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Full text of "Die Juden von Barnow;"

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3He  Subett  boit 
<Barnou? 


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THE  LIBRARY  OF  THE 
X  UNIVERSITY  OF 
NORTH  CAROLINA 


ENDOWED  BY  THE 
DIAIJECTIC  AND  PHILANTHROPIC 
SOCIETIES 


PT f 865 
•  F3 

f  920 


UNIVERSITY  OF  N.C.  AT  CHAPEL  HILL 


00026601133 


This  book  is  due  at  the  LOUIS  R.  WILSON  LIBRARY  onthe 
last  date  stamped  ander  “Date  Due.”  If  not  on  hold  it  may  be 
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DATE  RET 

DUE  KLI* 

•AR  -f  1383 

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1  form  No.  513 

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Ote  3u&en  oon  ‘iöarnotD 


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3ut>en  t>on  ‘SarnotD 

©efcfytcfyten 

t)Olt 

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$art  (Smt(  ^rango^ 

11.-15.  Auflage 


0tuttgart  unö  23erUn  1920 
3.  0.  £otta'fcf)e  23udjl)ant)lun9  2tad) t  olp  er 


^Ue  C^ed)te, 

{nS&efon&ere  ÖaS  Ubevfet$ün§$vtd)t,  voxbifyaUtn 


(Oorworf  3ur 

(^vie  ättefte  Sionede  biefeä  S3anbe3:  „‘Das  ©tjriftuös 
bilb/y  ift  bie  erfte,  bie  id)  getrieben 

habe;  fie  ift  t>or  breijsig  Qafyrett  (1868)  entftanben. 
Baratt  reiften  ftaj,  gleichfalls  in  meiner  ©tubenten^ 
geit :  „©fterfa  -Regina''  unb  „2)er  ©tjplod  non  S3ar= 
nom";  bie  anberen  Sonetten  fallen  in  ba§  igafjr  1872. 
55afe  gteidjmotd  ein  fpäter  gefd^riebenes  S3ud)  —  „Stus 
<patb=3lfien"  —  früher  erfdjien,  mätjrenb  biefe  Sto= 
reden  erft  im  25e§ember  1876  §ur  Huögabe  gelangten, 
lag  einzig  baran,  bafe  ic§  nier  Qat)re  lang  nergebtid) 
nadh  einem  Verleger  fiteste.  SBer  fidh  für  bie  innere 
unb  äußere  ©ntfteljung  ber  „Quben  non  S3arnom" 
intereffiert,  finbet  fie  in  ber  non  mir  ^erausgegebenen 
©ammtung  fetbftbiograptjifdjer  Sluffäfce:  „£)ie  ©e= 
ftfjidjte  beö  ©rfttingöroerfo"  ergätjtt. 

35er  äußere  (Erfolg  tjat  fid)  beffer  geftaltet,  alz 
nad)  bem  traurigen  SSorfpiet  anjune^men  mar.  Stad) 
Safyreöfrift  fonnte  bie  freite,  1881  bie  britte,  1886 
bie  nierte,  1894  bie  fünfte  Auflage  gebrudt  merben; 
bie  britte  Stuftage  mar  um  jraei  Stoneden  oermebrt;  . 
in  ber  nierten  trat  nodj  eine  neue  f)in§u.  hingegen 
erfdhien  mir  jmedtoö,  bie  fünfte,  bann  bie  oortiegenbe 
Stuf  tage  inhaltlich  ju  nermetjren;  ein  ©efamtbitb  be£ 
potnifd^jübifdjen  Sebent  farm  unb  fod  ja  biefer  S3anb 
nicht  bieten,  fonbern  Stoneden  au$  biefem  2eben;  alz 
Eutturfdjitberer  ba^e  ein  fold^es  überficf)tlid)e£ 
SBilb  in  einem  anberen  S3udje  —  „Stus  ber  großen 
©bene"  —  §u  entmerfen  gefugt.  Stber  and)  ein  innerer 


YI 


$runb  fianb  biefer  (Srmeiterung  entgegen:  ich  hätte 
nur  nod)  Arbeiten  aut  weit  fpäterer  Seit  einfügen 
fönnen  unb  baburch  bie  einheitliche  Tonart  biefeö 
gugenbmerft  gerftört.  2lut  bemfelben  ©runbe  be^ 
gnügte  idj  midi,  für  ben  oorliegenben  ^eubntd:  einige 
Stellen  fnapper  gu  f affen,  anbere  klarer;  benn  im 
reifen  9flannetalter  ein  gugenbraerf  gang  umarbeiten 
gu  motten,  fd^eint  mir  fein  berechtigtet  beginnen.  S u; 
bem  märe  et  jept,  nachbem  einige  Auflagen  unb  %afyb 
rei<$e  Überfefeungen*)  erf dienen  finb,  gu  fpät.  2lut 
bemfelben  (Srunbe  halte  id)  et  für  richtig,  bie  mefent* 
lidjen  Stetten  aut  bem  Sßorraort  gur  erften  Auflage 
hier  unneränbert  folgen  gu  (affen: 

„2llt  ich  uor  oier  Qahren  guerft  ernftlid;  gur  geber 
griff,  mar  et  mir  oor  allem  23ebürfnit,  fünftlerifd)  gu 
geftalten.  gdj  mottte  -ftooetten  fcfjreiben  unb  rang  bar- 
nadj,  ih^  poetif  djen  SBert  gu  geben.  Slber  gerabe  gu 
biefem  S^ede  fdjiett  et  mir  notmenbig,  ein  Seben  gu 
mahlen,  bat  id)  auf  bat  (Benauefte  fannte.  SBegüglidj 
bet  pobolifdjen  gubentumt  mar  biet  ber  galt.  So  bin 
ich  benn  oor  2lttem  alt  dichter  in  bat  pobolifc^e  (Bljetto 

*)  $ie  Xitel  unb  Überfe|er  ^abe  id)  im  Bormort  gut; 
»ierten  Auflage  angeführt.  £)at  23ud£)  ift  bitfjer  in  fed)geh*t 
©praßen  iiberfefct  morben  unb  gmar  —  nad)  ber  Reihenfolge 
bet  ©rfdheinent  biefer  Überlegungen  georbnet  —  int  £ollänbifd)e, 
Sänifdje,  ©dhroebifdje,  Rufftfc|e,  $ebräifd)e,  ©nglifdhe,  ^tGlienifdje, 
©panifche,  ^rangöfifdje,  Rtagparifdje,  ©erbifdje,  Sßolnifdje,  Reu; 
gried)ifd)e,  Rumänifdhe,  $leinrufftfd)e,  enblidh  (in  Rerc^or!,  Ver¬ 
lag  ber  „^übifdfjen  Bolftgeitung")  in  bat  fogenannte  „^übifctj' 
Xeutfdj",  bie  aut  beutfdjen,  flatufdjen  unb  hebräifd)en  Wörtern 
gufammengefe^te  Umgangtfpradje  ber  ofieuropäifcfjen  ^uben.  X)ie 
(^efamigafjl  ber  Überfe^ungen  fteUt  fid)  bergeit  auf  gmangig,  ba 
in  ruffifdjer  ©pradje  brei,  in  englifdjer  unb  ^ebräifd^er  je  gmei 
Überfe|ungen  erfdhienen  finb.  ©ine  ber  ^ebräifd^cn  Rutgaben, 
fomie  bie  jübifdubeutfefje,  finb  freie  Bearbeitungen,  ba  fte  gu  bem 
3med£  angefertigt  mürben,  bie  ortljobo£en  guben  »orfid^tig  für 
eine  freiere  ©taubentrid)tung  gu  geroinnen. 


VII 


gegangen,  unb  tt»a^  id)  in  biefen  Sonetten  äunädjft  an= 
geftrebt  habe,  mar  ber  fänftlerif^e  2Bert.  2lber  auf 
Soften  ber  2Bal)rheit  habe  ich  ihn  nid^t  §u  erringen  ge^ 
fu<ht.  Qcb  habe  auch  J)ier  nirgenbmo  33erhältniffe  ge= 
fälfdjt  nnb  bin  mir  bemufjt,  bies  frembe  £eben  fo  ge= 
fchilbert  gu  haben,  raie  es  mir  felbft  erfcheint.  £at  fi<h  in 
meinem  33udfje  „2lus  §alb=3lften"  ber  5^utturf d^ilberer 
auf  ben  -ftooettiften  geftü|t,  fo  burfte  fjier  ber  9tooettift 
nicht  auf  bie  igilfe  bes  Slulturfchilberers  oer^ichten.  llnb 
mag  auch  bort  bie  eine,  t)ier  bie  anbere  ©eite  meines 
Sßefens  in  ben  33orbergrunb  treten,  in  lefeter  ßittie  finb 
boef)  beibe  Eins;  es  bleibt  immer  mein  fehnfiiehtiges  33 e= 
ftreben:  bie  SBahrljeit  fünftlerifdh  $u  gestalten.  Unb  mie 
immer  auch  bent  Üftooettiften  bas  Urteil  fallen  mag,  ber 
$ulturf<hilberer  nimmt  es  für  fidfj  in  Slnfpruch,  bafcman 
feinen  Porten  glaube. 

SDiefe  gorberuttg  ift  nicht  überflüffig,  benn  es  ift 
ein  fonberbares  unb  eigenartiges  Seben,  in  bas  ich  ben 
£efer  führe.  5Die  ©trömungen  unb  ©egenftrömungen, 
oon  benen  es  burchflutet  mtrb,  fittben  fi<h  in  biefem  33uche 
freilid;  eben  nur  angebeutet,  unb  hätte  ich  Pe  —  etwa  in 
ber  gornt  einer  Einleitung  —  bes  diäteren  ausführen 
motten,  fo  märe  bie  Einleitung  leicht  ftärfer  gemorben, 
als  bas  33u<h.  Qch  habe  fie  barurn  unterlaffen,  glaubte 
bies  aber  auch  mit  gutem  ©emiffen  tun^ubürfen.  2)enn 
fchon  bei  Slbfaffung  ber  ttiooetten  habe  ich  berüdfihtigt, 
ba£  es  ber  £efer  bes  äBeftens  ift,  für  ben  ich  f<$reibe. 
üftur  ein  2öort,  bas  ich  bereits  in  meinem  erften  33u<he 
bes  Weiteren  begrünbet  habe,  möchte  ich  ihm  f$°n  hier, 
an  ber  ©chmette  bes  jmeiten  gurufen:  „Qebes  Sanb  hat 
bie  $nben,  e§  Derbient!"  —  unb  es  ift  nicht  ©djulb 
ber  polnif chen  Quben,  mertn  fie  auf  anberer  Jlulturftufe 
fielen,  als  iljre  ©laubensgeuoffen  in  Englanb,  ©eutfeh^ 


VIII 


lanb  unb  granfreidf.  dftinbefteus  genug  nidjt  ihre  Schulb 
allein. 

üftientanb  fann  über  feine  9tatur  ^inauö ;  auch  bies 
23ucb  ift  in  gewiffent  Sinn  ein  ftreitbareö  23ud),  auch  biefe 
Sonetten  l;aben  nebenbei  einen  £enben$p)ed.  2lber  id) 
frühere  bie  polnifchen  Quben  trofcbem  nicht  beffer,  nodj 
fdjlecbter,  als  fie  finb,  fonbern  genau  fo,  wie  fie  finb. 

9ti<bt  gut  Verhöhnung,  nid^t  gur  Verherrlichung  bes 
öftlichen  Qubentums  finb  biefe  Sonetten  getrieben,  fon= 
bern  fie  »erfolgen,  aderbings  nur  nebenbei,  ben  fjwed, 
auf  SDüfteres  ^inguraeifen  unb  es  tickten  ju  Reifen,  foweit 
meine  Stimme  reicht." 

dftöge  bem  Vudfe  bei  feiner  fedjften  SBanbentng 
burdf  bie  SBelt  fein  freunbliches  Sdjidfal  treu  bleiben. 

Berlin,  im  9Mrj  1899.  ©er  (perfaffer. 


^  Jur  fteßettfen  «Huffage. 

J^in  Qagr  nach  bem  £obe  ihres  Verfaffers  werben 
G>§  „$)ie  Quben  oon  Varnow"  oon  neuem  ausge; 
fenbet.  SDer  gunfe,  ben  er  ins  Lüfter  geworfen,  um  „es 
litten  31t  helfen",  wirft  fort  im  Strome  ber  Blufflärung 
als  fein  unfterblidj  £eil. 

Berlin,  im  Qanuar  1905.  CWtfte  ;§ran3oe. 


Jur  achten  «Huffage. 

„-Olein  Vudj  aber  ift  in  ber  Vklt  unb  lebt .  .  ." 

Sari  Qrmil  3franjo8:  ®er  üpojaj.  2i.  Sapitel,  6.  294. 

(Srinbelwalb,  im  Sfuguft  1907.  Oftifte  jfran^oe. 


JttjJaft 


©eite 

$er  üon  SBarnoro .  1 

9£adj  bem  fjöljeren  ©efe| . 46 

3roci  Getier . 95 

2)er  roilbc  ©taroft  unb  bie  fcpne  ^ütta . 112 

2) aS  „$tnb  ber  ©üfjne" . 142 

(Sfterfa  Regina . 169 

„93aron  ©c^mufe"  . . 214 

3) a§  G^ciftuöbilb . 227 

D^ne  Snfärift  . 258 


©er  r>on  Qßarnotr* 

¥ 

Serabe  bem  alten,  grauen  Klafter  ber  £5ominifaner 
gegenüber  ftefyt  ba§  grojjc,  toeifie  §au§  be£  Quben, 
f)art  au  ber  «geerftrafje,  bie  oon  Semberg  ttad)  ©lala 
füf)rt  unb  ba§  büftere  ©tiibtd)en  burdjfdjueibet.  2£er 
in  einem  ber  fleineu,  fd)mu|igen  Raufer  be3  ©tjetto 
geboren  ift,  wäcfjft  in  (Sfjrfurdjt  unb  Söettmnberung  auf 
üor  biefem  §aufe  unb  feinem  23efi|er,  bem  alten 
9Jfr)fe§  greubentljat.  3)iefe§  $au§  unb  biefer  9Jtann 
finb  ber  ©tolg  non  23arnott>.  Unb  SBeibe  rechtfertigen 
auef),  jebe§  in  feiner  Sßeife,  biefen  ©tolg. 

£)a  ift  guerft  ba§  |jau£.  ift,  al3  ttmj^te  e§ 
feinen  Söert,  fo  ftolg  unb  ftattlid)  fte^t  e§  ba  in 
feinem  weifjen,  reinlichen  5lufput$,  mit  ber  langen, 
glängenbeu  genfterreifje  be§  erften  ©toefwerfö,  mit  ben 
bunten  ^aufläben  gu  ebener  ©rbe,  gu  beiben  ©eiten 
be§  mächtigen  S^orWegg,  ber  einlabenb  geöffitet  ift. 
©eint  btefe§  $au§  ift  ein  @infe^r^au§  unb  bie  (Sbeüeute 
ttuffen  feine  SSor^itge  gu  fdjähen,  wenn  fie  in§  $egirl3s 
amt  ober  gunt  2Bocf)enmarft  in  bie  ©tabt  fontmen, 
unb  ebenfo  bie  $aüaÜerieoffigiere  au§  ben  Dörfern 

St.  ©.  ftrangoB,  Subcn  bon  SBarnoto  1 


2 


ber  Untgegenb,  wenn  fie  bie  Saugemeitc  fjereintreibt. 
5lber  banebett  ift  bag  «gaug  aud)  ein  ginghaitg,  beun 
im  erften  ©todmerf  mofjnen  bie  öorne^mften  «jponora^ 
tioren  ooit  Söarnom,  ber  Söegirfgridjter  uttb  ber  2trgt, 
gur  9(Jcieie  unb  baneben  —  nod)  alleg  9Jtöglid)e  bagu. 
Stenn  eg  ift  faft  fetter  gu  fagen,  mag  adeg  im  (Erb- 
gefchofte  gufammengebrängt  ift.  S)a  finbet  fid)  eine 
Sottotodeftnr  unb  eine  ^ffefurang^gentfdjaft  für  3SteI), 
Sttenfdjeu  unb  betreibe,  eine  Xud^^anbtuug  mtb  ein 
©pegereimareutaben,  eine  Sßeinftube  für  bie  uornef)men 
($5äfte  unb  ein  23ranutmeinfd)anf;  für  bie  dauern.  Unb 
SMtefteur,  Hgent,  Kaufmann  unb  28irt,  bieg  OTeg  ift 
SOfafeg  greubentfjal 

5tber  ber  alte,  ^od^getna^feite  SO^ann  mit  ben 
büfteren  $ügen  if*  imdj  tteit  mehr.  ©eine  gamitie 
ift  feit  SKenfchengebenfert  bie  üornefjmfte  im  ©täbtdjen, 
fein  S3etftänber  in  ber  „©djuF"  ftetjt  ber  erfte  in  ber 
erften  D^ei^e.  28ie  nad)  feinet  ©rojmaterg  Sobe  fein 
$ater,  fo  ift  er  nad)  feineg  93aterg  Xobc  SBorftanb 
ber  ©emeittbe  geworben,  otjne  ba§  er  fidj  barum  be^ 
morben,  ot)ne  baft  eg  gemanb  eingefallen  märe,  it)n 
nidbyt  gu  mähten.  (Er  gilt  alg  ber  frömmfte  unb  ef)r^ 
lic^fte  $D?amt  ber  gubenfdjaft.  Unb  bagu  fein  sJteid^= 
tum,  fein  ungeheurer  ^eidjtum! 

©eine  ©taubenggenoffen  h°ften  i^n  für  einen 
SDUtlionär  unb  fie  h^en  9^ed^t.  S)enu  if)nt  gehört 
nicht  nur  bag  |>aug  mit  atT  bem,  mag  b'rum  unb 
b'ran  ift,  and)  mehrere  ©iiter  ber  Untgegenb  fantt  er 
mit  größerem  ^edjte  fein  neunen,  alg  bie  potnifdjen 
Marone  unb  (Ebettente,  bie  auf  ihnen  fi^ett.  Unb  bag 


berrltdjc  ©itt  $toinotöwfa  gehört  OöKenbS  tl)m,  itacC)- 
bcnt  eS  bie  früheren  Eigentümer,  ber  Keine  ©raf 
©mölsfi  unb  feine  fd)üite  ©ema^Iiit  durora,  in  wenigen 
Sauren  oergeubet.  Es  ift  ein  fdföneS,  großes  ©ut,  unb 
ber  ©raf  tjatte  nicht  gntnbloS  auS  SBergweifluttg  beit 
größten  kaufet)  feinet  SebettS,  als  er  cS  neriaffen  muffte. 

Söiirbe  eS  eud)  uadj  ad'  bem  wunbertt,  Weint  if)r 
ljören  würbet,  baft  9)?ofeS  gfreubentljat  itid)t  nur  ber 
reidjfte  unb  ftolgefte,  fottbent  aud)  ber  ineift  beneibete 
dftaitn  beSDrteS  ift?!  dber  bem  ift  uidjt  fo.  fraget 
beit  ärntften  dftann  in  ber  ^ubenftabt,  beit  £l)orale!jrer, 
ber  mit  feinen  fedjS  $inbent  ant  |)ungertud>c  nagt, 
ober  beit  Söafferträger,  ber  bie  SSodfe  !)ittburd)  nom 
frühen  borgen  bis  §um  fpätett  dbeitb  Dom  unb  gunt 
©tabtbr unneu  feudjt,  fragt  fie,  ob  fic  mit  9ftofeS 
tauften  wollen,  unb  fie  würben  eud)  „Sfteiu"  fageit. 
®emt  größer  als  biefeS  2ftattneS  9ieid)tum  ift  fein 
Ungliicf. 

3hr  fönnt  eS  if)m  freilid}  itid)t  Dom  ©efictjt  ablefett, 
Wenn  iljr  iljn  fo  ftolg  unb  ftattlidj  bor  bem  Torwege 
feines  §aufeS  ftefjeit  fe^t.  Unter  bem  Keinen  fdjwargeit 
©amntetfäppdjen  quillt  baS  §aar  filbergrau  ]§eroor; 
filbergrau  unb  büntt  fittb  audj  bie  beibeit  langen  Soden, 
bie  nad)  ber  Sßeifc  ber  Efjaffibim  au  ben  SBaitgett 
Ijerabfliefteit.  dber  bie  ©eftalt  ift  itod)  Kräftig  unb 
ungebeugt,  unb  ber  feltfam  gefdjnittene,  talarähnlid)e 
Subenrod  aus  fchwarjem  £udje  Keibet  fie  ftattlid) 
genug.  $>er  alte  Sftaitn  fteljt  faft  bewegungslos  ba 
unb  fiel)t  bem  duftreicher  511,  ber  bie  £ljüre 
8rarottweittlabeuS  mit  frifdjer,  giftgrüner  $arbe  übers 


4  — 


gtel)i  uttb  glafdje,  @la§  unb  Söre|e  gelb  mtb  metf, 
barauf  malt.  Sftur  feiten  menbet  er  ben  $licf  ab,  um 
einem  ©rüftenben  gu  battfen.  Denn  c£  ift  heute  menig 
Seben  auf  ber  ©affe.  (Sin  |jaufe  ruthenifdfjer  dauern 
torfeit  angetrunfen  gur  ©tabt  l)inau§;  ein  (Sbelmann 
fährt  in  leidster  23ritfchfa  öorüber;  einige  arme  $)orfs 
ge^er,  meldhe  bie  2Bodje  über  non  ^Bauernhof  gu 
Bauernhof  gegangen  unb  für  ©elb  unb  £itd)cr  gelle 
eiugetaufdjt,  giehen  mit  ber  er^anbelteu  SSarc  auf 
bem  SRüden  mieber  ein.  3Dic  Saft  ift  ferner  unb  ber 
(Srlö§  gering,  aber  auf  ben  bleidjen,  abgehärmten  ober 
öerfchmi^ten  ©efidjtern  ruht  bod)  ein  Stimmer  ber 
greubc  unb  be£  ©tolge§.  ®emt  menige  ©tunbeit  noch 
unb  fie  fittb  nid)t  mel)r  eleitbe,  mit  Sumpen  befleibete 
©djadherjubeit,  an  benen  ber  S3auer  feinen  2SM£  unb 
feine  ^ßeitfdhe  prüft,  fonbem  ftolge  gürften,  bie  jubelnb 
in  ihrem  Sßalafte  bie  monnige  Sßraut  empfangen  — 
bie  ©abbatljruhe. 

üftur  menige  ©tunben  noch,  beim  bie  ©omte  neigt 
gunt  Untergang  unb  ber  greitag  9ßadjmittag  geht  gu 
(Snbe.  Sn  ben  Käufern  rüften  fie  überall  für  ben 
fRuljetag;  bie  ©affe  liegt  im  heßen  ©onnenglange  öer* 
übet.  9ßur  üom  Slntte  her  fommt  ber  S8egirf£richter, 
ber  gelbe,  magere  $err  SoginSfi,  mit  einem  jungen 
gremben  ben  SSeg  herauf  unb  bleibt  einige  Minuten 
plaubernb  bei  3Wofe3  ftehen,  ehe  er  bie  kreppe  gu 
feiner  SSohnung  emporfteigt.  ©ie  fpredhett  üon  ben 
fdliedhten  feiten,  mie  hoch  ba§  5lgio  ftel)e,  unb  bann, 
mie  fdhön  fidh  bieämal  ber  Slpril  anlaffe.  Unb  e§  ift 
and)  heute  ein  fo  lieber,  redjter  grithling£tag,  mie  ihn 


—  5 


btefeS  fiattb  fouft  faum  im  äftat  gu  erleben  pflegt. 
®ie  (Waffen  ber  Stabt  finb  bis  auf  einige  $otlad;en 
in  ber  Sflitte  be£  fRingpta^e^  getrodfnet,  bie  Sitft  toel)t 
faft  fommerlid)  lau  unb  im  ©arten  ber  ÜJttöndje  brüben 
blühen  bie  grudjtbäume  unb  ber  ^lieber.  „5rüf)ling! 
$ritf)ling!"  jaucf)gen  bie  ©Ijriftenfinber,  bie  eben  au§ 
ber  üftad)mittagSfd)ule  oorübereilen.  „©§  toirb  grü§* 
littg!"  fagt  ber  |>err  23egirfSricf)ter,  greift  au  ben 
§ut  unb  fii^rt  feinen  ©aft  bie  kreppe  empor.  ,,©S 
tturb  grüljling!"  mieberljolt  ber  alte  Sftann  unten  unb 
ftreidjt  fid)  über  bie  (Stint,  als  ertoacfye  er  au£  einem 
$raum  ...  „eS  wirb  gfrüljling!'' 

„©in  merfttmrbiger  Sflenfd),  ber  alte  ÜDiofeS!" 
plaubert  oben  ber  iöegirfSridjter  gu  feinem  ©afte,  bem 
neuen  $(ftuar.  „3dj  weif*  nidjt,  ein  Sonberling.  Sttatt 
Würbe  es  ifjrn  ttidf)t  anfefjen;  er  weifj  mefjr  oom  3uS 
al§  ber  befte  2lbüofat.  Uttb  benfett  Sie  nur:  er  ift 
ber  reichte  Sttann  im  gangen  Greife.  9flatt  fpridjt 

oou  mehreren  Millionen.  Unb  babei  plagt  er  fidj  bie 

gange  SSodje,  als  müfde  er  fein  ©ffen  für  ben  Sabbatf) 
oerbienen!" 

4 

w©inSd)iuu|ian,wiebie3uben  ade,"  fagt  berSlftuar 
unb  ringelt  bett  SRaucfy  feiner  ©igarre  in  bie  £uft. 

„|jm!  bod;  nid^t !  ©r  ift  Wof)ltl)ätig,  mau  mufj 

fagen,  fefjr  wof)ltf)ätig.  3)a§  mad£)t  ifjm  aber  feine 

greubc  unb  baS  Verhielten  audj  nidjt.  Unb  bodj 
fpefuliert  er  fortwährend  giir  men?  id)  bitte  Sie, 
für  Wen?!" 

„|jaf  er  feine  $ittber?"  fragt  bev  Vlnbere. 

„3a  freilidj !  ®aS  l)eif$t,  wie  mait’S  nimmt.  9£ad) 


6 


feiner  Kuffaffung  Ijat  er  feine.  Kber  fenncn  ©ic  feine 
©efdjidjtc  ttod)  nid)t?!  $>ic  weif?  ja  alle  3®elt  — 
bß  fielet  matt,  bafj  ©ie  au§  Seinberg  fontmen.  $)a 
I)aben  ©ie  moljl  and)  itid)t£  oon  bcr  &od)ier  be§ 
5flten  gehört,  t>oit  ber  fdjöneu  ©ftfjer  greubeittljal? 
35 a§  ift  ja  ein  ganger  Montan,  beit  mitffcn  ©ie 
l)ören!"  .  .  . 

3)er  alte  äftattn,  beffen  ©efd)id)te  alle  2Belt  feuut, 
leljtit  unten  itod)  immer  an  ber  31;ür  feiltet  |)aufe£ 
unb  fic^t  gu,  mie  bie  331ütengmeigc  im  Sloftergarten 
im  SBinbe  fdjmattfen.  SÖoran  er  mol)l  beitfcn  mag? 
Kn  feine  ©efdjüfte  ttidjt.  3)enn  feine  Kugctt  finb 
feudjt  geworben  unb  um  bie  Sippen  gudt  e§  einen 
Kugenblid  Wie  verfallener  ©djnterg.  @r  legt  feine 
<jpanb  über  bie  Kugelt,  al£  blenbe  ifjit  ba§  ©onuenlidjt. 

35anit  richtet  er  fidj  auf  unb  f Rüttelt  ba£  §aupt, 
al£  wollte  er  bie  trüben  ©ebanfeu  mit  abf Rütteln, 
„beeilt  ©ud)!  eS  wirb  halb  ©abbatfj!"  ruft  er  bem 
Knftreidjer  gu  unb  tritt  itüljer  fjerait,  um  bie  Krbeit 
gu  befidjtigeit.  3)er  flehte,  budelige  9Jiamt  im  abge^ 
fdjabteit  polnifdjett  ©djitürrod  ift  eben  mit  beit  beibeit 
Türflügeln  fertig  geworben  uitb  Ijiitft  uutt  mit  beut 
garbentopf  an  beit  genfterlabett.  $nt  I^eltften  Zinnobers 
rot  fjatte  biefe  Safe!  einft  in  fdpitereit  Sagen  geprangt 
unb  in  meinen  23ud)ftaben  mar  baraitf  jener  fd)lid)tc 
Sßip  gu  lefeit  gewefen,  ben  man  überall  au  beit  ©djenf= 
ftubcn  ber  jübifdjspolnifdjeit  ©täbtdjeit  fiitbet:  „feilte 
um§  ©elb,  morgen  untfouft!"  £Tiint  ift  bie  $ßrad)t 
läitgft  bafjin,  bie  3Sorte  finb  mtleferlid)  geworben,  unb 
emfig  jüfyrt  ber  Steine  ben  Sßiufcl  mit  bem  faftigen 


7 


$rün  barübet:  £)tu.  „äöifjt  Sfyr  ttod),  Sßaui  ÜDZojdjfo," 
plaubert  er  habet,  „baft  aucf)  bie§  Jjier  mein  28er! 
ift?"  Uttb  er  beutet  auf  ba§  fdjmubige  braunrot  be3 
alten  2lrtftrid)§. 

2lber  9ftofe§  beutt  mo^l  an  28idjtigere£  unb  blicft 
laurn  auf.  „@0?"  fagt  er  bann  gleichgültig. 

„(Si  freilich !"  fäb*t  ba£  Sftämtdjen  eifrig  fort. 
„(Erinnert  3br  ®udj  nicht  nteljr?  2$or  fünfzehn  Sauren 
mar7§  unb  gerabe  an  einem  fo  frönen  Stage  mie  Idente, 
ba  f)ab7  idfj73  gemalt.  S£)a§  §au£  mar  nodj  neu  unb 
id)  nodj  ein  junger  SBurfcb-  ,3dj  bin  gufrieben  mit 
(Sud),  Santo!*  habt  Sb*  bantafä  gefagt.  Sb*  feib  öor 
beut  S£bo*e  geftanben,  id)  glaube  gar,  an  berfelbett 
©teile  unb  neben  (Such  (Sure  Heine  (Sfterta.  ^eilige 
Suttgfrau!  ma£  mar  ba§  $ütb  fcbön!  Unb  mie  lieb 
e§  gelabt  bat,  mie  fo  ein  meiner  23udjftabe  itadj  bem 
anbem  auf  bem  roten  ®runb  l)erau§!am!  (S§  t)at 
aud)  gleich  gefragt  ma§  fie  bebeuten,  ba§  liebe  $inb! 
Unb  brei  S£be*efiengmangige*  l)abt  Sb*  mir  für  bic 
Arbeit  gegeben.  3d)  meifj  e§  nodj  gang  genau.  3d) 
bab7  bamalä  gebadet :  , Santo!  ba§  ift  beine  le|te  Arbeit 
in  23a*nom.‘  vDentt  ber  alte  |jerr  non  *ßolan£ti  bat 
ntidj  nad)  Pratau  fd)icfen  mollett,  in  bie  9ftater f dj ule. 
2lbe*  er  l)at  halb  felbft  nichts  gehabt  unb  fogar  fpäter 
feine  Tochter  Sabmiga  au§  9?ot  unb  SDurft  oerfaufen 
müffett,  unb  fo  bin  id)  ein  2lnftreidje*  geblieben.  3a, 
ber  SJiettfd)  beult  unb  .  .  .  Steufel!  ber  2llte  ift  fort 
uttb  id)  lüge  ba  nur  midj  felber  laut  an  mie  ein  üftarr. 
SDer  Sub7  gäl)lt  gemifj  mieber  feine  Millionen  .  .  ." 

2lber  3attlo  irrt.  üJftofc»  greubentbal  gät)lt  in 


1 


—  8 


biejern  kontente  feine  0djähe  nicht.  Uub  ungezählt 
gäbe  er  fie  meEetdjt  pn,  fönnie  er  baburcf)  bie  Xfyatz 
fadje  au§  feinem  £eben  ftreidjen,  burd)  bie  er  ärmer 
nnb  elenber  geworben  ift,  al§  ber  Bettler  oor  feiner 
Stl)itre.  @r  §at  fid)  in  bie  grojse  bämmerige  SSohnftube 
geflüchtet,  in  bie  fein  0onnenftral)l  nnb  fein  SDtenfdjeus 
laut  bringt.  £jier  barf  er  fiel)  in  beit  0orgenftuf)l 
Werfen  nnb  auffchlud)§en  au§  tiefftem  «gergenSgruub, 
ohne  bajs  ihn  bie  Seute  fragen,  Wa3  il)m  fehle,  f)i^ 
barf  er  fein  §aupt  beugen  nnb  fein  $aar  ^erwählen 
nnb  bie  «g>änbe  oor  ba§  Slntli^  preffen.  toeint 
nicht,  er  betet  nicht,  er  flucht  nidjt,  aber  gifchenb,  Wie 
ein  fdjritler  Sßehelaut,  flingt  e§  immer  wieber  burdh 
ba§  öbe  ©emadj:  „SBie  lieb  ba§  $inb  geladjt  hat!" 

©o  fifct  er  lange  in  ber  Dämmerung.  $)ann  er* 
hebt  er  fid)  nnb  ridjtet  ben  SBlid  nach  oben,  nid)!  wie 
ein  gleljenber  —  nein!  Wie  ein  SJtaun,  ber  fein  gute£ 
Stecht  forbert.  „SJcein  $err  nnb  ®ott!"  ruft  er,  „ich 
flehe  nidjt,  bajs  fie  Wieberfomme,  beun  burdh  weine 
Unechte  liejse  ich  fie  Oon  meiner  ©djwelle  jagen;  idj 
flehe  nicht,  bafs  fie  glüdlid)  Werbe,  beim  fie  ljat  äu 
öiel  gefünbigt  an  ^ir  nnb  mir;  id)  flehe  nid)t,  ba|3  fie 
eleitb  Werbe,  beim  fie  ift  mein  gleifch  nnb  SÖIut;  ich 
flehe  nur,  baf$  fie  fterbe,  bamit  ich  meinem  einzigen 
$inbe  nicht  fluchen  mufj,  bajs  fie  fterbe,  mein  §err 
nnb  ($ott,  fie  ober  id)!  .  .  ." 

Hub  oben  fehltest  ber  33e§irf£rid)ter  feine  ©rgäf)- 
luug:  „2Ba§  au§  ber  h^f<h^n  kleinen  geworben  ift, 
Weifs  mau  nicht.  ÜDtait  benft  itidht  mel)r  au  fie;  and) 
ber  TOe  fd)eiut  bie  ($efd)id)tc  Oergeffen  .ju  ^aben. 


9 


$)eun  fic  finb  ein  fjerglofeä  Sßolf,  biefe  Subcn,  (Sitter 
tttie  ber  Rubere  ..." 

* 

(£3  ift  Dämmerung  getoorben  im  @täbtd)en,  aber 

£id)t  in  beut  §ergett  feiner  Söettto^tter.  $>a3  büftere 

minfelige  ©l^etto  ftra£)It  im  ©lange  üon  iaufettb  Sergen 

uttb  tanfenb  fronen  9ftenfd)enangefid)tern.  2öie  ein 

gettjöljnlidjeg,  natürlichem  (Sreigni3  uttb  bod)  gngleid) 

fttie  eine  gef)eintni3üoflc,  moitnige  Offenbarung  ift  ber 

«Sabbatlj  eingegogen  in  bie  |jergett  unb  in  bic  (Stuben, 

•  • 

unb  f)at  ade3  Tuntel  unb  alle  5lrmlid)feit  ber  üBodjem 
tage  au3  ihnen  Derfdjeudjt.  §eute  ift  jebc  Kammer 
erleuchtet  unb  jeber  £ifdj  gebedt  unb  jebe3  §erg  felig. 
$)er  Sljoralefjrer  ^at  be§  §iutger3  Dergeffen,  ber 
üBafferträger  ber  garten  Arbeit,  ber  $>orfgef)er  be3 
|jol)ne3  unb  ber  0d)läge,  uttb  ber  reiche  SSudjerer 
ber  ^ßrogente.  §eute  finb  OTe  gteid;  Ult^  9^u' 
bige,  fröljlid)e,  bemütige  (Söhne  einem  $Bater3.  *£)a3 
biirftige  £alglicf)t  im  Sfjonleudjter  unb  bic  2öad)3fergc 
int  filbemen  Sattbelaber  bef feinen  bamfelbe  23ilb.  $)ic 
Sachter  bem  §aufe3  unb  bie  fleinen  Knaben  fijjcn 
füll  ba  unb  feljeu  ber  Sftutter  gu,  bie  nad)  altem, 
fdjönem  Söraucf)  il)ren  (Segen  über  bie  (Sabbatljlidjter 
fprid)t,  ber  $ater  langt  turnt  ^Bücherbrett  ba3  mädj^ 
tige  ©ebetbitd)  unb  giebt  e3  feinem  älteften  Sttaben, 
ba{3  er  e3  ifjm  bim  gnnt  Slljorc  ber  (Synagoge  ttadj= 
trage,  £)amt  treten  fie  auf  bie  ©affe;  bie  Männer 
gehen  mit  bcu  Männern,  bic  SSeibcr  mit  beu  SSeibern, 
mie  e3  bie  ftrenge  (Sitte  forbert.  <Sie  fpredjen  nicht 
Diel  mit  ciuattber  unb  ba3  wenige  ernft  unb  rttljig. 


10 


|)euie  iottb  feine  &tage  laut  unb  fein  Subeiruf,  beun 
in  ifjrent  Snnero  ift  e§  Sabbatf),  tiefer,  Ijeifiger  ©otte3~ 
friebe  .  .  . 

9Iucf)  in  beut  großen  meinen  |>aufe  gegenüber  bem 
Softer  ftraf)len  bie  Sabbatf)fid)ter.  5fber  eine  frembe 
|>anb  f)öt  fie  ent^ünbet  unb  fein  frommer  grauenmunb 
fpridjt  ben  Segen  über  fie.  ber  guten  (Stube 
prangt  ba£  feinfte  Sinnen  auf  ben  £ifd)en  unb  reidjer 
fernerer  $au§rat  an  ben  SBänben,  bod)  fein  frofje§ 
^iuberfadjeu  ffingt  barin  unb  fein  liebet  Söort.  Üftur 
bie  oiefen  bergen  fniftem  fcife  im  Verbrennen  unb  ba§ 
gicbt  einen  traurigen  £ou. 

9lber  ber  alte  $D?ann,  ber  nun  im  geftiagggetoanb 
in  bie  Stube  tritt,  ift  ber  ©infamfeit  unb  biefer  Zone 
fdjoit  feit  Sauren  geiooljnt,  feit  fangen,  einig  fangen 
fünf  Sauren.  gritfjer  freifid)  f)at  er  oft  um  fid)  bfiden 
unb  faufdjen  müffen,  ob  bie  fiebe  (Stimme  nidjt  toieber 
ffiitge.  $)enn  ein  fofdjer  2Ibenb  ioar  e§  ja,  ba  fein 
$iitb  tton  ifjm  gegangen.  feilte  jebod)  fd^reitet  er¬ 
raff  burd)  bie  Stube,  nimmt  ba£  feinere,  feberge^ 
bunbene  Vud)  oom  Vrette  unb  öerfäfjt  eifig  ba§  |>au». 
Ober  fiirdjtet  er  gerabe  fjeute  bie  ©eifter  ber  ©rinnen 
rung,  bie  ifjrn  au£  affen  ©den  unb  ©nbeu  ber  ein' 
famen,  lic^tbeftr afften  'Stube  auffteigen  müffen?! 

Söenn  bem  fo,  bann  ift  e§  tpridjt,  ifjnen  entfliegen 
§u  iooden,  9ftofe§  greubentfjaf !  Sie  heften  fid;  au  beine 
gerfen  unb  fie  umfdjioirren  beit t  |>aupt,  magft  bu  nod) 
fo  rafd)  bafjineifen  bitrcf)  bie  engen,  bämmerigett  ©äf5= 
d)eit.  Sie  ffingeu  in  bei  neu  Öfjrcu,  magft  bu  c§  auef) 
Oerfudjeu,  mit  ben  Vegegncuben  §u  pfaubent ,  fie  ftefjen 


v 


—  11 


bor  beinen  klugen,  ntagft  bit  audj  nodj  fo  gläubig  auf= 
bliden  31t  beit  SBeifjetäfeldjen  an  ben  sßfofteit  be§  (Sottet 
f)aufc£!  Unb  lute  bu  burdj  bie  fReifjen  fd^reiteft  unb 
bidj  auf  beineu  6it)  ttieberlaffeft,  ba  fdjlagett  fie  bol- 
lenb§  bie  gfügei  über  beinern  Raupte  gufammen  unb 
fie  blicfeu  bid)  an  au3  ben  Settern  beine§  $8udje§  unb 
fie  rufen  bir  $u  au$  ben  «Stimmen  ber  $8eter!  .  .  . 

„Subelt  bor  ©ott!  23red)et  au£  in  greube,  in 
Subelflaug  unb  Sang.  ©r  richtet  bie  Söelt  nad)  feinem 
SHedjte,  bie  SBölfer  uadj  ©ercdjtigfeit!" 

„Unb  ben  ©in^elneit?"  fcfjreit  e§  in  bem  uitglüd^ 
lidjett  Sftamt  auf,,  „ben  ©meinen  —  zermalmt  er!" 
Seine  Singen  rnljett  auf  ben  feilen  be£  23udje3,  feine 
Sippen  flüftern  bie  SBorte  be§  ©ebete£,  aber  er  betet 
tticfd,  er  fantt  itidjt  beten!  2$ie  ein  ©efpeuft  ermadjt 
fein  gangem  Sebett  unb  brängt  fid)  bor  fein  Singe,  mie 
ein  ©efpenft  unb  bodj  in  quälenber  ©reifbarfeit  unb 
Sebenbigfeit  .  .  . 

„28er  nid)t  meljr  beten  fantt/'  f)at  ifjm  fein  alter 
SSatcr  oft  gefagt,  unb  er  mufj  Ijeute  ber  SBorte  ge= 
benfen,  „ben  foll  man  megmeifen  bon  bem  Slttgefid)tc 
be§  ©migett."  Sftodj  meifj  er  fid^  be£  &age§  gattj  genau 
31t  entfimten,  ba  er  c§  bernommen.  Santalä  mar  er 
ein  fönabe  bon  breigefyn  Snfjren  gemefen  unb  fjattc 
eben  ^unt  crften  Sftale  bie  93etriemen  attlegen  bürfett, 
31111t  ^eidjen,  bafs  er  in  ben  23unb  ber  SMttner  ge^ 
treten.  Sltt  jenem  Sage  mar  iljnt  ba3  Seben  aufge^ 
gangen,  nidjt  meid)  unb  feenhaft,  mie  ben  ©lüdlidjen 
biefer  ©rbc,  fottbertt  l)art  unb  itüdjtern,  mie  ben  am 
bereu  Söljncu  feinet  38olfe§.  28ie  alle  bie  Sfnbereu 


12  — 


(jatte  audf)  er  aßmä()(id)  gelernt,  um  ^meier  SDinge  mißen 
ju  (eben:  um  gu  beten  unö  um  ©elb  gu  t>erbienen. 
Unb  als  er  fiebettge^n  3afjre  alt  gemorbett,  ba  Ijattc 
if)n  fein  SSater  in  feine  ©tnbe  gerufen  unb  i(jm  bort 
furg  unb  tüljl  gejagt,  in  brei  Monate  merbc  er  fyti' 
raten  unb  ©()aim  ©rimftein’S  tafele  fei  feine  SBraut. 
(Sr  tarnte  baS  TOibdjen  nid)t,  er  t)atte  eS  borget  nur 
gmeitna(  gefehlt,  unb  redjt  augefefjaut  (jatte  er  e£ 
eigentlidf)  nie.  $lber  ber  SBater  ()atte  für  i^n  gemäht 
unb  fo  mar  e£  i(jm  redjt  gerne) en.  Unb  nadj  brei 
Monaten  mar  baS  fHofele  fein  Üöeib  .  .  . 

§ordj!  Snbelnb,  fefjttenb,  fjergergreifenb  beginnt 
nun  ber  SBorbeter  baS  uralte  0abbat()(ieb:  „Lecho  daudi 
likras  kalle.“  Unb  im  ftürmifdjen  ©Ijor  ftimmen  bie 
Ruberen  ein:  „Leclio  daudi  likras  kalle“  —  tornm', 
o  greuttb,  ber  iöraut  entgegen,  beit  0abbatlj  laßt  unS 
frö^Iid^  empfangen!" 

0e(tfame§  Sieben  in  ber  0ee(e  eiltet  $8o(fe£! 
5(uf  bie  ©ottßeit  unb  aßeitt  auf  biefe  überträgt  eS  aße 
©lut  unb  aße  0innlidjfeit  feinet  |jergen£  unb  feines 
©eifteS.  £)emfe(bett  $8olfe,  meines  einft  baS  §o(je  Sieb 
gebietet,  beit  emigen  §pmnu£  ber  Siebe,  unb  bie  ©es 
fdjid)te  ber  9tutlj,  bie  fdjönfte  Sbpße  ber  SSeiblidjfeit, 
bemfelben  SBoIf  ift  in  ber  tauf enb jährigen  S^acßt,  23es 
brüefung  unb  Stuljelofigfeit  bie  ©(je  ein©efdjäft  gemorben, 
gef  Stoffen,  um  ©e(b  gu  ermerbett  unb  um  bie  HnSers 
mähten  ©otteS  nidjt  auSfterbett  gu  (affen.  Unb  fie  aljnett 
nießt  einma(  ben  entfe^lidjen  greüel,  ber  barin  liegt. 

$ud)  ÜDiofeS  greubentljal  triebt,  ©r  f)at  fein  SBeib 
f)od)  gehalten  aße  Sage  i(jreS  ScbeuS,  mie  and)  fie 


i^m  [reu  $ur  Seite  geftanben  in  greub’  mtb  Seib. 
@3  mar  (Segen  auf  feinen  SBerfeu,  unb  ma3  er 
begann,  glühte.  TOt  raftlofem  Oifer  ftubierte  er  bie 
Sprache  ber  Triften  unb  bie  beutfefjen  ®efe£e;  ber 
breifngjäljrtge  Sftamt  lernte  mie  ein  $nabe.  Sftidjt 
bie  ($elbgier  allein  trieb  ifjtt,  audfj  ein  ftol§e£  Streben 
nad)  (Sljre  unb  SBiffeit.  Unb  biefe§  SSiffen  trug  feine 
fjfrüdjte,  er  mürbe  reid),  feljr  reid).  SDie  (^bedeute  unb 
bie  Offiziere  lauten  in  fein  |jau§  uttb  beugten  fid)  oor 
feinem  @elbc;  aber  burd)  feinen  Stol§  unb  feine  ^l)X' 
lidfjfeit  gmattg  er  fie,  fid)  and)  oor  ifjm  felbft  §u  beugen, 
damals  beneibeteit  fic  if)tt  alle,  unb  mettn  er  oorüber= 
ging,  bann  gifd)elten  fic  einanber  $u:  „$)ag  ift  ber 
glücflidjftc  Sftenfd)  im  ganzen  Greife. " 

5lber  mar  er  c§  mirflidj?!  SSarum  mar  bann 
feine  Stirne  fo  Ijäufig  umbiiftert,  marum  meinie  bann 
ba§  tafele,  menn  e§  allein  mar,  al§  modte  ifjm  ba§ 
$er§  brechen?!  Slttf  bem  ®lüdc  biefer  beiben  sJJcen- 
feiert,  bie  fid)  erft  admäfjlicf)  in  gegenfeitige  5ld)ttmg 
Ijineingemöljnt,  lag  ein  fernerer  Statten:  iljre  (Sfye 
blieb  finberlo§.  Unb  meil  eine  frembe  |janb  fie  §u= 
fammengefiigt,  meil  fie  einanber  bodj  in  tieffter  Seele 
fremb  gegeniiberftanben,  barum  tonnten  fie  e§  niefjt 
üerminben  unb  fanben  in  fidj  fein  ©egengemidjt  gegen 
biefen  Sdjmerg.  $)er  ftolje  9ftann  trug  fein  2Bel) 
öetfcf)loffen  in  ber  23ruft  unb  faf)  faft  unbemegt  51t, 
mie  fein  Sßeib  baljinmelfte.  Sßßeitn  feine  Seute  non 
Trennung  fprad)en,  bann  fdjüttelte  er  ba§  |jaupt, 
aber  fein  SJhntb  fanb  aud)  fein  Söort  ber  Siebe  für 
bie  Unglücftidje.  So  oergingen  lange  Saljre.  2fber 


14 


.  cttteä  9(benb§  —  es?  mar  im  SStnier  —  al£  er  tu  bie 
Stube  trat  mtb  feinem  SBeibe  ben  „guten  Hbenb" 
bot,  ba  ermibertc  fie  feinen  ©ruft  nieftt  feife,  mie  ge= 
möl)n(icf),  ba  bliefte  fie  ifttt  nid^t  fdjeu  unb  gebriieft 
an,  mie  fonft,  ba  eilte  fie  iftnt  entgegen,  ba  preßte 
fie  fid(j  in  feine  $Krme,  at£  ftättc  fie  jeftt  erft  ba§ 
fHed^t,  an  feinem  ^ergen  gu  ritten.  Überrafdjt,  bann 
in  feligem  2lftnen  Bliefte  er  iftr  in  ba§  erregte,  fjodfjers 
rötenbe  $(ntli|.  ®ann  ergriff  er  iftre  §anb,  50g  fie 
auf  ben  Sift  neben  fidf)  itieber  mtb  lernte  iftr  §aupt 
an  feine  23ruft.  3$re  Sippen  bebten,  aber  fie  fanbett 
beibe  fein  Sßort  für  iftre  Seligfeit,  fein  arme§ 
SOfanfdjenmori!  .  .  . 

„Sobet  @5ott  ben  Slttgelobten!"  tönt  bie  Stimme 
be§  $orbeter§  in  bie  Xräume  be£  örütenbeit.  Unb 
bie  ©emeinbe  ermibert:  „@e(obt  fei  ©ott,  itnfer  §err, 
ber  ba  feftaffet  bett  Sag  unb  feftaffet  bie  Sftadfjt,  ber 
ba  mälget  ba£  Sidfjt  üor  bie  ginftemi§  unb  bie  ginfter^ 
ui§  öor  ba$  Sicftt,  ©r,  ber  OTmädfjtige,  ber  Söeftänbige, 
ber  ©ott  ber  ,§eerfd£)arett!" 

„©elobt  fei  ©ott!"  ...  90Ut  melden  ©efiiftlen 
hatte  90?ofe£  greubentftal  mit  eingeftimmt  in  biefen 
Dtuf  an  jenem  Sabbatfjabettb  öor  gmeiuttbgmangig 
Sauren,  an  bem  er  gurn  erften  SDM  al§  SBater  ba§ 
$au§  ©otte£  betreten!  3Bie  fjatte  fein  §erg  geblutet 
unb  gejaueftgt,  mie  ^atte  er  gemeint  oor  greube  unb 
Scftmerg!  ®entt  mof)l  mar  ihm  ein  Södhterlein  ge^ 
boren  morbett,  aber  fein  Söeib  mar  geftorben  an  ber 
fpäten,  ferneren  ©eburt.  ©rgeben  unb  ohne  ®lage 
hatte  fie  bie  ungeheuren  Schmergen  ertragen  unb  felbft 


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in  iljren  testen  ©tuubeu  nodj  ging  ein  leife§  Sädjelit 
über  ba§  oerblafttc  5tnttib,  fo  oft  fie  bie  ©timme  ber 
Neugeborenen  oentafjnt.  Unb  in  jenen  quatöotleu 
©tunben  Ratten  fid)  aucfj  bie  |j  errett  ber  (hatten  ge= 
fmtben,  bie  fremb  geblieben  in  beit  langen  Surren 
ifjrer  (Sfje.  (Sr  allein  öerftaub  eä,  marunt  fein  Söeib 
fageit  tonnte:  „Nun  fann  idf)  gnfriebett  fterben,"  unb 
fie  allein  öerftaub  e£,  loarunt  er  fid)  immer  mieber 
über  il)re  §attb  beugte  unb  fd)tud)3te:  „SBergeil/,  Nofete, 
öer^eil)!"  —  „3)a§  $inb,"  flüfterte  fie,  „gieb  Sld)t 
auf  ba§  $inb!"  S£)amt  gudte  fie  gufamnteu  unb  mar 
tot.  Hub  am  näd)ften  borgen  trugen  fie  fie  f)inan§ 
gunt  „guten  Orte".  (Sr  aber  gerrift  feine  Kleiber  unb 
ftreifte  bie  ©d)ut)c  öon  feinen  gilben  unb  faft  fiebett 
Stage  unb  fieben  Nädjte  auf  bem  (Sftrid)  be§  S£otem 
§immer£,  mie  e§  STmuerbrandj  ift  in  Sfrael.  (Sr  meinte 
itidjt;  trodett  unb  glaitglo*  ftarrte  fein  $luge  in  bie 
flamme  be§  S£otenlid)t£,  ba3  bie  SSodje  über 
brennen  ntufj,  bantit  bie  ^eimatlofe  (Seele  eine  Nu f>e^ 
ftatt  J^abe  auf  (Srben,  et)e  il)r  ®ott  iljren  $ßta|  meift. 
„(Sr  fprid)t  mit  ber  S£otett,"  flüfterten  fdjeu  feine 
SSermanbten,  al£  er  immer  uitb  immer  mieber  öor  fidj 
j^in  murmelte:  „Nun  l)ätte  alle§  gut  merbeit  fönnen 
unb  nun  bift  SDu  tot!"  $lber  in  milben  tränen  löfte 
fid)  fein  ©djmerg,  at£  fie  il)m  ba§  $inb  brachten  unb 
fragten,  mie  e§  fjeifjen  folle.  „(Sftljer,"  ermibeite 
er,  „(Sftfjer,  mie  meine  SMutter."  Sange  f)ielt  er  fein 
£öd)terd)en  auf  ben  Firmen  unb  feine  Stfjränen  fielen 
auf  ba§  Keine  Slntli^.  S£)auu  gab  er  e§  ber  üBärterin 
gurüd5  unb  mar  oon  ba  ab  gefaxt  unb  ruljig.  ©o 


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ging  bic  Xmuer^eit  ooriiber.  $ftaftlo§  unb  entftg,  tote 
faunt  Dorier  ging  er  au  feine  ^5efc^äfte.  (Sin  neuer 
(Steift  fdjieu  über  beu  Sftann  gefontmen,  jeber  Dag 
brachte  füllte  Unternehmungen  unb  neue  maghalfigc 
Päne.  2Ba§  fein  Zuberer  oerfudjt  hätte,  er  tooQte 
e§,  unb  ba§  ($lüd  blieb  il)m  treu.  9£un  führte  er 
audj  feinen  Siebling&ouufch  au§,  faufte  beu  Sßlag 
gegenüber  beu  Dominifanent  unb  begann  ba  ein 
groge$  §au§  311  bauen.  @0  öergingen  bic  Dagc  in 
ruf)elofer  Arbeit,  bc3  5lbeub£  aber  fag  er  ftunbeulang 
an  ber  SBiege  feinet  Äinbeä  unb  blidftc  in  bic  meiden, 
nod)  unauägebilbeten  3iigc.  Unb  in  beu  erften 
Monaten  l)örtc  bic  SSärterin  oft  —  e§  tnarb  igr  faft 
unheimlich  habet  —  mie  er  fid)  fogar  be§  -ftachtS  er¬ 
hob,  in  ber  Sinberftube  nieberfauerte  unb  lange  geil 
ftnmnt  unb  betoegung£lo§  int  ‘Dunfel  auf  bic  Sltem^ 
gitge  be§  fdjlafenben  $inbe§  ho*d)ie.  ^ie  ^a9e  Würben 
gu  Monaten  unb  fahren,  bie  fleitte  (Sfther  mud)3 
heran  unb  marb  feljr  fing  unb  fdfön.  ©ie  fah  bem 
Sßater  ähnlich,  ha^e  fein  fchWargeä,  gelodte§  |)aar, 
bic  hohe  ©tim  unb  bie  feften  gefddoffenen  Sippen, 
aber  frernb  unb  rührettb  ftanben  in  biefent  tropigeu 
$inbergefichte  bie  fanften  blauen  klugen  ber  Butter. 
Oft  uttb  öiel  mugte  ber  $8ater  in  biefe  hellen  $inber= 
äugen  bliefen.  Unb  in  folgen  Momenten  umfagte  er 
mol)l  aud)  fein  Död)terd)en  unb  pregte  e§  an  fein 
|jer3  unb  gab  ihm  taufenb  füge  ©djmeichelnamen; 
fonft  Wie§  ber  ernfte,  nerfdjloffene  Sölann  bem  $ittbe 
Wenig  feine  faft  mahnfinuige  Siebe.  5ll£  (Sfther  fünf 
Qahre  alt  geworben,  gogen  fie  aug  bem  engen  $aufe 


11 


in  ber  Subcnftnbt  in  ba§  gro^e,  tnei^e  §au£  gegen¬ 
über  bent  ^Hofter.  Sßon  ba  ab  begann  and)  9ftofe§ 
für  bie  (Srgie^ung  feinet  SHube§  3U  forgeit;  in  feiner 
Sßeife  freitid^  ober  richtiger,  in  ber  altfjergebradjteu 
Sföeife.  ©fttjer  lernte  fodjen,  beten  unb  rechnen;  fo 
tourte  fie  genug  für  ba£  $au§,  für  ben  |)immel  unb 
für  ba§  Seben.  Unb  ma§  tjätte  i^r  audfj  ber  Sßater 
uod)  unterbeut  lehren  taffen  f ölten?  ’&aä  SDeutfctje 
etroa?  ©preßen  fomite  fie  e§,  ba§  Sefen  unb  ©^reiben 
fcfjien  itjm,  wie  atten  Suben  in  Söarnom,  für  ein 
9ttäbd)en  uuuüfcer  £u£u§.  (Sr  tjatte  e§  geternt,  um 
feine  ®efcf)äft£briefe  ju  fdjrcibeu  unb  ba§  bürgerliche 
(55efe^bucf)  31t  üerftetjen;  feine  £odf)ter  beburfte  feiltet 
oon  beibeit.  Dber  fonute  fie  ettoa  burd)  größeres 
SSiffen  beffer  unb  gtüdtidjer  merben?  „SSemt  ein 
jitbifdj  $irtb  gut  beten  fann,"  ge^t  ba§  2Bort  unter 
biefen  öerbiifterten  äftenfdjen,  „fo  brauet  e§  nid)t§ 
anbereä,  um  gut  unb  fjeiter  31t  fein!"  Unb  bod^  fottte 
bie  Heine  (Sft^er  noch  ba§  ^eutfdjtefen  ternen  unb  öiet, 
öiel  mehr  basu!  .  .  . 

„(S£  mar  eine  fd)Wad)e  ©tunbe!"  murmett  ber 
äftann  unb  ergebt  fich  mit  ben  Hnberen  5U  bem  taugen 
(Gebete,  ba§  man  ftefjenb  fpredjen  mu§,  „eine  fdjmadje, 
t^örid^te  ©tunbe!  2Beh'  mir,  ba§  ich  nachgegeben,  unb 
gtudj  bem,  ber  mich  ba3it  »erführt!" 

D,  mie  bu  ba  freoetft,  9ftofe§  greubeut^at!  Sßie 
bidf)  ba§  Ungtiid  auch  geläutert  unb  bidf)  beitt  eigen 
§ei'3  erlernten  gemacht,  noch  immer  fannft  bu  e§  nicht 
erfaffen,  ba§  e§  eine  ©ünbe  getoefen,  at§  bu  beinern 
SUttbe  ba$  Sid)t  unb  bie  SSelt  oerfdjtiejseu  gemottt, 

ß.  Cf.  ^rnrtäoS,  Sfuben  bon  $aruotv.  2 


—  18 


unb  bafj  bu  recht  getrau,  al$  bu  in  jener  ©tunbe 
geftattet,  baf?  ein  Anbeter  fie  ihm  erf erliege.  0  wie 
bn  freoelft,  alter  ÜJJiamt,  wie  bu  bein  |jerg  oerhärteft 
in  ©elbftfucht  uttb  Uttüerftattb,  wenn  bu  weiter  fprichft: 
„^aä  War  mein  unb  ihr  lXuglitcf !  £)entt  non  ba  ab 
warb  iljr  ©intt  üerftridt  unb  abwenbig  gemacht  mir 
unb  meinem  ©otte!  0  glud),  glttcf)  jener  ©tunbe!" 

5Da§  aber  war  oor  breigef)n  Sauren  gewefen, 
an  einem  tnilben,  gellen  ©ommerabettb.  Auf  beit 
Raufern  unb  ^lät^eit  lag  ba§  9Jtonblidjt  unb  ber 
©taub  ber  ©trafte  glängte  weit  hinauf,  wie  mattet 
©über.  9Q?ofe§  greubentf)al  fafi  auf  ber  ©teinbanf 
üor  feinem  |>aufe  unb  brütete  oor  fich  l)in.  ©£  war 
if)m  feltfam  weid)  gu  ÜDhtte;  er  muffte  immer  wieber, 
of)ne  bafj  er  e£  wollte,  feiner  Sugenb  unb  feinet  oers 
ftorbenen  2öeibe§  gebenfen.  3hm  gur  ©eite  faft  fein 
neunjährige^  £üd)terchen  mtb  blidte  mit  weit  geöffs 
neten  klugen  hinauf  in  bte  $ioitbnadht.  T)a  fam  eilt 
ÜDfann  bie  ©affe  herauf  unb  blieb  *wr  beit  Reiben 
fielen.  S0^ofe§  erfanttte  ihn  nicht  f ogieich,  ober  bie 
flehte  ©ftljer  fprang  auf  unb  jubelte:  „Dnfel  ©dhlome! 
$)a§  ift  fdhön,  baf$  bu  gu  un§  fommft!"  üftmt  ers 
fannte  auch  SDfofeä  ben  fpäten  ©aft  unb  ftanb  be^ 
frembet  auf.  2Ba§  wollte  ©dhlome  ©rünfteiit  bei 
ihm  unb  woher  fannte  fein  $inb  ben  „äftefdhunteb?" 
©r  War  fein  Sugenbgefpiele  unb  ber  Söruber  feiltet 
A3eibe§,  aber  feit  gwaitgig  Sofien  unb  baritber  hotte 
9ftofe§  fein  Söort  mit  ihm  gebrochen,  $)eittt  mit 
einem  „Sttefcfjumeb",  mit  einem  Abtrünnigen  oom 
©lauben,  barf  ber  gromute  feine  ©emeiufdhaft  ^aBen 


19 


mtb  eilt  foldjer  Abtrünniger  mar  ©d)lomc  in  beit 
Augen  be3  ®f)etto.  Uitb  bod)  mar  ber  bleid)e,  fränf* 
lidje  SDiattn  mit  beit  meidjen,  träumen) d)ett  3^9en 
immer  3ube  geblieben,  lebte  ftill  uub  frieblid)  unter 
beit  Anberen  uub  nii|te  feinen  föeidjtunt  gu  2S  er  feit 
be£  ©egeit§  uitb  ber  $8arml)ergigfeit.  Aber  ber  Sfftafel 
uub  ber  Spante  flehten  iljm  au§  feiner  Sugenbgeit  uns 
au§löfd)lid)  an. 

$>a  mar  e§  il)m  feltfam  ergangen.  &er  SSater 
^atte  ben  fd)üdjternen  uub  tieffinnigen  Staben,  ber 
nur  in  feinen  23üd)ern  lebte  uitb  ba  allein  22ßi|  uub 
©d)arffinn  geigte,  gum  Dtabbi  beftimmt.  ©dflonte  mar 
bamit  gufrieben,  ftubierte  fid)  faft  um  feine  ®efmtbs 
Ijeit  uttb  übertraf  halb  feine  £el)rer.  SDertn  in  bem 
fd)tt>ad}en  Knaben  loberte  eine  öergeljrenbe  ©efynfudjt 
ttad)  Sßiffen  uub  (£rfenntni§.  2)iefe  ©el)nfud)t  marb 
fein  Sßerberben  uub  ber  gludj  feinet  Sebent.  $>urd) 
®elb  uub  fleljentlidje  Bitten  bemog  er  ben  djriftlidjeu 
©djulmeifter  be3  Drte§,  ifjnt  f)eintiid),  in  fpäten  -ftadjts 
ftuttben,  ba£  verbotene,  ner^afste  ^odjbeutfdj  gu  lehren 
uub  bie  ,,(£fyriftenmei§f)eit".  SBott  ber  le|teren  aber 
muffte  ber  ©cfjulmeifter  felbft  nid)t  aUgu  üiel  uub  f)alf 
fid)  bamit,  baf$  er  feinem  ungeftümen  (Spüler,  faum 
ba§  biefer  lefeit  f'onnte,  alle  Sitter  au£  ber  $foften 
bibliot^ef  gufdjleppte,  bereit  er  nur  immer  I^abfjaft 
mürbe,  ©o  la§  ber  Ijeranreifenbe  Qüngling  bie  feit- 
famfteit  uitb  mirrften  *2)inge  bunt  burd)einaitber  unb 
legte  fie  fid)  oft  feltfam  genug  guredjt.  $>a  fant  ifynt 
audj  eineö  £age§  ein  S3ucf)  in  bie  §änbe,  ba£  ifjtt 
bem  üBaljnfinn  nalje  braute.  $>ie  gornt  unb  ber 


20  — 


Don  biefeö  $udf)c£  Barett  ihm  Wohlbefannt  urtb  bers 
traut,  mahnten  fie  bodf)  an  bie  ^eilige  Dljora,  aber 
ber  ©eift,  ber  burdj  biefe  glätter  gog,  War  ein  anberer 
unb  —  beut  Jüngling  erftarrte  ba§  23lut  —  ein  miU 
berer  unb  fattfterer.  'Denn  biefeS  23uch  War  ba§  neue 
Deftament.  2Bie  grutjtingäluft  Wehte  e§  ihn  barau§ 
an  unb  bodfj  fträubte  fid^  fein  |jaar  bor  ©ntfe^en. 
Da§  alfo  war  bie  ©öfjenlehre  ber  Triften  unb  fo 
hatte  jener  9ftann  gelebt  unb  gewirft,  ben  feine  SSäter 
gefreugigt  unb  bon  beffen  23ilbe  ntatt  ihn  nodj  je£t 
in  ,§af$  unb  Verachtung  ba§  5lntli|  abguwenben  ge= 
lehrt!  Der  ©dfjlag  War  gu  ^eftig,  ©df)Iome  verfiel  in 
gefährliche  ^ranf^eit  unb  lag  lange  SSodjen  in  fdhwerem 
gieber.  Oft  unb  biel  weinte  unb  fpradj  ber  VeWuffc 
lofe  bon  bem  bleid^en  Sfagarener  unb  bent  $reug  uttb 
jenem  Suche.  ©ntfe|t  gärten  e§  bie  ©Item  unb  bie 
■Nachbarn;  fie  forfdjten  nach  bem  3ufammen^an9  unb 
entbeeften  enbtich  bie  ^eimlid^en  @tubien.  93alb  ging 
b a£  unheimliche  ©erüdf)t  burdj  ba§  ©h^tto,  ®d£)lome 
habe  (£httft  Werben  Wollen  unb  fei  bafür  bon  ©ott 
mit  Sßahitfinn  gegiidhtigt  worben.  5lber  ber  3üng= 
ling  gena§  unb  ging  Wieber  unter  feinen  ©tauben^ 
genoffen  einher,  noch  ferner,  nodh  bleicher,  noch  ge^ 
briiefter  al§  borher.  2Sa£  in  feinem  Snnem  tobte 
unb  fämpfte,  erfuhr  niemanb,  aber  jebe§  $inb  in  ber 
Subengaffe  nannte  ihn  ben  „9D?ef<humeb"  unb  Wufjte 
gu  ergäben,  baf$  er  feinem  Vater  mit  he^9em  ®ibe 
gefdjworen,  Sube  gu  bleiben,  Wenn  biefer  ihm  bagegen 
Zweierlei  geftatte:  alle  Bücher  gu  laufen  unb  gu  lefen, 
bie  er  wollte,  unb  unbermäfjlt  gu  bleiben.  Unb 


—  21  ■— 


er  !)ielt  feinen  ©djmur,  auch  nadjbem  t^n  ber  SEob 
feiner  ©Item  reid^  unb  unabhängig  gemalt.  ©o  oers 
ging  fein  Seben  in  bem  engen,  finftem  ©hett°* 
hatte  nur  eineu  greunb,  ba§  mar  SDatüb  Slum,  ber 
auf enpfleger,  gleichfalls  ein  unglücf  lieber  Wenfd) 
mit  feltfamen  @d)idfalen.  $lber  biefen  gremtb  ge= 
mann  er  fpät  unb  oerlor  ihn  halb:  SDaüib  Slum 
ftarb,  ob  an  beit  folgen  be§  Sfteröettfiebero,  ob  an 
gebrochenem  §er§en,  e§  mar  faum  311  entfeheibeu. 
$>er  „Wefdjumeb"  betrauerte  ihn  fel)r  unb  biefer  Stob 
rift  eine  tiefe  SBuitbe  in  fein  ohnehin  fo  freubenarmeä 
Seben;  ihm  mafg,  al§  märe  ba  ein  ©titd  feines 
eigenen  §ergen§  gitr  frühen  ©ruft  gefüllten.  Unb 
bod)  mar  nicht  bloft  Seiber  ©djidfal,  fonbem  auch 
Seiber  Statur  gruitboerf djiebeit  gemefen:  SDaoib  ftart 
unb  boebftrebenby  aber  fpröbe  unb  ph^daftifch  nnb 
bantnt  für  immer  gebrochen,  al£  ihn  einmal  bie^anb 
be£  ©chidfal§  traf;  ©cblome  f(hmadh  unb  milbe,  ein 
3)ulber,  ben  ba§  ©dhidfal  beugen,  bo<h  nicht  5er; 
malmen  tonnte.  @0  lebte  er  fort,  mitten  unter  ben 
Weitfcbeit  uitb  bennod)  entfe^lid)  einfam;  felbft  bie 
Firmen  nahmen  bie  SBohlthaten  nur  gögemb  au§  feiner 
§aitb.  Unb  bod)  liebte  er  alle  Wenfdjen  unb  am  meifteu 
bie  $inber,  bie  ©ingigen,  melche  biefe  Siebe  ermiberteu, 
obmohl  audh  fie  au£  furcht  öor  ben  ©Item  nur  feiten 
mit  ihm  oertehreit  burfteit.  £)ie  fleine  ©fther,  ba§ 
eiugige  $inb  feiner  oerftorbeneit  ©djmefter,  liebte  er 
ttollenbä  faft  abgöttifch  unb  and)  fie  h*ng  inniger  au 
ihm,  al£  au  bem  ernften,  oerfd)loffenen  Sater. 

S£)a3  mar  ber  Wann,  ber  in  jener  Wonbnadjt 


—  22 


5ur  0teinbanf  fam,  auf  ber  9ftofe$  greubentfyal  uttb 
fein  SHnb  fafjen.  ,,3d)  fyabe  mit  (Sucf)  $u  fpredjen, 
0d)  Wäger,"  fagte  er,  al3  biefer  il)n  falt  unb  fragenb 
anfalj.  Unb  bann,  nadjbem  ba§  ®inb  auf  feine  Sitte 
äur  #hd)e  gegangen,  wicberfjolte  er  nod)  einmal:  „3dj 
l)abe  mit  (Sud)  $u  fpr ed)en,  Siele£  unb  3ßid)tige£. 

0e|t  (Sud)  nur  neben  midj,  3^  bürft’3  je|t  fdjoit 

Wagen,  e£  ift  feine  lebenbige  0eel'  mefjr  auf  ber 
®affe  .  .  fDZofe^  fe^te  fidb  -$ögerab.  „(S§  ift  wegen 
be£  &inbe§,"  begann  ber  „Sftefcfjumeb".  „£)ie  0ad)e 
brüdt  mir  fd)on  fang  auf  bem  §er§en,  unb  ba  id) 
eben  öorüberging  unb  (Sud)  erfannte,  mod)tc  idj'§  nidjt 
länger  auff Rieben.  0el)t,  Schwager,  (Stier  $inb  Wäcf)ft 
^errlidj  fjeratt.  0ie  wirb  einmal  fefjr  fd)ön  werben, 
aber,  Wa3  nod)  mel)r,  fie  ift  fdjon  fjeute  fefjr  gut  uttb 
fo  flug,  baf$  e£  für  ifjre  3a^re  gunt  Serwunbem 
ift.  3f)r  wifct  e£  faum,  Wa§  für  fragen  ba£  $inb 

ftellt  unb  Wie  eigen  e§  fidj  alleä  in  feinem  $opf 

Suredfjtlegt;  3f)r  wifjt  e§  faum,  0d£)Wager!"  —  „Uttb 
Wof)er  wiftt  Sljf'3?"  unterbrad)  ifyn  SCRofe^  unb  bic 
(Stimme  flang  fjart  uttb  fdjarf.  „§abe  idj  (Sud)  ge^ 
ftattet  ..."  5lber  ber  5lttbere  erfjob  abwefjrenb  feine 
|janb.  „Safjt  bag,  id)  bitte  (Sud),  lafjt  ba£!  3d) 
fömtte  (Sud)  trofdg  erwibertt,  baft  (Sftfjer  meiner 
0djwefter  $ittb  ift  unb  bafj  id)  gute3  Dfodjt  uttb  guten 
(Srunb  Ijabe  gttr  0orge  unb  Siebe  für  (Sure  %od)tcr. 
Slber  id)  fann  unb  will  nidjt  fo  fpredjett;  £rob  unb 
3orn  fjabett  utt£  lange  genug  getrennt.  Uttb  felbft 
Wenn  3l)t  mir  fagtet,  ba§  id)  (Surem  §attfe  frentb 
fei,  frentb  ober  burd)  eigene  0d)ttlb  entfrembet,  id) 


Würbe  tridjtö  barauf  erwibern.  2)emt  um  3emanb 
lieb  gu  f)abett,  bagu  bebarf  man  nidjt  be§  Sftecfjteä  ber 
$erwanbtfd)aft,  unb  bie  SSelt  ift  nicf)t  fo  retd)  an 
Siebe,  ba§  man  fie  fid)  oerbitten  rnüftte.  2Iber  — 
3f)r  meint  bodj  etwa§  5lnbere£!  Qfjr  fürstet  ®efal)r 
für  (Suer  $ittb,  wenn  e£  mit  mir  üerfefjrt.  2Sa3  8fw 
jebem  (Surer  Wiener  geftattet,  ba£  glaubt  8lw  mir 
nicb)t  geftatten  gu  bürfen.  Unb  fo  mufj  id)  (Sud) 
fragen:  Sdjwager,  galtet  8l)r  rnid)  für  weniger  gut, 
al§  ben  lebten  (Surer  Wiener? !"  (Sr  fjielt  inne,  bodj 
SDZofe^  erwiberte  nid)t£.  (S§  Tratte  ben  garten  9ftamt 
eigen  berührt,  al§  er  nun  Wieber  bie  Stimme  vernahm, 
bie  einft  in  feiner  Sugenbgeit  fo  gut  uitb  treu  gu  iljm 
gefprodjen.  $lber  er  fd^üttelte  e§  ab,  unb  al§  Sdjlome 
feine  5ra9e  ttüeberfjolte,  erwiberte  er  falt  unb  emft: 
„Steine  Wiener  finb  fromm  unb  galten  feft  an  bem 
(Glauben  ber  Später."  (Sr  fpradj  bie  SSorte  vor  fid) 
fjitt  unb  blicfte  nidjt  auf,  fonft  Ijätte  er  ben  Sdjmerg 
unb  bie  Söitterfeit  fefjen  mitffen,  bie  um  be§  2lnbem 
Sippen  gudten.  2lber  e$  War  fein  bittere^  Sßort,  ba£ 
von  biefen  Sippen  fant.  „Sef )t,  9Kofe£,"  fcigte  er  tief 
aufatmenb,  „e£  ftel)t  ein  gute£  28ort  gefdfjrieben: 
,$In  iljren  grüßten  foHt  il)r  fie  erlernten!4  Unb  mein 
Sebett  liegt  flar  vor  (Suren,  Wie  vor  Mer  klugen. 
3dj  war  furdjtbar  einfam,  gemieben  unb  weltverloren, 
aber  au§  ganger  Seele  Ijabe  idj  rntdj  gemüht,  biefe§ 
Sebett  aitgufnüpfett  an  ba§  ber  Mberen  um  ntidj  fjer. 
8d)  fjabe  ntidj  gemüht,  e3  fo  nitblicf)  gu  madjett,  al§ 
e$  nadf)  bem,  Wa§  einmal  gefd)ef)eit,  ttocf)  werben 
founte.  8^r  feib  ber  erfte  äftenfd)  — *  unb  81)*  Werbet 


24 


ber  eilige  bleiben  —  bem  id;  e§  fage,  bafs  id)  mir 
bemüht  bin,  mein  9Köglid)e§  in  bem  getl)an  $u  haben, 
ma£  man  SSohltfjun  nennt  unb  ma3  bod  nur  Sfteufdem 
pflidjt  ^ei^en  foUte.  Sd)  f)abe  beg^alb  freiüdf)  fein 
glücflideä  unb  gute£  Sebett  gelebt,  aber  rietet  Shr, 
©dluager,  richtet  5hr,  ob  e§  auf  greöel  unb  5lt)or= 
heit  meift?"  '  SD^ofeö  ftrid  mit  ber  gattb  über  ©tim 
unb  klugen,  al§  mü^te  er  fid)  auf  bie  $lntmort  be= 
finnen.  $)ann  fagte  er  milber:  „Über  ein  gattge§ 
Seben  ridten  unb  gerecht  richten,  ba§  !amt  fein  SJiettfd), 
ba§  fattn  nur  ber  allmiffenbe  (S5ott.  5d  mill  glauben, 
baf3  e§  fo  ift,  mie  öhr  fpred^t,  unb  mol)l  ©ud),  menn 
e§  fo  ift.  3) amt  tonnt  Shr  ruljig  ber  ©tunbe  Darren, 
mo  ©ott  ©ud  richtet.  $lber"  —  unterbrach  er  fid) 
unb  ful)r  bann  faft  fcfyeu  fort  —  „glaubt  Shr  auch 
an  ©ott?!"  —  „5a!"  ermiberte  ©dlome  unb  erl)ob 
fein  gaupt,  „ja!  id  glaube  mt  ihn.  Sd  ^)a^e  dn  iw 
meiner  $nabengeit  gefudt  unb  gemahnt,  er  fei  ein 
©ott  be§  ^orneS  unb  ber  9ffad)e  unb  nur  einem  Sßolfe 
baä  Sidt  unb  ber  «gort;  id  habe  *hn  *n  oteiner  Süttg= 
ling^eit  gefudt  unb  gemahnt,  er  fei  ein  ©oit  ber 
Siebe  unb  be3  ©rbarmen§  uttb  bod  nur  $)enett  gitöbig, 
bie  ihn  Oerehren  in  beftimmter  g°rm  unb  ©aputtg. 
©pater  aber  habe  id  ib)n  gefuubeit  unb  ertannt;  er 
ift  fein  ©ott  be§  ,3onte3  uttb  fein  ©ott  beä  ©rbarmettä, 
er  ift  ein  ©ott  ber  ©eredtigfeit  uttb  ber  üftotmenbigfeit. 
©r  ift  unb  ift  willen,  aud  betten,  bie  ihn  leugnen!" 
©r  hatte  fid  erregt  erhoben,  unb  al§  er  fo  im  ättottb^ 
lidt  oor  9ttofe£  ftattb,  überfam  eS  biefen  feltfam; 
ihm  mar£,  atg  leudte  ba§  $lntlih  be§  9^anne§.  ©r 


25 


mttjjte  nicht,  mie  it)iit  gefdjatj,  er  mu^te  auf  ba£  Söitb 
be§  (Stefreugigten  btideit,  ba§  briiben  im  $loftergarteu 
ftattb  unb  fid)  in  bem  feilen  £id)te  fd)arf  abhob 
öom  bunfteit  ;ftadjthimmet.  „Unb  $>er  bort?"  muffte 
er  fragen  unb  erfdjraf  faft,  at§  er  e£  gefprod)en. 

—  „föer  bort,"  ertoiberte  ber  SKefdjumeb  unb  bic 
(Stimme  ftang  munberbar  tue^miitig  unb  meid),  „ber 
bort  mar  ein  ebler  unb  großer  9ttenfdj,  oietteicljt  ber 
befte,  ber  je  auf  Arbeit  gemanbelt.  $lber  er  ift  tot 
unb  fein  ^5eift  ift  erftorben,  erftorben  auch  in  Seiten, 
bie  ihn  ihren  ©rtöfer  nennen!  ®ie  Xl)bric^ten  —  nur 
burd)  fid)  fetber  mtrb  ber  sDienfd)  ertöft,  burd)  fidf) 
unb  in  fid)  .  .  ."  @r  l)iett  imtc,  and)  $Kftofe§  fdjmieg. 
@o  faften  bie  beiben  9JMnner  eine  Seite  ftumm  neben 
einanber,  Seber  mit  feinen  ©ebaitfeit  befchäftigt.  $)anu 
fragte  3flofe£:  „Unb  ma§  mottt  8hr  mit  bem  SHnbe?" 

—  ,,3d)  mid  fein  Seigrer  merben,"  ermiberte  (Schtome, 
„beim  id)  tjabe  e§  fetjr  lieb  gemonuett  in  ben  fettenen 
(Stunben,  mo  id)  e§  fpredfjen  burfte.  Unb  glaubt 
mir,  ba§  ift  fein  gemö^nlid)e§  $iitb!  SD  märe  e§  bod) 
ein  $itabe!  I)abe  id)  oft  benfcit  müffenMmb  bod)  gteid) 
mieber,  —  3hr  mifjt  üietteidjt,  marum  —  e§  ift  gut, 
baft  e§  ein  Stftäbchen  ift.  3Demt  in  biefem  $inbe  lebt 
ein  großer  junger  nad)  Siffen  unb  ein  feftfame» 
^lf)neit  be§  £id)t§  ..."  Stber  abme^renb  unterbrach 
i^n  ber  3tnbere:  „Sh*  träumt,  ©djtome!  (Sfttjer  ift 
faunt  neun  Scdjrc  a^/  un^  x$r  ^er  ^aier/  ha^e  n*e 
bergteidhen  bemerft."  —  „Seit  3hr  &  nid)t  fef)en 
motlt,"  mar  bie  Hntmort,  „ober,  üergeiht  mir,  itic^t 
fefjen  föitnt!  8hr  hafte*  &  fü*  ^äumerei  ober  ^arr^ 


26 


fyeit,  ober  meint,  eg  fei  $inberart  fo.  3d)  aber  meijs, 
mag  e§  l)eif$t,  fold)eg  (seinen  im  eittfanten  jungen 
|jergen  gu  tragen,  (glaubt  mir,  eg  märe  greöel, 
liefet  Slm  aE'  bag  öerfomnten,  mag  ba  emporfeimt. 
Unb  barum  bitte  id)  (Sudj:  erlaubt,  bafj  idj  ©ftfyerg 
£el)rer  merbe!"  Unb  lieber  mar  eg  lange  ftill  unter 
bett  SKännem.  SDantt  enblid)  ermiberte  SO^ofeg:  ,,Sd) 
t'ann  nidjt,  ©djmager,  idf)  barf  nidjt,  and)  menn  id) 
moEte.  9£idjt  ßmretmegen  rnujj  id)  fo  fpredjen;  oon 
@ud)  miE  id)  alleg  ®ute  glauben  unb  ebenfo  üon 
bem,  mag  S^r  bag  SHnb  lefjren  miirbet.  $lber  eg  pafft 
ttidft  für  meine  £od)ter.  8ie  foE  ein  einfach  jübifcf) 
£inb  bleiben;  id)  miE  eg  fo  unb  eg  mirb  fo  fein. 
2Sag  foE  fie  grembeg  erfahren,  mag  iljr  |)erg  fefjm 
fitdftig  machen  l'anit  unb  traurig?  9ttein  $inb  foE 
ein  frommeg,  fdftidfteg  SBeib  merben;  eg  ift  bag  93efte 
für  fie  unb  barum  eben  miE  idj  eg  fo.  Daf3  fie  einen 
reichen,  angefefjenett  Ü0?ann  befommt,  bafür  fjab’  id) 
geforgt."  —  „Sa!"  ermiberte  ber  Sftefdjunteb  unb 
gurn  erften  9Jtal  in  biefer  Unterrebung  flang  feine 
(Stimme  bitter  unb  Ijcrbc,  „ja!  Sfm  feib  fe!)r  reidj 
unb  l)abt  Stecht:  fo  Ijabt  Slj*  audj  für  einen  reichen 
(Sibam  geforgt.  ^ag  Sftäbdjen  ift  nun  neun  Saljve 
alt;  in  fedjg,  fiebeit  Sauren  merbet  3f)t  ifjnt  beit  reidj= 
ften  nnb  frömmften  Süngling  in  ber  Sftunbe  augfudfjett, 
ober  and)  einen  SSittmer,  meint  ber  nod)  reifer  unb 
frömmer  ift.  8ie  mirb  iiftt  freilief)  nid^t  femten,  aber 
bag  tljut  ja  tticfftg,  bagu  !)at  fie  nad)  ber  |jocl)geit  ^eit 
genug!  £)ann  mirb  fie  iljn  oieEeidft  fürchten  ober 
Raffen  ober  er  mirb  ifjr  gleid)güttig  fein.  $lbcv  audb 


27  — 


bo£  tfyut  nic^tö!  $)enn  moju  braucht  ein  jübifd}  22ßeib 
bie  Siebe?!  $)od)  nur,  um  ©ott  ju  lieben  unb  feine 
Äinber  unb  —  o  bafc  idj’ä  nid^t  üergeffe!  —  fein 
bi£d)en  9teid)tum!"  —  ,,3d)  berfteljc  (Sud)  nidjt/ 
fagte  9ftofe£  gögentb,  mic  erftaunt.  —  „3I)r  berftefjt 
mid)  nicfjt?"  rief  ber  Rubere  unb  erljob  fid)  erregt. 
*©o  tönnt  Sbr  fpredjen?  3^r?!  0  ©d)mager  — 
benft  an  meine  ©  cb  m  e  ft  e  r  !  "  9ftofe£  greubem 
t^al  gudtc  auf  mie  ein  Söilb^  ba£  ein  ©d)uj3  in£ 
§er§  getroffen.  (Er  mollte  gürneub  ermibera,  er  mollte 
ben  fremben  9Dta^ner  megmeifen  öon  ber  ©cbmelle. 
?tber  er  fonnte  e§  nicht.  (Er  mujjte  fein  §aupt  beugen 
oor  bem  SSlide  be§  berad)teten,  gemiebeneit  9ttanne§ ; 
er  nutzte  nach  langem  Kampfe  leife,  tief  aufatmenb, 
fagen:  „(E£  mar  nidjt  meine  ©d)ulb!"  —  „9£ein," 
fprad)  ber  Üttefdjumeb  unb  feine  Stimme  flang  mieber 
milb  unb  ruljig,  „nein,  e§  mar  nid^t  (Eure,  e§  mar 
(Eure£  unb  meinet  $8ater§  ©d)ulb.  Slber  ma§  3br 
an  (Eurem  ®inbe  t^ut,  ba£  laftet  auf  (Eudj,  nur  auf 
©udj!"  Unb  al§  ber  erschütterte  9ttanit  nid)t£  gu  er; 
mibern  üermod)te,  fuf)r  er  fort:  „Verhärtet  nicht 
(Euer  Ijerg,  auf  baf$  3br  nicht  frebelt.  $)enft  an  ba§ 
SBort,  ba§  gefchrieben  fleht:  ?(S5ebet  §u  trinfen  S)enen, 
bie  e§  bürftet?  ©cbmaget,  barf  id)  ©urem  bürftenben 
Äinbe  ba§  Sicht  unb  ba§  Seben  geigen?!"  5lud)  barauf 
i)atte  biefer  nid)t§  §u  ermibent  üermodjt,  aber  am 
näcbften  Sage  ging  bie  feltfame,  faft  unglaubliche 
£unbe  burdj  bie  ©affe,  9ftofe§  greubentfjal  habe  fid) 
mit  ©djlome,  bem  $D?efcbumeb,  oerfö^nt  unb  ihm  fogar 
fein  einziges*  Sinb  an  ü  er  traut. 


28 


$>a£  mar  bie  @tuitbe,  bereu  fidf)  ber  eittfame, 
alte  5ftann  itt  ber  @pnagoge  erinnert,  bei*  er  au£ 
tieffter  (Seele  geflucht.  Unb  bie  ©rintterung  au  biefe 
6tunbe  folgte  ihm  audj,  al§  er  fidj  nun  mit  beit 
anberen  Metern  erfjob  unb  l)inau£trat  in  bie  lichte 
grü^ling§nad)t.  $>ie  engen  (Waffen  maren  ooll  Seben; 
au£  ben  genftent  fiel  geller  ßid^tglang;  in  beit  §au§' 
tljitren  ftanbeu  bie  $inber  unb  bie  9Käbd)en  nttb  cr= 
marteten  ifjre  Client.  SDer  uttglücfliche  9ttantt  malte 
c§  fidi  in  graufanter  (Selbftqual  au£,  mie  fchön  e£ 
märe,  menn  er  mit  bem  (Sibam  unb  ber  Softer  nach 
§aufe  ginge  unb  nun  ba^eim  bie  @ntel  jubelnb  ben 
®roj30aier  empfingen.  3ebe§  föinberlachen,  jeber  SSitt^ 
fommgruf3  ging  mie  eilt  @djmert  burd)  fein  §erg. 
§ld),  er  mar  bod)  öietleicht  nief^t  adgufeljr  311  öer= 
bammeit,  menit  er  ba  innehielt  nttb  bumpf  uttb  leifc 
oor  fief»  ^infprad):  „Söenn  ®ott  gerecht  ift,  bann  mirb 
er  ben  treffen,  ber  ba3  ^erg  meinet  $rinbe£  betört  hat, 
uttb  ben,  ber  fein  Df)r  geöffnet  hat  für  ba3  2ßort  be£ 
$erführer§!" 

$)a  füllte  er  feine  ©djulter  berührt  uitb  manbte 
fich  um  uttb  mid)  bann  entfett  jurüd,  al§  Tjätte  er 
ein  ®efpenft  erblidt.  (Seine  Söruft  feinste,  feilte  Slugeu 
glühten,  feine  §anb  ballte  fid)  gur  gauft.  SBor  if)m 
ftaub  ber  SDßattn,  bem  er  gefludjt,  ein  trauter,  greifer, 
gebrochener  9ftamt  —  <Sd)tome,  ber  „9ttefd)umeb". 

„3ch  muft  @ud)  fpred^en !"  fagte  er  §u  9ftofe3, 
,,id)  habe  einen  23rief  ..." 

5lber  biefer  giidtte  milb  auf  in  .Qont  unb  ©djuter^: 
„Sdjmeigt,  ®lenber!  Sch  to\li  nichts  t)örcn !  ,  . 


29 


$ie  Seute  fantmelten  fid)  um  bie  beibett  Scanner. 
&er  202efd)unteb  trat  netter  Ijerait  mtb  miebers 
fjolte:  ,,3d)  mufj  (Sud)  fpredjen.  SBefdjimpft  ntid), 
aber  prt  utidf).  ©ie  ift  .  .  ." 

$lber  meiter  fam  er  nidjt.  SSie  ein  ge§e£te§ 
Sßilb  eilte  9ftofe§  f)inmeg,  burdj  bie  engen  Waffen 
unb  über  ben  Sftarftplap,  bi3  er  üor  feinem  $aufe 
ftanb.  |jctlb  oljnmädjtig  fanf  er  auf  bie  ©teinbanf 
am  $£f)ore.  $ier  ^arrte  er,  bi§  fein  5ltem  rufjiger 
ging,  bi§  feine  $ßulfe  minber  heftig  fcf)lugen.  ® a 
mar’3  if)m,  al§  mürbe  irgenbmo  über  ifynt  fein  üftame 
genannt.  3ut  erften  ©todmerf  maren  bie  genfter 
erleudjtet  unb  meit  geöffnet;  lautet  Sadfjett  flang  ^erak 
®ie  grau  $8egirf§ridjter  f)atte  Ijeute  iljren  (SntpfangSs 
abenb.  Unb  nun  f)örte  er’§  nodj  einmal,  gang  öer; 
nefjutlid):  fein  Sftame,  bann  eine  ftürmifdje  Sad^falne. 
$lber  ber  alte  Sflann  artete  nid£)t  barauf,  er  ging  in 
feine  ©tube  unb  fdjob  ©peife  unb  £ranf,  bie  if)m  bie 
alte  Wienerin  oorfe^te,  üon  fidl).  „Sie  ift  tot,"  flang 
e3  unabläffig  in  feinen  Dljren  unb  in  feinem  $ergen, 
„gemifc  —  fie  ift  tot!"  ©o  faf$  er  üoH  milber, 
bunfler,  ftreitenber  (SJebanfen  in  ber  einfamen, 
lidjterfüKten  ©tube.  mar  feljr  füll  um  il)n;  nur 
bie  oielen  bergen  fnifterten  leife  im  Verbrennen  unb 

ba§  gab  einen  traurigen  £on  .  .  . 

* 

®ie  grau  Vegirf§ridf)ter  I)atte  fjeute  iljren  (Snu 
pfattgäabenb.  3m  Sftebengimnter  fpielten  bie  Herren 
SBfjift  unb  Xarodf,  üictteid^t  audj  ein  IleineS,  fjarmlofeä 
|)agörbfpiefcf)en.  3m  ©alon  faf$en  bie  ®amen  um 


30 


bett  großen  i)ietteu  uiäc^tige  Waffen  tit  bett 

§änbett,  aftett  fel^r  öiet  23admerf  uttb  unterhielten  fid) 
fe^r  gut.  92ur  bie  bide  grau  be§  biefett  (SJüterbiref* 
tor»  ärgerte  [ich.  @ie  hatte  fouft,  al§  bie  $8ornehmfte 
in  bie) er  ®efellfchaft,  ben  £on  angegeben;  für  Ijente 
mar  ihr  oott  ber  grau  be§  t  f.  |jungerleiber3,  be£ 
neuen  5lftuar§,  ba§  Szepter  entriffen  morben.  2)entt 
grau  ©milie  !am  au§  ber  .gjauptftabt,  an§  Sentberg 
uttb  hatte  bie  neueften  äftobett  nnb  0fanbalgefd)ichteu 
ntitgebradht.  gunt  ^attfe  erzählte  man  ihr  bie  $e^ 
fd)id)ten  be§  @täbtd)en§,  namentlich  bie  ber  gerabe 
abmefenben  tarnen.  9lber  ba§  mar  nach  einiger  $eit 
erfd^öpft,  e£  fehlten  eben  nur  menige.  £)a  fant  grau 
(Sntilie  auf  ben  glücklichen  (Sinfall,  gu  fragen,  ma§  e§ 
beim  mit  ber  nterfmürbigen  ©efchidjte  fei,  oon  ber 
heute  ber  |jerr  Söegirförichter  il)rem  (hatten  ergäbt  habe. 
„$)a3  fantt  ich  ihnen  au£  befter  üuede  berichten," 
ermibertc  bie  grau  23egirf§richter  eifrig.  „2Bir  mohneit 
fdhon  gmölf  Sahre  in  bent  |>aufe,  e3  ift  $lde§  unter 
meinen  klugen  gefchehen.  ■  @3  ift  fehr  intereffant,  fo; 
gar  ein  hübfdjer  |jufarenoffigier  lommt  barin  bor  —  fo 
etma§  hätten  @ie  fogar  fanm  infiemberg  hören  fömten." 

Uttb  fie  erzählte :  „2llfo,  <3ie  miffen,  e§  hanbelt 
fich  um  bie  (Sfterfa,  bie  Xodjter  be§  Eliten.  5ll£  mir 
hierher  gogett,  mar  fie  gehn  Sahre  alt,  hnbfdj  graft  für 
bie£  Filter,  mit  fchmargen  «paaren  uttb  groften  blauen 
klugen.  Sftan  befam  fie  menig  gu  fehen,  gn  hören  mar 
fie  faft  gar  nid)t;  fie  faft  ben  gangen  langen  Xag  nnb  oft 
biä  in  bie  9£adjt  hinein  über  bett  Söüdjern.  Sfteine 
3ttaltmta  mar  ungefähr  im  gleid)ett  Filter  nnb  lub  fie 


fjänfig  eitt,  mit  il)r  gu  fpieleit.  516er  ba§  Heine, 
mütige  3ubenntäbel  rnollte  nid)tä  baöon  miffen,  jo 
oemarrt  mar  fie  iu$  Semen.  5ltt  biefer  üftarrbeit  mar 
freitid^  aud)  ein  närrifcber  9J?enfd)  fcbulb,  i^r  Dnfel 
($rünftein.  (Sin  mitfter,  unheimlicher  Sftenfd),  meber 
3ub’  no<b  S^ift,  gang  gottlob  —  man  fagt,  er  foß 
£ote  befdjmören  fömten.  SBa^r^aftig,  £ote  au§ 
bett  (Arabern!  —  ba§  mar  ber  Se^rer  ber  (Sfterfa. 
(Sr  ntuft  fie  mirflid^  fanbere  @ad)en  geteert  ^abett, 
nad)  brei  Sauren  mar  fie  ebenfo  itärrifd)  nttb  ebenfo 
gottlob  mie  er.  @o  mar  fie  gum  SBeifpiel  einmal  im 
|md)f ommer,  im  5lnguft,  an  einem  fe^r  fdjmülen  9ßad)' 
mittage  bei  un§.  @ie  mar  nämlich  im  (Sticfen  gang 
gefd)icft  unb  ^alf  meiner  SO^alüina  eine  Arbeit  fertig 
ntadjen.  ’&a  gieren  fid^  bie  SSolfen  gufammeu,  ein 
furdjtbare§  ©emitter  bricht  lo£;  e§  bonnert,  bli^t  unb 
hagelt,  al§  faßte  bie  2Mt  untergeben,  teilte  kleine, 
bie  (Gottlob  eine  d)riftfatljoIifcl)e  (Srgiebitng  genoffen 
bat,  fängt  laut  gu  beten  an,  aber  bie  Siibin  bleibt 
gang  ruhig.  ,(Sftber/  frag'  ich,  ,fürcf)teft  $)u  £)icb  nid)t 
öor  bem  ©trafgeridjt  @otte§?‘  —  /£)a§  ift  ja  ba§ 
®emitter  gar  nicht/  ermibert  ber  *ftafemei§.  —  ,9hm, 
unb  ma£  ift  benn  ber  95lib  5lnbere§?‘  —  .^ie  (Snt= 
labung  ber  (Sleftrigität/  ift  bie  5lntmort.  —  ,5llfo 
fürdjteft  2)u  SDidh  nicht  oor  bem  33li^?4  —  ,Ö  ja, 
meil  mir  feinen  33li^a6leiter  am  §aufe  haben  !4  derlei 
gottlofe  Dieben  barf  idb  aber  nicht  auffommen  laffeit, 
menn  bie  SDMüiita  gubört,  barum  rufe  idb  ftreng: 
,£)u  bift  ein  gottlofe^  $inb;  merfe  $>ir’£,  ber  liebe 
®ott  lenft  ben  9Mifc!‘  —  ,Baxnm  t)at  bann/  fragt 


—  32 


ba§  fccfe  Sing  barauf,  ,ber  $8li£  im  bongen  Sommer 
auf  freiem  gelbe  ben  33erifd)  $af*  getroffen,  ben 
armen  S)orfgef)er?  ©r  mar  ein  feljr  frommer  Sftann 
nnb  feine  Äiuber  ^ungern  je£t.4  darauf  fag'  idj 
nicf)t£  meljr,  aber  am  nädfjften  Sage,  ttrie  idj  bem  alten 
SDtofeg  begegne,  ergäbe  id)  ifjm  baä  gange  ©efprädj. 
,S)a3  $inb  ^at  fcfjon  eine  fd^öne  23ilbung,4  meine  idj 
gunt  Sdjtuffe,  ,nnb  memt  e£  fo  fortgefjt,  fattn  e3  nodj 
fd)öner  merben.4  — -  ,©£  mirb  uidjt  fo  fortgeljen,4 
erttribert  er  finfter,  ,idj  mar  fdfjon  lange  entfdjloffen, 
ber  Sacfjc  ein  ©ube  gu  madjen  nnb  ba§  ©eftrige 
macf)t  ba§  ©efäfj  überlaufen.4  Unb  richtig  —  er 
l)at  3Sort  gehalten.  5XHe  S3üdf)er  ualjm  er  ber  ©ftljer 
Vueg  unb  fetjte  fie  in  ben  Sabeit,  Sitten  gu  breljeit 
nnb  3u^cr  Su  xoögen;  ben  Sdjlonte  aber  jagte  er  au3 
bem  |jaufe. 

Sa§  mar  fo  im  (Sommer  bor  nenn  Sauren.  Unb 
im  $erbfte,  au  einem  Sabbatlj  Sßadjmittag  fommt  bie 
©ftfter  gu  meiner  Sodfyter  unb  bittet  unb  meint  unb 
flef)t,  man  möge  ifjr  ein  beutfcf)e§  58ucf)  leiden,  fonft 
müffe  fie  fterben.  Senn  ber  Sitte  fjatte  ifjr  alle  23üdjer 
meggeuommen  nnb  fjielt  fie  aufjerbem  fo  ftreng,  bafj 
fie  fiel)  auef)  unmöglicfj  melcf)e  berfdjaffen  fonnte.  5lber 
ben  Umgang  mit  un§  geftattete  er  if)r.  Sa§  mar  if)m 
natürlich  eine  ©f)re  unb  er  mufjte  audj,  bafj  icf)  eine 
grau  bon  ©runbfäijen  bin.  Sllfo  mie  gefagt,  bie 
kleine  fielet  unb  meint  unb  flagt  fo  Ijergbemeglidj,  bafj 
icf)  gerührt  merbe.  Unb  fo  feilte  icf)  if)r  benn,  ma£ 
mir  fo  an  beutfdjen  Söüdjem  gufällig  im  §aufe  fjaben: 
^eine§  ^'eifebilber,  $lo^ftocf§  Sfteffiabe,  5!aifer  Sofepf) 


33 


bon  Souife  $Mf)lbac§,  beit  neuen  ^itabal,  ©idjenborffg 
(55ebid^te  unb  bie  Romane  non  $ßaul  be  ®od.  Unb 
ba§  I a§  fie  aEe§,  mie  ein  hungriger  Sßolf  ein  Samm 
berfdjlingt,  im  £aben,  menn  ber  Sßater  au£ging  unb 
bann  9ßad)t§.  9htr  beim  erfien  Vornan  bon  ^aul 
be  ®ocf  mar  fie  anfangs  ftu|ig  unb  bradjte  mir  ba§ 
Söucl)  gurücf  —  idj  mödjte  üjr  etma§  2lnbere£  f)erau§s 
fudjen.  2lber  idj  l^atte  juft  feine  fteit  unb  jagte  i^r: 
,£ie§  nur,  e§>  mirb  ©ir  fcfmn  gefallen*.  Unb  richtig 
gefielt  ifjr,  benn  ben  gmeiten  Vornan  braute  fie  fdjon 
nid^t  gurücf,  unb  al£  fie  ben  brüten  berbaut  fjatte, 
mollte  fie  nur  biefen  ©djriftfteKer  fefen.  ©arnit  fonute 
icfj  bienen,  mir  Ijaben  bie  ©efamtauägabe.  ©ie  ber^ 
f<f)tang  ben  Söinter  über  bie  ^unbertadjtgig  Söänbdjen. 
©enn,  idf)  bitte  ©ie,  biefe  gubenmäbel  l)aben  ja  im 
©runbe  alle  gar  fein  moralifdjeS  ©efiifjl!" 

