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9
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DIE
KALENDERTAFEL
f
DER
PONTIFICES
VON
/
*| OTTO SEECK.
BERLIN.
WEIDMANNSGHE BUCHHANDLUNG.
i885.
/ / .'
Heinrich Matzat
gewidmet.
1
An Heinrich Matzat.
Die mittelmässigen Bücher, in denen sich der gewohnte
langsame Fortschritt der Wissenschaft vollzieht, pflegt man
anzuerkennen, die schlechten zu dulden, wenn aber ein-
mal ein Werk erscheint, das eine ganze Disciplin von
Grund auf neuzugestalten zwingt, so erhebt sich die
Schaar der Kritiker in einmüthigem Zorn. Diese alte Er-
fahrung haben auch Sie mit Ihrer Chronologie gemacht
und werden darüber nicht erstaunt gewesen sein. Denn
Sie wissen ja, dass nicht viele sich entschliessen können,
tausend Dinge, die sie vorher für einen sichern Besitz
hielten, einfach wegzuwerfen und das von Neuem zu
lernen, worüber sie längst im Klaren zu sein glaubten.
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen; ich aber
freue mich, noch ein Werdender zu sein, und dass ich
dankbar bin, soll Ihnen die Widmung dieses Büchleins
ausdrücken, das ohnehin in mehr als einer Beziehung
Ihnen gehört. Von der Redaktion einer Zeitschrift ver-
anlasst, beabsichtigte ich anfangs nur, Ihre Chronologie
in der üblichen Form zu besprechen, doch der Stoflf wuchs
mir unter den Händen. Einige der von Ihnen angeregten
Gedanken reizten mich, sie in ihren Consequenzen zu ver-
folgen, andere forderten meinen Widerspruch heraus, und
die Begründung desselben beanspruchte ein viel weiteres
VI
Ausholen, als in dem engen Rahmen eines Zeitschriften-
artikels möglich war. So ist dieses Schriftchen entstanden,
ein Zwitterding von Recension und selbständiger Unter-
suchung, das seinen Ursprung nicht zu seinem Vortheil
deutlich genug verräth. Ich habe darin schärfer gegen
Sie polemisirt, als mancher Ihrer erklärten Gegner, denn
wo ich widersprechen muss, vermag ich ebensowenig, wie
Sie, ängstlich nach der schonendsten Wendung zu suchen;
gerade darum aber war es mir Bedürfnis, gleich auf den
ersten Seiten öffentlich auszusprechen, wie hoch ich Ihr
Verdienst um unsere Wissenschaft schätze und wie frucht-
bar nicht nur Ihre Entdeckungen, sondern selbst Ihre
Irrthümer für mich geworden sind. Sie werden die Töne
kennen, die Sie erregten, auch wo sie Ihnen nicht an-
genehm klingen, denn sogar meine Widerlegungen sind
mehr als zur Hälfte Ihr Eigenthum. So nehmen Sie denn,
was ich von Ihnen empfangen habe, freundlich von mir
zurück, und sollten Sie finden, dass auch ich Ihnen etwas
biete, was eines Dankes nicht unwerth ist, so erstatten
Sie ihn mir, wie ich es Ihnen gethan habe, indem Sie
mich, wo ich fehlgegangen bin, auf den richtigen Weg
leiten. Denn Irrthümer sind mir natürlich nicht erspart
geblieben, und ich wünsche nur, dass mit ebenso grossem
Rechte, wie für Sie, auch für mich das Trostwort Lesshigs
gelte : >Ich meine mich um die Wahrheit ebenso verdient
gemacht zu haben, wenn ich sie verfehle, mein Fehler
aber die Ursache ist, dass sie ein anderer ' entdeckt, als
wenn ich sie selber entdecke.«
Greifswald, December 1884.
Otto Seeck.
Inhalt.
Seite
I. Gnaeus Flavius 1
II. Die Kalendertafel der Pontifices . 57
III. Die chronologische Ueberlieferung vor dem gallischen
Brande '^6
IV. Was ist uns von der Pontificalchronik erhalten? . . 83
V. Die Synchronismen 100
VI. Das Consalat der Ennianischen Sonnenfinsternis . . 119
VII. Das Amtsjahr 134
VIII. Der Extraschalttag 155
IX. Die Gründungsaera 161
X. Tabelle 186
I.
Gnaeus Flavlus.
So verbreitet religiöse Geheimlehren in Griechenland
und dem Orient waren, so fremd sind sie immer den
Römern geblieben. Nur was sich auf die fata des
Staates bezog, deren Kenntnis seinen Feinden Macht
über ihn verleihen konnte, wie der Name der römischen
Schutzgottheit oder die sibyllinischen Orakel, wurde sorg-
fältig verborgen gehalten, doch hier sprach mehr patrio-
tische, als sacrale Pflicht. Im Uebrigen war das heilige
Recht zwar insofern Eigenthum gewisser Priestergenossen-
schaften, als die Pontifices, die Augurn, die Fetialen,
jedes Collegium auf seinem Gebiete, von Amts wegen eine
genauere Kenntnis desselben besitzen mussten, als der
Private, doch blieb ihre Wissenschaft auch jedem andern
zugänglich und nie hat es als Frevel gegolten, etwas da-
von zu veröffentlichen. Ueber alles, was die griechisch-
orientalischen Mysterien betrifft, finden sich in den an-
tiken Schriftstellern höchstens geheimnisvolle Andeutungen;
über die Pontifical- und Augurallehre dagegen sind zahl-
reiche Werke geschrieben worden, die in jedem Buch-
laden verkäuflich waren: schon dieses allein zeigt den
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifices. \
2 Gnaeus Flavius.
fundamentalen Unterschied. Wenn dies aber für die Zeit
des Varro und Messalla gilt, so kann es auch in den Ur-
zeiten des römischen Staates nicht anders gewesen sein;
man weiss ja, welche zähe Unveränderlichkeit das rö-
mische Sacralrecht in allen Wechseln der Staatsverfassung
bewahrt h^t. Irgend eine seiner Bestimmungen aufzu-
heben, hätte das Volk niemals gewagt; höchstens durch
langen Nichtgebrauch konnten sie in Vergessenheit ge-
rathen, aber ein solches allmähliches Erlöschen war nur
bei derartigen Vorschriften möglich, welche ihrer Natur
nach selten zur Anwendung kamen, nicht bei dem täg-
lich und stündlich zu befolgenden Satze, dass man die
priesterlichen Lehren nicht unter die Menge bringen
dürfe.
Mit dieser Oeffentlichkeit alles dessen, was andere
Völker einem kleinen Kreise von Eingeweihten vorzu-
behalten pflegten, steht es im seltsamsten Gegensatze,
dass nach der Ueberlieferung in Rom gerade dasjenige
Priestergeheimnis gewesen sein soll, was sonst das aller-
öfifentlichste ist, Givilrecht und Kalender. Wenn ein
Hausvater seine Tochter vermählte, so durfte er selbst
die Götter um ihre Zustimmung befragen und alle reli-
giösen Ceremonien giltig vollziehen, ohne dass ihm ein
Priester dreinredete; hatte er aber ein Schaf zu Markte
gebracht und wollte der Käufer nicht zahlen, so konnte
er nicht ohne den Pontifex zu seinem Gelde gelangen.
Wie wunderbar, dass die Priesterschaft den wichtigen
Einfluss, welcher ihr von Rechts wegen zukommt und
auch heute kaum bestritten wird, aufgegeben hat, um
sich eines Gebiets zu bemächtigen, das sich mit dem
ihrigen kaum berührte! Wie doppelt wunderbar, dass
nur die Pontifices so ehrgeizig waren, sich eine Geheim-
lehre zu reserviren, während die Augurn, die ihnen an
Würde und Ansehn ganz gleich standen und deren
Onaeus Flavius. 3
Wissenschaft vor allen andern zu einem solchen Ver-
fahren einzuladen schien, sie ruhig allen bekannt werden
liessen, welche sich irgend darum kümmern wollten!
Und endlich das Wunderbarste von allem: wenn Priester-
schaften auf ein Geheimnis Werth legen, so besitzen sie
auch die Mittel, dasselbe zu wahren; sie charakterisiren
eben jedes Rühren daran als Frevel gegen die Götter
und wissen die Vorwitzigen hart genug zu strafen. Als
dagegen Cn. Flavius den Pontifices den Alleinbesitz des
Rechtes und Kalenders raubte und sie zu jedermanns
Kenntnis brachte, wurde er nicht etwa hingerichtet oder
verbannt, sein Buch nicht den Flammen übergeben,
keiner betrachtete ihn als einen gottverfluchten Sünder,
sondern es war, als ob er ein Basengeheimnis ausge-
schwatzt hätte: es hörte auf Geheimnis zu sein und da-
mit gut. Wahrhaftig es heisst unserer Leichtgläubigkeit
viel zumuthen, wenn wir dies alles ruhig hinnehmen
sollen, und vielfach sind natürlich Zweifel dagegen er-
hoben worden^). Doch hat man sich damit begnügt,
*) Ich will nur die Worte eines der gläubigsten unter den
modernen Juristen anführen; Hartmann sagt in seinem „römischen
Kalender" S. 117: „Nun sollte man denken, dass es für die Ple-
bejer, um die Beschaffenheit der künftigen Tage kennen zu ler-
nen, ein sehr einfaches Mittel gegeben habe; sie brauchten nur
an jedem gegenwärtigen Tage aufzuschreiben, ob an demselben
Volksversammlung oder Gerichtsverhandlung war; hatten sie das
einige Jahre hindurch gethan, so gelangten sie ja ganz von selbst
zu einem Kalender, welcher die Beschaffenheit aller, auch der
künftigen Tage des Jahres im voraus angab. Wie war es denn
möglich, dass sie, statt zu diesem höchst einfachen Mittel zu
greifen, fort und fort bei den Pontifices anfragten und Jahr-
hunderte lang in einer steten, drückenden Abhängigkeit von den-
selben blieben?" Dasselbe gilt auch von den Formeln der legis
actiones, die man täglich auf dem Markt aussprechen hörte und
sich beliebig notiren konnte. Bei verwickelten Eechtssachen
brauchte man freilich trotzdem kundigen Beirath, doch für solche
1*
4 Gnaeus Flavius.
entweder die Schwierigkeiten in sehr gezwungener Weise
wegzuinterpretiren oder die That des Flavius in ihrer
Bedeutung abzuschwächen, immer aber die üeberlieferung
als Üeberlieferung hingenommen und davon festgehalten,
was sich halten Hess. Ich gedenke einen andern Weg
einzuschlagen und von der Quellenfrage zu beginnen;
indem wir dann Schritt für Schritt von den ältesten
Nachrichten zu den jüngeren und jüngsten fortschreiten,
wird es sich uns am deutlichsten zeigen, welchen histo-
rischen Werth die Erzählung von Cn. Flavius besitzt.
Denn in unsern Quellen erscheinen die Pontifices im
Alleinbesitze des Civilrechts und Kalenders nur in dem-
selben Augenblicke, wo er ihnen verloren geht; an den
Namen des Flavius knüpft sich jede Kunde, die wir von
ihrer sonderbaren Geheimniskrämerei besitzen 2), und so-
bald es sich zeigt, dass seine Geschichte nicht genügend
beglaubigt ist, fallt auch jene in nichts zusammen.
Ich beginne mit Livius, weil sich bei ihm, wie fast
immer, so auch hier, die Quellen am leichtesten erkennen
und sondern lassen. Ueber die Aedilität des Flavius
berichtet er in folgender Weise: IX 46 Eodem anna
Cn, Flavius Anni filius^) scriba, patre libertino humili for-
iuna ortus, ceterum callidus vir et facundus, aedilis curulis
Fälle konnte auch ein Formelbuch, wie es Flavius zusammen-
gestellt haben soll, nicht ausreichend sein.
2) Eine Ausnahme macht eine Stelle in der Rede des Canu-
lejus bei Livius IV 3, 9 obsecro vos, si non ad fastos non ad com-
mentarios pontificum admittimur etc. Doch da diese Rede jeden-
falls von Livius selbst gemacht ist und folglich nur lehrt, dass
er die Geschichte des Flavius schon kannte, als er das vierte
Buch seiner Annalen schrieb, so brauche ich hierauf nicht näher
einzugehen.
^) Die Ausgaben schreiben zwar Cn, Flavius Cn. filius, doch
die Pariser Handschrift hat statt dessen nur Cn. f. Jedenfalls ist die
Lücke nicht vor Cn.^ sondern zwischen Cn. und f{üius) zu suchen
Gnaeus Flavius. 5
fuit, inveiiio in quibusdam annalihus, cum appareret
aedilibus fierique se pro tribu aedilem videret neque accipi
nomert; quia scriptum faceret, tabulam posuisse et iurasse se
scriptum non facturum, quem aliquanto ante desisse scriptum
facere arguit Mac er Licinius tribunatu ante gesto
triumviratibusque nocturno altera, altero coloniae deducendae.
ceterum, id quod haud discrepat, contumacia adversus con^
temnentes humilitatem suam nobiles certavit, civile ius repo-
situm in penetralibus pontificum evulgavit, fastosque circa
forum in alba proposuit, ut quando lege agi posset sciretur.
aedem Concordiae in area Vulcani summa invidia nobilium
dedicavit; coactusque consensu populi Cornelius Barbatus
pontifex maximus verba praeire, mim more maiorum nega-
ret nisi consulem aut imperatorem posse templum dedicare,
itaque ex auctoritate senatus latum ad populum est, ne quis
templum aramve iniussu senatus aut tribunorum plebei partis
maioris dedicaret. haud memorabilem rem per se, nisi docu-
mentum sit adversus superbiam nobilium plebeiae libertatis,
referam. ad collegam aegrum visendi causa Flavius cum
venisset, consensuque nobilium adulescentium, qui ibi ad-
sidebant, adsurrectum ei non esset, curulem adferri sellam
eo iussit ac sede honoris sui anxios invidia inimicos spectavit,
\\ceterum Flavium dixerat aedilem forensis f actio Ap. Claudii
censura vires nacta, qui senatum primus libertinorum filiis
lectis inquinaverat et, posteaquam eam lectionem nem>o ratam
habuit nee i7i curia adeptus erat, quas petierat opes ur-
banas, humilibus per omnes tribus divisis forum et campum
corrupit, tantumque Flavii comitia indignitatis habuerunf,
iU plerique nobilium anulos aureos et phaleras deponerent.
In dieser Darstellung fällt vor allem ein grober Cora-
positionsfehler in die Augen. Livius beginnt mit der
und neben dem Gentilicium derjenige Vatersname zu ergänzen,
den die sonstige einstimmige Ueberlieferung bietet.
6 Gnaeus Flavius.
Wahl des Flavius und lässt dann die Geschichte seiner
Amtsführung folgen: dies ist die natürlichste chrono-
logische Disposition, wie sie dem Annalisten ziemte.
Auch wenn noch ein Anekdötchen ziemlich lose ange-
reiht wird, kann man dagegen nichts einwenden, da sich
dasselbe kaum in den Zusammenhang einordnen liess;
völlig ungehörig aber ist es, dass er zum Schlüsse wieder
auf die Wahl zurückkommt, um sie zum zweiten Male
mit anderem Detail zu berichten. Hätte Livius dies so
in seiner Quelle gefunden, so hätte er sie wahrscheinlich
mit dem feinen künstlerischen Sinne, der ihn auszeichnet,
corrigirt und das Zusammengehörige auch zusammen-
gestellt. Dagegen erklärt sich die Unebenheit, wenn er
erst nach Abschluss seines neunten Buches, an dessen
letztem Ende die Geschichte des Flavius steht, auf eine
neue Quelle stiess, und um seine sorgfältig gefeilten
Sätze nicht wieder in Verwirrung zu bringen, dasjenige,
was ihm darin interessant schien, lieber als Anhang
hinzufügte. Folglich werden wir an derjenigen Stelle des
Textes, welche ich durch einen senkrechten Doppelstrich
bezeichnet habe, einen Quellenwechsel annehmen müssen
und den ersten Theil der livianischen Erzählung völlig
gesondert von dem zweiten behandeln.
Für jenen nennt Livius selbst seinen Gewährsmann;
es ist Licinius Macer. Auch die quidam annales, gegen
welche dieser polemisirte, sind für uns nicht namenlos,
denn genau dieselbe Geschichte, welche aus ihnen an-
geführt wird, kehrt fast mit denselben Worten bei
Gellius VII 9 als ein Fragment des Piso wieder, und
ebenso die Anekdote, welche den ersten Theil abschliesst.
Trotzdem halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass
Livius hier oder irgend sonst den Piso direkt benutzt habe.
Denn denjenigen Theil seiner Erzählung, welchen Macer
anfocht, wird auch dieser natürlich gekannt und wieder-
Gnaeus Flavius. 7
gegeben haben, und das zweite pisonische Slück, das er
unbeanstandet liess, musste ihm seiner demokratischen
Tendenz wegen so wohl gefallen, dass er es gewiss nicht
überging. Livius konnte also alles, was wir bei ihm
lesen, auch aus der secundären Quelle schöpfen, und
dass er daneben die primäre eingesehen hat, ist min-
destens unbewiesen. Denn wenn er schreibt: ceterum id
quod haud discrepat etc., so schliesse ich daraus nur,
dass er keine Variante weiter bei Macer bemerkt fand,
und wer seine Flüchtigkeit kennt, wird diese Worte
nicht anders deuten. Jedenfalls besitzen wir für das-
jenige, was sich nicht mit Hilfe des Gellius auf Piso
zurückführen lässt, einstweilen keine ältere Autorität als
die des Licinius und werden danach in unserer ferneren
Untersuchung verfahren, obgleich es für den wesentlichen
Inhalt derselben ziemlich gleichgültig ist.
Um die zweite Quelle des Livius zu bestimmen,
bietet uns das wichtigste Hilfsmittel die Erzählung des
Plinius, welche folgendermassen lautet: XXXIIl 17
Frequentior autem usus anulorum non ante Cn. Flavium
Änni filium deprehenditur. hie namque publicatis diebus
fastis, quos populus a paucis principum cotidie petebat,
tantam gratiam plebei adeptus est — libertino patre alioqui
genitus et ipse scriba Appi Caeci, cuius hortatu exceperat
eos dies consultando adsidue sagaci ingenio promulgaverat-
que — , ut aedilis curulis crearetur cum Q. Änicio Prae-
nestino^ qui paucis ante annis hostis fuisset, praeteritis C.
Poetelio et Domitio, quorum patres consules fuerant. addi-
tum Flavio, ut simul et tribunus plebei esset, quo facto
tanta indignatio exarsit, ut anulos abiectos in anti-
quissimis reperiatur annalibus. fallit plerosque, quod
tum et equestrem ordinem id fecisse arbiirantur. et enim
adiectum hoc quoque: ,ySed et phaleras positas",
propterque nomen equitum adiectum est. anulos quoque
8 Gnaeus Flavius.
depositos a nobilitate in annales relatum est, non a sencUu
universo. hoc actum P. Sempronio P. Sulpicio consuUbu-s.
Flavius vovit aedem Concordiae, si populo reconciliasset
ordines, et cum ad id pecunia publice non decerneretur, ex
multaticia faeneratoribus condemnatis aediculam aeream
fecit in Graecostasi, guae tunc supra comitium erat, inci-
ditque in tabella aerea factam eam aedem CCIIII annis
post Capitolinam dedicatam, ita CCCCXXXXVIII *) a con-
dita urbe gestum est et primum anulorum vestigium extat.
Peter meint, auch dieser Bericht gehe auf Piso zurück.
Direkt gewiss nicht, denn Form und Inhalt verrathen
*) Ich ziehe an dieser Stelle die Lesung der geringeren
Handschriften der des Bambergensis CCCCXXXX Villi vor, was
kritisch gar keine Bedenken hat, da selbst im besten Codex der
Schreiber einmal ein Strichelchen zu viel gezogen haben kann,
historisch aber durchaus geboten ist. Denn bei derartigen Dati-
rungen rechnet man immer Anfangs- und Endjahr mit und nach
der varronischen Zählung, welcher Plinius hier, wie fast überall,
folgt (Matzat S. 271), kommen auf die Königszeit nur 244 Jahre.
Matzats Interpretation beruht auf zwei unrichtigen Voraussetzun-
gen: erstens dass Plinius eine römische Jahreszahl habe miss-
verstehen können, was meines Erachtens unbedingt ausgeschlossen
ist, zweitens dass annia ducentis quattuor und anno ducentesimo
quarto immer und überall etwas Verschiedenes bedeuten müsse,
während doch der antike Sprachgebrauch in dieser Beziehung
fast ebenso nachlässig und schwankend war, wie der moderne.
Plinius will hier einfach das Stadtjahr bezeichnen, wie an
den zahlreichen andern Stellen, die Matzat selbst anführt, und
wenn er seine Leser nicht irre führen wollte, konnte er ihnen
nicht zumuthen, dasselbe hier anders zu berechnen als sonst.
Dass das Jahr 448 nicht zu dem Consulate stimmt, ist richtig,
doch erklärt sich dies einfach daraus, dass Plinius in seinen
Fasten gar nicht weiter nachgesehen hatte, wann Sempronius
und Sulpicius Consuln gewesen waren, sondern sich auf Treu und
Glauben an die Jahreszahl der Inschrift hielt. In dem t*a, mit
welchem der letzte Satz beginnt, ist dies deutlich genug ausge-
sprochen.
Gnaeus Flavius. 9
deutlich antiquarischen, nicht annalistischen Ursprung.
Die Geschichte des Flavius ist hier nicht die Hauptsache,
sondern sie bietet nur das Material für eine Untersuchung
darüber, wann man zuerst in Rom goldene Ringe ge-
tragen habe, und nicht erst PUnius hat sie in diesen
Zusammenhang gebracht. Dies zeigt sich namentlich
darin, dass aus jenen alten Annalen, die er, wie wir
später sehen werden, nur durch Vermittlung seiner
Hauptquelle kannte, gerade diejenige Stelle hervorgehoben
und zum Theil wörtlich citirt wird, welche sich auf die
Ringe bezieht. Dass der Gewährsmann des Plinius so
ganz in dessen eigenem Sinne excerpirte, wäre nicht zu
verstehen, wenn nicht auch ihn das gleiche Specialinter-
esse geleitet hätte. Gehört schon dieser Gegenstand
mehr der Alterthumswissenschaft als der eigentlichen
Geschichte an, so ist vollends die Art der Untersuchung
den Annalisten ganz fremd. Wenigstens wüsste ich aus
ihnen kein einziges Beispiel anzuführen, dass eine alte
Quelle in dieser Weise auf ihren Wortlaut interpretirt
und die Chronologie so sorgfaltig nach einer Urkunde
bestimmt würde. Die römischen Historiker betrachteten
sich ja durchweg in erster Linie als Künstler, deren
Aufgabe es sei, den gegebenen Stoff in eine anmuthige
Form zu giessen, während die wissenschaftliche Forschung,
wie sie uns hier entgegentritt, sich fast ganz zu den
Antiquaren von der Art des Varro geflüchtet hatte.
Damit wäre der Kreis, in welchen die Plinianischen
Nachrichten gehören, genügend bezeichnet. Was die
Person betrifft, so ist Verrius Flaccus ausgeschlossen, da
er im Index des 33sten Buches nicht genannt wird; am
ehesten könnte man an Varro denken, aber es kommt
wenig darauf an, weil wir doch bei ihm nicht stehen
bleiben können, sondern über ihn hinaus auf seine Quellen
zurückgreifen müssen.
10 Gnaeus Flavius.
Es ist bekanntlich von Nissen die Regel aufgestellt
worden, dass bei den römischen Historikern von eigent-
licher Quellenmischung kaum die Rede ist, sondern dass
sie immer grössere Stücke abwechselnd aus verschiedenen
Schriftstellern entnehmen und lose aneinanderreihen. Auf
Livius beschränkt ist dieser Satz unbestreitbar ; auch bei
den übrigen Annalisten mag er eine gewisse Geltung
beanspruchen, keinenfalls aber darf man ihn auf die her-
vorragenderen Antiquare anwenden. Die Annalisten
konnten so verfahren, denn sie landen den Stoff bei
ihren Vorgängern genau in derselben chronologischen
Disposition, wie sie ihn brauchten; ein Zusammensuchen
und Neuordnen war also überflüssig, ja mit den da-
maligen Mitteln der Forschung oft selbst unmöglich.
Anders die Antiquare: die sachlichen und sprachlichen
Notizen, deren sie bedurften, waren weit zerstreut und
mussten mühsam aus Dichtern und Juristen, Historikern
und Urkunden zusammengesucht werden. Daraus ergab
sich die Nothwendigkeit, nach Excerpten zu arbeiten, die
Gewohnheit, Entlegenes zu combiniren, und bei aller
Leichtfertigkeit der Schlussfolgerung doch ein grösserer
Fleiss und wissenschaftlicher Ernst. Daher sind einer-
seits die Fälscher unter den Antiquaren ebenso selten,
wie häufig unter den Annalisten; andererseits geben
diese, wo sie, wie Livius, das Vorgefundene einfach
nacherzählen, ein viel treueres Bild ihrer Quellen als
jene. Grösste Belesenheit und eifrigster Sammelfleiss ist
eben das Charakteristikum dieser ganzen Schriftsteller-
gruppe und man findet daher bei ihnen nicht selten das
mannichfachste Material ebenso sorgfältig ineinander-
gearbeitet, wie etwa bei Tillemont, der überhaupt mit
Varro und seinen Genossen manche Aehnlichkeit aufweist.
So können wir auch an unserer Pliniusstelle mindestens
drei Quellen unterscheiden, deren einzelne Nachrichten
Gnaeus Flayius. H
sich räumlich nicht sondern lassen, sondern bunt durch-
einanderlaufen.
Die erste davon ist die Inschrift des Flavius, auf
welche wir später noch zurückkommen; die zweite war
mit demjenigen Schriftsteller identisch, welchen Livius in
dem Schlusstheil seiner Erzählung benutzt hat. Dies
zeigt die Vergleichung folgender Stellen. Livius : tan-
twnque Flavii comitia indignitatis habuerunt, td plerique
nobilium anulos aureos et phaleras deponerent.
Plinius: quo facto tanta indignatio exarsit, ut anulos
abiectos in antiquissimis reperiatur annalibus. -7 et enim
adiectum hoc quoque: ,,sed et phaleras positas/' —
anulos quoque depositos a nobilitate in afinales re-
latum est, non a senatu universo. Dass aber zu diesen
beiden Quellen noch eine dritte hinzukommt, ergibt sich
aus der Angabe, dass mit Flavius zugleich ein Neubürger
und ehemaliger Feind der Römer gewählt worden sei
und dass ihre durchgefallenen Gegenkandidaten aus con-
sularischen Familien herstammten. Dieses hätte Livius
sicher nicht übergangen, wenn er es in den auch ihm
vorliegenden Berichten gefunden hätte, und in der In-
schrift konnte es natürlich nicht erwähnt sein.
Wie mit Livius, so zeigt Plinius auch eine auffallende
Verwandtschaft mit der Erzählung Ciceros, wie er sie in
der Rede für Murena (11,25) gibt: Posset agi lege necne,
pauci quond^m sciebant; fastos enim vulgo non habebant.
erant in magna potentia, qui consulebantur, a quibus etiam
dies, tamquam a Chaldaeis, petebantur. inventus est scriba
quidam, Cn. Flavitts, qui cornicum oculos confixerit et sin-
gulis diebus ediscendis fastos populo proposuerit et ab ipsis
capsis iureconsultorum eorum sapientiam compilarit. itaque
irati Uli, quod sunt veriti, ne dierum ratione promulgata
et cognita sine sua opera lege agi posset, verba quaedam
composuerunt, ut omnibus in rebus ipsi interessent. Im
12 Gnaeus Flavius.
Gegensatze zu Licinius Macer, aber in vollster Ueberein-
stimmung mit Plinius, lässt Cicero den Flavius seine
Fasten noch als scriba, also vor dem Antritt der Aedili-
tät publiciren. Ferner redet auch er nur vom Kalender,
nicht von den Actionsformeln, ja er nimmt sogar an,
dass die letzteren erst aus Aerger über die That des
Flavius von den Juristen erfunden worden seien, nach-
dem sie ihr früheres Geheimnis ausgeplaudert sahen.
FolgUch können auch die Worte: ah ipsis capsis iure-
consuUorum eorum sapientiam compilarit nicht, wie man
wohl gethan hat, auf die legis actiones bezogen werden,
sondern sie spielen auf eine Erzählung an, die sich sonst
nur bei Plinius findet, dass nämlich Flavius den Ein-
geweihten durch schlaues Gonsultiren die Gerichtstage
abgelauscht habe (exceperat eos dies consuÜando ad-sidue
sagaci ingenio). Wenn sich in den wenigen Worten
Ciceros drei so charakteristische Uebereinstimmungen mit
dem plinianischen Berichte nachweisen lassen, so werden
wir irgend eine Verwandtschaft hier wohl annehmen
müssen, doch bleibt es einstweilen noch dahingestellt,
welche von den beiden Quellen des Plinius — denn die
Inschrift kann nicht in Betracht kommen — jener Stelle
der Rede zu Grunde liegt. Dass in ihr keine Berührungs-
punkte mit Livius zu Tage treten, gestattet jedenfalls
keinen Schluss, da dieser aus seiner plinianischen Quelle
einzig und allein die Wahl des Flavius entnommen hat,
welche Cicero gar nicht berührt.
Die Lösung dieser Frage müssen wir verschieben,
bis wir über die gemeinsame Quelle des Livius und Pli-
nius in's Klare gekommen sind. Zunächst steht es fest,
dass dies nicht Piso gewesen sein kann; denn soweit
Livius dem licinisch-pisonischen Berichte folgt, zeigt er
mit Plinius auch nicht die entfernteste Verwandtschaft;
die Uebereinstimmungen beginnen erst im Anhange seiner
Gnaeus Flavius. 13
Erzählung, der, wie wir sahen, auf einer andern Auto-
rität beruhte^). Ferner wissen wir aus Plinius, dass es
Annalen waren und zwar solche, denen er eine grosse
Wichtigkeit beilegte, da er sonst nicht so ausführlich bei
ihrer Interpretation verweilen würde. Um so auffallender
ist es, dass er eine Quelle, auf welcher der wesentlichste
Punkt seiner Untersuchung allein beruhte — denn von
dem eigentlichen Gegenstande derselben, den goldenen
Ringen, war ja nur in ihr di^Rede — und auf die er
den Leser mit solcher Emphase verweist, gar nicht mit
Namen nennt. Eine Autorität ausdrücklich als die alier-
vornehmste anrufen und dann doch so unbestimmt be-
zeichnen, dass keiner wissen kann, was er sich eigentlich
dabei zu denken hat, ist jedenfalls ein mehr als sonder-
bares Verfahren. Die einzige Erklärung, welche ich
dafür finden kann, ist, dass Plinius den Namen eben
selbst nicht wusste, sondern bei Varro oder wen er
sonst benutzte, einfach annales genannt fand, doch in
einer Weise, dass nur eine sehr alte und werthvolle
Quelle damit bezeichnet sein konnte.
Was also kann annales ohne jeden weiteren Zusatz
bedeuten? Die Pontificalchronik jedenfalls nicht, denn
wo diese citirt wird, nennt man sie immer annales
maximi, und was das hiess, wusste Plinius, der Ciceros
de oratore und Verrius Flaccus de verborum significatione
gelesen hatte, unzweifelhaft ebenso gut wie wir. Zudem
werden wir in einem späteren Abschnitt zeigen, dass
unter allen Antiquaren allein Verrius Flaccus die Annalen
*) Pisos Bericht über die Wahl, wie ihn Gellius erhalten
hat, ist ein abgeschlossenes Ganze, das keine Erweiterung duldet,
ohne dass seine Form zerstört würde. Man versuche ihm einmal
den Inhalt der zweiten Wahlerzählung des Livius oder die ent-
sprechenden Stücke des Plinius in beliebiger Fassung anzuflicken,
und man wird sich überzeugen, dass es unmöglich ist.
14 Gnaeus Fla^ius.
der Pontifices kannte, und eben dieser ist an unserer
Stelle nachweislich nicht benutzt (s. S. 9). Sehr häufig
wird mit annales die annalistische Tradition im allge-
meinen ohne speciellen Bezug auf einen einzelnen Schrift-
steller bezeichnet und namentlich in der historia naturalis
ist dieser Sprachgebrauch sehr gewöhnlich^); für die Ge-
schichte des Flavius aber passt auch dies nicht, denn
wörtliche Citate lassen sich nur aus einem bestimmten
Buche anführen. So bleibt nur Eine Möglichkeit übrig.
. Es existiren sehr zahlreiche Faustdichtungen von
dem Puppenspiel bis auf Lenau und Grabbe herab, aber
wenn wir den Faust nennen, so weiss trotzdem jeder,
welchen wir meinen. So gab es auch unter den römi-
schen annales eine grosse nationale Dichtung, die alle
andern Bücher dieses Namens himmelhoch überragte,
das Werk des Ennius, und Beispiele lehren uns, dass
man es bis auf die Zeit des Augustus herab schlechtweg
als annales citiren konnte, ohne ein Missverständnis be-
fürchten zu müssen'). So wird es wohl auch der Ge-
^) Vgl. den Index von Jan unter dem Worte annales,
"0 Der sprechendste Beweis dafür ist die Anekdote bei
Quintil. VI 3, 86 Dissimulavit Cicero, cum Sex, Annalis testis reum
laesisset, et instaret identidem accusator: „die, M, Tulli, si quid
potes, de Sexto Annali,^ versus enim dicere coepit de lihro Ißnnii
annalt sexto: ,,quis potis ingentis oras evolvere belli,^^ Der Witz
wäre sehr gezwungen, wenn Richter und Zuhörer unter sextus
annalis irgend etwas anderes verstehen konnten, als das sechste
Buch des Ennius. Weitere Belege bieten Varro 1. 1. V 74 nam ut
annales dicunt, vovit Opi, Florae, Vedio, Jovi Saturnoque, Soli,
Lunae, Volcano et Summano itemque Larundae, Termino, Quirino,
Vortumno, Laribus, Dianae Lucinaeque. Dass dies verstümmelte
Verse sind und daher mit den Annalen nur die ennianischen ge-
meint sein können, hat zuerst Lachmann erkannt. Herrn. I S. 401.
Ovid trist. II 255 nü igitur matrona legat, quia carmine ab omni
ad delinquendum doctior esse potest, — sumpserit annales {nihil
est hirsutius Ulis): facta sit unde parens Ilia, nempe leget, sumpse-
Gnaeus Flavius. 15
währsmann des Plinius gethan haben, und wirklich ist
die einzige aus jenen anncdes antiquissimi wörtlich an-
geführte Stelle: sed et paleras positas ein Stück eines
Hexameters. Auch dass die Worte allitteriren, weist auf
Ennius hin®).
Aber wie kam es denn, dass nicht auch Plinius dies
bemerkte? Wäre er ein Zeitgenosse des Varro oder auch
des Ovid gewesen, so hätte er sich freilich über die Be-
deutung des Citats nicht täuschen können, aber als er
seine naturalis historia schrieb, war Ennius längst durch
Virgil verdrängt worden und wurde ebenso wenig ge-
lesen, wie heut zu Tage Klopstocks Messiade. Einige
»geflügelte Worte« aus seinen Werken hatten sich zwar
erhalten, wie caeli scrutantur piagas, unus homo nohis
cunctando restituit rem, aio te Aeacida Romanos vincere
posse, dum clavum rectum teneam navemgue gubernem^)^
aber die Mehrzahl derer, welche sie nachsprachen,
rit, Aeneadum genetrix übt prima: reguiret, Aeneadum genetrix
unde Sit alma Venus, Da hier die Annales unter den carmina
genannt und mit dem Lucrez zusammengestellt werden, ist ihr
Autor gleichfalls nicht zu verkennen. Serv. zur Aeneis III 384
et quidam ^,lentandu8*^ nove verbum fictum putant, sed in annalibus
legitur: ^yConfricati oleo lentati paratique ad arma,^^ was auch aus
einem Commentar der ersten Kaiserzeit entnommen sein wird.
^) Dass im älteren Latein das ^ griechischer Fremdwörter
durch P wiedergegeben wird, kann ich bei juristischen Lesern
vielleicht nicht als bekannt voraussetzen. — Man könnte ein-
wenden, das Wort änülös passe nicht in den Hexameter, doch für
einen Dichter, der sich nicht scheute cere comminuit brum zu
schreiben statt cerebrum comminuit, existirten derartige Schwierig-
keiten nicht. Ueberdies ist es nicht nothwendig anzunehmen,
dass das Wort gerade im Accusativ Pluralis gebraucht war.
®) Dass auch dies ein geflügeltes Wort geworden war, sagt
Quintilian II 17, 24 ausdrücklich: si tarnen tempestate fuerit ab-
reptus^ non ideo minus erit gubernator dicetque not um illud:
„dum clavum rectum teneam.'^
16 Gnaeus Flavius.
wusste vielleicht kaum, wem sie angehörten. Seneca
kennt den Dichter jedenfalls allein durch Cicero, denn
alle Gitate, welche er aus ihm beibringt, stammen aus
dieser Quelle, und selbst Quintilian scheint 'ihn nur aus
zweiter Hand anzuführend^). Unter diesen Umständen
ist es wohl nicht zu verwundern, dass dem Plinius, als
er bei Varro namenlose Annalen citirt fand, der halb-
verschollene Ennius gar nicht in den Sinn kam.
Livius bezieht sich freilich nur ein einziges Mal auf
den Dichter (XXX 26, 9), doch wäre es sehr voreilig,
deshalb anzunehmen, dass er ihn sonst nicht benutzt
habe. Seine Gitate sind ja durchaus nicht bestimmt, den
Leser über die Art seiner Quellenforschung aufzuklären,
sondern sie sollen nur den Schein grosser Gelehrsamkeit
und sorgfaltiger Prüfung hervorrufen, und gerade darum
durfte Ennius gar nicht angeführt werden. Denn dass
ein Poet erfinde und ausschmücke und dass er voll dazu
berechtigt sei, wusste jeder in Rom, und ein Gedicht war
daher immer eine suspecte Quelle; doch einen so leicht-
^^) Von den Citaten des Ennius bei Quintilian findet sich
eins bei Cicero de oratore (VIII 3, 31), drei im Brutus (II 15, 4;
IX 4, 115; XI 3, 31), eins bei Cornificius ad Herennium (V 10, 84),
alles Bücher, die Quintilian nachweislich viel benutzt hat. Von
den übrigbleibenden stammt eins jedenfalls aus den Cicero-
anekdoten des Tiro (VI 3, 86), eins aus Varro (I 6, 12), zwei sind
allgemein bekannte geflügelte Worte (II 17, 24; VII 9, 6), bei einem
ist es zweifelhaft, ob es überhaupt dem Ennius angehört (VIII 6, 9).
Nicht bestimmen lässt sich die Quelle für die. Form Mettoeo Fu-
fettioeOf die man übrigens wahrscheinlich bei jedem Grammatiker
finden konnte (I 5, 12), und für die Angabe, dass Ennius in einer
Satire einen Streit zwischen den Personificationen von Tod und
Leben geschildert habe (IX 2, 36). Auch das Urtheil über den
Dichter (X 1, 88), er sei wie ein alter Götterhain, der weniger
Wohlgefallen als Ehrfurcht errege, konnte Quintilian sehr wohl
fallen, ohne ihn je gelesen zu haben.
Gnaeus Flayms. 17
sinnigen Schriftsteller wie Livius, dem es überall nur auf
die Schönheit seiner Darstellung ankam, nicht auf ihre
Wahrheit, hinderte dies wohl, sich auf das Epos zu be-
rufen, aber nicht sich darauf zu stützen. Ueberdies war
zu jener Zeit Ennius ja noch der Nationaldichter, dessen
unnales jeder Gebildete halb auswendig kannte, und
Livius konnte sich daher seinem Einflüsse gar nicht ent-
ziehen, selbst wenn er es wollte. Hiller ^^) hat in der
livianischen Schilderung von der grossen Latinerschlacht
am See Regillus eine ziemlich getreue Nachahmung meh-
rerer Verse der Ilias wiedergefunden; erkennt man nicht
darin den Dichter, welcher sich durch den Schatten des
Homer zu seinem Werke begeistern liess und grosse
Stücke dieses Vorbildes in freier Uebersetzung^ seinen
eigenen Versen eingefügt hat? Nicht mit Unrecht hat
Niebuhr in den ersten Büchern des Livius Spuren einer
epischen üeberlieferung gesehen, nur stammen dieselben
nicht aus uralten Volksliedern, sondern aus dem jungen
Eunstgedichte des Ennius.
Eine Bestätigung gewährt jetzt auch das Verhältnis
des Plinius zu Cicero. Wie hoch dieser den Ennius
schätzte und wie oft er ihn anführte, ist zu bekannt, um
dabei zu verweilen; darauf aber ist meines Wissens noch
niemals hingewiesen worden, dass alle die kurzen und
gelegentlichen Anspielungen auf die römische Geschichte,
welche sich in den Volks- und Gerichtsreden finden,
eigentlich kaum eine andere Quelle haben können. Denn
diese mussten ihre Wirkung verfehlen, wenn der Stoff,
auf den sie sich bezogen, nicht der Mehrzahl der Zu-
hörer geläufig war, und da es einen historischen
Schulunterricht in Rom nicht gab, so konnte dies einzig
durch das vielgelesene Dichterwerk erreicht werden.
1*) Commentatianes Mommaenianae S. 747.
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifioes.
18 Gnaeus Flavius.
Daraus erklärt es sich auch, dass Namen und Thatsachen^
die uns gegenwärtig höchst obscur erscheinen, von Cicero
als ganz bekannt vorausgesetzt werden. Wer weiss von
den Blossii und Jubellii, wenn er sich nicht zufälUg sehr
eingehend mit der dritten Dekade des Livius beschäftigt
hat? ^2) Und doch kommt in einer Rede, die nicht ein-
mal an das gewählte Publikum des Senats, sondern an
das Volk gerichtet ist, der Satz vor: hunc Capuae Cam-
pano supercilio dc regio spiritu cum videremtis, Blossios
mihi videbar illos videre ac Jubellios. ^^) Dass Tarquinius
Superbus die Martern und Todesstrafen zuerst in Rom
eingeführt haben soll, wissen wir nur aus einer einzigen
sehr entlegenen Quelle:^*) Cicero dagegen traut diese
Kenntnis der ganzen, höchst gemischten Menschenmenge
einer Contio zu, wenn er in der Vertheidigungsrede für
Rabirius sagt: 4, 13 namque haec tua, guae te hominem
dementem popularemque delectant: „Ilictor, colliga manus,'^
non modo huius libertatis mansuettidinisgue non sunt, sed
ne Romuli quidem aut Numae Pompilii: Tarquinii, super-
bissimi atque crudelissimi regis, ista sunt cruciatus carmina.
Da die historische Bedeutung der Blossier und Jubellier
gewiss nicht ausreichte, sie jedem halbwegs gebildeten
Römer so tief einzuprägen, dass schon die blosse Nen-
nung ihres Namens in ihm eine klare Vorstellung er-
weckte, so kann es wohl nur eine schöne, viel citirte
Stelle des Dichters gethan haben, die sich mit jenen
Namen verknüpfte. Erst von dieser Voraussetzung aus
begreifen wir, welch unwiderstehliche Heiterkeit Ciceros
^2) Liv. XXIII 7, 8 und 8, 5 mit dem Commentar von
Weissenborn.
13) De lege agr, II 34, 93.
^^) Der Chronograph von 354: Tarquinius — prior Jwminibus
adinvenit lautumias tormenta fustes metalla ftagella carceres exilia.
Onaeas Flavius. 19
Erzählung von Gn. Flavius hervorrufen musste; man
denke sich einmal Wallensteins berühmten Traum in
dieser Weise vor Gericht parodirt, und man wird sich
das Ergötzen der Zuhörer vorstellen können.
Wir haben schon oben gesehen, dass das einzige
wörtUche Citat, welches uns aus dem Ennianischen Be-
richt über Gn. Flavius angeführt wurde, auch durch
seine metrische Form unsere Hypothese bestätigte. Das-
selbe gilt von einem zweiten Fragment, das sich zwar
nicht als wörtUches Gitat gibt, aber durch seine ganz
gleiche Wiederholung in allen unseren Quellen dennoch
als solches erweist. Dass man zum Namen den Vaters-
namen hinzufügte, war zwar in officiellen Urkunden der
Brauch, in der Sprache des gewöhnlichen Lebens aber
und in der historischen Erzählung that man es fast nie.
Um so bemerkenswerther ist es, dass Gn. Flavius bei
Piso, Livius, Plinius und Gicero ^^) eine Ausnahme macht.
Diese constante Abweichung vom regelmässigen Sprach-
gebrauch lässt sich wohl nur aus der allen gemeinsamen
Quelle erklären und Onaeus Flavius Änni füms ist der
Anfang eines Hexameters. Freilich befolgt er nicht die
Gesetze der Gaesur, doch dass Ennius diese überhaupt
nicht anerkannte, zeigen die folgenden Verse: Voltur-
nalem Palatualem Furrinälem Ann. 125; sparsis hastis
longis campus splendet et harret Sat. 15; Soli Lunae VoU
cano et Summano itemque Herm. I S. 401.
Nach Erledigung dieser Vorfragen sind wir in den
Stand gesetzt, die Nachrichten über Gn. Flavius nicht
nur auf ihre innere WahrscheinlicTikeit, sondern auch
auf ihre äussere Autorität zu prüfen, wobei auch den-
jenigen Schriftstellern ihr Recht geschehen soll, die bis-
her noch von uns übergangen sind. Wir beginnen damit
**) Nicht in der Kede für Murena, sondern ad. AU. VI 1, 8.
2*
20 Gnaeus Flavius,
das gesammte Quellenmaterial in der Reihenfolge seines
Alters und Werthes aufzuzählen.
1) Die Inschrift des Gn. Flavius bei PUnius a. a. O.
Da ausserdem auch Licinius Macer das Concordia-
tempelchen, an welchem sie stand, erwähnt und es von
ihm bekannt ist, dass er der urkundlichen üeberlieferung
mit Eifer nachging, so werden wir auch ihn zur Recon-
struction ihres Textes gebrauchen dürfen.
2) Diodor XX 36. Dass er den Fabius selbst wieder-
gibt, glaube ich zwar nicht, trotzdem aber schliesse ich
mich der allgemeinen Ansicht an, dass er die älteste
Üeberlieferung repräsentirt, welche wir abgesehen von
der urkundlichen überhaupt besitzen, und folglich dem
Fabius unter allen Quellen am nächsten kommt.
3) Q. Ennius, dessen Bericht in der Rede für Murena
und in dem letzten Theil der livianischen Erzählung
rein, bei Plinius mit andern Quellen gemischt vorliegt.
Der letztere ist daher für die Herstellung des Originals
mit Sicherheit nur zu benutzen, soweit er entweder mit
Cicero oder mit Livius übereinstimmt.
