sind alle 
Mafsregeln anzuwenden, um sie von ihren Irr- 
lehren abzubringen und sie zu veranlassen, alles, 
was sie von den Pseudokanzeln im Auslande und von 
ihren Beziehungen zu unseren Raskolniki wissen, mit- 
zuteilen. 3. Die Resultate Ihrer Bekehrungsversuche 
und Ihrer Beaufsichtigung haben Sie allmonatlich 
oder auch früher, je nach Bedarf, mir mitzuteilen. 
4. Ihre Namen und falschen Bezeichnungen dürfen 
nicht angeführt werden, sondern sie sind als Ge- 
fangene unter Nr. 1, 2, 3 der Reihe nach zu 
verzeichnen , wie sie auch im Erlasse der Heiligen 
Synode verzeichnet sind: nämlich Arkadius unter 
Nr. 1, Alimpius unter Nr. 2 und Semenow unter 
Nr. 3 K 



^ Aus offiziellen Akten des Klosterarchivs. 



— 56 — 

Abgesehen von diesen Instruktionen benutzt 
die Zivil- und geistliche Behörde jede Gelegenheit, 
um bei dem Oberpriester und dem Archimandriten 
des Klosters eine strengere Beaufsichtigung der 
Gefangenen zu beantragen. Besonders streng wird 
die Korrespondenz beaufsichtigt. Sie wird über- 
haupt nur geduldet und steht unter der unmittel- 
baren Kontrolle des Archimandriten, der verpflichtet 
ist, alle Briefe, die die Gefangenen abschicken 
oder erhalten, durchzulesen. Manche Kloster- 
vorsteher empfinden diese echt polizeilichen 
Pflichten, die ihnen auferlegt sind, als eine Last. 
Andere hingegen gefallen sich als Kontrolleure der 
Korrespondenz in ganz überflüssigen Schikanierungen 
und Böswilligkeiten. Daher suchen die Gefangenen 
nach Möglichkeit der strengen und argwöhnischen 
Zensur aus dem Wege zu gehen und ihre Briefe, 
so weit es geht, ohne Wissen des Vorstehers fort- 
zusenden. Der letztere sucht seinerseits alle 
Briefe, die die Gefangenen gegen sein Wissen er- 
halten oder fortsenden , aufzugreifen. Dabei über- 
schreitet der Argwohn der Vorsteher oft alle 
Grenzen. Von vielen Tatsachen, die uns zur Ver- 
fügung stehen, und die dies bestätigen, wollen wir 
einen äufserst charakteristischen Fall anführen, 
der sich im Susdalschen Kloster ereignet hatte. 

Archimandrit Dosifei grijBF einen Brief auf, der 
von einer Frau geschrieben und an den altgläubigen 
Bischof Gennadius, der zurzeit in der Susdalschen 
Festung safs, adressiert war. Dieser Brief kam 
dem Archimandriten äufserst verdächtig vor, da er 
darin einen Beweis für die Existenz einer Raskol- 



— 57 — 

nikiverschwörung erblickte. Besonders gefährlich 
schienen ihm die „nicht zu Ende geschriebenen 
Worte" oder genauer die Reihe der Buchstaben 
am Anfange des Briefes zu sein : H. J. C. S. G. E. 
D. U. Er überreicht den rätselhaften Brief dem 
Oberpriester von Wladimir und erklärt in einem 
besonderen Geheimschreiben die aufserordentliche 
Bedeutung desselben. Der Oberpriester schickt den 
Brief des Gennadius an das geistliche Konsistorium 
mit dem Antrag, sofort in dieser Sache eine ge- 
heime Untersuchung einzuleiten. Es entsteht ein 
„Prozefs", es beginnt ein Verhör. Gennadius wird 
aufgefordert, zu erklären, wer ihm diesen unheil- 
vollen Brief geschrieben hat, und was die geheimnis- 
vollen Buchstaben H. J. C. S. G. E. D. U., die am 
Anfange des Briefes stehen, bedeuten. Gennadius 
erklärt, dafs dieser Brief von seiner Cousine ge- 
schrieben sei, und dafs die schrecklichen Buchstaben 
bedeuten: Herr Jesus Christus, Sohn Gottes, er- 
barme Dich unser ^ 

Trotzdem der harmlose Inhalt des Briefes, den 
der Archimandrit aufgegriffen hatte, festgestellt 
war, wurde er dennoch dem Besitzer nicht zurück- 
gegeben. Dem Archimandriten aber wurden des- 
halb keine Vorwürfe gemacht. Im Gegenteil: das 
geistliche Konsistorium lobte seine Handlungsweise 
und empfahl ihm, auch künftighin Gennadius' 
Korrespondenz zu beaufsichtigen und alle Briefe, 
die ihm aus irgendeinem Grunde verdächtig vor- 
kämen, dem Oberpriester von Wladimir vorzulegen. 



^ Aus offiziellen Aktenstücken. 



— 58 — 

Was die intelligenteren Gefangenen, wie z. B. 
den Artilleriekapitän Iljin und andere, betrifft, so 
entstanden fortwährend Mifsverständnisse wegen 
der Korrespondenz. Fortwährend mufsten die geist- 
lichen Behörden — die des Klosters und die der 
Eparchie — Verhöre abhalten und Untersuchungen 
einleiten, da die Gefangenen die Instruktion be- 
züglich Korrespondenz und Verkehr mit Verwandten, 
Bekannten und Anhängern ihrer Lehren nicht be- 
folgten. 

XIII. 

Die Gefangenen werden nach wie vor ver- 
schiedentlich nach den Klöstern befördert : die einen 
in Begleitung „von zwei zuversichtlichen Gen- 
darmen", die anderen unter Bedeckung von Polizisten, 
die dritten in Begleitung eines Polizeibeamten oder 
eines Gendarmerieoffiziers, die vierten endlich per 
Etappe. 

In der Regel wird der Arrestant, der zur Ein- 
kerkerung in das Klostergefängnis verurteilt ist, 
zuerst dem Gouverneur jenes Gouvernements, in 
dem sich ein Kloster befindet, übergeben und dann 
von dem Gouverneur an den Archimandriten des 
Klosters weiterbefördert. 

Um eine Vorstellung von der strengen Be- 
handlungsweise zu geben, die den Gefangenen unter- 
wegs zuteil ward, führe ich als Beispiel die In- 
struktion an, die der Gouverneur von Perm dem 
Gendarmeriekapitän Latuchin erteilte, als dieser den 
altgläubigen Bischof Gennadius (weltlich: Bauer 
Grigori Bjeljajew) nach dem Susdalschen Kloster zu 



— 59 — 

begleiten hatte. „Indem ich bestimme, dafs Sie den 
Bauern Grigori Bjeljajew bis zur Stadt Wladimir 
begleiten, befehle ich Ihnen, ihn sofort in Empfang 
zu nehmen und sich sofort mit ihm nach der Stadt 
Wladimir zu begeben, und zwar: 1. Während des 
Weges nach Wladimir haben Sie in voller Be- 
waffnung bei dem Arrestanten ununterbrochen zu 
verbleiben und ihm nicht zu erlauben, mit jemandem 
Gespräche zu führen. 2. Sie müssen darauf achten, 
dafs der Arrestant sich keinen Schaden zufüge und 
sich nicht auf eine Ihrer WaiTen stürze. 3. Sie haben 
keine Wohnung zu mieten, sondern solche von der 
Obrigkeit des Ortes zu fordern ; Rast ist nur in den 
Orten zu halten, wo es Militärkommandos gibt; 
von diesen ist auf Grund der beiliegenden Liste 
Wache zu verlangen, die während Ihrer Aufenthalts- 
zeit an Ort und Stelle zu sein hat. 4. Beim Ein- 
treffen in der Stadt Wladimir haben Sie sich sofort 
dem Gouverneur zu melden , ihm das beiliegende 
Kuvert unter Nr. 00 zu übergeben und Verfügung 
bezüglich der Übernahme des Arrestanten zu er- 
bitten. Dann haben Sie eine Quittung diesbezüglich 
zu verlangen. 5. Im Falle einer schweren Erkrankung 
des An*estanten haben Sie bis zur nächsten Stadt 
zu fahren, ihn dort der Obrigkeit des Ortes behufs 
Heilung zu übergeben und zu verlangen, dafs der 
Arrestant, nachdem er sich erholt hat, unter ent- 
sprechender Beaufsichtigung an den Gouverneur 
der Stadt Wladimir weiterbefördert wird. Bei 
der Zurücklassung des Arrestanten ist eine Quittung 
zu verlangen. 6. Zum Schlüsse verwarne ich Sie, 
dafs Sie Unordnung während des Weges, noch 



— 60 — 

mehr aber die Freilassung des Arrestanten vor 
der Strenge des Gesetzes zu verantworten haben 
werden." * 

Nach dem Eintreffen im Kloster übergeben die 
Gendarmen oder Polizisten den Arrestanten dem 
Archimandriten , der ihn in Empfang nimmt und 
eine besondere Quittung, gewöhnlich folgenden In- 
halts, ausstellt: „Den in das mir anvertraute Spas- 
Euphimius-Eloster in Susdal behufs Einkerkerung 
in der Sträflingsabteilung überwiesenen Arrestanten 
80 und so habe ich heute, den 11. April 1865, 
um 6 Uhr früh in aller Ordnung von dem ihn 
begleitenden Unteroffizier des N. Gendarmerie- 
kommandos so und so und dem Gemeinen so und so 
empfangen, was ihnen durch diese Quittung, mit 
meiner Unterschrift und dem offiziellen Kloster- 
siegel versehen, bestätigt wird." 

Dann läfst der Archimandrit den Arrestanten 
untersuchen, wobei ihm das Geld, die Sachen, 
Wäsche und Kleidung weggenommen werden. Von 
den Kleidern wird ihm nur das Unentbehrlichste 
zurückgelassen. Das ganze übrige Vermögen des 
Arrestanten bleibt bei dem Archimandriten in Ver- 
wahrung. Besonders streng werden die Schreib- 
gegenstände durchsucht; Papier, Tinte, Beistift, 
das alles wird dem Arrestanten sofort genommen. 
Ebenso auch die Bücher. Wir kennen einen Fall, 
wo dem Gefangenen verboten wurde, die erste Zeit 
ein Evangelium und Psalmbuch bei sich zu behalten. 



^ Aus den offiziellen Aktenstücken in der Kanzlei des 
Gouverneurs von Perm. 



— 61 — 

Dieser Fall ereignete sich nicht etwa vor hundert 
oder zweihundert Jahren, sondern vor einem oder 
vor zwei Jahren. Nach der Untersuchung wird der 
Arrestant in die Festung oder in die Sträflings- 
abteilung des Klosters geführt und dort in einer 
kleinen Einzelzelle mit sehr dicken, feuchten Wänden 
untergebracht. Die Zelle hat nur ein Fenster mit 
eii^em massiven eisernen Gitter; aber man kann 
durch dieses Fenster nichts sehen, da die hohe 
Festungsmauer darüber hinausragt, die das Ge- 
fängnis von drei Seiten umgibt. Das Gefängnis ist 
sehr alt, feucht und kalt. Es wird nicht einmal 
im Sommer durchwärmt, weshalb die Arrestanten 
sehr stark unter Kälte und Feuchtigkeit leiden. 
Die Zellen sind immer verschlossen; manche 
Arrestanten werden zum Spaziergang in den Korri- 
dor gelassen. Aber nicht alle geniefsen dieses 
Vorrecht. Die erste Zeit darf der Arrestant die 
Zelle unter keinen Umständen verlassen. Nur ein- 
mal am Tage wird die Tür geöffnet, damit der 
Arrestant den Eimer, der sich in der Zelle be- 
findet, hinaustragen kann. Die Nahrung wird durch 
eine besondere^ in der Tür sich befindende ÖflFnung 
gereicht. Durch diese Öffnung beaufsichtigen die 
Soldaten der Wache den Arrestanten. Dieses fort- 
währende Beobachten mufs freilich die Gefangenen 
furchtbar ärgern, um so mehr, als die Nerven der 
meisten völlig zerrüttet sind. Dazu kommt noch 
eine Tatsache, die nicht unterschätzt werden darf, 
wenn man die moralische Wirkung beurteilen will, 
die das Klostergefängnis auf die Arrestanten 
ausübt. 



- 62 - 

Die meisten Gefangenen sind tief religiöse, 
gläubige Menschen: sie wollen beten, da es schon 
längst ein unentbehrliches Bedürfnis für sie ge- 
worden ist; aber es ist schwer, zu beten, wenn 
man jeden Augenblick das argwöhnische Auge des 
wachhabenden Soldaten auf sich gerichtet fühlt. Es 
ist schwer, unangenehm und beleidigend. Der 
Gefangene deckt, so gut es geht, die Öffnung an 
der Tür zu , bereitet sich zum Gebet vor und über- 
läfst sich ganz dem religiösen Gefühle, das über 
ihn gekommen ist, — da ertönt aber in diesem Augen- 
blick ein starkes Klopfen an der Tür, und eine 
rohe Stimme fordert mit brutalen Schimpfwörtern, 
dafs die Öffnung unverzüglich freigemacht wird. 
Keine Bitten des Arrestanten helfen in solchen 
Fällen. „Ich kann nicht wissen, ob du betest, 
oder ob du die Wand untergräbst," sagen die 
Soldaten zu ihrer Rechtfertigung. 

In manchen Klöstern gab es bis vor kurzem 
besondere Militärkommandos, denen es oblag, das 
Klostergefängnis zu bewachen. So z. B. befand sich 
im Solo wezky-Klostergefängnis ein Militärkommando, 
das zuerst aus 50 Soldaten und einem Oberoffizier 
bestand. Später wurde die Zahl der Soldaten auf 
23 herabgesetzt. In letzter Zeit wurden die 
Soldaten und der Offizier jedes Jahr von anderen 
abgelöst. Diese Mafsregel ist auf den Umstand 
zurückzuführen, dafs die Soldaten, da sie mit den 
Gefangenen fortwährend verkehren, nach und nach 
ihre ketzerische Überzeugung zu teilen beginnen. 

Mitte der achtziger Jahre besuchte der Be- 
fehlshaber des St. Petersburger Militärkorps, Grofs- 



— 63 — 

fürst Wladimir Alexandrowitsch , das Solowezky- 
Kloster und fand, dafs das Militärkommando dort 
völlig tiberflüssig ist. Infolgedessen wurde das 
Kommando 1886 von Solowki fortgeschafft. Auf 
diese Weise wurde das Kloster von den Soldaten, 
deren Anwesenheit nur eine rohe und schrille 
Dissonanz war, endlich befreit. 



Das Ende des Solowezky-Gefängnisses. 



Ich bin in der Lage, eine grofse Neuigkeit mit- 
zuteilen, die meines Erachtens von nicht zu 
unterschätzender sozialer Bedeutung ist: das 
historisch berühmte Gefängnis, das sich im 
Solowezky-Kloster befand, — das Gefängnis, welches 
in der Geschichte der religiös-ethischen, zum Teil 
auch sozialpolitischen Bewegungen des russischen 
Volkes eine so traurige Rolle gespielt hat, — hat 
nun aufgehört, zu existieren. Als ich im Herbst 
1903 das Archangelsk - Gouvernement aufgesucht 
hatte, gelang es mir, manche Angaben über die letzten 
Tage dieses historischen Gefängnisses zu sammeln. 