©ie  ©amen  ftimmen  eifrig  bei.  9£ur  bie  grau 
be§  ©üterbireftorg  nidjt.  ©enn  biefe  grau  ift  fefjr 
bicf,  unb  geiftreidj  ift  fie  audj  nidjt,  aber  fie  f)at  ein 
brabe§  |jerg.  ,,©a§  mar  nic^t  red)t!"  fprid^t  fie  feljr 
laut  unb  fe^r  ernft.  ,,©ie  fjaben  ba  eine  fernere 
©djulb  auf  fidj  gelaben!" 

©ie  grau  Söegirföridjter  blicft  fie  erftaunt  an. 
SSäre  fie  nidit  eine  ^öflid^e  grau,  eine  grau  bon  Söelt 
unb  bie  |jau§frau  bagu,  fic  mürbe  fpöttifdj  lächeln 
unb  mit  ben  5lcf)feln  guden.  ©o  aber  begnügt  fie 
ficf),  entfdjulbigenb  fagen:  „Mon  Dieu!  e§>  t)anbelt 

fid£)  ja  nur  um  eine  gitbin!" 

„9htr  eine  gübin!"  mieberljolt  ber  (£f)oru§  ber 
$lnbem  laut  unb  leife.  2ludf)  mirb  biel  geliefert. 

©.  ^ranäoS,  Snben  t>.  Söarnoto.  3 


34 


Unb  „nur  eine  Sübin!"  tönt  aucf)  eine  entftc 
tiefe  9Kanne§ftintme  in  ben  28eiberbi§fant.  3)a§  Spiet 
int  Nebenzimmer  ift  beenbet,  bie  «Herren  finb  gu  ben 
lernten  getreten,  „Sie  finb  in  fernerem  Unrecht, 
grau  £>ireftor."  ©§  ift  ber  $rgt  be§  Stäbtcf)en§,  ber 
fo  gefprocfyen,  ein  t)odjgewad)fener,  ftattlidjer  Ntamt.  ©t 
ift  felbft  Sube.  SNan  tyafjt  ifjn  wegen  feinet  ®lauben£, 
man  fürchtet  itjn  wegen  feinet  Sarfa§mu§.  $lber  feiner 
Stellung  wegen  mufi  man  if)n  bemtod)  in  biefer 
©efeltfdjaft  bulben,  bie  er  auffudfjen  muft,  Weil  er 
feine  anbere  t)at  in  bent  fleinen,  armfeligen  £anb- 
ftäbtcfjen.  „Sie  finb  im  Unrecht/'  wieber^ott  er.  „Sie 
fönnen  fic^  nodj  immer  nidjt  üon  bem  Vorurteil  3l)rer 
beutfdjen  |jeimat  emanzipieren,  ba§  aucf)  im  Suben  ben 
9ttenfcf)en  fielet.  D!  bafj  Sie  fiel)  nodj  immer  nid)t 
in  bie  fjiefigen  $lnfdf)auungen  fd)i den  fönnen !" 

„Spotten  Sie  nur,"  meint  bie  |jau£frau  eifrig. 
„5)e3f)alb  behaupte  id)  bod):  e§  ift  in  ben  ungebilbeten 
Sübinnen  feljr  wenig  moratifd)e£  ©efül)l!" 

„Sa!"  ift  bie  trodene  Antwort,  „befonber£  wenn 
man  fie  burd)  $aut  be  $od  bilbet.  5lber  id)  bitte, 
laffen  Sie  fid)  nid)t  ftören,  fahren  Sie  fort." 

Unb  bie  grau  23ezirf§rid)ter  fäl)rt  fort: 

„Sa,  wo  bin  id)  nur  geblieben?!  Nichtig!  — 
5llfo  im  nad)ften  grül)jal)r  war  fie  mit  meinem  ganzen 
$od  fertig.  $lnbere  beutfd)e  33üd)er  fjatte  id)  aud) 
nid^t  ntel)r.  ®a  bat  fie  mid)  fo  lange,  bi3  icf)  für 
fie  in  ber  £eif)bibtiotf)ef  in  Sarnopol  abonnierte.  3d) 
tl)at  e£  nid^t  gerne,  e§  machte  biele  Sd)ercreien,  aber 
fie  bat  fo  fefyr,  mein  ©ott,  id)  I)ätte  ein  Ntarmorfjerz 


35 


fabelt  muffen,  Unb  ba  la§  fie  alle  Suchet  nad)  beut 
Katalog  burd),  bon  $fbout  bi£  ,8fdl)offe.  <£)er  Sitte 
f)utte  feine  Stauung  baboit,  er  l)at  e£  auä)  nie  er^ 
fahren,  Sie  la§  nämticf)  nur  be§  üftacfjtg  in  iljrem 
^immer.  Slber  üfren  Singen  fcfyabete  biefe  Slnftren= 
gung  nidjt.  (Sie  fjatte  bie  fcfjönften,  ffarften  Singen, 
grof;,  blau,  blau  mie  ber  Fimmel.  Unb  ber  3Sucf)§ 
mie  eine  Königin,  fdjtanf,  ftofg  unb  bod)  üppig.  $urg, 
fie  mar  ein  l)übfcf)e§,  munberf)übfd)e§  SDMbdfjen.  Slber 
überfpannt  unb  berberbt,  eine  Diomannärrin.  Sll§ 
it)r  ber  Sllie  —  fie  mar  fedjgefjn  gal)re  alt  — -  einen 
Bräutigam  au§fudjte,  einen  Solpt  bom  Sftofdjfo  gränfei 
in  (£t)oroftfom,  einen  gang  gefunben  gubenjungen  in 
ifjrern  Filter,  ba  erflärte  fie,  fie  moEte  lieber  fterben, 
al£  ifjtt  heiraten.  Slber  nufer  greubentljat  unten  ift 
fein  Sttenfdfj,  ber  mit  ficfj  fpajjen  lägt.  $)ie  Verlobung 
mürbe  bennocf)  gefeiert  unb  bie  fcfjöne  (Sftljer  fafj  beim 
gefte,  bleicf)  unb  gitternb  mie  eine  Sbtfranfe.  Selben 
(Sie,  idg  b)abe  gerabe  fein  buttermeidje§  |jerg,  aber 
mie  id)  mir  bamal§  fo  bie  (gftffer  anfafj  —  id)  mar 
f)inuntergegangen,  meil  idj  auf  bie  Zeremonie  neu^ 
gierig  mar  —  ba  fjatte  id)  faft  SJiitleib  mit  bem 
Sftäbet.  ,SBarum  gmingen  Sie  gfjre  £od)ter?‘  fragte 
id)  ben  filtert.  Slber  ber  mürbe  faft  grob  unb  er= 
miberte:  ,Sergeit)en  (Sie,  aber  ba§  berfteljen  Sie 
nid£)i;  ba£  ift  bei  un£  gang  anberä  mie  bei  gt)nen. 
93ei  un§  ift  ba§  (£i  nidjt  flüger  al§  bie  |)enne.  Unb 
bann  fennen  mir  aud)  gottlob  bie  '^umm^ eiten  oon 
Siebe  unb  bergteidjen  nid)t.  Sei  un§  gehört  nur 
g'meierlei  gur  (Sdje:  ©efunbljeit  unb  $clb.  Unb  ba§ 


36 


ift  Ijier  üorfjanbeu.  $)ie  (Sfther  ^at  infotoeit  tJjren 
SBillen,  als  bie  djgeit  erft  in  einem  3at)re  ftatU 
finben  toirb.  33iS  baf)in  toirb  fic  ficf)  fügen  lernen. 
@S  änbert  fidj  Manches  in  einem  Sa^re.‘ 

$)aS  Sßort  beS  eilten  ift  tt>af)r  geworben;  es  ha* 
fiel)  toirflich  Manches  in  bem  einen  Qatjre  geänbert, 
befonberS  ttaS  bie  ^übfd^e  (Sfterfa  betrifft,  aber  in 
gang  anberem  ©inne,  als  er  eS  gemeint  hatte.  ©et)en 
©ie,  unfer  $)oftor  ba  ^ält  mich  für  eine  Subenf  einbin, 
aber  bennoct)  bin  idf)  gerecht  unb  fage:  baS  Stäbchen, 
obwohl  innerlich  üerberbt,  fjatte  fid)  bis  ba^in  äu^er^ 
lief)  fefjr  braö  gehalten.  Unb  bod)  war  bie  33erfu' 
djung  fef)r  grofi  gewefen.  Snt  gangen  Greife  fannte 
man  fie,  im  gangen  Greife  nannte  man  fie  nur  bie 
,fct)önfte  3übin.‘  3)aS  (£infef)rf)an§  unb  bie  SSein- 
ftube  unten  fjatten  bamalS  mehr  (Gäfte,  als  bem  33 es 
fi|er  lieb  war.  3Benn  bie  jungen  (SbeÜeute  gum  33e= 
girfSamt  famen,  fo  Rieften  fie  nicht  einen,  fonbem  brei 
(Gerichtstage;  bie  febigen  Beamten  öom  (Gericht  unb 
©teueramt  fafsen  in  ber  3ßeinftube  ihre  SlmtSftunben 
ab,  unb  erft  bie  |jufarenofftgiere  —  nun,  bie  Ratten 
bort  gar  ihre  beftänbige  (Gamifon.  SOIe  fümmerteit 
fich  um  bie  (Sfther,  aber  fie  um  deinen,  ©ie  traf 
fetten  mit  ben  (Gäften  gufammen,  bafür  forgte  ber 
33ater.  begegnete  fie  ihnen  guweilen,  fo  erwiberte 
fie  höftief)  ihren  (Graf;.  2lber  all  bie  plumpen  unb 
feinen  ©ct)meicheleien  prallten  an  ihr  ab,  als  wäre  fie 
taub,  unb  Wollte  ihr  (Siner  ungebührlich  begegnen,  fo 
fam  er  furios  Weg.  SDaoon  weift  ber  junge  33aroit 
©tarSfp  ein  Sieb  gu  fingen  —  ©ie  lennen  ihn  t>ieU 


37 


leicht  —  ber  lange  blonbe  Sttenfdh,  bem  bie  mer b 
mürbige  ©efchidjte  mit  ber  ©räfin  Sabmiga  SortpnSfa 
paffiert  ift.  9hm,  bem  begegnete  fie  einmal,  afö  er  eben 
angetrunfen  au£  ber  SSeinftube  fam.  (Sr  mirb  an 
biefe  Begegnung  benfen,  er  oerbanft  ifjr  bie  fd)altenbfte 
Ohrfeige  feitte§  £eben§. 

5lber  feit  iljrer  Verlobung  mürbe  ba§  anberS. 
9Udjt  etma,  als  ob  fie  gegen  alle  freunblidjer  ge= 
morbeit  märe.  2lber  gegen  (Sinen  mürbe  fie  eS,  mehr 
al§  notmenbig.  tiefer  (Sine  mar  ber  fRittmeifter  (55raf 
©ega  ©gapant)  oon  ben  Sßürttemberg^ufaren.  (Sr 
mar  fein  gemöl^ntic^er  $D?ann,  biefer  fRittmeifter,  malp 
Ijaftig!  |joch,  fchlanf,  mit  bunflen  paaren,  inter* 
effanten,  fdjmargen  Gingen  unb  einem  aüerliebften 
©djnurrbärtchen.  3dj  fchmeidjle  il)m  nicht,  unfere 
greunbin  |jortenfia  mirb  eS  betätigen,  fie  ^at  ihn 
and)  gefannt  .  .  ." 

grau  «gortenfia,  bie  ©attin  beS  SöegirfSabjuntten, 
eine  üppige  Sölonbine,  mirb  blutrot  unb  mirft  ihrer 
„greunbin",  ber  |>auSfrau,  einen  giftigen  23licf  gu. 
SDann  fagt  ■  fie  möglichft  gleichgültig:  „Sch  erinnere 
mich,  er  mar  ein  hübfd)er  ffllaxm.'1 

„<§übfcf)?"  fragt  bie  (Srgäljlerin.  ,,©d)ön  mar 
er,  feljr  fdjirn.  Unb  fo  intereffant!  Unb  baS  feine 
^Benehmen!  3d)  fage  3flfjnen,  ber  üerftanb  fid)  auf 
bie  grauen,  er  hätte  freilich  auch  fdjon  9enu9  ® r 5 
fahrnng.  $Iuch  bie  fd)öne  (Sfterfa  muffte  er  halb  gu 
fangen.  (Sr  näherte  fidh  ifyr  faft  fdjeu;  er  madfte 
it)r  fein  Kompliment,  baS  mirfte  gerabe.  Unb  im 
Übrigen  mar  fie  ja,  mie  gefagt,  iunerlid)  oerberbt 


88 


unb  itberfpannt  Sfom,  unb  bie  $efd)id)te  entwidelte 
ftd).  ^uerft  einzelne  ^Begegnungen,  bann  biele,  guerft 
wenige  SBorte,  bann  öiele,  guerft  ein  $uf$,  bann  uns 
gärige  ...  (££  mar  fef)r  luftig !" 

$lud)  ber  (55efeHfcJ)aft  fommt  e£  fo  bor.  2)ie 
tarnen  fidjern  unb  bie  sperren  tadjen.  üftur  eine 
£)ame  fiebert  nid^t:  bie  brabe,  bide,  beutfd)e  grau  w 
ber  ©opljaede.  ,,©ie  fdjeinen  bie  (55efd)id^te  nidjt  fo 
Reiter  gu  finben?"  fragt  fie  il)r  -ftadjbar,  ber  Slrgt. 

„■ftein!"  ermibert  fie,  „e£  ift  ja  im  ®runbe 
traurig,  ba§  arme  SCftäbdjen  mar  ja  nur  ein  Ö-pfer  l" 

„3a!"  fagt  ber  5lrgt  unb  feine  (Stimme  bibriert, 
„fie  mar  ein  Opfer !  5lber  nicf)t  ein  Opfer  be§ 
fdjönen  fHittmeifter^,  audj  nidjt  ba§  unferer  lieben 
|jau§frau  ba.  £)ie  ©adje  liegt  tiefer,  biel  tiefer. 
2öie  ba§  ^mielidjt  unljeimticfjer  ift  at§  bie  Sftadjt,  fo 
ift  bie  l)albe  Gilbung  berberblid^er  at§  bie  Unmiffem 
Ijeit.  i)k  Unmiffenljeit  unb  bie  Sftadjt  galten  ba3 
5luge  umfangen  unb  feffeln  ben  gu|3  <xn  bie  ©djode; 
ba§  Söiffen  unb  ber  £ag  öffnen  ba§  2tuge  unb  laffen 
un§  fröljlicl)  bormärtä  fdjreiten;  ba§  b)albe  Sßiffen 
aber  unb  ba£  nehmen  un§  nur  Ijalb  bie 

SBinbe  bom  5luge,  unb  taffen  un§  in§  Ungemiffe 
fdjreiten  unb  —  ftraudjetn!  2trme£  $inb!  bom  reinen 
Quell  l)at  man  fie  gurüdgeriffen,  aber  e§  bürftete 
fie  unb  fie  trän!  au£.  ber  Sadje.  2lrme§  SHnb! 
©ie  .  . 

5lber  ein  giemlid)  beutlidje§  @>äijnen  ntadjt  ben 
©predjer  berftummen.  2)enn  bie  bide  grau  ift  eine 
brabe  grau,  aber  geiftreidj  ift  fie  nid)t  unb  unber* 


39 


ftänblidje  Sieben  ^ört  fte  nidjt  gerne  an.  Sie  grau 
33egirf§ridf)ter  aber  ergäbt  ingtoifc^en  Leiter: 

,,©o  mußte  ©raf  ©63a  fte  halb  gu  OTem  gu  bes 
megen.  Unb  al§  er  nacf)  Marburg  in  bie  ©arnifon 
üerfetjt  mürbe,  ba  folgte  fte  if)ut  and)  bortljin. 

$ftofe§  an  einem  greitag  5lbenb  —  e§  mar  g'rab  fo 
mie  Ijeute  —  nad)  «gaufe  fam,  ba  fanb  er  ba§  Sfteft 
leer.  Sa  mar  nun  ein  ©epolter  unten,  ein  ©freien, 
Sßeinen  unb  ©ucfjen  —  e§  ift  nid^t  mit  Sßorten  gu 
bef ^reiben.  9ftein  90?ann  mar  unten;  ber  9ttofe§  Ijat 
geraft  mie  ein  milbe£  Sier;  e§  finb  fünf  Sa£)re  l)er, 
aber  icf)  merbe  bie  Üftacfü  nicf)t  öergeffen  .  .  . 

$lucf)  in  ben  näcf)ften  Sagen  mar  e§  fefjr  un^ 
fyeimlid).  ©ie  malten  e§  gerabe  fo,  al§  ob  bie  ©ftfjer 
geftorbeu  märe.  Sie  £äben  unb  bie  Sföeinftube  mürben 
gefperrt,  bie  Silber  im  §aufe  fdjmarg  üer^aitgen,  bie 
©piegel  gegen  bie  SBanb  gefefjrt.  Sn  einer  ©de  ifyveZ 
,gimmer§  brannte  burdj  fieben  Sage  unb  fieben  %läd)tt 
ein  fleine§  £icf)t,  unb  eben  fo  lange  faß  ber  SD^ofeg 
barfuß,  mit  gerriffenem  ©emanbe,  auf  ber  Siele  biefeg 
Zimmers.  8d)  meiß  nidjt,  ob  e£  maßr  ift,  aber  bie 
Suben  follen  fogar  am  ©onntag  barauf  bie  Soten^ 
truße  leer  auf  ben  griebßof  getragen  unb  bort  ein 
leereg  ©rab  gefcßloffen  ßaben.  2lm  acßteu  Sage  aber 
ftanb  SO?ofeg  auf  unb  ging  rußig  feinen  ©efcßäften 
itacß.  Scß  bitte  ©ie  —  fo  ein  SubM  ©r  fam  fogar 
am  felben  Sage  gu  un§,  ben  3^3  gu  forbern;  icß  ers 
fannte  ißn  faum,  er  mar  mäßrenb  ber  Söocße  grau  ge= 
morben.  ©r  mar  gaug  rußig  unb  gefaxt  unb  jeßt 
fcßeint  er  feine  Softer  gang  oergeffen  gu  ßabeu. 


40 


©ent  Suben  ift  ja  befattntlicf)  fein  ®elb  lieber  al$ 
fein  $inb!" 

„Unb  Ijat  man  nie  lieber  etmag  oon  ber  @ftf)er 
gehört?"  fragt  bie  biete  grau. 

„©öd),  einmal.  2lber  e§  ift  ungemif3-  ©er  Heine 
Lieutenant  ©gilagty  —  ©ie  lernten  ben  läppifdjen 
Lügner!  —  ber  auf  Urlaub  in  Ungarn  mar,  ergäfjlt, 
er  tjabe  ben  Grafen  mit  ber  (£ftl)er  in  einer  Loge  im 
Hefter  ^ationalt^eater  gefe^en.  Slber  ber  kleine  lügt 
immer.  Unb  bann  l'ann  e£  auclj  ein  anbere§  I}übfc^e§ 
9ttäbcf)en  gemefett  fein/' 

„SBiffen  ©ie,  meine  ©amen",  nimmt  nun  grau 
(Smilie,  bie  gebilbete  Lembergerin,  ba§  Sßort,  „miffett 
©ie,  an  ma§  mid)  bie  ©efd)id)te  erinnert  Ijat?!  $ln 
ein  fef)r  luftige^  ©fjeaterftüd,  ba§  id)  einmal  in  Lem¬ 
berg  gefefjen  l)abe.  ift  au§  bent  ©nglifdfjen,  oon 
einem  gemiffen  .  .  .  o  biefe  englifdjett  -tßgmen  .  .  ." 

„SBielleidjt  ©fjafefpeare?"  l)ilft  i^r  ber  $lr$t. 

,,©l)afefpeare,"  miebertjolt  ber  SSegirföriditer,  „ba§ 
ift  ein  giemlid)  belaunter  ©idjter." 

„Sa,  ein  redjt  §übfd)e§  ©alent!"  meint  ber  ©oftor, 
emft  mie  ein  $rab. 

„Ütid)tig,  ©Ijalefpeare!"  fäljrt  grau  (Smilie  fort, 
„unb  ba§  ©tüd  Ijeiftt:  ,©er  Kaufmann  oon  SBenebig*. 
©a  lommt  ein  Sub’  oor  —  er  fjeifjt  ©l)t)lod  _  bem 
and)  feine  ©ödster  entführt  mirb  unb  bem  and)  fein 
($elb  lieber  ift  al§  fein  $inb!  Unb  ba  fdjlage  id)  nun 
oor,  mir  nennen  ben  greubent^al  oon  fjeute  ab  nid)t 
ntel)r  bei  feinem  tarnen,  fonbern"  —  bie  ©predjerin 
mad£)t  eineJhtnftpaufe  —  ben  „©fjtjlod oon  üöaruom!" 


41 


Unb  ber  2lftuar  ift  ftolg  auf  feine  geiftreidje 
grau,  unb  bie  §erren  lachen  uttb  bie  tarnen  fidjern 
uttb  felbft  bie  bide  ‘lüreftorgfrau  lädjelt: 

,,«£)a!  l)a!  ^a!  t$)er  ®^Iod  non  SSamofo!" 

* 

5lm  nächften  borgen  lachten  fie  nic^t  mehr.  ®ie 
lachten  and)  fitrber^itt  nie  mel)r  über  ben  ©hhlod. 
®ie  rtid^t  unb  fein  attberer  Menfch. 

tiefer  borgen,  ber  @abbathmorgen,  hatte  ett na§ 
(5mtfe£liche£  mit  feinem  fallen  Sichte  bedienen. 
tt>ar  ein  naffer,  nebeliger,  unfreunblicher  borgen. 
!>ftach  Mitternacht  t)atte  ber  Sßinb,  ber  fid)  erft  leife, 
bann  immer  ftärfer  erhoben,  SSolfen  gufammenge= 
trieben,  f cuttere,  fchfoarge  Söolfett,  bie  ben  Monb  t>er^ 
hüllten  unb  fid)  fjerabfenften  auf  ba§  öbe  (belaube. 
£)amt  hatte  ber  SBtttb  gefd)tt>iegen,  unb  bie  Rolfen 
Waren  immer  fdjwerer  ^erabgefunten  unb  hatten  enb~ 
lieh  al§  bid)ter,  falter  Sftebel  bie  (Sbene  bebedt  unb 
ba§  büftere  ©täbtchen. 

3n  ben  f leinen  Raufern  f erlief  ade£.  $ein 
@d)ritt  tönte  itt  ben  ettgett  (Waffen.  !ftur  bie  $unbe 
Wachten  in  ben  §ofräumen  unb  ber  Nachtwächter  t>or 
bem  Nathaufe.  tiefer  Wiirbige  Beamte  fd)lief  gegen 
feine  ($ett>of)nfjeit  nic^t,  Weit  il)n  bie  |>unbe  nic^t 
fchtafen  liefen.  ®iefe  bedien  unaufhörlich-  ,8uerft 
bie  §unbe  am  (Eingang  be£  @täbtchen§,  bann  ber 
rieftge  ^ofhunb  ber  £>ominifaner,  enblid)  ber  fdjwarge 
„23ritan"  be§  Mofeä  greubentf)al.  3)arau3  fdjtoft  ber 
erfahrene  Manu,  baft  Waf)rf  cf)  entlief)  ein  frember  Menfd} 
bttreh  bie  ($affe  gehe,  au  bem  Mofter  vorüber  unb 


42 


auf  ba£  |jau£  be3  Suben  gu.  5tber  e§  fiel  d)m  nid) t 
ein,  nadbgufeljen.  3)er  Siebet  machte  bie  9^ad)t  feljr 
bmtfel,  bie  (Waffen  fc^Iüpfrtg.  Unb  ber  Beamte  ber 
(Stabt  Blieb  in  feiner  9lifd£)e  oor  bent  $ftatf)aufe.  „SDer 
Sritan  bellt  laut  genug,"  tröftete  er  fi d),  „ber  Sube 
mirb  e§  Ijören."' 

(Sr  tüufdEjte  fidf)  nidjt.  Sftan  ^örte  int  $aufe  be£ 
greubentfjal  ba§  mütettbe  (Gebelle,  ^ie  alte  Wienerin 
ermadjte  baöott  unb  erljob  fiel),  um  nadbgufeljen  ober 
bett  Suedjt  gu  medett.  fte  an  bem  gimnter  beg 
§erm  öorüberging,  fal)  fie  einen  £icf)tfcf)ein  burel)  bie 
X^ürfpalte  fallen,  unb  auf  ba£  ©eräufdf)  i^rer  (Schritte 
trat  ber  alte  9Jiofe§  felbft  f)erau£.  (Sr  mar  angef leibet; 
er  ^atte  offenbar  noef)  ttidf)t  bie  fRu^e  gefudjt,  obmo^l 
e§  gegen  bie  gmeite  S^corgenftunbe  ging.  5lud)  fafj  er 
fe^r  angegriffen  au§.  „®ef)t  mieber  gur  9Mje,"  fagte 
er  ber  alten  grau,  ttä  miß  felbft  nad)feljen." 

Sn  biefem  2lugenblid  fdjlug  ber  <£jmtb  nod)  eins 
mal  laut  an,  bann  öermanbelte  fid)  ba£  (Gebell  in 
freubigeä  ©eminfel.  9Kan  fyöxit,  mie  ba§  mächtige 
$£ier  f)in  unb  t)er  fprang  unb  an  ber  S^ür  fragte. 
(S§  f)atte  ben  2lnfömmling  offenbar  erfannt  unb  fudjte 
nun  gu  iljm  gu  fomrnen. 

$)er  alte  Sftamt  mar  totenbleid).  „2öer  mag 
ba§  fein?"  murmelte  er.  $)ann  ging  er  fdljmanfenben 
©d^ritte§  auf  ben  §au§flur.  $)ie  Wienerin  modte  il)m 
folgen.  „$nx üd!"  rief  er  ifjr  heftig  gu.  (Sine  $erge 
naljm  er  nidjt  mit,  e§  mar  ja  ©abbatlj.  ©o  taftete 
er  im  bunfel  auf  ba§  |>au£tl)or  gu. 

&>ie  Wienerin  blieb  ftefteu  unb  boräjte.  ©ie  börte, 


>  •  -  • 


—  48  — 

mie  bet  |mnb  bem  §ernt  entgegenfprang  unb  bann 
lieber  auf  ba£  &hor  gu  mit  bemfelben  ftürmifchen 
greubengeminfel.  3)aitn  hörte  fie,  toie  9ftofe§  rief, 
mer  braunen  fei.  (S§  blieb  51  Ke§  ftiH;  nur  ber  §uub 
bellte  furg  auf.  9Kofe§  rief  noch  einmal.  £)a  fam  eine 
5lntmort  oon  braunen.  £)ie  Wienerin  oerftanb  ba§ 
SBort  nicht;  if)r  flang  e§  mie  ein  SSeljeruf.  $)er  alte 
SO^ann  mujjte  ba§  2Bort  üerftanben  haben.  (Sr  öffnete 
ba§  ^l)or,  trat  f)inau§  unb  fdjlug  bett  glitgel  hinter 
fiel)  gu.  £)er  «gjmtb  mar  mohl  mit  ^inauggef^lüpft ; 
bie  Wienerin  f)örte  nun  nur  noch  gebämpft  fein  burdh- 
bringenbe§  (Gebelle. 

3)ann  marb  9(ftoje£;  ©tintme  ^örbar;  er  fprad) 
fe^r  laut  unb  heftig.  SSie  ein  ©dielten  flang  e§  unb 
bann  mie  eine  feierliche  53ermünfchung  ober  53efchmö= 
ruug.  5lber  ben  ©inn  ber  5öorte  fonute  bie  alte 
grau  nid)t  faffen  .  .  .  SMn  fterblid)e§  £>hr  ha*  ö*e 
SBorte  oernommen,  bie  9ftofe£  greubenthal  gu  bem  SSefen 
gesprochen,  ba§  in  jener  unheimlichen  üftacht  an  feine 
•  £f)üre  gepocht. 

Üftadj  einer  bangen  Minute  hörte  bie  alte  grau 
ben  ^horflitgel  fnarren,  9ftofe§  fehrte  gurücf.  (Sr 
f ehrte  allein  gurücf;  auch  ber  |junb  mar  braupen  ges 
blieben.  SDann  toar  e§  einen  Slugenblicf  füll,  unb  ba- 
rauf  hörte  bie  Wienerin  einen  ferneren  gall.  ©ie  er^ 
griff  eine  $erge  —  ma§  flimmerte  fie  in  ihrer  £obe§= 
angft  bie  fromme  ©a|ung?  —  unb  eilte  gurn  £l)ore- 
*£)a  lag  9ftofe£  greubenthal,  ohne  Oiegung,  bleich  mie 
ein  £oter.  5ll§  fie  fein  §aupt  erhob,  röchelte  er  leife  auf. 

^)ie  alte  grau  begann  ein  burdhbringenbe^  gammer- 


44 


gefd)rei.  Der  $hted)t,  bie  anberen  Diener  be£  |>aufeg 
ertoacijten  uitb  famen  gerbet.  @ie  Ralfen  ben  §erm 
emporfjeben  nnb  auf  fein  £ager  betten.  Dann  eilte 
man  gurn  23egirf§argt,  ber  ja  in  näct)fter  üftälje  tooljnte, 
im  erften  ©todtoerf.  (Sr  lieft  bem  Oranten  gur  $ber 
nnb  f Rüttelte  bebenftidj  ben  ®opf.  Den  alten  SDZann 
l^atte  ein  ©cf)laganfad  getroffen. 

Die  Wienerin  jammerte,  bie  ^necijte  ftanben  rat* 
Io3  nutzer,  ber  5Irgt  miiftte  fid)  nm  ben  Traufen;  fo 
vergingen  bie  ©tunben  bi§  gum  borgen.  $n  ba3 
frembe  Söefen  öor  bem  Df)ore  badfjte  Memanb. 

W.Z  ber  Dag  graute,  ttmrbe  fteftig  an  ba§  Dftor 
geftopft.  Der  9^ad)ttoäd)ter  ftanb  brauften  nub  mehrere 
Seute,  bie  fdjon  fo  früft  gu  Partie  gekommen.  (Sie 
Ratten  eine  Dote  öor  bem  DIjore  gefnnbett,  ein  ärmlidj 
gefleibete§,  abgegeftrte^,  junget  üföeib.  Der  fdjtoarge 
23ritan  lag  neben  ber  Seidje  nnb  ttünfelte  nnb  ledte 
if)r  bie  |jänbe.  SEBemt  fid)  iftr  Sernanb  näftem  toollte, 
fnurrte  er  broljenb  auf. 

Der  $8egirf3argt  trat  fterauä  nnb  beugte  fid)  über 
bie  Dote.  (Sr  legte  nod)  prüfenb  bie  |janb  auf  if)r 
$erg;  e§  fdjtug  nidjt  meftr.  Dann  blidte  er  in  ba§ 
ftarre,  bleibe  Slntlife.  Unb  er  lannte  biefe§  5lntlift. 
Dief  erfd)üttert  richtete  er  fid)  empor.  (Sr  befahl,  baft 
man  bie  Seidje  in§  Dotenftau§  trage.  Dann  ging  er 
raieber  gu  bem  Oranten,  ber  oljne  Sßefinnung  batag. 

51m  nädljften  Dage  begrub  man  bie  (Sftfjer  greuben^ 
tljal  2ftan  tonnte  nid^t,  toeldjen  ($tauben§  fie  getoefen, 
ob  fie  Sübiit  geblieben,  ob  fie  (Sftriftin  geworben.  2(udj 
iljr  Dnfet  ©djtome,  ber  in  Jöafjnfnmigem,  faffitngSlofem 


45 


©dimere  an  il)rer  Seiche  lauerte,  muj^te  e§  uid)t. 
"Sa^er  begrub  man  fie,  mo  man  bie  ©elbftmörber  bes 
gräbt,  ©ie  mar  aber  |)unger§  geftorben. 

3n  ifjren  Kleibern  fanb  man  nur  ein  $ßädcf)en 
Briefe,  ©ie  Ratten  alle  biefelbe  Unterfdjrift:  ©ega. 
®er  le^te,  meldjer  ben  ^ßoftftentpel  eine§  fleinen  un- 
garifdjen  ©täbtcf)en£  trug,  lautete:  ,,3cf)  miß  SÜr'ä 
eljrlid)  jagen:  id)  bin  ber  (55efc^ic£)te  fatt!  3dj  bin  jei$t 
fjier,  bleibe  §ier  unb  rate  £)ir  nicfjt,  midj  aufgufudjen. 
SCRein  28acf)tmeifter,  ber  $oloman,  Ijat  mir  üerfprocljen, 
fid)  deiner  angune^men.  3)u  gefäßft  iljm.  (gefällt 
er  £)ir  nid^t,  fo  gel)'  Ijeim." 

©ie  mar  Ifyeimgegangen.  — 

3)er  alte  9ttofe§  ftarb  nic£)t  an  ben  folgen  jener 
Sftadjt.  (Sr  lebte  nodj  lange;  er  überlebte  feinen 
©djmager  unb  öiele  glüdlidie,  gefegnete  SUknfdjen. 
(Sin  büfterer,  einfamer,  unheimlicher  SCRenfc^,  fo  manfte 
er  bem  ©rabe  gu.  2ll§  er  ftarb,  meinten  nur  bie  Mages 
frauen,  bie  bagu  gemietet  maren.  ©ein  großes  SSers 
mögen  oermadjte  er  bem  SBmtberrabbi  üon  ©abagöra, 
bem  ^eftigfteu  geütbe  be§  £idjt§,  bem  eifrigften  $ers 
fester  be§  alten,  finftem  ©laubenS. 

^)a§  ift  bie  ©efdjichte  öom  9ftofe§  greubent^al, 
ben  fie  ben  ,,©f)t)lod  üon  Söarnom"  nannten. 


(Uacß  dem  fyofytun  (Bef tiy 

v 

§§  finb  nun  biele  8af)re  Ijer,  feit  bie  arme  ©ftfjer 
gu  if)re§  $8ater§  gilben  berfdjiebeit  ift,  unb  and) 
SD^ofeg  greubentfjal  ift  lange  tot.  $be r  ba§  grofje 
met^e  §au§  an  ber  ^eerftra^e,  ba£  nun  bem  Otabbi 
bon  ©abagöra  gugefjort,  ftef )t  nocf)  t)eute  fo  ftotg  unb 
ftattlicf)  ba,  tote  gur  3eit,  da  ber  f>arte,  unglückliche 
SERann  barin  Raufte.  Über  bem  %f)oxe  hängt  je^t  ein 
eirunbeä  $ölechfd)ilb,ba  ift  auf  gelbem  ©runb  ein  fdjwarger 
$lbler  gemalt  unb  ring§  ftefjt  bie  Umfchrift: 

33egirf ggerid^t. "  ®emt  ba,  mo  einft  9ftofe§  um  feine 
£odfjter  getrauert,  merben  jefct  bie  rutfjenifdjen  ©iebe 
berührt,  bie  polnifchen  Betrüger  unb  bie  jübifd)en 
3ßucf)erer.  ^aS  ift  im  (Srbgefdjoffe  gur  fftecf)ten,  gur 
Stufen  aber  beftel)t  nod^  ber  Sabeit,  beit  9Rofe§  geführt, 
nur  geigt  ba§  ©dfjilb  einen  anbem  kanten:  „üftatljan 
©ilberftein'S  ©pegereimareits  unb  üBeinhanblung."  3)a§ 
„20"  in  „SBein"  ift  fleht,  unb  in  „©pegerei"  fielet  ftatt 
be§  „g"  ein  „f", — ba£  ift  aber  nur  bie©cf)ulb  be3  fleinen, 
budeligen  3anfo,  ber  ba§  ©cfjilb  gemalt  ^at. 

8m  erften  ©tocfmerf  ^at  ficf)  unter  bem  neuen 
Söefifjer  faft  gar  nid)t§  geänbert,  ba  tnobnen,  mie  bei 


47 


sD?ofeS,  ber  SBegirfSargt  gur  sMete  uub  ber  SBegirfSs 
rid^ter.  üftur  baf$  ber  23egirfSrichter  ein  attberer  ges 
morben  ift,  nicf)t  mefjr  ber  gelbe,  magere  |jerr  Ijippolpt 
SoginSfi,  fonbern  §err  gulfo  üon  -ftegruSg.  (Sr  ift 
ber  Amtsnachfolger  beS  §errn  üon  SoginSfi,  aber  in  allen 
Stüden  anberS  als  biefer.  |jerro  SoginSfi'S  emige 
3ielfd)eibe  ftmren  bie  guben,  arm  unb  reich  —  nicf)t 
if)re  §ergen,  aber  ihre  ®elbbeutel.  Unb  loaS  er  üon 
ben  reifen  gaben  erpreßte,  bafür  fütterte  er  bie  armen 
(Sänften:  bie  Abeligen,  bie  ^Beamten,  bie  £ieutenantS. 
«Seine  grau  ®afintira,  auS  bem  l§od)abeligen  «gaufc 
£>erer  üon  (SpbufSfi,  ttaS  gu  beutfch  „üon  gttriebel" 
bebeutet,  glängte  auf  fünf  teilen  in  ber  DUtnbe  üor 
adelt  anberen  grauen  burd)  brei  treffliche  (Sigenfchaften 
beS  |)ergenS:  burd)  bie  meiften  Sdjulben,  bie  glängenbfte 
Toilette,  bie  rafenbfte  £angfud)t.  Unb  §örner  fe|te 
fie  i^rern  (£f) eljerrn  auf,  fo  grof?,  bafi  man  !aum  be* 
griff,  mie  er  barüber  ben  ßhlinber  ftülpen  fonnte  auf 
feinen  gelben,  mageren  $opf. 

Aber  baS  ift  nun  AdeS  anberS  getoorbeu. 

§err  üon  SßegruSg  erpreßt  nichts  üon  ben  gaben 
unb  üerpraf#  nichts  mit  ben  (Stiften.  @r  lebt  nur 
feinem  Amt  unb  feiner  gamilie,  gioei  lieben  Bübchen 
unb  feiner  frönen  jungen  Gattin.  £)iefe  grau  ift 
f(hön,  fehr  fd^ön.  ^ie  ($eftalt  fdjlanf  unb  bocf)  üppig, 
biegfam  unb  bocf)  föniglicf)  ftolg,  baS  Antli|  blaf$,  ebel, 
fdjarf  gefdbinitten,  bie  klugen  bunfel  unb  träumerifd) 
unb  tief,  abgrunbtief.  Aber  baS  Sfterfmürbigfte  an  ad 
biefer  Schönheit  ift  bie  garbe  ber  ^aut,  baS  mattmilbe, 
gelbliche  A$eif3,  SöernfteuttoeiB  fonnte  man  eS  nennen. 


48 


über  bem  bie  Üiöte  ber  ©efunb^eit  nur  mie  ein  leifer 
§aud)  liegt.  5Dte  (55eftatt  uttb  biefeS  —  fie 

mahnen  an  bie  ©ulamitfj  unb  ©ufeifa,  an  bie  fjolben 
©djönfjeitSgauber  beS  Orients.  9Iber  bie  grau  S3e^ 
girfSricfjter  trägt  ein  $reugd)en  am  |jalfe  unb  auf  ifjren 
SBifitenf  arten  fte^t:  „(£f)riftine  bon  üßegruSg." 

@8  ift  eigentlid)  rätfeffjaft  unb  fonberbar,  aber 
burd)  biefe  harten  allein  berfeljrt  biefe  grau  mit  ben 
übrigen  9D?enfcf>en.  ©ie  empfängt  feine  £3efucf)e,  fie 
madfyt  feine;  gtt>ifd)en  ifyr  unb  ben  öere^rlidjen  |jonos 
ratioren  bon  $8antott>  ift  eine  ©cf)rattfe  aufgeridjtet,  bie 
feiner  ber  beiben  £eile  iiberfdjreitet.  üföirb  ein  ber? 
f)eirateter  Beamter  nacf)  23amott>  berfe^t,  fo  mirb  er 
bon  feinen  Bodegen  forgf am  inftruiert:  er  feilet  fidfj  bom 
|)errn  bon  SöolanSfi  bie  alte  $aroffe  mit  ben  alten 
©djimmeht  unb  fäX)rt  mit  ^feiner  (Sfye^äffte  bor  baS 
grofte,  toei^e  |jau§.  Da  fdjidt  er  bie  beiben  harten 
in  ben  erften  ©tod  unb  empfängt  bie  Sdntmort:  bie 
|>errfcfjaften  bebauerten,  aber  ber  |)err  $8egirf§rid)ter 
fei  ber^inbert  unb  bie  gnäbige  grau  untt>of)I.  Unb 
eine  Sßod^e  fpäter  fommt  §err  bon  9£egruSg  in  gang 
bemf eiben  Sßagen  mit  feiner  grau  bor  bie  Sßofjnung 
beS  neuen  5fmtSgenoffen  gefahren  nnb  bann  boügief)t 
ftdb)  biefelbe  $omöbie  mit  bertaufcfpen  Sollen,  Damit 
fd£)üef$t  gugleid)  jeber  weitere  SBerfefjr.  DaS  ift  fo  ber 
(Stebraud),  ber  fdpefjticf)  gum  ©efep  geworben  ift. 

Unb  bann  nod)  etwas.  grau  S^riftine  gef)t  nie 
allein  auS,  fie  berlä^t  baS  £au§  nur  einige  9(Me  in 
ber  Sßocfye  gu  einem  ©pagiergang  an  ber  ©eite  ifjreS 
(hatten.  5XfXe  übrigen  Seute  im  ©täbtcfjen  machen  ifjre 


49 


Sßromenabe  im  neuen,  gräflid^en  ^3arf,  im  $ßarf  um 
baS  ©cßloß  ber  (Sräfin  Sabmiga  SöortßnSfa,  geborenen 
sßolanSfa.  5tbe r  ber  SöegirfSricßter  unb  feine  (Gattin 
gehen  regelmäßig  in  ben  einfamen,  fcßlecßt  erhaltenen 
Anlagen  fßagieren,  bie  —  jenfeitS  beS  gluffeS  —  um 
baS  alte  ©cßloß  liegen.  ®er  gerabe  Sßeg  baßüt  führt 
burch  bie  Subenftabt,  aber  ben  bermeibet  biefeS 
menfcßenfdheue  $ßaar.  (Sie  gehen  ringS  um  baS  ©täbP 
d}en  herum.  Söfon  fönnte  glauben,  baS  gefdßeße  barum, 
um  ben  ©taub  unb  bie  (Serüdße  ber  Subengaffe  gu 
bermeibeit.  $lber  nein!  —  als  fie  einmal  ein  (Remitier 
überrafcf)te,  malten  fie  im  ftromcnben  Regelt  gleich¬ 
falls  ben  großen  Umtoeg.  SSarum?  $err  bon  SftegruSg 
fießt  Seberntann  franf  unb  frei  inS  5luge  unb  ber- 
meibet  SUemanbeS  Begegnung,  inenn  er  allein  ift. 
2Belcßer  $8amt  fcßeibet  alfo  gerabe  feine  fcßöne  grau 
bon  ben  übrigen  3CRenfcC)ett? 

Sßt  brauet  nur  ben  9£euigfeitenaitgeiger  bon 
SÖaruoit)  unb  Umgegenb  gu  fragen,  bie  ßübfcße,  üppige 
grau  (Smilie,  bie  (Sattin  beS  neuen  2lftuarS.  (Sr  ift 
fdßon  gef)n  Süßte  im  ©täbtdßen,  aber  er  ßeißt  nocß 
immer  ber  „neue"  $ftuar,  im  (Segenfaße  gu  feinem 
Kollegen,  ber  fcßon  gtnaugig  Snßte  in  $arnoto  ift. 
üftun,  grau  (Smilie  loirb  eud)  eine  SBifitenfarte  geigen 
unb  bagu  fagen:  ,,Scß  bitte  ©ie,  ioie  faun  man  mit 
einer  folcßen  grau  Umgang  ßaben?  ©eßen  ©ie  ficß 
nur  bie  $arte  an  —  toarunt  ßat  fie  nicßt  aitcß  barauf 
feßen  laffen,  ioaS  für  eine  ,(Seborenec  fie  ift?  28eil 
eS  fioß  feßr  fcßlecßt  mailen  ttmrbe:  ,(£ßriftine  bon  üße= 
gruSg,  geborene  SöilfeS,  gefcßiebene  ©ilberftein‘.  5Denn 

(5.  ^rotijoS,  3uben  bon  Barn  oft.  4 


50 


fte  tjeif$t  eigentlich  Statte,  unb  ber  Nathan  23itfe§  in 
bem  fleinen  «gjüttdjen  neben  ber  gubenfctjule  ift  i^r  Sßater 
nnb  ein  anberer  !ftatt)an,  ber  üftathan  ©ilberftein,  xfyv 
erfter  SCftann.  tiefer  !>ftegru§g  ift  nämtict)  ein  gang  übers 
fpannter  SD^enfd^.  ^uerft  ^at  er  bie  £ocf)ter  eine£  Willis 
onär§  heiraten  motten,  eine§  armenifd^en  $aron3,unb  at§ 
man  i^m  bie  natürlich  nic^t  gegeben  hat,  ift  er  ptölticb 
fe^rgenügfamgeü)orbennnb^atfi(^inba§  paffabel  pbfdje 
Subemoeib  tierliebt  unb  hat  fie  ihrem  9Kann  abgefauft." 

„5Ibgefauft?"  merbet  ifjr  erftaunt  fragen.  „Um 
©elb,  um  bare§  ©etb?" 

„Natürlich  —  nm  tt>a§  fonft?"  mirb  ber  2tm 
geiger  öerfichent.  „Unb  ba§  ttmnbert  (Sie  im  ©ruft? 
Sch  bitte  ©ie,  fo  einem  Suben  ift  OTe3  feit,  fogar 
fein  2Beib.  SCftan  fagt  fogar,  mie  üiet  e£  ben  -ftegruäg 
gefoftet  f)at:  taufenb  ©utben.'  3Benn  Sie  übrigen^ 
mir  allein  nid)t  glauben  motten,  fo  fragen  Sie  bie 
gange  Stabt  ober  fragen  Sie  am  beften  ben  ©itbers 
ftein  felbft  —  er  ift  ein  Sßein^änbter,  nnb  menn  er 
auch  fonft  ba£  gange  Sa^r  ^erumreift,  fo  ift  er  bod) 
gu  ben  großen  geiertagen  immer  hier.  ©r  mirb  Sh^en 
beftätigen:  ,Sct)  habe  fie  bem  $8egirf§richter  friebticf) 
abgetreten4,  üftun,  nnb  ba  frage  id)  ©ie:  fann  man 
mit  einem  fotdjen  SSeibe  oerfehren?!" 

^ie  üppige  ©mitie  t)at  stecht,  fie  fjat  üt  OTern 
dttä) t.  grau  (£t)riftine  §at  mirftich  früher  ©haue  ges 
heifjen,  guerft  ©haue  23itfe§,  bann  ©haue  ©itb  erftein. 
Unb  ber  Sßein^änbter  hat  fie  bem  $Begirf£richter  mirfs 
tich  friebtidj  abgetreten,  knä)  barin  tjat  fie  fRed^t, 
bajs  fie,  ©mitie,  mit  einem  folgen  SBeibe  unmöglich 


51 


üerfefjren  famt.  Hber  begüglid)  be§  ®aufyreife§  if t  ftc 
im  Irrtum.  3)er  Kaufpreis  mar  nicf)t  eine  ®elbnote, 
fmtbern  ein  Eftenfcfyenljerg. 

* 

£>ie  alte  SöetfcfjuF  ift  ein  grauet,  öermitterte§ 
($ebäube,  in  fernen  feiten  erbaut,  mo^l  gar  im  Mittels 
alter.  £)ie  dauern  nennen  fie  bie  „Subenburg",  meil 
fid)  fjier  einmal  bie  Suben  verborgen  unb  üerfc^angt, 
al§  fie  ein  gfiirft  (£gartorb§fi  totf plagen  unb  auärauben 
moEte.  (£r  moEte  bie£  au§  bopgeltem  ($runbe:  erften§ 
mar  e§  gerabe  Sagbgeit,  aber  menig  gücfyfe  unb  (£ber 
auf  ber  §aibe,  gmeiten§  brauste  er  @elb.  5lber  bie 
Subeit  bargen  il)r  ®ut  unb  S3lut  hinter  ben  dauern 
unb  ©ifenriegeln  ber  SSetfcfjuE  unb  gelten  f)ier  fo  lange 
au§,  bi§  be§  jageEonifcljen  $önig§  bannen  au£  ber 
na^en  $efte  QagieEnica  Ijerbeieilten  unb  bie  ($eängftigten 
befreiten.  £)amal£  maren  bie  dauern  ftarf  unb  bie 
(Sifenriegel  feft,  felgt  ift  öon  ben  Siegeln  nicfjtö  mefyr 
gu  fefjen,  unb  ^alb  geborften,  fjalb  in  bie  (Srbe  ge* 
funlen  finb  bie  dauern.  2lber  mie  um  bie  einftige 
Söebeutung  biefe§  ($otte»s  unb  ©cf)uf$aufe£  angubeuten, 
brängen  fiel)  l)ier  an  brei  (Seiten  beff eiben  am  bicf)teften 
bie  bürftigen  Raufer  unb  Jütten  ber  Qubenftabt. 

2ln  ber  vierten  ©eite  ^at  ber  naf)e  glufj,  btv 
träge,  fdfleidjenbe  ©ereb,  nur  für  gmei  Raufer  SRaum 
gelaffen,  eilt  gro^eä,  neueä  §au§,  ba§  —  eine  ©eitern 
^eit  in  biefer  ($egenb  —  mit  gelber  Ölfarbe  bemalt 
ift,  unb  für  ein  fd)mujgige§,  baufäEigeä  §üttlein,  ba§ 
trübfelig  am  Ufer  flebt.  (5&  ift,  al§  bränge  ba§  gelbe 
feinen  ärmlichen  Sftadfbar  in  ben  glufs,  fo  ftarf 


52 


neigen  ftd)  bie  ntoberigen  Üföänbe  ber  |jütte  über  btc 
trüben,  tangfamen  Sßaffer.  %m.  gelben  $aufe  woljnte 
einft  ber  reiche  2Beint)änbler  $D?anaffe  ©ilberftein  mit 
feinem  ©ot)ne  Sftatljan  nnb  in  bem  §üttlein  wohnte 
unb  woljnt  nod)  fjeute  9^att)an  SitfeS,  ein  armer,  fetjr 
armer  9Kann. 

üftat^an  war  ein  „Sorfgefjer",  fo  lange  feine 
Kräfte  eS  erlaubten,  unb  lebt  je£t,  ein  fc^toad^er,  ein^ 
famer  ($reiS,  t)on  feinen  fauer  erworbenen  Pfennigen 
unb,  wo  biefe  nid)t  reifen,  öon  ber  Unterftüijung  ber 
($emeinbe.  (Sr  ift  früf)  fc^ wacl)  unb  alt  geworben,  wie 
alle  Seute  feinet  SerufS.  Senn  eS  ift  ein  überaus 
harter,  mütjfamer  Seruf.  (Sin  „Sorf  gelber"  f)ei|t  in 
ber  ©pracfje  feiner  ($taubenSgenoffen  berjenige  9ttann, 
ber  bie  dauern  in  ben  umliegenben  Dörfern  mit  bem 
Nötigen  öerfieljt  unb  fid)  babei  fein  Srot  tjerauSf erlägt. 
(Sr  §iel)t  ©omttag  am  frühen  borgen  auS  bem  ©täbts 
cfyen,  ben  bilden  gebeugt  oon  einem  riefigen  ^ßad  SBaren. 
S)a  brin  ift  5lüeS  enthalten,  wonadj  nur  ein  rutljes 
nifdjeS  Sauem^erg  verlangen  mag,  bis  auf  baS  Sine, 
Wonad)  ein  foldjeS  §erg  am  meiften  verlangt:  ©djnapS 
üerfauft  ber  „£)orfgef)er"  nid)t.  2tber  fonft  öerfauft  er 
Wirflid)  2ldeS:  ©tro^üte,  ßebergurte,  ©tiefet,  Safdjen« 
meffer  für  bie  Surfd)e;  Slumen,  Sauber,  Doraden, 
ßiebeStränfe,  ^leiberftoffe,  ©pinbeln  für  bie  SD?äbd)en; 
ßeinwanb,  Saig,  ($efd)irre,  §eiligenbilber,  3aub  ermittel, 
2Bad)Stid)ter,  Sftabel  unb  gwim  für  baS  |jauS,  (Debets 
büdjer,  alte  §ofen  unb  Kaftane,  neue  „Sefftlim"  unb 
„9ftefufaS"  für  bie  öereingelt  wofjnettben  ®laubenSs 
genoffen;  ©djnupftabaf,  ®alenber,  bie  Leitungen  ber- 


58 


öerftofferten  SSodje,  ferne  Stoffe  unb  Sticfereien  für 
bie  ^farr^  unb  (Sbelfjöfe;  Siqueure,  Spieß arten,  ge? 
fdjmuggelte  Zigarren  unb  anbere  ©inge  für  bie  $as 
öallerieoffigiere;  furgurn  $llle§,  $Me3!  So  gieljt  er  bte 
SSodje  über,  jal)rau§,  jahrein,  oon  ©orf  gu  ©orf,  üon 
§ait§  gu  §au£,  immer  unb  immer,  trotj  Söinterfälte, 
troij  Sommerglut.  (Sr  fennt  alle  £euie  unb  alle  Seute 
f  ernten  ifjn.  23ebürfen  fie  feiner,  fo  geftatten  fie,  baf$ 
er  iljre  Scljmelle  betrete;  brauchen  fie  nid)t£,  fo  jagen 
fie  ifjn  fort  unb  tjei^en,  menn  er  befonber£  fjartttäcfig 
ift,  ifjre  $unbe  auf  iljn.  ©er  SSauer  unb  ber  (Sbelmantt, 
ber  fabelt  unb  ber  Kaplan  prüfen  ifjren  2ßi£  an  ifjnt 
ober,  menn  fie  nidjt  gerabe  geiftreicf)  aufgelegt  finb, 
ifjre  ($erte  unb  iljre  Sporen.  (Sr  aber  mirb  nictjt  mübe, 
öom  frühen  borgen  bi§  gum  fpäten  2lbenb  feinen 
Reifem  fftuf  gu  ergeben,  gu  feilfdjen  unb  gu  Überliften, 
mo  er  nur  immer  fann.  Sft  fein  33argelb  im  §aufe, 
fo  läfjt  er  fiel)  mit  gellen  begaljlen,  ober  mit  betreibe, 
ober  mit  |)üt)nem  nnb  (Snten  ober  mit  (Siern.  5lm 
greitag  Sftacljmittag  aber  feljrt  er  in  bie  Stabt  gurücf 
unb  ift  einen  ©ag  lang  ein  SfJ^enfd^,  unb  mirb  erft  am 
Sonntag  mieber  gum  „©orfgefjer". 

Sold)'  ein  ©orfgeljer  mar  and)  9£atf)an  33ilfe§, 
unb  bamit  ift  fein  Seben  betrieben;  e§  ift  fonft  nichts 
23efonbere§  barüber  gu  berichten.  Sein  SBater  fjatte 
ein  9ftäbd)en  für  ifjn  auggefudjt,  ba§  mürbe  fein  braöe£ 
Söeib,  gebar  iljm  gmei  Sinber  unb  ftarb  früf).  ©ie 
$inber  aber,  ein  $nabe  unb  ein  9ftäbd)en,  muffen 
tjerrlicl)  Ijeran  in  ber  büftern,  bumpftgen  §ütte,  mie 
ja  and)  gumeilen  in  Scfjutt  unb  ülftober  fd)öne  Blumen 


54 


gebeten.  2tbe r  —  „an  ihrer  ©djönheit  unb  ©türle 
finb  fie  mir  geftorben,"  flagt  ber  SBater.  gür  ihn 
finb  fie  S3eibe  tot  unb  begraben.  25er  @of)n  muffte 
©olbat  merben,  meil  er  fo  trefflich  bagu  taugte,  unb 
meil  Sftathan  bie  fünfzig  ®ulben  nidht  aufbrachte,  meldje 
bie  $lffentierung§fommiffion  für  bie  greigebung  forberte. 
28enigften£  behauptete  23eer  Söliper,  ber  datier,  e£  fei 
mit  fünfzig  ($ulben  gu  rieten.  2lber  bie  fünfzig  Bulben 
maren  nicC)t  ba.  ©o  marb  beun  ber  Söurfche  nach 
Stalien  gefdjidt  unb  bann  fam  ber  $rieg,  unb  nach 
Magenta  ftanb  fein  9?ame  unter  ben  offiziell  „$ers 
mieten".  gang  anber§  noch  öermifite  ihn  fein  alter 
SSater!  2)er  martete  unb  martete,  aber  ber  ©ohn  ift 
nie  mieber  getommen.  Unb  feine  Tochter  ift  nun  auch 
tot.  „Steine  (Sf)ane,"  pflegt  ber  ($rei§  gn  fagen,  „mar 
ein  ehrlich)  jübifd)  SBeib;  bie  grau  ©hriftine  ba  oben, 
bie  ,($oje‘  (§eibin),  lernt'  ich  tiidjt." 

2)er  2>orfgeher  hotte  fid)  nic^t  öerfefjen,  ba{3  ihm 
fein  $inb  fo  herben  @d)merg  bereiten  merbe.  ©eine 
(£hane  mar  eben  fo  fd)ön  mie  gehorfant,  eben  fo  gültig 
mie  fleißig.  Seicht  allein  ihr  SSater  liebte  fie,  fie  mar 
bei  allen  ßeuten  mohl  gelitten.  $ftan  gönnte  ihr  alU 
gemein  ba£  ($lüd,  al§  ber  alte  SJtonaffe  ©ilberftein 
für  feinen  eingigen  ©ohn  üftatl)an  um  ihre  §attb  marb. 
2)a§  mar  ein  großes,  unermarteteg  ©lüd.  2)enn  bie 
©dfjranfen  finb  fonft  eng  gegogen  unter  biefen  Leuten, 
nur  Sfteidj  unb  9teid)  gefeilt  fich,  5lrm  unb  Slrm.  (£§ 
ift  bie£  auch  fo  natürlich  bei  bem  SSolle,  bem  man 
ben  ©elbermerb  al£  eingige  S3ef d^äftignng,  ben  (S5elb= 
befi£  al§  eingige^  ($lücf  gegönnt  bitrch  lange  Sohr- 


55 


fjunberte.  &er  arme  $orfgef)er  formte  e§  anfangs 
faum  glauben  —  ber  alte  ÜNanaffe  mar  ja  reich,  fo 
reich;  er  fjatte  einen  großen  ©pe§ereimarenlaben  unb 
betrieb  einen  feljr  fchmunghaften  Weinhanbel  mit 
Ungarn  unb  ber  SNoIbau.  ©§  mar  ba§  fd^önfte  Garens 
geugniä  für  be§  armen  £)orfgeher§  £ocl)ter,  al§  bie 
Wahl  be§  Nachbar^  auf  fie  fiel.  £)enn  auch  Nathan 
©ilberftein  mar  ohne  SNafel;  er  mar  ein  braüer, 
flarer,  öerftänbiger  junger  SD^enfdb),  gefunb  unb  moljts 
gebaut,  unb  fannte  fidb)  im  £almub  ebenfo  gut  au§, 
mie  in  ©elbgefchäften.  Unb  meil  er  fein  (55elef)rter 
merbert  foUte,  fonbern  ein  Kaufmann,  fo  fjatte  ber 
Vater  ihm  einen  Sefjrer  für  ba§  |jochbeutfche  ges 
nommen.  Nathan  ^atte  ba§  ©ebreiben  unb  £efen 
erlernt,  bann  arbeitete  er  einen  „S3rieffteUer  für  alle 
©iänbe"  burch  unb  ha§>  „Allgemeine  oefterreicfjifdje 
bürgerliche  ©efe^budh".  Au§  biefen  beiben  Büchern 
beftanb  auch  offiziell  unb  üor  be§  Vater§  Augen  feine 
beutfefje  23ibIiothef.  Sn  Wahrheit  aber  ftanb  in  feinem 
Vüdherfchranf,  unter  ben  mächtigen  hebräifcfjen  Folianten 
öerfteeft,  noch  ein  fleine§  beutfdf)e§  Vücf)lein.  Ant 
©am£tag  Nachmittag,  menn  er  im  geftgemanb  mit  ben 
Anberen  in  ben  gräflichen  $ßarf  ging,  fteefte  er  ba§ 
Söiidhlein  gu  fidh,  fonberte  fidh  bann  ab  unb  la§  e§  an 
einer  ftiUen,  heimlichen  ©teile,  mo  fidh  ba£  £aub  um 
ihn  nur  leife  bemegte.  £)abei  fühlte  er,  mie  fidh  ÖUCh 
etmaä  in  ihm  leife  bemegte,  ma§  er  fonft  an  ben 
Wochentagen  nie  üerfpürte.  Vielleicht  mar  biefe§  ©tma£ 
ba§  $er§.  Auf  bem  Nücfen  be§  fleinen  Vüchlein£ 
ftanb  in  ©olbbruef:  „@dhiHer§  ©ebichte." 


56 


2113  fein  $8ater  ihm  fagte,  ba#  er  eine  Vraut  für 
ihn  ermaßt  unb  mer  ba§  fei,  ba  —  ba  regte  fief) 
biefe£  Etmaä  nicht.  Er  fagte  gefjorfam:  „Sßie  3h* 
iooUt,  SSater !"  unb  mürbe  öieUeid^t  einen  $lugenbli<f 
lang  etma§  blaffer  at§  gemöfjnlich.  Unb  eben  fo  gleich 
mütig  fügte  fidh  bie  Vraut  in  ben  SßiUen  ihre£  Vater£, 
nur  ba|  fie  melleicht  babei  etma£  röter  mürbe.  Unb 
bann  warb  bie  Verlobung  gefeiert  unb  gtnei  Monate 
barauf  bie  §od)j$eit.  Sn  ber  gmifdhenzeit  fünfte 
üftatfyan  feiner  Vraut  pbfd^e  perlen  unb  foftbare§ 
©efdjnteibe,  unb  ba£  arme  9Mbd)en  ihm  einen  ©ebets 
mantel,  auf  ben  e§  funftboß  mit  ©olbs  unb  ©Ubers 
fäben  bie  Verzierungen  geftieft  hatte.  5ludh  fpracfjen  fie 
mä^renb  ber  ,gett  einige  ÜUtale  mit  einanber,  über 
gang  ©teicf)gültige§;  bon  ihnen  felber  unb  ihrer  Qu* 
funft  fpraUjen  fie  nicht.  2lu d)  für  bie  Vergangenheit 
fanb  fidh  fein  2Bort;  fie  hatten,  obmohl 

Üftachbaräfiuber,  feine  gemeinfamen  Erinnerungen. 

SO^it  großem  2tufmanb  marb  bie  §ochzeit  gefeiert: 
ber  SBein  floß  in  ©tränten,  ganze  Verge  öon  gleifcf) 
unb  Vadmerf  mürben  oertilgt,  bie  beften  ©pieUeute 
unb  bie  beften  £uftigmacf)er  erheiterten  bie  ©äfte. 
Sann  zogen  bie  jungen  Eheleute  in  ba§  grofce,  ftatts 
liehe  |jau§mefen,  ba§  Sftattaffe  feinem  ©ohne  gegens 
über  ben  Sominifanem  gegrünbet.  ©ie  hatten  fehr 
öiele  Arbeit,  fie  mußten  fiel)  ben  Sag  über  ferner 
mühen  unb  lebten  ftiU  unb  frieblid)  mit  einanber.  ©ie 
maren  beibe  gute,  ehrliche  §erzen,  unb  ba  fie  non 
ben  Sagen  ihrer  Ehe  faum  im  Vorauf  geträumt  ober 
fidh  ein  parabtefifcheä  ©lüd  auggemali,  fo  mürben  fie 


—  57 


audj  ttt  nicfitä  enttfrufd)t.  SDie  (Sitte  banb  fie,  baS  ges 
meinfame  Staffen,  bie  gegenfeitige  2lcf)tung  unb  barum 
and)  bie  gegenfeitige  Sirene.  So  ging  2iHe£  int  ruhigen, 
rergebracfpen  ©eleife,  unb  al§  S^ane  i^rem  (Ratten 
narf)  Sn^re§frift  ein  $inb  gebar,  ba  füllte  biefer  in 
feinem  Smtern  fogar  toieber  jene§  geljeimniäöolle  ©tma§ 
fidj  regen,  ba§  fo  lange  gefcf)tt>iegen.  SDa§  fö'inb  ftarb 
nad)  wenigen  üBodfjen,  aber  bie  grofte  Trauer  brachte 
bie  ©atten  nur  einanber  nöljer.  SDann  mußten  fie 
ben  guten,  I)ocf)betagten  Sttanaffe  begraben,  unb  nun 
laftete  audj  bie  Leitung  be£  gangen  großen  ®efd)äft§ 
allein  auf  i^ren  Schultern,  -ftatljan  mufjte  nun  rnel 
au§tt>ärt§  fein,  aber  (Sf)ane  toar  bie  getreuefte  Sßer? 
toalterin  be§  großen  |>au§toefen§.  Sie  lernte  beutfcE) 
f^reiben  unb  lefen,  um  iljrem  ©atten  im  ©efc^äfte 
Reifen  gu  fönnen,  unb  forgte  in§befonbere  mit  rüljrens 
ber  Umfid^t  für  alle  feine  perforieren  Söebürfrtiffe. 
$lucT  er  rielt  fie  fyod)  unb  toert  unb  befleibete  i^ren 
rolben  Seib  mit  ben  fdf)tt>erften  Setbenftoffen  unb  bern 
maffiüften  ©olbfcTmitd  au3  ben  Säben  üon  Semberg 
unb  ©gemott>i|.  Sie  toaren  gufrieben  mit  einanber, 
too^l  audl)  gtüdlicT.  SDenn  tu a%  fehlte  gu  i^rem 
©lüde?  Sie  liebten  einanber  nicf)t.  2lber  fie  ttmfüen 
öon  ber  Siebe  nur,  ba§  fei  eine  $ftobe  ber  ©rr^en/ 
beüor  fie  fiel)  oerreiraten.  SBogu  braud)t  ein  fübifcT  $inb 
ct)riftlid)e  Stoben  mitgumad^en? 

Sie  waren  glüdlidt),  unb  ba§  §au§  i^rer  @l)e 
ftanb  ftarf  unb  feft  gefügt  auf  bem  SBoben  ber  $lcf)' 
tung  unb  ber  Arbeit  unb  ber  ©etool)nf)eit,  bi§  ber 
Sturm  ber  £eibenfd)aft  Ijerangebrauft  fam  unb  ba§ 


58 


§au8  ju  Robert  Warf  wie  ein  $artenhau§  unb  fte  ohne 
(Erbarmen  in  feinen  Bann  nahm  unb  ^inauSftie^  in 
Sampf  unb  (Schmerz!  .  .  . 

* 

3)a§  (Stäbtd)en  Bamow  ift  feljr  flein,  ein  öbe§, 
fd)muhige§  Sfteft  in  einem  gottöerlaffenen  SBinfel  ber 
(£rbe,  unb  ber  grofie  (Strom  be§  Seben£  unb  berBik 
bung  wirft  faum  ba§  2ltom  einer  Bkde  hierher,  aber 
—  ein  „$afino"  h<*t  Bamow  bocfj.  (§&  fie^t  freilid^ 
befdjeiben  genug  au§.  hinten  tut  $ofe,  hinter  üftatfjan'g 
Saben  liegt  e§,  ein  fleineS  ßimnter,  ™  kern  3*oei 
Sifdje  fte^en  unb  mehrere  Stühle.  $)a§  ^at  üftathan 
für  feine  ©tammgafte  eingerichtet.  §ier  trinfen  bie 
Beamten  unb  fonftigen  Honoratioren  üon  Bamow 
i^ren  grühfdjoppen  un^  politifieren  babei,  unb  wenn 
e§  ihre  grauen  erlauben,  fo  politifieren  fie  auch  h*er 
be§  $lbenb3  unb  trinfen  ihren  2lbenbfd)oppen  bagu. 
$)er  hochgeborene  glorian  üon  Bolwinäfi,  ein  ($ut£s 
befitjer  ohne  ®ut,  ber  feine  grau  ha*/  trinft  hier 
feinen  Borgens,  Bormittag§s,  Sttittag^,  9^ad)mittag§^ 
9fbenbs  unb  -ftachtfchoppen  unb  unterbricht  fid)  nur 
Zuweilen,  um  einen  (Spaziergang  zu  machen,  einer 
Köchin  feine  Siebe  gn  erflären,  einen  guben  an§u- 
pumpen  ober  fonft  ein  wichtige^  ^5efd)äft  zu  Herrichten. 
Sind)  ber  frühere  Bezirfäridjter,  |jerr  $ippolpt  So^ 
Zin§fi,  War  hier  ©tammgaft,  unb  ein  Berbienft  biefeä 
3immerd)en§  war'§,  bafj  minbefteng  bie  üftafe  rot 
Würbe  in  feinem  gelben,  magern  ($eficht.  5lber  eben 
al£  fie  burd)  fortgefe^te  Bemühungen  zum  leuchtenben 
Bubin  geworben,  ftarb  ber  Söadere,  %\ix  ziemlichen 


59 


greube  be§  SegtrfS,  gum  unauSfpredjlirfjen  ©djmerge 
feiner  überaus  gaf)lreid)en  (gläubiger,  grau*Safimira 
gog  ficf)  auf  bie  (guter  Serer  öon  (SpbulSfi  gurücf, 
einen  Keinen,  überfcfjulbeten  SD^eier^of  bei  Samopol, 
unb  in  baS  erfte  ©tocfmerf  be£  meinen  §aufe£  gog 
ber  neue  SBegirfSridjter,  §err  gulfo  üon  üftegruSg.  (Sr 
naljm  aucf)  ben  ^$la£  beS  ^Bereinigten  im  „$afino" 
ein,  freilich  oljne  il)n  fo  fjäufig  unb  fo  ausgiebig  gu 
benü^en,  mie  biefer. 

$err  oon  *ftegruSg  mar  ein  funger  9ftamt,  etma 
im  Anfang  ber  Sreiftig.  Hftan  artete  if)n  gleich  oon 
Anfang  an  als  auSgegeidhneten  guriften  unb  halb  and) 
als  guten  9ttenfcf)en.  (Sin  SöegirfSridjter  in  ^ßobolien 
ift  ein  Halbgott  unb  fann  gum  glud)  ober  gunt  ©egen 
feinet  SöegirfeS  merben.  |jerr  oon  9^egru§g  übte  feine 
9Jtad)t  nur  gum  ©Uten.  2BaS  fein  äußeres  anbes 
langt,  fo  läftt  fic^  nicht  öiel  barüber  fagen:  er  mar 
ein  fdfjlanfer  SO^ann  unb  ftiHe  braune  klugen  ftanben 
in  einem  (gefickte,  baS  man  meber  fd)ön  nodh  fjäfdich 
nennen  foitnte.  Sie  brei  grünlichen,  überaus  ermud^ 
fenen  Söchter  beS  §erm  ©teueramtSöorfteljerS  be= 
ijaupteten,  er  fei  ein  Barbar  unb  gegen  grauenreige 
gang  unempfinblicf).  gn  ber  S^at  liebte  er  Sarnen^ 
gefellfdhaft  nicht  fonberlich- 

5llfo  aud)  «£err  üon  üfte gruSg  mürbe,  mie  ermähnt, 
©tarnmgaft  in  ber  Keinen  Sßeinftube.  (Sr  pflegte  fidj 
bort  taglidh,  nadhbem  er  auS  bem  5lmte  gefontmen, 
eine  f) albe  ©tunbe  aufguhalten,  unb  bie  Leitung  3U 
lefen,  ef)e  er  in  feine  Söofjnung  gum  SCRittageffen  h*nauf5 
ging,  baS  ilpn  feine  alte  SSirtfchafterin  bereitete. 


—  60  — 


Unb  ba  ber  gugang  forcdj  |>of  fo  unbequem  uitb 
fdhmuhig  mar,  fo  ging  and)  er,  tote  bie  meiften  ©äfte, 
burdj  ben  ßaben,  too  bie  fdjöne  grau  be£$aufmann£ 
immer  felbft  ba£  ($efchäft  beaufsichtigte.  &odh  bes 
gnügte  er  fich,  fie  im  Vorbeigehen  ftnmm  gu  grüßen, 
unb  brach  unb  fc^ergte  nie  mit  ihr,  toie  e§  tool)l  bie 
anberen,  älteren  Herren  gu  th nn  pflegten  ober  bie 
jungen  Dfftgiere.  (Sr  unterließ  bie§  nid^t  ettoa  au3 
befonberen  ($rünben,  fonbern  toeil  Sachen  unb  ©cfjergen 
einfach  nicht  in  feiner  üftatur  lag.  5lud)  mochte  er 
glauben,  bafj  ba§,  toa£  bie  Ruberen  ba  an  «fjulbigungen 
auftoenbeten,  für  bie  grau  ohnehin  läftig  genug  fei. 
£)a  irrte  er  aber,  ©haue  toar  in  ber  Vegieljung  fe^r 
gleidjmütig  unb  nahm  $lüe§  ba§  fo  auf,  toie  bie  an= 
bereu  fleinen  Unannehmlichfeiten,  bie  ba§  Verteilen 
im  Saben  mit  fich  br achte,  fo  gum  Veifpiel  bie  fdjarfe 
Zugluft.  ®iefe  grau  hatte  eine  merftoütbig  fidjere 
Sanier,  fich  jeben  SSortoifc,  toenn  auch  nur  in  Porten, 
bom  Seibe  gu  halten;  ertoiberte  fie  auch  ben  ältlichen 
Herren  meift  fo  munter  toie  fie  angebrochen  tourbe, 
bie  Dfftgiere  erhielten  nur  fehr  färglidjen  unb  oft 
recht  fonberbaren  Vefdjeib.  ©pöttifch  unb  luftig  bi£ 
gur  5lu§gelaffenheit  fonnte  fie  inäbefonbere  toerben, 
toenn  man  ihr  oon  Siebe  brach-  £)iefe§  Gefühl  toar 
ihr  nicht  allein  rätf eihaft,  toeil  fie  e§  nicht  fannte, 
e§  toar  ihr  allmählich  überaus  fomifdh  unb  öerädhtlidfj 
getoorben.  Sßer  ihr  alfo  gtoifdhen  bem  erften  unb 
gtoeiten  ©eibel  fagte:  „gd h  liebe  ©ie!",  ber  toarb  nur 
öffeutlidh  au^geladht  unb  insgeheim  oeradhtet,  toer  fie 
aber  babei  auch  um  bie  «fjüfte  gu  faffen  fudhte  .  .  . 


61 


fragt  nur  bett  flehten  Dbertieutenant  Ulbert  (Sturm, 
ba£  efelljafte,  gubringtidje,  beimtücfifd)e  Subjefi,  marum 
einmal  ad)t  Sage  lang  feine  rechte  Sßange  ooder  unb 
röter  mar,  al§  bie  linfe. 

9£un,  bem  $8egirf£rid)ter  gegenüber  Ijatte  fie  meber 
in  ^Sorten,  nodj  in  Saaten  eine  $lbmeljr  nötig.  Sie 
Reiben  fpradjen  mä^renb  ber  erften  brei  SCftonate  audj 
nid)t  eine  Silbe  miteinanber.  Unb  ba  bie§  etma§ 
2luffätlige£  mar,  in  einem  fo  f leinen  Stäbtdjen,  mo 
gebermann  mit  gebermann  üerfeljrt,  unb  hoppelt  aufs 
fällig,  ba  fie  gngleidt)  |jau§genoffen  maren,  fo  fprad) 
(Spalte  einmal  mit  il)rem  (Satten  barüber,  gang  gufäüig 
unb  gang  unbefangen.  9£atf)an  mar  mit  bem  93egirf§s 
rict)ter  unb  mit  Seiner  |jod)geboren,  bem  §errn  gloriatt 
Oon  S3olmin§fi  tauge  in  eifrigem  ©efprädj  öor  bem 
Saben  geftauben;  bann  mar  Üftegru£g  aufg  Slmt  ge* 
gangen,  mäljrenb  glorian  mit  bem  Kaufmann  in  ben 
Sahen  trat,  um  l)eute  au£naf)m§meife  gmifd)en  bem 
5Dlittag§s  unb  9£ad)mittag§fd)0ppen  nodj  einen  befom 
beren  SJerbauung^fcfjoppen  in  Serforgung  gu  bringen. 
„9ßatf)an,"  f agte  bie  grau,  „mit  bem  $8egirf£ridjter  ift 
e§  ein  eigen  Sing.  gft  er  fo  ftolg?  Sr  f)at  nodj 
nie  ein  SBort  mit  mir  gefprodjen."  —  „Stolg  ift  er 
nidjt,"  ermiberte  9latljan,  „im  (Segenteil,  er  ift  ber 
befte,  tjülfreidjfte  SDfanfdj  üon  ber  Sßelt.  5lber  morts 
farg  ift  er;  mer  meij3,  marum?  SSieEeic^t  ift  er 
ungtüdlidj."  —  „|joljo!"  grollten  Seine  $odj geboren 
„ma§  für  eine  eitle  grau  Sie  Ijaben,  ^ßani  -jftatljan! 
3Bir  madjett  iljr  5lde  auf  Sob  unb  Seben  bie  Sour, 
aber  fie  fjat  nodj  immer  nidjt  genug,  gebt  ftidjt  iljr 


♦ 


•/ 


—  62  — 

btefer  junge  ^errgulfo  in  bie  klugen.  $oI)o!§o!  Iber 
ba  ift  alle  SQfttlje  umfonft,  l^ol^o !  3)er  ift  fd^ort  oerliebt, 
ernftlidj  oerliebt,  ja!  ba3  ift  ®otte§  ©träfe!"  S)ie 
fd)öne  grau  fjörte  ba§  alte  SSeinfafj  gebulbtg  an;  fie 
mar  feine  2öi|e  fdjon  gemol)nt.  „(§;£  Ijat  nidjt  geber 
eine  fo  glüdtid)e  Statur  mie  ©ic,"  ermiberte  fie  barauf, 
„biefer  dftann  fd)eint  mir  gu  cmft  unb  gu  tüchtig,  at§ 
bafj  er  fid)  oerlieben  fönnte!"  §err  glorian  ftemmte 
bie  5lrme  in  bie  ©eiten  unb  ladjte  einige  Minuten 
lang  fein  mief)ernbfte3,  luftigfteä  ®etäd)ter.  „hoholjo!" 
fernste  er,  „ba  mu§  id)  fd)on  bitten  .  .  .  |>at  man  je 
fo  etmaä  gehört?  |johol)o !  al§  ob  fid)  nur  bumme 
Seute  oerlieben  fömtten  .  .  .  gum  Beifpiel  id),  bin  id) 
bumnt?  unb  .  .  .  ^ßani  Sftatl)an,  merben©ie  nidjt  eifere 
füdjtig !  i.dj  bin  bodj  in  ©ie  Oerliebt.  5lber  bafür  mufj 
id)  galten  bod)  gur  ©träfe  fageit:  bei  bent  Sftegru§g  ift 
ade  SO Ityt  umfonft,  ber  ift  oergeben  .  .  .  Ijofjofjo!  feft 
oergeben,  er  liebt  eine  Xote,  ^o^of)o!" 

„Unfinn,"  murmelte  bie  grau  unmutig,  inbeä  ber 
hochgeborene  in  Sftatljan^  Begleitung  in§  „$afino" 
torfette.  (§:§  ging  iljr  aber  bod)  nid)t  au§  bem  $opfe. 
£>emt  am  fpäten  $tbenb,  at§  fie  neben  iljrem  (hatten 
im  Sßohngimmer  faf$  unb  iljm,  ba  er  am  nädjften  £ag 
in  aller  grüfje  oerreifen  mufjte,  bie  ®efchäft§briefe 
fdjreiben  fragte  fie  plö|tidj:  „28a§  Ijat  btxm 

Ijeute  ber  Bolminäfi  nur  mit  ber  £oten  gemeint,  in 
bie  ber  Begirföridjter  üerliebt  fein  fod?" 

„2Sa§  meift  ich/'  ermiberte  Nathan,  „man  fpridjt 
fo  unb  ba.  Gür  mar  in  ein  Oftäbdjen  üerliebtunb 
mie  ba£  geftorben  ift,  l)0*  e*  befdjloffen,  lebig  gu 


63 


bleiben.  SSiedeidjt  ift'S  toaljr.  S£)ie  ^ftriften  treiben 
Diel  Unfinn  mit  ber  Siebe." 

„@o,  fo,"  erlüiberte  bie  grau  unb  ftarrte  finttenb 
in  bie  glamnte  beS  SidjteS.  $)amt  aber  griff  fie  gur 
gebet  nnb  fdjrieb  ben  Sörief  an  SDtfofeS  Sfofengmeig  in 
(£gentott>i|  gu  (Snbe,  in  tüetd^em  fie  ein  gafj  |järinge 
befteUte  unb  fünf  Zentner  guder. 

* 

$lm  nädfjften  Stage  gefdjaf)  ettoaS  (BeltfameS. 

$)er  §err  glorian  Don  SöolminSfi  ift  nidjt  blofj 
ein  bicfer  9ftann,  er  ift  aud)  ein  braüer  Sttann.  Unb 
loeil  er  nodj  üftiemanb  Unredjt  getljan  §at,  fo  fürchtet  er 
fid)  audj  öor  9ttentanb,  ausgenommen  Dor  feiner  Sßird 
fcfjafterin,  obtooljl  er  audj  biefer  niemals  Unrecht  ge^ 
tljan  l)at.  (Sin  braüer  $D?ann,  aber  er  l)at  einen  großen 
genfer:  er  ergäbt  $WeS,  toaS  er  in  (Srfa^rung  bringt, 
unb  nod)  (SinigeS  bagu.  S£)aS  fontmt  teils  Don  ber 
natürlidjen  Sß^antafie,  teils  Dom  Dielen  SSeintrinfen. 
Unb  fo  erfuhr  bemt  ber  $8egirfSricf)ter  am  nädjften 
Vormittag,  als  er  mit  |jerru  gloriau  gufädig  allein 
im  „$afhto"  tt>ar,  toie  grau  (Sfjane  geftern  bem  l)odjs 
geborenen  §erm  unter  einem  ©trome  fiebertber  Stfjränen 
if)r  |jerg  geoffenbart  unb  in  biefem  §ergen  iljre  toafjm 
finnige  Siebe  für  §ernt  Don  -ftegruSg,  unb  mie  eS 
fie  faft  gum  ©elbftmorb  treibe,  bafi  ber  fo  überm enfd^ 
lief)  beliebte  unb  23egef)rte  nid)tS  üon  il)r  miffeit,  ja 
fogar  fein  @terbenStt>örtdf)en  an  fie  Derfdjtoenben  tt>olle. 
Unb  gtoar  ergäbe  |jerr  gloriait  biefe  ergreifeitbe 
($efd)idfjte  nicf)t  fo  furg  unb  bünbig  ioie  fie  fjier  bes 
ridjtet  ioirb,  fonbent  mit  faftiger  WuSmalung  aller 


(Singelhet ten,  unterbrochen  bon  gasreichen 
unb  „Verfteljen  ©ie  mich!"  £)iefe  ©elbftunterbredjung 
mar  notmenbig,  bamit  ber  hochgeborene  bei  Eltern 
bleibe.  $)emt  ber  Vegirfgridjter  unterbrach  ihn  rticC;t. 
(Sr  faf$  ftumm  unb  ernft  ba,  mie  immer  unb  nur  gus 
meilen  fpielte  ein  ftilleg  Sädjeltt  um  feine  Sippen. 
$)iefe§  Sädjeln  mar  herrn  3t°rtan  unangenehm,  unb 
fo  oft  eg  fiel)  geigte,  mürbe  er  etmag  berlegen  unb  be^ 
mühte  fidh,  biefe  Verlegenheit  burdb)  hoppelt  faftige 
(Singelmalerei  gu  berbergen.  „Unb  mag  fagen  ©ie 
bagu?"  fragte  er  enblidj  tief  aufatmenb. 

„28ag  id)  bagu  fage?"  meinte  ber  Vegirfgridjter. 
„9Udjtg.  Sd)  bemunberc  nur  3l)r  poetifche§  Talent; 
2lbam  SDUdiemicg  ift  gegen  ©ie  ein  ©tümper!" 

„2Sie?  mag?  fmhoho!  id)  glaube  gar,  ©ie  glauben 
mir  nicht!  D,  Verehrter  §err  bon  -tftegrugg,  o  ber^ 
ehrter  |jerr  Sßohltljäter,  moburch  berbiene  ich  bag? 
haben  ©ie  midi)  je  auf  einer  Sitge  ertappt?  Unb  bann, 
mag  h^tte  ich  babon?  -ttein,  auf  (Sljre,  eg  ift  SBahrs 
heit,  heilige  SSa^rheit.  3d)  berfichere  ©ie,  ich  ha^e 
Sftitleib  mit  bem  28eibe  gehabt  .  .  .  gang  meg  ift  fie, 
gang  meg  aug  Siebe  gu  3hnen-  3$  habe  etmag 
gefehen,  id^,  ber  idj  hoch  .  .  .  h0^0^0  *  ©te 
berftehen  mich?  bie  Leiber  lernte!  ®attg  meg,  gang 
meg!  Unb  je|t  frage  id)  ©ie,  mag  fod  id)  iljr  fagen? 
3)er  Nathan  ift  berreift  .  .  .  berftehen  ©ie  mid)?  .  .  . 
auf  brei  SSodjen  berreift,  hoh°t)°-  &ag  $$eib  •  •  •" 

„herr  bon  Volmingfi,"  unterbrach  ihn  ber  Ves 
girfgridjter,  legte  bie  Leitung  gufammen,  in  bie  er 
bi§ her  ab  unb  gu  geblidt  hatte,  unb  r idjtete  fid)  hoc§ 


65  — * 


„Wa§  (Sie,  ber  fatßolijdße  (Sbelmann,  ber  (Sßegattin  be§ 
Subett  ©ilberftein  in  feiner  Slbwefenßeit  jagen  wollen, 
muß  idß  in  Sßr  belieben  (teilen.  Slber  icß  für  mein 
£eil,  idß  ßätte  S^nen  etWa§  gu  fagen.  Sßüßte  icß 
nidßt,  baß  ber  gange  Vornan,  ben  ©ie  mir  ba  ergäßft 
ßaben,  erlogen  ift  oom  erften  bi§  gunt  leßenSSort .  . 

„|jerr  oon  9£egru£g!" 

„3cß  Wieberßole  e£:  erlogen  öom  erften  bi§  gum 
lebten  2öort;  hätten  ©ie  fidß  mir  in  Sßaßrßeit  al§ 
Vermittler  eine£  (Sßebntdßä  angetragen,  idß  würbe  oon 
biefer  ©tunbe  ab  Sßre  (55efeUfd6)aft  nidßt  nteßr  bnlben. 
2fber  ©ie  ßaben  nur  ©paß  gemalt  in  3ßrer5frt,  bie 
freilief)  nießt  bie  meine  ift.  Sdß  erlaube  mir  feinen 
©paß  mit  ber  (Sßre  fo  acßtungSWerter  ßeute,  wie  e§ 
biefeä  (Sßepaar  ift.  Unb  barnm  erfueße  idß  ©ie  ernfte 
lidßft,  ben  ©eßerg  nießt  fortgufpinnen,  unb  wenn  ©ie 
fidß  Ruberen  gegenüber  bagu  üeranlaßt  finben,  fief)  einen 
anbem  $fteur  wiber  SBiÜen  au§gufudßen,  al§  mieß!" 

|jerr  glorian  ift  außer  fidß.  (Srftlicf)  glaubt  ißm 
biefer  merfwürbige  Sftenfdß  ba  nid£)t  unb  oerbirbt  ißm 
einen  präeßtigen  ©paß.  $lber  ba£  wäre  noeß  gu  oer; 
Winben;  §err  glorian  ift  in  biefem  Sßunft  ein  ge= 
prüfter  ‘Dulber:  e£  glauben  ißm  aueß  anbere  Seute 
nidßt£.  5Iber  biefer  $ftann  ba  geßt  fo  weit,  bie  gange 
©aeße  ernft  gu  neßmen,  faft  tragifdß!  (Sr  madßt  ©eine 
|jocßgeboren  ßerunter  Wie  einen  ©dßulbuben.  2)a§ 
fanu  man  nidßt  bnlben;  ba§  geßt  gegen  bie  (Sßre. 
$ier  ift  audß  ein  (Sinlenfen  unmöglidß.  Unb  barum 
ridßtet  er  fidß  auf  unb  ftemmt  bie  $frme  in  bie 
©eiten  unb  ruft  in  jenem  £one,  in  bem  er  fonft 

$?.  (5.  g-ranjoS,  3»ben  t>.  Söarnoio.  5 


66 


nur  bte  fjartnäcfigften  (gläubiger  anjurufen  pflegt: 
„3d&  frage  ©ie,  mit  toem  ©ie  fpredjen,  Ijofjoljo! . . .  Der* 
ftefjen  ©ie  midj?  SCRit  toem  ©ie  fpredfjen,  frage  xd) 
©ie!  $llfo  ©ie  fprecfjen  mit  mir,  glorian  öon  $8oU 
tt>in§fi.  5llfo  Oiefpett,  icf)  mu{3  feljr  bitten,  gebüfjrem 
ben  Sftefpeft!  $at  man  fdEjon  fo  ettoaä  gehört?!  (Sin 
Sügner,  ein  Kuppler,  xd)  .  .  .  fyoljoljo!  2llfo,  öerftefjen 
©ie  micf),  Sftefpelt!  SÖIeiben  ©ie  tugenbljaft,  toemt  ©ie 
Wollen,  aber  wa§  xd)  gefagt  fjabe,  ift  wafjr.  $)iefe 
(Sfjane  ift  eine  öerliebte,  leicf)tfinnige  .  . 

„ ©tili ! "  gifi d)\ enb  toie  ein  ^ßf eit  i ommt  ber  ßaut  geflogen 
unb  fjaarfdfjarf  fcfjneibet  er  bie  imponierenbe  Sfabe  entzwei. 
£)er  |jod)geborene  blidt  gur  £ljür  unb  lägt  bligfd^nell 
bie  aufgeftemmten  5lrme  nieberfinfen  unb  wirb  feljr 
blafj.  5lber  bem  SSeäirföridjter  fteigt  bie  ^eHe  Sftöte 
in£  $lntli£.  „©tiE!"  befiehlt  bie  fd^öne  grau  nodj 
einmal  unb  ftredt  bie  $anb  gebieterifdj  au§  gegen  ben 
biden,  gittemben  üftibing.  |jodj  aufgeridjtet  fielet  fie 
ba  in  ber  geöffneten  £Ijüre,  totenbleich,  aber  föniglicf) 
ftolg  unb  föniglidfj  fdjön.  ©eine  |>ocf)geboren  Ijaben 
ba£  §aupt  tief  Ijerabgebeugt  unb  laffen  bie  Unterlippe 
fjängen  wie  ba£  ©djaf  oor  bem  ®ewitter.  £)ie  grau 
fd)Iiegt  bie  Sljüre  hinter  fi<h  nnb  tritt  auf  bie  beiben 
Herren  §u.  ,,©te  .  .  .  Ijaben  .  .  .  gefjordjt,"  ftammelt 
ber  alte  ©iinber  unb  rnadjt  ben  SSerfudj  $u  lädjeln. 

„3dj  fjabe  nicht  gehorcht,"  erwibert  grau  (Eljane 
fehr  entfliehen.  „(55ott  ift  mein  geuge  —  iäj  l)abe 
fonft  nidjt  bie  ®ewoljnt)eit,  guguljören,  wa£  bie  Herren 
hier  unter  einanber  fpredjen;  e£  geht  m xd)  audj  nidjtä 
au.  $lber  idj  Ijabe  gerabe  im  Saben  l)ier  neben  ber 


67 


®£jür' bei  beit  ©ettmrgen  gu  ifjuit  gehabt  mtb  ba  fjabe 
icf)  jebe§  SSort  björen  rnüffen.  (S§  ioar  mir  bitter 
genug  unb  nod)  bitterer"  —  eine  fjeige  fRöte  flammt 
il)r  über  (Stirn  unb  langen  —  „nod)  bitterer  ift  eS 
mir,  baft  id)  fetbft  fpred)en  muft  in  biefer  ©ad£)e.  $lber 
mein  Sßatfjan  ift  nidjt  gu  |jaufe.  5llfo  muf$  id)  felbft 
Sitten,  §err  oon  23oltt>in§fi,  in§  ©efid)t  hinein  fagen, 
baft  ©ie  ein  gang  fdjledjter  ßügner  finb.  3dj  bjabe  b!o§ 
geftem  meinen  9ttann  gefragt,  ob  ...  ob  ber  $err 
Söegirf^ric^ter  ftolg  ift,  toeil  er  niemals  mit  mir  fpridjt 
unb  bie  anberen  Herren  tljun  e3  2lde.  3dj  l)abe  nichts 
23öfe§  babei  gebadjt.  Unb  barum,  §err  oon  23oltt>in»fi, 
fdjämen  ©ie  fid)!  .  . 

|)err  oon  23oltt>in£fi  tl)ut  toie  iljm  befohlen  toirb: 
er  fcfjämt  fid).  $)ie  Unterlippe  I)ängt  feljr  tief  fierab 
unb  er  ergebt  bie  Gingen  nid)t  oom  23oben.  §err  oon 
9ßegru§g  aber  fieljt  bie  grau  ftarr  an  unb  toenbet 
feinen  S3Iicf  oon  d)x.  ©£  ift  oieUeic^t  nid)t  gut,  baf$ 
er  biefe  ftolge,  lebenbige  ©djönl)eit  fo  in  fidj  aufnimmt, 
er,  ber  bodj  nur  „eine  Xote  liebt"  .  .  . 

„$)ent  £)erm  $8egirf£rid)ter,"  fäfjrt  grau  (SI)ane 
fort  unb  ftodt  gleicf)  nad)  ben  erften  ^Sorten,  unb  al£ 
fie  bennodj  Weiter  fpridjt,  flammt  bie  IRöte  nod)  üiel 
bieder  auf,  „bem  «gerat  23egirf£rid)ter  banfe  id)  fd)ön, 
baj3  er  fid)  um  un3  fo  angenommen  b)at,  um  meinen 
9ßatl)an  unb  um  midi).  Unb  wenn  and)  ber  «gerrSöe- 
girf§rid)ter  .  .  .  nid£)t  mit  mir  fpred)en  Wid,  fo  fpred)' 
xd)  bod)  gu  if)m  unb  fag'  iljm:  ©ie  finb  ein  guter, 
braoer  Sftamt  unb  bie  Seute  Ijaben  9ftecf)t,  wenn  fie 
©ie  loben,  unb  id)  banf  3b)uen  .  . 


—  68  — 

$lud)  ber  Üöegiriföridjter  finbet  fein  SSort  ber  (5r^ 
miberung,  gerabe  itrie  ber  |)err  glorian,  mtb  f aft  fo 
mie  biefer  fdj)lägt  aud)  er  je£t  beit  23lid  51t  23obett. 
Sann  greift  er  nad)  bern  §ut  mtb  ntadjt  ber  grau 
eine  ftumme  mtb  fefjr,  fefjr  refpeftüolle  SBerbeugung 
nnb  geljt  in  feine  28ol)nuug  hinauf. 

«Seine  alte  SBirtf d) af teriit,  bie  ifyn  aucf)  liebt,  mie 
alle  2Mt,  ift  fjeute  untröftlicf).  @r  ift  fonft  bei  gutem 
$ty>petii,  aber  fjeute  rüf)rt  er  feilt  SD^ittageffen  faum  an, 
mtb  felbft  feine  £iebliitg§fpeife,  bie  $ä3pirogen,  fommett 
faft  fo  Dom  Sifcf),  mie  fie  aufgetragen  morbett.  Uttb 
’bagu  blidt  er  fo  fonberbar  brein,  fo  gait^  attberä,  al§ 
gemöljnlid)  .  .  . 

Uttb  bie  Sage  famen  unb  gingen,  nnb  feife  unb 
unbermerft  fpannen  fie  jmifd^ett  gmei  reinen  nnb  guten 
«^erjen  ein  $anb,  ba§  fiinbfjaft  nnb  oerbrecfjerifcf)  mar 
öor  (55ott  uttb  ben  9Kenfcf)en. 

$uf3erlidfj  l)atte  jener  fonberbare  Auftritt  in  ber 
flehten  SSeinftube  freilief)  feinerlei  golgen  geljabt.  ,£>öd)s 
ften§,  baft  $err  glorian  bon  $8olmin§fi  an  jenem 
Sage  feinen  üftadjmittag^,  5lbenb*  nnb  $ftad)tfd)oppen 
in  feinen  üier  SSänben  trattf,  natürlich  in  boppelter 
Quantität,  um  bie  fo  unüerbient  erlittene  Äränfung 
^u  öergeffen.  $lber  am  näd)ften  Sage  fd)on  erfc^iett 
er  jum  grüfgdjobbett  mieber  am  gemol^nten  ^lafce 
unb  nafjtn  and)  mieber  ben  gemoljnten  Sßeg  baf)itt, 
burdj  ben  Saben  nnb  an  ber  grau  be§  Kaufmanns 
ooriiber.  Slucf)  $err  bon  Sftegruäg  erfdf)ien  um  bie 
äJcittagäftunbe  pünftlid),  mie  immer.  9Zun,  bag  mar 


69  — 


Leiter  nicht  üermunberlid).  $lber  faft  unerflürtich  mar 
eg,  baft  aucf)  in  bem  Benehmen  ber  Reiben  gegen 
ß^ane  fdjeinbar  {einerlei  fttberung  eintrat.  §errt>on 
iöolmingfi  fuhr  fort,  fie  mit  feinen  getooljnten  2£i§en 
unb  «Schmeidjelreben  gu  beglüden,  unb  meun  fie  nidjtg 
ermiberte,  fo  fagte  er  ^öd)ften§:  „§o^o^o!  mie  ftolg! 
$)eghalb  bleib'  id)  bodj  in  @ie  öerliebt,  ^o^o^o!" 
Unb  ßerr  non  üftegntgg  fuhr  fort,  mit  ftummem  (Grüfte 
an  if)r  oorbeigugehen. 

Söarum?!  SBenn  fid)  gemanb  felbft  belügen  mid, 
fo  gelingt  eg  ihm  bctlb.  ,,3>d)  if)ue  eg  nicht,"  fagte 
er  fidj,  „um  nicht  bem  alten  0chmäfter  (Gelegenheit 
gu  6tid)elreben  ober  neuen  SBerleumbungen  gu  geben/' 
$lber  er  fühlte  babei  fehr  mohl,  baft  bieg  nicht  ber 
mahre  (Grunb  fei.  Unb  gumeilen  mar  er  fogar  fo 
finbifch,  ber  frönen  grau  gu  gürnen,  meil  fie  fein 
ehrlicheg  §erg  beranlaffe,  unmaf)r  gegen  fid)  felbft  gu 
fein.  SSag  aber  mar  ber  mahre  (Grunb?  Üfticht  bie 
„©djüdjternheit",  bie  ihm  bie  üppige  (Smilie  nach- 
fagte,  meil  er  einmal  nadj  einem  fehr  oerftänbnigs 
innigen  §änbebrud  ihrerfeitg  auf  gehört  hatte,  ihr  bei  $8es 
gegnuugen  überhaupt  bie  §aub  gu  reichen.  $ludj  nicht 
feine  „Unempfinblichfeit  gegen  meibliche  Steige'',  über 
melche  fid)  bie  brei  grünlichen  (Gragiett  beg  $emt 
©teueramtgöorfteherg  betlagten.  (Sr  mar  nicht  fdjüdp 
tem,  meil  bag  ein  tüchtiger  unb  begabter  Sttann  9Ue* 
manb  gegenüber  ift,  unb  mag  feine  „Unempfinblichfeit'' 
betrifft  —  ad)!  bag  23ilö  ber  fdjönen,  in  ihrer  (Sitte 
rüftung  unb  SSerlegenheit  hoppelt  frönen  grau  ha*te 
tiefem  (Sinbrud  auf  ihn  gemalt,  alg  if)m  lieb  mar. 


7Ö 


5tber  bie  (SrbärmtidEfteit  beS  §ocf>geboreueu  $crm  hatte 
i^tt  in  fo  eigentümliche  Vegiehmtg  gu  bern  ifjrn  bisher 
frentben  SSeibe  gebraut,  unb  um  nun  baS  redete 
SBort  unb  ben  redeten  £on  für  ben  Verfeljr  mit  ihr 
finben  gu  föntten,  ^ätte  er  unbefangen  fein  müffen. 
Unb  baS  mar  er  ifjr  gegenüber  nid^t,  obmotjl  er  eS 
fich  hoc§  unb  teuer  gufchmor.  Unb  mochte  er  fidE) 
noch  fo  häufig  fagen:  „3dh  fpred£)e  nic^t  mit  ihr,  bamit 
baS  alte  boshafte  SBeib  in  8dE)nürrocf  unb  ©tiefek 
Ijofen  nic^t  mieber  etmaS  gu  fdf)ma£en  ^at  —  unb 
übrigens,  maS  ha&’  idE)  benn  mit  ihr  gu  reben,  ober 
ift  eS  gar  eine  -iftotmenbigfeit,  bafj  ich  mit  ihr  rebe? !" 

—  er  füllte  bod),  ba§  er  fiel)  ba  nur  felbft  belog  unb 
mie  un£aff enb  eS  mar,  baft  er  fchmieg.  Unb  als  2SodE)e 
auf  Sßoche  öerftrief)  unb  bamit  bie  Unmöglichkeit  mudE)3, 
feinen  $e^er  8U  üerbeffem,  ba  mürbe  iljm  auch  biefeS 
tägliche  ftumme  Vorbeigehen  immer  peinlicher  unb  hoch 

—  konnte  er  eS  nicht  taffen!  Unb  um  fein  Seben  gerne 
hätte  er  gemufft,  maS  fie  bagu  fage  .  .  . 