4) L. Calpurnius Piso bei Gellius VII 9. Dem hier
mitgetheilten Originaltexte gegenüber können die mittel-
bar daraus geschöpften Stücke des Livius nicht in Be-
tracht kommen und sollen daher ferner nicht mehr er-
wähnt werden.
5) Ein unbekannter Annalist, aus dem die Quelle
des Plinius geschöpft hat. Ihm werden wir alles das
zuschreiben, was sich bei diesem weder auf Ennius noch
auf die Inschrift zurückführen lässt.
6) Licinius Macer in denjenigen Theilen des Livius,
die nicht aus Ennius herstammen. Cicero ad AU. VI 1, 8
und de orat. 1 41, 186 enthält gleichfalls nichts, was sich
nicht bei Macer fände, und dass er diesen benutzt hat,
soll später gezeigt werden. Valerius Maximus II 5, 2
Gnaeus Flavius. 21
und IX 3, 3 hat aus Livius geschöpft und kann daher
unberücksichtigt bleiben.
7) Pomponius Enchiridion in den Digesten I 2, 2
§ 6 und 7. Die kurze Erwähnung des Macrobius I 15, 9
übergehen wir, weil sie nichts Eigenthümliches enthält
und also ihrem Inhalte nach aus jeder beliebigen Quelle
geflossen sein kann.
Wir wollen jetzt jede Quelle für sich in der ge-
gebenen Folge prüfen und dabei so verfahren, als wenn
wir von ihren jüngeren Genossinnen gar nichts wüssten.
Nur auf diese Weise kann es gelingen, die ältesten
Schichten der Ueberlieferung rein auszusondern und eine
feste Grundlage der Forschung zu gewinnen.
1) Die Inschrift des Flavius.
Sie befand sich an einem kleinen ehernen Weih-
geschenk in Form eines Tempelchens'®), das am Forum
stand. Den Ort bestimmt Macer genauer als die area
Vtdcani, Plinius als die Graecostasis ; beide lagen nach
sonstigen Nachrichten dicht bei der Curie oberhalb des
Gomitium und es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die
eine nur ein Theil der andern war.'') Diese scheinbare
Differenz gestaltet sich also zu einer Bestätigung, denn
sie zeigt uns, dass unsere Quellen beide unabhängig von
einander genau über das Denkmal unterrichtet waren.
Als Plinius und vielleicht schon als Varro schrieb, war
dasselbe nicht mehr vorhanden ^®) — bei dem Brande der
Curie im Jahre 52, der auch andere benachbarte Monu-
16) Wenn Livius aus der aedicula eine aedes macht, so wird
diese Confasion ihm selbst zuzuschreiben sein ; bei Licinius Macer
dürfte wohl das Richtige gestanden haben.
*'') Becker, Handbuch der römischen Alterthümer I S. 284 ff.
1^) aediculam cLcream fecit in Chraecoatasi, quae tunc supra
comitium erat.
22 Gnaeus Flavius.
mente zerstört hat^**), wird das Erz wahrscheinlich ge-
schmolzen sein — ; doch sowohl Licinius Macer als auch
Varro müssen das Tempelchen noch selbst gesehen
haben, denn an dem hervorragendsten Platze des Forums
gelegen, konnte es ihren Blicken unmöglich entgehen.
Die Inschrift enthielt zunächst eine Datirung und
zwar in doppelter Form, erstens mit den Gonsulnamen
P. Sempronius und P. Sulpicius, zweitens mit der Jahres-
zahl 204 post aedem Capüolinam dedicaiam.^^) Auf diese
19) Plin. XXXIV 21 AUi Nävi statua fuit anU curiam; bam
eifM conflagravit curia ineenm P. Ülodii funere.
^^) Eine ähnliche Doppeldatirung trugen auch die censori-
sehen Commentarien, von denen Dionys I 74 spricht. — Dass,
wenn die Inschrift überhaupt datirt war, auch die Namen der
Consuln darin genannt sein mussten, steht für mich über jedem
Zweifel, wenn auch Matzat (S. 272) anderer Ansieht ist; denn eine
officielle römische Datirung ohneConsulat soll erst gefunden werden.
Damit sind seine chronologischen Combinationen schon widerlegt,
doch auch der Hauptgrund, auf welchen er sie stützt, der
Wechsel patricischer und plebejischer Aedilen, erweist sich nicht
als stichhaltig. Die ersten cnmlischen Aedilen, welche 388 Varr.
antraten, waren Patricier. Da bis 420 keine Störung der Jahres-
reihe eintritt (vgl. die Tabelle), müssen ihnen bis dahin die Jahre
mit geraden Zahlen geblieben sein. 421 Wlt als Dictatorenjahr
aus; folglich war 422 ein plebejisches Aedilenjahr, und wirklich
wird uns für 423 ein Patricier in diesem Amte genannt (Liv.
VIII 18, 4). 429 ist also wieder patriciseh, doch 431 plebejisch,
da dasrwischen ein Dictatorenjahr liegt; 444 patriciseh, 446 aus
dem gleichen Grunde plebejisch, und folglich auch 450, das Jahr
des Cn. Flavius. 452 plebejisch, 453 Dictatorenjahr, 454 patri-
ciseh, 455 plebejisch, wie dies das Zeugnis des Piso bei Livius
X 9, 12 beglaubigt. Freilich nannte in demselben Jahre Licinius
Macer patricische Aedilen und auch dies scheint nicht falsch zu
sein, da seitdem die ungeraden Jahre immer den Patriciem ge-
hören. Wahrscheinlich trat eben damals ein Wechsel ein, viel-
leicht dadurch, dass die plebejischen Cumlädilen in Folge irgend
eines Vitiums abdanken mussten und nach dem regelmässigen
Turnus dann Patricier an ihre Stelle traten. So würde sich die
Onaeus Flavius. 23
Tvird in anderem Zusammenhange einzugehen sein; hier
genügt es darauf hinzuweisen, dass die Chronologie von
des Flavius Aedilität dadurch vollständig gesichert ist.
Der ganze übrige Inhalt der Urkunde ergibt sich mit
Nothwendig^eit aus ihrer Natur, denn jede Weihinschrift
bietet: 1) den Namen der Gottheit, in unserem Falle
Cancordia, 2) den vollen Namen des Weihenden:
Cn. Flavius Anni ßius, 3) das Amt oder die Aemter,
welche dieser zur Zeit der Widmung bekleidete, also
iedenfalls aedilis curulis; ob noch andere Titel daneben-
standen, werden wir später untersuchen, 4) die Mittel,
aus denen das Denkmal hergestellt war: aiere muUaHco.
6) Endlich gehört es zwar nicht zur regelmässigen For-
mel, ist aber doch nicht ganz ausgeschlossen, dass auch
die Art und Weise angegeben wird, in welcher jene
Mittel beschafft waren; das faenercUaribtis condemnatis
des Plinius kann also sehr wohl der Erztafel entnommen
sein. 21)
doppelte Ueberliefenmg für dieses Jahr leicht erklären, denn ein
Grund zur Fälschung ist hier nicht abzusehen. — Dass Diodor
die Aedilität des Flavius unter dem Jahre 444 Varr. berichtet, ist
für ihre Chronologie ganz irrelevant. Er fasst hier eben alles
zusammen, was sich auf die Censur des Appius bezog, selbst
Trenn es verschiedenen Jahren angehörte, wie allein schon daraus
hervorgeht, dass er Wahl und Abdankung des Censors unter
demselben Consulate erzählt.
21) lAv, X 23, 11 Eodem anno Cn. et Q. Ogulnii aedües cu-
-ruUs aliquot faeneratoribus diem dixerunt; quorum honis
muUaUSy ex eo quod in pvMicum redactum est, aenea in CapitoHio
limina et trium menaarum argentea vasa in cella lovia lovetngue
in eulmine cum quadrigis et ad fieum Buminaiem eimülacra in-
fautium conditorum urbia eub uberibue lupae posuerunt, eemitamque
$axo quadrato a Capena porta (nd Martia straverunt. et ab aedüi-
bu8 pUbeis L» Aelio Faeto et C Fiüvio Ourvo ex multaticia
item peeunia, quam exegerunt peeuariis damnatiSy ludi
facti pateraeque aureae ad Cereria poaitae» Auch diese Nachrichten
24 Gnaeus Flavius.
Doch kehren wir zu dem dritten Punkte zurück.
Plinius gibt an, dass Gn. Flavius gleichzeitig curulischer
Aedil und Volkstribun gewesen sei ; auch Macer erwähnt
seines Tribunats, nur meint er, es sei vor der Aedilität
bekleidet worden. Unmöglich kann es Zufall sein, dass
gerade diejenigen beiden Schriftsteller, welche nachweis-
lich die Inschrift benutzt haben, ganz allein von jenem
zweiten Amte des Flavius reden. Ich glaube der Schluss
ist kaum abzuweisen, dass neben dem Titel des aedüis
curtdis auch der des tribunus plebis stand, und es bleibt
uns nur zu erklären übrig, warum Macer diese Aemter
nicht für gleichzeitige hielt. Denn dass er irrte, steht
fest: auf seinem Grabe pflegte der Römer wohl alle seine
Ehren aufzuzählen, doch widerspricht es ganz dem her-
kömmlichen Stile, in einer Weihinschrift andere Aemter
zu nennen, als die man zur Zeit ihrer Setzung be-
kleidete.
Nach Macer war Flavius vor der Aedilität nicht nur
Tribun, sondern auch Illvir nodurmis und colonide de-
ducendae gewesen; es scheint danach, dass er diese vier
Amtstitel auf der Erztafel genannt fand, und da er sich
nicht vorstellen konnte, dass zu gleicher Zeit so viele
Würden auf Ein Haupt gehäuft worden seien, nahm er
lieber an, der eitle Emporkömmling habe den Inschriften-
stil verletzt und auch seine vergangenen Ehren auf dem
Denkmal verewigt. Dies aber können wir zufällig mit
Sicherheit widerlegen; denn unmittelbar nach der Aedi-
knüpfen sämmtlich an Weihgeschenke und öffentliche Stiftungen
an und dürften wohl auf epigraphische Quellen zurückgehen;
ist das aber der Fall, so müsste auch in den Inschriften der
Ogulnii gestanden haben: faeneratoribus condemnaUs, in denen
des Paetus und Curvus: pecuariis condemnatis, wenn wir nicht
etwa annehmen wollen, dass dies Livius oder seine Quelle erfun-
den hat, wozu gar kein Grund vorliegt.
Gnaeus Flavius. 25
lität des Flavius sind zwei grosse Golonien von vier-
und sechstausend Ansiedlern, die eine nach Sora, die
andere nach Alba ausgeführt worden ^^^^ ^^d da die Com-
mission für dieses umfangreiche Geschäft wahrscheinlich
schon im Vorjahre ernannt wurde, so kann Gn. Flavius
sehr wohl einige Wochen oder Monate lang zugleich
Aedil und triumvir coloniae deducendae gewesen sein.
Damit halten wir den Beweis in Händen, dass Macer die
Aemterreihe seines Helden sich nicht, wie Mommsen
meint 28), aus den Fingern gesogen hat, sondern sie der
Inschrift entlehnte. Wenn er das Zusammentreffen jener
Coloniegründung mit der Aedilität des Flavius nicht be-
merkte und dadurch in der Zeitbestimmung der Aemter
irrte, so ist dies, dünkt mich, nur eine weitere Bestäti-
gung. Auch dass Plinius von den Triumviraten nicht
spricht, ist kein Grund dagegen. Er erwähnt den Tri-
bunat ja nur, um die Entrüstung der Nobilität, welche
sie bewog, ihre goldenen Ringe abzulegen, noch voll-
ständiger zu motiviren, als dies schon bei Ennius ge-
schehen war. Nun galt es freilich zur Zeit des Varro
für imerhört, zwei ordentliche Aemter zu cumuliren,
doch dass ein oder mehrere ausserordentliche, wie die
Triumvirate, mit ordentlichen vereinigt wurden, war
etwas ganz Gewöhnliches und der Senat hätte gar keinen
besonderen Grund gehabt, sich darüber aufzuregen.
Es bringt uns dies auf eine interessante staatsrecht-
liche Frage, welche zuerst von Mommsen angeregt ist. 2*)
Dass weder zwei ordentliche patricische Aemter noch
zwei ordentliche plebejische gleichzeitig in einer Hand
22) Liv. X 1, 1 ; Vell. I 14, 5 ; vgl. Mommsen, Geschichte des
römischen Münzwesens S. 314.
23) Staatsrecht II 2 S. 580.
2<) Staatsrecht I2 S. 498.
26 Gnaeus Flavias.
ruhen durften, steht fest, doch ist es zweifelhaft, ob ein
plebejisches mit einem patricischen cumulirt werden
konnte. Seit dem zweiten Jahrhundert vor Christi Ge-
burt ist uns kein Beispiel dafür bekannt, doch da die
Furcht, seine Kräfte zu zersplittern imd durch eine
doppelte Bewerbung auch doppelte Gegnerschaft wach-
zurufen, einer solchen Gombination in den Weg trat, so
kann sie auch ohne rechtliches Hindernis unterblieben
sein.^^) Zudem heisst es, dass G. Gracchus das Gonsulat
mit dem Tribunat habe vereinigen wollen und von einer
gesetzlichen Bestimmung, die dem entgegenstand, wird
nichts gesagt. Der Fall des Gn. Flavius entscheidet jetzt
die Gontroverse und er ist nicht der einzige; denn auch
eine Gumulirung von Quästur und Tribunat glaube ich
nachweisen zu können.
Zu der Zeit, wo das Gonsulatsjahr mit dem ersten
Januar begann, traten die Quästoren zwar am fünften
December an, doch schon der Umstand, dass die Diffe-
renz gerade ein Trinundinum nach der alten Rech-
nung beträgt, weist auf einen engen Zusammenhang
3^) Wie Mommsen bemerkt, ist M. Claudius Marcellus, ple-
bejischer Aedil im J. 216, wohl nicht identisch mit dem Prätor
desselben Jahres, ja es lässt sich sogar nachweisen, dass es um
lene Zeit noch eine andere Person dieses Namens gegeben haben
muss. Die Nachkommenschaft des Prätors können wir verfolgen :
sein Sohn Marcus ist 198 Prätor, 196 Consul, 189 Censor, stirbt
177; sein Enkel gleichen Namens ist 169 Prätor, 166, 155 und 152
Consul, stirbt 148. Im Alter zwischen beiden steht ein dritter
Marcus Marcellus, der 188 Prätor, 184 Consul war. Auch dieser
heisst in den Capitolinischen Fasten Mard filius Marei nepoSy
doch war er weder ein zweiter Sohn, noch ein Enkel des Prätors
von 216, da der gleiche Vorname in jener Zeit bei Brüdern nie-
mals vorkonmit. Sein Vater könnte den Altersverhältnissen nach
sehr wohl im Jahre 216 Aedil gewesen sein.
Onaens Flavins. 27
zwischen den beiden Amtsjahren hin.'^) Zudem setzt
auch das Pietätsverhältnis, welches zwischen dem Con-
suln und seinem Unterbeamten bestand, ein so vollstän-
diges und dauerndes Zusammenwirken voraus, wie es
bei weiterem Auseinanderfallen ihrer Amtszeiten nicht
wohl denkbar wäre. Danach ist anzunehmen, dass, als
die Consuln am fünfzehnten März in Funktion traten, die
Quästoren ihnen gleichfalls nicht mehr als um ein Tri«
nundinum vorausgingen. Nun war M. Caecilius Metellus
640 Varr. Quästor, d. h. vom 21 Februar 214 bis zum
20 Februar 213, und im Jahre 541 Volkstribun, d. h. vom
10 December 214 bis zum 9 December 213.27) Mithin
hat er mehr als zwei Monate lang beide Aemter zugleich
verwaltet.
Dass die plebejischen Magistraturen anfangs gar
nicht als Staatsämter betrachtet wurden, ist von Momm-
sen selbst sehr schon auseinandergesetzt. 2®) Wenn man
sie daher bei der Bewerbung um die wirklichen
fnagistratfis poptdi Romani einfach ignorirte, so ist das
nur eine Consequenz dieser Auffassung, obgleich es frei-
lich höchst merkwürdig ist, dass man an ihr so lange
festgehalten hat.
Historisch lernen wir aus unserer Inschrift, dass Gn.
Flavius eine ausserordentlich populäre Persönlichkeit ge-
wesen sein muss, da sonst das Volk gewiss nicht zwei
ordentliche und zwei ausserordentliche Aemter in seiner
Hand vereinigt hätte. Zur Erklärung dieser Thatsache
^) Man könnte vermuthen, dass ursprünglich die lexeuHata
Yon den Consuln gleich am ersten Tage ihrer Amtsführung durch-
gebracht werden musste und dass die Quästoren drei Wochen
früher antraten, um im Namen ihrer Oberbeamten die Comitien
das gesetzliche Trinundinum vorher anzusagen.
^) Mommsen, Staatsrecht I* S. 513.
») Staatsrecht IP S. 271
28 Gnaeus Flavius.
genügt sein energischer Feldzug gegen die Wucherer, den
er sehr wohl begonnen haben kann, als er nur die cu-
rulische A^dilität allein bekleidete. Denn damals durch-
schnitten sich die Amtsjahre der plebejischen und patri-
cischen Magistrate beinahe in der Mitte; vor den Tri-
bunenwahlen hatte er also vollauf Zeit gehabt, seinen
Eifer für die arme verschuldete Plebs zu documentiren,
und ebenso erhielt er das eine seiner ausserordentlichen
Aemter sicher, das andere möglicher Weise erst gegen
das Ende seiner Aedilität. Freilich ist es damit nicht
ausgeschlossen, dass er sich auch noch andere Verdienste
um das römische Volk erworben hat, doch dies müssen
uns erst die übrigen Quellen lehren, zu deren Betrach-
tung wir jetzt übergehen.
2) Diodor.
Dieser erzahlt uns von dem Gensor Appius Claudius :
xaT4fA&^€ di xal t^p avy^Xf^ov oi tovg sdysvslg xai nqo-
ixovrag ToXg d^tci/JiMifi nqoüyqdqxav iiovovg^ (ag ^v t^og,
äXka noXkoig xcu tcop änsXsvdiqaiv vlovg äpdfit^sv i^' otg
ßaqiwg M^eqov ol xavxdifJtevoi ratg edyevekug. — €l&' ot
fjbip inaroit d$ä top (pS^opop xal dtä tö ßovXstf&cu Totg
innpapsiftcpco^ XCcqiC^if-d'cii tsvpfjyop t^qp (SvyxXiiTOP od t^p
vno tovtov xatccXeystaaPj äXXa t^p vno tdSv Ttqoyeyep^fiipwp
Ttfjbf^cSp xatayqaqieXiSap, 6 de d^fiog tovTOtg fji^p äpuTtQcctTcapj
tio d' ""Anniio (fvfi^tXotifAovfiepog xal t^p tcSp SvffyepcSp
nqoayoayfiv ßeßauStfat ßovXofiepogj äyoQapöfiop etXsro rfg
inifpapsütiqag äyoQapofjblag vlop änsksvd-iqov Fpatop OXdov-
lOPj 8g TtqcStog 'Pcafialiop hvx^ tavti^g t^g äqx^g narqog
tSp dsdovXsvx&iog.
Dass der Schriftsteller, dem Diodor gefolgt ist, wie
er auch immer heissen mag, das Tempelchen des Flavius
kannte, ist kaum zu bezweifeln, denn es erhob sich an
dem belebtesten Orte der ganzen Stadt und musste jedem
Gnaeus Flayius. 29
Römer in die Augen fallen. Allerdings gehen wir an
dem, was wir täglich sehen, oft am achtlosesten vor-
über, und es ist daher wohl möglich, dass er die In-
schrift nie gelesen und noch weniger für seine Dar-
stellung verwerthet hat. Gleichwohl ist das Gegentheil
wahrscheinlicher, und wir wollen daher zuerst unter-
suchen, was in dem diodorischen Berichte möglicher
Weise auf unsere Urkunde zurückgehen kann.
Dass Flavius der Sohn eines Freigelassenen war,
stand zwar natürlich nicht in der Inschrift, konnte aber
doch vielleicht daraus entnommen werden. Mommsen
hat sehr scharfsinnig nachgewiesen, dass in älterer Zeit
der Vorname es war, welcher den Freigelassenen von
dem Freigebornen unterschied 2®), und des Flavius Vater
hiess Annus^®), ein Pränomen, das in den echt römischen
Familien nicht vorkam. Man meine nicht, dass dieses
eine zu scharfsinnige Combination sei, um sie einem
antiken Schriftsteller zuzutrauen: dem Römer war das
Anni ßim gewiss ein ebenso deutliches und auf den
ersten Blick wahrnehmbares Zeichen der Herkunft, wie
etwa für uns die Namen Silberstein oder Rosenfeld.^^)
Auch von den Magistraturen des Flavius legte die
Inschrift Zeugnis ab, und dass Diodors Quelle nur Eine
von den vieren hervorhob, hatte seinen guten Grund.
29) Römische Forschungen I S. 26.
^) Diese Form dürfte wohl die richtige sein, nicht Annius,
denn, wie gleichfalls Mommsen a. a. 0. S. 7 benfferkt, pflegten
Gentilicium und Pränomen sich in der Endung scharf zu unter-
scheiden.
81) Ich halte es übrigens keineswegs für sicher, dass Annus
ein Freigelassenenname war, denn wenn er dem Sprachgefühl der
Kannibalischen Zeit so erschien, beweist dies noch nichts für das
Jahrhundert der Samniterkriege. Die Frage nach der Abstam-
mung des Aedilen bleibt also für mich noch eine offene.
30 Gnaeos Flavius.
Die Consuln hatten die senatm lectio des Appius ver-
worfen, das Volk sie durch die Wahl eines Freigelassenen-
sohnes bestätigen wollen; dies ist die Pointe der ganzen
Erzählung, und nur dasjenige Amt war für sie von Be-
deutung, welches ein gesetzliches Anrecht auf den Sitz
im Senate verlieh.
Des Flavius Aedilität war sehr bald auf die Gensur
des Appius gefolgt; dies ergab die Datirung des Weih-
geschenks. Beide miteinander zu combiniren, lag also nahe.
Dass dies der erste Curulädil gewesen sei, welcher
von einem Freigelassenen abstammte, war aus der In-
schrift freilich nicht zu entnehmen, doch war es zu allen
Zeiten eine üble Sitte der Gelehrten, das erste Beispiel,
welches sie nachweisen konnten, für das erste zu halten,
welches es gab, und folglich brauchen wir auch für diese
Notiz eine andere Quelle nicht anzunehmen.
Also in allem dem, was Diodor von Gn. Flavius
weiss, findet sich nicht Ein Wort, das nicht aus der
Weihinschrift geschlossen sein könnte, und auch die
Stelle, welche der Bericht bei ihm einnimmt, deutet auf
eine nicht annalistische Urquelle hin. Denn es liegt ja
in der Natur aller Annalen, jedes Ereignis bei dem Jahre
zu verzeichnen, wo es geschehen ist, die Aedilität des
Flavius aber ist in Diodors Werk fünf Jahre zu früh,
d. h. nach dem inneren Zusammenhange, nicht nach dem
chronologischen, eingeordnet. Dass aber die ganze Ge-
schichte nicht von wirklicher Ueberlieferung, sondern von
Schlüssen der oben bezeichneten Art ausgegangen ist, kann
schon darum nicht bezweifelt werden, weil das Wesent-
lichste darin falsch ist. Appius Glaudius hatte seit
dem Jahre 311 die Gensur bekleidet und schon im Jahre
307 waren ihm andere Gensoren gefolgt, die natürlich
^uch eine andere Senatsliste aufgestellt hatten. Der
Widerstand der Gonsuln gegen die seinige muss also in
Qnfteus FiaTius. 31
die Jahre 310 bis 307 fallen, und folglich auch die Wahl
des Flavius, wenn sie wirklich als Reaction gegen jenen
Widerstand gemeint war. Nun steht es aber durch das
Datum der Inschrift über allem Zweifel, dass dieser erst
304 Aedil wurde, und damit fallt die ganze Darstellung
Diodors in Nichts zusammen.
Als ein negatives aber darum doch sehr wichtiges
Zeugnis muss noch hervorgehoben werden, dass Diodor
von irgend einem Verdienst des Flavius, durch welches
er sich eine Art von Anrecht auf seine Wahl erworben
hätte, gar nichts weiss. Das Volk macht ihn nicht um
seiner selbst willen zum Aedilen, sondern nur, um da-
durch dem Appius Claudius seine Zustimmung zu be-
weisen. Ob also der Quelle Diodors etwas von der
Kalenderpublication des Flavius bekannt war, bleibt min-
destens zweifelhaft.
3) Quintus Ennius.
»Es gab eine Zeit, wo nur wenige wussten, wann
Gerichtstag sei, denn das Volk besass keinen Kalender.
So waren jene täglich von Rathfragenden überlaufen und
genossen eines grossen Einflusses. Da brachte der alte
Appius seinen Schreiber Cn. Flavius, den Sohn des Frei-
gelassenen Annus, auf einen schlauen Einfall.^^j Ej. gi^g
immer wieder zu den Eingeweihten, um sich für fingirte
Processe ihren Rath zu erbitten, schrieb ihre Mitthei-
lungen auf und brachte so allmählich den ganzen Rechts-
kalender zusammen. Diesen stellte er öffentlich aus und
befreite dadurch das Volk von seiner Abhängigkeit.
82) Dass Flavius der Schreiber des Appius war und von
diesem sein ganzer Anschlag ausging, steht zwar nur bei Plinius,
passt aber so gut in den Zusammenhang, dass ich nicht gezaudert
habe, auch diese Notiz trotz ihrer nicht ganz genügenden Be-
glaubigung dem Ennius zuzuschreiben.
32 Gnaeus Flayius.
Kurz vorher war Appius Gensor gewesen; als solcher
hatte er anfangs versucht, sich im Senat durch die Auf-
nahme von Freigelassenensöhnen eine ergebene Partei zu
gründen; da aber keiner sich um seine Senatorenliste
kümmerte, brachte er wenigstens die Volksversammlungen
in seine Gewalt, indem er niedrige Leute durch alle
Tribus vertheilte. Diese Parteigänger des Censors be-
lohnten das Verdienst seines niedriggeborenen Schreibers
durch dessen Wahl zum curulischen Aedilen und er-
regten dadurch eine solche Empörung bei dem römischen^
Adel, dass er als Zeichen der Trauer seine goldenen
Ringe und den Silberschmuck seiner Rosse ablegte, c So
muss nach Livius, Plinius und Cicero ungefähr der
ennianische Bericht gelautet haben.
In einigen Punkten ist hier die auffallendste Ueber-
einstimmung mit Diodor bemerkbar. Auch nach Ennius
wird der Sohn des Freigelassenen durch die Partei des
Appius gewählt; auch er verbindet dies, wenn gleich in
etwas anderer Wendung, mit der Wirkungslosigkeit der
claudischen Senatsliste. Da beides, wie wir gezeigt haben,
nicht auf thatsächlicher Grundlage ruhte, sondern nur
durch Trugschlüsse aus der Weihinschrift gefolgert war,
so ist kein Zweifel möglich, dass auch Ennius die Quelle
des Diodor benutzt hat. Wir halten uns dabei nicht
länger auf, sondern wenden uns denjenigen Nachrichten
zu, welche hier zum ersten Male auftreten.
Die Geschichte von den goldenen Ringen hat natür-
lich gar keinen Quellenwerth; der Dichter war berech-
tigt und verpflichtet, die Entrüstung des Adels über jene
schmähliche Wahl mit den lebhaftesten Farben auszu-
malen, die ihm zu Gebote standen. Auch dass Appius
als Rathgeber des FJavius erscheint und dass sie in das
Verhältnis von Vorgesetztem und Untergebenem gebracht
werden, ist nicht von Bedeutung; denn nachdem einmal
Gnaeus FlaTius. 33
durch die Quelle Diodors eine Verbindung zwischen dem
Censor und dem Aedilen hergestellt war, lag es sehr
nahe, sie in dieser Weise fester zu knüpfen und besser
zu motiviren. Auch das Schreiberamt unseres Helden,
welches Ennius zuerst erwähnt, könnte man geneigt sein,
auf die gleiche Weise zu erklären. Wenn er dem Censor
diente, so durfte wohl vorausgesetzt werden, dass ein so
kluger Mann nicht als Büttel oder Ausrufer benutzt wor-
den sei, sondern in einer mehr geistigen Thätigkeit Ver-
wendung gefunden habe, und überdies standen die
Schreiber unter dem Volk in dem Rufe ganz besonderer
Pfiffigkeit, eine Eigenschaft, die für jenes Erlauschen des
Kalenders nothwendig war. Dies allein würde zur Er-
klärung genügen; bei einem Dichter, den keine Rücksicht
hinderte, seiner Phantasie freien Lauf zu lassen, brauchten
wir für ein solches Detail keine Quelle vorauszusetzen.
Nur der merkwürdige Umstand, dass uns noch eine
zweite, ganz ähnliche Schreibergeschichte überliefert ist,
veranlasst mich, eine andere Vermuthung aufzustellen.
Livius, nachdem er die heldenmüthige Vertheidigung
Casilinums im Kannibalischen Kriege geschildert hat,
schliesst seinen Bericht über die Schicksale der Besatzung
folgendermassen : XXIII 19, 17 ceteri incolumes Praefieste
cum praetore suo M. Anicio — scriba is antea fuerat —
redierunt. statua eius indicio fuit, Prueneste in foro sta-
tuta, loricata, amicta toga, velato capite, cum titulo lamnae
aeneae inscripto, M. Anicium pro militihm, qui Casilini in
praesidio fuerint, votum solvisse. idem titulus trihus signis
in aede Fortunae positis fuit suMectus. Ist es nicht sehr
eigenthümlich, dass bei zwei Männern, die beide durch
Weihinschriften in die römische Annalistik eingeführt
sind, die Notiz in gleicher Weise wiederkehrt, sie
seien, ehe sie zu Aemtern gelangten, Schreiber gewesen?
Und woher konnte man in Rom die Vorgeschichte eines
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifices. 3
34 Gnaeus Flayius.
Pränestinischen Magistrats kennen, wenn nicht aus seiner
Inschrift? Ich glaube daher, dass eine alteDedicationsformel,
die schon zur Zeit des Ennius unverständlich geworden war,
zu dieser Deutung Anlass gegeben hat.^^) Daraus würde
sich auch erklären, warum Diodor, dessen Gewährsmann
die Inschrift vielleicht noch richtig zu lesen vnisste, von
dem Schreiberdienste des Flavius nichts weiss. Freilich
bleiben dies vage Vermuthungen, solange wir die be-
treffende Formel nicht herstellen können, und ehe wir
ein Denkmal gleich ehrwürdigen Alters im Original ent-
decken, dürfte uns das schwerlich gelingen.
Wir wenden uns jetzt dem wichtigsten Theile der
Ennianischen Erzählung, der Geschichte der Kalender-
pubUkation, zu. Dass sie in der Art, wie sie der Dichter
gab, nicht richtig sein kann, bedarf keines Beweises.
Ennius dachte sich die Veröffentlichung jedenfalls in der
Form einer öffentlichen Aufstellung — das geht aus den
abgeleiteten Quellen klar hervor 3^) — und in diesem
Falle war, um Mommsens Worte zu brauchen ^^), das
ganze Unglück damit gut gemacht, dass der Consul die
Tafel wegnehmen liess. Man nimmt zwar jetzt ziemlich
8') Freilich würde daraus hervorgehen, dass die Inschriften
des Anicius, welche Livius in den zweiten punischen Krieg setzt,
in Wirklichkeit sehr viel älter gewesen sind; doch da Pränesti-
nische Denkmäler jener Zeit sicher nicht nach den römischen
Consuln datirt waren und paläographische Alterskriterien für die
Römer nicht existirten, sehe ich in jener Annahme gar keine
Schwierigkeit.
^) Plinius braucht zwar den indifferenten Ausdruck pro-
mulgare^ doch Cicero sagt proponere^ was sich nicht anders deuten
lässt; Licinius Macer endlich, der, wie wir später sehen werden,
auch aus Ennius geschöpft hat, drückt sich vollends in gar nicht
misszuverstehender Weise aus: fastos drca forum in albo pro-
posuit.
85) Chronologie S. 210.
Onaeus Flavios. 35
allgemein an, dass Flavius die Fasten zusammen mit den
Actionsformeln in den Buchhandel gebracht habe, doch
davon wissen die Quellen nichts und kein Mensch ist
uns bekannt, der jenes Buch jemals in Händen gehabt
hätte. Ich halte es daher für kritischer, den Bericht des
Ennius einfach zu nehmen, wie er ist, d. h. als ein
wunderliches Anekdötchen, das auf Glauben gar keinen
Anspruch machen kann. Das Einzige, was uns übrig
bleibt, ist eine Erklärung zu versuchen, wie der Dichter
zu dem Geschichtchen gekommen sein kann, doch wenn
man dieselbe misslungen finden sollte, so ändert dies
nichts an seiner ünglaubwürdigkeit.
Wir haben bisher nachweisen können, dass alles
Thatsächliche, was Diodor und Ennius von unserm
Helden wussten, einzig und allein aus seiner Weih-
inschrift geflossen war: sollte dies nicht vielleicht auch
für den Kalender gelten? Die Stiftung des Flavius war
ein erzenes Tempelchen; da in jener Zeit die Bronze
noch ein so kostbares Material war, dass selbst die
höchsten Geldforderungen in diesem Metall berichtigt
werden konnten, so müssen die Dimensionen des Weih-
geschenks die allerbescheidensten gewesen sein: zu Gült-
handlungen war es also sicher nicht bestimmt. Auch
ein Kunstwerk, um den Markt zu zieren, werden wir
kaum darin sehen können, denn in einer Zeit, wo die
Bronzetechnik längst in Etrurien und in Rom selbst ihre
höchste Blüthe erreicht hatte, konnte man für derartige
Zwecke wahrlich passendere Dinge finden, als einen
rohen, viereckigen Erzklotz, den höchstens einige Säul-
chen gliederten. Wozu also diente das Tempelchen?
Ich glaube, für die breiten Flächen, welche seine Wände
boten, lässt sich kaum eine passendere Verwendung
finden, als einen Kalender darauf einzugraben, und hier
auf dem Markte, dicht bei dem Tribunal des Prätors^
3*
36 Gnaeus FlaYius.
war gerade der Ort, wo etwas dieser Art beinahe un-
entbehrlich war.
Nehmen wir nun an, dieser Kalender sei lange Jahre
hindurch der einzige geblieben, der auf öflfentlichem
Platze dem Bedürfnisse des Publikums diente^*), so ist
es leicht begreiflich, dass sich ein so hohes Interesse an
ihn knüpfte, um zu einer Art von Volksmärchen Anlass
zu geben. Täglich lief man hierher, um zu sehen, ob
der Prätor Gericht halten werde: da mochte man sich
wohl die Frage vorlegen, wie es denn gewesen sei, ehe
der gute Aedil diesen unentbehrlichen Kalender auf-
gestellt habe. Damals, so lautete die Antwort, wussten
natürlich nur wenige — diejenigen, welche selbst Fasten
zu Hause besassen — , wann Gerichtstag sei, und wer es
sonst erfahren wollte, musste sich bei ihnen Raths er-
holen. Die Phantasie des Volkes brauchte nur noch
einen Schritt weiter zu gehen, so wurde der Kalender
zu einem tief bewahrten Geheimnis, und alle Elemente
waren vorhanden, aus denen das naive Geschichtchen
bei Ennius sich zusammensetzt. Dabei konnte es leicht
kommen, dass die Sage ihres Ausgangspunktes zuletzt
vergass. Von den Weihgeschenken, welche sich in
immer grösserer Zahl auf dem Markte drängten, war das
Tempelchen vielleicht bald so eingeschlossen, dass der
Kalender darauf kaum noch benutzbar blieb; andere
ähnliche Stiftungen mochten ihn ersetzen. Dennoch blieb
8®) Die zwölf Tafeln scheinen nach dem Gallischen Brande
nicht mehr ausgestellt gewesen zu sein; wenigstens wissen wir
nichts davon. Scholl, legis XII tabülarum reliquiae S. 1. Die
Tafel des Pontifex maximus, von der im zweiten Abschnitt die
Rede sein wird, befand sich innerhalb seines Hauses, nicht
auf öffentlichem Platze, und war daher für die Benutzung minder
bequem.
Gnaeos Flavius. 37
Flavius der Kalenderheld, obgleich sich keiner mehr er-
innerte, wodurch er es geworden» war. ^')
Ich kann, wie gesagt, nicht beweisen, dass alles
wirklich so hergegangen ist, aber für unsem Zweck
kommt es darauf auch gar nicht an. Es handelt sich ja
nicht um die Frage, ob das, was Ennius dichtete, wahr
sei oder nicht — diese ist längst entschieden — , sondern
nur darum, ob er so dichten konnte, ohne eine andere
Quelle zu besitzen, als die Inschrift selbst und dasjenige,
was schon die Volkssage und der Gewährsmann Diodors
aus ihr geschlossen hatten. Dass dies wenigstens mög-
lich war, glaube ich gezeigt zu haben, und wenn jemand
meint, es sei in anderer Art geschehen, als ich vermuthe,
so habe ich nichts dagegen.
Von der Veröffentlichung der Legisactionsformeln
spricht Ennius noch gar nicht; gleichwohl war das äl-
teste Rechtsbuch, welches nach Flavius erschien, von
einem Zeitgenossen des Dichters, Sextus Aelius Catus,
verfasst, und jener hatte folglich eine Zeit durchlebt, wo
dessen Werk noch nicht existirte und man allein
aus dem Jm Flamanum, wenn es ein solches gab, seine
Rechtskunde schöpfen konnte. Damals musste es jeder-
mann bekannt sein, und wenn es dazu noch den Kalender
enthielt, so musste dieser neben seinem sonstigen Inhalt
ganz nebensächlich erscheinen. Wie war es da nur
möglich, dass die Annales so ausführlich von den Fasten
erzählten und der Legisactionen auch nicht mit Einem
Vi^orte erwähnten? Und doch stimmen Cicero und Pli-
'?) Dies schliesse ich daraus, dass jedenfalls Macer, vielleicht
auch schon Ennius, die Publication des Kalenders durch eine
weisse Tafel geschehen lassen, also wenn sie von den Fasten des
Tempelchens wussten, dieselben höchstens als eine Erinnerung
an die eigentliche That des Flavius betrachteten.
38 Gnaeus Flams.
nius in diesem Punkte so vollkommen überein, dass
jeder Zweifel ausgeschlossen ist, namentlich da uns der
Erstere nicht nur durch sein Schweigen, sondern mit
ausdrücklichen Worten darüber Zeugnis ablegt (s. S. 12).
Zum Schlüsse sei noch darauf aufmerksam gemacht,
dass Ennius diejenigen, welche die Kalenderwissenschaft
besassen, in keiner Weise charakterisirt. Für ihn sind es
weder die Pontifices noch die Patricier, sondern einfach
»wenige Leute« im Gegensatz zur Masse des Volkes.^®)
Wer denn diese wenigen waren und wo sie ihr Geheim-
nis herhatten, diese Fragen hat er sich noch gar nicht
gestellt, und auch seine unmittelbaren Nachfolger, Piso
und der unbekannte Annalist des Plinius, richteten ihr
ganzes Interesse nur auf die unerhörte Wahl des Frei-
gelassenensohnes, neben der für sie die Geschichte der
Fasten völlig verschwand. Erst einer sehr viel späteren
Zeit blieb es vorbehalten, jene Fragen aufzuwerfen und
dann natürlich auch gleich zu beantworten.
4) L. Calpurnius Piso.
Cn. Flavvus, patre libertino naius, scriptum fimebat;
isque in eo tempore aedili curuli apparehat, quo tempore
dediles mbrogantur, eumque pro tribu aedilem curuUm re-
nuntiaverufU. aedilis, qui comitia habebaty negat accipere,
neque sibi placere, qui scriptum faceret, cum aedilem fieri.
Cn: Flavius Änni fUius dicitur tabulas posuisse, scriptu
sese (d}dicasse; isque aedilis curulis f actus est.
88) Ctc. pro Murena 11, 25 posset agi lege necne^ pauci quon-
dam sciebant; fastos enim vulgo non hahebant, ad AU, VI 1, 8
ut dies agendi peterentur a paucis. ds orat I 41, 186 quia veteres
illiy qui huic scientiae praefuerunt, ohtinendae atque augendae po-
tentiae suae causa pervulgari artem suam noluerunt. Plinius
XXXIII 17 publicaiis diehus fastis, quos poptdus a paucis prin-
cipum cotidie petebat
Gnaeus FlaYius. 39
Idem Cn, Flavius Änni filius dicitur ad coUegam
venisse visere aegrotum. eo in conclave postquam introivit,
adulescentes ibi cmnplures nobiles sedebant. hi contemnentes
euniy assurgere ei nemo voluit Cn. Flavius Änni filius
aedilis id arrisit; sellam curulem iussit sibi afferri, eam in
limine apposuit, ne quis illorum exire passet utique hi
omnes inviti viderent sese in sella curuli sedentem.
Mit Ennius zeigt Piso freilich gar keine Berührungs-
punkte ausser dem vollen Namen des Flavius, seiner
Abstammung, seinem Schreiberdienst, endlich seinem
Amte; trotzdem aber ist keine Nöthigung vorhanden,
irgend eine andere Quelle für ihn anzunehmen^®), denn
alles übrige ist offenbar erfunden. Dass Flavius hier
nicht Schreiber des Censors, sondern des Aedilen ist, hat
einen ästhetischen Grund, denn freilich ist es viel eflfect-
voUer, wenn er der Nachfolger eben desselben Beamten
wird, dessen Diener er vorher gewesen war. Einer
ähnlichen Rücksicht verdankt die staatsrechtliche Un-
möglichkeit eines wahlleitenden Aedilen ihre Entstehung,
welche man sehr mit Unrecht durch Conjectur hat be-
seitigen wollen. Die juristischen Bedenken wogen bei
Piso nicht schwer genug, um ihnen den schönen Gon-
trast zu opfern, dass Flavius bei derselben Wahl seinen
niedem Schreiberdienst verrichtet, aus welcher er als
curulischer Magistrat hervorgehen sollte. Auf das
Uebrige einzugehen, ist nicht der Mühe werth; es ge-
nügt zu constatiren, dass sich bei Piso nichts Echtes
33) In einem andern Zusammenhange ist es nicht ohne Inter-
esse, dass die Worte des Piso patre Ubertino natiM in der sechsten
Satire des Horaz dreimal (6; 45; 46) wiederholt werden. Mir
scheint, ein Citat ist hier nicht zu verkennen, doch stammt es
gewiss nicht aus dem obscuren Piso, sondern aus dem von Horaz
und seinen Zeitgenossen so hochgeschätzten Ennius, der ja in den
Satiren noch mehrmals parodirt und citirt wird.
40 Goaeus Fiavius.
findet, was uns nicht schon bei Ennius und Diodor be-
gegnet wäre.
5) Der unbekannte Annalist des Plinius.
Ihm gehören wohl nur die Worte an: ut aedilis cur
rulis crearetur cum Q, Anicio Pra^enestino, qui paucis ante
annis hostis fuisset, praeterüis C. Poetelio et Domitio, quo*
rum patres consules fuerant. In dieser Notiz kann ich
nur dasselbe Bestreben erkennen, welches wir schon bei
Piso bemerkten, den Effect jener wunderbaren Wahl
noch mehr zu steigern. War nach der alten Annalistik
Ein Aedil niederen Standes, so ist es jetzt das ganze
CoUegium; neben den Sohn des Freigelassenen tritt der
ehemalige Landesfeind und ihre Erhebung erhält ein
noch höheres Gewicht durch die vornehme Geburt ihrer
Mitbewerber. Die grosse Genauigkeit in den Namen be-
weist natürlich nicht die Echtheit; zur Erfindung des
ersten derselben mag der Umstand Anlass gegeben haben,
dass, wie wir oben (S. 33) sahen, ein anderer Anicius, der
gleichfalls Pränestiner war, ebenso wie Gn. Flavius
Schreiber gewesen sein sollte. Die Zeit der Fälschung
lässt sich vielleicht aus ihrer Tendenz errathen : die Wahl
eines früheren Latiners, der kurz vorher die Waffen gegen
Rom geführt hatte, würde nach Beendigung des Bundes-
genossenkrieges, als der Streit über die künftigen Rechte
der ehemaligen Feinde und neuen Mitbürger seine höch-
sten Wellen schlug, als Präcedenzfall von höchster Wich-
tigkeit gewesen sein.
Bei Plinius begegnet uns zwar noch ausserdem eine
Reihe von Notizen, die gewiss nicht aus Ennius her-
stammen, doch möchte ich sie darum doch nicht unse-
rem unbekannten Annalisten zuschreiben, weil sie mir
seinem Charakter wenig zu entsprechen scheinen. Es
sind nämlich nicht eigentliche Fälschungen, wie die oben
Gnaeus Flavios. 41
gekennzeichnete, sondern Produkte eines ungeschickten
Hypothesenkrämers, welcher das Denkmal des Flavius
gesehen hat und mit übel angebrachtem Scharfsinn alles
Mögliche und Unmögliche herausinterpretirt. Wir wer-
den sie daher am ehesten auf Varro selbst zurückführen
dürfen, und wenn wir die chronologische Ordnung streng
einhalten wollten, müssten sie folglich erst nach Licinius
Macer besprochen werden; doch da dieser darauf gar
keinen Einfluss gehabt hat, kommt auf die Reihenfolge
nichts an. ♦
Das Tempelchen des Flavius war der Concordia ge-
weiht. Daraus hat Varro — man gestatte mir der Kürze
halber diesen Namen zu brauchen, statt meinen Zweifeln
durch stets wiederholte Umschreibungen Ausdruck zu
geben — den Schluss gezogen, er habe es gelobt, si po-
ptdo recondliasset ordines. Zu dieser Vermuthung, die
freilich, wenn nicht von Varro selbst, so doch von sei-
nem Nachfolger Plinius als volle Gewissheit ausgesprochen
wird, mag eine Erinnerung an das Votum des Gamillus
Anlass gegeben haben *^), doch genügt allein der Cha-
rakter der Göttin, um sie zu erklären. Wie absurd sie
ist, braucht kaum gesagt zu werden, denn ein solches
Gelübde konnte wohl ein Consul oder Dictator thun,
doch bei einem so niedrigen Magistrat, wie Flavius, wäre
es die lächerlichste Anmassung gewesen. Ueberdies sieht
es nach der eigenen Erzählung Varros gar nicht so aus,
als wenn jene Versöhnung wirklich gelungen wäre, und
da folglich die Bedingung des Gelübdes nicht eingetreten
war, konnte es auch nicht erfüllt werden.