Infolge des tiefen Geheimnisses, das mit allem, 
was die Verbannung nach Solowki und die Ein- 
kerkerungin dem Kl oster gefängnis betraf, verbunden 
war, sind nur sehr mangelhafte und sehr dürftige 
Nachrichten über die Personen, die dieser schweren 
Strafe anheimfielen, und über die Verhältnisse, in 
denen die Gefangenen des Solowezky-Gefängnisses 
lebten, in die Gesellschaft gedrungen. 

Wir übergehen die „altersgrauen Zeiten". Wir 
lassen beiseite solche Epochen des russischen ge- 



— 65 — 

schichtlichen Lebens wie z. B. die Regierung Iwans 
des Schrecklichen oder Peters des Ersten, da die 
Solowezky-Türme , die unterirdischen Gefängnisse 
und „steinernen Säcke^, die sich innerhalb der 
Klostermauem befanden, von Ketzern und Staats- 
verbrechern tiberfüllt waren. Wir wollen dem Leser 
mit einigen Worten eine uns näher liegende Epoche 
ins Gedächtnis rufen; wir wollen nämlich erzählen, 
was während der letzten drei Regierungen statt- 
gefunden hat. 

Die Verbannung nach Solowki fand, wie wir 
bereits erwähnt haben, besonders weite Verbreitung 
während der ganzen Regierungszeit Nikolaus' L 
Er bevorzugte dieses Strafsystem und unterwarf 
demselben Sektierer, Raskolniki, Offiziere, Mönche, 
Studenten, Pfarrer, Gutsbesitzer, Bauer d, Beamte, 
Soldaten usw. Die Verbrechen, die mit Ver- 
bannung nach Solowki und Einkerkerung im 
Klostergefängnis bestraft wurden, waren äufserst 
verschiedener Natur. Dennoch liegt es aufser 
allem Zweifel, dafs die meisten Arrestanten des 
Solowezky-Gefängnisses sogenannte religiöse Ver- 
brecher waren, d. h. Verbrecher gegen die 
herrschende Religion und Kirche. Bevor wir aber 
bei dieser Hauptgruppe verbleiben, wollen wir mit 
einigen Worten die anderen, minder wichtigen 
Verbrechergruppen erwähnen. Vor allem gehören 
hierher diejenigen , die wegen politischer Umtriebe 
nach Solowki verbannt waren. 

Unter Nikolaus I. wurden aus der Zahl dieser 
Verbrecherkategorie unter anderen die Studenten 
der Moskauer Universität Nikolai Popow und 

Prugawin, Die Inquis. d. russ.-orthod. Kirche. 5 



— 66 — 

Michail Kritski wegen ihrer Verwicklung in den 
Prozefs der Dekabristen in das Solowezky-Gefängnis 
gebracht. Dann wurde in den dreifsiger Jahren 
der Karrer aus dem Gouvernement Wladimir, 
Lawrowski, „wegen angeblicher Verbreitung von 
aufrührerischen Flugblättern in verschiedenen Teilen 
des Gouvernements Wladimir" in dasselbe Gefängnis 
gesteckt. In diesen Flugblättern „wurde die Leib- 
eigenschaft getadelt und den Bauern empfohlen, 
ihren Kindern, die im Heere sind, Briefe zu 
schreiben und sie aufzufordern, sich behufs Ab- 
schaflEung der Leibeigenschaft^ zu erheben." Es ist 
zu bemerken, dafs Lawrowski seine Teilnahme 
daran auf das Entschiedenste leugnete, und dafs 
'fr, aller Wahrscheinlichkeit nach, wirklich un- 
schuldig war und nur das Opfer des damaligen 
Gerichtswesens geworden ist. Das letztere fand in 
dem Obersten der Gendarmerie, Maslow, der in 
dieser Sache die Untersuchung und das Verhör 
leitete, seine Verkörperung. Ferner kam in den 
fünfziger Jahren der frühere Student der Kiewer 
und dann der Kasaner Universität, Georg 
Andrufski, „wegen schädlicher Gesinnung und bös- 
williger Werke" in das Solowezky-Gefängnis. Da 
bei ihm während der Untersuchung verschiedene 
„Schriften und Gedichte aufrührerischen Inhalts, die 
auf die Wiederaufrichtung des Kleinrussentums 
zielten", gefunden worden sind, so kann man an- 
nehmen, dafs Andrufski der ukrainophilen Partei 
angehörte. 

In der Regierungszeit Alexanders IL wurde 
1861 der Pfarrer des Gouvernements Pensa, Feodor 



— 67 - 

Pomeranzew, nach Solowki verbannt und unter 
^strengste Aufsicht" gestellt. Der Grund dafür 
war „die falsche Auslegung des Manifests von 
1861", was die Erhebung der Bauern gegen den 
Grafen UwaroflF und das Einschreiten des Militärs 
gegen die Rebellen zur Folge hatte. 

1864 wurde der Student der geistlichen 
Akademie, Pfarrer Jachontow, nach Solowki ver- 
bannt, weil er eine Trauermesse für Anton Petrow, 
der im Dorfe Besdno, Bezirk Kasan, während der 
Unterdrückung eines Bauernaufstandes getötet 
wurde, abgehalten hat. Gleich Jachontow wurde 
damals der Student der geistlichen Akademie zu 
Kasan, Hierodiakon Miletius, mit der Verbannung 
nach Solowki bedroht. Er war im vierten Semester. 
Allein, einflufsreiche Geistliche traten für ihn ein, 
und er wurde statt dessen als Missionar nach Ost- 
sibirien gesandt, und zwar unter Obhut des Erz- 
bischofs von Jrkutsk. In Sibirien vollendete Pater 
Miletius seine Doktorarbeit (Kandidatenarbeit). 
Erzbischof Benjamin äufserte eine väterliche Teil- 
nahme an dem Schicksal des unglücklichen Mönches 
und half ihm nach und nach die Stufen des hie- 
rarchischen Dienstes erklimmen. Später wurde 
Pater Miletius Eminenz Miletius, Bischof von 
Jakutsk und Wilujsk und starb als Bischof von 
Bjasan und Sarajsk. 

Ferner finden wir, Ende 1879, im Solowezky- 

Gefängnis den Bauern aus dem Gouvernement 

Twer , Jakob Potapow , wegen seiner Teilnahme an 

der bekannten Demonstration, die den 6. Dezember 

1876 am Kasanski-Platz in Petersburg stattgefunden 

5* 



— 68 — 

hatte, und den Bauern aus dem Gouvernement 
Jaroslaw, Matwei Grigorjew, der „in einer be- 
sonderen Senatssitzung vom 18. — 25. Januar 1877 
als Staatsverbrecher verurteilt worden war". 

Zu dieser Gruppe zählen auch diejenigen, 
die „wegen frecher, unanständiger und beleidigender 
Äufserungen gegen fürstliche Personen und gegen 
die Staatsgewalt" nach Solowki verbannt wurden. 
Aus diesem Grunde eben wurden unter anderen 
Porutschik Goroschanski , der Bauer Skutin und 
viele andere ins Solowezky-Gefängnis geworfen. 

Oft gingen „die frechen" und „beleidigenden 
Äufserungen" gegen die höchste Gewalt aus der 
„falschen" und „albernen" Auslegung der Heiligen 
Schrift hervor. So z. B. wurde ein Kosakenfähnrich 
aus Orenburg „wegen alberner Auslegung der hei- 
ligen Schrift und der damit verbundenen frechen 
Äufserungen gegen die Fürsten und die allerhöchste 
Gewalt" ins Solowezky-Gefängnis gesteckt. Oft 
wurden freche und beleidigende Äufserungen ohne 
jede Absicht, „in betrunkenem Zustande" getan, 
doch rettete dieser Umstand die Schuldigen von 
der Bekanntschaft mit der Klosterkasematte nicht. 
Der Pfarrer Wassiljew, aus dem Gouvernement 
Tula, z. B. „tat in betrunkenem Zustande be- 
leidigende Äufserungen gegen den Zaren". Er 
wurde angezeigt und vor das Strafgericht in Tula 
gestellt, das ihn zur Zwangsarbeit verurteilte, 
aber der Zar liefs ihn nach dem Nowosilski- 
Kloster verbannen. Da Pfarrer Wassiljew den 
Berichten der Klosterbehörde zufolge auch dort 
einen liederlichen und skandalösen Lebenswandel 



— 69 — 

führte, so beschlofs die Heilige Synode, ihn nach 
dem Solowezky-Kloster zu verbannen. 

Schliefslich wurden Leute nicht nur wegen 
frecher und beleidi gender Äufserungen inS Solo wezky- 
Gefängnis geworfen^ sondern auch wegen Ansichten 
und Meinungsäufserungen, die den allgemein aner- 
kannten Ansichten über Kirche und Staatsgewalt 
widersprachen. So wurde ein gewisser Feodor 
Podschiwalew „wegen seiner Meinungsäufserungen 
über Religion und Staatsordnung, die seine ge- 
fährliche Gesinnung verrieten", ins Klostergefängnis 
geworfen, ebenso der Bauer aus dem Gouvernement 
Jaroslow, Nikitin, „wegen unerschütter- 
lichen Festhaltens an seinen gefähr- 
lichen Ansichten über das heilige Kreuz, das 
geistliche Gesangshaleluja und andere religiöse 
Dinge, und wegen frecher politischer 
Meinungen. 

Abgesehen von seiner eigentlichen Bestimmung 
— ein Verbannungsort für Verbrecher gegen die 
Kirche und den Staat zu sein — war das Solowezky- 
Gefängnis in gewissem Sinne auch eine Ver- 
besserungsanstal t für verschiedene „rebellische" und 
„stürmische" Naturen. So z. B. geriet der Haupt- 
mann Hannibal „wegen Aufruhr und frecher 
Handlungen" in dieses Gefängnis; der Pfarrer 
Semenow „wegen frecher Reden"; der Gouver- 
nements-Sekretär Dybowski „wegen Frechheiten 
und Gotteslästerung" usw. 

Manche wurden auf Veranlassung ihrer Ver- 
wandten wegen lasterhaften Lebenswandels, Zank- 
und Trunksucht nach Solowki verbannt. So z. B. 



— 70 — 

wurde der Kornett Spetschinski, von seinem Vater 
„wegen lasterhaften Lebenswandels, Trunk- und 
Zanksucht angeklagt "", nach Solowki verbannt, „bis 
er sich in der guten Sittlichkeit und besonders in 
den Regeln unserer Religion befestigt hat". Femer 
wurden nach dem Solowezky-Gefängnis diejenigen 
verbannt, die besonders schwere kriminelle Ver- 
brechen , wie Vater-, Mutter-, Frauen- und Kindes- 
mord oder widernatürliche Verbrechen, wie z. B. 
Blutschändung begangen haben. Der Moskauer 
Kaufmann Kasjanow wurde wegen der Ermordung 
seiner eignen Schwester verbannt. Besonders oft 
wurden Leute, die im wahnsinnigen Zustande Mord 
begangen haben, nach Solowki verbannt. Ein Fabrik- 
arbeiter wurde „wegen Ermordung seines Vaters 
und seiner Frau im wahnsinnigen Zustande" zur 
ewigen Verbannung nach dem Solowezky-Gefängnis 
verurteilt. Ein Bauer aus dem Militärkreise 
Pskow wurde „wegen Ermordung seiner drei 
Töchter und seines Bruders im wahnsinnigen Zu- 
stande und wegen vielfacher Versuche, noch 
weitere Morde zu begehen, behufs Bufse lebens- 
länglich" nach Solowki verbannt. 

Ein zufälliger , unversehens vollbrachter Mord 
wurde mit derselben Grausamkeit bestraft wie ein 
absichtlicher. Nicht einmal die Minderjährigkeit 
rettete in solchen Fällen von der Kloster Verbannung. 
So wurde „der minderjährige Kosakensohn Iwan 
Ponasenko wegen Ermordung eines 8 Monate alten 
Mädchens" ins Solowezky-Gefängnis geworfen. Als 
Ponasenko diesen Mord begangen , war er 10 Jahre 
alt. Und obwohl man nicht daran zweifeln kann, 



— 71 - 

dafs diese Tötung ganz zufällig geschah, aus Un- 
Vorsichtigkeit, so verblieb der unglückliche Knabe 
dennoch 6 Jahre im Klostergefängnisse, bis er 
schliefslich zum Militärdienste eingezogen wurde. 
Der Bauer Iwan Bestoltschenkow , aus dem Gouver- 
nement Tambow , wurde wegen Blutschändung mit 
seiner Schwiegertochter auf Bestimmung der 
Heiligen Synode für sieben und ein halb Jahre 
nach Solowki verbannt. Das war eine Art Epidemie. 



II. 

Indem wir zu der Gruppe religiöser Verbrecher 
übergehen, müssen wir bemerken, dafs meistens 
Führer und Leiter der Altgläubigen (Raskol), Be- 
gründer und Hauptvertreter verschiedener Sekten, 
wie der bekannte „priesterlose" Hauptmann Papou- 
lin aus Kostroma, der Kosakenkapitän Eulampeius 
Kotelnikow aus Don, der bekannte Mystiker und 
Abt des Selinginsky-Klosters. Israel, der Begründer 
der „Gottesgemeinschaft" Artilleriekapitän Iljin, 
„der geistliche König" der Pryguni Rudometkin, 
der Kaufmann Adrian Puschkin aus Perm, der 
Lehrer der Molokane in Saratow, Peter Plechanow, 
der in den Annalen der Sekte Beguni und Pilger 
berühmt gewordene Nikita Semenow Kitelow usw. 
nach Solowki verbannt wurden. 

Einfache Baskolniki und Sektierer wurden 
nur wegen angeblicher oder tatsächlicher Ver- 
breitung des Baskols und Sektierertums nach So- 
lowki verbannt. Ein Verstofs gegen die heiligen 
Gebräuche der orthodoxen Kirche wurde ebenfalls 



— 72 — 

mit Gefängnis bestraft. So z. B. wurden drei 
Soldaten nach Solowki verbannt, „weil sie ihre 
Kinder nicht nach dem Ritus der orthodoxen 
Kirche haben taufen lassen wollen". 

Alle Gefangenen wurden immer geheim be- 
fördert, die Gründe der Verbannung nur allgemein 
angegeben. Z. B. folgendermafsen : „wird wegen 
gesetzeswidriger und äufserst schädlicher Hand- 
lungsweise als Raskolnik verbannt" ; oder: „wegen 
Ketzerei und Verwerfung der Sakramente der 
Beichte und des heiligen Abendmahls* ; oder : 
„wegen Verbreitung gefährlicher Lehren vom 
Glauben und gotteswidriger Handlungsweise" ; oder : 
^wegen Verhöhnung der heiligen Gottesbilder" ; 
oder : „wegen wiederholten Übertritts von der Ortho- 
doxie zum Raskol"; oder: „wegen Verbrechens 
gegen die Geistlichkeit, das er (Stabskapitän Stsche- 
golew) aus Unsittlichkeit und Unwissenheit be- 
gangen hatte" usw. 

Allein auch diese kurzen Charakteristiken 
wurden nicht immer angegeben ; oft gefiel man sich 
in noch lakonischeren und unbestimmteren Wen- 
dungen, wie z. B.: „wegen Angehörigkeit zum 
Raskol", „wegen des alten Glaubens", „wegen 
Ketzerei" usw. Endlich befanden sich unter den 
Klostergefangenen auch solche, von denen nicht 
einmal die Klosterbehörde wufste, weshalb sie ver- 
bannt wurden. 