SßaS  fagte  fie  bagu?!  Qu  Slnberen  nichts,  gar 
nichts,  auch  gu  Nathan  fprach  fie  fein  SSort  bariiber. 
Vor  jener  ©eene  hätte  fie  ihm  feljr  ruhig,  fogar  in 
($egenmart  eines  gremben  barüber  berichten  können, 
jefft  hätte  fie  eS  nicht  mehr  öermodEft.  @ogar  bie 
^etbenthat  beS  §erm  üon  VotminSki  Oerfchmieg  fie 
ihm,  als  er  enblidE)  nach  mehr  einmonatlidher  51  b? 
mefenheit  üon  feinen  ®efchäftSreifen  heimkehrte.  „Söogu 
foU  er  fich  ärgern?"  entfehutbigte  fie  fidh  öor  fidE) 
felbft,  aber  in  SBahrljeit  fühlte  fie,  ba§  fie  eS  nur 
barum  unterlieft,  um  nicht  gugteidE)  beS  VegirfSricftterS 


71 


erttäfjtten  gu  müffen.  Sine  unerffärlidje  8d^eu  Ijielt 
fie  baöon  ab.  Serabe  tt>eil  fie  fo  öiel  über  iljn  unb 
fein  23enefjmen  nacfjbenfen  muffte,  bamnt  fonnte  fie 
nicf)t  baöon  fpredjen.  Unb  fie  badjte  fo  öiel  unb  fo 
23erfcf)iebene§  barüber  —  faft  jeben  £ag  ettoa§  $lnbere£. 
„S§  ift  gar  nicfft  fdjön  öon  ifjm,  bafc  er  nicfft  einmal 
ein  SSort  an  mid)  toenben  will,  jejft,  ba  wir  bod)  bes 
fannt  finb."  Ober:  „Slaubt  biefer  f)ocf)mütige  Sf)rift 
öielleidft  im  Srnft,  baft  idj  in  if)n  üerliebt  bin,  unb 
Will  er  mir  fo  beweifen,  ba§  icf)  if)m  gar  nidft§  bin? 
$>a§  ift  nicfft  nötig,  er  ift  mir  and)  gar  nid;t§." 
5lber  bann  gleicf)  wieber:  „Sr  ift  ein  braöer  SDtatfd)! 
SSie  er  fiel)  um  mief)  angenommen  ^at !  Sr  fpridft 
getoi^  nur  be§f)alb  nidft  mit  mir,  um  biefem  biefen, 
fjäfftidftn  $8olwin§fi  allen  SSrunb  gu  Weiteren  Sügen 
51t  neunten."  3f)r  f)öufigfter  Sebanfe  aber  war:  w^)a§ 
öon  ber  Xoten  muft  waljr  fein!  Sr  liebt  fie  fo,  baf$ 
er  mit  einem  lebenbigen  Söeibe  gar  nicfft  fpred)en  will. 
Sr  fprid)t  ja  fogar  mit  ber  grau  23egirf£aftuarin  nicfft. 
Sßie  fann  man  eine  Xote  lieben?  28a3  ift  bemt 
biefe  , Siebe4  überhaupt?  ..." 

$>ie  9fladft,  bie  über  unfer  OTer  Seben  Waltet, 
gebraucht  oft  feltfame  Mittel.  §ier  bradfte  fie  groei 
Sftenfdjen  baburcf)  einanber  nafje,  bafj  fie  nicfft  mit 
einanber  fpracfjen.  ©ie  fcfjwiegen  unb  fallen  einanber 
täglicf)  unb  fcfjwiegen  fort  burcf)  lange  brei  SDionate. 
3)er  |jocf)fommer  neigte  bem  Snbe  gu,  öon  ben  Räumen 
im  $loftergarten  fielen  bie  erften  gelben  Blätter  gur 
Srbe,  bie  ,3eit  ^er  SB^ittlefe  rüdte  Ijeran  unb  9?atl)an 
trat  feine  grojft  Steife  in  bie  Sßeinlänber  an,  naef^ 


Ungarn  unb  ber  Dölbau.  5lm  (SabbatI)  nor  ben 
großen  geiertagen  sollte  er  nneberfommen.  „23leib' 
gefunb  unb  fdjau',  ba|  loir  au§  bem  nerborbenen 
SCT^oft  einen  guten  Sßeiueffig  errieten !"  —  ba£  toaren 
feine  2lbfd)ieb£tt)orte.  £)aitn  fd)lof$  er  fein  Sßeib  roie 
getoöljnlidj  feft  unb  ruljig  in  bie  $lrme  unb  füf^te  fie 
auf  bie  «Stirne.  (Sr  aljnte  nidjt,  ba|3  fie  ba  gum  lebten 
SJtal  in  feinen  Firmen  geruht. 

•v 

* 

mar  ein  Sag  im  (September,  ein  fdjöner, 
flarer,  fonniger  «gjerbfttag.  gm  Saben  ftanb  grau 
(Sfjane  unb  mog  ben  ^unben  Kaffee  unb  Quda  gu, 
im  „$afino"  brinnen  faften  §err  non  $Bolmin£fi  unb 
ber  §err  «Steueramtänorfteljer  unb  fpradjen  über  ben 
£iberali£mu§.  2We£  mie  gemö^nlicfy.  Unb  mie  ge* 
tt>öf)nlid)  trat  aud)  $err  non  9£egru§g  in  ben  Saben. 
(Sr  lüpfte  fdpoeigenb  ben  $ut,  fie  nicbte  fd)toeigenb 
ben  ®egengruf3,  unb  bann  tnoüte  er  norüber.  Hber 
er  fonnte  nidfyt,  bemt  ein  gro§e§  ga§  mit  ^dringen 
ftanb  mitten  im  üföege.  „(Sie  miiffen  l)ier  fjerunt 
fommen,"  fagte  bie  gran  unb  mie3  auf  ben  28eg 
hinter  bem  Sabentifdje. 

,,Sd)  banfe,"  fagte  er  leife  unb  ging  an  iljr  norbei. 
Samt  aber  blieb  er  bod)  fte£)en.  „(Sie  machen  Ijier  neue 
Drbnung?"  fragte  er,  um  bod)  irgenb  etma§  gu  fageit. 

»Sa,  für  ben  «gerbft  —  ba  fommen  bie  grücfpe." 

„S)a£  mar  ein  gefegneter  §erbft  ..." 

„Sa,  befonberä  bie  Stpfet  .  .  ." 

„2lud)  ber  SBein,  fagt  man.  28o  ift  benn  ber 
|jerr  üftatfjan  je^t?" 


78 


„Sefet  Wirb  er  wohl  in  ber  «gegpallja  fein.  3$ 
Weift  e£  nicht  gewift,  er  l)at  ttiätjrenb  ber  9ieife  feiten 
geit  311  fdjreiben,  aber  er  wirb  wohl  fcfton  in  £ofaft 
fein."  Unb  bann  fiegte  ber  @tolj  ber  $aufmann§frau 
über  bie  Befangenheit  unb  fie  fügte  h^su:  ,,^eit 
biefemgrüljjahr  finb  alle  ^ßotocfi  unb  (Sgartortj^fi  unferc 
£unben.  £>a  müffen  toir  natürlich  echten  Sofafter 
führen.  2tuch  öom  ^he^n  beziehen  wir  jeftt  $llle£  bireft." 

„<5o,  fo!  Sch  gratuliere."  $)amit  ging  er  in§ 
$afino.  ®a§  War  ihr  erfteg  (SJefpräch-  ©ogar  |jerr 
glorian  öon  Bolwin§fi  hätte  felbft  nach  bent  breiftigften 
@eibel  nicht  behaupten  fönnen,  baft  e§  ein  £iebe§gefpräch 
gewefen.  2lber  ba§  (£i£  war  gebrochen,  unb  an  biefe§ 
®efpräcf)  fniipfte  fich  eine  Sfteihe  ähnlicher  (Stefprädbe. 
@ie  fprachen  über  ba§  Sßetter,  über  bie  (Stefcftäfte,  über 
bie  fleinen,  alltäglichen  Borfommniffe.  Unb  feltfam, 
Wäfjrenb  fie  im  6cftweigen  fehr  befangen  gewefen  unb 
fchlieftlidj)  nur  noch  errötenb  einanber  3U  gebenfen  Der* 
mocht,  löfte  fich  Wäljrenb  biefer  ruhigen,  freunblicften 
©efpräche  bie  Befangenheit  unb  fie  würben  feft  unb 
fidfjer  im  Berfchr.  $)amal£  mochten  bie  Beiben  an 
einem  @dj)eibewege  ftehen:  entweber  malten  biefe  eim 
fachen,  ruhigen  Unterrebungen  ber  fonberbaren  Be5iehung, 
in  bie  fie  burdj  jene  @cene  unb  burch  ilw  @dhWeigen 
geraten  Waren,  gän^lid^  ein  (Snbe,  ober  au£  biefem  Berfehr 
baute  fich  jene  Besiehung  erft  redht  auf,  öiet  tiefer,  oiel 
gefährlicher  al§  früher,  weil  fie  nun  wirtlich  in  gegem 
feitiger  Bertrautheit  wuselte  unb  nidb)t  mehr  in  blauen 
Xräumen.  @ie  ahnten  nicht,  baft  fie  an  jenem  @cheibc* 
Wege  ftanben,  unb  alä  fie  fo  allmählich  immer  öer* 


74 


trautcr  Würben  uttb  immer  länger  mit  einanber  fpradfjen 
unb  immer  mehr  Gefallen  an  einanber  fanben,  ba 
ahnten  fie  auch  nicht,  baf;  fie  nun  gemählt  unb  einen 
2ßeg  betreten  Ratten,  bernadj  benSBerhältniffen  guSSehunb 
(Sntfagung  führen  mufjte,  ober  tief  gur  ©chanbe. 

©ie  ahnten  e£  nid^t.  SBie  Ratten  fie  fonft  fo 
unbefangen  $)inge  befpredjen  fönnen,  an  bie  fidj  leidet 
ein  glühenbe§  SSort  fnüpfen  fomtte,  eine  unbebaute 
5tufmaKung  be§  |>ergen§?!  $>a  ergählte  fie  if)m  gurn 
23eifpiel  einmal,  ma§  ihr  |jerr  oon  $Solnnn§fi  oon 
feiner  Seibenfdjaft  für  eine  SSerftorbene  mitgeteilt, 
©ie  fpract)  faft  fdjerghaft  barüber,  aber  fie  bereute  e§ 
fe^r,  al£  fie  fah,  mie  fich  fein  5tntli&  bei  ber  (Srmä^ 
nung  oerbüfterte.  „Qdfj  ^ab7  Sfjuen  meh  gethan?" 
fragte  fie  beforgt.  —  „9tan,nein!"  ermiberte  er.  „3ch 
muj3  3hnen  tooljl  auch  einmal  baöon  fprechen,  nachbem 
egfchon  $lnbere  getljan  haben.  ift  an  ber©adE)e  nidf)t£, 
ma§  ich  verbergen  müjjte."  Unb  barauf  ergäfjlte  er 
ihr  bie  ©efdf)icf)te  feinet  |jergen§,  eine  einf adfye,  traurige, 
alltägliche  (55efd^id^te.  @r  hatte  al§  ©tubent  ein  äftäbs 
<J)en  geliebt,  ba§  er  unterrichtete,  bie  £ocf)ter  öors 
ne^mer,  abeliger  Eltern.  $)ie  junge  Söaroneffe  hatte 
feine  Siebe  ermibert,  aber  bie  Sßelt  mar  ftärfer  ges 
mefen  al3  ihre  |jergen;  fie  marb  einem  5lnbem  öer* 
mahlt  unb  ftarb  nach  Burger  @he.  ®ie  Subenfrau 
hörte  bie  gange  ®efchichte  an,  mie  eine  SSunbermär, 
e§  mar  etma§  barin,  ma£  fie  oor  menigen  Monaten 
gar  nicht  üerftanben  hütte  unb  ma3  fie  noch  je&t  nid^t 
gang  flar  öerftanb,  SSieUeidb)t  faftte  fie  ba£  in  bie 
grage  gufammen,  bie  fie  nach  langer  Sßaufe  an  ihn 


75 


[teilte:  „Unb  —  unb  ©ie  lieben  fie  nodt)?"  —  ,/©ie 
ift  tot,"  ermiberte  er,  „unb  idj  liebe  fie  nid£)t  mel)r 
mit  jener  Siebe,  mit  ber  id)  bie  Sebenbe  umfaßt  fjabe. 
SIber  il)r  Slnbenfen  bleibt  mir  teuer  unb  lebenbig,  bi§  idj 
fterbe.  3$  merbe  fie  nie  oergeffen."  —  $)ie  grau 
falj  lange,  finnenb  öor  fiel)  b)in.  „®ie  Siebe  mujj  etma£ 
®ro{3e§  fein,"  flüfterte  fie.  (Sr  ermiberte  nidjt§,  meU 
leidjt  Ijatte  er  bie  leifen  Sßorte  nidjt  oernommen  .  .  . 

SBodje  um  SSoclje  oerftridj.  5SDie  großen  geier= 
tage  rüdten  immer  näfjer.  Siatljan  foUte  mieberfefjren. 
$)ie  Reiben  fpradjen  über  if)n  Ijäufig,  fel)r  Ijäufig  unb 
lobten  feine  Südfytigfeit,  feine  (Sl)rlidjfeit,  fein  braöeä, 
gute§  «£jerg.  ®a§  mar  fonberbar  —  immer  mieber 
f amen  fie  auf  il)n  §u  fpredjen.  SSieUeicJjt  füllten  fie 
e§  inftinltmäfjig,  bajj  e§  notmenbig  fei,  fid)  gegenfeitig 
in  be.r  Sldjtung  für  biefett  Sftarnt  gu  beftärfen.  £)enu 
biefe  Sldjtung  mar  ja  bie  ©darauf  e  gmifdjen  if)neit 
unb  gugleidj  ber  le|te  |jalt,  an  ben  fid)  ifjr  (Sl)r=  unb 
Stedjt§bemuj$tfein  Hämmerte. 

©o  laut  ber  greitag  üor  bem  jübifdjert  Steujaljr 
fjeran,  ber  Sag  t>on  Statljan’g  Slnfunft.  9^od^  mar  ba§ 
entfdf)eibenbe  Sßort  gmifdjen  Reiben  nid^t  gefproc^en. 
£)a  braute  ber  Zufall  bie\t%  28ort  auf  i^re  Sippen 
unb  fie  erfannten,  unenblidje  ©eligfeit  unb  unenblidje§ 
2Be!j  im  |jergen,  ben  Slbgrunb,  oor  bem  fie  ftanben  .  .  . 

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$)a§  mar  an  einem  trüben,  naffen  Dftobertage. 
$)ie  9tad£)t  über  Ijatte  e3  geftürmt,  unabläffig  mar  ber 
Stegen  niebergegangen  über  ba£  öbe  ©elönbe  unb  über 
baä  büfterc  ©täbtd£)en»  ®ann  fyatte  ifjn  ber  |>erbfc 


76 


ttmtb  toeggepeitfdjt  unb  jagte  nun  ruhelos  hinter  bett 
eingelnen  SSolfen  f)er,  burd)ftöl)nte  bie  toinfeligen 
©affen  unb  toarf  oon  ben  $ßappelbäumen  ber  Sttöndje 
brüben  bie  lebten  roten,  gitternben  Blätter  nieber  in 
ben  ©cfjlamm.  toar  ein  trauriger,  trauriger  $£ag, 
unb  tuen  Kummer  ober  (Sinfamfeit  brüdte,  bem  mufjte 
e§  f)eute  hoppelt  bang  unt£  |jerg  fein. 

3m  Sabeu  fafj  grau  (£l)ane  allein,  fjeute  liefen 
fid^  feine  Käufer  blicfen.  @ie  faf)  gu,  toie  ber  SBinb 
mit  ben  blättern  fein  (Spiel  trieb.  ©ie  Ijatte  gerabe 
feine  beftimmte  ©orge  ober  fie  empfanb  fie  nid)t  beut? 
lief),  unb  bodj  tt>ar7£  iljr  fdjioer  um£  $erg,  fo  fcfjtoer. 

$)amt  fam  bie  fRofel  Sufter  in  ben  Saben,  ein 
arme£  Sfläbdjen,  aber  fd)ön  unb  üppig.  ©ie  machte 
grofje  ©infäufe  an  guefer  unb  SP^anbeln  unb  SRofinen 
unb  allerlei  ©emürg.  „$)a§  ift  gum  ©ebäcf  bei  deiner 
Verlobung  ?"  fragte  grau  (Sljane  freunblidj.  „%d)  Ijabe 
baöon  gehört  unb  toünfdj7  $)ir  oiel  ©litd.  (£r  foU  ein 
braoer  -Jftann  fein." 

,,3cf)  banf7  (Sudj,"  ertoiberte  ba£  -tlftäbdjen.  „$lnt 
^ienftag  ift  bie  Verlobung  unb  fdjon  am  gtoeiten 
3)ienftag  barauf  bie  |jocf)geit.  (§&  ift  megen  feiner 
f leinen  $inber;  er  ift  Sßitmer." 

„£)a  toirft  $)u  tt>of)l  oiel  Arbeit  fjaben?" 

,,$td£) !  toenn7§  nur  bie  Arbeit  toär7 !  $lber  er  Ijat 
auef)  eine  ©<f)ioefter  im  §au§.  Unb  bann  —  er  ift 
ein  alter  S^ann.  5lber  tt>a§  nü£t  ba  ba3  Sieben!" 
„«Ifo  ift  e£  nidjt  mit  deinem  SSillen  ?/y 
$>ie  Sfofel  fafj  erftaunt  auf.  ^)amt  ertoiberte  fie 
finfter:  „©eit  toann  fragt  man  bei  uu£  nadj  bem 


77 


SBißen?!  3d)  bin  ein  armeg  Sftäbel  tmb  er  nimmt 
mid)  uitb  üerforgt  midj  —  bas  ift  2lßeg."  Sie  gucfte 
bie  Sldfjfeln,  fuljr  fic^  über  bie  Gingen  unb  fügte  rafcf) 
fjingu:  „Uttb  bann  braud^  icf)  nocfj  gmei  £ot3ngmer  ..." 

grau  (£f)ane  fagte  nicfytg  rnefyr  unb  mog  iljr  bag 
©emünfdjte  gu.  $lber  if)re  |janb  gitterte,  alg  fie  bie 
®üte  gubrefyte,  unb  and)  in  ben  ©emidjten  oergriff  fie 
fidj  einige  9D?ate  unb  ntufjtc  meljrmalg  nadjmiegett. 

„üßttr  fdjeint,  (Sudj  ift  nid)t  moI)l,"  fagte  bie 
fRofet,  alg  fie  fortging.  „3f)v  fefjt  fo  bleic^  .  .  / 
„3dj  bin  mübe,"  ermiberte  bie  grau  unb  fanf 
auf  einen  Stuljl.  $llg  fid)  bie  £f)itr  hinter  ber  Käuferin 
gefdfjloffen  fjatte,  fcfßug  fie  bie  $änbe  borg  2lntli§  unb  fafj 
fo  lange,  lange.  ©g  maren  milbe,  müfte  Stimmen, 
bie  in  ifjr  fämpften  unb  riefen  .  .  .  „2Bann  l)at  man 
je  bei  mtg  nacf)  bem  ^Bitten  gefragt?  .  .  .  3dj  mar 
ein  arrne^  Sfläbel  unb  er  f)at  micf)  genommen  unb  fyat 
mid)  oerforgt .  .  .  mein  ©ott,  bag  ift  $lßeg  .  .  .  Slßeg!" 

Sie  l)ielt  bie  klugen  frampffjaft  gefd^Ioffen,  aber 
fie  falj  bennod)  flar  in  jenem  Slugenblide,  flarer  alg 
je  üorljer,  o  fürdjterlidj  ftar !  31)*  gangeg  Seben  lag 

oor  iljr  unb  bie  grofje  Büge  biefeg  ßebeng.  „$lßeg 
gehört  if)m,  mein  Seib  unb  meine  «Seele,  nidfjt  meil 
idj  fo  miß,  nid)t  meil  er  fo  miß,  nein!  metl  nufere 
93äter  eg  fo  für  meife  befunben  fjaben.  Unb  jefd, 
mo  icf)  füljle,  baf$  icf)  audj  ein  Sttenfcf)  bin,  ber  feinen 
ffiißen  fjat  unb  fein  §erg  .  .  .  je|t  mo  icfj  einen 
$lnbem  liebe,  je|t  bleib'  idj  elenb,  ober  idf)  muf$ ..." 
Sie  badjte  ben  ©ebanfen  nidf)t  aug;  ifyre  Sinne  be* 
gannen  fidj  gu  oermirren.  Unenblidjeg  SDHtleib  mit 


78 


fiel)  felber  überlaut  fie,  unb  bremtettb  fyetfT  quollen  i$r 
bie  $£fjränen  au§  beit  klugen.  ©ie  Bebaute  nidjt,  mo 
fie  mar,  fie  Bebaute  nicf) t,  bafj  $>er,  beit  fie  liebte  unb 
beffen  5lnblicf  fie  gerabe  barum  jej$t  am  meifteit  fürdtjs 
tete,  jeben  $lugenbti(f  eintreten  muffte.  ©ie  badete  erft 
baratt,  al£  bie  9flittag§glocfe  ber  S)omittifatter  erflang, 
unb  raffte  fidj  auf.  HBer  e£  mar  gu  fpät.  ^a  ftanb 
er  fcf)ott  in  ber  geöffneten  Sljür. 

Unb  nun  g*efcf)af)  etmaä  ©eltfame§  gmifdjen  ben 
SBeiben.  ©ie  Ratten  Bi§f)er  nie  bon  iljrer  Siebe  ge^ 
fprodjen,  fie  Ratten  mofft  aud^  nidtftä  babon  gemußt. 
2lber  mie  er  auf  fie  gutrat  unb  ifjre  |>anb  faffte  unb 
in  it) re  Gingen  Blicfte,  bie  großen,  Braunen,  tljräneners 
füllten  klugen,  bie  mit  fo  mtfäglid)  rüfjrenbem  $lu§brud 
auf  feinen  ,3ügen  hafteten,  ba  erriet  er  alle  iljre 
banfen,  ifjren  $ant})f,  ifjren  ©dfjmerg,  iljre  Siebe.  Unb 
al§  er  ifyr  bie  §änbe  brücfte  unb  i^r  bann  leife  unb  gärte 
lict)  mie  einem  franfen  $inbe  ba£  £aar  au§  ber  ©tirne 
ftrid),  ba  muffte  fie,  baf$  fein  $erg  ifjr  gehöre  unb 
baj$  fie  auf  if)n  Bauen  bürfe  Bi§  in  ben  £ob.  £>attn 
lieg  er  if)re  |)änbe  lo§  unb  trat  gurücf. 

„2Bir  merben  Diel  gu  leiben  Ijaben,"  fagte  er, 
al§  berftünbe  fidf)  il)re  Siebe  unb  aüe§  (Erringen  bott 
felbft.  „2lber  idfj  merbe  feft  fein  unb  ©ie  attdj.  3dE) 
Ijabe  Sitten  biel  gu  fagen.  5lber  Ijier  ift  nidjt  ber  rechte 
Ort  unb  l)eüte  $lbenb"  —  er  ftocfte  unb  fuljr  bann 
mit  fefter  ©timme  fort  —  „geute  $lbenb  fommt  fdjon  3*m 
9flann  gurücf  unb  id^  mag  ©ie  nid^t  gu  einer  f)eimlicf)ett 
.ßufammenfunft  hinter  feinem  Sftücfen  Bemegen.  3# 
merbe  3^en  alfo  fcfyreiben,  ma§  ic^  für  gut  fyalte.' 


1 9 


©r  briicfte  nochmals  if)re  §attb,  bann  ging  er  in  feine 
Sof)nung.  Sie  grau  erljob  fid^,  fdjidte  ben  Selling,  ber 
bisher  branden  ba§  ©ilbersunb  ^effinggefd^irrfür  biegefts 
tage  gepult  Ijatte,  in  ben Sabenunb blieb felbft  inber^üdje, 
für  ben  ©abbatlj  gu  rüften  unb  für  ben  ©mpfang  if)re§ 
9ttamte§.  ©ie  tf)at $Me§pünf tlic^,  aberbocf)inanberer$lrt 
alZ  fonft.  „©djmergt  ©ucf)  ber  ®opf,  grau?"  fragte  iljre 
äftagb,  alz  fie  plö|lidj  fielen  blieb  unb  bie  |jänbe  flad)  an 
bie  ©djläfen  brüdte,  alZ  müftte  fie  fidj  auf  fid)  felbft  bes 
finnen.  Sfjr  xvax’Z  toirr  unb  toüft  unb  bod)  lieber, 
al§  ntü^te  fie  jubeln,  ©o  verging  ber  Sag. 

©egen  $lbenb  brachte  ifjr  ber  $Imt£biener  einen 
23rief.  „SBorn  93e$irf§gerid^t  für  S^ren  Sflamt,"  fagte  er, 
aber  alz  fie  ben  Umfdjlag  entfernte,  lag  ein83rief  an  fie  bas 
rin.  ©ie  öffnete  ifyn  nid)t,  fie  gitterte  oor  bent  3nl)att. 

Sie  Sömmerung  brad)  ein,  bie  Sinter  mürben 
angegünbet  unb  fie  fprad^  ben  fdjönen  uralten  ©egenä* 
fprudj  über  fie,  mie  e§  ^flid)t  ber  |jau£frau  ift.  Saf3 
£id)t  unb  griebe  int  $aufe  mol^te,  baft  ©otte£  ©rs 
barntung  jeben  Kummer  fern  §alte,  jebe  Sßot,  febe 
©dfymacf)  .  .  .  ©§  finb  nur  wenige  Sorte  unb  fie 
fannte  bie  gormel  fefyr  gut,  unb  bod^  fant  fie  if)r  tyeute 
nur  gögernb  unb  unfidjer  über  bie  Sippen.  2lcf)!  mar 
fie  nod)  mert,  gu  ©ott  gu  beten,  fie,  ein  jübifd)  Seib, 
ba§  ben  S3rief  if)re§  d^riftlid^en  —  ©eliebten  bei  fid) 
trug?!  .  .  .  Sobeämatt  fanf  fie  auf  einen  ©i|  unb  ftöljnte 
auf  in  ^erbeut  ©eelenf  ampfe.  Sann  gog  fie  ben  S3rief 
^erpor  unb  befalj  ifjn.  ©r  mar  üerfiegelt.  ©in  ©iegel 
barf  man  am  ©abbatf)  nid)t  bredfjen.  „©3  ift  nidf)t  meine 
größte  ©imbe,"  fagte  fie  bumpf,  al£  fie  e£  bennodfj  tfyat. 


—  BO 


Sic  lae>.  ©r  fdjrieb,  wie  fe'ftr  er  fie  liebe,  tote  er 
oftne  fie  fterben  müffe  ober  Waftnfimtig  Werben.  „SBerbe 
(S^riftin,  werbe  mein  Sßeib!  Die  Sünbe  an  deinem 
(hatten  ift  nicftt  fo  groft,  Wie  bie  Sünbe  an  un§  Söeibeit, 
Wenn  Du  e£  nidfjt  i^uft.  Daft  Du  nticft  liebft,  weift 
idj  —  nun  fage  ntir  nur  nocfj  Deinen  ©ntfdjluft,  mit 
mir  gu  geften.  5Me§  Übrige  ift  meine  Sorge." 

Sie  ballte  ben  23rief  ^ufammen  unb  fdfjleuberte 
il)n  bon  fid)  unb  l)ob  iftn  bann  bodft  wieber  auf  unb 
glättete  iftn  unb  la§  iftn  wieber.  Dann  lieft  fie  bie 
«gjänbe  auf  ben  Difdj  finfen,  iljre  ginger  fcftlangen  ftdfj 
frampfftaft  in  einanber,  bie  Dftränen  ftrömten  iftr  wie 
Söädfje  über  bie  Sßangett,  unb  fdjlucftjenb  ftantmelte  fie: 
„Sflein  |jerr  unb  ©ott,  ftilf  mir,  erleudjte  micfj!  Saft 
micfj  nid)t  werben  wie  bie  ©ftfjer  greubentftal,  laft  midj 
nid^t  enben  in  Scftmacfj  unb  SBeracfjtung !  9Kein  $err 
unb  ©ott,  berlaft  midj  nid^t !  3cf)  bin  ein  e^rticf)  Söeib  ge^ 
Wefen  bisher,  mein  9ftann  ift  gut,  idj  fann  feine  ©fte= 
bredjerin  Werben.  $lber  idj  liebe  iftn,  icf)  fann  nicfjt 
leben  of )ne  iftn  .  .  .  ©r  ift  ein  braber  SJiann,  aber 
fogar  wenn  er  fo  fcftledjt  Wäre,  wie  jener  §ufar,  ber  bie 
©ftljer  unglücflidj  gemalt  fjat .  .  .  9flein  ^err  unb  mein 
©ott!  icf)  werbe  Waftnfinnig,  Ijilf  mir,  f)ilf  mir!  .  . 

Unb  wie  fie  alfo  auffdjrie  au§  ben  Diefen  iftrer 
gequälten  Seele,  fjörte  fie  nicftt,  wie  bie  Dftüre  ge* 
öffnet  würbe  unb  ein  9ttanne3fdjritt  fjinter  iljr  flattg. 
Da  berührte  eine  |janb  iftre  Sdjulter;  fie  gucfte  ent* 
por  —  iljr  ©atte  ftanb  bor  iljr. 

„Sott  jutn  ©ruft,"  rief  er  fröljlidj.  „©nblidj  bin 
icf)  ba.  Der  Sturm  f>eut  9£acf)t  ftat  bie  Straften  .  .  ." 


—  81  — 

(Sr  fd)  fte  an,  er  ftocfte.  „©fjane,"  fdjjrte  er  angftüoH 
auf,  „tt)ie  3)u  au^fie^ft  .  .  .  ©Ijane,  wa£  ift  ®ir?" 

©ie  antwortete  nidjt.  $)a  fiel  fein  33lid  auf 
ben  SBrief.  (Sr  langte  barnacf),  fie  liejs  e§  rufyig  ge? 
fcfjeljen.  (Sr  la§  bie  Überfdjrift  nnb  würbe  toten? 
bleidj.  „5ln  £>icf)  —  nnb  fol"  darauf  überflog  er 
bie  erften  feilen  unb  blidte  Ijaftig  nad)  ber  Unter? 
fdjrift.  „511)0  3)er!"  ntnrmelte  er,  „$)en  Ijätte  tdj 
nidjt  oermutet."  $)ann  la§  er  Weiter,  ©)ie  Gingen 
brangen  faft  au£  iljren  |jöl)len,  bie  §anb,  bie  ben 
SBrief  Ijielt,  gitterte,  man  faf)  bem  Spanne  an,  wie 
fe^r  er  litt.  „2Ba§?"  fcf)rie  er  an  einer  ©teile  auf, 
mit  entfefjter,  Reiferer  ©timme,  „Wa£  —  ift  ba§ 
ttwljr?"  (Sr  fügte  nid)t3  !‘ftäl)ere§  f)ingu.  ©ie  glitt  auf 
ben  Söoben  nieber  nnb  umklammerte  feine  Sfrtiee.  ©o 
la£  er  ben  53rief  gu  (Snbe.  $)ann  Warf  er  if)n  auf 
ben  £ifdj  nnb  beugte  fidj  gn  if)r  f)inab.  ,,©te^ 
auf,"  befahl  er,  „fe£e  ®id) !"  ©ie  gel)orcl)te.  „üftur 
(Sine§/  fpradj  er  nnb  trat  oor  fie  Ijitt,  „id)  Will 
nur  (Sine*  Wiffen.  SDer  (Sfjrift  fd^reibt,  ®u  liebft  if)n 
audj  .  .  .  nicf)t  Wat)r,  ba  lügt  er?!  (Sljane,  ber 
(Sljrift  lügt?!" 

©ie  fenfte  il)r  ^aupt  tief,  tief.  „£öte  midj," 
fagte  fie  leife,  aber  feft,  „töte  micf),  wenn  id)  e3  Oer? 
biene,  aber  er  I)at  bie  5BaI)rl)eit  gef  Trieben." 

üftatljan  gudte  wilb  auf.  (S§  War  eine  gräpdfje 
SSerwüftung  in  feinen  fonft  fo  ntilben,  ruhigen  ,3ü9eit‘ 
„$>ie  Söa^r^eit?"  gifd)te  er.  „Unb  2)u  bleibft  in 
meinem  §anfe,  (Sl)ebrecl)erin  ?!" 

©ie  richtete  fid)  hoc§  auf.  ©ie  war  furchtbar 

5?.  &  SYattjaft,  3«b<«  ©am«».  S 


82 


blafj,  bie  Singen  bli^ten.  „üftatfjait!"  rief  fie,  „ich 
fcfjmör’  £)ir  bei  meiner  toten  Butter,  er  f)at  fjeute 
gum  erften  9ftale  meine  $anb  Berührt!" 

(Sr  lachte  geüenb  auf.  „Unb  menn  icf)  $)ir  glaube., 
ma§  tljut'ä?!  ©ollen  mir  un§  in  3)id£)  teilen,  mir  ben 
Körper,  ifjm  bie  (Beete? !  Sft  mir  nictjt  audfj  SDeine 
(Beete  angetraut?  Unb  menn  $>u  mir  nur  deinen 
Körper  geben  fonnteft,  marum  nafjntft  $)u  midfj  gum 
Spanne?" 

©ie  trat  näljer  auf  iljn  gu  unb  tie§  bie  «gjänbe, 
bie  fie  beteuernb  erhoben  §atte,  fd^taff  ttieberfinfen.  (S§ 
mar  etma§  Unf)eimficf)e§  in  bem  23licf  ityrer  Gingen 
unb  unfjeimlicf)  Uang  e§,  al§  fie  teife,  bumpf,  brotjertb 
fagte:  „Sftat^an,  fei  nicfjt  gu  ^art.  Über  meinen 
Körper  fjabe  icf)  ben  SßiEen  unb  maf)re  $)ir  $)ein 
fRed)t !  5tber  über  meine  (Beete  Ijabe  idj  feine  SCRacf)t. 
SO^ann,  reige  micfj  nidjt  gum  Üufjerften,  id(j  leibe  ja 
ofjnefjin  entfe^Iidj!  SSarum  idj  bann  3)ein  Sßeib  ge= 
morben  bin,  fragft  $)u?!  5tdt) !  Ijabt  iljr  micf)  benn  je 
nadj  meinem  SSitten  gefragt?!" 

$)a£  Sßort  mufjte  iljn  f)art  getroffen  Ijaben,  fefjr 
fjart.  (Sr  fafj  fie  an,  trat  einen  (Betritt  gurüdf  unb 
oerftummte.  ‘Dann  mar  eine  lange  ©title  gmifdfjen 
ben  Reiben,  ©ie  mar  naef)  jenen  Porten  gebrochen 
gufammengefunfeit  unb  barg  i^r  $aupt  in  ben  Riffen 
be§  SMjebetteä,  er  ging  Saftig  auf  unb  ab.  Dann 
blieb  er  pfo^lidj  oor  ifjr  fteljen  unb  fagte  teife:  „($ef)' 
—  mir  merben  morgen  barüber  fpredfyen!" 

©ie  manfte  au§  bem  gimmer. 

(Sr  üerriegelte  bie  5Xt)üre  unb  begann  mieber  in 


83 


ber  (Stube  auf  mtb  ab  gu  gefeit,  ©ne  alte  Wienerin 
tarn  unb  Hopfte;  fie  bringe  ba§  Üßadjteffen.  (Sr  tt>ie§ 
fte  ab.  Sie  ging  mnrrenb  fort  unb  er  f)örte,  mie  fie 
gur  $öd)itt  fagte:  „‘Sag  fdjreit  ja  gu  ©ott,  mag  für 
eine  SBerttnrrung  je^t  int  §aufe  ift.  ®er  $err  riegelt 
fid)  in  bie  2£ol)nftube  ein  unb  bie  grau  in  bie  Sd)laf- 
ftube.  S3eibe  mollen  nid jtg  effen." 

Sem  Spanne  ftieg  bie  Reifte  Ütöte  ber  Sdjam  in 
bie  SBan'gcn.  „Sie  Sienftleuie  merfen  eg  fdjott,"  backte 
er,  „halb  mirb  eg  ade  2Selt  merfen!  0,  nufere  alte 
Sütta  fjat  9ted)t,  bag  fdjreit  gu  ©ott,  mag  für  eine 
SBermirrmtg  über  mein  §aug  gefommen  ift!  Unb  nur  ©ott 
fann  Reifen,  nur  ©ott  allein,  xd)  meifj  feinen  9lugmeg." 

©r  marf  fid)  auf  bag  fHufjebett  unb  fdjlofj  bie 
klugen  unb  überbaute,  mie  SütteS  fo  gefommen.  ©g 
trieb  if)tt  auf  —  er  fomtte  nidjt  rufjen,  mäf)renb  eg 
fo  milb  in  ifjm  ftürmte.  „9ßur  ©ott  fattn  Reifen?" 
fragte  er  fid)  unb  ging  mieber  unabläfftg  auf  unb  ab 
in  ber  einfamen,  lidjterfiitlten  Stube.  „Sag  ift  ein 
iljöridjteg  SBort  gemefen.  ©ott  !)at  nicfjt  bie  Sßflidjt, 
immer  ein  SS  unb  er  für  ung  gu  tfjun.  28ag  fann  ©ott 
tl)un?  (Sr  fattn  ifjn  fterben  taffen  ober  mid).  Sft 
bag  eine  £öfung?!" 

©r  preßte  bie  glü^enbe  (Stirne  an  bie  genfter? 
fcl^eibert  unb  ftarrte  in  bie  müfte,  reguerifdje  9^ad)t  f)inau§. 
„3d)  fjabe  ben  Sd)a|  befeffen,"  fagte  er  teife,  „id>  fj  abe 
ifjn  befeffen  unb  nid)t  geahnt,  baft  eg  ein  Sd)a|  ift,  big 
ein  Zuberer  gefommen  ift,  ber  fid)  beffer  barauf  üerftanb. 
SJiir  —  mir  ift  öielleidjt  dtedjt  gefc^e^en  .  . 

„Sftedjt?"  fc^rie  er  bann  milb  auf.  „9?ein,  nein! 


Sft  fte  ntcf)t  mein  3Betb?  $at  fie  mir  nicfjt  %x tut 
gelobt?  9Mn  —  mein  ift  fie,  mein  (Eigentum.  Unb 
mer  fie  mir  ftieljlt,  ift  ein  feiger  $)ieb!  .  .  . 

„(Sin  feiger  $>ieb  —  er!  (Sr  ift  fonft  ein  fo 
braoer  9Kamt,  mader  unb  tüchtig.  3l)nt  fann  id)  faum 
etmaä  ©cf)led)te§  gumuten.  $llfo  it)r,  nur  ifyr.  (Sie  ift 
bie  greolerin.  5lber  mar  fie  benn  mirftid)  mein,  mein 
(Sigentum?!  3fi  benn  ein  Vkib  eine  Sac^e,  bie  man 
befi|t  mie  einen  Sd)mud  ober  ein  §au3?  |jat  fie  nidjt 
einen  freien  Sßillen?  Unb  Ijaben  mir  fie  bemtbama(3 
nadj  iljrem  VMen  gefragt? 

„SDantalä  ift  ein  Verbrechen  begangen  morben/ 
fdjrie  er  plö^lid)  mieber  auf.  „2£a§  je(jt  gefdjieljt,  ift 
nur  bie  geredete  Vergeltung  für  jene§  Verbrechen.  Sch 
habe  bamatä  feine  Schulb  gehabt.  (Sie  audj  nicht.  Unb 
bann  f)aben  mir  rein  unb  ftedeuloä  meiter  gelebt  burdj 
lange  Saf)re.  9^mt  ift  bemtocf)  bie  Sdjanbe  über  un§ 
gefommeit,  bie  Vergeltung  für  ben  greöel.  2Ber  nimmt 
bie  Sühne  auf  ftd)?" 

(Sr  trat  an  ben  $ifd£).  „$amt  ich  mid)  öon  ihr 
fcfieiben  taffen?  5Q?ein  §erg  mirb  mir  feljr  me^e  t^nn 
—  aber  idj  frage  nicht  nach  meinem  bergen.  3ch  frage 
nicht  nach  mir;  aber  barf  id)  ba§  @ott  antf)un  unb  bem 
©efe^e? !  £)arf  ich  ein  jübifd)  $inb,  barf  id)  mein  Sßeib 
entlaffen  au§  meinem  §aufe,  bah  fte  fyiitgelje  unb  bie 
Vul)lerin  be§  (Sljriften  merbe  ober  fetbft  eine  (Sljriftin? 
$)arf  id)  e§  £ulaffen,  baf)  fo  Sd)anbe  fomme  auf  unferen 
tarnen,  auf  ben  tarnen  unfereä  (Sottet?  ..."  (Sr 
richtete  fid)  f)ocf>  auf  unb  ftredte  bie  $änbe  mie  fd)mörettb 
gegen  ben  «gjintmel:  „Unb  menn  mir  unb  ihr  ba£  |jerg 


85 


kriegt  —  auf  deinen  tarnen  foß  feine  6cf>aube  fornmen, 
auf  teilten  bauten  nicf)t,  mein  fjerr  uub  ($ott/ 

$)a  lief  er  plö^lid)  bie  fjanb  jälj  nieberftnfeu 
uub  f)ielt  iuue.  „Sft  nidfjt  fdjon  0d)anbe  auf  deinen 
tarnen  gefommen?"  gifcfjte  er  leife.  „§at  fie  nid^t 
bie  |jänbe  über  tiefe  Siebter  meinet  fjaufes?  geftreeft 
uub  gu  $>ir  gefleht,  mit  bem  23ilbe  be§  (Sänften  im 
bergen?  3ft  ba£  nidfjt  and)  ein  entf etlicher  greüel? 
Uub  faun  e£  SDein  2$iße  fein,  baf  foldjer  greöet  nod) 
länger  ttäljre,  nufer  gan3e§  £ebeu  laug?  Sannft  $)u 
ba3  ttmßen,  mein  fjerr  unb  (55ott? !" 

2)auu  faftc  er  fein  fjaupt  in  bie  $änbe  uub 
äd)5te  tief  auf.  ,,8df)  fiube  feinen  $lu§tt)eg,"  ftöfjnte 
er.  „|jilf  2)u  mir,  mein  Sott!  ®u  Ijaft  un£  deinen 
Eitlen  fitttb  getrau  burd)  3)eine  ^riefter  unb  SSeifen. 
3d;  miß  ba§  @efe£  befragen." 

(Sr  fd^ritt  auf  ben  Söitdjerfdjrauf  31t,  öffnete  ifjn 
uub  30g  einen  ber  mächtigen  Folianten  Ijeraus?.  hinter 
biefem  fjer  foßerte  ein  Heiner,  biinneä  Söüdjleüt  31U' 
(Srbe.  (Sr  artete  nidfjt  barauf,  er  trug  ben  golianteu 
3um  £ifd)e,  fdfjlug  ifjn  auf  unb  begann  barin  3U  tefen. 

(Sr  la3  feljr  lange  an  ben  oerfdjiebeuen  0teßen. 
2)anu  fdjütielte  er  ba§  fjaupt  uub  fdfjlug  ba§  23ud) 
I;eftig  31t  unb  ftanb  auf.  (Sr  legte  bie  gehaßte  gauft 
auf  ben  2)edel.  „$)a§  ®efe|  reidjt  uicf)t  au£,"  fagte 
er  fittffer,  „ba£  ©efefj  toeif  nicf)tö  Don  meinem  gaße. 
,0ie  foß  gefteinigt  merben/  fagt  ba3  ältere  ($efe£, 
uub  ba»  ©efe£  ber  Salntobim  fagt:  ,£ötct  fie,  ioenu 
3fjr  e£  fönnt,  nadj  ben  (S5efe^en  bc£  £aube»,  in  bem 
8l)r  lebt  Sännt  8l)r  e&  nidfjt,  }o  foß  fie  oerftofen 


■»j  * 


-  86  — 


fern  cm§  bem  $aufe  i^re^  (Ratten  unb  Ijeimf errett  tu 
ba§  |jau£  ifjreä  $8ater£,  unb  biefer  foIX  fie  flrafett 
unb  gültigen,  mi e  iljm  beliebt.  ©ie  fofl  efjrloä  fein 
unb  redjtlo§,  auggefdjloffen  tum  atleni  (Srbe  unb  allen 
2ßof)ltfjaten  ber  SBermanbtfdjaft.  S^r  Spante  foXC  nid6)t 
genannt  merben.'  $)a§  ©efe£  pa^t  nicf)t !"  mieber= 
Ijolte  er.  ,,©ie  Ijat  nicljt  gemein  gefreöelt,  fie  Ijat  mir 
mein  fRedjt  gemährt,  fo  rneit  e£  in  iljrer  ®raft  ftanb. 
Sljr  Körper  mar  mein  —  fie  Ijat  i^n  mir  rein  erhalten. 
Sljr  |jerg  —  id)  l)abe  ifjr  §erg  nie  begehrt.  3>a£  ®efe£ 
pafjt  nid)t.  Sßer  aber  meifet  mir  ein  t)öljere§  ©efefc?!" 

(Sr  feufgte  tief  auf  unb  fdjob  ben  Folianten  mieber 
an  feine  ©teile.  $ll§  er  bie  £§üre  feinet  33üdjers 
faften§  fdjließen  wollte,  fonnte  er  e§  nicf)t  —  ein  23üd)= 
lein  Ijatte  fidj  bagmifdjen  geflemmt.  (Sr  bücfte  fidj 
unb  Ijob  e§  auf.  (S§  berührte  iljn'feltfam,  al§  er  jene§ 
beutfdje  Söüdjlein  miebererfamtte,  in  bem  er  al§  3üng? 
ling  fo  oft  unb  fo  Diel  §eim lief)  gelefen.  Senes?  23üdjs 
lein,  ba§  er  nie  gang  oerftanben,  unb  nädj  bem  er 
bodj  immer  mieber  gerne  gegriffen,  meil  fidj  iljm  im 
Sefen  fo  feltfam  ba§  §erg  bemegte.  $)a£  23üdjlein 
mit  ben  ©ebidjten  be£  griebrid)  ©djiüer,  ba§  er  nun 
feit  langen,  langen  Sauren  nidjt  meljr  angefeljen,  unb 
ba£  iljm  gerabe  jefct  mieber  in  bie  «£jattb  fiel  in  biefer 
brangoollen,  bunflen  ©tunbe  .  .  . 

(Sr  fefcte  fidj  an  ben  Xifdj,  fd^Iug  e£  auf  unb  ht- 
gann  gu  lefen.  ©eine  Sugettb  ging  iljm  babei  mieber 
auf  unb  er  erinnerte  fidj,  tt>ie  er  biefe  ©teile  bei  ben 
großen  (Sidjen  gelefen,  unb  jene .  fjeimlidj  im  Heller, 
Wäljrenb  er  bie  Arbeiter  be§  $8ater3  beauffidjtigte* 


87 


2>ann  aber  warb  ifjrn  ber  Snljalt  be§  SBüdjteinS  fetbft 
lieber  lebenbig  unb  —  feit) am!  er  Ijatte  feitbem  nidjt§ 
Reue§  gelernt,  Ijödjften§  bie  ÜBeinarten,  unb  bennod) 
oerftanb  er  jetjt  weit  ntefjr  non  biefen  ©ebic!)ten,  al§ 
bamat§.  Unb  Wa£  er  oerftanb,  ba§  ergriff  iljn  tief, 
Weil  e£  fo  gang  anber§  war,  al§  ba§,  Wa§  er  fonft 
l)örte  unb  la§  unb  ba<f)te,  fo  gang  anber§.  £>b  beffer, 
ob  fdjlimmer,  er  grübelte  nidjt  barüber,  aber  ba  fidj 
fein  $erg  Wieber  leife  bewegte  unb  ber  Krampf  fidj 
löfte,  in  beut  e§  gelegen,  fo  modjte  e§  gewifj  nidjt§ 
©dfjlimmeä  fein  .  .  . 

©r  erfyob  fid)  unb  ging  auf  unb  ab  in  ber  fab* 
bat!)Iidjen  (Stube  unb  fpracl)  flüfternb  bie  SBorte  be£ 
23udje£  oor  fid)  f)in.  ©§  War  fefjr  ftiU  um  iljn,  uur 
bie  oieleit  bergen  fnifterten  leife  uub  guweilen  fdfjlug 
ein  oereingelter  Regentropfen  an  bie  genfter  .  .  . 

* 

S)ie  tauge,  lange  §erbftnad£)t  ging  gu  ©nbe.  £)er 
Regen  Ijatte  aufgeljört,  bie  testen  üBolfen  trieben  nodj, 
oom  28inbe  gerriffen,  am  mattgrauen  |jimmel  baljin. 
£>a£  Morgenrot  glomm  in  Dften  auf  unb  warf  feinen  üer^ 
ftärenben  (Schimmer  über  bie  traurige,  Ijerbftlidje  ©bene. 

2tudj  in  bie  Söofjnftube  be§  Rattan  ©itberftein 
brang  ba£  Morgenrot.  ©3  fanb  iljn  nocf)  wadjenb. 
5lber  er  ging  nidjt  rneljr  urntjer,  er  ftüfterte  nid)t  rneljr, 
ftumm  unb  ftiU  ftanb  er  am  $enfter/  ba§  5lntti|  gegen 
Dften  gewenbet.  Unb  ba§  Morgenrot  fpiette  um  bie§ 

blaffe,  überwachte  2lntli£,  ba§  nun  Wieber  rnfjig,  milb 

. 

unb  flar  War.  ©£  War  bie  RUtbe  unb  Margit  eine§ 
fefteu,  guten  ©ntfdjtuffe§.  $)a  er  fein  §aupt  immer 


88 


gegen  Offen  gemanbt  hielt  unb  bie  klugen  mie  oerflftrt 
blicften,  fo  mußte  er  mohl  beten.  $lber  nid)t  mit  ben 
Sippen.  (Sr  mochte  lange  fo  geftanben  fein,  ftunbenlang. 
(Sr  fjatte  mohl  oiet  auf  bem  ßergen,  ma£  er  oor  ($ott 
auSfprad)  in  jener  ftiden  ülftorgenftunbe. 

2) a  ermatten  bie  übrigen  SBemohner  be£  §aufe£. 
Unter  ben  Wienern  unb  2D?ägben  erhob  fid)  ein  gliiftern 
—  fie  mußten,  baß  etmaS  öorgegangen  mar  in  biefer 
üftacht,  menn  fie  auch  mtflar  maren,  maS  eS  gemefen. 
£)ann  fam  (Sßane  auS  ber  ©cßlafftube,  bleicß,  mit 
Übermächten,  Oom  Sßeinen  geröteten  klugen.  ©ie  ging 
gefenften  §aupte§  an  9^atßan  üorüber. 

(Sr  fprad)  fie  an.  „(Sßane,"  fagte  er  milb  unb 
rußig,  ,,id)  ßabe  meiueu  (Sntfcßluß  gefaßt.  3cß  ßoffe, 
er  mirb  gurn  ®uten  fein  für  “£)ich  unb  —  unb  für 
ißn!  Unb  ma§  mich  anbelangt,  nufer  ®ott  ift  ein 
barmßergiger  (55ott,  er  mirb  mid)  nicht  oerlaffen." 

3) aS  Seßte  fagte  er  feßr  leife,  fie  fonnte  e§  faurn 
oerfteßen.  (Sine  ^urpurröte  fcßoß  ißr  in£  5lntli§,  aber 
fie  ermiberte  nid)t§.  $)ann  ging  fie  ßinau3  unb  nach 
einer  Sßeile  brachte  fie  ißm  ba£  grüßmahl. 

Unb  bann  manbelteu  fie  23eibe  miteinanber  in  bie 
SBetfcßul',  unb  mer  fie  fo  gehen  faß,  fonnte  nicht  ahnen, 
ma§  in  ißnen  üorging.  (S§  ha^en  vielleicht  nod)  nie  gmei 
9ttenfcßen  fo  innig  gu  <35ott  gebetet,  mie  an  jenem 
©abbatl)öormittag  Nathan  unb  fein  Söeib.  Shre  ©eelen 
lagen  im  ©taube  unb  flehten  um  ©tärfung  unb  (Srljebung. 

„(gottlob  —  e£  ift  nichts,"  fagte  bie  alte  Sütta 
gu  ben  anberen  9ttägben,  als  bie  (Sl)eleute  f°  frieblidj 
aus  ber  ©cßul;  heimfamen  unb  baS  ^DUttageffen  ge* 


89 


meinfdjaftlid)  entnahmen.  2lber  nad)  bem  ©ffen  fagte 
Sftatfjan  gu  (Sf)ane:  „28a§  oollbradjt  derben  muf, 
ttrirb  am  beften  fdjnett  ooßbradjt.  8ei  guten  äftuteS, 
idj  toerbe  gu  itjrn  gelten  unb  mit  it)m  fpredtjen.  Sn 
einer  ©tunbe  Ijaft  $)u  Haren  23efdjeib." 

&ann  ging  er  in  ba£  erfte  ©todmerf,  in  bie 
2BoIjnung  be§  Segirföridjterä.  §err  non  5Regm§3  fafc 
gerabe  an  feinem  ©djreibtifcf)  nnb  mürbe  feljr  btajj, 
al§  er  ben  ©atten  be§  geliebten  28eibe£  eintreten  fal). 
©r  fürstete  mot)I  eine  peinliche  8cene.  5tber  IRatfjan 
blieb  rufjig  nnb  nad)  fjöftidjem  ©ruj^e  fagte  er:  „§err 
^BegirfSric^ter,  8ie  miffen,  marurn  id)  -$u  S^neit  fornrne, 
benn  @ie  finb  btafj  geworben.  ©ie  tjaben  meinem 
28eibe  biefen  S5rtef  f)ier  gefdjriebem  darauf  rnödjte 
icf)  S^nen  bie  Antwort  geben.  23orf)er  aber  nur  nodj 
eine  grage:  28arum  fjabett  ©ie  e§  getfjan?  ©tefjt 
ba£  ©ebot:  ,23egetjre  nid)t  S)eine3  S^äd^ften  «£jau§frau‘ 
nidjt  aud£)  für  ©ie  gefdjrieben?" 

£>er  33e§irf§rid)ter  faty  ifjrn  ruf)ig  in£  2(uge. 
„Sn!"  erwiberte  er,  „e§  ift  eine  ©ünbe.  SIber  id) 
liebe  Stjre  grau.  $)a£  ift  2Ide£.  9)?ef)r  Weij3  idj 
nidjt  gnr  ©ntfdjutbigung." 

üftatfjan  nidte.  „©3  freut  rnid),  bafj  ©ie  mir  fo 
offen  antworten.  SDie  Antwort  ift  and)  gan$  genügenb 
nnb  idj  weift  nichts  bagegen  einguwenben.  Unb  nun 
Will  id)  Sftnen  aucft  ben  23ef cfteib  auf  S^ren  23rief 
geben,  äftein  2Beib  liebt  audjj  ©ie.  $>arum  !ann  fie 
nidjt  meftr  mein  2Beib  bleiben  unb  icft  werbe  bie 
©djeibung  berantaffen.  ©ie  wirb  frei  werben.  28  a£ 
aber  bannA  §err  23e§irf£rid)ter?" 


90 


„$>amt  fjeirate  id)  fie,"  jubelte  biefer  auf. 

9£atl)an  falj  iljm  ruljig  uub  fd^arf  m%  $uge. 
„®ut!"  fagte  er.  ,,3d£)  gmeifle  nidjt,  baf$  0ie  ba§ 
tooUen.  $)enn  0ie  fiub  eiu  braoer  Sftann.  $lber  0ie 
finb  Beamter,  (Sf)rift,  öon  2tbel.  0ie  ift  ein  Suben* 
toeib.  0ie  fiub  gebitbet,  (Sljane  nid)t.  2ludj  Ijaben  0ie 
9tüdfid)ten  gu  nehmen.  SBielleidjt  laffeu  0ie  fid)  burd) 
bie  Sftüdfidjten  beftimmen  unb  ftürgen  ba§  SSeib  nur 
in  0djmadj  unb  Uuglüd.  3)em  mufj  idj  borbeugen, 
bemt  (£l)ane  mar  mein  SBeib,  unb  in  bem  Stugenblide, 
mo  bie  0ac£)e  mit  3§nen  offenfunbig  mirb,  mirb  fid^ 
\t)x  $8ater  unb  bie  gange  ©emeinbe  bon  ifjr  menben 
unb  fie  mirb  gang  berlaffen  fein.  Unb  bann  muft  id) 
midj  ber  (Sfyane  annel)men,  meil  idj  —  bodj  ba§  gefjt 
0ie  nidjt§  an.  SDarurn  fage  idfj  SIjnen  @ine§,  furg, 
flar:  heiraten  0ie  bie  (Sf)ane  nid^t,  fo  töte  id) 
0ie,  fo  mafjr  mir  ($oit  ^ elf e !  0ie  finb  ber^jerr 
23egirf§rid)ter,  id)  bin  nur  ein  Sube.  0ie  Ijaben 
f)unbertfad£)e  Mittel,  midj  oljnmädjtig  gu  inanen.  $lber 
mein  SSort  merb’  idj  bennoctj  galten!" 

$)er  23egirf§ridjter  mar  bleidj  gemorben  unb  er= 
Ijob  mie  beteuernb  bie  §anb.  5lber  üftatljan  fiel  iljm 
fdjarf  in§  2Bort:  „0djmöreit  0ie  nidjt!  Ratten  0ie  8f)r 
SSort,  bamit  id)  ba§  meine  nidt)t  gu  Ratten  braune.  Sn 
ben  nädfyften  Sagen  ift  bie  0djeibmtg.  2Bünfcl)en  0ie, 
bajj  (Sljane  länger  in  meinem  §aufe  bleibt,  fo  fjabe 
id)  für  einige  Söodjen  nidjt§  bagegen.  $lber  nodj  eins 
mal!  Sft  bie  ßljane  nid)t  in  gmei  Monaten  Sfyr  Sßeib, 
fo  finb  0ie  ein  toter  Ülftann.  £eben  0ie  mof)l!" 

Sann  ging  er  l)eim  unb  fagte  gu  feinem  SBeibe: 


„2Bir  Werben  morgen  oor  ben  fftabbi  geilen  unb  er^ 
flären.  Wir  fjätten  eine  unbefiegbare  Abneigung  gegen 
einanber.  ©a§  ift  ber  einzige  ®runb,  auf  ben  Ijin  er 
un§  gleich  fd^eiben  muf$.  ©er  Efjrift  f)at  oerfprodjen, 
bajj  er  ©id)  heiratet.  $ätte  er  eS  früher  nidjt  ernft 
gemeint,  je|t  wirb  er'£  ttjun  .  .  ." 

„SRat^an !"  rief  fie  unb  glitt  gu  feinen  güfjen 
nieber  unb  bebecfte  feine  $anb  mit  Hüffen  unb  ©frönen. 
„Üftattjan!  28a§  bift  ©u  für  ein  guter  SCtfenfdj!" 

„üftein!"  fagte  er..  „(S§  ift  feine  befonbere  ®üte 
babei,  e§  ift  nur  ^ßffidjt.  Sdj  fitfjne  eine  ©djulb,  bie 
freitidj  nidjt  bie  meine"  ift.  ©ie  tjaben  mZ  gufammen' 
gegeben  unb  nidjt  gefragt,  ob  wir  einanber  mögen. 
©a§  war  eine  ©ünbe  unb  fie  fjat  fidj  geräcfjt.  ©enn 
xd)  liebe  ©id),  Wenn  idj  t§>  aud)  erft  feit  geftero  er^ 
fannt  §abe,  ©u  aber  liebft  midjt  nidjt,  fonbern  einen 
Hnbent.  ©oft  id)  ©idj  oon  biefem  ©einem  ($Iüde 
feraljalten?  (S§  Ijat  ja  jeber  9ftenfdj  ein  $fted)t  barauf, 
gtiidtid)  gu  fein,  ©a  füfjne  id)  je^t  lieber  ben  alten, 
ben  erften  greoef.  ©o  fte^t  bie  ©adje  —  ©u  fiefjft, 
e§  ift  gar  feine  @üte  Oon  mir.  üftur  (Sin§  bebrüdt 
meine  ©eele:  ©u  fädft  oon  unferem  stauben  ab  unb 
idj  fjelfe  bagu.  $fber  id)  Ijabe  @ott  fo  feljr  um  $ers 
geiljuug  bafür  angeffefjt,  bafj  idj  Ijoffe,  er  wirb  mir 
oergeben.  (Sr  fief)t  mein  |jerg,  er  weifj  ja:  id)  fann 
nidjt  anberä  ..." 

* 

(S§  bleibt  Wenig  mefjr  gu  berieten  übrig. 

Sftad)  einigen  ©agen  fjatte  Sftattjan  bie  ©Reibung 
burdjgefe^t  unb  wenige  SSocbeu  barauf  warb  (Sfjaue 


92 


bie  ©attin  be*  Begirf»richier§.  Seit  3afjr  unb  (lag 
hatte  fein  Ereignis  fo  ungeheure^  Sluffehen  im  Sattbe 
gemalt,  wie  biefe§.  Ungäblige  Berwünf jungen,  D^eib 
unb  ÜÜftfjgunft  folgten  bem  ißaare,  unb  felbft  bie  $£o\)b 
mollenben  fdjüttelten  ba§  fjaupt  über  ben  feltfamen  Bunb. 

3§r  roiBt,  ba|  ficf)  bie  glücke  al3  macf)tlo»  ers 
toiefen  haben,  unb  bie  Befürchtungen  al§  unbegrünbet. 
3^t  wißt,  baß  (Statte,  baß  grau  d^riftine  öon  ![ftegru»g 
a£§  glücfliche  ©attin  unb  Butter  in  bemfelben  §aufe 
wohnt,  oor  beffen  Schwelle  öftrer  greubenihal  fterben 
muffte,  weil  fie  einen  Sänften  geliebt.  diesmal  hQt 
fich  bie  Siebe  ftärfer  erwiefen,  al£  ber  ©laube.  (Sie 
hat  fich  nahezu  wunberthaiig  erwiefen.  $enn  fie  h^t 
nicht  nur  alle  §inbemtffe  meggeräumt,  fonbent  tro£ 
aller  wibrigen  Berhältniffe,  tro£  ber  Berfdftebenheit 
ber  ©begatten  ben  Bunb  ber  neuen  ©he  fchön,  frieb^ 
lieh  unb  ftarf  gemacht.  ©3  mar  eben  bie  echte  Siebe, 
unb  biefe  ift  ja  auch  wunberthätig  unb  allmächtig,  wie 
©ott,  ber  auserwählte  fjjergen  burch  fie  begnabet. 

üftur  ein  (Schatten  trübt  ®htiftinen§  ©lücf.  ©3 
ift  bie£  nicht  ber  Umftanb,  bajj  grau  ©milie  fie  faum 
be£  ©ruf$e§  würbigt  unb  baft  bie  brei  (Xöchter  be£ 
SteueramtSüorfteher»,  bie  im  Saufe  ber  geit  gang  alt 
unb  gang  grün  geworben  finb,  ihr  bei  gufälligen  Bes 
gegnungen  ben  SRücfen  lehren,  ©s  ift  auch  tticht  ba£ 
freche,  üertraulicfje  Sächeln,  mit  bem  ihr  |jerr  oon 
BolwinSfi  bei  jeber  Begegnung  guflüftert:  „Sch  ha^ 
hoch  guerft  bemerft,  h°h°^°  */7  ^  ift  ein  wirtlicher 

Schatten  in  ihrem  lichten  Seben.  3)a3  ift  ber  ©roll 
ihre»  BaterS,  ber  wohl  ent  enbeu  wirb,  wenn  ber 


alte,  einfame,  »erbitterte  SJcattn  bie  Slügen  güm  eiotgeit 
@cf)lumnter  f stiegt. 

Statljan  Ijat  fid)  bemüht,  if)r  and)  biefeu  Kummer 
oom  bergen  gu  nehmen,  aber  e§  ift  if)m  rtid)t  ges 
lungen.  (Sr  giebt  freilid)  bie  Hoffnung  nicf)t  auf  uttb 
befud)t  ben  alten  Sftamt  jebe§ma(,  fo  oft  er  nadj 
SBarnoto  gurüdfeljrt.  (S3  gefd)ieljt  nur  toenige  SDtalc 
im  3af)re  unb  immer  auf  furge  geit.  Sa3  (5>efcb)äft 
im  @täbtd)en  füt)rt  ein  SBetter  für  ifyn,  er  fetbft  ift 
faft  immer  auf  Steifen,  bie  ifjn  fel)r  toeit  fiteren,  bi£ 
nadj  Stalien  unb  in  ba3  füblidje  granfretdj.  (Sr  ift 
fein  Heiner  Kaufmann  me^r,  fonbern  ber  erfte  SSeim 
grofjfjänbler  be£  Saitbe§. 

(Sr  ift  unüermäljlt  geblieben.  (Sinntal  f)ie^  e§, 
er  fjabe  ficfj  mit  einem  fdjönen,  reidjen  SDtäbdjen  auä 
(Sgernotoil  oerlobt.  Slber  e§  ift  nidjt§  barauä  ge* 
morben.  Sßarunt?  Sa§  toeijj  nur  eine  6eele  auf  ber 
2Mt,  grau  (Sfyriftine. 

(S§  ioar  ba§  eingige  SDZal,  too  fie  mit  einanber 
gefprodjen,  feit  fie  au§  feinem  ^aufe  gegangen.  Senn 
mit  bem  SBegirfäridjter  fpridjt  Statljan  Ijäufig  unb  un¬ 
befangen,  unb  bie  beiben  93übdfjen  finb  in  ben  Sagen, 
too  er  gu  |jaufe  ift,  faft  meljr  im  Saben,  al3  oben 
bei  ber  SDtutter,  aber  mit  (Sfjriftüten  Ijat  er  jebe£ 
SSieberfeljen  oermieben.  Stur  einmal,  gufällig,  al§  eben 
jene£  ©erüdjt  unter  ben  Seuten  toar,  fügte  fidj  eine 
Begegnung.  Sie  beiben  Knaben  fafjen  bei  Station  auf 
ber  ^olgbanf  im  |jau3flur  unb  freuten  fid)  ber  fdjönen 
©efdjenfe,  bie  er  iljncn  mitgebracljt  Ijatte.  60  blieben  fie 
lange  au$  unb  bie  Butter  fam  felbft  fjerab,  fie  m 


94 


ljolett.  0ie  liefen  ifyr  jubelnb  entgegen,  geigten  ifjr  bie 
0ad)en  nnb  führten  fie  gu  bern  Kaufmann. 

0o  ftanben  fidj  bie  beiben  9ftenfd£)en  ttadj  langer 
Seit  lieber  gegenüber.  „Sdf)  baute  8l)nen,  Qtxx  0iU 
berftein/  begann  fie  gögernb,  aber  bann  öerbefferte 
fie  fidj  fogleid^  nnb  ttueb erfjolte:  „3dj  baute  ^ir, 
Sftatljan  —  tt>ie  gnt  gu  ben  $inbent  bift!" 

„(§;£finb  fo  liebe  Shtabeit,"  ertoiberte  er  geprefjt.  „(§:£ 
freut  midj  feljr,  feljr,  bajj  e§  $)ir  fo  gut  gelji,  Statte." 

„3a,"  ertoiberte  fie,  „idj  bin  fel)r  glüdlid). 
Unb  .  .  .  $)u?" 

„3dj  banfe,"  fagte  er,  „bie  ©efdjäfte  gelten  gut." 

„Unb  bann,"  meinte  fie,  „Ijabe  idj  neulich  nodj  eüoaä 
gehört,  toa§  mid)  feljr  gefreut  Ijat  —  üon  ßgentottnp." 

„0,  bamit  ift  e£  nidjtä,"  ioeljrte  er  ab. 

„SSarum?"  fragte  fie.  „(£§  fod  ein  fdjöne$, 
braöe£  9J?äbdjen  fein." 

(Sr  faf)  fie  an,  bann  fdjlug  er  ben  53lid  gu  $8oben 
nnb  eine  Ijolje  fHöte  überflammte  fein  männlidjeä 
5lntli£.  „3dj  l)abe  e§  bodj  nidjt  über§  |jerg  bringen 
tonnen,"  fagte  er  leife. 

5ludj  feitbem  finb  toieber  Saljre  oerfloffen  unb 
üftatfjan  ift  nun  ber  reid)fte  9flann  ber  ($egenb.  51  He 
SSelt  ttmnbert  fidj,  toarum  er  fo  ruf)elo£  arbeitet,  er, 
ber  bodj  für  9Uemanb  gu  forgen  Ijat.  5lber  üftatfjan 
pflegt  auf  folctje  fragen  gu  emibera,  er  toiffe  fctjou, 
für  toen  er  arbeite  .  .  . 

V 


Jroet  (R^fter. 

v 

f)Mer  iemaI§  ^artl0^  Qctüefen  ift,  ber  !)at  geioif3 
ö v&f  auch  bie  alte  grau  |janna,  be§  SSorfteljerä 
SKutter,  femten  gelernt  unt)  ficfj  ehrlich  gefreut  an  ihrer 
feinfühligen,  gmnbgütigen  Slrt,  nnb  tner  rtic^t  bort  mar, 
bem  ift  faum  eine  SSorfteßnng  baöon  gu  geben,  mie  lieb 
nnb  fing  biefe  (55reifirt  mar.  „fabele"  (©rofjmütterdhen) 
nannten  fie  alle  Sente  be§  ©täbtdhen§,  nicht  blojs  ihre 
eigenen  ©nfelfinber,  nnb  mit  gutem  ©runbe,  bemt  fie 
ftanb  Sillen  bei  mit  fRat  nnb  %hat,  uitermüblidh  ihr 
gange§,  langet,  gefegneteä  Seben  hinburch,  nnb  auch 
3ene,  bie  meber  ihr  (55elb,  noch  ihren  93eirat  brandeten, 
fnchten  fie  gerne  auf,  um  fich  eine  leere  ©tunbe  mit 
einer  h^Wen  ©ef deichte  au§füKen  gu  laffen.  ©ie 
mar  al§  ©rgählerin  ebenfo  gefehlt  nnb  geliebt,  mie 
al§  Helferin,  nnb  mer  an  einem  ©abbath  Nachmittage 
im  ©ommer,  gegen  bie  britte  ©tnnbe,  an  ber  alten 
©httagoge,  ber  „Snbenburg"  oorüberging,  fonnte  mit 
eigenen  Singen  feljen,  mie  Spiele  ihr  gerne  lanfdfjten, 
nnb  gugleich  mit  eigenen  0hren  vernehmen,  mie  fehr 
fie  bie§  Oerbiente,  $)a  fa§  bie  ©reifin  auf  bem  £repp^ 
djeit  im  ©chatten  nnb  um  fie  her  mohl  an  bie  fünfzig 


—  96 


®ämter  unb  grauen,  btcf)t  gefd£)art  unb  tautlo£,  um 
fein  28ort  an£  biefem  SKunbe  gu  oerlieren.  28a§  fie 
ergählte,  ift  balb  gefagt:  (55efc^icf)ten  au§  bem  Seben 
ber  ©emeinbe,  bie  fie  gehört  ober  mit  angefefjen;  mie 
fie  ergäf)tte,  märe  faum  gu  fcfjübem.  2Benn  ich  e3 
bennocfj  unternehme,  ihr  eine  biefer  ©ef dachten  nach- 
guergählen,  fo  höbe  ich  nur  eine  Ermutigung  für  bie§ 
SBagniä:  e§  ift  jene  ©efd£)ichte,  bie  fie  am  häufigften 
gu  berichten  pflegte  unb  ich  felbft  ha&e  fie  oft  genug 
mit  angehört,  um  fie,  fo  meit  bie£  eben  in  hodhbeutfdhen 
SBorten  möglich  ift,  treulidh  miebergeben  gu  fönnen,  mic 
ich  fie  üernommeit  höbe. 

„28er  ift  gro{3,"  begann  grau  ßanna,  „unb  mer 
ift  Hein?  28er  ift  mächtig  unb  mer  ift  fcfjmach?  Unfere 
armen  furgfichtigen  Sftenfchenaugett  fönnen  ba§  fetten 
richtig  entfcfjeiben!  Un§  ift  ber  Reiche  unb  ©tarfe 
mächtig  unb  grofi,  ber  2frme  unb  hinfällige  f darnach 
unb  ftein.  2tber  in  28ahrheit  ift  e§  anberä,  nicht  ber 
Reichtum  entf Reibet,  nicht  bie  Straft  in  ben  Ernten, 
fonbem  ber  ftarfe  28ille  nnb  ba§  gnte  herg.  Unb  gu= 
meiten,  3hr  £eute,  gumeilen  lägt  ttn3  ©ott  bie£  beut* 
lieh  erf ernten  unb  mir  23arnomer  miffen  etma§  baoon 
gu  ergähten!  3mei  Sttale  ift  unfere  ©emeinbe  in  Sftot 
unb  Sammer  gemefen,  in  23ebrängni§  unb  £obe§gefahr, 
unb  gmei  SD^ate  finb  fetter  unter  un£  erftanben  nnb 
haben  bie  9^ot  abgemehrt  unb  ben  Sommerfcfjrei  in 
$>anfgebet  gemanbett.  Unb  mer  moren  biefe  fetter? 
Etma  bie  ©tärfften  unb  9teicf)ften  unter  utt£?!  höret, 
ma§  id)  ergäbe,  genau  fo,  mie  e§  gefd^eheit  ift. 

28emt  3hr  über  ben  9ttarftptah  geht,  fo  feht  3hr/ 


97 


gerabe  bor  bem  SHofter  ber  $)ominifaner,  einen  bicfen, 
großen  |>oIgbfocf  au§  bem  23oben  emportagen.  (Sr  ift 
morfdj  unb  bermittert,  unb  fängft  ^ätte  man  ifjn  meg* 
gerafft,  memt  er  nicfjt  eine  Erinnerung  märe  an  eine 
furchtbar  brangboffe  $eit.  miftt  nicf)t§  bon  biefer 
alten  ftät  —  freut  Eudfy  biefe§  ©fücfe§!  gef)  mifl  e§ 
Eudfj  nid^t  nehmen;  ma§  icij  ergäben  miß,  ift  eine  fcfjöne 
£f)at  au§  jener  Ijäfjfidjen  3e^*  ^^efer  £f)at  tnoget 
gf)r  Eudfj  freuen,  benn  fie  mar  eine  ßefbentfjat,  fo 
fjeH,  fo  ftofg,  fo  grofj,  mie  nur  jemals  eine  auf  Erben 
boübrad)t  morben  ift.  Ein  einfach  jübifcfj  Sßeib  f)at 
fie  bodbradjt;  ber  SDrang  ber  f)at  tf)r  meicf)e§ 
|jerg  geftäfjlt  unb  fie  gu  einer  |jefbin  gemalt.  £ea 
Ijiejj  fie  unb  mar  bie  ©attin  be§  reichen,  frommen 
©arnuef  —  ba§  @efcf)fedjt  ift  fpäter,  al§  bie  faifers 
licfje  |)errfd£)aft  in§  Sanb  fam  unb  beutfcije  tarnen 
für  unfere  gamifien  feftgefefct  mürben,  SSeermamt  ge¬ 
nannt  morben.  £)emt  gur  geit,  Wo  biefe  ©efcfjicfjte 
ftcfj  begeben  f)at,  ba  Ratten  mir  nocfj  feine  folgen 
tarnen.  3)a3  mar  bor  rnefjr  af§  f)unbert  Saften  unb 
mir  lebten  unter  bem  pofnifdjen  $fbfer. 

D  ba§  mar  ein  grimmiger  Sftaubbogef,  biefer  ein* 
föpftge  met^e  $fbfer!  nocf)  fein  ©efieber  unberfefjrt 
mar  xmb  fein  5luge  Har  unb  feine  gange  feft  unb 
fdjarf,  ba  mar  er  ein  ebfe§,  ftofgeä  Xier,  ba§  fdf)arf 
um  ficf)  f)ieb  unb  großmütig  2H(e£  fdfjüfcte,  ma§  unter 
feine  gfügef  ffüdfjtete.  $fudfj  mir  mof)nten  ba  burdj 
fange  brei  gaf)rf)unberte  in  £icf jt  unb  greiljeit.  5fber 
af§  ber  2fbfer  aft  unb  fcfjmadf)  mürbe  unb  bie  anberen 
Sfaubbögel  ringsum  if)m  eine  gebet  nadf)  ber  anbent 

ß.  ®.  $r anjo?,  Sitben  bon  58cmtoit>.  7 


98 


au§rupften,  ba  mürbe  er  feig,  fyeimtücfift  unb  f^tedjt, 
unb  meil  er  fid^  rtid^t  traute,  ben  ©d)nabet  gegen  bie 
Dränger  gu  gebrauten,  fo  Ijieb  er  auf  bie  meljrtofen 
Suben  Io£.  £>er  Könige  9ttac£)t  marb  gurn  ®inbers 
fpott  unb  mit  it)r  bie  greif)eit§briefe,  bie  fie  un§  ge? 
geben  Ratten.  ®ie  Hbeligen  mürben  unfere  Herren  unb 
quälten  un§  unb  fdjalteten  unb  matteten  über  unferem 
©ut  unb  ßeben,  mie  e§  il)nen  beliebte.  0,  e£  mar 
eine  unfagbare  SSebrücfung! 

Unfer  ©täbtcljen  gehörte  fcfjon  bamal§  bem  abe* 
ligen  ©efcf)l ecf)te  ber  23ortqn§fi,  benen  fpäter  ber  gute 
•$aifer  3ofepf)  ben  ©rafentitel  gefcfjenft  Ijat.  3n  jenem 
Safjre  f)atte  gerabe,|jber  junge  Sofepl)  23orÜ)n£fi  ba£ 
23efi|tum  angetreten,  ein  ftiller,  frommer,  bemütiger 
SCftenfcf);  er  mar  in  einem  Älofter  ergogen  morben. 
©eine  5lrt  mar  nidjt,  mie  bie  ber  anberen  jungen 
§erren,  er  Ijaflte  ben  Sßein,  bie  harten  unb  bie  SSeiber, 
ftanb  fetbft  ber  Sßirtfd)aft  Oor  unb  betete  täglidj  üier 
©tunben.  liegen  feine  Untertanen  mar  er  gerecht  unb 
liebreidj.  2Bir  freilief)  betamen  menig  baüon  gu  fpitren, 
gegen  un§  mar  er  Ijart  unb  graufam.  Unb  felbft 
mentt  fid(j  fein  |)erg  regen  moüte,  fo  muffte  bie§  fein 
©rgieljer  gu  üerl)inbem,  ber  jept  fein  ©ttoPaptan  mar 
unb  großen  ©inftujj  auf  if)n  Ijatte.  ©ein  Sftarne  ift 
nicf)t  auf  un§  gefommen,  man  pflegte  if)n  immer  nur 
ben  „fdjmargen  |jerm"  gu  nennen. 

SSir  Suben  gelten  un§  bamatg  fef)r  ängftlidj  ge^ 
buett,  unb  fetbft  bie  23öfen  unter  m§>  güteten  fit  öor 
jebern  Unredjt.  „Sljr  Ijabt  mir  meinen  ©ott  gefreugigt," 
Ijatte  Ja  ber  ©raf  gu  ©amuet  gefagt  unb  gümenb  §ins 


99 


gugefügt:  „Sßetje  (Sud£),  memt  icf)  einen  greöel  unter 
(Sudj  entbecfc,  id)  laffe  (£uer  9^eft  entbrennen,  mie  e§ 
cinft  (Suer  ®ott  mit  ©oborn  unb  ©ontorrfja  gett^an  fjat," 
—  ba  fönnt  3f)r  benfen,  mie  un§  gu  Sftute  mar. 

@o  tarn  ber  grüfjling  be§  ßai)te§  1773  fjeran. 
Sa§  Dfterfeft  ftanb  öor  ber  Sfjür,  unb  e£  ging  ba§ 
($erüc£)t,  bie  ^aiferin  in  Söien  moEe  ben  ^ßolen  aEe§ 
Gebiet  megnefjrnen  unb  ihre  ©epreiber  baritber  fe^en. 
$lber  vorläufig  mar  nicf)t§  baüon  gu  fel)en. 

Sn  bemfelben  alten  §aufe,  ba§  noch)  fjeute  am 
9ffarftpla|  fteljt,  im  „Selben  §aufe,"  mo^nte  bamafö 
ber  SSorftefier  ©amuel  unb  fein  Sßeib  £ea.  ©ie  maren 
S3eibe  feljr  geachtet  in  ber  ($emeinbe,  ber  9Kann  megen 
feinet  EMcf)tum§,  feiner  SHugljeit  unb  grömmigf  eit, 
unb  fein  junget  fct)öne§  Söeib  megen  ifjrer  SDftlbe  unb 
2So^ltl)ätigfeit.  ©ie  maren  gerabe  gur  Dftergeit  in 
fernerer  Betrübnis:  il)r  einziges  $inb,  ein  ^näblein 
öon  anbertljalb  Sauren,  mar  menige  Sage  öorfjer  plö^ 
lidj  geftorben,  unb  bie  Eltern  fonnten  ben  ©cpmerg 
faum  überminben.  ©o  faf^en  fie  audj  eine§  ©onntag§, 
be£  2lbenb§  fpät,  in  ftumnter  Srauer  neben  einanber. 
5lm  nädf)ften  5lbenb  foEte  ba§  Dfterfeft  beginnen,  e£ 
mar  ben  gangen  Sag  über  im  |jaufe  gereinigt  unb  ge= 
fdEjeuert  morben,  unb  bie  grau  füllte  fidt)  fef)r  mübe. 
Sa  fdfyrecfte  fie  plötEidj  ein  ^ßoefjen  am  |jau§tf)or 
empor,  ©amuel  ging  gum  genfter,  öffnete  unb  bliefte 
f)inau£.  SSor  bem  S^ore  ftanb  mit  einem  23ünbet  auf 
bem  SRücfen  ein  alte§  23auernmeib,  ba§  fläglidj  mbm 
merte  unb  ftö^nte  unb  um  Güinlafc  bat.  ©ie  fei  gu 
fdfymadj,  um  f)eute  nodfj  in  k)x  Sorf  Ijeimgufefjren, 


100 


flagte  fie,  unb  bitte  baf)er  um  ein  9£acf)tlager.  /;§ier 
ift  fein  SßirtSfjauS,"  erlüiberte  tyx  (Samuel  furg  unb 
fc^tug  baS  genfter  gu.  —  „WaS  arme  Söeib,"  meinte 
£ea,  „fallen  mir  fie  non  unferer  Sdjmede  meifen?" 
—  „(SS  ift  eine  böfe  Qät,"  ermiberte  Samuel,  „icf) 
mag  feine  grembe  in  meinem  £jaufe  bulben!"  — 
„5lber  fie  ift  ja  franf  unb  fdjmacf)/'  bat  £ea,  unb  ba 
baS  SSeib  braunen  nocf)  immer  flehte  unb  ftöfjnte, 
midfafjrte  er  if)r  unb  liej3  eS  ein.  Wa  bie  Wienerinnen 
bereits  fdjliefen,  geleitete  £ea  felbft  ben  fpäten  (55aft 
in  eine  Söobenfammer,  brachte  audj  Speife  unb  Wranf 
Ijerbei  unb  entfernte  ficf)  mit  freunblidjem  (SJrufje. 

5dn  näcf)ften  borgen  üerabfdjiebete  fid)  baS  frembe 
Sßeib  fc^on  fef)r  frü§  unter  taufenb  Wanfs  unb  Segens? 
morten.  £ea  fjatte  ben  Wag  über  feljr  üiel  für  ben 
geiertag  gu  rüften,  unb  erft  am  fpäten  Sftacfjmittag 
fam  fie  bagu,  in  jener  Söobenfammer  nad)gufef)en,  benn 
üor  beginn  beS  gefteS  modte  bie  «^auSfrau  in  allen 
Räumen  Umfdjait  galten,  ob  fiel)  nid)t  irgenbmo  nodl) 
gefäuerteS  23rot  üorfinbe.  Sn  ber  Kammer  mar  51  deS 
in  Drbnung,  nur  bie  £uft  mar  üon  einem  fef)r  mib? 
rigen  ®erucf)  erfüdt.  (Sr  üerlor  fidf)  nicfyt,  audf)  als 
£ea  baS  genfter  öffnete,  Sie  fonnte  nicf)t  entbeden, 
mofjer  ber  abfdjeuticf)e  (55erudf)  fam,  fie  forfc^te  in  aden 
(Sden  unb  fab)  enblicf)  unter  ber  SSettftatt  nacfj.  Wa 
gerann  if)r  baS  SBlut,  ifjr  §aar  fträubte  fidfj  üor  (Snt? 
fe^en.  Unter  ber  SBettftatt  lag  ber  nadte,  abgegefjrte 
Seidfynam  eines  $inbeS,  mit  breiten  SSunben  an  §atS 
unb  Sruft.  dftit  53li^eSfc^nede  burd)fcf)aute  baS  Söeib 
ben  greoel  unb  fämpfte  mit  aden  Seelenfräften  gegen 


101 


bie  Ohnmacht  $>ie  grembe  Ijatte  ben  Seichnam  in§ 
gefchleppt,  bamit  man  ba§  alte  furchtbare  Sttärs 
c£jen,  bie  Suben  fdjlachteten  (Shriftenlinber  gu  bem 
Dfterfefte,  lieber  einmal  glaubhaft  machen  uub  grau^  * 
fam  rächen  fönne.  SD^it  Vli^eäfchnelle  erfannte  fie 
auch  bie  furchtbaren  folgen,  fie  gebadete  ber  Sßorte, 
bie  ber  ©raf  gu  ihrem  Staune  gefprodhen.  Za%  arme 
SSeib  brach  faft  gufammen  unter  ber  3Sucf)t  biefer  ent 
f etlichen  ©ebaitfen.  Sich,  fie,  fie  allein  hatte  ben 
Kammer,  bie  Verfolgung  unb  ben  Zo b  über  ihr  §au3, 
über  bie  gange  ©enteinbe  heraufbefchWoren,  benn  fie 
War  ja  bie  Urfache,  bafj  }ene§  Sßeib  eingelaffen  Wor? 
ben.  Unb  Wäljrenb  fie  fo  in  £obe§ängften  bafaft, 
flang  oon  ber  ©trajje  Wilbe3  Vufen  unb  @cf)r eien  unb 
Sammem  gu  ihr  empor.  &agwifcf)en  flang  ba£  flirren 
öon  Sßaffen.  „@ie  fommen  fchon,"  flüfterte  fie  unb 
in  biefem  Hugenblicfe  bürdhgucfte  fie  ein  ©ebanfe,  fo 
feltfam  unb  gräflich,  Wie  erüietteichtnodf)  nieüorherin  eine3 
2ßeibe§  £irne  entftanben  War,  unb  bodj  Wieber  ebel  unb 
opfermutig,  wie  ihn  nur  ein  SSeib  gu  faffen  oermag.  „Sch 
habe  bie  @chulb,"  rief  e§  in  ihr,  „ich  muß  fie  büften." 

@ie  richtete  fich  h°$  auf  m<i)  Paffte  bie  Sippen  auf- 
einanber  unb  überwanb  ihr  ©rauen.  Zaun  griff  fie 
nach  ^em  Seichnam  be£  $inbe§,  füllte  ihn  in  ein 
Sinnen  unb  nahm  ihn  auf  ben  8d^op. 

@ie  horchte  .  .  .  furchtbar  langfam  ü  er  rannen 
bie  Minuten,  S)ann  hörte  fie,  wie  braunen  ber  junge 
©raf  mit  ihrem  ©atten  unb  bem  gWeiten  Vorftefjer 
heftig  fprac^,  wie  er  fagte:  „’&aä  Sßeib  hat  ba£  Stöbet 
röcheln  gang  beutlich  gehört,  deinen  ©tein  (affe  idE) 


102 


auf  bem  anbern,  wenn  xd)  ben  ßetdjnam  frnbe."  ©ie 
fjör te,  mie  bie  Männer  alle  ©entäd^er  burdjfudjten. 
2Il£  fie  fid)  ber  Kammer  näherten,  erfjob  fie  fiel)  unb 
trat  an§  offene  genfter.  $)a£  $)adj  fiel  fteif  ab,  unten 
in  ber  £iefe  befjnte  fid)  ber  ©teinfjof  be£  «gjaufeä. 

2)ie  Xijüre  marb  aufgeriffen,  ber  ®raf  trat  mit 
ben  beiben  Sßorfteljem  ein,  hinter  iljm  feine  Trabanten. 
9JUt  gedenbent  Sachen  ftür^te  ifjnen  £ea  entgegen,  mie£ 
iljnen  ben  Seidjnam  unb  fdjfeuberte  iljn  bann  burdj 
ba§  genfter,  bafj  er  auf  ben  ©teinen  be§  $ofe£  ger= 
fcf)edte  .  .  .  „Sei)  bin  eine  Färberin,"  rief  fie  bem 
(Grafen  entgegen,  „ja,  ja!  dMjmt  mief),  binbet  rnid), 
tötet  midj!  Set)  Ijab'  Ijeute  Sftadjt  mein  eigen  ®inb 
getötet,  idj  leugne  e§  nid)t!" 

£)ie  Männer  ftanben  ftarr.  <£)ann  mifbe§  Sdufen, 
©freien  uitb  gragen.  ©amuel,  ber  ftarfe,  finge 
üdtann  üerlor  bie  23efinnung.  £)ie  anberen  gaben 
burd^f dräuten  fcfjned  ben  ©acfjüerfjaft  unb  untersten 
Sea  in  ifjrer  Notlüge;  fo  adeitt  erfaßen  fie  fief)  dtets 
tung  au£  fidlerem  Untergang.  £ea  blieb  feft  bei  ifjrer 
$fu£fage.  3)er  ©raf  faf)  fie  burd^bringenb  an,  fie 
f)ielt  feinen  23ficf  ruf)ig  au§.  „|jöre,  SSeib,"  fagte  er, 
„ift  e§  mafjr,  ma§  $)u  fagft,  fo  fodft  $)u  ben  furcfjts 
barften  ülftartertob  erfeiben,  ben  je  ein  9)2enfd)  geftorben 
ift.  |jaben  aber  Rubere  ba£  $inb  gefdljfadjtet,  um 
fein  33Iut  beim  gefte  $u  trinfen,  fo  fodft  3)u  unb  £)ein 
ülftann  firaffog  auSgefjen,  nur  bie  Zubern  foden'§ 
bilden.  £)a§  fdjmöre  xd)  $)ir!  Unb  nun  —  ent= 
fdjeibe  $>idj!"  £ea  fdjmanfte  feinen  2fugenbficf.  „(£§ 
mar  mein  $inb!"  ermiberte  fie.  &>er  ©raf  fiefj  ba§ 


103 


SBeib  allein  in  ben  Serfer  führen.  (Sr  fah  too^I  ein. 
Wie  unwahrfdjeinlich  i^re  Angabe  war.  $lber  er  glaubte 
an  feine  (Seelengröfte  bei  unferem  SSolfe.  „2öenn  eS 
nicht  Wal)r  wäre,"  badjte  er,  „wie  fäme  baS  SBeib 
bagu,  fich  gu  opfern?" 

©ie  Unterfudjung  brachte  nicht  bie  SSafjrijeit  an 
ben  £ag.  2lde  jitbifchen  Mengen  belafteten  bie  ßea. 
$>er  (Sine  ergä^lte.  Wie  fie  iljr  Sütb  geljafjt,  ber  2lm 
bere,  wie  fie  gebrofjt  habe,  eS  gu  töten.  2)ie  SobeSangft 
(egte  ihnen  biefe  ßügen  auf  bie  ,3unge.  $>te  einzige 
chriftliche  Zeugin  °^er  tt>ar  —  bie  «Haushälterin  beS 
„f  cf)  Warten  Herrn".  $llS  Bäuerin  vermummt,  war  fie 
an  jenem  5lbenb  vor  baS  $au§  gefommen,  um  bie 
©emeinbe  zu  verberben.  (Sie  habe  in  ber  üftadjt  baS 
$inb  rodeln  hären,  ergab jtte  fie.  £)aS  allein  fonnte 
fie  Vorbringen,  ohne  fidb)  zu  verraten,  unb  baS  pagte 
§u  ßeaS  (Stählung.  $)er  „fcfjwarge  «gerr"  felbft  fcfjien 
fich  um  bie  Unterfudjung  gar  nicht  gu  fümmern.  (Sr 
fürchtete  wohl  bie  gufädige  (Sntbecfung  feines  grevels. 

$)eS  (Grafen  IRid^ter  fprachen  baS  Urteil.  ßea 
fodte  auf  bem  Marftplajje  geräbert,  bann  enthauptet 
Werben.  Sener  §o(gb(ocf  würbe  bagu  aufgerichtet. 

5lber  ßea  ftarb  nicht  auf  ber  Mchtftätte,  fie  ftarb, 
eine  fyofyhtta gte  ©reifin,  umgeben  von  SHnbern  unb 
(Snfeln,  Viergig  Saljre  fpäter  frieblich  in  ihrem  «gaufe. 
$)ie  faif erliche  Militärregierung  War  im  (Sommer  jenes 
3ahreS  ins  ßanb  gefommen,  ein  2lubitor  übernahm 
ade  peinlichen  gäde,  ihm  entbecfte  ber  verzweifelte 
(Samuel  bie  Söafjrheit,  er  lieft  ßea  frei. 

$)er  ^olgblod  fteht  noch  heu*e-  wähnt  an 


104 


bunfle  feiten,  aber  audj  cm  eine  lidfjte,  Jjelbenmütige 
£fjat.  Unb  ein  28 eib  mar%  ba£  fie  ooHbraif)t  Ijat,  ein 
fdl)madl)e§  28eib  f)at  bie  ®emeinbe  gerettet  .  .  . 

Unb  fiebgig  Scrtjre  fpäter,  3f)r  Seute,  fiebgig 
Saljre  fpäter  maren  mir  in  gleicher  Sebrängniä  unb 
£obe3angft,  unb  mer  f)at  un§  ba  gerettet?!  Sftidjt  ein 
2Beib,  aber  bodl)  nur  ein  flehtet  gitterigeä  ÜJKännlein, 
beffen  tarnen  iclj  blofj  gu  nennen  brauche,  um  (Eucl) 
gum  Sachen  gu  bringen.  @8  mar  SHein  Sftenbele .  .  . 
ei  fef)t,  mie  3§r  fdfymungelt!  üftmt  —  ’§>  ift  aber  audj 
ein  närrifdf)  Männlein!  $)emt  erften§  ftecft  eröollüon 
luftigen  (Schnurren  unb  meib  fie  aud§  prächtig  gu  er= 
gälten,  unb  bann  ift  er  fetber  fo  fomifcf),  ber  graus 
paarige  2ftann  mit  ber  ($eftalt  unb  bem  2Befen  eine§ 
$inbe3.  (Sr  gefjt  nid)t  burdt)  bie  (Strafen,  er  ^üpft; 
er  fpricljt  nidtjt  feine  Sieben,  er  fingt  fie,  unb  feine 
|jänbe  fcf)eint  er  nur  bagu  gu  tjaben,  um  auf  ben 
£ifd)  gu  trommeln  ober  ben  Xaft  gu  fdfylagen.  2tber 
ma§  tljut  ba3?!  —  lieber  ein  luftiger  ükenfä)  afö  ein 
$opfljänger.  Sttenbele  2lbenbftern  ift  ein  braöer  unb 
ein  großer  länger,  unb  mir  fönnen  ftolg  barauf  fein, 
baf}  er  unfer  Sorbeter  ift.  greilidO  trällert  erntancf)* 
mal  ein  rüljrenbeä  ($ebet  herunter,  al§  mär'g  ein  28alger, 
unb  fpringt  üor  ber  £f)ora  oon  einem  Sein  auf§ 
anbere,  al§  mär'  er  ein  länger  auf  bem  Sl^eater. 
2lber  unfere  2lnbadjt  ftört  ba£  nidfjt,  mir  finb  an 
$leim9ftenbele  gemö^nt  feit  Diergig  Sauren,  unb  menn 
(Einer  fidj  mit  IRed^t  über  il)n  ärgert,  fo  barf  er  e§ 
iljm  nidl)t  nad^tragen.  SDenn  ber  rnufs  baran  benfen, 
mie  SleimSftenbele  audf)  emft  fein  fann  unb  mie  er 


105 


einmal  als  armer  „Grafen"  ber  ©tabi  burcß  feinen 
©efang  einen  größeren  $)ienft  erliefen  ßat,  als  ade 
ißre  SSeifen  unb  dieicßen  burdß  ißren  dtat  unb  burcß 
ißr  ©elb.  3dß  toid  ©ucß  ergäben,  toie  baS  fam. 

3ß?  n nßt,  baß  Jeßt  ber  Sube  ein  SD^enfd^  ift,  fo 
gut  toie  jeber  Slnbere.  Unb  ttenn  jeßt  ein  ©beimann 
ober  ein  23auer  einen  Suben  fcßlägt  ober  bebrüdt,  fo 
brauet  er  nur  in  baS  §auS  §u  geßen,  too  ber  große 
$lbler  über  bem  Slßore  ßängt,  unb  ber  faiferlicße  23es 
l\xl%x\6)itx,  nufer  |jerr  üftegruSg,  oerfcßafft  ißrn  fcßon 
fein  Sftecßt.  5lber  oor  bem  großen  Saßr,  too  ber  $aifer 
ade  SKenfcßen  gleidj  gemadßt  ßat,  ba  toar  baS  nidßt, 
ba  ßat  ber  ©utSßerr  baS  9tecßt  geübt  burcß  feinen 
ülftanbatar,  aber  biefeS  fRed^t  toar  meiftenS  ein  großes 
Unrecßt.  5lcß,  $inber,  baS  toar  eine  feßr  fcßtoere  geit! 
$)em  ©utSßemt  ßat  ber  ©runb  unb  ©oben  geßört, 
bem  ©utSßerrn  bie  SKenfcßen,  bem  ©utSßernt  baS 
ülttarf  in  ben  $nodßen,  fogar  bie  Suft  unb  baS  Sßaffer 
ßaben  bem  ©utSßerm  geßört.  Unfer  |)err,  ber  ©raf 
SöortßnSfi  ßat  immer  in  $ariS  gelebt  unb  fid)  gar 
nicßt  um  fein  $8efi|tum  gefümmert.  $lde  SBodmacßten 
ßat  fein  dftanbatar  geßabt,  unb  fo  ßaben  toir  immer 
beten  rnüffen,  baß  biefer  ein  guter  ÜJftenfdß  fei,  benn  nur 
fo  ßaben  toir  rußig  leben  fönnen.  guerft  ift  unfere 
93itte  oon  ©ott  erßört  toorben  unb  ber  bide  |jerr 
©tepßan  ©rubga  toar  ein  Sftanbatar,  toie  toir  Qubett 
ißn  nidßt  beffer  toünfcßen  fomtten.  Söetrunfen  toar  er 
freiltcf)  oom  borgen  bis  gum  $lbenb,  aber  toenn  er 
betonten  toar,  fo  toar  er  luftig,  unb  toenn  er  luftig 
toar,  fo  ßat  er  nicßt  gerne  aubere  9ftenf cßen  traurig 


106 


gemacht.  2lber  einmal  mar  er  bei  ber  Mittagstafel 
befonberS  luftig  unb  nacf)  ber  £afel  fjat  iljn  ber  Sdjlag 
getroffen.  2llS  er  begraben  mürbe,  mar  grofje  SSe* 
trübniSinunferer($emeinbe.  3)enn  erftenS  mar  bieferßerr 
©rubga  mirflidj  ein  guter  Menfcf)  unb  bann  —  fonnte 
man  miffen,  mie  fein  üftacfjfolger  fein  mürbe?! 

®iefe  Betrübnis  mar  audj  fefjr  begrünbet.  SDer 
neue  Manbatar  f)iej3  griebrid)  SßoHmann  unb  mar  ein 
$)eutfcfjer.  Sonft  finb  bie  £)eutfcf)en  mitber  gegen  uns, 
als  bie  ^ßolen,  aber  er  mar  eine  2luSnal)me.  (£rmar 
ein  großer,  magerer  Mann  mit  fcfjmargen  «gjaaren  unb 
bunflen  blitjenben  klugen.  (Sein  ($eficf)t  mar  finfter 
unb  traurig  —  immer,  immer  —  er  f)at  nie  getäfelt. 
2luf  bie  Sßirtfdfiaft  unb  auf  bie  Menfc^en  Ijat  er  fiel) 
auSgegeicfjnet  üerftanben,  bie  Korber  unb  @auner  t)at 
er  gunt  ($eftänbniS  gu  bringen  gemußt,  mie  fein  $ln* 
berer,  unb  begüglicf)  ber  Steuern  t)at  tf)n  gemiß  Wie? 
manb  um  einen  |jeHer  betrogen.  5lber  uns  3uben  Ijat 
er  furchtbar  gefjaftt  unb  uns  {eben  £ag  brennenbeS 
£eib  angetfjan.  Unfere  Abgaben  f)at  er  öerbreifacf)t, 
unfere  Söljne  f)at  er  ins  Militär  geftecft,  unfere  gefte 
Ijat  er  geftört,  unb  Ratten  mir  fftecfjtSl}  anbei  mit  ben 
(Stiften,  fo  mar  unfer  Sßort  nidf)t§  unb  beS  Stiften 
Sßort  $llieS.  $luä)  bie  dauern  l)at  er  gemi|  ftreng 
gehalten,  erbarmungslos  ftreng,  unb  bie  Sftobot  f)at  feit 
Menfdjengebenfen  fein  Manbatar  in  23arnom  fo  burdt)- 
geführt,  mie  er,  Jebod)  barin  mar  nocf)  immer  eine 
gemiffe  ®erecf)tigfeit.  2lber  fobalb  eS  fidj  um  guben 
^anbelte,  f)örte  aller  $erftanb  auf  unb  alles  Sftecf)t. 

Unb  marum  oerfolgte  er  unS  fo?  Man  mujste 


—  107 


e8  nicf)t,  aber  matt  a^ttte  e3.  9ftan  ergöljlte  ftdj,  er 
fjabe  früher  groint  Sßotlmann  ge^eigen  unb  fei  ein 
getaufter  Sube  au3  ^ofen.  @r  fjabe  au§  Siebe  gu 
einem  ßfjriftenmäbdfyen  feinen  (Stauben  getredjfett,  aber 
bie  Suben  feiner  §eimat  Ratten  i^n  au§  30rn  unb 
(Smbörmtg  barüber  fo  r erfolgt  nnb  rerteumbet,  ba^ 
iljm  bie  GUtern  baä  SKäbcfjen  bod^  nicfjt  gegeben.  Sßer 
bie  $unbe  unter  un§  gebraut  fjat,  treifj  icfj  nicfjt,  aber 
trenn  man  fein  (Seficfjt  fafj,  fo  ffang  e§  nicfjt  untrafjrs 
fcfjeinficfj  unb  befonber§,  trenn  man  fein  23enefjmen 
gegen  un£  fafj.  @0  Ijaben  trir  bamal§  traurige  Stage 
gehabt,  unb  SSottmann  fjat  un§  gebrücft,  gteicfjüief,  ob 
trir  ettuaärerfcfjufbet  Ratten  ober  nicfjt.  Sßaraber  trirflicfj 
ein  (Srunb  ba,  fo  gab  e§  fein  Entrinnen  au£  feiner  $anb. 
Unb  fo  trar  e§  im  $erbfte  ror  bem  großen  Safjr. 