^0) Ovid. I 641, der wohl auch aus Varro geschöpft hat, sagt
über den Concoi;diatempel: Furius antiquam populi superator
Etrusd voverat et voti solverat ille fidem, causa, quod a patribus
sumptis secesserat armis vulgus et ipsa suas Borna timebat opes.
vgl. Plut. Camill. 42.
42 Gnaens Flavias.
Das Tempelchen war viel zu klein, um Cultus-
zwecken zu dienen, und, wie die Aufschrift besagte, aus
den ädilicischen Strafgeldern errichtet. Daraus entwickelte
Varro, dass die Erbauung eines wirklichen, grossen Tem-
pels an dem Widerstände des Senats gescheitert sei und
Flavius sein Votum in denjenigen Dimensionen habe
lösen müssen, welche ihm das zu seiner unbeschränkten
Verfügung stehende Geld gestattete. Wie man sieht, ist
die Combination gar nicht so übel, und wenn wir auch
für uns keinen Gebrauch davon machen können, so er-
öffnet sie uns doch einen interessanten Einblick in die
Methode der römischen Denkmälerforschung.
6) G. Licinius Macer.
Invenio in quibusdam annalihus (Piso), cum appareret
aedilUms fieriqae se pro tribu aedilem videret neque acdpi
nomen, quia scriptum faceret, tabulam posuisse et iurasse
se scriptum non facturum; quem aliquanto ante desisse
scriptum facere arguit Macer Licinius tribunatu ante gesto
triumviratibusque nocturna altero, aUero coloniae dedu^endae.
ceterum, id quod haud discrepat, contumacia adversus conte»
mnentes humilitatem suam nobiles certavit; civile ius repositum
in penetralibm pontificum evulgavit, fa^tosque circa forum
in alba proposuit, ut quando lege agi posset sciretur. aedem
Concordiae in area Vulcani summa invidia nohilium dedi-
cavity coactusque consensu populi Cornelius Barhatus ponti-
fex maximus verba praeire, cum more maiorum negaret
nisi consulem aut imperatorem posse templum dedicare, ita-
que ex au^oritate senatus latum ad populum est, ne quis
templum aramve iniussu senatus aut tribunorum plebei partis
maioris dedicaret.
Wir sind hier an dem wichtigsten Punkte unserer
Untersuchung angelangt, denn zum ersten Male treffen
wir auf das Rechtsbuch des Flavius und auf die Ponti-
Gnaeus FlaWus. 43
fices als Bewahrer der Geheimnisse, welche er dem Volke
preisgab. Es erweckt kein günstiges Vorurtheil, dass
diese Dinge plötzlich im letzten Jahrhmidert der römi-
schen Republik auftauchen, während sie sich vorher
nii^end nachweisen Hessen, ja bei Ennius sich sogar
nachweisen liess, dass er nichts davon wusste. Schon
dieses allein wäre Grund genug, an ihrer Echtheit zu
zweifeln, obgleich sich freilich noch nicht mit Sicherheit
behaupten lässt, dass Macer sie nicht einer älteren Quelle
entnommen haben könne. Wenn wir aber zeigen, dass
er durch eine Reihe naheliegender Schlussfolgerungen
zur Erfindung jener Notizen geführt werden konnte, und
dass es in seinem Charakter liegt, gerade so, wie wir es
voraussetzen müssen, seine Schlüsse zu ziehen, wird,
hoffe ich, der Zweifel sich in Gewissheit verwandeln.
Um das Verfahren Macers zu illustriren, sei es mir
erlaubt, zwei Beispiele anzuführen, die zwar längst be-
kannt, aber meinen Lesern wohl kaum in frischer Er-
innerung sind. Im Jahre 310 Varr. fungirten nach der allge-
meinen Ueberlieferung die ersten tribuni müitum consulari
potestate. Bei demselben Jahre aber fand Macer in einem
uralten Magistrats Verzeichnis, das er auf Leinwand ge-
schrieben im Tempel der Juno Moneta entdeckt hatte,
ausser diesen auch noch ein Paar anderer Namen ge-
nannt, deren Zweizahl ihn zu dem Schlüsse berechtigte,
dieselben seien Gonsuln gewesen. Freilich war dies ein
Irrthum, aber ein solcher, wie er jedem gelehrten For-
scher einmal begegnen kann.*^) Wenn in Einem Jahre
Militärtribunen und Gonsuln amtirt hatten, so konnte
*•) In Wirklichkeit waren es die Censoren, welche in den
Annalen erst bei dem folgenden Jahre erwähnt wurden. Diese
chronologische Differenz, welche Macer irre geführt hat, erklärt
sich wohl sehr einfach daraus, dass die Amtszeit eines Censoren-
coUegiums sich immer über mindestens zwei Consulatsjahre er-
44 Gnaeus Flavius.
dies nur nacheinander geschehen sein; folglich mussten
die ersteren vor der Zeit ihr Amt niedergelegt haben.
Der gewöhnlichste Grund einer solchen Abdankung
pflegte ein religiöser Formfehler bei der Wahl zu sein,
und da unmittelbar vorher die Ersetzung des Consulats
durch die neue Magistratur gegen den heftigen Wider-
stand der Patricier durchgesetzt worden war, so Hess es
sich leicht begreifen, wenn die patricischen Augum ein
Vitium in den Tribunen entdeckten. War dies aber ge-
schehen, so mussten nach den Regeln des römischen
Staatsrechts die beiden BeamtencoUegien durch ein Inter-
regnum getrennt sein. Alle diese Schlüsse ergaben sich
fast mit Nothwendigkeit aus dem ersten sehr entschuld-
baren Irrthum, und dass Macer sie gezogen hat, würde
ihn als einen scharf und consequent denkenden Gelehrten
charaktrisiren, wenn er dabei stehen geblieben wäre.
Nachdem er aber diese vermeintlichen Thatsachen nicht
richtig, aber doch mit ganz verständiger Methode ge-
funden hat, glaubt er sie durch erfundenes Detail aus-
schmücken und beleben zu müssen und wird dadurch zum
Fälscher. Denn nach Livius IV 7 und Dionys XI 62 erzählte
er etwa folgendermassen: >Die ersten Militärtribunen traten
an, doch ihr Amt blieb nicht unangefochten. Denn schon
nach 73tägiger Amtsführung mussten sie nach einem
Decret der Augum als fehlerhaft gewählt abdanken,
weil angeblich der Consul C. Gurtius den Beob-
achtungsplatz für ihre Wahlauspicien nicht
richtig abgesteckt hatte. Da nun keine curulischen
Magistrate mehr vorhanden waren, traten die Patricier
zusammen und bestellten einen Interrex. Jetzt geräth
streckte; die librt lintei mochten es unter dem Jahre verzeichnet
haben, in welchem es sein Amt antrat, die Annalen unter dem-
jenigen, in welchem es das Lustrum condirte. Vgl. De Boor,
Faati Censarii, S. 38.
Gnaeiis Flayias. 45
der Senat mit der Plebs in Streit, ob man Militärtribunen
oder Consuln wählen solle; endlich gibt die Plebs nach,
weil sie einsieht, dass doch Patricier gewählt werden,
und es ihr minder beleidigend scheint, wenn ihre Mit-
glieder von der Wahl ausgeschlossen sind, als wenn sie
als unwürdig übergangen werden. Diese Zwistig-
keiten haben das Interregnum über seine gewöhn-
liche Dauer ausgedehnt; zum Schlüsse bestellt
der Interrex T. Quinctius Barbatus die neuen
Consuln.« Man sieht, die Zeitbestimmung konnte weder
für die Amtsdauer der Militärtribunen noch für das In-
terregnum durch Schlussfolgerungen gefunden werden,
noch weniger der Grund des Vitiums und der Name des
letzten Interrex; da aber die Consuln, wie Livius aus-
drücklich sagt, nur aus den Urkunden bekannt und in
keinem Annalenwerk vor Macer genannt waren, *2) so
kann auch über ihre Wahl keine Ueberlieferung bestan-
den haben und alle jene Einzelheiten müssen noth wendig
erfunden sein.*^)
<2) Liv. IV 7, 10 his consulibus cum Ardeatibus foedm reno-
vatum est idque monumenti est consüles eos illo anno fuisse, qui
neque in annalibus priscis neque in libris magistratuum in-
venitmtur.
*^) Unger (Die römische Stadtära. Abh. der philos. phüol.
Klasse der kgl. bairischen Akad. XV S. 124) wendet ein: „Hätte
Licinius Macer diese Darstellung erdichtet, so würde er doch,
was für ihn in diesem Fall die Hauptsache gewesen wäre, hinzu-
gefügt haben, dass der angebliche Formfehler eine von den Pa-
triciem ersonnene Ausflucht war." Das hat er auch gethan; Li-
vius, der selbst Aristokrat, die demokratische Tendenz seiner
Quelle gewiss möglichst verwischt hat, deutet dennoch Zweifel
an der Echtheit des Vitiums an (IV 7, 3 perinde ac vitio creati),
and sehr viel energischer dürfte dies bei Macer geschehen sein.
— Der Vertrag mit Ardea kann freilich von den Censoren als
solchen nicht geschlossen worden sein, doch ist es sehr wohl
möglich, dass die tribuni militum aus irgend einem Grunde un-
46 Gnaeus Flavius.
Das zweite Beispiel ist die ergötzliche Geschichte von
der Amme des Romulus, welche Mommsen in so muster-
giltiger Weise zergliedert hat.**) Dass die Gründer Roms
von einer Wölfin gesäugt worden seien, war zwar eine
unsinnige Fabel, doch mochte nach Macers Meinung
immerhin etwas Wahres darin stecken. Lupa bedeutete
ja im Volksmunde auch die feile Dirne; vielleicht war
aus einem Missverständnis dieses Ausdrucks die alte Sage
entstanden. Wie einstimmig überliefert war, hatte die
Frau des Faustulus die ausgesetzten Kinder aufgenährt:
offenbar war also sie die lupa, an deren Brust Romulus
und Remus gelegen hatten. Wenn man sie mit solchen
Ehrentiteln belegte, so musste sie wohl vor ihrer Ehe
einen dem entsprechenden Lebenswandel geführt haben.
Nun wusste man ferner, dass eine öffentliche Dirne Acca
Larentia, die später an den reichen Etrusker C. Tarratius
verheirathet gewesen war, nach dem Tode ihres Mannes
die Aecker, welche sie von ihm geerbt hatte, dem römi-
schen Volke testamentarisch vermacht habe. Wann dies
geschehen sei, Hess sich nicht bestimmen, jedenfalls aber
in grauer Vorzeit. Hatte Acca Rom so freigebig bedacht,
so liess dies auf ein nahes persönliches Verhältnis zu
der Bürgerschaft oder zu einem ihrer Könige schliessen ;
am besten passte der Gründer des Staates selbst. Wenn
nun eine Dirne seine Amme gewesen war und wiederum
eine Dirne ihn zum Erben eingesetzt hatte, so konnte
kein Zweifel mehr sein, dass beide identisch waren.
Folglich hatte Acca als Wittwe des Tarratius noch den
Faustulus geheirathet und war so zu der Ehre gekommen.
abkömmlich waren und man deshalb den beiden neben ihnen
stehenden Oberbeamten eigens für den Zweck der Vertrag-
schliessung ein ausserordentliches Imperium verlieh.
^^) Römische Forschungen II S. 1.
Gnaeus Flavius. 47
dem Vater des römischen Volkes die erste Nahrung zu
reichen.
Eine ganz ähnliche Mischung von scharfsmniger
Combination und unverfrorener Fälschung tritt uns auch
in dem licinischen Bericht über Cn. Flavius entgegen.
Dass Macer die Inschrift des Aedilen gelesen hatte und
uns allein durch ihn die vollständige Titelreihe, welche
darauf eingegraben war, erhalten ist, haben wir schon
S. 24 gesehen; eben dort sind auch die Gründe ausein-
andergesetzt, warum er die Aemter des Flavius für suc-
cessive bekleidet hielt und mit ihnen das dumme Ge-
schichtchen des Piso glaubte widerlegen zu können. So-
weit werden wir ihm Dank wissen und sein Versehen
gern entschuldigen. Doch an die Widmung des Tempel-
chens knüpft er schon eine Fälschung an: dass Flavius
bei dem Volke sehr populär, aber mit dem Adel verfeindet
war, konnte er aus Ennius oder Piso oder jeder beliebigen
andern Quelle erfahren; dies Verhältnis auszumalen, bot
die Dedication des Weihgeschenkes einen passenden An-
lass, und der Name des Oberpontifex nebst den übrigen
begleitenden Umständen wurden dazu ebenso erfunden,
wie an der oben besprochenen Stelle der Name des
Interrex. Dies ergibt sich schon aus den staatsrechtlichen
Unmöglichkeiten, welche die Erzählung enthält. Was
soll das heissen: cum more maiorum negaret nisi consulem
aut imperatoretn posse templum dedicare? Mommsen fasst
dies so auf, dass nur ein Beamter mit Imperium einen
Tempel habe weihen dürfen. In dieser Form ist die
Nachricht zwar nicht sinnlos, findet aber auch nirgend
sonst eine Bestätigung, vielmehr sind zahlreiche ganz
sicher beglaubigte Weihungen bekannt, die ihr wider-
sprechen.*^) Allein ich fürchte, er hat die Meinung Macers
«) Staatsrecht 11» S. 602.
48 Gnaeus Flayias.
nicht richtig interpretirt, denn mir ist kein Beispiel be-
kannt, dass man in Giceronischer Zeit imperator für
mfigistratus cum imperio gebraucht hätte; auch wäre bei
dieser Auslegung die Nennung des Consuls überflüssig
gewesen, da er mit unter den Begriff des imperator fiele.
Ich glaube daher, die Stelle soll nichts anderes sagen,
als was der erste Blick zeigt: »Der Consul oder der sieg-
reiche Feldherr«, und dass es ein Unsinn ist, nicht nur
den Gensor und Aedilen, sondern auch den Prätor, ja
sogar den Dictator, wenn er nicht zufallig einen Sieg er-
fochten hat, von dem Rechte der Dedication auszu-
schliessen, liegt auf der Hand. Noch schlimmer aber ist
das Gesetz, welches angeblich von Senat und Volk be-
schlossen ist, dass ohne Erlaubnis des Senats oder der
Mehrzahl der Volkstribunen es nicht gestattet sein solle,
Tempel oder Altäre zu weihen. Denn zur Verhinderung
der Dedication, wie jeder andern Amtshandlung, genügte
ja der Einspruch eines einzigen Tribunen: wozu also die
Mehrzahl des Gollegiums bemühen?
Diese Stelle macht nicht den Eindruck, als ob Macer
eine bessere Quelle als Piso und die Inschrift besessen
habe. Freilich versteht es sich von selbst, dass ihm auch
die Annalen des Ennius nicht fremd waren, und ihre
Benutzung ergibt sich aus seiner zum Theil wörtlichen
Uebereinstimmung mit der Rede für Murena. Man ver-
gleiche:
Livius. Gicero.
Fastos circa forum in alho Fastos populo proposuit.^^)
proposuit,
ut quando lege agi posset Posset agi lege necne, pauci
sciretur. quondam sciebant.
^6) Auch proposuit fastos populo ist der Anfang eines allitte-
rirenden Hexameters, was allerdings Zufall sein kann.
Qnaens Flavius. 49
Noch grösser zwar sind die Abweichungen, aber jede
davon erklärt sich aus den Eigenthümlichkeiten Macers.
Ein wesentliches Moment der Ennianischen Darstellung
war für ihn unbrauchbar: er hatte die Claudier der Vor-
zeit aus Hass gegen ihre Nachkommen durchgängig als
hochmüthige Aristokraten und erbitterte Feinde der
Volksfreiheit geschildert;*') da die Rolle, welche der
Gensor Appius bei der Flavischen Kalenderpublikation
gespielt haben sollte, mit dieser Auffassung im schroffsten
W^iderspruche stand, verschwieg er sie einfach. Dass
ferner die Erzählung des alten Poeten an Klarheit sehr
viel zu wünschen übrig liess, konnte einem so scharfen
Kopfe unmöglich verborgen bleiben. Zunächst musste
sich ihm die Frage aufdrängen, wer denn jene »Wenigen«
gewesen seien, die dem Volke den Kalender vorenthalten
hätten. Die Antwort darauf ergab sich von selbst: war
doch schon von Numa die Aufsicht über die Schaltung
und die Beobachtung der heiligen Zeiten den Pontifices
übertragen worden; wenn daher irgend jemand in das
Geheimnis der Fasten eingeweiht war, so mussten sie es
gewesen sein. Allerdings fand sich noch eine andere,
viel grössere Schwierigkeit: der Kalender bildete einen
Theil der zwölf Tafeln, war also schon anderthalb
Jahrhunderte vor Cn. Flavius veröffentlicht. Dem be-
gegnete Macer durch die Hypothese, die betreffende
Tafel sei nach dem gallischen Brande bei Seite gebracht
und von den Pontifices versteckt gehalten worden.*®)
^7) Mommsen, Römische ForBchangen I S. 315.
^8) Ctc. ad Att VI, 1, 8 -E7 quibus (aus den damals eben er-
schienenen Büchern vom Staate) unum ItjroQixoy reguiris de Cn.
Flavio Anni f, üle vero ante decemviros non fuit, quippe qui aedilis
curulis fuerit, qui magistratus multis annis post decemviros insti"
iutus est. quid ergo profecit, quod protülit fastos? occultatam putant
quodam tempore istam tabulamy ut dies agendi peterentur a paucis.
Seeck, Die Kalendertafel der PontifioeB. 4
50 Gnaeas Flavius.
Trotzdem blieb es immer noch räthselhaft, worin denn
das Verdienst des Flavius bestanden habe, denn niemand,
am wenigsten Ennius, hatte behauptet, dass die Pontifices
ihr Wissen zu willkührlicher Fälschung des Kalenders
missbraucht hätten, sondern sie hielten ihn nur geheim,
um sich fragen zu lassen, und die Unbequemlichkeit, die
wenigen Schritte vom Tribunal des Prätors bis zur
Amtswohnung des Pontifex maximus zu gehen, war ge-
wiss nicht so gross, dass ihre Beseitigung als eine That
hätte gefeiert werden können. Da musste eine neue
Hypothese helfen, und Macer war der Mann dazu, sie zu
finden.
Zu seiner Zeit gab es wirklich ein Wissen, das der
Menge fremd und von ihr halb gescheut, halb bewundert,
seinen Inhabern einen grossen Einfluss verlieh, ja dessen
Missbrauch den armen Bürger von Haus und Hof treiben
konnte. Seine Geheimlehre prägte sich in gewissen For-
meln aus, die dem schlichten Menschenverstände sehr
nee vero paud sunt auctares, Gn.Flavium scribam fastos protüliase
actionesque composuisse, ne me hoc — commentum putes. „Also
Cicero erzählte in seinem Buch die bekannte Anekdote; Atticus
warf ihm ein, dass ja eine der zwölf Tafeln einen Kalender mit
Angabe der Gerichtstage enthalte, und liess ihm die Wahl, ob er
den Flavius vor die Decemvirn setzen oder die Veröfltentlichung
des bereits veröffentlichten Kalenders behaupten wolle. Cicero
widerlegt die erste etwas spöttliche Alternative mit mehr Glück
als Witz und erwidert auf die zweite, dass die hinterlistigen
Pontifices die Tafel ja versteckt gehalten haben sollten; was, da
es sich um das Landrecht handelte, kein besonders starker Ein-
wand genannt werden kann." Mommsen, Rom. Chronologie S. 31.
Vgl. Liv. VI 1, 10 In primis foedera cbc leges — erant autem eae
duodecim tabulae et qtuiedam regiae leges — conquiri, quae
comparerent, iusserunt, älia ex eis edita etiam in vulgus; quae
autem ad sacra pertinebant, a pontificibus maxime, ut religione ob-
strictos haherent mültitudinis animos, suppressa. Scholl, legis XII
tob. reit S. 1.
Gnaeas Flavius. 51
zopfig und absurd vorkamen,*®) aber dennoch vor Gericht
unentbehrlich blieben. Zwar konnte man sie längst in
zahlreichen Handbüchern lesen, trotzdem aber war man
in den meisten Fallen rathlos, welche daraus man nun
eigentlich anzuwenden habe: wie viel schlimmer musste das
sein, wenn auch die Formeln selbst im Alleinbesitze einiger
Wenigen waren. Hier handelte es sich um eine Kunde,
die von sehr viel grösserer praktischer Wichtigkeit als
der Kalender, zugleich auch sehr viel leichter zu ver-
bergen war. Die Pontifices waren es gewesen, welche
diesen dem Volke verheimlicht hatten, und eben aus dem-
selben PriestercoUegium waren auch die hervorragendsten
Juristen des letzten Jahrhunderts hervorgegangen. Endlich
warFlavius, nach der Ennianischen Erzählung, durch immer
erneutes Gonsultiren hinter die Geheimnisse des Kalenders
gekommen, hatte also die Methode angewandt, durch
welche sich am ehesten auch die Schliche der Rechts-
gelehrten aufdecken Hessen; denn wie diese täglich consul-
tirt, wurden, konnte Macer ja mit eigenen Augen sehen. So
drängte alles dazu, das Recht dem Kalender hinzuzufügen;
ja es wäre fast zu verwundern, wenn bei der bekannten
Tendenz der römischen Annalistik die Geschichte des
Flavius nicht diese Erweiterung erfahren hätte.
Also die Formelpublikation des Aedilen beruht auf
der schlechtesten Quelle, die irgend denkbar ist; unsere
Zweifel an ihr könnten nur beseitigt werden, wenn zu
dem sogenannten »Jus Flavianum« entweder ein antiker
Commentar nachweislich wäre oder ein Citat daraus oder
wenigstens ein glaubwürdiger Zeuge, der es mit eigenen
Augen gesehen hätte. Statt dessen schweigt Ennius ganz
darüber, und es lässt sich beinahe mit Sicherheit er-
weisen, dass Varro, obgleich er Aelius Catus, Junius
*9) Vgl. die berühmte Schüderung bei Ctc. pro Mur, 12, 26*
52 Onaens FlaTios.
Gracchanus und die meisten alten Juristen kannte, dennoch
nie davon gehört hatte und dass Cicero die erste Nach-
richt durch die licinischen Annalen erhielt. Das Erstere
ergibt sich aus dem Schweigen aller späteren antiquari-
schen Quellen, namentlich des Plinius, das Zweite aus
der Zeit, in welcher das Rechtsbuch zuerst bei Cicero
erwähnt wird.
Macer starb 66 im besten Mannesalter durch Selbst-
mord; sein Geschichtswerk hat er unvollendet hinter-
lassen, denn so zahlreich daraus die erhaltenen Citate
sind, reicht doch keines über das Jahr 299 v. Chr. hin-
aus. Es ist danach sehr wahrscheinlich, dass es erst
einige Zeit nach seinem Tode publicirt ist und folglich
im Jahre 63, als Cicero die Rede für Murena hielt, zu
den allemeuesten Erscheinungen der Litteratur gehörte.
Da dieser demselben Criminalgericht präsidirt hatte, dessen
Entscheidung den Geschichtschreiber in den Tod trieb,
so wird sein Interesse an der Persönlichkeit gewiss gross
genug gewesen sein, um ihn möglichst bald zur Leetüre
des postumen Werkes zu veranlassen.^^) Den Einfluss
desselben sehen wir denn auch schon in jener Rede,
doch ist er noch nicht im Stande, die alte Anschauung,
welche Cicero von Kindheit an aus den Annalen des
Ennius eingesogen hatte, völlig zu beseitigen, um so
weniger als der Redner^ das Buch wahrscheinlich erst
sehr flüchtig gelesen und seinen Inhalt nicht genau im
Gedächtnis behalten hatte. Er entnimmt ihm die Be-
hauptung, dass die Legisactionsformeln einmal Geheim-
^.). Dass Cicero den Macer nicht nur gelesen, sondern sehr
genau gekannt hat, ergibt auch ad fam, IX 21, 2 L. Papirtus
MugülanuSy qui censor cum L. Sempronio Atratino fuit^ cum
antea consul cum eodem fuisset. Denn dieses Consulat stand
in keinen altem Annalen, sondern ist erst von Macer entdeckt
worden. Die Geschichte desselben haben wir S. 43 erzählt.
Onaeas Flavitis. 53
lehre gewesen seien, ^^) hat aber vergessen, dass diese
Theorie bei Macer aufs Engste mit der Geschichte des
Flavius verbunden war, und erzählt die letztere ganz
nach Ennius. Er weiss daher von einem JtAS Flavianum
noch gar nichts, im Gegentheil, er lässt die Formeln von
den Juristen erst erfinden, um den Einfluss, welchen sie
durch die Publikation des Kalenders eingebüsst hatten,
auf diesem Wege wiederzugewinnen, ^^^j Erst acht Jahre
später, als Macers Annalen schon weiter verbreitet waren
und ihre Lehren festere Wurzeln gefasst hatten, redet er
auch von dem Formelbuche des Flavius als von etwas
allgemein Bekanntem. ^3) Nachdem dieses aber einmal
in den Cicero und dann in den Livius übergegangen
war — beide in der Kaiserzeit die am meisten gelesenen
Prosaschriftsteller — , musste es auch in der späteren
Rechtsgeschichle seine Stelle finden, und in welcher
Form das geschah, zeigt uns das Enchiridion des Pom-
ponius.
^') pro Mur, 12, 26 quae dum erant occulta^ necessario ab
eis, gut ea tenebant^ petehantur; postea vero promülgata atque in
manibua iactata et eaxussa^ inanissima pmdentiae reperta sunt^
fraudis autem et stultitiae plenissima,
*2) 1, 1, 11^ 25 Itaque irati Uli, quod sunt veriti, ne dierum
ratüme pramulgata et cognita sine sua opera lege agi posset, verba
guaedam composueruntj ut omnibus in rebus ipsi interessent,
*3) In den Büchern de oratore I 41, 185, welche im Jahre 55
publicirt sind, und in einem 50 geschriebenen Briefe an Atticus
VI 1, 8. Wenn er in dem letzteren sagt: nee vero pauci sunt
auctoreSf Cn. Flavium scribam fastos protulisse actionesquc com'
posuisse, so darf jenes nee pauci nicht zu streng genommen wer-
den. In der Provinz, wo Cicero diesen Brief schrieb, hatte er
gewiss keine Bibliothek zur Hand, um nachsusehen, wie viele
Quellen dies lehrten; er wusste nur, dass so ungefähr die Ge*
schichte des Flavius lautete und dass diese ziemlich von allen
Autoren, wenn auch mit Abweichungen, erzählt wurde.
54 Gnaeus Flavius.
7) Sextus Pomponius.
Lata lege duodedm tabularum ex his fltiere coepü ius
civile, ex isdem legis actiones campositae sunt, omnium
tarnen harum et interpretandi scientia et actiones apud coUe-
gium pontificum erant, ex quibus constitmbatur, quis qtioque
anno praeesset privatis, et fere popuitis annis prope centum
hoc comuetudine mus est. postea cum Appius Claudius
cotnposuisset et ad formam redegisset has actiones, Gnaeus
Flavius scriba eius libertini filius subreptum librum populo
tradidity et adeo gratum fuit id munus populo, ut tribunus
plebis fieret et Senator et aedilis curulis. hie Über, qui acti-
ones continet, appellatur ius civile Flavianum, sicut ille ius
civile Papirianum: nam nee Gnaeus Flavius de suo quic-
quam adiecit libro. Dieser Bericht hat mit dem Pliniani-
schen das gemeinsam, dass Flavius als Schreiber des
Appius Claudius erscheint und diesem gleichfalls ein
Verdienst bei der That des Aedilen zugeschrieben wird;
ferner dass der Sohn des Freigelassenen seine Wahl
allein der Popularität zu danken hat, welche ihm jene
Publication eingetragen, und nicht dem Einflüsse des
Appius; endlich dass er das Tribunat mit der Aedilität
cumulirte. Die beiden ersten Punkte konnte zwar Pom-
ponius jeder von Ennius abhängigen Quelle entnehmen,
die beiden letzten dagegen finden sich in derselben Weise
nur bei Plinius. Da Varro, aus welchem dieser wahr-
scheinlich schöpfte, die Grundlage fast für das ganze
antiquarische Wissen der Kaiserzeit war, wird wohl auch
Pomponius auf ihn zurückgehen. Freilich weicht er in
zwei Punkten sehr erheblich von seiner Quelle ab: Varro
weiss von den Actionen des Flavius noch gar nichts,
sondern nur vom Kalender: umgekehrt Pomponius ; jener
schildert den Appius als Freund und treuen Beirath
seines Schreibers : bei diesem hat der letztere wider den
Gnaeiis Flavius. 5g
Willen des Vorgesetzten dessen Formelbuch unter die
Leute gebracht. Beide Differenzen erklären sich leicht,
sobald wir annehmen, unser Jurist habe auch den Livius
gelesen, was sich bei einem gebildeten Menschen jener
Zeit eigentlich von selbst versteht. Bei diesem fand er
die Actionen und die Pontifices als ihre Hüter ^*) — den
Kalender konnte er, als von geringerem Interesse, wohl
weglasseil — , Appius Claudius aber wurde, mit Ausnahme
jener einen aus Ennius geschöpften Stelle, als ein so stolzer
Aristokrat und so wüthender Volksfeind dargestellt, dass
Pomponius es für immöglich halten musste, in ihm den
Urheber einer so populären Massregel zu sehen. Da er
dennoch die Nachricht des Varro nicht ganz verwerfen
wollte, so nahm er an, der Censor habe den Flavius
zwar unterstützt, aber wider seinen Willen. Alles üebrige
ist eigene Ausschmückung: der praktische Jurist musste
sich die Frage stellen, in welcher Form das GoUegium
seine Bescheide ertheilt habe, und die passendste schien
ihm ein jährlicher Wechsel dieser Funktion unter den
Pontifices; er suchte einen Namen für das Rechtsbuch
des Flavius und bildete sich ihn nach Analogie des Jus
Papirianum. Einen Werth können diese Einzelheiten
schon deshalb nicht beanspruchen, weil sich vor dem
zweiten nachchristlichen Jahrhundert auch nicht die
kleinste Spur von ihnen in unseren Quellen nachweisen
lässt.
**) Die Annahme, dass die legis actiones einen Theil der
lAbri pantificwn gebildet hätten (Marquardt, Staatsverwaltung III
S. 306), beruht nur auf unrichtigen Interpretationen von Leist
und Mommsen, die Huschke (Jurispr. Anteiustin. rel. 3. Aufl.
S. 130) schon widerlegt hat. So lange Livius und Pomponius
ihnen zur Stütze dienten, mochten sie noch eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit haben, aber mit der Beseitigung dieser Autoritäten
verlieren sie jede Grundlage.
56 Gnaeus Flavius.
Dies Ende nahm die Geschichte des Gn. Flavius. In
unserer ältesten Quelle war sie eine schlichte Notiz ge-
wesen, die mit gutem Glauben, aber falscher Methode
aus einer Inschrift erschlossen war; ein Dichter hatte sie
überkommen, poetisch ausgeschmückt und durch ein
albernes Volksmärchen erweitert; jede folgende Generation
hatte daran theils weiter gedichtet, theils das Unwahr-
scheinliche durch Hypothesen wahrscheinlicher zu machen
gesucht. Was in der Diodorischen Fassung kaum von
uns beachtet worden wäre, in der Ennianischen höchstens
ein Lächeln hervorgerufen hätte, ist durch die Fälschun-
gen der späteren und spätesten Zeit zu einem historischen
Ereignis ersten Ranges aufgebauscht worden. Es ist
das derselbe Gang, den leider hundert und tausend an-
dere Erzählungen in der römischen Annalistik gegangen
sind. Fast möchte es einem leid thun, den Vater der
Jurisprudenz aus der Geschichte hinausgeworfen zu haben
und all die schönen Hypothesen, zu denen er in Quellen-
kunde, Chronologie und Rechtswissenschaft Anlass gegeben
hat, so grausam zu zerstören, doch Ein positives Resul-
tat muss uns für den Verlust entschädigen: das Recht,
welches die Welt erobern sollte und sie noch heute be-
herrscht, ist nicht als Geheimlehre einer Priesterschaft
im Schatten dumpfer Tempelmauern ängstlich gross-
gezogen worden, sondern es ist in freier Luft, auf offenem
Markte gereift, em echtes, unverfälschtes Volksrecht.
IL
Die Kalendertafel der Pontiflees.
Der römische Kalender bewegte sich mindestens seit
dem Decemvirat in einem regelmässigen Wechsel von
Gemein- und Schaltjahren, von denen die' ersteren je
355 Tage, die letzteren abwechselnd 377 und 378 ent-
hielten. Um das Zusammentreffen des Neujahrs mit dem
Wochenanfang zu vermeiden, welches der römischen Re-
ligion als ein Prodigium galt, bediente man sich ausser-
dem eines Extraschalltages, der nach einer einfachen
mathematischen Formel jedes dritte, zehnte und zwanzigste
Jahr eingelegt werden musste. In Folge dessen kam das
römische Kalenderjahr dem julianischen in zwanzig Jahren
um 23 Tage voraus und jedes Datum lief in etwa drei
Jahrhunderten durch alle Jahreszeiten hindurch. Da der
Schaltmonat des längsten von den vier Jahren des Gyclus
gerade 23 Tage mass, so wäre die Differenz leicht aus-
zugleichen gewesen, wenn man nur jedes 20ste Jahr
die Schaltung unterlassen hätte; weil aber diese gesetz-
lich angeordnet war, so bedurfte es zu diesem Ausweg
eines neuen Gesetzes. Zu einem solchen hat man sich
lange theils aus Unwissenheit theils aus Trägheit nicht
58 I^i® Kalendertafel der Pontifices.
entschliessen können, bis endlich im Jahre 191 v. Chr.
der Gonsul Manius Acilius Glabrio eine Reform versuchte,
die freilich in ihr Gegentheil umschlagen sollte. Denn
nicht zufrieden, an Stelle des vierjährigen Schaltcyclus
den zwanzigjährigen zu setzen und dadurch einem wei-
teren Fortschritt der Verwirrung vorzubeugen, wollte er
vielmehr den Jahresanfang so viel wie möglich wieder
der Jahreszeit annähern, in welcher er ursprünglich ge-
wesen war. Das einfachste Mittel dazu wäre gewesen,
eine Zeitlang die Schaltung ganz zu unterlassen, doch
scheint man sich aus religiösen Scrupeln davor gescheut
zu haben. So begnügte man sich damit, dem alten
Schaltcyclus seinen obligatorischen Charakter zu nehmen
und den Pontifices, als den höchsten Wahrern des gött-
lichen Rechtes, unbeschränkte Freiheit zu geben, wann
und wie sie schalten wollten; nur musste der in den
Februar einauschiebende Monat nach wie vor entweder
22 oder 23 Tage zählen und ebenso wurde am Princip
des Extraschalttages festgehalten. Die Absicht der lex
Äcilia war die gesetzliche Möglichkeit zu gewähren,
weniger als früher zu schalten; der Erfolg war der
entgegengesetzte. Denn da jeder Magistrat bestrebt sein
musste, seine Amtszeit möglichst auszudehnen, und die
Bitten und Vorstellungen einflussreicher Männer bei den
Priestern wohl nicht leicht ihre Wirkung verfehlten, so
wurden die Schaltjahre noch zahlreicher, als sie früher
gewesen waren. Zwar konnte man die freie Ver-
fügung über den Kalender auch in dem entgegengesetzten
Sinne brauchen, um unliebsamen Beamten, die auf Jahre
von 377 und 378 Tagen gehofft hatten, ihre Wirksamkeit
zu verkürzen, und manchmal hat man dies auch nach-
weislich gethan — z. B. ist während Caesars zehnjährigem
Proconsulat nur zweimal geschaltet worden — ; doch ist
es leicht begreiflich, dass in diesen Dingen, welche den
Die Kalendertafel der Pontifices. 59
Gewährenden ziemlich gleichgiltig vorkommen mochten,
die Gunst in der Regel mächtiger war, als der Hass.
Einen gesetzlichen Termin, innerhalb dessen die
Pontifices sich über den Gang des Jahreskalenders zu
entscheiden gehabt hätten, gab es im ersten Jahrhundert
vor Christus jedenfalls nicht, denn noch am 13. Februar 51
war es Cicero unbekannt, ob zwölf Tage später der
Schaltmonat eingelegt werden würde oder nicht. Also
wenn jemand zum ersten März eine fällige Schuld be-
richtigen musste, so konnte er noch am ersten Februar
nicht wissen, ob er das Geld in 28, 29, 50, 51 oder
52 Tagen zu beschaffen habe, denn alle diese Möglich-
keiten waren vorhanden. In einer wildbewegten Revo-
lutionsepoche, wo man über den Existenzfragen des
Staates die Bedürfnisse des täglichen Lebens vergessen
mochte, ist ein solcher Zustand zur Noth begreiflich, doch
in ruhigen Zeiten kann ihn ein eminent praktisches Volk, in
dem der Kaufmannstand einen mächtigen Faktor der
Politik bildete, unmöglich Jahrhunderte lang geduldet haben.
Da also eine gesetzliche Bestimmung hierüber fehlte und
jedenfalls schon lange vorher gefehlt hatte — denn wäre
sie vorhanden gewesen, so hätte man nicht die Thorheit
begangen sie aufzuheben—, so muss anfangs ein Gesetz
überflüssig gewesen sein, d. h. den Publikationstermin
für die bevorstehende Schaltung muss irgend eine alte
Sitte geregelt haben, die zu übertreten die Pontifices
zwar die rechtliche Möglichkeit besassen, aber bis zu den
Wirren des Ciceronischen Zeitalters keinen Gebrauch da-
von machten. Bestand aber eine solche Sitte, wie wir
es im Verlaufe dieser Untersuchung aus den Quellen
nachweisen werden, so war der passendste Termin un-
läugbar der Neujahrstag, und dass wirklich im zweiten
Jahrhundert am ersten März, also zwölf Monate vor
6Q Die Ealendertafel der Pontifices.
ihrem Eintritt, die Schaltung endgiltig bestimmt wurde,
scheint mir aus den Tabellen Matzats hervorzugeben.
Wir haben schon gesehen, dass die lex Acilia zu-
nächst eine Vermehrung der Schaltjahre herbeiführte; in
den 25 Jahren, welche ihr unmittelbar folgen, läuft der
Kalender um 50 Tage vor, beinahe doppelt so schnell,
als er vordem zu thun pflegte. Da mit einem Male
scheinen sich die Pontifices zu besinnen: es folgt jetzt
ein volles [Jahrhundert, in dem das Vorrücken der Data
43 Tage nicht überschreitet, während es nach der alten
Ordnung 115 Tage hätte betragen müssen. Woher diese
plötzliche Umkehr? Dass irgend ein Oberpontifex das
Schädliche des bisherigen Systems eingesehen und die
Festigkeit besessen habe, ihm entgegenzutreten, ist
möglich, aber die Entscheidung stand ja nicht bei ihm
allein, sondern bei dem ganzen CoUegium, und dieses
wird in seiner Mehrheit kaum dauernd darauf verzichtet
haben, politischen Freunden die werthvoUe und doch so
wenig kostende Gefälligkeit der Schaltung zu erweisen.
Wer das Kliquenwesen der römischen Aristokratie aus
den Quellen kennt, für den wird es keines Beweises be-
dürfen, dass hier nicht vernünftige Selbstbeschränkung
zu Gunsten des Gemeinwohls, sondern irgend ein äusserer
zwingender Grund gewaltet hat, und ein solcher bietet
sich von selbst in der Verlegung des Ämtsneujahrs dar,
welche mit jenem Wechsel in der Schaltung der Zeit
nach ungefähr zusammenfällt.
Wenn die Pontifices kurz vor dem ersten März den
Kalender für das folgende Jahr feststellten, so konnten
sie zur Zeit der lex Acilia schon wissen, zu wessen
Gunsten sie schalteten; denn damals traten die Magistrate
am fünfzehnten März an und waren meist schon lange
vorher gewählt. Seit aber das Amtsjahr mit dem ersten
Januar begann, musste der Beschluss über die Schaltung
Die Ealendertafel der Ppotifices. 61
zehn Monate früher gefasst werden, wo die comulea
designati ihren Einfiiuss bei dem Gollegium noch nicht
geltend machen konnten mid selbst Vermuthungen über
den Ausgang der Wahlen kaum möglich waren. So fielen
seit dem Jahre 154 v. Chr. die persönlichen Rücksichten
weg, und die rein sachlichen Erwägungen führten natür-
lich dazu, die Schaltung zu beschränken. Dies erklärt es
auch, warum man in Giceronischer Zeit den ersten März
als spätesten Termin für den Abschluss des Jahreskalen-
ders nicht mehr festhielt: in jener Epoche tiefster poli-
tischer Zerrüttung wollte man eben persönlich verfahren
und beseitigte deshalb die hemmende Schranke. Dies
konnte man um so leichter thun, weil dieselbe, wie schon
gesagt, keine gesetzliche, sondern nur eine usuelle war.
Doch kehren wir zu der Zeit einer relativen Ordnung
zurück. Wenn der Schuldner, welchen wir vorhin als
Beispiel anführten, erfahren wollte, in wie viel Tagen die
Forderung seines Gläubigers fällig sei, so konnte man
wahrlich nicht von ihm verlangen, dass er erst das Gol-
legium der Pontifices consultire. Es wäre das für ihn
und nicht minder für die Pontifices selbst eine sehr über-
flüssige Belästigung gewesen. Es genügte also nicht, den
Kalender zum Jahresanfang fertig zu stellen, man musste
ihn auch publiciren. Die Form dafür ist in Rom gegeben :
es konnte das nur in Mo geschehen, d. h. auf einer
weissen Tafel, welche an einem allgemein zugänglichen
Orte ausgestellt wurde ; und von einer solchen weiss auch
unsere Ueberlieferung.
Ueber die Entstehung der sogenannten Ännales
tnaxtmi berichtet der Danielsche Scholiast zu Vergils
Aeneis I 373, wie folgt: ita autetn annales conficiebantur:
tabulam dedlbatam quotannis pontifex maximus habuit, in
qua praescriptis consulum nominibtis et aliorum mckgistra'
tuum digna tnemoratu notare consueverat domi milüiaeqm
62 I^ie Kalendertafel der Pontifices.
terra marique gesta per singulos dies. Wenn dieses
keinen anderen Zweck gehabt hätte, als eine zuverlässige
Geschichtsquelle darzustellen, so böte die Nachricht mehr
als Eine Wunderlichkeit. Die wichtigen Ereignisse pflegen
sich über gleiche Zeiträume doch nicht gleich zu ver-
theilen; in dem einen Jahre mochten zwei und drei Tafeln
kaum genügen sie zu fassen, in dem andern hatten sie
vielleicht auf einer halben Raum. Warum also alljähr-
lich eine neue Tafel und warum jedesmal nur Eine?
Femer soll der Priester täglich (per singulos dies) seine
Vermerke gemacht haben: kann denn aber jeden Tag
etwas der Erinnerung Werthes (dignum memoratu) ge-
schehen sein? Alles dieses erklärt sich leicht, wenn wir
jene geweisste Tafel als einen Kalender betrachten, auf
dem der Pontifex Tag für Tag anzugeben hatte, welches
Datum man schrieb, ungefähr wie wir auf den heutigen
Wandkalendern die verflossenen Tage auszustreichen
pflegen. War etwas Merkwürdiges vorgefallen, so fügte
er dieses in kürzester Form hinzu, wohl weniger um
einer künftigen Geschichtschreibung vorzuarbeiten, als um
das Datum durch eine allen geläufige Erinnerung kennt-
lich zu machen und so innerhalb des Kalenders gewisse
Marksteine zu schaffen, von denen man voran und rück-
wärts wählen konnte. Dass er sein Vieh am Tage vor
der grossen Sonnenfinsternis verkauft habe, haftete dem
Bauern gewiss besser im Gedächtnis, als dass es pridie
nonas Junias geschehen sei ; bedurfte er nun des Datums
z. B. für gerichtliche Zwecke, so boten ihm die histo-
rischen Notizen der Pontificaltafel eine leichte Handhabe
der Berechnung. Dass ein wissenschaftlich so wenig be-
anlagtes Volk, wie die Römer, ein officielles Organ für
die Historiographie des Staates geschaffen haben sollte,
ist ohnehin kaum glaublich: wir sehen jetzt, dass es
sich darum bei diesen Annalen gar nicht handelte,
Die Ealendertafel der Pontifices. 63
wenn sie gleich natürlich auch unabhängig von ihrem
ursprünglichen Zwecke einer künftigen Geschichtschreibung
nützlich werden konnten.
Dass die Annalistik der Pontifices mit ihrer kalen-
darischen Wirksamkeit nicht nur zusammenhängt, wie
man längst vermuthet hat, sondern vollkommen identisch
ist, wird auch durch das Datum ihres Aufhörens bestätigt.
Wir sahen schon, dass zur Zeit Ciceros die Priesterschaft
sich bis zum letzten Augenblick freie Hand bewahrte,
um nach den politischen Verhältnissen die Schaltung zu
beschliessen oder nicht, und deshalb den rechtzeitigen
Abschluss des Kalenders als ein Hemmnis vermied.
Dieses Hemmnis aber bestand nicht nur in einem Be-
schlüsse des CoUegiums, der vielleicht geheim blieb und
durch einen neuen Beschluss leicht abgeändert werden
konnte, sondern schwarz auf weiss konnte jedermann
den Kalender vom ersten März an in der Regia lesen,
und die Tafel herabzunehmen, um sie durch eine
andere zu ersetzen, wäre mindestens ein öffentlicher
Scandal gewesen. Wollte man also völlig unbeschränkt
nach Gunst und Hass schalten, so musste man den alten
Brauch der Kalendertafel beseitigen, und es ist sehr be-
zeichnend für den Charakter dieser Massregel, dass sie
mit dem Beginn der römischen Revolutionszeit zusaCInmen-
fallt. Denn P. Mucius Scaevola, dessen Oberpontificat
130 oder 131 begann und nach 123 endete ^^), war der
letzte, welcher die Annalen fortgeführt hat, mithin kann
der erste, zu dessen Gunsten die neue Freiheit der
Schaltung benutzt wurde, sehr wohl Gajus Gracchus ge-
wesen sein. Der ungeheure Umfang seiner Thätigkeit,
die sich in den engen Raum von zwei Jahren kaum zu-
^s) Bardt, die Priester der vier grossen CoUegien aus römisch-
republikanischer Zeit. Programm des Wilhelms -Gymnasiums in
Berlin 1871 S. 5.
64 ^io Ealendertafel der Pontifices.
sammenpressen lässt, würde durch die Ausdehnung der-
selben auf je 13 Monate ein wenig begreiflicher werden,
und die wilde Aufregung der Zeiten erklärt es, wie jener
rücksichtslose Bruch mit einer Jahrhunderte alten Väter-
sitte so wenig bemerkt werden konnte, dass er in unserer
historischen Litteratur nicht einmal erwähnt wird.