Viele wurden „wegen Abfalls von der Ortho- 
doxie" und „wegen Verführung zum Raskol oder 
zur Ketzerei nach Solowki verbannt". Der Beamte 
der 8. Klasse Krestinski wurde wegen Verführung 



— 73 — 

seiner Frau und Kinder und sich selbst (!) zur 
Ketzerei der „priesterlosen" Raskolniki ins Solo- 
iv^ezky-Gefängnis geworfen. Besonders streng wurde 
die Verftlhrung der Soldaten zum Raskol verfolgt. 
Häufig waren die Verbannungsfälle wegen Ver- 
weigerung des Militärdienstes. Die Verweigerung 
des Militärdienstes geschah meistens aus religiösen 
Gründen. So z. B. weigerte sich der Bauernrekrut 
Iwan Schurupow aus dem Gouvernement Moskau, 
19 Jahre alt, als Molokane den Eid zu leisten, als 
er eingezogen wurde. Alle möglichen Gewalt- 
mafsregeln halfen nicht* Er motivierte seine Ver- 
weigerung damit, dafs es nach Gottes Lehre geboten 
sei, nur Gott allein zu dienen. Dem Kaiser wolle 
«r nicht dienen und den Eid nicht leisten, da er 
ftlrchte, Meineid zu begehen. 

Kaiser Nikolaus I. beschlofs auf Grund dies- 
bezüglicher Berichterstattung, Schurupow unter 
Bewachung nach dem Solowezky - Kloster zu ver- 
bannen. 

Die Gardisten Nikolgajew und Bagdanow 
flüchteten vom Militärdienst in eine Baskolansiede- 
lung, die ein Kleinbürger im Walde begründet 
hatte. Als sie abgefafst wurden, verweigerte einer 
von ihnen grundsätzlich den Militärdienst; da es 
seiner Überzeugung widerspreche, wolle er den Eid 
nicht leisten; der andere leistete den Eid nur 
Tinter der Bedingung, dafs es ihm erlaubt würde, 
sich zum alten Glauben zu bekennen. Die Militär- 
behörden wollten sie deshalb Spiefsruten laufen 
lassen, der Kaiser aber befahl, sie ins Solowezky- 
Gefängnis zu stecken. 



- 74 — 

Bei der Verbannung nach Solowki wurde nur 
in relativ wenigen Fällen die Sekte angegeben, der 
der Verbannte angehörte. Am meisten hiefs es, 
„dafs der und der wegen gotteswidriger Ketzerei" 
oder „wegen Verbreitung des Sektierertums und 
Frechheit gegen die geistliche Gewalt" verbannt 
wird ; worin aber diese Ketzerei oder dieses Sektierer- 
tum bestand — wurde nicht angegeben. 

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sekte 
kann man übrigens den kurzen Charakteristiken 
entnehmen, die ihren Akten beigegeben sind. 

So ist es z. B. nicht schwer, die Anhänger 
der bekannten Sekte Beguni oder Wandernder 
in folgenden Charakteristiken der Solowezky- 
Gefangenen zu erkennen: „Jegor Iwanow wird als 
Vagabund wegen Verschweigens seines Namens und 
Nichtanerkennung der Gewalten verbannt", oder: 
„N.N. als unbekannter Vagabund wegen Nicht- 
anerkennung der heiligen Wundertäter, des Kaisers 
und der Obrigkeit", oder: „Als Vagabund, der 
Staatsgewalt und Religion nicht anerkennt" usw. 

Nur die Anhänger einer Sekte wurden genau 
bestimmt, nämlich die Skopzy, von denen nicht 
wenige in den Solowezky-Kasematten waren. Einer 
von ihnen, der Bauer Anton Dmitriew wurde wegen 
Selbstkastrierung und Kastrierung seines Guts- 
besitzers, Graf Golowkin, „für immer" ins Kloster- 
gefängnis gesperrt. Er verblieb im Gefängnis — es 
ist schrecklich es zu sagen! — ganze 65 Jahre. 
Unter den Skopzy , die im Solowezky - Gefängnis 
safsen, befanden sich privilegierte Personen und 
Beamte, wie z. B. Stabskapitän Satonowitsch. 



— 75 — 

Die Pfarrer wurden meistens „wegen der Flucht 
zu den Raskolniki^ verbannt. Dieser Hauptschuld 
gesellten sich noch andere hinzu, wie Trunksucht^ 
lasterhafter Lebenswandel, Tobsucht u. dgl. mehr. 
Der Pfarrer Alexei Stepanow wurde „wegen gesetzes- 
widriger Handlungen, Betrunkenheit, Aufruhr und 
wegen des Übertritts zu den Raskolniki" nach So- 
lowki verbannt. Mönche wurden wegen Ketzerei, 
„lasterhaften Lebenswandels'', „wegen lügnerischer 
und verleumderischer Anzeigen", „wegen Trunk- 
sucht und lasterhaften Lebenswandels" usw. nach 
Solowki verbannt. 

Den offiziellen Angaben zufolge ging das Ketzer- 
tum mancher Elostergefangenen zu weit. So z. B. 
befand sich in den fünfziger Jahren im Solowezky- 
Gefängnis der Hofsänger Alexander Orlowski, 
Abiturient des geistlichen Seminars in Tschemigow. 
Er wurde — nicht mehr und nicht weniger — als der 
Gottlosigkeit beschuldigt. Schenkt man aber 
den selbstgeschriebenen Bekenntnissen des Gefan- 
genen Glauben, so bestand sein Atheismus nur 
darin, dafs er in einer betrunkenen Gesellschaft, 
mit seiner Gelehrsamkeit prahlend, einige freche 
Äufserungen gegen die Religion getan hatte. Dies 
wurde von einem der Anwesenden der Obrigkeit 
angezeigt, weshalb Orlowski des Atheismus be- 
schuldigt und nach Solowki verbannt wurde. 

Von den Sekten, die sich von der orthodoxen 
Kirche besonders weit entfernt haben, nehmen die 
Sabbatäer, d. h. die Anhänger der jüdischen Sekte, 
den ersten Platz ein. Bekanntlich verwerfen die 
Sabbatäer nicht nur die Orthodoxie, sondern das 



- 76 — 

Christentum überhaupt und sind der Überzeugung, 
dafs der von Gott verheifsene Welterlöser, Messias, 
bis jetzt noch nicht gekommen ist. Unter den 
Arrestanten des Solowezky- Gefängnisses gab es 
einige Anhänger des Jüdischen Glaubens", die „des 
Abfalls vom Christentum beschuldigt wurden". 

Was den Abfall von der Orthodoxie betrifft 
— dessen wurden die meisten Gefangenen des 
Solowezky-Klosters beschuldigt — , so geschah er 
oft in äufserst schroffer Form. So z. B. wurde der 
Aufseher Iwan Burakow — wie die Charakteristik 
des Kloster Vorstehers lautet — „wegen des Abfalls 
von der Orthodoxie zu einem nie dagewesenen 
Raskor (er glaubt an gar nichts) ins Solowezky- 
Kloster gesteckt. Den Berichten desselben Archi- 
mandriten zufolge ist Burakow der „gröfste Gottes- 
leugner", der „keiner Bekehrung zugänglich ist, 
das Heiligtum, die Dogmen und Jesus Christus 
«elbst lästert, an irgendwelche Offenbarungen glaubt 
und noch heute Veränderungen in der Kirche und 
in der ganzen Welt erwartet". 

Unverhältnismäfsig häufiger wurden Leute 
wegen eines Vergehens, das offenkundig nichts Ent- 
setzliches enthält, verbannt. So z. B. wurden drei 
Soldaten wegen des „alten Glaubens" ins Solowezky- 
Gefängnis eingesperrt. Der Gemeine Potainikow 
kam wegen „irrtümlicher Auslegung der Heiligen 
Schrift" ins Klostergefängnis. Viele wurden „wegen 
Verbreitung von Albernheiten" oder „wegen alberner 
Prophezeiungen" nach Solowki verbannt. Der Bauer 
Sergejew wurde „wegen des Sich-bekreuzens nach 
altgläubiger Art und der Verbreitung von Albern- 



— 77 — 

heiten in religiösem Wahnsinn" verbannt usw. 
Solcher Beispiele gibt es eine Menge. 

Oben haben wir gesehen, dafs einen bedeuten- 
den Teil der politischen Gruppe im Solowezky- 
Gefängnis diejenigen Personen bildeten, die wegen 
frecher und beleidigender Äufserungen gegen die 
Staatsgewalt und ihre höchsten Vertreter dahin 
verbannt wurden. Ebenso finden wir unter den 
religiösen Gefangenen des Solowezky-Klosters eine 
Menge Personen, die wegen „frecher und gottes- 
lästernder Äufserungen gegen Religion, Kirche und 
geistliche Gewalt, heilige Sakramente der ortho- 
doxen Kirche und Gottesbilder" verbannt wurden. 
Der Bauer Schubin aus dem Gouvernement Wjatka 
verblieb „wegen des alten Glaubens und gottes- 
lästernder Äufserungen gegen das heilige Sakrament 
und gegen die Kirche" 63 Jahre im Solowezky- 
Gefängnis! 

Der Lehrer Woskressenskij wurde „wegen 
frecher gotteslästerlicher Äufserungen" „lebensläng- 
lich" ins Solowezky-Kloster gesteckt. 

Besonders grausam wurde die „Beleidigung des 
Heiligtums" bestraft, wenn das nicht nur durch 
Worte, sondern auch durch Handlungen geschah. In 
diesen Fällen wurden die Schuldigen mit Klosterver- 
bannung auch dann bestraft, wenn alle Umstände 
dafür sprachen, dafs der Angeklagte die Handlung 
in einem unzurechnungsfähigen Zustande begangen 
hatte. So z. B. wurde der Edelmann Mandryka, der auf 
seinem Gute im Dorfe Tscheptschugi, Bezirk Kasan^ 
lebte und offenbar an psychischer Zerrüttung litt, 
wegen Verletzung des Heiligtums in der Dorfkirche 



— 78 — 

nach Solowki verbannt und einer strengen Einzel- 
haft im Klostergefängnis unterzogen. 

Diese Tatsachen beweisen zweifellos erstens, 
dafs im Solowezky - Gefängnis Leute wegen Ver- 
brechen verschiedenster Art bestraft wurden, 
zweitens zeigen sie deutlich, was für eine ungeheuer 
wichtige Rolle dieses historische Gefängnis im 
sozialen Leben des russischen Volkes auch in den 
späteren Zeiten gespielt hat. 

III. 

Wer persönlich in Solowki war, der wird wahr- 
scheinlich nie den düsteren Eindruck vergessen, 
den das Klostergefängnis, das von den einheimischen 
Einwohnern als „Zuchthaus" bezeichnet wird, auf 
alle ohne Ausnahme macht. 

Das altertümliche düstere dreistöckige Gebäude 
ragte über die Mauer, die es von den anderen Ge- 
bäuden des Klosters trennte, hinaus. Besonders 
fesselte die Reihe dunkler, kleiner Fenster mit 
glanzlosen, grünen Scheiben, dicken dreifachen 
Rahmen und doppelten eisernen Gittern. Das 
Gefängnis bestand aus engen, halbdunklen Kase- 
matten, die von muffiger Feuchtigkeit und von dem 
Gestank „aus den Eimern" durchtränkt waren und 
jeder Ventilierung entbehrten. Überhaupt dachte 
hier niemand an eine Ventilierung, noch an andere, 
nicht weniger wichtige und elementare Forderungen 
der Hygiene und Sanität. Das Solowezky-Gefängnis 
stand — wie alle Klostergefängnisse überhaupt — 
aufserhalb jeglicher Kontrolle der Gerichts- und 



- 79 — 

Gefängnisanstalten und wurde einzig und allein 
vom Klostervorsteher, der auch als Kommandant 
galt, verwaltet. Die Nahrung war schlecht und 
Ärmlich. Die Gefangenen freuten sich wie Kinder, 
wenn man ihnen frisches, weiches Brot brachte. 
Die traurige Lage der Klostergefangenen wurde noch 
ganz besonders durch die ausnehmend schlimmen 
klimatischen Verhältnisse der Solowezky-Insel ver- 
schlechtert: die Nebel, die dicht die Erde bedeckten, 
das kalte, menschenleere Meer, langdauemde Polar- 
nächte, der unendlich strenge Winter, das war die 
Umgebung der Gefangenen, die Jahre, oft jahr- 
zehntelang in den feuchten und stinkenden Kase- 
matten des Klostergefängnisses schmachteten. 

Besonders schwierig war hier die Lage der 
Gefangenen, die aus dem Süden stammten: aus 
Ukraina, Noworossien und Kaukasus. 

Während des ganzen Winters sind die Solowki- 
Einwohner von der ganzen übrigen Welt abge- 
schnitten. Sie bekommen weder Briefe, noch 
Zeitungen, da jeder Verkehr mit dem festen Lande 
aufhört. Die freiwilligen und unfreiwilligen Be- 
wohner von Solowki sind in vollständiger Unwissen- 
heit darüber, was sich auf der weiten Gotteswelt 
ereignet, was aufserhalb ihrer öden Insel geschieht. 
Erst mit dem ersten Schiffe, das im Frühling oder 
richtiger im Sommer zu ihnen kommt, erfahren sie, 
was sich während der Zeit ereignet hat , da sie 
keine Gelegenheit hatten, mit lebendigen Menschen 
zu verkehren. 

Mit höchster Ungeduld warten die Bewohner 
des fernen Nordens auf den Sommer; für die In- 



— 80 — 

Sassen des Solowezky-Gefängnisses aber bringt auch 
der Sommer keine Freude und kein Glück, da die 
Beaufsichtigung und Behandlung der Arrestanten aus 
Furcht, dafs sie fliehen, im Sommer strenger wird» 
Im Winter kann man aus Solowki nicht fliehen. Da- 
her geniefsen die Arrestanten während des Winters 
eine gewisse Freiheit : sie werden aus den Kammern 
in den Hof gelassen, um Wasser, Holz und Nahrung 
zu holen. Aber mit dem Eintreffen des ersten 
Schiffes verändern sich die Verhältnisse mit einem 
Male, die Gefangenen dürfen nicht mehr das Tor 
des Klosters verlassen, ihre Zellen werden ge- 
schlossen, die Beaufsichtigung des Gefängnisses 
wird strenger, alle Mafsregeln werden angewandt, 
damit die Arrestanten weder mit den Pilgern noch 
mit anderen Leuten, die im Sommer Solowki auf- 
suchen, in Verkehr treten. 