S3ei  un§  @ofbat  gu  fein,  ift  nicfjtä  2fngenefjme§, 
aber  in  Sftufjfanb  gar  ift  e3  ärger  afS  ber  So b,  unb 
trenn  ein  jübifcfj  ®iub  bort  gunt  Militär  abgefteüt 
trirb,  fo  ift  e§  rertoren  für  (Sott,  für  feine  (Sftem 
unb  für  ficfj  fetbft.  $ann  man  ficfj  ba  trunbem,  trenn 
bie  Suben  in  ^ufjtanb  2fflc§  tfjun,  um  ifjre  ilinber 
lo£gufaufen,  ober  trenn  ein  Süngting,  ben  ba§  Ungtücf 
trifft,  gu  entfliegen  fucfjt?!  Sßiefe  fofcfje  gälte  fommen 
ror;  manche  gtücfjttinge  trerben  eingefangen,  unb  benen 
träre  beffer,  fie  trären  nie  geboren;  manchen  aber 
gfücft  e§  aucfj,  fie  entfommen  über  bie  (Srenge,  nacfj 
ber  Dölbau  ober  gu  xtn§.  @0  ein  galt  ereignete  ficfj 
aucfj  in  Jener  ,3eit;  ein  jübifdjer  ©olbat  —  er  trar 
au§  Skrbicgotr  —  fam  bei  «gjuffiattjn  über  bie  (Srenge 
fjerein  unb  trurbe  ron  ba  nacfj  Sarootr  gebraut.  Sie 


108 


©emeinbe  tf)at  für  iljn,  ma3  fie  formte,  unb  ein  reidjer, 
milbtljätiger  ÜDfamt,  ©fjaim  ©rünftein,  ber  ©djmieger* 
üater  oon  99?ofe§  greubeni^al,  naf)m  i§n  als  ^ferbes 
fnecfjt  tu  feinen  Sienft. 

Sie  ruffifdfje  Regierung  forfdjte  natürlidj  nadj 
bem  g^djiling,  unb  alle  unfere  $mter  erhielten  ben 
23efet)l,  nadf)  ifjrn  gu  fudjen.  5ludj  unfer  9ftanbatar 
befam  eine  foldje  ©cfyrift.  ©ogleidj  Iie§  er  bie  S8or- 
fte^er  ber  ©emeinbe  gu  fic^  entbieten  unb  fragte  fie 
au§.  ©ie  erfdjrafen  fe§r,  bann  aber  faxten  fie  fidj 
unb  leugneten,  oon  bem  grembling  gu  miffen.  & 
mar  gerabe  am  Vortage  be£  y$8erföfjmmg£tageä";  mie 
fjätten  fie  am  $lbenb  oor  ©ott  treten  fönnen,  menn 
fie  ben  ärmften  oerraten  Ratten?!  Sarum  blieben  fie 
feft,  ob  audj  ber  Sttanbatar  broljte  unb  müiete.  5113 
er  fafj,  bafj  fie  entmeber  nichts  gu  fagen  mußten  ober 
nichts  fagen  moÜten,  entließ  er  fie  unb  fagte  nur 
finfter:  „ÜBefj;  (Sud),  menn  ber  Söurfdje  bod)  in  Söarnom 
ift!  3§r  fennt  midj  nod)  nic^t,  aber  barm  —  bei  ©ott, 
bann  foHt  midj  fennen  lernen!" 

Sie  Männer  gingen,  unb  e§  ift  faum  gu  fagen, 
meldje  Srauer,  gurd^t  unb  23etrübni£  biefe  Sfunbe  in 
ber  ©tabt  Ijeroorrief.  Ser  Söurfdje,  um  ben  e§  fid) 
Ijanbelte,  mar  ein  braüer,  fleißiger  SD^ettfd^ ;  man  burfte 
ifjn  nidfjt  in  feiner  üftot  üerlaffen.  Söenn  er  in  Sarnom 
blieb,  fo  mar  ba§  fef)r  gefäfjrlidf),  benn  üESoümamt 
fanb  if)n  bodj,  früher  ober  fpäter;  biefem  ülftenfdjen 
fonnte  nidjt§  oerborgeu  bleiben.  SSenrt  man  iljn  aber 
fortfdjidte,  fo  ofjne  Sßajj,  ofjne  alle  $lu»meife,  fo  fingen 
fie  ifjn  gemift  einige  teilen  meiter.  Sftan  beriet 


100 


lange  I)tn  unb  I)er,  enblidt)  fam  S^atm  ©rünftein  auf 
einen  ©infall.  ©r  ^atte  einen  SSermanbten,  metdher 
©utspächter  in  ber  9ttarntaro§  mar,  in  Ungarn,  $>orts 
f)in  foECte  ber  23urfcf)e  gleich  in  ber  Stacht  nach  beut 
S8erföf)nung§tage  abreifen  unb  nur  bie  üftädjte  gur 
gahrt  benü^en.  ©o  tonnte  er  feinen  Drängern  ant 
ficfjerften  entgegen.  5XUe  ftimmten  bei  unb  erleichterten 
|jergen£  nahmen  fie  bie  gro^e  Stftahtgeit  ein,  metche  für 
ba§  $mrchfaften  be£$Berföf)nung§tage£  ftärfenfott.  &ann 
brach  bie  Dämmerung  fyiein,  in  ber  SBetfchuF  mürben 
bie  bieten,  bieten  2ßach§Iidhter  angegünbet  unb  bie  gange 
©emeinbe  eilte  borthin,  bangen  unb  gerfnirfcf)ten  §ergen£, 
boU  $)emut  xmb  Sfieue.  *£)enn  ba§  finb  ja  bie  ferneren 
©tunben,  mo  mir  gu  unfer  Mer  fRic^ter  flehen,  bah  er 
un§  gnäbig  fei  unb  unfere  ©dfjutb  bergebe.  Sn  meinem 
©emanbe  gingen  bie  grauen,  in  meinem  ©terbefteibe  bie 
Scanner.  Mdh  (Shaim  ©rünftein  unb  fein  §au§  gingen 
bahin,  fich  bor  ©ott  gu  beugen,  barunter  auch  *>er  arme 
SBurfctje,  ber  bor  Mgft  an  alten  ©tiebern  gitterte. 

5lt3  Me  berfammett  maren  unb  ber  ©otte^bienft 
beginnen  foIXte  unb  ÄteimSCtfenbete  bie  «fjanb  ftach  an 
bie  Sehte  fetjte,  um  bie  erften  Sone  ber  „^ot^ibra" 
recht  bemegtich  unb  gitternb  herborgubringen,  entftanb 
eine  23emegung  an  ber  %§üxt,  gräftid^e  Trabanten 
befehlen  ben  M§gang,  unb  an  ben  ©it$reif)en  boriiber 
fdhritt  tangfam  §err  SSottmann  bor,  bi§  er  an  ber 
Sfjorasfiabe  ftanb,  h^t  neben  $teim50?enbete.  tiefer 
mich  gitternb  gur  ©eite,  bie  ©emeinbeborfteher  aber 
traten  bemütig  heran.  „Sdt)  mei(3,  baf$  ber  23urfcf)e  unter 
©udh  ift,"  fagte  SßoHmann.  „Söotlt  St)*  ihn  heraugs 


110 


geben?"  ^)ie  Männer  fdjtoiegett.  „9hm,"  fuljr  ber  9ttans 
batar  fort,  „fo  toerb'  idj  ifjn  benn  f offen  taffen,  toemt 
3§r  bas>  ©etljau§  öertaffet.  Unb  nidjt  nur  er,  3t)*  Stile 
toerbet  be§  $tbenb§  gebeuten,  ba§  üerfidjere  idj  (Sud). 
2)odj  nun  lagt  ©udj  nidjt  ftören,  betet  nur  immer  gu. 
3d)  tjabe  Qeit,  idj  toitt  guf)ören."  Sotenftitte  folgte;  nur 
üon  oben,  au§  ber  grauenfdjuF,  §örte  ntan  ben  fdjritten 
$lngftruf  eiltet  2öeibe§.  5Me  toaren  tote  gelähmt  oor 
©ntfe^en.  ®ann  aber  faxten  fie  fidj  unb  ertjoben  bie 
©tiefe  gu  (55ott.  ©tumm  feljrten  fie  auf  ifjre  ©i|e  gurüd. 

®teim9ttenbele  gitterte  an  alten  ©liebem.  2)annf 
aber  richtete  er  fidj  auf  unb  begann  bie  £öne  ber 
„$ots9hbra",  jener  uralten,  einfachen  SSeife,  bie  £Rie^ 
manb  öergeffen  fann,  ber  fie  einmal  gehört  Ijai.  .gittemb 
unb  uttfidjer  ftang  anfangs  feine  ©timme,  bann  aber 
toarb  fie  immer  mächtiger,  unb  flar  unb  üott  unb  t)erg^ 
betoegenb  ftang  fie  burcf)  ben  9taum  unb  über  bie 
©eter  tjin  unb  empor  gu  ©ott.  ©o  tjat  Fleins  Sftenbete 
nie  toieber  gefungen,  toie  an  jenem  5tbenb.  ©ine 
tomtberfame  2öeit)e  toar  über  ben  9ftenfdjen  gefontmen. 
©Sie  er  fo  fang,  toar  er  fein  träÜernb  Männlein  rneljr, 
fonbern  ein  getoattiger  fßriefter,  ber  für  fein  ©otf  gu 
©ott  bie  ©timme  ergebt,  ©r  badjte  an  bie  einftige 
|jerrlidjfeit  unb  bann  an  bie  oielen  3at)?ljunberte  ber 
©djrnadj  unb  ber  ©erfotgung,  unb  in  feiner  ©timme 
ftang  e£,  toie  toir  ruljeloä  gefje^t  toorben  finb  über 
bie  ©rbe,  bie  Srmften  unter  ben  Firmen,  bie  Ungtüd^ 
tidjften  unter  ben  Ungtüdtidjen.  Unb  toie  bie  ©ers 
folgungnodjnidjtgeenbetfjat,  unb  toie  immer  neue  Dränger 
gegen  un§  ben  2trm  ergeben,  unb  toie  immer  neue 


111 


©cuttertet  tu  unferem  fjleifcfie  wüßten.  SIE'  uttfer  £eib 
flang  in  feiner  (Stimme,  unfer  mtfäglidftg  £eib,  unfere 
ungätftigen  Stjränen.  SIber  nod)  etmag  SInbereg  ftang 
barin,  unfer  Stolg,  unfereguöerfidft,  unfer  ©ottöertrauen. 
0,  eg  ift  nid)t  gu  fagen,  mie  MeimSftenbele  fang  in  jener 
ferneren  Stunbe,— meinen,  meinen,  meinen  muffte  Seber, 
unb  bodj  muffte  er  mieber  ftolg  fein  ßaupt  ergeben  .  .  . 

Sie  SSeiber  meinten  laut,  alg  tx  geenbet;  bie 
Männer  fdftudjgten;  ®leimS9?enbele  aber  barg  fein 
SIntli&  in  ben  Rauben  unb  bradj  gufammen. 

SSoEmann  ijatte  fein  ©efidft  mä^renb  beg  ®e; 
fangeg  ber  Sfjora^Sabe  gugefefjrt,  bann  aber  menbete 
er  fidj  um.  dt  mar  entfefftidj  blafft  feine  $niee  gitterten, 
ber  ftarfe  Sftann  fonnte  fid^  faurn  aufredft  erhalten. 
3n  feinen  Singen  flimmerte  eg  mie  öon  freuten. 
Söanfenben  Sdftitteg,  gebeugten  §aupteg  fdftitt  er  an 
äftenbele  öorüber  unb  burdj  bie  SfteÜjen  gegen  ben 
SIu§gang.  Sort  gab  er  ben  Trabanten  einen  SBinf, 
iljm  gu  folgen  .  .  .  SBag  über  if)n  gefommen  mar, 
a^nte  man  moift,  man  fprad^  eg  aber  nidft  aug. 

SIm  Sage  nadj  bem  gefte  lieft  er  (£f)aim  ®riinftein 
gu  fid)  rufen  unb  gab  iljm  einen  mtauggefüEten  Sßaft  unb 
fagte  nidftg  bagu,  a(g:  „Sfft  fönnfg  öieEeidft  brauchen." 
SSon  ba  ab  mar  er  milbe  gegen  ung.  (5g  bauerte  aber 
nidft  lange.  gridjling  beg  „groften^affteg"  fjaben  iljn 
bie  dauern,  bie  er  einft  feljr  gequält,  erf plagen  .  .  . 

Seift,  S^r  Seute,  bag  ift  bie  ©efdjidfte  üon  uns 
feren  fettem.  Unb  nun  überbenfet  nodj  einmal,  mer 
groft  ift  unb  mer  flein,  mer  fdftoadj  unb  mer  mädftig!" 

v 


©er  trifte  ^faroff  uttö  Me  fcßötte  Juffa* 

v 

§8  ift  ein  traurige^  Sanb,  ba£  Sanb  ^ßobolten;  and) 
ber  grüfjling  fomrnt  fpät  in  bie  grofse  ©bene. 
5lber  ineil  er  ein  rechter,  fröf)lid£)er  £röfter  ift,  fo  üer= 
Hart  unb  überglänzt  er  bann  aucf)  öor  5Wem,  toa§  feinet 
$£rofte§  am  meiften  bebürftig  ift:  bie  arme,  braune  §aibe, 
bie  nun  be£  meinen,  glifjernben  2öintermantel§  beraubt 
ift  unb  mieber  öor  ©ott  in  ifjrer  entfestigen  Öbe  au3' 
gebreitet  liegt  .  .  .  ©r  aber  (oft  if)r  bie  Sappen  be§ 
alten  ©ett>anbe£  non  benSdjultem  unb  umtjüllt  fie  mit 
Jungem  ©rün  unb  |)aibeblumen  unb  erweitert  i^re 
mut  burcf)  bunte  gatter  unb  Serdjenfang.  gmf*  *ül)renb 
liegt  ber  $nil)ting  auf  ber  |jaibe;  e§  ift,  al§  fc^miege  fid) 
ein  Säcfjeln  ber  greube  um  ein  öerl)ärmte§  Slntli^. 

Unb  bann  rnadjt  er  fiel)  auf  unb  Ijält  feinen  ©im 
5ug  in§  Stäbtdjen.  5lm  ©ingange  be§  Drte§,  red)t3 
unb  linfö  ber  (Strafe,  neigt  er  feinen  gauberftab  gegen 
bie  beiben  großen,  ftreng  gefd)iebenen  0tätten  ber 
£oten,  baj3  hinter  i§m  §er  ber  ^lieber  fnofpt  unb  fid) 
in  bitten  Sölütengmeigen  miegt,  fo  über  ben  Ueinen 
ßolglreugen,  ioie  über  ben  ©rabfteinen  mit  ben  f)ebra= 
ifdjen  geilen.  £)ann  gef)t  er  burd)  bie  ©tragen  unb 


113 


neigt  feinen  (Stab  gegen  bie  genfter  unb  Xljüren  nnb 
fie  öffnen  fiel)  toeit.  Unb  bann  gegen  bie  bergen  ber 
9ftenfcf)en  unb  fie  öffnen  fidfj  and)  unb  Serben  frößlidj. 
$)er  gfrü^ltttg  ift  allgütig,  er  oergißt  aud)  berer  nidfjt, 
bie  felbft  ($ott  oergeffen  gu  ßaben  fcßeint;  felbft  in 
bie  biifteren,  bumpfigen  ($äßdjen  ber  Subenftabt  bringt 
fein  |jaud).  Unb  bie  $lrmfeligen,  ioelcße  bort  moßnen, 
empfinben  unb  grüßen  ißn,  fo  gut  fie  eben  fönnen  — 
in  ißrer  $trt.  greilid),  D^aturfinn  ßaben  fie  nid)t; 
ber  ift  ßerau§gequält  morben  au§  bem  ®emüte  biefe§ 
§8olfe£.  SSer  rußelo§  über  bie  ©rbe  geßeßt  mirb,  ber 
fann  nicßt  feßen,  toie  fdjön  bie  (£rbe  ift! 

$)od)  —  berlei  übt  ja  ber  allgütige  grüfjling  aud^ 
anbertt>ärt§.  2$a3  aber  23arnott>  betrifft,  fo  tßut  er 
l)ier  nodj  ein  befonbere^  SSunber:  er  trodnet  ba§  ge* 
toaltige  ^otmeer,  in  bem  fonft,  ißre§  (Spiegel  nidjt 
untoert,  bie  fdjmußigen  Raufer  unb  SCftenfcßen  üon 
S3arnom  ißr  23ilb  erfdjauen  föttnen;  er  rnadjt  bie 
Strafen  lieber  gangbar  unb  fogar  ben  SUngplaß,  ber 
burdj  fed)§  Monate  jebe§  3aßre§  ba§  fdjlicßte  ©täbts 
djett  in  ein  intereffanteS  ÄleinsSBenebig  oertoanbelt. 
•ftur  eilt  ^füßlein  in  ber  SDUtte  bleibt  einig  befielen, 
unb  ba§  ift  gut  unb  ioeife,  mie  Me£  in  ber  üftatur, 
bentt  ma»  träten  fonft  bie  ©djmeine  üon  Söarnom?! 

2lber  bie§  befonbere  SSunber  übt  audj  befonbere 
SBirfung:  e§  rüßrt  fogar  ba£  ßarte  §er§  ber  ßoßen 
Dbrigfeit  unb  fie  erttübert  regelmäßig  ba§  eine  Sßuns 
ber  burd)  ein  anbere§.  Mjäßrlicf)  einmal  merben 
nämlid)  —  meift  in  ben  erften  Sunitagen,  eben  nadjs 
bem  ber  grüßling  mit  ber '^ßfüße  leiblid)  fertig  ge« 

5?.  Gr.  ftranjo?,  Subcn  b.  fflavnoto.  8 


114 


Worben  —  bie  ©tragen  oon  Barnow  gefeßrt.  5Iber 
nidjt  au§  fdptöber  weltlicher  Neigung  gur  SMnlicßfeit 
gefcßießt  bieS,  fonbern  um  beS  fatßolifcßen  (Glaubens 
willen,  unb  barum  tterben  aucß  nicf)t  alle  ©traßen  ge? 
feiert,  fottbern  nur  jene,  burdj  Weldje  bie  großnteicß? 
nantS?^rogeffion  gießt.  Sßr  Bkg  aber  geßt  regelmäßig 
Hon  ber  ^Sfarrfircße  quer  über  ben  SRittgplaß,  bann 
burcß  einige  ®äßcßen  unb  über  bie  ©ereb?Brüdte  gum 
Slltar  im  ©djtoffe  be£  alten  ©taroften,  Hon  ba  gum 
SHofter  ber  SDominifaner  unb  bann  auf  fürgeftem  SBege 
Wieber  gur  ^$farr!ircße,  Weil  ba  fcßon  bie  SDUttagSfonne 
gtüßenb  nieberbrennt.  SßaS  jebocß  bie  Reinigung  biefeS 
©traßengugeS  anbelangt,  fo  Wacßt  gWar  über  ber  ge? 
famten  2tu§füßrung  eine  unb  biefelbe  $lmt§perfon, 
ber  ftarfe  $trm  ber  ©erecßtigleit,  ber  f.  f.  $lmtSbiener 
$err  Sanfo  (Sgupfa,  aber  felbige  bringt  gwei  oerfdjiebene 
Sftetßoben  babei  gur  2tnWenbung.  Unb  gWar  je  nacß? 
bem  e£  ficß  um  cßriftlicße  ober  jübifcße  (Waffen  ßanbelt. 

Sn  ben  cßriftlicßen  erfcßeint  §err  Sanfo  $)ienftag3 
Hör  großnleicßnam,  am  frühen  borgen,  in  Begleitung 
einiger  mit  Befen  bewaffneter  tarnen  unb  Herren,  bie 
eben  im  t  t  BegirfSgericßte  freie  ®oft  unb  SSoßnung 
genießen,  liefen  Bagabunben  imponiert  Scmfo  brei? 
fadj:  burcß  feine  perfönticße  SSürbe,  bann  burcß  eine 
Herroftete  Bogelflinte,  bie  er  fid)  Hont  Stteßner  au§? 
geliehen,  unb  ertbli«^  burcß  jenen  ©übel,  mit  bem  er 
nacß  feiner  eigenen  ©rgäßlung  einft  als  gelbwebet  an 
©teile  Babeßfß'S  bie  t  f.  $lrmee  am  SÜUncio  gum 
©iege  geführt,  ©o  lange  fern  Hon  jeber  Kneipe  ge? 
feßrt  wirb,  ßarrt  er  auS,  aber  in  ber  -ftäße  eines  folcßen 


115 


Drte§  ber  £abe  fc^mitgt  feilt  |>erg  mtb  er  Ijält  eine 
Ülebe.  „Sljr  Sumpen,"  fagt  er,  ,,icf)  fjabe  mit  bem 
Sßirte  bort  gu  reben.  $ber  burcf)  ba§  genfter  ioettbe 
xd)  feinen  23licf  nott  ©ucf),  unb  ioer  baoonläuft,  ioirb 
niebergefdjoffen,  fo  ioafjr  xd)  ber  ^err  Santo  ©gupfa 
bin.  £)enu  biefe  glinte  f)ier  trifft  anf  breitanfenb 
©cfjritte  nnb  bei  flarem  Sßetter  anf  oiertaufenb.  Unfer 
guter  $aifer  gerbinanb  f)at  fie  mir  gefdjenft,  alz  xd) 
einft  mit  i§m  bei  2Bien  23ären  gejagt  fjabe.  2llfo, 
ifjr  £umpen,  ioer  nid^t  totgefdjoffen  inerben  ioill,  ioirb 
ineiter  feeren."  Unb  bamit  geljt  Santo  in  bie©d)önfe 
nnb  trinft  bort  rufjfam  fein  @lä§dfjett  ©djnapä.  2lber 
ba§  ift  and)  nur  fo  eine  Sftebenäart  —  Santo  trinft 
immer  mehrere  grofte  ©läfer. 

2lm  ÜDUttiood)  aber  oeranlajjt  Santo  nad)  einer 
gang  anbern  9ftetf)obe  bie  Reinigung  ber  jübifdjen 
©affen.  ®a  geljt  er  non  $au£  gu  ßau§  mtb  f)ätt  an 
bie  faftanbefleibeten,  lodengefdjmücften  §au§näter  nur 
eben  eine  fRebe.  „Kummer  Sftofdjfo,"  fagt  er,  „SDu 
inirft  bie  ©affe  oor  deinem  §aufe  btanf  feeren,  unb 
für  jeben  ©troljtjalm,  ber  liegen  bleibt,  ga^lft  $>u  einen 
©ulben  ©träfe,  fo  ioaljr  \d)  ber  $err  Santo  ©gupfa 
bin.  £)eun  ioarnm?  SBeil  £)u  fo  ein  oerflucpter  Sube 
bift.  Unb  ioarnm  fefjren?  SBeil  morgen  ba§  ^eilige 
gro^nleidfjnam^feft  ift.  Unb  bann,  bummer  ülftofdjfo, 
la§  $)ir  ttod)  raten,  ioe^e  ©udj,  ioenn  S^t  ioäljrenb 
ber  ^rogeffion  auf  ber  ©affe  feib  — -  ioir  fdjlagen 
©udfy  ein  bi^djen  tot." 

5tber  biefe  $)rofjung  ift  überflüffig.  deinem  Saben 
in  Söamoio  fommt  e£  gu  ©inne,  nor  feine  £f)itre  gu 


116 


treten,  ioctfjrenb  ber  feierliche  .gug  öorüberioanbelt 
$)emt  taufettb  (Schreien  gelten  gu  biefer  ©tunbe  burd) 
bie  ©eelen  biefer  armen  gef'nec Rieten  Sttenfchen,  nicht 
etioa  bloft  ber  ©djred  nor  bem  Xotgefd)lagentoerben. 
5luch  biefe  Sttenfdjen  iniffen  ja,  baft  roir  in  einer  ltch= 
teren  geit  leben;  fymtc  inürbe  fie  ber  Sßöbel  höchftenS 
gu  Krüppeln  fcf)lagen.  5lber  ©d)reden  au£  alter  gelt 
gehen  ihnen  bitrd)£  |)erg,  baj3  e£  fd)merglid)  gufammens 
gudt.  ©chatten  au§  alter  geit  bräitgen  fich  üor  ihr 
$luge,  inährenb  fie  fo  im  fytUen  ©djeine  ber  grü^ 
ling§fomte  ihr  ©allein  blauf  f ehren  für  bie  ^rogeffion, 
bafj  fein  §alm  liegen  bleibt.  Unb  über  ber  Arbeit 
inerben  biefe  ©chatten  auch  inohl  inieber  im  SSorte 
lebenbig  unb  bie  Seute  erzählen  einanber  in  bumpfem 
glüftertone  bie  Ö5efd^icf)te  non  bem  initben  ©taroften 
urtb  ber  fd)önen  Sütta.  SSenn  bie  ©rojsoäter,  bie 
Später  biefer  Seute  biefelbe  ($efchid)te  erzählt,  bann 
haben  fie  inohl  noch  ber  fcf)önen  Sütta  gefludjt.  5lber 
heute  ift  ber  $af3  üerflogert,  nur  bie  Trauer  geblieben, 
unb  fie  erzählen  bie  ($efd)ichte  unbeinegt,  inie  ein  (55e- 
fdjid,  ineldjeä  fam,  ineil  e§  fommen  mufde.  Vielleicht 
bämmert'3  babei  fogar  in  einem  ber  (Snfel  auf,  baf$ 
auch  bie  5lhnen  titelt  fd)ulblo§  inaren  an  biefem  ($es 
fd)id.  5lber  fie  höben  e§  fchredlid)  gebüßt.  Unb  beim 
©ebanfen  biefer  ©chredert  entringt  fidj  oiedeid)t  auch 
nod)  ben  Sippen  ber  (Snfel  ein  gluch  über  bie  Dränger. 
£)enn  gertreten  fann  man  ben  SSurm,  aber  erginingen 
fann  man  nicht,  baft  er  bafür  banfbar  ift  .  . 

Sßährenb  fie  fo  in  ber  Subenftabt  trauemb  gurn 
gefte  rüften,  frabbelt  in  ben  (S^riften=(55affen  niel 


117 


fetteres  Seben  bunt  tmrdjeinanber.  Sie  Sftänner  fielen 
behaglich  fchma^enb  umher;  fd)on  am  SD^ittrood^  ars 
beitet  Stiemanb  mehr,  mit  StuSnahme  ber  Hausfrauen. 
Sn  allen  Käufern  mirb  gefctjmort  unb  gebaefen,  bafj 
e£  in  ber  gangen  ©affe  appetitlich  riecht.  denn  barin 
gleicht  fiel)  ber  niebere  Bürgersmann  in  aller  §erren 
Sanben,  ba§  i^m  nur  berjenige  gefttag  für  öoll  gilt, 
an  bem  er  fiel)  grünbtich  ben  ÜDtagen  öerberben  fann. 
Stuch  gemafcljen  mirb  oiet;  Station  ©ilberftein,  ber 
©pegereimarenhänbter,  öerfauft  in  biefen  Sagen  fo 
öiel  (Seife,  mie  fonft  in  Monaten,  unb  Diele  meij^e, 
mingige  SD^äbcf)enfleiber  merben  geplättet,  diejenigen 
aber,  melden  biefe  Sleibdfjen  gehören,  taufen  laut 
jubelnb  urnfjer,  benn  morgen  merben  fie  ©nget  fein  mit 
himmelblauen  (Schleifen  unb  baS  Köpfchen  oottSocfen. 
Unb  in  i^r  heßeS  Sachen  Hingt  auch  immer  leife  baS 
Staffeln  beS  ^apierS,  mit  bem  man  ihnen  bie  Söctdhen 
feftgebreht  h<*t-  5tn  beut  Sage  fieht  man  erft,  mie 
Diele  Heine  Räbchen  in  Barnom  finb. 

Bon  ben  Buben  finb  menige  gu  fehen;  bie  fteefen 
alle  bei  ben  Elitären,  bie  eben  öon  ben  Burfdhen  beS 
DrtS  auSgefdhmücft  merben  —  im  Slofter  unb  in  ber 
^farrfirdhe.  @ie  machen  eS,  fo  gut  fie'S  eben  tonnen, 
©inige  Seppicfje  merben  oom  |jerrn  BegirfShauptmann 
auSgeliehen,  einige  Bafen  Oom  §erm  BegirfSrichter,  unb 
eine  ältliche,  mohlt)abenbe  Sungfrau  fpenbet  eine  @amm; 
lung  üon  ^rugifijen.  @o  müffen  benn  Blumen  ben 
|jauptfcf)muct  liefern,  unb  bie.giebtnur  bie  £>aibe,  unb 
bie  Blumen  ber  §aibe  finb  arm  unb  buftloS.  Bon 
bemöolb  unb  ben  Stofen,  mit  benen  fie  unter  glücHidherem 


118 


Fimmel  bert  §eilonb  fdhmücfen,  ift  fyier  nichts  3U  feigen. 
5lber  tt>enn  er,  ber  größte,  gütigfte,  lichtefte  Sftenfd), 
ber  je  über  biefe  bunfle  (Srbe  gef  dritten,  tvirflidh  heute 
^emieber  flauen  fann,  bann  freuen  ihn  hier  fidjerlich 
bie  arnten  SBlumen  ber  |jaibe  ebenfo  fef)r,  tote  anber^ 
tvärtS  bie  Sftofen.  Ober  gar  noch  mehr. 

@tn  britter  Elitär  ttiirb  im  ©cf)loffe  beS  alten 
©taroften  gebaut.  @S  ift  eigentlich  nur  ein  großes, 
ttmfteS,  verfallenes  §auS,  aber  bie  fieute  von23arnott> 
fchmüden  eS  mit  biefem  ftolgen  tarnen.  Sßenn  man 
über  bie  ©ereb^rütfe  geht  unb  bann  unier  ben  £inben 
hin,  baS  träge,  fchteichenbe  gtüfjchen  entlang  —  ba 
liegt  eS  Vor  (£inem.  3ur  Rechten  unb  gur  Sinfen 
bumpfige,  langgeftredte,  von  ber  Sßucht  ber  3eit  unb 
ber  $8ertvaf)rlofung  J)alb  in  bie  (Srbe  gebrüdte  SRemifen, 
grau  bie  SBänbe,  grau  baS  vermobernbe  ^olgbadj,  unb 
in  ber  SJcitte  baS  |jerrenhauS,  ein  plumper,  gtvei^ 
ftödiger  23au,  bie  genfterhöhlen  unheimlich  leer  unb 
auSgebrödelt,  nur  an  wenigen  ©teilen  nodh  gtvifchen 
ben  morfdhen  ^olgftüden  erblinbeteS  @laS  ober 
fchmu^igeS  Rapier;  auf  ben  dauern  ein  alter,  gelb* 
lid)  grüner  2lnftrid)  unb  bagtvifchen  baS  nadte  23raun= 
rot  ber  Riegeln.  fleht  Kräfte  §auS  einfam 
im  §aibegrunb  am  gluffe,  riugä  Blü^t  feine  23lume, 
ringS  fpro^t  fein  S3aum  unb  baS  einzige  lebenbige 
($kün,  baS  hier  gebeizt,  ftimmt  traurig:  baS  ®raS, 
baS  §mifd)en  ben  ©teinen  beS  ©dhlophofS  emporfdjie^t, 
ber  braungrüne  ©chimmel,  ber  fich  tvie  eine  Trauer? 
bede  über  5ldeS  legt,  tt>aS  $u  biefem  toten,  gu  biefem 
vertvefenben  §aufe  gehört. 


119 


üftitT  einmal  im  3afjre  fommen  ©lang  unb  fiebert 
tn  bie  armfelige  Öbe:  am  groljnleidjnamätage.  ©onft 
füntmern  fid)  bie  fieute  Don  23arnow  nidjt  um  ba§ 
§au§,  nid^t  um  bie  23ewol)ner:  ben  alten  Waljnfinnigen 
©taroften  unb  feine  greife  ©ienerfdjaft.  ®ie  ©djlofj? 
Ieute  fommen  feiten  in£  ©täbtdjen;  nodj  feltener  füfjrt 
ber  2öeg  ber  ©täbter  am  alten  §aufe  oorüber.  Unb 
Wa§  oodenbä  ben  23efiper  betrifft,  fo  giebt  tZ  Diele 
jüngere  fieute  in  23arnow,  bie  faum  einmal  au§  ber 
üftäfje  fein  oerwitterte§  Slntlifc  gefeljen  l)aben,  umflattert 
Don  grauem  «§aar  unb  ben  füllen  Sßa^nfinn  im  ftumpfen 
23lid.  ©inft,  alZ  er  nodj  ein  junger  SCftenfd)  war,  furg 
nadjbem  baZ  Unglüd  fein  |jerg  burd)bol)rt  unb  fein 
|jirn  öerfengt  fjatte,  f)at  er  weit  unb  üiel  umfjergeraft  in 
ber  ßanbfdjaft,  bie  fdjöne  Sütta  gu  fuc^en  unb  bie? 
jenigen  graufam  gu  gültigen,  bie  fie  if)m  geraubt. 
$)amal§  wollten  ifjn  bie  ©erid)te  in§  üftarrenfjauä 
fteefen  unb  famen  nur  barum  baoon  ab,  weil  er  ja 
bod)  nur  ben  3uben  gefäfyrlid)  war  unb  ofjnef)in  halb 
fterben  muffte.  über  bie  oerfaulenbe  ©eele  Wofjnte 
in  einem  eifen^arten  Körper:  im  SBafjnfinn  reifte  ber 
junge  ©taroft  Sanfo  Don  23aredi  gum  Spanne,  im 
Sßaljnfinn  Warb  er  gum  ©reife  unb  jept  fifct  er  immer, 
Wieber  ein  fd)Wad)e§,  f)ilflofe§  SHnb,  füll  lädjelnb  im 
ßef)nftul)l  am  geufter  unb  fpielt  mit  einem  fleinen  ger? 
riffenen  grauenfdjuf)  unb  mit  einer  bergübten  blauen 
23ufenfcf)Ieife.  Ober  er  fdjleid)t  fid)  mZ  Diebengimmer 
an  bie  Sßiege,  in  Welche  bie  Wiener  auf  SRat  ber  Ürgte 
eine  fleitte  ©lieber?$ßuppe  gelegt  fjaben,  unb  fingt  ba 
ftunbenlang,  facfjte  Wiegenb,  gärtlidje  fiieber  über  bem 


120 


mottengerfreff etten  ©pielgeug.  5lber  manchmal  wirb 
er  fröhlid),  ein  fchelmifcf)e3  Säbeln  gudt  über  ba§  Oers 
Wüftete  (Sreifenantlitj,  er  oerftedt  ben  ©djuh  hinter 
ben  Ofen  unb  bucft  ftd)  fidjentb  in  ben  Sefjnftu^l. 
,,©ie  fornrnt  halb,  ob  fie  if>n  finben  wirb?  ,  .  5lber 
er  fjarrt  oergebenä;  oon  bort,  wo  fie  jefet  ift,  ift  noch 
SUemanb  wiebergefommen. 

©o  lebt  ber  alte  ©taroft  im  wüften  |jaufe  am 
gluffe,  unb  bie  5£age  fommen  unb  gelten,  unb  £aufenbe 
Junger,  glüdlidjer,  nützlicher  Stftenfchen  müffen  fterben. 
5lber  biefe§  §au£  unb  feine  Bewohner  fcfjeint  felbft 
ber  £ob  öergeffen  gu  ^aben,  wie  e£  bie  2ftenfcf)en 
t^un.  9^ur  nod)  einmal  im  3cd)re  gebeuten  fie  feiner 
—  ba  erwacht  aber  and)  baä  |jau3  unb  fein  23efi£er. 
3m  großen,  au^gebrödelten  Xfyortoeg  be§  ©djloffeä, 
öon  beffen  SBölbung  ber  ©djutt  nieb  errief  eit,  bauen 
bie  alten,  gid)tbrüct)igen  Wiener  ben  Elitär  unb  einige 
fromme  ßanbwerfer  au§  SSarnow  Reifen  babei.  .gier 
ift  ber  ©djmud  ein  anberer  alä  in  ber  $ßfarrfirche, 
hier  fielet  man  feine  Blumen,  aber  51  de§,  wa£  fid) 
nod)  an  alter,  üergilbter  Fracht  im  §aufe  finbet.  Qu* 
nüchft  öerf)ütlen  fie  bie  SBölbung  mit  ungeheuren 
5Bolfen  roter  ©eibe,  bie  freilich  heute  fdjon  blajjgrün 
ift  unb  gewaltige  SödEjer  fyat.  2)iefe  ©toffe  hat  «ger? 
fule£  oon  53aredi  oor  breihunbert  3af)ren  famt  einem 
fleinen  §arem  in  jenen  23ud)emoälbern  ber  ÜDMbau, 
toelcfje  heute  „bie  53ufowina"  hei&en,  einem  $ßafcf)a 
abgejagt  unb  al§  d)riftlid)er  ©bemann  *üe  9an8e  23eute 
feinem  SSeibe  heimgebracht.  Unb  bann  bebeden  fie 
bie  feuchten,  fd)mu|igen  SBänbe  be§  £l)orWeg§  mit 


121 


prächtigen  ©obelmS,  auf  welken  bte  giguren  aller* 
bingS  nicht  gang  beutlich  mehr  gn  erfennen  finb.  (£S 
ift  fauin  gu  fagen,  ob  baS  erfreulich  ober  betrüblich 
ift.  ^enn  biefe  gewirkten  ©emälbe  ftnb  fe^r  hübfd^, 
aber  überaus  unanftänbig  —  oieHeidht  ha*  bte 
Sttaintenon  befteHt,  als  fie  noch  nicht  fromm  war,  unb 
bann  nicht  angenommen,  weil  fie  ingwifchen  fromm 
geworben.  Unb  fo  h<*t  fie  $err  5lgenor  oon  23arecfi 
in  $ßariS  erwerben  nnb  mit  in  feine  ungebilbete  po* 
bolifche  $eimat  bringen  tonnen  als  groben  frangö* 
fifcher  Sioilif ation.  $>afür*  höben  fie  benn  auch  burcf) 
manches  liebe  gahrgehnt  9e9°^en/  unb  Wenn  bie  £anb* 
ebeüente  mit  ihren  grauen  nnb  Töchtern  auf  23arnoW 
gn  23efuch  weilten,  fo  ftanben  5lUe  h^lbe^age  lang  in 
ftnmmer  Söewunberung  oor  ber  frangöfifd^ett  (Sioilifation. 
5lber  heute  feljen  blofj  gebfo,  ber  ©cfjufter,  nnb  2Baf* 
filj,  ber  Töpfer,  bie  ©obelinS  an,  Währenb  fie  fie  auf* 
nageln,  nnb  biefe  rohen  ülftenfchen  gucfen  höchftenS,  Wenn 
fie  hier  nnb  ba  noch  etwas  öon  ben  Sftpmphen  nnb 
©atpm  gewahren,  fchweigenb  bie  2lchfeln  ober  fagen 
gar:  „Sßfui  Teufel!"  .  .  .  Unb  bann  wirb  ber  Sfjors 
Weg  burcfj  eine  ^olgwanb  abgefd£)loffen,  gn  bereu  Um* 
hüttung  gleichfalls  noch  bie  türfifche  ©eibe  beS  |jerm 
^erfnleS  auSreicht,  nnb  ein  (S5erüfte  für  ben  Elitär 
aufgefchtagen  nnb  mit  Teppichen  bebecft.  2tudh  auf 
ben  ßef)mboben  legen  fie  Teppiche.  5lber  nun  beginnt 
erft  bie  $rone  ber  Arbeit:  bie  $luSfchmücfung  beS 
Altars.  $)iefe  Arbeit  leitet  aber  ber  ^jauSüerwalter 
©tephan  SSolanSfi  felbft,  obwohl  er  ein  gebrechlicher, 
zitteriger  ©reis  ift.  |jimmel!  WaS  läßt  ber  9)?ann 


122 


2tHe£  l)erbeiftf)leppen,  3efum  ffifjriftum  gu  fdfynrücfen! 
Kleine  fRoccoco-S^ippeö  au3  ^orgeHan,  filberae  grurijk 
fetalen  unb  golbene  Kettchen,  eine  alabaftente  3lafy 
bilbmtg  ber  $enu§  öon  SOälo,  türfifcf)e  $ftof3fcf)tt>eife, 
^amagcenerzKlinqen  unb  fcbliefjlicb  alle  Silber  be3 
©cf)  loffeä! 

$)iefe  Silber,  ^eilige  mie  anteilige,  fielen  ba£ 
3aljr  über  öerfcf)loffen  in  einem  (Saale  be£  oberen  (55e^ 
fd^offe^.  5lber  l)eute  gel)t  |jerr  ©tep^an  mit  gebfo 
unb  SBaffilj  hinauf  unb  lägt  bie  ©emälbe  fjinunters 
tragen.  (Sine  fonberbare  (Sammlung !  ßeiligenbilber, 
rog  unb  plump  gemalt,  mie  man  fie  in  allen  SDorfs 
firmen  be£  £anbe£  finbet,  baneben  feine,  gragiöfe,  fef)r 
friöole  ober  fegr  fentimentale  ©djäferftücfe,  bie  £err 
5lgenor  au§  $ari§  f)eimgebracf)t  f)at;  ^übfe^e  Kopien  naef) 
SRapfjael,  bie  ber  ©ol)n  be§  5lgenor,  ber  fjocfyftrebenbe 
5llejanber  öon  S3are(ft,  ber  ($rof$t)ater  be£  gegenmär^ 
tigen  ©taroften,  felbft  in  Stalien  gemalt  fjat,  unb  fdjliejjs 
lief)  Söilber,  öon  benen  fidj  meiter  nidjt£  fagen  lägt, 
al£  ba(3  e§  eben  garben  finb,  auf  Seimoanb  aufge^ 
tragen.  5lber  ba§  rnerfmürbigfte  biefer  Silber  ift 
gerabe  ba§  jüngfte  —  toer  e£  anfiefjt,  ben  lägt  e£ 
nidjt  mieber  lo§,  unb  mäljrenb  er  barauf  fjinblicfen 
mu^,  fiiglt  er,  mie  fein  5luge  fernst  mirb,  nicfyt  üor 
Sßef),  nur  üielleicfjt,  meil  fief)  leife,  leife  2lüe§  in  feinem 
^ergen  ftiüt  unb  löft. 

(Sin  merfroürbige§  S3ilb !  3ft’§  ein  Porträt,  ober 
ein  ®enrebilb,  ober  bie  geilige  Sungfrau  mit  bem 
Kinbe?  (Sin  junget  SSeib  in  bunllem  ®emanbe  blieft 
auf  ben  ©äugling  in  ifjrem  ©cfjojje.  $)a£  SBeib  ift 


128 


unfäglicf)  ftfjöit  —  toeitn  Sftapfjael  ft<§  in  baä  $of)e 
Sieb  vertieft  f)ätte,  er  toürbe  Dießeicfjt,  beraufdjt  oon 
allen  be§  Oriente,  ein  äljnlidfjeä  $lntli&  er= 

träumt  l iahen  —  aber  nidjt  biefe  ©djönljeit  madjt  ba§ 
Silb  fjergergreifenb,  fonbent  ba£  Säcfjeln,  mit  bem  fidj 
bie  junge  Butter  üher  iljr  $inb  beugt,  ba§  gütige,  • 
ftolge  unb  bodj  füfj  üerfdjämte  Säckeln!  £>er  bie§ 
Silb  gemalt  Ijat,  war  fein  ©ottbegnabeter;  er  fjat  nur,  fo 
gut  er'£  fonnte,  toiebergegeben,  tt>a3  er  flauen  burfte, 
aber  itjm  ift  gelungen,  ein  @efüf)l  greifbar  ffar  gu 
üerförpem,  ba3  fonft  ber  ®id^ter  oergeblidj  in  SBorte, 
ber  Maler  in  garben  gu  faffen  fudjt,  fo  unenblidt) 
reidj  unb  tief  ift  biefe§  ©efüfjl  —  bie  Mutterliebe. 
Unb  toeil  biefe£  Sid£)t  in  3ebe§,  au  cf)  be§  IHo^eften  unb 
$rmften  Sehen  geftrafjlt  f)at,  barum  toirb  Oor  biefem 
Silbe  jebeg  «gerg  gut  unb  fänftigt  fiel),  gebfo,  ber 
©cf)ufter,ber  bi£f)er  unter  fefjrberbenSSorten  bie@djäfers 
fiücfe  auf  feinem  breiten  SRücfen  fjinabbeförbert  f)at, 
oerftummt,  al§  er  oor  bte§  Silb  tritt,  unb  fdjlägt  an 5 
bäcfjtig  ba§  $reug  unb  fagt  gu  bem  alten  $erm  (Stephan: 
„2Sa£  ift  ba§  für  eine  fcfjöne  Mutter  ©otte£!" 

„Tölpel!"  Ijöljnt  ifjn  Sßaffilj,  „ba§  ift  eine  oer^ 
fludjte  jübifdje  Sudlerin!" 

„Sftein  —  fcfpoeigM"  ruft  ber  alte  @tepf)an  unb 
ftreeft  abtoeljrenb  bie  $anb  au£.  £)amt  tritt  er  öor 
ba§  Silb  unb  blidft  lange  barauf  fjtn.  Unb  enblicf) 
fäfjrt  er  leifer  fort:  ,,-iftein!  —  toof)l  toar  fie  eine 
Sübin,  bie  arme  Sütta,  aber  öerfludfjt  ift  fie  nid£)t. 
Unb  toenn  alle  Suben  in  ber  «£jölle  braten  müffen,  fo 
ift  fie  bie  ©rfte  au§  biefem  öerbammten  Solle,  bie 


124 


felig  geworben  ift,  benn  ©ott  ift  geregt  un b  fte  f)at 
fiel)  beit  Fimmel  auf  (Srben  üerbient!  $)enn  fte  mar 
OTen,  melctje  fte  gelaunt  l)aben,  ein  ©ngel  uttb  ein 
0cf)u£engel  für  biefe§  |jau§,  mit  ifjr  fiub  ©lüdt  unb 
0egen  getommen  unb  mit  iljr  gegangen.  Unb  SDu 
*  felbft  bift  ein  Sölpel,  Sßaffilj,  menn  ®u  fie  eine 
Sudlerin  nennft.  3ßa§  meiftt  £)u,  mie  biefe£  Tabellen 
marl  greilid),  —  rectjtmäfng  angetraut  mar  fie  nuferem 
§errn  nidfjt,  aber  auef)  ba§  tjätte  fiel)  nodj  gu  unfer 
2111er  @egen  gefügt,  fjätten  fie  nidjt  biefe  jübifdfyen 
S3eftien  geraubt  unb  f ortgef c^teppt,  fie  unb  ben  tleinen 
Santo,  ber  bamal§  erft  brei  Monate  alt  mar!  .  .  . 
0,  marutn  f)at  e§  ©ott  gelitten?  Sßarutn  muftte  fo 
üiel  Summer  über  un£  fomtnen?!" 

$)em  alten  9ftann  öerfagt  bie  ©timrne,  er  f erlägt 
bie  |jänbe  öor§  ^Intliij.  2luct)  bie  beiben  2lnberen 
fdjmeigen  unb  blirfen  gu  23oben.  $)amt  tritt  ber  ©rei£ 
mieber  oor  ba§  S3ilb  f)in  unb  fät)rt  faft  flüftemb  fort: 
„3dj  follte  e§  eigentlich  nicf)t  anfeljen  —  mir  tfjut 
babei  ba£  |jerg  meh !  8dl)  mar  ja  felbft  babei,  mie  ber 
Semberger  Sflaler,  ber  «gjerr  $ettba,  ben  lebten  ^infeU 
ftrief)  baran  gemacht  ^at,  unb  e§  mar  an  bemfelben 
£age,  an  bem  ict)  fie  gum  lebten  Staate  gefeiten  habe, 
fie  unb  ba§  liebe  Söübdjen !  mar  an  einem  greitag, 
im  |jerbfte,  ein  regnerifcher  £ag.  ©ie  meinte  faft, 
al§  unfer  |jerr  barauf  beftanb,  ben  Scaler  gu  begleiten, 
unb  ich  meif$  noch  genau,  mie  fie  fagte:  „Santo, 
bleib',  ich  meijj  nicht,  mir  ift  ba£  §erg  fo  ferner!" 
2lber  ba  lacht  ber  ©taroft  unb  fctjüttelt  ben  $opf, 
baj3  ihm  bie  braunen  Sodten  nur  fo  um§  ©eficfjt  taugen. 


> 

I 

—  125  — 

unb  ruft  fröljlidfj:  „ßicbftel  ßerg,  Wal  finb  bal  für 
finbifdje  «Sorgen!  Se£t  muft  el  Sir  immer  feberleidjt 
gu  fein,  wie  einer  £erd)e,  bie  inl  23laue  fliegt, 
bemt  je|t  finb  wir  ja  enblid)  am  ,3iete!  SÖfo,  el 
bleibt  babei:  idj  bringe  ben  $erm  ßenba  bil  Sarnopol, 
Wir  fahren  bie  92ad)t  burdj,  ba|  wir  morgen  früfy  bort 
finb,  unb  bann  bringe  id)  am  Sage  bie  Sadjen  beim 
$reilgericf)t  in  Drbnung,  unb  Sonntag  in  aller  g*ül)e 
f)aft  Su  micf)  wieber  Ijier.  Unb  bann  ift  um  geljn 
U^r  bie  (Zeremonie  in  ber  $trd)e  —  ber  bicfe  Sßrior, 
ber  Slnaftafiul,  fannl  ja  faum  mef)r  erwarten,  Seine 
Seele  t>or  ber  |jöllengefaljr  gu  retten,  unb  behauptet 
immer,  Su  fannft  ben  Satedfjilmu!  fcf)on  beffer,  all 
icf),  Wal  Sief)  übrigenl  nicf)t  ftolg  machen  fann,  lieber 
«g>erg !"  Unb  babei  ladjt  ber  junge  |jerr  fo  laut,  fo 
luftig  — -  icf)  fjör’l  nodj  fjeute  im  0f)r  —  unb  bann 
fagt  er:  „$llfo  Sonntag  um  gef)n  Ufyr  fjeifjeft  Su 
Sabwiga  §olbberg  unb  um  elf  Uf)r  —  nur  unfer 
Stephan  unb  mein  5reun^  SSlabimir  (£gapfowlfi  Wers 
ben  babei  fein  —  bift  Su  bie  Staroftin  SSarecfa  unb 
Wirft  nidjt  nte^r  gu  erröten  brauchen,  armel  «gerg, 
Wenn  Sief)  bie  Seute  in  ben  $aufbuben  üon  Sarnopol 
anglo|en."  Unb  er  füfjt  if)r  bie  Suchten  üon  ben 
klugen  unb  fagt  barauf  gu  mir:  „Stephan,"  fagt  er, 
„lafj  bie  gebecfte  $alefd)e  einfpattnen,  benn  el  regnet 
ja  jeben  ^Cugenblicf,  unb  Su  begleiteft  uni  unb  fag’ 
bem  Stal,  baf3  er  ficb)  beeilt."  Ser  Stal  war  näm? 
lidf)  ber  Äutfdjer  unb  Sein  SSaterlbruber,  ge^0/  e^n 
braö'er  9ftenfdj,  bil  auf  ben  Sdjnapl  —  nun,  (Dottel 
griebe  fei  mit  i^m,  er  ift  fdjon  oor  gWangig  Sauren 


126 


am  ©öufermafmfinn  geftorben.  —  unb  bann  fäfjrt 
ber  üBagen  öor  unb  bie  ($näbige  ftefjt  auf  ber  kreppe, 
unb  neben  fr  bte  grugia  m ü  bem  Keinen  Santo  auf 
bem  $lrm,  unb  mir  nehmen  $lbfdj  ieb.  S)er  junge  |jerr 
®enba  ift  totenblaß,  aber  bann  mirb  er  feuerrot,  mte 
fie  frn  bie  |>anb  brücft  uub  für  ba§  ff  öne  23ilb 
bantt,  unb  ber  junge  SDfanff  gittert  orbentlif ,  mie  er 
ermibert:  „Sf  ^abe  Seiten  gu  bauten,  benn  ein  folfe£ 
93itb  merbe  if  in  meinem  gangen  armen  Seben  nift 
mieber  malen  bürfen."  Unb  bann  füfjt  ber  |jerr 
©taroft  ben  kleinen  unb  bie  @näbige,  unb  ba§  S3itb^ 
f  en  beginnt  gu  meinen,  unb  bie  ($näbige  plö|lif  auf 
unb  fie  fflufgt:  „Sf  merbe  bie  böfe  $fnung  nift 
lo£  —  fatjr  nidb)t  gur  ©tabt  —  if  bleibe  fo  allein 
—  ober  laf$  bof  menigften§  ben  ©teplj  an  ba."  SXber 
ber  §err  laft  bariiber:  „(§&  bleiben  ja  gmei  Männer 
im  ©floffe,  ber  alte  Qofef  unb  ber  §rfto!  Unb 
bann,  mer  foEte  eS  magen,  S)ir  etma§  gu  £eibe  gu 
fun?  (Stma  bie  Suben?  ©laube  mir:  bagu  ift  ba£ 
©efinbel  oiel  gu  feig.  (§&  munbert  ntif  nur,  bafj  fie 
ben  9Kut  gehabt  Ijaben,  gum  $rei3amt  gu  geljen  unb 
eine  Eingabe  gu  überreifen,  ba£  Serif  t  möge  SDif 
deiner  Butter  mieber  gurücfgeben,  meil  $)u  nof  mim 
berjcf  rig  bift  unb  meil  if  $)if  gemaltfam  geraubt 
f)abe!  |ja!  |ja!  |ja!  Slber  mein  greunb,  ber  $rei§? 
fetretär  2Balcgem§ti,  t)at  fnen  eine  gute  §lntmort  ges 
geben.  gerriffen  §<*t  er  &ie  Eingabe  unb  bie  gelten 
fnen  öor  bie  gü^e  gemorfen  unb  bagu  gerufen: 
„ftufd&t  euf,  fr  jiibiffen  £unbe,  fef)t  fr  benn  nift 
ein,  baf*  euf  fo  etma§  nur  eine  Gfre  fein  mufj?!" 


Unb  ba£  Ifyaben  fie  fid^  gemerft,  uttb  fufdfyen  jetjt  mirflicf). 
$CIfo!  auf,  liebfte§  «£)erg,  auf  SSieberfefjen!"  Uub 
er  füf$t  fie  uub  fpringt  iu  beu  SBagen,  mir  jagen 
batmrt  .  .  .  Unb  ba£  mar  ba§  le|te  90^aX  uub  mir 
^abeu  fie  nie  miebergefefjen!" 

lieber  üerftummt  ber  alte  $ftann.  5lber  SSaffilj 
fagt  gu  gebfo:  „£)ie  Subeu  fjaben  fie  nämlictj  in  ber 
9^ad)t  barauf  geraubt!" 

„$)ie  |junbe!"  ftöfjt  ber  ($rei§  Ijerüor.  „ftvoii' 
unböiergig  Saljre  fiub  e§  Ijer  unb  idj  bin  ein  alter 
SDtamt,  aber  nodf)  j^eute  fömtte  idj  biefe  9ttenfc£)en  mor* 
beu,  menn  idj  barau  beute  .  .  .  28ir  maren  beu  £ag 
über  iu  £arnopol  gemefen,  ber  |jerr  beim  $rei§amt, 
unb  icf)  f)ätte  (Sinföufe  machen  f  ollen;  aber  e§  mar 
(Sabbatt)  uub  bie  Subeu  Rieften  bie  Säben  gefperrt 
(So  rnuftte  idj  bi£  ^um  fpäten  2tbenb  märten,  mo  fie 
mieber  oerfaufen  burfteu,  uub  eg  ging  fct)on  auf  bitter? 
nad(jt,  alg  mir  ertblic^  gur  (Stabt  f)inau§fuf)rett.  (Sine 
monbfjelle  Sftacfü,  aber  bie  Sßege  auf  gemeint  öom 
ßerbftregeu,  mir  tarnen  nur  tangfam  oormärtg  unb 
ber  (Stag  fjörte  mandjeg  Ijarte  Söort  öom  |jerrn.  £)emt 
biefer  mar  plöijlidj  üor  Unruhe  faft  aufter  fidl);  uub 
ba  fagen  biefe  fingen  £eute,  ba§  eg  feine  Hauungen 
giebt  .  .  .  $IIfo,  ber  (Stag  tljut  fein  30?oglid(jfteg  unb 
ift  audj,  mie  burcf)  ein  SBunber,  nidjt  bef offen,  aber 
faum  fiub  mir  beim  $riomer  gelbmirtgf)aug,  e^ne 
Ijalbe  Steile  öon  £arnopol,  ba  f)ören  mir  müteuben 
(Salopp  uub  fefjen  im  S02oublicf)te  einen  Leiter  fjerans 
rafen  —  bag  ift  ber  «gripfo  auf  bem  Schimmel  beg 
|jerm  unb  er  fcfyreit:  „galtet!  galtet!"  (Sr  fpringt 


128 


ab  mtb  ba§  Sßferb  bridjt  gufammen,  er  I)at  e§  gu 
©d)anben  geritten.  5lber  ba  ift  and)  fdjon  ber  §err 
mit  einem  ©atj  au§  bem  Sßagen  nnb  beim  §ri£fo 
unb  fajst  U)n  mütenb  bei  ber  ©djulter  nnb  fdjüttelt 
üjn:  „SSa§  ift  gefd)el)en?"  —  „beraubt",  ftammelt  ber 
Sfrted)t,  „bie  Subeit  —  fortgefdjleppt  —  ba§  $inb 
and)!"  —  $)a  läftt  ifjn  ber  «gerr  lo§  unb  greift  fid) 
an3  |jerg,  al§  l)ätte  if)n  ba  ein  ©djufj  getroffen,  unb 
fcf)reit  auf,  mie  ein  üertnunbete§  £ier  —  id)  l)öre 
biefen  ©d)rei,  mie  idj  bie£  ergäbe,  unb  id)  merbe  if)n 
f)ören,  bi§  id)  fterbe.  $)ann  taumelt  er,  id)  fange  iljn 
in  meinen  traten  auf,  ba  fommt  ber  dftonb  mieber 
fjed  hinter  einer  Sßolfe  Ijeroor  nnb  id)  !ann  ba§  ©es 
fid)t  meinet  |jerm  fe^en  —  §ört,  i^r  Seute,  audj 
biefen  ©efid)t  merbe  idj  nie  oergeffen!  £)ann  rafft  er 
fidj  auf  unb  id)  glaube,  nun  mirb  fein  milbeä  ©emüt 
entfefdid)  gu  rafen  beginnen,  aber  er  fagt  gang  ruljig, 
nur  Reifer:  „®omm  in  ben  SBagen,  «gri^fo,  unb  ergäbe. 
Unb  £)u,  ©ta§,  in  gmei  ©tunben  müffen  mir  auf  bem 
©Stoffe  fein!"  Unb  mäljrenb  mir  fo  burdj  bie  !>ftadjt 
Ijinbraufen,  ergäbt  ber  $nedjt,  mie  er  unb  ber  alte 
Sofef  am  gre^a9  Slbcnb  bie  |junbe  lo^gelaffen  Ijaben, 
mie  gemöfjnlidj,  unb  bann  l)aben  fie  ade  Spüren  öer? 
fdjloffen  unb  fidf)  in  ber  SBebientenftube  fdjlafen  gelegt. 
2lber  gegen  SDUttemadjt  medt  iljn  ber  alte  Sofef: 
„2lde  ^eiligen!  e§  finb  ®iebe  im  §aufc!"  —  „Un¬ 
fern,"  fagt  §ri£fo,  „ber  23ritan  bedt  nid )t;  id)  Ijöre 
nidjt§,  al3  ben  ©türm  unb  ben  dtegen."  5lber  in 
biefem  Slugenblide  ift  bie  ©tube  öod  üon  meifjgefleibeten, 
oermummten  Männern,  unb  bie  Reiben  finb  ergriffen 


ltnb  gebunbeit  mtb  —  Knebel  in  beit  ÜD?unb  mtb  bte 
£I)üre  oerfdjtoffen!  —  im  ganbumbrehett.  Unb 
ba  liegen  fie  nun  mtb  hören  bie  fchmerett  dritte  bie 
Xreppe  ^inaufeilen.  Oben  ein  furge§  $uffreifd)en,  bie 
alte  $afia,  unb  lieber  ein  unterbrüdter  ©djrei  —  ba3 
ift  bie  grugia.  Unb  bann  fÖngt  öo§  23übd)en  fel)r 
laut  gu  deinen  an.  Nation  tnu§  bie  ®itübige  ermaßt 
fein,  fie  hören,  ttrie  fie  nach  griffe  ruft  unb  bann  furcht¬ 
bar  gedenb  nod)  einige  Sßorte.  $ber  biefe  SBorte 
haben  fie  nicht  üerftanben,  meit  e§  bie  jiibifdje  (Spraye 
mar.  (Gleich  barauf  ift  lieber  $ttle§  ftitt,  and)  ba3 
©freien  be§  ©äugling§.  Unb  bann  fonttnett  bie 
Räuber  ttrieber  bie  kreppe  h^ob,  ihre  dritte  tönen 
noch  bumpfer,  fie  tragen  eine  Saft.  2)amt  fdjlagt  ba3 
^au^thor  gu  unb  fie  h^reu  burch  ba§  Renten  be£ 
©türmet  ba§  Sollen  einiger  SSageit.  Uttb  bamit  ift 
WtZ  au§  —  oerfchodett  unb  Oertoren!" 

„Unb  nie  ttrieber  hat  fic^  eine  ©pur  gefmtben?" 
fragt  gebfo. 

„Sftie!  —  al§  tjötte  f*e  ö*e  Verfehlungen! 
&  ift  Me§  oerfucht  morbett,  mit  (55elb  unb  mit 
©d)tägen,  aber  nidjt§!  —  at§  ob  biefe  guben  nicht 
oott  gteifd)  unb  23tut  mären,  fonbent  üon  ©tein.  Unfer 
|jerr  hot  fetbft  bie  Uttterfudjmtg  geleitet,  beffer  unb 
befomtener  at£  ber  ttügfte  Beamte.  Briefe  Smutje  mar 
mir  faft  unheimlich,  id)  hotte  ihn  jo  feit  feiner  $inbs 
heit  gefannt,  id)  tourte,  ttrie  entfeplid)  ttritb  er  mar 
unb  ttrie  er  bie  gütta  mahnfimtig  geliebt  hotte.  Unb 
fel)t,  it)r  Seutc,  fie  hat  eine  fotche  Siebe  and)  oerbient, 
nicht  btof3  megen  ihrer  merfrnürbigen  ©chönheit.  SDemt 

St.  <?.  yr  ait  50  8,  3»bcn  bon  Söarnoto.  9 


130 


f mftdj  Ijatte  fie  uttfer  |jerr,  nadjbem  er  fie  beim 
grohnleidjnamSfefte  §um  erften  SDMe  gefeiert,  gemalte 
fam  i!)rem  Vater  entriffen  uttb  hierher  gebracht,  aber 
fie  gä^mtc  if)n  unb  liebte  ihn  allmählich  aud),  mehr  al§ 
ihren  (Stauben  unb  al§  if)r  Seben,  unb  machte  au§ 
einem  milben,  tollen  Süngling  einen  gütigen,  feften 
Sftaun.  üftuu  t>erftel)t  il)r  mefteidjt,  ma§  fie  ifjnt  mar. 
$lber  nun  fie  ihm  üerloren  mar,  ba  meinte  er  nid)t 
unb  tobte  er  nid)t  —  nur  £ftad)t§  f)örte  id)  ihn  oft 
leife  ftöhnen  unb  bei  Sage  forfdjte  unb  unter fuc^te  er 
bann  mieber  falt  unb  befomten.  $lber  alle  SJfttfje  blieb 
oergebftd),  obmohl  fid)  aud)  bie  (Senate  ber  ©adje 
fefjr  annahmen,  aud)  bie  in  Ungarn,  Vuftlanb  unb  ber 
9ftolbau.  Sodj  brachten  bie  §erren  au§  ben  bortigett 
Suben  fo  menig  etmaä  I)erau§,  al£  ber  ©taroft  au§ 
ben  Vorftehent  ber  ^iefigen  (Semeinbe.  Surdj  ein 
halbem  Saljr,  bi§  in  ben  Söinter  hinein,  hielt  er  fie 
gefangen  —  er  mar  ja  bantal§  in  Varnom  felbft  (Sc* 
rid)t§^err.  (Segen  Neujahr  aber  fagte  er  mir:  ,,^ade 
bie  Koffer,  id)  mad)e  mid)  felbft  auf  bie  ©ud)e,  S>u 
begleiteft  m id)."  Vorher  jebod)  fpradj  er  nodj  einmal 
mit  ben  Ijiefigen  Verhafteten  unb  idj  mar  babei.  §ättc 
e§  mir  (Sott  felbft  ergäbt,  ich  hätte  gefagt :  „(Sott, 
Su  lügft/  aber  fo  ^abe  ich  e§  felbft  gehört,  mie  er, 
unfer  §err,  Sanfo  Don  Varecfi,  bie  Subett  gebeten  hat, 
ftch  feiner  gu  erbarmen  —  in  Porten,  in  einem  Sone 
—  icf)  fage  (Sud),  fogar  ber  Seufel  hätte  (Srbarmcn 
fühlen  müffen!  2tber  biefe  §unbe  haben  fid)  nur  heudjs 
lerifch  gebeugt  unb  gefagt:  „§err,  thue  mit  un§,  ma§ 
S)u  mittft,  aber  Don  ber  Sütta  «gjolbberg  miffen  mir 


131 


nicgt§."  $)a  lägt  uttfer  ©taroft  bic  §äitbe  finfett  unb 
jagt  burrtpf :  „©egt  —  id)  gatte  (Sucg  nicgt  länger. 
ÜDioget  Sgr  e§  nie  gu  bereuen  gaben!  2lber  gört  micg 
an!  ,3cg  gäbe  micg  bi§ger  begägmt  unb  meine  arme 
Vernunft  feftgegalten.  3 cg  gäbe  (Sud)  bi§ger  nur  gu^ 
Weilen  gungern  laffen  unb  ba§  gefcgiegt  aucg  beut 
djriftlidjen  befangenen,  bi§  er  geftegt.  Uber  icg  fügte, 
id)  fügte  benttid),  wie  mid)  ber  ©cgmerg  wagnfinnig 
macgt.  Unb  wenn  id)  wagnfinnig  bin,  3gt  Subctt, 
bann  mag  (Sud)  ©ott  üor  meiner  §anb  fdjitgen,  9Jiem 
fd)eitmad)t  vermag  e§  nid)t!  Unb  nun  —  gegt!  SOcöget 
Sgr  e§  nie  gu  bereuen  gaben!"  £>a  beugten  fie  ficg 
nodjmafö  unb  gingen  ginait3,  unb  einer  non  ignen, 
ber  junge  0imon  britn,  tädjette  geimticg  gögnifcg  — 
icg  allein  gab’3  gefegeu  ..." 

Smmer  erregter  gat  ber  brei§  gefprocgeu,  immer 
bteid)er  ift  fein  Unttig  geworben.  Unb  nun  redt  er  fid) 
empor,  unb  feine  klugen  gtügen  uttgeimlicg,  unb  er  ruft: 

,,3d)  allein  gab'3  gefegeu  unb  id)  allein  gab'3 
gerädjt!  3)enn  fie  gaben  e§  bereut  unb  e§  gat  fid) 
Utte£  erfüllt,  Wie  e£  unfer  §err  gefagt  gat!  üftadjbent 
Wir  ben  SSinter  unb  beit  gritgling  giitburcg  rafttoS 
umgergegogen  Waren  oon  Drt  gu  Drt  uitb  nicgt§  gefunbett 
gatten,balegrtenwirgeim.  Unb  e§lam  wieber  bergrogns 
leicgnam§tag,  ber  gweite  feit  jenem,  wo  unfer  ©taroft 
guerft  bie  Sütta  gefegeu  gatte,  ba  übermanute  ign  bie  (Sr^ 
innerung  unb  er  fonnte  feinen  armen  SSerftanb  nid)t 
megr  galten  unb  er  würbe  wagnfinnig.  Sftadj  ber  $ßro- 
geffion  bot  er  auf,  wa§  gum  ©cgloffc  gegärte:  dauern, 
Säger  unb  Stiiccgte,  unb  wir  bracgeit  ein  in  bie  Subetts 


ftabt  mt b  morbeten  mtb  fengten.  Sa!  —  wir  tf)ateit'3— ja! 
an  meinen  Rauben  flebiSölut  —  idj  fj  ab  e  ben©imonSrün 
erfd)lagen!  SXber  wenn  midi)  Sott  oor  feinen ©§ron  forbert, 
fo  werbe  id)  ntfjig  t>or  ifjn  Eintreten  unb  fagen:  ,3dl) 
erfdfjlug  if)n,  aber  e£  War  jener  äftenfcf),  ber  meinem  £erm 
(55Iüc0  unb  SBerftanb  raubte  unb  ifjn  bann,  al§  er  ficf) 
in  ©djutergen  öor  ifjnt  wanb,  t>erl)öljnte£  .  . 

©er  (55rei§  berftummt  unb  ftarrt  nur  nodl)  mit 
Wilbett  5(ugen  oor  fid^  f)in.  ©amt  fäfjrt  er  auf  unb  ftreidfjt 
fid^  über  bie  Stirne,  al§  erwäge  er  auö  einem  Traume, 
„©ie  alten  Sefdjicfjten  finb  über  mid)  gefommen  unb 
icij  fjabe  wieber  einmal  reben  müffen.  $ommt  — 
neljmt  biefe  Silber,  wir  müffen  beit  5lltar  fertigen." 

©ie  geljen  hinunter  unb  fd) affen  im  Vorweg 
rüftig  Weiter  an  ifjrent  frommen  Söerfe.  Über  ifpten 
aber,  im  erften  ©todwerf,  fidjert  eine  bünne,  zitterige 
Sreifenftimme  mtfjeimlidj  in  bett  griiljtingätag  f)ütau£. 
©erSßaljnfinnige  fjatfeingenfter  geöffnet  unb  atmet  frenbig 
bie  warme,  reine  Suft  ein.  ©amt  aber  beugt  er  fiel) 
Weit  f)inau§  unb  ruft  hinunter:  „Stephan!  Stephan!" 

„Sa  —  |jerr!" 

„borgen  ift  ja  wieber  grofjttleidfjttant,  Wie  idj  feljc. 
§eiffa  —  enblidj!  $8ergiji  nid^t,  ben  ©djimmel  §u  ftrie- 
geln,  idj  Will  im  reiten,  fo  wie  barnate,  bamit 
fie  mid)  gleidj  erfennt.  Unb  bann  neunte  idj  fie  unb 
ben  Sanfo  nor  mief)  auf  ben  ©djimmel,  unb  ba§  $inb 
ladjt  über  ba§  Sßferb  unb  wir  reiten  im  Salopp  Ijier? 
Ijer!  ©u  beftellft  ingwifdjen  ben  ^ßrior  unb  ben  SBla* 
bimir  Sgapfow§fi  unb  Wir  laffen  un§  trauen  —  fjeiffa ! 
©aft  ©u  nur  nichts  oergifjt,  ©tepfjan!" 


133 


„©etoifj  itidjt,  «gjerr!"  ruft  biefer  f)inauf.  Slber 
bann  fagt  er  leife  31t  gebfo:  ,/I)er  ©dämmet  ift  bers 
felbe,  beit  §rifjfo  totgeritten  fjatte,  unb  ber^rior  ift  längft 
in  feinem  gette  erfticft,  nnb  ben  ©gapfotoäti  Ijaben  bie 
Üinffen  fdjon  Dor  öier^ig  Saljrett  bei  bem  großen  9lufs 
ftanb  gelängt.  Unb  tt>o  mögen  Sütta  unb  it)r  Sinb 
mobem?!  dfteitt  armer,  armer  «gjerr!" 

SSernt  bie  ©otttte  enblid)  nur  ttod)  ttrie  ein  glüh¬ 
roter  23ad  am  dtanbe  ber  ©beite  Hebt,  ift  and)  $We3 
für  ba§  morgige  fjeft  gerietet:  ade  Indien  gebaden 
unb  ade  Söddjen  eingebreljt,  ade  (Straften  gelehrt  unb 
ade  Elitäre  aufgepufjt.  Uttb  ber  ©roj&iürbenträger 
Don  SSantoio,  §err  Santo  ©gitpfa,  burdjtoanbelt  ade 
©affen,  bieämal  ohne  beit  fjiftorifdjeu  «Säbel  unb  bie 
S3äreitfliute  Staifer  gerbinanbS  be3  ©iitigett,  fonbertt 
allein  mit  feiner  perf  unlieben  Sßürbe  bewaffnet.  $lber 
fein  «gerg  toirb  milbe,  toäljrettb  er  fo  bafjiitfoanbelt, 
bcittt  er  fielet  ^Ide»  au  unb  ficfje  —  e£  ift  5lde§  gut. 
S>antt  geht  er  itt  bie  ©djänfe  nnb  and)  bort  ift  5lde3 
gut,  unb  bann  geljt  er  fdjlafett.  Uttb  gleich  üjm 
fdjlummert  halb  audj  bie  übrige  23ett>oIjnerfd)aft  be3 
armen,  fdjmufcigett  ©täbtleing  bem  morgigen  £age  ent¬ 
gegen.  üftiemanb  fief)t  bem  Sdtonbe  gu,  tt>ie  er  fachte 
emporfteigt  uttb  bie  ^fiitjeu  in  Silber  ioattbelt  unb  ba3 
toüfte  |jau£  am  gluffe  in  einen  fdjimmemben  Sßalaft. 

dhtr  in  einem  §aufe  ber  Subenftabt  toachen  gtoei 
Sftenfdjett  —  eine  alte  grau  unb  ein  junget  9Jiäbdjett. 
$)iefe£  $au3  gehört  beut  3afob  ©rün,  bie  ©reifitt  ift 
feine  SJhttter  ©arafj,  ba»  „Urbabete",  uttb  ba3  9ttcibd)en 
ferne  ©nfelin,  ‘Sie  fdjöne  Sütta  ©rütt  ift  plöt^lid)  aufs 


t 


134 


gemadjt;  ftc  meiß  felbft  uidjt,  marum  —  4t>eU  ißr  ber 
!tU?onb  51t  Ijed  auf  bie  klugen  gefdjieiten,  ober  meil  fic 
int  (Sdjlafe  bic  flagenbe  (Stimme  ber  Urgroßmutter  gu 
Kjören  geglaubt  fjat.  (Sie  laufet  auf  unb  nun  Ijört  fie 
beutlidj,  tote  fid)  bie  alte  grau  rufjelo§  auf  iljrem 
Säger  mülgt  unb  leife  fdjludjst  unb  ffagt.  „Urbabele !" 
ruft  ba§  dßäbdjen  erfdjredt  unb  richtet  fid)  empor, 
„feib  Sßr,  behüte,  Iran!?  Ober  fdjeint  (Sud)  ber  SJtonb 
3u  ßed,  füll  id)  ba£  genfter  üerljüngeit?" 

„dtatt,  ®inb,"  fagt  bie  (Sreifin,  „laß  beu  9D?onb 
fjereiitfdjauen.  gdj  fei)’  ißn  gern,  gd)  fault  uidjt 
fdjlafen,  —  ad),  mir  bildet  mein  §erg  fo  feljr!  borgen 
ift  ja  bie  gaßrgeit  ttadj  deinem  Urgroßüater!  0  Siub, 
morgen  jäßrt  fid)  mieber  einmal  ber  fdjmarje  £ag,  ba 
bie  (Sfjriften  mie  bie  SBölfe  etngebrodjen  finb  in  nufer 
§au§,  unb  fie  ßaben  fein  liebet  ganpt  gerfdjmettert, 
unb  id)  l jabe  feiuScben  uidjt  gitrüdß  alten  fornten,  unb 
er  ift  geftorben  ßier  auf  biefer  £)iele!  0,  $inb, 
—  mie  fönnf  id)  fdjlafen?" 

„Urbabele!"  fagt  ba§  ÜDiäbdjen  gebriidt,  „tröffet 
(Sud)!  2öa3  näßen  nufere  Sljränen?!  Unb  märe  e£ 
uid)t  (Sötte*  Söide  gerne  feit,  c§>  märe  uidjt  gefdjeljen!" 

„<25otte§  döidc!"  feufgt  bie  alte  grau,  „gdj  glaube 
au  (S ott  unb  mid  nid)t  mit  iljm  rechten,  baß  er  e§ 
gefdjeljen  ließ.  (Sein  dtatfdjluß  ift  uiterforfcßltdj.  5lber 
oergeffeu  fann  id)  uidjt,  baß  bie  Untßaten  nur  beäßalb 
gefcßeßen  finb,  meil  mir  geredjt  marett,  meil  mir  (Sottet 
ßeifigett  tarnen  uidjt  ßaben  f raufen  laffen  modelt! 
'Denn  nur  besljatb  fjabeit  mir  bie  gütta  bem  poluifd)cu 
«gerrtt  genommen,  bamit  (Sott  uidjt  bcleibigt  merbe. 


135 


Unb  bennodj  fjat  er  e3  gebnlbct,  ba(3  be§f)alb  bcv 
Samrner  über  un§  fomme  unb  Worb  unb  ÜBraub !  .  .  . 
SSarurn,  ©ott/marurn?" 

2)ie  alte  grau  richtet  fidj  empor;  unljeimlidj 
leuchtet  ifjr  tobblaffe§  ^Intli^  burd)  bie  monbbefdjienene 
(Stube  gu  bem  SD^äbd^en  herüber,  „üfteiit!"  ruft  fie, 
„oergift,  Sütta,  ma£  id)  jetjt  gejagt  fjabe,  unb  2)u, 
©ott,  öergieb  mir  ba§  tljöridjte  SBort !  Sdj  frage  nidjt, 
marurn  —  aber  bap  $)u  bie  greöel  rädjft,  ©ott!  ljuns 
bertmal  meljr,  al£  $)u  e§  biäfjer  getfjan  fjaft,  ba§  forbere 
idj  üou  ©ir!  Uub  fo  lauge  e£  uid^t  gefdjiefjt,  rufe  id) 
gu  ®ir:  „©ott,  lebft  ®u? !  Sri  fernem  tarnen  fteljt 
ja  gefdjriebeu:  ,$lug;  um  $luge,  gafjn  llm  ^afju!4.  .  . 
«Spore,  Sütta,  meiu  $inb,  mein  (Simon  felig  Ijatgefagt: 
,^)ie  ©fjriften  fiub  gegen  un§  mie  bie  SBölfe;  glitd) 
•  unb  (Sdjmadj  über  nufer  §aupt,  menn  mir  gegen  fie 
mären,  mie  bie  Sämmer!4  .  .  .  Werfe  $>ir  bie§  2Öort, 
SHnb,  merfe  SDir’3.  £)u  bift  jung  unb  fdjön,  mef); 
£>ir,  meint  $>u  einem  ©fjrifteit  gefällft,  hoppelt  mefj;, 
menn  er  *£)ir  gefällt.  ©S  gefjt  gegen  ©ott  unb  barurn 
f'ann  fein  (Segen  barau§  m  erben,  nur  glud)  unb  mie- 
ber  glud)!  SDenf  an  jene  anbere  Sütta,  mein  $inb!" 

£)ie  alte  grau  ftreidjt  ficd)  mie  befinuenb  über  bie 
(Stirne  unb  fäfjrt  bann  leifer  fort: 

„0ie  ^iefi  Siitta,  mie  2>u,  unb  mar  and)  jung 
unb  fdjön,  nodj  oiel  fdjöiter  — -  fo  Ijolb  ift  nie  ein 
Wäbdjen  unter  un§  gemefen.  2lber  and)  gut  mar  fie 
unb  fromm,  ba§  eittgige  Sittb-  ber  ebelften,  reichten 
fieute  unter  un§.  Sfjr  $ater  Wauaffe  mar  unfer  $or- 
fteljer,  ein  fefjr  reidjer  unb  mofjltfjätiger  Wann;  er 


136 


half  beu  tonen,  pflegte  bie  Äranfett,  mtb  als  einmal 
eine  groj^e  ©eud)e  unter  un§  Wütete,  ba  rettete  er  Sag 
unb  £ftad)t,  bi§  er  felbft  fied)  Würbe  unb  erblinbetc. 
Samalä  war  bie  Sütta  achtzehnjährig.  Unb  e£  begab 
fid)  im  näd)ften  grühjahr,  bafj  bie  ©hriftett  baSfelbe 
geft  feierten,  wie  morgen,  unb  fie  famen  burd)  unfere 
Waffen  gezogen  mit  SD^ufif  nnb  galten  unb  mit  ben 
23ilbern  il)rcr  ©oben.  SBir  jebod)  blidten  nicht  hinauf, 
ttod)  miitber  traten  wir  öor  nufere  Sf)ür,  weil  un$ 
bie§  bei  SobeSftrafe  oerboteu  War.  Sftur  ber  blinbe  da- 
itaffe  geriet  in  ben  ^ug,  als  er  bon  ber  SetfchuF  heim* 
feljrte'—  e§  war  nnr  wenige  (Schritte  bon  feinem  ^aufe. 
S)a  f türmten  fid)  bie  ©triften  auf  ben  ©rei£,  fdjlugen 
ihn  unb  wollten  ihn  töten.  toer  Sütta  erfah  bie  ©e* 
fal)r,  ftürgte  hinauf  unb  bedte  beu  Sßater  mit  ihrem 
£eibe.  greilid),  wa§  oermochte  fie  gegen  bie  SSiitenben! 
Diafd)  Waren  bie  Reiben  getrennt,  ben  ©rei£  fd)leppten 
bie  ©haften  3um  Stoffe  unb  ba§  däbd)eu  lad)enb 
gegen  beu  SHoftergarten.  Sa,  in  ber  haften  Sßot 
fant  ein  ^err  auf  einem  Weiten  Stoffe  angefpreugt,  ber 
junge  ©taroft.  ©r  fah  ba£  Räbchen  unb  befaßt,  e3 
loägulaffen,  unb  al3  Sütta  um  Rettung  für  ben  Später 
flehte,  willfahrte  er  lachenb:  „deinetwegen,  Su  bift 
fd)ön!  —  ein  alter  Sube  meljr  auf  ber  Söelt!"  Unb 
danaffe  unb  Sütta  burften  in  il)r  §ait§  guritdfehren; 
ber  Quo,  ging  Weiter,  ©ie  aber  nnb  wir  mit  ihnen 
banfteit  bem  ©wigen  für  bie  Rettung  unb  e£  Warb 
befdb)loffen,  bajj  am  itädjfteu  Sage  bie  Sßorfieljer  §um 
©taroften  gehen  unb  fid)  für  bie  23armhergigfeit  be^ 
baufeu  follten,  toer  bie§  gefdjah  nicht,  beim  er  War 


137 


eilt  (Sfjrift  uub  eilt  s$olc  uttb  l)o(te  ftdj  felbft  beit  £of)it. 
2lnt  2lbeub  überfiel  er  mit  feilten  Sägern  uttb  Unechten 
ba3  $au§  be§  SD^anaffe  nttb  ri§  bie  Sütta  fort. 
Vergeblich  War  it)r  unb  tf)re§  Vater§  glehen.  „Vlittber 
Snbenljunb  !"  fc^rie  if)n  ber  ©taroft  an,  „id)  habe  fie 
ja  nur  be§t)alb  t»or  meinen  $ned)ten  bewahrt,  Weit 
icf)  fie  für  mich  felbft  tjaben  will.  Übrigen^  leit)e  icf) 
mir  fie  nnr  au§,  in  mergelt  £agen  ^aft  $)u  fie 
Wieber."  Unb  er  raubte  ba§  SDiäbchett,  ba£  oor  ©djred 
unb  ©cEjaut  o^nmädjtig  geworben  war,  wie  ber  2Bolf 
ba§  Samm  ... 

„(Sittfe^Xid) !"  ruft  ba£  SO^äbd^en  erbebenb. 

„Sa,  eittfe^Xid),"  Wieberljott  bie  ®reifitt.  „^id) 
padt  e§  feilte  uub  nun  bebeitfe,  wa£  wir  5XXXe  in 
jener  9£ad)t  erlitten.  0,  e§  war  eine  üftadjt  ber 
©djreden!  $)enn  Wenige  ©tmtben  ttad)  bem  Vaube 
ftarb  ber  alte  SUtattaffe,  fein  fiedjer  Körper  fottntc  bie 
beiben  furchtbaren  ©djreden  nicht  oerwiuben.  Uub 
feine  lebten  üföorte  Waren:  „bettet  mein  arme»  $ittb! 
SBentt  Sljr  e£  nid^t  meinetwillen  wagen  wollt,  fo  tfjut 
e§  um  ®otte3  SSUleit.  ©ein  f)eiXtger  Sftame  wirb  ge« 
fdjänbet,  Wenn  ein  jübifdj  $ittb  at§  S3ul)lerin  im 
ßhriftenhaufe  fipt."  5lber  wie  bie*  beginnen?  ®a 
fagte  mein  ©inton,  beit  fie  gunt  SBorfte^er  gewählt 
hatten,  weit  er  ftug  unb  gerecht  War,  tro£  feiner  jungen 
Sahre:  „®er  ©taroft  ha*  nicht  bloft  ®otte§,  er  hat 
aud)  be§  $aifer3  @efep  beleibigt.  Sßir  Wollen  Dor3 
Bericht  gehen."  £)a  machten  fie  eine  Eingabe  nach 
S£arttopol,  aber  fie  Würben  mit  $ohn  gurüdgewiefett. 
Unb  bann  fd)riebeu  fie  ttad)  Semberg,  aber  öou  ba 


138 


fmit  gar  feine  Antwort.  Unb  ettbüdj  nad)  Söieit  unb 
Don  ba  fallt  ein  23rief  $nräcf,  baft  ja  bic  ©adje  nad) 
Santopot  gehöre.  2(ber  ingtoifd^eu  toar  rneljr  a(§ 
ein  Safjr  nergaitgeit  unb  bie  Sütta  toar  nod)  immer 
auf  bem  ©djfoffe  nnb  fjatte  beut  ©tar  offen  einen 
Knaben  geboren,  ber  getanft  tonrbe;  fie  jebodj  toar 
itodj  Sübin.  $)a  fant  gegen  ben  §erbft  bie  -ftacfjridjt, 
baf3  ber  ©taroft  and)  fie  tanfen  (affen  tooHe.  Unb 
baranf  oerfantmelte  ©irnon  in  ber  SBetfdjuP  bie  Männer 
ber  ®emeinbe  nnb  fpradj  §u  ifjnen:  „Sßir  bürfett  c§ 
nidjt  bnXben.  ©ie  ift  Sftaitaffe’ä  Xocfjter;  aber  toäre 
fie  and)  bie  Iefcte  nnb  niebrigfte,  ioir  bürfen  e£  nnt 
©otte£  SSiXIen  nid)t  bnlben.  Unfer  fRecf)t  fabelt  toir 
nid)t  erfärnpfen  fönnen,  too()(ait  beim:  (55etoalt  gegen 
®etoalt!  ßajjt  nn§  in£  ©djfofj  eiitbredjen  nnb  bie 
Sütta  befreien.  £>a§  $ittb  ge()t  ntt§  nidjt§  an,  aber 
bie  Sütta  gehört  nn§.  2Bir  tooden  fie  toeit  toeg 
bringen,  51t  ben  Suben  nad)  9fn^(anb,  nnb  fie  fod 
unter  nn§  gead)tet  toerbeit,  al§  toäre  iljr  £eib  unbe* 
rüf>rt,  benn  nur  bcnt  ^ange  ift  fie  getoidjett."  SDie 
Slnbereit  ftimmten  i()tn  bei  nnb  e§  fragte  fid)  nnr  nodj 
nnt  ben  £ag  ber  2(n§füf)rung.  S)a  Oerriet  ber  Sntfdjer 
bc§  ©taroften,  ein  Srnnfenbofb,  ba^  ber  ©taroft  an 
einem  greitag  oerreifett  nnb  am  ©onntag  baranf 
toieberfontmen  nnb  bie  Sütta  tanfen  (affen  toode.  ®a^ 
ranf  OerfammeUe  ©imon  toiebcr  bie  Scanner  xtttb  a(3 
(Sinige  eintoenbeten,  c§  fei  ja  bie  üftadjt  üon  greitag 
anf  ©abbatf)  nnb  ba  bürfe  ^nait  feine  Arbeit  tf)itn, 
ba  rief  er:  „2£a§  toir  tf)im  toodett,  ift  @otte§toerf, 
nnb  ba£  bürfen  toir  an  ®otte£  Stage  oerridjten,"  3>em 


139 


3unt  geicfjen  gogeit  fie  and)  iljre  Sterbefleibcr  au,  wie 
am  Sage  bei*  SSerföljnung.  Unb  fie  überfielen  in 
felbiger  üftadjt  ba§  Sdjlog.  2lber  al§  fie  gur  Süttä 
fanteit,  ba  fd^rie  fie:  „gurücf,  id)  gehöre  gu  iljnt,  id) 
bin  fein  Seib!"  —  „S)u  lügft,"  erwiberte  (Stnton, 
„£)u  gedurft  31t  un3!  Unb  wenn  Sn  nun  aud)  felbft 
greube  barait  fjaft,  eine»  Triften  SDtcljc  31t  fein, 
Woljlan,  fo  führen  wir  Sidj  fort,  bamit  ($otte§  ^eiliger 
üftame  nicfjt  länger  burdj  Sid)  befdjimpft  Werbe.'1 
Unb  ba  erfannte  fie,  bafs  fein  (Sutriuuen  War,  unb 
bat  nur  noch,  baft  fie  iljr  $inb  mitueljmen  bürfe..  Sie 
2luberen  meinten:  „Sa§  $inb  gel)t  un§  uidjt£  an!" 
aber  (Simon  fagte:  „(£§  ift  ja  bodj  iljr  gleijd)  unb 
23lut!"  unb  fie  liefen  e§  il)r.  £Rod)  in  felbiger  üftadjt 
Warb  fie  Weit,  weit  fortgebradjt,  gegen  bie  (Srenge 
l)in.  Unb  ber  Staroft  I;at  fie  nimmer  gefunben,  bemt 
Wir  fj alten  gufammen  unb  e§  ift  fein  Verräter  unter 
uu8.  Ssergeblidj  lief*  ber  (Staroft  meinen  Simon  unb 
bie  aitbereu  $8orfteIjer  im  Werfer  fdjmadjteu,  er  brachte 
nid)t§  l)erau£  unb  mufde  fie  enblidj  Wieber  enilaf jeu. 
Sd)on  glaubten  Wir  bie  §eimfud)ung  vorüber  — 
bann  fam  Wieber  jene»  gefi  — -  ber  fdjWarge  Sag  — 
unb  f)ier  Ijaben  fie  ifjn  erfcfjlageu.  Selj,  wel)  mir!" 

Unb  wieber  beginnt  bie  alte  grau  3U  Weinen  unb 
gu  Hagen.  @rft  nadj  einet  Seile  Wagt  ba§  9JMbd)en 
bie  leife  grage:  „Unb  Wa§  warb  au§  ber  gütta?" 

„2lu§  gludj  wirb  gludb) !"  erwibert  bie  $llte 
bumpf.  „Sie  brachten  fie  in  ein  einfameä  Sorfwirt§= 
I)au§  in  dhtjdanb  unb  ba  blieb  fie  ben  Sinter  über, 
gm  grii^ling  aber,  al£  ber  Staroft  felbft  31t  fitdjen 


140 


begann,  führten  fte  fie  Weiter  ins  £aitb  hinein.  3ß* 
£'inb  ftarb  eines  Borgens  auf  bem  SÖege,  aber  fie 
tonnten  eS  ißr  nicht  entreißen  unb  fie  ßielt  eS  in  ißren 
Sinnen.  Slm  Stbenb  aber  tarnen  fie  öor  SKoßilew  an 
unb  bort  ift  feine  23rüde  über  ben  S)niefter,  man  muß 
im  $aßn  überfeßen.  Unb  Wie  fie  fo  im  blaffen  9ttonb= 
ließt  hinüber  ruberten,  ba  fpürten  fie  plüßlicß  eine 
©rfdjüiterung  beS  $aßn;S.  £>ie  Sütta  hatte  fid)  er= 
hoben  unb  War,  ißr  totes  $ütb  im  Slrm,  in  bie  bunfle 
glut  gefprungen.  —  SluS  glud)  wirb  glitd)!"  .  .  . 

.  .  .  Unb  bie  Sonne  geht  auf,  bie  Sonne  beS 
gefttagS.  «gjerr  Santo  (Sgupfa  erfdjeint  wieber  in 
ben  Straßen  unb  treibt  feine  SBagabunbett  oor  fid) 
her,  aber  bieSmal  tragen  fie  $örbe  öoll  grünen  SaubeS 
unb  SJlumen  unb  beftreuert  bamit  bie  SSege,  welche  bie 
Sßrogeffion  Wanbein  foU.  $)ann  brößnen  ade  ©loden 
unb  ber  feierliche  3ug  formiert  fid).  SSoran  eine  SDtufif, 
bie  feßr  fdjön  fpielt,  Weber  auSfdjließlidj  23läfer, 
uod)  auSfcßließlid)  Streicher,  fonbern  ßicr  geßt  ber 
SSiolinift  neben  bem  Trompeter  —  jeher,  wie  er  fann. 
®ann  bie  Scßitlfinber  unb  bie  weißgefleibeten  (Sngek 
d)en,  ßierauf  bie  ©eiftlidjfeit  mit  bem  Slllerheiligfteu 
unb  hinter  ihnen  her  ber  SöegirfSßauptmann,  ber  üöes 
girfSridper  unb  ber  Steuereinnehmer.  Slber  in  ber 
Eftaffe  beS  SBolfeS,  bie  nun  üoriibergießt,  ift  ©iuer,  ber 
fo  mächtig  unb  würben  oll  einßerf  freitet,  wie  bie  >Drei 
gufamnten.  Sh1’  erratet  ißn  fd)on! 

Unb  fo  gießen  fie  ßin  oon  einem  Elitär  gunt  an¬ 
bereu  unb  fingen  laut:  „Te  deum  laudamus!“  Elber 
in  einer  üerbunfelten  Stube  ber  Subenftabt  fißt  eine 


141 


alte  grau  mtb  fuirfdjt,  tt>emt  fie  bie  Sötte  f)ört:  „glud) 
ben  Triften!"  —  unb  im  ©cf)lof3f)of  ftefjt  ein  ®rei» 
uub  blicft  51t  feinem  ttmljnfinnigen  |jerrn  empor,  ber 
oor  grcube  langt,  unb  fnirfcfjt:  „glucf)  ben  guben!" 

.  .  .  2öir  ttodett  nidjt  bie  traurige  grage  ent- 
fd^eibeit,  ioer  boit  S5eibeit  bie§  mit  größerem  9ted)te 
jagt.  5lber  ein  attbereä  Sßort  laftt  un§  au§fpred)en 
am  8cf)luffe  biefer  büfteren  ®efcf)id)te.  Surd)  bie 
gal)rf)unberte  unb  bi§  in  unferc  Sage  hinein  Ijat  bie 
Süge  fortgeflungen,  ba}l  nur  ber  (glaube  felig  ntadjt, 
bie  Siebe  aber  blinb,  unb  e§  ift  nidjt  gu  gälten,  mie 
niel  23lut  unb  Suchten  um  biefer  Süge  finden  ge^ 
floffeu  finb.  Sa£t  m§>  enblidj  bie  28al)rf)eit  begreifen, 
bafj  nur  bie  Siebe  felig  mad)t,  berÖlaube  aber  blinb, 
unb  lagt  un§  bafitr  fämpfen,  adort§,  adimmer,  mit 
gangem  «bergen  unb  mit  ganger  $raft.  Unb  bann 
merbeit  auf  Arbeit  feine  (55efcf)ic^ten  nteljr  gefd)el)eu, 
mie  biefiom  finlben@taroften  unb  berfdjönengütta! .  .  . 


©ae  „'Rtnö  btt  ^§üßne“. 

¥ 

foit  einem  Ätnbe  fjaitbelt  btefe  ©efdjicßte.  (£§  fjieß 
Sen  uitb  mar  nierjäljrig,  unb  Ijatte  fdjmarge, 
gtöngenbe  §aare  unb  große  bunf'te  Singen.  ®tefe  Singen 
ober  maren  nicfjt  glängeitb,  mie  ein  Schleier  lag  e§ 
über  irrten  unb  über  bem  blaffen,  garten  ©efidjte  be§ 
flehten  9ttäbdjen§.  @3  mar  feljr  armer  Seute  $inb  unb 
fjatte  ein  eingigeä  Äteibdjen,  ba£  arg  geflicft  mar,  ba§s 
felbe  für  bie  Samftage,  baäfelbe  für  bie  Söodjentage; 
man  fonnte  fanm  nocf)  bie  urfprünglid)e  garbe  be§  gelben 
^iße*  ßerau§  erfennen.  Slber  baljer  rütjrt  jener  Sdjleier 
nidjt.  SSa§  mußte  Sea  non  ber  Slrrnut?!  Sille  Sage 
mürbe  fie  fatt;  mettn  nicßt  gang,  fo  bodj  Ijalb  fatt; 
alle  Sage  burfte  fie  im  Sonnenfcßeiu  fpielen,  fo  niel  ißr 
beliebte.  Unb  ben  aller fd)önften  (Spielplatz  ßatte  fie, 
ben  man  fidj  nur  münfcpen  famt,  groß  unb  grün  unb 
ftill,  unb  ungültige  S3  hinten  muffen  ba  unb  mit  ferneren 
Sölütengmeigen  neigte  ficfj  ber  «golnnber  über  nielen,  fetjr 
nieten  Slußefißen.  Senn  £ea§  Spielplatz  mar  ber  Suben- 
friebßof  gu  23arnom.  ©§  mar  eigen,  menn  man  ba3 
ernfte  $inb  fo  ftill  gmifcßen  ben  ©räbent  eittßergefjen 
faß,  ober  menn  e£  auf  einem  ber  Steine  faß  unb  gufaß, 
mie  bie  luftigen  ©olbfäfer  baßintiefen  burd)  ba$  aufs 


143 


fptoffenbe  ©raS.  5lber  aitdj  baljer  rührte  jener  (Soleier 
nidjt.  SßaS  tourte  £ea  öoit  bent  Tobe? !  Ter  SSnter 
mar  tot,  baS  tourte  fie,  unb  Totfein  fjeifjt  fdjlafen  imb 
niemals,  gar  niemals  tnefjr  junger  fj  ab  en.  Unb  tote 
f)ätte  fie  etma  fonft  ber  tägliche  5lnblid  ber  ©räber  be; 
trüben  fönnen?!  .  .  .  üfteitt,  baS  mar’S  nidjt,  nnb  audj 
bie  Snben  in  23arnom  logen,  mentt  fie  fagten:  „TaS 
SHnb  ift  nnn  einmal  ein  ,SHnb  ber  ©itfjne4  —  mie  foHf 
eS  ein  anber  ©efid)t  Ijaben?!"  .  .  .  üftein,  ein  Erbteil 
mar  jener  3U9  beS  SeibenS  in  bem  blaffen  ©efidjtdjen. 
Tie  arme  Miriam  ©olbftein  f)at  bieS  $inb  unter  einem 
§ergen  getragen,  baS  oon  fdjmerem  Kummer  gequält 
mar,  öon  fdjier  unfäglidjem  ©eelenfdjmerge.  Unb  blutige 
Tljränen  maren  auf  baS  2lntli£  beS  f  leinen  2BefenS  ge? 
faden,  als  eS  an  iljrem  Söttfen  lag.  5lud)  fold^e  Tljränen 
oertrodnen,  aber  fie  laffen  eine  ©pur  gurüd.  Tie 
Heine  £ea  trug  in  iljrem  2Intlip  bie  ©pur  ber  Tljränen, 
bie  einft  iljre  üftutter  barauf  gemeint  fjatte. 

Tenn  fpäter,  als  baS  $inb  IjeranmudjS,  ba  meinte 
bie  Butter  nidjt  meljr.  Tie  arme  SSitme  fjatte  bagu 
feine  ,3eit  meljr.  Ten  Tag  über  mufjte  fie  f Raffen  unb 
forgen  unb  beS  ÜftacfjtS  fanf  fie  ermattet  !§in.  Unb 
felbft  menit  fie  aufmadjte  unb  fo  nadjgrübelte  über  iljr 
partes,  armfeligeS  Seben,  audj  ba  meinte  fie  nidjt.  Tenn 
gum  ©djluffe  fonnte  fie  bodj  immer  fagen:  „©ottlob, 
mein  ®inb  nnb  idj,  mir  braudien  meber  gu  betteln  nodj 
gu  öerljungern.  ©ottlob!  baS  $inb  ift  gefunb!" 

„TaS  $iitb  ift  gefunb !"  Tie  Miriam  ©olbftein, 
bie  Sßitme  beS  Totengräbers  gu  SSarnom,  bie  oott 
ber  ©emeinbe  als  Sßitmeugefjalt  ein  HeiiteS  ©titbdjeu 


144 


in  ber  |jiitte  am  griebf)oftf)or  eingeräumt  erhallen,  bte 
ben  Tag  über  für  frembe  Seute  mufd)  unb  näfjte,  bte 
arme  grau  meinte  audj  be§  9£ad)t3  nicfyt  in  fdjfaffofen 
0tunben.  3fjr  SHnb  mar  gefunb  —  id)  frage  ade 
äftütter:  marum  fjätte  ÜMriant  ®ofbftein  meinen  fallen? ! 

0o  fanten  nnb  gingen  bie  Tage.  Die  f  feine  Sea 
marb  oierjäfjrig  nnb  fpielte  ben  0ommer  über  auf  ben 
®rabpgelit,  nnb  fdjfüpfte  ftid,  aber  fröfjfid)  unter  ben 
^ofunbergmeigeu  fjiuburdj  unb  unter  ber  Söäfdje, 
meldje  bie  Üdiutter  an  langen  0triden  über  ben  (Gräbern 
gum  Trodnen  aufgeljängt  fjatte. 

Dann  aber  fam  ber  |jerbft  unb  bie  füllen,  feuchten 
$tbenbe.  @3  hämmerte  früfj,  bie  arme  grau  fam  erft 
immer  in  ber  Dunfeffjeit  fjeim,  unb  ba§  $ittb  martete 
fo  fange  gebufbig  in  ber  Kammer.  (S§  muftte  ja  bod), 
baf$  ettblid)  braunen  ber  mofjfbefannte  0d)ritt  ffittgen 
rnüffc,  unb  bann  tfjat  ftd)  bie  Tf)ür  auf  unb  bie  Butter 
rief  „Seal"  ttnb  ba§  $inb  ftürgte  in  bie  auägebreiteten 
$lrme.  Dann  machte  bie  dftutter  Sidjt  unb  geuer  unb 
fod)te  für  fiefj  unb  ba§  $inb  eine  marrne  0uppe. 