An der Spitze jeder Kalendertafel standen nach dem
Danielschen Scholiasten die Namen der Gonsuln und der
übrigen Magistrate, d. h. sie war mit der officiellen
Jahresbezeichnung versehen, wie es ja nicht anders zu
erwarten ist. Doch diese genügte nicht, das Kalender-
jahr zu bestimmen, weil dasselbe mit dem Amtsjahr zu
keiner Zeit identisch war. Als die Gonsuln an den Iden
des März antraten, diflferirten sie zwar nur um vierzehn
Tage, doch vorher und nachher steigerte sich der Unter-
schied auf mehrere Monate. Man brauchte daher für das
Märzjahr und zugleich für jede einzelne Tafel, welche
dasselbe darstellte, noch eine andere Bezeichnung als die
der Eponymen und diese konnte wohl nur die Jahreszahl
sein. Auch die censorischen Listen und das Weih-
geschenk des Cn. Flavius trugen eine doppelte Datirung,
nach dem Gonsulat und nach Jahren der Republik (S. 22),
und etwas ähnliches bezeugt uns für die Pontificaltafel
eine sehr oft citirte, aber noch niemals richtig ver-
standene Stelle des Dionys.
Bekanntlich erzählt er I 74, Polybius habe ganz allein
auf die bei den Pontifices befindliche Tafel gestützt das
Gründungsjahr Roms als Ol. 7, 2 bestimmt. Wie er dies
gemacht hat, ist freilich bis jetzt keinem recht klar ge-
wesen; denn dass er glücklich die Tafel aufgestöbert
habe, auf welcher die Auspicien des Romulus vermerkt
waren, und dass dieselbe hübsch deutlich mit dem
Olympiadenjahr bezeichnet gewesen sei, wird doch keiner
ernsthaft^ glauben. Und wollte man es wirklich, so
Die Ealendertafel der Pontificeer. Q5
widerspräche dem der bestimmte Artikel bei Diönys,
demi jene war doch nur eine Tafel von vielen andern,
nicht die Tafel ww' ^o^^v. Wenn man dem Texte des
Schriftstellers nicht mit weiteren Conjecturen zusetzen will,
so kann man ihn kaum anders interpretiren, als die
Quelle des Polybius sei diejenige Tafel gewesen, welche
zur Zeit, da er schrieb, eben öffentlich aushing; aus
dieser aber liess sich das Stadtgründungsjahr nur dann
erfahren, wenn sie ah urhe condüa datirt war.
Die eben dargelegte Ansicht wird freilich hinfällig,
wenn die Deutung, welche Hirschfeld 5*) dem Dionys ge-
geben hat, berechtigt ist. Zum volleren Verständnis
derselben muss ich die Stelle hersetzen: 01? y^q ^^iovy
dg noXißiog MsyaXoTtoXiTijg TOtfovtov fAÖvoy elneXv^ ttt
xarä To devte^ov itog T^g ißdöfii^g ÖXvfAntadog t^v ^FaSfHiy
äerUfS'm Ttei^Ofiatj odd* inl roß Ttaqä %otg äqxi^qevifh
XB^^vov Ttivaxog ivög xal (lopov r^p nUsttv äßaüdvKfrav
xatcchnßtyj äXXa toifg i7ttXoynff*ovgj olg adtog nQO<f€^(ji4iy,
sig i^ksov vrtBvdiivovg totg ßovXti^etaip itfofjbipovg i^speyxsVp^
Hier nun, meint Hirschfeld, seien zwei verscMedene An-
Setzungen, die des Polybius und die des nhc^ geschieden,
und da der letztere wenigstens in der alten Form zur
Zeit des Dionys erweislich nicht mehr existirte, glaubt
er unter dem »Verzeichnis, das sich bei den Ponti-
fices maximi befutidetc, die Gapitolinischen Fasten ver-
stehen zu dürfen. Dies wäre vielleicht möglich, wenn
Dionys den Pontifex maximus hier nicht ä^x^Q^^^ nennte,
ein Ausdruck, den er, wie schon oft bemerkt worden ist,
sonst nie in diesem Sinne braucht, wohl aber Polybius.
Hat er diesem also das Wort entnommen, so muss er
doch auch die Sache an eben der Stelle erwähnt ge-
funden haben, wo jener von dem Gründungsjahre sprach;
^) Die Kapitolinischen Fasten. Hermes IX S. 106.
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifioes. 5
66 I)io Ealendertafel der Pontifices.
damit aber ist die Richtigkeit der althergebrachten, von
Hirschfeld verworfenen Interpretation, nach welcher Dionys
die Pontificaltafel meinte und den Ansatz derselben nur
durch Polybius kannte, vollkommen erwiesen. Es än-
dert darin nichts, wenn auch Eratosthenes die Erbauung
Roms auf Ol. 7, 2 setzte;^'') denn in dem fernen Aegypten
kann er eine andere Quelle als Timäus dafür kaum ge-
habt haben und diesem kann die pontificale Stadtära
sehr wohl bekannt gewesen sein.
Matzat hält das Grändungsdatum der Pontifices für
eine junge Erfindung und legt ihm demgemäss geringe
Autorität bei. Seine Richtigkeit behaupte natürlich auch
ich nicht, wenn aber die obige Darlegung das Wahre
getroffen hat, so hatte sich auf der Pontificaltafel, wie
dies bei einem jährlich neu aufgelegten Kalender noth-
wendig geschehen musste, Jahrhunderte hindurch Jahres-
zahl stetig an Jahreszahl gereiht, und die üeberlieferung,
welche wir so besitzen, muss jedenfalls weit über Fabius
hinausreichen; schon allein der Umstand, dass Eratosthenes
(geb. 276 V. Chr.) die] Gründung Roms nach der Ka-
lendertafel bestimmte, würde dies erweisen. Wie hoch
man freilich die sogenannte Annalistik der Pontifices
hinaufrücken darf, ist eine sehr controverse Frage und
erfordert eine ausführlichere Erörterung.
Das Wunderverzeichnis des Obseguens trägt in der
^?) Solin. p. 11 Mommsen: Cincio Bomam duodecima Olympiade
placet conditam, Fictori octava, Nepoti et Lutatio opinionea EratO'
sthenis et Apdllodori comprobantibus ölympiadia septimae anno
secundo. Wenn Cicero de rep, II 10, 18 schreibt: nam et, id quod
Graecofum investigatur annaltbua^ Borna condüast seeundo anno
olympiadis septimaey so heisst das nicht „dass die Angabe dea
Polybius nicht aus römischen, sondern aus griechischen Quellen
stamme," sondern nur, dass Cicero selbst hier griechische Quellen
benutzt hat, nämlich den Polybius und daneben vielleicht den
Eratosthenes oder Apollodor.
Die Kalendertafel der Pontifices^ 67
Aldinä, durch welche es uiis allein überliefert ist, die
Ueberschrifl: lulii Ohsequentis ab anno urbis condüae DV
prodigiorum Über, zu deren Erklärtmg Mommsen in der
Vorrede von Jahns Lim periochae S. XX folgende Hypo-
these aufgestellt hat: Qim in re dolendüm est, prodigia
quantum sdmm ante annum DV publice non fuisse Utteris
tradita. hoc ex nbstri libelU titulö siv6 subscHpttone effici
potest; Obseqaens enim nulla alia de causa ab hoc anno
mitium fecisse putandus est, quam quod eo tempore pönti-
fices prodigiorum in annales referendorum initium fecisse
apud lÄoium relatum invenit. Also Obsequens hat diie
Prodigien, welche Livius nicht aus den Aufzeichnungen
der Pontifices schöpfen konnte, für nicht genügend be-
glaubigt gehalten, um sie in sein Verzeichnis aufzunehmen;
mit anderen Worten, der elendeste Epitomator der spaten
Kaiserzeit hat eine Quellenkritik geübt, die eines Polybius
würdig wäre, ja sogar bei diesem in Erstaunen setzen würde.
Wie Livius für Dante (Inf. XXVIII 12) deqenige war, che non
erra, so auch für das ganze spätere Alterthum; nie ist
es seit dem zweiten Jahrhundert irgend jemand eiU"
gefallen, nach seinen Quellen zu fragen. Die Bücher ah
ürbe condita galten als die römische Geschichte xa%'
i^ox^Vy in der alles gleich gut beglaubigt war, wenn es
iiicht etwa der Autor selbst als controvers bezeichnet
hatte. Dass aber gerade derjenige Mann, welcher die
Prodigien für das allerbemerkenswertheste im Livius hielt,
als kritischer Forschergeist seine Zeitgenossen so weit
überragt haben sollte, ist doch wahrlich keine sehr wahr-
schehiliche Annahme.
Von dem ungeheuren Werke der livianischen Annalen,
für welches die ganze Bibliothek des Martial nicht ge-
nügenden Raum bot (XIV 190), waren vollständige Ex-
emplare gewiss nur in den Händen der eifrigsten und
reichsten Büchersammler. Auch Obsequens dürfte eine
68 Di« Kalend^rtafel der Pontifices.
defecte Handschrift besessen haben, welche zufällig eben
mit dem Jahre 505 begann, und lebte vielleicht in einem
kleinen Landstädtchen, wo ein zweiter Livius nicht auf-
zutreiben war. Diese Erklärung ist nicht so scharfsinnig,
wie die Mommsensche, aber sehr viel einfacher und
natürlicher.
Doch war die Hypothese an sich nicht eben ein*
leuchtend, so schien sie doch durch Bemays^^) eine un-
erwartete Bestätigung zu erhalten. Er wies nämlich
darauf hin, dass im Jahre 505 ein neues Terentinisches
Saeculum begann, und da der Ablauf dieser Periode sich
nach dem etruskischen Glauben durch Prodigien ankün-
digen musste, so bildete dies einen sehr passenden Zeit-^
punkt, um die Einführung officieller Beobachtungen und
Aufzeichnungen daran zu knüpfen. Dies Zusammentreffen
wäre gewiss sehr zu beachten, wenn nicht die Jahreszahl
Varronisch wäre; denn Obsequens folgt dem Livius und
für diesen war das Jahr der Terentinischen Spiele nicht
505 sondern 502. Man wende nicht ein, dass er in der
Regel die Jahre nur benenne imd nicht zähle: gerade
hier, wo es §ich . um eine Säcularrechnung handelte,
wird er eine Ausnahme gemacht haben^ wie er es er-
weislich ein Jahrhundert später that.^®) Fand aber Ob-
sequens die Zahl in seiner Quelle, so muthet die An-
nahme, dass er sie in die Varronische Aera umgerechnet
habe, ihm wieder so viel selbständiges Denken zu, wie
er sonst jedenfalls nicht verräth.
Auf Mommsen und Bernays gestützt hat Nitzsch
dann den letzten noch übrigen Schluss gezogen:*^) sa
58) Rhein. Museum XII S. 436.
w) Epü, 49 Ludi patri Büi ad Tarentum ex praecepto Itbro-
rum facti, qui ante annum eentesimum primo Pünico beUOf quin^
gentesimo et altera anno ah urbe condita facti erani^
^) Die Römische Amialistik S. 238.
Die Kalendertafel der Pontifices. 69
lange die Pontifices die Annalen führten, werden sie
saeral so wichtige Dinge, wie es die Prodigien waren,
darin iaicht übergangen haben ; begann also die Liste
derselben nicht vor 505, so kann auch die priesterliche
Historiographie nicht älter sein.
Wir würden dem unbedingt zustimmen, wenn hier
wirklich von einer Historiographie die Rede sein könnte.
Waren aber die Pontificalannalen ursprünglich nur Ka-
lendemotizen, nicht zur Erinnerung, sondern zur Orienti-
rung gemacht, so durften sie auch gar nicht darauf
Rücksicht nehmen, was die Priester vorzugsweise inter-
essirte, sondern nur darauf, was sich dem Gedächtnis
des Publikums am tiefsten einprägte. Eine grosse
Finsternis, die jedermann auf dem römischen Gebiet mit
Schrecken gesehen hatte, werden sie wohl verzeichnet
haben, aber wenn die Schilde des Mars ein verdächtiges
Klirren hatten hören lassen oder wenn in Antium ein
paar Blutstropfen vom Himmel gefallen waren, so mussten
darauf die Pontifices freilich achten, aber in den Ka-
lender gehörte es nicht hinein. Also gesetzt selbst die
Prämisse, von welcher Nitzsch ausgeht; wäre richtig, so
würde doch daraus für das Alter der Annalen, wie wir
sie uns vorstellen, gar nichts folgen.
üebrigens will ich nicht behaupten, dass zu keiner
Zeit das vollständige Prodigienverzeichnis im Kalender
Platz gefunden habe. Für den eigentlichen Zweck des-
selben war es allerdings überflüssig, und so lange man
diesen allein im Auge behielt, wird man es auch weg-
gelassen haben. Doch ist es eine alte Erfahrung, dass
Aufzeichnungen solcher Art immer weiter über das Noth-
wendige hinausgreifen und sich zuletzt Selbstzweck wer-
den. So mag sich auch hier allmählich etwas ausgebildet
haben, was der mittelalterlichen Ghronistik ähnlich sah,
und war man erst soweit, so werden die Zeichen und
70 I^io Eale^dertafel der Pontifices.
Wunder gewiss ihre volle Berücksichtigung gefunden
haben.
Nach Dionys reichte die römische Geschichtschreibung
selbst nicht in alte Zeit zurück, doch hatte sie aus alten
Ueberlieferungen, die sich auf heiligen Tafeln erhalten
hatten, ihre Nachrichten geschöpft.®^) Darin hegt doch,
dass die »heiligen Tafelnc sehr viel älter waren, als
Fabius Pictor; wenn also dieser schon 529 Varr. Kriegs-
dienste that, können jene nicht erst 505 begonnen haben;
Zwar war Dionys über die Kalendertafeln offenbar sehr
mangelhaft unterrichtet, denn sonst würde er sie nicht
heilig nennen, doch verliert dadurch sein Zeugnis nichts
an seinem Werthe ; denn woher sollte er es sonst haben,
als aus eben jenen alten Schriftstellern, welche sich auf
die Tafebi beriefen? Fabius, Cato und die übrigen Histo-
riker des zweiten Jahrhunderts brauchten über die Natur
derselben nicht viele Worte zu machen, da sie ihren
Lesern noch aus eigener Anschauung genügend bekannt
waren, und so konnte man sie in Augusteischer Zeit
leicht missverstehen; dies ändert nichts an der That-
sache, dass die ältesten römischen Geschichtschreiber für
diejenigen Ereignisse, welche über ihre eigene Erinnerung
und die ihrer Väter hinauslagen, die Pontificaltafeln als
Quelle angeführt haben und zwar nach den Worten des
Dionys als einzige oder doch als hauptsächlichste Quelle.
Das Jahr 505 war, als Fabius schrieb, noch in lebendig-
ster Erinnerung; aus dieser Zeit konnte er noch so ge-
naue mündliche Nachrichten erhalten, dass die dürftigen
Kalendernotizen für ihn ganz überflüssig wurden: berief
er sich also dennoch auf sie, so kann dies nur für eine
sehr viel frühere Epoche geschehen sein.
^') I 73 üccXatos filv oly ovre avyyqatpkvs ovtb Xoyoygdipos iorl
'Pfa/ua£ü)y ov6s tU^ ix naXanop /uiyrct Xoytov iy U^aTs dikxQ^g catCo*
Die Ealendertafel der Pontifices. 71
Sobald die Jahre aufhörten, alle einander gleich zu
sein, d. h. sobald man zu schalten begann, muss man
die jährliche Publication des Kalenders als Bedürfnis
empfunden haben, und seine Befriedigung wird ihm auf
dem Fusse gefolgt sein. Wahrscheinlich hat dasselbe
Gesetz, durch welches die Schaltung eingeführt wurde,
auch den Pontifices eingeschärft, durch Aufstellung der
Jahrestafel für ihr rechtzeitiges Bekanntwerden zu sorgen.®^)
Der Schaltcyclus, welcher bis zur lex Acilia in Geltung
blieb, war in den zwölf Tafeln vorgeschrieben, doch ist
es damit noch nicht erwiesen, dass er durch dieselben
erst geschaffen sei. Die Alten sind allerdings z. Th.
dieser Meinung, ®3) doch behaupten sie auch, die Decem-
vim hätten die Ehen zwischen Patriciern und Plebejern
verboten, obgleich sie damit doch unzweifelhaft nur ur-
altes Recht schriftlich fixirten. Die antiken Gelehrten
befolgten eben dieselbe Methode, welche auch bei den
modernen nur zu verbreitet ist: wo sie eine Institution
•2) Wenn wir S. 59 dargelegt haben, dass in der Zeit der
Gracchen die jährliche Erneuerung der Kalendertafel nicht als
gesetzlich, sondern nur als üblich galt, so steht dies mit dem im
Texte Gesagten nicht im Widerspruch. Denn war das alte Gesetz
damals in Vergessenheit gerathen, wie sich nicht bezweifeln lässt,
so war es so gut wie nicht vorhanden.
«3) Macrob. I 13, 21 Tuditanua refert Itbro tertio ma-
gistratuum decemviros^ qui decem tahülis duaa addiderunt, de intern
calando popülum rogasse; Cassius eosdem scribä auctores. Matzat
S. 227 bemerkt zu dieser Stelle : „Diese Rogation muss irgend eine
Correctur enthalten haben, setzt also ein yordecemyirales Schalt-
system voraus, welches von dem nachdecemviralen irgendwie ab-
wich." Die Interpretation ist dem Wortlaute nach richtig, beweist
aber gar nichts. Denn Tuditanus wusste offenbar nur, dass auf
den beiden letzten der zwölf Tafeln sich Bestimmungen über
die Intercalation befanden; ob aber dieselben nur altes Recht
einschärften oder neues schufen, darüber fehlten ihm die Quellen
ebenso wie uns.
72 1^1® Ealendertafel der Pontifices.
zuerst nachweisen konnten, da pflegten sie ihre Einführung
anzusetzen. Da nun die zwölf Tafeln die umfangreichste
Urkunde waren, welche sich aus den frühesten Zeiten
der Republik erhalten hatte, und mithin für sehr zahl-
reiche Rechssätze die älteste Quelle darstellten, musste
jenen und uns der Decemvirat noch viel epochemachender
erscheinen, als er es thatsächlich gewesen war.
Also die sogenannte decemvirale Schaltung kann
lange vor den Decemvim unverändert bestanden haben,
ohne dass freilich wir dies nachzuweisen vermöchten;
unzweifelhaft aber gab es einen Schaltmonat, wenngleich
vielleicht nach andern Grundsätzen verwendet, schon vor
dem Jahre 282 Varronischer Rechnung, und durch das
Gesetz, welches seinen Gebrauch geregelt hatte, mag auch
die Kälendertafel vorgeschrieben sein.
Varro berichtete nämlich bei Macrob. I 13, 21
antiquissimam legem fuisse indmm in columna aerea a
L. PinaHo et P. Furio cansulibus (a. 282), cui menHo
intercalaris adscribitur. Dass mentio hier richtig überliefert
ist, glaube auch ich mit Matzat, doch wenn man dies an-
nimmt, muss man intercalaris nothwendig als verkürzte Aus-
drucksweise für mensis intercalaris fassen**) und demgemäss
übersetzen : »von den Consuln L. Pinarius und P. Furius sei
in eine eherne Säule ein uraltes Gesetz eingegraben gewesen,
dem man eine Erwähnung des Schaltmonats zuschreibt.« Die
Originalurkunde hat Varro nicht mehr gesehen, sondern er
kannte sie nur aus fremden Anführungen: dies liegt in
den Worten fuisse und adscribitur. Dass aber der Schalt-
monat nicht, wie Matzat meint, durch das Gesetz erst
eingeführt wurde, sondern nur zufallig darin vorkam,
zeigt der Ausdruck mentio. Denn wenn jener den Haupt-
gegenstand des Gesetzes bildete, konnte Varro doch im-
**) Dies ist auch die Ansicht von Bergk, Beiträge zur rö-
mischen Chronologie. Jahrb. f. cl. Phil. Suppl. XIII S. 598.
Die Kalendertafel der Pontifiees. 73
möglich sagen, er werde darin nur erwähnt. Fehlt also
auch der Ansicht des Junius Gracchanus, dass König
Servius der Begründer der römischen Schaltung sei, die
Beglaubigung eben so sehr, wie jeder andern antiken
oder modernen Hypothese, so ist sie doch nicht imwahr-
scheinlich, und nichts hindert anzunehmen, dass jener
älteste Schaltcyclus mit dem der zwölf Tafeln identisch
gewesen sei.
Ich will hiermit nicht etwa die Hartmannsche Hypo-
these wieder aufnehmen; ich will nur zeigen, dass die
Gombinationen Mommsens und Matzats zwar scharf-
sinniger und methodischer, aber doch um nichts wahr-
scheinlicher sind. Wir kennen den Kalender der 'zwölf
Tafeln und wissen, dass schon im ersten halben Jahr-
hundert der Republik geschaltet worden ist; damit aber
hört nicht nur das Wissen, sondern auch jedes begrün*
dete Vermuthen auf, weil sich unseren Schlüssen keine
sichere Handhabe mehr bietet,
Mit dem Beginne der Schaltung verschwindet auch
der Beginn der pontificalen Annalistik in undurchdring-
Uchem Dunkel; auch sie kann schon in der Königszeit
begonnen haben, doch für unsere Kenntnis der römischen
Geschichte ist dies irrelevant, da von den allerältesten
Kalendertafeln jedenfalls keine Abschrift sich bis auf die
Zeit des Fabius erhalten hat. Der Zeitpunkt, von dem
an sie beginnen eine wohlbeglaubigte Quelle für die rö-
mischen Geschichtschreiber und durch sie auch für uns
zu werden, ist schon von Niebuhr richtig bestimmt •^),
doch da seine Beweisführung leider halb vergessen ist,
soll sie hier mit einigen Modificationen wiederholt werden.
Die erste Sonnenfinsternis, welche sich in den An-
nales Ma3dmi mit dem richtigen Tagdatum verzeichnet
«») Römisclie Geschiclite I S. 277.
74 Die Kale&dertafel der Pontifices.
fand» fiel ungefähr auf das 350ste Jahr der Stadt. Daraus
folgt, dass die Chronik jenes Jahres entweder schon auf
gleichzeitiger Aufzeichnung beruhte oder aus der frischen
Erinnerung der Zeitgenossen reconstruirt worden ist.
Das Letztere ist aus folgenden Gründen wahrscheinlicher:
1) Die Sonnenfinsternis vom 21. Juni 400 v. Chr.
geht der Schlacht an der Allia um einige Jahre voraus.
Die Gallier haben zwar, wie Thouret**) erweist, Rom
nicht von Grund aus zerstört, aber gewiss werden sie
ihr Feuerungsmaterial nicht aus den Wäldern geholt
haben, solange in der Amtswohnung des Pontifex maxi-
mus, dicht am Forum, ein ganzer Stoss unnützer Holz-
tafeln aufgeschichtet lag. Wenn man also eine Recon-
struction der untergegangenen Jahrestafeln überhaupt für
Wgezeigt hielt, so muss dieselbe nach der gallischen
Katastrophe nöthig geworden sein.
2) Die Annales maximi reichten in der Form, in
welcher sie Cicero kannte, bis zur Gründung der Stadt
(initium verum Bomanamm) hinauf. Damit ist es er-
wiesen, dass eine Reconstruction ihrer ältesten Theile zu
irgend einer Zeit stattgefunden haben muss.
3) Vom Beginn der Republik bis zum Galliereinfall
waren 120 Jahre verstrichen; die Königszeit betrug nach
dem ältesten Ansatz 240 Jahre.*') Die Erfindung dieser
Zahl erklärt sich am leichtesten aus der Annahme, der-
jenige, welcher die Gründung Roms zuerst chronologisch
zu fixiren unternahm, habe die unbekannte Urzeit einfach
auf das doppelte der jüngst verflossenen bekannten
Periode angesetzt. Danach scheint jener älteste und
6«) Jahrb. f. cl. Phü. Suppl. XI S. 95.
^) Diese frülier allgemein herrschende Annahme wird zwar
jetzt von mehreren bestritten, steht aber nichts desto weniger
über jedem Zweifel, wie im weiteren Verlauf unserer Untersuchung
erwiesen werden soll.
Die Ealendertafel der Poutifices. 75
primitivste römische Chronologe mn die Zeit der galli-
schen Katastrophe thätig gewesen zu sein.
4) Vor dem Jahre 350 der Stadt fand sich ausser
der mythischen, welche die Himmelfahrt des Romulus
begleitete, keine Sonnenfinsternis in den Annalen ver-
merkt. Auch dies führt auf ihre Abfassung bald nach
dem gallischen Brande. Damals konnte man sich einer
Naturerscheinung, die wenige Jahre vorher beobachtet
worden war, noch bis auf den Tag genau entsinnen,
während die weiter rückwärts liegenden Finsternisse dem
Gedächtnis schon entschwunden waren.
5) Um jene Zeit hatte auch die westgriechische Ge-
schichtschreibung schon mit Hippys von Rhegion und
Antiochus von Syrakus begonnen. Bei dem regen Ver-
kehr, welchen Rom mit Sicilien und Grossgriechenland
unterhielt, mag die Kunde von ihren Werken, ja vielleicht
selbst einzelne Exemplare derselben an den Tiber ge-
drungen sein und hier zur Nacheiferung angeregt haben.
So konnte ein unbekannter Pontifex maximus wohl auf
den Gedanken kommen, die Nachrichten über die Vorzeit
seiner Vaterstadt zu sammeln und in einer schlichten
Chronik zu vereinigen.
Dies alles sind freilich nur Wahrscheinlichkeitsgründe:
ihre endgiltige Bestätigung müssen wir auf andere Weise
suchen. Wenn die wichtigste Quelle der römischen Ge-
schichte erst von der gallischen Katastrophe an auf
gleichzeitiger Aufzeichnung beruht, vorher nur aus schwan-
kenden Erinnerungen zusammengestellt ist, so muss sich
dies vor allem in der Chronologie zeigen. Denn die
mündliche Üeberlieferung, d. h- die Sage, bewahrt zwar
das Andenken grosser Ereignisse und grosser Männer oft
mit erstaunlicher Zähigkeit, aber um Jahreszahlen kümmert
sie sich nicht, Diese zu untersuchen, soll daher die Auf-«
gäbe des folgenden Abschnitts sein.
IIL
Die ehronologisehe UetoeplieJterungf
vor dem gallischen Brande.
Wir besitzen den urkundlichen Beweis, dass um die
Zeit der gallischen Katastrophe eine Rechnung nach
Jahren der Republik im ofBciellen Gebrauch war. Unser
unbekannter Chronist konnte also ganz genau wissen,
wie viel Kalenderjahre vom Consulat des Brutus bis auf
seine Zeit verstrichen waren, doch bei der Benennung
derselben mit ihrfen Eponymen begannen die Schwierig-
keiten. Zwar an den erforderlichen Namen kann es auch
hier nicht gefehlt haben; denn wer Consul oder Gonsular-
tribun gewesen war, liess sich aus den Stammbäumen
der vornehmen Geschlechter ersehen, und waren diese
im Brande untergegangen, so wird sich doch eine münd-
liche Tradition bei den Nachkommen erhalten haben.
Aber über das Jahr ihrer Familienehren wussten wohl
auch diese selten oder nie Bescheid zu geben ; ausserdem
waren seit der Begründung der Republik ja auch viele
Geschlechter, die in die Fasten hineingehörten, aus-
gestorben und hatten kein Andenken hinterlassen. So
wurde es unmöglich, die überlieferten 120 Jahre alle mit
ihren Namen zu versehen, selbst wenn man sich um die
Die chronol^sebe Ueberliefemng Yor dem gallischen Brande. 77
•
Reihenfolge nicht sehr viel kümmerte; man musste sich
wiederholen, musste erfinden, und wie man das gethati
hat, zeigt Matzat selbst an einem sehr interessanten
Beispiel.
Bei Diodor fehlen fünf zusammenhängende Eponymen-
coUegien vor dem gallischen Brande und gleich nach
demselben sind eben so viele doppelt aufgezählt. Schon
längst hat man Lücke und Ueberschuss mit einander in
Zusammenhang gebracht und beide aus dem Ungeschick-*
ten Versuche erklärt, einen überlieferten Synchronismus
mit der griechischen Jahrzählung, dem die römische
widersprach, künstlich herzustellen. In Bezug auf jene
Wiederholung gibt Matzat dies natürlich zu, doch die
vorhergehende Auslassung führt er auf eine gute alte
Quelle zurück. Mir scheint, schon die gleiche Zahl der
getilgten und der ergänzten Jahre beweise, dass beide
nicht von emander zu trennen sind, und wer die einen
als gefälscht erkennt, nicht das Fehlen der andern für
ursprünglich halten darf. Doch sind Matzats Gründe
immerhin, gewichtig genug, um eine eingehende Wider-
legung zu erfordern.
Die von Diodor ausgelassenen Jahre sind 331—335
Varronischer Zählung; Matzat (S. 197) nun stellt die
eponymen Magistrate derselben mit denen der fünf vor-
hergehenden Jahre zusammen upd findet dabei das folgende
Verhältnis t
326. 331.
Ä. Sempronius.^^) G 8emproniu8 Atratinus.
L. Quinctius. Q. Fahim Vibulmus.
«) Die Eeihenfolge der Namen innerhalb der einzelnen
Collegien ist nicht die überlieferte, sondern der leichteren üeber-
sichtlichkeit wegen von mir geändert. Da in dieser Beziehung
die Quellen fast immer schwanken und es eine officielle Ordnung
überhaupt mcht gegeben hat, kommt darauf wenig an.
78 ^^^ cluronölogisehe üeberlieferang vor dem gallischen Brande.
327.
L. Papirius Mugillanus.
C. Servilms Ahdla Stntdtis.
328.
r. Quinctius Pennus.
C. Furius Fusus.
in. Postumius,
A, Cornelius Cossus.
329.
A4 Sempronius Atratinus*
L. Quinctius Cincinnatus,
L. Furius Medullinus.
L*Haratius Barbatus*
330.
Sp* Nautius Butilus.
T* Claudius Crassus,
T* Sergius Fidenast
Sex. lulius Tullus.
332.
L. Papirius Mugillanus,
L. Manlius Capitolinus,
Q. Antonius Merenda,
333.
T. Quinctius Capitolinus
Barbatm.
N. Fabius Vibulanus.
334.
A. Sempronius Atratinus.
L. Quinctius Cincinnatus,
Sex. Furius Medullinus.
M. Manlius Vulso.
335.
Sp. Nautius Rutilus.
Agrippa Menenius Lanatus.
P. Lucretius Tricipitinus.
C. Servilius AxiUa.
Sieben Namen also kehren in den beiden Reihen
zum Theil ganz genau, zum Theil mit abweichenden Vor-
und Zunamen wieder. Dass diese Verschiedenheiten nur
auf Textesverderbnissen beruhen, können wir Matzat
zwar nicht zugeben, doch wird dadurch an der Richtig-
keit seines Schlusses nichts geändert. Er hat es sich
von einem befrexmdeten Mathematiker berechnen lassen,
dass eine rein zufallige Wiederholung von sieben Namen
in der gleichen Folge die Wahrscheinlichkeit von V4440
habe, und diese bliebe dieselbe, auch wenn allein die
Gentilicia identisch wären. An Zufall also ist hier gewiss
nicht zu denken, sondern die Fälschung mit Sicherheit
erwiesen, nur glaube ich, dass sie von Diodor nicht auf
Die chronologische (Jeberliefenmg vor dem gallischen Brandet 79
€rund besserer Quellen, sondern durch eine neue Fälschung
beseitigt ist
Prüfen wir nämlich die Fastentafel weiter, so findet
sich ganz dieselbe Erscheinung, welche Matzat in den
Jahren 326—335 beobachtet hat, auch später wieder und
zwar bei solchen EponymencoUegien, welche Diodor mit
den geringeren Quellen gemein sind. Man vergleiche:
338.
M. Papirius Mugillanus.
Sp. Nautius Butilus.
A. Sempronim Atratinm.
Q, Fabius Vibulamis.
339.
C. Valerius Potitus.
P. Comdvua Cosms.
M. Fahim Vibtdanus*
Q^ Quinctim Oincinnatus.
340.
Cn. Cornelius Cossus.
L. VcUerius Potitm.
Q. Fabius Vibulantis.
P. Postumius RegiUensis.
341.
M. Cornelius Cossus.
L. Furius MedtUlinus.
342.
Q. Fabius Vibulanus
Ämbustus.
C. Furius Pactum.
343.
M. Papirius Mugillanus.
Sp, Nautius Butilus.
344.
C Valerius Potitus.
M. Aemüim Mamercinm.
345.
Cn. Cornelius Cossus,
Im Furim MeduUinus.
346.
P. Cornelius Cossus.
C. lulim Julm.
C. Servilius Ahala.
347.
N. Fabius Vibulanus.
L. Furius MeduUinm.
C. Valerius Potitm.
C. Servilim Ahala.
80 D^ft chronologisehe Ueberliefenmg tor dem gatlischlBn Bande.
Gotnbinirt man ferner die einander entsprechenden
CoIIegien 340 mit 346, 341 mit 346, 342 mit 347 mid
vergleicht sie mit der Liste der drei folgenden Jahre, so
ergeben sich neue Wiederholungen:
340 u. 345.
Cn. Cornelius Cossus*
L. Valerius Potitus.
Q. F ab tu 8 Vibulanus.
P. Postumius Segillensis.
L. Furius Meduüinus,
341 u. 346.
L, Furius Medullinus.
C. lulius lulus.
C. Sermlius Ähala.
M. Cornelius Cossus.
P. Cornelius Cossus,
342 u. 347.
(7. Valerius Potitus.
Q. Fabius Vibtdanus Am'
bustus.
N. Fabius Vibulanus.
C. Furius PadilVfS.
L. Furius MeduÜinus.
C. Servilius Ähala.
348.
Cn. Cornelius Cossus.
L. Valerius Potitus.
N. Fabius Ämbustus*
P. Cornelius EtUüus Cossus*
349.
L. Furius Medullinus.
C. lulius lulus.
T. Quinctius Capitolinus
Barbatus.
Q. Quinctius Cindnnatus.
M. Äemilim Mamercinus.
A. Manlius Vulso Capitolinus.
350.
C. Valerius Potitus.
K. Fabius Ambustus.
P. Cornelius Maluginensis.
Cn. Cornelius Cossus.
^. Nautim Rutitus.
M. Sergius Fidenas.
Auch hier also die gleichen Namen in der gleichen
Reihenfolge, auch hier einzelne Varianten in den Präno-
mina und Cognomina, ja wunderlicher Weise haben die
eben angefülirten Fälle mit dem von Matzat nachgewie-
senen sogar beidemal die Siebenzahl der Wiederholungen
und einmal die Fünfzahl der interpolirten Jahre gemein»
War die Wahrscheinlichkeit, dass ein so eigenthämliche&
Die chronologische Ueberliefening for dem gallischen Brande. 81
.Verhältnis auf Zufall beruhen könne, bei sieben Namen
gleich V4440 > so verringert sie sich bei einundzwanzig bis
auf den Cubus dieses Bruches, und wenn über die Natur
jener Eponymencollegien noch ein Zweifel möglich ge-
wesen wäre, so müsste er jetzt schwinden. Weiter aber
sind diese drei Fasteninterpolationen so eigenthämlich
und so gleichartig, dass sie unzweifelhaft alle auf den-
selben Fälscher zurückgehen müssen; fand also Diodor
zwei davon in seinen Quellen, so kann auch die dritte
hier nicht gefehlt haben, und ihre Tilgung ist nur eine
eigenmächtige Correctur der üeberlieferung, die zufällig
vielleicht das Richtige getroffen hat.*^)
Wir besitzen keinen Geschichtschreiber, keine Ma-
gistratstafel, die von dieser Fasteninterpolation rein, ge-
blieben wäre; mithin muss die verlorene Quelle, in
welcher sie zuerst aufgetaucht ist, die gemeinsame Grund-
lage aller erhaltenen sein. Als Bestätigung kommt ein
Zweites hinzu: dreimal sieben Namen wiederholten sich
in viermal fünf und dreimal drei Jahren, d. h. der prie-
sterliche Fälscher trieb ein abergläubisches Spiel mit den
heiligen Zahlen der Pythagoräer 3, 5, 7; und sieben
römische Könige soll es gegeben haben, welche zusammen
fünf Halbsaecula regierten, drei Mon^jahrhunderte
sollen von der Gründung Roms bis zur ersten Capitolini-
schen Nagelschlagung verflossen sein (vgl. Gapitel IX).
Danach ist es wohl klar, dass wir derselben Hand, welche
jene dreizehn Eponymencollegien gefälscht hat, auch dieRe-
construction der römischen Urgeschichte zu danken haben.
Das letzte der unechten TribunencoUegien wird auf
das Jahr 350 Varr. gesetzt, nur vierzehn Jahre vor die
«) Natürlich ist es auch möglich, dass die von Diodor ge-
tilgte Reihe die echte von den beiden ist, doch darüber lässt
sich nicht entscheiden.
8e«ck, Die KaknderUfel der PoDtifioM. g
82 I^io chronologische üeberlieferuDg Yor dem gaUischen Braade.
Schlacht an der AUia. Wenn unmittelbar vorher m
dem kurzen Zeitraum von 25 Jahren sich dreizehn ge-
fälschte nachweisen lassen, wie muss es erst mit den
älteren, naturgemäss noch dunkleren Zeiten beschaffen
sein? Ich denke, dies genagt, um durch alle chronolo-
gischen Gombinationen Matzats, soweit sie über den
«
Galliereinfall zurückgehen, einen grossen Strich zu ziehen,
ohne dass ihre Widerlegung im Einzelnen nöthig wäre.
Wo kein Jahr von dem Verdachte der Interpolation frei
ist, da gibt es auch keine Chronologie.
IV-
"Was Ist uns von der Pontlfleal-
Chronik erhalten?
IMe Ueberzeugung, dass die Pontiflcalannalen kein
Geschichtswerk, sondern nur eine Sammlung durch Er-
eignisse bezeichneter Kalenderdaten gewesen sei, hätte
sich schon längst Bahn gebrochen, wenn nicht das einzige
genaue und, wie es scheint, selbst z. Th. wörtliche Citat,
das man auf sie zurückführen zu können meint, ihr
stracks widerspräche. Es ist die vielbesprochene Stelle
des Gellius IV 5 : Statua Romae in comitio posita Horatii
Codüis fortissimi viri de caelo facta est. oh id fulgur pia-
cutis luendum amspices ex] Etruria acdti, inimico atque
hostüi in popülum Romanum animo instituerant eam rem
contrariis rdigionibus procfurare; atque iUam statuam ma-
serunt in inferiorem locum perperam transp<mi, quem sol
cppositu circum nndique dltarum aedium numquam iUustraret.
quod cum ita fieri permasissent, delati ad popülum pro-
dUique sunt, et cum de perfidia confessi essent, necati sunt,
eonstiUtque, eam statuam, proinde ut verae ratianes post
compertae monebant, in locum edUum subducendam atque
ita in area Volcani sublimiore loco statuendam; ex quo
res bene et prospere poptdo Romano cessit. tum igitur, quod
84 ^fts 18t uns Ton der PontificalchrODik erhalten?
in Etrmcos aruspices male conmlmtes animadversum vift-
diccUumque fuerat, verms hie sdfe f actus caniatttsque esse a
pueris urbe tota fertur:
Malum consiüum consuUori pessimum est.
Ea historia de aruspidbus ac de versu isto senario
scripta est in annaiibus maximis lihro undecimo et in Verrii
Flacci lihro primo rerum memoria dignarum. videtur atUem
versus hie de Graeco iUo Hesiodi versu expressus:
'H di xccx^ ßovl^ Ttd ßovXsvdavTif xaxkfrii.
Dieses Geschichtchen kann freilich auf dem engen
Raum, welchen die freigelassenen Spatien eines Kalenders
boten, nicht gestanden haben, aber auch nicht auf einer
ganz leeren Holztafel, vorausgesetzt dass dieselbe der
Ueberlieferung gemäss nur einmal jährlich erneuert wurde.
Um ein Jahr des Hannibahschen Krieges, in dieser Aus-
führlichkeit erzählt, zu fassen, hätte sie die Grösse eines
Scheunenthors haben müssen und die Regia hätte die
ungeheuren Holzstösse, zu denen sich solche Annalen all-
mählich häufen mussten, in kurzer Zeit nicht zu bergen
vermocht. So bleibt uns nur eine Alternative: entweder
die Aufzeichnungen der Pontifices sind gleich in Buchform
gemacht worden — dies widerlegen Polybius und Gato»
welche die Holztafel noch selbst gesehen haben — oder
die Anekdote von den Haruspices wird ihnen fälschlich
zugeschrieben, und das bestätigt ihr ganzer^ Charakter.
Datirt ist sie bei Gellius zwar nicht, doch genügt es,
dass darin Römer nnd Etrusker als Feinde erscheinent
um sie lange vor den zweiten punischen Krieg zu
setzen. Dass damals Hesiod in Rom ganz unbekannt
gewesen sei, glaube ich nicht, aber eine solche Populari-
tät, dass die Gassenjungen seine Verse sangen, dürfen
wir ihm in so früher Zeit gewiss nicht zuschreiben.
Ueberdies könnte eine Uebersetzung aus j«ner Epoche
doch nur in saturnischen Versen, nicht in Senaren ge-
Was ist uns Ton der Pontifiiialchronik erhalten? 85'
macht sein, wie Becker richtig bemerkt hat.''^) Wenn
Peter '^) demgegenüber annimmt, der Vers sei von Verrius
hinzugefügt worden und nur aus Irrthum lege ihn Gellius
den Annalen selbst bei, so heisst dies doch der Ueber-
lieferung Gewalt anthun. Wäre er angeführt, als die
Moral, welche man aus der Geschichte ziehen könne,
so möchte es gehen; so aber wird ims ausdrücklich ge-
sagt, zu jener Zeit, wo der Betrug der Haruspices gestraft
worden sei, habe man ihn in Rom gesungen, und aus
welcher Quelle sonst könnte dies stammen, als aus der-
jenigen, welche die Erzählung selbst mittheilte? Also
fällt der Mantel, so muss der Herzog nach: ist jener Vers
unecht, so ist es auch das, was ihm vorausgeht. Da
aber Verrius Flaccus, durch dessen Vermittlung wir jene
Nachricht besitzen, ein durchaus glaubwürdiger Zeuge ist,
muss die Fälschung schon in seiner Quelle gewesen sein ;
mit andern Worten, die Annales Maximi enthielten zwar
wahrscheinlich die Notizen der Jahrestafeln, aber ausser-
dem noch so manches andere, was nie in diesen ge-
standen hatte.
Es kann jetzt fast als die communis opinio dodarum
gelten, dass die Pontificalchronik in ihrer ursprünglichen
Gestalt von sehr geringem Einfluss auf die römische Ge-
schichtschreibung gewesen sei, in der verfälschten Schluss-
redaktion aber, welche in 80 Bücher zusammengefasst
unter dem Namen der Annales maximi ging, von desto
grösserem. Das erstere widerlegt schon die Stelle des
Dionys, welche wir S. 70 besprochen haben; das zweite
soll im Folgenden untersucht werden.
Die Schriftsteller, welche nach Polybius so von den
Pontificalannalen sprechen, dass sie eine gewisse, wenn
'^) Handbuch der Bömischen Alterthümer I S. 10.
'•) Veterum histor. Born. reUigpiiae p, XIV.
86 Was ist uns Yon der Pontificalchronik erhaitoi?
auch oberflächliche Kenntnis derselben zu verratheik
scheinen, sind folgende:
1) Cicero an drei Stellen de orat. II 12, 52; de legib^
12, 6; de re publ I 16, 25; vielleicht auch H 15, 28.
2) Verrius Flaccus in den Büchern de verbarum signir-
fieatione bei Fest. p. 126 und rerum memoria dignarum
bei Gellius a. a. 0.
3) Quintilian X 2, 7 quid erat futurum, ai nemo plus-
effeeisset eo quem eequehatur? nihil in poetis supra Lipium
Andronicum, nihil in hiBtoriis supra pontificum anncUes
haberemue, ratibus adhuc navigaremus. Dass dieses Urtheit
nicht auf eigener Lectüre der Annales Maximi beruht,,
sondern aus Cicero geschöpft ist, hat Hübner richtig er-
kannt. "^2)
4) Ein altes, sehr. gutes Scholion (von Probus?) zu
Vergils Aeneis I 373, aus dem die Danielschen Zusätze
zum Servius und Macrobius Sat. III 2, 17 geflossen sind.
Die Urquelle desselben ergibt sich aus der Vergleichung-
folgender Stellen: Servius: eosque a pontificibus maximis, a
quibus fiebant, annales maximos appeUarunt. Macrobius: hos
anncdes appeüant equidem maonmoa quasi a pontificibus maxi--
mis fados. Festus p. 126: Maximi annales appeUabantur,
nofi a magnüudine, sed quod eos pontifex maocimus confecisset^
Diese Erklärung ist sprachwidrig, also falsch; Ueberein-
Stimmung im Falschen aber gilt immer als das sicherste
Zeichen einer gemeinsamen Quelle. Da nun Festus be»
kanntlich aus Verrius Flaccus geschöpft hat, dürfen wir
dasselbe für den Vergilscholiasten voraussetzen.
5) Vopisc. Tacit. 1, 1. QtMd post excessum Bomuli
nmello adhuc Romanae urbis imperio factum pantifices.
^) Die Annales Maximi der Bömer. Jahns Jahrbücher 79
S. 412.
Was ist ans von der Pontificalehronik erhalten? 87
penes quos seribendae hisfariae pofestcta fuit, in lüteras ret-
tulerunt, ut interregnum, dum post bonum principem bonm
aliiis qmmtuTy inireiur, hoc post Aurelianum — factum est.
Um von dem ersten Interregnum zu erfahren, brauchte
man wahrlich nicht die Annales maximi nachzuschlagen
und am wenigsten wird dies Vopiscus gethan haben. Er
wusste eben nur, dass die ältesten Geschichtschreiber die
Pontifices waren, und schloss daraus, dass sie auch von
der Wahl des Numa erzählt haben mussten, denn woher
konnte man sonst etwas davon wissen? Aus welcher
Quelle er aber seine Gelehrsamkeit hatte, zeigt seine
wörtliche Uebereinstimmung mit Macrobius: pontificibus
enim permissa est potestas metnoriam rerum gestarum in
toAulas conferendi, vgl. Vopiscus: pontifices, penes quos
seribendae historiae potestas fuit. Das Wort potestas ist
in diesem Zusammenhange, wo man viel eher munus oder
officium erwarten sollte, so eigenthümlich, dass es gewiss
nicht aus Zufall von beiden angewandt wird. Da zudem
Vergil in der Kaiserzeit die Grundlage des Jugendunter-
richts bildete und seine Gommentatoren die hauptsächlichste
Bildungsquelle jener ganzen Epoche waren, so ist es wohl
klar, dass auch Vopiscus nicht mehr von den Annales
Maximi wusste, als was in jenem Scholion stand.