Das Gefängnis , welches sich bis auf die letzte 
Zeit in Solowki befand, wurde 1718 begründet, 
als in der nordwestlichen Ecke des Klosters, in 
der Nähe des Koroschenski-Turmes mit den Erd- 
gefängnissen, ein grofses, zweistöckiges „Gebäude^ 
errichtet war. Der untere Stock dieses Gebäudes 
wurde 1798 für Gefängnisräume eingerichtet. Die 
erste Zeit gab es darin zwölf Zellen. Dreifsig 
Jahre darauf, 1828, zur Regierung Nikolaus' I., 
wurde auch der zweite Stock in ein Gefängnis ver- 
wandelt, und zwar wurden 16 Zellen eingerichtet. 
Zu dieser Zeit, d. h. im Anfang des eben ver- 
flossenen Jahrhunderts, befanden sich in demselben 
Gefängnisgebäude die Soldaten, die die Gefangenen 
bewachten : die Korridore zwischen den Gefangenen- 



— 81 — 

Zellen waren der Platz für die Soldaten. Die nahe 
Nachbarschaft der Wache mit den Gefangenen rief 
zwischen ihnen häufig Konflikte hervor, daher 
wurde 1842 auf Ersuchen des Archimandriten 
Ilarius für die Soldaten und den Offizier eine be- 
sondere Kaserne gebaut. Aufserdem bekam das 
Gefängnis noch einen dritten Stock. In dieser 
Gestalt existierte das Gefängnis bis auf die letzte 
Zeit , d. h. bis zum Herbst des vergangenen Jahres 
1903. Nach dem Zeugnis des Herrn Koltschin hat 
sich in Solowki eine Legende erhalten, die sich 
auf die Errichtung dieses Gefängnisses bezieht: 
Bekanntlich wurde in der düstersten Zelle , die im 
Süden des Klosters gelegen war, lange Zeit der 
letzte Ataman der Saporoschzi (des kleinrussischen 
Kosakentums), Kolnischewski , in Verbannung ge- 
halten. Schon ein Greis, safs er in dieser Kase- 
matte ganze 16 Jahre, als es sich plötzlich 
herausstellte, dafs er gar nicht schuldig war. 
Da wird erzählt, dafs der Zar den Kolnischewski 
für das ertragene Leid belohnen wollte. Nun liefs 
er ihn fragen, was für eine Belohnung er haben 
möchte. „Alt bin ich geworden," an wertete 
Kolnischewski, „die weltlichen Ehren verlocken 
mich nicht, und Reichtum brauche ich auch nicht; 
ich werde auch das nicht verzehren können, was 
ich noch habe. Wenn der Zar-Väterchen aber mich 
dennoch belohnen will, dann lafs er befehlen, für 
die Verbrecher ein richtiges Gefängnis zu bauen, 
damit sie nicht wie ich in den schwülen Kasematten 
der Festung schmachten müssen." 

Prugawin, Die Inquis. d. mss.-orthod. Kirche. 6 



— 82 — 



IV. 



Lange Zeit war alles, was die Verbannung in 
die Klostergefängnisse betrifft, in tiefes Geheimnis 
gehüllt. Lange Zeit hatte die russische Presse 
keine Möglichkeit, die Frage der Klosterverbannung, 
insbesondere die Frage betreffend des Solowezky- 
Gefängnisses und die darin herrschenden Ver- 
hältnisse zu berühren. Erst 1880 , als der Minister 
des Innern, Loris-Melikow , der Presse eine ge- 
wisse Freiheit — für kurze Zeit nur allerdings — 
gewährte, konnte man darüber sprechen. Man 
konnte dann die Verhältnisse in dem Solowezky- 
Kloster erörtern; man konnte den Wunsch aus- 
sprechen , dafs die Gefangenen freigelassen werden 
und dafs diese längst überwundene, mittelalterliche 
Strafform abgeschafft wird. 

Man konnte annehmen, dafs man auch in den 
Eegierungskreisen allmählich zur Überzeugung von 
der völligen Unbrauchbarkeit des Solowezky- 
Gefängnisses gekommen ist. Und wir sehen in der 
Tat, dafs die Zahl der Verbannten im Solowezky- 
Gefängnisse nach und nach geringer wird. 1886 
wurde diesem Gefängnisse ein starker Hieb versetzt. 
Der Befehlshaber des St. Petersburger Kreises, Grofs- 
fürst Wladimir Alexandrowitsch, besuchte Solowki 
und fand, dafs die Garnison, die hier zur Bewachung 
der Gefangenen bestimmt ist, völlig überflüssig sei, 
da die Zahl der Arrestanten unbedeutend ist. Er 
verfügte, dafs die Garnison Solowki verlasse. 

Zur völligen Abschaffung des Solowezky- 
Gefängnisses soll der Kriegsminister Kuropatkin 



I — 83 — 



beigetragen haben, der persönlich Solowki im 
Sommer 1902 besucht hatte. Wie dem auch sei, 
im nächsten Jahre 1903 sind die Gefängnisräume 
in das Eigentum des Solowezky-Klosters über- 
gegangen. Aufser dem Hauptgebäude , in dem sich 
das Gefängnis befand, wurde dem Kloster auch 
der zweistöckige steinerne Flügel, wo sich die 
Soldaten und der Offizier der Wache aufhielten, 
tibergeben. 

Im früheren Gefängnisse, in dessen Kasematten 
noch unlängst Gefangene schmachteten, wird nun 
ein Krankenhaus nebst Kirche für die Amtbrüder- 
gemeinschaft des Klosters eingerichtet. In dieses 
Gebäude sind auch die Mönche übergeführt worden. 
Der Flügel , in dem sich früher die Garnison auf- 
gehalten hatte, ist jetzt von der Wohnung des 
Arztes und der Apotheke in Anspruch genommen. 
Auf Veranlassung A. N. Kuropatkins wurde ein 
Militärarzt nach Solowki kommandiert, der jedes 
Jahr von einem anderen abgelöst wird. Bis jetzt 
entbehrte das Solowezky- Kloster jeglicher medi- 
zinischer Hilfe, wenn man nicht den Feldscher als 
solchen rechnet, der ab und zu Solowki aufsuchte. 

Gegenwärtig ist von den früheren Gefangenen 
des Klosters, wenn wir nicht irren, nur Peter 
Lawrentjew in Solowki geblieben, der vor 23 
Jahren in die Verbannung ging. Trotz der langen 
Haft hat Lawrentjew seine Überzeugungen nicht 
aufgegeben und benutzt, wie uns mitgeteilt 
wird, jede Gelegenheit, um die Mönche zu be- 
schimpfen und zu verhöhnen. Übrigens erzählten 

mir Leute, die Gelegenheit hatten, sich mit ihm 

6* 



— 84 — 

zu unterhalten, dafs die zwanzigjährige Gefangen- 
schaft tiefe Spuren in seiner Seelen Verfassung 
zurückgelassen und seinen Geist vollständig zer- 
rüttet ^hat. Lawrentjew ist jetzt ein bejammerns- 
werter, halbverrückter Mensch. 

Mit der Abschaffung des Solowezky-Gefängnisses 
hat auch die Klosterverbannung — dieser düstere 
Überrest der längst vergangenen Jahrhunderte — 
aufgehört zu existieren. Aber die Verbannung nach 
Solowki hat nicht aufgehört zu existieren. Leider 
findet noch heute die Verbannung nach dem 
Solowezky-Kloster in ausgiebigstem Mafse statt. 
Es ist übrigens zu bemerken, dafs gegenwärtig fast 
ausschliefslich Leute, die dem geistlichen Stande 
angehören, am häufigsten Mönche, die sich gegen 
das Klosterreglement vergangen haben, nach 
Solowki verbannt werden. 

In den Jahren 1902—1903 gab es unter den 
Verbannten des Splowezky-Klosters 10 Hieromönche 
und Hierodiakone. Wir lassen ihre Namen folgen : 
Feofan, Pawel, Iliodor, Serafim, Isichius, 
Pafnutius, Iraklius, Wsewolod, Nikolai und 
Alexander. Manche von ihnen sind „verboten" 
und für immer aus der Kirche ausgeschlossen. Sie 
sind für unbestimmte Zeit, bis zur weiteren Ver- 
fügung der Heiligen Synode, verbannt. Die Lage 
dieser verbannten Mönche ist selbstverständlich 
wenig beneidenswert. Die meisten von ihnen sind 
in die entlegenen Einsiedeleien verschickt und 
unter strenge Aufsicht gestellt. Aber abgesehen 
von den Mönchen, die sich gegen das Kloster- 
reglement vergangen haben, werden auch Leute 



; — 85 — 



nach Solowki verbannt, die der „Ketzerei" ver- 
fallen sind. So z. B. befindet sich jetzt der wegen 
„Ketzerei" verbannte Archimandrit Michael und 
sein Anhänger, der Mönch Isaakius, im SoloWezky- 
Kloster. Beide sind sie bis zu ihrem Lebensende 
nach Solowki verbannt und unter die strenge Aufsicht 
des Klostervorstehers gestellt. Unter anderem ist 
ihnen jede Korrespondenz strengstens verboten. 

Worin eigentlich die Ketzerei des früheren Archi- 
mandriten Michael bestanden, gelang mir leider 
nicht zu erfahren, da die Mönche des Solowezky- 
Klosters sehr ungern davon sprachen. Überhaupt 
wird diese Sache streng geheim gehalten. Wenn 
man der Person glauben darf, die angeblich Ge- 
legenheit hatte, in die Personalien des Archiman- 
driten Michael und des Mönches Isaakius Einblick 
zu erlangen, so kann man vermuten, dafs sie beide 
wegen der „Chlystowtschina" verbannt wurden. 
Dem Berichte dieser Person zufolge hatte sich 
Archimandrit Michael in ein Mädchen vom Lande 
verliebt und sie derart vergöttert, dafs er sie als 
eine Heilige zu betrachten begann. Isaakius teilte 
die Überzeugungen seines Archimandriten und be- 
fürwortete seinerseits die Heiligung dieses Mädchens. 



So hat nun das Solowezky-Gefängnis seine lange 
und traurige Existenz aufgegeben und ist endlich 
in das Gebiet der Geschichte entschwunden. Ein 
düsteres, blutiges Angedenken hatte es in den 
Herzen vieler Tausender russischer Menschen hinter- 
lassen. Wie ein Damoklesschwert hing es viele 



— 86 — 

Jahrhunderte über dem Denken und Gewissen des 
russischen Volkes. Von nun an werden seine 
düsteren Kasematten diejenigen nicht schrecken 
und nicht ängstigen, deren Suchen nach geistiger 
und sittlicher Wiedergeburt den Weg der ver- 
alteten vergriffenen Schablone verlassen und die 
engen offiziellen Schranken sprengen wird. 

Das mufs man selbstredend von ganzem Herzen 
begrüfsen, aber . . . 

Aber es darf dabei nicht vergessen werden, 
dafs das Solowezky-Gefängnis nicht einzig in seiner 
Art war. Man darf nicht vergessen, dafs in einem 
zentralen Kloster Rufslands — im Susdalschen 
Euphimius-Kloster — noch bis auf den heutigen 
Tag eine Festung und ein Gefängnis zugleich in 
Funktion ist, in dem gegenwärtig 14 ^Verbrecher 
gegen Religion und Kirche "" schmachten. Es ist 
Zeit, dafs man sich an diese unglücklichen, offen- 
bar völlig vergessenen Menschen erinnert, um so 
mehr, als manche von ihnen mehr als 10, 15 und 
sogar 20 Jahre in Einzelhaft sitzen. So z. B. sitzt 
Nikolai Iwanowitsch Dobroljubow, aus Nischni- 
Nowgorod gebürtig, schon 25 Jahre im Susdalschen 
Klostergefängnis. 

Genügt denn die zwanzigjährige strenge Einzel- 
haft wirklich nicht, um sogar eine vollkommen be- 
wiesene, ernste und gewichtige Schuld zu sühnen ? 
Diese Erwägung hat um so mehr Gründe für sich, 
als die Schuld derjenigen, die in den Kloster- 
gefängnissen schmachten, keineswegs als bewiesen 
gelten kann. 

Unter diesen Verhältnissen wäre eine volle 



— 87 — 

Amnestie für diejenigen, die in den Kloster- 
gefängnissen [schmachten, nur ein Akt unentbehr- 
licher Gerechtigkeit. 

Leidenschaftlich möchten wir diesen Akt eben 
jetzt verwirklicht sehen, da über das Volk schwere 
Tage gekommen sind. Einigkeit zwischen Volk und 
Gesellschaft, ermunternder Aufschwung im öffent- 
lichen Leben tut uns so not und wird von allen so 
sehr herbeigesehnt. 



Die Klosterverbannniig der letzten Zeil 



Da in unserer Gesellschaft die Ansicht ver- 
breitet ist, dafs die Klosterverbannung eine Er- 
scheinung der mehr oder minder fernen Vergangen- 
heit ist, und viele daher geneigt sind, dieser Straf- 
form nur eine historische Bedeutung beizumessen, 
halten wir es für notwendig, Tatsachen und Bei- 
spiele aus der letzten Zeit anzuführen und darauf 
näher einzugehen. Wir werden dadurch beweisen, 
dafs diese Bestrafungsform trotz ihres mittelalter- 
lichen Charakters leider bis jetzt bei uns sehr ver- 
breitet ist. 

Abgesehen davon, können die Beispiele und 
Tatsachen, die wir hier anführen, die allgemeine 
Bekämpfungsweise des Sektierertums und allerhand 
religiös - ethischer Differenzen, an der unsere 
Administration, die bürgerliche und die geistliche, 
noch bis jetzt festhält, vorzüglich illustrieren. 
Von diesem Standpunkte aus erhalten die folgen- 
den Fälle eine grofse und ungeheure soziale Be- 
deutung. 



- 89 — 
Hier die Tatsacheo: 

I. 
Erster Fall. 

Im August 1902 wurde aus dem Susdalschen 
Klostergefängnis Wassilij Ossipowitsch Rachow, 
aus Archangelsk gebürtig, entlassen, nachdem er 
volle acht Jahre in der Einzelhaft in den Kloster- 
kasematten gesessen hatte. Es gelang uns, manche 
Angaben über die Verbannung und Einkerkerung 
Bachows zu sammeln. Wir halten es für nützlich, 
diese Angaben zu veröffentlichen, da die Ver- 
bannungsgeschichte ßachows uns beweist, wie 
leicht es auch noch jetzt ist, in ein Klostergefängnis 
zu geraten. 

Biographische Angaben über Rachow und seine 
philanthropische und aufklärende Tätigkeit, die ihn 
eigentlich ins Susdalsche Gefängnis gebracht hatte, 
finden wir in einem Briefe aus Archangelsk, der 
in der Zeitschrift „Nedjelja" 1893 abgedruckt war. 

Vor zehn Jahren, heifst es darin, war ein 
gewisser Herr Rachow, 22 Jahre alt, in einem 
Handelsgeschäft einer reichen deutschen Firma in 
Archangelsk angestellt. Als Sohn wohlhabender 
Eltern und von seinen Prinzipalen sehr geschätzt, 
war er sozusagen an der Schwelle einer glänzenden 
Laufbahn, als er plötzlich zum Entsetzen der 
Eltern und zur nicht geringen Verwunderung der 
Bekannten die Stellung und die Gesellschaft, in 
der er verkehrte, aufgab und verschwand. Einige 
Zeit darauf finden wir ihn schon in einem kleinen 



— 90 — 

Dorf, Bezirk Pineschsky. Von Hütte zu Hütte 
wandernd, erteilt er dort den Bauernkindern 
Unterricht im Lesen und Schreiben und in der 
Religion, den Erwachsenen hilft er mit Rat und 
Tat und liest ihnen an den Abenden und Feier- 
tagen aus Büchern religiös-ethischen Inhalts vor. 
Zu gleicher Zeit bekämpft er eifrig die Trunksucht, 
Roheit und die anderen Fehler des Bauern, weckt 
mit Erfolg sein Gewissen, so dafs die Bauern 
förmlich aufleben. Rachow erscheint als will- 
kommener Gast in jeder Hütte; er ist Lehrer, 
Friedensstifter und Helfer zugleich. Die Bauern 
geben das Trinken auf; die Bauernweiber, die von 
den betrunkenen Männern so viel zu leiden hatten, 
preisen die Vorsehung dafür, dafs sie ihnen einen 
Menschen gesandt hatte, durch den sie das Licht 
erblickten. 

Ob diese aufklärende Tätigkeit Rachows lange 
gedauert hatte, können wir nicht sagen, wir wissen 
nur, dafs ihm infolge der Anzeige seitens des 
Pfarrers des Ortes, dem er als verdächtig vorge- 
kommen ist, verboten wurde, im Dorfe zu bleiben. 
Rachow verreiste nach Archangelsk. Das war im 
Frühling. Er hielt sich einige Tage im Hause 
seiner Eltern auf, dann verschwand er wieder, 
diesmal für lange Zeit. 