2Iber  einmal,  an  einem  trüben  falten  0eptembers 
abenbe,  mar  e§  nidjt  fo.  2Bof)l  fam  bie  SSäfc^eriu 
Ijeim  unb  rief  ben  kanten  ifjreä  $inbe§,  aber  e§  fam 
ifyr  nicf)t  entgegen.  Die  grau  ntadjte  gitternb  £idjt. 
Die  0tube  mar  feer.  „£ea!"  rief  bie  dftutter  nod) 
einmal  laut,  gedenb.  teilte  Hntmort.  0ie  Iie§  bie 
erhobenen  |jänbe  mie  gelähmt  finfen.  ‘Dann  raffte 
fie  fidj  auf  unb  ftiirgte  in  bie  Sßofjnftube  ifjre§  !ftad)s 
bar3,  be§  Totengräber^,  ber  einft  ber  ®el)ülfe  if)re$ 
Sftanneä  gemefeu  unb  nun  fefbftänbig  ba§  ämtdjen 


145 


oerfafj.  „Sftein  $inb!"  fdjrie  fie,  „mo  ift  mein  $inb?!" 
©er  9Kamt  unb  fein  SSeib  faljeit  bie  arme  Miriam 
an,  al§>  märe  fie  maljnfinnig.  „SSofjer  füllten  mir'S 
miffen?"  fragten  fie  enblic^  gögentb.  —  „(§&  ift  öer^ 
fdjmunben,  Ijelft,  Jjelft!"  jammerte  bie  SSergmeifelte 
nnb  ftürgte  l)ittau§  in  bie  dtadjt,  auf  beit  grieb'fjof. 

©e§  ©otengräber$  Söeib  lief  fudjenb  auf  bie 
|)eerftraf$e  gegen  baS  (Stcibtd;en  gu,  ifjr  9ttamt  folgte 
ber  armen  Butter.  (£r  fannte  fid)  feljr  gut  au§  unter 
ben  |)ügeln  unb  ben  ©teilten,  aber  er  öermodjte  9J?iriam 
nicf)t  eittguf)olen.  SBie  ein  gcf)e^te§  Sßilb  eilte  fie  über 
©tod  unb  ©teilt,  halb  ftiejs  fie  fid)  an  einem  @5rabftein, 
halb  ftofyerte  fie  über  eine  SBaurnmurgel,  aber  üormärt§ 
rannte  fie  unb  frettg  nnb  quer,  itub  fdjrie  in  ©obe§s 
angft  immer  mieber  ben  tarnen  il)re3  Sinbe§.  ©er 
ÜUtonn  fannte  biefeit  Drt  unb  ade  ©djredeit  biefeS  Drteä 
mären  iljnt  ein  Mtäglidjeä,  unb  bennod)  fträubte  fid)  feilt 
§aar  üor  (ünttfetgen,  al§  er  fo  in  bunfler  -ftadjt  über  bie 
(Gräber  lief, unb  ber  Sftotfdjrei  be§SSeibe§  immer  mieber  an 
fein  Dl)r  fd)lug.  ©o  näherten  fid)  SBeibe  ber  ©tede,  mo 
ber  griebljof  non  bem  glufjbett  begrengt  mirb,  üoit  beut 
SBett  be§  tiefen,  langfam  unb  träge  baljin  flutenben  ©ereb. 
„©er  fjaun  ift  fdjabljaft,"  fliifterte  ber  ülftann  üor  fic^ 
Ijitt,  er  magte  ben  ®ebanfen  nic^t  auSgnbeufen. 

$lber  ba§  ©djidfal  mar  barmljergig  gemefen.  2ll§ 
bie  Reiben  längä  be§  ,3auiteg  ^in.eilten  unb  Miriam 
mit  faft  oerfagenber  ©timme  ben  kanten  be§  $inbe3 
fcfjrie,  ba  marb  plö^lidj  hinter  einem  ©rabftein  Ijerüor 
ein  büitne§,  gitternbe£  ©timmdjen  üernefjmbar,  ba§ 
„Butter!"  rief.  ©a§  Heine  9ttäbd)eu  Ijatte  fid)  beit 

St.  gratis  o>3,  Silben  t>.  99arnoit>.  10 


—  146 


Tag  über  miibe  gelaufen  unb  war  oon  ber  Dämmerung 
an  ber  entlegenen  ©teile  iiberrafdjt  worben.  ©o  hatte 
e§  fich  benn  ^ingefe^t  unb  War  etngefdjlafen.  Ta§ 
$Hnb  begriff  faurn,  warum  bie  Butter  e§  fo  Saftig 
empor  unb  an  i^re  SBruft  ri§,  warum  fie  if)m  ba§ 
Heine  5lntlit}  mit  tanfenb  Hüffen  nnb  ^^ränen  bebedtc. 
Sangfam  trug  fie  e§  in  ba£  |jäu§cf)en  §nrü(f ;  ber  Toten¬ 
gräber  folgte  if)r;  auch  er  mar  erfreut,  aber  bennodj 
fcf)üttelte  er  beu  $opf  unb  murmelte:  „(£§  Ijätf  mich  nicht 
gewunbert,  Wenn  wir  ba§  Sinb  tot  gefunben  hätten  ober 
gar  nid^t.  Ta§  ,grope  ©terben‘  foH  ja  wieber  tyerant 
^ie^eu;  man  fagt,  e§  ift  fdjon  bei  ben  Türfen  .  .  ." 

5lber  Miriam  oernahm  biefe  fonberbaren  SSorie 
nicht,  ©ie  trug  ba§  $inb  in  ba3  ©tübcf)en  nnb  bettete 
e3  ba  Diel  Weidner,  al§  gewöhnlich,  nnb  ftrich  ihm  ba3 
$aar  an§  ber  ©time  nnb  füfjte  e§  unzählige  SDZale. 
Tann  ging  fie  gu  ben  Nachbarn  h™über  nnb  banfte 
ihnen,  nach  SSeiberart,  mit  feljr  üielen  Porten.  Unb 
Öarauf  !am  fie  in  ihr  ©tübchen  guritd  nnb  banHe 
auch  ®ott.  Ta§  aber  tljat  fie  mit  einem  einzigen 
langen,  langen  SSlid  gegen  §immel. 

©Olafen  fonnte  fie  nicht;  fo  hodte  fie  bemt  neben 
ber  Ueinen  Sagerftatt  hin  nnb  blidtc  il)r  fd^lafenbeö 
$iub  an.  5lber  «gjintmel!  wa§  war  ba§?!  Tern  armen 
SBeibe  gerann  ba§  33lnt  Wieber  gu  (£i3.  Ta§  fonft 
fo  bleiche  5XntIi^  be»  $inbe§  War  fieberhaft  gerötet, 
bie  5ltemgüge  gingen  fdjwer  nnb  rödhelnb,  bie  «gjänbe 
nnb  bie  güfjdhen  waren  falt  nnb  ber  $opf  gliihenb 
heij3.  „£ea,  bift  Tn  Hanf!"  rief  bie  Butter,  „fpridj, 
mein  £eben!"  Ta§  ^inb  öffnete  beim  Klange  ber 


147 


ttofjlbefamtten  (Stimme  bie  Äugen:  fie  toareu  uid>t 
glangfoä  me  fonft;  ein  frembe§,  uufjeimfid)e§  geuer 
gliifjte  in  itjnen.  „dftid)  friert!"  ftammelte  ba§  $inb, 
bann  fdjfoft  e§  lieber  bie  Gingen  nnb  bie  |jänbdjen 
griffen  in  frampffjaftent  ^liefen  an  ber  Tede  untrer. 

„Ta§  5Hnb  ftirbt !  .  .  ^Die  Sßittne  fpracC)  e§ 
nid)t  au§,  aber  fie  füllte,  tt>ie  ifjr  ber  (Skbanfe  riefen- 
grofj  über  (Seele  unb  Körper  fam,  baf$  fie  fein  ©lieb 
git  regen  bermocf)te.  Tann  aber  ermannte  fie  fid),  rifj 
ba§  bitnne  Tudj  öon  ben  (Sdjuftern  nnb  itjr  geiertagäffeib 
au§  ber  Trufje  unb  bedte  23eibe§  über  ba§  $iitb.  (£§ 
fror  fie  heftig,  if)re  3äljne  fd)fitgen  aneiuanber,  aber  ft>a§ 
achtete  fie  ba§?  (Sic  ftür^te  ttneber  §ur  Sftadjbarftube 
unb  rüttelte  an  ber  oerfcf)! offenen  Tfjitre.  Tie  arme 
grau  ioodte  xfyxen  dtocpar  bitten,  fjerübergufommen  unb 
gu  fefjeit,  tt>a§  bem  $inbe  fe^Ie.  ‘Denn  ein  Totengräber 
oerfiefjt  unter  ben  Suben  jener  Saubfdjaft  meift  nod)  ein 
anbereä  Ämt:  er  toartet  bie  Traufen.  28er  ben  Ärgt 
nidjt  ruft,  ruft  bod)  ntinbeften§  ben  Totengräber.  Äber 
ber  9flamt  toar  in  ba§  0täbtdjen  gegangen,  um  bie  Sftadjb: 
ttacfje  bei  einem  eben  Verdorbenen  gu  galten,  bei  bem 
reidjen  SCftofeä  greubentljaL  9^ur  fein  28eib  fam  unb 
loadjte  mitfeibig  mit  ber  28ittt>e.  „(£§  ift  nur  eingieber," 
tröftete  fie,  „ba§  $inb  f)at  fic^  erfäftet.  ift  nur  ein 
gett>öf)nlid)e§  gieber,  fe^t,  nun  folgt  auf  bie  $äfte  bie 
|ji|e."  Sn  ber  Tljat  gfüfjte  nun  ber  gange  Körper  be§ 
$inbe§  uttb  bie  Butter  mufjte  ade  Teden  entfernen. 
Tie  grauen  fo djten  einen  Tf)ee  au§  fräftigen  Kräutern, 
aber  babon  mochte  ba§  $ittb  nid)t§  nehmen.  Sattg- 
fam,  fangfam  verging  bie  furd)fbare  Sttadjt. 


ber  borgen  graute,  fant  ber  Totengräber  bott 
feinem  traurigen  $lmt  ttad)  §aufe.  (Sr  trat  an  ba§ 
Säger  be§  franfen  $inbe§  unb  fdjüttelte  ben  $opf.  SSers 
gtt>eiflung§üolI  rang  bie  Butter  bie  ^änbe  bei  biefer 
©ebärbe  unb  ftöfjnte  leife  auf.  Ter  Sftaun  füllte  9ftits 
leib  mit  il)r.  „(S§  ift  niept  gefäplid),"  fagte  er  gogernb. 
„Ta§  $inb  mirb  mol)l  mieber  gefunb  merben." 

„Sagt  mir  bie  2Ba^rf)eit,"  bat  Miriam,  „ben 
Toftor  nrid  idj  jebenfatl§  rufen." 

Ter  Totengräber  gudte  bie2ld)feln.  „Ter  Toftor  ift  in 
3alefgcgt)fi,feit  ad)tTagenf<pn,beiber$lffentierung.  ^Xbcr 
mär' er  aud)l)ier  —  bem  $inb  fann  fein  Toftor  fj  elfen!" 

„5llfo  mujs  e§  fterben?"  fragte  Miriam  leife;  fie 
mar  bem  Umfinfen  nap. 

„$ein  Toftor,  mein'  idj/  mieberljolte  ber  Totere 
gröber  lang] am,  „nur  ein  frommer  9ftann,  ein  Diabbi. 
$eute  um  gep  Up  ift  bie  23eftattung  be§  alten  S0^ofe§ 
greubentpl.  Ta  fommt  unfer  fHabbi  mit  prang. 
^Bittet  ip,  ba§  er  ba.§  $inb  anfiep  unb  fegnet.  (Sr 
ift  ein  frommer  Sftann,  üiedeidjt  ift  feine  eigene  straft 
grofj  genug,  gu  retten,  DieÜeidjt  giebt  er  (Sud)  einen 
fftat."  Tamit  ging  er  pnau§,  bem  neuen  Hnföntmling 
bie  (Stätte  gu  bereiten,  ©ein  SBeib  folgte  i§m. 

,,3d)  follt’  eigentlich  gleid)  gtoei  Gräber  graben," 
fagte  er  unb  ftieft  ben  (Spaten  in  bie  (Srbe. 

„Tu  meinft  ba£  $inb?"  fragte  fein  SSeib.  „Tie 
arme  üMriam  —  baji  ©ott  bepte  ..." 

„Sa!"  ermiberte  er,  „c§  tpt  mir  felbft  ba§  |jerg 
mel).  2lber  ba  giebt  e§  feine  9ffenfepnptlfe.  SOTan 
fagt,  ba§  .grop  Sterben4  fommt  mieber.  (3>ott  roiH 


149 


un»  ncrfdjoneu,  er  nimmt  nur  ba§  ,$ittb  ber  ©ü§ne‘, 
ba§  mir  ifjm  beftimmt  tjaben." 

„Um  (55otte§  mitten!"  fdjrie  ba$  2Öeib  auf,  „ba- 
rum  foll  ein  unfdjutbig  Seben  öergef)en?" 

*3)er  üftantt  gudte  bie  5ld)feln.  „üBa§  mittft  £)u 
frömmer  fein,  at§  unfer  frömmfter  Sftabbi?  2Sa§  mitlft 
$u  geredeter  fein,  al§  ber  grofie  Sfteb  ©rotce,  ber  SSuu^ 
berrnbbi  non  ©abagöra,  ber  e3  fo  emgeorbnet  tjat?!" 

2)ie  grau  öerftummte  .  .  . 

% 

28a£  ^atte  ber  2öuuberrabbi  angeorbnet?  Söarum 
nannten  fic  bie§  $ittb  ein  „Sinb  ber  ©ütjne"  ?! 

Unfjeimtidj,  riefengrofi,  ein  entfe^Iicl;er  SSitrgengel 
bc3  «fperrn,  mar  im  Safjre  be3  Untjei(£  1831  eine  bi§s 
t)cr  ungefannte  $ßeft  über  alte  Sauber  gefomnten.  SRan 
nannte  fie  bie  (Sfjotera.  SSont  fernften  Dften  fam  fie, 
in  ben  fernften  Sßeften  brang  fie  nnb  oeröbetc  bie 
©töbte  nnb  beüölferte  bie  ($rabftätten.  gurdjtbar  tag 
fie  über  ben  fdjmutügen,  armfetigen  ©täbtdjen  berbo; 
botifdjeit  (Sbenc;  mie  gtiegen  fanfett  Ungäfjlige  bat) in, 
nnb  nidjt  9Renfdjentjänbe  genug  gab  e§,  bie  Soten  gu 
begraben.  $ein  |jeilmittel  rettete,  feine  £ebett£meife 
fdjiibte.  Stumpfe  Ergebung  fam  über  bie  9Rcttfdjen, 
ober  mitbe,  ingrimmige  SSergmeiftung.  Unb  ($ott  tiefj 
c§  gefcf)ef)en  unb  öon  (55ott  fam  feine  $ütfe!  ©ie 
fdjrieen  gu  ifjm  unb  er  t)örte  fie  uid)t  .  .  . 

SSarum?  marurn?!  ütöar  e£  beim  nidjt  i^r  (55ott, 
gu  bem  fic  ftef)ten,  ber  ®ott  if)rer  SSäter,  ber  ©tarfe, 
(Scredjtc,  föingige?!  §attc  er  feine  Dtjreit  mef)r,  um 
gu  tjören,  feine  Strme  mefjr,  um  gu  Reifen?  SSarum 


150 


müietc  er  plö^M)  gegen  fein  eigen  Volt,  marum 
fdjonte  er  nid)t  einmal  bie  ©Uten  nnb  <55erecd)ten? ! 

Sie  (^ebanfen  biefer  unglüdlidjen  dftenfdjen  be^ 
gannen  fidj  §u  öermirren.  gür  fie  gab  e£  ja  nur 
ein  £id)t  in  iljrem  Seben:  iljren  (Glauben,  nnb  biefer 
(Glaube  trog  fie.  ©ie  faxten  e§  nicd)t !  Sa  laut  über 
fie  ein  anberer  ©ebanfe,  furdjtbar,  gerfdjmetternb  nnb 
bod)  gugleidj  troftood.  2öar  il)r  ©o tt  nidjt  and)  ein 
©ott  ber  diadje?!  2Bar  er  nid)t  ein  eiferooder  (55ott, 
ber  jebeit  greüel  graufam,  unerbittlidj  füljnte?  Unb 
menn  er  tjeute  feine  §anb  auf  ©uteu  nnb  Vöfen  fo 
fürdjterlid)  laften  lieft,  gefdjaf)  e£  nidjt  öiedeidjt  be^ljalb, 
meil  bie  Vöfen  fünbigten  nnb  bie  (Bitten  biefe  ©ünbeu 
ungealjnbet  nnb  ungerädjt  gefdjefjen  liefen? 

„Peinigen  mir  un£!"  erfdjod  plöftlidj  ber  gedenbe 
fRuf  burdj  ba§  unglüdlidje,  öerblenbete,  Ooit  2lngft  nnb 
Trauer  gepeitfd^te  Sold  „©udjett  mir  ben  $reöel  auf 
in  nuferer  SCRitte  unb  oerfölpten  mir  burd;  feine  Ve? 
ftrafnng  ©otte§  ,3orn!"  ttttb  reinigten  fid)  .  .  . 
©in  Volfögeridjt  entftanb,ein  unl)eimli<^e§©eridjt,ba£  im 
Suntel  prüfte,  im  Suntel  entflieh,  im  Daniel  ftrafte,  gram 
fant,  grimmig,  mit  einer  (bemalt,  ber  mau  nid)t  entrinnen 
tonnte.  ©§  ^attetanfenb  Gingen  unb  taufenb^lrme, nnb  mar 
bod)  uufid)tbar  nnb  uufaftbar.  ©ie  „rädjten  ©otte§  Ijeili' 
gen  tarnen",  unb  in  ber  Sljat  mag  in  jener  3eit  mandjem 
Verbredjer,  ber  ber  Suftig  be£  ©taate$  entronnen  mar,  bie 
©tunbe  ber  Vergeltung  gef  plagen  t)aben.  5lber  mit  mie 
öiel  unfdjulbigem  Vinte  fidj  bie  Söaljnfinnigen  beluben? ! 
©£  finb  in  jenen  büfteren  Sagen  Saaten  gefd)et)en,  baft 
ba£  $erg  erftarrt,  menn  man  i^rer  gebeult, 


151 


Slber  bie  ©eitere  Warb  nur  immer  furchtbarer  unb 
bösartiger.  Unb  nun  legten  auch  bie  wenigen  Birgte 
bie  «fpänbe  in  ben  ©chog.  ©ie  fonnten  nun  nicht 
einmal  linbern,  gefdjWeige  benn  erretten  .  .  . 

SDa  liefen  bie  SCftenfchen  ab,  gegen  eiuanber  31t 
Wüten.  £>ie  wadjfenbe  28ud)t  beS  UnglüdS  machte  fie 
Heinmiitig,  ja  entf erlich  feig,  ©ie  wagten  e§  nic^t  ein* 
mal  mehr,  felbft  31t  ©ott  31t  beten.  (Sin  Zuberer,  ein 
Vermittler,  foltte  cS  für  fie  tl)un. 

3u  biefem  giirbitter  wählten  fie  ben  SRabbi  oon 
©abagöra,  einem  f leinen  ©täbtehen  in  ber  Vufowina. 
®er  Stlcann  l)ief3  ohnehin  feiner  angeblichen  Xljateu 
Wegen  allgemein  ber  „SSunbermann".  (Sr  foHte  helfen 
unb  erlöfen,  burd)  gleljen  oor  ®ott,  burd)  eigene  X^at. 
2)enu  er  War  ja  in  ber  Meinung  jener  Unglüdlichen 
ber  9)?ann,  aus  beffen  ©efchledjt  einft  ber  (Srlöfer  ers 
,  flehen  würbe,  nnb  e§  ging  bie  ©age,  er  trage  auf  ber 
innent  «ganbflädje  baS  SSah^eichen  beS  föniglichen 
©tammeS  2)aüibS,  baS  Slbbilb  beS  £öwen,  feltfam  als 
äußeres  Reichen  Göttlicher  ©enbnng  in  bie  |jaut  eins 
gegraben,  $)arum  rafften  fie  (§5elb  nnb  ^oftbarfeiten 
3ufammen,  unb  felbft  bie  5lrmut  opferte  ihre  |jabe,  ben 
$iabbi  3U  befd)en!en  nnb  fo  3m;  gürfpradje  bei  ®ott  3U 
oermögen.  3)er  uneigennützige  ülftann  üerfprad)  3n  helfen. 
„3hr  2Mc  höbt  (Sott  beleibigt,"  oerfidjerte  er,  „3hr  ^Ide 
müßt  Vuße  thun. "  Unb  er  f djrieb  Vu  fjtage  au£,  unb  pünftlidj, 
fdjier  graufam,  Warb  gaften  nnb  $afteiung  burcb)gefü^rt, 
benn  bie  5lngft  oor  bem  £obc  wachte  über  ber  (Srfülluug 
beS  (Gebots.  (SS  Hingt  unglaublich,  aber  eS  ift  wahr, 
baß  in  jener  ,3eit  brei  Wochen  ^inburc^  bie  gefamte 


) 


152 


jübifdjc  Veoölfentug  jener  öftlidjen  fiaitbc  nur  jcbcn 
gU?eiten  Sag  (Speife  unb  Sranf  genop. 

Sie  folgen  fwb  leicht  51t  begreifen :  über  bic  gc« 
marterten,  gefdjtoädjten  Körper  fam  bie  (Seuche  mtr 
um  fo  rafdjer.  Ser  fRnf  beS  Üiabbi  ftanb  auf  bem 
(Spiel  unb  bamit  bie  ©inträglid)feit  feines  ©efdjaftS. 
(Sr  erfann  ein  anbereS  SWittel.  ,,©ott  am  meiften 
Wohlgefällig,"  öerfünbete  er,  „ift  bie  Vermehrung  feiner 
©laubigen.  Sebe  ©emeinbc  ftatte  ba^er  eilt  ober 
mehrere  *ßaare  aus  unb  oermäl)le  fie  —  ein  Opfer 
bem  erzürnten  ©ott  —  auf  bem  griebhof." 

SaS  SKittel  hatte  üerfdjiebeuen  ©rfolg.  S’n  manchen 
Orten  bewirf te  bie  5lufammlung  ber  3Kenfdheu  auf  bem 
griebhof,  bie©d)Welgerei  bei  bem  §od)3eitSmahl,uur  noch 
ein  üföachfen  ber  (Seuche.  5lnberwärtS  aber  fchabete  baS 
Wahnfinnige  ÜDUttel  nicht,  Weil  baS  „grofje (Sterben"  ohne« 
l)in  im  Slbnehmen  War,  unb  halb  baranf  erlofcf)  biefeS. 

SaS  SQcittel  blieb  in  ©riitnerung.  Unb  als  baS  Sahr 
1848  herauf  am  mit  alT  feinem  gfreiheitSjubel  unb  all'  fei= 
ncnSobeSnöten,unb  als  and)  baS  „gro^e (Sterben"  wieber 
heraugefd)lid)eit  fam  burch  bie  (Steppen  beS  OftenS,  ba 
griffen  bie@eängftigten  wieber  31t  jenem  Mittel,  unb  aller« 
ortS  gab  cS  wieber  foldje  fchauerlidje  «gjochseitSfefte. 

«Ifo  War  eS  and)  in  Vantow.  SaS  arme  Sßaar, 
baS  bort  —  of)ne  gegenfeitige  Neigung,  burd)  ben 
SStUett  ber  Vovfteher  —  erwählt,  mit  fitmmerlidjem 
§eiratSgut  bebadjt  unb  bann  mitten  gwifdjen  ben  fri« 
fcheit  ©räberu  getraut  würbe,  War  9ßatf)au  ©olbftein, 
ber  Totengräber,  unb  SDWriam  Stoth,  bie  blutarme 
Söaife,  bie  im  $aufe  beS  ©emeinbeöorfteh.erS  als 


153 


9)?agb  biente.  0ic  faljett  fid)  eigentlich  311m  erfteu 
SDcale  rcdjt  an,  als  fie  bereits  unter  bcnt  Srauhimntel 
ftanben.  9lber  bie  ©Ije,  bie  fo  ptö^Iidf),  in  fo  gräfc 
lieber  Umgebung,  3U  fo  traurigem  3mcd;  gefdjloffett 
morben,  mar  bettnod)  ftill  unb  frieblid).  Ser  $ned)t 
uub  bie  SDcagb  —  mer  rnufjte  beffer  als  biefe  ben 
0egett  beS  eigenen  $auSftanbS  3U  fd)äfeeu? 

0o  lebten  £Ratf)au  unb  SOtiriam  gliidlidj  ntiteiuanber 
uub  3m ei  Slittber  mürben  ifjnett  geboren.  Ser  erfte  grof?e 
0djmei'3  fam  über  fie,  als  bie  beiben  Stüber  plö^lid^  rafd) 
Ijinter  einauber  ftarben.  SaS  mar  im  3aljr  1859.  2lber 
freuublidjeit  @rfa^  mollte  (55ott  irrten  gemäljren:  imgrü^ 
ling  beSfelbett  SaljreS  füllte  fidj  Miriam  mieber  Butter. 

2lfS  aber  ber  0ommer  jetteS  3al)reS  inS  £aub  fam, 
ba  fam  and)  mieber  jener  entfe^lic^e  SSürgettgel 
auS  Offen  gefdjritten  unb  mieber  ^ielt  er  fiirc^ter- 
lidjeS  ©eridjt  über  bie  oermaljrfoften  jübifd^'polnifd^eit 
0täbtdjen  ber  großen  ©bene. 

33arnom  blieb  »erfdjont.  §ier  fiel  nur  ein  ein- 
3igeS  Opfer:  ÜKatljau,  ber  Soteugrciber.  ©re^euloS 
mar  ber  0d>mer3  ber  Söitme,  bie  nun  in  ifjrem  ^ 
ftanb  hoppelt  IjülfloS  mar.  3lber  bie  (§5emeinbe  jubelte 
über  beit  gliidlidjeu  Verlauf  ber  grojjen  ^ranf^eit, 
unb  als  biefe  and)  ringS  int  fianbe  erlofdjett  mar, 
fanbte  fie  bie  9?ad)rid)t  baoott  mit  Saitffagungeu  unb 
©efdjeufeu  uadj  0abagöfa,  an  ben  0of)n  beS  SSmtbers 
manttS,  ber  beS  SÖaterS  ©efdjäft  geerbt  ^atte.  Sie 
©efdjenfe  nahm  ber  9?abbi  au,  bie  Sauffaguitgeit  lief? 
er  fid^  gefallen,  unb  als  ifjrn  bie  $lbgefanbten  oott  bem 
einzigen  SobeSfafl  berichteten,  oerfichertc  er:  „3hr  mar't 


154 


©ott  wohlgefällig,  barum  liefj  er  bie  ©eud)e  oor  elf 
Sauren,  !aum  bafj  3hr  ba§  Opfer  gebracht,  erlöfdjen. 
Dlber  bie  äftenfdjen,  bie  3hr  fo  gütig  bebadjt,  waren 
ihm  nicht  Wohlgefällig.  Tarunt  Iie§  er  bie  $inber 
ftcrben  unb  bann  —  ein  ©iif)nopfer  für  (Sud)  Dille  — - 
ben  äRann.  Unb  wenn  ba£  Sßeib  wicber  ein  SUnb 
gebärt,  fo  Wirb  aud)  bieS  SUnb  nur  barum  leben,  um 
bereinft  ein  ©iihnopfer  für  (Sud)  alle  gu  fein." 

@o  fprad)  ber  Dtabbi,  benn  bie  SÖitwe  eines 
Totengräbers  famt  feine  ©efchenfe  geben.  Tie  STOämter 
aber  lehrten  heim  unb  oerbreiteten  ben  ©prudj  unter 
ben  Senten.  Dlud)  Miriam  hörte  baoon  unb  Weinte 
blutige  Thränett  barüber.  Tann  aber  hotte  fie  feine 
3eit  mehr  bagu;  fie  muftte  arbeiten,  um  mit  ihrem 
Stinbe  nicht  gu  üerhnngent. 

©o  oergingen  bie  Saljte  un^  fam  ber  §erbft 
heran,  ber  trübe  §erbft  oon  1863.  Tie  ^ßolen  hotten 
fid)  erhoben  gegen  baS  gro^e  SBolf  beS  OftenS,  unb 
unheimliche#  ©fcrüdjt  ging  burd)  bie  £anbe,  ba{3  and) 
jener  SBürgengel  Wieber  erWod)t  fei,  ber  gräfliche 
SBruber  unb  ©efährte  beS  Krieges.  Unb  barnnt  glaubte 
ber  Totengräber  nicht,  bajj  baS  arme  „Äiub  ber 
©ithne",  bie  fleine  £ea,  gerettet  Werben  fönne  .  .  . 

* 

T aS  ^Begräbnis  beS  DftofeS  greubentfjal  war  nor* 
über.  (Sr  war  ein  fehr  alter  DJtantt  geWefen,  gang  üer^ 
einfamt;  an  feinem  ©arge  War  feine  filage,  bie  wenigen 
Begleiter  gingen  rafdj  auSeinanber.  Dludj  ber  alte  $fabbi 
beS©täbtdjenS  Wanbte  fid)  gum©ehen.  Stuf  bief en Stug eus= 
ölicf  hotte  bie  SBitwe  oon  ferne  bemütig  geharrt.  DU m  trat 


155 


fie  bem  dtabbi  in  benSßeg  unb  bati^naclii^rem^inbegu 
fefjen.  ©ie  fügte  fein  flel)enbe§  SSort  fjingu,  aber  in  ifjrer 
(Stimme  unb  bem  SBlicf  i^rer  klugen  lag  etwas,  ba§  bem 
alten  Spanne  unwidfürlidj  an§  «gjerj  griff.  $leid)Wobl 
gogerte  er  einen  Slugenblicf.  TiefeS  Sßeib  War  ifjrn  peius 
lieb),  war  fie  bodj  ®ott  nic^t  wohlgefällig !  llnb  wa§  nun 
gar  oodenbS  ba§  Stinb  betraf,  biefe£„$inb  ber©üf)uc". . . 

Slber  er  trat  bodj  in  baS  |jäu£djeu  unb  in  bie 
Kammer.  Tann  beugte  er  fid)  über  ba§  Säger  be£ 
franfett  SinbeS  unb  faf)  eS  lauge  an.  ©ein  Slntli^ 
War  ftreng  unb  b)erb,  als  er  fid)  roieber  aufrid^tete. 

Sn  töblidjer  Slngft  f)arrte  bie  Butter  feinet  $tu£s 
fprudjS.  Sfber  ber  alte  -Jftaun  fdjwieg  unb  fd)idte  fid) 
3unt  ©e^en  an. 

„Sßodi  8^r  baS  $inb  nid)t  feguen?"  fragte  baS 
SSeib  be§  Totengräber». 

„grau/'  erwiberte  ber  Ü^abbi  bumpf,  „bem  Äinbe 
hilft  fein  ©egen.  Unb  bann  .  .  .  icfj  t^ue  e§  nicht,  eS 
Wäre  ein  ©ingriff  in  ben  SSiden  beS  OTmädjtigen." 

ÜDfit  einem  ©d)rei  ftürjte  bie  Sftutter  an  ba§ 
Säger  unb  umfdjlang  baS  fiebernbe,  bewufjtlofe  $inb, 
als  Wollte  fie  eS  gegen  jebe  frembe  §anb  fdjüfceu, 
felbft  gegen  ©otteS  |janb.  Tann  rief  fie  geüettb: 
„SBarum,  D^abbi,  warum?" 

Ter  alte  ÜUcann  faf)  fie  finfter  au,  bann  fugten 
feine  Singen  Wie  »erlegen  ben  S3oben.  „Tu  weif#/' 
fprad)  er  gögernb,  „warum  Tn  Teinem  Spanne  anges 
traut  worben  bift.  Tu  Weif#,  Warum  er  geftorben  ift, 
unb  Welche  golgeit  fein  Tob  bradjte.  Tu  weifst,  Weld)e 
Sporte  ber  grofje  fHabbi  twn  ©abagöra  über  Ticb  unb 


156 


Sein  Stinb  gefprodjett  fjat.  üftuit  .  .  .  unb  .  .  .  unb 
ba§  grojse  ©terben  gief)t  lieber  fjeratt  .  . 

&>a£  Söeib  oerftanb  il)n.  „W)\"  fdjrie  fie  auf,  e3 
ioar  ein  unbefdjreiblidjer,  fdjrider  Saut  be£  8ammcr§ 
unb  be§  Sorueg.  SCRit  gliiljenbeu  klugen,  mit  flammen* 
beut  Mtlib  rid)tete  fie  fid)  langfam  üom  Säger  empor, 
bi§  fie  beut  fRabbi  bidjt  gegeuiiberftanb.  Unb  fo,  Mg’ 
in  Mg’,  gifdjte  fie'ä  il)m  iit£  Mtlifc:  „Su  Iügft, 
fHabbi,  £)u  Iügft!  93?ein  SHnb  toirb  nid)t  ftcrben!  .  .  . 
®ott  ift  weife,  utilbe,  gered)t,  S>u  aber,  £)u  unb  8J)r 
Me,  3d)r  feib  e§  nidjt!  (beredjt  Wodt  3fw  fein  unb 
fönnt  oerlaugen,  bafc  ein  uitfdjulbig  $ittb  für  (Sure 
©iinben  büfje?!  SDUlbe  wodt  3^  fein  unb  Wünfdjt 
(Surem  Mdjften  beu  S^ob  ? !  SSeife  wodt  8l)r  fein 
unb  fönnt  glauben,  ba^  @ott  ba§  gutaffen  wirb,  itnfer 
guter,  ftarfer,  gerechter  (55ott? !" 

SSilb  griff  fie  fid)  an  bie  ©time,  wanfte  unb 
fanf  befiunung§to£  gufammeu. 

„($ott  mag  entfd)eibeu  gwifdjen  mir  itub  itjr," 
murmelte  ber  alte  Ülftann  unb  oerliep  bie  ©tube. 

* 

(Sin  Sag  unb  eine  Mdjt  Waren  oergaitgen  unb 
e£  fdjieit,  bafc  ®ott  halb  etitfdjeiben  Werbe  gwifdjen  ber 
armen  grau  uttb  bem  Mbbi.  fdjien,  baf;  er  für 
beu  fRabbi  entfdjeiben  Wode,  für  beit  Mmbermann  unb 
bie  fjarten,  tfjöridjten  äftenfdjen.  2113  ber  borgen  be§ 
gweiten  Sage3  grau  burd)  bie  genfter  ber  Kammer  lugte 
unb  bie  Mdjtlampe  f)in  unb  t)er  fdjwaufte  im  |>aud)  be3 
falten  §erbftwinb3,  ber  burd)  ade  ©parreit  brang,  ba 


157 


ftacfertc  aud)  ba§  junge  Sebeit  nur  nod)  mic  ein  Oers 
föfdjenbe*  $erglein  oor  bem  eifigett  ^aud)  be3  Stobe3. 

®ic  Butter  tocinte  nid^t  meßr.  ^er  tröftenbe 
Duell  ber  grauen  mar  ißr  öerfiegt.  9Kit  ftarren, 
trodenen  Gingen  fauerte  fie  neben  bem  ®ranfenlager. 
9£ur  gumeilen,  meitn  gieberfeßauer  ben  £eib  be§  $ittbe§ 
burdjrütteltcn,  äcßgte  fie  leifc  auf.  So  vergingen  bie 
Stunben,  e£  mürbe  Stag  unb  bie  Stube  füllte  fid)  mit 
23efud)ern.  ^aßlrcicße  SSeiber  gingen  au§  unb  ein, 
aber  aud)  einige  üüJcäuner  famen.  2SieHeid)t  gab  e§ 
aud)  folcße  barunter,  bie  ba§  SD^itteib  gum  23efud)  be^ 
mog,  bie  Reiften  aber  trieb  ein  ©efiißl  ßierßer,  ba3  au£ 
Selbftfudjt  unb  ©rauen  gemifd^t  mar.  Stumpf  unb  gleicß= 
gültig  fal)  ÜDUriam  gu,  mie  fie  famen  unb  gingen.  Üftur 
einmal  erI)ob  fie  fid)  unb  feßrie  milb  auf:  „©eßtlgeßt! 
(S&  ift  nod)  nid)t§  gufeßen,  ba§  $iitb  ftirbt  nod)  ttießt!" 
darauf  fcßlicßen  bie  Seute  ftumm  ßinau§. 

2lm  9tad)mittag  I)ielt  ein  SBagen  uor  ber  «§ütte 
am  griebßof.  ©3  mar  bie  „SBritfcßfa"  be§  ©emeinbe^ 
oorfteßerä  unb  eine  feßr  alte  grau  faß  barin.  9D?ait 
ßob  fie  oorfießtig  ßerab,  unb  ba  bie  ©reifin  oßne 
frembe  |)ilfe  nic^t  ntel)r  geßen  fonnte,  fo  mußte  man 
fie  in  bie  Stube  tragen.  $)a£  mar  Sara  ©riht,  bie 
SBitme  bc§  erfd)lagenen  Simon  ©rün  unb  bie  9Jhttter 
jener  grau  «£>amta,  bereit  ©efd)icßten  man  fo  gerne 
ßörtc.  §anna  mar  feeßgigs,  fie  aber  adjtgigjiißrig, 
uitb  mie  jene  überall  „fabele"  ßieß,  fo  marb  grau 
Sara  „Urbabele"  (Urgroßmutter)  genannt  oon  willen 
im  Stäbtdjen,  oon  ©roßen  unb  kleinen,  ©ßriften  unb 
guben,  unb  e§  gab  SUemanb,  ber  fid)  nid)t  oor  ißrern 


158 


Filter,  iljrer  3Ski£l)eit  mtb  grömmigfeit  eljrfurdhtöooll 
beugte.  Sn  intern  §aufe  Ijatte  einft  SDUriam  al£  äftagb 
gebient  nnb  bie  alte  grau  fjatte  fie  fefjr  lieb  gewonnen. 
£>arum  ließ  fie  fic^  jetd,  tro|  be§  28iberftreben§  ber 
Sljrigen,  nicf)t  abhalten,  felbft  gn  fommett. 

$D?an  trug  fie  in  bie  ©tube  nnb  fe£te  fie  ba  auf 
einen  ©effel  f)ht.  $)ie  SBitwe  fah  gleichgültig  auf, 
bann  belebte  fid)  ih^  S3ticf.  „Urbabele",  fcljrie  fie  auf 
nnb  ftür^te  ber  ©reifin  §u  gilben.  „Urbabele  .  .  . 
©ott  lohn'  e3  (Sucf)  ..." 

©iefpradhnidhtauä;  ©dhtudhgen  erftidte  i^re©tintmc, 
nun  fonnte  fie  wieber  Wehten.  Seife  fuhr  bie  ©reifin  mit  ber 
gitternben|janb  über  ba§  oerhärmte  Slnttit}  ber  SMeenbett. 
„©pridj  itid)t3,"  fagte  fie,  wid)  f  ernte  $)eine  Sriibfat,  fie 
^abett  mir  Me§  berietet ....  ©pridj  nichts !  ^jör’  an, 
WaS  ich  £>ir  fagett  ntufj,  hör'  nttch  ruhig  an  .  .  ." 

$lber  bann  fonnte  fie  felbft  bie  Spänen  nicht  jurücfs 
galten, nnb  fie  rannen  über  iljr  blaffe§,ehrwürbigeS2lntli£, 
als  fie  weiter  fprad):  ,,3d)  Wei§  nicht — \6)  bin  nur  eine  alte 
grau,  meine  güffe  wollen  mich  nicht  mehr  tragen  —  auch 
mein  $opf  wirb  fdjou  fdiwad),  aber  idh  glaube,  eS  ift  ein 
groff  Unrecht,  wenn  Wir  3)ein  $inb  fo  fterben  taffen. 
Sa  —  ein  grofj  Unrecht.  Uttb  barum  glaube  idh  auch, 
baS  Jamt  nicht  ber  SBiUe  ©otteS  fein,  xtnb  barum  aud) 
nicht  ber  SöiUe  beS  großen  fRabbi  Oon  ©abagöra, 
bentt  er  ift  oom  ©eifte  ©otteS  bef chattet  .  .  ." 

2)ie  alte  grau  l)ielt  einen  Slugenbtid  ittne  unb 
fcf)üttelte  ben  $opf,  als  wollte  fie  einen  ©ebanfen  he- 
Kämpfen,  ber  il)r  heimlich  aufgefiiegett.  SDannfuhrfie  fort: 
„Sa,  gewi§,  er  l)at  Sßitnber  getljatt;  ©otteS  ©eift  fpridjt 


159 


öu§  tfjrn.  Uitb  er  Ijat  nun  einmal  ba§  SCßort  über  SDid)  uitb 
SDein  $inb  auggefprodjen,  nnb  n?ir  müffen  un§  an  fein 
Söort  galten.  |)örft  $>u,  ob  mir  motten  ober  nidjt, 
mir  müffen  .  .  .  SDemt  menn  mir  an  bem  ©inen 
gmeifeln,  fo  gmeifeln  mir  an  wittern  .  .  .  Unb  barum 
Ijat  and)  unfer  fRabbi  bie  garten  SBorte  itidjt  oerbient, 
bie  SDu  geftern  gu  iljnt  gefprodjen  fjaft  ..." 

„Dl),  menn  8f)t  müßtet  .  .  ." 

„(Spridj  nicf)t  !/y  SDie  alte  grau  fdjrie  e§  forntlidj, 
al§  träfe  fie  jebe§  Sßort  ber  Sßitme  in§  §erg.  „@pridj 
nidjt,  entfc^ulbige  SDidj  nidjt,  SD u  braudjft  feine  ©nt= 
fdjulbigung!  ttftein  ©ott,  mer  fönnte  £)idj  barum  an? 
flagen  —  e§  ift  ja  3)ein  $inb!  9)?ein  ©ott,  idj  bin 
ja  audj  eine  Butter  .  .  .  2lber  l)öre,  ma3  ber  9tabbi 
gefprocfjen  Ijat,  fann  nur  er  allein  gurüdnefjmen  —  oer; 
ftef)ft  SDumidj?!  ...  Scfj  Ijab'  meinen  armen  alten 
$opf  gerqnält,  id)  fjab'  feinen  anbem  $lu§meg  ge^ 
funben  .  .  .  galjre  nad)  (Sabagöra  nnb  erbitte  3>ir 
bort  ba§  Seben  ©eines  iänbe§!" 

„Qdj  fott  ba*  £inb  in  feiner  $ranff)eit  oerlaffen?" 
fdjrie  ttftiriant  auf. 

„Qdj  mitt  für  bie  befte  Wartung  forgen,"  oer^ 
fidjerte  bie  ©retfitt.  Unb  bie  grau  be3  Totengräber^ 
fügte  f)ingu :  „Sdj  mitt  ©ein  $inb  pflegen,  af£  märe 
e§  mein  eigene^." 

„SDätf?  e§  beim  fein?"  rief  bie  uugtüdlidje  Butter 
mieber. 

„©§  mu|  fein,"  ermibcrte  bie  ©reifin  feft.  ©amt 
aber  fe^te  fie  feife  uitb  fdjmanfettb  Ijingu:  „©£  fdjeiitt 
menigfteu^,  bafj  cS  fb  fein  ntufj.  $ldj,  nur  ©ott  allein 


160 


Weifj  ba§  9lict)tigc.  $ld),  ÜJJUriam,  wenn  Su  wiifiteft, 
Wie  t)iet  icf)  gebaut  unb  gelitten  f)ab'  nnt  Sid)  nnb 
Sein  $inb!  5lcf)tgig  3a§r  bin  icl)  alt  geworben,  unb 
nie  ift  mir  ein  Zweifel  gefommen  an  ($ott  ober  an 
bent  Sßort  feiner  Sßeifen.  Unb  nun  erft  f)abe  id) 
fragen  müffeit:  Sft  e§  audfj  redjt  fo?" 

Sann  richtete  fie  fiel)  Wieber  auf,  nnb  fpradj  feft, 
ja  befeljlenb:  „ÜDUriam,  Su  mu|t  311m  fRabbi  fahren, 
borgen  in  aller  grüfje  fäfjrt  ©imott  ber  Sutfdjer  mit 
gWei  grauen  nadj  (Sgernowip.  @r  wirb  Sid)  bei 
©abagöra  abfepen.  3df)  werb’  einen  $ßlap  im  Söagen  für 
Sief)  mieten,  unb  f)ier  Ijaft  Su  aud)  (55elb  für  Qtfy 
rung  unb  Sftüdweg.  3»n  brei  Sagen  fannft  Su  wieber 
guritd  fein;  icf)  bin  überzeugt,  Su  finbeft  Sein  £'inb 
auf  bem  SSeg  gur  23efferung.  SßiUft  Sn  e§  tljuu, 
Miriam?  (S§  gel)t  um  bie  gange  ©emeinbe,  bod)  — 
ba£  bat  Sid)  nic^t  31t  fiimment,  aber  e§  gebt  um 
Sein  $iitb  —  SDciriant,  Willft  Sn  e§  tljuu?" 

Sie  arme  grau  rang  einen  garten  $ampf.  Qljr 
®ottOertrauen  batte  fie  belogen,  ba3  $inb  war  immer 
fdfjwäd)er  geworben.  Unb  ber  (Srtrinfenbe  greift  and) 
in  bie  ©djneibe  be§  ©d)Werte§,  um  fiel)  gu  galten.  ©0 
gab  ba§  2Seib  nac^,  ben  9ftenfd)en,  welcher  fie  Oer? 
fludjt  Ijatte,  um  ©d)onung  angufleljen. 

„Sd)  wilF§  tl)un!"  üerfprad)  fie  eitblid).  (£3 
ftang  wie  ein  Sße^ernf. 

* 

Unb  fie  tl)at  e£.  5lnt  uüd)ften  borgen  fuf)r  fie  im  SBagen 
©im 01t  be§  $utfdjer§  mit  ben  beiben  attbereit  grauen 
att§  bem  ©täbtd)eu  unb  hinauf  auf  bie  ©trajie,  bie  gegen 


161 


©itbcrt  flirrt,  in  bie  Sufomiua.  233te  fie  oon  ifjrern 
$inb  ^Cbfd^ieb  genommen,  mie  il)r  habet  um§  «fper g 
gemefen  —  e§  foü  §ier  nidfyt  betrieben  merben  .  .  . 

£)ie  ©onne  ftieg  empor,  eine  falte,  matte  ©pät* 
Ijerbftfonne  unb  fie  fc^ien  l)er ab  auf  ba£  öbe,  fladfje 
©elänbe  unb  auf  ba§  armfelige  ©efäfjrt,  ba£  mii^fam 
bal)infd£)licf)  im  tiefen  ®ot  ber  ©trafte.  $)ann  gogen 
fidj  bie  Sßolfen  gufammen,  eine  graue  fttiefenbeefe  über 
ber  traurigen,  fcfjmu^ig  braunen  ©bene,  unb  bie'&ecfe 
toarb  immer  bunfler  unb  fenfte  fief)  immer  tiefer  l)erab, 
unb  bann  begann  e§>  gu  regnen.  Sau  unb  fcfjmadf), 
aber  unabläffig  ging  ber  «gerbftminb  über  bie  ©bene, 
mie  ein  ©eufger.  9£ur  manchmal  marb  er  ftärfer  unb 
rüttelte  an  ber  Seinmanbbedfe  be§  2ßagen§. 

Sangfam  fronen  bie  ^ßferbe  ba^in  auf  ber  breiten, 
t>ermaf)rloften  ©trafje,  üorüber  an  entlaubten,  triefen* 
ben  Räumen,  an  nebelumfcf)leierten  2Sei §em,  an  arm* 
ticken  Dörfern,  bie  hoppelt  troftloS  erfc^ienen  im  Sicpte 
biefeä  troftlofen  £age§.  Sin  mandfyer  ©teile  mar  ber 
©runb  ber  ©irafte  flaftertief  aufgemeiefjt  unb  ber 
SSagen  blieb  gang  fteefen.  2)ann  fliegen  ©imon  unb 
bie  brei  grauen  unb  müßten  fidf),  iljn  mieber  flott 
gu  machen.  Miriam  mar  fiefjerlid)  bie  fdjmädfjfte  unter 
i^nen,  aber  fie  arbeitete  am  meiften.  üftur  bann  geigte 
e§  fiep,  ba^  fie  bei  S3efinnung  mar.  S)enn  bie  übrige 
3eit  lag  fie  mie  fd^lafenb,  mit  gefcfjloffenen  klugen,  in 
ifjrer  ©efe  unb  gieberfepauer  burd)  rüttelten  fie. 

0,  mie  fie  litt!  ©ie  f)ielt  bie  Singen  gefd^loffen, 
aber  flar,  furchtbar  flar  unb  quälenb  ftanben  if)r  ent* 
fe&lidpe  Silber  üor  ber  ©eele.  $)a§  Säger  il)re£  $inbe3 

SJ.  ©.  ^ranjoS,  Suben  bon  Söantoto.  11 


fa$  fte,  unb  rote  ba§  arnte  fleine  SSefett  feilte  %cm^ 
d)en  nad)  xf) x  au§ftredte.  (Sitte  ©eftatt  beugte  ftcf)  über 
ba§  Säger;  bie  grau  be§  Sotengräber£;  aber  uein! 
ba§  mar  nid) t  bie  grau,  ba§  mar  eiue  ©eftalt  tu 
meinen,  madenbetf  ©emänbera,  mit  eiuem  blutlofen, 
furchtbar  entfteu  5lntlib:  ber  Sobe§engel  .  .  .  Hub 
mieber  mar  e§  it)r,  al§  ftelje  fte  öor  bem  großen  fRabbt 
in  ©abagöra,  bem  finfteren,  garten  äftanne,  unb  ftefje 
if)n  an,  o  fo  innig,  mie  nur  eine  Butter  flehen  dann 
für  if)r  $inb,  aber  er  meife  fie  fort  mit  fjarten  Porten 
unb  fie  fornrne  gurüd  unb  finbe  if)r  $htb  unter  ber 
(Srbe !  .  .  .  Unb  mieber  mar  e§  if)r,  al§  §abe  er  fid) 
if)r  freunblid)  gugeneigt  unb  gefagt:  ,,Sd)  geftatte,  baf$ 
bein  $inb  lebe!"  unb  fie  fei  fjeimgefeljrt  unb  f)abe  i^r 
®inb  bennod)  tot  gefunben,  tot  .  .  . 

Ö,  mie  fie  litt!  .  .  .  gmmer  unb  immer  unb 
unabläffig  ging  ber  laue  |jerbftminb  über  bie  |jeibe* 
5lber  mar  e§  toirflid)  nur  ber  Söinb,  ber  fo  flagenb 
bal^inftrid)?!  2Bie  fid)  ba§  ©eufgen  nun  ftärfer  er^ob, 
ba  üerftanb  fie  e§  auf  einmal,  ba§  mar  bie  ©timme  ifjreä 
$ütbe§,ba£nad)it)rrief:  „Sftutter!. . .  Butter!"  Saämar 
bie©timme  Sea'£,  unb  bie  Butter  Ijatte  fie  allein  gelaffen 
in  i^rer  fdjmerften  ©tunbe,  unter  ben  |jänben  frember 
Seute.  „Butter!  .  .  .  Butter!"  —  „|jabt  gljr  nid)t§ 
gehört?"  fd^rie  bie  SBrütenbe  milb  auf  unb  faftte  angfts 
üod  nacf)  ber  §anb  ber  grau,  bie  neben  ifjr  fafj  .  .  . 

©egen  bie  gmeite  3£ad)mittag£ftunbe  l^ielt  ber 
Sßagen  bei  einer  großen,  einfamen  ©c^enfe,  bie  auf 
bem  Sßege  gmifdjen  Stufte  unb  ^alefgcgpfi  liegt.  §ier 
füllte  turge  3Raft  gehalten  merben.  SSor  bem  Sfjore 


163 


hielt  eine  elegante,  aber  arg  mit  Sot  befcfjmu|te  Reifes 
falefdje;  bie  frönen,  feurigen  Wappen  mürben  eben 
mteber  angefdjirrt  „SDftriam,  mir  bleiben  f)ier  gmei 
©tunben,"  fagte  ber  Sutfdjer.  Unb  bie  SSeiber  festen 
mitleibig  ^in§u:  „Somrnt,  Miriam,  fteigt  au§,  $hr 
rnüftt  mcuigften§  eine  marnte  ©uppe  effen,  3hr  merbet 
fonft  ernfttid)  franf."  $)ie  grau  gehorchte  unb  trat 
mit  ben  Ruberen  in  bie  grofje  3ßirt£ftube.  „geh  barf 
nid)t  franf  merben,"  fagte  fie  laut  üor  fid)  fym. 

£)er  grofje  Otaum  mit  ben  grauen,  triefenben 
dauern  unb  bem  fd)mu|igen,  fd)lüpfrigen  Sefjmboben 
mar  leer.  9?ur  an  einem  £ifd)d)en  nafje  bem  genfter 
fafj  ein  junget,  fd)öne§  $aar  in  eleganter  fReifeflei^ 
bung,  ein  blonber  9Q?ann,  na^e  ben  ^reifjig,  mit 
milben,  aber  energifdjen  $ügen,  un^  e^ne  fc^öne,  junge 
grau  mit  bunflem  §aar  unb  bli|enben  braunen  klugen  in 
bem  frifcfjen,  mutmilligen  ©efidjte.  ©§  maren  offenbar 
&euüermäfylte,  ba§  faf)  man  an  ihren  ©tiefen  unb  ber 
fröhlichen,  feligen  $trt,  in  ber  fie  fid)  beim  ©peifen 
nedten.  ©ie  nahmen  ein  feljr  ärmliches  9ftaf)t  ein, 
e§  beftanb  au£  ©rot  unb  (Siern.  ®ie  oorne^men 
Üteifenben  fjatten  mofjl  bie  etmaä  eigentümliche  Soft 
be§  Sanbrnirt^h^ufe^  üerfdjmäht. 

£)ie  brei  grauen  festen  fid)  in  eine  ©de.  „®a§ 
ift  ber  |jerrDberförfter  üon  unferer  grau  (Gräfin,"  gif  dielte 
bie  eine  grau  ber  anbern  gu,  „er  hat  fid)  feine  junge 
grau  au§  ©gernomi|  abgeholt  uitb  fährt  nun  maljrs 
fdjeintid)  nach  ©arnom  guriid."  —  „üftad)  ©arnom?" 
fragte  Miriam  ^aftig.  ®ann  aber  fanf  fie  matt  auf 
ihren  ©i£  gurüd;  fie  mufjte  ja  nach  ©abagöra! 


9 


—  104  — 

Sie  Sßeiber  befteEten  Suppe  uub  audj  Eftiriam 
na^m  wenige  ßöffel  baüon.  Sann  aber  fd^ob  fie  iljren 
Seiler  gurilcE.  (Sben  trat  Simon,  ber  ^utfcfjer,  in  bie 
«Stube,  auf  ben  ging  fie  gu.  „SEj  bitt’  (SudE)!"  bat 
fie,  „müffen  mir  fo  lange  I)ier  bleiben?" 

„Sa,  megen  ber  $ferbe,"  ermiberte  er,  „bi§ 
hier  Ufjr." 

„So  lange?"  feufgte  fie.  „2ßie  biel  teilen  firtb 
mir  bemt  fdEjon  bon  23antom?" 

„Srei  teilen,  ber  2Beg  ift  fo  fdjledfjt." 

„Srei  teilen!"  mieberljolte  fie  erfd^recft.  „SBann 
lommen  mir  ba  nacE)  Sabagöra?" 

„Übermorgen  gegen  Mittag." 

„Übermorgen!"  fdjrie  fie  auf.  „Sa  fontm’  idE) 
ja  nid)t  bor  fec^^  Sagen  mieber  gurücf.  Unb  ber 
Sabbatlj  fommt  bagmifcfjen!  5IIfo  fieben  Sage,  eine 
boEe  SßodEje!  D  mein  ©ott !  o  mein  ®ott!" 

Sie  fefcte  fidEj  mieber  in  il)re  Gscfe  unb  preßte  bie 
$änbe  bor§  51ntlip.  $lber  e§  nüpte  ifjr  nidE)t§,  baft  fie 
bie  klugen  fd)loj3  unb  bie  ginger  auf  £iber 
fie  fafy  bodj  aE'  bie  furchtbaren  Silber  mieber,  bie  fie 
auf  ber|jeerftraj3e  gequält  Ratten.  Unb  mieber  bernal)m  fie 
bon  fernher  unb  burd)  bie  dauern  be§  |jaufe£ 
burd)  ben  gitternben  $Ruf :  „Butter!  .  .  .  Butter!" 

Sie  Sfieifenben  Ratten  ba3  3miegefpräd)  m ü  bem 
5tntfd^er  ange^ört,  fie  faljen  ba§  Sßeib  gu  ihrem  Sipe 
manfen  unb  riefen  Simon  fjerbei. 

„3ßa§  if t'£  mit  bem  SSeibe?"  fragten  fie. 

Simon  lüpfte  ehrfurdjt§boE  feinen  $nt  unb  bes 
richtete  bem  £jerm  Dberförfter,  maä  er  bon  ber  Sache 


165 


mußte.  Al§  er  geenbet  ßatte,  faßen  fteß  bie  beiben  ©alten 
lange  fdßmeigenb  an.  „©§  ift  entfeßließ,  Submißa/ 
fagte  enblicß  ber  Dberförfter.  „@o  ein  Aberglaube!" 

„©£  ift  entfeßließ,  Sari,"  roieber^otte  bie  junge 
grau.  Aller  ßftutmiße  war  au§  beut  blüßenben  ©e« 
fießteßen  oerfeßmunben,  mit  marmem  ßftitleib  faß  fie 
nadß  bem  armen  Sßeibe.  Miriam  faß  noeß  immer  be* 
megung§lo3  ba,  bie  $änbe  feft  auf  ba§  Antli£  ge« 
preßt.  gieberfeßauer  malten  ißren  Körper  erbeben, 
aber  ftärfere  ©cßauer  burcßrüttelten  ißre  ©eele. 

$>er  ^err  ga^tte  feine  geeße,  form  fe^n  $utfcßer 
einunb  melbete,  bie  *ßf erbe  feien  eingefpannt,unb  bie  jungen 
©Regatten  legten  ißreDberfleiber  an.  Aber  fie  gingen  nießt; 
unfcßlitffig  blieben  fie  fielen,  „Sari,"  begann  gögernb  bie 
jungegrau.  —  „£>u  rneinft,  ßubmißa?"  —  „£)a§  arme, 
arme  A3eib!"  —  „3a,  Submißa,  e§  ift  ein  ©lenb  . . 

Unb  mieber  blieben  fie  unfeßlüffig  fielen.  Miriam  ließ 
bie  $änbe  finlen.  Sangf arn,mie  ermacßenb,ftricß  fie  fiel)  über 
bie  0time.  $)ann,  al3  fie  bie  beiben  Üteifenben  feßon  ^um 
©eßen  bereit  faß,  erßob  fie  fidß  rafcß  unb  feßritt  auf  fie  §u. 

$or  ber  grau  blieb  fie  fteßen,  unenblicß  fleßenb 
blieften  ißre  Augen,  fie  faltete  ißre  |jänbe,  mie  man 
fie  oor  ©ott  faltet,  aber  fpreeßen  fonnte  fie  nießt  .  .  . 

$)ie  Augen  ber  feßönen  grau  ßatten  fid^  mit 
£ßränen  gefußt,  al3  fie  in  biefe£  iotbleicße,  gramer« 
füßte  Antliß  faß.  „Sann  icß  3ßnen  ßelfen?"  fragte  fie. 

„ßtoeß  23arnom,"  ftammelte  ßftiriam,  „neßmt  mieß 
nadß  23arnom  mit." 

,,©em,"  ermiberte  bie  junge  grau,  „kommen 
©ie  uur,  mir  neßmeu  8ie  gern  mit." 


„Unb  ber  Etabbi?"  riefen  bie  beiben  Subenmeiber. 
moEt  nicfjt  gum  SHabbi?"  Unb  ©imon  ber  ®ut« 
fdjer  flagte:  „2Ba§  roiyb  bie  ©emeinbe  fagen?" 

Eftiriam  rid jtete  f id)  auf.  „Stögen  fie  fagert, 
ma§  fie  moEen,"  fprad)  fie,  „e§  ift  mein  5Unb  — 
id)  mufj  gu  meinem  $inbe!"  ^Cber  bann  oerliefjen  fie 
mieber  bie  Kräfte  unb  ber  oornef)me  |jerr  unb  fein 
$httfd)er  mußten  fie  faft  gum  SSagen  tragen,  ©ie 
festen  fie  in  ben  gonb  neben  bie  junge  $rau,  ber  |)err 
naljm  gegenüber  $ßtaj3.  Di e  arme  Eftiriam  mertte 
biefe  ©üte  gar  nidjt  unb  bebanfte  fid)  nidjt.  9ßur 
al§  ber  |jerr  bem  $utfdjer  gurief:  „galjr’  gu,  ma§ 
bie  ^ßferbe  laufen  fönnen!"  ba  blid'ie  fie  il)n  bemütig 
b  auf  bar  an. 

©o  fa(3  fie  ftiU  neben  ben  beiben  fremben  $err? 
fdjaften  im  Sßagen,  unb  nur  gumeilen  erfyob  fie  fid) 
ungebulbig,  al§  ginge  iljr  bie  gafjrt  nodj  gu  langfam. 
$lber  biefe  ging  fefjr  rafd)  unb  e§  mar  nodj  Dag,  al§ 
fie  in  ba£  ©täbtlein  einfuljren.  Die  £eute  auf  ber 
©trafje  blieben  üermunbert  fielen,  al§  fie  bie  feltfame 
©efeEfdjaft  im  Söagen  gemährten,  unb  ftedten  bie 
$öpfe  gufammen.  Die  junge  grau  tturbe  rot.  5lber 
iljr  ©atte  f Rüttelte  ben  Sopf.  „Sö3a§  fümmerfS  un§?" 
fagte  er.  Unb  al§  fie  an  bem  großen  ©tanbbilbe  ber 
Eftuttergotte§  üorüberfuljren,  ba£  oor  bem  Slofter  ber 
Dominifaner  ftetyt,  ba  tarn  Üjnt  ein  feltfamer  ©ebaute. 
©r  fagte  leife  oor  fic^  fyin:  ,,©ie  Ijiefj  and)  Miriam 
unb  mar  ein  arme§  Subenmeib,  unb  and)  iljr  Butter* 
Ijerg  burd)bo!jrten  bie  ©djmergen." 

Sn  ber  Dämmerung  fjielten  fie  üor  ber  fleinen 


§ütte  am  griebljof.  9iafd)  jprang  Üftiriam  ab.  „©ott 
lofjn’  e§  Sud)/  ftammelte  fie  atemlos. 

„|)abt  8f)?  einen  2lrgt?"  fragte  ber  |jerr. 
„Sfoin,"  ermiberte  fie.  „Ter  ©tabtbottor  ift  fort 
—  gur  2lffentiermtg." 

„©o  fd)ide  id)  (Sudj  ben  ^errfdjaftlidjeu  Sßunbs 
argt  oom  ©djloffe,"  rief  er  il)r  nod)  nadj. 

©ie  l)örte  e§  aber  nidjt  mef)r.  ©ie  mar  fc^ort 
brinnen  in  ber  ©tube.  Ta§  franfe  $inb  mar  allein. 
(Sine  Sampe  marf  iljren  ©djein  auf  fein  f)od)rote§, 
über  nnb  über  mit  ©d)tt>eif3  bebedte§  ©efid)tdjen.  (S£ 
mar  aber  nur  mit  einer  gang  bünnen  Tede  umpdt. 
IHafd)  langte  Sftiriam  einige  Kleiber  fjeroor  unb  bedte 
ba§  IHnb  gu.  „Ter  ©d)meij3,"  jubelte  fie,  „ba§  ift 
ein  ^eidjen  ber  Rettung." 

©leid)  barauf  fam  bie  grau  be§  Totengräber^, 
©ie  mar  fefjr  erftaunt,  al§  fie  $Pariam  erblidte,  aber 
fie  magte  es  nidjt,  iljr  barüber  einen  Sßormurf  gu 
rnadjen.  „Tem  $inbe  mar  fo  Ijeifj,"  melbete  fie  nur, 
„ba  Ijabe  id)  alle  Teden  entfernt/' 

„Ta§  mar  nidjt  gut/'  meinte  bie  Butter,  „man 
barf  ben  ©djmeifj  nidjt  üertreiben."  Tann  lauerte 
fie  am  Säger  nieber;  Üjr  mar’§,  al§  müfjte  nun  Sillen 
mieber  gut  merben. 

(Sine  ©tunbe  fpäter  f)ielt  ein  SBagen  oor  bem 
§aufe.  (Sin  frember  9ftann  trat  ein;  eß  mar  berSßunbargt 
oom  ©djloffe.  (Sr  falj  ba£  JHnb  an,  füllte  nacf)  feinem 
*ßulfe  unb  bedte  e§  forgfam  mieber  gu.  Tann  liefj  er 
fidj  öon  ben  grauen  bie  Urfadje  unb  alle  Qtidjen  ber 
Shanfljeit  ergäben.  „(Sä  mar  eine  grojje  ©efaljr," 


168 


meinte  er,  afäfie  gef  djloff  eit  Ratten,  „nuniftfieoorüber.  (Sin 
grofje§  Ö5Iücf  ift,  baff  fo  richtig  ben  rettenben 
©djmeif3  erfannt  unb  ba§  SHnb  forgfam  gugebectt  Ijabt." 

Miriam'§  klugen  glängten.  „Unb  menn  ba£  nicijt 
gef  d£)ef)en  märe?"  fragte  fie. 

i)tx  5lrgt  faf)  fie  erftaunt  an.  „2Bie  3f)r  fonber^ 
bar  fragt  ..." 

„$Intmortet!"  rief  fie,  „idj  bitf  (Sudf),  gerr 
£)oftor !" 

„Ehm,"  meinte  er  oljne  Söefinnen,  „bann  märe 
ba£  ®inb  ficfjerlict)  ober  minbeftenä  l)öd£)ft  mafjrfcfjeins 
Iidt)  geftorben." 

„(Sott,  idj  baute  3)irl"  rief  Miriam.  Unb  ftotgen, 
leudfjtenben  23licf§  rief  fie  ber  üftadjbarin  gu:  „ÜISoEt 
3l)r  noc^  behaupten,  ict)  fei  öon  (Sott  oerflucfyt,  id),  an 
ber  er  foeben  ein  ftarfe£  ÜSSunber  ooEbradjt  f)at?  (Sin 
SBunber  mar'§,  baff  bie  guten  gerrfcfjaften  gerabe  in 
berfelben  ‘Stunbe  in  ba§  2Birt§l)au§  gekommen  ftnb  — 
ein  SBunber,  fonft  märe  mein  SHnb  öerloren  gemcfen!" 

£)a$  ®inb  gena3. 

Unb  bie  £eute  üon  23arnom?  hätten  fie  atjnen 
fönnen,  baf3  e§  nur  bie  Siebe  mar,  bie  Mutterliebe, 
bie  f)ier  bem  «gaffe  entgegen  getreten  marunbifjre  fjeilenbe, 
erlöfenbe^raftgeübtf)atte,  fie  hätten  mof)lnict)taufgeI)ört, 
ber  Sßitme  unb  i§rent  $inbe  gu  groEen.  5lber  gier 
mar  ja  ein  fid)tlid£)e£  „SSunber  (Sotte§"  gefeiten! 
Unb  ein  Sßunber,  ba£  (Sott  felbft  tfjut,  ba§  aEein  ift 
mächtiger,  afö  eine  0a£ung  be§  SSunberrabbi! 

/ 


&\U rßa  (Regina. 

§fterfa  Regina!  2Bir  nannten  fie  alle  fo,  mir  jungen 
Schüler,  menn  mir  in  ben  Sommerferien  öon  ben 
©pmnafien  gu  £arnopol  ober  (Sgernomitj  ^eintlamen  in 
ba3  Stäbtchen,  unb  fpäter,  menn  mir  al§  Stubenten 
in  2Bien  geitmeilig  gufammeutrafen  unb  öon  ben  Sftäbs 
djen  öon  Söaraom  fprad)en,  ba  nannten  mir  fie  mieber 
mit  biefem  ftolgen,  flingenben  tarnen,  Sie  hteft  aber  in 
2Baf)rf)eit  fRad^et  Sßelt  unb  fpäter,  al£  fie  ben  magern 
ßfjaim,  ben  Dchfenhänbler,  geheiratet  hatte,  Kachel  $ßinfu§, 
unb  mar  ein  arme§,  fdjüchterneä  9ttäbd)en  au§  ber 
Subengaffe  gu  23arnom.  Su  bem  fleinen  §äu§d)en 
neben  ber  jübifdjen  Schlächterei  mohnte  fie,  unb  ihr 
$8ater,  $irfch  SSelt,  mar  ein  gleifchhauer,  ein  fehr  bicfer 
unb  feiner  (Grobheit  megen  oerrufener  9ftann. 

$Iber  ba§  h^n^erie  unä  nicht,  an%  ^er  3erne  fu* 
fie  gu  fchmärrnen,  unb  bie  ©tegant§  öon  SBarnom 
thaten  baäfelbe  au§  ber  -ftähe.  ®ie  lebigen  Herren 
öom  23egirf§gericht  promenierten  in  ihren  greiftunben 
nic^t  im  gräflichen  (harten,  mo  e£  fo  öiet  frifd)e  £uft 
unb  23lumenbuft  gab,  jonbcro  in  ber  fleinen  ©affe  öor 
ber  Schlächterei,  mo  menig  frifdje  £uft  mar  unb  burch* 


170 


auS  fein  2)uft.  Unb  bie  Offiziere  ber  ®arnijon 
fonnten  fogar  ftunbenlang  gufe^en,  mie  |jirfcf)  SBelt 
mit  feinem  Keffer  ftreng  nacf)  ben  @efe|en  beS  ZaU 
mubS  f)  änderte.  Unb  baS  3llleS,  um  einen  23lid  gu  er? 
f)a]cf)en  auS  ben  feudf)tenben  5fugen  ber  (Sfterfa  Regina! 

&er  9£ame  paftte  prächtig  unb  mar  gamid)t  über? 
fcbmänglidfy,  obmofjl  if)it  ein  $oet  erfunben  ^atte.  tiefer 
*ßoet  mar  ber  junge  §err  SljabbäuS  SSilifgemSfi,  ein 
fefjr  I^offnungSöolfer  SDZenfc^,  ber  immer  eine  fc) er f cf) offene 
Samara  trug  unb  fange  |jaare,  unb  eine  SDtenge  SSerfe 
macfjte,  teils  gum  |jauSgebraucf),  teils  für  bie  $rafauer 
£)amen?,3eitung.  tiefer  |jerr  £f)abbäuS  alfo  fjatte,  als 
er  bie  Stacfjel  2Selt  gum  erften  9J?ale  faf),  mie  fie  in  ifjrern 
ärmlichen  @abbatf)fleibe  am  g-luffe  fpagieren  ging,  ent? 
güdt  auSgerufen:  „Seid  üerfte^e  icf)  bieSöibel!  (Eo  f)at 
bie  (Sftljer  auSgefeljen,  bie  bem  ^erferfönig  ben  $opf 
oerbreljte  unb  ben  $aman  au  ben  ©algeit  brachte,  unb 
jene  anbere  (Sftfjer,  bie  unfern  guten  ßönig  $agi? 
mirg,  ben  SBauernfreunb,  bemog,  ben  Suben  in  $olen 
eine  greiftatt  gu  geben,  nadjbem  biefe  flugen  3)eutfcf)en 
fie  bei  ,3eüen  fortgejagt  fjatten.  3)aS  ift  (Sfterta,  bie 
Königin!"  Unb  oon  ba  ab  nannten  fie  alle  gebilbeten 
SHtenfcfjen  in  23arnom  nur  (Sfterfa  Regina. 

tiefer  üftame  mar  nicfjt  überfcfymänglidj,  idj  mieber? 
f)ole  eS.  SBiedeidjt  märe  eS  baS  S3efte,  idj  begnügte 
midj  mit  biefer  Sßerftdjerung.  SDemt  mettn  id)  and)  f )in? 
gufüge,  bajj  iljre  Gingen  tief,  bunfel  unb  leudjtenb  mareu, 
mie  baS  Sfteer  in  ©ternennädjten,  unb  iljre  |jaare  fcfjmarg 
unb  buftig,  mie  bie  3^ac^t  beS  (SitbenS,  unb  baS  Sädjeln 
iljreS  (i5eficf)tS  mie  ein  grüfjlingStraum  —  Sfyr  föunt  ja 


171 


beSfjdfc  bod)  nicht  ahnen,  mie  fcf)önfiemar!  3d)  meiß 

e3,  xd)  fannte  fie.  5Xber  tiefe  SSe^mut  überfommt  midb 

bei  bem  ®ebanfen  an  biefe  ©d)önf)eit.  £)emt  fie  mar  fein 

©egen  für  ba£  arme,  fjolbeilinb.  £)ie  fcf)öne,  föniglicf) 

fd)öne  (Sfterfa  ift  fefjr  ungfücffid)  gemefen.  3e^t  ift  fie 

e£  nicht  mehr,  fdjon  feit  langen  S^ren.  3e^t  ift  fie 

glüdfid).  $)a  liegt  fie  branden  am  „guten  Orte"  unb 

fdjfäft.  SDort  fjdben  fie  an  einem  $rüf)ling§tage  oor 

fangen  Setzen  ba£  fdjöne,  bleiche  SBeib  gur  9M)e  ge« 

fegt,  ©anft  unb  gut  mag  fie  ruhen,  benn  ißr  Ungfüd 

mar  noch  größer  af£  ißre  ©djönfjeit,  unb  fie  ßat  im 

Seben  üief  gefitten.  3m  Xoteufcßein  ftanb,  bie  SRacßel 

$infu§  fei  einem  §ergf eiben  erfegen.  ©o  mar  e§  and) 

mirffief),  fie  ift  an  gebrochenem  §ergen  gefiorben. 

SDa§  ift  eine  ^ranffjeit,  bie  feftener  ift,  af§  man 

fo  §ört  unb  lieft.  (£§  fterben  nur  fefjr  menige  50?  em 

fchen  baran,  unb  bie  am  fauteften  ffagen,  fie  feien  uns 

rettbar  biefem  Stöbe  oerfaffen,  leben  gemo'f)nfid)  nod) 

fefjr  fange  unb  fterben  fdjfießficf)  an  2ffter£fd)mäcf)e 
»• 

ober  Uberfabung  be§  9J?agen§.  $)ie  Kachel  f)Gt  mit 
feinem  SSort,  mit  feinem  ©eufger  geffagt.  ©ie  ging 
im  §aufe  umßer  unb  fdjaffte  rüftig,  fo  fange  fie  fonnte. 
Unb  af§  fie  e§  nid)t  mef)r  fonnte,  ba  fchrieb  fte  noch 
gitternb  einen  fangen  Sßrief  in  he^rdifch^  ©djrifts 
geidien  unb  fiegefte  ihn  gu  unb  manfte  bamit  in§ 
^ßofthau§.  £)ort  bat  fie  ben  ©djreiber,  in  beutfdjen 
Settern  bie  SXbreffe  auf  beit  23rief  gu  feßen:  „2fn  ben 
mohfgeborenen  «gerrn  SDr.  5Ibofph  Seibfinger,  ^oHän= 
bifchen  ©tab^argt  in  S3atat)ia. "  ^Der  junge  ÜO?enfdj 
fctdiefie  friöof,  af£  fie  if)m  ba§  biftierte,  aber  er  mürbe 


172 


eroft,  al£  er  if)r  inä  2lntli£  bticfte  unb  barauf  bie 
©Ratten  be§  Do be§  faf).  Unb  bann  lieft  fie  ficf)  einen 
2lufgab§fcf)ein  geben  unb  manfte  f)eim  unb  ftarb. 

(S§  ift  eine  einfache  ©efd)icf)te.  ©o  einfad),  mie 
bie  ©efcf)icf)ten  ade,  bie  ba§  Seben  felbft  bittet,  biefer 
größte  unb  graufantfte  *ßoet. 

* 

3d£)  !annte  fie,  nodj  al§  fie  ein  Heiner  fiebens 
Jä!)rige§  9ftäbcf)en  mar  unb  idj  ein  milber  $htabe,  ber 
in  ber  ©cftule  unter  ber  ftrengen  ,gucf)t  fnirfd^te.  Da 
faf)  idj  fie  täglidj.  Sßenn  idj  fo  in  ber  trüben,  falten 
Dämmerung  be£  2ßintermorgen§  mit  bem  fRänglein 
burcf)  bie  fleine  ©affe  trabte,  blieb  idj  immer  oor  ber 
Df)ür  be£  |jaufe£,  mo  fie  mofjnte,  fielen  unb  rief  in 
ben  |jau§flur:  „2laron!  Maroni"  Denn  bort,  in  einem 
büfteren,  engen  Dacf)ftübcf)en,  mahnte  audj  mein  ÜDHts 
fdjüler,  ber  fleine  fcftmarge  Slaron  mit  feiner  dftuttcr. 
|jirfdj  SSelt  f)atte  biefer  grau,  ber  (Sljane  ßeiblinger, 
meldje  bie  Sßitme  eine§  gleifdjerfnedjt§  mar,  au§ 
SBarmljergigfeit  ba§  ©tübdjen  eingeräumt,  benn  if)r 
Dbftljanbel  fcf)ü£te  fie  unb  ifjren  Knaben  faum  bor 
bem  SBerfjungent.  SSenn  idj  fo  gerufen  §atte,  tfjat 
fiel)  guerft  leife  bie  Dljür  auf  unb  bie  fleine  dtadjel 
trat  Ijerauä,  bie  |jänbdjen  immer  unter  ber  ©djürge. 
Unb  bann  ftieg  ber  arme  Sunge  in  feinem  leidsten 
Modellen  bie  morfdje  ^olgtreppe  fjerab  unb  bie  fRad^el 
ftedfte  il)m  rafdj  ba§  23rot  unb  bie  Secferbiffen  gu,  bie 
fie  unter  ber  ©djürge  öerborgen  gehalten. 

(Sr  naljm%  oft  erft  gögernb,  unb  banfte  nie.  $ber 
er  blidte  ba3  ®inb  fo  fonberbar  an  unb  lächelte.  90?an 


/ 


I 

—  173  — 

hätte  eä  föunt  für  möglich  gehalten,  ba{3  biefer  finftere, 
öerfd) (offene  $nabe  überhaupt  lächeln  fönne.  Unb  nun 
gar  fo  freunblicf)  lächeln!  ... 

.  .  .  „$laron,  millft  $)u  nicht  mitfommen  —  auf 
bent  ©i§  fcfjleifen?"  —  „Sßeüt!"  —  „SSarurn  nid^t? 
£>u  bift  immer  fo  ftill  unb  mach  ft  fo  gornige  klugen!" 

—  „SSarurn  foü  ich  fröhliche  machen?  ®ie  Sälte  tf)ut 
nid)t  moljl  unb  ber  junger  and)  nid)t.  Unb  ber 
Sefjrer  fdjlägt  mich  unb  bie  S^riftenjungen  OTe. 
SSarum?  SSeil  mir  ihn  gefreugigt  haben?  3d)  ^abJ 
i^n  nicht  gefreugigt.  SSarum  fd)lägt  man  mich?"  — 
w^)a§  mirb  fd)on  anber§  merben,  menn  mir  gro{3  finb, 
Hboofaten."  —  „3$  merbe  fein  Slbbofat.  3d)  merbe  ein 
fe^r  großer  2lrgt.  $)ann  fomme  id)  mieber  nach  Sßarnom 
unb  fage  gum  alten  |jirfch:  |jier  ift  ber  ÜÜHetginä 
für  bie  Stube,  Ijunbert  $)ufaten.  Unb  bann  fommen 
bie  *J3olen  unb  moÜen,  baft  id)  fie  furiere  unb  ihnen 
©elb  leihe.  $lber  bann  fage  id):  SSeg!  3hr  $unbe." 

—  „Unb  bie  fRac^el?"  —  „28a§  gef)t  ba£  ©ich  an? 
Übrigen^  —  menn  ©u'§  miffen  millft  —  bie  Üiadjel 
heirate  id)  unb  nur  feibene  Kleiber  mirb  fie  tragen,  nod) 
taufenbmal  fdjönere,  al§  bie  ©räfin  23orü)n3fa  .  .  . 

$laron  ßeiblinger  mar  eine  eigentümliche  Statur; 
fd)on  mährenb  feiner  ^nabengeit  mar  bie£  fidjtlid).  ©r 
mar  flein,  uttanfehnlid),  aber  in  feinem  ^ä^ltc^en 
li|  ftanben  gmei  klugen,  fd)ön  burd)  ben  geuergeift,  ber 
barauä  bli^te.  Unter  biefer  niebrigen  Stirne,  in  bie 
fidj  ba§  fdjmarge,  fraufe  ßaar  brängte,  mo^nten  ©es 
banfen,  üon  benen  ferner  begreiflich  mar,  mie  fie  biefem 
Knaben  Ratten  fommen  fönnen,  bem  Sohne  ber  armen, 


174 


unmiffenben  |jöferin  in  her  £)adhftube.  SRafcf)  int  ©i 
faffen,  gäfj  im  Gehalten,  rüdfid^t^Io^  ettergifd),  fo  gin 
—  nein,  fo  brängte  fid>  ber  $nabe  burd)  bag  Sehet 
gitr  eine  gemiffe  geit  fatm  mcm  t>on  *hm  fagen:  er  et 
reichte,  mag  er  modte.  ©eine  ÜDhtüer  ^atte  ihn,  faui 
baj3  er  bag  Sefen  ber  (Gebete  erlernt,  für  ihren  |>anbi 
beftimmt.  2lber  5laron  modte  Xalntub  lernen,  aC 
feine  dftitfchüler  übertreffen,  unb  eg  gelang  il)m.  Un 
bann  modte  er  bie  ©hriftenfctjule  befugen,  unb  obmol 
beriet  big  bahin  unerhört  mar  im  ©täbtdjen,  fo  gelan 
ihm  and)  öie§.  freilich  burch  fein  gemöfjnticheg  SD^itte 
©r  fprach  guerft  ber  Butter  oon  feinem  ©ntfdjluffi 
2)ie  fromme,  befdjränfte  grau  oermünfd)te  ihn  unb  lii 
heulenb  gu  bett  SBorfteljern  ber  ©emeinbe:  ihr  ©olj 
mode  ©hrift  toerben.  $)emt  mag  fönne  fonft  ein  }übif< 
®inb  in  ber  ©hriftenfc£)ule  modelt?  SDer  ^oftor  laf 
feinen  Knaben  begehen,  aber  ber  SDoftor  fei  ja  aut 
nur  ein  falber  gube  unb  trage  fogar  „beutfdjeg"  ©c 
manb.  £)ie  SSorfteljer  lobten  ben  frommen  ©ifer  h 
grau  unb  liegen  ben  Knaben  rufen,  ©r  fam.  5lbc 
ehe  fie  noch  mit  thren  Höhungen  beginnen  fonntei 
begann  er:  „geh  meij;,  mag  ghr  mxx  fa9en  tuodt;  ab( 
ma§  ich  ^uch  fagen  toid,  mißt  gf)r  fd)toerlidh,  f)ö- 
alfo  gf)r  mid)  att-  3$  mid  bie  ©hriftenfdjule  befudjei 
meil  id)  OTeg  lernen  mid,  mag  man  lernen  fann.  Un 
mag.  ich  roitt,  bag  merb'  id).  üftur  barum  ganbelt  e 
fid^,  ob  idj'g  afg  ©hrift  ttyue  °^er  <dg  3ub\  Sfteir 
Butter  fann  mich  md)t  länger  ernähren;  fie  mirb  al 
SBodt  gf)r  mir  alfo  greitifch  geben,  Kleiber  unb  23itd)e: 
fo  bleib'  id)  gube  unb  mid  bie  $inber  bafür  untei 


175 


richten.  SCSoftt  8hr>3  nidjt,  fo  toerb'  id)  (£f)rift,  ber 
bide  SDedjant  t^ut  um  eine  (Seele  sMe§." 

£)iefe  unerhörte  IHebe  mirfte.  £)ie  Männer  beugten 
fidj  bem  Sßißen  be§  Knaben  uub  gaben  ü)tn  ba£  2£es 
nige,  ma§  er  brauchte,  (Sr  befugte  bie  $Uofterfd)uIe 
at§  Snbe  mit  Kaftan  unb  ©djmachtlöcHein.  3Sa§  er 
um  biefer  £rad)t  mitten  litt,  mar  etttf  etdid).  Sßietteidü 
hat  (55ott  bie  Sfjränen  unb  bie  (Schläge  gegärt;  er 
felbft  marb  mübe,  fie  gu  gälten,  mübe,  51t  meinen. 
Lüfter  unb  tro^ig  lie^  er  2ltte§  über  fid)  ergeben,  Uns 
red)t  unb  @d)Iäge,  junger  unb  SMlte,  ober  ma§  fpärs 
lief)  genug  an  ihn  herantrat,  SSohltfjat  unb  SBohtmotten. 
Ungeheure  (Sehnfuchi  nad)  bem  SSiffen,  ungeheurer 
Stacheburft  erfüllten  ihn.  ©elbft  fein  ©efid)t  hatte 
nid)t§  ^inblidje^  mehr.  (Sr  mar  ein  armer,  fef)r  armer 
Sunge,  mein  SDtitfchüfer  Slaron  ßeiblinger. 

SIber  felbft  ba3  ärmfte  |jerg  hat  no$  trgcttb  ein 
^leinob,  an  bem  e£  Unb  fo  liebte  ber  büftere 

$nabe  bie  Heine  Stachel,  gremb  unb  rüfjrenb,  fo  gang 
anberg  afä  fonft,  marb  fein  s<dntlij3,  menn  er  mit  ihr 
fpradj.  (S3  mar  etma§  (Sr  greif  enbe£,  ich  ha&e  & a 5 

mal§  nodj  nicht  recht  öerftanben;  ich  empfanb  e§  nur 
fo,  baf3  e§  ihm  fehr  wohl  that,  menn  man  mit  ihm 
non  ber  kleinen  fpraef).  Sd)  glaube,  er  hätte  fidj, 
ohne  gu  guden,  für  fie  töten  taffen.  Unb  einmal  ges 
fchah  fogar  etma§  Unerhörte^  —  er  meinte  mieber: 
bie  Stachel  tag  an  ben  flattern  barnieber. 

5lber  afä  feine  SDtutter  ftarb,  ba  meinte  er  faum; 
ba§  rift  feine  £üde  in  fein  Seben,  ba§  rührte  nicht  an 
fein  $erg,  minbeften§  nicht  fo,  ba§  man  e§  ihm  ans 


176 


fal).  (Sr  mof)ute  nun  allein  tut  $)acf)ftüfcdjcn/  ba§  mar 
5lIIe3.  $)er  alte,  bicfe  ßirfd)  Sßelt  gab  ihm  fogar  bon 
ba  ab  and)  bie  üftahrung.  (St  nahm  aber  bie  (5$üte 
nicht  lange  in  5lnfprucf).  (Sütrnal,  früh  SD£orgen§,  im 
©ommer  fam  er  gu  mir.  „$)u  marft  freunblid)  mit 
mir/7  fagte  er,  „barum  fage  idf  ®ir  ßebemohl.  3<h 
gehe  heute  fort,  ein  reifer  9ttann  merben.77 

„SIber  ©u  mirft  ja  am  SBeg  berhungem!" 

„0,  ich  h&be  ba£  Erbteil  bon  meiner  ÜDhitter, 
brei  (Bulben  —  nach  ßemberg  gel/  idf,  leb'  mofjl . 

Unb  fort  mar  er,  unb  ich  t)örte  lange,  lange 
nichts  mif)T  bon  ihm. 

* 

(Sfterfa  Regina!  ... 

(Sin  £ag  im  ©ommer,  ein  fdjöner,  leuchtettber 
3ulMftachmittag.  £)ie  ©onne  liegt  über  ber  $eibe, 
.auf  ber  eS  blitzt  unb  buftet  unb  fummt;  fo  öbe  fie 
fonft  fein  mag,  im  ©ommer  ift  and)  ifjr  garbe,  $)uft 
unb  ßeben  bef Rieben.  3u  ber  „©affe77  ift' £  ftiH,  gang 
ftiH,  ber  §anbel  ruht.  ^)rau§en  am  gluffe  manbelt 
ba£  junge  SSolf  gepult  auf  unb  ab.  SDi e  3ünglinge 
fe^en  blag  unb  frühreif  au£  unb  auch  ihre  Dieben  enU 
fprechen  nicht  ihrem  Filter  —  fie  unterhalten  fidf)  bon 
ihren  Salmubftubien  unb  bon  ihren  ©elbgefcf)äften,  unb 
nur  feiten  flüftert  (Siner  bem  greunbe  gu,  ba§  SJMbdjen, 
ba§  eben  borübermattble,  gefalle  ihm  auSnehmenb,  unb 
er  gäbe  etmaS  brum,  menn  fein  Sßater  ihm  juft  bie  gut 
23raut  beftimmte.  5lber  mobon  bie  üftäbchen  fpredjen, 
ift  ferner  gu  fagen:  mer  meifj,  an  maS  StUeS  fo  ein 
gepult  jübifch  äftäbcljen  beult  unb  morüber  fie  l\6)txi  beim 

-  \  ' 


177 


(Spaziergang  an  einem  fdjönen  (Sabbatfjnachmittage? 

.  .  .  Söorüber  ? !  $BieHeid)t  über  bie  jungen  Herren,  bie 
feinen  Kaftan,  feine  |)ängelödleiit  tragen  unb  bemtod) 
eifrig,  al§  müßte  e£  fo  fein,  auf'  unb  abttanbeln  auf 
ber  „jübifd)en  Sßromenabe"  am  gluffe.  $>a§  ift  bie 
elegattte  |jerrentt>elt  öon  SJarnoto  unb  fie  betoegt  fic^ 
fonft  nid)t  gerabe  gern  in  biefen  Greifen.  Aber  ber  Anblicf 
ber  (Sfterfa  Regina  tt>irb  gern  fefbft  burdj  ein  größere^ 
Dpfer  erfauft,  al§  burcf)  ba§  SSertoeilen  unter  ben  Suben. 
Unb  bie  «gerren  fjarrett  gebulbig  au§  unb  beforgnettieren 
einfttoeilen  bie  (Sterne,  bie  fHebeffag ,  9Kiriam§  unb 
(Sarah§,  bi£  enblich  bie  (Sonne  aufgeht:  bie  fd)öne 
Xocfjter  be§  gfeifd)^auer§.  $)a  finb  bie  himmelblauen 
$abetten  unb  ßieutenantä  öon  ben  ßichteuftein?|)ufaren 
unter  gü^rung  be§  flehten,  bfonben,  gefd)tt>ä|igen 
(Sgilagt) ;  ba  finb  bie  jungen  polnifcfjen  Abeligen  unb 
(Sdjöngeifter,  an  ihrer  (Spiße  ber  hoffnung£üolfe,  fang' 
haarige  dichter,  |>err  Xhabbäu§  2ßilifgett>3fi;  ba  finb 
enbfich  bie  eben  gu  ben  Serien  heimgefommenen  Herren 
©pmnafiaften  unb  Abiturienten,  unb  unter  ihnen  ein 
3üngfing,  ber  h^ute  fein  Süngfittg  mehr  ift  unb  bem 
e§  mehmütig  um§  £>erg  ttnrb,  gebenft  er  alP  be£  ©fanget 
jeneä  (Sommertagä.  SDemt  biefer  ©lang  ift  fängft  öer? 
toeht  unb  ba§  arme,  fcßöne  9JMbd)en  ift  fängft,  ein 
bfeicf)e§,  gefnidte§  Sßeib,  gur  frühen  ©ruft  gefunfen. 

Aber  noch  f^he  beutlich  toie  bamaf§,  mie  fie 
fangfam  am  Arm  einer  greunbin  ben  ©ang  unter  ben 
ßinben  emporge|cf)ritten  fommt.  (Selbft  unter  bie  jübifcfjen 
Jünglinge  fommt  ^Bewegung  unb  9D?and)er  flieht  fid) 
heimlich  ben  Kaftan  gurecht  ober  ringelt  ficf)  bie  gier? 

G.  ^ranj  öS,  Suben  b.  Santo»«.  12 


178 


liefen  ©chmacf)tlödlein  noch  gierlidjer.  Unb  jette  ^errett 
machen  fteft  üollenb§  bereit  gunt  ©efecf)t.  3n  erfter 
Sittie  fielen  bie  blauen  §ufaren,  tote  fich'ä  für  mutige 
Kämpfer  gelernt  unb  allen  ooran  ber  fleine  ©gilagp, 
ttiie  fidj'£  für  ben  grechften  gegiemt.  ©ie  fommt  lang- 
fam  l^eran  unb  fte^t  nun  bidjt  üor  ihm,  ber  fid)  i^r 
in  ben  Sßeg  gefteHt.  ©ie  ^ält  bie  klugen  nicht  nieber* 
gefdjlagen,  ttiie  bie§  bie  anberen  Stäbchen  tljun,  fo  oft 
fie  an  bem  ©efäf)rlicf)en  oorüberttianbeln,  fie  blieft  ruhig 
unb  frei  um  fid),  al£  ttiäre  ring§  ftatt  ber  blauen  Krieger 
bie  blaue  fiuft.  Slber  al£  fie  nun  notgebrungen  oor  bem 
frechen  kleinen  fielen  bleibt,  ba  geigt  ifjr  S3lid  einen 
anberen  Slugbrud  ©3  ttiirb  au3  feinem  Söenefymen  er* 
fic^tlid):  ber  fleine  SKenfdj  ttiirb  rot  unb  tritt  gurücf 
unb  —  e£  flingt  unglaublich,  aber  e£  ift  fo  —  er 
falutiert  oerlegen.  Unb  bann  fagt  er  gu  §erm  oon 
©gerüap,  ber  ihn  tter^ö^nl :  „3dj  h°be  9)iut,  ich  h0^ 
bettliefen,  aber  ben  Sölicf  mochte  id)  nicht  noch  einmal 
au§hctllen  ..."  ^Die  gtoeite  ©ruppe,  bie  ba§  Uns 
glaubliche  mit  angefehen,  toeidit  bei  3e^en  gurücf,  unb 
ber  langhaarige  dichter  ftarrt  ttiie  oergüdt  mit  ttieits 
geöffneten  Singen  bem  frönen  Stäbchen  entgegen.  Unb  in 
jenem  Momente  ift  in  biefem  armen,  f leinen  ©ehim,  ba§ 
fonft  nur  SBerfe  gum  Hausgebrauch  unb  für  bie  $rafauer 
^amensgeitung  ergeugt,ber  Üftarne  auf  geblieben  ich  über 
biefe©efd)idhtegefchriebenhabe. . .  Unb  bie  britte  ©ruppe  ? ! 
SDie  jungen  ©djüler  finb  ioeber  unttüberftehlid),  nod) 
tt>oöen  fie  bafür  gelten;  fie  toagen  eS  faum,  ben  „©teroen" 
in  bie  fchttiargen,  bli^enben  Slugen  gu  flauen,  unb  als 
nun  erft  bie  ©onne  gegogen  fommt,  fcharen  fie  fich  eng 


179 


5ufammen,  tüte  bie  ©cfjafe  üor  bem  ©etüitter.  Slber 
gerabe  au£  if)rer  2ftitte  erftefjt  einer,  —  id)  tüeifj  nocf) 
f)eute  nid)t,  tüte  idj  ben  9D2ut  bagu  fanb  —  ber  bem 
fcpnen  SDMbcfien  breift  in  ben  28eg  tritt  unb  eS  fogar, 
freilief)  fcfyon  üief  tüeitiger  breift,  anfpridjt  .  .  . 

„9ftein  gränfein,"  jag’  id)  ftotternb  unb  giefje  ben 
§ut,  „ttergei^ert  ©ie,  üieüeidfyt  erinnern  ©ie  fidf)  meiner 
nid)t  mel)r  —  ber  f feine  $laron  .  .  / 

„©i  freilid)/  eriüibert  fie  freunblid),  „S^r  feib 
ja  immer  gut  greunb  mit  ifjm  getüefen.  Unb  tüifci 
3f)r  nid)t3  üfteueä  üon  ifjm?" 

„$ein  ©terbenStüort,  feit  er  fortgegangen  ift." 
„O,  ba  tüeift  id)  fefjon  mefjr.  SDer  afte  Sfeig 
Xürfifdfjgelb,  ber  „9^arfdf)aIIif"  —  3f)t  fennt  boef)  ben 
närrifefjen  ;D?enfd)en?  —  nun,  ber  ift  neulid)  in  2em= 
Berg  getüefen  unb  f)at  bort  gufädig  ben  51aron  gefprodjen. 
greilid)  f)ätt'  er  if)n  faum  erfannt,  benn  ratet  nur  einmal, 
tüa§  au£  unferem  armen,  ffeinen  21aron  geiüorben  ift?! 
©in  §err  ift  au§  if)m  getüorben,  ein  junger  $err,  ber 
fi(f)  beutfd)  ffeibet  unb  nur  beutfd)  fpridjt.  3 a,  unb  mit 
ben  lateinifeben  ©d)ulen  ift  er  fdjon  üor  brei  Snfjren 
fertig  getüorben,  unb  ift  feitbem  faft  immer  in  Sßien, 
^oftor  $u  tüerben!  SSer  ^ätte  ba§  geglaubt?  Unb," 
fügte  fie  aögerub  fjingu,  „ber  „Sftarfdjaffif"  ergäbt 
aud),  bafj  er  jefjt  fefjr  ftofg  ift,  unb  gar  nidjt  mel)r  mit 
3uben  fpredf)en  tüifl.  ®enft  ©uef)  nur,  er  foff  je§t 
moff  feigen  unb  ©fjrift  tüerben  tüollen.  Sfber  ba§ 
glaub'  id)  nun  einmal nic^t  —  nein!  nein!  —  unb  3f)r?w 

Sftidjt  um  eine  SBelt  mod)te  id)  ettüaä  glauben,  tüa3 
biefem  9ftäbd)en  tüibertüärtig  ift.  „üftein!"  ertüibere  id) 


180 


alfo,  „idj  glaubt  and)  nidfjt.  Übrigen^  merbe  idj  halb 
®elegeuljeit  Ijaben,  ®emiffe£  barüber  gu  erfahren.  3dj 
geße  ja  audj  in  einigen  Söodjen  nadj  Söien  gut  Uniberfität. 
$>a  mid  idj  ben  $laron  ober  5lbolf  gett)i§  auffudjen." 

„3a,  tßut  ba§/'  fagt  fie  eifrig.  „(£§  mir b  iljn  gemiß 
fe^r  freuen.  Unb,"  feßt  fie  Ijingu,  inbem  Sßurburrote  ba§ 
fjolbe  Slntliß  jäfj  überflammt,  „memt  er  fidj  meiner  nodj 
erinnert,  fo  grüßt  iljn  audj  redjt  Ijerglidj  bon  mir.  $Cber 
ßört  3f)r  —  nur  menn  er  f idj  meiner  nodj  erinnert . . 

„Dt)  !"  rufe  idj  begeiftert  unb  füljn,  „mer  tonnte  Sie  je 
bergeffen !"  2lber  über  biefe  Küfjnljeit  bin  idj  felbft  fo  ent= 
fe£t,  baß  xd)  gleich  barauf  ben  §jut  lüfte  unb  midi)  ftottemb 
oerabfdjiebe.  $3i§  xd)  jebodj  gu  meinen  Kommilitonen  gu= 
rüdfontme,  Ijabe  idj  mieber  fo  biel  (Sammlung,  um  all  bie 
$tu£brüdje  ber  Neugier,  be§  $Mbe§  unb  ber  Söemunberung 
mit  imponierenber  Sftulje  entgegenneljmen  gu  fönnen  .  .  . 

* 

3dl)  ijatte  ben  5laron  ober  Slbotf  ßeiblinger  nidjt 
aufgefudjt,  nadßbem  id)  nadl)  Söien  gefommen  mar,  obs 
moljl  xd)  e3  mir  feft  borgenommen  Ijatte.  5lber  menn  fo 
ein  armer,  fd^üdßtemer,ad^tgeßniäßriger  SD^enfd^  mit  einem 
fdjüdjtemen  |jergen,  ba§  audj  fo  redjt  adjtgefjnjäljrig  ift, 
unb  einem  farg  gefüllten  SBeuteldjen  bagu  auä  einem  fleineit 
Sanbftäbtdjen  Ijingefdjleubert  mirb  auf  ba§  ^flafter  ber 
Söeltftabt,  ber  Ijat  genug  gu  tßun,  fid)  borerft  felber  burd )' 
gubringen  burdj  ba3  ®emirre  ber  ßimmelljoljen  fremben 
|jäufermtb  ber  |junberttaufenbe  bon  fremben  9Kenfdjen,ber 
barf  nidjt  biel  nadj  rechts  unb  lin!§  bliden,  fonbern  immer 
gerabe  bor  fidj  ljin,unb  muß  babei  nodj  fein  arnte3,fdjüdjs 
temeS^erg  feft  in  betbc  |jcmbe  faffen,  baß  e§  nidjt  bergagt 


181 


Wirb.  Unb  bann  —  Wie  §ätf  xd)  d)xx  fhtben  fallen  unter  ben 
oiertaufenb  ©tubenten?  ©o  überließ  idf)’S  bem  .gufaß. 

Unb  ber  führte  uns  aucf)  gufammen.  SS  war  an 
einem  trüben  &egembers9tadf)miitag.  £)ie  üßebel  lagen 
auf  ben  ©tragen,  bann  begann  ein  feiner,  bidjter  Siegen 
fyerabguriefeln  unb  trieb  midi)  in  ein  großes,  qualm= 
unb  menfdfyengefüßteS  Safe  ber  $ltfers$orftabt.  Üftur 
nocf)  im  23ißarbgimmer  fanb  xd)  ein  freiem  *ßlä|jcf)en. 
Unb  ba  ber  Siegen  länger  bauerte,  als  mein  (befaßen 
am  $)urd}fiöbera  aß'  ber  ^Blätter  unb  Slättßjen,  fo  falj 
idE)  enblicf),  in  mein  ©c^icffal  ergeben,  bem  ©piel  gu. 