6) Diomedes p. 484 Keil. Epos Latinum primus digne
seripsit is (seil. Ennius), qui res Romanorum decem et octo
complexus est libris, qui et annaUs inscribuntur , quod
singuhrum fere annorum actus contineant, sictd publici an-
naleSj quos pontifices scribaeque conficiunt. Hiernach scheint
sich Diomedes eingebildet zu haben, dass noch zu seiner
Zeit die Pontifices ihre Chronik fortführten. Da der
Ausdruck des Macrobius, welchen dieser, wie gewöhnlich,
wörtlich seiner Vorlage entnommen haben wird: ponti-
ficibus enim permissa est potestas, ein solches Missver-
ständnis leicht herbeiführen kpnnte, halte ich es für sehr
88 Was ist uns Yon der Pontificalcbronik erhalten?
wahrscheinlich, dass auch Diomedes dieselbe Quelle vot
^ugen gehabt hat. '5)
7) Unter den gefälschten Citaten der Origo gentis
Romanae erscheinen auch 7 die libri pantificalnm, 17 an-
nalis pontificum 'IV und atmalium pontificalium liber W,
22 liber II pantificaUum. Da der Verfasser fast auf jeder
Seite Vergilische Verse anführt, ist seine Quelle leicht zu
errathen.
8) Porphyrio zu Horaz Epist. 11 1, 26 pontificum libros.
utrum annales an im pontificale significat. Diese Stelle
lehrt uns nur, dass auch den Horazinterpreten die An-
nales Maximi nicht unbekannt waren. W^enn alle anderen
Nachrichten darüber, welche bis in die spätere Kaiserzeit
gedrungen sind, auf den Vergilcommentar zurückgehen,
so darf man dasselbe wohl auch hier vermuthen, obgleich
es sich freilich nicht beweisen lässt.
Fassen wir das Resultat zusammen, so ergibt sich»
dass, so weit unsere Kunde reicht, nur zwei Männer des
Alterthums, Cicero und Verrius, eine selbständige
Kenntnis von der Schlussredaktion der Pontificalchronik
besassen, und dass alle Erwähnungen derselben auf einen
von jenen beiden mittelbar oder unmittelbar zurückzu-
führen sind. Aus den vielen indirekten Citaten, die
Livius und Dionys, namentlich wo die Ueberiieferung
Varianten aufwies, einzuflechten gewohnt sind, kennen
wir ja nicht nur ihre Quellen, sondern auch die Quellen
ihrer Quellen ziemlich genau; wenn sie trotzdem bei so
zahlreichen chronologischen Zweifeln sich kein einziges
''ä) Dass in der Quelle des Diomedes Stücke eines Vergil-
commentars in den Sueton hineingearbeitet waren, zeigt am
deutlichsten S. 487: inter quos Theocritum Syracuaanum, quem
noater imitatuft eine Stelle, auf welche mich Kiessling hinge-
wiesen hat.
Was ist uns von der Pontificalcbronik erhalten? 89
Mal auf die allerbeste Autorität berufen, so dürfen wir
doch wohl mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit schliessen,
dass nicht nur ihnen selbst, sondern auch Macer, Claudius
und Antias die Annales Maximi fremd waren. Die reiche
antiquarisch-grammatische Litteratur der Kaiserzeit beruht
zu vier Fünfteln auf Varro, nur zu einem verhältnis-
mässig kleinen Theil auf Verrius Flaccus; sind dennoch
alle Erwähnungen der pontificalen Geschichtschreibung
nur aus diesem geschöpft, folgt daraus nicht, dass jener
sie nicht kannte? Dies ist zwar nur ein argumentum ex
silentio, doch wenn man bedenkt, dass wir gerade von
den chronologischen Schriften des Varro, in denen die
Annales Maximi am ersten benutzt sein konnten, ja
eigentlich benutzt sein mussten, durch Gensorin, Macro-
bius und Solin die allergenaueste Kunde haben, so wird
man ihm eine gewisse Beweiskraft doch nicht ab-
sprechen.
Dass ein Werk, welches der flüchtige Gicero vielleicht
nicht durchgelesen, aber doch eingesehen hatte, von dem
fleissigsten Sammler der gleichen Zeit nicht benutzt
worden sei, wäre schwer begreiflich, wenn es sich um
ein allgemein zugängliches Buch gehandelt hätte; wahr-
scheinlich aber sind dies die Annales Maximi nicht ge-
wesen. In den älteren Schriften erwähnt auch Gicero
sie nie; zuerst erscheinen sie bei ihm in de oratore, d. h.
im Jahre 55, eben in derselben Zeit, in welcher Atticus
mit den Vorarbeiten zu seinem chronologischen Gompen-
dium beschäftigt war. ''*) Dazu mochte er sich wohl die
^*) Das Bach erschien um das Jahr 47 (Mommsen, Chrono-
logie S. 145), doch mussten die Vorarbeiten jedenfalls mehrere
Jahre in Anspruch nehmen. Wenn Atticus bei Cic. Brut. 5, 19
sagt, er sei durch die Bücher de re publica zu seinem Werke ge-
trieben und angefeuert worden, so wird sich dies wohl nur auf
die Herausgabe, nicht auf ^^^ Plan zu den Annales beziehen.
90 ^A8 ist uns Ton der Pontiflcalchroiuk erhalten?
Annalen der Pontifices verschafft und sie dem Freunde
mitgetheilt haben. Die einzige Erbin des Atticus war
seine Tochter, welche mit M. Agrippa vermählt war und
nach dem Tode ihres Vaters dessen Bibliothek in das
Haus ihres Mannes übertragen haben wird.'^) Da nun
Verrius Flaccus die Söhne des Agrippa erzog, muss
dessen Büchersammlung ihm offen gestanden haben und
wird von dem eifrigen Forscher gewiss gründlich durch-
stöbert sein. Wenn also die einzigen Männer, welche
die Annales Maximi erweislich selbst in Händen gehabt
haben, beide in der Lage waren, ein und dasselbe Ex-
emplar zu benutzen, wird es da nicht mehr als fraglich^
ob je ein zweites in's Publikum gedrungen ist?
Da nach Cicero die Annales Maximi mit dem Ober-
pontifex P. Mucius Scaevola abschlössen, hat man in
diesem ihren Herausgeber zu erkennen gemeint; wir haben
oben (S. 63) einen andern Grund nachgewiesen, warum
gerade mit dem Beginn der Revolutionsepoche die Fort-
führung der Jahrestafel aufhören musste, und können
zudem nicht einsehen, welchem Zwecke die Veröffentlichung^
jener trockenen Notizen in einer Zeit hätte dienen sollen,.
'^) Dass Ciceros Briefe an Atticus nicht vor dem Tode des
Claudius veröffentlicht sind, hat Buecheler (Bhein. Mus. 34 S. 352)
erwiesen. Doch selbst anter Nero können sie noch nicht allge*
mein bekannt gewesen sein, denn Seneca {epiat 97) setzt offenbar
voraus, dass sein Correspondent Lucilius sie nicht gelesen habe,,
was mindestens unhöflich wäre, wenn diese Briefsammlung des
grössten römischen Prosaisten damals jedermann zugänglich war.
Danach scheint dieselbe, wie Eaessling mir bemerkt, erst nach
dem Sturze der julisch-clandischen Dynastie aus deren Familien-
archiy publicirt zu smn und Seneca nur durch seine persönliche
Verbindung mit dem Kaiser Gelegenheit zu ihrer Leetüre erhalten
zu haben. Auch dieses weist darauf hin, dass die Bücher und
Papiere des Atticus an Agrippa und durch ihn an das Kaiserhau»
gekommen sind.
W«8 ist uns Ton der Pontificalchronik erhalten? 91
die schon eine ausgebildete Geschichtschreibung besass.
Einige wenige gründliche Gelehrte, wie Atticus und Ver-
rius Flaccus, mochten diese halb urkundliche Ueberliefe-
rung mit Interesse studken ; das grosse Publikum wusste
damit nichts anzufangen und nie konnte der Buchhandel
bei ihrer Vervielfältigung seine Rechnung finden. Wie
die Gensoren und die übrigen Magistrate die Urkunden
ihrer gesammten Amtsführung in ihren Hausarchiyen
niederzulegen pflegten, so werden auch die Nachkommen
der Pontifices maximi mehr oder minder Vollständige
Abschriften der Kalenderannalen aufbewahrt haben, und
einem Manne von so ausgedehnten Connexionen, wie
Atticus, konnte es nicht schwer fallen, davon eine Copie
zu erlangen. Um übrigens einem Einwände, den wir er-
warten müssen, gleich vorzubeugen, fügen wir hinzu, dass
diese Art der Ueberlieferung Fälschungen keineswegs
ausschliesst. Die Besitzer der Annalen konnten dieselben
z. B. als historische Nachschlagebücher haben benutzen
wollen, und um sie diesem Zwecke besser anzupassen,
aus jüngeren Geschichtswerken, wie Piso und Macer,
manches hinzugefügt haben, was ihnen interessant schien.
Derartige Nachträge werden dann mit dem Uebrigen in
die für Atticus gemachte Abschrift übergegangen sein und
leicht kann das Geschichtchen von den Haruspices mit
dazu gehören. Aber trotz solcher Interpolationen bleiben
die Annales Maximi eine Urkunde allerersten Ranges, und
es ist vom höchsten Werthe ihren Spuren nachzugehen.
Glücklicher Weise besitzen wir ein deutliches äusseres
Kennzeichen, das die Nachrichten dieser Quelle von
denen aller andern unterscheidet. Die Vertheilung des
historischen Materials nach Jahren ist bekanntlich den
meisten antiken Geschichtschreibem gemeinsam; wo es
ein wechselndes Amtsjahr gibt, wird wohl auch hin und
vneder sein Anfang genau bestimmt, doch sonst finden
92 Was ist uns von der Pontificalchronik erhalten?
sich Tagdaten nur ganz ausnahmsweise. Dies gilt von
allen erhaltenen Schriftstellern und kann daher mit
Sicherheit auch von den verlorenen behauptet werden.
Die Annales Maximi dagegen setzten sich aus Kalender-
notizen zusammen und mussten also, soweit sie die
Jahrestafeln treu wiedergaben, jedes Ereignis, von dem
sie überhaupt berichteten, auch an einen bestimmten
Monatstag heften. Danach muss die Triumphliste der
Gapitolinischen Fasten nothwendig aus ihnen geschöpft
sein, denn es gab sonst kein Annalenwerk, aus welchiem
sie ihre Tagdaten in dieser Vollständigkeit hätten ent-"
nehmen können. Wenn man es schon aus andern Grün-
den längst als wahrscheinlich erkannt hatte, dass Verrius
Flaccus jenes Verzeichnis zusammengestellt habe,''^) so
kommt jetzt dieses als endgültige Bestätigung hinzu.
Freilich stammen nur die Triumphe selbst und ihre
Tage aus der Pontificalchronik; die Jahreszahlen musste
Verrius einem äussern Zwange folgend aus einer andern
Quelle entnehmen. Durch die schöne Untersuchung
Mommsens '''') ist es jetzt als feststehend zu betrachten,
dass die Magistratsliste der Gapitolinischen Tafeln um das
Jahr 35 aufgestellt, das Verzeichnis der Triumphe erst
23 Jahre später hinzugefügt ist. Beide sind in ihren
Quellen zwar von einander ganz unabhängig, doch da
sie auf derselben Marmorwand vereinigt waren, würde es
dem Publikum zum Anstoss imd zum Gelächter gereicht
haben, wenn sie die Jahre nach verschiedenen Aeren
gezählt hätten. Mithin fand Verrius Flaccus seiner Arbeit
durch das ältere Denkmal präjudizirt, und es blieb ihni
nichts übrig, als die Jahreszahlen desselben vielleicht
^^) Hirschfeld, Die Kapitolinischen Fasten. Hermes IX S. 102.
'^) Die Kapitolinischen Magistratstafeln. Hermes IX S. 267.
Was ist UDS Ton der Pontificalchronik erhalten? 93
gegen sein historisches Gewissen in der Triumphaltafel
zu wiederholen.
Diese ist bisher von allen Gelehrten als die sicherste
Grundlage unserer Forschung erkannt worden ; nur Matzat
stellt sie gänzlich auf eine Linie mit den Ännalen des
Livius und sucht wohl ein gutes Viertel ihrer Angaben
als Fälschung zu erweisen. Seine Argumentation ist
dabei fast immer die gleiche: der Krieg findet sich in
den besten Quellen, Polybius und Diodor, nicht erwähnt,
folglich muss der Triumph erfunden sein. Dies sieht auf
den ersten Blick zwar sehr probabel aus, erweist sich
bei näherer Prüfung aber doch als ungerechtfertigte
Uebertragung viel späterer Verhältnisse auf die Frühzeit
der römischen Republik. Als man die Sieger über Kar-
thago, Makedonien und Asien zu belohnen hatte und
doch keine höhere Ehre für sie besass, als den Triumph,
musste man eine natürliche Scheu fühlen, ihn zu gemein
werden zu lassen, und versagte ihn daher den kleinen
und kleinsten Kriegserfolgen. Damals bildete sich die
Regel, dass nur derjenige Anspruch darauf habe, gegen
den in Einer Schlacht fünftausend Feinde gefallen seien:
doch als man gegen Volsker und Aequer kämpfte, deren
ganze Heere wohl selten viel grösser waren, konnte diese
Norm natürlich nicht gelten, und eine andere hat es, so
viel wir wissen, nie gegeben. Der Triumph war ja nichts
als der feierliche Einzug des aus glücklichem Feldzuge
heimkehrenden Heeres; ob der Führer ihn halten wollte
oder nicht, stand ganz m seinem eigenen Belieben,''®)
und die Eitelkeit der Gonsuln wird sich im Zweifels-
falle häufiger dafür als dagegen entschieden haben. So
konnten unbedeutende Beutezüge, Scharmützel mit einem
Handvoll versprengter gallischer Räuber,''*) welche zu
W) Mommsen, Staatsrecht I S. 131.
^ Fränkel, Stadien zur römiBchen Geschichte I S. 55 be-
94 ^fts ist uns Yon der Pontificalehronik erhalten?
erwähnen die Annalen gar nicht der Mühe werth fanden,
dennoch zu Triumphen Änlass geben, und diese könn^i
echt sein, selbst wenn die Kriege, welche die späteren
Annalisten damit in Verbindung bringen, gefälscht sind.®^)
Doch wozu uns mit der Widerlegung aufhalten, da
Matzats Tabellen uns die Möglichkeit gewähren, den po-
sitiven Beweis der Echtheit zu fuhren? Es liegt in der
Natur der Dinge, dass die Römer, je weiter sich ihr
Herrschaftsgebiet ausdehnte, je bedeutender und ent-
legener daher ihre Kriege wurden, sich desto mehr an
Winterfeldzüge gewöhnen, desto später im Jahre nach
merkt darüber: „Die Ansicht Ungers, dass häufig gallische Streif-
banden in römisches Gebiet eingefallen seien, widerspricht den
deutlichen Worten des Polybius, denn dieser sagt ausdrücklich,
dass die Gallier in der Zeit, die zwischen den einzelnen von ihm
erwähnten Einfallen lag, sich ruhig verhalten hätten, das konnte
er aber nicht überliefern, falls seine jedenfalls gut unterrichtete
Quelle solche dazwischenliegende kleine Streifzüge gekannt und
davon berichtet hätte." Wenn aber nun diese Quelle die Streif-
züge wohl gekannt, aber es verschmäht hätte, davon zu berichten,
könnte dann Polybius etwa nicht aus ihrem Schweigen geschlossen
haben, dass die Gallier sich ruhig verhielten? Gewiss ist er
unser bester Gewährsmann, aber dass er über jeden Plünderzug
unterrichtet gewesen sei, der zweihundert Jahre vor seiner Zeit
stattgefunden hatte, heisst ihm doch etwas viel zutrauen.
®>) Zum Jahre 396 Varr. erzählt Livius VII 12 von einer
grossen Schlacht, die auch ich nach dem Schweigen des PolybioA
für erfunden halte. Dass gleichwohl der Dictator C. Sulpicius
Peticus irgend einer gallischen Streifschaar eine beträchtliche
Beute abgenommen hat, scheint mir durch Livius "VTI 15, 8 be-
wiesen. Die Worte: ßuri quoque ex Gallicis spöliü soHs magnum
pondus 80X0 quaärato Bcieptum in Capitolio sacravit gehen, wie
Unger S. 142 richtig bemerkt, wahrscheinlich auf die Inschrift des
Weihgeschenkes selbst zurück und somit findet auch dadurch der
von Matzat angezweifelte Triumph eine Bestätigung. Zugleich
aber ist dies der beste Beweis, dass es zu einer derartigen Feier
nicht mehr als eines glücklichen Beutezuges bedurfte.
Was ht uns Ton der Pontificalohronik erhalten? 95
Hause zurückkehren mussten. Diesem Gesetze entspricht
die Triumphaltafel genau :®0 bis zum Jahre 410 Varr. fällt
der späteste Triumph auf den 5. September = 27. October
(394), der früheste auf den 1. Februar = 14. April (4ß8),
und dieser ist erfochten gegen die Antiaten, Volsker
und Satricaner, also Feinde, welche dicht vor den
Thoren Roms wohnten, gegen die der Kampf daher in
wenigen Tagen beendet sein konnte. Das Gleiche gilt
von den etwas spätem Triumphen über Hemicer (393)
und Gallier (393. 404), da unter den letzteren bis nach
Latium vorgedrungene Streifscharen verstanden sein
müssen. In dem schweren Samniterkriege des Jahres 411
werden die Operationen zuerst bis in den Winter aus-
gedehnt (Triumph den 21. und 22. September == 12. und
13. December), und fast zugleich weist der Latinertriumph
vom 13. Januar == 6. April 415 auf einen etwas früheren
Beginn derselben. Dennoch bleiben noch immer Januar,
Februar und März des julianischen Jahres von Triumphen
frei, obgleich sie sich sonst jüber fast alle Monate ver-
theilen;^^) eigentliche Winterfeldzüge gibt es also noch
nicht. Erst im Jahre 445, wieder in der schlimmsten
^1) Die Zeit vor dem Decemyirat berücksichtige ich nicht,
schon weil sich hier die jnlianische Geltung der Daten nicht
mehr berechnen lässt. Die Daten sind bestimmt nach der am
Schlüsse folgenden Tabelle.
83) Von 393 bis 444 findet sich die folgende Zahl von Tri-
umphen in den verschiedenen Monaten des römischen Jahres:
Januar 1, Februar 5, Schaltmonat 1, März 3, Mai 5, Juni 2, Juli 2,
August 3, September 5. Es fehlen also nur der April, der damals
in den Juni und Juli fiel, also in diejenige Zeit, welche am
meisten dazu einlud, im Felde zu bleiben, und die drei zusammen-
hängenden Monate October, November, December, die ungefähr
unserem Januar bis März entsprachen. Hierin liegt zugleich eine
schöne Bestätigung von Matzats Schalttheorie, nach der die rö-
Buschen Daten in julianische umgerechnet sind.
96 Was ist uns Ton der Pontificalchronik erhalten?
Noth des Samniterkrieges, begegnen uns Triumphe vom
15. October = 29. Januar uud 13. November = 27. Fe-
bruar, und seitdem zeigen sich zwischen den Jahreszeiten
nur noch geringe Unterschiede. Da in Folge der herr-
schenden Kalenderverwirrung ein Fälscher unmöglich
wissen konnte, welche römischen Monate zwei oder drei
Jahrhunderte früher in den Winter und welche in den
Sommer fielen, so hätten seine Erfindungen auch nie
diese innere Wahrscheinlichkeit besitzen können. Wenn
er sich bei der Setzung der Daten überhaupt etwas
dachte, so hätte er vielleicht die Wintermonate seiner
eigenen Zeit vermieden, gewiss nicht die der Samniter-
kriege. Man wird vielleicht einwenden, dies beweise
zwar die Richtigkeit des Verzeichnisses im Allgemeinen,
aber nicht die jedes einzelnen Datums: die Möglichkeit
einer oder der andern Fälschung muss freilich zugegeben
werden, doch zahlreich können sie keinenfalls sein, da es
sonst der sonderbarste Zufall wäre, wenn nicht Eine sich
in einen falschen Monat verirrt hätte; umsomehr als
Fälscher meist nach dem Princip verfahren, diejenigen
Möglichkeiten, welche »noch gar nicht vorgekommen
sind«, zu begünstigen. Die Triumphaltafel ist also in
ihre alten Rechte wieder einzusetzen und jede chrono-
logische Bestimmung, welche mit ihr im Widerßpruche
steht, unbedingt zu verwerfen.
Weitere Reste der Annales Maximi glaube ich im
letzten Buche von Ovids Fasten zu finden, welches sich
von den fünf vorhergehenden sehr bemerkbar unter-
scheidet. Diese enthalten weiter nichts als die gewöhn-
lichen astronomischen, mythologischen und antiquarischen
Kalendererklärungen ; von historischen Nachrichten finden
sich nur die Gedenktage des Kaiserhauses und was
sonst mit der Fasteninterpretation untrennbar zusammen-
hängt. Im Monat Juni dagegen stehen nicht weniger als
Was ist uns von der Pontificalcbronik erhalten? 97
acht geschichtliche Ereignisse bei ihren Tagen vermerkt,
alle in der grössten Kurze und ohne jede Ausmalung,
beinahe wie sie auch in den Annales Maximi selbst ver-
zeichnet gewesen sein könnten. Es sind die folgenden:
9. Juni. Sieg des Decimus Brutus über die Gallaecer
(136 V. Chr.). VI 461.
[Schlacht bei Garrhä (55)]. VI 465.
11. Juni. [P.JRutilius Lupus fallt am Tolenus (90)]. VI 563.
[T. Didius ftUt (89)]. VI 567.
17. Juni. Schlacht auf dem Algidus (323 Varr.). VI 721.
23. Juni. Schlacht am Trasimen (217). VI 765.
24. Juni. Sieg des Masinissa über Syphax (203). VI 769.
Schlacht am Metaurus (207). VI 770.
Hülsen nimmt an, alles dies sei aus einem histori-
schen Kalender geflossen;®*) wir fügen hinzu, dieser Ka-
lender kann Ovid nicht bekannt geworden sein, ehe er
die fünf ersten Bücher der Fasten vollendet hatte, denn
sonst hätte er doch auch hier Gebrauch davon gemacht.
Danach ist es wahrscheinlich, dass derselbe erst mn das
Jahr 7 n. Chr. veröffentlicht ist, als Verrius Flaccus schon
in hohem Greisenalter stand, und ein Kalender, den dieser
verfasst hat, ist uns wohl bekannt.
Sueton (gramm. 17) berichtet darüber: stcUuam habet
Praeneste in inferiore fori parte circa hemicyclium, in yuo
fastos a se ordinatos et marmoreo parieti incisos publicarat.
Eine solche Stiftung wird der Freigelassene nicht gemacht
haben, bevor er zu Ruhm und Vermögen gelangt war;
zu seinen frühesten Produkten kann also der Kalender
nicht gehören, und dass er sich dies Denkmal kurz vor
seinem Tode setzte, ist wenigstens nicht unwahrschein-
^') VarroniatKie doctrinae quaenam in Ovidii faetis vestigia
extent Berlin 1880 S. 50.
Se eck, Die Kalendertafel der Pontifices. 7
98 Was ist uns Yon der Pontificalchronik erhalten?
lieh. Mithin führen alle Indicien darauf hin, in Veirius
Flaccus die Quelle des Ovid zu erkennen, und wieder
erscheint uns jener Name in engster Verbindung mit
einer historischen üeberlieferung, die ganz dem Charakter
der Annales Maximi entspricht. Allerdings können die-
jenigen Ereignisse, welche nach den Gracchen liegen —
wir haben sie in eckige Klammern gesetzt — •, nicht aus
der Pontificalchronik herstammen, doch kann sie Verrius
leicht zur Vervollständigung aus mündlichen Nachrichten
oder andern Geschichtswerken hinzugesetzt haben.
Freilich müsste diese Combination falsch sein, falls
die Pränestinischen Fasten, deren Fragmente uns noch
jetzt erhalten sind, wirklich die Verrischen wären; denn
auf ihnen fehlen historische Notizen von der Art der
oben mitgetheilten ganz und gar; aber diese Annahme
steht auch auf sehr schwachen Füssen. Der Kalender
des Flaccus befand sich auf dem Forum, jene Bruchstücke
dagegen sind ausserhalb der Stadtmauern in einer Necro-
pole gefunden:®*) wenn man trotz dieses entscheidenden
Gegengrundes dennoch beide identificiren will, so ist wohl
nur der Wunsch der Vater des Glaubens gewesen.
Damit dürfte das, was wir ausser den wenigen na-
mentlichen Citaten direkt als Fragmente der Pontifical-
annalen in Anspruch nehmen möchten, erschöpft sein,
doch reicht die Kunde, welche wir mittelbar aus ihnen
besitzen, natürlich sehr viel weiter. Was Fabius nicht
aus Volkssage, Familientradition und einigen wenigen
Urkunden schöpfte, verdankte er wahrscheinlich zum
grössten Theil dieser Quelle und durch ihn ist sie die
Grundlage unseres gesammten Wissens von der älteren
römischen Geschichte geworden. Und nicht durch ihn
allein : wie sich später zeigen wird, sind auch andere auf
8«) CIL. I S. 311; vgl. Hirschfeld, Herrn. IX S. 103.
Was ist uns von der Pontificalchronik erhalten? 99
die Chronik zurückgekommen, ja es lassen sich sogar
noch verschiedene Redaktionen nachweisen. Auf die
Existenz derselben könnte man freilich schon a priori
schliessen. Jene Annalen sind nie publicirt worden,
sondern wer sie gebrauchte, musste sie, wie Atticus, in
den Archiven der pontificalen Familien aufsuchen. War der
Urahn derselben in der Zeit des Hannibal Pontifex maximus
gewesen, so war seine Chronik natürlich vollständiger,
als wenn er die Würde ein Jahrhundert früher bekleidet
hatte, und führten die Enkel die Aufzeichnungen für ihren
Hausgebrauch weiter, so mussten die Fortsetzungen von
einander abweichen. In Folge dessen war vielleicht kein
Exemplar dem andern gleich; so weit der officielle Theil
reichte, stimmte er zwar überein, doch war sein End-
punkt überall ein anderer, und je nachdem die Chronik
mit dem Oberpontificat des Ahnherrn abbrach oder weiter
fortging, je nachdem diese privaten Vervollständigungen
aus eigener Erinnerung successive hinzugefügt oder aus
schriftlichen Quellen geschöpft wurden, kamen weitere
Verschiedenheiten dazu. Die Spuren dieser mannigfachen
Redaktionen, welche unsere Quellen noch jetzt aufweisen,
können wir hier nicht darlegen, doch werden wir an
anderer Stelle darauf zurückkommen.
7*
V.
Die Synolipoiilsmeii.
Das erste Gapitel von Matzats Chronologie hat uns
gelehrt, jedes Tagdatum eines gegebenen römischen
Jahres auf den julianischen Kalender zu reduciren ; leider
kommen wir damit noch nicht sehr weit, da die Jahre
selbst bis 300 v. Chr. hinauf zweifelhaft sind. Ihrer
Bestimmung ist daher der übrige Theil seines Buches
gewidmet imd zwar geht er, wie natürlich, von den Syn-
chronismen aus, welche hier die einzige Handhabe ge-
währen. Die entscheidende Gleichung, auf der alle
übrigen beruhen, ist für Matzat der Polybianische Ansatz
der Eroberung Roms durch die Gallier auf Olymp. 98,2;
in ihm erkennt er gleichzeitige griechische üeberlieferung
und folglich einen absolut festen Punkt, von dem man
mit Sicherheit aufwärts und abwärts zählen könne. Wie
man sieht, hängt hier die chronologische Bestimmung
lediglich von einer Frage der Quellenkritik ab : hat Poly-
bius seine Nachricht wirklich aus einem griechischen
Historiker, der um Ol. 98 oder wenig später schrieb, so
darf sie auch uns als beinahe untrügliche Grundlage
weiterer Forschung dienen; schöpfte er dagegen aus
Die Synehronismen. 101
einem Römer, so ist sie ganz werthlos, es sei denn dass
diesem selbst eine derartige griechische Quelle vorgelegen
habe. Denn war dies nicht der Fall, so konnte schon
Fabius das Jahr des Galliereinfalls nur durch Rechnung
bestimmen, und da diese natürlich auf der wenig zuver-
lässigen Fastentafel beruhte, musste er nothwendig in
Irrthümer verfallen. Um diese Cardinalfrage der römi-
schen Chronologie zu entscheiden^ genügt es aber nicht,
dies eine Datum für sich allein zu betrachten; ^rst die
Vergleichung sämmtlicher Polybianischen Synchronismen,
so weit sie sich auf die ältere Zeit beziehen, wird uns
Klarheit verschaffen.
Die Eönigszeit ist uns bekanntlich im Polybius selbst
nicht erhalten, doch da Cicero ihn in den Büchern de re
publica als hauptsächlichste, wenn nicht als einzige Quelle
für alles Chronologische benutzt,®^) so tritt er in die
Lücke. Freilich befinden wir uns schon hier im Gegen-
satze zu Matzat (S! 147), der die Eönigsliste des Cicero
folgendermassen reconstruirt:
Gründung Roms = Ol. 7, 2.
Romulus 37 Jahre = 01. 7, 3 — 16, 3
Stadtjahr 1—37.
100 Interregs ä 6 Tage . . . = Ol. 16, 4 — 17, 1
Stadtjahr 38—39.
Numa 39 Jahre = Ol. 17, 2 — 26, 4
Stadtjahr 40— 78.
Interregnum 1 Jahr = Ol. 27, 1;
Stadtjahr 79.
Tullus 32 Jahre = OL 27, 2 — 35, 1;
Stadtjahr 80—111.
^^) De rep. II 14, 27 seqtMtnur enim potisaimum Polybium
fM»<rtim, quo nemo fuii in exqutrendie tetnporibua düigentior.
102
Die Synchronismen.
Interregnum 1 Jahr = Ol. 35, 2;
Stadtjahr 112.
Ancus 23 Jahre = Ol. 35, 3 — 41, 1;
Stadtjahr 113—135.
Interregnum 1 Jahr == Ol. 41, 2;
Stadtjahr 136.
Tarquinius Priscus 38 Jahre . ^ = Ol. 41, 3 — 50, 4;
Stadtjahr 137— 174.
Servius 44 Jahre = Ol. 51, 1 — 61, 4;
Stadtjahr 175— 218.
1. Jahr des Tarquinius Superbus == Ol. 62, 1 ;
Stadtjahr 219.
4 - - - - =01. 62, 4;
Stadtjahr 222.
Letztes Jahr - - (25) = Ol. 68, 1;
Stadtjahr 243.
Wenn Cicero die Ankunft des PJrthagoras in Italien,
welche er selbst in das vierte Jahr des Tarquinius Su-
perbus Ol. 62, 4 setzt, zugleich anno fere centesimo et
quadragesimo post fnartem Numae stattfinden lässt, so
hätte es keiner so gewaltsamen Interpretation bedurft,
wie sie Matzat anwendet, um diese Zahl mit seinen An-
sätzen in Uebereinstimmung zu bringen. Denn da die-
selbe offenbar abgerundet ist, so kann »ungefähr (fere)
im hundert und vierzigsten Jahre« allenfalls auch bedeuten
»im hundert und vier und vierzigsten«. Mit diesem Be-
denken also wollten wir bald fertig werden, wenn nicht
andere viel schwerere ihm zur Seite ständen.
1. Cicero folgt in der Chronologie dem Polybius und
hat dessen Angaben sicher alle auf Treu und Glauben
herübergenommen. Denn ihnen nachzurechnen und sie
nach eigenen Theorien zu corrigiren, würde eine viel
grössere historische Sorgfalt voraussetzen, als sie der
Die Synchronismen. 103
leichtfertige Schönredner je anzuwenden pflegt; auch
würde, wenn er sich diese ungewohnte Mühe wirklich
gegeben hätte, hier oder dort eine polemische Bemerkung
gegen seine Hauptquelle davon Zeugnis ablegen. Aus
dieser hat er denn auch das Gründungsjahr Roms nach-
weislich entlehnt, doch während es bei Polybius mit dem
ersten Stadtjahr identisch war,®^) soll Cicero nach Matzats
Rechnung hierin von ihm abgewichen sein und die bei-
den Jahre getrennt haben. Mithin beruht schon die
Regierungszeit des Romulus, wie Matzat sie ansetzt, auf
einer Annahme, die sich durch nichts erweisen lässt und
dem schriftstellerischen Charakter des Cicero sehr wenig
entspricht.
2. Matzat berechnet die Interregna nach dem Tode
des Numa, des TuUus und des Ancus auf je ein Jahr;
die ganze üeberlieferung aber ist einstimmig darin, dass
Volk und Senat ohne langes Besinnen sich über die
Nachfolger jener Könige geeinigt haben. Was Cicero ins
Besondere betrifft, so berichtet er ihre Wahl folgender-
massen: II 17, 31 mortuo rege Pompilio Tuüum Hostilium
populus regem interrege rogante comüiis curicUis creavit, isque
de imperio suo exemplo Pompilii populum constüuit curiatim.
II 18, 33 post eum Numae Pompilii nepos ex fUia rex a
populo est Äncus Marcius constitutus, itemque de imperio
suo legem curiatam tulit. II 20, 35 itizque mortuo Marcio
cunctis populi suffragiis rex est creatus L. Tarquinius —
isque de suo imperio legem tulit Das Interregnum also,
welches verfassungsmässig ja freilich nöthig war, wird
nur einmal ganz kurz erwähnt; kein Wort verräth, dass
es zeitlich oder sachlich irgend in Betracht gekommen
sei, vielmehr widerspricht der Wortlaut dem direkt.
Denn die Formel, welche jedesmal fast genau wiederholt
»«) Matzat S. 146.
104 I)i« SynchronUmen.
wird: »nach dem Tode des Numa wählte man den Tul-
lus« etc. kann doch mimöglich so interpretirt werden,
dass zwischen den beiden Ereignissen ein ganzes Jahr
gelegen habe. Offenbar dachte sich Cicero und mit ihm
Polybius und alle Geschichtschreiber des Alterthums diese
drei Interregna als ganz kurze, die in ihrer Gesammtheit
zwar vielleicht ein paar Monate, aber jedenfalls nicht
Jahre füllten. Dass eine so schnelle Entscheidung der
Königswahlen historisch nicht eben wahrscheinlich ist,
darauf kommt es einer unhistorischen Ueberlieferung
gegenüber natürlich nicht an.
3. Cicero selbst bestimmt die Gesammtdauer der
Eönigszeit de rep, TL 30, 52 iis enim regiis quadragmta
annis et diccentis pauh cum interregnis fere amplius prae-
teritis. Dass hier die Zahl nicht rund, sondern bis in die
Einer hinab genau zu verstehen ist, zeigt die Sorgfalt,
mit welcher die kleine, durch Interregna entstandene
Differenz ausdrücklich hervorgehoben wird; nur ob diese
nach Jahren oder nach Monaten zu bemessen sei, kann
zweifelhaft bleiben. Beide Annahmen sind an sich viel-
leicht zulässig, die erstere aber nur unter einer Bedingung.
Wenn Cicero eine genaue Zahl gab, zugleich aber einen
Ueberschuss von Jahren nicht berücksichtigte, so läss t sich dies
nicht anders als aus einer principiellen Scheidung erklären,
d. h. jene Zahl kann sich in diesem Falle nur auf die
eigentlichen Königsregierungen beziehen (regiis annia),
die Interregna müssen alle von ihr ausgeschlossen und unter
dem Zusatz pauio cum interregnis fere amplius begriffen
sein. Dies aber ist erweislich falsch, denn ohne das
zweijährige Intervall zwischen Romulus und Numa kommen
wir mit der Summe nur auf 238, nicht auf 240 Jahre.
Folglich kann auch jene Differenz nur auf die zehn Mo-
nate bezogen werden, die zwischen dem 21. April, dem
Gründungstage der Stadt, und dem 24. Februar lagen,
Die Syncbromsmen. 105
auf welchen man die Vertreibung des Tarquinius zu
setzen pflegte. Jene hundert und vierzig Jahre umfassen
also die gesammte Königszeit.
Zu diesen Schlussfolgerungen wurde wohl auch Matzat
gelangt sein, wenn er es nicht für nöthig gehalten hätte,
einen Widerspruch Ciceros mit sich selbst auszugleichen.
Dieser setzt nämlich die Gründung der Stadt Ol. 7, 2,
das erste Jahr des Tarquinius Superbus Ol. 62, 1 und
die Combination dieser Jahreszahlen ergibt für die Ge-
sammtsumme nicht 240, sondern 244 Jahre, welche
Matzat denn auch glücklich herausgerechnet hat. Dass
seine Rechnung falsch war, haben wir gesehen; so bleibt
nichts übrig, als den Widerspruch bestehen zu lassen,
auch erklart sich derselbe leicht, sobald wir annehmen,
Cicero oder vielmehr Polybius habe die beiden Olympiaden-
jahre aus verschiedenen Quellen entlehnt.
Zählen wir die 215 Jahre, welche den sechs Vor-
gängern des Tarquinius Superbus zugeschrieben werden,
von Ol. 62, 1 ab, so ergibt sich uns als erstes Stadtjahr
Ol. 8, 2. Bekanntlich setzte Fabius die Gründung Roms
auf Ol. 8, 1, doch da um das Jahr 200, als er seine
Geschichte schrieb, der Gründungstag (21. April) etwa
auf die Wintersonnenwende fiel, während die olympische
Feier um die Sommersonnenwende stattfand, so durch-
schnitten sich Olympiadenjahre und Stadtjahre damals
ziemlich genau in der Mitte; ob er also das erste Stadt-
jahr mit Ol. 8, 1 oder mit Ol. 8, 2 glich, in beiden
Fällen blieb er der Wahrheit gleich nah und gleich fern.
Wir sehen jetzt, dass er sich für die zweite Alternative
entschieden hat, und dass, wie auch Mommsen vermuthet,
bei Cicero das erste Jahr des Tarquinius Superbus nach
Fabischer Rechnung bestimmt ist.®')
^) S. 324 weist Matzat eine im Jahre 146 y. Chr. herrschende
106 I^iö Synchronismen.
Dass Cicero das Werk des Fabius je mit eigenen
Augen gesehen hat, halte ich für mindestens zweifel-
haft ; ®^) dass es in den Büchern de re publica direkt be-
Saecularreclinung nach, welche das erste Jahr der Stadt auf
OL 8, 2 setzte. Offenbar haben die Pontifices jener Zeit sich
darin nach den Fabischen Annalen gerichtet, aber ohne, wie
Matzat annimmt, dieselben einer Correctur zu unterziehen. Im
Uebrigen beruht seine Reconstruction der Fabischen Rechnung
fast ganz auf der Voraussetzung, dass im Jahre 539 Varr. eine
Nagelschlagung stattgefunden habe und folglich auch dem Fabios
die Aera dieser Saecularrechnung bekannt gewesen sein müsse.
Die Prämisse aber ist gänzlich unbewiesen, oder vielmehr sie ist
sicher falsch, denn keine Quelle weiss etwas davon und in der
Zeit des zweiten punischen Elrieges genügt dies zur Widerlegung,
namentlich da Livius in keiner andern Beziehung so zuverlässig
und vollständig ist, wie in den sacralen Dingen.
^) Wenn Cicero sich über des Fabius Schreibweise ein Ur-
theil erlaubt (Peter, Frg. bist. Rom. S. 74), so beweist dies gewiss
nicht, dass er ihn gelesen hat. Angeführt wird er von ihm nur
zweimal, das einemal in folgender Form: de div. I 26, 55 omnes
hoc historici, Fabü, GelUt, $ed proxume Coelius. Dies zeigt ziem-
lich deutlich, dass eben bei Coelius die andern Historiker citirt
waren. Auch das zweite Citat scheint mir aus der gleichen
Quelle zu stammen, obgleich es von Aeneas handelt und jener
nur über den zweiten punischen Krieg geschrieben hat; denn die
Ansicht Sieglins (Jahrb. für cl. Phil. Suppl. XI S. 1), welcher ihm
noch ein zweites Geschichtswerk zuschreibt, theile ich nicht. Die
Fragmente des Coelius, welche scheinbar mit dem Gegenstande
seines Buches nichts zu schaffen haben — man findet sie bei
Sieglin zusammengestellt (S. 88) — , zerfallen nämlich, wenn man
dasjenige aussondert, was entweder dem Autor gar nicht angehört
(Frg. 3. 4. 8) oder dessen Zusammenhang sich nicht mehr erken-
nen lässt, in zwei Massen. Die erste umfasst Geographisches,
wozu auch die Gründungssagen gehören, und zwar bezieht sich
dies durchgängig auf Länder und Städte, die im Kannibalischen
Kriege eine Rolle gespielt haben, wie Afrika (Frg. 1. 2), die
Alpen (Frg. 5), Gallien (Frg. 6), Campanien (Frg. 7. 11), Capua
Die SyncbronismeD. 107
nutzt sei, hat wenigstens in neuerer Zeit keiner behauptet.
Dagegen ist es ohne allen Zweifel die Hauptquelle des
Polybius gewesen und wir können daher mit voller
Sicherheit behaupten, dass Cicero aus ihm jene Fabische
Gleichung entlehnt hat.
Auch das Stadtgründungsjahr Ol. 7, 2 ist bekannt-
lich Polybianisch, doch war dieses, wie wir schon oben
(Frg. 9), Cumae (Frg. 10), Tarent (Frg. 12), Petelia (Frg. 13).
Offenbar stammt alles dies aus Excursen, die in die Rriega-
geschichte eingelegt waren, wie ein ähnlicher sich in verkürzter
Form noch jetzt an seiner richtigen Stelle bei Liyius XXI 7, 2
erhalten hat: Civitas ea (Saffuntutn) longe opulentissima ultra Hi-
berum futt, aita passus mille ferme a mari, oriundi a ZcLcyntko
insula dtcuntur, mixtiqtie etiam ab Ardea Rutulorum quidam generis.
Die zweite Masse enthält Erzählungen wunderbarer Träume aus
allen Perioden der römischen Geschichte (Frg. 14). Wahrschein-
lich bildeten diese einen Ezcurs zu dem berühmten Traum des
Hannibal, den Coelios erweislich berichtet hat. Er lebte ja in
einem Zeitalter, in welchem die Epicoräische Philosophie, die alle
Vorzeichen läugnete, weit verbreitet war, und um die Zweifel zu
entkräften, welche die Anhänger dieser Richtung jener Wunder-
erscheinung entgegensetzen konnten, scheint er bei dieser Gele-
genheit eine Anzahl anderer Beispiele mitgetheilt zu haben, bei
denen er, um ihre Glaubwürdigkeit zu erhöhen, immer seine
Quellen sorgfältig anführte. So berief er sich für den Traum des
C. Gracchus auf dessen eigenes Zeugnis {Ctc, de div. I 26, 56),
für einen andern aus der Zeit der Latinerkriege auf „Fabius,
Gellius und alle andern Historiker'', für den Traum des Hannibid
selbst auf Silenus, den Kriegsgenossen des Karthagers {Cic, L 2.
I %iy 49). Diesen Excurs hat Cicero in den Büchern de ditfi-
natione viel benutzt, und wenn das zweite Fragment des Fabius,
welches er anführt, in ebendemselben Werke, ja sogar in dem-
selben Buche steht (I 21, 43), wie die Coelianischen Stücke, und
noch dazu gleichfalls von einem Traume handelt, so ist die Ver-
muthung sehr naheliegend, dass er auch dieses nur aus Coelius
kannte.
108 ^^® SynchroDismen.
(S. 64) gezeigt haben, aus der Kalendertafel geschöpft.
Wenn also zwei Daten, die nach ganz verschiedenen
Rechnungen gefunden sind, einander widersprechen, was
ist daran zu verwundern? Höchstens könnte man dar-
über erstaunt sein, dass nicht schon Polybius selbst den
Widerspruch bemerkt hat; doch da die römische Königs-
zeit dem eigentlichen Gegenstande seines grossen Ge-
schichtswerkes fern lag und nur als Episode in dasselbe
verwebt wurde, so ist es leicht begreiflich, wenn er hier
etwas minder genau verfuhr, als wir es sonst an ihm
kennen. Ich für meine Person glaube in der Sorgfalt
der Quellenbenutzung nicht hinter Polybius zurückzustehen :
dennoch wende ich die Tabellen Matzats an, ohne jede
einzelne Zahl nachzurechnen. Ebenso hat er es mit den
Jahreszahlen gemacht, die er bei Fabius fand,®^) und
wer dürfte ihm daraus einen schweren Vorwurf machen?
Auch in Bezug auf den dritten Synchronismus des
Polybius hat Matzat geirrt. Er schreibt darüber S. 282:
»Polybius setzt QU 22) den ersten Vertrag Roms mit
^^) Daraus wird man scilliessen müssen, dass Fabius wenig-
stens gewisse Epochenjahre nach Olympiaden bestimmte, denn durch
Berechnung konnte Polybius, der von einem andern Gründungs-
jähr ausging, unmöglich den Regierungsantritt des Tarquinius auf
Ol. 62, 1 fiziren, sondern er muss ihn so schon in seiner Quelle
gefanden haben. Da aber Fabius griechisch schrieb und jeden-
falls wenigstens zum Theil auch auf griechische Leser rechnete,
hat dies gar nichts Auffälliges. Dionys I 74 schreibt: Kol'yrog de
4>aßiog xara ro ngtotoy irog t^s oySotjg oXvfdTnadog. Katiav de Uoq-
xios 'Elktiy&xoy ftky ovx ogiCet jif^oVoi^. Wenn hier Ton Cato beson-
ders hervorgehoben wird, dass er das Gründungsjahr nicht auf
hellenische Weise, d. h. nicht nach Olympiaden bestimmte, so
folgt daraus doch für den unmittelbar vorher genannten Fabiua
das Gegentheil, und berechnete er dieses Datum auf das Ver-
ständnis von Griechen, warum nicht auch die späteren?