Mehr als zwei Jahre vergehen, bis er wieder 
in seiner Heimatstadt erscheint. Man erfuhr, dafs 
er inzwischen den ganzen russischen Süden durch- 
wanderte, in Athen und Palästina war^. 



^ Nedjeya Nr. 16. 



— 91 — 

Endlich kommt er nach Odessa. Hier läfst er 
sich gewohnheitsgemäfs in einer Vorstadt nieder 
und kommt mit deren Bevölkerung, die aus Ar> 
beitem, Bettlern und Barfüfslern bestand, in Be- 
rührung. Er ist entsetzt über die fürchterliche 
Not, in der alle diese Menschen leben. Er be- 
schliefst, das zur Kenntnis der reichen Gesellschaft 
in Odessa zu bringen, um ihre Teilnahme zu wecken 
und sie zur Hilfe zu veranlassen. 

Wie ist das aber zu machen. 

Jeden Abend kommen die reichen und wohl- 
habenden Leute im Theater zusammen ; da beschliefst 
Rachow, ohne viel zu überlegen, ins Theater zu 
gehen. Er nimmt ini Parterre Platz. Das Theater 
war wirklich voll, fast alle Plätze waren besetzt. 
Schon während der ersten Pause, sobald der Vor- 
hang fiel und das Publikum bereit war, sich von 
seinen Plätzen zu erheben, wandte sich ßachow zu 
ihm mit einer glühenden Rede, in der er die Not 
und das Elend der Vorstadt schilderte, und forderte 
die Gesellschaft zur unverzüglichen Hilfe auf. 

Man kann sich leicht das Ende dieses Ver- 
suches vorstellen: die Polizei erschien natürlich, 
dann kam die Verhaftung, die Protokollaufnahme 
usw. Schliefslich wird Rachow per Etappe aus 
Odessa nach Archangelsk befördert. Hier wird er 
ins Gefängnis geworfen und als „Verbreiter von 
Ketzerei" angeklagt. Da man aber weder in seiner 
Rede, noch in seinen Handlungen etwas Verdächtigem 
finden konnte, wurde er freigesprochen und ent- 
lassen. 

Bald darauf zieht Rachow wieder nach dem 



— 92 — 

Süden und wird ein Jahr später per Etappe aus 
Kiew nach seiner Heimatstadt befördert. Es ist 
merkwürdig, dafs er im Gefängnisse und unterwegs 
immer munter und lustig und von unwider- 
stehlichem, wohltuendem Einflüsse auf seine Ge- 
fängnisgenossen war. Den Aussagen der Gefängnis- 
wächter zufolge wurden Strolche, Diebe sittlich 
reiner, als sie seinen überzeugungsvollen Reden 
lauschten. Manche haben direkt einen neuen Lebens- 
wandel begonnen. 

Als Rachow wieder nach Archangelsk kam, 
ging er ganz in der Liebestätigkeit für die Nächsten 
im Geiste des reinen Christentums auf. Seine De- 
vise war: „Alles für die anderen, nichts für sich 
selbst". Er knüpft enge Beziehungen zu den armen 
Leuten, die in der Vorstadt leben, an und 
studiert aufmerksam und eingehend die Bedürf- 
nisse dieser Menschen. Tagtäglich, vom frühen 
Morgen bis zur späten Nacht, besucht er die Nacht- 
asyle und verschiedene Herbergen, in denen sich 
Armut, Laster und Verbrechen nisten, lehrt die 
Menschen das Gute, verteilt Bücher, hilft, wo und 
wie er nur kann, versöhnt die Streitenden mit- 
einander. Im Anfang des Winters 1893 mietete 
Rachow in den zwei entlegensten Stadtvierteln, die 
Ton den ärmsten Leuten bevölkert waren, zwei 
Wohnungen, wo er täglich etwa hundert und mehr 
Menschen speiste. Diese Tischgesellschaften be- 
gannen und schlössen in der Regel mit dem Vor- 
lesen aus dem Evangelium und den Heiligen- 
geschichteu, die er erläuterte, und mit einem Gebet. 
Auch sonst kamen viele in Rachows Speisehallen 



— 93 — 

aus Neugier, um zu hören, wie er spricht und vor- 
liest. Da er aber keine Erlaubnis hatte, diese 
Speisehallen zu eröffnen, so wurden sie geschlossen. 
Ohne die Möglichkeit zu haben, die Wohltätigkeit 
in grofsen Dimensionen zu organisieren, sah sich 
Rachow gezwungen, seine Tätigkeit auf diesem Ge- 
biete zu beschränken. Dann begann er von Haus 
zu Haus, von Hütte zu Hütte zu wandern. Und 
zwar gelang es ihm — wie der Korrespondent ver- 
sichert — überall zur rechten Zeit zu erscheinen, 
als unverzügliche Hilfe und Trost erforderlich 
waren. 

Im Winter verlies er, während es noch dunkel 
war, den Hof mit einem mit Mehl, Brot, Holz usw. 
beladenen Schlitten. Er machte vor bestimmten 
Hütten Halt, liefs an deren Schwelle Mehl oder 
Holz zurück und entfernte sich dann, ohne dafs 
ihn jemand gesehen hätte. 

Rachow hatte auf die armen Leute und die 
Arbeiter der Stadt einen wohltuenden, moralisieren- 
den Einflufs. So z. B. beginnen nun die Arbeiter auf 
manchen Sägemühlen den Tag mit einem Gebet ; man 
hört sie nie mehr schimpfen, streiten, lästern. Sie 
sind alle in gehobener Stimmung, und das beein- 
ilufste auch die Leistungsfähigkeit günstig. 

Zum Schlufs fragt der Verfasser der Korre- 
spondenz: „Wo nimmt denn dieser sonderbare 
Mensch Mittel her, um eine Masse von hungernden 
Menschen zu speisen, Bücher zu verteilen und 
ihnen auch sonst zu helfen?" „Gott gibt sie", würde 
Rachow selbst geantwortet haben. Mittel werden 
ihm von überall her zugeschickt, und in dieser 



— 94 — 

Hinsicht ist er ebenso versorgt worden wie Joann 
Kronstadtsky ^. 

Besonders viel hat Rachow für den ärmsten 
Teil der Bevölkerung von Archangelsk während 
der Hungersnot 1892 getan. Abgesehen von den 
Speisehallen, die er für die Armen und Bettler der 
Stadt eröffnet hatte und die auch zugewanderte 
Pilger aufsuchten, die sich alljährlich in Massen 
nach dem Solowezky- Kloster begaben, richtete 
Rachow in einem äufsersten Stadtviertel, wo nur 
arme Leute wohnen, in Kusnetschicha, Werkstätten 
oder richtiger Arbeitshäuser, ein, wo die Armen, 
die selbst keine Mittel hatten, sich Werkzeuge ver- 
schaff'en und verschiedene Arbeiten verrichten 
konnten. Hier konnten Männer und Frauen arbeiten. 

Dann richtete er ein Waisenhaus für 40 Kinder 
ein, in das vorzugsweise Säuglinge und Kinder bis 
zum 12. Lebensjahre aufgenommen wurden. End- 
lich begründete er ein Nachtasyl für Obdachlose. 
Aber auch das befriedigte ihn scheinbar nicht, und 
er war immer bereit, alles, was er hatte, mit den 
Armen zu teilen. Er hatte nichts, was nur ihm 
allein gehörte und was er nicht mit den Armen, 
Bettlern und Barfüfslern teilen wollte; sah er 
einen in zerrissener Kleidung, so vertauschte er 
mit ihm das, was er anhatte. Einmal begegnete 
Rachow einem Bettler, der vor Kälte zitterte; er 
zog seinen Fuchspelz , den er eben vom Vater als 
Geschenk bekam, aus und gab ihn dem Bettler; 
es ist natürlich, dafs alle Armen der Stadt Rachow 



» Nedjelja 1893, Nr. 16, p. 507. 



— Go- 
als ihren Wohltäter betrachteten. Sie vergötterten 
ihn förmlich. Was die anderen Schichten der Be- 
völkerung betrifft, so behandelten sie diesen aufser- 
gewöhnlichen Menschen sehr verschieden, wenn sie 
auch alle von der Aufrichtigkeit seiner Gesinnung 
und der Reinheit der inneren ethischen Motive 
seiner Tätigkeit vollständig überzeugt waren. Die 
einen hielten ihn für einen Sonderling und ein 
Original, die anderen für einen religiösen Mystiker 
und „für einen Menschen, der nicht von dieser 
Welt ist", die dritten endlich für einen anormalen 
Menschen, bei dem „etwas da oben" fehlt. 

Wie dem auch sei, es ging lange Zeit alles ziem- 
lich gut vor sich : die Anstalten, welche Rachow zu- 
gunsten der Bevölkerung ins Leben rief, entwickelten 
sich allmählich und gediehen. Plötzlich verbreiteten 
sich in der Stadt sonderbare unruhige Gerüchte. 
Die Geistlichkeit des Ortes argwöhnte, Rachow 
bekämpfe die Gebräuche der orthodoxen Kirche. 
Geheimnisvoll erzählte man von Büchern und 
Broschüren, aus denen er manchmal in seinen 
Speisehallen vorlas und die der Lehre der ortho- 
doxen Kirche widersprachen. Man sprach davon, 
dafs Rachow die heiligen Wundertäter nicht ge- 
nügend ehre. 

Haussuchungen wurden in den von ihm be- 
gründeten Anstalten vorgenommen. Es wurde aber 
dabei nichts Verbrecherisches und Verdächtiges 
entdeckt. Alle Gottesbilder waren am geeigneten 
Platz; die Broschüren, die die Pfarrer des Ortes 
so beunruhigten, waren die harmlosesten Schriften, 
die durch jede nur mögliche Zensur gegangen waren. 



— 96 — 

Dennoch wurde auf Veranlassung der geist- 
lichen Behörden eine gerichtliche Verfolgung gegen 
Rachow eingeleitet. Er wurde in Archangelsk vor 
Gericht gestellt. Als man ihm vorschlug, sich 
einen Verteidiger zu wählen, schlug er es ab 
und sagte nur: „Gott wird mich verteidigen." 
Leider konnten wir nicht erfahren, wie die An- 
klage gegen Rachow abgefafst war; er wurde, 
wie erwähnt, freigesprochen, da das Gericht in 
seinen Handlungen nichts Verbrecherisches finden 
konnte. 

Die Administration am Orte, mit dem Gou- 
verneur A. P. Engelhardt an der Spitze, hatte 
gegen Rachow und seine Tätigkeit ebenfalls nichts 
gehabt. Die eparchiale Behörde in Archangelsk 
aber war darüber ofFenbar anderer Meinung, da 
sie es für notwendig hielt, die Verbannung Rachows 
nach dem Susdalschen Spas-Euphimius-Kloster zu 
beantragen. Der diesbezügliche Antrag wurde als 
begründet befunden, und Oktober 1894 traf die 
Verfügung über die Verbannung Rachows nach dem 
Susdalschen Kloster aus Petersburg ein. Gleich 
darauf wurde er verhaftet und zum grofsen Ent- 
setzen der Mutter und des Vaters ins Gefängnis 
gesteckt. Dann mit dem ersten Gefangenen- 
transport am 20. Oktober 8 Uhr früh nach Susdal 
geschickt. Es wurde ihm nur erlaubt, von Vater 
und Mutter Abschied zu nehmen. 

Die Verbannung des einzigen Sohnes, auf den 
die Familie alle ihre HofFnungen gesetzt hatte, 
war ein harter Schlag für den alten Vater und 
die Mutter. Die letztere hielt es nicht aus: sie 



— 97 - 

wurde krank und starb drei Monate darauf, am 
10. Februar 1895, „aus Kummer". Nach dem Tode 
der Frau blieb der alte Mann ganz und gar ver- 
einsamt. Bitter, wenn auch ohne jede Erbitterung, 
klagte er über den schweren Schlag des Schicksals, 
der ihn getroffen hatte. Der unglückliche Vater 
fürchtete, dafs die strenge Einzelhaft den mystisch 
gestimmten Sohn besonders mitnehmen und geistig 
völlig zerrütten würde. Um so mehr, als der 
junge Rachow früher schon einmal psychisch er- 
krankt war. 

Der unglückliche alte Mann hoffte immer durch 
Bitten, die er an verschiedene hochgestellte Persön- 
lichkeiten richtete, die Freilassung seines Sohnes 
aus dem Klostergefängnis zu erreichen. Er bat, 
dafs man ihn seiner Obhut anvertraue. Umsonst! 
Diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung: der alte 
Mann starb, ohne die Freilassung des Sohnes aus 
dem Klostergefängnis zu erleben. 

Dennoch ist anzunehmen, dafs die Bitten und 
Gesuche des alten Rachow nicht ganz ohne Erfolg 
geblieben sind ; wenigstens wurde — wie wir oben 
bereits mitgeteilt haben — Wassilij Ossipowitsch 
Rachow im August 1902 aus dem Susdalschen 
Gefängnis entlassen. Er liefs sich in Archangelsk 
bei seinen Verwandten nieder. Die schwere, acht- 
jährige Einzelhaft ging an ihm nicht spurlos vor- 
über. Leute, die Rachow vor und nach der Ver- 
bannung kannten, erzählen, dafs die Befürchtungen 
seines Vaters wegen des geistigen Zustandes seines 
Sohnes ganz begründet waren. Die langjährige Haft 
verlieh dem Seelenzustand des unglücklichen Stiäf- 

Prugawin, Die Inquis. d. mss.-orthod. Kirche. 7 



- 98 — 

lings ihr Gepräge. Er ist jetzt kaum fähig, weiter 
zu leben und zu arbeiten. 

Das ist die traurige Geschichte Rachows. Wir 
erzählten sie hier einerseits auf Grund der Zeitungs- 
nachrichten, anderseits auf Grund der Mitteilungen 
seines Vaters und anderer Personen, die ihn näher 
kannten. Da wir aber die offiziellen Akten nicht 
zur Hand hatten, so ist es möglich, dafs sich in 
unsere Darstellung manche Fehler eingeschlichen 
haben. Daher darf man im Interesse der Wahrheit, 
im Interesse der Aufklärung dieser äufserst trau- 
rigen und tragischen Geschichte wünschen, dafs die 
^parchiale Behörde in Archangelsk sich entschliefse, 
alle Gründe mitzuteilen, die zur Verbannung und 
zur Einkerkerung eines Menschen geführt haben, 
dessen Tun und Lassen ganz und gar von dem 
hohen Geiste des wahren Christentums ge- 
tragen war. 

Ohne ausführliche Kenntnis aller Umstände 
aber drängen sich jedem unwillkürlich die Fragen 
auf: Warum hat denn dieser seltene Altruist, der 
sein ganzes Leben dem Ideale des Evangeliums 
gemäfs aufzubauen suchte, so grausam leiden 
müssen? Warum ist das Leben dieses Menschen 
und seiner Angehörigen zerstört worden? Vielleicht 
hatte sich in diese Sache ein fataler Fehler seitens 
derjenigen eingeschlichen, welche die Verfolgung 
gegen einen Menschen einleiteten, in dessen Tätig- 
keit das Strafgericht keine Spur von einem Ver- 
brechen entdecken konnte. 