Sßor  mir  üergnügten  ficf)  brei  junge  Seute  am 
grünen  $8rett.  S)er  ßftarqueur  fagte  „§err  £)ottor"  gu 
iljnen,  eS  Waren  alfo  ©tubenten  ber  ßftebight.  Siner 
üon  iljnen  fiel  mir  auf,  ein  mittelgroßer,  fdßanf,  faft 
gierlict)  gebauter  junger  Sftenfcf)  mit  feinem,  fdl)arfge= 
§ei(^netem  ©efidjt,  baS  an  fidf)  bleidj  fein  mochte,  aber 
burdl)  baS  iieffd^warge,  leicht  geträufelte  §aupts  unb  Start- 
^aar  faft  fctjredtfyaft  fa^l  erfd^ien.  §übfcf)  war  baS 
©efid)t  nid^t  gu  nennen,  bagu  waren  bie  Sippen  gu  bünn, 
bie  ©tirn  gu  niebrig.  Slber  icf)  mußte  eS  bocf)  immer 
Wieber  anfe^en,  benn  auf  biefem  (55efic^te  ftanb  etwas  ge^ 
fd^rieben,  wie  eine  ©efdjicfjte;  baß  id)  eS  fcf)on  früher 
einmal  gefefjen  f)aben  tonnte,  fiel  mir  nicfjt  entfernt  ein. 
$lber  plößlidß,  als  fidj  —  auS  geringfügigem  Einlaß,  über 
baS  -ftecfwort  eines  ßftitfpielerS  —  bie  bünnen  Sippen 
feft  aufeinanber  preßten  unb  bie  niebrige  ©tirn  fiel)  faltete, 
blißte  eS  in  mir  auf:  „$)aS  ift  ja  ber  fdpoarge  2laron!" 

üftun,  er  War  eS  wirflid).  0b  wir  unS  freuten, 
einanber  gu  begegnen,  üermag  xd)  faum  gu  fagen;  jeben? 


182 


falls  war  e§  feine  ungetrübte  greube.  SBenn  junge 
fieute  nur  furge  Seit  auSeinanber  gewefen,  fo  ntiiffen  fie 
fid)  beim  SBieberfe^en  erft  orbentlich  Wieber  fennen  unb 
in  einanber  fügen  lernen.  Unb  nun  erftnadj  fo  langer  Seit! 
SSir  rangen  qnatooß  nach  bem  alten  Sion  unb  fanben 
ihn  nicht.  (Schon  wollte  baS  @5efprädh  ftoden,  ba  fielen 
mir  bie  ©rüjk  ein,  bie  id)  auSguridhten  Ijatte.  „(S§ 
lebt  Semanb  in  Söarnow,"  fagte  id),  „ber  fid)  lebhaft 
für  SDidj  intereffiert.  5l^nft  $>u  nicht,  wer’S  ift?" 

„üftein !"  (Sr  blieS  ben  Sftaudh  feiner  (Sigarre  nach' 
laffig  in  bie  £uft.  „3Mn  lieber  Sunge,  $)u  glaubft 
gar  nicht,  wie  oiele  SD^ü^e  id)  mir  gegeben  Ijabe,  bie 
ßeute  ooit  Söarnow  recht  grünblich  gu  oergeffen." 

„2luch  deinen  ©djubgeift,  bie  fleiite  Kachel?" 

„Sllfo  bie  ift'S?!"  rief  er  lebhaft.  5lber  gleid^= 
gültig  fe£te  er  ^ingu:  „2öa£  macht  bie  kleine?  @ie 
Wirb  Wohl  je£t  redjt  gro§  fein,  etwa  fechgehn jäfjrig?" 

„Unb  Wunberfdjön  bagu!"  Unb  ich  gab  eine  fo 
begeifterte  ©djitberung  iljrer  0cf)ön^eit  unb  Klugheit, 
baj3  ber  blaffe  junge  SEftenfdj  neben  mir  ironifdj  gu 
lädjeln  begann.  $lber  als  id)  gu  (Snbe  war,  ba  fagte 
er  ernft:  „SDaS  t^ut  mir  aufrichtig  leib!" 

„SBie?  SSarum?" 

„SBcil  ich  meinem  fleinen  «Sdjuftgeift  in  ber  SUjcrt 
SDanlbarfeit  bewahre  unb  il;n  gliidlid)  feigen  möchte. 
2)agu  ift  aber,  wenn  baS  9Dcäbd)en  Wirflich  fo  fdf)ön 
unb  babei  fo  fing  ift,  oerbammt  wenig  5lu£ficf)t.  (Snt* 
Weber  läßt  fie  ftch  burcf)  alT  bie  SBerfudjungen  betl)oren 
unb  fällt  trob  i^rer  Klugheit  einem  biefer  polnifd)en 
ober  ungarifcfjen  Herren  gum  Dpfer  — " 


183 


„Unmöglich!"  rief  id)  entriiftet. 

„Ober  fie  bleibt  bie  bratie,  gefyorfame  £ocf)ter  il)reS 
SSaterS  unb  ber  öerfdjadjert  fie  bann  eines  XageS,  ohne 
fie  gu  fragen,  an  einen  rol)en  dhaffibifchen  Bengel.  Unb  ba 
fie  fing  ift,  fo  mirb  fie  ben  Kammer  unb  bie  SUebrigfeit 
eines  folgen  SDafeinS  über  furg  ober  lang  begreifen  unb 
fcf)Uef$lid)  als  armes,  gefnicfteS  3ubentoeib  in  irgettb 
einer  (Scfe  eines  pobolifchen  ©^etto  öerfümmern." 

„3)u  fief)ft  gu  fdhmarg." 

,  „3$  fetje  bieSDinge,tüie  fiefinb.  3ch  bitte  £)icf),let)re 

3)u  mich  nicht  bie  (Stjaffibim  fennen.  £)och  —  fprecfjen 
mir  nicht  meiter  barüber.  Unb  nun  —  leb’  mofjl!" 

SBir  gingen  auSeinanber,  unb  eS  Hang  recht  füf)l, 
als  mir  fagten:  „9luf  SSieberfe^en!" 

3n  ber  £f)at  fugten  mir  biefeS  SSieberfehen  nicht. 
2lber  ber  Zufall  führte  uns  mieber  einmal  gufammen 
unb  bieSmal  bauernber.  Stt  ben  erften  Frühlingstagen 
begog  ich  eine  neue  «Stube.  Unb  als  ich  8um  elften 
9ttale  auS  bem  genfter  fah,  blicfte  mir  auS  bem  genfter 
gegenüber  neben  einem  ftattlidjen  Stotenfopf  baS  SSfatlifc 
meines  Sdhulfamerabeu  auS23arnom  entgegen,  (Srmohnte 
in  bemfelben  §aufe,  in  bemfelben  |jofe.  So  fpradfjen  mir 
benn  mieber  miteinanber,  lauten  fo  unüermerft  einanber 
näher  unb  mürben  fchtiejgtidh,  fo  meit  eS  eben  bie  ftubens 
tifdje  Sftangorbnung  (er  ftanb  im  vierten,  idh  im  erften 
3ahrgang)  unb  noch  mehr:  fo  meit  eS  ber  ungeheure 
Unterfdhieb  unferer  Naturen  erlaubte,  fogar  gute  greunbe. 

2BaS  aber  feine  Statur  anbelangt,  fo  ermieS  fidh 
auch  an  btefem  üEßeufdhen  mieber  einmal  bie  gange 
SSahrheit  beS  alten  Sa£eS:  „2)ie  ©inbrüefe  berStinb? 


fjeit  murgeln  am  tiefften. "  ®er  @tubent  ber  Sftebigin  5XboIf 
Seiblinger  mar  im  ©rmtbe  gang  ber  fdjmarge  9laron.  SDte 
SSermanblungf  au§  bem  öerfd)Ioffenen,^äp^en^naben  in 
ben  gemanbten,meltfreubigen  jungen  9J^ann  i)atte  ben^ern 
feinet  28efen§  unberührt  geiaffen;  in  if)tn  lebte  berfelbe 
Zxofy,  ba^felbe  ©etbftbemujjtfein  mie  einft,unb  im©runbe 
aucf)  ber  alte  |jaf3.  $lber  baneben  mar  er,  mie  einft,  öoß 
$)anfbarfeit  für  jebe  teilnaf)m§üoße©efinnung  unb  ebenfo 
nodlj  immer  non  ber  alten,  rüljrenben  (Seljnfudfjt  nacf) 
bem  SBiffen  erfüllt.  ©r  Ijatte  fidl)  anfangs  entfe^lid^. 
fermer  auf  gerungen.  5lber  fpäter,  unb  nun  aucf)  in 
SSien,  braute  er  fic^  gang  gut  burcf).  Unb  fo  mar  aucf) 
nun  nod^  fein  ©pruef):  „Sfftan  fann,  ma§  man  miß." 

9£ur  ba§  23erf)ättni§  gu  feinem  ©otte  unb  gu  feinem 
©tauben  fjatte  fiel)  grünblidj  geänbert.  grüner  mar  iljm, 
eben  meit  er  fefjr  ftotg  mar,  fein  ©taube  um  fo  lieber  ge? 
morben,  je  me^r  er  um  feinetmißen  litt,  unb  fein  ©ott 
mar  if)m  fo  recf)t  ber  ©ott  feiner  eigenen  ßiacfje,  ben 
er  nicf)t  mübe  mürbe,  um  23li£ftraf)len  gegen  bie 
©fjriftenjungen  unb  unferen  bummen,  rofjen  £ef)rer  an? 
guflefjen.  Slber  nun  mar  er  gegen  ©ott  tut) l  unb  fjaftfe 
feinen  ©lauben  glüfjenb.  ©r  geriet  orbentlic^  in  Sßut, 
menn  er  auf  Suben  unb  Subeutum  gu  fprecfjen  farn. 
«fperr  £f)abbäu£  2Bitifgem£fi,  ber  bodj  eine  eigene 
„ßpmne  gegen  bie  Suben"  gebicfßet  fjatte,  mar  bagegen 
ein  f)armlofe§  tinb.  §lber  babei  blieb  er  bod}  formeß 
in  biefem  ©lauben.  „ÜDton  fHodb  ift  unbequem," 
pflegte  er  gu  fagen;  „aber  icf)  fef)e  auf  bem  ©rbenrunb 
feinen  bequemeren,  ben  icf)  ftatt  feiner  angieljen  fönnte. 
Unb  oljne  ßioef  mirb  man  fo  läftig  angegafft!" 


—  185  — 

gemamt  2lbolf  lieb,  mie  idj  eirtft  $laron  liefe 
gemonnen  fjatte,  uttb  als  bie  geriengeit  tarn,  unb  id)  gur 
fReife  in  bie  öftlidje  «geimat  rüftete,  lub  id)  il)n  ein, 
mit  mir  gu  fommen,  unb  freute  mid)  t)erglidj,  als  er 
eS  anna^m.  $luf  biefer  Steife,  nachts  im  Eifenbafym 
maggon,  tarnen  mir  lieber  auf  baS  fdjöne  ÜDMbdjen 
gu  fpredjen,  non  bem  feltfamer  Söeife  feit  jener  erften 
Begegnung  nid)t  mieber  bie  ^ebe  unter  unS  gemefen. 
„üftintm  Didj  in  2ldjt,"  fagte  id)  nedenb,  „alte  Siebe  roftet 
nidjt!"  2lber  er  lachte:  „gdj  unb  —  lieben?!  Du  meif$t, 
Siebe  ift  ein  meidjeS  (55efü^l,  id)  aber  —  id)  bin  ein  parier 
SD^enfc^."  Er  ladj)te  mieber,  fügte  bann  aber  ernft  fjingu: 
„@ie f)' —  xd)  merbe  fogar  oermeiben,  bie  kleine  gu  feljen. 
Die Erinnerung  anfie  ift  ber  eingigeSid)tpunft  meiner  trofts 
lofen,bunflen$nabengeit.  @od  id)  mir  bie  Erinnerung  felbft 
trüben,  inbem  ict)  fie  auffucfje  itnb  non  bem  fcfjmui^igen, 
f($üd)ternenSD^äbeleinigeSegrü^ungStoorte  im  befannten, 
^  lieblichen  Sübif d)sDeutf cf)  erpreff e  ? ! "  Er  rifc  baS  SBaggon« 
fenfter  auf  unb  ftarrte  lange  in  bie  bunfle  9Zadjt  IjinauS. 

* 

Sn  ben  lebten  Sulitagen  trafen  mir  in  SBaraom 
ein.  Die  Änfunft  beS  „fdjmargen  5laron"  medte  ftür? 
mtfdjeS  5luffe^en,  unb  eS  mar  fjalb  fomifd),  f)alb  be= 
trüblich,  toie  bie  Seute  oon  23arnom  if)r  @tabtfinb  be^ 
grüßten.  Er,ber  „fdjmarge  2laron",  ber2laronSeiblinger, 
ber  0ol)n  ber  Ef)ane  Seiblinger  auS  bem  ßüttlein  am 
gluffe,  f )atte  eS  gemagt,  „djriftlidje"  Kleiber  gu  tragen, 
schriftliche"  $oft  gu  eff en  unb  am  ©abbatl)  gu  raudjen,  ja 
nod)  meljr,  er  b)atte  eS  fogar  gemagt,  gu  ftubieren! 
‘DaS  maren  in  ben  klugen  biefer  Söienfdjen  ebenfo  oiele 


—  186  — 

\ 

Stobfünben,  bie  bitter  gerächt  werben  mußten,  Dftemanb 
fpracf>  if)n  an  unb  wen  er  anfprad),  ber  fertigte  il)n 
Ijöljnifd)  ab;  bie  flehten  gungen  liefen  auf  ber  ®affe 
fjinter  if)tn  fjer  unb  riefen  if)tn  nad):  „Abtrünniger!" 
darüber  ladjte  ber  junge  Üftamt  unb  bie  23erad)tung 
ber  ßhwadjfenen  oergalt  er  mit  gleicher  9D£ünge.  Aud) 
Waren  wir  ja  auf  ben  SBerfefjr  mit  if)nen  nid)t  angewiefen. 
2Sir  ftreiften  oiel  in  ber  Sanbfdjaft  urnljer  unb  be¬ 
fugten  guweilen  bie  djriftlidjen  Honoratioren  be§  Orte. 
9ftan  fam  un§  baredjtfreunblidjentgegen;  Herr^abbäu^ 
2Bilifgew£fi  begnabete  un§  mit  einer  SSorlefung  feiner 
Sßoefien  unb  bie  brei  grünlicf)enS£öd)ter  be§  Herrn  Steuer- 
amt§*$8orftef)er3  erlaubten  ben  „Herren  Stubenten",d)tten 
ben  Hof  gumadjen.  Abolf  War  in  jenen  Stagen  auSgelaffen 
luftig;  id) allein aljnte, wie feljrifym  bie  23itterf  eit  amHergen 
fraß,  deinen  $8orfa£  fjatte  er  treulid)  auägefüfjrt  unb 
bie  fcf)öne  fRad^el  Weber  gefprodjen,  nod)  gefef)en. 

$)a  trat  eiltet  S£age§  —  an  einem  glü^eißett 
Sonntag  im  Auguft,  bem  gWeiten,  ben  wir  im  Stabt* 
d)en  üerbrad)ten  —  ber  Sßerfudjer  an  iljn  Ijeran,  ober 
eigentlich  gunädjft  an  rnid).  $>ettn  id)  allein  war  ba* 
t)eim,  al3  fid)  bie  Stfyüre  auft^at  unb  ein  fleineä  3ftänn* 
djen  mit  glühroter  Üftafe  unb  biinnen  S8eind)en  in 
unfere  Stube  tängelte.  SDa§  war  Herr  Sfaaf  Xitrfifdjgelb, 
ber  „9Jtarfd^aUif//oon33arnow/Wa§gubeutfd)  einen  Suftig* 
madjer  oberHodjgeitämarfdjall  bebeutet.  (Sinfoldjer  2öür* 
benträger  fjat  neben  taufenb  anberen  flehten  ^ßflidjten  aud) 
bie, bie  ©äfte  gurHodjgeit  eingulaben,  unb  in  biefer  (Sigen* 
fdjaft  beehrte  er  mid)  mit  feinem  33efudje,  um  mir  unb  Abolf 
bie  bringlidje  ffiiitlabung  ber  grau  Springe  ®lein  gu  über* 


187 


bringen, cmt  nädjftenSienftag  in  intern  |jaufe  ba£  |)ocf)3eit$? 
feft  if)rer£od)ter3ütta$tein  mü§errn3jtbor  ©pi£  (vulgo 
*$ftot?3tjigel")  mit  unferer  ©egenmart  gu  öerfjerrlidjen. 

„<Scf)ön!"  fagte  id).  „2lb er  treffen  mir  audj  Ijübfcfje 
■äftäbdfjen  bort?  $ommt  and)  bie  ©fterfa.  Regina?" 

„SBer?"  fragte  baä  9JMnnd)en  erftaunt  unb  legte 
bie  $anb  an£  0l)r. 

,,3cf)  meine  bie  fRad^el  SBelt." 

„0b  bie  babei  fein  mirb?"  rief  ber  9ftarfcf)allif 
patljetifcf).  „|jeif3t  eine  grage!  man  alle  tyäfc 

litten  9D?äbd)en  öon  Söarnom  laben  unb  nur  gerabe 
bie  ©djönfte  nic^t? !  Sßerlaffen  ©ie  fid)  barauf,  mir 
miffen,  ma§  ftd)  fd^ieft,  unb  menn  man  junge  Herren 
einlabet,  fo  ntufj  man  and)  fd)öne  junge  $ftäbd)en  ein? 
laben.  Hub  bann  miffen  mir,  menn  mir  bie  Sftadjel 
im  Zimmer  l)aben,  mo  getaugt  mirb,  fo  tonnen  mir 
un3  erfparen,  Blumen  f)ineingufteEen,  benn  bie  ^adjel 
ift  bie  fdjönfte  SBlume,  fo  ma^r  mir  ©ott  einen  guten 
©rmerb  geben  foll!  .  .  .  Sie  fdjönfte  23lume!"  mieber? 
fjolte  er,  „unb  fd)on  barum  merben  ©ie  fommen!  9Hd)t 
mafjr?  ©ie  unb  3^  greunb  2faron  —  öergeil)en©ie,baj3 
id)  i^n  fo  fjeifjen  tlju',  aber  mie  fann  idj  iljn  2lbolf  nennen, 
ba  icf)  iljn  bod)  felbft  auf  ben  §änben  getragen  f jabe  unb 
feine  Butter  (Sfjane  mein  leibltdjeä  ©efcfjmifterftnb  mar?! 
©ie  merben  tommen  unb  nidjt  bulben,baf3  bieSeuf  in$Sar? 
nomoom  alten  9ftarfdjatliffagen:  „©emeineSuben  fann  er 
einlaben,  ber  grobe  $lojj,  aber  feine  junge  Herren  nidfjt!" 

3d)  mufjte  ladjen.  „üftun,  für  mein  Seil  fönnt 
3fjr  rufjig  fein.  0b  aber  Hbolf  fommt,  mödjte  id)  be? 
gmeifeln  —  §olt  (£ud)  morgen  feine  Slntmort  felbft." 


IBS 


SSieber  f)ob  ba§  -äftchtndjen  bie  |jctnbe  empor  uttb 
büßte  habet  gufantmen.  Uttb  bann  trippelte  e3  enblüJ) 
grinfenb  gur  £f)ür  f)inau£. 

Sd)  toar  übergeugt,  bafj  icf)  aßein  gelten  toürbe. 
Unb  in  ber  5£f)at  ertoiberte  mir  9lbolf,  al§  iß)  i^m 
bie  (Sinlabung  übermittelte:  „gn  bie  §bße  toiß  icf) 
£)icl)  begleiten,  aber  unter  biefe§  33olf  nidjt!" 

,,©d)abe!"  fagte  id),  „£)u  t)ätteft  ba  eine  intereffante 
(Sfjarafterftubie  machen  lönnen  —  an  mtferer  Sßirtin, 
grau  ©pringe  $lein.  ©ie  ift  au£  33rgegan  gebürtig, 
je^t  oerttüttoet,  fe^r  reidj),  l)at  einen  ©djnitüoarenlaben." 
,,©e^r  intereffant,"  I^nte  er. 

„$!ttef)r,  al§  $)u  glaubft.  •  S3ei  biefer  grau  geigt 
fid)  ein  fonft  fefjr  ernfter  feelifd^er  ^roge^:  ba§  $luf^ 
ringen  au§  ben  brücfenbeit  geffeln  be£  ort^obojen 
($lauben§  gu  einer  freien  Seben§anfc£)auung,  in  einer 
rnertmürbigen,  gerabegu  fomifdjen  gorm.  grau  ®lein 
lebt  gang  toie  bie  5lnbern,  magt  nidjt,  i§r  eigene^  §aar 
gu  tragen,  unb  f  bunte  ben  leifeften  SBerftojj  gegen  ba£ 
©peifegefe|  nicf)t  über£  |jerg  bringen.  9lber  toeil  fie 
einmal  al£  3ftäbd£)en  ein  t)albe§  gafjr  lang  in  Semberg 
gelebt  l)at,  fo  t)at  fie  eine  gettnffe  platonifdfye  Siebe  für 
bie  „^lufgeftärtljeit"  unb  „feine"  gormen.  „2ll£  iä)  in 
ßemberg  toar"  —  fo  beginnt  jebe  ifjrer  IRebcn.  Um 
nun  biefe  platonifcf)e  Neigung  gur  $lufgetlärtf)eit  fteßen^ 
ioeife  and)  burd)  bie  £l)at  gu  betoeifen,  oerfäßt  fie  auf 
bie  feltfamften  Mittel,  ©ie  fpridjt  g.  33.  mit  toafjrer 
3But  f}odj)beutfcl)  unb  fann  fie  gar  irgenbtoo  ein  grernbs 
toort  ergattern,  fo  täjgt  fie  e§  gemifi  eine  3Bod£)e  lang 
nid^t  lieber  loä;  welchen  3JU^anblungen  ba£  arme 


189 


grembmort  habet  au§gefeüt  ift,  fantt  man  faunt  benfen. 
Ober  eine  anbere  Sßrobe.  grau  ©pringe  fann  nicfjt  beutfdfj 
lefett.  ©leidjmoljl  f)at  fie  bei  irgenb  einer  2luftion  brei 
abgegriffene  $8änbe  erfiartben:  ©djiEer’ä  „Räuber" ,  eine 
(Srgäfjlung  aon  (Sarotine  ^ßidjler  unb  einen  23anb  (£afas 
noöa.  Unb  ein§  öon  biefen  brei  Söüdjern  f)at  fie  and} 
immer  aufgefdjlagen  in  ifjrern  Saben  liegen  unb  ftarrt, 
menn  fie  fiel)  beobachtet  toei^,  aufmerffam  bie  fremben, 
rätfelljaften  3e^en  <nt.  ©ngt  t^r  ein  gromnter,  ba§ 
fiefen  beutfdjer  23üd)er  fei  ja  eine  £obfünbe,  fo  ermibert 
fie:  „%l%  idj  in  Semberg  mar,  f)abe  idfj)  felbft  gefefyen, 
mie  fogar  bie  £od)ter  be§  Dberrabbüterä  beutfdje  Söüdjer 
getefen  ^at I"  gnägefjeim  jebodj  benft  fie:  „Sßemt  ba§ 
Sefen  mirflidj  eine  ©ünbe  ift,  fo  begehe  idfj  fie  ja 
nid)t!"  .  .  .  Unb  ber  jiingften  ^ßrobe  if)rer  Siebe  für 
ben  gortfdjritt  fyaben  mir  eben  unfere  (Sinlabung  gu 
oerbanfen.  ©ie  f)at  e§  nämlicf)  burdjgefeijt,  baft  bei 
ber  |md)geit  iljrer  Sodjter  nidjt  ttad)  „jübifdfjer  5lrt" 
gelangt  merben  foK  —  bie  Männer  mit  ben  Scannern, 
oie  SSeiber  mit  ben  SBeibern  —  fonbern  nacf)  ber  „djrifts 
lidtjen  -üftobe":  bie  Herren  mit  ben  tarnen.  Unb  ber 
traurigen  Sfjatfadje,  ba£  e§  babei  an  gefdjulten  Gängern 
fehlt,  öerbanfen  mir  mafjrfdjeinlicf)  bie  ©inlabmtg  — " 

,r©eh r  fdt)meichelhaft !" 

,f^ßah !  —  gleidjmel!  e§  fann  ein  fjübfdfjer  ©paf* 
merben!  Unb  bliebe  e£  auch  eine  langmeilige  £angs 
robot,  bie  2lu§fidf)t,  mit  einem  fdjönen  -äftäbdjen,  mie 
bie  (gfterfa  Regina  ift,  langen  gu  fonnen,  miegt  ein  Dpfer 
auf.  ©o  benfe  utinbeftenä  ich !  Unb  SDu?" 

„3d)  nidfjt,"  ermiberte  $lbolf  furg.  3lber  nad)s 


190 


bertflicf)  mar  er  Bet  ber  Nennung  tf)r e§  Üftamen§  bodj 
geworben.  Uttb  als  ber  Sftarfdjallif  am  nächften  Sage 
fam,  ficf)  bert  S3ef<f)eib  gu  fyokn,  ba  erhielt  er  gu  meiner 
mtb  feiner  Überrafchung  eine  guftimmenbe  $lntmort. 

.  .  .  5lm  Sienftag  5lbenb  gingen  mir  nach  bem 
feftlich  gefchmücften  $aufe  ber  reifen  SSitme.  Sie 
Zeremonie  mar  Bereite  öottgogen  mtb  bie  Unterhaltung 
füllte  eben  Beginnen.  SSoH  überqnellenber  greunbüchs 
feit  fam  un3  an  ber  X^üre  be£  Sangfaal§  bie  $au& 
fran  entgegen,  gehüllt  in  ein  $leib  öon  fdjmerfter  gelber 
0eibe  unb  barüber  eine  begrüne  ©ammetmantiÜe,  bei 
jeber  Söemegung  flirrenb  unb  raffelnb  üon  bem  Sumelen^ 
laben,  mit  bem  fie  behängen  mar.  „ ©ie  mer ben  Me£ 
finben,  mie  in  ßemberg/  fagte  fie  mt§  ftrahlenb,  „ benn 
mie  ich  in  ßemberg  mar,  höbe  icf)  gelernt,  mie  man 
macht  bie  $orrenr§  al£  Sßirtin." 

Sßir  traten  in  ben  Sangfaal.  Sie  Männer  machten 
fauerfüjje  ©efichter,  aber  ben  Stäbchen  fd)ien  unfere 
Slnfunft  nicht  ungelegen.  Unb  fo  erfüllten  mir  benn, 
ma£  man  öon  un§  ermartete,  mir  taugten. 

Sa  trat  ein  alter  SÜtann  in  ba§  Zimmer  unb  an 
feiner  6eite  ein  junget  SUMbchett,  Sa§  mar  |)irfcb 
2Mt  unb  feine  Tochter.  2Bir  fahen  fie  ba  gum  erften 
9JMe  feit  nuferer  Hnfunft  unb  fagten  mie  au3  einem 
SJhntbe:  „2öie  fd)ött  fie  ift !"  —  „(BtörtSir  bie£  Räbchen 
Seine  lichte  (Erinnerung?"  fragte  ich  Hbolf  täc^elnb. 

5lber  er  ermiberte  nicf)t£.  (Er  mar  nur  einen 
$ugenblicf  noih  bleicher  gemorben  al§  gemöhnlich. 
Sann  trat  er  auf  fie  gu  unb  bat  fie  um  einen  Sang. 

@ie  erbleichte  gleichfalls,  fah  ihn  ftarr  an  unb 


191 


fagte  battn  gang  letfe:  „-Kein!"  3Ijm  fdiog  bie  fRöte  in§ 
51ntli&. 

„Bk  —  Bk  taugen  mo!)l  überhaupt  nic^t?" 

,,8d)  tauge/'  fagte  fie  langfam  uub  blicfte  i£)n 
nodj  immer  ftarr  au,  „aber  mit  (Sud)  nidjt." 

(Sr  gmang  fid)  gu  einem  Sädjeln,  e£  mar  müfjfam 
genug.  „Uub  moburdj  öerbiene  idlj  folclje  (Strafe?" 

„SBeil  3^r  un3  OTe  fjafjt  uub  berfpottet,  un§, 
nufere  5(r t,  uufere  Sprache.  3Sa§  nüfjt  e£  (Sud£)?  3§r 
bleibt  beäfjalb  bodf)  aucij  ein  jübifdj  $inb!" 

©ein  ©eficf)t  berfinfterte  fidfj.  „0,  memt  ©ie 
müßten  — begann  er  jäfj  uub  ftodte  mieber.  $)amt 
fagte  er  lädfyelnb:  „Qa  irren  ©ie.  ®ie  £euie  öou 
Söarnom  tfjun  mir  fein  Unrecht  uub  idf)  if)nen  nic^t. 
Sßie  mürbe  fidj  ba3  audfj  unter  ßanbsdeuten  fcf)iden! 
3d)  bin  ja  f)ier  geboren  uub  aufgemadfjfen!" 

„0,  idj  meiß,"  ermiberte  fie  lebhaft,  „in  nuferem 
$aufe,  iu  ber  $)adf)fammer  ^abt  3fj*  ja  gemofynt,  3^ 
uub  (Sure  alte  Butter,  mit  ber  griebe  fei  ..." 

(Sr  fat)  gang  felig.  *$Hfo  ©ie  erinnern  fid)?  3$ 
§abe  e$  faum  ermartet!  (S§  fiub  ja  elf  3cd)re  f)er!" 

„0  —  uub  mie  idfy  midi)  erinnere!  3Bir  tjaben 
ja  fo  gute  greunbfd)aft  gehalten!  Uub  tjabt  3fj*  bie 
$Rad)et  bergeffen?" 

„©emijj  uic^t !"  beteuerte  er. 

$8on  ba  ab  begannen  fie  halblaut  uub  eifrig  gu 
plaubern  unb  idj  fonnte  bem  ©efprädj  nidjt  meljr  folgen. 
(Sr  modjte  mof)l  ba§  fd)öne  Sftäbdjen  au  feiner  ©eite 
au  eine  Sttenge  fleiuer  ©efdjidjten  au§  itjrer  $inber? 
geit  erinnern.  $)enn  immer  mieber  überflog  ein  fetigeS 


192 


£öd)eln  bie  Kolben  $üge.  tnerften  es  moljl  nid^t,  tüte 
auffällig  lange  fie  fo  bor  501er  5lugen  beifammen  ftanben. 
^)ie  £eute  begannen  gu  flüftern  nnb  bidjt  hinter  mir  marb 
bie  0timme  ber  platonifcf)en  33eref)rerin  be§  gortfdfyrittä 
taut.  „5ll§  id)  nocf)  in  £emberg  mar/'  fagte  fie  gu 
einer  ©eb  atterin,  „1 jabe  icf)  ;3ftanct)e3  erlebt,  aber  ba{3 
eine  23raut  e§  magt,  fo  lange  mit  einem  fremben 
5ftenfd)en  gu  fonfurrieren,  ift  mir  maf)rl)aftig  nod)  nie 
borgefommen."  5lber  nun  traten  aud)  fdjon  bie  Reiben 
auäeinattber.  „^aä  freut  midi),  bafj  3f)t  fo  ber  alten 
3eit  gebenft,"  fagte  ba§  SD^äbd^en  laut,  „ba£  ift  ein 
$eicf)en,  bafj  3f)t  fein  fcfjledjter  SD^enfd^  gemorben  feib, 
mie  manche  £eute  fagen  .  .  .  5lber  nun  —  lebt  mof)l!" 

Unb  fort  mar  fie,  el §e  er  fid/£  berfalj.  (Sr  faf) 
ifjr  nad),  mie  ein  £räumenber.  3d)  trat  auf  t^n  gu. 
„$)u  Ijaft  bem  armen  Bräutigam  eine  fermere  (Stunbe 
gemacht,"  meinte  id)  lacfjenb. 

„*£)em  Bräutigam ?"  fragte  er  Ijaftig.  „5llfo  ift 
fie  berlobt?  mit  ment?"  —  meifj  id)  nid)t.  |)at 
fie  SDir  nicJ)t  babon  gefprodljen?"  —  „Sftein,"  ermiberte 
er  furg,  berftimmt  unb  brängte  gum  ($ef)en.  $)a§  mar 
ifjr  erfte§  SBieberfefjen. 

* 

$mei  Monate  fpäter.  Silber  §erbftfonnenfdl)ein  lag 
auf  bem  leifen  (Sterben  unb  Entfärben  ber  |jeibe.  SBieber 
faft  mir  mein  alter  ^eifefumpan  im  SBaggon  gegenüber. 
5lber  bieämal  gütg§  norbmärtä,  fort  bon  ber  «geimat. 

5lbolf  mar  in  ben  lebten  Sßodjen  red)t  feltfam  ge= 
mefen.  23alb  überlaut,  halb  mäuädjenftill,  halb  über* 
mutig,  halb  fentimental  —  man  faf)’§  bem  !Jftenfdjen 


193 


auf  ge^rt  (Stritte  au,  baft  bie  Siebe  über  iljn  gefommen 
War  uub  feilt  gange§  SSefen  burdjeinanberrüttelte.  2ßie 
er  gu  fciuer  Siebftert  ftaub,  wuftte  icf)  nidjt,  rnodjte  iljn 
and)  nidjt  barum  fragen.  Sdj  begnügte  rrticf)  mit  bem 
füllen  Sefjagen,  baft  nun  and)  biefem  armen,  einfamen 
|jergen  fein  grüljling  gekommen  fei. 

$eute,  wäftrenb  ber  Steife,  war  er  fef)r  Weid).  Stuf 
feinem  Sdntlift  lag  ein  ©djimmer,  wie  id)  iljn  auf  biefen 
fdjarfgefdjnittenen^ügen  nie  oermutet  Ijätte.  Unb  ptö^tic^ 
begann  er:  „$>ü  idj  mödjte  $>ir  etwa§  «£jübfdje§  ergäben/' 
—  ,,3d)  fjöre!" — $lber  er  fdjwieg  wieber.  Grrft  nadj  einer 
Söeile  bradj  er  lo^,ptö^Iid)  nttb  fjaftig:  „Sdj  liebe  fie.  ©ie 
liebt  midj.  Sdj  ertrage  ba§  ©djweigen  rtic^t  länger. 
3dj  Will  *£)ir  ergäben,  wie  £llle§  gefommen  ift  .  .  ." 
Sdj  brüdte  iljm  bie  §anb  nnb  er  ergäftlte: 

,,^)n  erinnerft  $)idj  jener  |jocf)geit.  —  Scf)  bin 
fein  ^ßftrafenmenfdj,  idj  fann  3)ir  nidjt  fagen,  Weldjen 
ßünbrud  ba§  Slftäbdjen  auf  midj  gemacht  Ijat.  5lber 
obwohl  mir  bie  lieblidfjen  ^üge  immer  lodenb  oorfdjwebs 
ten,  modjte  icf)  bodj  iljren  5lnblid  nidjt  burdj  einen 
SBefudj  im  £>aufe  be§  $Bater§  erlaufen.  Sn  biefem 
|janfe  liegen  bie  büfteren  ($efpenfter  meiner  $inber^ 
jaftre  eingefargt;  idj  mag  fie  nid^t  oftne  üftot  Weden. 
5lud£j  ift  ja  «fpirfdj  Sßelt  einer  ber  aEerfrömmften 
frommen  in  ber  ®emeinbe,  unb  e£  gelüftete  mid)  nad) 
feinen  weiteren  groben  ber  |jerglicf)feit  non  biefer  ©eite. 
@o  überlieft  idj  beim  ein  Sßieb  er  fefjen  bem  Zufall, 
midj  and),  etwa  eine  SSodje  fpäter,  ba§  9ftäbdjen  finben 
lieft.  Unb  gwar  an  einer  ©teile,  Wo  icf)  5lde§  eljer 
erwarten  fonnte,  al§  ein  3ufamntentreffen  mit  iljr. 

St.  ®.  ^rattjoS,  Subcit  bon  23aruohJ.  13 


194 


&>u  fennft  bie  alte,  gerbrödelte  ©djlofjruine  am 
linfen  Ufer  be§  ©ereb.  3dl)  Hebe  bie  ©teile  fonft 
nidjt,  mir  fefjlt  ber  romantifdje  Üfterü.  Slber  an  jenem 
$£age,  nadjbem  idj  lange  planlos  anf  ber  «geibe  unn 
^ergefdjjoeiftttmr,  trieb  e§  midi)  ba§  |jügeld£)en  empor,  anf 
bem  bie  fRuine  liegt.  Sdj  toar  —  lädjle  nnr!  —  in 
einer  ©emüt§ftimmung,  toeldfje  e§  mir  gum  £3ebürfni£ 
machte,  fo  redjt  in§  SBeite  gu  bliden. 

9ßun  benn  —  anf  einem  ber  ©teine  im  Oer* 
fältelten  ©djlofjfjof  fanb  idj  ba§  SRäbcbjen  fi^en,  gerabe 
nnter  bem  großen  roten  |jolgfreug,  ba£  ben  Suben  fonft 
beit  25efucf)  biefer  ©tätte  öerleibet.  ©ie  nöljte  emfig, 
ein  £3udj  lag  im  ©rafe  neben  iljr.  23eim  ©eräufdj 
meiner  dritte  blidte  fie  anf  unb  erttuberte  ntf)ig  meinen 
©ruft.  „üftun,  ba  feib  S^r  ja  enblidj  !"  fagte  fie.  3dj 
faft  fie  erftaunt  an.  „SBuftten  ©ie,  baft  idt)  fornmen 
ttürbe?  3d(j  bin  ja  nnr  gufällig  ^ier !7/  —  „©efagt 
ftat  e§  mir  SUemanb,"  ertoiberte  fie  unb  errötete,  „aber 
idj  ttmftte  e§  fo  fidler  unb  beftimmt,  tt>ie  nur  ettt>a3 
in  ber  Sßelt!  Sa,  ba§  Söudt)  ftier  §abe  idfj  nnr  bagu 
mitgenommen,  um  e*  ©ucft  gu  geigen/'  Unb  fie  reidjte 
e£  mir.  „®ennt  S^r  e§  nodfj?"  Sdj  fannte  e§  freilich, 
unb  e§  toar  ein  fonberbare§  ©efiiftl,  ba§  midi)  über? 
tarn,  al§  mein  £3lid  auf  biefen  oerbrüdten,  mürben 
^Blättern  ruljte.  ©§  toar  ein  ©ebetbudj  für  grauen, 
im  8übifd)=S)eutfdft  gefd^rieben,  eine§  ber  Wenigen  ©rb? 
ftüdc,  bie  meine  Butter  mir  ftinterlaffenftatte.  9Rid^  über? 
fdbjlidf)  tiefe  DUtfjrung,  bie  Singen  würben  mir  feudjt; 
ftnmm  gab  idt)  ba§  S3ud)  bem  Sttäbdjen  gurüd.  „3f)r 
gabt  e§  mir  gum  Slbfdjieb,"  fagte  fie,  „an  einem  fdjönen 


—  195 


(Sommermorgen,  af£  gfjr  fortgogt  in  bie  meite  SBeli. 
2Btr  fjaben  barnafS  öief  nnt  ©udj  gemeint,  id)  nnb  ber 
bfonbe  (Sfjaint,  ber  nun  mein  Bräutigam  ift. "  —  „^Ctfo 
ber!"  fügte  id)  fo  rufjig,  mie  mir  mögltd),  ,,©ie  fagten 
mir  neufid)  nidjtS  baoon?"  —  „SBeil  mir  nid)t  baüon 
fpracfyen,"  ermiberte  fie  unb  fe|te  bann  fjingu:  „©agtet 
Sljr  mir  boc^  aud)  nicfjtS  oon  (Surer  SBraut  unb  gf)r 
fjabt  ja  eine,  unb  eine  fdjöue  unb  ftattfidfje  bagu."  gd) 
muffte  fad)en.  „Üftein,  9?ad)ef,"  üerfidjerte  id),  ,,idj  bjabe 
nocfj  feine  23raut."  «Sie  fafj  mid)  forfdjenb  an.  „Söirffidj 
nidjt?  2)amt  fjaben  nufere  Seute  mieber  einmal  gelogen, 
©ie  fagen  bei  unS,  gf)r  märet  mit  einer  frönen  nnb 
reifen  ßfjriftin  oerfobt.  2lber  fefjt,"  —  fufjr  fie  eifrig 
fort  —  „baf3  man  üon  (Sucfj  fo  bief  ©djfedjteS  nnb 
gaffd)eS  ergäbt,  baran  feib  $f)r  bodj  im  ($runbe 
felbft  ©d)ufb.  S^r  feib  ftofg,  tfjut  gegen  Sebermann 
fremb  nnb  öerfpoitet  un£,  mo  §f)r  fönnt.  ®arum  mar 
id)  (Sud)  jüngft  bei  ber  «^odjgeit  anfangs  fo  böfe. 
®a{3  3$r  fein  fdjfedjter  Sftenfdj  gemorben  feib,  f)abe  id) 
fdjott  neufidj  erfannt  unb  @ud)  gefagt,  aber  ftofg  feib  S^r, 
aucfj  gegen  mid) !  ©agt  nidjt  nein,benn  maf)r  bfeibfS  bodj. 
Söarurn  nennt  gfjr  mid)  immer  „  ©ie" ,  marnm  bugt  gljr  mid) 
nidjt  rneljr  mie  einft?"  —  „SBeif  anS  ber  ffeinett  Sfiadjef 
nun  ein  ermadjfeneS  gränfein  gemorben  ift!"  —  „®a 
fpottet  gfjr  mieber,"  fiel  fie  mir  Ijeftig  inS  SSort.  „gdj  bin 
fein  gränfein,  id)  bin  ein  gubenmäbdjen.  Unb  barnm 
bitte  idj,  fagt  „^u"  gu  mir!  ©onft  fommt  gljr  mir  fo 
fremb  oor  unb  feib  bod)  eigentlich  ein  after  greunb."  — 
„gdj  mifl'S  gerne  tfjun,"  üerfpradj  idh,  „aber  bann  mufft 
and)  $)u  mid)  bitgen." — „9?ein!"  fagte  fie  entfdjiebeu. 


196 


„Sa§  gef)t  nicht.  3hr  feib  ein  gelehrter  ©tubent,  ber 
halb  ein  Soltor  fein  mirb  unb  itf)  —  ich  Bin  bie  S^ac^el 
SBelt.  Sa§  müht  3hr  nicht  üon  mir  »erlangen." 

2Bir  plauberten  nod)  lange  nnb  über  $iele£  — 
nicht  nur  an  jenem  borgen,  auch  in  beit  nöchften 
Sagen  nnb  üESocljen.  !Rad6)el  laut  alltäglich  mit  ihrer 
Arbeit  §um  <3d6)lo^^of.  „Unten  ift'§  bumpf,"  fagte 
fie,  „unb  f)kv  oben  ift  lichter  ©onnenfcheht  nnb  bie 
SBögel  gmitfchern.  Scf)  ba§  ßtd^t  fo  feljr."  Su 
meifjt,  e£  ift  fonft  wenig  ©inn  für  9^ atur f cf) ön^ eit 
unter  beit  Suben  nuferer  Sanbfdjaft;  bie  üftot,  bie 
©darnach,  ber  Sammer  Ijaben  i^n  erfticft.  $lber  biefem 
herrlichen  ©emüte  mar  eben  auch  biefer  ©inn  mieber  aufs 
gegangen.  Unb  pünftlidfj,  Wie  ba§  Räbchen,  fanb  auch  ich 
midh  im  ©chlohhof  ein.  2Sa£  mir  ba  alle§  besprachen, 
f bunte  ich  ®i*  beim  beften  ^Bitten  nid^t  fageit  —  e£  mar 
uit§  eben  ba£  unf cf) einbar fte  Sing  mistig  genug  ,um  lange 
babei  gu  »ermeilen.  28a§  un§  täglich  trieb, einanb er  aufgus 
fucfien,  mar  un§  mohl  Reiben  nicht  flar.  Unb  biefem  fachte 
^inleben  in  ber  Sömmerung  fcfmner  Gefühle  —  ba§  miü 
mir  nun  faft  al§  ba§  Sidjtefte  erf cf) einen  att  jenen  lichten 
Sagen  ..."  Sftein  greunb  »erftummte.  Söieber  fpamt 
fidj  jene§  eigene  ©c£)immern  über  fein  bleidje^  Slntli^. 

„Su  haft  Riecht,"  fagte  ich-  „Sa$  ift  ba£  ©eligfte 
an  ber  feligen  Qdt  ber  erfteit  Siebe,  bah  biefe  Siebe 
fo  gar  nicht  flügelt,  bah  ihr  ba§  Söunberbarfte  einfach 
erfdjeint  unb  ba§  (Sinfachfte  al§  ein  SSunber.  (Srft  ein 
ättherer  (Sinfluh  geigt  ben  Siebenbeit  in  ber  D^egel,  mie 
tief  ihr  ©efüf)l  gemorben  ift." 

?tbolf  lad)te.  „Su  fpridjft  mie  ein  Samens 


197 


5llmattad).  2lber  —  fo  ift'3.  $lud)  bei  uu£  foUte  ber 
äußere  ©influji  nidjt  auäbleiben." 

Sann  fuljr  er  fort:  „(Sine§  2D?orgen§  mar  id)  aUeivt 
oben  in  ber  ^uine.  Ungebulbig  fdjritt  id)  mehrere 
©tunben  unter  bem  üerfadenen  Sttauermerf  auf  un b  ab; 
e§  mar  üergeblidj,  9?adjel  fam  nidjt.  Unb  an  meiner 
Ungebulb  füllte  idj  erft,  mie  lieb  mir  ba§  üDiäbdjen  ge* 
morbenmar.  ©ie  !am  and)  am  feiten, britten  Sage  nidjt. 
Unb  fo  eine  SSodje  taug;  id)  mar  in  23ergmeifluug. 
Sa  fanb  id)  fie  eine£  SÜ?orgen§  mieber  am  gemoljnten 
Sßlafc.  3dj  eilte  freubig  auf  fie  gu  unb  fafjte  ifjre 
«jrjanb.  „(Gottlob !  ba  bift  Su  mieber,"  rief  idj  fröf)lidj, 
„9ttäbdjen,  SCftäbdjen,  mie  üiel  Srauer  unb  5lngft  f)aft 
Sn  mir  bereitet."  ©ie  lächelte  trüb,  iljr  ^tntliig  mar 
bleid),  bie  klugen  gerötet.  „3dj  fonnte  nidjt  fornmen," 
fagte  fie  leife  „idj  mar  Iran!!"  —  „$ranf!"  rief  id) 
beforgt.  „Unb  id)  fonnte  nidjt  bei  Sir  fein!  ©o  f)atte 
id)  bocf)  redjt,  al§  idj  rnidj  um  Seiuetmiden  fo  ängftigte  !/y 

—  „(£3  mar  nidjt  bebeutenb,"  ermiberte  fie.  „Unb 
Sfjr  mart  oft  l)ier?"  —  „Säglid),  unb  fjarrte  unb 
fjarrte!"  —  ,,3d)  banfe  (Sudj,"  fagte  fie  leife  unb 
reichte  mir  nodjmal§  bie  |janb.  Unb  mie  mir  fo 
ftumm  baftanben  unb  einanber  in§  5luge  blidten  unb 
feine  SSorte  fanben,  ba  burdjgudte  un§  guerft  ba£ 
flare  SBemufjtfein  nuferer  Siebe.  3Sir  fjabett  moljl 
beibe  in  jenem  2lugenblid  gegittert  .  .  .  „3d)  rnufs 
geljen,"  fagte  fie  enblidj  unb  lüfte  il)re  .panb  au§  ber 
meinen.  „Sie  Butter  mirb  5lngft  um  rnidj  l)aben. 
Sebt  moljl!"  —  „23i3  morgen,"  fagte  id).  „Su  fommft!" 

—  ,,3d)  fomme,"  oerfpradj  fie  leife  .  .  . 


198 


Stf)  Jjatte  am  näd£)ften  Sage  nidjt  lange  oben  gu 
märten.  Sie  fam  pünftlidj.  Qdj  ging  iljr  entgegen, 
aber  gebrütet  unb  befangen,  nidjt  fröljlidj  mie  geftern. 
(Sie  mar  and)  fjeute  nodj  fe^r  bleidj,  iljr  Sdjritt 
fdjmanfenb.  „Su  bift  fränfer,  al§  Su  midj  glauben 
machen  midft,"  empfing  idj  fie  beforgt.  —  „Sftein!"  er? 
miberte  fie,  ,,id)  bin  nidjt  rneljr  franf  unb"  —  fie 
ftodte  unb  fuljr  bann  mit  fefter  Stimme  fort,  —  „idj 
mar  e§  and)  nidjt.  Sdj  ^abe  (Sudj  geftern  belogen!  .  . . 
Sa,  idj)  log,  meil  idj  nidjt  ben  SQfhtt  fjatte,  bie  Söaljrs 
Ijeit  gu  fagen.  Sdj  bin  blaff  unb  meine  Gingen  finb 
gerötet,  meil  id)  fef)r  öiel  gemeint  unb  getrauert  fjabe 
in  ben  lepten  Sagen.  Sdj  Ijabe  (Sud)  ^eute  oiel  gu 
fagen,  id)  bitte  —  Ijört  midj  rul)ig  an." 

SSir  festen  uu3  auf  ben  groffen  Stein,  ber  gu 
gü^en  be§  roten  $reuge§  liegt.  „28er  meinen  (Sltern 
baüon  ergäbt  Ijat,"  begann  fie,  „baff  id)  täglidj  fjier 
mit  (Sudj  fpredje,  meiff  idj  nidjt  —  e£  ift  and)  gleich? 
gültig.  Sei)  Ijätte  e£  iljnen  felbft  bei  irgenb  einer  ($e? 
legen^eit  gefagt,  benn  idj  fal§  nidjt§  2lrge3  barin.  Ser 
SSater  aber  empfing  mid),  al£  icf)  jüngft  naefj  §aufe 
fam,  mit  heftigen  SSormürfen  unb  mit  Porten  .  .  . 
idj  mid  fie  nidjt  mieberl)olen,  fie  maren  fel)r  böfe  unb 
ungerecht.  (Sr  fagte,  idj  öergäjfe  meiner  (Sljre  unb 
meiner  ^ßflidjt,  er  erinnerte  midj  an  meinen  Verlobten, 
er  befdjmor  mid),  öon  (Sudj,  bem  Ungläubigen,  bem 
23erfüljrer  gu  laffen.  Sei)  erfdjraf  feljr,  al§>  er  fo  fprad), 
bodj  nicb)t  üor  feinem  $orue.  Sdj  erfdjraf  über  bie  (Srs 
fenntni§,  bie  mir  ba  auf  ging.  Sei)  fjatte  nidjt  bar  an 
gebad)t,  marurn  idj  immer  f)ierf)er  fommen  muffte, 


199 


Warum  micfj  ©uer  SSort  unb  ©uer  53licf  fo  glütfltc^ 
machten.  üftun  —  nun  wu^te  id)  e§.  Unb  al§  mein 
SSater  mir  einen  ^eiligen  ©ib  abforberte,  ©uef)  nie 
Wieber  gu  fpredjen,  ba  fonnte  xd)  nicf)t  fcfjwören.  Unb 
Wenn  mir  (25ott  unb  alle  ©ngel  be§  |)immel§  e§  bes 
fohlen  Ratten,  xd)  f)ätte  e§  nicfjt  g etl)an;  e£  wäre  mir 
al§  eine  gar  gu  grä^Iic^e  Säge  erf  dienen  gegen  ba§, 
Wa£  in  mir  war.  3cf)  ertrug  ben  Qoxn  be§  $ater§ 
unb  bie  Sfjränen  ber  Butter,  benn  xd)  Wufjte,  baf$  id) 
.  .  .  baf$  xd)  ©uef)  lieb  f)abe . .  ."  3d)  Wollte  jpredfyen, 

aber  fie  erf)ob  abwefjrenb  bie  ßanb  unb  fuf)r  fort: 
„@ef)t,  al§  xd)  ba§  erfannte,  ba  war  e§  mir  guerft 
entf erlief)  —  idj  farn  mir  felbft  fo  fremb  oor.  Unb 
boef)  war  xd)  Wieber  fe^r  glüeflief).  3cfj  fal)  ben  Kummer 
unb  bie  SSergWeiflung  meiner  ©Item,  aber  idj  Ijätte  e£ 
nicf)t  öermodjt,  nadj  iljrem  Sßunfdj  nodj  ferner  ©l)aim§ 
Verlobte  gu  bleiben.  3$  bin  e§  nodj  üor  ber  Söelt, 
aber  ©uer  ift  in  SSafjrfjeit  meine  @eele  unb  mein  £eib. 
£)arum  fonnte  xd)  ©uren  5lnblicf  nidjt  länger  entbehren, 
unb  fo  bin  idl)  geftern  fjeimlidj  fjergefommen.  $>a  bab' 
idj  au3  ©urem  58ort  unb  Sölicf  gefefjen,  bajj  3fjr  audj 
midj  lieb  §aht,  Wte  xd)  ©udj.  Unb  nun  frage  idj  ©udj: 
Wa§  foH  bie§  unb  Wie  Wirb  ba§  ©nbe  fein?"  3dj 
Ijörte  rtic^t  ba§  2Belj,  ba£  burdj  biefe  Söorte  flang, 
mir  tönte  nur  Subei  burcf)  ba§  §erg.  „SCftäbdjen," 
rief  xd),  „SW  liebft  midj,  bann  ift  ja  5tt(e§,  51  He§ 
gut!"  5lber  fie  fafj  midj  ernft  unb  traurig  an.  „üMn," 
fpraef)  fie,  „bann  ift  5llle§  üerlorenf  .  .  .  3f)r  füfjlt 
nur  ba£  ©litcf  —  icf)  füfjle  e§  mit  ©udj,  aber  idj 
bliefe  audfy  in  bie  ^ufunft.  Unb  ba  ift  fein  Xroft  für 


200 


nticf) !  (ümre  (Gattin  toerben  fann  icfj  nicfjt,  bagfcnfd&ett 
ftef)t  mein  Seben,  tote  e§  btefjer  toar,  meine  §erfunft, 
unb  bann:  tote  fie  micf)  erlogen  fjaben.  0  ©ott!  xd) 
bin  ja  nicf)t§,  xd)  toeifj  ja  nidjt§,  xd)  fann  ja  ntdjig. 
28ef)'  mir,  xd)  fann  ja  nicfjt  einmal  „^eutfcf)"  fprec^ett ! 
28a§  tooßt  3fjt,  ber  einft  ein  SDoftor  fein  toirb,  mit 
einer  grau,  bie  gar  nicf)t§  non  ber  Sßeft  öerftefjt,  in 
ber  leben  toerbet.  0  —  icf)  fürchte  micf)  fo  fefjr 
üor  biefer  SSeft!  Unb  f)ätte  xd)  bann  oft  gegen  ben 
$8raud£)  gefehlt  unb  ©ucfj  oor  5lnberen  befcfjämt,  ba 
müßtet  S^r  ja  fagen:  biefe  Siebe  tt>ar  mein  Ungfüdf . . 

—  „IHad^el,"  rief  xd),  „fpridfj  nicf)t  fo,  &U  quälft  'Südf) 
unb  rnidfj  mit  feerer  gurcfjt!"  —  „Unb  bocf)  ift  e§  fo," 
ertoiberte  fie  mit  gudfenben  Sippen.  „Unb  bann,  foß 
icf)  mein  ©fücf  mit  bem  @cfjmer§  unb,  toie  unfere 
Seute  benfen,  mit  ber  (Scfjanbe  meiner  Aftern  erfaufen, 
bie  fie  töten  ttrnrbe?!  0,  mir  tt>ar  e§  in  meinem  Seib 
oft,  af§  müfjte  icfj  ©ucf)  anffeljen,  ab^ureifen  —  fdljneß, 
gfeicfj.  SSergeffen  —  ba£  toäre  nicfjt  ©fücf,  aber 
Rettung!"  —  „Unb  gfaubft  £)u,  xd)  fönnte  $)icf)  Oers 
geffen  ? !"  fragte  xd)  ernft,  „ gfaubft  2)u  ein  ©feicf)e§  oon 
®ir?"  —  „Sßein,"  ertoiberte  fie,  „icf)  fönnte  e§  nicf)t. 
$fber  fagt,  tno  fefjt  Sfjt  eine  Rettung?"  —  „3cfj 
fefje  fie,"  fagte  icfj  entfcfjf offen.  SDer  tro^ige  9ftut  üon 
einft  toar  toieber  über  micf)  gefommen  —  „man  fann, 
toa§  man  toiß,"  ffang  e§  burdfj  meine  ©eefe.  „ßftit 
deinem  SSater  toiß  icfj  fprecijen,  xd)  toiß  if)m  nacfjs 
toeifen,  trne  tfjöricfjt  fein  Vorurteil  gegen  nticfj  ift,  xd) 
toiß  if)n  anffefjen,  fein  einziges  $inb  nicfjt  ungfüificfj 
gu  machen;  xd)  tt>iß  ®i d)  oon  if)m  forbern,  al£  mein 


/ 


—  201  — 

Eigentum,  ©dingt  e£  mir  nidjt,  bann  will  idj  SDidj  burdj 
eigene  ®rafterfämpfen.  $)u  aber  mufjt  bie  ©Itern  taffen,  um 
be§©eliebten  willen.  greilidj  —  gWeiSaljre toerben wirnocf) 
Ijarren  unb  fämpfenmüffen.  2Iber £)u  wirft  nidfjt  ermatten, 
n>ie  icf)  nidfjt  ermatten  werbe.  Unb  bann  wirfj:  2)u  mein  ge? 
liebtet  2Seib  unb  lädfjelft  überfeine  (Sorgen  oonljeute.  Set) 
fdfjwöre  ®ir,®id^  n>iUid6)  Ijeimfüljren  ober  feine!"  —  „Sdj 
bleibe  £)ir  treu,"  fagte  fie  nur  einfad)  unb  leife.  2tber 
e§  flang  wie  ein  fjeitiger  ©d£)Wur.  ©o  fdfjieben  Wir  .  . 

Sftein  ©efätjrte  Oerftummte.  3ßir  ftarrten  fdjwei? 
genb  in  bie  Dämmerung  hinein,  bie  fidj  aümäljlidfj  über 
bie  Weite,  weftgatigifdje  ©bene  breitete,  ©rft  nadfj 
langer  $ßaufe  fragte  idfj:  „SSarft  2)u  bei  §irfdj  SSelt?" 

„Sa  .  .  .  ©r  Ijat  mir  bie  £fjür  gewiefen.  28a£ 
liegt  baran?  $)a§  Stftäbdfjen  wirb  beäfjatb  bodj  mein 
2Seib.  SDton  fann,  wa§  man  will  .  .  ." 

* 

5ln  bie  fünfgefjn  Monate  waren  feit  jener  Unter? 
rebung  im  üBaggon  oergangen.  28ir  waren  nad)  2Bien 
gurüdgefeljrt,  wohnten  in  oerfdjiebenen  ©tabtteilen  unb 
fatjen  un§  fetten  genug.  9htr  fo  oiet  wufjte  idfj  üon 
iljm,  bafi  er  mit  eiferner  ©nergie  arbeite  unb  gute 
Sftadjridfjten  öon  feinem  üftäbdjen  Ijabe. 

^a  Warb  eine§  Borgens  im  £)egember,  in  grauer 
grülje,  ftürmifcf)  an  meine  ©tubentfjüre  gepodjt  unb  nodj 
el)e  idfj  antworten  fonnte,  trat  mein$reunb  herein,  toten? 
bleidf},mitoerftörtem$ntli£.  „$)ubift%$tbolf?"  rief  idfj  er? 
fdfjredt.  „28ie  *£)u  au£fiel)ft!  .  .  .  28a§  ift  gefd^e^en ?" 

©r  ftridf)  fid)  über  bie  ©tint  unb  warf  ba£  wirre 
§aar  gurüd,  in  bem  nodj  einige  ©djneeftöddjen  gingen. 


202 


„2Sa3  gefeiten  ift? !  £)a£  tt>eif3  idj  nic^t,  eben  barunt 
lotet  mich  ja  bie  Unruhe . . .  ©tefj'  auf  unb  fomm'  mit !" 

Sdh  gehorchte  unb  fufjr  in  meine  Sleiber.  @8  toar 
eüoa§  in  feiner  ©timme  unb  feinem  Sßefen,  toa£  midh 
nicf)t  länger  gaubern  (iejj.  (Sr  toar  fcf)tt>anfenben  ©c^ritt» 
an§  genfter  getreten  unb  bann  toie  tobmübe  in  meinen 
Setjnftulf)!  gefunfen  unb  ftarrte  nun  in  ben  grauen, 
trübfetigen  SSintermorgen  Ijinau§.  ©ein  Hntlib  toar 
fatjf,  bie  Gingen  glühten  toie  im  lieber. 

„5Xbotf,"  rief  idj  beforgt,  „&U  bift  franf?" 

„Üftein,  icf)  bin  nicf)t  fr  auf/'  erttuberte  er  uns 
gebufbig,  „icf)  barf  nidjt  franf  toerben.  Hber  fomm, 
fomm !"  S3eforgt  folgte  idfj  if)m  in  ben  falten,  ftürmifdhen 
$)egembertag  f)inau§.  „2öo  ift  bie  nädjfte  Sefegrapljens 
©tation?"  fragte  er. 

„Ziemlich  toeit!  —  $Ba§  foEen  toir  bort?" 

„$omm  Ijin  —  frag'  nidjt  trief."  (Sr  toar  offenbar 
in  fo  furchtbarer  Aufregung,  bafj  idh  if)m  fcf}tteigenb 
toiEfaljrte.  Hf§  toir  enbfidj  nacfj  geraumer  geil  box 
bem  £f)ore  be§  Hm te8  ftanben,  fagte  er:  „Unb  nun 

—  icf)  ffefje  $)icf)  barum  an,  gef)'  hinein  unb  frag'  bei 
deiner  Butter  tefegrapfjifdj  an,  ob  e£  toafjr  ift,  bafj 

—  meine  Söraut  in  nädhfter  üBodhe  heiratet." 

„|jaft  2)u  bergfeicfjen  gehört?" 

„©pater  —  $u  foEft  fpäter  HEe§  fjören,  aber 
nun  gefj'  unb  telegraplhiere.  Unb  erbitte  bie  Hnttoort 
fcfjleunigft  —  fjörft  —  fdhleunigft,  Ijab'  Erbarmen 
mit  mir."  Briefe  Sporte,  biefe§  Benehmen  toaren  bei 
bem  ffaren  ÜEieufdhen  fo  unerhört,  bafj  fie  mich  tief  er* 
fdhütterten.  Sd)  trat  in£  Hmt  unb  gab  bie  2)epefcf)e 


203 


auf.  ©rft  al3  id)  fertig  War,  gütg§  mir  burd)  beit 
©inn,  ma§  meine  Butter  baüon  benfett  mürbe,  ba£ 
id)  mich  fo  jäh  unb  I eib ettf af tlic^  nad)  ber  fRacfjel 
Sßelt  erfmtbigte,  uttb  id)  muffte  faft  lächeln.  2lber  ba§ 
Säckeln  verging  mir  mieber,  al§  id)  auf  5lbolf  gutrat. 
©eine  klugen  brannten  unb  gieberfdjauer  burdjrüttelten 
iljn  .  .  .  „£)u  bift  franf!"  rief  ic^  mieber.  8dj  ergriff 
feinen  2lrm  unb  führte  ifj n  in§  nädjfte  (Safe;  auf  ber 
©trafje  ging  eben  ber  ©djneefturm  mieber  luftig  an. 

„0,  e£  ift  nichts  oon  23ebeutung,"  ermiberte  er, 
folgte  aber  midig.  „©in  leichtes  lieber  —  id)  merbe 
mich  erfäliet  haben  —  id)  bin  Idente  bie  gange  üftadjt 
giedo§  burd)  bie  ©affen  gegangen.  Sdj  meijs,  ma3 
$)u  fagen  midft,  eine  £f)ort)eit  mar%  unb  id)  bin 
felbft  ein  angeljenber  5lrgt,  aber  ma§  nü|t  ba£  —  id) 
fonnte  nicht  ruhig  .  .  .  Sßann  fommt  bie  2fntmort?" 
unterbrach  er  fid)  bann  mieber  heftig. 

„©pät  Sftadjmittagä,  öiedeidjt  erft  Sftad) t§.  2Bir 
haben  ja  feine  birefte  SBerbinbung,  bagu  ber  ©djnees 
fturm.  5lber  menn  bie  2lntmort  fommt,  bringe  id)  fie 
£)ir  augenblidlidj." 

„8dj  banfe  £>ir,"  ermiberte  er.  ,,$)u  meifjt  nicht, 
ma§  ich  litt,  al§  ich  fo  unüermutet  erfuhr." 

„SDurdj  men?"  fragte  ich- 
„©§  hat  fidj  feltfam  gefügt,"  ergäfjlte  er.  „3dj 
ging  geftern  2lbenb  gufädig  burd)  bie  djirurgifdje  5fb? 
teilung  be§  allgemeinen  $ranfenf)aufe§.  £)a  marb  ich 
plötzlich  angerufen.  8dj  trat  an  ba§  betreffenbe  Söett, 
ein  jübifdjer  23urfdje  lag  barin  —  e§  mar  ber  ©alomon 
^ßinfuä,  ber  Araber  be§  0d)fenhänbler§  ©fjaint  ^ßiufu^ 


204 


au§>  23antoW.  3)er  Söurfc^e  ergäbe  mir  flagenb,  bah 
er  öor  einigen  Sagen  eine  |jerbe  feinet  23ruber§  nach 
Söien  gebraut  unb  nad)  glüdlid)em  SSerfauf  lieber 
nad)  §aufe  habe  gurüd lehren  wollen,  ba  fei  er  im  ®latt= 
ei§  auf  ber  Strafe  au§geglitten  unb  habe  fid)  ben^lrm  ge« 
brocfien.  „0fj!"  wimmerte  er,  „ich  habe  nidjt  nad) 
Söien  gehen  wollen,  id)  habe  mid)  gefürchtet,  aber  ich 
()abe  e§  ja  für  meinen  23ruber  thnn  müffen;  ber  fann 
nicht  öon  «gjaufe  fort,  er  heiratet  ja  in  nächfter  SBoche 
bie  tadlet,  bie  Sodjter  be§  gleifchhauerg."  —  „2Ben?" 
rief  id)  anher  mir  unb  padte  ihn  fo  het^9en  ©nfjfc 
am  gefunben  2lrm,  bah  er  auffc^rie,  id)  ^erbräche  ihm 
auch  biefen.  9^un,  unb  bann  erzählte  er  mir,  bie 
Söraut  feinet  23ruber§  fei  ja  bie  Kachel  SSelt  unb  idh 
mü^te  fie  ja  feinten  —  id)  glaube,  ber  Söurfche  lächelte 
höhnifch  — ,  fie  fei  plö|lich  Wieber  §ur  Vernunft  ge= 
fominen  unb  wolle  ben  (Shaim  hoch  betraten  .  .  .  $cf) 
Weih  nicht  mehr,  wa£  id)  ihm  barauf  erwiberte,  nur, 
bah  tch  fchlieh(id)  fortrannte  wie  ein  SSahnfinniger, 
freug  unb  quer  burd)  bie  ©trafen,  trot*  be£  ©turm§ 
unb  ber  ®älte.  2Bie  mir  babei  §u  9J?ute  war,  fann 
ich  Sir  nicht  fagen,Su  Würbeft  e§ and)  nicht  begreifen. . 

„0  hoch,  Su  2lrmer,"  erwiberte  ich  mitfeibig. 

„Sftein!"  rief  er  heftig,  Jein  $fonfd)  fann  e§  be= 
greifen.  0ieh’  —  e£  ift  ja  bei  mir  feine  gewöhnliche 
Siebelei  —  wie  fäme  and)  meine  D^atur  bagu?!  (£§ 
ift  ja  bie  erfte  grofje  Seibeufd)aft  meinet  £eben§  unb 
Wirb  unter  allen  Umftänben  bie  letzte  fein.  3dj  habe 
2ltle§,  Wa3  an  (Gefühl  in  mir  ift,  auf  biefe£  Räbchen 
gefegt;  betrügt  fie  mich,  )°  Werbe  ich  Wahnfinnig  ober 


205 


muf$  fterben.  ©laube  mir  —  idf  fafele  nid£)i  —  iä) 
fe^c  midi)  audff  jefct  fo  fdbjarf  mtb  Kar,  mie  etma  einen 
meiner  Traufen.  (Sin  $8emei§  bafür,  ba£  icf)  felbft 
in  meiner  £eibenfcf)aft  nie  blinb  mar,  mag  *£)ir  ba£ 
SBefenntniS  fein,  ba§  mir  bie  ©darauf  en,  bie  mid)  bon 
bem  $D?äbd£)en  trennen,  feinen  5lugenblicf  ffeiner  ers 
fdjienen,  als  fie  finb.  Sei)  mei§,  bafi  gmifcf)en  nnS  eine 
2Belt  Hegt;  mir  finb  in  unferen  Slnfdjanmtgen  fo  grünb^ 
lief)  berfdjiebeu,  baf3  fein  £)icf)ter  einen  größeren  Negern 
faf$  erfinnen  fönnte.  S)afür  fönnen  mir  beibe  nnS 
bei  bem  ortffobojen  Subentum  bebanfen.  Slber  idj 
meijg  and),  baf$  biefe  ©djranfen  nicf)t  unüberfteiglicf) 
finb.  2öar  id)  9ftann§  genug,  mir  felbft  mein  Seben 
gu  f Raffen,  fo  merbe  icf)  and)  9ftann§  genng  fein,  mir 
felbft  meine  grau  gu  ergießen.  SUebermerfen,  bann 
aber  and)  gang  nnb  gar  in  ben  ©taub  fdjleubern,  fann 
midi)  nur  (SinS:  bie  Untreue  beS  9ftäbd£)en§  .  .  .  ." 

„Unb  fjältft  £>u  baS  für  möglich?" 

,,9?od)  ftränbe  icf)  mid)  bagegen,  Üftiemanb  gefielt 
fief)  midig  ein,  baf$  fein  ßeben  plö|lidj  mertloS  ges 
morben  ift.  ©o  menig  maljrfdljeinlid)  eS  ift,  ba§  ber 
23urfc£)e  gelogen  l)at,  benfbar  ift  e§  bodj  .  .  .  greilief) 
Ifabe  icf)  fd)on  barnm  faft  gar  feine  Hoffnung,  meil 
if)re  Briefe,  bie  fonft  pünftlidj  admö  cf)  entlief)  famen, 
feit  biergefjn  Sagen  aitSgeblieben  finb  ..." 

„2öte  aber,"  meinte  icf),  „menn  fie  n icf)t  untreu 
märe,  fonbent  gegmnngen,  übermältigt  burdf)  meif$  ©ott 
meldfye  Mittel!" 

„S)a§  ift  unmöglich,"  ermiberte  5lbolf  feft.  „SSäre 
mir  bieS  and)  nur  einen  2lugenblicf  als  möglich  er^ 


206 


fdjienen,  id)  fä^e  j et$t  nic^t  $>ir  gegenüber,  fonbern  im 
Waggon  auf  bem  2Beg  nad)  23arnom.  Hber  bie  Hm 
nafjme  ift  für  midj,  ber  iä)  ba£  Mäbdjen  feinte,  ges 
rabegu  öernunftmibrig.  ^tadjet  ift  ftar  toie  ein  (Sbet? 
ftein.  ©o  eine  Sßatur  lä^t  fid)  nidjt  gingen,  nidjt 
betäuben,  nidjt  übermäßigen.  Mute  e§  attf§  Hujjerfte 
an,  fo  tiefe  fie  iljren  Ottern  fort  nnb  fäme  gu  mir,  nnb 
müjjte  fie  fid)  bi§  fjierfjer  burdjbettetn.  Sdj  femte  fie .  . 

2öir  fpradjett  nodj  tauge  an  jenem  büftern  Sinters 
üormittage.  S)ann  bemog  idj  Hbotf,  bodj  mieber  in£ 
$raitfenl)au£  gu  getjen  nnb  feine  gemofjnten  ^ßftidjten 
gu  erfüllen.  Hber  er  tf)at  bie§  erft,  nadjbem  idj  feiere 
tidj  öerfprodjen  Tratte,  ifjtn  bie  -ftadjridjt,  mie  fie  and) 
immer  fei,  feinen  Hugenbtid  oorguenttjatten. 

(Srft  im  Morgengrauen  be§  näcfjfteu  £age§  fam 
bie  Hntmort:  „Sa,  fHad^et  heiratet  nädjften  ‘Snenftag 
ben  Ddjfentjänbter  ^infu§.  Hber  ma§  geljf  §  ‘Dicf)  an?'' 

Hdj!  bie  !ftadjrid)t  ging  mid)  in  biefem  Hugem 
blide  nät)er  an,  at§  meine  gute  Mutter  atjtten  mochte. 
SBefümmert  machte  idj  midj  auf  nnb  fuf)r  in  bie  Mariem 
gaffe,  mo  Hbotf  ein  fteine§  ©tübdjen  bemofjnte.  Mein 
«fperg  ftopfte,  at£  iä)  bie  Ginget  30g. 

©eine  atte  §au§frau  fam  mir  entgegen.  „Gootk 
tob,  bafj  Bk  ba  finb,"  rief  fie  mir  freubig  gu. 
„Sßeldje  Hugft  ^abe  iä)  in  biefer  Sftadjt  an§geftanben! 
teufen  ©ie  nur,  geftern  Sftadjmittag  fommt  mieber  ein 
33rief  für  ben  §errn  $)oftor,  au§  ber  ^otafei,  idj 
Ijab'£  am  ^oftftempet  gefetjen,  nun,  ben  lege  idj  tljm 
auf  ben  Seudjter,  mie  gemöljntidj,  bamit  er  itjn  gteidj 
ftnbet,  roenu  er  Ijeint  fommt.  §ätte  idj  aber  getourt, 


207 


maS  baS  für  ein  böfer  33rief  mar  —  lieber  |)err,  icf) 
bin  eine  eljrlictje  grau,  aber  biefen  SBrief  Ijätte  icf)  untere 
f erlagen,  fo  mafjr  mir  ($ott  f)elfe,  unb  eS  märe  ein 
gute§  SSerf  gemefen!  $)enn  t)ören  ©ie  nur!  (Sr  fommt 
fcljon  frü§  am  $lbenb  naef)  §aufe  unb  fragt  atemlos, 
ob  ©ie  noef)  nidjjt  bagemefen  fiub.  Sftein,  fag;  id), 
aber  ein  23rief  auS  ber  ^ßolafei  ift  gefommen.  „2öo?" 
ruft  er  unb  ift  mit  einem  ©ai$e  im  ^tntnter  unb  lieft 
beu  33rief.  $)arin  mu§  aber  etmaS  gurdjtbareS  ges 
ftanben  t)aben,  lieber  |jerr,  etmaS  gang  gurdjtbareS, 
beuu  ber  |)err  S)oftor  mirb  totenblaß  unb  gittert  unb 
feine  klugen  gtüfjen.  2tber  plöttficf)  mirft  er  beu  23rief 
fort  unb  fängt  an,  taut  gu  ladfjen  —  eS  mar  furchtbar 
anguf)ören,  baS  §erg  ift  mir  ftiÜgeftanben  —  eS  mar 
gang  fo,  mie  ein  SSerrüdter  lad^t.  Unb  bann  blieft  er 
um  fiel),  mit  klugen  —  mit  fotzen  klugen"  —  bie 
alte  grau  fudjte  ifjren  S3tid6  r edjt  ftarr  gu  machen  — 
„unb  bann  ruft  er  mir  gu:  „gort!"  Unb  —  öergeif)' 
mir'S  (35ott !  —  eS  mar  mir  gar  nid)t  unangenehm  unb 
icf)  bin  fcfmeÜ  f)inauSgegangen.  Irinnen  bleibt  eS  eine 
SBeile  ruf)ig,  bann  f)öre  id}  ben  |jerrn  $)oftor  rafcf) 
auf  unb  abgef)en  unb  bann  finit  er  auf  baS  ©opf)a 
unb  ftijfjnt  teife.  $lber  mie  baS  gelungen  l)at,  baS  ift 
gar  nicfyt  gu  befdjreiben  unb  id}  bin  barüber  mieber 
tötlicf)  erfdjrocfen.  $)enn,  miffen  ©ie,  öor  gmei  Sauren 
mar  ein  großes  Unglück  Ijier  im  |jaufe,  bei  meiner 
ÜRactjbarin:  ä)v  gimmerljerr,  ein  junger  Slpotfjefer,  fjat 
fidb)  megen  einer  Siebe  oergiftet,  gef)  fjabe  gugeljört, 
mie  er  geftöljnt  fjat  —  genau  fo  Ijat  tjeute  Sftadjt  ber 
|jerr  SDoltor  geftöfjnt.  ®a  beule  id}  mir:  ^ier  ift  ein 


*  208 


Unglüd  gefeiert,  unb  faffc  mir  ein  £erg  uitb  trete  in 
fein  3immer.  (Sr  ftegt  auf  nnb  ftarrt  mieg  mit  großen 
Gingen  an,  als  rnügte  er  fieg  erft  befimten.  „Sd)  btn’S 
ja,"  rufe  icg,  „finb  ©ie  franf?"  —  „üftein,"  fagt  er, 
„icg  möcgte  nur  gang  allein  fein,  gang  allein !"  Unb 
ba  gege  icg  mieber  fort,  aber  bie  gange  9?ad)t - " 

Sd)  gürte  fie  niegt  länger  an  unb  trat  in  baS 
Zimmer.  Slbolf  fag  regungslos  im  Segnftugle,  bie  |jänbe 
aufs  ($eficgt  gepreßt;  eS  fegien  faft,  als  fdjlafe  er.  2lber 
beim  (55eräufc^  meiner  ©egritte  lieg  er  bie  §änbe  finfen 
unb  ergob  fieg.  Sd)  fanit  nidjt  betreiben,  mie  fein 
®eficgt  mar;  icg  gäbe  nie  einen  ©eelenfcgmerg  fid)  er? 
fegütternber  in  beitrügen  eines  SD^enf^en  auSprägenfegen. 

„SieS,"  fagte  er  furg  unb  geifer,  unb  reiegte  mir 
einen  S3rief  gin,  ber  auf  bem  Sifcge  lag.  (Sr  lautete: 

|jerr  ^oftor! 

Sgr  rnügt  mir  üergeigen,  bag  icg  erft  fegt  fegreibe, 
bag  icg  ntieg  getäufegt  gäbe.  Scg  gäbe  (Sud)  niegt  lieb, 
eS  mar  nur  gremtbfegaft.  Sd)  gäbe  eS  halb  bemerft, 
aber  icg  gäbe  niegt  ben  9ftut  gegabt,  eS  (Sucg  früger 
gu  fegreiben.  $)arum  fegreibe  icg  erft  fegt,  bag  icg 
näcgfte  2Ö0(ge  ben  (Sgaim  geirate.  Sgr  fönntet  mel? 
leicgt  glauben,  bag  icg  baS  gegmungen  tgue,  aber  eS  märe 
niegt  magr,  icg  tgue  eS  freimiUig.  SSergeiget  mir  alfo, 
$err  $)oftor,  eS  mar  ein  Saturn.  SRacgel. 

„(SS  mar  ein  Saturn!"  fegrie  $tbolf  öergmeif? 
lungSüoß  unb  braeg  bann  gufammen. 

* 

SD^egr  als  üier  Sctgre  maren  feit  jenem  büfteren 
3ßintermorgen  vergangen.  lieber  grünte  unb  blügte 


209 


ber  grüf)liug.  3cft  aber  faft  in  einem  |jaufe  ber  graften, 
bumpfen  Stabt,  bie  fteifte  «Stirne  über  ein  ülftanuffript 
gebeugt.  Sa  trat  ber  Wiener  in  bie  Stube  ltnb  überbrucftte 
mir  eine  $arte:  „Sr.  $(bolf  Seiblinger,"  ber  §err 
marte  brauften.  3<f)  ftürgte  felbft  gur  Sftüre  nnb  rift 
fie  auf.  3cft  ftatte  meinen  greunb  feit  gmei  Saftren  nicftt 
gefeften,  feit  jenem  Sage,  mo  er  gu  mir  fam  nnb  mir 
furg  nnb  fitftf  fagte:  „Sei)  bin  al§  2frgt  in  ftoüänbifdje 
Sienfte  getreten  nnb  gefte  nadfj  Söataöia —  feb'  moftl!" 
s2fber  er  fjatte  fic^  in  ber  gmifdfjengeit  menig  üeränbert: 
baäfelbe  blaffe  ©efidfjt  mit  bern  unüeränberlicften  5fu§s 
bruef  finfterer,  troftiger  Ütufte.  üftur  brauner  mar  er 
gemorb^n  öon  ber  tropifdfjen  Sonne. 

^Stlfo  mieber  in  Europa!"  rief  icf)  freubig.  „Sa§  ift 
reeftt  üon  Sir !  Sn  meiftt  ja,mie  feftr  icf)  mieft  gemüftt  ftabe, 
SirSeinen$ßfanau§gureben.  3n  biefe£  mörberifcfteJHima 
gu  gefjen,  ba§  mar  ja  eine  %xt  anftänbigen  Sefbftmorbä!" 

„3a!"  ermiberte  er  ruftig,  „ba§  mar’§." 

„2fber  nun  bleibft  Sn  ftier?" 

„3a!  Scft  ftabe  aueft  jeftt  feine  greube  amSeben,  aber 
e§  maeftt  mir  aueft  feinen  Scftmerg  rneftr.  Ser  Sob  mirb 
mir  moljf  immer  al§  etma§  feftr  ©feicftgüftigeä  erfcfteinen. 
Hber  ba  icf)  nun  einmal  lebe,  fo  ftabe  icf)  moftl  auef) 
bie  ^fficf)t,  mid^  fo  nüftfidC)  al§>  möglich  gu  machen. 
3cf)  merbe  rnidf)  ftier  ober  au§märt§  af§  Sogent 
fjabifitieren." 

„Sa§  freut  mief),"  fagte  icf),  „icf)  ftabe  übrigen^ 
nie  bie  Hoffnung  oerforen,  baft  Sief)  bie  ,8e^  botf) 
enblidj  feilen  mirb." 

„(§&  mar,  menn  Su  ba£,  ma§  mit  mir  üorge* 

ft.  (B.  tJranjo»,  Sitbftt  boit  ©nrttott).  14 


210 


gangen  ift,  eine  Rettung  nennen  ttiidft,  nid)t  bie  $eit,  bie 
e§  bewirft  f)öt,  fonbern  ein  83rief." 

„(Sin  S3rief ?  $on  ihr?" 

„3a.  ddadjbem  icf)  ihn erhalten hatte, reifte idjfogleid) 
nach  Europa  —  bireft  nach  Danton),  ©o  toahnfinnig 
rafdj  l^at  bitya  noch  fein  SOtenfd^  bie  ungeheure  fReife 
gurüdgelegt.  $lber  id)  bin  bennodj  51t  fpät  gefontmen." 

,,©ie  ift  tot?"  fragte  id). 

„3a  —  öier  Sßodjen  finb'3  her/  baf$  fie  ftarb." 

„Unb  fie  rief  £)id)  burdf)  jenen  23rief  an  iljr 
©terbefager?" 

„Sftein!  5lber  ba  £)u  ade§  Übrige  fennft,  fo  ift  e§ 
U)ot)t  meine  $ßfficf)t,  3)idj  aud)  biefen  S3rief  tefen  31t 
taffen."  (Sr  reichte  mir  ba§  ©Treiben  ^in.  Sn  gitteroben, 
faum  lesbaren  3ügen  ftanb  barin  gefcfjrieben: 

„(S£  toirb  batb  Srüljling,  aber  id)  fitste,  ba{3  id) 
it)n  nicht  mef)r  erleben  toerbe,  barnm  tt>id  id)  fd)reiben, 
fo  lange  icf)  e§  nodj  üermag.  3d)  tfjue  e§  too^t  and) 
um  meinetmiden,  aber  nod)  mehr  um  (Suretttriden.  Um 
rneinetmiden  nur,  bamit  3hr  mid)  nid)t  aud)  nodf)  bi§ 
über  ben  £ob  tjiitauä  öcrad)tet,  aber  um  (Suretmiden, 
um  (Sud)  tt>enigften§  je|t  ben  ©djmerg  gu  nehmen,  ba{3 
3^r  ein  9ftäbd)en  geliebt  fjabt,  tt>eldje§  fd)lecf)t  ioar 
unb  (Surer  Siebe  nid6)t  toert. 

3df)  ^abe  gelogen,  toa§  icf)  giriert  oor  öier  3öhren 
fcf)rieb.  3dj  b)atte  (Sud)  bamad?  lieb  unb  liebe  (Sud) 
jetjt,  unb  icf)  toerbe  (Such  lieb  haben,  bi§  id)  fterbe. 
Unb  menn  un§  (35ott  nach  bm  £obe  biefe  @nabe  ge= 
ftattet,  fo  toerbe  ich  Such  auch  bann  noch  lieben.  SIber 
eben  wegen  meiner  Siebe  höbe  icf)  mid)  fo  auf  immer 


211 


oon  (Sud)  gefcf)ieben.  ©djüttelt  nicht  ba£  ßaupt  uub 
munbert  (Sud)  nicht  über  bie  feltfamen  Söorte.  (S§ 
märe  mir  fern  reine§  ($lüd  geworben,  ba£  ich  erfauft 
hätte  mit  bem  gfuche  be§  S3ater£  uub  mit  ber  $ers 
^meiffung  ber  Butter.  2fber  ba§  fyätte  ich  übermunben. 
(Sine§  jebod)  hätte  ficb)  niemals  ausgeglichen !  —  3f)r 
habt  barüber  getäfelt  uub  e§  mar  bod)  richtig:  (Sure 
©teffung  uub  mie  fie  mid)  erlogen  haben.  ©ie  haben 
mich  $u  lauge  f)iex  gehalten,  fo  in  ber  Sraurigfeit  uub 
iu  ber  Unmiffenheit;  ich  h^te  b*e  wtb  ba§  £icf)t 
nid)t  ertragen  fönnen.  Sch  hätte  ®uch  nicht  fo  recht 
üerftehen  fönnen,  nicht  (Suer  2ßeh,  nicht  (Sure  £uft,  unb 
ba§  märe  mir  unb  üiedeicht  noch  mehr  (Such  ein  großer 
©chmerg  gerne) eit.  Sch  märe  fo  unter  (Suren  gremtben 
unb  ihren  grauen  immer  fremb  unb  ungefc^idt  ge' 
blieben,  fie  hätten  gefacht  über  mein  %hun  wtb  ^er 
mein  ©preßen,  unb  ba§  hätte  mir  furchtbar  meh  ges 
than  unb  (Sud)  nicht  miuber.  Shr  hättet  mid)  oieffeid)t 
be§hofb  öon  ber  2öelt  abgefchfoffen  gehalten,  aber  bann 
hätte  ich  e§  nidht  ertragen  fönnen:  „£)ein  9ftann  mu§  fich 
beiner  frönten,"  unb  and)  (Such  märe  e§  fehr  fchmergfid)  ge* 
mefen.  Unb  eine§  £age§  märe  e§  fo  gefommen,  mie  id) 
Such  bantate  gef agt  habe :  Shr gattet  bie  ©tunbe  öermünf  cht, 
mo  ich  ®ure  ©attin  gemorben  märe.  Shr  hättet  mich  md)t 
üerftofsen,  ba£  meij3  idh.  5lber  ungfüdficf)  mären  mir 
gemorben  unb  Sh*  öieüeid)t  noch  ungfüdfid)er,  af§  ich- 
£)a£  h^e  ich  $fde£  genau  gefef)ett  unb  erfannt. 
Unb  meif  ich  @md)  fo  fehr  Hebe,  modte  ich  nicht,  baf$  Sh1' 
burd)  mich  ungfüdficf)  merbet.  £)arum  habe  ich  befdjfoffen, 
allein  31t  merben,  unb  höb0  meinen  (Sftern  gefagt, 


212 


bajj  idj  bett  (Shaint  Ijeiraten  mode,  unb  tjabe  (Sud)  jenen 
Sörtef  getrieben.  $tber  memt  idj  and)  (Sud)  gegenüber 
log,  meinem  ^Bräutigam  ^abe  id)  bie  SSafjrheit  gefagt. 
Sdj  habe  ihm  gejagt,  mie  e§  nrn  mid)  ftetjt,  uttb  bafj 
id)  ihm  nur  eine  treue  Wienerin  fein  famt.  (Sr  ^at 
barauf  ermiberi:  mit  ber  ,3ed  mirb  e§  fdjott  anber§ 
merben.  Sd)  mujjte,  bafj  e§  nidjt  attber§  merben  mirb, 
aber  id)  ^abe  mein  ßeib  auf  mid)  genommen.  $)a§ 
mar  gut  unb  id)  ftage  auch  jept  nicht  barüber. 

s2tber  fagen  mufj  ich,  bafj  id)  gu  fdjmadj  mar  für 
biefe£  £eib.  Sd)  bin  bteicf)  unb  franf  gemorben,  mein 
§erg  f  topft  fo  ftarf,  bafj  icb  oft  baöon  ohnmächtig  merbe, 
id)  merbe  immer  fdjmächer  unb  id)  füljte,  bajj  ich  batb 
fterben  merbe.  SIber  id)  ^abe  fein  langen  üor  bem 
£obe  unb  banfe  ©ott,  bafj  er  mich  nur  fo  furg  fjat  leiben 
taffen  uttb  nicht  ein  gange§,  langet  Seben  ^ittbttrc^. 
2ßa£  fyätte  id)  and)  noch  fotten  auf  biefer  (Srbe? 

(S§  mar  mir  immer  ein  ($liid  unb  id)  ^abe  ba? 
rauf  gehofft  feit  jener  @tunbe,  mo  idj  meinen  (Snk 
fchtufj  gefaxt  t)abe,  (Sud)  2tde§  bie§  einmal,  beüor  id) 
fterbe,  gu  fdjreiben.  Sdt)  ^abe  itidjt  geahnt,  bafj  idj  fdjon 
fo  batb  bie£  ($Iüd  ^aben  merbe,  bafj  id)  fcfjon  fo  batb 
gereinigt  hafteten  merbe  üor  (Suren  ^tilgen. 

Sfcutt  ift  e§  mir  befdjieben  —  unfer  @ott  ift  bodj 
ein  barmherziger  (55ott.  Unb  fo  banfe  ich  (Sud)  Kodj  einmat 
für  ade  (Sure Siebe.  Shrfe^  mir  ber  $£roft  unb  baäßidjt  ge^ 
mefen  in  meinem  armen,  bunften  Sebett.  Shrha^mich  ttur 
fetig  gemacht  unb  feib  unfdjulbig  gemefen  an  meinem  ßeibe. 
SBergeiljt  barum  ba£  SSelj,  ba§  id)  (Sud)  bereitet  höbe. 
(S$  ift  meine  tepte  SBitte  unb  ich  merbe  ja  batb  fterben. 


213 


Elfter  nein!  —  nod)  eine  Söitte  l)abe  idj  an  (Sud) 
uit b  frenn  31)*  fie  nidjt  erfüllt,  fo  fann  idj  feine  dtulje 
fjaben  int  (Srabe.  (Suer  greunb,  be§  £)oftor£  Soljn, 
Ijat  t)ierl)er  gefdjrieben,  baf$  31)*  Jefct  in  einem  fef)r 
fernen  Sanbe  feib,  fro  bie  (Sonne  Ijeifj  brennt  unb  faft 
ade  gremben  an  einem  böfeit  gieber  fterben.  (Sr  l)at 
audj  gefdjrieben,  bajj  3§*  fraljrfdjeinlidj  au§  $ergfreifs 
fung  über  meine  ßeirat  bortljin  gegangen  feib.  SBa§ 
idj  bei  biefer  ÜRad)rid)t  unb  feitbem  gelitten  Ijabe,  fann 
id)  nidjt  fagen,  unb  frenn  xd)  e§  fagen  fönnte,  frürbet 
3ljr  e§  gar  nicf)t  glauben.  9lber  id)  flelje  (Sudj  an,  geljt 
fr  eg  au§  biefem  mörberifdjeit  Sanbe.  3D^ein  |jer§  fagt 
mir,  bajj  3!j*  ber  gefdjidtefte  2Irgt  feib,  ber  je  gefrefen 
ift.  $ommt  §urüd  unb  fjelft  ben  armen  9ftenfdjen. 

$5a§  (Sebeibudj  (Surer  Sftutter,  freldjeä  31)*  mir 
einmal  gefdjenft  fjabt,  fr  erbe  idj  mit  in£  (Srab  nehmen. 

£ebt  frofjl  unb  lebt  fo  lang  unb  fo  glücflid),  al§ 
id)  (Sud)  frünfdje.  3d)  aber  frerbe  tot  fein,  frenn  3lj* 
biefen  S3rief  lefet.  9fadjel." 

Stumm  gab  xd)  ben  S3rief  bem  greunbe  gurüd. 

(Sr  erljob  fidj  unb  fagte  ruljig,  frie  früher:  „!tRun 
freist  ®u,  frarum  id)  frieber  in  (Suropa  bleibe.  5luf 
2Bieberfel)en."  2lber  frie  frir  fo  fdjfreigenb  einanber  gegen* 
überftanben,öerlief$  ben  ftol3en,büfteren$Renfdjen  :plö|lidj 
feine  Straft.  (Sr  fanf  mir  in  bie  $lrme  unb  fdjludjgte  leife, 
fjerggerbredjenb:  „Sßarnm  mujjte  e§  fo  fommen— frarum?" 

2ludj  xd)  freijj  feine  5lntfrort  auf  biefe  grage. 
Unb  barum  frage  id)  e§  nid)t,  biefer  ©efdjidjte  nod) 
ein  Söort  beigufügen. 


„ Patron 

v 

DJ^etin  man  au§  Söamoto  nach  ©üben  feiert,  in  bie 
(3®  23utotbina  ober  in  bie  Sttolbau,  fo  fiefjt  man 
nach  ettoa  brei  ©tunben,  bort,  tt>o  bie  ©trage  bei  Q. 
ben  £>niefter  überfchreitet,  auf  einem  «£)ügel  ein  ftolgeä 
©dhloft  liegen,  mit  fyofyn  toeiften  dauern  unb  bfe 
fenben  genftem.  (Sin  prächtiger  (harten  nmgiebt  e£ 
unb  giet)t  fid^  ben  §ügel  fyxiab  unb  ioeit  in  bie  (Sbene 
hinein.  £)a§  ift  bielleicht  ber  fcf)önfte  |jerrenfig  in 
^obolien  unb  fidjerlich  ber  reidjfte.  (Sr  gehört  bem 
„Söaron  ©dhrnule",  ttüe  er  überall  genannt  tt>irb,  bem 
Spanne,  ber  einft©chmule$ftunnftein  geheimen  hat  unb  je|t 
ber  mächtige  greiherr  ©igiämunb  bon  Sftonnicfi  ift. 

3)er  9ftann  hat  einen  großen  SBeg  gemacht,  er  ift 
mie  ein  ^ßfeil  nach  feinem  $iele  gefd£)offen.  $)a§  ge^ 
lingt  nur  wenigen  ÜDfonfdhen;  benn  bie  meiften  finb 
tt>ie  ein  Greifet,  fie  betoegen  fiel)  öiel,  laut  unb  rafdh, 
aber  fie  breljen  fich  immer  um  fiel)  felbft  herum  unb 
fommen  nicht  bon  ber  ©teile.  £)er  ^ßfeil  macht  nicht 
mehr,  nicht  lautere,  nicht  rafchere  Söetoegung,  aber  er 
fdhiegt  immer  auf  fein  ,3iel  lo§.  ©o  23aron  ©dhmule. 
(Sr  hat  fein  .giel  feft  2fage  gefaxt  unb  ift  ficher 
barauf  gugef dritten,  obtoohl  er  nur  —  ein  9luge  hatte. 


215 


5lber  aucg  er  mar  urfprünglicg  ein  Greifet  nnb 
nur  burcg  ein  ©reignig  ift  er  gunt  ^ßfeit  geworben: 
burcg  einen  $ßeitfcgengieb.  ift  eine  fonberbare  ©es 
fcgicgte . . .  $or  rnegr  al§  fünfzig  Sauren  mar%  ba  lebte 
in  ,3-  eine  blutarme  Sßitme,  bie  ficg  nnb  igren  ©ogn 
burcg  ein  ©emerbe  ernährte,  öon  bem  gmei  Sftenfcgen 
in  einem  fo  flehten  ©täbtcgen  fdgmerlidg  fatt  merben; 
fie  mar  eine  gucferbäcferin.  Die  grau  gie§  Miriam 
sD?unnftein.  Der  ©ogn  galf  ber  Butter,  faurn  bag  er 
gegen  nnb  recgnen  fonnte:  er  mar  SBerfäufer  ber  SBare. 
Unermüblicg  lief  ber  Heine  ©dgmule  burcg  bie  ©tragen 
nnb  rief:  „$auft  glaben!  glaben  nnb  3ucfermanbeln ! 
$auft!  fauft!"  2lber  e§  giebt  menige  !ftäfcger  in  ber 
„©affe",  nnb  |jocggeiten  nnb  23efcgneibungen,  mo  man 
eine  ^ucferbäcferin  in§  |jau§  nimmt,  fommen  audg 
nidgt  täglich  oor.  Die  Stetiger  floffen  nur  fegr  fpär= 
lieg  in  bie  Heine  Sßirtfcgaft,  nnb  ber  junger  tgut 
meg;  ber  arme  ©dgmule  meinte  oft  bittere  Dgränen 
über  feinen  fügen  $ram. 

Die  befte  $unbfcgaft,  bie  er  gatte,  mognte  eine 
galbe  Steile  öom  ©täbtdgen,  godg  oben  auf  bem 
©cgloffe.  Diefe§  ©dglog  gegörte  bamal§  bem  23aron 
Sföobnicfi,  5llfreb  SSobnicfi,  ber  überaus  reicg  mar 
nnb  trog  feiner  SSerfdgmenbung  faum  megr  üerbraudgen 
fonnte,  al§  ba3  ©rträgniä  feiner  mtgegeuren  ©üter. 
@r  lebte  faft  nie  auf  bem  ©cgloffe,  meit  e§  igm  bort 
gu  ftiÜ  nnb  gu  langmeilig  mar,  fottbern  entmeber  in 
^3ari§  ober  in  23aben=23aben.  Unb  gmar  lebte  er  in 
Q3aben=23aben,  menn  feine  grau  in  ^$ari3  mar,  unb 
ging  nacg  $ari§,  menn  feine  grau  nadg  23abem$aben 


216 


tarn.  (§;£  war  baä  eine  frieblidie  Vereinbarung  gwb= 
fdjen  ben  ©atten  unb  fie  Vertrugen  fidj  im  Übrigen 
gang  gut.  2ludj  ber  einzige  ©proftling  au§  biefer 
©fje,  ber  junge  Varon  Mabi§lau£,  lebte  nid)t  auf 
bem  ©djloffe,  fonbem  würbe  in  einer  Sefuitenfdjule  bei 
Pratau  ergogen.  Raufte  alfo  oben  nur  ba3  ©efinbe. 
üftmt  fennt  man  üietteicfjt  ba§  ©pridjwort  ber  Sßolen: 
„©r  ift  faul  unb  genäfdjig  Wie  ein  Safai."  SDa3  traf 
aucf)  bieämal  gu.  Ster  Heine  ©djmule  fanb  immer  feine 
Rechnung  habet,  wenn  er  mit  feinem  $orbe  ^inauf^ 
gefeuert  fam,  unb  machte  ba^er  unöerbroffen  in  ©omtens 
hi£e  unb  SSinterfälte  ben  weiten  2öeg.  greilid)  be* 
fam  er  fester  gu  jebem  $reuger  aucf)  einen  $uff,  aber 
baran  wirb  ein  jübifdj  $inb  in  ^obolien  mit  ber  geit 
gewöhnt,  ©o  War  er  allmählich  breigefjn  3af;re  alt 
geworben  unb  Wer  Weif3,  wie  lange  er  nodj  mit  ben 
glaben  unb  ben  ßudermanbeln  feiner  Butter  fjerum^ 
Ijaufiert  hätte,  wäre  nicht  jene£  ©reigniä  eingetreten, 
Welches  if)n  au§  einem  Greifet  gu  einem  ^ßfeil  machte. 

2)a3  war  im  Sluguft,  an  einem  feljr  h^en  Stage 
unb  gegen  bie  -üftittag^ftunbe.  ©d)mute  feuchte  wieber 
einmal  ben  fteilen  28eg  gum  ©djloffe  empor  unb  lief 
faft  tro&  ber  großen  §i|e.  $)emt  bieämal  hatte  er 
e£  befonber£  eilig,  e£  War  greitag  unb  im  |jaufe  fein 
$reuger,  ben  ©abbatlj  gu  rüften,  unb  wenn  ber  ^junger 
an  jebem  Stage  weh  fyut,  am  ©abbatl)  tl)ut  er  hoppelt 
Wef).  2Bie  ©djrnule  fo  fjinauflief  in  feiner  ^jergenäangft 
unb  berechnete,  Wa§  nod)  in  ber  lebten  ©tunbe  5lHe§ 
gu  faufen  fei,  überhörte  er  e§,  baft  «^ufflang  immer 
näher  fd)oU,  bi£  er  fidj  enbltdj  nur  nod)  fnapp  burd) 


217 


einen  ©prung  oor  bem  Leiter  retten  tonnte,  ber  im 
©alopp  ben  fteilen  SBeg  !)eruntergefprengt  tarn.  (5g 
mar  ein  blaff  er  Süngling  mit  einer  Sagbbüdfjfe  auf 
ber  ©djulter,  ber  junge  Söaron  SBlabiglaug  SSobnicfi, 
ber  eben  gu  ben  gehen  nacl)  bem  oäterlidjen  ©cfjloffe 
^etrrtgefe^rt  mar.  (5r  lachte  laut  auf,  alg  er  ben  fjäfc 
liefen  gubenjungen  gemährte,  ber  oor  (Street  gitterte 
unb  in  feiner  5lngft  üergeffen  fjatte,  bie  $appe  gu 
gieren.  &ann  manbte  er  fein  9toj3  unb  ritt  langfam 
auf  ©djmule  gu,  big  er  bicf)t  oor  il)m  l)ielt.  tiefer 
brüdtte  ftef)  gitternb  an  bie  23ergmanb. 

„SBarurn  §aft  $>u  nidjt  gegrüßt,  £)u  Suben* 
ljunb?"  fragte  ber  junge  SBaron  unb  fcfjmang  bie  Ifteits 
peitfe^e.  —  „Sßeil  idj  fo  er . .  fdb)rocfen  mar,"  ftammelte 
0cf)mule.  £)er  junge  9D?enfd£)  lieb  bie  Steitpeitfctje  finfen 
unb  badete  einen  Slugenblicf  nadfj.  $)ann  lachte  er 
fjell  auf.  „Sllfo  2)u  fürcfjteft  $>icf)  feljr  oor  bem  ^3ferb?" 
fragte  er.  „9hm,  fo  f)öre!  $)u  fteUft  $)id )  f)ierf)er!" 
(5r  mieg  auf  bie  Stritte  beg  Söegeg.  „^jiehjer!"  miebers 
f)olte  er  gomig  unb  ber  3unge  fteHte  fid^  gitternb  an 
ben  angemiefenen  $ßla|.  „Unb  oon  biefer  ©teile  rüfjrft 
$>u  $)idf)  nidjt,  big  idj  eg  $>ir  erlaube,  Ijörfi  $)u? 
3ße§;  5Dir,  menn  $)u  eineu  ©dEjritt  tljuft"  —  er  griff 
an  feine  Söüdjfe  —  „bei  allen  «^eiligen,  xd)  fdjiefje 
£)idj  nieber  mie  einen  tollen  §unb!" 