Di« Synchronismen. 109
Karthago xcttä Abvx^ov ^Iovvwv Bqovtov xci Md^xoy
'S^QOTtov Tovg nqdtovq xcctatnadivTaq inätovq fAstä T^y
t&v ßadiUfov xatäXvtfipj vg>' cSv (fwiß^i xa&$€Q(o&^va& xci
to to^ J^q ieqov toS KansttaXiov ravra d' itStl nqoTsqa
t^g S^Q^ov duxßd(f€(og elg r^v 'EXXdda tqiaxovr* IrecT» lei-
novüi, dvotv. Dies interpretirte Mommsen früher: >Po-
lybius setzt das Consulat des Brutus und Horatius
28 Jahre vor Xerxes Landung in Griechenland Ol. 75, 1,
also Ol. 68, l.€ Neuerdings behauptet er, dass das Jahr
der ersten Consuln nach Polybius das achtundzwanzigste
vor Xerxes Landung in Hellas Ol. 75, 1 nicht, wie man
bisher angenommen' hat, nach seiner Rechnung Ol. 68, 1
ist, sondern vielmehr Ol. 68, 2.« Beide Deutungen ent-
halten den Fehler, dass als polybianisches Olympiaden-
jahr für den üebergang des Xerxes Ol. 75, 1 (Herbst 480
— Herbst 479 v. Chr.) angenommen ist, statt Ol. 74, 4
(Herbst 481 — Herbst 480 v. Chr.); die zweite noch den
andern dazu, dass die 28 Jahre des Polybius in >das
achtundzwanzigste Jahre verwandelt sind. Verbessert
man beide, so ergibt sich, dass Polybius die ersten Con-
suln in das Jahr Ol. 67, 4 setzte.« Der doppelte Fehler
ist hier vielmehr auf Seiten Matzats. I 6 bestimmt Po-
lybius ein römisches Jahr in folgender Weise: hog [lip
ovv iv€fiTiqx€i fA€i;ä t^v ip Alyog norafjbotg pav^iaxUxp ippea-
xcudixatoPj Ttqd di r^g ip Asvxrqoig fAaxfjg exxoudixatop*
Hier braucht er einen etwas anderen Ausdruck, doch
darf man daraus gewiss nicht schliessen, dass er etwas
anderes gemeint habe. Er wünschte seinen griechischen
Lesern die Möglichkeit zu gewähren, nach bekannten
Daten die unbekannten römischen zu bestimmen; wollte
er damit aber die Deutlichkeit erreichen, welche er
überall selbst auf Kosten der stilistischen Vollendung er-
strebt, so durfte er nicht jedes Mal eine andere Art der
110 Di© Synchronismen.
Rechnung von ihnen verlangen; denn dies hätte sie ebenso
irre führen müssen, wie es nach Matzats Annahme
Mommsen irregeführt hat. Gleichförmigkeit der Zeitbe-
stimmungen ist die erste Bedingung für ihre Verständ-
lichkeit; dies musste auch Polybius wissen und wir sind
daher vollberechtigt, dieselbe Art der Zählung, welche
nach Matzats eigener Ansicht I 6 angewandt ist, auch auf
die vorliegende Stelle zu übertragen.
Auf den zweiten Irrthum hat neuerdings Niese hin-
gewiesen.®^) In den späteren Theilen seines Werkes
rechnet Polybius nach einem Jahre, das mit dem Herbste
beginnt; doch diese Chronologie auch auf die gelegent-
Uchen Erwähnungen aus der älteren Geschichte auszu-
dehnen, wäre für ihn wenn nicht unmöglich, so doch
mindestens unzweckmässig gewesen. Wenn seine Leser
ein römisches Datum nach den angeführten griechischen
berechnen wollten, so konnte dies nicht anders geschehen,
als indem sie in den gangbaren Zeittafeln, die damals
wohl alle auf den Kanon des Eratosthenes zurückgingen,
von den gegebenen Punkten hinauf- oder hinabzählten.
Ob das Ereignis, von welchem Polybius ausging, vor oder
nach seinem Herbstneujahr lag, dies festzustellen werden
die meisten ganz ausser Stande gewesen sein, und wenn
ihre Gelehrsamkeit wirklich so weit reichte, konnte ihnen
doch der Historiker nicht so weitläufige Berechnungen
zumuthen. Folglich haben wir die S^q^ov dtaßaai^g nicht
unter dem Olympiadenjahr zu suchen^ wohin sie nach
genauer chronologischer Bestimmung gehört, sondern
dort, wo die gemeine Tradition, für uns durch Diodor
repräsentirt, sie anzusetzen pflegte, das ist Ol. 75, 1.
00) Phüolog. Anzeiger XIV S. 562.
Die Synchronismen. - 111
Somit war für Polybius, wie Mommsen ganz richtig an-
genoramen hat, das erste Jahr der Republik OL 68, 2.
Wir sahen oben, dass Fabius das erste Jahr des
Tarquinius Superbus als OL 02, 1 bestimmt hatte; zählen
wir hierzu die 25 Jahre, welche der letzte römische König
regirt haben soll, so gelangen wir für das Gonsulat des
Brutus genau auf das Polybianiscbe Jahr, OL 68, 2. Wir
haben hier also schon den zweiten Synchronismus, den
Polybius ohne jede Prüfung aus Fabius abgeschrieben
hat; kommen wir jetzt zu dem dritten entscheidenden.
Das Gonsulat des L. Valerius Potitus und M. Manlius
Capitolinus, welches zwei Jahre vor dem Gallierangrifif
liegt, war nach einer zeitgenössischen Urkunde das
119te Jahr der Republik ^^) Wir haben keinen Grund
anzunehmen, dass der Vater der römischen Geschichte
von dieser ältesten und bestbeglaubigten Jahrzählung ab-
gewichen sei. ^2) Danach fiel ihm die Eroberung Roms
9») Dionys. I 74.
^'^) Die Annahme Matzats S. 219, dass Fabius das Gonsulat,
welches Diodor zwischen 297 und 298 Varr. einlegt, nothwendig
habe tilgen müssen, beruht nur auf der Petitio Principii, er habe
alle Widersprüche, in welche ihn seine Erzählung verwickelte,
bemerkt und ausgeglichen. Sollte er wirklich so hoch über uns
allen gestanden haben? Denn von welchem modernen Historiker
kann man das rühmen? Wer denkt denn über jeden Namen
nach, den er in der trockenen Liste der Fasten findet? Schon
seit Niebuhr wissen wir, dass Diodor unsere vornehmste Quelle
ist, und doch hat es keiner beachtet, welche Folgerungen aus
diesem Gonsulat sich für die Geschichte der Fabier ergaben.
Mommsen selbst, dem wir diese schöne Entdeckung verdanken,
hatte sich schon Jahrzehnte vorher auf das Eingehendste mit den
Fasten Diodors beschäftigt und den Namen des M. Fabius Vibu-
lanus darin gewiss oft genug gelesen, ohne sich etwas Besonderes
dabei zu denken. Warum muss es Fabius Pictor anders gemacht
haben?
112 " Die Synchronismen.
in das 121ste Jahr der Republik, d. h. OL 98, 2, eben
wie sie Polybius ansetzt.
Also jener grundlegende Synchronismus Matzats ist
nicht einem griechischen Zeitgenossen des Galliereinfalls,
sondern einem Römer entnommen, welcher fast zwei-
hundert Jahre nach dem Ereignis lebte; mit anderen
Worten, es ist gar kein wirklicher Synchronismus, son-
dern nur eine späte Berechnung, nicht besser als sie
Matzat oder ich auch anstellen können.
Doch der gleiche Synchronismus findet sich bei Dio-
dor, Justin und leicht modificirt auch bei Dionys wieder, ®*)
lauter Schriftstellern, die aus griechischen Quellen ge-
schöpft haben? Freilich aus griechischen Quellen, doch
unter diesen befand sich bei allen dreien auch Polybius
und nichts hindert anzunehmen, dass ihre Weisheit einzig
auf ihn zurückgeht, nur dass Dionys vielleicht auch
Fabius selbst daneben benutzt hat, was natürlich am
Resultat nichts ändern würde. Für Diodor lässt es sich
sogar nachweisen, dass er sein ganzes chronologisches
System auf polybianischen Synchronismen aufgebaut hat.
Für die Königsliste des Diodor besitzen wir zwei
Quellen, die armenische Uebersetzung des Eusebius und
den Chronographen von 354. Jede für sich bietet die
Zahlen mehr oder weniger corrumpirt, doch aus der
Vergleichung beider ergibt sich mit ziemlicher Sicherheit
die folgende Rechnung:
^^) Es yerlohnt kaum der Mühe anzuführen, dass auch die
in Aegjpten abgefassste Chronik aus der Zeit des Tiberius^
welche bei Jahn, Griechische Bilderchroniken S. 77 abgedruckt
ist, die Eroberung fioms auf dasselbe Jahr setzt. Denn die
Quellen dieser späten Compilation sind gänzlich unbekannt und
nichts steht der Annahme entgegen, dass auch sie mittelbar auf
Polybius zurückgeht.
Die Synchronismen. 113
Romulus 38 Jahre.
Numa Pompilius 41 Jahre.®*)
TuUus Hostilius 32 Jahre.öS)
Ancus Marcius 36 Jahre.®*)
L. Tarquinius Priscus ... 28 Jahre.®')
Servius Tullius 44 Jahre.®®)
L. Tarquinius Superbus . . 25 Jahre.®®)
zusammen . . 244 Jahre. ^^)
Die Gesammtzahl entspricht hier der Varronischen,
ist aber auf ganz anderem Wege erreicht. Denn während
Varro die Fabische üeberUeferung in der Art verändert,
dass er zwei Jahre dem Numa, eines dem Ancus zuzählt
und die kleinen Interregna zusammen als ein Jahr
rechnet (s. unten), gibt Diodor dem Romulus ein Jahr,
dem Ancus dreizehn Jahre mehr und verkürzt dafür den
Tarquinius Priscus um zehn Jahre. Da also diese Form
der Königsliste dem Diodor ganz eigenthümlich ist, haben
wir allen Grund, in ihm selbst den Erfinder zu suchen
w) XLI Eusebius, XVI der Chronograph.
9*) XXXII die sonstige Ueberlieferung, XXII der Chrono-
graph, XXXIII £usebius.
9«) XXXVI der Chronograph, XXXIII Eusebius; die sonstige
Ueberlieferung gibt ihn nur 23 oder 24 Jahre.
^) XXVm der Chronograph, XXXVII Eusebius. Die son-
stige Ueberlieferung rechnet 38 Jahre, doch wenn die Regierung
des Ancus nach dem Zeugnis beider Quellen um dreizehn oder
mindestens um zehn Jahre verlängert war, musste um der Ge-
sammtsumme willen die des Tarquinius entsprechend verkürzt
sein. Auf die Gründe dieser Veränderung komme ich später.
*) XLIV Eusebius und die sonstige Ueberlieferung, XXV
der Chronograph.
^) XXV der Chronograph und die sonstige Ueberlieferung,
XXIV Eusebius.
100) Die Gesammtzahl bei Eusebius.
Seeck, Die Kalendertaftl der Pontifioes. 3
114 Die Synchronismen.
und die Ursache seiner Aenderungen bietet sich uns in
vier Synchronismen, von denen drei nachweislich dem
Polybius angehören und auch der vierte kaum bei die-
sem gefehlt haben kann.
1. Das Polybianische Gründungsjähr ist durch- Euse-
bius (S. 284 Schöne) auch für Diodor beglaubigt.
2. Das erste Jahr der Republik setzte Polybius
Ol. 68, 2. Diodor gelangt mit seinen 244 Jahren auf
dasselbe Datum.
3. Das erste Jahr des Tarquinius Superbus ist nach
Diodors Liste das 220ste der Stadt ; dies führt wenn wir
von Ol. 7, 2 ausgehen, gleichfalls auf das Polybianische
Jahr Ol. 62, 1.
4. Nach der allgemeinen üeberlieferung, die auch
Polybius (VI 2, 10) kennt, war der Korinther Demarat
vor der Tyrannis des Kypselos nach Tarquinii geflohen,
hatte dort geheirathet und den L. Tarquinius gezeugt,
der später den römischen Thron besteigen sollte. Die
Anfange des Kypselos fallen nach der gewöhnlichen
Rechnung, von welcher Diodor kaum erheblich abge-
wichen sein wird, Ol. 31, 2, also in's 97ste Jahr der
Stadt oder in's 18te des Tullus Hostilius. Nahm man
also auch an, dass Demarat gleich im ersten Jahre des
Tyrannen ausgewandert sei und gleich nach der Ankunft
in Tarquinii seine Ehe geschlossen habe, so konnte doch
sein Sohn beim Regierungsantritt des Ancus höchstens
das dreizehnte Jahr erreicht haben und musste, wenn
dieser nur 23 Jahre herrschte, schon als 35jähriger Mann
auf den Thron gelangt sein. Nun wurde aber erzählt,
er habe sich anfangs in seiner Heimath um Aemter bemüht,
um erst nach mehreren gescheiterten Versuchen nach
Rom auszuwandern; hier habe er sich allmählich die
Gunst des Volkes und des Königs erworben und sei dann
lange Jahre der Rathgeber des letzteren gewesen. Da
*
Die Synehromsmen. 115
alles dieses sich mit einer so frühen Thronbesteigung
nicht vereinigen liess, musste Diodor dem Ancus Marcius
einige Jahre zulegen und dann, um die Gesammtsumme
nicht zu alteriren, die Regierung des Tarquinius ent-
sprechend verkürzen.
Aus diesen Beispielen erkennt man deutlich das ganze
Verfahren Diodors. Er hat aus den ersten Büchern des
Polybius alle Synchronismen excerpirt und sie als die
festen Punkte benutzt, nach denen er seine griechische
Jahresliste mit der römischen in's Gleiche brachte. Zu
diesem Zwecke wurden in der letzteren nach Belieben
Jahre getilgt oder zugesetzt, wie ausser dem Königsver-
zeichnis auch die fünf gestrichenen Consulate vor dem.
gallischen Brande und die fünf doppelt gezählten nach
demselben beweisen (S. 77). Besässen wir das sechste
Buch des Polybius, welches natürlich für Diodors Zwecke
den reichsten Stoff gewähren musste, so würden in der
Chronologie des letzteren wahrscheinlich alle Räthsel ge-
löst sein. Wenn aber auch dieses Resultat mit dem vor-
handenen Material nicht zu erreichen ist, so berechtigt
uns doch die Uebereinstimmung von Diodor und Polybius
keineswegs, für das Jahr des Galliereinfalls eine alte
griechische Quelle anzunehmen. Dieser Synchronismus ist
eben um nichts besser beglaubigt, als die Jahre von Tar-
quinius' Thronbesteigung oder Roms Gründung, die doch
gewiss keiner für historisch halten wird. Es bleibt also
nur die Möglichkeit übrig, dass Fabius selbst einem Griechen
seine Jahreszahl entnommen hat, und sieht man die im-
posante Reihe von Synchronismen an, »mit denen Matzat
(S. 151) jenen ersten stützt, so scheint sie fast zur Ge-
wissheit zu werden. Prüfen wir also diese Daten im
Einzelnen.
1) Mit der Sonnenfinsternis des Ennius ist zunächst
nichts anzufangen. Cicero sagt, sie sei ungefähr im
8*
116 Die Synchronismen.
350sten Jahre der Stadt beobachtet worden, doch da die
Zahl hier bis auf ein halbes Jahrhundert abgerundet ist,
so kann man sie auf jedes beliebige Jahr zwischen 340
oder 360 setzen, ja selbst noch etwas früher oder später,
ohne mit den Worten der Quelle in Widerspruch zu
treten.
2) Matzat meint, die Pest, welche die Karthager
Ol. 96, 1 zwang, die Belagerung von Sjrrakus aufzuheben,
sei identisch mit derjenigen, von welcher Livius unter
dem Jahre 355 Varr. berichtet. Dieser schildert die
Seuche folgendermassen: tristem hiemem — gravis pesti-
lensgpie omnibus animalibus aestas excepit. Es handelt
sich also bei ihm in erster Linie um ein |;rosses Vieh-
sterben, das daneben auch die Menschen ergriff. Im kar-
thagischen Heere dagegen wüthete dieselbe Krankheit,
welche schon die Athener, als sie Syrakus belagerten,
decimirt hatte, und ihren Grund findet Diodor in der
sumpfigen Beschaffenheit des Bodens: die Nächte seien
feucht und kalt gewesen, die Tage drückend heiss; aus
diesen Contrasten der Temperatur sei das Uebel ent-
standen. Mithin war dieses ganz an das Local geheftet,
wie auch der Fortgang der Erzählung bestätigt. Von dem
heimgesuchten Heere kehrte ein Theil nach Karthago
zurück, ein anderer zerstreute sich in die sicilischen Städte,
der dritte wurde von Dionys in seine Dienste genommen,
und trotzdem wird mit keinem Worte erwähnt, dass
die Ansteckung auch nur bis in die Mauern von Syrakus
gedrungen wäre. Und wenn die böse Luft der Ana-
posniederungen dennoch über die Meerenge hinaus
gewirkt hätte, wie konnte, was vor Syrakus eine
Menschenpest gewesen war, in Rom zur Viehseuche
werden?
3) Die Nachricht Justins, dass Gesandte derselben
Gallier, welche vorher Rom eingeäschert hätten, mit dem
Die SynchronismeD. 117
Tyrannen Dionys, als er vor Rhegion lag, in Verkehr
getreten seien, hält Matzat selbst (S. 138) nicht ffir »un-
bedingt Tertrauenswärdig.« Sie steht mit Polybius
(n 18, 3), nach dessen Bericht die Eroberer Roms in ihre
Heimath zurückkehrten, in direktem Widerspruch und
muss schon deshalb verworfen werden.
4) Im Sommer 379 v. Chr. litt Karthago an einer
schweren Seuche, und diese will Matzat mit deijenigen
identificiren, welche Livius VI 20 und 21 erzählt. Die
Pest begann in Rom im Jahre 370 Varr. und dauerte
371 noch fort, denn anders kann man den Quellenbericht
unmöglich verstehen. Da die Consuln nach Matzat da-
mals Anfang August des julianischen Jahres antraten, so
kann sie sich über zwei Amtsjahre erstreckt und doch
nur einen Sommer gewährt haben, dieser aber ist nach
seiner eigenen Bestimmung der Sommer des Jahres
SSO V. Chr. Mithin würde die römische Pest ein Jahr
vor die karthagische fallen, während sonst derartige
Seuchen im Osten und Süden zu entstehen und sich erst
später über die nördlicheren und westlicheren Länder zu
verbreiten pflegen.
• 5) Livius berichtet unter dem Jahre 334 Varr. von
der Eroberung Capuas durch die Samniter, Diodor unter
Ol. 89, 4 von der Eroberung Gumaes durch die Cam-
paner; beide sollen nach Matzat (S. 211) denselben Sam-
nitereinfall meinen. Diese Vermuthung steht so sehr in
der Luft, dass sie einer Widerlegung wohl nicht bedarf.
6) Es bleiben die beiden grossen Pesten des Thuky-
dides, welche Matzat in zwei Livianischen wiederfindet
{S. 212). Hiergegen wäre nichts einzuwenden, als dass
die betreffenden Magistratsjahre vor jene grosse Fasten-
interpolation fallen, die jenseits des Jahres 350 Varr. jede
chronologische Bestimmung unmöglich macht. Für die
Synchronismen, welche Matzat S. 260 anführt, gilt das-
118 Die Synehronismen.
selbe; überdies können sie nur für deiqenigen Wertb
habmi, der ohnehin schon überzeugt ist
Also von den sechs »bestätigenden Synchronismenc
Matzats kann der einzige, welcher eine gewisse Wahr»^^
scheinlicfakeit für sich hat, nur auf dnem neckischen
Spiel des Zufalls beruhen, weil er in einer Zeit liegt, für
welche die Mittel einer wiridichen Berechnung ganz fehlen.
Damit wird die Autorität des fabisch-polybianischen An«»
Satzes für den Galliereinfall hinfällig und wir stehen
wieder einem vollständigen Vacuum gegenüber.
VI.
Das Consulat der Ennlanlsclieii
Sonnenflnsternls.
Von der beFuhmten Sonnenfinsternis, welche Matzat
zum Ausgangspunkt seines chronologischen Systems ge-
macht hat, kennen wur wohl das Datum, aber nicht das
Consulat. Denn die Angabe Ciceros »ungefähr im 35Qsten
Jahre der Städte lässt einen Spielraum von mindestens
zehn Jahren nach oben oder unten. Dafür ist uns über-
liefert, dass man von diesem Tage rückwärts die Finsternis,
welche an den nanae Caprotinae beim Tode des Romulu^
eingetreten sein soll, berechnet hat, und dieses bietet
uns auch für die Bestimmung des Jahres einen festen
Anhaltspunkt.
Dag BCittel jener Berechnung hat Matzat (S. 342) i^ der
chaldäischea Finsternisperiode von 223 synodischen Mo-
naten oder 6585 Vs Tagen erkannt, und zmn müssen die
Alten awisohen den beiden gegebenen Daten 17 solcher
Perioden angenommen haben, zusammen 111,951 Tage
oder 306 Jahre 185 Tage julianisch. Diese Entdeckung
kann für die römische Chronologie von epochemachender
Bedeutung werden, nur muss man sie auf etwas anderem
Wege verfolgen, als dies ihr Urheber gethan hat.
120 ^^ Gonsalat der Enmanischen Sonnenfinsternis.
Dass Tarutius, welcher jene Berechnung zuerst an-
stellte, den synodischen Monat mit dem zwölften Theile
des Sonnenjahres verwechselt haben soll, wie Matzat an-
nimmt, heisst einem Manne, der Horoscope stellte und
Finsternisse bestimmte, doch etwas viel zmnuthen. Voll-
ends unmöglich aber ist es, dass er die noncie Caprotinae
des Romulus und die nancte luniae des Ennius nach dem
julianischen Kalender angesetzt habe, der ja zu seiner
Zeit noch gar nicht eingeführt war. Ich glaube, wir
werden mit biesserem Rechte voraussetzen dürfen, dass
der Freund des Varro mit den chronologischen Theorien
der damaligen Alterthumswissenschaft vertraut war, und
wollen daher auf diese gestützt, seme Rechnung zu re-
construiren versuchen.
Dem Romulus schreibt man ein 304tägiges Jahr zu,
in welchem März, Mai, Juni und October je 31 Tage, die
übrigen Monate 30 zählten; dann soll Numa das Jahr
zuerst auf 354, später auf 355 Tage verlängert haben,
lieber den Beginn der Schaltung war man uneins, doch
eine verbreitete Ansicht führte sie auf die Zwölftafel-
gesetzgebung zurück. Danach kann die Zahlenreihe des
Tarutius folgender Massen ausgesehen haben:
Von den nonae Quintües bis pridie hü.
Mart. im Romulischen Jahre . . 175 Tage.^
6 Jahre zu 304 Tagen 1 824 -
24 Jahre zu 354 Tagen 8496 -
236 Jahre zu 355 Tagen 83 780 -
12 Schaltcyclen zu 1465 Tagen ... 17 580 -
Von den hol, Martiae bis zu den nonae
luniae im decemviralen Ja hre . . 96
zusammen . . 111,951 Tage,
das sind genau 17 chaldäische Cyclen.
Das Gonsiilat der Ennianischen Sonnanfiiisteniis. 121
Man wird diese Construktion vielleicht willkührlich
sichelten, weil einige ihrer Ansätze auf Hjrpothese be-
ruhen, doch man bedenke, dass ihre Freiheit sich in sehr
engen Schranken bewegt Die Zahl der Tage zwischen
den nofMe Quitdües und noncie luniae steht fest; die Länge
der Jahre ist durch die Quellen gegebeil; die 304 und
354tägigen dürfen zusammen nicht über 42 betragen,
weil sonst in der Regierung Numas für die Vergrösserung
des Jahres auf 355 Tage kein Raum wäre; die Zeit
zwischen Numas Tode und dem Decemvirat ist bestimmt
und kann nur um so viel 355tägige Jahre überschritten
iTeerden, als die Summe der kürzeren unter 43 bleibt;
die Schaltcyclen finden in der Zwölftafelgesetzgebung eine
Grenze nach oben,^®^) in dem Jahre 350 der Stadt nach
unten, denn über dieses dürfen sie wenigstens nicht all-
zuweit hinausgehen. Hypothetisch ist also nur, dass
Numas zwei Verlängerungen des Romulischen Jahres ge-
rade in das fünfte und in das neunundzwanzigste Jahr
seiner Regierung gelegt sind, d. h. es bleibt nicht mehr
Willkühr übrig, als Tarutius selbst bedurfte, wenn er
mit seiner Rechnung nicht in die Brüche kommen wollte.
Anders zählen, als wir es angenommen haben, konnte er
gar nicht, falls er überhaupt den echten chaldäischen
Gyclus zu Grunde legte, und dass er dies gethan hat,
lässt sich glücklicherweise noch durch eine Gegenprobe
zeigen.
Nach einer zweiten Berechnung, die gleichfalls dem
Tarutius angehört, wurde Romulus während einer Sonnen-
finsternis am 23. Choiak im ersten Jahre der zweiten
Olympiade von der Mutter empfangen imd gründete Rom
am 9. Pharamuth Ol. 6, 3. Die Dauer semer Regierung
^>) Sie beginnen nach dieser Bechnong im Stadtjahr 904,
das ist nach Yarro das zweite Decemyiraljahr.
122' ^^ Coogolat der Ernuanisehen SosuMafingtonug,
wird auf 37 Jahre bestinunt, da aber sein Staat am
21. April entstanden, ^^^) er selbst am 7. Juli gest<»rbeQ
sein soll, kann dies nur 36 Jahre 2 V2 Monate bedeuten.
Denn wie das römische Recht den begonnenen Zeitraum
als voll zu rechnen pflegte, so auch die Ghronistik; es
lässt sich dies zwar erst für Eusebius und Hieronymus
nachweisen, doch folgen sie darin unzweifelhaft ältester
Tradition. Zwischen dem Empfäi^fnis des ersten Königs
imd seinem Tode muss, da beide durch Sonnenfinster-
nisse bezeichnet sind, gleichfs^ls eine runde Zahl chal^
daischer Cyclen liegen, und aus ihnen werde^ wir er*
kennen können, wie sie Tarutius zählte. Freilich können,
wir zu dieser Berechnung einer Hilfshypothese nicht
entbehren.
Romulus soll das 304tägige Jahr eingeführt haben,
doch stand damit noch nicht fest, dass er sich gleich
vom Anfange seiner Regierung an desselben bediente*
Ueber das Jahr, welches fräher geherrscht habe, gab es
keine Ueberlieferung und der Vermuthung war freiester
Spiehraum gelassen. Tarutius konnte annehmen, dass
Romulus vorher, wie die römische Republik bis auf die
lex Aeiliß, nach Jahren von 366V4 Tagen rechnete, was
freilich nicht sehr wahrscheinlich war, aber für ihn noth«
wendig sein konnte, um seine astrologischen Gombinatio-
nen daran zu knüpfen. Jedenfalls lässt sich ein^ Hypo*
1®^) Matzat S. 347 nimmt i&eilich an, Tarutius habe die
Gründung Borne auf einen andern Tag gesetzt, doch dies ist
erstens gegen jede Wahrscheinlichkeit, zweitens gegen das aus-
drückliehe Zeugnis des Solin (p. 9 Mommsen), drittens gegen die
Worte des Cicero selbst, auf die Matzat sich beruft. Denn repetere
kann niemals dasselbe bedeuten wie dimovere; Cicero {urbis etiam
nostrae natakm diem repetebat €ib iis Paril^mSf quibua eam a Bo-^
nmJo eanditam aecepimtU) sagt einfach, Tarutius habe die Natalität
der Stadt von dem Tage jener Parilien abgeleitet, nicht entfernt.
Das GoBinkl der Kwniawinchw SmmeafiiMteniif , 123
tiiese dieser Art unserem Chronologen viel eher zutrauen^
als die unglaublich^i Thorheiten, deren ihn Matzat be«
sehiddigt. Dies vorausgesetzt gelangen wir zu folgenden
Zahlen:
Vom 23. Choiak Ol. 2, 1 bis zum
22. Choiak Ol. 6, 3 = 18 Jahre
zu 365V4 Tagen = 6 575 Tage. »<»)
Vom23.Choiakbiszum 9.Pharamuth «* 106 Tage.
33 Jahre des Romulus zu 366V4
Tagen «12086 Tage.
3 Jahre zu 304 Tagen -= 912 Tage.
Vom 21. April bis zum 7. Juli des
'letzten Romulischen Jahres . . ~ 77 Tage.
zusammen . . 19 756 Tage,
das sind 3 ^ 6585V8 oder drei chaldäische Finsternisf
perioden.
Das Verwunderlichste bei diesen Rechnungen ist,
dass sie so genau auskommen, ^^) und so wenig wie wir
selbst, hat dies Tarutius ohne Hilfshypothesen zu Stande
bringen können. Auf eine derselben haben wir schoki
hingewiesen, doch sehr wahrscheinlich ist sie nicht die
Einsäge gewesen.
Dass uns über den Kalender des Romulus und Numa
keine wirkliche Ueberlieferung erhalten ist, sondern dass
>08) Eigentlich 6574'/» Tag, was Tarutius zu 6575 Tagen ab-
^rundet haben wird.
1®*) Da88 Tarutius die Extrasehalttage nicht mit berechnet
bat, kann man ihm kaum verübeln, da ehe Matasat ihre
Formel feststellte, kein Mensch sie für periodisch wiederkehrend
hielt. Somit war es unmöglich, die Zahl für einen Zeitraum von
352 Jahren zu bestimmen, und unser Astronom musste noth-
gedrungen darauf verzichten, wenn er überhaupt daran gedacht
hat. Vielleicht auch nahm er, wie Cassius Dio an, dass der
£ztrasdialtta||^ durch Ausschaltangen compensirt wotden sei.
124 Dm Consulat der Knniwrischen Sonneafinsternis.
alleSf was die Alten davon berichten, auf Rückschlässen
aus ihrer eigenen Zeit beruht, ist Matzat eben so klar,
wie mir. Auch das zehnmonatliche Jahr der Urzeit
knüpft an rechtliche Institutionen an, welche sich zum
Theil bis auf die classischen Juristen erhalten haben,
doch die Zahl seiner Tage ist hieraus nicht zu erklären.
Hätte man die J^tonate des Romulischen Jahres ent-
sprechend dem späteren römischen Kalender aus ab-
wechselnd 29 und 31 Tagen zusammengesetzt, so wäre
dies eine leicht begreifliche Uebertragung der bekannten
Zustände; auch wenn man sie als reine Mondmonate
gefasst und ihnen demgemäss 29 und 30 Tage gegeben
hätte, liesse sich dies verstehen: die sechs dreissigtägigea
und vier einunddreissigtägigen Monate der Ueberlieferung
dagegen haben weder einen astronomischen noch einen
kalendarischen Anhalt, nach dem sie erfunden sein könnten.
Wir werden wohl kaum irren, wenn wir in ihnen eine
Entdeckung des Tarutius erkennen, wie er ihrer für seine
Berechnung freilich nicht entbehren konnte.
Aehnliches gilt wohl auch von den Jahren des Numa;
das kleinere ist das reine Mondjahr, das grössere das
Gemeinjahr des decemviralen Cyclus. Jedes für sich also
hat den erforderlichen Anhaltspunkt, ihr Wechsel aber
ist so geeignet, Differenzen von einzelnen Ts^en, wie sie
sich bei einer Finstemisbestimmung ergeben mussten, zu
beseitigen, dass Tarutius kaum umhin konnte, ihn zu
erfinden. Wahrscheinlich fand er zwei verschiedene
Theorien vor, von denen die eine das Pompilische Jahr
auf 354, die andere auf 355 Tage ansetzte, und er selbst
combinirte sie beide, wie dies in seinen Kiam passte.
Mit solchen Mittelchen liess sich etwas erreichen,
aber kaum alles. Auch die Zahl der Jahre zwischen den
beiden Sonnenfinsternissen wird einer Correctur bedurft
haben, und auf einer so festen astronomischen Grundlage
Das Oonsulat der Eimianischen Sonnenfinsternis. 125
fassend, konnte unser Gelehrter nicht zögern, sie vorzu-
nehmen. In welcher Form er dies that, lässt sich nicht
mehr bestimmen, wohl aber, auf welches Stadtjahr er
die Ennianische Finsternis setzte. Er rechnete nämlich,
wie wir schon oben gezeigt haben:
Regierung des Romulus . . 36 Jahre 2V2 Monate.
Der Zwischenraum zwischen
den non<ie Quintiles und
luniae — - 9
304tägige Jahre nach Romu-
lus Tode 6 - —
354tägige Jahre des Numa . 24 - —
355tägige Jahre des Numa . 236 - —
Decemviraljahre 48 - —
zusammen . 351 Jahre IV2 Monate. ^^^)
Folglich musste ihm die Sonnenfinsternis auf das
Stadtjahr 352 fallen, was dem Ciceronischen „anno tre-
cewtesimo quinguagesimo fere post Bomam conditam^ vor-
trefiflich entspricht.
Damit haben wir freilich nur die Tarutische Jahres-
zahl, welche mit der des Varro keineswegs identisch war;
vielmehr trat dieser in entschiedene Opposition dagegen.
Den ersten Änlass_ dazu mochte ihm der Widerspruch
bieten, in welchem Tarutius zu der Ueberlieferung stand.
Dieser hatte wahrscheinlich eine ganze Reihe von Jahren
eingeschoben und Varro entdeckte, dass wenn man
dieselben tilge, dennoch zwischen den beiden Finster-
1^^) Zehn Monate müssen nach dem Romulischen Kalender
zu einem Jahre zusammengefasst werden, denn zwischen dem
Ausgangspunkte der Stadtrechnung, dem 21. April, und dem Datum
der Sonnenfinsternis, dem 5. Juni, liegen nicht 11 V^^ sondern nut
1V2 Monate.
126 I^M Gonsulat der BiiolUlischen Sonnenfinsieniis.
Hissen ungefähr 17 chaldäische Gyclen lagen, nur freilich
musste man nicht nach 304 und 35ötägigen Jahren
rechnen, sondern nach julianischen. Dies führte ihn zu
der Hypothese, man habe auch die 10 monatlichen Jahre
des Romulus und ebenso alle folgenden durch ausser-
ordentliche Schaltungen oder Ausschaltungen mit den
»natärlichenc in's Gleiche gebracht, ^^•) und als Beleg
dafür verwies er auf eine Urkunde, die schon lange vor
den Decemvim eines Schaltmonats erwähnte. ^<>^) Damit
entzog er der Rechnung des Tarutius das wichtigste
Fundament, freilich auch sich selbst die Möglichkeit, das
Intervall der Finsternisse nach dem römischen Kalender bis
auf den Tag nachzuweisen; denn die willkührlichen und
gelegentlichen Schaltungen, welche er annahm, schlössen
jede genaue Bestimmung aus. Die Tagzahl zwischen den
beiden Himmelserscheinungen musste ihm trotzdem als
erwiesen gelten, ^^®) denn die Astronomie duldete keine
*^) Censor. de die nat 20, 1 omnüms tatnen fuit prapositum
8U08 civües annos varie intercalandis mensibus ad unum ülum verum
naturalemque corrigere. 11 nam et priores annt, eüamei gui decem-
mestres fuerunt^ nee Bomae modo vel perltdliam, aed et aputgerUea
omneSy quantutn poterat, idem fuerunt correcti. itaque cum de
aliquo annorum numero hie dicetury non alios par erit
quam naturales accipere. Da gleich darauf die Varronischc
Rechnung auseinandergesetzt wird, so ergibt sich aus dieser SteUe,
dass Varro seine Jahre durchaus als „natürliche^ verstanden
wissen wollte. Auch wenn Macrob. Sat. 1 13, 12 behauptet, unter
der Herrschaft des Decemviralkalenders sei der Ueberschuss eines
Tages, welcher sich im Durchschnitt jedes Jahr ergab, durch
Ausschaltung von 24 Tagen in jedem 24sten Jahre ausgeglichen
worden, dürfte dies auf die gleiche Hypothese Varros zurück-
gehen.
^') Macrob. I 13, 81 sed hoc arguit Varro seribendo anU"
quiisimam legem fuisse indsam in eölumna aerea a L. JRmarto et
P. Fwrio consultbus^ cui mewtio intercalaris adseribitur.
*^) Censor. de die nat 21, 5 sed hoc quodcunque oäUginis
Das Coüsukt der Bimunischea Sohnenfinstenus. 127
Widerlegung; da er nun seine Stadtjahre den »natür-
lichenc gleichsetzte, so entsprachen die 111 951 Tage der
siebzehn Perioden für ihn 306 Jahren 6 Monaten und die
Finsternis des Ennius fiel folglich auf das Jahr 343
Varronisch, unter das Gonsulat des M. Papirius Atratinus
und Sp. Nautius Rutilus. Dieses selbe Gonsulat aber
werden imzweifelhaft auch die Annales Maximi genannt
haben, denn in dieser Beziehung an der Ueberlieferung
zu rüttteln, wäre ein Unverstand gewesen, den wir weder
dem Varro noch auch dem Tarutius zutrauen dürfen.
Zwischen den beiden Finsternisdaten mochten sie nach
Bedürfnis Jahre aus- oder einschieben, jene selbst aber
müssen sie als feste Punkte unverrückt bewahrt haben,
wenn ihre Rechnung nicht ganz gegenstandslos werden
sollte.
Das Jahr 343 Varr. war, wie wir später sehen wer-
den, nach der Kalendertafel 340, d. h. die Ennianische
Sonnenfinsternis setzten die Pontifices 303 Jahre weniger
einen Monat nach dem Tode des Romulus an. Das sind
im decemviralen Gyclus, je nachdem man die Schaltjahre
vertheilt, 3786 oder 3787 Monate, also nur mn 4 resp. 5
weniger, als 17 chaldäische Perioden synodische Monate
zählen (3791). Da die Pontifices diese kleine Differenz
leicht aus den Extraschalttagen erklären konnten, deren
Existenz sie natürlich kannten, ohne doch ihre Zahl be-
rechnen zu können, so haben offenbar schon sie bei der
ältesten Redaktion der Stadtchronik das Todesjahr des
Romulus nach der chaldäischenFinsternisperiode bestimmt.
Freilich bedienten sie sich dazu eines viel roheren Ver-
fahrais als später Tarutius: sie setzten einfach den
Vaaro disemsit, et pro cetera 8ua sagadtate nunc diversarum civi-
tatium conferens temporär nunc defectus eorumque intervalla^
retro dinumerans eruü verum Ittcemque astendüj per quam
numerus certu8 non annorum modo sed et dierum perepid poasit.
128 I)ft8 Consulat der Ennianischen Sonnenfinsternis.
synodischen Monat ihrem Kalendermonat im Durchschnitte
gleich, doch da dieser ursprünglich ja als Mondmonat
gemeint war, mochten sie sich dazu für berechtigt halten.
Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Begründer der
römischen Geschichtschreibung von einer Veränderung
des Kalenders durch die zwölf Tafeln gar nichts wussten^
sondern den Schaltmonat, wie Licinius Macer ^^^), schon
auf Romulus zurückführten. Die Angaben der Alten
über die vordecemvirale Zeitrechnung können also nicht
auf historischer Ueberlieferung beruhen, sondern müssen
nothwendig Hypothesen sein, wie wir das S. 71 und 12S
vorausgesetzt haben.
Zwischen den calendae Martiae, welche der Sonnen-
finsternis des Ennius vorangingen, und dem gleichen
Datum des Jahres 564 Varr. lagen nach Matzats untrüg-
lichem Beweise 209 römische Jahre; nach der oben ge-
fundenen Zahl dagegen beträgt das Intervall 221. Die
Differenz von 12 Jahren zu erklären, ist nur durch eine
längere Untersuchung möglich ^^^), die alsbald folgen soll,
doch seien hier zur vorläufigen Orientirung die einzelnen
Posten der Rechnung kurz zusammengestellt.
Ich habe S. 79 gezeigt, dass von den drei Jahres-
reihen, 338—342, 343—347 und 348-350, zwei gefälscht
waren: welche darunter als die echte zu betrachten sei,
konnte ich in jenem Zusammenhange nicht bestimmen,
jetzt aber ist dies möglich geworden. Wenn bei der
Ennianischen Sonnenfinsternis das Tagdatum gut über-
liefert ist — und nach Matzats Untersuchungen kann
man daran nicht mehr zweifeln — , so werden wir das-
selbe wohl auch vom Consulat annehmen dürfen und
damit wäre die Entscheidung für die mittlere Reihe, in
^w) Macrob. Sat I 18, 20.
^^^0 Vgl. die Tabelle am Ende dieses Bändchens.
Das Gonflulat der Ennianiscben SonDenfinstemis. 129
welcher sich dieses befindet, gegeben. Folglich sind
ausser 338 — 342, worauf für uns hier nichts ankommt,
auch die Jahre 348, 349, 350 bei Varro zu streichen.
Die vier Dictatorenjahre sind sämmtlich gefälscht,
von den fünf Jahren der Anarchie nur ein einziges echt.
Damit wären eilf Jahre der Differenz beseitigt, und das
zwölfte ergibt sich aus der Verschiedenheit der Kalender-
und Magistratsjahre.
Im Jahre 343 traten die Consuln am 13. December
an, im Jahre 564 am 15. März. Wir werden in dem
folgenden Abschnitt zeigen, dass dieser Unterschied nicht
durch Vorrücken, sondern durch neunmonatliches Zurück-
schieben des Amtsneujahres entstanden ist und mithin
die Sonnenfinsternis des Ennius zwar in das 209te Ka-
lenderjahr vor 564 Varr., aber in das 210te Amtsjahr
föllt. Da Varro nur nach Gonsulaten zählen konnte,
wäre damit sein Ueberschuss vollständig erklärt und die
Richtigkeit unserer Berechnung erwiesen.
Die Gleichung der nonae Itmiae M. Papirio Atratino
8p, NatUio BtUih consulibm mit dem 21. Juni 400 vor
Christi Geburt ist der sichere Synchronismus, von dem
künftig die römische Chronologie wird ausgehen müssen;
auch die Bestätigung aus der griechischen Geschichte
fehlt ihm nicht, wenn sie gleich nicht in den berühmten
Historikern von Athen und Syrakus, sondern in der Jahr-
tafel eines obscuren Städtleins zu suchen ist. Als die
Römer Veji erobert hatten, so erzählt Diodor XIV 93,
schickten sie aus der Beute einen goldenen Mischkrug
nach Delphi; doch die Gesandtschaft wurde unterwegs
von Liparlschen Seeräubern gefangen und in ihr Insel-
städtchen fortgeführt. Hier verwaltete damals Timasi-
theus die Strategie. Dieser befreite die Gesandten, gab
ihnen das Gold zurück, und das Weihgeschenk fand in
Delphi im Schatzhause der Massalioten semen Platz. Der
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifioes. 9
130 P^ Gonsulat der Ernuamschen Sonnenfinsternis.
Senat erwies sich dankbar, indem er dem Strategen Ge-
schenke sandte und ihn in die römische Gastfreundschaft
aufnahm. Soweit stimmt Diodor mit Livius und Dionys
überein;"^) das Gleiche wird also wohl in allen Annalen
gestanden haben. Doch er fägt noch weiter hinzu, dass
als 137 Jahre spater die Römer Lipara einnahmen, sie
den Nachkommen des Timasitheus volle Abgabenfreiheit
gewährten; davon aber weiss kein anderer Schriftsteller
etwas, obgleich diese langdauemde Dankbarkeit wohl
unter den Ruhmestiteln des römischen Volkes einen Platz
verdiente und von Livius, wenn er sie in seinen Quellen
erwähnt gefunden hätte, gewiss nicht übergangen wäre.
Es ist zudem sehr erklärlich, wie diese Thatsache dem
Fabius, auf den Livius in letzter Linie doch auch zurück-
geht, unbekannt bleiben konnte: er schrieb etwa ein
halbes Jahrhundert nach der Eroberung von Lipara; eine
persönliche Erinnerung an jene unbedeutende Episode
des ersten punischen Krieges besass er nicht, und der
Senatsbeschluss über das Privileg lag in den Acten be-
graben. Wie aber ist Diodor zu seiner Nachricht gelangt?
Lipara war zu seiner Zeit ein von Sicilien aus viel be-
suchter Badeort^ '2) ^nd er selbst war Sikeliote. Wer
seine sehr ausführliche Beschreibung der Stadt und der
umliegenden Inseln liest, wird sich des Eindrucks nicht
erwehren können, dass er hier aus Autopsie spricht, und
die schaueriiche Erzählung von dem Knocheneiland, auf
welchem die Gebeine der durch Verrath ihres Feldherm
verhungerten Söldner bleichten, hat er ofifenbar aus der
"1) Liv. V 28, aus dem Flut. Camül. 8 und Val. Max. I 1
ext. 4 geschöpft haben. Dionys ist uns hier nur durch Appian
(Ital. 8) vertreten.
"*) Diod. V 10 ^tonSQ noKXol roSy xara riqy StxfXiay vno voatay
l&toTQ6ntoy iyo^Xovfityo^ xccTaytaSaty dg avTijy (das ist Lipara), xal
roTg lovTQoTs )[QtS/Lieyot nagado^m t-yseTs jcad-iarayrat.
Das Goiuulat der Ennianischen Sonnenfinsteniis. 131
Localtradition geschöpft (V 11). So wird er auch die
Familie des Timasitheus, welche in dem Inselstädtchen
gewiss die erste Rolle spielte, kennen gelernt haben, und
nur dies persönliche Interesse erklärt es, dass er, der
sonst so sehr verkürzt, die Geschichte des Delphischen
Weihgeschenkes trotz ihrer geringen historischen Bedeu-
tung aufgenommen hat. Aus dem Munde eines Nach-
kommen erfuhr er die Belohnung, welche dieser noch
immer für die That seines Ahnherrn genoss, und der-
selben Quelle verdankt er auch die Jahreszahl,"*) da sie
mit seiner eigenen Rechnung völlig unvereinbar ist. Er
setzt die Einnahme von Veji Ol. 96, 4, die von Lipara
fällt Ol. 132, 2;"*) zwischen beiden müssten nach seiner
Zeitbestimihung 142 Jahre liegen, nicht 137. Die letztere
Zahl beruht also sehr wahrscheinlich auf der liparischen
^*3) Mommsen, Römische Forschungen II S. 377 Anm. 126
will sie zwar auf Fabius zurückführen, doch hätte dieser von der
Steuerfreiheit der liparischen Familie gewusst, so würde sie auch
Livius nicht unbekannt geblieben sein. Ueberdies hat Fabius,
wie wir weiter unten zeigen werden, ganz anders gerechnet. —
Wenn Unger S. 134 die Chronologie des Livius vor derjenigen
Diodors bevorzugt, so entspricht dies eben seinen queUenkritischen
Principien, über die ich mit ihm nicht streiten wiU; wenn[er aber
auf eine Notiz des Orosius hin, die er selbst als „ungenau^ an-
erkennt, die Eroberung Liparas schon in das Jahr 497 setzt,
muss ich dem entschieden widersprechen. Poljbius, der sogar
den verfehlten Versuch auf die Insel vom Jahre 496 getreulich
registrirt, würde einen gelungenen gewiss nicht verschweigen, und
thäte er es doch, so würde sich wenigstens bei Zonaras etwas
davon finden müssen. Das Schweigen dieser beiden Quellen gilt
unbedingt mehr, als der verwirrte Bericht eines in chronologischen
Dingen höchst unzuverlässigen Epitomators.
114) Pol. I 39, 13. Es ist möglich, dass Diodor in Folge
einer andern Gleichung der Consulatsjahre mit den Olympiaden
die Eroberung der Insel ein Jahr später oder früher setzte, doch
kommt darauf hier nichts an, denn fünf Jahre konnte die Diffe-
renz in keinem Falle betragen. Vgl. übrigens Matzat S. 85.