— 99 — 

II. 
Zweiter Fall. 

Unter den Sträflingen, die noch heute hinter 
dem Gitter des Susdalschen Klostergefängnisaes 
schmachten, befindet sich ein gewisser Jermolai 
Feodossejew , der auf Veranlassung der eparchialen 
Behörde in Samara hierher verbannt wurde. Schon 
fünf Jahre sitzt er in Einzelhaft, in einer Kloster- 
zelle. Über die Gründe dieser Verbannung finden 
wir im „Berichte über das Sekten wesen in der 
Eparchie Samara für das Jahr 1900" folgende Er- 
klärung : 

„Die eparchiale Obrigkeit sah sich gezwungen, 
den schädlichen Ketzern und Propagandisten gegen- 
über, die sich nicht bekehren lassen, zum äufsersten 
Mittel zu greifen, und ersuchte die Heilige Synode, 
dafs sie sie aus der orthodoxen Kirche ausschliefse 
und nach dem Susdalschen Spas-Euphimius-Kloster 
verbanne. So mufste sie auch Jermolai Feodossejew 
behandeln, der in einer Höhle wohnte und durch 
seine Scheinheiligkeit (?) die Massen des einfachen 
Volkes verlockte." ^ 

Man mufs wenigstens einen Augenblick bei 
diesen Zeilen des „Berichtes" verweilen, um ihren 
verborgenen Sinn zu erfassen. Vor allem ist die 
Offenherzigkeit hervorzuheben, mit der die Samarer 
Eparchie ihr Verhalten zu „den Ketzern" und 
„Propagandisten" schildert, die „sich nicht bekehren 
lassen und schädlich sind". Diesen Leuten gegen- 



' Samarer eparchiale Nachrichten, 1901. Nr. 16. 

7* 






;^/^v 



— lou — 

über hält sie sich für berechtigt, „zu dem äufsersten 
Mittel zu greifen", d. h. mit ruhigem Gewissen 
ihren Ausschlufs aus der orthodoxen Kirche und 
ihre Verbannung nach dem Spas-Euphimius-Kloster 
zu verlangen. Und obwohl dieses „Mittel** von der 
eparchialen Obrigkeit selbst als „extremes" be- 
zeichnet wird, fühlt sie sich doch dadurch in 
keiner Weise getroffen und hält es offenbar für 
notwendig, nicht nur um die Ketzer und Propa- 
gandisten bekämpfen zu können, sondern überhaupt, 
weil es ein zweckmäfsiges und natürliches Mittel 
ist. Da ferner die Begriffe „Ketzerei", „Propa- 
ganda" äufserst dehnbar und unbestimmt sind, so 
können wir nur bedauern, dafs die eparchiale 
Obrigkeit in Samara es nicht für notwendig hielt, 
wenigstens zum Teil Aufschlufs darüber zu geben, 
wen sie eigentlich als „Ketzer" und „Propa- 
gandisten" betrachtet, und wie sie die „schädliche 
Gesinnung" , die ihrer Überzeugung nach nur mit 
Klostergefängnis bestraft werden mufs, auffafst? 

Wenn wir dann den Fall Jermolai Feodossejew 
in Betracht ziehen, gelegentlich dessen die ep- 
archiale Obrigkeit ihre prinzipielle Ansicht über die 
Klosterverbannung ausgesprochen hat, so kann 
man nicht umhin, das Befremden darüber zu 
äufsern, wie sie ihre Beschuldigungsgründe und 
die Anklage, infolge deren Feodossejew ins Kloster- 
gefängnis geworfen wurde, formuliert. 

Die Samarer Eparchie gibt sich in ihrem Be- 
richte Mühe, uns davon zu überzeugen, dafs sie 
genötigt war, bei Feodossejew das äufserste Mittel 
zu ergreifen, d. h. ihn nach Susdal zu verbannen. 



— 101 — 

weil er „in einer Höhle lebte und durch seine 
Scheinheiligkeit die Massen des einfachen Volkes 
verführte" K 

Wir sind berechtigt, daraus zu schliefsen, dafs 
wir in der Person Feodossejews weder einen „Ketzer" 
noch einen „Propagandisten" zu sehen haben, 
sondern einen Mystiker und tiefreligiös gestimmten 
Menschen, der nach dem Beispiele der Heiligen 
früherer Zeiten beschlossen hat, in einer Höhle zu 
leben und dadurch seine Seele zu retten. Wäre 
Feodossejew ein Sektierer und ein Ketzer gewesen 
und noch dazu „gefährlich" und „unverbesserlich", 
so hätte dieser Umstand im Berichte eine ganz 
andere Betonung gefunden. 

Auf diese Weise bestehen alle „Verbrechen" 
Feodossejews gegen Kirche und Staat darin, dafs 
er 1. in einer Höhle lebte, 2. durch seine Schein- 
heiligkeit die Massen des einfachen Volkes ver- 
führte. Darf man darüber noch Worte verlieren, 
dafs diese zwei „Verbrechen" nichts Verbrecherisches 
in sich enthalten und unter keinem Artikel der 
bei uns herrschenden Gesetze subsumiert werden 
können ? So sehr sich bei uns in Rufsland das 
System der Bevormundung und der strengen 
Reglementierung dem Bauerntum gegenüber ein- 
gewurzelt hatte, so sehr dadurch nicht nur sein 
öffentliches, sondern auch sein Privatleben beein- 



^ Erläuterung des Zensors Hieromönch 
Alexander: Wenn die Samarer eparchiale Obrigkeit 
Feodossejew in diesem Sinne schilderte, so hat sie offenbar 
dafür sehr wichtige und ernsthafte Gründe gehabt 



— 102 — 

flufst wird, ist es dennoch auch bei uns gesetzlich 
nicht verboten, z. B. in einer Höhle zu leben und 
„das Volk zu verlocken". In diesem Falle wurde 
die Schuld Feodossejews , wie aus dem Berichte 
zu ersehen ist, dahin formuliert, „dafs die Heilig- 
keit", durch die er die Massen „verlockte", eine 
„Scheinheiligkeit" war. Da aber der Bericht den 
Beweis dafür schuldig bleibt und nicht einmal an- 
gibt, wer die Richter und Experten sind, denen es 
gegeben war, in den Herzen der Menschen zu 
lesen, so ist es klar, dafs diese Beschuldigung 
nur eine leere Behauptung ist. Ja, sogar wenn 
wir die Ansichten der Samarer Eparchie teilen 
und anerkennen wollten, dafs die Heiligkeit 
Feodossejews wirklich nur eine Scheinheiligkeit 
war, so drängt sich doch unwillkürlich die Frage 
auf: seit wann ist denn die „Scheinheiligkeit" ein 
strafrechtlich zu verfolgendes Verbrechen, das mit 
vieljähriger Gefängnishaft strengstens bestraft 
werden mufs? 

Freilich erscheinen Heuchelei und Scheinheilig- 
keit unter anderen Fehlem der sittlichen Natur 
des Menschen als die gröfsten und widerlichsten 
Laster. Der Typus des Heuchlers und Schein- 
heiligen, der Tartüfftypus weckte immer und über- 
all das Gefühl der Entrüstung , aber nirgends, nie 
und niemand wagte es — nicht einmal während 
der heiligen Inquisition — , zu beantragen, diese 
Menschen mit Gefängnis zu bestrafen. 

Dann äufsert die eparchiale Obrigkeit kein 
Wort darüber, auf wessen Veranlassung die Ver- 
folgung gegen Feodossejew begann. War eine 



— 103 — 

Untersuchung eingeleitet? Wer leitete die Unter- 
suchung : der Pfarrer des Ortes oder der Missionar, 
ein Mitglied des geistlichen Konsistoriums oder ein 
Vertreter der administrativen und gerichtlichen 
Gewalt? 

Ferner wissen wir nicht, ob Feodossejew die 
Möglichkeit hatte, sich zu rechtfertigen. Ob 
ferner, bevor man ihn zu bestrafen beschlofs^ 
Versuche gemacht wurden, auf Feodossejew durch 
die Mittel einzuwirken, die in solchen Fällen für 
die geistliebe Gewalt bindend sind. 

Auf alle diese Fragen finden wir in dem Be- 
richte der eparchialen Obrigkeit keine Angaben, 
keine Erläuterungen. 

Unter diesen Umständen mufs man es sehr 
bedauern, dafs erstens die Samarer Geistlichkeit 
es für möglich hielt, die Verbawnung Feodossejews 
nach der Susdalschen Festung ohne jeden Grund 
zu beantragen, und zweitens — was noch wichtiger 
ist — , dafs dieser Antrag in den höheren geist- 
lichen Kreisen Gehör gefunden hat und ange- 
nommen wurde. 

Wie dem auch sei, wir stehen nun vor einer 
Tatsache, die fast unwahrscheinlich erscheint: Ein 
Mensch, auf dem keine Spur von einem Verbrechen 
lastet, sitzt bereits fünf Jahre im Gefängnis, und 
niemand weifs, wie lange er noch sitzen wird. 
Haben wir doch geseheD , dafs Menschen ohne An- 
gabe der Strafzeit in Klostergefängnisse geworfen 
werden. Wir haben auch gesehen, dafs eine solche 
Hftft oft Jahrzehnte und si^gar lebenslänglich 
dauern kann. 



— 104 — 

IIL 

Dritter Fall. 

In demselben offiziellen Berichte über das 
Sekten wesen der Samarer Eparchie für 1900, dem 
wir den Fall Feodossejew entnommen haben, wird 
auch noch eine zweite Verbannung nach dem 
Susdalschen Klostergefängnis mitgeteilt. Um die- 
>«elbe Zeit wurde in dasselbe Gefängnis der Bauer 
Iwan Tschurikow aus dem Gouvernement Samara 
eingesperrt, dessen Schuld dem Berichte nach 
darin bestand, dafs er „sich für einen Heil- 
kundigen und einen Wundertäter ausgab und somit 
auf das religiöse Gefühl der Einfältigen speku- 
lierte". 

In die Klosterverbannung geht also auch dies- 
mal kein „gesinnungsgefährlicher Ketzer'', kein 
„Propagandist", der gefährliche Lehren verbreitet, 
und kein Sektierer einer schädlichen Sekte, sondern 
ein Mensch, der selbst nach der Ansicht der ep- 
archialen Obrigkeit nur darin schuldig ist, dafs er 
auf das religiöse Gefühl des einfachen Volkes 
spekulierte. Freilich mufs man auch hier be- 
dauern, dafs die Samarer Obrigkeit es nicht für 
notwendig hielt, die Beschuldigung Tschurikows 
irgendwie mit Tatsachen zu belegen. Allein, wir 
geben zu, dafs diese Beschuldigung begründet ist, 
und dafs Tschurikow sich wirklich für einen 
Wundertäter ausgab und auf das religiöse Gefühl 
des einfachen Volkes spekulierte. Dann müfste aber 
in seinen Handlungen Betrug entdeckt worden sein, 
unlauterer Erwerb, kurz, Verbrechen und Vergehen, 



— 105 — 

die in unseren Gesetzen genau vorgesehen sind und 
streng bestraft werden. 

Folglich : ist die Schuld Tschurikows bewiesen, 
so mufs er einer bestimmten gesetzlichen Be- 
strafung vom Zivilgerichte unterzogen werden, 
welches zweifellos in der Lage wäre, den Schuldigen 
für seine verbrecherische Tätigkeit nach Gebühr zu 
bestrafen und die Bevölkerung davor zu warnen. 
Die geistliche Behörde in Samara aber hielt diesen 
einfachen Weg des Gesetzes aus irgend einem 
Grunde für unbequem und zog es vor, Tschurikow 
auf dem administrativen Wege zu bestrafen, indem 
sie seine Einsperrung im Klostergefängnis be- 
antragte. Wahrscheinlich wurde dieser Antrag als 
begründet befunden, da Tschurikow gleich darauf 
ohne Verhör und Gerichtsverhandlung verhaftet und 
in Einzelhaft in die Susdalsche Festung gebracht 
wurde. Wofür ? Auf wie lange ? Niemand weifs es. 

Der Fall Tschurikow wie die eben angeführten 
Fälle (Rachow und Feodossejew) zeigen deutlich, 
dafs es auch heutzutage leicht ist, in ein Kloster- 
gefängnis zu geraten. Aus dem aber, was wir früher 
mitgeteilt haben, haben die Leser zweifellos 
die Überzeugung gewonnen, dafs es ebenso leicht 
ist, ins Gefängnis zu geraten, als es schwer ist, 
davon loszukommen. Zum Glück fand Tschurikow 
Beschützer, die in gewissen Kreisen Einflufs 
hatten, und es gelang ihm bald uqd ganz uner- 
wartet, die Susdalsche Festung zu verlassen. Da- 
mit waren aber die geistlichen Behörden in 
Samara sehr unzufrieden. Der Bericht der ep- 
archialen Obrigkeit, in dem mitgeteilt wird, dafs es 



— 106 — 

Tschurikow im Jahre 1900 gelungen ist, „auf unbe- 
kannte Weise der Verbannung zu entgehen", scheint 
diese Verfügung, d. h. die Freilassung Tschurikows, 
zu tadeln. Um die verderblichen Folgen dieser 
Verfügung nachzuweisen, werden folgende Mit- 
teilungen über Tschurikows Leben und Tätigkeit ge- 
macht. „Tschurikow benutzte seine Freiheit — heifst 
es im Bericht — , um mehr Popularität zu gewinnen. 
£r erklärte seine Freilassung nicht als eine Gnade 
der Obrigkeit, sondern als eine Anerkennung 
seiner Schuldlosigkeit und als eine Bestätigung der 
Wahrheit seiner Lehre." ^ 



^ Anmerkung des Zensors Hieromöncb 
Alexander. In letzter Zeit beginnen viele Petersburger,. 
Tschurikow nicht mehr so sympathisch zu behandeln wie früher. 
Der Grund dafür liegt darin, dafs Tschurikows Persönlichkeit 
sich mehr und mehr aufklärt . . . Tschurikow begeht sonder^ 
bare Handlungen. Z. B. auf photographischen Bildern ist er 
mit einem grofsen Kreuze auf der Brust dargesteUt, als wäre 
er ein Geistlicher. In seiner Wohnung hielt er „Versamm- 
lungen" ab, wobei er die Anwesenden „mit Öl salbte^. Zwar 
sagte er, er täte das nicht als Pfarrer, sondern aus „Bruder- 
liebe**; warum äufserte aber Tschurikow seine Bruderliebe in 
Handlungen, die das Vorrecht der Pfarrer sind? Es gibt noch 
viele andere „Sonderbarkeiten** in Tschurikows Lebens- und 
Handlungsweise — Eigentümlichkeiten, die das Gefühl eines 
orthodoxen Christen verletzen müssen. Wer diese Absonder- 
lichkeiten kennen lernen will, den verweisen wir auf das Mai- 
beft der Zeitschrift „Der orthodoxe Wegweiser** (1904X hi dem 
eine ausführliche Korrespondenz „über das Brüderchen Iwa- 
nuschka** — wie man in der Regel Tschurikow tituliert — ent- 
halten ist. Folglich darf man Tschurikow nicht als einen ganz 
harmlosen Menschen betrachten und ohne weiteres die Gründe 
verwerfen, die zu seiner Ausweisung aus dem Gouvernement 
Samara gefuhrt haben. 



— 107 — 

„Jetzt lebt er in Petersburg und zÄhlt Hunderte 
von Anhängern, die ihm seine Existenz gesichert 
und ein luxuriös ausgestattetes Haus für ihn ge- 
mietet haben." 