$>am it  fprengte  er  ben  S3erg  empor,  menbete  bort 
fein  Sßferb  unb  tarn  blif}fcf)nett  mieber  ben  2Beg  f)erabs 
gefprengt  unb  gerabe  auf  ben  Sungen  gu.  3^ern^/ 
in  Sobegangft,  faf)  biefer  bag  ^ßferb  Ijeranfommen  —  ein 
Siebet  legte  ftef)  oor  feine  klugen  —  im  nädjftenSlugenblid 


218 


f prang  er  bei  ©eite  unb  —  bie  $ufe  be£  $ßferbe£  trafen 
nur  ben  $orb,  ben  er  umgeljängt  trug  unb  gertrümmerten 
benf eiben,  ba§  bie  ©üfjtgf eiten  im  ©taube  umljerrollten. 
2IucI)  ber  $nabe  ftürgte  nieber,  aber  nur  üon  ber  ©r= 
f Fütterung.  „|junb£blut!  Du  Ijaft  Did)  bod}  gerührt!" 
rief  ber  Baratt  unb  rifj  bie  Söüd^fe  üon  ber  ©dfyutter. 
Dann  befann  er  fiel)  bodj  lieber  unb  begnügte  fiel),  mit 
ber  fReitpeitfd^e  rafenb  auf  ben  jungen  einguljauen,  ber 
fiel)  gu  feinen  gü^en  tt>anb.  S3alb  fcf)Iug  er  mit  ber  ©erte 
brein  unb  halb  mit  bem  Sfrtopf.  Da  fdjrie  ©cfymule  ent= 
fefclid)  auf,  griff  nadj  feinem  redeten  2Iuge  unb  fan!  be s 
mujgtloä  gufammen.  Der  junge  23aron  fprengte  baüon. 

(£ine  ©tunbe  fpäter  brachte  ein  barmfjergiger 
®auer  auf  feinem  ßeumagen  ben  nodj  immer  betrug 
lofen  Knaben  mit  einem  furdjtbar  entfteüten  $Intlib  in 
bie  Subenftabt  unb  ber  Butter  in§  $au§. 

Der  5Irgt  tturbe  geholt  unb  braute  ©dfjmule 
lieber  gum  33etnu§tfein  unb  ttmfd)  unb  nerbanb  feine 
Sßunben.  2Iud)  gab  er  gute  «goffnung  auf  feine  haU 
bige  ®enefung.  Hber  ba§  redete  5Iuge  toar  üerloren; 
e3  tt>ar  auggeronnen  unb  mtl)eimlid)  ftarrte  (Sinem  bie 
leere  2IugenI)öI)le  entgegen. 

2In  bem  Dage,  al§  ©d)mule  guerft  lieber  au^er 
S3ette  toar,  tarn  ein  unerwarteter  Söefudj:  ber  bicfe  (Gregor, 
ber  fieiblafei  be£  jungen  23aron§.  @r  brachte  gtuei 
Dufaten  unb  erklärte,  fein  junger  §err  fei  bereit,  au§ 
Erbarmen  aucf)  ben  5Irgt  unb  s2Ipot^efer  gu  begaben, 
wenn  ©djmute  non  jeber  5Hage  abftefjen  wolle. 

/f(S5e^t !"  fdjrie  biefer  —  ba£  tuar  feine  gange 
s2Inttt)ort,  unb  fein  eiugigeä  5Iuge  fitufelte  habet  fo 


219 


unfjeimlidfj,  bafj  ber  btcfe  SDdamt  jcfjneflfteng  gef)or cf)te 
unb  bafjeim  rapportierte:  „galten  gu  ©traben,  $err 
23aron,  aber  idf)  glaube,  ©ie  fjabett  biefent  3uben  nidjt 
bloj3  ba§  5luge  fjerauSgepritgelt,  jonbent  audfj  ben 
SSerftanb ;  ber  $erl  toar  mie  ein  £ier." 

©cfjmufe  auSgefjen  burfte,  toar  fein  erfter 
©ang  gunt  ©erid)t.  ®er  ©emeinbeöorftefjer  erbot 
fid),  mit  if)m  gu  gef)en,  bodf)  ©cfjmufe  fefjnte  e£  ab. 
,,3d)  banfe  ©udj,"  jagte  er,  „aber  xd)  bin  fein  $inb 
ntefjr,  ber  ©djfag  ^at  micf)  plö^licf)  um  gefjn  3afm' 
öfter  gemalt.  2fud)  mid  xd)  ja  nur  mein  Sffedjt 
fucfjen."  ©r  ging  gunt  IRid^ter  unb  brachte  feine  ^fage 
an.  ©ie  mürbe  aufgenommen  unb  ber  ^Srogefj  begann 
unb  tourbe  geführt,  mie  —  nun,  ttrie  bamafS  ber  ^ßrogeft 
eine£  armen  3uben jungen  gegen  einen  podtifdjen  23aron 
in  ^obofien  geführt  gu  toerben  pflegte.  2fber  baS 
Urteil  fam  menigftenS  rafdj,  fdfjon  nadfj  einem  Sftonat. 
3)a  tourbe  ©djtnufe  öor  ©eridbjt  gerufen  unb  ber  §err 
9Jdanbatar  fd^rie  ifjn  fjart  an:  „^u  f)aft  gelogen, 
SubM  $>tt  bift  bem  gnäbigften  $erm  SBaron  nid)t 
auSgemidfjen  unb  fjaft  £)id)  bicb)t  an  baS  $ferb  ge= 
brängt,  unb  ba  f)at  £)icf)  bie  ^ßeitfdje  unöerfeljenS  ge^ 
troffen,  ©ei  frof),  baf$  ^idj  ber  gnäbigfte  junge  §err 
nid^t  megett  SSerfeumbung  anffagt,  fei  if)m  banfbar! 
Unb  jetd  —  tröffe  $>id)!" 

©djrnule  ging  fjeitn.  5lfS  er  gu  feiner  SJhttter 
in  bie  ©tube  trat,  fcfjrie  biefe  entfett  auf:  „SHnb, 
mie  fiefjft  $)u  auS?  3ft  £)ir  mieber  ein  Ungfüd  ge^ 
fcfjefjen?"  —  „Sa,"  ermiberte  er,  „ein  nod)  größeres 
Ungfüd,  xd)  fjabe  mein  9ted)t  nidjt  ftnben  f butten."  £)ann 


220 


murmelte  er  allerlei  öor  fiel)  f)in  unb  fagte  bann  wieber 
laut:  „Scf)  Will  thun,  tute  ber  |jerr  dichter  öon  mir 
verlangt  hat,  xd)  will  i^m  banfbar  fein  ..." 

„@ohn,"  fd^rie  bie  alte  grau  in  SobeSangft,  „ich 
feT^e  eS  an  deinem  ©eficf)t,  $)u  wirft  ‘Dich  in  baS 
@cf)loj3  ftehlen  unb  wirft  if)n  im  @djlafe  ermorben  .  .  ." 

„Sftein,"  erwiberte  (Sc^mule  unb  lächelte.  „DaS 
Wäre  and)  gang  gut,  aber  bann  Würben  fie  mich  aufhängen, 
unb  wer  foH bann  Dich  ernähren?  9^ein,icJ)  mufjeS  auf  am 
bere  5trt  öerfuchen,  id)  mu§  ein  reifer  9ßann  werben." 

„©ott  ^at  deinen  Sßerftanb  öerwirrt,"  f  tagte  bie 
Butter  unb  noch  heftiger  Weinte  fie,  als  ©chmule 
ihr  feinen  ©ntfchluf$  fagte,  nach  23arnow  auSguWanbern. 
5lber  er  blieb  feft  babei.  (Sr  üerfaufte  baS  (Singige, 
WaS  fein  War  unb  burcf)  feinen  Abgang  in  ber  2öirt- 
fc^aft  entbehrlich  würbe,  fein  SJett  unb  fein  Sßettgeug. 
Dafür  befam  er  fünf  ©ulben,  Weit  er  noch  einige  ©e= 
betbüc^er  barauf  gab.  „Sch  Werbe  meinen  SSerbienft 
ehrlich  mit  Dir  teilen,"  öerfprach  er  feiner  Butter  beim 
Slbfchieb.  ÜDUt  ben  fünf  (Bulben  ging  er  nach  SSarnow  unb 
laufte  fidh  bort  einen  Keinen  $ram  öon  ^ünbljölgchen, 
«Seifen,  ^omaben  unb  gebera  unb  hofierte  bamit  in 
ben  ©afthäufem  unb  auf  ben  ©affen  h^um.  Unb 
Weit  er  unermübtich  War  unb  für  fidh  felber  faft  gar 
nichts  brauchte,  fo  fonnte  er  nicht  nur  feine  Butter 
uuierftüfcen,  fonbern  auch  etwas  gurücf  legen. 

D^ach  gWei  Sahnen  War  er  fo  weit,  baf3  er  biefeu 
§anbel  aufgeben  unb  einen  anbem,  einträglicheren 
beginnen  fonnte.  (Sr  würbe  nämlich  ein  „Dorfgeher", 
WaS  ein  furchtbar  mühfameS  ©ewerbe  ift.  Da  warn 


/ 


221 


berte  er,  mie  üftatfjan  Vitfe§,  ber  $8 ater  ber  grau 
(S^riftine,  mit  einem  großen  $ßa<f  auf  bem  Ütüden,  in 
bem  fid)  5lde§  befanb,  ma§  dauern  gebrauchen  fönnen, 
non  $)orf  gu  5Dorf  unb  non  gahrmarft  gu  Sa^rmarft. 
©r  mürbe  meift  nicht  in  ©etb  gegart,  fonbern  in 
grüd)ten  unb  gellen.  2tber  eben  baburd)  mürbe  ihm 
ba§  ©emerbe  einträglich.  Üftachbem  er  brei  gafjre  ^orfs 
ge^er  gemefen,  fel)rte  er  gur  ©tabt  gurüd  unb  eröffnete 
in  einer  9^ifcf)e  am  SJtorftptaß  einen  Saben  non  taufenb 
steinigt eiten.  ^tud)  biefe§  ®efd)äft  gebiet)  unb  er  tonnte 
halb  ein  orbentlid)e§  ©emölbe  mieten  unb  feine  Butter 
reid)ticher  unterftü|en.  5lber  er  felbft  lebte  nad)  mie 
nor  faft  nur  non  trodenem  Vrob  unb  gönnte  fich 
höchften§  am  ©abbatl)  ein  ©tüdtein  gteifd). 

2tt§  er  breimtbgmangig  Saßre  alt  mar,  geljn  Sa^re, 
nadhbem  er  non  3-  Gegangen,  ftarb  feine  Butter, 
©ie  ftarb  in  feinen  Firmen.  5tt§  er  fie  begraben  hatte 
unb  bie  achttägige  £rauergeit  norüber  mar,  überfiebelte 
er  in  eine  größere  ©tabt,  nach  ©gernomiß.  $)er  Qu* 
fad  fügte  e§,  baß  bei  ber  ^Cu§faf)rt  au§  bem  ©täbtdhen 
ber  Varon  2$labi§tau§  SBobnidi  in  glängenbem  ^ha^on 
an  ihm  norüberfaufte.  ©r  hQde  bamal§  gerabe  bie 
Vermattung  feiner  ©üter  übernommen.  „©§  ift  gut, 
baß  er  mir  gerabe  jeßt  begegnet/'  fagte  ©d)mule  gu 
feinem  Veifegenoffen,  „ber  ©chmerg  hätte  mich  fonft 
eine  .geit  lang*  täffig  gemacht." 

üftun  ftanb  ©chmule  allein  in  ber  SBelt,  aber  er 
arbeitete  fieberhaft  fort,  al§>  müßte  er  eine  große 
gamitie  ernähren,  unb  marb  fo  allmählich  ein  mohl= 
habenber  dftann.  Unb  meit  er  babei  tüchtig  unb  or^ 


222 


bentlicf)  ttxxr,  fo  gelang  e§  if)m  trojj  feiner  ©inäugig feit, 
eine  ber  reichten  Erbinnen  oon  ßgernoioitj  gur  grau 
gu  befommen.  9£un  grünbete  er  ein  grof$e£  ©efc^äft 
mit  au3gebel)nten  üftieberlagen  nnb  mit  einer  glängenben 
girmentafel:  „@emifdfte  Söaren^anblung  non  ©amuel 
S^unnftein".  Unb  al§  ob  er  fid^  bamit  noch  nid^t  genug 
Arbeit  gefdfafft  hätte, begann  er  baneben  noch  einen  großen 
SBein^anbel.  Setjt  erft  geigte  ©dhmule  fo  red^t,  loelche 
ungeheure  5lrbeit§fraft  unb  ©ntf d^loff en^eit  in  if)m  ftecfte. 
@r  burd^reifte  S)eutfdjlanb  unb  granf  reich,  bann  SRufi? 
lanb  unb  bie  Dölbau,  unb  fdjuf  fidh  überaE  neue 
5lnfauf£s  unb  $IbfahqueEen.  Sftach  gehn  Sauren  galt 
er  al§  einer  ber  reichten  $aufleute  ber  ®egenb. 

$)a  ftarb  feine  grau,  nact)bem  fie  ihm  ein  £öcf 
terc^en  geboren  hatte.  9ßun  braute  ©df)mule  einen  neuen 
$ßlan  gur  5lu§fü^rung;  er  oerfaufte  feine  beiben  ($e? 
fchäfte  mit  großem  9ät|en  unb  ttmrbe  ($etreibehänbler. 
Sn  ^obolien,  Söeffarabien  unb  ber  Dölbau  faufte  er 
ein  unb  nach  bem  Söeften  oerfaufte  er.  üftur  bei  einem 
($runbbefi£er  faufte  er  nie,  bei  bem  25aron  2ölabi§lau£ 
SöobnicEi,  obtt>of)l  ihm  ber  SSertoalter  beleihen  häufig 
ein  günftige§  Angebot  machte.  $)er  arme  SD?ann  ttrnr 
nämlich  in  beftänbiger  Verlegenheit,  mie  er  bie  ge~ 
maltigen  (Summen,  bie  fein  §err  brauchte,  gufamntem 
fcharren  foEte.  $)enn  ma3  bem  alten  Varon  iro£ 
feiner  Verfchtoenbmtg  faum  gelungen  toar,  ba§  brachte 
2ölabi§lau3  glängenb  gu  (Staube*:  er  oerfpielte  in  jebem 
Sttonat  fo  biel,  toie  er  im  3ahre  einnahm.  ©eine 
(Sattin,  eine  $)ante  au£  frangöfifdjer  gamilie,  t^at 
gleicfjfaEä  reblidb)  ba§  Sfjrige,  ben  ungeheuren  Veicf)= 


223 


tum  be§  «£)au[e§  gu  untergraben.  Unb  fo  mar  ber 
Vermalter  in  Späten  unb  ©<hmule  märe  ifjnt  fetjr  ge^ 
legen  gemefen.  2lber  biefer  lernte  ab  unb  ermiberte 
mit  fonberbarem  Säckeln:  „S<h  §ah’  mir  einmal  oor 
fünfunbgmangig  Sauren  ba§  üBort  gegeben,  baf$  ich  mit 
S^em  |>errn  nur  ein  ©efcfjäft  auf  Arbeit  abfchlieffen 
mitl.  Unb  ba§  ©efdfäft  ift  noch  nic^t  reif  .  . 

£)ie  ß eit  öerging,  ©<hmule  marb  immer  reifer 
unb  heiratete  tviebet  eine  grau,  bie  ihm  eine  grofje 
Mitgift  gubradjte.  $)amt  fam  ba£  Sa^r  1848  heran, 
unb  in  biefem  mitben  S atjre  marb  au£  bem  reichen  Spanne 
ein  Millionär.  §ert  ©igi§ntunb  Dtunnftein,  mie  man 
ihn  nun,  mo  er  fo  reich  mar,  allmählich  refpeftboU  gu 
nennen  begann,  hatte  bie  Sßerprobiantierung  ber  Muffen 
in  Ungarn  übernommen  unb  babei  ein  Ijödjft  öorteiU 
haftet  ©efdjäft  gemalt.  $on  ba  ab  fe|te  er  fidj  gur 
fRu^e  unb  ermiberte  immer,  menn  man  if)tt  gu  einer 
neuen  Unternehmung  einlub:  „Sch  marte!" 

©r  hatte  nicht  tauge  gu  harren.  $ßan  fann  audh 
mit  einem  riefigen  Vermögen  fertig  merben,  menn  man 
ein  riefiger  $8erfd)menber  ift.  .ßmei  Sahre  noch,  unb 
Söaron  SBIabtötauS  famt  ©emahtin  fonnten  nicht  mehr 
in  ißari£  leben,  unb  auch  ttt  ß.r  mohin  fie  fich  gurücf^ 
gegogen,  hatte  ba§  feine  (Schmierigfeit.  2)enn  oon  all7 
ihren  ©ütern  gehörte  in  üBahrfjeit  fein  ©ra§halm  mehr 
ihnen,  unb  oon  allen  ©eiten  brängten  bie  ©laubiger 
auf  fie  ein.  5£)ie  Baronin  fehrte  gu  ihrer  gamilie 
nach  granfreicf)  gurüd  unb  ber  Söaron,  ber  moht  ober 
übet  gurüdbteiben  muffte,  fud)te  feinen  £roft  im 
pagner  unb  bann  in  ber  ©chnap3ftafcf)e. 


224 


$)a  fomtte  er  plö|lid)  freier  aufatmen,  ba§ 
drängen  ber  ©laubiger  ^örte  mit  einem  0cf)lage  auf: 
0djmule  Ijatte  alle  SBedfjfel  unb  gorbermtgen  an  fidj 
gebraut  unb  feine  Millionen  barangefejd.  „$)a§  ift 
ba§  erfte  fdjledjte  ©efdf)äft,  ba§  @d)mule  Sftunnftein 
in  feinem  ßeben  gemacht  ^at,"  fagten  bie  ßeute,  unb  nocf) 
größer  mar  bie  SBermmtberung,  al§  0d}tnule  anfcfyeineitb 
gar  feinen  (Betritt  tf jat,  feine  gorberungen  I^ereingus 
bringen.  5lber  er  mar  nicf)t  unflätig  geblieben.  (Sr  ^atte 
ein  SD2ajeftät§gefud)  an  ben  $aifer  gerietet  unb  um 
bie  ©nabe  gebeten,  ©iiter  anfaufen  gu  bütfen,  bemt 
bamal§  burfteit  bie  Suben  in  ©aligien  feinen  ©runbs 
befi£  ermerben.  ©r  mar  felbft  nad)  SSien  gereift,  fein 
©efudf)  gu  unterftü^en.  5lber  e3  mar  öergeblid).  „^Stf 
xd)  einen  SCRorb  begangen,"  fagte  0cf)ntule,  al3  er 
gurüdfam,  ,,xd)  f)ätte  midj  medeicf)t  frei  machen  fönnen. 
$lber  biefe§  ©ine  ift  nicf)t  gu  erreichen." 

3)ann  ging  er  lange  Xage  brütenb  untrer,  er 
fämpfte  einen  fermeren  $ampf.  ©nblicf)  mar  fein  ©nt- 
fcf)lufi  gefaxt;  er  trat  tmr  fein  Sßeib  f)in,  meines  er 
fef)r  liebte,  unb  fagte  gu  if)r:  „3cf)  bin  entfdjloffen, 
mid)  taufen  gu  laffen  unb  ©f)rift  gu  merben.  ©rfdjrid 
nicf)t,  meine  niefjt,  fjöre  midj  ruljig  an.  3dj  mu|  e§ 
tljun.  9Jtein  gange§  ßeben  märe  fonft  eine  £üge,  eine 
■ftarrljeit.  3dj  rnufj  bie  ©iiter  be§  SSobnidi  ermerben. 
3dj  Ij  abe  entbehrt  unb  gearbeitet,  mie  öiedeidjt  nodj 
nie  ein  dftenfdj  auf  biefer  ©rbe.  5lber  idj  mid  nidjt 
meinen  Soljn  bafitr,  idj  mid  nur  mein  Sftedjt.  5llfo, 
e£  ift  feine  grage,  bafj  idj  tljun  mu§.  Slber  2)ir 
ftede  idj  e§  frei.  SSie  feljr  $>it  mir  lieb  bift,  brauche 


225 


td)  $>ir  itic^t  31t  jagen;  aber  bemtodj  erfläre  id)  $)tr 
—  idj  füge  trtid^,  nrie  SDu.e§  entfdjeibeft  .  . 

2lud)  fie  liebte  iftn  fefjr,  aber  fie  fomtte  beit 
®Iauben§toed)fel  nid)t  über§  «^erg  bringen.  (Sie  fdjie* 
beit.  Sdjmule  trat  gur  fattjolifcfjen  $irdje  über  nnb 
naf)m  ben  kanten  Sigiäntunb  SRonnidi  an.  5Iudfj  feine 
eben  Ijerangebliitjte  Sodjter  au§  erfter  (üdje  lieft  fidj 
mit  bem  Später  tanfen  nnb  erljielt  ben  tarnen  dftaria. 
2Mdje§  ungeheure  2Cuffefjen  biefe§  Ereignis  im  gangen 
Sattbe  erttedte,  lä^t  fidj  nid)t  befdjreibett. 

2lm  Stage  nad)  ber  £aufe  machte  Sdjmule  ade 
feine  gorberungett  gegen  2Slabi§lau§  geltenb.  $)ie  @üter 
famen  gur  geilbietnng  nnb  Sdjmule  erftanb  fie.  SDer 
23aron  oerfdjtoanb  —  man  ttmftte  nid^t,  loo^in  er  fidj 
getoenbet  fjatte.  Sdjmule  30g  anf  ba§  Sdjloft  bei  Q. 
nnb  lebte  bort  mit  feiner  STodjterdftaria.  3mSaf)re  1854, 
al§  ber  (Staat  rüftete  nnb  fefjr  nie!  ®elb  brandete,  fanfte 
fidj  Sdjmule  nm  eine  grofte  Snmme  ben  greiseren* 
titel.  „Hber  noc6),"  fagte  er  fjäufig,  „fjabe  icf)  nidjt 
mein  gange§  SRedjt;  e§  fel)lt  nodj  @ttt>a§."  2ludj  biefe§ 
fodte  ber  feltfame  SEftann  erlangen.  9ttan  erfuljr  eines 
S£age£  burdj  bie  ftolnifcljen  baft  ber  unöers 

beff erlidje  SSagabnnb  nnb  £runfenbolb  33aron  2Blabi§s 
lau§  SBobnidi  burdj  einen  eblen  SBoljltljäter  für  £eben^ 
geit  oerforgt  toorben  fei. 

So  tt>ar  e£  audj.  SDer  „eble  Sßofjldjäter"  toar 
ber  23aron  SigiSmunb  Sfonnidi.  (£r  Ijatte  ben  Sßagac 
bnnben,  ber  fidj  guleftt  tn  nnb  bei  Söamoto  ljerum= 
getrieben,  im  bucfyftäbtidjen  Sinne  be§  2Bort£  öon  ber 
Strafte  aufgelefen  nnb  gab  if)tn  auf  feinem  Schlöffe 

($,  gfrattje?,  Sfuben  t?on  »ornoto.  lä 


226 


eine  ,3uffuci)t§ftatt.  £)er  SSagabunb  befant  2(Ile§,  tt>a§ 
er  mollte,  nur  feinen  ©d)nap§.  Unb  toarunt?  „Söenn 
er  @cf)nap§  trinft,"  fagte  ©djrnule,  „fo  benft  er  nid)t 
nad).  Unb  er  fodnadjbeufen.  Sdjmidmein^edjtfjaben." 

5lber  ber  SErunfenbolb  tfjat  bem  neuen  $errn 
feinet  0d)loffe§  nidjt  fang  ben  Gefallen.  3m  |)od)s 
fommer  be§  nädjften  3cd)re§  tx>ar  auf  beut  0d)lo{3  ein 
großes  geft.  23aron  9fonnidi  t> erheiratete  feine  £od)ter 
mit  einem  magtjarifdjen  5lbeligen,  einem  ßufarem 
IRittmeifter.  2ln  bem  feftlieben  2lbenb  gelang  e$  SSobnicfi, 
0d}nap§  gu  bef ommen.  (Sr  tranf  fef)r  öiel  unb  taumelte 
bann  gum  Z^oxt  f)inau§  unb  ben  2Beg  l)inab,  auf  bem 
er  einft,  oor  fünfzig  Salden,  bem  Subenjungen  begeg¬ 
net.  (Sr  ift  nie  mieber  in3  0d)lo{3  gurüdgefommen. 
$nt  nädjften  borgen  fanb  man  iljn  unten,  am  gufje  ber 
SBergttmnb,  gerfc^mettert  liegen.  0b  er  in  feiner  £runfen= 
Ijeit  ben  fteilen  2lbf)ang  fjinabgefaüen,  ob  er  fidj  felbft 
Ijinabgeftürgt,  ba£  bleibt  für  immer  unentfdjieben. 

0el/t  —  audj  foldje  ®efd)idjten  gef d)e§en  ju? 
teilen  auf  (Srben. 


©ae  Cßnpueßtft). 

V 

ta  ftept  e§  lieber  greifbar  tebenbig  öor  mir,  ba£ 

arme,  üerfadeite  £anbftiibtd)en  mit  feinen  engen, 

frummett,  büfteren  ©affen,  mit  ber  ücrfadenen  23urg 

oben  auf  bem  33erge,  mit  bem  [tollen  Softer  unten  am 

gtuffe.  Unb  namentlich  be§  lepteren  ntuft  id)  immer 

toieber  gebeuten,  ©in  poper,  mastiger  23au,  ring§  non 

einer  SJtauer  eingef Stoffen,  an  ber  nod)  Idente  bie  ©puren 

gu  fefjen  fiitb  au§  ber  böfen,  öerljeerenben  Sartarengeit, 

brin  ein  toirrer  Knäuel  üon  Kapellen  unb  28oI)nf)äufern, 

burd)  feudjte  ©teinpöfe  ober  fpärlic^  betoadjfeite  ©ra3* 

flauen  öon  einanber  getrennt.  3dj  ttiar  bort  oft  in  meiner 

^uabengeit,  id)  fpielte  gern  in  bem  Heilten  griebpof  auf 

ben  üerfadenen  ©räbent;  id)  fjorcfjte  gern  bem  SBiber- 

pad  meinet  ©djritte§  in  bem  mastigen,  einfamen  die fefs 

• » 

toriunt,am  liebfteu  aber  ftanbidj  in  ber  „Kapelle  beruhte", 
ttric  fie  ben  kleinen,  bp^antinifc^en  $8au  nannten,  unb 
flaute  empor  gu  bem  ©emätbe,  ba§  man  erft  fürgtid) 
bort  befeftigt,  frifd),  ttie  e£  au§  ben  Rauben  ber  SDialerin 
fjerüorgegangeit  toar,  ber  ftolgen,  fcpöiten  ©räfin  gabttiiga 
SBortpnffa,  ber  §errin  be§  ©täbtcpenä  Söarnott).  ©§  war 
ein  fd)öne$  93itb  nod  Siebe  mtb  griebett  tüif.joadenber 


228 


ÜSoIfe  ftattb  (Ef)riftu§  unb  breitete  fegnenb  bie  |jattbe  über 
ben  (SrbbaE.  Huf  bem  bleichen  Hntli{$,  urnmaEt  üon 
fdjmargem  Sod enfjaar,  lag  bie  pd)fte  Siebe,  bie  er^abenfte 
(55üte,  rein  menfdjlidj  unb  barum  göttlich  unb  erhoben. 

Hber  an  bie§  backte  id)  nid)t,  al£  idj,  ein  üben 
mütiger  $nabe  öoit  gmMf  Sauren,  ba3  S3itb  gunt  erften 
SD^ate  fat).  G£&  mar  an  einem  litten,  mannen  |jerbfts 
tag;  $Bormittag§  mar  ba§  33ilb  befeftigt  morbeit,  eine 
(Btnnbe  fpciter  geigte  e§  mir  ber  Heine  Sßlabif,  ber 
@o!jn  be§  $üfter§.  Unb  al£  e§  mir  fo  im  üoEen 
©onnenglang  au§  bem  bunflen  Ektjmen  entgegentrat, 
mid)  id)  erfd)redt  gnrüd.  „SBeiftt  Du,  mer  ba§  ift?" 
fragte  idj  meinen  ©pielfameraben. 

„Unb  ba  fannft  Du  nod)  fragen?!"  meinte  biefer 
in  fnabenljafter  ßmtritftung.  „Da£  ift  nufer  §err  3efu§ 
(£Ijriftu3,  ben  bie  Suben  gefrengigt  ^abett!" 

„■ftein,  SBIabif!"  ermiberte  id)  feft,  „biefer  ift 
e£  nidjt,  fonbern  ber  33odjer  ®abib,  ber  bi§  gnm 
gritfyling  mein  Setjrer  mar." 

Sßlabif  mar  entrüftet  unb  fdjatt,  aber  id)  liefj  e£ 
mir  nidjt  au§reben:  id)  mufjte,  ma§  id)  mujjte.  Unb 
al§  id)  an  £  ber  9£adjmittag§fdjule  nadj  |jaufe  fam,  ba 
ergäljlte  idj  meinem  SSatcr  öon  bem  93itbe. 

„!ftärrifdje§  $inb!"  täd^elte  ber,  „mer  foE  ba§ 
93ilb  gemalt  f)aben?!" 

„Unfere  grau  Gräfin,"  antmortete  id)  eifrig. 

Der  SSater  lächelte  nid)t  metjr.  „Htfo  bod)/' 
fprad)  er  finnenb.  „(£§  ift  faft  nnglanbticf)  ..." 

„28a§?"  fragte  idj  rafd).  Hber  er  mte£  mid) 
fdjroff  gnr  Sftufje. 


229 


Sd)  fjäite  audj  ba£,  ma$  er  meinte,  bantalS  ttid)t 
ücrftanbeit.  8päter  aber  üerftanb  icf)  fie,  bie  feltfame, 
traurige  ®efdjid)te,  bie  id)  ergäben  miff,  bie  Eefdjid)te 
be§  Ef)riftu3bifbe§  in  ber  $apede  gu  33arnom,  ba§  bodj 
gugfeidj  ba§  meinet  £ef)rer§  mar,  be§  kodier  $)aüib. 

Sdj  fjabe  bie  Eefdjidjte  feftfant  genannt,  mein 
Sefer,  itnb  feftfant  mirb  fie  £)ir  audj  in§  Df)r  fftngen, 
namentlich  mettn  SDu  im  SBeften  gu|)aufe  bift,  mo23ifbung 
uub  ^ulbung  motjnen.  Unb  traurig,  feljr  traurig. 
$ber  ffage  barnm  itidjt  ben  Ergä^Ier  an,  beffen  §erg  ftd) 
fdjmergftdj  gufammengiefjt  in  ber  Erinnerung, fonbera  jene 
intbegreiflid^e  3)cad)t,  bie  ba§  ÜDZenfdjenherg  gu  üftadjt 
(enft  ober  31t  ßidjt,  gu  Efitd  ober  gu  Efenb  .  .  . 

# 

Stritten  in  bie  unenbüdje  Ebene  hing  eftreut  liegt 
ba3  flehte  ©täbtdjen.  Üftur  eine  fanfte  $(nfjö^e  ift  itt 
ber  Sftäfje,  ba  hegen  bie  Xrümmer  einer  S3urg,  mo 
einft  bie  ^errett  üon  Söarnom  gekauft:  bie  ©taroften 
Söaredi.  2(ber  nun  fipt  ber  letzte  ©prop  biefe§  Ee= 
fd^Iecf)t§,  ein  mafjnfinttiger  @rei£,  in  feinem  büftera 
§aufe  am  gfttffe,  bie  neuen  Herren  aber,  bie  (Strafen 
SBorttyuffi,  in  bem  neuen,  prächtigen  Erafenfdjlofj  itt 
ber  Ebene.  E§  ^ält  fid)  ftolg  entfentt  üon  ben  nieb? 
rigett  §ütten,  ben  f feinen,  baufälligen  Raufern,  ben 
buntpfen,  engen  ©trapen  üon  S3arnom  uttb  üon  bem 
Elenb,  üott  ber  Sfrmut  feiner  Jöemofjtter. 

$tber  gftidftcb  fittb  biefe  23ett>oIjner,  bie  ©tragen 
fjefl,  unb  bie  Jütten  ftattfid)  im  SSergfetdj  gu  jenem 
abgefc^iebenen,  mie  üerftofjetteit  ©tabtteif,  ber  fid)  in 
ben  uttgefunben  Sfloräften  be§  grfttffeä  ^ittbe^tit.  £>ort 

\ 


230 


bleibt  e§  büfter  unb  traurig,  mag  bie  «Sonne  noch  fo 
glän^enb  leuchten,  bort  öerpeften  öerberblicfje  fünfte 
bie  Suft,  liegt  and;  fonft  ba§  $ha*  im  Sliitenbufte 
be3  5rül)ltng§.  tiefer  £eil  be§  ©täbtdjenä  ift  am 
bid)teften  bemofjnt:  ba£  ©hetto,  ba§  Subenöiertel,  ober 
ttrie’S  in  feiner  eigenen  Sprache  Ijeijst:  bie  „©affe". 

®aöib  mar  bie  feltfamfte,  geheimniSöodfte  ©eftalt 
ber  „©affe",  bie  an  berlei  ©eftalten  iiberreid)  ift; 
im  emigen  ©djatten  machfen  immer  fonberbar  geformte 
fßflanjett.  ©r  mar  ber  ©oljn  be§  oerftorbenen  fRabbi 
be3  ©täbtd)en3.  ©djon  in  feiner  frühen  Shtabeit^ett 
mar  er  ber  ©tolg  unb  bie  Seudjte  feinet  $ater£,  ber 
©emeinbe,  gemefen.  ©einem  frühreifen  ©eifte  lagen 
ade  ©eheintniffe  be3  £almub3  erfcbloffen,  alle  bie 
©pifcfinbigfeiten  unb  SRätfel.  9Jkn  bemunberte,  man 
oergötterte  ben  Shtaben;  man  erblidte  in  bem  fdjmacheu, 
bleichen  ^inbe  ben  größten  ©chriftgelehrten  ber  3U5 
funft  unb  man  öergieh  be^ha^  ^  bk  Unbäru 
bigfeit  feinet  SSefen. 

$>a  ftarb  ber  greife  Sßater  unb  ^interlieg  feiner 
Söitme  unb  bem  einzigen  $inbe  nid)t£,  al§  feine  große 
Bücherei  unb  bie  Siebe  feiner  ©enteinbe.  $)iefe  tljat 
aud)  für  ben  SSermaifteu,  ma§  fie  fonute,  ober  rieh* 
tiger  nur,  ma£  ihr  geniigenb  unb  billig  fchieu.  ©r 
burfte  in  bem  |jinterftübchen  be§  |jaufe§  mohnen  bleiben, 
mährenb  in  bie  öorberen  ©etnüdjer  ein  neuer  fRabbi 
§og.  ©£  mar  fo  recht  unb  hergebracht,  aber  e§  oer= 
leßte  tief  baä  ©efühl  be§  $inbe§.  lXub  für  beit  S3er= 
maiften  fanb  man  and)  nicht  jette  2öorte  begeifterten 
£obe£  mte  eittft,  obmol)l  er  e£  bod)  täglid)  mehr  oer? 


231 


biente.  T>er  %xo§  feines  SBefenS  toucf)S  uitb  bamit 
{eine  Unbeliebtheit  in  ber  ,,($affe".  vDazu  fam  nod), 
ba§  er  ben  neuen  SRabbi,  ben  berühmten,  frommen 
SOtann  eines  SageS  in  ber  Deutung  einer  £almubs 
{teile  etttfdjieben  überflügelt  unb  fkh  in  finbifchem 
©tol^ebeffengerühmthatte.  9?mt  hatte  er  auch  einen  £ob* 
feinb  in  ber  ©emeinbe.  Sßie  er  einft  vergöttert  toorben, 
Würbe  er  nun  angefeittbet.  ©eine  Sage  ttmrbe  unleib? 
lieh,  aber  er  blieb,  fo  lange  {eine  Butter  lebte.  3hr 
allein  gehorchte  er,  fic  allein  oermochte  gutoeilen  ein 
Säbeln  auf  baS  büftere,  oerfdjtoffene  5lntlih  beS  ©ohneS 
Zu  loden.  $llS  fie  geftorben,  War  auch  eines  Borgens 
ber  fünfzehnjährige  Shtabe  üerfdjttmnben.  Unb  er  blieb 
oerfchttmnben.  SRan  oergaft  ihn  allmählich  unb  erzählte 
nur  noch  gutoeilen  üon  bem  ©ohne  beS  SRabbi,  ber  fo 
fing  unb  gelehrt,  aber  babei  fo  böfe  unb  oerftoeft  gemefen. 

Unb  er  blieb  üerfdjoüen  burch  lange  zwölf  Sahre. 

®a  fam  er  eines  £ageS  Wieber  in  baS  (Ghetto 
beS  f leinen  pobotifchen  ©täbtchenS  unb  mietete  fid) 
in  einem  ber  oerfallenen  Räuschen  ein.  $lm  nächften 
£age  aber  ging  er  zu  ben  93orftehem  ber  ©pnagoge 
unb  zu  ben  $ranfenpflegern  unb  fagte  ihnen:  er  fei 
entfdjtoffen,  fein  Seben  ben  ^ranfen  zu  Wibmen  unb 
beit  ©terbenben.  (£r  fenne  manches  Heilmittel  unb 
manche  $unft  ber  Heilung,  unb  er  bitte,  fein  Opfer 
anzunehmen  unb  ihn  nicht  zu  fronen,  wo  Rettung 
unb  pflege  nötig  fei.  ©ie  wunberten  fid)  über  feinen 
ffintfchlufj,  bann  tobten  fie  iljn.  ©päter  jeboch  fegneten 
fie  feine  £t)ätigfeit  unb  fein  Sob  ging  von  jäftunb  zu 
Sftunb,  Wie  einft.  $lber  ein  gewiffer  Hand)  ber  Un= 


232 


f)eimttcf)feit  unb  be£  grembfein§  Blieb  um  if)n:  er 
marb  nicht  lieber  ^eintifd^  in  kr  „©affe".  $8011 
melier  5trt  bie  ©tubien  feien,  bie  er  bei  feiner  eins 
famen  Sampe  nä<htelang  betrieb,  mooon  er  lebe,  mo 
in  ber  gerne  er  getoefen,  ba§  muffte  Sftiemanb.  $)er 
fRabbi,  ber  im  Saufe  ber  Safjre  längft  beit  Übermut 
be§  Knaben  öergeffen  hatte,  unb  mein  SSater,  ber  oermöge 
feinet  23eruf§  —  mein  SSater  mar  ber  ©tabtargt  — 
häufig  mit  i^m  gufammentraf,  maren  bie  einzigen 
SCRenfc^en,  mit  benen  er  eigentlich  öerfe^rte.  SSott 
i^nen  erfuhr  man  auch,  ba§  er  im  heiligen  Sank  ges 
mefen  fei  unb  bie  Sättber  be§  SeftenS  gefehen  habe,  ja,  ba§ 
er  fogar  im  Sank  jenfeit§  be§  großen  Sfteereä  längere 
.ßeit  gemeilt  habe,  in  „toerilum",  mie;£  in  ber  ©pradje 
ber  „©affe"  hei&i*  fpredje  vieler  Wülfer  ©pradje, 
raunte  man  fiel)  $u,  er  miffe  aHe§  unb  üermöge  öiel, 
im  ©uten  unb  im  Sööfen,  benn  er  fei  ein  SCReifter  ber 
„Kabbala",  unb  ihm  feien  bie  großen,  furchtbaren 
©eheimniffe  be§  23uche§  „©ohar",  be3  £ehrbuch$  ber 
Kabbala,  flar  unb  offen,  ©r  h abe  fich  t>erpflicf)tet, 
ftet§  einfam  gu  bleiben,  unb  barum  fei  er  noch  heu*e 
„Locher",  bie§  fyifct:  unverheiratet. 

©r  aber  muffte  nidftä  von  biefett  ©eritchten  ober 
er  lehrte  fich  nicht  baran.  ©r  f)alf,  mo  er  Reifen 
fonnte,  ohne  2)anf  §u  moUett  ober  gar  ©ntgelt.  Uttb 
allmählich  achteten  unb  liebten  fie  ihn  hoch,  ben  eins 
famen,  ftillen,  bleichen  ülftann.  ©ein  5lntlih  mar  nidjt 
leibenfdhaftlich  unb  büfter,  mie  in  feiner  ^nabengeit; 
e§  trug  einen  5lu3brucf  ntilben  ©rnfteä,  ber  in  gleicher 
Seife  bie  gurdjt  mie  ben  Übermut  bannte,  ©er 


233  — 


Socfjcr  itmr  ber  einzige  Vetooljner  beö  ®f)etto,  bett  bie 
(S^riftenfnaben  nidjt  mit  $ot  unb  |jol)n  bewarfen, 
obwohl  er  fid)  äufjerlidj  medeidjt  nur  burd)  bie  ^ein- 
üc^  forgfame  ^einlidifeit  ber  Reibung  Dort  feinen 
©laubenggenoffeu  mtterfdjieb.  (Sr  trug  gleichfalls?  bie 
feltfame,  altpolnifclje  Zxaäjt  ber  Suben  in  $olen  unb 
^Ru^tanb.  Unb  fie  pajjte  öortrefflid)  gu  biefer  fjoljen, 
ftattlic^eu  (55eftatt,  gu  biefem  Meißen,  geiftüoUen  2(ntlifc 
mit  beit  fjerabtoallenben,  buuflen  Soden. 

tiefer  9ftann  nun  ttmrbe  mein  Sefjrer  unb  blieb 
e£  burd)  fec^^  Qaljre,  bi§  in  mein  gmölfte§  Sa^r.  (Sr 
bejubelte  ben  übermütigen,  regfamen  Knaben  ftet^ 
gleid^  ernft,  gleich  liebeüoll.  SSir  fpradjen  faft  nie 
ein  SBort,  ba§  nid)t  ftreug  gum  Unterridjt  gehört 
hätte.  SRur  ein  eütgigeä  SCftal.  Sch  toar  gurrt  erften 
Sftale  au§  ber  $lofterfcf)ule  nach  $aufe  gefrömmen  unb 
Weinte  über  ben  $o^n,  ben  mir  meine  9ftitfd)üter  am 
getrau  Ratten,  meinet  ($lauben§  wegen.  ^a  trat  ber  Vodjer 
ein  unb  idj  Uagte  it)m  mein  Seib.  (Sr  ^örte  ftill- 
fd)Weigenb  gu  unb  fchlug  bie  ©teile  be£  Vud)e§  auf,  wo 
er  geftem  gu  erfrlären  aufgel)ört.  Sd)  Weinte  fort.  „SSeine 
nicht!"  fpracl)  er  ba,  „Weine  nicht,  mein^inb,  fie  wiffert 
ja  nicht,  wa£  fie  ttjun."  *£)ann  aber  fe^te  er  mit  hartem, 
rauhem  £one,Wie  ich  ihn  nie  Wteber  üon  ihm  gehört  habe, 
hingu:  „SBeine  nicht!  ©ie  finb  ber  grauen  nicf)t  inert ! 
Unb  e£  lornrnt  ein  Xag  ber  Vergeltung."  Qd)  blicfte 
erftaunt  auf  unb  faf)  in  feinem  2lntlit)  einen  fremben, 
bro^enben  ,3ug.  ®r  fdjttieg,  bie  3^ge  glätteten  fid), 
unb  nad)  einer  Sßeile  begann  er  mit  lauter,  ruhiger 
©tintme  bie  Vibelftede  gu  erfrlären  ... 


—  234  — 

3d)  blieb  fein  einziger  0cf)üler  burd)  bie  langen 
3af)?e.  $>a  trat  plö^licf)  ein  gemaltigeä  (Ereignis  in 
fein  Seben.  £)er  Unterricht  marb  aufgegeben.  Seit* 

bem  höbe  ich  thn  mtr  nodj  einmal  gefprodjen. 

* 

$)er  alte  (55raf  $lbam  SBortQttffi  mar  ein  harter  §err, 
üott  Niemanb  geliebt,  üon  Sebermann  gefürchtet.  2lu§ 
einer  Nebenlinie  ftammenb,  hotte  er  nie  auf  ba£  reiche 
SNajorat  ber  gamilie  hoffen  bürfen.  (Sr  mar  feiten  im 
Sanbe  gemefen,  ben  Ertrag  feiner  ($üter  lieft  er  fid)  nach 
^ßari§  ober  Soubon  fenben,  nach  Monaco  ober  «gjomburg. 
3J?an  lannte  ihn  menig  im  @täbtd)en.  $Da  fehrte  er 
plöftlid)  als  23efifter  gttrüd.  £)er  junge  9J?ajoratSherr, 
($raf  Arthur,  mar  geftorben  —  in  $ariS,  unb  plöftlid): 
au  einem  SBlutfturg,  ben  iljm  unmäßige  2luSfd)meifung 
jugejogeu.  5Nan  flüfterte  unheimliche  ©efd)id)ten  bar? 
über,  mie  Niemanb  für  ben  jungen  Grafen  ein  befferer 
Seigrer  in  ben  $luSfd)meif  ungen  ber  üppigen,  lafter* 
haften  ©tabt  gemefen  fei,  als  fein  nunmehriger  (Srbe. 

$>em  aber  mochte  fein,  mie  eS  modte:  nun  mar  unb 
blieb  (S5raf  ?lbam  ber  |jerr.  bisher  unoerheiratet,  obmohl 
feineSmegS  ein  SBeiberfeiub,  ntufjte  er  nun  and)  bie 
^flid)t  erfüllen,  bem  SNajorat  einen  (Srben  31:  fdjaffen. 
(Sr  mahlte  bie  fdjöne  Sobmiga  ^olanffa,  bie  Xodjter 
eines  Oerarmten  ©chtachäiäen  auS  ber  Nad)barfd)aft. 
Ntan  muftte,  baft  baS  Stäbchen  ben  (Grafen  fürchtete 
unb  hoftte,  ober  matt  mujjte  auch,  baft  biefer  fie  bem 
Sßater  abgefauft  habe.  Unb  (Singemeif)te  tonnten  fogar  ben 
Kaufpreis?  nennen.  Sange  nod)  erzählte  man  im  ©tcibts 
chen  00m  ^p^hjeit^uge,  mie  (55raf  $lbam  ftolg  unb 


—  235  — 

4 

triumpf)ierenb  etn^ergef djritten  fei  unb  bie  junge  SSraut 
bleid)  unb  büfter.  2)a§  $od)geit§maf)l  mar  glängcnb 
unb  feljr  fjeiter,  aber  al£  ber  nädjfte  borgen  graute, 
gärten  bie  Wiener  in  bem  glügel,  ben  bie  Neuüers 
mäfylten  bemof)uten,  einen  ©djuß  fallen,  unb  al£  fie 
fjineilten,  fanben  fie  ben  (Grafen  in  feinem  gimmer 
mit  gerfdjmetterter  «^irnfdjale,  bie  ^Sifiole  in  ber  Nedjten 
nodj  frampffjaft  umflammerub.  2Sa§  il)n  in  ben  £ob 
getrieben,  mußte  man  nidjt,  man  fomtte  e§  ancf)  nid)t 
au§  ben  bleichen,  ruhigen  3ügen  ^er  jungeu  SßitttJe  lefen. 

9Kan  fpradj  nie!  über  bie  (55efcf)id)te  bi$  man  fie 
oergaß  ober  bi3  eine  neue  an  ißre  ©tede  trat.  $)a£ 
Majorat  fiel  an  eine  entfernte  Nebenlinie,  ©d)loß  unb 
©tabt  53arnom  befielt  bie  (Gräfin  öabmiga. 

$lber  bem  ftattlidjen  ©cßloffe,  bem  gangen  reichen 
23efißtum  fdjien  nun  einmal  ba§  ©djidfal  beftimmt, 
üerlaffen  unb  unbenu^t  gu  bleiben.  21ud)  bie  junge, 
adjtgeljnjaljrige  SSitme  gog  fort.  Unb  fie  blieb  lange 
auä.  9Jcan  f)ürte  nur  gumeilen  oon  ben  glängenben 
Xriumpßen,  bie  ißre  ©djönßeit,  ißr  ®eift  in  ^ari§ 
feierten  ober  in  §elgolanb  ober  in  23aben=23aben.  ©ie 
heiratete  nidjt  mieber,  mie  man  allgemein  ermartet  fjattc. 
Unb  eineä  £age£  im  grüljling  lehrte  fie  nadj  faft 
geßnjäljriger  $lbmefenljeit  guriid.  £)ie  ftattlidjen 
mäcßer  mürben  nun  mieber  beniißt;  auf  bem  ©djloßs 
ßof  tummelte  fidj  eine  galjlreidje  $)ienerfdjar.  $>ie 
Gräfin  mar  nidjt  meßr  fo  fdjlanf,  mie  einft;  ba£  21ntliß 
mar  bleidj,  oiedeidjt  gu  bleiclj,  aber  fie  mar  nocf)  immer 
fdjön  —  faft  unßeimlidj  fdjön. 


* 


—  236  — 

£)er  Maimorgen  ioar  lieblid),  bie  Sufi  erfrifdjenb 
unb  bie  borgen] omte  blidte  freuttblid)  auf  bie  beibeu 
fdjönert,  jungen  ©eftalten,  bie  rafd)  querfelbein  ritten, 
l)inau§  in  ba§  Sengparabieä,  ba§  fo  tounberbar  oor 
ifptett  lag. 

0b  fie  fid)  rooljl  $eibe  beffett  freuten,  ioie  fie  fo 
luftig  ba^infprengten?  £)ie  $)ame  getoi|;  bie  rafdjc 
23eioegung,  bie  frifdje  Morgenluft  fjattc  ben  bleichen 
gügen  einen  9lofenfd)immer  mitgeteilt,  ber  iljnen  feljr 
gut  ftanb.  ©ie  faf)  frifd)  uttb  anmutig  au§,  bie 
(Gräfin  Sabtoiga.  Unb  fo  Reiter,  fo  glitdlid)!  Weniger 
Reiter  unb  glüdlidj  fdjien  ifjr  ^Begleiter.  ©in  blonber, 
junger  Mann,  $aron  ©tar£fp,  an  ©eftalt  ein  SRiefc, 
an  |)erg  unb  ©emitt  ein  $inb;  and)  an  SSerftanb/ 
meinten  böfe  ,3un9en-  ©r  blidte  red)t  betrübt  brein: 
er  liebte  bie  (Gräfin  fo  Ijeift,  fo  itnfdjulbig,  mit  ber 
©lut  erfter  Siebe,  fagte  er  felber,  meun  er  ber  „Siebe" 
gur  Keinen,  f)itbfd)en  grangöfin  oergafj,  ber  $ofe  feiner 
Mutter.  SXber  ba§  toar  fdjon  lange  f)er,  öoEe  fecb§ 
SSodjen.  ©r  toar  feljr  reid),  feine  ©üter  grenzten  an 
bie  ber  ©räfitt,  er  liebte  fie  iiberbieä.  &ie£  5lEe§ 
I)atte  er  iljr  Ijeute  Morgend  beim  ©pagierritt  fagen 
ftoEen,  unb  ob  fie  nid)t  Baronin  ©targfp  Herbert 
tooEe?  toar  2lEe£  vereitelt.  2Ser  formte  audj 

bei  foldj'  rafenbem  £empo  eine  Siebet  erKärung  madjen? 

©nblid),  enblid;  gab  bie  ©räfin  baS  „öerritdie 
©aloppieren"  auf,  ioie  ber  23aron  leife  meinte,  aber  nur 
feljr  leife.  ®ie  fHoffe  gingen  oerfdjnaufenb  unb  im  ©djritt 
auf  ber  §eerftra^e  gum  ©täbtdjen.  5lber  feltfam,  baS 
$ergKopfen,  baS  ©tarSfp  oorljin  ber  raffen  Sßetoegung 


23? 


gugefdjrieben  Ijatte,  moHte  nie f)t  metdjett ;  eS  mürbe  nur  immer 
[tarier.  9£uu  mar  ja  ber  2lugenblicf  ba.  5(ber  cS 
ging  nidjt  redjt,  gleid)  auf§  giel  loSgufteuern. 

Unb  er  begann  nom  SSetter  gu  fpredjen,  ber  braue, 
öerliebte,  finbifdje  fRiefe.  2öie  fdjön  ber  tjeurige  grüf)ling 
fei.  (Sr  Uimmerte  fidj  fonft  nidjt  öiel  um  Blumen,  je£t 
mufjte  er  SSunberbiuge  baüon  gu  ergäben.  5lber  in 
immer  größeren  Raufen.  Unb  er  fal)  mit  ©Freden 
ben  Moment,  mo  er  gan^lid)  merbe  fdjmeigen  müffen. 

2Bie  eine  (Srlöfung  flattg  eS  baljer  in  fein  Dljr, 
als  bie  Gräfin  ploididj,  iljr  ^ßferb  anljaltenb,  fragte: 
„2BaS  ift  baS  bort  für  eine  feltfame,  bunfle  ©eftalt 
auf  ber  Sßiefe?"  Unb  fie  beutete  mit  ber  |janb  l)in. 

$8aron  ©tarSft)  flemmte  bienftfertig  fein  Monade 
in§  $luge.  „(Sin  Sube,  (Gräfin.  (Sr  fjält  etmaS  ©tarn 
genbeS  in  ben  §änben  —  eine  23led)büdjfe.  3®aS 
teufet  mill  er  bamit?" 

„fragen  mir  ifjn  felber."  Unb  bie  fdjöne  grau 
fprengte  über  ben  ©raben.  |jintert)er  natürlid)  ©tarSft). 
£>er  gube  machte  eine  Söemegmtg,  als  moüte  er  fließen. 
SDann  blieb  er  ftefjen  unb  ermartete  bie  üftafjenben, 
aber  mie  furdjtfam,  mit  abgemenbetern  $lntli£. 

„S$aS  tfjut  ba?"  fragte  bie  ©räfin. 

„3d)  fammle  Kräuter  für  meine  Oranten/'  er« 
miberte  ber  dftann,  leife,  in  reinem  £)eutfdj. 

„3f)t  feib  ein  5lr§t?"  fragte  fie  erftauut  meiter. 
„SDaS  ift  eine  feltfame  $ftebenbefd)äftigung  für  einen 
,£janbelSmann  ober  £almubiften,  unb  eins  ooit  beibeu 
feib  Sljr  bod)  OTe,  bie  .  . 

£)a  fiel  itjr  ©tarSftj  inS  Söort. 


238 


„Benrt  $u  nur  Kräuter  fammelft,"  fragte  er  raut), 
„marunt  bltctft  £)u  ba  ben  Seuteu  nid)t  e^rlid^  in§ 
5tuge? !  Barum  atmeft  3)u  fo  fdjmer? —  |je,  Sube?!" 

Unb  er  fafjte  it)n  üom  ^ßferbe  f)erab  feften  @riff§ 
an  ber  (Schulter.  5Iber  eine  eitergifdfje  Seftegung 
ntad)te  ben  SDtattn  frei  unb  ben  Saron  unmittfürlid) 
prüdtoeicfien.  S)er  |jut  mar  babei  üont  |jaupte  be£ 
Suben  gefallen  unb  üertjültte  nun  nid)t  mef)r  bie  freien, 
ebten  3l^9e*  „Saffert  ©ie  inid^ !"  rief  er  brotjenb. 

3)ie  (Gräfin  fjatte  rafdl)  if)r  ^ßferb  gtt>ifd)en  bie 
ftreitenben  Männer  gebrängt.  ©ie  mar  tobbteidfy,  il)r 
2ttem  flog,  bie  farbtofen  Sippen  bebten,  at£  fugten 
fie  Uergebticf)  nad)  Borten;  ber  ftarre  Sticf  bofjrte  fid) 
in  ba§  $tnttip  be§  fremben  9D?anne3.  tiefer  fd)ien  fidl) 
bedungen  gu  fjaben;  er  mar  nod)  entfeplid)  bleic^, 
aber  bie  ,3üge  tnaren  ruf)ig. 

„Bie  l)eifjt  3I)r?!"  .  .  .  Sift$u'§?!  .  .  .  Ber 
feib  3d)r?!"  ©o  rief,  nein,  fcfjrie  fie  toie  in  tätlicher 
SIngft  unb  bod)  lieber  jubehtb  .  .  . 

,,3d)  tjeifte  ^aöib  Stunt,"  ermiberte  er  tontoä.  ,,3d) 
bin  Set)rer  unb  ^ranfenpfteger  in  (£urer  ©tabt  .  .  ." 

©ie  kaufte  int  (Sattel  unb  fdt)tug  bie  |jänbe  mie 
rafenb  t>or§  5tnttii$.  „SD^ein  <5>ott,"  ödeste  fie  teife,  „äfft 
mid)  ein  böfer  £raum?!  $)a§  bift  ja  £)u,  £>u  griebridf) ! 
£)eine  ©timme!  3)eüt  5lntlip !  .  .  .  $tber  !)ier  finb  id) 
3)idf),  in  biefer  Reibung!  .  .  .  3cf)  merbe  matfnfimtig. 
griebricf)!  &U  bift  e§  bod)!  griebrid)  Jeimann?!" 

©ie  mar  Dom  Sßferbe  fjerabgegtitten,  fie  trat  auf 
it)n  gu,  fie  faftte  feine  |jänbe.  ©taräft)  btidte  mit 
mirbetnben  ©innen  auf  bie  ©eene. 


£)amb  ber  Sodjer  rang  einen  garten  ®antpf.  ©r 
inenbete  ftd^  gurn  ©eben,  er  tnoUte  {preßen,  er  tonnte 
e§  nid^t.  Unb  enblicf)  jagte  er  gepreßt  unb  leife : 
„griebrid)  üietmann  ift  tot  —  feit  langen,  langen 
Qaljren  fdjon.  3d)  bin  &at)ib  Slum,  berSfrunfenpfleger." 

Sie  fenfjte  tief  auf.  Sic  rang  nadf  2ltem.  „3dj 
öerfte^e  $>id):  griebridj  ift  tot.  $ber  ®aöib  Sinnt 
lebt,  unb  i^m  muft  idj  fagen,  ioa§  idj  griebridj  nicf)t 
mehr  fagen  fann  .  .  .  3dj  ^abe  ®icf>  gefnc^t,  lange, 
lange  —  unb  überall.  |jier  habe  idj  ‘SÜdj  gefunben. 
$>u  mufjt  midj  ^ören !" 

„©§  toäre  nun  nu|$Io§,  grau  ©räfin!"  jagte  er 
leife,  aber  feft.  „griebridj  bot  3bnen  vergeben,  längft, 
au§  üoder  Seele  .  .  ."  Unb  ein  jdjmerzlidjeS  ©nts 
fagen  gudte  über  ba§  ^Intlilj  be§  3D?anne£. 

„©§  ift  nidjt  nu^lo^!"  flebte  fie.  „Unb  ioenn  auch 
für  S)icb,  fo  bodj  nimnter  für  mich)  I  3dj  bitte  um  bie 
©nabe:  böre  midj,  nur  einmal,  nur  eine  Stunbelang. 
^omm’  i)tut>  üftadjmittag  ju  mir  auf  3  Sdjlofj  •  . 

©r  f Rüttelte  mit  traurigem  Sädjeln  ba§  £aupt. 
„Sag*  nic^t  nein !"  fuhr  fie  fort.  „^u  bift  ein  3ube. 
©in  3ube  tt>ar%  ber  ba§  SBort  fpradj:  ,Seib  barmherzig 
gegen  bie  Sdjtoadjen!4  3d)  flebe  um  ÜJUtlcib.  $)u  toirft 
fommen...  um©otte3,  um  ber  einftigen feiten  finden . .  / 
„Sdj  ioerbe  fommen,"  fagte  er  nach  furger  ^aufe. 
©attn  fcbritt  er  nach  ftummem  ©ruße  ber  (Stabt  §u. 

$)ie  ©räfin  atmete  tief  auf,  fie  fuhr  ficb  über  bie  klugen, 
alä  ertoadje  fie  au§  fdjmerem  £raum,  unb  toenbete  ficb 
Star§fy,  ber  ibr  mit  bem  tiefften,  fierfteinerten  ©rftaunen 
in  ben  .gügett  entgegenfam.  Sie  beftiegen  bieißferbe  unb 


ritten  fd)tt>eigeub  ltad)  (5d)lofi  $3arnott>  guriid.  33or  bcm 
£f)ore  nerabfd)iebete  fie  fiel)  mit  ftummcm  Stopfneigen. 

(Sr  aber  ritt  nad)  bem  benadjbarten,  näterlidjen 
(Sbelljofe,  n>iber  feine  ®etooljnl)eit  in  tiefen  ®ebanfett. 
&ie  (Gräfin  3abttigato:tpnffa  unb  $)anib  ber  $8ocf)er  . . . 
ifjm  wirbelte  ba§  |jirn  .  .  .  Unb  biefer  grau  §atte 
er  feine  «ganb  antragen  ttioden!  Unb  fie  tjätte  fie 
niedeicfjt  angenommen  —  nielleidjt?  —  ungtoeifek 
l)aft,  gett)i§ !  —  0  entfe|lidj! 

$)ie  totalen  be£  $aufe§  ^erer  non  ©tarSfp 
Ratten  bieämal  ein  bisher  unerhörtes  (SreigniS  gu  ner= 
geidfjnen:  ein  @proffe  biefeS  eblen  |jaufe£  f)atte  fchledjt 
gu  Mittag  gefpeift  unb  blieb  ben  Nachmittag  lang  in 
tiefen  ©ebanfen!  .  .  . 

* 

&er  *ßarf  nott  93arnott>.  (Sin  grünenbeS,  blühen' 
beS,  fnofpenbeS  ($ett)irre  non  SBlnmenbeeten  unb  23aunts 
gruppen,  non  SBogediebern  burdjhadt,  nott  griihlingSs 
büften  burchtoeht.  Unb  über  ad'  bem  ber  ^ede  ©lang 
ber  grühlütgSfonne. 

£)ort  ber  Ueine  ^aoidon.  $8or  ben  genftent,  in 
bie  ber  glieber  feine  Blüten  brüdt,  flimmert  ber 
blaue  SSeifyer,  eine  unbewegliche,  fdjier  enblofe  gläche. 
©chwant'e  SBeiben  fpiegeln  fidf)  barin.  Ster  $ßla£  ift 
Wie  gefchaffen  für  füfceS,  ftideS  träumen. 

tor  bie  grau,  bie  b'rin  in  ber  meinen  (Saufeufe 
ruht,  träumt  nicht  fitfs.  3hr  5luge,  ba£  büfter  unb 
ftarr  wie  in  Weite  gerneit  blidt,  fie^t  nichts  non  ad' 
ber  (Schönheit,  non  bem  ftiden  grieben  beS  Senget. 
3^r  tolifc  ift  büfter  unb  fd^mergnod,  wie  ihr  £jerg. 


241 


|)ter  fällt  bie  SO ?a§fe,  f)ter  ift  fie  nur  ba§  unglü(fli(f)e, 
fc^roergeprüfte  SSeib.  Unb  f)ier  taffen  fie  fid)  auch 
nicht  bannen,  bte  S3itber  ber  Erinnerung  .  .  . 

3)ie  Silber  ber  Erinnerung! 

3Sa§  Ruberen  wie  ein  ftide§  Eben  bod  £id)t  unb 
Elitd  in  ber  (Seele  ruht,  woran  fie  fich  fpäter  erlaben 
in  ber  @tunbe  be§  $antpfe§:  bie  Xage  ber  $inbf)eit  unb 
ber  gugenb  —  iljr  er  f  cf)  einen  fie  büfter  nnb  grauem 
haft.  $)a§  Wiifte,  traurige  Seben  auf  bem  bäterlidjen 
Eute,  ein  Sebett  bod  Sftot  unb  Entbehrung  .  .  .  $)ie 
Butter,  bie  blaffe,  ungtüdtiche  grau,  bie  ba§  Sers 
berbeu  il)re3  Eatten  fielet  unb  e£  nicht  aufjuhalten 
berntag,  bie  enblid)  bat;infiecf)t  an  gebrochenem  bergen . . . 
(Sie  ift  ber  gute  Enget  be§  §aufe§  gewefen;  nach 

ihrem  £obe  bricht  2lde£  gufammen,  5lde§!  gabibiga 
jieljt  mit  bem  Sater  auf  ba§  fleine  Eütchen,  ba§  ihm 
noch  geblieben  ift .  .  .  Sie  gebeult  ber  folgenbett  Sal)re. 
Sßie  trägt  fie  fich  fo  fehler,  bie  Siirbe  ber  berfd)ämten 
5lrmut!  0,  biet  falberer  noch  al§  ber  «junger  unb 
bie  $ätte.  Unb  ringä  nid)t§  al§  9£ot  unb  Elenb 
unb  £rofttofigfeit !  .  .  .  £)er  Sater  freilich  ha* 
gefucht  nnb  gefunben  —  in  ber  Sranntweinftafd)e. 

Unb  wenn  er  fid)  aden  Kummer  unb  ade  Erinnerung 
Weggetrunfen  hat,  bann  begreift  er  nicht,  Warum  bie  Tochter 
it)n  eroig  mit  £raurigfeit  unb  ^hränen  quält.  Unb 

er  fdjlögt  fie  blutig,  bamit  fie  heiter  Werbe  .  .  . 

Ein  biifterer,  berachtungäboder  ,gug  liegt  auf  bem 
Eefictjte  ber  Sriitenben.  Unb  Wehe  bem  SD^enfd^eu, 
ber  fo  feiner  Eltern  gebenfen  muf$! 

2fber  fie  ift  fd)ön  geworben  trofc  ber  ^hr^nen 

5t.  (5.  ^fvanjoS,  3ubeit  boit  23arnoi».  16 


242 


unb  bet  0djläge,  unb  if)r  Selb  üppig  unb  ^errtic6). 
Sebodj  fic  findet  ihrer  0d)ön^eit  unb  bem  £age,  ba 
fic  ®raf  $Ibam  gefehen,  ba  il)n  biefe  0djönheit  ent* 
flammt.  0ie  gebentt  ber  0tunbe,  ba  er  fie  bem  Sater 
um  gehntaufenb  ($ulben  abgetauft;  mie  ber  Später  if)r 
gejagt,  baj3  fie  (Gräfin  Sortpnfta  merben  müffe,  moEe 
fie  nicht,  baf3  er  noch  mit  grauem  |jaar  gum  S3ettel^ 
ftab  greife.  2$ie  ^atte  fie  gemeint  uub  gefleht,  fie 
nicht  bem  alten,  finfterrt  Staune  gu  überlaffen,  oor  bem 
e§  i^r  graute,  ben  fie  ^a^te,  öon  bem  bie  Seute  fagten, 
er  fei  ein  Färber.  0ie  f>atte  gefdjmoren,  gu  arbeiten 
unb  fei'ä  tt>ie  eine  SDfogb,  uub  iljn  nie,  nie  barbeu  gu 
laffen.  ©3  mar  öergeblid)  gemefen!  ©ine  Sßolanf  ta 
burfte  fidj  nie  gur  Wienerin  erniebrigeit.  Uub  fie  mar 
bie  Sraut  be§  (Grafen  gemorben  .  .  . 

©£  trieb  fie  öom  0i|e  empor,  fie  fdfjritt  Meid) 
unb  finfter,  mit  öerfdjräntten  Firmen,  auf  unb  nieber. 
Slber  fie  tarnen  unerbittlich,  fie  tarnen  aEe,  bie  Silber 
ber  ©r  Enterung. 

SEodj  einmal  lebte  fie  bie  Qualen  jener  geit  burdf). 
0ie  gebaute  be£  £age§,ba  man  fie  in  bie^irdje  gefdjleppt, 
ein  gefdjmüctteä  Qpfer,  ba  man  fie  gegmungen,  Süge  unb 
Sfteineib  gu  fchmören  öor  bem  Silb  ihre§  ($otte§,  ber 
i^r  bi^her  ba3  eingtge  SBaljre,  ba§  Sicht  unb  ber  £roft 
gemefen  in  ihrem  armen,  eleitben,  gertretenen  SQafein, 
unb  mie  man  ihr  fo  aud)  ($ott  gur  Süge  gemadjt. 
0ie  gebaute  ihreä  §o<hgeit§fefte£,  bei  bent  fie  guerft 
ber  entfe^lidje  (Gebaute  erfaßt,  baf3  fie  ben  nädjften 
borgen  nicht  erleben  bürfe,  fie  —  ober  ihr  ®atte. 

3)ie  Spinnten  boE  ^öEenqnal  floffen  fo  laugfam. 


-  243  — 


(Snblid),  enbtidj  burfte  fic  fid)  ergeben.  Sie  ging  tu 
if)re  ©emädjer  unb  fdjidte  bie  grauen,  bie  fie  ent* 
Ueiben  wollten,  gur  9Udje.  ©ie  fal)  fid)  mn  in  bem 
pradjtöoden,  laubigen  33ouboir,  fie  wanbte  fidj  ood 
©ntfe&eu  non  bem  fdjwedenben  Säger.'  Unb  fie  fann 
auf  Rettung  unb  $dad)e,  inbe§  er  unten  geegte  unb 
fid)  be§  fd)öneit  2Seibe3  freute,  ba§  feiner  f)arrte. 

Unb  fie  füllte  e§  ttodj  ^eute  mit  ©djauern,  wie 
fie  ptö^lid)  ruf)ig  geworben,  wie  it)r  ein  Wüfter,  teufs 
lifdier  ©ebanfe  gekommen.  ©ie  erhob  fid),  ergriff 
einen  ber  fdjweren  £eud)ter  nttb  fd)riit  mit  ber 
ftadernben  SSadjsderge  ^inan§  unb  burd)  bie  hadenbett 
©äuge  unb  ©emädjer  be£  abgelegenen  gliigelä.  ©ie 
oermieb  e£  in  bie  ©pieget  gu  flauen,  an  benen  fic 
öorüberfdfjritt.  £)emt  iljr  graute  oor  iljr  fetbft. 

©nblid)  blieb  fie  oor  einer  f)oIjen  glügelthüre  fielen. 
$>ie  ^f)üre  war  nur  eingeffinft. '  ©ie  trat  in  beit  fjofjen, 
finftern  ©aal,  ben  ^nenfaal  ber  ©rafen  SBorttjnfft. 
®ort,  Wo  bie  fRei^e  fddofj,  lernten  nodj  gwei  ©emätbe  an 
ber  SBanb,  ba§  be£  jungen  ©rafen  ^rtljur  unb  if)re3 
©atten.  ©ie  Waren  geftern  erft  au§  $ari£  angetommen; 
man  hatte  fie  im  ©ewirre  beä  |jod)geit£fefte§,  Wie  fie 
be§  5D?orgen§  gufädig  erfahren,  gu  befeftigen  oergeffen. 

©ie  ergriff  ba§  ©emätbe  be§  Verdorbenen;  e£ 
War  fdjwer,  aber  fie  füllte  e3  nicht.  ©o  belaben  !am 
fie  gurüd.  ©ie  lernte  ba3  S3ilb  an  ein  Xifdjdjen  in 
ber  SJtitte  be§  ©emadjä,  fie  ftedte  bie  ÜE3ad)§fergen  fo, 
baf$  il)r  fjedeä  £id)t  barauf  fieL 

©ie  begWang  iljr  ©rauen,  fafj  am  genfter  itieber  unb 
harrte.  (£3  waren  furchtbare  ©ebanten,  bie  fie  befdjtidjeu, 


244 


iitbeS  fic  fjorcf )te,  ob  igr  ($attc  nid^t  nafjc.  ©djon  graute 
ber  borgen,  ba  fjörte  fic  enbtidi)  feine  fdjmeren  dritte . .  . 

©ie  ergab  fid),  bleid),  gefaxt.  (Er  trat  ein,  üon 
SBein  nnb  Erwartung  erregt.  Sa  fiel  fein  23lid  auf 
baS  23ilb  feinet  Opfers.  Stt  bem  fallen  Sichte  beS 
Borgens  nnb  ber  gudenben  bergen  erfdfjien  eS,  als  trete 
ber  Sote  ans  bem  Magmen  gerbor.  (Er  micg  entfett 
guriid,  feine  fdgon  umnebelten  ©inne  bermirrten  fiel) 
.  .  .  Sßie  eine  räcgenbe  ©timme  beS  Rimmels  tönten 
igm  bie  Sßorte  feines  SSeibeS:  „gort  •  •  •  fort  mit 
Sir  .  .  .  SO^örber !  .  .  .  Sein  Opfer  ftegt  gmifegen  Sir 
nnb  mir  ..."  (Er  ftiir  gte  fort  —  in  fein  ©ernadg. 

©ie  fanf  galb  ognmädgtig  nnb  bod^  mit  qnälenb 
madgen  ©innen  auf  igren  ©i£  guriid  Unb  itadg  einer 
Spinnte  görte  fie  einen  ©dgug  brögnen  .  .  . 

Sie  junge  grau  fdgtog  bie  Gingen,  mie  um  nidgt 
noeg  einmal  baS  (Entfeglidge  gu  fegen.  ©ie  barg  igr 
$lntlip  in  bie  |jänbe.  5lber  fie  entflog  fidg  nidgt,  fie 
entflog  ignen  nidgt,  ben  Silbern  ber  (Erinnerung!  .  .  . 

Sie  fermeren  Sage  nadg  bemSobe  igreS@atten!  Sie 
Sage,  mo  fie  meinen,  mo  fie  ©egrnerg  geigen  mufjte,  inbeS 
fie  nur  ein  bumpfeS  (trauen  füllte,  ©iemugte  fort,  eS  trieb 
fie  ans  bem  ©cgloffe.  Unb  fie  ging  fort.  Sn  tanger,  glätte 
genber  SReige  gogen  an  igr  bie  Sage  borüber,  mo  fie  als 
Königin  in  ben  eleganten  (EercleS  bon  SßariS  geglängt.  ©ie 
fcJ)ien  fo  gliidlidg,  fie  lächelte  fo  füg,  fie  fdjleuberte  ben 
©pielbaH  ber  ®onberf  ation  f  o  gemanbt  gin  nnb  ger,  fie  fuegte 
gn  bergeffen.  $lber  fie  bergag  nidgt;  fie  mar  nic^t  gliidtid). 
©ie  füllte  oft  eine  entfegtidge  £eere  in  igrem  §ergen.  Unb 
bie  lieg  fiel)  nidgt  bannen  in  jener  gtöngenbeu  ©djeinmett. 


245 


3)a  trat  bi e  SSerfudjung  an  fie  ^erait  .  .  .  (Sin 
blonber,  blaff  er,  einfältiger  Regent.  ®er  gludj  feinet 
£anbe3;  ber  ioürbige  ©pröf3ting  eine£  Ijalb  blöben  S$ater§ 
unb  einer  lafter^aften  SJhttter.  23ah !  ©ie  ftie§  it)n  öon 
fiel),  nrie  ein  unreine^  ®ett>ürme.  $lber  Rimbert  2lnbere 
lagen  if)r  gu  gilben,  nidjt  nur  fd^öne  unb  reiche,  aucf) 
gute  unb  maljre  Männer.  $tber  fie  liebte  üftiemanb. 
S)a  fcfjlug  aud)  i^re  ©tunbe.  Sn  23abem23aben  ioar’g  . . . 

(Sr  hatte  bie§  ftolge^eifte,  nngeftüme§erg  unterjocht, 
ber  befcheibene,  beutfdje  5lr§t,  ber  £eibar§t  be§  giirften 
©ugatfdjeff,  Dr.  $riebrid)  Jeimann,  ©ie  liebte  ihn,  ttne 
er  fie  liebte.  $lber  and)  ihn  hatte  fie  oerloren  —  bnrdj 
eigene  ©djulb,  flüfterte  anflagenb  ihr  $erg.  £)ie  ©djulb 
lieft  fid)  nicht  gut  machen.  (Sr  ioar  nad)  einer  unfeligen 
^ataftro^eplö^lidf)  öerfd)ttmnbenunbblieb  öerfd)tounben. 
©ie  fudf)te  if)n,  fie  fattb  i^n  nimmer.  Unb  fie  lächelte, 
fpöttelte  unb  I^errfdjte  Leiter  in  ihrem  Greife.  5tber  ihr 
|)erg,  ba§  bi§^er  nur  teer  unb  nnbefriebigt  getoefen, 
trug  nun  auch  tief  verborgen  ben  ©tadfjel  ber  S^eue. 

©ie  ertrug  e§  lange,  bann  toarb  e£  ihr  ber  Dual 
$u  öiel.  ©ie  lehrte  in  ihre  §eimat  guriid,  um  ba  $u 
oergeffen,  ober  hoch  toenigften§,  um  toeinen  gu  fönnen, 
unb  nid^t  etoig,  einig  ba§  Säbeln  be£  ®tüd£  gur  ©cftau 
tragen  müffen.  $>a  ^atte  fie  auch  ben  ÜDtamt  ge' 
funben,  ben  fie  gefudjt.  freilich  in  einer  ®eftalt,  bie 
fie  nicht  begriff.  5lber  ma§  fümmerte  e§  fie,  ioer  burftc 
it)r  befehlen,  inen  fie  lieben  folle,  inen  fie  gu  ihrem 
^ernt  unb  (5)ema^l  machen  bürfe? !  ...  0!  fie  wollte 
gut  machen,  tt>a§  fie  gefehlt;  fie  reoEte  gtüdticf)  fein, 
mit  bem  beliebten  unb  burch  ben  ©eliebteu  .  .  . 


246 


Utib  gum  erften  9ftale  in  ben  langen  ©tunben, 
bie  fie  heute  einfam  ^erbracht,  lächelte  fie,  unb  eS  mar 
fein  trauriges  Säbeln,  eS  mar  ein  Säcfjeln  ber  Hoff¬ 
nung  unb  ber  Siebe  .  .  . 

* 

©elbft  in  baS  fdjinufcige,  biiftere  Sabtjrintf)  ber 
Subenftabt  brang  heute  ein  £jaud)  beS  grühlingS.  $Die 
©efunben  oergaßen  ihre  ©argen,  bie  Traufen  fc^öpften 
neue  Hoffnung  in  bem  marnten,  gellen  ©onnenlid/e. 
2)at>ib  ber  SSodjer  fanb  fie  heute  faft  alle  beffer  unb 
Reiferer.  Unb  er  fprad)  audh  ^eute  mit  jebem  aou 
ihnen  oiet  länger,  gütiger  unb  ausführlicher,  als  fonft 
felbft  feine  5lrt  mar,  unb  jebem  einzeln  oerfprad)  er 
faft  feierlich,  baß  er  morgen  mieber  fommen  mode. 

$>ann  ging  er  anfS  ©d)loß.  3)ie  grau  Gräfin 
ermarte  ihn  im  Sßaüidoit  im  (harten,  fagte  ber  bidc 
portier  am  Eingang,  (£r  ging  bal)iu  unb  trat  ins 
($emad),  in  ben  ruhigen  3ügen  ben  ißm  eigenen,  milbeu 
©ruft,  ©ie  eilte  ihm  erregt  entgegen,  fie  faßte  feine 
|janb.  „SDanf !  griebrid) !  SDanf,  baß  3)u  gefommen  bift. 
Sch  habe  mich  fo  lange  banacß  gefehnt  unb  baranf 
gehofft.  Üftun  fann  OTeS,  MeS  mieber  gut  merben." 
©ie  hielt  iune,  als  ermarte  fie  feine  §lnrebe. 

„Sch  bin  gefommen/  fagte  er  eruft  unb  ruhig, 
„meil  ©ie  eS  gemodt  haben,  grau  (Gräfin.  Unb  ba 
nnS  baS  Seben  noch  einmal  fo  fonberbar  gufammen* 
geführt  hat,  fo  bin  id)  Sßuen  mohl  and)  eine  (Srflärnng 
fdjulbig,  maS  mein  ($emanb  betrifft  unb  mein  bisheriges 
Seben.  ©ie  haben  ein  stecht  baranf  .  .  ." 

Shr  $luge  hatte  fidt)  mit  £hräueu  gefiidt,  als  er 


247 


fo  falt  unb  emft  fpracf).  „SRicfjt  fo,  griebridj!  Su 
bift  graufam.  Su  gürnft  mir,  gürnft  mir  mit  $Red}t. 
2lber  id)  l)abe  entfe^lid)  gelitten,  feit  bem  Sage,  mo 
icf)  jene  unfeligen  feilen  fdfyrieb  .  .  .  Unb  um  meiner 
Sfteue,  um  meiner  Qualen  ttiden  —  üergieb  mir!  23licf 
nidjt  fo  ernft,  fo  ftrafenb." 

,,3c£)  fjabe  Sitten  längft  vergeben,"  fagte  er  milber. 
,,3d)  fagte  e£  3l)nen  fdjon.  2lber  0ie  beginnen  Um 
möglich,  toenn  0ie  bie  Soten  mecfen,  toemt  0ie 
Momente  au£  nuferem  £eben  ftreidjen  toodert,  bie  um 
oergeftlidj  finb,  eben  toeil  fie  einmal  bagetoefen  finb,  meil 
man  fie  nidfjt  üergeffen  fann.  3dj)  f  ernte  unb  oerftefje 
bie  Qualen  S^eg  $er gettg,"  fufjr  er  fort  unb  feine 
(Stimme  bebte,  „idj  oerftefje  fie,  toeil  icf)  fie  an  meinen 
0d)mergen  meffen  fann.  Unb  um  (Sie  oor  neuem  SBe^e 
gu  betoaljren,  öor  Hoffnungen,  bie  fid^  nie  erfüllen  fönnen, 
ebenbarnm  bitte  idj0ie,micf)  anguIjören,obtoofjl0iemicf) 
gebeten  fjaben,  obtooljl  icfj  gefommen  bin,  gu  f)ören .  .  ." 

0ie  lieft  bie  5lrme,  bie  fie  im  beginn  feiner  dtebe  toie 
abme^renb  erhoben  fjatte,  fd)laff  nieberfinfeit  unb  feufgte 
tief  auf.  (Sr  ttaf)m  ben  bargebotenen  0ift  unb  begann: 

,,3cf)  bin  im  0täbtcf)en  unten  geboren,  ber  0of)n 
beg  öerftorbenen  Sftabbi.  Sie  Seute  bort  f)aben  mir 
ttacf)  bem  Sobe  meinet  $aterg  in  iljrer  5lrt  oiel  ®uteg 
erliefen,  obtoofjl  icf)  eg  bamalg  unbanfbar  oerfannte. 
ÜRadj  bem  Sobe  meiner  SCRutter  gog  icf)  fort.  3dl)  ers 
innere  mid)  nocfi  lebhaft  beg  büfteren,  feucfjten  §erbf U 
morgend,  ba  icf)  auggog.  ©efb  Ijatte  icf)  nicf )t,  aber 
meine  ®  laubenggenoffen  finb  milbe  unb  barmfjergig 
gegen  bie  Firmen,  3d)  burcfjftreifte  ®aligien  unb  ^ßoleu 


248 


uub  blieb  f)xt  mtb  ba  als  ©d)üler  bei  einem  Ülabbi. 
5Iber  feiner  genügte  mir;  xd)  30g  meiter.  @0  fam 
icf)  nach  SBilna.  $)ort  lehrte  Diabbi  Sftaphtali,  ber 
berühmte  $abbalift.  3df)  lernte  bie  Kabbala  feinten, 
biefe  feltfame,  tieffinnige,  unheimliche  SSeiSf) eitSs  unb 
(Glaubenslehre  uttfereS  SBolfeS.  3dj  toarf  mich  mit 
glühenbem  CSifer  auf  ihr  ©tubium.  $)aS  mar  mein 
Unglücf,  menn  ©ie  eS  fo  nennen  mollen.  Sch  machte 
jene  $eit  burcf),  bie  jebem  benfenben  Süngling  nidht 
erfpart  bleibt,  bie  0  ihm  ber  (Glaube  gurßüge 

mirb,  mo  er  fühn  uub  oermeffen  baS  Unfaftbare  er* 
f affen  miß.  9ttein  Söiffen  erfdjiett  mir  befchränft  unb 
fleinlich.  3dft  ftrebte  nach  jäherem.  $>aS  SSolf  ber 
dichter  unb  Genfer,  baS  beutfche  SBolf,  30g  mich  mäch¬ 
tig  an  unb  $>eutfd)lanb  marb  meine  ©ehnfucf)t.  SnbeS 
xd)  unabläffig  feine  ©prache  ftubierte,  ermarb  ich  mir 
burdh  Sehrftunben,  burdh  ©pciren  uub  (Geleit  bie  nötigen 
Mittel.  (Snblich  fonnte  ich  reifen.  £)er  Zufall  mar  mir 
günftig.  2luf  ber  Steife,  in  einem  flehten,  lithauifdhen 
(Grensftäbtdhen,  lernte  ich  ben  greifen  gürften  ©ugat? 
fcheff  fennen.  £)er  $D?ann  mar  Dom  edjteften  5lbel:  ein 
ebler  ülftenfch  —  ber  $ater  beS  dürften  5llejiuS,  ben  ©ie 
in  23abend8abett  fennen  gelernt  haben,  grau  (Gräfin/ 
,,Sd)  erimtere  mich,"  fagte  fie  leife. 

„®er  junge  potuifche  3ube,"  fuf)r  er  fort,  „ber 
Seffittg  fanute  unb  für  ©dhiEer  fdjmärmte,  ermedtc 
feine  Teilnahme.  (Sr  nahm  fid)  meiner  an,  er  lieft 
mid)  ftubieren.  $)ie  SSelt  ber  eilten  erfdhloft  fidh  mir, 
—  in  iftrem  öielheiteren,  bunten  (Gemimmel,  aber  and) 
itt  ihrem  prüfte  unb  in  iftrer  £iefe.  $)och  mein  ©ebnen, 


249 


mein  gorfdjeit  erfüllte  fie  nidjt.  $5cutu  würben  bie 
Sfoturmiffenfcijaften  mein  «gjauptftubium  itnb  immer 
ftärfer  regte  fidj  in  mir  ber  £rieb  nadj  praftifdjer 
£fjätigfeit.  $)aS  geuer  beS  3ünglingS  mar  allmäßlidj 
gebämpft;  ben  Sdfjleier  ber  3fi§  aufgußeben,  baS  SSefen 
beS  Sefteßenben  gu  erforfdßen,  ßatte  id)  aufgegeben. 
3dj  mürbe  2lrgt  —  nnb  jeßt  barf  icß'S  ja  fagen,  ein 
oiel  begehrter,  moßl  aueß  gefdjidter  2lrgt.  deinen 
tarnen  ßatte  id)  geönbert,  3)aoib  Slum  ßätte  manchen 
nußlofen  $ampf  gu  fämpfen,  mandje  ßerbe  $räufung 
gu  erbnlben  gehabt,  bie  griebrieß  Dteimann  erfpart 
blieben,  deinen  (Glauben  mecßfelte  icß  nid)t;  menit 
Sie  moüen  —  aus  (Semoßnßeit,  benn  bamalS  mar 
mir  bie  eine  gorm  ber  Religion  fo  bebeutungSloS  mie 
bie  anbere.  9Jteine  *ßra£iS  mud)S,  icß  marb  einerber 
erften  $rgte  in  ber  norbbeutfeßen  |jafenftabt,  mo  id)  mid) 
angefiebelt  l)atte.  &a  ertranfte  ber  greife  giirftSugatfcßeff 
nnb  berief  rnidß  nad)  $ariS  an  fein  Säger.  (£S  mar 
fein  Sterbelager.  Sor  feinem  $£obe  ßatte  er  mid)  ans 
gefleht,  ein  treuer  greunb  feines  jungen  SoßneS  gu 
fein,  ißn  als  fein  2lrgt  fo  lange  gu  begleiten,  bis  idj 
glaubte,  baß  er  bem  üerfüßrerifeßen  Treiben  ber  großen 
SBelt  felbftänbig  merbe  entgegentreten  fönnen.  Sdj 
leiftete  ißnt  baS  Serfprecßen,  baS  meine  eben  gegrüubete 
SebenSftedung  öernicßtete,aber  er  mar  ber  einzige  Sfteufd), 
ber  mir  im  Seben  moßlgetßan,  ben  icß  bis  baßiit 
näcf)ft  meiner  Butter  geliebt  ßatte.  Sftacß  feinem  £obe  marb 
mir  erft  bie  gange  $einlid)feit  meiner  Stellung  Har. 
gürft  ^HejiuS  mar  ein  leießtfinniger,  fritß  oerberbter 
JJcenfcß.  3dj  t^at  meine  ^fließt  ol)ue  9iüdfid)t  auf  feine 


250 


Siebe;  feine  §lcf)tung  muhte  id)  mir  gu  ergmingen.  <£§ 
toaren  forgenooHe  Dage  nnb  (Sin£  nur  ftärfte  mid):  baä 
Vemuhtfein  erfüllter  $ßflid)t.  Da  tarnen  mir  nadj  Vaben* 
Vaben,  ba  lernte  id)  ©ie  femten,  grau  (Gräfin!  .  .  " 
©ie  hatte  ihm  bisher  mit  gef enttem Raupte  gugeljört. 
9hm  erhob  fie  ifjre  klugen  unb  lieh  fie  auf  feinem  $lntli& 
haften,  al§  ermarte  fie  non  feinen  ^Sorten  Seben  ober 
Dob.  Unb  er  fufjr  fort,  marni  unb  bemegt: 

,,3d)  ^abe  ©ie  geliebt,  mit  gangem  |jergen  unb 
au§  ooller  (Seele;  bah  aud)  ©ie  mid)  geliebt  haben,  meih 
id).  Unb  meun  e§  S^nen  ^eute  gum  Drofte  ift,  fo 
fann  ich  3ljnen  fagen,  bah  id)  nie  baran  gegmeifelt  I;abe, 
nie,  felbft  in  jenem  Momente  nicht,  mo  ©ie  mir  bie 
tieffte  Sßunbe  fd)lugen.  5lber  ©inS  bin  id)  üers 
pflichtet,  S^nen  gu  fagen:  marum  i<^  Serien  nicf)t  fcf;on 
bamalg  ergäbt  habe,  ma3  ©ie  heute  öerneljmeu.  3dj  tljat 
e£  nid)t,  nicht  etma  au§  falfdjer  ©djum  über  meine 
Vergangenheit,  idj  tl)at  e§  nid)t,  meil  id)  einfach  nid^t 
baran  badjte.  ©ie  maren  meine  erfte  Siebe,  unb  mein 
§erg,  ba§  nun  feine  Vulje  gefunben  hat,  biefeä  einft  ruf^ 
lofe,  oielgequälte  §erg  mirb  Sfynen  emig  banfen  für 
jene  furge  3eit  be§  ©lücf§.  Die  erfte  Siebe  aber  meih 
nidjtg  oon  ber  Vergangenheit  unb  benft  nicht  an  bie 
gufunft.  Der  beutfdje  Dieter  hat  9tedjt:  ,Die  erfte 
Siebe  meih  noch  nicht,  bah  fie  fterben  muh,  toie  ^aS 
SHnb  nichts  meih  üon  bem  Dobe,  ben  e§  oft  um  fid) 
fieht.‘  Unb  im  Vemuhtfein  biefer  meiner  Siebe  ahnte 
id)  nicht,  bah  e§  3hre  Siebe  ünbern  tonnte,  meun  ©ie 
erführen,  eine  Subenmutter  hübe  mid)  geboren  unb  id) 
fei  ein  armer  Dalmubift  gemefen.  Siebte  ja  audj  ich 


251 


nicht  bie  Gräfin  Sabwiga  Vortpnfla,  mir  ©ie,  ©ie 
allein  —  ein  eble£,  ftarle£  £jerg,  ba3  bem  meinen 
entgegenfcfitug.  (Sine  anber£  geartete  Siebe  tönnte  id) 
Wohl  and)  nid)t  empfunben  ^aben,  ic h,  ben  ba§  Seben 
ernft  nnb  ftolg  gemacht  hatte.  Unb  bah  id)  mid)  in  biefer 
Überzeugung  tauf d)te,  bah  ©ie  fich  nicht  gu  einem 
gleich)  freien  (Gefühle  aufgufd)Wingcn  oermochten,  ba3 
fteHt  fid^  für  ewig  gwifdjen  ©ie  unb  mid),  ba§  trennt 
un£  für  immer  —  ba£  allein!  ..." 

„Sdj  ^abe  mir  biefe  Übergebung, "  fuf)r  er  fort, 
unb  feine  ©timme  Hang  wieber  llar  unb  ooll,  „nic^t 
er  ft  in  ben  langen  Safjren  feit  unferer  Trennung 
errungen;  fie  burdjgudte  mich  fdjon  flar  unb  furcht* 
bar  fä)merglidj,  al§  id)  in  jener  bunllen  ©tunbe  bie 
Wenigen  flüchtigen  geilen  la£,  bie  ©ie  mir  fdjrieben: 
,2Senn  ©ie  wirtlich  ein  Sube  finb,  wenn  ba£  ®erüdjt 
red)t  ergäbt  oon  8hrer  feltfamen  Vergangenheit,  fo  finb 
Wir  gefdjieben/  Unb  weil  ich  bamal£  fchon  erfannte, 
bah  ber  Vrud)  unheilbar  fei,  barum  hobelte  ich  nicht. 
Wie  oiedeidjt  ein  anberer  an  meiner  ©teile  gef)anbelt 
hätte,  ich  fudjte  nicht  gu  retten,  Wa§  noch  itt  Sh^em 
bergen  an  Siebe  für  mich  gu  retten  war  —  id)  ging. 

Sch  ging.  9?ad)  granleid),  nach  ©nglanb,  oon 
ba  nadh  $lmerita.  $lber  id)  l)atte  weinen  ©chmerg  nur 
über  ba£  Weltmeer  getragen.  (Sr  heilte  langfam  unb  id) 
fämpfte  oiel,  bi£  id)  ber  Siebe  gu  3hnen  nur  nodj 
leifer  2M)mut  gu  beulen  üermo(hte.  ®emt  ©ie  waren 
meinem  Seben  ba§  ©onnenlidjt  unb  ber  grühling. 
Unb  a(3  ber  (Glaube  an  ©ie  in  mir  guf  am  menbrach, 
ba  fchieu  e£  mir,  at£  mühte  in  mir  2Ule£  brechen  unb 


lügen  unb  fallen.  2lber  idl)  übermanb.  Unb  in  jenen 
©tunben  be§  Ijerbften  ©eelenfampfe§  Ijabe  icf)  and) 
mein  Seben  ben  Traufen  gemibmet  nnb  ben  ©lenben. 
&enn  idl)  mar  im  3nnem  ein  Anbeter  geworben. 
|jatte  id^  früher  nur  um  meiner  felbft,  um  ber  $Bes 
friebigung  meinet  ©tolge§  mitten  nadj  ben  ^rüdjten 
ber  (Srfenntniä  getrautet,  fjatte  idj  früher  einzig 
um  beffenttpiUen  nad^  bem  Quell  be§  SSiffenä  gebürftet, 
um,  burcf)  bie  Sabe  geftärft,  öor  ber  Sßelt  ftarf  unb 
unbeugfam  bagufteljen,  fo  füllte  id)  nun  ba3  23ebürfni§, 
Ruberen  gu  nüjjen,  5tnbere  gu  ergeben  unb  gu  ftärfen. 
Unb  lieber  anbererfeit§  mar  idj  fo  mübe,  fo  eittfefcs 
liclj  mübe.  Sd)  bin  au§  jenem  |jotge,  ba£  fidj  bem 
SDrnde  nidjt  beugt,  fonbem  barunter  bridjt.  märe 
nu|lo§,  menn  idl)  bagegen  anfämpfen  mürbe,  meine  Statur 
ift  fo.  ©o  mie§  rnief)  benn  bie§  5ltte§  auf  bie  «£jeimat. 
Unb  icf)  !am  mieber  in  bie  SO^itte  jener  Sttenfdjen,  bie 
mir  in  meiner  ^inbfjeit  Diel  Siebe  ermiefen,  unb  gu 
ben  ®rab!)ügeln  meiner  Eltern  .  .  .  3cf)  teerte  guriid: 
gum  (Glauben  an  einen  @$ott  ber  Siebe  unb  be§  (Sr* 
barmend  unb  oerelfyre  iljn,  ber  Men  berfelbe  ift,  in 
jener  gorm,  bie  mir  gemof)nt  unb  oertraut  ift.  (S& 
mar  nidjt  Sfteue,  bie  bie£  bemirfte,  benn  icf)  bin  fein 
©ünber  gemefen.  mar  niefjt  ber  2$unfd),  bie  (55ott- 
f)eit  rnöglicf)ermeife  gu  oerföf)nen,  benn  id)  fjoffe  unb 
münfcf)e  nid)t3  mefjr.  mar  ein  unau§fprecf)licfy 
tiefet,  ein  unauäfpredjlid)  banget  ©eljnen  nad)  einem 
feften  §alt  in  ad'  ber  !ftad)t  unb  Sftot  unb  Sßirr* 
ni§  .  .  .  Scf)  lernte  mein  arme§,  oerad)tete£,  ger^ 
treteneä  $8olf  mieber  lieben,  unb  um  gang  (Siner  ber 


(Seinen  gu  fein,  legte  idj  and)  feine  Äletbung  an.  3'd) 
bin  fein  berühmter  dftamt  geworben,  ein  armer,  fd^iid^ter 
$ranfenpfleger,  aber  mancher  SJienfd  unten,  3ube  nnb 
ßfjrift,  gebenft  woljl  aud  meiner,  inenbet  er  fidj  gu 
feinem  ($otte.  3d  §ätte  öieüeid^t  braunen  im  (betriebe 
be§  SebenS  berühmt  unb  reid^  inerben  fönnen,  aber 
fdjmergloS  bin  id  ljier,in  meinem  bumpfen  ©tübden.  Unb 
nun  frage  id  aud)  nid)t  ntef)r,  was  id)  einft  in  gorn  nnb 
©dnterg  fjabe  oft  fragen  müffen:  inarum  eS  fo  gefommen 
ift,  inarum  gerabe  mir  fo  unenblid)  nie!  be£  ©dntergeS 
unb  Kampfes  bef Rieben  geinefen  ift.  diun  bin  id  ruf)ig 
unb  barum  glüdlid*.  id  Ijabe  entfagt!  .  . 

(Sr  fdjinieg.  $)raufjen  inarf  bie  dlbenbfomte  ifjren 
©d^immer  über  bett  döeifjer  unb  bie  33littenbäume,  unb 
fie  rufjte  aud  in ie  üerflärenb  auf  bem  ftiüen,  bleichen 
dlntlij*  be£  ©prederS. 

,,^)a^  ©ie  bie  23efi|erin  meinet  ©eburt^ftäbtdf>en§ 
feien,"  fo  fdloft  er  nad  furger  Sßaufe,  „erfuhr  id  erft, 
als  ©ie  oor  inenigen  Sßodfien  l)ier  anfamen.  3d 
Wünfdte  fein  2Bieberfel)en,um  S^etiniden.  3f)tten  nutzte 
eS  ©d)merg  unb  diene  erneuen.  $)enn  aud  ©ie  fjabeu 
mid  geliebt,  inenn  aud)  mit  anberer  Siebe." 

(Sr  fd)ioieg  abermals,  ©ie  antwortete  nidtS;  fie 
fdjludjgte  nur  leife,  tief  auf,  ioie  aus  gebrodenem  «gerben. 
(Sr  erljob  fid,  um  gu  geljen.  3)a  trat  fie  nod  einmal  au 
ifjn  fjeran.  ©ie  War  entfe^lid  bleid;  auS  ben  Weit  geöff^ 
rieten,  faft  ftarr  blidenben  dingen  rollten  fdwere  £f)ränen. 
,,©o  Wäre  benn  dlKeS  auS,"  fdludäte  fie  faft  unljörs 
bar,  „dWeS  . . .  id  ^abe  £)id)  gefunben,  um  £)id  öuf  ewig 
gu nerlteren.  griebrid)! .  .  .  eS  wirb  mein  £ob  fein!  . . 


254 


(Sr  blicfte  üoH  tiefer  fftüfjrung  auf  bie  gebrodene 
©eftalt  ber  SBeinenben.  ,,5lud) ,  ©ie  werben  ruhiger 
Werben/'  fpradj  er  fanft.  „Unb  bann  audf)  glüdlidjer. 
$)amt  werben  ©ie  erfettnen,  bafj  id)  nid)t  anberä  gu 
fjanbeln  öermodjte!" 

©ie  feufgte  tief  auf.  „Sdj  büfje  Ijart,"  jagte  fie 
mit  gudenben  Sippen,  „gür  einen  9lugenblicf  ber 
©djwäcfje  mit  einem  langen  Sebeit  öoH  ©lenb!  $lber 
©in§  will  iä)  nidfjt:  ba|  $>u  mid)  üerad)teft.  *£)aj3  idj 
jene  feilen  fc^rieb,  war  ba»  Söerf  eine3  ©lenben,  ber 
ba§  Vorurteil  gu  nü|en  Wujde,  ba§  in  meinem  SSolfe 
gegen  ba£  $)eine  lebt,  ba§  man  audj  in  mir  feit  frübjefter 
SÜnbljeit  grofjgegogen  f)at.w 

,,3d£)  badjte  baratt,"  unterbrach  er  fie  milbe.  „3dj 
habe  jene£  Vorurteil  ferner  gefüllt.  3d)  öergief)  3hnen 
barum  um  fo  leidster.  5lber  wer  war  jener  Menfd)?!" 
„giirft  Sllejiuä  ©ugatfdjeff/  erwiberte  fie  finfter. 
„Sllfo  bodj!"  rief  er  üerachtunggtwll.  5lber  er  be^ 
gwang  fiel).  „3dj  baitfc  3hnen  für  biefe  Mitteilung," 
fprad)  er.  „©ie  mad)t  e§  mir  leichter,  baran  gu  benfeu, 
bafs  ich  mein  $8erfpred)en  gegen  ben  alten  dürften  nicht 
gang  gehalten  ^abe  .  .  ." 

©3  warb  bunfler  im  ©emacl),  bie  ©onne  war 
gefunfen.  „Seben  ©ie  wohl,  Sabwiga,"  jagte  er  leife. 
„Seben  ©ie  glücflid)!"  ©r  fa^te  warm  ihre  falte 
|janb,  an  ber  bie  ^ulfe  fieberten.  „Unb  benfen  ©ie 
baran,  baf3  wir  mt3  einft  Wieberfeljen." 

©ie  üermochte  nichts  gn  erwibern.  ©ie  ftanb  in 
ber  Mitte  be£  ©emadjä  unb  horchte  feinen  üer^aEenben 
©cl)ritten.  $)ann  ftürgte  fie  gebrodjen  gnfammen  .  .  , 


255 


$>er  nächfte&ag  fanb  Baron  ©tar§fty,wie  ber  t>ortgc/ 
fchwer  betrübt  unb  in  tiefen  (gehanten,  ©räfin  Sabwiga 
War  üüiorgenä  mit  bem  grüheften  abgereift.  Niemanb 
Wufjte  wohin.  Unb  er  hätte  fie,  troig  ber  geftrigen  ©eene 
mit  bem  „lumpigen  Suben",  öielleicht  —  bod}  geheiratet. 