9*
132 I>ftB Goiisulat der Enniftnischen Sonnenfinsternis.
Jahresrechnung, welche wie in allen übrigen griechischen
Städten von der unmittelbaren Himmelsbeobachtung aus-
Jfing und folglich einen ganz sicheren chronologischen
Anhalt gewährt. Zählen wir nun in der Tabelle, welche
ich nach den oben dargelegten Principien aufgestellt und
dem Schlüsse dieses Büchleins angefügt habe, von dem
Varronischen Jahre 358 (= 389/8 v. Chr.), in welchem
Veji fiel, bis auf das Jahr 603 (= 252/1 v. Chr.), in
dem nach Polybius die Römer Lipara eroberten, so er-
gibt sich uns gerade die erforderliche Zahl 137, und
doch fallen die beiden streitigsten Posten der römischen
Fastentafel, Anarchie und Dictatorenjahre, mitten in
diesen Zeitraum. Ich glaube dies genügt, um jeden etwa
noch vorhandenen Zweifel zu beseitigen; dass unsere
Ansätze richtig sind, steht somit fest, und wir haben sie
in den folgenden Abschnitten nicht mehr zu beweisen,
sondern nur noch zu erklären* ^^^)
1^^) Um auch dasjenige nicht zu verschweigen, was unserer
Berechnung entgegenzustehen scheint, soll noch ein Synchronis-
mus wenigstens in der Anmerkung erörtert werden. Liv. X 2, 1
berichtet: eodem anno classis Grraecorum Gleonpno duce Lacedae^
tnonio ad Itdlvae Utora adpuUa Thurias urbem in Sallentinis cepiU
adversus hunc hostem cansul Aemilitis missus proelio uno fugatwm
conpulit in naves* Thuriae redditae veteri cultori, SaJlentinoque
agro pax parta. Diesen Einfall des Cleonymus erzählt Diodor
XX 104—5 unter Ol. 119, 2 = 303 v. Chr., während nach unserer
Tabelle das Oonsulat des Aemilius erst 302/1 Wlt. Da der Dio-
dorische Bericht jedenfalls aus griechischer Quelle stammt, wäre
dies entscheidend, wenn wirklich Aemilius irgend einen Antheil
an jeinen Ereignissen genommen hätte. Dem widerspricht aber
erstens die Triumphaltafel, welche yon keinem Siege des Consuls
etwas weiss, zweitens Diodor, nach dem der Kückzug des Cleo-
nyinüs nicht durch di« Eömer, sondern dur<^h die Umwohner des
angegriffenen Ortes bewirkt wird (ot ftlv dno rf^ x^Q^ ßa^ßagot
ntfydQajudyKg ini^ivto wxroq ij argaTonfdeiqi) '^ endlich erweist sieh
die Litianische Erzähltmg schon dadurch als erfunden, dass sie
Das Gonsulat der Ennianischen Sonnenfinsternis. 133
Thuriae in das Land der Sallentiner versetzt Uebrigens be-
richteten nach Liyius selbst nicht alle römischen Quellen von
diesem Feldzage des Aemilius, so dass die Ueberlieferung nach
jeder Bichtung hin eine mehr. als zweifelhafte ist. Wahrschein-
lich hat ein Annalist, der die Geschichte des Cleonymus aus
Diodors Quelle kannte, durch die Vertreibung desselben die
[Ruhmestitel des römischen Volkes vermehren und den etwas leeren
Kahmen der alten Ueberlieferung reichlicher füllen wollen. Die
Versuchung dazu lag um so näher, als jener ja den Tarentinem
2u Hilfe gezogen war, die sich mit Rom im Kriege befanden.
Auch die Datirung erklärt sich unter dieser Voraussetzung leicht;
denn wenn man rückwärts rechnete und das Dictatorenjahr 453
mitzählte, musste man allerdings mit Ol. 119, 2 auf das Consulat
des Aemilius gelangen. — Den üeberfall des Cleonymus auf das
Patavinische Gebiet wird Livius aus der Localsage seiner Vater-
stadt kennen und die Thatsache an sich mag wohl richtig sein,
doch ihre chronologische Fixirung wird dadurch nicht glaub-
würdiger; denn bekanntlich pflegen Sagen immer ohne Zeit-t
bestimmung aufzutreten, oder wenn sie eine solche enthalten, ist
diese durch gelehrte Combination hinzugefügt. — Um den Syn-
chronismen Ungers irgend eine Bedeutung beizulegen, müsste ich
erst den Beweis haben, dass sie wirklich auf gleichzeitiger Auf-
zeichnung beruhen und nicht von Fabius oder irgend einem andern
£[enner der griechischen Litteratur nach seiner Chronologie ia
die Anualen eingelegt sind.
vn.
Das Amtsjalir.
Mit der Republik zugleich war der Rechtssatz ent-
standen, dass keiner länger als ein Jahr mit der könig-
lichen Gewalt des Imperium über seine Mitbürger gebieten
dürfe. Diese Frist auch nur um einen Tag zu über-
schreiten, hätte dem strengen Formensinne des Römers
als Hochverrath gegolten und nie, so lange verfassungs-
mässige Zustände herrschten, hat es jemand gewagt.
Aber hatte der Consul, wie die Pflicht, innerhalb eines
Jahres ^ein Amt niederzulegen, so auch das Recht, es
bis zum letzten Tage desselben zu behaupten? Zwar
ihn vor der Zeit zur Abdankung zu zwingen, vermochte
keiner ;^^®) wenn er dem Rathe des Senats nicht folgen
wollte, so konnte dieser ihn wohl durch die Tribunen an
jeder Amtshandlung hindern lassen, aber Consul blieb er
doch, bis er selbst sich zurückzog oder seine Frist ablief.
itfi) Das allein beweist die von Fränkel (Studien zur römi-
sehen Geschichte I S. 29) angefahrte Stelle, wenn eine erfundene
Senatsverhandlung überhaupt etwas beweisen kann; übrigens
ergibt es sich auch aus der ganzen Stellung von Magistratur und
Senat.
Das Amtsjahr. 136
Wie aber war diese Frist bemessen? Betrug sie ein
volles Jahr immer oder nur unter gewöhnlichen um-
ständen ; mit andern Worten, wurde die Zeit eines Inter-
regnums dem folgenden Eponymencollegium von seiner
Amtszeit abgezogen oder nicht? Der Grund Niebuhrs,
dass jeder Gonsul optima lege gewählt worden sei, beweist
nichts, denn welches jenes optima lex war, ist ja eben
die Frage. Sie konnte bestimmen, dass der Beamte ein
Jahr überhaupt oder auch dass er ein Jahr nach dem
Abtritt seines Vorgängers in Funktion bleiben dürfe;
beides ist gleich möglich, in diesem Falle aber müssten
die Interregna in Abzug kommen, in jenem nicht. Auch
nach dem zweiten punischen Kriege ist die Wahlformel:
ut qui optima lege facttis $it angewendet worden, und doch
regierten zugestandener Massen damals die von Interreges
bestellten Gonsuln weniger als ein Jahr. Ohne den
Wortlaut der lex zu kennen, vermögen wir die Alter-
native durch sie nicht zu entscheiden; wir dürfen also nicht
vom Princip ausgehen, sondern müssen dieses erst aus
den einzelnen Fällen zu erkennen suchen.
Diejenigen Gonsuln, welche in regelmässiger Weise
bestellt wurden, traten ihr Amt immer an den Kaienden
oder Iden an; daraus folgt, dass ihre Vorgänger es pridie
calendas oder pridie idtis niederlegen mussten. Waren
diese aus einem Interregnum hervorgegangen, so musste
dies entweder so eingerichtet werden, dass es gleichfalls
an demselben Datum des Vorjahres zu Ende ging, oder
die Gonsuln mussten mindestens diejenigen Tage an ihrer
vollen Amtszeit verlieren, welche zwischen den vorher-
gehenden Iden oder Kaienden und ihrem Antritt lagen.
Matzat (S. 155) sieht in dem ersteren die Regel und
mag in einem bestimmten Falle auch Recht haben. Wenn
nämlich die Gonsuln vor der Zeit ihr Amt niederlegen
wollten, so konnte man sie veranlassen, den Tag ihrer
iS% Das AmtBJahr.
formellen Abdankung so zu wählen, dass man mit einem
gewöhnlichen Interregnum von 10 Tagen gerade auf ein
Datum gelangte, welches zum Amtsneujahr geeignet
war.^^'^) Bei dem einzigen Beispiele dieser Art, das uns
bekannt ist,^*^) wird die Dauer des Interregnums nicht
Ton dem folgenden Gonsulate abgezogen, sondern dem
vorhergehenden verkürzten zugezählt, und die neugewähl-
ten Magistrate erhalten so wirklich ein ganzes Jahr. Dies
war aber nur in solchen Ausnahmefällen möglich; die
meisten Interregna dagegen begannen nach dem Ablauf
des Magistratsjahres, d. h. an den Kaienden oder Iden,
und währten gleichwohl nur 10 Tage. Da nun bis zu
dem nächsten entsprechenden Datum mindestens zwölf
vergehen mussten, reichten sie nicht aus, die Zeit zu
füllen. Zur Ausgleichung dieser Differenz nimmt Matzat,
eine Vermuthung Langes ^^®) weiter ausbildend, an, man
habe vor der Bestellung des ersten Zwischenkönigs eine
Frist von zwei oder vier >Vacanztagen« gelassen, inner-
halb deren die Stadt ohne Magistrate blieb. Als einzigen
Zeugen für diese Einrichtung führt er Vopiscus an, doch
glaube ich in seinem Sinne zu handeln, wenn ich die
Autorität dieses unwissenden Menschen, dessen Bücher
von späten Fälschungen wimmeln, ganz aus dem Spiele
^*") Der Consul brauchte, wie Lange richtig bemerkt hat,
nicht gleich nach seiner Wahl anzutreten, sondern konnte vorher
die Amtszeit des letzten Interrex zu Ende gehen lassen. Dass
die Amtsübernahme am Wahltage selbst als Ausnahme galt, er-
gibt sich aus Liv. LK 8, 1 quo creati sunt dtc, eo — sie enim
placuerat patribua — magistratum inierunt.
*^®) Es ist die Abdankung der Consuln von 362, durch
welche das Amtsneujahr auf den ersten Juli verschoben wird;
s. unten.
1^9) Ds did>u8 ineundo consulatui söllemnibus interregnorum
eau$a mutatis, Leipziger Uniyersitätsprogramm 1S82 S. 12.
Das Amisjahr. 1^1
lassfe ^3^) und mich einfach an die innere Wahrscheinlich-
keit seiner Hypothese halte.
Mit den sacralrechtlichen Bedenken Ungers ^^^) wollte
ich schon fertig werden, wenn nicht sehr viel erhel>-
Kchere praktische, ihnen zur Seite ständen. Zu der Zeit,
wo diese Form des Interregnums geherrscht haben soll,
war Rom in nächster Nähe ringsum von Feinden um-
geben; ehe noch der erste »Vacanztag« verging, konnten
sie vor den Mauern stehen, und dem römischen Sinne
galt ein Krieg ohne gesetzlichen Feldherm als undenkbar.
Hier machte sich auch das sacrale Hindernis geltend:
die Anspielen mochten bei der Gesammtheit der Patres
ruhen, doch diese Gesammtheit war nicht im Stande,
sie ordnungsmässig zu befragen ; ein Kampf mit der Zu-
stimmung und unter dem Schutze der Götter war daher
nur möglich unter der Herrschaft eines wirklichen Impe-
rium, mochte dasselbe durch Consuln oder durch einen
Interrex verwaltet werden. Dies war der Grund, warum
die Magistrate sich nicht einmal auf den Albanischen
Berg wagten, ohne einen Präfecten zu ernennen, ne urba
sine imperio foret; und man sollte vier Tage lang die
Stadt jedem plötzlichen Angrifife führerlos preisgegeben
haben, nur um den Consuln nicht eine Woche ihrer
Amtszeit zu rauben?
<20) Die Interpretation, welche Fränkel (S. 28) von Vopisc.
Tac 1, 4 gibt, ist yieUeicht richtig, wodurch der. Hypothese
Matzats selbst diese schwache Stütze entzogen würde; doch
schreibt jener elende Scribent ein so schlechtes Latein und na-
mentlich an dieser Stelle ist sein Ausdruck so dunkel, dass ich
über seine Meinung nicht zu entscheiden wage. Uebrigens
kommt sehr wenig darauf an, wie sich Vopiscus die Interregna
dachte.
121) Unger, die römische Stadtära. Abhandlungen der philos.
phUol. Classe der kgl. bairischen Akademie XV 1879. Interre-
gnum und Amtsjahr. Phüol. lY SuppL 1882 S. 281.
138 ^^ Amtsjahr.
In den Zeiten der Bfirgerkriege schrieben sich frei-
lich die Tribunen das Recht zu, die Bestellung eines
Interrex zu hindern und dadurch solche Vacanzen her-
beizuführen; es fand damals Anerkennung, weil seit der
Unterwerfung ganz Italiens eine unmittelbare Gefahr nicht
mehr drohte. Uebrigens intercedirten sie nicht gegen
die Ernennung des Zwischenkönigs selbst — dies durften
sie gar nicht, weil ihre Macht sich nur gegen Magistrats-
handlungen geltend machen konnte und jenes keine war — ,
sondern sie hinderten das Senatsconsult, durch welches
die Patricier ad interregem prodendum zusammen berufen
wurden. ^^^) Dies war von Wirkung, weil sich die patres
damals schon als gehorsame Diener des Gesammtsenats
fühlten und ohne seine Autorisation keinen Schritt wag-
ten; in früherer Zeit aber war ein Senatsconsult nicht
nur überflüssig, sondern anfangs sogar unmöglich. Denn
nur durch einen Magistrat konnte dasselbe zu Stande
kommen, patricische aber gab es vor dem Antritt des
Interrex nicht und die Tribunen durften den Senat noch
nicht berufen. ^28j ihnen fehlte daher jede Handhabe,
das Interregnum aufzuhalten, und eine Vacanz, ausser
der nothwendigen von wenigen Stunden, konnte auch auf
diesem Wege nicht entstehen. ^^4^ Wurde aber bis auf
^^'^) Ascon. p. 32 Pompeiua gener Scipümis et T, Munatius
tribuntts plebis referri ad senatum de patriciis convocandis, qui in-
terregem proderent, non essent passi.
1^3) Mommsen, Köm. Forschungen I S. 231. Staatsrecht I'
8. 632.
*''^) Gegen das Beispiel Liv. IV 43, 7, das Lange anfuhrt,
verweise ich auf seine eigenen Worte S. 17 : atqui constat eiusmodi
locutümibtts, quae ornandae narrationi tnserviunt, vix ullam fidem
esse hahendamt cum multo prchahüius sit, talia ab annalium scriptO"
ribus recentioribus ieiunae rerum narrationi vetustiori admixta,
quam in pontificum anndlibus narrata esse. Wenn Liv. VI 1 zuerst
Das Amtsjahr. 139
die Wirren der Bürgerkriege herab der Grundsatz fest-
gehalten, dass die Stadt nie einen ganzen Tag lang ohne
einen Inhaber des Imperium bleiben dürfe, und musste
er anfangs aus militärischen Gründen festgehalten wer-
den, so ist damit die Theorie Matzats widerlegt, und es
kann als bewiesen gelten, dass die kürzesten Interregna
von nur zwei Zwischenkönigen den Termin des Amts-
antritts nicht verschoben.
Ueberdies kennen wir eine ganze Anzahl sicherer
Beispiele, dass die Consuln nach einem Interregnum vor
den Kaienden oder Iden ihr Amt übernahmen ^^öj^ In
solchem Falle mussten sie doch jedenfalls einige Tage
von ihrem vollen Jahre verlieren; scheute man sich aber
nicht, dasselbe um zwei oder drei Tage zu verkürzen,
warum nicht auch um 10, 20, 30 Tage? warum nicht
um ein Vierteljahr? Wenn Lange meint, durch einen
Verlust von wenigen Tagen sei die Natur des Jahres-
magistrats nicht alterirt worden (S. 14), so zeigt er damit
nur, dass er eine Rechtsfrage nicht in ihrem streng for-
malen, d. h. echt römischen Sinne aufzufassen versteht.
Hier handelt es sich ja nur darum, wie die optima lex
magistratuum creandorum beschaffen war: gab sie den
Consuln das Recht, immer und unter allen Umständen
ihr Jahr zu erfüllen, oder nicht? Sobald man zugibt,
dass sie auch nur Einen Tag früher abdanken mussten,
so ist das Princip durchbrochen und einer weiteren
die Anklage der zurückgetretenen Militärtribonen und dann erst
den Beginn des Interregnums erzählt, so ergibt sich daraus nicht
einmal, dass er sich die Ereignisse in dieser Folge geschehen
denkt, geschweige denn, das sie wirklich so geschehen sind.
Von zwei gleichzeitigen Vorgängen musste er doch nothwendig
den einen zuerst berichten, und über die Auswahl entschied nur
der innere Zusammenhang. Vgl. Matzat S. 161.
126) Fränkel, Studien zur römischen Geschichte I S. 26.
^4Q ^^ Amtsjiüir.
Verkürzung der Amtsfrist steht juristisch nichts mehr im
Wege.
Damit ist freilich noch nicht gesagt, dass man diese
Gonsequenz auch thatsächlich gezogen hat Die langen
Interregna Hessen sich von den kurzen zwar nicht recht-
Hch, wohl aber praktisch trennen, doch bedarf es des
Beweises; dass dies wirklich geschehen sei. Man meine
nicht ihn geführt zu haben, weil Ungers abenteuerliche
Combinationen widerlegt sind: wer zuviel beweisen will,
ist leicht überwunden, ohne dass darum seine Sache eine
schlechte zu sein braucht. Mit unseren elenden Quellen
lässt sich in keinem einzigen Falle unzweifelhaft darthun,
dass ein Interregnum das Neujahr nicht verschoben
habe ^26^; dies erkenne ich an, doch rührt es mich wenig,
weil die Beweislast gar nicht auf mir, sondern auf Lange
und Matzat ruht. Dass seit dem zweiten punischen
Kriege die Interregna von dem Amtsjahre in Abzug ge-
bracht wurden, wird allseitig zugegeben; dass es zu
irgend einer Zeit anders gewesen sei, ist nirgend über-
liefert; dass es immer rechtlich möglich war, habe ich
*'^) Dazu müsste man, wie Frank el S. 29 ganz richtig ver-
langt, die beiden Antrittstage kennen, welche ein Jahr vor und
ein Jahr nach dem Interregnum liegen, und dies ist niemals der
Fall. Wenn sich in kurzen Zwischenräumen trotz Torgekommen^r
Interregna dasselbe Amtsneujahr wiederholt, so begründet dies
zwar eine grosse Wahrscheinlichkeit, ist aber kein strikter Be-
weis, am wenigsten in den Händen Ungers, der überall, wo ihm
dies passt, Amtsverkürzungen erfindet und seinen Gegnern folg-
lich auch nicht das Becht versagen kann, entsprechende Inter-
regna zu erfinden, die jene wieder ausgleichen. Da er selbst den
Neujahrstag dreimal in 80 Jahren mit rührender Treue auf da«
gleiche Datum zurückkehren lässt, obgleich sich derselbe unter-
dessen in den entlegensten Winkeln des Jahres herumgetneben
hat, so darf er von jenem Argument jedeofallfl keiften Gebr$tncb
machen, und ein anderes gibt es nicht.
Dos Amtsjahr. 141
erwiesen: die Präsumption muss also entschieden auf
meiner Seite sein und es bedarf der Grunde, sie zu
widerlegen, nicht sie zu vertheidigen, es sei denn dass
jenes erst geschehen wäre. Doch bisher hat keiner selbst
nur diese Forderung an sich gestellt, mit Ausnahme
Niebuhrs, dessen einziger Grund so schwach war, dass
nur Lange ihn zu wiederholen wagte. Trotzdem wurde,
was er beweisen sollte, als bewiesen hingenommen; man
begnügte sich, einen ungeschickten Gegner gebührend
zurückzuweisen und sah nicht, dass dadurch noch nicht
das Allergeringste erreicht sei.
Wir haben oben gezeigt, dass für die 209 Kalender-
jahre, welche zwischen den beiden Finsternissen lagen,
wir ebenso viele EponymencoUegien und ausserdem ein
Anarchiejahr besitzen. Hält man dieses, wie ich thue,
für echt, so müssen im Durchschnitt die Amtsjahre etwas
kürzer gewesen sein als die Kalenderjahre; hält man es
für unecht, so müssen beide sich ungefähr gedeckt haben ;
ein Ueberschuss aber, welchen man der Summe der
Interregna zuweisen könnte, kommt in keinem Falle her-
aus. Wenn man also für etwas Unbewiesenes eine
Widerlegung dennoch für nöthig erachtet, so ist dieselbe
im vorigen Abschnitte schon gegeben.
Darin stimme ich Unger zu, dass das römische
Amtsjahr sich stets rückwärts, nie vorwärts bewegt hat,
doch bin ich weit entfernt, die wunderlichen Sprünge,
welche er den Antrittstag fast in jedem Jahrzehnt bald
vom Winter in den Sommer, bald vom Sommer in
den Winter machen lässt, gut zu heissen. Ich meine
vielmehr, dass ein festes Magistratsjahr eigentlich immer
geherrscht hat ^2'), nur dass man den Neujahrstag, wenn
>27) Der 13. December war etwa 50 Jahre Antrittstag, diwp
1. Juli 65 Jahre, der 1. Mai 96 Jahre, der 15. März 70 Jahre; nur
142 ^^ Amtsjahr.
er durch das stete Vorwärtsschieben des Kalenders zu
tief in den Winter gerückt war, wieder auf den Spät-
sommer oder doch den Herbst zurückbrachte, indem man
ein Gonsulat um höchstens ein Fünftel seiner Zeit ver-
kürzte ^^s) Den Grund mochte das Latinerfest bieten,
das immer bald nach dem Antritt der Magistrate gefeiert
werden musste; denn lag der Albanische Berg tief im
Schnee, so war die Zeit dazu wenig geeignet. Das
Amtsjahr wanderte also dem Kalenderjahr entgegen und
verfolgte dabei offenbar den Zweck, die Fehler desselben
einigermassen wieder gut zu machen ^^^), Freilich konnte
man den Neujahrstag nicht so oft zurückschieben, wie es
nöthig gewesen wäre; denn ein Mittel die Consuln zum
Rücktritt zu zwingen besass man nicht, und hätte man es
besessen, man hätte gezögert, es anzuwenden. Gewiss
verzichtete kein Magistrat gern auf sein volles Jahr, und
wer im Senat hätte gewünscht, es durch seine Stimm-
abgabe mit den vornehmen und mächtigen Herrn zu
mit dem 1. October und dem 15. Juli begannen nicht mehr als je
fünf Amtsjahre. Die Gründe dieses schnellen Wechsels werden
wir im folgenden Capitel darlegen. — Matzat S. 194 sagt in
Bezug auf Ungers Hypothese: „Grosse Chronologen sind die
braven Kömer nie gewesen; aber ein Amtsjahr, welches solche
Capriolen machte, zur Jahrzählung zu verwenden, das konnte
doch nur kompletten Narren einfallen.^ Diese Bemerkung ist
sehr richtig, trifft aber, wenngleich in geringerem Masse, auch
seine eigene Theorie. Eine Jahrzählung nach Amtsjahren ist
eben ohne eine gewisse Stetigkeit derselben auf die Dauer un-
möglich; schon dies sollte von der Annahme eines schnell wech-
selnden Antrittstages abgehalten haben.
^^) Ueber die julianischen Daten der Antrittstage vergleiche
man die Tabelle am Schlüsse des Buches.
iW) 209 Kalenderjahre waren gleich 209 Magistratsjahren
plus 9 Monaten und gleich 209 julianischen Jahren plus 8 Monaten ;
das Amtsjahr entspricht also im Durchschnitt fast genau dem
julianischen, was gewiss nicht Zufall ist.
Das Amtsjabr. 143
verderben? Man schritt daher nur sehr selten ein, ver-
kürzte die Gonsulate möglichst wenig — nie mehr als
um 2V2 Monate — , und that auch dies am liebsten bei
solchen Beamten, die ohnehin zur Unzufriedenheit Grund
boten, wie diejenigen, welche den Caudinischen Frieden
geschlossen hatten.
Ehe wir unter diesen Voraussetzungen zur näheren
Bestimmung der Amtsjahre übergehen, müssen wir noch
mit einigen Worten unsere Stellung zu den Quellen fixiren.
Als die beste betrachte ich die Triumphaltafel (s. S. 93),
doch reicht dieselbe leider für unsere Zwecke nicht a\is.
Unter den annahstischen Daten sind zwei Kategorien zu
unterscheiden: diejenigen, von welchen der Tag mit aus-
drücklichen Worten genannt wird, und diejenigen, bei
welchen er sich nur aus dem Zusammenhange der Er-
zählung ergibt. Jene sind durchgängig gut, weil sie,
wenn auch durch noch so viele Mittelglieder, aus der
Pontificalchronik herstammen ^^^); diese sind ausnahmslos
zu verwerfen, weil jene einzige echte Quelle, von der
alle andern abgeleitet sind, eben nicht zusammenhängend
erzählte. Soweit sich daher irgend eine pragmatische
Verknüpfung der Thatsachen zeigt, wie z. B. fast regel-
mässig zwischen den Tribunen- und Gonsulwahlen, muss sie
nothwendig auf junge Fälschung zurückgehen, und wenn
ihre Grundlage gleich hin und wieder eine echte sein
**^) Dies gilt ebenso von einer Reihe anderer Notizen, bei
denen die Daten im Livius zwar fehlen, aber nothwendig in der
Urquelle gestanden haben müssen, wie namentlich von den Inter-
regna und den Verkürzungen des Amtsjahres. Zwar sind auch
hier einzelne Fälschungen vorgekommen (vgl. S. 44), im Ganzen
aber sind die Nachrichten dieser Art nicht nur echt, sondern
auch, soweit Livius erhalten ist, vollständig. Man hat daher
weder das Recht, sie ohne triftige Gründe zu verwerfen, noch
auch, wie Unger und Matzat thun, neue Interregna und Amts-
verkürzungen zu erfinden.
144 Bas Amtsjahr.
mag, gilt dies doch in der Mehrzahl der Fälle nicht,
und wo es gilt, lässt sie sich nicht mehr feststellen ^^^)*
Nach diesem Princip hat Mommsen in seiner Chronologie
alle Schlüsse dieser Art vermieden mit einer einzigen,
durch nichts gerechtfertigten Ausnahme ^^^) ; üngers, Frän-
kels und Langes Deductionen dagegen beruhen ganz
vorzugsweise darauf. Mithin sind diese Gegner für mich
unwiderlegbar; von ihrem Standpunkt aus verfahren sie
181) Wenn z. B. bei Liv. VII 17, 9 der Triumph des ersten
plebejischen Dictators (6. Mai 398) im engsten Zusammenhange
mit den Wahlen für 399 erscheint, so entspricht dies sehr gut
dem Amtsneujahr des 1. Juli. Es kann also auf echter lieber-
lieferung beruhen, doch kann dies Zusammentreffen auch ZufaU
sein. Erzählungen dieser Art habe ich daher selbst nur als Be-
stätigung anzuführen verschmäht; sie beweisen gar nichts, denn
wo aUes von Fälschungen durchsetzt ist, da ist alles auch ohne
besondere Zweifelsgründe anfechtbar.
*32) Livius erzählt unter dem Jahre 404 von der Wahl zweier
patricischer Consuln und fährt dann fort: VII 25, 1 priusquam
inirent navi consules magistratum, triumphus a Fopilio de Gallis
actus magno favore plebis, mussantesque inter se rogitabant, nwm
quem plehei eonsulis paeniteret, aimül dictatorem increpabanty qui
legis Idciniae spretae mercedem consülatum privaia cupidine quam
publica iniuria foediorem cepisset, ut se ipse consulem dictator
crearet. Jener Triumph ist am 17. Februar gefeiert worden, und
wenn wir dem Livius glauben dürften, würde allerdings daraus
folgen, dass das Amtsneujahr damals auf den 1. März fiel; doch
beachte man den Zusammenhang der ganzen Stelle! Sie ist
weiter nichts als eine Reflexion über die patricische Consulwahl,
die ihrem demokratischen Charakter nach wahrscheinlich auf
Licinius Macer zurückgeht und in dieser Form jedenfalls nicht
in den ältesten Annalen gestanden haben kann. Dass sie an den
Triumph des Plebejers anknüpft, ist für ihre Tendenz sehr ge-
schickt, doch eben dieses mindert ihren Quellenwerth auf nichts
herab. 425 wissen wir schon wieder von einem Amtsantritt am
1. Juli; wie soll in zwanzig Jahren der Termin sich um vier
Monate verschoben haben? In dieser Zeit wird nur von zwei
Interregna berichtet, denen noch dazu die Verkürzung eines Con-
Das Amtsjahr. 145
ganz folgerecht^®*), und wer denselben theilt, mag mein
Buch nur gleich aus der Hand legen: ihn werde ich
nicht überzeugen.
343—362 Tarp. 13. Becenri^r.
Dieser ist als Antrittstag für die Jahre 311, 331 und
352 überliefert ^**) und wird folglich auch in der Zwischen-
zeit gegolten haben.
Bulats gegenübersteht. Wir müssen also entweder gegen die^
Ueberlieferung noch eine Eeihe anderer Unregehnässigkeiten ail-
nehmen oder die Nachricht des Livius, oder yiehnehr des Licinias'
Macer, von jenem Märzneujahr verwerfen. Welches von beideiv
kritischer ist, bedarf wohl keines Wortes.
183) Wie schwer es ist, die Nachrichten der Quellen- von
diesem Standpunkte aus zu vereinigen, mag übrigens ein kleine^:
Beispiel zeigen. Liv. V14, 3 schreibt: priore anno intolerandam
htemem prodigiisque divinis similem coortam^ proxumo non pro^'
digia sed iam eventuSj pestilentiam agris urhique inlatam^ und
y 13, 4 tristem hiemem^ sive ex intemperte caeli raptim m>utatione
in contrarium facta sive alia q%M de causa, gravis pestHensque
Omnibus animalibus aestas excepH. Da hier die Pest in den Sommer
verlegt wird und einem andern Jahre angehört haben soll, als
der vorhergehende Winter, so schliesst Unger S. 126, dass der
Jahreswechsel nicht in den Herbst fallen konnte. Er hätte auch
schliessen müssen, dass er in den Frühling fiel, denn wenn die
Vermuthung möglich war, dass der plötzliche Uebergang von
Kälte zu Hitze die Krankheit hervorgebracht habe, so musste ihr
Beginn mit dem der warmen Jahreszeit zusammentreffen. Freilich-
kann er diese Folgerung nicht ziehen, weil die Consulartribunen,
welche in jenem Winter fungirten, nach Liv. V 12, 5 noch zu der
Zeit, als im folgenden Sommer das Korn auf dem Felde stand,
im Amte gewesen sein sollen. Er nimmt deshalb an, dass ihre-
Nachfolger im Juli angetreten seien, womit der rauhe Witttev
und der Anfsmg der Pest denn doch in dasselbe Jahr geratheuv
Um zu diesem befriedigenden Eesultat zu gelangen, sieht er sich
ausserdem gezwungen, eine verfrühte Abdankung der Magistrate
2u erfinden, von der keine Quelle etwas weiss.
»8^) Dion. XI 63; Liv. IV 37, 3; V 9, 3; 11, 11.
S e e c k , Die Kalendertafel der Pontifices. IQ
146 ^^ Amtsjahr.
353-357 Tarr. 1. Oetober.
Die Veränderung des Amtsjahres durch vorzeitigen
Rücktritt der Beamten herbeigeführt. Liv. V 9, 8; 11, 11.
368-362 Varr. 16. JuUI
Auf dieselbe Weise schiebt sich wieder das Neujahr
zurück (Liv, V 17, 3), doch wird für diese Epoche das
Datum nicht angegeben. Da dieses im Jahre 363 auf
den 1. Juli rückt, so muss es in der Zwischenzeit näher
am 1. Oetober liegen. Das Fastenfragment, dessen Da-
tirung zuerst durch Matzat S. 141 richtig bestimmt ist,
lehrt uns, dass die latinischen Ferien im Jahre 359 in
den ersten Tagen eines Monats gefeiert wurden, dessen
Namen mit S begann. Dies ist entweder als September
oder als Sextilis zu ergänzen; folglich kann der Antritts-
tag nur der 15. Juli oder der 1. August oder der
13. August sein. Im nächsten Capitel soll gezeigt wer-
den (S. 157), dass durch die Voraussetzung, es sei der
15. Juli gewesen, sich der schnelle Wechsel des Amts-
jahres am leichtesten erklären lässt.
363-433 Tarr. 1. Juli.
Dieser Tag wird uns in den Jahren 363 und 425
genannt ^^°); von einer Verkürzung des Amtsjahres er-
fahren wir dann erst wieder 433^^®). Dass in der Zwischen-
zeit Veränderungen vorgegangen sind, ist höchst unwahr-
scheinlich, denn wenn das Neujahr nach verschiedenen
Schwankungen unter den 24 möglichen Daten wieder
genau dasjenige aufgesucht hätte, von dem es aus-
gegangen war, wäre dies ein so wunderbarer Zufall, dass
es der stärksten Gründe bedürfte, um ihn glaublich zu
machen. Ein Verrücken des Antrittstages um ein ganzes
Jahr, sei es nach vorwärts, sei es nach rückwärts, ver-
bietet sich durch die Finstemisdaten ; es bliebe also nur
135) Liv. V 32, 1; VIU20, 3.
IM) Liv. IX 7, 12.
Das Amtsjahr. 147
die Möglichkeit, dass ebenso viel Zeit durch Interregna
gewonnen, wie durch verfrühte Abdankungen verloren
sei, und diese ist doch gewiss nicht mehr als -=- eine Mög-
lichkeit. Prüfen wir also die Zeugnisse, ob sie die An-
nahme derselben gebieterisch fordern.
An erster Stelle stehen hier die Triumphaldaten, da
die Capitolinische Tafel vom Jahre 393 an zusammen-
hängend erhalten ist. Man setzt gewöhnlich voraus, die
Triumphe müssten in der Regel auf den Schluss des
Jahres fallen, doch ist diese Annahme nur bei grossen,
in weiter Entfernung geführten Kriegen gerechtfertigt,
welche den grössten Theil eines Consulats ausfüllen
mussten. Die Feldzüge gegen Latiner, Volsker, Aequer,
Etrusker, ja selbst gegen die Samniten, deren Hauptstadt
Bovianum von Rom aus in sieben Tagemärschen bequem
erreichbar war, brauchten nicht mehr als ein paar Mo-
nate zu dauern, ja unter Umständen konnten sie in wenig
Tagen beendet sein. Da nun die Gonsuln ihre Thätigkeit
nach den nothwendigsten Vorbereitungen meist im Felde
begannen und das Neujahr dieser Zeit zuerst in den
Hochsommer, dann in den Herbst fiel, konnten die Siege
oft im Winteranfang, also noch im ersten Drittel des
Amtsjahres, gefeiert werden. Nun finden wir während
dieser Epoche in folgenden Monaten Triumphe ver-
zeichnet:
Juli . .
August .
September
October .
November
1 (394) am 29sten oder 30sten.i8^
6 (394. 411 zwei. 416 zwei).
187^ Von dem Datum ist in der Triumphaltafel folgendes
erbalten: I. . . E. SEXT; dies kann nur sein IUI oder vielleicht
III K. SEXT.
10*
148
J.
Das Amtsjahr*
December •
_
Januar . .
1 (415).
Februar . •
5 (393 zwei. 404. 406. 432).
Scbaltmonat
1 (432).
März . . .
3 (419. 425. 430).
April . . .
—
Mai . . .
4 (396 zwei. 398. 414).
Juni • . .
2 (397. 400).
Wenn im October, November, December und April
keine Triumphe vorkommen, im Januar nur einer, so ist
dies schon S. 95 aus der Jahreszeit erklärt; im Uebrigen
vertheilen sie sich ziemlich gleichmässig über alle Mo-
nate ^^^) mit Ausnahme des Juli und August. In diesen
begegnen wir nur Einem Siege über die mit den Galliern
verbündeten Tiburtiner, doch da deren Stadt kaum einen
•
Tagemarsch von Rom entfernt war, konnte der Krieg
in weniger als einer Woche sein Ende finden ^3^). Sonst
sind diese Monate ganz frei, und dies ist um so auffallen-
der, als sie anfangs dem September und October, später
dem October und November unseres Kalenders entsprachen
und gerade der Herbst am allergeeignetsten zur Beendi-
gung der Feldzüge erscheint. Wenn dagegen der Amts-
antritt auf den ersten Juli fiel, so begreift es sich leicht,
dass unter gewöhnlichen Umständen die Gonsuln vor dem
Ende des August keine Zeit zum Abschluss eines Kriegs-
unteraebmeas fanden. Zugleich liegt hierin auch der
beste Beweis, dass bis zum Jahre 434 sich das Amts-
neujahr nicht verändert hat ; denn kaum war dies geschehen,
*3**) Der Scbaltmonat, welcher sich nur jedes zweite Jahr
wiederholte, musste naturgemäss am wenigsten haben.
*39) Mommsen, Chronologie S. 99 scbliesst also mit Unrecht
aus dem Triumph vom 29. Juli, dass im Jahre 394 der Antritta-
tag nicht mehr am Ersten desselben Monats habe sein können.
Das Amtsjabr. i49
80 beginnen auch die Triumphe im Juli zu erscheinen
(440. 452) und sich im August sogar zu häufen (495,
442. 443. 464), wie dies durch die Jahreszeit geboten war.
Dieser entscheidenden Bestätigung gegenüber, kommen
die gefälschten Berichte des Livius kaum in Betracht ^*°).
Nur eine Notiz verdient angeführt zu werden, weil sidi
die entsprechenden Angaben sonst als richtig erwiesen
haben, dass nämlich die Consuln des Jahres 413 vor der
Zeit ihr Amt niederlegten^*^). Wahrscheinlich ist dies
mit Matzat (S. 175) so zu erklären, dass die Abdankung
unmittelbar vor dem Schlüsse des Jahres stattfand, und
da die Neuwahlen durch den zweiten Interrex gleich nach
dem 1. Juli vorgenommen wurden, keine Verschiebung
des Amtsjahres eintrat. Wenn uns schon 11 Jahre später
"®) ünger hat ein grosses Gewicht darauf gelegt, unter
welchen Consulartribunen Livius das achte, neunte nnd zehnte
Volkstribunat des Licinius und Sextius beginnen lässt. Bei seiner
Stellung zur Ueberlieferung finde ich dies ganz consequent, doch
wie Matzat S. 163 ihm darin folgen kann, gestehe ich nicht zu
begreifen. Er selbst bemerkt sehr richtig, dass wenigstens das
Anfangsjahr jener zehn Volkstribunate „nicht in der Original-
überlieferung gegeben war, sondern' blos durch Rtickrechnung
gefunden ist" Warum aber blos das Anfangsjahr? Wodurch
gelangen denn die übrigen zu einer höheren Autorität? Zu
Livius eigener Zeit ging der Amtsantritt der Tribunen dem der
Consuln kurz vorher; dies überträgt er auch auf die Epoche des
Ständekampfes: als Quellenzeugnis hat es nicht den geringsten
Werth. — lieber das Livianische Amtsneujahr für 404 haben wir
schon 8. 144 Anm. 182 gesprochen. — Wenn Sextius im Jahre 387
Tribun war, 388 das Consulat übernahm, so folgt daraus durchaus
nicht, dass letzteres erst nach dem 10. December, mit welchem
jenes Amt endete, begann. Wir haben S. 25 nachgewiesen, dass
einer Cumulirung patricischer und plebeiischer Magistrate recht-
lich nichts im Wege stand: waarum sollte also der populäre Ge*
setzgeber nicht einige Monate lang zugleich Consul und Volka-
tribun gewesen sein?
«») Liv. VIII 3, 3.
160
Das Amtsjahr.
wieder der alte Neujahrstag ausdrücklich beglaubigt wird,
so schliesst dies wohl jede andere Lösung aus.
434-531 Yarr. 1. MaL
Nach dem Gaudinischen Frieden wurden die Gonsuln
zur Abdankung veranlasst. Liv. IX 7, 12. Dass hier-
durch das Amtsjahr sich verschob, beweist die Gapitoli-
nische Tafel, welche seit 435 mehrere Triumphe im August,
einzelne auch im Juli verzeichnet (s. oben). Der Tag
des neuen Jahresanfangs wird uns freilich nirgend ge-
nannt, ergibt sich aber aus der gleichen Quelle mit
grösster Sicherheit. Die Daten, welche sie verzeichnet,
vertheilen sich folgendermassen über die verschiedenen
Monate :
Mai . . .
—
Juni . . ,
1
(448) den 29sten.
Juli . . ,
2
(440. 452).
August .
. 5
(435. 442. 443 zwei. 464).
September
. 4
(450. 455. 459. 488).
October .
, 5
(445. 449. 450. 488. 496).
November ,
4
(445. 453. 456. 490).
December ,
1
(476).
Januar . .
, 5
(461. 477. 487 zwei. 497).
Februar . .
. 8
(461. 474. 478. 479. 481. 488
zwei. 521).
Schaltmonat
2
(494. 518).
März . .
. 14
(460 zwei. 472. 479. 491. 495.
513 zwei. 519. 521. 523. 529.
531 zwei).
April . .
4
(473. 501. 502. 520). Der späteste
Tag ist der 13te (502).
Also nur in einem Monate fehlen die Triumphe ganz,
im Mai; im Juni findet sich nur Einer und dieser am
letzten Tage. Er ist zudem gefeiert über die Agnaniner
Das Amtsjahr. 151
und Hernicer, deren geringe Entfernung von der Haupt-
stadt ein schnelles Ende des Feldzuges herbeiführen
konnte ^*2)^ Da der 13. April durch das Triumphdatum
des Jahres 502 ausgeschlossen ist, kann es danach wohl
kaum einem Zweifel unterliegen, dass der 1. Mai das
Amtsneujahr war. Auch dieses gilt das ganze Jahrhundert
hindurch, denn in den Daten tritt nur insofern eine Ver-
änderung ein, als die Kriege in immer weiterer Ferne
geführt werden und in Folge dessen auch der Sieges-
einzug immer später wird.
**2) Nach Diodor XX 80 kämpfen die Consuln zuerst mehrere
Monate lang gegen die Samniten und dann gegen die Auagniner
und Hernicer; doch Livius erzählt die Ereignisse in der um-
gekehrten Reihenfolge und die Capitolinischen Fasten zeigen,
dass diesmal die schlechtere Quelle ausnahmsweise besser unter-
richtet ist. Uebrigens liegt es in der Natur der Dinge, dass man
sich, wenn möglich, des nächstgelegenen Feindes entledigt, ehe
man den ferneren angreift. Verlegt man aber den Triumph vom
29. Juni 448 an das Ende des Amtsjahres, um nicht mit Diodor
in Widerspruch zu treten, so muss man es an einer andern Stelle in
noch erhöhtem Masse thun. Zum Jahre 443 berichtet er nämlich
(XX 26), dass die Consuln — richtiger wäre „der Consul", da der
andere nach dem Triumphalverzeichnisse gleichzeitig gegen die
Etrusker focht — in Apulien einfielen, hier die Samniten in einer
zweitägigen Schlacht besiegten, zwei Städte mit Sturm und meh-
rere Andere durch gütliche Verhandlungen einnahmen. Der
Triumph, welcher diese Erfolge feierte, fiel auf den 5. August.
Wäre also damals das Amtsneujahr der 1. Juli oder gar ein
späterer Tag gewesen, so hätten wir, selbst wenn wir von der
Feier des Latinerfestes und allen vorbereitenden Massregeln ganz
absehen wollten, doch nur 35 Tage, innerhalb deren das römische
Heer etwa 80 Meilen marschirt sein und ausserdem zwei Schlach-
ten geschlagen und mehrere Städte erobert haben müsste. Zwischen
den Jahren 443 und 448 liegt aber weder ein Interregnum, noch
sonst irgend eine Störung des Amtsantritts, so dass der Neujahrs-
tag sich nicht verändert haben kann; folglich muss Diodor ent-
weder hier oder dort falsch berichtet sein.
;152 Bas Amtsjuhr.
Diesem Absatz widersprecheo allerdinifs vier Daten,
die alle so gut überliefert sind, dass sie keinen Zweifel
zu dulden scheinen. Das erste Paar bezieht sich auf
das Ja>hr 461. Der Gonsul Lucius Papirius Cursor feierte
.am läten Februar einen Triumph über die Samniten und
dedicirte nach Livius X 46, 7 bald darauf den Tempel .des
Quirinus. Auch der Tag dieser Weihung ist uns durdx
die Kalender bekannt: es war der 27. Juni^*^). Da nun
dem Triumph ein sehr erheblicher Krieg vorhergegangen
war, der nicht weniger als drei Monate gedauert haben
konnte, müsste der Ämtsantritt dieser Epoche zwischen
dem 1. Juli und dem 13. November liegen. Seit dem
Jahre 434 waren nur zwei kurze Interregna (452. 455)
vorgekommen, welche das Amtsjahr entweder gar nicht,
oder doch höchstens je um einen halben Monat ver-
schieben konnten. Die frühesten möglichen Antrittsdaten
wären demnach: 434 — 452 der 1. Juni, 453 — 455 der
13. Juni, 456—461 der 1. Juli, das späteste der 13. No-
vember. Doch in dieser Zeit sind uns folgende Samniter-
triumphe überliefert, denen allen nach den Wohnsitzen
des Feindes zu schliessen, ein mehrmonatlicher Krieg
vorangegangen sein muss: 1. Juli 440, 5. August 443,
13. August 442, 21. August 435, 4. September 459,
24. September 455, 5. October 449, 15. October 445,
29. October 450, 13. November 456. Will man also
nicht an den Angaben der Capitolinischen Tafel rütteln
oder ein ganz unmögliches Hinundherspringen des Amts-
jahres annehmen, so kann man für dasselbe in den an-
gegebenen Monaten gar keinen passenden Anfangstag
finden. Wie nun aus diesem Dilemma sich retten?
Nun, die beiden Daten selbst, von denen wir ausgingen,
**3) A. d. III Kai Julias, was im vorcaesariachen Kalender
nicht, wie Fränkel S. 68 anniuunt, der 298te, sondern der 27ste ist
Das Amtsjahr. ItfS
sind zwar vortrefFIich beglaubigt, aber ihre Reihenfolgie
beruht einzig auf Livius, gewiss keiner unangreifbaren
<3uelle^**). Kehren wir sie also einfach um und setzen
die Wedhung des Quirinustempels vor den Samniter-
feldzug, so verschwindet jedes Bedenken und der erste
Mai ist in seine Rechte wieder eingesetzt.