Der Fall Tschurikow verdient ganz besondere 
Beachtung darum, weil seine Verbannung, wie man 
uns versichert, allerhöchst nicht sanktioniert wurde. 
Noch mehr. Es bestehen beharrliche Gerüchte, 
dafs die Heilige Synode die Klosterverbannung 
Tschurikows nicht verfügte, und dafs die ganze Ge- 
schichte darauf zurückzuführen sei, dafs das geist- 
liche Konsistorium in Samara seine Tätigkeit als 
schädlich erklärte und verordnete, ihn nach dem 
Susdalscben Kloster zu bringen. Das erfüllte auch 
die Polizei mit einer Genauigkeit, die einer besseren 
Sache würdig gewesen wäre. 

Infolge des tiefen Geheimnisses, in das alles, 
was die Klosterverbannung angeht, gehüllt ist, 
zirkulieren in der Gesellschaft wie im Volke ver- 
schiedene Gerüchte, die zwar mitunter übertrieben 
sind und der Wahrheit nicht immer entsprechen, aber 
dennoch verbreitet werden und Verwirrung und 
Unruhe in den Köpfen vieler Menschen anrichten. 
Man mufs daher das Erscheinen eines offiziellen 
Berichtes wünschen, der ähnlichen, oft phantasti- 
schen Gerüchten ein Ende machen könnte. Nur 
müfste dieser Bericht genaue Zahlen und die 
Namen derjenigen enthalten, die dieser grausamen 
Strafe anheimfielen, und die Gründe angeben, die 
ihre Notwendigkeit hervorgerufen haben. 



- 108 — 

IV. 

Wir haben die Aufmerksamkeit des Lesers auf 
die ersten besten Verbannungsfälle aus der letzten 
Zeit gelenkt. Ähnliche Fälle könnten aber in 
Menge angeführt werden. Wenn in unserer Presse 
nur selten und dazu nur kurze und mangel- 
hafte Berichte über die Klosterverbannung ver- 
Mentlicht werden, so kann dennoch jeder, der auf- 
merksam die Chronik unseres religiösen Lebens ver- 
folgt, quellenmäfsig ganze Reihen ähnlicher Fälle fest- 
stellen. So z. B. wurde vor kurzem, im Sommer 
1901, folgender Fall aus dem Podeler Gouver- 
nement mitgeteilt. Man schöpfte Verdacht, dafs 
Pfarrer Schandrowski die Stundisten begünstige. 
Es wurde sogar erzählt, dafs er die Orthodoxie 
aufgegeben habe und offen zu der Stunda über- 
getreten sei. Er wird zitiert, verhaftet und ver- 
schwindet spurlos. Einige Zeit darauf erfährt man, 
dafs er nach einem Kloster verbannt wurde. 

Inwiefern diese Mitteilung richtig ist, wissen 
wir leider nicht. Wenn aber der Übertritt des 
orthodoxen Pfarrers zu den Stundisten wirklich 
stattgefunden hat, so ist es vollkommen klar, dafs 
die geistlichen Behörden den Fall besonders streng 
behandelt haben. Schade nur, dafs er auf admini- 
strativem Wege erledigt und dafs die ganze Ge- 
schichte wieder einmal in tiefes Geheimnis gehüllt 
wurde. 

Pfarrer Schandrowski geriet also ins Kloster, 
und zwar wegen seines Abfalls von der Orthodoxie 



— 109 — 

und des Übertritts zu den Stundisten. Vom Stand- 
punkt des russischen Strafrechts und noch mehr 
von dem des Kirchenrechts müssen freilich solche 
Handlungen als schwere und grofse Verbrechen 
gelten. Es ist nur zm bemerken, dafs die Pfarrer 
nicht immer auf Grund bewiesener, ernsthafter 
Schuld in die Klostergefängnisse geraten. Es ist 
auch jetzt nicht selten der Fall, dafs Geistliche 
nicht wegen begangener Verbrechen , sondern 
wegen Ansichten und Meinungsäufserungen über 
bestimmte Fragen der Religion und der kirchlichen 
Verwaltung mit Verbannung bestraft werden. Als 
Beispiel weisen wir auf den Pfarrer Zwjetkow aus 
dem Gouvernement Tambow hin, den wir früher 
bereits erwähnten. Pfarrer Zwjetkow wurde im 
Sommer 1901 von der „höheren geistlichen 
Obrigkeit" zur Verbannung nach dem Susdalschen 
Klostergefängnisse verurteilt. Dem Berichte der 
„St. Petersburgski ja Wjedomosti" zufolge boten 
manche seiner Ansichten, die den in unseren geist- 
lichen Kreisen herrschenden widersprechen, den 
Grund für diese grausame Strafe. So z. B. ver- 
urteilte Zwjetkow die Unterwerfung der Kirche 
unter die weltliche Gewalt in der Person des Ober- 
prokurators der Heiligen Synode; er hielt es für 
notwendig, ein Konzil zu berufen, um manche 
Fragen der orthodoxen Kirche zu lösen, und 
leugnete in dieser Hinsicht die Autorität der 
Heiligen Synode. In diesem Sinne richtete er an 
den Oberprokurator der Heiligen Synode und viele 
andere Hierarchen der russischen Kirche wiederholt 
Erklärungen. Das hatte auch die Verurteilung 



— 110 — 

Zwjetkows zur Klosterverbannung „behufs Besse- 
rung" zur Folget 

Schon drei Jahre sitzt Zwjetkow in der Ge- 
fängniszelle der Susdalschen Festung und wird da 
noch weiter schmachten, solange der Vorsteher des 
Klosters und die höhere geistliche Obrigkeit sich 
nicht davon überzeugt haben, dafs er sich gebessert, 
d. h. seine Verirrungen bekannt und seine Ansichten 
und Überzeugungen als falsch' bezeichnet hat. 
Wann es aber geschehen und ob es geschehen 
wird , das weifs selbstverständlich kein Mensch. 
Es ist leicht möglich, dafs Zwjetkow noch lange, 
lange Jahre in strengster Einzelhaft verbleibt, 
dafs er die Zeit nicht mehr erlebt, wo er das 
Tor des -Susdalschen Gefängnisses wird verlassen 
können. 

Bei dieser Gelegenheit drängt sich uns unwill- 
kürlich ein analoger Fall aus der fernen Ver- 
gangenheit auf. Es war vor rund zweihundert 
Jahren. Zur Zeit Peters I. liefs die Geheimkanzlei 
einen leibeigenen Jakuten, Andrei Surgutschow, 
nach dem Solowezky-Kloster verbannen. Seine 
Schuld bestand darin, dafs er die Synode nicht 
anerkannte und erklärte, er werde die Kirche so 
lange nicht besuchen, „bis. die Synode abgeschafft 
sei und im Kirchengesang nicht mehr erwähnt 
werde". Dieser frechen Gesinnung wegen wurde 
Surgutschow verhaftet und einem Verhör unter- 
zogen. Er wurde, den Sitten der Zeit entsprechend, 
gefoltert und „mit Feuer gebrannt". Da er aber 



St. Petersburgskija Wjedomosti. 



— 111 — 

„bei seiner Hartnäckigkeit verblieb**, wurde er ins 
Solowezky-Gefftngnis geschickt. 

Seit diesem Falle verstrichen volle zwei Jahr- 
hunderte. Während dieser Zeit hatte sich in 
unserem öffentlichen Leben freilich vieles zum 
Besseren geändert: man foltert nicht mehr, man 
brennt beim Verhör nicht mehr mit Feuer usw., 
aber für den Mut, seine Überzeugung auszu- 
sprechen, läfst man die Menschen jetzt ebenso wie 
vor 200 Jahren in den Kasematten des Kloster- 
gefängnisses schmachten. Wie man sieht, kann der 
Fortschritt, den wir in zwei Jahrhunderten ge- 
macht haben , als nicht allzu bedeutend bezeichnet 
werden ^. 

Aufser dem Pfarrer Zwjetkow sitzen gegen- 
wärtig noch zwei Pfarrer im Susdalschen Gefäng- 
nisse : Peter Rudakow und Gabriel Alexandrowitsch 
Sinzorow und ein Mönch Hierodiakon Pimen. Leider 
sind uns die Gründe, die sie ins Gefängnis brachten, 
unbekannt. 

Ferner safsen noch vor kurzem in demselben 



^ Anmerkung des Zensors Hieromönch 
Alexander. In den Worten des Verfassers ist ein Mifs- 
yerständnis enthalten. Bei uns werden nicht die Ansichten 
und Überzeugungen bestraft, sondern „ihre öffentliche Äufserung^, 
wenn sie mit einer gewissen Bechtsverletzung verbunden ist 
Und das mufs auch wie eine Verbrechensbegehung bestraft werden. 
Wie man sogar aus dem Berichte sehen kann, wurde Pfarrer 
Zwjetkow nicht wegen seiner persönlichen Ansichten bestraft, 
sondern wegen öffentlicher Äufserung derselben (da es unseren 
Gesetzen widerspricht). Selbstverständlich würde eine solche 
öffentliche Äufserung, falls sie „ohne Folgen geblieben wäre'', 
nur zur Verbreitung der Verirrung fuhren. 



— 112 — 

Gefängnisse: Pfarrer Alexei Jewgrafowitsch Ser- 
tschaninow, aus dem Gouvernement Nischni-Now- 
gorod, Pfarrer Peter Feodorowitsch Solotnizki u. a. 
Der letztere safs wegen seines Übertritts zu den 
Altgläubigen Bjeglopopowzy (wandernde Pfarrer) 
32 Jahre in der Susdalschen Festung, und zwar vom 
23. Dezember 1865 bis zum 3. April 1897. Es ist 
selbstverständlich, dafs die lange Einzelhaft die 
traurigsten Folgen für ihn gehabt hat: er wurde 
psychisch krank ; die Krankheit verschlimmerte sich 
mit den Jahren immer mehr, und als er endlich 
aus dem Gefängnis entlassen und den Verwandten, 
die darum ersuchten, anvertraut wurde, war er 
schon ein bejammernswerter, hofluungslos kranker 
Mann, der nicht mehr wufste, was mit ihm und 
um ihn geschah. 

V. 

Wie in früheren Zeiten werden auch jetzt, 
am Anfang des 20. Jahrhunderts, meistens Leute 
nach den Klöstern verbannt, die bei uns unter dem 
Namen „Sektierer" und „Ketzer" bekannt sind. 
Wir haben schon einmal davon gesprochen, wie 
man bei uns diese Begriffe mifsbraucht; daher 
halten wir es für überflüssig, dieses Thema hier 
zu behandeln. 

Wir führen nur einige Fälle aus den letzten 
Jahren an, um einen Begriff davon zu geben, wie 
Sektierer und Ketzer in die Klöster verbannt 
werden. Aus dem Berichte des Oberprokurators 
der Heiligen Synode für das Jahr 1898 erfahren 
wir unter anderem von der Verbannung des Bauers 



— 113 — 

Wassilij Podgorny aus dem Gouvernement Charkow, 
Bezirk Achtyr, nach dem Susdalschen Kloster 
wegen Verbreitung der Sekte „Chlystowzy". Durch 
seine Tätigkeit lenkte Podgorny die Aufmerksamkeit 
der geistlichen Behörden auf sich, die eine gericht- 
liche Verfolgung gegen ihn einleiteten. 

Dem Berichte zufolge ergab die Untersuchung, 
die von der eparchialen Behörde veranlafst wurde, 
folgendes: „Podgorny hatte äufserst verdächtige 
Handlungen begangen ; unter der Maske der Fröm- 
migkeit verbreitete er unter unwissenden, leicht- 
gläubigen Menschen eine Irrlehre, die die Grund- 
lagen des Familienlebens erschüttert, die Achtung 
vor der heiligen Kirche und ihren Dienern, den 
orthodoxen Priestern, vor dem Sakrament und 
Gottesdienst untergräbt. Indessen führte er selbst 
einen unsittlichen Lebenswandel, indem er in 
zügellos - roher Sinnlichkeit schwelgte. Er ver- 
sammelte Frauen und Jungfrauen unter dem Ver- 
wände gottgefälliger Absichten, vergewaltigte und 
schändete sie dann, ohne auf das Alter zu achten. 
Infolgedessen bestimmte die Heilige Synode 1892, 
Podgorny nach dem Spas - Euphimius - Kloster zu 
verbannen und in die Sträflingsabteitung unter- 
zubringen, bis er sich gebessert und Abbitte getan 
hat."i 

Auf solche Weise fand auch in diesem Falle 
die Verbannung ohne Gerichtsverhandlung statt, 
lediglich auf Grund einer Untersuchung, die von 
der eparchialen Obrigkeit in Charkow veranlafst 



^ Die Rundschau der Missionäre, 1901, Maiheft. 

Priigawin, Die Inquis. d. russ.-orthod. Kirche. 8 



— 114 — 

wurde. Bekanntlich werden solche Untersuchungen 
von einem Mitglied des geistlichen Konsistoriums 
— am häufigsten von dem Oberpriester oder dem 
eparchialen Missionär des Ortes — geleitet. Ohne 
die Frage zu berühren, inwiefern diese Leute als 
unparteiische und kompetente Untersuchungsrichter 
in Fragen sein können, die offenbar einen juri- 
dischen Charakter^ haben, mufs man sich doch 
darüber wundern,dafs die geistlichen Untersuchungs- 
richter, die Podgorny solche verbrecherische Hand- 
lungen, „wie Schändung und Vergewaltigung von 
Frauen", zur Last legten, dennoch es für tiberflüssig 
gefunden haben, ihn einer gerichtlichen Verant- 
wortung für diese Verbrechen zu unterziehen. 

Podgorny verbrachte volle zehn Jahre im 
Susdalschen Gefängnisse. Er bekannte nicht nur 
seine Schuld nicht, sondern fuhr fort — wie im 
Berichte des Oberprokurators konstatiert wird — 
im Gefängnisse sitzend, durch geheime Korre* 
spondenz „schädlichen Einflufs" auf seine zahl- 
reichen Anhänger „auszuüben". 

Als wir im vorigen Jahre (1903) das Susdalsche 
Kloster aufsuchten, fanden wir jedoch Podgorny nicht 
mehr im Gefängnisse, sondern in einer Kloster- 
zelle, wo er nicht als Sträfling und Verbannter, 
sondern als Mönch lebte und Mitglied der Brüder- 
gemeinschaft des Susdalschen Spas - Euphimius- 



* Anmerkung des Zensors Hieromönch 
Alexander. Jedenfalls sind die Geistlichen in juridischen 
Fragen, die Religion und Kirche betreffen, nicht minder 
als die Juristen aus der weltlichen Intelligenz kompetent. 



— 115 - 

Klosters war. Diese schroffe Veränderung kam, 
wie man uns erklärte, daher, dafs der Vorsteher des 
Klosters, Archimandrit Serafim (früher Artillerie- 
hauptmann Tschitschagow), als er Podgorny näher 
kennen gelernt hatte, sich davon überzeugte, dafs 
er an den ihm von den gestlichen Behörden in 
Charkow zur Last gelegten Verbrechen ganz und 
gar unschuldig war. Wenn das richtig ist, so 
drängt sich einem unwillkürlich die Frage auf: 
wofür safs denn Podgorny volle zehn Jahre in den 
Klosterkasematten in Einzelhaft? 