£)er$Nann  feinet  30rrte^  aber  ftreidjelteinbemfelben 
Momente  liebeüoU  ba£  £'nabenhaupt  be§  (Srgä^ter^  biefer 
©efchidjte  unb  tröftete  ben  SSeinenben.  ©r  f)atte  ihm 
eben  gefagt,  baft  er  nicht  mehr  fein  Sehrer  fein  fömte, 
b  enu  f  eit  geftern  bür  feer  auch  nichtmehr  eine  üDUnute  feinet 
£eben§  ben  Traufen  entziehen  unb  ben  ©lenben. 

% 

SDerSubenfriebhof  gu$8arnow  iftein  ftiHer  Drt,  eine 
©tätte  be§  griebenä,  nicht  be§  ©djrecfenä.  Namentlich 
gur  fchönen  3e^,  Wo  ber  blaue  §immel  fo  freunblidj  auf 
ba£  Heine  gelb  herabläd^elt,  ba§  gang  eingehüllt  ift  in 
frifcfjeä  ©rün  unb  grühling^buft.  über  ben  öerfaüenen 
$)enffteinen,  über  bem  SNober  ber  Gräber  wiegt  fid)  in 
hellen,  buftenben  ©tränken  bie  ^jolunberblüte. 

Sind)  auf  be§  Lochers  ©rabe  blüht  ein  folcher 
©trauch-  3dj  bin  oft  barunter  gefeffen  unb  ^abe  bcö 
9ttanne§  gebadet,  ber  ba  fdjlummert,  unb  habe  immer 
Wieber  bie  (i5rabfd)rift  gelefen,  bie  in  frönen,  rührenb 
einfachen  SBorteu  fagt,  wie  er  ein  Reifer  unb  Pfleger 
gewefen  ben  Uranien  unb  ben  ©lenben,  unb  Wie  er  — 
ein  rechter  |jelb  —  mitten  in  feinem  SSirfen  geftorben  . . . 

(Sr : ift  ein  3ßhr  nac^  kern,  toa§  id).  hier  ergäbt  habe, 
heimgegangen.  $)er  Sßinter  hatte  einen  böfen  ©aft  in 
bie  „©affe"  gebracht,  ba§  Nerüenfieber.  $)aöib  half 
unb  rettete,  wo  er  fonnte,  bi§  ihn  felbft  bie  $ranffjeü 


256  — 


niebcrmarf.  (Sr  übermattb  fic,  aber  feine  £eben£fraft 
mar  gerftört;  er  fiepte  langfam  baftin.  Von  feinem 
2öer fe  aber  lieft  er  nieftt  ab,  bi§  er  gufantmenbradft. 
®amt  legte  er  fidft  ftill  ftin  unb  bulbete  faum,  baft 
man  iftn  pflege. 

Sßenige  Sage  oor  feinem  &obe  ftatte  er  midft  ju 
fpredften  gemünfcftt.  Scft  ging  §u  iftm.  (Sr  faft  bleid^ 
unb  gebrodjen  au§  unb  leftnte  am  offenen  genfter, 
burcft  ba§  eben  ber  erfte  |jaucft  be§  griiftlingä  in  bie 
bumpfe  Stube  brang.  „(S8  freut  micft,  baft  ®u  ge= 
fomnten  bift,"  fagte  er  rnilbe  läcftelnb.  „Scft  ftabe  ®ir 
nodft  etma§  $u  fagen,  efte  icft  fcfteibe  .  . 

(Sr  ftielt  einen  §lugenblicf  inne,  bann  fuftr  er  fort: 

„Sdft  ftabe  ®ir  einmal  ein  böfe3  Sßort  gefagt, 
ein  SSort  oon  !Rad6)e  unb  Vergeltung  für  erlittene 
Scftntadft.  3d)  bitte  ®icft:  oergift  biefeä  Sßort  unb 
ftanble  nie  bantacft  unb  gebenfe  nur  beffen,  ma§  icft 
®ir  bamal§  gefagt  ftabe:  .Verseifte  iftnen,  bemt  fie  miffen 
nieftt,  ma§  fie  tftun.‘  Scft  meift,  ein  SSort  ftaftet  tief 
im  ^inbergemüt.  2lber  ®u  giebft  mir  bie  §anb  barauf, 
mir  in  biefent  Seftten  getreu  $u  folgen." 

Sei)  oerfpraeft  e£  unter  &ftränen.  3dft  meinte,  al£ 
moKte  mir  ba§  |jer3  gerfprittgen.  ®enn  bent  Knaben 
mar  eine  $lftnung  oon  ber  Seelengröfte  be3  Sftamteä 
gefontmen,  ber  ba  nodft  im  Sterben  fegnen  unb  erfteben 
moHte. 

„®u  meinft,  mein  tftöridftteä  $inb!"  oermieä  er 
mir,  meftmütig  lädftelnb.  „®u  tftuft  Unredftt  baran. 
§ab'  idft  boeft  oft  genug  bem  Xob  in3  Sluge  gefeftn! 
Unb  er  ift  nieftt  fdftredlicft,  er  ift  nieftt  grauenftaft  — 


257 


er  ift  ein  milber  greunb  unb  Sröfter  ber  9ftenfcf)en 
SBoI^t  hätte  i<h  länger  ^ier  gu  weilen  gewünfcht,  unt 
bie  Pflicht  gu  erfüllen,  bie  ich  für  mein  Seben  auf  mich 
genommen  habe,  aber  (Er,  ber  unfer  (Sdjickfal  lenft, 
ljat  eS  anberS  gewollt.  (Sein  SöiEe  fei  gelobt  .  . 

(Er  ftricf)  mir  ba§  §aar  auS  ber  (Stirne,  er  lief* 
feine  |janb  Wie  fegnenb  auf  meinem  gaupte  ruhen. 

„Seb’  Wohl,  mein  $Hnb !  Seb’  Wo^l  nnb  .  .  .  werbe 
glücklicher,  als  3)ein  Sehrer."  SDieS  Se|te,  jagte  er 
leife,  fo  leife,  baft  ich  &  faum  öerftanb. 

2ln  einem  fct)önen,  lichten  grühlingSmorgen  fanben 
üjn  feine  Pfleger  tot,  ein  Säbeln  auf  ben  Sippen. 

*£)ie  (Gräfin  Sabwiga  aber  lebt  noch,  ©ie  ift  noc^ 
immer  eine  feinte  grau.  0b  eine  glückliche?!  0b 
i^r  leife,  leife  bie  (Erinnerung  an  baS  öerfaEene  Sanb^ 
ftäbtchen  burch  baS  |jerg  guckt  nnb  an  ben  üDtamt, 
ben  fie  ja  tro£  aEebern  in  ihrer  2lrt  h^ife  geliebt  hat?! 

SDaS  ^^riftu^bitb,  biefeS  feltfame  Sßerk  religiöfer 
(Schwärmerei  nnb  irbifdjer,  nicht  gu  befiegenber  Siebe, 
hat  fie  in  einem  ftiEen  SHjale  ^er  Schweig  im  (Sommer 
gemalt,  ber  jenem  Frühlingstage  folgte.  £)ie  Sunft, 
bie  fie  früher  oieEeicht  nur  ber  SD^obe  wegen  betrieben 
hatte,  mo d)te  ihr  ba  gur  £rofterin  geworben  fein. 
Unb  biefeS  SSilb  geigte  auch  Wohl,  baff  fie  ben  ©beb 
mut  unb  bie  ®röf3e  ber  (Entfagmtg  begriffen,  bie  ber 
Sube  um  iljrets  nnb  feinetwiEen  geübt  hat. 

$)aS  ift  bie^efchidhte  beS(EhriftuSbilbeS  gu  SöarnoW. 


ft.  G.  fJfransoS,  Suben  bon  Santo». 


17 


Jttfcßvifl 

v 

§§>  mar  ein  fd)öner,  ftifler  |>erbfttag,  ba  id)  gute^t 
fjinaugging.  ®er  2Beg  läuft  eigenfinnig  genug  über 
(Härten  unb  gelber,  unb  mit  mir  mar  Üftiemanb  al§  ber 
©onnenfcbeinitnb  ein  teife£2Sel)en  im  melfcnben($efträudj, 
aber  id)  brauchte  aud)  üftiemanb  gu  fragen.  3d)  fenne  beit 
2Seg,id)  gelje  il)n  jebe£mal,fo  oft  id j  bie^eimat  grüj3e,unb 
üon  Sa^r  gu  3af)r  gebe  id)  if)n  lieber.  $)enn  bie  3^1  ber 
SSetannten,  gu  beneit  er  mid)  füfjrt,mäd)ft  üon  3al)r  gugabt, 
unb  e£  fomrnt  mo^l  ber  Sag,  ba  id)  fdjliefdid)  nicf)t^ 
me'^r  gu  fiteren  b)abe  brinnett  im  ©täbtcfjen  .  .  . 

Ser  „gute  Drt"  mar  e3,  mobin  id)  ging.  Unb  ba 
bie£  ba§  eingige  ^Slä^cf)en  ift,  mobin  meber  bie  $ßeitfd)e 
bc£  *ßolen  reicht,  noch  bie  gierige  |janb  be§  SSunber? 
rabbi,fo  mag  ber  Spante  immerbin  gelten,  «fpier  ift  bie  arme 
©eele  erlöft  öon  bem  hoppelten  SBattne,  ber  fie  briidt 
unb  —  mer  gäblt  bie  Dpfer?  —  erftidt,  üott  ber 
äußern  ©d)ntad)  ttitb  ber  iitnern  Sftadjt.  Siefe  armen 
9D?ettfd)en  merben  eigentlicp  erft  gliidlid),  menit  fie  ge? 
ftorben  fittb.  Sann  miffen  fie  leiber  freilich  nichts  ba? 
üon,  aber  fie  ahnen  e£  boeb  fdjott  int  Scbeu.  Partim 
haben  fie  ihren  griebböfen  bett  fdjonen  kanten  gegeben, 


259 


unb  fie  fdjmüden  biefe,  fo  gut  fie  fönnett.  (£§  fällt  foitft 
bem  Sitben  beS  ÖftenS  niemals  ein,  einen  SSaurn  gu 
pflangett  ober  eine  $3lume  gu  fäen;  nur  gmifdjen  ben($rabs 
fteinen  f  eimt  frif  djeS  ($  rün,  nur  über  bie  £oten  meljt  SSlumetts 
buft.  2ld),  toar  eS  bodj  and)  ber  einzige  ®runbbefi|,  ber 
biefen  Seuten  bis  oor  einigen  Sagten  gegönnt  ftar!  .  .  . 

2Cud)  ber  „gute  Drt"  gu  SBarnott)  ift  eine  freuitblidje, 
liebt  (Stätte.  Unb  mie  eS  ba  im  grüljling  auSfielft, 
fjabe  id)  fdjott  einmal  ergäbt:  |jolunberblüten  allüberall, 
bic£)t  an  beS  Sßaubelnben  gn^  unb  iljm  Ijod)  gu  Raupten, 
rot  nnb  blau  —  unb  in  ben  Stiften  ein  3)uft,  bajj  er 
faft  bie  23ruft  beengt,  (£)aS  ift  im  |jerbfte  freilitf)  Oers 
toefjt  nnb  oertöelft,  aber  anbere,  ftiUere  Sdjönljeit  fdjmüdt 
ben  SXaum.  £)er  September  bringt  ber  fonft  fo  armen 
Sanbfdjaft  eine  nnfäglic^e  SÜarljeit  beS  Siebtes  unb  ber 
Süfte;  füll,  OoE  nnb  uuenblidj  ergiept  fid)  über  «gmnrnel 
unb  |jeibe  ber  golbene  Strom,  ein  gütiger  $önigSs 
foljn,  ber  fid)  liebeitb  gu  einer  $irtin  neigt  nnb  iljr  ben 
^urpurmantel  um  ben  braunen  Seib  legt.  Sie  jubelt  nid)t 
auf;  bemiitig,  tief  erglül)eub,  beugt  fie  fid)  bem  ers 
brüdenb  großen  @lüd.  SDie  «jpeibe  ift  niemals  fjeiter 
unb  feijr  ernft  ift  fie  im  §  erb  ft.  SXber  eS  ift  ein 
lidjter  (Srnft.  Xiefrot  unb  prächtig  fdjimmert  baS 
§eibetraut,  unb  mitten  barin  in  milberen  hinten  baS 
fterbenbe  Sanb  ber  ßinben.  $)agtt)ifd)en  glängt  Ijier 
unb  ba  ein  Sßeiljer,  mie  ein  ftiEeS,  finttenbeS  Singe. 
28er  fo  aEmäf)lidj  gum  griebfjof  emporfteigt  nnb  um  fid) 
blic£t,  ntnp,  glaub’  id),  entpfinben,  bafj  and)  f)ier  ijergs 
bemegenbe  Sdjönljeit  ift.  Übrigens,  id)  toeip  niäjt — 
oieEeidjt  muf$  man  im  «fpeibelanb  geboren  fein  .  .  . 


260 


3)er  „gute  Ort"  liegt  auf  einem  «Ipügel  unb  man 
fann  ba  weite  Umfcfyau  galten.  Söoljl  an  bie  gefjn 
Söeifjer  glängen  bem  23licf  entgegen,  einige  ©orff d^aften, 
bie  mit  ifjren  braunen  ©trof)bäd}ern  bem  $luge  Wie 
ein  Wirrer  |jaufe  öon  23ienenförben  erf deinen,  enblicJ) 
gu  git^en  bie  (Stabt,  bie  f)ier  grau,  ftattlicb  unb 
e^rwürbig  fcfjeint  unb  in  2öaf)rl)eit  ein  erbärmliches, 
fdfymufjigeS  Sfteft  ift.  ©S  ift  I^ergbefreienb,  Wenn  man 
ben  S3Iic0  fo  frei  fpielen  laffen  fann  —  weit,  Weit, 
bis  er  in  ben  blauen  Stellen  ber£nft  ertrinlt.  SDemt 
gegen  Oft,  9?orb  unb  ©üb  ift  feine  anbere  ©renge 
als  bie  ©locfe  beS  «gimmelS.  $In  minber  gellen  Stagen 
aud)  gegen  SBeft.  5lber  wenn  bie  £uft  burcfjficf)tig 
flar  ift,  fief)t  man  bort  eine  graublaue,  feltfam  ge^ 
formte  SBolfenbanf.  2Ber  fie  gum  erfteu  Sftale  fielet, 
fann  glauben,  ba§  fidj  bort  ein  SSetter  balle  unb 
facfyte  aufgiefje.  2lber  bie  SBolfe  wädjft  nidfjt  unb  gers 
rinnt  nic^t;  Wof)l  gittern  leife  ifyre  Umriffe,  aber  fie 
ftef)t  ewig  feft:  eS  finb  bie  $arpatf)en  .  .  . 

SDodj  aucf)  in  ber  S^ä^e  ift  eS  fc^ön.  Söo^l  ftarren 
bie  fonberbaren,  fnorrigen  $lrme  beS  ßolunberS  oijne 
SBlatt  unb  25lüte,  aber  nacft  finb  fie  nidjt.  £aufenb 
unb  aber  taufenb  gäben  f )at  ber  £erbft  baran  ge* 
woben  unb  bie  gittern  unb  glängen  ücrflärenb  um  baS 
graue  ©eäft.  5luf  ben  ©räbern  liegt  baS  tiefrote 
fiaub,  bagwifdjen  blühen  bie  Aftern.  S)ie  (Gräber  finb 
Wof)lgepflegt;  eS  ift  in  biefem  SBolf  eine  unenblicfje 
(S§rfnrc£)t  üor  ber  SO^ajeftät  beS  STobeS. 

©in  überaus  gewaltiger,  überaus  ftrenger  $errfd£)er, 
ber  eS  aber  bod)  im  ©runbe  gut  mit  ben  armen 


261 


SWenfdjen  meint  tmb  fid)  erbarmenb  gu  djnen  neigt 
—  ba§  ift  ben  Suben  ber  Dob.  $Iud)  fie  fterben 
nidjt  gern,  aber  fie  fterben  leidster,  getröfteter;  nirgend 
mo  murgelt  ber  ©taube  an  ba§  3enfeit§  fo  tief  unb 
efjern.  üftidjt  blojj  au§  Eigenliebe,  foubent  and)  au£ 
Siebe  gu  ©ott!  Denn  er  ift  ja  ein  OTgercdjter 
unb  mo  märe  feine  ©eredjtigfeit,  modte  er  itjnen  nid)t 
im  3enfeit§  vergelten,  ma§  ba§  Erbenleben  auf  i§r 
arme§  |jaupt  gehäuft  f)at?  Unb  bennocf)  Rängen  fie  feljr 
an  ber  Erbe  unb  ade  (Seligfeit  be§  |jimmel3  ift  nur 

,  1» 

ein  Übergang,  eine  ^Jwifcfjenftation  gur  öoden  (Selige 
feit  auf  Erben,  nadjbem  einmal  ber  90?effia§  gefommen  ift. 
Darum  ift  e§  ©otte§bienft,  bie  Zoten  gu  begraben, 
bie  ©räber  gu  pflegen,  Selbft  ber  oermittertfte  ©rab= 
ftein  mirb  gefiüpt  unb  erhalten,  oiedeidjt  oom  Urenfel, 
medeidjt  üon  Seuten,  bie  nicfjtä  non  bem  ©djläfer  miffen, 
ober  bod)  nur  fo  üiel,  ba§  er  eben  ein  9J£eufd)  gemefen  ift, 
bem  gleiche  greuben  unb  ©djmergen  bitrdj  bie  (Seele  ge^ 
gangen  finb,  mie  iljnen.  Er  mar  ein  gube,  er  fod  feine 
Stätte  in  Drbnung  finben,  menn  bie  ^ßofaune  Hingt .  .  . 

E§  geljt  einem  SIftandjertei  burd)  |jerg  unb  §im, 
menn  man  fo  bie  |jölje  empormanbelt,  bie  ©räber- 
reifjen  entlang.  gef)  meine  ba  nidjt  jene  emigen  fragen, 
bie  ein  ©efdjtedjt  bem'  anbern  at§  qualoode§  Erbe 
oermadjt  unb  auf  bie  nur  Darren  eine  $lntmort  er= 
märten,  greitid)  ermarten  mir  fie  2lde,  benn  mir  finb 
eben  ade  Darren,  arme  Darren,  bie  emige  S3inbe  um 
bie  Slugen,  ba3  emige  'Dürften  im  ©emüt.  SIber  mogu 
nutdo£  an  ba£  Dieffte  rühren?!  gd)  meine  anbere 
gragen.  üßkr  alfo  gum  Sßeifpiel  ben  griebljof  bort 


262 


burdjfdjreitet,  wo  fid)  ber  «£)iiget  fadjtgum  Xfjalefenft, 
bem  gfuffe  3U/  ber  mufe  barüber  nadjgrübeln,  meldje 
gofgen  e§  oft  f)at,  mentt  gmei  polnifcfye  ®roj3e  gu 
gleicher  ,geit  fjuman  fein  moEen.  5Xuf  oierfjunbert 
©rabfteinen  fielet  baSfefbe  £obe§jafjr  eingemeijgelt,  ba^ 
fetbe  3af)r,  berfelbe  £ag,  biefefbe  ©tunbe  —  e§  ift 
eine  unfägtidje  (55efdb)icb)te  —  bettelt,  nein,  überftrömt 
üon  »lut  nnb  frönen!  Unb  bod)  OTe§  nur  megen 
gleichseitiger  Humanität!  ©o  lange  nämlid)  bie  pob 
nifdje  $onig§mad)t  aufrecht  ftanb,  ba  fdjü^te  ber 
SageEone  ben  Suben  unb  eiijtelt  beit  Tribut  bafür. 
2lber  af§  biefe  sJftad)t  bafjinfiedjte  unb  surrt  armfefigett 
©efpenft  marb,  ba§  nidjt  leben  nocX)  fterben  fonnte, 
ba  riffen  bie  übßojemoben  unb  auf  bem  ftadjen  Saitbe 
bie  ©tarofteu  ben  Subenfdjufe  an  fich,  beim  t§>  mar 
eine  grofje  SDtenfdjenliebe  in  biefeit  Leuten.  Unb  in 
»arnom  lebte  eine  grof;e,  reiche  ($emeinbe,  alfo  mar 
e£  ein  großes  SBerbienft  oor  (§5ott,  fo  oiele  gaf)htng$' 
fähige  9Qienfd)en  gu  befdjü|en.  ^Darurn  gogett  gmet 
©tarofteu  gugfeidj  oor  bie  ©tabt,  ber  oon  stufte  unb 
ber  üon  2fft=23arnom,  nnb  ^Beibe  liebelt  gfeidjgeitig 
ber  Subenfdmft  fagen:  „(Sntmeber  befdjü^e  icfy  euch 
ober  id)  fdjfage  eud)  tot !"  ^)ie  armen  3uben  maren 
in  einer  Sage,  mefdje  fein  fanget  Dlaäjbenfen  ermögs, 
lid)t:  fie  griffen  rafd)  fe^r  tief  in  ben  ©ad  nnb 
fidjerten  fid)  Leiber  ©dju£.  2fber  gerabe  bie£  marb 
ihnen  gum  $8erberbett.  ^)enn  bie  beibett  ©tarofteu 
maren  in  ber  SEfjat  9Ttenfd)enfreunbe,  jeber  nafjm  e£ 
ernft  mit  ber  übernommenen  ^ffidit,  aber  feiner  traute 
e§  bem  aubern  gu,  unb  jeber  moEte  beit  aitbern  auf  bie 


263 


$robe  [teilen.  Metrum  begann  Ser  oon  2llt=33aritom 
an  bern  einen  ©nbe  ber  Stabt  gu  rnorben  nnb  gu 
plünbertt,  unb  martete  ab,  ob  fein  Spinal  feine  ^3fticb)t 
tf)un  nnb  bie  Silben  fcfjütjen  toerbe.  2lber  leiber  machte 
biefer  am  anbern  ©nbe  gerabe  biefelbe  ^ßrobe,  unb 
burd)  biefe£  bebauerlidje  ,3ufammentreffen  ber  Umftänbe 
toarb  Reiben  i!jr  ^tted;  vereitelt.  ©ute  SOfonfchen  er? 
reichen  feiten,  ma£  fie  tollen.  Unb  brei  Sage  unb 
brei  Mächte  bauerten  bie  furchtbaren  Greuel  .  .  . 

$lud)  über  biefe  bicf)t  gereiften  (Araber  glängt  bie 
mitbe  «^erbftfonne;  auch  l)^er  blüfjeu  bie  Aftern,  hier 
noder  unb  reicljer,  toeil  ber  Söoben  beffer  gebilligt  ift; 
bie  (drillen  girpen  frieblid)  im  SCRoofe  unb  bie  ^erbft? 
fäbeu  fdjiffen  langfam  burd)  bie  leife  bewegte  £uft. 
‘Und)  l)kv  ift  grieben  nnb  Stide,  frieblidjfte  «Stille. 
Unb  beim  och  war  mir,  a 1$  müßte  plötzlich  ein 

Sdjrei  mach  werben,  ein  geHeuber,  furdjtbarer  Schrei, 
nnb  biefe  Stille  gerrei^en  unb  biefe  milbtädjelnbe 
«fpimmelgglocfe.  (Sin  Schrei,  nicht  ber  Klage,  fonbern 
ber  Auflage,  unb  nicht  bloß  gegen  Sen  oon  Stufte 
unb  Sen  oon  SlltsSSamom  .  .  . 

5ludj  fonft  finbeit  fidj  oiele  ©rüber,  bie  ba§ 
gleiche  Sobe£jaI)r  tragen  ...  So  au£  jenen  Sagen, 
ba  ein  ©gartorpäfi  Suben  jagte,  weil  fiel)  fo  menig 
anbereä  SSilb  oorfanb.  Ober  au§  biefem  Sahrhunbert: 
au§  jenen  brei  gräfslichen  Sommern,  ba  ber  3oru 
©otte§,  bie  ©hotera,  in  ber  großen  ©bene  Wütete. 
Sa§  ©ra3  feßt  ber  Senfe  mehr  Sßiberftanb  entgegen, 
al§  bamat§  biefe  üDtenfdjen  in  ihren  engen,  oerpefteten 
Stiibten  ber  graueuooden  Seuche.  Sie  ©rüber  fiub 


264 


gaI)Ho§  unb  eS  ift  ein  überaus  grofjeS  Setcfjenfelb,  ob? 
Toofyl  bie  ®emeinbe  gerabe  triebt  übergroß  ift.  ^Cber  toer 
hier  ©cblafftätte  unb  (55rabftein  erhalten  fjat,  ber  bef)ält 
aitd)  beibe,  fogar  ber  tlrmfte,  für  immer  —  ioie  ge? 
fagt,  bis  bie  fßofamte  Hingt  .  .  . 

Unb  Seber  b)at  ben  gleichen  ®rabftein,  minbe? 
ftenS  ttrnS  bie  gorm  betrifft,  Sftirgenbtoo  ein  eigen 
geformtes  £)enfmal,  nirgenbtoo  ein  HmftüoIleS  ®ebilb 
—  baS  verbietet  ber  (Staube.  Sftur  baf3  ber  ©teilt 
beS  Firmen  Hein  ift,  ber  beS  Reichen  groft,  bafs  ber 
$lrme  ber  Snfcbrift  infolge  ein  braüer  Sftaitn  ioar, 
ber  fReid^e  ber  ebetfte  Sttenfcb,  ber  je  gelebt  fjat.  ®aS 
ift  aber  and)  5HIeS.  £)enn  felbft  bie  5lnorbnung  ber 
Snfcbrift  ift  ftreng  burd)  baS  @efet}  ber  £almobim 
geregelt:  gu  oberft  baS  dfterfgeicbeit  beS  ©tammeS, 
bann  ber  9?ame  beS  Xoten  nnb  feiner  (Eltern  unb 
baranf  ber  ©tanb.  90^and)mal  fehlt  and)  biefer, 
benn  SSudjerer  ober  23efted)ung§agent  ttrnrbe  nic^t  gut 
Hingen,  oon  ©cblimmerem  gu  febtoeigen.  Sn  folgen 
Süden  ^ei^t  eS  blof$:  „@r  forfdjte  in  ber  £eljre  nnb 
liebte  feine  SHnber",  nnb  23eibeS  ift  and)  in  ber  fRegel 
ttrnbr.  SSer  biefe  Snf Triften  lieft,  toirb  nid)t  länger 
ttad)  ber  Snfel  ber  ©eligen  fueben,  nnb  nach  bem  (£ben, 
mo  (£ngel  in  SD^enf c^engeftalt  loanbeltt.  SDaS  be^t: 
toenn  er  ben  Snfdjriften  glaubt.  *£)er  jiibifcbe  ©tamm 
ge^t  in  ber  ^ßtetät  gegen  bie  £oten  meiter  als  jeber 
anbere.  *£)er  Körner  begnügt  fidf)  mit  bem:  „De 
mortuis  nil  nisi  bene.“  (£r  Oerlangt,  baf;  man  oon 
bem  5£oten  nur  gut,  nur  toitrbig  rebe,  toie  bieS  eben 
ber  äftajeftät  beS  £o beS  nnb  ber  «gilflofigfeit  beS 


265 


Doten  gebührt.  Der  Sube  ge^t  heiter:  man  foK  oon 
ben  Doten  nur  ba§  ®ute  reben.  Unb  toer  ein  foldjer 
©ünber  toar,  baff  man  ihm  nichts  ®ute§  nachfagen  fann, 
non  bem  fcfjtoeigt  man  .  .  . 

$D?an  fdP)tDeigt  non  if)m.  Die  ftnfterfte  Vertoünfchung 
biefe§  Volfe§  lautet:  „©ein  Üftame  fotl  nid^t  gebaut 
toerben."  Darum  fefet  man  feinen  tarnen  auch  nicht 
auf  ben  ($rabftein.  (£$  f tefyt  mancher  blanfe,  unbe= 
fdjriebene  ©tein  auf  ben  griebljöfen  ^3obolien§.  $ur 
©träfe,  gur  Vergeltung.  Unb  bodj  toieber  au§  Varmhergigs 
feit.  Denn  am  Dage,  ba  ba§  Dfoicf)  ($otte§  beginnt,  ttrirb 
nicht  allein  bie  ^ofamte  bie  ©cfjtäfer  mecfen,  fonbent 
auch  ber  (£nget  be§  einigen  ßeben§.  Grr  ttnrb  öon  ©tein 
gu  ©tein  gehen  unb  ben  tarnen  rufen,  ber  barauf  ge= 
fchrieben  ftef)t,  bie  (Gerechten  gu  unfäglicher  Velohnung, 
bie  ©ünber  gu  unfäglicher  ©träfe.  Unb  toenn  er  feinen 
tarnen  finbet,  fo  toirb  er  öieEeic^t  üorübergef)en  unb 
ben  ©dfläfer  nid^t  aufftören.  Vielleicht!  —  man  fragt 
e§  nur  eben  au§  Varmfjergigfeit  gu  troffen! 

5fucf)  am  „guten  Drt"  gu  Varnofr  fte^t  mancher 
©tein  offne  Snfcffrift,  unb  in  einigen  fällen  mag  bie 
©träfe  eine  frofjlüerbiente  fein.  9^icf)t  feiten  ift  e£  bie 
getriefte,  bie  ben  Verbrecher  getroffen  hot.  Die  bunffe 
Dffat  frarb  begangen,  ba£  Dunfel  be§  (55^etto  fehlte 
fie.  Diefett  Seuten  bangt  e§  oor  ber  2Mt,  in  ber 
f.  f.  $lmt§ftube  fi^t  ja  ein  (Sf)rift.  Darum  liefern 
fie  felbft  ben  fünbigen  Vruber  nicht  gerne  au§.  ©ie 
ftrafen  ihn  fo  gut  fie  fönnen:  er  muff  ®elb  gu  frommen 
gfreefen  opfern,  ober  al§  Sßilger  nach  Senifalem  fraubern, 
ober  jahrelang  jeben  gfreiten  Dag  faften.  Dann  bleibt 


\ 


266 


er  fein  Sebeit  lang  unbehelligt,  unb  erft  nach  bem  £obe 
ern>eift  eS  fiel),  maS  er  gegolten  hat. 

2lber  auch  9ar  fonberbarlidje  ©erbrechen  finb  auf 
gleiche SSeife beftraft ’roorben.  Unb  merbaran  beult,  mirbfid) 
gleichfalls  faum  einer  bittern  Srage  ermehren  tönuen, 
einer  uralten,  herben  grage,  bk  gleichfalls  nie  erfter^ 
ben  mirb,  fo  lange  SD^eufd^eit  auf  (Srben  manbeln  .  . . 

£)a  mar  gum  ©eifpiel  einft  ein  alter  Bettler  in  ber 
(Semeinbe,  ein  0  er  ab  f  (hieb  eter  ©olbat,  ber  hilflos  unb  oer^ 
Irüppelt  h^iutgefontmen.  Sßiemaub  nahm  fid)  feiner  an. 
®ie  ©hriften  nicht,  meil  er  ein  Sube  mar,  unb  bie  Snben 
nicht,  meil  er  fo  lange  chriftlidje  £oft  gegeffen  ^atte  unb 
meil  er  feljr  läfterlich  fluchte.  (SS  mar  t>ielleid)t  33eibeS 
nicht  gang  feine  ©d)ulb;  benn  eS  giebt  nun  einmal,  feit  bie 
Sföalfabäer  fdjlafen  gegangen  finb,  leine  $lrmee  ber  SBelt, 
in  ber  bie  ^ommifjfnobel  unter  9luffid)t  eines  Ütabbi 
bereitet  merben,  unb  maS  baS  gludjen  betrifft,  fo  mag 
eS  au  einem  alten  ©olbaten  eben  fo  natürlich  fein,  mic 
an  einem  (Sidjbaum  bie  (Sichel.  9tber  fie  nahmen  iljnt 
boct)  Leibes  feljr  übel  unb  er  belam  täglich  nur  ein 
©tücf  fchintmeligen  ©roteS  unb  jeben  greitag  üftadjs 
mittag  fieben  breiiger.  £)aüon  tarnt  felbft  ein  alter  ©eitler 
in  ©arnom  nicht  ftanbeSgemäft  leben;  ber  gitterige  ($reiS 
hungerte  feljr  üiel.  Unb  als  mieber  einmal  ber  ©erföf)nungSs 
tag  tarn,  ber  ftrengfte  ©uptag  beS  3ahreS,  ba  hotte  baS 
Saften  feinen  ©eig  für  ihn,  nicht  einmal  ben  beS  Slufjers 
gemöhulicheu.  5lu  biefemSage  alfo  ertappten  fie  ben  eilten 
hinter  einem  ©rüdenpfeiler,  ein  ©tücflein  SÖBurft  in  ber 
§anb.  ©ie  mihhonbelteu  iljn  nicht,  auch  feine  ©ettefigien 
erlitten  leine  (Sinfdjräufuitg.  Unb  bod; !  märe  baS 


267 


(Scfeidfal  gütig  getoefeit,  e§  feätte  ifen  gut  felbert  ©trntbe 
fterben  laffen.  ®enn  moftte  idfe  berichten,  ma§  bann 
über  ben  ($5rei§  gefommen,  ich  glaube,  bem  gärteften 
mürbe  ficfe  ba§  2Iuge  feuchten.  2Iber  ba§  (Sdjidfal  i[t 
feiten  gütig  —  er  ^at  nocfe  lange  Safere  gelebt.  Sftacfes 
bem  er  geftorben  mar,  festen  ifem  reid^e  SSermanbte  ben 
(Stein,  aber  ofene  Snfcferift.  Sd)  üermute,  xd)  üermute 
fefer,  bafe  bie§  ben  Späten  lange  nicfet  fo  fcfemergt,  mie 
äftancfeeg,  ma§  fie  bem  ßebenbett  angetan  Ratten  .  .  . 

«gart  neben  bem  alten  (Solbaten  fcfeläft  ein  9ttenfcfe, 
ben  ein  glei cfee§  ©efcfeid  getroffen  gat.  (Sin  fefer  feltfamer 
sD?enfcfe,  (Sfeairn  fiipiner  mit  tarnen,  feinet  ^eicfeenä 
ein  ©cfeufter.  3)ie  £eute  biefe§  ganbmerfS  feaben  einen 
ftarfen  gang  §ur  ^ßgilofopgie,  ber  fifeenben  Sebent 
meife  megen.  2lucfe  unfer  (Sfeairn  mar  ein  $]3feiIüfopfe, 
aber  non  eigenartigem  3uf^n^:  Über  ben  Untere 
grnnb  allen  gorfcfeen§,  ben  ,gmeifel,  fam  er  eigentlich 
nicfet  feinauä,  uttb  fein  ßiebüng§mort  mar:  „28er  meife 
bie  SEBaferfeeit?"  SDaä  Heine,  blaffe  SJtänncfeen  üer- 
mochte  ber  grage  nicht  auf  bem  28ege  ber  Spekulation 
beigufommen  unb  üerfucfete  e§>  barum  auf  bem  ber 
(Srfaferung.  (Sr  ging  üon  einer  (Sekte  §ur  anbern  über, 
üon  ben  „CSgaffibim",  ben  (Scfemärmern,  311  ben 
itagbim",  ben  23ibelgläubigen,  marb  mieber  (Sfeaffib, 
fefete  ficg  hierauf  mit  ben  Paraden  in  SBerbinbung, 
flüchtete  bann  gur  gähne  be§  28unberrabbi  üon  @aba= 
göra,  gielt  e§  ein  Safer  lang  mit  ben  „Aufgeklärten", 
ben  greunben  beutfefeer  23ilbuitg,  unb  marb  enblicfe 
föabbalift.  ®a§  blieb  er  lange,  uitb  ba  feine  (Stiefel 
trofebem  üernüuftig  unb  bauerfeaft  mareu,  fo  kümmerten 


268 


fich  bie  Seute  nicht  oiel  um  feine  einfamen,  nächtlichen 
©tubien  unb  feine  tief  finnigen,  mpftifcfien  ^eben.  $)a 
traf  e§  fiel)  einmal  in  einer  falten,  meinen,  ntonbhellen 
Stacht,  bah  einige  öerfpätete  $echer  öor  9ro6en 
(Sh*iftu§bilbe,  ba§  fiel)  an  ber  $Ioftermauer  ber  $)o= 
minifaner  erhebt,  einen  9ftann  fanben,  ber  regung^ 
lo§  im  ©cfjnee  fniete  unb  bie  5lrme  fehnfüdjtig  au& 
gebreitet  fyklt,  at§  mollte  er  ben  @efreugigten  um= 
armen,  (Srftaunt  blieben  fie  ftefjen,  aber  ihr  ©taunen 
marb  gum  (Sntfe|en,  al§  fie  in  bem  einfamen  33eter 
ben  frommen  ©haim  erfannten.  (Snblicf)  fd^Hd^ert  fie 
näher,  aber  er  hörte  fie  nicht  in  feiner  SSerfunfenheit, 
unb  plötzlich  begann  er  gu  fprec^en  unb  rief  mit  fchludj- 
genber,  gitternber  ©timme  ein  ®ebet  in  ber  heiligen 
©prache,  ben  ©egengfprudj,  ber  bem  2Banber£mann 
Dorgef d^rieben  ift,  memt  er  auf  feinem  SBege  bie  ©onne 
auf  gehen  fiel)t.  $)a  übermannte  bie  Saufchenben  ein 
frommer  30rtt/  Pe  toarfen  fich  über  ba3  9JMnncf)en, 
prügelten  e£  gang  fürchterlich  burcf)  unb  pufften  e§ 
heim.  5lm  näd)ften  borgen  mar  eine  ungeheure  5lufs 
regung  in  ber  ©affe,  felbft  bie  Säffigften  fanben  fich 
gum  Ö5ebet  in  ber  ©ä)uf  ein;  halb  au£  grömntigfeit, 
meil  e£  galt,  ®ott  mit  öereinten  Kräften  anguflehen, 
ben  greoel  be§  (Singeinen  nid^t  an  ber  ©efamtheit 
gu  rächen;  halö  Neugier,  meil  Seber  erfahren 
mollte,  melche  33uhe  ber  $tabbi  unb  fein  $at  bem 
©ünber  auferlegen  merbe.  üftacf)  ©rf)luf3  be£  ®ebete£ 
blieb  bie  ($emeinbe  Oerfammelt  unb  ba§  Bericht  be* 
gann.  2lber  ber  ©ünber  fehlte.  5Die  Aufregung  unb 
bie  ^rügel  haü^n  ba£  fdpoache  9^ämtd)en  nieberge- 


269 


Worfen.  $)ocf)  muhte  er  bahn  fein;  unb  fo  Würben 
einige  $nedjte  entfenbet  unb  bie  brachten  i^n  in  feinen 
Riffen  Ijerbeigetragen.  (£$  erhob  fich  ein  großer  £ärm, 
al£  er  burdh  bie  fReiffen  gefdjleppt  Würbe,  unb  Wer 
nafje  genug  ftanb,  erleichterte  fich  ba§  §erg  unb  fpie 
il^n  an.  £)ann  gebot  ber  fHabbt  fHitl^e  unb  ^telt  eine 
lange  9$ebe,  in  welker  jener  ewig  falte,  ewig  bunfle 
Scannt,  ber  nach  ker  SBorfteEung  biefe§  $olfe£  bie  ab= 
gefchiebenen  ©iinber  beherbergt,  feine  geringe  fRotle 
fpielte.  SDamt  fragte  er  ben  5lngeflagten,  Wie  er  ficfj 
oerantworten  fönne.  2lber  fei  e8,  bah  ber  franfe  9ftann 
nicht  reben  fonnte  ober  nichts  gu  reben  I)ntte  —  er 
blieb  ftumrn  unb  f drittelte  nur  feife  ba§  «Jpaupt.  ®a£ 
fteigerte  nur  bie  (ünttrüftung,  ber  9tabbi  brängte  unb 
bie  Ruberen  fpieen.  S)a  richtete  fich  ber  flehte  $D?ann 
enblidb)  au3  feinen  Riffen  auf,  blicfte  bie  ©tfernben  mit 
einem  ftiUen,  ruhigen  23licf  an  unb  fprac^  eine  fef)r 
furge  fRebe,  nichts  al£  fein  gewöhnliche^  Söort:  „28er 
Weih  bie  28ahrheit?"  9J?an  fann  benfen,  wa§  barauf 
folgte.  3)ie  23efonnenen  muhten  ihn  mit  ihrem  eigenen 
Seibe  fehlen,  fonft  Wäre  fein  weitere^  Bericht  nötig 
gewefen.  2lber  fie  wahrten  ben  Traufen  oor  bem 
Suherften  unb  fo  fam  ber  Dfabbi  enblich  bagu,  ba§ 
Urteil  gu  fällen.  28eld)e  93uhe  an  ®elb  unb  ®ut 
ihm  auferlegt  würbe,  ift  mir  nicht  mehr  genau  er= 
innerlich,  nur  fo  üiel  weih  ich:  ^ha^m  Sipiner  foHte 
2Beib  unb  $inb  laffen  unb  nach  Serufalem  pilgern  unb 
nie  wieberf ehren.  Sn  jeber  ®emeinbe  am  SBege  foHte 
er  feinen  greoel  ergählen  unb  bie  Seute  bitten,  ihn 
mit  gühen  gu  treten  unb  ihn  angufpeien. 


270 


2lber  ber  furchtbare  D^eifeplan  ift  nicht  mehr 
gur  2lu£führung  gefommen.  $)a§  arme  Sftäimchen 
fiechte  unb  fdjmanb  feit  jenem  Sage  bahin,  mie  öor 
ber  @onne  ber  ©djnee.  Sn  feinen  lebten  Monaten 
betete  er  immer  fleißig  unb  bie  Seute  marett  ber  Übers 
geugmtg,bah  er  ftch  befe^rt  habe.  Sch  bin  motjt  ber  einzige 
ÜDfenfch,  ber  ba£  beffer  weih,  unb  ba  e§  meinem  ©djufter 
nicht  mehr  fd^abert  fartn,  fo  barf  ich  ttwht  auch  öie3 
ergählen.  %\%  ich  im  Suti  gu  ben  Serien  heimfam, 
juchte  mich  fein  SSeib  auf  unb  bat,  ich  Möchte  gu  ihm 
fommen,  aber  be§  2lbenb§,  bamit  e$  DUemanb  merfe. 
Sch  that;£,  ber  Traufe  mar  fdion  fefjr  fchmadj,  h^tt 
aber  gteidjmohl  noch  einen  ungeheuren  Sotianten  auf 
ben$nieen,in  bem  er  eifrig  ta§.  (Sr  bitte  um  eine$Iu§funft, 
fagte  ^r  enbtich  nadj  tanger,  mirrer  (Sntfdjutbigung;  ob 
e£  nämtid)  mafjr  fei,  baff  auch  bie  (Steiften  eine  heilige 
@d)rift  hatten.  Unb  atä  ich  öie§  bejahte  —  ob  id) 
d)m  ba§  Sud)  nicht  jdjaffen  fönue?  S)a§  berührte 
mich  eigentümlich,  aber  ich  üerfpradj  e§  hoch,  e§  mar 
eben  ber  Sßunfch  eine£  @terbenben  unb  —  „mer  meijf 
bie  Wahrheit?"  2lber  e§  hfltte  feine  ©djmicrigteit, 
bemt  ber  SOtanit  ta£  nur  hebräifch,  mtb  id)  muhte  mich 
erft  nad}  SBien  menbeit,  um  eine  Überfettung,  mie  fie 
bie  (Snglättber  gu  $DKffion3gmed'en  für  ^atäftina  haben 
anfertigeit  taffen.  Sa*  Such  lieh  gmei  Sßochen  auf 
fid)  märten  unb  at§  c§  etibtid)  tarn,  ba  tonnte  ich 
bem  Spanne  nicht  mehr  einhänbigen.  (S*  mar  auch 
überftüffig,  beim  bainafö  muhte  er  mahrfd)eintid)  fd)on 
mehr,  at§  er  au3  biefem  Suche  unb  au3  allen  Sitchern 
ber  SBelt  hätte  erfahren  tonnen  .  .  . 


271 


$td)  ja!  fonb erb  artige,  fel)r  f oitb erb ar Hebe  $ers 
bred)en!  Unb  me  idf  an  jenem  «gerbfttag  üor  beit 
beiben  (Gräbern  ftanb,  ba  mar  e§  mir,  at§  mü^te  id) 
mid)  bimbbeugen  gu  ben  S£oten  unb  ihnen  gurufen: 
„SBergeibet  euren  armen  23riibern,  gürnet  ihnen  nicht, 
öemt  fie  miffeit  nicht,  ma£  fie  djun!"  .  .  . 

SM)!  mie  eigen  ift  eS  ben  Subett  ergangen!  3br 
frommer,  felfenfefter  (55Xaube  ift  ihnen  einft  ber  (Schuss 
but  gemefeit,  ber  i()r  anneS  §aupt  üor  beit  Meutern 
fd) tagen  unb  ^BeiX^ieben  be§  geiitbeS  |d)ü|te.  (£§ 
märe  gerfcbeltt  ohne  biefeit  ©cf)ub,  benn  eS  maren 
furd)tbare  @d)täge,  furchtbare  ^iebe.  5Iber  eben  ba= 
burd)  marb  ihnen  and)  jener  ©ebubbut  immer  tiefer 
in£  @efid)t  b^eiu9eir^e^eu  unb  fdjXiefdicb  über  bie 
Gingen  hinab,  bah  fie  nichts  mehr  faben.  SDaS  mar 
einft  nicht  fo  febr  gu  bef tagen,  beim  eS  berrW^e  Ja 
9ßad)t  ring§  umher,  unb  nid)t£,  gar  nichts  mar  gu 
febeit,  and)  ohne  §ut  üor  ben  Gingen.  2tber  nun  ift 
eS  im  2Beften  S£ag  gemorbcu,  unb  im  Oft  eit  tagt  eS 
unb  beuuoeb  rüden  fie  fid)  ben  |jut  nidjt  b^ber- 
märe  itid)t  nötig,  bajj  fie  it)n  lüften,  uitb  oodettbs 
üerberbtid)  märe  eS,  motlteit  fie  ihn  gang  fortmerfeit,  aber 
ebenfo  üerberbtid^  ift  eS,  memt  er  ihnen  bie  5(ugen  bedt. 
(Sr  muh  böber  g^üdt  merbeit,  unb  öiefe  xntgtüccticXjeu 
sD?ettfd)en  utüffen  fief)  baratt  gemöbnen,  bem  jungen 
Stage  inS  fd)öne,  morgenrotc  Sündig  gu  febert  .  .  . 

(SSmuhgefcbebeu.  UnbbaruntmirbeSgefdjeben.  SDte 
DZotmenbigfeit  ift  bie  eittgige  Gottheit,  an  bie  mau  gtaubeit 
barf,  ohne  je  gmeifetn  ober  üergmeifeltt  gu  bürfeu. 

(SS  mirb  gefcbe'ben.  Hber  ^iemaitb  tarnt  miffen, 


272 


tüte  lange  nod)  bic  Rächt  wägten  mirb,  unb  Riemanb 
fann  bie  Opfer  gälten,  bte  fte  foftet. 

(§&  ift  immer  ein  Zufall,  Wenn  man  öon  thtten 
erfährt.  $)ie  ßebenben  fdjmeigen  unb  bie  (Steine  finb 
ftumrn;  befonber§  jene,  mo  eine  Snfdjrift  ftefjt.  $luf 
ben  unbefchriebenen  ftefp  bod)  minbeften§  ein  grage^ 
geidjen,  unb  e§  fann  gelingen,  bie  $lntmort  gu  erforfdjen. 

60  ift  e§  mir  mit  bem  jüngften  foldjen  (Stein  er= 
gangen,  ben  fie  auf  bem  „guten  Ort"  guSSarnom  gefegt 
haben.  Sdjfanb  if)n  erftbei  meinem  testen  SBefudj,  eben  an 
jenem  golbflaren  (September  tag. 

(£§  mar  ein  einfame£  @rab,  gang  einfam.  Qtt  ber 
Riebermtg  lag  e§,  fyart  am  gluffe,  nahe  ^er  fdjabtyaften 
|>ecfe.  (Schon  bie§  mar  auffallenb;  fonft  merben  f)ier 
bie  £oten  in  jener  Reihenfolge  gebettet,  in  meldjer 
fie  anlangen.  Rur  gumeilen  fidjert  fid)  eine  gamilie 
einen  eigenen  Raum.  $lber  e§  gefdjieht  nicht  adguoft; 
hier  finb  alle  @djläfer  eine  einzige  grofje  gamilie. 

9Rit  biefem  ($rabe  mar  eine  $lu§nahme  gemacht 
morben.  Söeit  unb  breit  mar  fein  anberer  (Stein  gu  fehen. 
Rur  gang  nahe,  redjt£  unb  linf§,  gmei  anbere  (Gräber, 
kleine,  biirftige  (Araber  ohne  «Stein.  $Ran  fonnte  fie 
nur  in  nächfter  Rahe  gemahren,  fo  bidjt  mud)£  barüber 
ber  Sßadjolber  unb  bie  milbe,  rote  |jeibeblume. 

(§&  mar  leid)t  gu  erraten,  mer  ba  fc^lief :  ^näb^ 
lein,  bie  öor  bem  achten  Sage  baljingeftorben,  ehe  man 
ihnen  einen  Rauten  gegeben.  Unb  bie  in  ber  SRitte 
ruhte,  mar  mol)l  ih?e  Butter.  £)emt  e§  mar  ber  ©rab^ 
ftein  einer  $rau;  man  fonnte  e§  an  ber  gorm  fehen. 
(Sonft  fefcte  man  nur  Männern  (Steine  ohne  3tt* 


273 


fdjrtft,  toeil  nur  fie  Verbrechen  begehen.  £)a§  jübifd^e 
Sßetb  ift  gut  unb  fromm.  (SS  ttrnr  ber  erfte  folche  grauem 
ftein,  ben  id)  faf).  2öaS  hatte  biefe  Butter  b erbrochen? 

3d)  grübelte  lange  barüber  in  ber  tiefen,  fonnigen 
Stide  jenes  §erbfttagS.  3d)  erfanb  mir  eine  ©efdjidjte 
nach  ber  anbern,  eine  fonberbarer  als  bie  anbere.  2lber 
and)  t)ier  foUte  eS  fid)  mieber  einmal  bemä^ren,  bah 
baS  Sd)idfal  erfinberifcber  ift  als  ber  SReufd). 

SBie  id)  alfo  finnenb  bafafj  unb  auf  baS  einfame 
<$rab  flaute  unb  barüber  empor,  in  bie  feilen,  federt 
fiüfte,  burd)  meldje  ungültige  Sftüdlein  ba^inflogen, 
bah  fie  im  (Sonnenlicht  mit  ihren  garten,  glängenbeit 
glügeln  oft  mie  ein  feiner  ©olbregen  angufe^en  toaren 
—  ioie  ich  beim  alfo  fah  anb  fann,  flang  mir  plöfclid) 
einförmiges,  langfameS  ®etön  bumpfer  Stimmen  ins 
0l)r/  anb  als  ich  aufblidte,  fab)  id)  gtoei  (greife  längs 
fam  bie  «gede  entlang  fdjreiten  unb  auf  mid)  gu. 

Sie  toaren  eben  in  Übung  eines  frommen  VraudjeS 
begriffen,  ben  ich  fo  lange  fdjon  nicht  gefehen  hatte,  bah  er 
mir  j efct  auf  ben  erften  Vlid  mie  ein  grembeS  ers 
fchien.  (SS  trug  nämlich  jeher  ber  beiben  Männer  ein 
gelbe§,  h^erneS  Stödten  in  ber  Vedjten  unb  auf 
ben  beiben  Stödten  tt>ar  ein  gaben  bid)t  unb  bid 
aufgetoidelt;  berfelbe  gaben,  f)iev  baS  eine,  bort  baS 
anbere  (Sn be,  fo  bah  bcv  gaben  bie  beiben  Stödten 
oerbanb.  Stauben  bie  9Ränner  gufammen,  fo  lehnten 
fie  bie  Siödchen  an  einanber  unb  fangen  bumpf  unb 
unifon  ihr  fonberbareS  $)uett.  £)ann  aber  oerftummte 
ber  (Sine,  fyxdt  fein  Stöddjen  f entrecht  unb  ftanb  tt>ie 
eingettmrgelt,  toährenb  fiep  ber  Anbere  in  Vertagung 

ft.  ©.  granjoS,  Subctt  t>on  Sarttoto.  18 


274 


f e|te  unb  langfam  uitb  graoitätifdj  bie  |jede  entlang 
fcfjritt,  inbem  er  in  Ijofjen  £önen  burd)  bie  Sftafe  bagu 
fang  unb  öon  feinem  Stöddjen  fo  üiel  beS  gabenS 
abfjafpelte,  als  eben  ber  2Beg  betrug,  fo  bag  ber  gaben 
ftraff  gefpannt  blieb.  -Sftad)  etwa  breigig  ©dritten 
blieb  er  flehen  unb  öerftummte;  ber  $lnbere  aber  fegte 
fid)  näfelnb  in  Bewegung  unb  fjafpelte  ben  gaben  auf, 
fo  bag  ber  SBulft  auf  bem  einen  Stöddjen  immer 
bicfer,  auf  bem  anbern  immer  büntter  warb.  $)ann 
abermals  ein  $)uett  unb  mieber  bie  fonberbaren  Soli. 

SCftan  nennt  biefen  23raud)  baS  „gelbmeffen"  unb 
menn  er  aucf)  nur  in  einigen  ©egenben^ßobolienS  in  berbe^ 
fcgriebenen  $lrt  öodgogen  wirb,  fo  übt  man  ign  bod)  in  am 
berengormen  überall,  wo  guben  wognen.  $lm  (Sterbetage 
teurer  £oten  lägt  man  ben  Umfang  beS  griebgofS,  wo 
fie  rügen,  mit  einem  gaben  abmeffen  unb  gebraucht  bie= 
fen  gu  irgenb  einem  frommen  .ßwede:  als  *3)0 d)t  für 
Opferfergen  ober  gum  9£ägen  eines  SBetmantelS.  (SS 
ift  bieS  ber  $luSflug  einer  trüben,  fdjweren  Sgmbolif 
unb  eS  Würbe  gie r  gu  weit  führen,  fie  gu  beuten. 

gcg  flaute  ben  Männern  eine  SBeilc  gu,  bann 
trat  icg  an  fie  geran  unb  fragte,  wer  in  jenem  ®rabe 
rüge.  S)ie  Männer  blidten  rnicg  fcgeu  an.  „Söarum 
fragt  ggr?"  fagte  enblicg  ber  (Sine  gögernb. 

„Sßeil  icg  eS  wiffen  will." 

„Unb  warum  Wollt  ggr  eS  wiffett?" 
darauf  wäre  bie  birefte  Antwort  gu  lang  ge= 
Wefen  unb  icg  wählte  eine  fitrgere,  inbirefte.  $)er 
Sine  ber  beibeit  egrwürbigen,  aber  überaus  fcgmugtgett 
(greife  —  eS  war  ein  SBunber,  bag  fie  nid)t  gufammem 


—  275  — 

flehten,  trenn  fie  bicfjt  beifammen  ftanben  —  trug  in 
feinem  $fntli(3  eine  überaus  rote  Sftafe.  $)a§  beutet 
immer  auf  $)urft  unb  ein  Weiteres  @emüt.  Uub  mer 
burftig  unb  Reiter  ift,  mit  bem  fann  man  fich  leidet 
oerftefjen.  3dj  blicfte  alfo  ben  9ftamt  innig  an,  mie 
einen  alten  greun^/  unb  9^tff  babei  in  bie  £afcl)e .  .  . 
„9fam  —  mer?"  (Sr  folgte  biefer  SSemegmtg  mit  fid)t? 
liebem  3utereffe,  aber  er  ergab  fiel)  noch  nicf)t.  „(Steht 
e£  auf  bem  (Stein  gef  Trieben?"  fragte  er. 

„SDa  mürbe  ich  (Sud)  nic^t  fragen!" 

„2lber  marurn  fte^t  e§  nicht  bort  gef  daneben?" 

dfteine  |janb  fam  mieber  gum  Sßorfchein,  aber 
ber  e^rmürbige  ®rei§  ergab  fid)  noch  immer  nicht. 
„25arum?"  mieberholte  er.  „25eil  e3  eine  <Sünbe 
märe,  be§  9£amen§  gu  gebeuten!  5llfo  marurn  fod  id) 
fünbigen  unb  ben  tarnen  fagen?  Söarum  follt  3l)r 
fünbigen,  inbem  3hr  if)n  anhört?  SSarum  fod  fdeb 
9£atf)an  f)ier  fünbigen,  inbem  er  un§  23eiben  guljört?" 

„(Sin  Dpfer  für  bie  Firmen  tilgt  bie  @ünbe,"  be^ 
neigte  ich  unb  brüdte  bem  Spanne  marm  bie  |janb. 

2lber  bem  ehrmitrbigen  (greife  lag  offenbar  fe'tyr 
tuet  an  feinem  (Seelenheil  unb  er  gäf)lte  barum  ^alb- 
laut  nach,  e§  Qenügenb  gefiebert  fei.  SDamt  mar 
gmar  er  getröftet,  aber  Dieb  üftatf)an  mürbe  unruhig. 
92mt  hätte  er  fich  freilich  ker  <2ünbe  be§  guhörenä 
leicht  entgiehen  fönnen,  benn  mir  maren  im  diaume 
gerabe  nicht  befchränft.  2lber  er  gog  ein  anbereä  Mittel 
oor,  obmohl  er  feine  rote  üftafe  hatte. 

Unb  erft  nadjbem  bie§  gefeiten  mar,  fagte  ber  (Sine: 
„25er  bort  liegt?"  —  unb  ber  2lnbere:  „£ea  dtenbar'S 


276 


liegt  bort."  $)a§  Reifst  beutfdj:  „Sea,  bie  £od)ter 
be£  Sd)enfmirt§".  Dlber  id)  mußte  benitod)  fragenb 
Miefen.  „2£er  fjat  bie  rttcfjt  gelaunt?"  meinten  bie  Männer 
erftaunt.  „ßea  au§  ber  gelben  ^aregma  (2ßirt§f)au£) ! 
®ic  grau  be§  langen  Stuben,  be§  Stuben  neben  bem 
9$atfjau§!  £ea  mit  bett  langen  paaren!" 

Dhm  tunkte  id)  freilief),  tuen  fie  meinten.  Unb 
ma£  bi§f)er  nur  Neugier  gemefen,  marb  inuigfte  £eil= 
naljrne.  „Unb  bie  mar  eine  Sünberin?"  rief  id)  er^ 
ftaunt.  —  „0b  fie  eine  (Sünberitt  mar?"  rief  Dieb 
5lbraf)am,  ber  Dioütafige.  „§at  e3  je  eine  größere  ge= 
geben?  ©§  I)at  nie  eine  größere  gegeben!  2Ba3  (55efe^  ift, 
Ijat  fie  mit  gü^en  getreten !  Unb  mer  mirb  bafiir  üer^ 
bammt  fein?  Sie  mirb  bafiir  oerbammt  fein!  ©ieuub 
ifjr  sJJiann  —  Diuben,  ber  Di  at^  auf  er!  $)enn  menn  er 
e§  if)r  gemefjrt  F)ätte,  ber  greüel  märe  nie  gefdjefjen!" 

„Unb  nodj  ©iner  mirb  oerbammt  fein  um  iljrer 
©üitbe  mitten!"  rief  Dieb  Diatljan.  „©amriel  Dienbar, 
ifyr  Sßater!  SDenu  menn  er  fie  anber§  erlogen  f )ätte, 
ber  greöel  märe  if)r  nie  in  ben  (Sinn  gefommen!" 

„Diidjtig!  $)er  audj!"  belräftigte  Dlbrafjam.  5lber 
bann  fafjte  if)n  bodj  leife§  DJiitleib  mit  bem  ÜDianne, 
in  beffen  ßaufe  feine  Diafe  ben  fdjönen  ©lan$  be= 
fommen,  uitb  er  fügte  milber  fjinju:  „©ent  mirb  ber 
OTmädjtige  oietteidjt  ö  erg  eben,  £at  er  benn  fo  gurd)t* 
bare§  aljnen  fbitnen?  £)a§  fjat  fein  jübifd)  $inb  aljnen 
fönnen!  5fber  Diuben  —  ba§  ift  etmaä  Dlnbereä,  ber 
ift  gemifj  oerbamntt!" 

„üöar  e£  mirflidj  fo  furchtbar?" 

„gitrd)tbar?  $>a§  ©räfjlidj  fte !  §abt  3§r  mirflid) 


277 


nod)  nid)t  baöon  gehört?  ©ine  unerhörte  ©Jefd)ichte! 
©ine  rnerfmürbige  ®efd)icf)te!'' 

Unb  fie  erzählten  mir  bie  rnerfmürbige,  unerhörte 
@ef<hid)te.  ^enn  ba§  ift  fie  mirflich,  freilich  mof)l  in 
anberem  (Sinne,  al§  bie  beiben  ©hrmürbigen  ahnten. 

©£  mirb  mir  eigen  §u  Sttute,  mm  ich  fie  mieber 
berichten  foll.  S3or  Slllem:  fie  Hingt  fo  unglaublich. 
Unb  nur  menigen  Sftenfcfjen  be£  S8eften§  ift  eine  S3rüde 
be§  S3erftönbniffe§  gefdjlagen  in  biefe  frembe,  biiftere 
SMt.  SDie  anberen  Sille  merben  ben  $opf  fd)ütteln. 
Sch  aber  fann  nur  fagen:  e§  ift  mahr,  e£  ift  nicht 
erfunben,  e§  ha*  ftä)  toirflid^  fo  begeben! 

Unb  bann:  bie  ©ef Richte  ift  fo  traurig  .  .  . 

£)ie  ßea  mar  ein  fef)r  fd)öne§  Räbchen,  ©rerbt 
mar  ba£  nicht,  bemt  bie  Butter  mar  ein  Heiner,  bicfe§, 
puterroteg  Söeib  unb  „©amriet  heilbar",  ber  SBirt 
in  ber  großen,  gelben  @d)enfe  am  Söege  gegen  Sitte 
SSarnom,  ein  ungefragter  fRiefe,  mit  einem  mifjs 
farbigen,  bon  s$odennarben  gerriffenen  ©efid)te.  Sind) 
bie  beiben  ©öl)ne,  bie  im  §aufe  umhertümmelten,  maren 
nicht  eben  ^ierben  ber  SKenfchh^.  ©ine  finftere,  üers 
broffene,  gemaltthätige  Familie,  bie  iw  unheimlichen 
$aufe  hantierte,  emig  bamit  befchäftigt,  ben  dürftigen 
gufel  eingufdjenfen  unb  bie  SHlgubetrunfenen  f)inavL& 
gumerfen.  Unb  in  biefem  ßaufe  ermudjg  ba£  ^citerfte, 
lieblichfte  $inb,  in  biefer  gamilie  erblühte  bie  fd)önfte, 
holbfeligfte  Sungfrau,  bie  vielleicht  je  meine  Singen 
flauen  geburft.  $)ie  £ea  S3ergl)eimer  mar  mie  ein 
©onnenftrahl.  Unb  eine  güde  golbigen  Sichte  trug  fie 
ja  auch  um  ftolge  ,£jaupt  —  fo  reichet,  fo  leuch* 


578 


tenbeä  ©olbfjaar  f)aV  ich  alle  meine  Dage  nicht  tüieber 
gefeiert.  (Sine  gübin  ift  feiten  blonb  unb  öoßenbä 
finbet  man  feine  blonben  «Schönheiten  unter  ben  grauen 
biefe§  $ßo!fe§.  Die  jitbifchen  Schönheiten  finb  braun 
ober  fdjmarg.  $Iber  bie  Sea  mar  eine  ^luänafjme,  mie 
fie  benn  überhaupt  menig  üom  )übifcf)en  Dppu§ 
fofern  man  nicht  ihren  herrlichen,  fctylcmfen  nnb 
bodh  üppigen  2Buch§  al§  folgen  gelten  laffen  miß. 

Da§  $Intli£  mar  gang  germanifch:  feine,  rofige 
3üge  unb  tiefblaue  klugen.  Der  2lu§brucf  biefer  $üge 
freilich  War  nicht  greisenhaft,  fonbern  fröhlich  unb 
glühenb.  3m  Wiener  23elt>ebere  hängt  in  einem  Gebern 
faale  ein  23ilb  au£  bem  fiebgehnten  3nhr^un^ert/  e^n 
SBieiter  SJürgermäbchen  üon  einem  Spanier  gemalt. 
Da§  Original  mar  ein  beutfcf)e§  Räbchen,  aber  ber 
Süblänber  f)ut  nie!  oon  feinem  heifeen  Sßefen  h^uein? 
gemalt.  Die£  23ilb  fönnte  für  ein  Porträt  ber  Sea 
gelten,  e£  ift  eine  merfmürbige  $X^nticf)feit. 

SBo  ein  Sonnenftrahl  hiufüßt,  ba  mirb  felbft  ba§ 
Lüfter  oerflart:  bie  fcl)öne  Sea  brachte  Sicht  unb  greube 
in  bie  müfte  Schüfe.  (S§  ift  faum  gu  fagen,mie(Sltern  unb 
©efchmifter  an  ihr  hingen,  mit  melier  gitterigen  Siebe  fie 
ba§  Sftübchen  umfaßten,  mit  meinem  thorierten,  unbe^ 
holfenen  Stolge  fie  e§  feierten,  mit  melier  rüf)renben 
Eingebung  fie  fein  Seben  fchtnücften  unb  bemachten.  'Der 
alte  ($  amriet  mar  ein  mohlhubenber  Sßtann,  benn  bie 
Scheute  lag  auf  gutem  ^often  unb  ben  Scf)nap§  gu 
mäffern  unb  ba§  (Geborgte  mit  boppelter  treibe  angus 
fcf)reiben,  üerftanb  fein  SBirt  in  ^obolien  beffer.  $lber 
ift  boch  eigentlich  ein  Sßunber,  baß  er  gu  einigem 


279 


93efibtum  fant,  fo  ungemein  t>tel  raubte  er  an  bie  £ea. 
greiiicf)  in  feiner  Sßeife;  ba§  ®inb  lernte  nid)t3,  al£ 
notbürfiig  bie  (Gebete  lefett,  aber  bafür  beding  er  ben 
frönen  £eib  mit  ben  fd)tt)erften  (Stoffen  nnb  betten, 
unb  fie  ging  an  SBocfjentagen  umher,  mie  nicht  einmal 
be§  reidjften  9(ftanne§  Tochter  am  üfteujaljrätag. 

©ch on  bie  gamilie  ^ätte  alfo  genügt,  ba§  SlMbs 
djeit  eitel  gu  machen,  toohl  auch  b)offärtig.  Slber 
ebenfo  forgten  bie  auberen  £eute  ef)rlid)  bafür:  bie 
grauen  burcf)  ihren  9£eib,  bie  Männer  burdf  i^re 
Söetounberung.  $)ie  Sea  medte  in  ben  jungen  Snben 
üon  Söarnom  fömpfinbungen,  mie  fie  fonft  fetten  in 
folgern  S3nfen  gu  feinten  pflegen.  SDenn  gewöhnlich 
benft  fo  ein  langtoctiger  Süngting  an  fein  9J?äbcf)en 
ber  SBett,  bi§  ihm  enbtid)  fein  SSater  eine§  £age£ 
fagt,  er  fei  oertobt.  S3ei  ber  Verlobung,  oft  genug 
erft  bei  ber  «gjodjgeit,  fie^t  er  fid)  bann  feine  23raut 
an  unb  ob  fie  iljm  nun  gefaßt  ober  nicht,  er  befd)tiej3t, 
fid)  au  fie  gu  gewöhnen,  Wa§  ihm  benn  aud)  in  ben 
meiften  gäßen  gelingt.  $lber  an  bie  £ea  badjten 
$iele,  unb  wenn  fie  über  bie  ©tra^e  ging,  fo  er^ 
eignete  fich  oft  fogar  ba§  Unerhörte  unb  e§  blicfte 
ihr  (Siner  nach.  Sa  fogar  in  ber  „$tau3",  wo 
bie  ftißen,  frommen,  fehr  träumerifchen  unb  fehr 
waff  erfreuen  Xatmubiften  über  ben  großen  go* 
lianten  nidten,  warb  guweilen  ihr  Sftame  genannt 
unb  mancher  tiefe  ©eufger  hörbar,  ber  nur  ihr  galt. 

$>a£  erfuhr  bie  fchöne  £ea  freilich  wdjt-  $lber 
anbere  Seute  forgten  bafür,  bafj  fie  nicht  barüber  im 
Zweifel  bleibe,  ob  fie  gefaße  ober  nicht.  $)a  Waren 


280 


bie  führten  Otymnafiaften  oort  SBarnom,  bie  fidj  immer 
gu  ben  gerien  fterblic^  in  fie  oerfiebten,  in  fie  nnb  in 
bie  „(Sfterfa  Regina",  ein  anbere§  fcböne§  gubem 
mäbd)en,ba£  gleichfalls  ein  trauriges  (Snbe  genommen  tjat. 
Da  maren  bie  noch  fix  Queren  ©bedeute,  bie  oft  üor 
ber  ©diente  gelten,  auf  ein  (^löschen  ©cbna^S  unb 
auf  ein  fleineS  ©efpräd).  Da  maren  bie  OTertü^nften, 
bie  ^ufarenof fixiere,  bie  in  bem  fufelgefcbmängerten 
9faum  if)  re  oergeubeten,  meldje  übrigens  au  cf) 
fonft  fdjmerlicb  nu^lid)  angemanbt  morben  märe. 

«gier  freilich  gefcbab  eS  of)ne  jeglichen  $ftu|en. 
Denn  eitel  mar  bie  ßea,  aber  and)  braü,  gut  nnb  rein. 
$f)r  |jerg  mar  fo  meid)  unb  mitleibig,  mie  man  eS 
felbft  unter  ben  grunbgütigen  grauen  biefeS  SSolfeS 
feiten  finbet,  unb  jeber  2lrnte  nannte  ihren  tarnen  mit 
inbrünftiger  Verehrung.  üftur  mar  fie  eben  oerliebt  in 
bie  eigene  «Schönheit  unb  befonberS  in  if)r  |jaar,  baS 
ja  audj  ooit  feltener  gerrtidjfeit  mar.  Sßenn  fie  bie 
fermeren,  fuuftüollen  gleiten  löfte,  bann  flutete  eS 
herab  mie  eine  mastige  ©olbmede  unb  fdjmiegte  fid) 
bis  an  bie  $niee  um  ben  ßeib,  ein  leucbtenber,  feibener 
Hantel,  mie  if)n  feine  Königin  je  fdjöner  getragen. 
$8on  biefem  ihrem  Scbmucf  bade  ffe  aU(^  tbren 
namen:  „ßea  mit  ben  langen  paaren"  .  .  . 

Die  guben  oon  23arnom  maren  ber  feften  Über= 
geugung,  baf3  bie  ßea  nie  beraten  mürbe;  bie  grauen 
hofften,  bie  Scanner  fürsteten  eS.  Denn  fie  reifte 
heran,  marb  fiebgebm,  marb  neuugebnjäbrig  unb  hotte 
noch  immer  feinen  greier  mert  erachtet,  fie  gu  befi|en. 
DaS  mar  unerhört  unter  ben  ßeuten  biefer  ßanbfcbaft. 


bie  fonft  fcßon  ßalb  enttoicfette  $ütber  mit  einanber 
üerßeiraten.  Aber  ßier  ging  e§  aucß  anber§  gu  al3 
fonft.  Der  dte  ($amriel  fragte  feine  Docßter  um  ißren 
SSillen,  unb  Sea  fagte  regelmäßig  furg  unb  entfliehen: 
„9^ein !"  Die  23emerber  magten  fid)  fcßließlicß  gar 
nid)t  meßr  ßeran,  nacßbem  fogar  Soffef  ^urgelbaum 
einen^orb  befomntenßatte,ber©oßn  be£  reic^ften  9Jtanne§ 
im  Greife,  unb  ber  Heine  ßßaint  9ttacßmirba§,  ber  im 
brüten  (bliebe  mit  bem  Sftabbi  üon  ©abagöra  üer= 
fcßmägert  mar.  Daß  man  einen  $ftenfcßen  au§  fo 
ßeiliger  gamilie  üerf ermäßen  fonnte,  mar  unfaßbar 
unb  fam  einer  perfönlicßen  SMeibigung  (55otte^  faft 
gleicß.  Aber  bie  Sea  magte  biefen  $reüel  unb  fußr 
fort,  bie  |jeirat£üermittler  gur  SBergmeiflung  gu  treiben, 
©cßließlicß  magten  e§  biefe  Seute  faum  meßr,  bie 
©eßente  gu  betreten,  obmoßl  e§  im  Allgemeinen  2D?em 
feßen  giebt,  melcße  feßeuer,  fdßamßafter  unb  rücfficßt^ 
üoller  finb,  al§  jübifeße  |)eirat3üermittler  in  ^ßobolien. 
Unb  einer  üon  ißnen,  «fperr  8ßig  Dürlifcßgelb,  pflegte 
gu  fagen:  „3cß  bin  ein  alter  SDfanit,  aber  icß  ßoffe 
boeß  noeß  bie  SSerßeiratung  ber  Sea  unb  bie  Anlunft 
be£  $fteffia§  gu  erleben.  Da£  Seßtere  freilidß  eßer 
al§  ba§  (Srftere."  Denn  Sßig  Dürfifcßgelb  mar  ein 
munterer  $0fanu. 

Da  foUte  bennodß  ba3  (Sntgegengefeßte  maßr  mer= 
ben.  Unb  al3  ber  9?ame  be§  ®lüüticßen  befannt 
mürbe,  ba  mar  ba§  ©tarnten  barüber  noeß  größer, 
al§  über  bie  Dßatfacße  felbft.  Denn  Stuben  Sofern 
mann  ober  Stuben  ber  ^atßaufer,  mie  er  megen  ber 
Sage  feinet  £ramlaben§  im  ©täbteßen  genannt  mürbe, 


282 


mar  lieber  reiefe  noefe  au§  frommer  gamitie  unb  oben* 
breirt  SBitmer.  Aber  ein  fcfeöner  ßttann,  feocfe  unb  ftattticfe, 
babei  ernft  nnb  ftiCC.  ®r  feielt  etma§  auf  fein  Äufeereä 
unb  trug  ben  Kaftan  um  eine  (Spanne  fitrger  al§  bie 
Anberen.  ÜBar  er  bocfe  and)  gmei  Safere  in  einer  grfc 
feeren  (Stabt  gemefen,  in  Sörobfe,  unb  la§,  fpracfe  unb 
fcferieb  ba£  £>od)beutfefee.  A$aferfcfeeinticfe  barum  ftanb  er 
im  fRufe  eine§  greigeifte§,  ben  er  fonft  burcfeauS  niefet 
derbiente;  er  befolgte  ffladifefe  alle  (Gebote,  niefet  blofe 
be§  (Glaubens,  fonbent  aucfe  be§  Aberglauben^.  Sßarum 
bie  £ea  gerabe  ifen  gemäfelt  featte,  barüber  gab  fie  Sebem, 
ber  e£  feören  moßte,  Auffefetufe:  „SSeit  er  mir  gefallen 
feat."  £)a§  mar  freiliefe  ein  ®runb,  ber  bei  einem 
pobolifefeen  Subenmäbcfeen  unerfeört  mar.  £>arum  forfefete 
man  bei  ben  |>eirat§dermittlem,  ofene  jeboefe  aucfe  feier 
mefer  erfaferen  gu  fönnen.  (Selbft  Sürfifcfegelb  mufete  gu; 
geftefeen,  bafe  biefe  Verlobung  niefet  feinem  Talent  gugu^ 
f(fereiben  fei.  SSofel  featte  ifen  Stuben  auägefenbet,  aber  Sea 
featte  erflärt:  „@r  felbft  foß  fomrnen,  menn  er  mir 
ctma£  gu  fagen  feat." 

SRuben  mar  gefommen.  $)ie  JungenSeute  featten  eine 
lange  Unterredung,  mofel  au  bie  gmei  Stunben.  2öa£  fie  ba 
oerfeanbelt  featten,  erfufer  Niemand,  niefet  einmal  bie  Eltern 
be£9ftäbcfeen§.  ßta  ber  alte  ®amriel  erlaubte, mie Stuben 
einmal  laut  unb  bemegt,  faft  feiertiefe  fagte:  „SBißft  $)u 
e§>  —  gut,  iefe  mefere  ®ir  niefet.  %$ox  @ott  ift  e£  mofel 
feine  @ünbe,  aber  dor  biefen  9ttenfcfeen.  £)arum  feilte  ®ein 
®efeeimni§,  fie  mürben  SDicfe  unb  miefe  deraiefeten,  menn  fie 
e£  j [e  erfüferen!"  Aber  ber  Alte  brang  dergeblicfe  in 
die  £ocfeter,  and)  ifem  ba§  ®efeeimni£  gu  offenbaren. 


288 


£3alb  buranf  mar  bie  «^jodjgeit.  Sie  £ea  mar  unter 
bem  Srauhitnntel  fdjöner  angufchauen,  benn  je.  Uttb 
bod)  fehlte  il)r  nun  il)r  fünfter  Schmud:  ba£  ©olbhaar. 
$eine  verheiratete  grau  barf  ihr  eigene^  $aar  tragen, 
e£  mirb  vor  ber  Trauung  furg  abgefchnitten,  hie  unb 
ba  auch  ^er  ^opf  tafiert.  Sie  53löf;e  bebedt  man  mit 
einem  h°^en  lodenen  ober  feibenen  ^Cuffafe,  bem 
„Scheitel."  So  miß  e§  ber  alte,  ftarre  (glaube,  unb 
fo  mirb  e§  gehalten.  Sein  eigene^  §aar  gu  tragen  mürbe 
nicht  bloß  al§  Reichen  ber  Schamlofigfeit  gelten,  fonbem 
eine  ungeheure  SSerfünbigmtg  gegen  ©ott  bebeuten.  Slber 
bie  £ea  bulbete  e£  menigften§  nicht,  baß  fid)  grembe 
an  ihr  »ergriffen;  mit  eigener  §anb  fchnitt  fie  fid)  in 
öerfd)loffener  Kammer  ba§  $aar  üom  §aupte. 

©§  marb  eine  fehr  glückliche  ©he.  Sabei  begab 
fid)  noch  ein  meitere§  Sßunber:  £ea  mürbe  bemütig  unb 
gehorchte  ihrem  ©atten.  Selbft  ber  SJ^eib  mußte  eins 
geftehen,  baß  ber  lange  dhtben  ein  treffliche^  SBeib 
habe.  Sa§  fühlte  er  and),  unb  al§  ihm  halb  barauf  eine 
fuße  Hoffnung  minfte,  fannte  fein  ©lüd  feine  ©rengen. 
$lber  biefe  Hoffnung  erfüllte  fid)  nicht,  ba£  $inb  fam  »or* 
geitig  unb  tot  gur  SBelt.  Ser  Slrgt  fcf)ob  bie§  auf  eine 
©rfältung  ber  SKutter.  $lber  ber  fRabbi  von  SBarnom 
mar  anberer  $lufid)t.  ©r  ließ  £ea  holen  unb  fragte  fie, 
ob  fie  fid)  nicht  etma  biefe  Strafe  ©otte3  gugegogen  höbe, 
meil  fie  I)etotlich  eineg  feiner  ©ebote  übertreten.  £ea 
mürbe  totenbleich,  aber  fie  fagte  feft:  „üftein,  fRabbi!" 

Sag  mar  im  griihling  gemefen.  gm  gmeitnächften 
§erbfte  gebar  bie  £ea  einen  Knaben,  aber  er  ftarb 
nach  fed)g  Sagen.  Ser  5lrgt  meinte,  an  einem  ©ehirm 


284 


fd)lag,  tüte  er  bei  Neugeborenen  fo  oft  Eintritt.  Sea 
gerfloft  in  £f)ränen;  aber  al§  ber  Nabbi  nun  felber 
!am  unb  feine  einftige  grage  tüieber^olte,  fagte  fie 
and)  bie^mat  furg  unb  feft:  „Nein,  Nabbi!" 

Sm  nächften  ©ommer  füllte  fid)  £ea  gum  britten 
SNale  dftutter.  $)ie  Erinnerung  an  ifjre  beiben  fd)merg= 
liehen  SBerlufte  burchgitterte  fie  unabläffig  unb  warb  ihr 
gur  bangen  5lf)nung.  Stngfttid)  toad)te  fie  über  fid),  unb 
Nuben  wich  faurn  ntef)röon  ihrer  ©eite.  $tber  at£ber  SSers 
}of)nung£tag  l^eranfam,  ba  lieft  fie  fich'£  troft  feiner 
^tbmahnung  unb  troft  be§  ärgtlichen  $erbote£  nicht 
neunten,  ben  gangen  Stag  faftenb  in  ber  alten  33etfd)uP 
gugubringen. 

$)a§  fottte  ifjr  gum  SSerberben  werben.  E£  ^errfd^t 
au  biefem  S£age  in  ber  alten  23etfchul’  eine  fürchterliche, 
öerpef tete  ©djwüle,  ergeugt  burch  bie  ungähligen  2Sach§' 
fergen  unb  bie  2lu§bünftung  fo  üieler  SNenfchen,  Welche 
ba  fo  lange  ©tunben  beten,  weinen  unb  leiber  auch 
fdjWiften.  E§  war  alfo  eine  ^ttmofühüre,  in  ber  auch 
ber  gefünbefte  Ncenfd)  fyätte  ohnmächtig  werben  tonnen, 
um  fo  mehr  ein  gartet  SBeib  in  folgern  guftanbe,  wie 
bamalä  Sea.  £)ie  ©inne  oergingen  ihr,  mit  einem 
leifen  $tngftfd)rei  fanf  fie  üom  23etfd)emel. 

S)te  Söeiber  brängten  fid)  fytvhti  unb  mühten  fid) 
um  fie.  ©ie  lüften  ihr  bie  Kleiber  unb  br achten  ber 
Ob)nmäd)tigen  gWangig  Niechftäfdjchen  gugleid)  an  bie  Nafe. 
$lber  ülö|lich  ftoben  fie  bliftfchnetl  auäeinanber  —  ein 
hunbertftimmiger,  geüenber  ©chrei  —  unb  bann  Wieber 
©title,  bie  ©title  be£  tiefften  Entfe|en§  .  .  . 

SDer  „©cheitel"  ber  Sea  ^atte  fich  oerfdjobert  unb 


285 


barunter  quoll  ba§  gufammeugebrüdte  (^olb'fjaar  itits 
Wiberftefjlich  ^cröor  unb  legte  ftdfj  Wie  eine  tickte  SBolfe 
um  ba§  totenkaffe,  fdjöne  2lntlit$. 

£>a$  War  ba§  ®eheimni§  ber  Sea  gewefen. 

2öa§  nun  folgte,  läfjt  fich  nic^t  befcfjreiben,  faum 
anbeuten.  £)ie  Stille  wich  wilbem  Metern,  gludjen  unb 
Stoben.  33li|fcf)neE  burdjflog  bie  ®mtbe  and)  jenen 
Sftaum,  Wo  bie  Männer  beteten,  unb  übte  f)ier  gleite 
SBirfung.  Unter  wilben  SSerwünf jungen  brängten  bie 
Sftafenben  in  bie  2Beib erfctjuP.  §ätte  bie  Sea  foeben 
geftanben,  baf$  fie  ihre  ^inber  felbft  getötet  —  unb 
$inbe§morb  gilt  unter  ben  Suben  al§  gräfjlichfteä  $8er^ 
brechen,  ärger  al§  SSatermorb  —  bie  2But  hätte  faum 
größer  fein  fönnen.  Hber  in  ben  klugen  ber  Sßers 
bienbeten  fjatte  ja  ba§  $aar  ber  Sea  in  ber  X^at  bie£ 
ftumme,  furchtbare  ($eftänbni$  abgelegt!  .  .  . 

war  am  bjeiligften  £agc  be§  Sahre^  im^  Sene/ 
gegen  welche  bie  2Sut  fid)  richtete,  war  ein  fdjwad)e3 
28eib,  in  einem  3ufian^e/  ber  ben  ^oheften  gu  gügeln 
oermag.  (gleichwohl  läfjt  fich  nidht  überfeinen,  wogu 
bamal§  ber  fromme  SBahn  bie  SSerblenbeten  hätte  führen 
fönnen.  5lber  ba  brängte  Hubert  wilb  burd)  bie  ^Reihen, 
Schmer^  unb  gorn  üergef)nfachten  feine  $raft,  er  hob 
bie  Dhnmächtige  auf  ben  linfen  $lrm  wie  ein  fö'inb,  mit 
bem  redeten  bahnte  er  fich  ^en  28^9  burdj  9^enge, 
bafj  5We§,  wa£  ihm  entgegenftanb,  nur  fo  rechte  unb 
linf£  au£einanberflog.  So  ftürmte  er  bie  kreppe 
hinab  unb  burd)  bie  Waffen  fyim,  non  glüdjen  unb 
$Berwünfd)ungeu  oerfolgt;  ba§  |jaar  be$  üE3eibe£  um; 
peüfd)te  im  DftoberWiube  fein  furdjtbar  blaffet  (Stefidjt, 


286 


au§  bern  bie  5lugett  gliüjenb,  mie  im  SJBafjnfinn,  ftarrten. 
(Sä  gelang  halb,  bie  Ohnmächtige  §u  ermecfen,  aber 
al§  fie  um  fidj  flaute  unb  ihr  gelöfteä  $aar  erblicfte, 
fchrie  fie  gellenb  auf  uub  üerfiel  iu  fjeftige  Krämpfe. 
$)er  ^Irgt  eilte  ^erbei,  aber  er  öermochte  nur  ba§  Sebeit 
ber  Butter  §u  mähren,  nicht  ba3  junge  Seben,  ba£  in 
if)r  leimte.  Uub  am  nädjften  borgen  fonnten  bie  Subeu 
öon  Sarnom  eiuauber  ergäben,  ba£  ficf)  ba§  (Bericht 
®otte§  gum  brüten  9Jial  an  ber  ©ünberin  erfüllt  l)abc. 

Stuben  mar  mie  oerfteinert  im  ©djmerg.  Uub  al3 
er  am  f eiben  borgen  oor  be£  Sftabbi  ®ericf)t  entboten 
mar,  ba  fcljritt  er  fo  uitbemegt  bal)in,  al3  ginge  tyn 
bie  ©adje  eigentlich)  nichts  an.  $lucf)  auf  bie  Sermün^ 
fdjungen,  mit  benen  man  ihn  empfing,  fjatte  er  feine 
$lntmort  unb  gab  im  Serl)ör  furgen  unb  unerhört  oer? 
megenen  Sefcfjeib.  (Sr  marb  gefragt,  ob  er  um  ben 
greüel  feinet  Söeibeä  gemußt.  (Sr  tjabe  barum  gemußt. 
SSarum  er  bie  ©ünbe  gebulbet?  2Beil  e3  in  feinen 
klugen  feine  ©ünbe  fei.  Ob  er  nun  ©otteä  ©traf= 
geriet  erfenne?  üftein,  benn  er  glaube  an  einen  aUmeifen, 
allgütigen  ($ott.  Ob  er  nun  menigftenä  feinem  SSeibe 
ben  fünbigen  ©chmucf  oom  Raupte  fdjneiben  moÜe? 
Sftein,  meil  ba§  gegen  fein  Serfpredjen  al3  Bräutigam 
märe.  Ob  er  bie  ©träfe  fenne,  ber  er  entgegengefje? 
(Sr  fenne  fie  unb  merbe  fie  abgumeljren  miffen. 

®iefe  ©träfe  ift  ber  „grofje  (Syrern",  ber  ftrenge 
Sann,  bie  fjerbfte  ©träfe,  meldje  bie  ($emeinbe  über 
eineä  if)rer  ©lieber  »errängen  fann.  2Sen  man  in 
ben  „(Sljer em"  getrau  hat,  ber  ift  oogelfrei;  e3  ift  feine 
©ünbe,  jonbern  ein  Serbienft,  iljn  an  ($ut  unb  £ebeu 


287 


i 


511  fdjäbigen.  9£ur  in  feinblidjfter  5lbfid)t  barf  man 
feinen  Seib  berühren  ober  eine  ©adje,  bie  iljm  gehört; 
nur  mer  iljn  oerberben  mid,  barf  biefelbe  Suft  atmen 
Wie  ber  ©erbammte.  £)er  „(Sherem"  löft  bie  fjetfigften 
©anbe,  unb  maS  fonft  fdjlimmfte  ©erfiinbigung  ift,  toirb 
hier  gunt  frommen  ($ebot:  bie  Gattin  barf  ben  (hatten 
oerlaffen,  ber  ©ofjn  bie  |janb  gegen  ben  ©ater  ergeben. 
(SS  ift  ein  $rieg  501er  gegen  (Sitten,  ein  erbarmungslos 
geführter  $rieg,  in  toeldjem  ade  drittel  gelten.  (SS  ift 
ein  unerträgliches  ©djidfal,  baS  ben  ftarrften  SBiden 
gu  brechen  oermag.  2Ber  im  „(Sherem"  ift,  beeilt  fidj 
getoöhnlidh,  fdjnedftenS  feinen  grieben  mit  bem  ©abbi 
gu  madjen  —  um  jeben  ^ßreiS,  felbft  um  ben  ber 
©elbftadjtung. 

$)em  diuben  erfcf)ien  biefer  SßreiS  gu  hoch-  ©k>hl 
marb  er  burdj  bie  ©träfe  hoppelt  §art  getroffen,  benn 
fte  (egte  auch  bie  ©£t  an  feinen  (Srmerb.  ^er  $rams 
laben  ftanb  oeröbet.  5Cber  er  beugte  fidj  nidjt  unb 
fudjte  ba  ©dju|,  too  man  iljn  ihm  gu  gewähren  oers 
pflichtet  War,  beim  f.  i  ©egirfSgeridjt.  £)er  „(Sherem" 
ift  als  (SrpreffungSmittel  ftrafbar,  unb  im  beften  gade, 
toenn  er  aus  guten  ®ritnben  Oerhängt  wirb,  bleibt  er 
ein  (Singriff  in  baS  3uftigredjt  beS  ©taateS.  SDer  ©es 
girfSridhter,  |jerr  ooit  üftegruSg,  hotte  in  ber  ©adje  auch 
fidherlidj  ben  beften  üföiden  unb  that,  waS  er  fonnte. 
Slber  er  fonnte  nicht  oiel  tljun.  (Sr  leitete  bie  Unters 
fuchung  gegen  ben  Sftabbi  ein  unb  ftrafte  jebe  ©es 
fdjimpfung  ober  ©djöbigung,  bie  9ftuben  oon  einem  nach' 
weiSlichen  Urheber  angetfjan  mürbe.  5Cber  in  ben  meiften 
gäden  barg  fid)  bie  Xiide  im  ’&unfel  ber  Stacht,  unb 


288 


bie  ftrafgeridjttidje  Verfolgung  be§  fRabbi  mehrte  nod)  bie 
fromme  SBut.  Unb  ma§  öodenb§  ben  $ramlaben  betrifft, 
fo  tonnte  and)  ber  Vegirt£ridjter  !>ftiemanb  bagu  Debatten, 
feinen  ^ucfer  unb  Kaffee  beim  Sftatljaufer  gu  £)olen. 

£)er  $rieg  bauerte  ben  üBinter  über  nnb  in  ben 
grüijting  hinein.  3m  5lpril  mar  ber  Ütabbi  auf  fed)§ 
Söodjen  eingefperrt  morben.  5lt§  er  frei  mürbe,  feierte 
bie@emeinbe  ba£  fefttidje(ü£:reigni§  burd)  eine  Veleudjtung 
unb  inbem  fie  bem  Sftuben  bie  genfter  einmarf.  ©onft 
änberte  fidj  nid)i§;  ber  ÜUtann  beugte  ficb)  itidjt.  ©r 
üerarmte  fidjttid);  fein  ©djmiegerüater  lieft  nid)t  ab,  gu 
fleften  nnb  gu  befdjmören,  aber  Stuben  beugte  fidj  nidjt. 
Sanodj  meftr — bie£ea,bie  fid)  in  jenem  fdjredtidjenSßinter 
um  ade  ©djonfjeit  nnb  griffe  gegrämt,  füllte  fid)  im 
grüftling  mieber  Butter  nnb  flehte  ben  (hatten  nun 
felbft  an,  »ben  oerfjängniäüoden  ©cftmud  abtegen  gu 
bürfen.  Viedeidjt,  meinte  ba§  arme  Sßeib,  fönne  ba§ 
mirftid)  bem  jungen  Seben  fdjaben.  2lber  Stuben  fdjiits 
tette  finfter  ben  $opf:  bleibt  babei;  $)u  beftältft 

£)ein  |jaar.  Unb  memt  e§  einen  ($ott  giebt,  fo  mirb 
er  un§  nid)t  üerlaffen  nnb  idj  merbe  fiegen!" 

Üvuben  ift  unterlegen.  Unb  ma£  nun  folgt  — 
baoon  ftabe  id)  bie  (Smpfhtbung,  al§  ob  id)  e§  nur 
feftr  fnrg  ergäben  miiftte  .  .  . 

3m  ^oüember  gebar  bie  £ea  mieber  einen  Knaben. 
£>a§  $inb  mar  f rif d)  unb  gefnnb,  and)  bie  Butter  be s 
faitb  fidj  leiblidj  moftt.  ©edj§  Xage  öerftridjen.  ^a 
oerfammette  ber  Sftabbi  feine  ($etreueften.  „’&er  Vater 
ift  im  (Sljerem,  bie  Butter  trägt  iljr  eigen  |jaar.  5lber 
ba£  £inb  ift  fdjulbloä.  ©eljen  mir  mieber  tljatloä  gn. 


289 


fo  muf$  ba§  $inb  fterben,  wie  fein  Sörüberdjen  ftarb, 
Weit  bie  @ihtbe  ber  Butter  fortwäljrt."  $Da§  Ijeifjt: 
Waljrfdfyehtlicf)  war'§  ber  Sftabbi,  ber  fo  fpracf).  $)er 
Urheber  ber  grauenooHen  £f)at  ift  nie  entbeut  worben. 
£ljatfad)e  ift  nur,  bajj  ber  grettel  Oerübt  wnrbe. 

Um  bie  SDUttemadü  be£  fect)ften  Xage§  braten 
Vermummte  in  ba§  |jau§  be£  Stuben,  überwältigten  iljn 
unb  bie  SBefjefrau,  riffen  bie  Sßödjnerin  an§  bem  S3ett 
unb  fd^nitten  i^r  ba§  $aax  oom  Raupte.  $wei  ^a9e 
barauf  war  bie  £ea  tot.  S)te  folgen  ^  ©cf)recfen§ 
Ratten  fie  getötet.  £)a3  $inb,  ba3  feit  ber  ^reüetttjat 
in  Krämpfen  gelegen,  war  ifjr  um  einige  @tunben  oor? 
auägegangen. 

Stuben  blieb  im  @täbtcf)en,  bi§  bie  Unterfudjung 
beenbet  War.  0ie  nutzte  eingefteüt  werben.  Sßemt 
biefe  fflltn fcfjen  fd£)Weigen  wollen,  fo  bringt  fie  feine 
SQtfadjt  §um  9teben.  ^ann  30g  Stuben  fort.  (§;§  ift 
mand)e§  Sa^r  feitbent  öerfloffen.  5lud)  er  Ifat  woljl 
fd)on  SRulje  gefunben  unb  fdjläft  in  einem  anberu 
SBinfel  berförbe  bie  bmtf  len  ©cfjmeraen  feinet  £eben§  au£. 

$)e£  ($rabe§  ber  £ea  Ijabe  icf)  bereite  gebaut. 
(S§  bleibt  nict)t§  rnefjr  gu  berieten  übrig,  üftur  ein 
2Bort  nocf)  will  icf)  fjingufügen,  ba$  mir  au§  tiefftem 
|jergen  aufquillt: 

$ergeil)et  ifjnen,  gürnet  if)nen  nicfjt,  benn  fie 
Wiffeu  nid^t,  Wa3  fie  tljun! 

w 


St.  <5.  3wben  öou  29arnoto 


£rucf  ber 

ttnt»t»  $eBtfd}e  SSerlßßSßefeafdjßft 
tu  Stuttgart 


2£itgeigen  bes 
(Soffa’fdjen  35eclages 


@e6unb«it 

33t.  1.50 


Äact  ©mil  Sxangos: 

SCUcin  3x°n3-  S^oöeHe  In  QSecfen.  2.  Auflage 

£)et  ©ott  bes  alten  ©ottors.  ©cjäblung.  2. 2lufl.  „  6.50 

3bie  Quben  £>on  35acnoto.  ©eftf)id)fen.  11.  bis 

15.  Auflage  »  15.— 

©in  &ampf  ums  Stetfyt.  Vornan.  2  35anbe  in 

einem  33anb.  7.  Auflage  „  11.— 

Olt  an  n  unb  SSSeib*  Dtoüeßen.  2.  Auflage  „  7,— 

02tof(f)£o  öon  ^acma*  ©cgäbtung.  5.  Auflage  *  7.— 

■* 

9lßUß  9lot>eßen.  2.  Auflage  w  6.50 

0ec  ‘pojag.  ©ine  ©eftf)icE)fe  aus  öera  Offen. 

OTtif  35ilbniö.  11.  u.  12.  Auflage  „  9.50 

£)er  ^räftbent.  ©rgät)lung.  4.  Auflage  „  6.50 

£>ie  Steife  naä)  bem  @d)ictfal.  ©cgä^lung.  3.2lufL  „  7.50 

Qubitb  £cacbtenbercj*  ©cgöf)[ung.  7.  Auflage  „  7.50 

!©et  233afjtfjeitf«ri)ßr.  Vornan.  2  33änbe.  3.  2fufL  „  15.— 

2eib  233eil)nacbts£ud)en  unb  fein  &inb.  ©cjäb- 

lung.  3.  Auflage  „  7.— 

21  u  6  ber  ©offa’fcfyen  §anbbibUofbe!: 

Oec  alte  £)arnian  unb  anbece  ©efd)icf)fen  „  —.25 

£)er  3piob  t>on  llntecad)  unb  anbece  ®efif)icbfen  „  —.70 

£Me  braune  Stofa  unb  anbece  ©cgäblungen 


M 


1.50 


Ä'art  ©mit  gxangoö: 


^palb*21fien.  £anb  unb  £eute  beß  öftlirfjen  ©uropa. 

0etf)ß23änbe  3n  3  33änben  gebunben  93T.  25.— 

§iecauß  eingetn: 

33anb  I/II:  2tuö  §alb-2(fien.  &ulturbilbec  aus 
©atigien,  bec  35ufomina,  ©übcugtanb  unb  9£u- 
mänien.  5.  Auflage  3n  1  25anb  gebunben  OJt.  9.— 

35anb  III/IV ;  23om  Son  gur  Sonau.  Dteue 
&utfurbilber  aus  3palb*2tfien.  3.  Auflage 

3n  1  23anb  gebunben  93t.  9.— 

23anb  V/VI:  2tus  bec  großen  ©bene.  Dteue 
Äutfurbilber  aus  §alb*2tfien.  2.  gänglicf)  um» 
gearbeitete  Auflage  3>n  1  25anb  gebunben  91t.  7.— 


(Sin  Äa nt p f  ums  Dlecfjf 

9?omän.  7.  Auflage 

2  23änbe  in  1  23anb  gebunben  31t.  11. — - 

^aul  jrjepfe  ftfjricb  im  „Dteucn  Seutfifjen  DtoneHenfcfjaf}": 
„©inen  großen  233urf  fyat  grangos  mit  bem  Vornan  ,©in  ß’ampf 
umö  3£ecf)t‘  getan,  einem  ©pos  in  ^rofa  non  bec  ecfct)ütteinbften 
etbifcben  ©etoalt.  Dtiematö  ift  bi e  ^o£)l^aaö=^bee  gu  mächtigerer 
©ntmicflung  gelangt,  unterftüf$t  non  einem  bec  grojgartigften  lanb= 
fd^aftlicfjen  unb  $ulturbintergrünbe,  bie  fict)  überhaupt  benten  taffen." 

9£ubolf  non  £> e c i n g  ucfeitfe  in  feinem  „^ampf  umö  9?ec£)t": 
„Sie  Sichtung  bitbet  ein  mürblges  ©eitenftüd?  gu  9TticE)act  @ot)U 
baaö  non  steift.  ©in  ©eetengemälbe  non  einec  2Sahrheif  unb  er- 
fdt)ütfecnben  $caft,  baö  Dtiemanb,  ohne  aufö  jipöchfte  ecgriffen  gu 
fein,  auö  bec  ^anb  legen  fann." 


©lifabeffj  bon  .Spebfing: 

Siebe, 

Diplomatie  mtb  !gol$äufet 

©ine  Saßanp^anfafie  t>on  elnft 
7. — 11.  Auflage 
©ebunben  91t.  20. — 

Dßr  ßfmaß  bigarrß  JXifel  fpiegelf  bie  Dßtfchiebßnßn  ©Iß- 
mßnfe  mibßr,  aus  bßtißn  biß  Dichtung  gufammßngßfchmolgßn 
ift:  ©atirß,  ^roniß,  £ßibenfchaft.  Diß  ^olghäufer  beneid)* 
nßn  baß  28effrßnnßn  bßr  ©roj3ftaatßn  um  Sißfßrungßauf* 
frägß  bßr  fölßinßrßn,  in  bißfßm  gallß  ßinßß  23al!anftaafßß. 
Diß  ©c£)ilbßcung  bßr  biplomafifchßn  ©ßfchüffigtßit ,  bßß  oft 
in  ©fumpffinn  hinbämmßrnbßn  ©ßnufclßbßnß,  biß  gangß  tcoft- 
lofß  Dbß  folcljer  35alfanbiplomatßn=©f:iftßng  ift  äufjßrft  gß* 
lungßn,  fo,  miß  nur  ßinß,  biß  ßß  auß  ßigßnßc  (Erfahrung 
tßnnf,  fchilbßcn  Bann.  Dabßi  E)ätf  fic£)  ©lifabßfh  o.  §ßg!ing 
oon  aUßm  bilßff anfifc£)ßn  ©ßlbftbiographentum  fßcn.  ©ß 
ift  aßßß  in  biß  ©phärß  bßß  &ünftlßcifcl)ßn  gßhobßn.  2>n 
bßn  Nahmen  bßr  ©atirß  ftßHf  biß  Dichterin  mit  fßinftßr  §anb 
ßin  £ißbßßpaar,  bßffßn  ©chidifatß  bßn  £ßfßr  auf  baß  Imchftß 
fpannßn  unb  mit  märmfter  Sßilnahmß  ßrfüHßn.  Diß  grau, 
biß  fich  gu  früh  alfßrn  fühlt  unb  bßr  gßnubfrohß  3ün9Ün9 
gßhen  übßr  aüß  ©tufßn  bßr  £ßibßnfd)aft,  biß  gu  ßinßm  fra* 
giften  ©chlujg  führt.  2öir  halten  bißfe  ©rgählung  für  baß 
reiffte  2Bßr!  bßr  h0cbsef chä^fßn  Dichterin. 

^atn&ucgec  gxembenblaf«: 


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