Von den anderen Sektierern, die noch heute 
im Susdalschen Gefängnisse schmachten, erwähnen 
wir vier Bauern aus dem Gouvernement Saratow, 
die wegen Verbreitung der Sekte Enochowzy 
hierher verbannt sind. Bereits mehr als zehn Jahre 
sitzen sie in Einzelhaft. Zwei von ihnen hielten 
die lange Haft nicht aus und verloren den Ver- 
stand. Dieser Umstand jedoch liefs keine Ver- 
besserung in ihrer Lage eintreten, im Gegenteil, 
es verschlechterte sich ihre ohnedies traurige Lage 
noch mehr. Infolge der Wahnsinnsausbrüche, die 
über sie kommen, hält man sie jetzt Tag und Nacht 
hinter Schlofs und Riegel. Nicht einmal in den 
Korridor oder auf den kleinen Gefängnishof werden 
sie herausgelassen. Sie dürfen keine Spaziergänge 
machen, obwohl dies allen anderen Arrestanten des 
Klostergefängnisses erlaubt ist . . . Wird denn 
auch der Wahnsinn diese Unglücklichen nicht aus 
der weiteren Gefängnishaft erlösen? . . . 



8* 



— 11(5 — 

VI. 

Aus den angeführten Tatsachen ist zu ersehen, 
dafs die Initiative zur Verbannung von Leuten, die 
des Abfalls von der Kirche oder der Ketzerei be- 
schuldigt sind, fast immer von den geistlichen Be- 
hörden des Ortes ausgeht. Manche eparchiale 
Behörden greifen mit besonderer Vorliebe zu dieser 
Mafsregel, ohne offenbar die Exklusivität und 
Grausamkeit dieser Strafform zu überlegen. 

Femer ersieht man aus diesen Tatsachen, dafs 
die Klosterverbannung nach wie vor auf admini- 
strativem Wege , ohne Gerichtsverhandlung und 
Verhör, mitunter, wie im Falle Rachow, gegen den 
Gerichtsbeschlufs vor sich geht. Wenn die admini- 
strative Mafsregelung auf dem Gebiete der Politik 
das Gefühl verletzt, was soll man dann von den 
Fällen sagen, wo sie auf dem intimsten Gebiete des 
menschlichen Geistes, auf dem Gebiete religiöser 
und ethischer Überzeugungen, angewendet wird*. 



^ Anmerkung des Zensors Hieromönch 
Alexander: Der administrativen Mafsregelung wird nicht 
die intime Seite unserer religiösen Überzeugungen unter- 
zogen, sondern das Verbrechen gegen Religion und Kirche. 
Mit anderen Worten: wenn eine falsche religiöse Anschau- 
ung durch Verletzung der Gesetze sich nach aulsen be- 
kundet. Die Annalen unserer Journale für Missionäre und 
unsere weltlichen Blätter zeigen zur Genüge, was die 
Sektierer an Unruhestiftung, Demolierung und schreiender 
Gewalttätigkeit den Orthodoxen gegenüber leisten können. 
Diese traurigen Tatsachen haben ihren Grund nicht nur in 
der Blindheit, mit der der Geist der Sektierer geschlagen 
ist, sondern auch in derNachsicht der administrativen 
Mafsregelung. 



— 117 — 

Im Interesse der Kirche selbst ist zu wünschen^ 
dafs der „Klosterverbannung*^ sobald als möglich 
ein Ende gemacht wird. Sie ist eine unmögliche 
Anomalie, die uns aus der Epoche der Inquisitions- 
verfolgungen , der Folterung und Intoleranz er- 
halten geblieben ist. Im Interesse, der Kirche 
mufs man von ganzem Herzen wünschen , dafs 
die Klöster, „diese Stätten des Friedens, der Liebe 
und Verzeihung", endlich aufhören, die Rolle der 



Herr Jesus Christus beschräukte sieb nicht darauf^ 
die Schacherer zu geifseln, sondern jagte sie mit einer 
Peitsche aus dem Tempel, schmifs das Geld der Wucherer 
zu Boden und stülpte ihre Tische um. Als er Jerusalem di& 
fürchterliche Katastrophe prophezeite, wies er auf den 
engen Zusammenhang zwischen Verbrechen und Strafe hin» 

Die Prüfung, die Jerusalem heimsuchen wird, ist ein 
notwendiges Postulat seines sittlichen Verfalls, ähnlich, wie 
wenn sich Geier auf eine verwesende Leiche niederlassen^ 
ähnlich, wie wenn die Wärme der Frühlingssonne das 
Blühen des Feigenbaumes hervorruft, und umgekehrt an dem 
blühenden Feigenbaume sich der Sommer erkennen läfst. 
Jedes unbestrafte Verbrechen erscheint vor dem Gewissen^ 
dem geistigen Auge des Menschen, als etwas Anormales, um 
so mehr muDs man das vom Verbrechen gegen Keligion und 
Kirche sagen. 

Da die Gewalttätigkeiten der Sektierer infolge der 
schwachen administrativen Mafsregelung während ihres 
früheren Lebens entstehen, so legt dieser Umstand den 
Vertretern der Gewalt die Pflicht auf, den geringsten Ver- 
such der Sektierer, ihre Irrlehren öffentlich zu bekunden 
und die Orthodoxen zu verwirren, unverzüglich zu unter- 
drücken. Beugt man dem kleinen Übel vor, so beugt man 
dadurch auch dem damit verbundenen grofsen vor. Jeden- 
falls mu& es Zügel geben, die die religiösen Verirrungen 
der Sektierer zurückzuhalten vermögen. 



— 118 — 

Zuchthäuser und Gefängnisse zu spielen ; man mufs 
wünschen, dafs den Mönchen die trüben Pflichten 
der Gefängniswächter, die sich mit ihrer Würde 
nicht vertragen, abgenommen werden. 

Das ist um so leichter zu erfüllen, als es keiner 
Veränderung unserer Strafgesetze bedarf, da sich 
darin bekanntlich gar keine Hinweise bezüglich 
der Klostergefängnisse befinden. Es ist wahr, der 
5. Artikel des „Reglements über die Gefangenen" 
lautet: „Privatpersonen können in manchen Fällen 
zur Verbannung in ein Kloster verurteilt werden. 
Ihre Behandlungsweise wird dort nach den Ver- 
ordnungen der Kirche bestimmt." Allein, erstens 
wird es klar, dafs hier von einer Klosterverbannung 
die Rede ist, die auf gerichtlichem und nicht ad- 
ministrativem Wege zu erfolgen hat ; zweitens kann 
man den Ausdruck „Klosterverbannung" nicht im 
Sinne der Einkerkerung ins Kloster auffassen. 
Eine Klosterverbannung gab es bei uns immer, 
unabhängig von der Einkerkerung in Kloster- 
gefängnisse. Auch jetzt werden Leute nach den 
Klöstern verbannt und in gewöhnlichen Kloster- 
zellen untergebracht. Sie geniefsen eine gewisse 
Freiheit, während diejenigen, die in Kloster- 
gefängnisse gesteckt werden, dem strengen Regime 
eines Gefängnisses ausgesetzt sind. 

Um das zu beweisen, könnten wir viele Beispiele 
anführen, wo der Klosteraufenthalt mit einer Ein- 
kerkerung in das Klostergefängnis nicht verbunden 
war. Wir wollen nur auf einen Fall hinweisen, der 
vor kurzem stattgefunden hat. Das ist der Fall 
Melnikow, gegen den auf Grund des Artikels 181 



- 119 — 

des Strafgesetzbuches eine strafrechtliche Verfolgung 
eingeleitet wurde '. 

Die Sache zog sich lange hin, während Melnikow 
in Gefangenschaft safs. Schliefslich erfolgte am 
27.Februarl902, nach dem Berichte des Herrn Justiz- 
ministers, der Allerhöchste Befehl folgenden Inhalts : 

1. „Die Sache des Kleinbürgers Wassilij Jefimow 
Melnikow, der nach Artikel 181, B. 2, des Straf- 
gesetzbuches beschuldigt ist, soll nicht mehr vor 
Gerieht gebracht werden. Die strafrechtliche Ver- 
folgung gegen ihn wird eingestellt. Die SOOO Rubel, 
die er lt. Beschlufs der Gerichtskammer in Kiew, 
der am 13. April li)i"il erfolgte, als Sicher- 
heit hinterlegte, hat er wieder zurück zu erhalten. 

2. Die lange Untersuchungshaft ist in die Strafzeit 
aufzurechnen, die ihm zudiktiert ist, Aufaerdem 
ist Melnikow für ein Jahr nach einem Kloster zu 
verbannen, das die geistliche Behörde des nächsten 
Ortes zu bestimmen hat. Nach der Entlassung 
aus dem Kloster ist er für 5 Jahre unter polizei- 
liche Aufsicht zu stellen. Den künftigen Auf- 
enthaltsort darf er sich mit Ausnahme der 
Residenzstädte und der Gouvernements: Moskau,^ 
Petersburg, Techernigow, Charkow und der ( 
Königreich Rumänien naheliegenden 
Taurien und Cherson selbst wählen. 

Auf Verfügung der gei^^en Behörde^ 

' Melnikow wurdp beBi 
Blatte „Das Wort der Wuhri 
lande, in Rumänien, benuisg^ 
Blatt widmete Bich, wie " "^ 
des Alten Glaubene". 




— 120 — 

Melnikow in das Walaamsche Kloster, Gouvernement 
Olonezk, eingeliefert. Hier verlebte er seine Straf- 
zeit in einer gewöhnlichen Klosterzelle, ohne Gitter, 
Schlofs und Wache. Er konnte im Kloster frei 
herumgehen, durfte nur nicht das Kloster ver- 
lassen. Soweit wir unterrichtet sind, besitzt das 
Walaamsche Kloster kein Gefängnis, obwohl nach 
wie vor verschiedene Leute zur „Einsperrung" da- 
hin verbannt werden. 

Wir erwähnten schon, dafs, wenn man in 
unseren gesetzlichen Hinweisen bezüglich der 
Verbannung und Einkerkerung in die Kloster- 
gefängnisse suchen wollte, dies völlig nutzlos wäre. 
Ja, wir werden in unserer Gesetzgebung kaum 
eine einfache Erwähnung der Klostergefängnisse 
ünden. Im 11. Bande des Gesetzbuches sind alle 
Gefängnisorte aufgezählt , Klosterfängnisse aber 
werden dort mit keinem Worte erwährt. Übrigens 
ünden wir in demselben Bande sogar „das Reglement 
über das Schlüsselburger Gefängnis, das für Staats- 
verbrecher bestimmt ist", aber weder vom Solo- 
wezky- noch vom Susdal- Gefängnisse ist dort die 
Rede. 

Obwohl in dem obenangeführten 5. Artikel 
„des Reglements über die Gefangenen" gesagt 
wird, dafs die „Behandlungsweise Privatpersonen 
gegenüber, die dort eingeschlossen sind, durch Ver- 
ordnungen der Kirche bestimmt wird", gelang es 
uns leider nicht, trotz aller Mühe, diese Ver- 
ordnungen kennen zu lernen. Wir werden daher 
kaum irren, wenn wir voraussetzen, dafs die er- 
wähnten „Verordnungen" eine Art administratives 



- 121 — 

Geheimnis der kirchlichen Verwaltung bilden, das 
nicht veröfifentlicht werden darf. 

Wir begegnen also auch hier unserem von 
jeher bevorzugten administrativen System, das um 
jeden Preis besorgt ist, seine Handlungen in tiefes 
Geheimnis zu hüllen. Oben haben wir bereits ge- 
zeigt , dafs dieses , System sein Ziel nicht nur 
nicht erreicht hat, sondern im Gegenteil, die Ent- 
stehung und Verbreitung der verschiedensten Ge- 
rüchte, die die traurigste Wirklichkeit übertreffen, 
fördert Überhaupt ist es aufser allem Zweifel, 
dafs die Geheimnistuerei am wenigsten den hart- 
näckigen Kampf fördert, den die russische Re- 
gierung und Kirche seit jeher gegen das Sekten- 
wesen, Baskol, den alten Glauben und gegen alle 
Meinungsverschiedenheiten, die auf religiös - ethi- 
schem und religiös-sozialem Boden entstehen, führt. 
Es ist freilich für niemanden ein Geheimnis, dafs 
dieser Kampf bis jetzt sein Ziel nicht erreicht hat. 
Er hatte keine Erfolge, keine irgendwie wünschens- 
werten Resultate zu verzeichnen. Der Hauptgrund 
des Mifslingens liegt selbstverständlich in dem 
System von Repressalien, Verfolgungen und aller- 
hand Beschränkungen , innerhalb deren sich dieser 
Kampf bewegte. 

Unter diesen Repressionsmafsregeln erscheint 
die Klosterverbannung und -Einkerkerung als die 
grausamste, ungerechteste und — wie die histo- 
rische Erfahrung lehrt — als die unzweckmäfsigste 
Mafsregel. Vor mehr als zwanzig Jahren haben 
wir in einem Artikel, in dem wir die Notwendigkeit 
sofortiger Abschaifung der Klostergefängnisse be- 



— 122 — 

tonten, geschrieben: „Wir wollen wünschen, dafs 
alle Sucher der Wahrheit und des gerechten 
Glaubens, die jetzt in Elostergefängnissen schmach- 
ten, nicht dem langsamen marternden Tode 
in den Kasematten geweiht sind, dafs sie nicht 
einsam in der Grabesstille der Klosterzelle sterben 
werden, dafs man sie nicht gleich ihren Vorgängern 
zum Wahnsinn treiben wird. Wir wollen ferner 
wünschen, dafs sich von nun an die Tür der 
Klosterkasematten nicht wieder öffnen wird, um 
ein neues Opfer, einen neuen „Ketzer", dessen 
Schuld nur darin besteht, dafs es ihm um die 
Fragen der Religion und Ethik mehr zu tun ist, 
als uns kalten Vernunftmenschen , zu verschlingen 
und in seinen Mauern zu begraben." 

Leider hat das Leben, die Wirklichkeit, diese, 
wie wir glauben, bescheidenen und berechtigten 
Hoffnungen nicht gerechtfertigt. Es ist wahr, um 
jene Zeit, auf die sich der erwähnte Artikel be- 
zieht, wurden manche Gefangene, die viele Jahre 
in den Klostergefängnissen geschmachtet haben, frei- 
gelassen ^ das war aber offenbar nur eine Aus- 
nahme, da bald anstatt der Entlassenen neue Ge- 
fangene kamen. 

In dieser Hinsicht fiel während der letzten 
20—25 Jahre dem Susdalschen Klostergefängnisse 
eine besonders traurige Rolle zu: Die Zahl der 



^ So z. B. wurden aus dem Susdalschen Kloster- 
gefängnis die altgläubigen Bischöfe: Arkadius, Kanon und 
Gennadius und aus dem Solowezky- Kloster der bekannte 
Mystiker Adrian Puschkin und der Staatsverbrecher Matwei 
Grigorjew entlassen. 



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— 123 — 

Gefangenen hat sich darin nicht nur nicht verringert, 
sondern wuchs im Gegenteil immer an. Und so- 
gar jetzt sind, wenn wir nicht irren, alle Zellen 
des Susdalschen Elostergefängnisses von Gefangenen 
besetzt . . • 

Daher haben die Forderungen, die wir vor 
einem Yierteiijahr hundert ausgesprochen haben, 
noch jetzt ihre Bedeutung, ihre Schärfe nicht 
verloren. 

Ja, lange, lange schon ist es Zeit, dafs dieser 
Überrest aus dem Mittelalter, dieses düstere Echo 
vergangener Zeiten aus dem Leben verschwinde. 



Pierersohe Hofbuohdruckerei Stephan Geibel & Oo. in Altenbui^. 



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THE NEW YORK PUBLIC LIBRARY 
REFERENCE DEPARTMENT 



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