Aehnlich ist auch die zweite Schwierigkeit zu lösen,
wenn sie gleich, wie ich nicht läugnen will, sehr viel er-
heblicher ist, weil hier nicht nur die Daten, sondern auch
ihre Folge durch die Triumphaltafel gegeben ist. Diese
verzeichnet im Jahre 474 zuerst einen Triumph vom
I.Februar, dann einen zweiten vom 10. Juli ^*^). Danadi
müsste das Neioahr zwischen dem 15. Juli und 13. De-
cember liegen. Bis zum Jahre 461 kann dies jedenfalls
nicht gewesen sein, denn auch der 1. und 13. December
sind durch den Samnitertriumph des 13. Januar ausge-
schlossen. Man könnte also nur ein Vorrücken des An-
trittstages zwischen den Jahren 461 und 474 annehmen,
dem dann schon vier Jahre später ein Rückwärtsschieben
von der gleichen Ausdehnung entsprechen müsste, da
seit 378 das Jahr wieder mit dem 1, Mai beginnt^**).
"<) Livius X 46, 7 aedem Quirini dedicavit; quam in ipsa
dttnicatione votam apud neminem V et e rem au et o rem invenio, neque
Jtercule tarn exiguo tempore perficere potuisset Diese Polemik
zeigt, dass Livius bei irgend einem der aux^ores recentiores die
Behauptung gefunden hatte, Papirius habe den Tempel während
des Samniterkrieges gelobt. Da er bekanntlich gerade die jüng-
sten Annalisten am meisten benutzte, ist es sehr wohl möglich,
dass er den Zusammenhang der Erzählung eben jener schlechten
Quelle entnahm, die er an der angeführten Stelle widerlegt.
Dadurch würde sich die falsche Reihenfolge der Ereignisse leicht
erklären.
145) 'vVir haben diesen in unserer Liste nicht aufgeführt,
weil es ein proconsularischer ist, also an sich keinen Aufschluss
über den Beginn des Amtsjahres geben kann.
M«) Mommsen, Chronologie S. 101.
154 ^*8 Amtsjahr.
Doch diese vollständige und genaue Ausgleichung zweier
rein zufalliger Störungen in der Aemterbesetzung halte
ich für so unwahrscheinlich, dass ich lieber einen Fehler
in der Triumphaltafel annehmen möchte. Vielleicht hat
Verrius Flaccus oder eher noch der Steinmetz, welcher
die Urkunde in die Wand der Regia eingrub, durch die
Ordnung des julianischen Kalenders getäuscht, die Reihen-
folge der Urquelle verändert. Setzen wir aber den Triumph
des 10. Juli vor den des 1. Februar, so fügen sich beide
sehr gut dem Maijahre. Durch dieses Eine Datum lässt
sich jedenfalls die Uebereinstimmung so vieler anderen
nicht widerlegen.
632-600 Varr. 15. März.
Seit 601 1. Januar.
Man sieht aus dieser Aufzählung, wie alle direkt
überlieferten Daten — ~ von den durch Combination ge-
fundenen sehe ich ab — , der 13. December (311. 331.
352), 1. October (353), 1. Juli (363. 425), 15. März (532),
1. Januar (601), ausnahmslos ein Zurückweichen des
Jahresanfangs zeigen, kein einziges die entgegengesetzte
Tendenz verräth. Zudem wird uns nicht weniger als
siebenmal von einer Verkürzung des Amtsjahres berichtet,
nie von einem Vorschieben durch Interregna. Wo bleibt
da die Niebuhrsche Hypothese? Ihre einzige Stütze findet
sie in der sehr zweifelhaften Reihenfolge der Triumphe
von 474. Ich denke also, sie dürfte hiermit für begraben
gelten, oder wenn sie doch noch eine Auferstehung ver-
suchen sollte, hoffe ich wenigstens, dass sie mit besseren
Gründen ausgerüstet erscheint, als dies bisher der Fall war.
VIIL
Der Extrasehalttag.
Die Schaltung der zwölf Tafeln war zu allen Zeiten
bekannt und blieb doch eine stete Quelle von Zweifeln;
denn versuchte man nach ihren Gesetzen den Zwischen-
raum der beiden Sonnenfinsternisse, deren römische
Daten überliefert sind, zu berechnen, so ergab sich ein
Minus von 33 Tagen, das auf keine Weise zu beseitigen
schien. Es ist das unvergängliche Verdienst Matzats
durch die Entdeckung des Extraschalttages zuerst diese
Schwierigkeit überwunden zu haben. So heftig seine
Hypothese von allen Seiten angegriffen ist, bleibt sie
doch nicht minder unerschütterlich als ihre Grundlage,
das Einmaleins. Wenn eine so complicirte Rechnung bis
auf den Tag auskommt, so ist dies Beweis genug; den
Gegnern bleibt kein anderer Ausweg offen, als sich auf
einen höchst wunderbaren Zufall zu berufen ; doch so un-
ausweichlich diese Consequenz ihres Widerspruches ist, hat
bis jetzt noch keiner sie mit dürren Worten anzuerkennen
gewagt. Ihre Gegengründe habe ich zum Theil an anderer
Stelle widerlegt ^*'), doch der gewichtigste ist, soweit mir
^*'^) In einer Recension, die nächstens in Sybels historischer
Zeitschrift erscheinen wird.
156 ^^T^ Extrascbalttag.
bekannt ist, überhaupt noch nicht geltend gemacht wor-
den. Wir werden ihn im Folgenden besprechen und holBfen
den Beweis zu führen, dass er die Schalttheorie Matzats
nur in einem Nebenumstande zu corrigiren zwingt, nicht in
ihren Grundlagen erschüttert.
Matzat nimmt an, man habe vermittelst des Extra-
schalttages anfangs vom Kalenderneujahr den Wochen-
anfang femgehalten, später vom Amtsneujahr. Wozu
diese Veränderung? Irgend ein Grund ist dafür nicht
ersichtlich, und doch handelt es sich hier um eine Regel
des Sacralrechts, das während der Dauer der Republik
wohl erweitert, aber niemals mit Absicht und Bewusst-
sein geändert ist. Trotzdem bleibt es unvermeidlich,
einen solchen Wechsel anzunehmen, weil ohne dies zwi-
schen den beiden Sonnenfinsternissen ein Tag zu wenig
wäre; doch kann derselbe nach den Principien des Sacral-
rechts nicht durch eine gesetzliche Bestimmung, sondern
nur den Römern selbst unbewusst, durch eine Art von
Rechtsirrthum herbeigeführt sein. Prüfen wir, ob bei
unserer Theorie des Amtsjahres sich die Möglichkeit eines
solchen darbietet.
Wir sahen, dass das Amtsjahr zu allen Zeiten in
dem gleichen -Sinne ein festes war, wie nach 532 Varr.;
d. h. es war nicht gesetzlich fixirt und konnte, wenn
man das für nöthig hielt, zurückgeschoben werden, doch
geschah dies nur äusserst selten und in langen Zwischen-
räumen. So hatte auch der 13. December seit dem
Decemvirat als Antrittstag gedient, ehe man im Jahre 353
das Neujahr auf den ersten Octöber versetzte. Wahr-
scheinlich hatte dieses hier denselben Zweck, wie später,
nämlich den Magistratswechsel aus dem Winter, in wel-
chen er allmählig vorgerückt war, wieder auf die gute
Jahreszeit zu bringen, und gewiss wird man die Absicht
gehabt haben, den neuen Jahresanfang dauernd festzu-
D«r Extraschaltta^. 157
halten. Trotzdem tritt schon nach fünf Jahren eine neue
Verkürzung des Amtsjahres ein, der fünf Jahre spatw
eine zweite folgt. Uns ist kein drittes Beispiel bekannt,
dass der Antrittstag so schnell verändert worden wäre,
und irgend welche aussergewöhnhchen Gründe werden
wir jedenfalls dafür annehmen müssen.
Ais der erste Oetober aufhörte Neujahrstag zu sein,
fiel er gerade auf den Nundinalbuchstaben A^^% Für
den Antrittstag der folgenden fünf Jahre (368 — 362)
sind, wie wir S. 146 gezeigt haben, nur drei Daten mög-
lich, der 15. Juli, der 1. und 13. August. Von diesen
trifft das erste im Jahre 363 gleichfalls auf den Wochen-
anfang ^*®), und wieder kommt man dem durch eine
Veränderung des Amtsjahres zuvor. Es ist danach wohl
klar, dass kurz vor 358 Varr. man angefangen haben
muss, die Tage mit Ä nicht nur für das Ealendemeujahr,
sondern auch für den Amtsantritt zu vermeiden, und da
der Extraschalttag nach dem Gesetze nur für den ersten
dieser Zwecke verwendbar war, zu verfrühten Abdan-
kungen seine Zuflucht nahm.
Auch im Jahre 365 war der erste Oetober auf A
gefallen, ohne dass deshalb eine Aenderung des Amts-
jahres eingetreten wäre; doch damals war eine schwere
Seuche, die Vieh und Menschen decimirt hatte, gefolgt ^^®).
Wahrscheinlich hat die Priesterschaft in dem ominösen
Buchstaben die Ursache der Calamität gefunden und ein
1^} Das Kalenderjahr 358 entsprieht dem Jahre 389 y. Chr.,.
dessen erster März den Buchstaben H trägt. Zwischen diesem
Datum und dem ersten Oetober liegen 209 Tage oder 26 Wochen
und ein Tag.
"») Der 15. Juli liegt 16 Wochen 6 Tage nach dem ersten
März, der 363^ Varr. :» 384 y. Chr. den Buchstaben C aufweist.
*») Liy. V 13, 4; Dion. XII 9.
158 I>or Extraschalttag.
Gesetz veranlasst, durch welches derselbe auch für das
Amtsneujahr verpönt wurde.
Im Jahre 363 war man mit dem Beginne des Ma-
gistratsjahres auf den ersten Juli gelangt, der von dem
ersten März durch fünfzehn volle Wochen getrennt, den
Nundinalbuchstaben immer mit ihm gemein hatte. So
wurde es möglich, durch dieselbe Schaltung Kalender-
und Amtsneujahr von jener bösen Vorbedeutung rein zu
erhalten und das letztere zwei Menschenalter hindurch
unverändert zu bewahren. Eine so lange Zeit genügte,
um die ursprüngliche Bedeutung des Extraschalttages
vergessen zu machen. Man wusste, dass durch ihn bis-
her der erste Juli vor dem Zusammentreffen mit dem
Wochentage A bewahrt worden war und mochte dies
für seinen eigentlichen Zweck halten. Fanden sich aber
dennoch unter den Pontifices einzelne, die besser unter-
richtet waren, so hatte man allen Grund, ihre Inter-
pretation des zweifelhaften Schaltrechtes zu verwerfen.
Denn als durch die Gaudinische Gapitulation die Gönsuln
von 433 zur vorzeitigen Abdankung gezwungen wurden,
war das Amtsneujahr auf den ersten Mai gefallen, welcher
nicht mit dem ersten März auf den gleichen Wochentag
traf. Entweder hätte man also noch einen zweiten Extra-
schalttag schaffen müssen, um das Zusammenfallen beider
Neujahrstage mit dem Nundinalbuchstaben A zu verhin-
dern, oder man setzte sich denselben Schwankungen des
Magistratsjahres aus, wie sie zwischen 355 und 363 ein-
getreten waren. Beides wünschte man zu vermeiden und
übertrug deshalb durch einen vielleicht nicht ganz ab-
sichtslosen Rechtsirrthum dasjenige auf das Amtsneujahr,
was anfangs nur für das Kalenderneujahr, dann mehr als
ein halbes Jahrhundert für alle beide gegolten hatte.
Diese Hypothese beseitigt die sacralrechtliche Schwie-
rigkeit und ergibt zugleich ganz dieselbe Zahl von Extra-
Der Extraschalttaf . 159
Schalttagen, wie sie Matzat gefunden hatte. Bis zu der
Zeit, wo der Amtsantritt auf den ersten Mai verlegt
wird, bleiben die Jahre der ausserordentlichen Schaltung
dieselben: 345, 351, 358, 368, 371, 378, 392, 395, 402,
412, 415, 423« Im ersten Jahre des neuen Cyclus (434)
ist der Nundinalbuchstabe des ersten März (?, des ersten
Mai, der sieben Wochen und vier Tage später liegt,
folglich C. Dieses Jahr hatte 378 Tage oder 47 Wochen
2 Tage, mithin war der erste Mai 435 J5?, 436 ff. Hier
wird zum ersten Male der Extraschalttag nöthig und
setzt sich dann periodisch fort: 436, 447, 450, 458, 468,
471, 478, 488, 491, 498, 508, 511, 518, 528, 531 1").
Wo der fünfzehnte März Neujahrstag wird (532), tritt
dann wieder Matzats Tabelle in ihr Recht; sie zeigt die
folgenden ausserordentlichen Schaltjahre: 533, 540, 543,
550, 560, 563. Wir erhalten also genau die 33 Tage,
welche zur Ergänzung der Zahl zwischen den beiden
Sonnenfinsternissen erforderlich waren.
Ich halte es für keine unwichtige Bestätigung der
Hypothese, welche im vorhergehenden Gapitel dargelegt
ist, dass mit ihrer Hilfe Matzats Schalttheorie von dem
letzten inneren Widerspruche gereinigt wird. Denn mit
der Annahme eines schnell wechselnden Amtsjahres ist
«ie nicht vereinbar. Blieb der erste Juli nicht so lange
Antrittstag, dass die Rechtstradition über den Extra-
schalttag erlöschen oder doch zweifelhaft werdenkonnte ^^^j^
^^*) Die Schaltung im Jahre 531 ist ein weiterer Beweis da-
für, dass der Kalender lange Zeit vor dem Jahresschluss unwider-
ruflich festgestellt wurde. Denn sobald man wusste, dass die
Consuln vor dem ersten Mai abdanken würden, war der Extra-
Bchalttag überflüssig geworden, und gewiss hätte man ihn nicht
eingelegt, wenn die einmal aufgestellte Ealendertafel irgend eine
nachträgliche Aenderung gestattet hätte.
*^*') Statt des ersten Juli könnte man allenfalls noch an den
ISO Der Extraschalttaer.
SO müssen wir entweder eine gesetzliche Aenderung des
Saeralrechts zageben oder Matzats Rechnung kommt
mcht aus. Das erstere ist in Rom unmöglich, das zweite
wurde uns in dasselbe Dunkel zurückwerfen, in welchem
wir vor dem Erscheinen der »römischen XIhronologiec
herumtappten.
dreizehnten September oder ersten November denken, denn diese
sind die einzigen Kaienden und Iden des decemviralen Jahres^
deren Nundinalbuchstabe mit dem des ersten Juli und ersten
März identisch ist; doch keines jener beiden Daten ist uns als
Antrittstag überliefert. Es ist übrigens wohl kaum zufällig, dass
uns der erste März selbst, als Amtsneujahr nirgend durch eine gute
Quelle beglaubigt wird. Wahrscheinlich wollte man den Beginn
des Magistratsjahres ebenso wenig auf den kalendarischen Jahres-
anfang, wie auf den Wochenanfang fallen lassen.
IX.
Die OrOndungsaera.
Ale Polybius in Rom jene Studien machte, aus denen
die römische Urgeschichte im sechsten Buche seines
Werkes hervorgehen sollte, fand er in seinen Quellen
über das Gründungsjahr der Stadt bereits die mannich-
fachsten Differenzen. Mit dem historischen Tacte, der
ihn auszeichnet, entschied er sich für die Autorität der
officiellen Jahreszahl, wie sie ihm die Kalendertafel im
Hause des Pontifex maximus darbot, und mit Ihr zurück-
rechnend fand er als erstes Jahr der Stadt Ol. 7, 3^^^)-
Da Varro die Gründung Ol. 6, 3 ansetzte, muss die
pontificäle Jahreszahl immer um drei Jahre hinter der
seinigen zurückgeblieben sein, und sein Jahr 454 bezeich-
iflfS) üionys. I 74. Dass Polybius sich selbst ein ganzes
chronologisclies System geschaffen habe, entbehrt jedes Beweises.
Vollständige Fasten der Siteren Zeit fanden in «einem Werke
keinen Platz wud er kam dilier gar xdeht in die La@e zu
prüfen, vie semß Einzektnsätze «ich mit einander yertrügei».
Diese entnahm er einfach seinen Quellen und sie stehen daher
auch, wie wir S. 105 gezeigt haben, mitunter im schreiendsten
Widerspruche.
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifices. 21
162 I^i® Qründungsaera.
nete sie folglich mit 451. Untersuchen wir, wie der
Kalender zu dieser Zahl gelangt sein kann, wobei wir
dem Range der Quelle gemäss überall voraussetzen
werden, dass sie der ältesten sonst nachweislichen Ueber-
lieferung folgte.
Die Eönigszeit berechnete Fabius auf 240 Jahre
(s. S. 105); ein älterer Ansatz derselben ist uns nicht be-
kannt. Das Gonsulat des L. Valerius Potitus und T. Man-
lius Gapitolinus 362 Varr. bezeichnete eine gleichzeitige
Urkunde als das 119te Jahr der Republik ^^). Nehmen
wir an, die Pontifices hätten ebenso gezählt — und ehe
es bündig widerlegt wird, sind wh: zu dieser Annahme
berechtigt — , so finden wir, dass sie vom 120sten Jahre
der Republik an genau mit den Capitolinischen Fasten
übereingestimmt haben müssen. Es ergeben sich näm-
lich danach bis zum Jahre 454 Varr. die folgenden Ziffern:
Eönigszeit 240 Jahre.
EponymencoUegien bis zum Jahre
362 Varr 119
EponymencoUegien vom 363 Varr.
bis 454 Varr 83
Jahre der Anarchie 5
Dictatorenjahre 4
zusammen . . 451 Jahre.
Zu Polybius' Zeit sind also diejenigen Jahre, welche
wir S. 128 durch den Synchronismus der Ennianischen
Sonnenfinsternis als gefälscht erwiesen haben, von den
Pontifices jedenfalls mitgezählt worden.
Das Tempelchen des Cn. Flavius trug, wie S. 22
gezeigt ist, die doppelte Datirung P. Sulpicio P. Sempronio
«0 Dion. 1. 1.
Die Grandungsaera. Igg
consuUbus d. h. 450 Varr. und anno CCIIII post aedem
Capüolinam dedicatam^^^). Diese Zahl kann sich nur aus
den folgenden Posten zusammensetzen:
EponymencoUegien bis zum Jahre
362 Varr 119
Eponymencollegien von 363 Varr.
bis 460 Varr 80
Jahre der Anarchie 5
zusammen ^ . 204 Jahre.
Hier finden wir die Anarchie ganz gleich, wie im
späteren Pontificalkalender, doch fehlen die drei Dictatoren-
jahre (421. 430. 445 Varr.), welche dieser vor die Aedi-
lität des Flavius setzte. Daraus folgt, dass jene schon
vor dem Jahre 450 in der officiellen Rechnung fünfjährig
gezählt wurde, diese dagegen erst später eingelegt sind.
Den Grund dieser Interpolationen finde ich in der
uralten Saecularrechnung, welche Mommsen zuerst chro-
nologisch verwerthet, Matzat scharfsinnig auf das Mond-
jahr zurückgeführt hat. Die Epochenjahre derselben sind
nach Varronischer Zählung 292, 391, 491. Hier liegen
zwischen dem zweiten und dritten hundert, zwischen dem
ersten und zweiten nur neunundneunzig Jahre, doch in
^^^) Dass unter dem Dedicationsjahr des Capitolinischen
Tempels das erste Jahr der Bepublik zu verstehen ist, ergibt
allein schon die Analogie der Jahreszahl, welche uns bei Dionjs
I 74 aus den censorischen Registern überliefert ist. Wir er-
kennen aus ihr, dass eine Aera der Republik im officiellen Ge-
brauche war, und werden auch die Datirung des Flavius auf sie
beziehen müssen, wenngleich ihr Wortlaut ein etwas anderer ist.
Die Meinung des Dionys und Tacitus, der Capitolinische Tempel
sei erst im dritten Jahre der Republik dedicirt worden, beruht
eben nur auf unserer Inschrift, wie Matzat sehr schön dargethaa
hat (S. 272).
11*
li^ Die GrooiduDgaaera.
der PontiScalcbronik wird dies anders gewesen sm, da
sie bis 362 Varr, 119 EponymencoUegien zählte, also
Eines mehr als Varro. Nehmen wir an, das$ sie dieses
nach 292 angesetzt habe, so erhalten wir auch für das
erste Intervall die erforderliche Zahl, und zwar müssen
die Pontificee die Saecularjahre mit den Ziffern 288, 388,
488 bezeichnet haben ^^% Die Jahrhunderte werden aber
hier nur voll, sofern wir in dem ersten die fünfjährige
Anarchie, in dem zweiten die vier Dictatoraijahre mit-
zählen, worau» sich der Zweck derselben ohne Weiteres
ergibt.
Beseitigen wir nämlich diese Fälschungen, so erhalten
wir in jedem Saeculnm 96 Jahre oder 24 Schaltcyclen,
dajs sind 24 x (12 + 13 + 12 + 13) oder hundertmal
zwölf Monate. Die Pontifices berechneten ihre Jahr-
hunderte also nicht, wie Matzat will, nach reinen Mond^-
jahren, sondern einfach nach zwölfmonatlichen Jahren
ohne Schaltungi welche wahrscheinlich für Mondjahre
gelten sollten, so sehr sie in Wirklichkeit davon ver-
schieden waren. Dies Verfahren ist freilich unglaublich
roh, doch Aehnlicbes sind wir bei den römischen Kalender-
machern ja längst gewohnt (vgl. S, 127), und in diesem
speciellen Falle finden sie noch dazu eine Entschuldigung
in der unlösbaren Aufgabe, die ihnen gestellt war. Das
Saeculum sollte sich an das altgeheiligte Mondjahr an-
schliessen, zugleich aber immer mit dem 13. September
beginnen, der an die Mondphasen nicht gebunden
war. Beides liess sich nur durch die Fiktion vereinigen.
1^^) Die erste \Zi££BT bleibt hinter der Varronischeii um
4 Jahre zurück, weil die Poatifice3 die Kömgazeit mit 240, Varro
mit 244 Jahren ansetzten. Bei der zweiten und dritten hat sich
dann die Differenz durch das Eine Jahr, welches die älteste
Ueberlieferung vor dem gallischen Brande mehr zählte, auf 3
Termindert.
Die Ornndongsaera. ]^g5
dass jeder Monat ein Mondmonat sei, ganz gleich ob er
24 oder 31 Tage zählte, und da dies der einzige Weg
war, um mit dem ersten Tage des hundert und ersten
Jahres immer wieder auf das gleiche Datum zu kommen,
mussten ihn die Pontifices nothgedrungen einschlagen.
Diese Saecularrechnung beherrscht die ganze Chro*
nologie der römischen Stadtchronik, solange deren Führung
in den Händen der Patricier liegt, doch wird in jedem
Jahrhundert ein etwas anderes Verfahren damit ein-
geschlagen. Zuerst begegnet sie uns bei jenem un-
bekannten Pontifex, der nach dem gallischen Brande die
Annalen restituirte. Er rechnete von Gründung der
Stadt bis zur ersten CapitoHnischen Nagelschlagung
288 Jahre, das ist genau 3 x 96; davon fielen auf die
Königszeit 240 « 2V2 x 96, auf die Republik V2 x 96
oder 48. Die Dauer der verflossenen Saecula wurde
also nach Quasimondjahren berechnet, aber nach den
gewöhnlichen Kalenderjahren bezeichnet. Anders im
Jahre 391 Varr. Damals wollte der Pontifex maximus,
dass, was in sacralem Sinne ein Jahrhundert war, es auch
in kalendarischem werde; dem Publikum sollte ad oculos
demonstrirt werden, dass seit der letzten Nagelschlagung
wirklich ein volles Saeculum verflossen sei, und deshalb
wurde in der Numerirung der jährlich wechselnden
Kalendertafeln, nachdem man sie zuerst richtig von 1 bis 96
durchgezählt hatte, plötzlich auf 101 übergesprungen.
Die Lücke in den Fasten, welche sich dadurch ergab,
wurde dann durch entsprechende Verlängerung der An-
archie ausgefüllt. Aehnlich verfuhr man im Jahre 491
Varr., nur dass man in dem vorhergehenden Jahrhundert
keine Anarchie besass, die der Interpolation eine so be-
queme Handhabe darbot; man konstruirte daher aus vier
Dictaturen Jahresämter und ersetzte so die vier fehlenden
Eponymencollegien. Daher kommt es auch, dass Gn*
166 I^i® Grondongsaera.
riavius, welcher vor der dritten Gapitolinischen Nagel-
schlagung lebte, wohl die erste Fälschung, aber nicht
die zweite kennt.
Man hat die hischrift des Flavius als Beweis
dafür angeführt, dass die Anarchie wirklich fünf Jahre
gedauert habe; ebensogut könnte man schliessen, weil
ich jetzt 1884 nach Christi Geburt datire, dass Christus
thatsächlich vor 1884 Jahren geboren sei oder dass we-
nigstens ich dies glaube. Man braucht eben die übliche
Jahreszahl, weil eine andere Datirung von keinem ver-
standen werden würde, und kümmert sich wenig darum,
ob sie richtig ist oder nicht. So musste auch Flavius
der Zählung der Pontifices folgen, auch wenn er sie für
falsch hielt, weil sie die officielle und allgemein verständ-
liche war. In einer ganz andern Lage ist der Historiker,
welcher seine Rechnung den Lesern erklären kann; er
darf seinen gelehrten Theorien die Zügel schiessen
lassen, und es ist dann wohl möglich, dass sie auch
officiell recipirt werden, wie dies in Rom geschehen ist
(S. 168). Doch in Folge davon kam auch die Jahr-
zählung in's Schwanken und wurde zuletzt für ihre
Zwecke so unbrauchbar, dass man sie in Urkunden ganz
und gar bei Seite warf und sich mit der Jahrnennung
allein begnügte.
Einzelne Annalisten nahmen neben der saecularen
auch eine halbsaeculare Nagelschlagung an, wie der dfc-
t<xtor clavi figendi causa des Jahres 441 Varr. bei Livius
IX 28, 6 zeigt. Freilich erklärten andere Quellen den-
selben für rei gerundae causa ernannt und diesen schliessen
sich die Capitolinischen Fasten an; die Beglaubigung dieser
Theorie ist also sehr mangelhaft, und auch der Umstand,
dass nach der Pontificalchronik die erste Nagelschlagung
gerade 48 Jahre nach Dedication des Capitolinischen
Die Qrundimgsaera. 167
Tempels fallt, würde nur dann beweisend sein, wenn
diese Zahl nicht fictiv wäre. Denn da die Pontifices
nach dem gallischen Brande die gesammte Chrondlogie
der Urzeit nach dem 96jährigen Saeculum ordneten, so
konnten sie einen Hauptabschnitt, wie die Gründung der
Republik, sehr gut gerade in die Mitte dieses Zeitraums
legen, auch ohne dass er nach ihrer Ansicht etwas mit
der Nagelschlagung zu thun hatte. Die endgültige Wider-
legung gewährt aber die Jahreszahl des Flavius; denn da
diese nach dem Abschluss des Halbjahrhunderts liegt,
müsste sie auch die zwei Dictatorenjahre rechnen, welche
zu dessen Gomplettirung dienten. Da sie dies nicht thut,
so können diese Fülljahre nur alle vier zugleich bei dem
Ablauf des ganzen Saeculums eingelegt worden sein,
wodurch die 50 oder vielmehr 48jährige Ceremonie aus-
geschlossen ist.
Mit dem Jahre 491 Varronisch, 488 pontifical endet
die Gapitolinische Nagelschlagung. Mommsen und Matzat
haben dies mit dem Aufhören der Dictatur in Zusammenhang
gebracht, doch gesetzlich war sie ja nie abgeschafft worden
und constitutionelle Bedenken konnten sich gegen einen
dictator clavi figmdi causa ebensowenig regen, wie gegen
den rex sacrificulus. Der Grund liegt vielmehr darin,
dass die alte Saecularreehnung durch eine neue verdrängt
wurde. Der erste plebejische Oberpontifex Ti. Coruncanius
ist auf diesem Gebiete epochemachend gewesen. Er
wusste ohne Zweifel, dass man die letzten Jahrhunderte
durch Einschiebung von Fülljahren complettirt habe;
wahrscheinlich setzte er voraus, dass dies zu allen Zeiten
die üebung gewesen sei. Dann aber konnte das neue
Saeculum nicht mit dem Jahre 488 der pontificalen
Rechnung beginnen, sondern nur mit 501. Denn dass
das Jahrhundert thatsächlich nur 96 Jahre enthielt, kam
nicht in Betracht, sobald dieselben regelmässig auch im
168 I)i« Grendungtaera.
Kalender als hundert gezählt wurden. Gewisse Prodigien
und ein sibyllinisches Orakel kamen hinzu, um diese Auf-
fassung zur herrschenden zu machen; daran knüpfen die
Terentinischen Spiele an.
Das Datum derselben ist nicht überliefert, doch wird
es wahrscheinlich der 13. September geblieben sein.
Dass die Amtsjahre im Durchschnitt etwas kürzer ge^
wesen waren, als die Kalenderjahre, wird Goruncanius
gewusst haben; er begann deshalb das Stadtjahr 501 mit
dem 2L April des Amtsjahres 501, an dessen letztes
Ende derselbe fiel, und kam folglieh mit der Feier selbst
auf den 13. September des Amtsjahres 502 pontifical,
505 Varronisch, unter dem uns die Saecularspiel« be*
richtet werden. Die Nagelschlagung mochte man damals
nicht wiederholen, weil sie erst 14 Jahre vorher statt*
gefunden hatte; man feierte daher das Fest in den
neuen Formen, welche die sibyllinischen Bücher vorschrie-
ben« Diese sind dann auch für die Folgezeit massgebend
geblieben und haben die altehrwürdige Geremonie voll-
ständig in Vergessenheit gebracht.
. Als wieder ein Jahrhundert verflossen war, hatten
die Theorien der Historiker die alte officielle Rechnung
in den Augen der Gebildeten bereits sehr erschüttert, und
der Oberpontifex Scipio Nasica wurde selbst der Herold
der neuen Aufklärung. Er Hess daher die Saecularspiele
nicht 605 Varr. feiern, wie dies nach der Absicht des
Ti. Goruncanius hätte geschehen müssen, sondern erst
608, das heisst im 601sten Jahre der Fabischen Stadt-
aera (s, S. 105).
Dass von den fünf anarchischen Jahren das Eine
echt war, haben sowohl die 96jährige Saecularredmung
Die Grändungsaera. 169
als auch die beiden Synchronismen der Sonnenfinster-
nisse ergeben. Dazu kommt als wichtige directe Be-
glaubigung die oft angeführte Stelle des Plinius h. n.
XVI 235 Bomae vero lotos in Ltmnae area, anno qui fuit
sine magistratibuB CCCLXXIX urbis aede condita, incertum
ipsa quanto vetustior. Hier ist zwar nicht die Varronische
Jahreszahl, wohl aber die Jahresbezeichnung, wie alle
ähnlichen Notizen, mittelbar aus der Tempelinschrift ge-
schöpft und gewährt uns daher ein fast gleichzeitiges
Zeugnis.^ Ich sage >fast gleichzeitig«, denn die Worte
anno qui fuit sine magistratibus beziehen sich auf die
Grundsteinlegung (aede condita), die Inschrift aber kann erst
kurz vor der Dedication gesetzt sein. Immerhin aber lehrt
sie uns, dass man das Jahr 379 Varr. schon wenige Jahre
nachher und lange vor dem Ablauf des Saeculums officiell
als magistratloses zu bezeichnen pflegte. Trotzdem ist
nach der Anarchie das Amtsneujahr ganz dasselbe wie
Torher; sie hat also genau die Dauer eines gewöhnlichen
€onsulatsjahres gehabt, eine Ordnung, die wahrlich etwas
ganz anderes andeutet, als einen total anarchischen Zu-^
stand.
Das fragliche Jahr fällt in die Zeit der Kämpfe,
welche den Licinisch-Sextischen Gesetzen vorausgingen,
und schon die Alten haben die magistratlose Zeit aus
diesem Umstände zu erklären versucht. Auch ich möchte
dasselbe thun, nur in etwas anderer Weise. Wenn man
das Gesetz, welches die Wahl plebejischer Consuln er-
lauben sollte, nicht durchbringen konnte, lag der Versuch
nahe, ob man nicht auch ohne dies zum Ziele käme.
Der Wahlact selbst war ja eine Aeusserung der höchsten
legislativen Gewalt, und man durfte nicht ohne Grund
behaupten, dass jedes rechtliche Hindernis aufhöre ein
Hindernis zu sein, sobald das suveräne Volk es nicht
170 Did Orandungsaera.
als solches gelten lasse ^^'^. Vermochte man also einen
Beamten dazu, bei einer Gonsulwahl die Stimmen,
welche auf plebejische Candidaten fielen, als giltig zu
betrachten, so war der Zweck der Plebs ganz ohne Ge-
setz zu erreichen. Ein solcher Fall ist wahrscheinlich
379 eingetreten; die plebejischen Consuln behaupteten
sich zwar ihr Jahr hindurch, doch konnten sie es nicht
hindern, dass die patricischen Pontifices ihr Amt als null
und nichtig betrachteten und es in den Fasten nicht ver-
zeichneten. Wenn aber die Anarchie nicht ein magistratloses
Jahr war, sondern nur ein solches, dessen Magistraten später
die officielle Anerkennung fehlte, so begreift es sich, dass
die üblichen Amtsfristen streng eingehalten wurden, was
bei einem Interregnum kaum möglich gewesen wäre.
Noch einen Einwand muss ich erwarten, dessen
schweres Gewicht ich nicht verkenne. Wenn die Ponti-
ficalchronik die einzige Quelle war, aus der alle erhalte-
nen Schriftsteller dasjenige schöpften, was sie über die
alte römische Geschichte wussten, wie kommt es dann,
dass so viele die Dictatorenjahre nicht anerkennen, ja
dass Diodor sogar die Anarchie richtig als einjährig an-
setzt? Die Fasteninterpolationen, welche sich die Ponti-
fices vor dem gallischen Brande gestattet hatten (S. 81),
finden sich in allen Quellen wieder; warum nicht auch
die späteren? Die Erklärung liegt hier in den verschie-
denen Redactionen der Chronik, auf die ich schon S. 99
hingewiesen habe.
^^'^) Liv. VII 17, 12 in secundo ititerregno oria contentio est,
guod dw>patricii conaules creabaniur (gegen die Licinisch-Sextischeii
Gesetze), intercedentibusgue tribunis interrex Fabius aiebai in duo-
decim tabulis legem esse, ut quodcumque postremum populus iussisset^
xd iu8 ratumque esset; iussum populi et suffragia esse.
Diese Erzählung ist zwar nicht historisch, zeigt aber doch,
welche Bechtsauffassung die Römer als möglich betrachteten.
Die Oründaiigsaera. 171
Wenn ein Pontifex maximus vor dem Ende des
ersten Saeculums (391) gestorben war, so konnte das
Exemplar der Chronik, welches er seinen Nachkommen
hinterliess, natürlich noch nicht die Jahre enthalten, die
erst am Schlüsse jenes Zeitraums in die Fasten eingelegt
waren. Hatten sich aber in den Archiven der vornehmen
Familien censorische Register noch aus dem Jahre 362
Varr. erhalten, so können neben ihnen sehr wohl auch
Annalen gelegen haben, die schon vor 390 zum Ab-
schluss gebracht waren, und diese muss die Quelle des
Diodor benutzt haben. In ähnlicher Weise geht die ge-
meine annalistische Tradition, welche zwar wohl die
fünfjährige Anarchie, aber nicht die Dictatorenjahre
kennt, auf eine Redaktion der Chronik zurück, die zwi-
schen 391 und 491 liegt; die Capitolinischen Fasten end-
lich und Varro mit ihnen haben aus einem Autor ge-
schöpft, der ein jüngeres Exemplar zu Grunde gelegt
hatte, wahrscheinlich aus der Chronik des Atticus.
Matzat hat der Zeitrechnung der verschiedenen An-
nalisten sehr scharfsinnig nachgeforscht, nur leider etwas
zu scharfsinnig. Er setzt voraus, dass die römischen
Chronologen ebenso verfahren seien, wie er es gethan
hätte, wenn er an ihrer Stelle gewesen wäre und ihre
Theorien getheilt hätte. Wie er von den Pontifices an-
nimmt, dass sie Mond- und Sonnenjahr bis auf Tag und
Stunde gekannt und untereinander geglichen hätten, so
traut er auch den Historikern die complicirtesten Com-
binationen zu. Bei jenen haben wir schon gesehen, dass
diejenige Hypothese, welche ihnen die allerplumpsten
Schnitzer zumuthete, eben die richtige war, und nicht
anders wird es bei diesen sein. Fehlt bei ihnen ein
Consulat, so werden wir darin in der Regel weiter nichts
zu erkennen haben, als ein Versehen, ungefähr wie wenn
in einer Handschrift eine Zeile übersprungen ist. Der
172 ^^ Grundungsaera.
deutlichste Beweis dafür ist, dass Dionys, obgleich er im
wesentlichen ganz dieselben Quellen benutzt, wie Livius,
doch alle die Gonsulate hat, welche bei diesem vermisst
werden, ohne Zweifel aus keinem andern Grunde, als
weil er sorgfilltiger zu Werke zu gehen pflegte. Vollends
bei Diodor, dem lüderlichsten von allen, ist die Auslassung
eines oder des andern Jahres für die Beurtheilung seiner
Quelle völlig irrelevant. Selbst wenn Matzat beweist,
dass eben dieses Jahr für die Chronologie des Diodor
eigentlich unentbehrlich wäre und unter keinen Umstän-
den hätte weggelassen werden dürfen, so ist damit noch
gar nichts bewiesen; denn wer sagt uns, ob er bei einem
Consulate schon an das folgende gedacht hat^ oder ob
er dies wenigstens immer that? Ich glaube, dass alle
Ansätze des Gründungsjahres, soweit sich ihnen über-
haupt nachrechnen lässt — denn wo uns nur eine vet^
einzelte Jahreszahl erhalten ist, wie etwa bei Piso oder
Ennius, verzichten wir auf jede Combination ^^) — , sich
aus der verschiedenen Behandlung der acht Fülljahre
und einer einzigen Fasteninterpolation erklären lassen
und dass sie alle zuletzt ausschliesslich auf die pontificale
Rechnung zurückgehen. Das Letztere ist eigentlich schon
dadurch erwiesen, dass die dreizehn Consulate, welche
wir S. 76 als unecht erkannt haben, sich überall wieder-
finden, doch auch aus den Jahreszahlen ergibt sieh das-
selbe.
*^ lieber das Gründungsjahr des Cincius ist dadurch der
Stab gebrochen, dass, wie Plüss gezeigt hat, nach demselben die
Geburt d«s Angusttis gerade 1000 Jahre nach der Zerstörung
Trojaa fi&llt; es ist eben nichts anderes als der noftuB atteehrum
ordo des Yergil in*s Chronologische übersetzt. Die Saecular-
rechnung, die Matzat S. 288 ihm sehr schön nachgewiesen hat»
erklSrt sich ebenso gut, wenn Diodor die Quelle des Cincius war,
wie umgekehrt.
Die Gräsdiiogsaera. 173
Das erste Stadtjahr glich Polybius nach der Ponti-
ficaltafel mit Ol 7, 2, Fabius mit Ol 8, 2, aber die
Differenz ihrer Rechnungen beträgt darum doch nicht
vier Jahre, sondern nur drei. Denn da der Eine Grun-
dungsjafar und erstes Stadtjahr gleichsetzte, der Andere
sie trennte, so entsprach bei jenem auch jedes weitere
Stadtjafar demjenigen Olympiadenjahre, in welchem es be-
gann, bei d^em demjenigen, in welchem es endete.
Folglich war, um ein Beispiel zu nennen, für Polybius
das Gonsulat des Varro und Paulus gleich Ol 140, 4,
für Fabius gleich Ol. 141, 1; mit der gleichen Zahl von
Jahren zuräckreehnend, gelangte also der eine auf
Ol 8, 1, der andere auf Ol 8, 2. Mithin war das Stadt-
jahr 454 Varronisch, 451 pontifical gleich 448 Fabisch.
Wir haben schon S. 105 gezeigt, dass Fabius die
Koni^szeit auf 2^ Jahre berechnete und den Gailierein^
fall in das 121ste Jahr der Republik setzte; soweit wich
e^ yon der Pontificalchronik nicht ab. Doch gleich darauf
bietet sich uns eine erhebliche Differenz in der bekannten
Stelle bei GeUius V 4, 3 quapropter tum primum ex plebe
aUer eonml faclms ß$t duovieesimo atmo, postquam Bo^
mmn Galli eeperufU. Man hat dies immer auf das Jahr
387 Varr. bezogen und hätte Recht darin, wenn es sich
um Livius handelte, der ausführlich bei den Wählen zn
A^rweilen pflegt; doch die kurze Darstellung, welche
FaWus von der älteren Geschichte gab, w^den wir uns viel
richtiger nach dem Bilde Diodors reconstniiren, und dieser
erwähnt der Jahresbeamten nie, wo sie gewählt werden,
sondern immer erst, wo sie antreten. Wenn aber bei
Fabius L. Sextius als Gonsul erst 388 genannt wurde,
musste auch hier jene Bemerkung stehen, ebenso wie in
den Capitolinischen Fasten das primus e plebe. Ueberdies
zeigt die genaue chronologische Bestimmung, dass dieses
Jahr als ein in der römischen Geschichte epocbemacheo-
174 ^^^ Grändungsaera.
des hervorgehoben werden sollte, was gleichfalls am besten
auf dasjenige passt, welchem der erste plebejische Consul
den Namen gab. Folglich entsprachen die 22 Jahre des
Fabius 25 Jahren der Pontificalchronik, d. h. jener rech-
nete die Anarchie, welche in diesen Zeitraum fällt, als
zweijährig.
In der Quelle des Fabius kann sie nur entweder
einjährig gewesen sein, wie dies der Wirklichkeit ent-
sprach, oder fünQährig, wie die pontificale Saecular-
rechnung es erheischte; jedenfalls also muss er die
üeberlieferung corrigirt haben, und ein Grund dafür lässt
sich nur in dem letzteren Falle finden. Die wirkliche
Bedeutung der Anarchie kannte Fabius nicht mehr, son-
dern er dachte sie sich, wie dies das natürlichste war,
durch ein Interregnum ausgefüllt. Ein solches von zwei
Jahren verzeichneten die römischen Annalen noch einmal,
nach dem Tode des Romulus; ein fünQähriges aber war
unerhört und auch an sich sehr unwahrscheinlich. Dazu
mochte noch eine staatsrechtliche Erwägung kommen.
Es ist allgemein anerkannt, dass das Interregnum des
Numa gewissermassen als das juristische Paradigma der
ganzen Institution gelten sollte ; hier aber geht die Herr-
schaft des Staates einmal im ganzen Senate rund und
dann wird der König gewählt. Darf man daraus nicht
schliessen, dass während desselben Interregnums kein
Senator mehr als einmal Zwischenkönig sein durfte, eine
Regel, die sich übrigens unter gewöhnlichen Umständen
von selbst verstand? Nun gab es zu Fabius' Zeit gewiss
nicht mehr als 150 patricische Senatoren :^^^) ein Inter-
regnum, das über zwei Jahre dauerte, war also nicht
159) Nach Mommsens (Rom. Forsch. I S. 121) schöner Com-
bination nahmen die römischen Historiographen an, nur 136 Pa-
triciergeschlechter hätten sich aus der Eönigszeit in die Bepublik
Die Grdndiiiigsaera. 175
blos practischy sondern auch staatsrechtlich unmöglich,
und eben dieses wird ihn zu seiner Verkürzung des
überlieferten Zeitraums veranlasst haben.
Hier haben wir die drei Jahre, welche die Jahrzählung
des Fabius hinter der pontificalen zurückblieb! Dass
er auch sonst noch von ihr abgewichen ist, wäre mög-
lich, doch dann müsste er jedes ausgeworfene Jahr durch
ein interpolirtes ausgeglichen haben, und wenn es ihm
um Ausgleichung zu thun war, warum hat er nicht auch
jenen dreijährigen Abstrich ersetzt? Der Vater der rö-
mischen Geschichte gab eben seine Quellen mit der
naiven Kritiklosigkeit eines Herodot wieder; selbst an den
Dictatorei^jahren nahm er keinen Anstoss, hur die fünf-
jährige Anarchie war ihm doch etwas zu bunt. Er setzte
sie also auf den Zeitraum herab, welcher ihm der grösst-
mögliche schien, und nahm die Differenz, in welche er
dadurch mit der officiellen Rechnung kam, als unver-
meidlich hin.
Immerhin blieb es ein missliches Ding, dass die Tafel,
welche jährlich in der Regia ausgestellt wurde, eine an-
dere Jahreszahl trug, als sich aus dem Fabischen Grün-
dungsdatum ergab« Denn diese Form des Elalenders
sollte ja schon aus den ersten Anfängen der Stadt her-
stammen;^*^) Eine Jahreszahl hatte sich hier stetig an
die andere gereiht, und Polybius hatte daher nicht so
Unrecht, wenn er ohne alle weitere Prüfung ^®^) diese
Autorität jeder andern voranstellte. Derselben Ansicht
hinübergerettet. Ob schon Fabius diese Berechnung gemacht hat,
lässt sich freilich nicht nachweisen; doch brauchte er nur den
Senat seiner eigenen Zeit zu überzählen, um zu ähnlichen Besul-
taten zu kommen.
^^) Cic. de orat. II 12, 52 ab initio rerum BomafMrum.
'^') Dionjs. I 74 oviT ini zov nagd roig agx^^Qtvai xetfÄiyov
niyaxog iyoi jcai fioyov j^y niaxtv dßaadytaioy xarahnBly,
176 Di^ GroBdunggaerft.
war atichCato, welcher in seinen Origines der Ghrcmo-
logie eine besondere Sorgfalt zuwandte ^^^), denn seia
Gründungsjahr ist von dem pontificalen nicht verschieden.
Gato setzte die Gründung Roms 432 Jahre nach der
Zerstörung Trojas an, oder, was gleichbedeutend ist —
denn er folgte unzweifelhaft der Rechnung des Eratosthe-
nes — •, 25 Jahre nach dem Beginn der Olympischen
Feier. Da sich zu seiner Zeit Olympiadenjahr und Stadt-
jabr ungefähr in der Mitte durchschnitten, kann dies so-
wohl 24 Va wie 25 V2 bedeuten; Dionys hat das erstere
angenommen, doch da Gato nachweislich die Pontifical-^
tafel kannte ^^^), ist das letztere viel wahrscheinlicher,
denn so erhalten wir das Polybianische Grundungsjafar
Ol. 7, 2.
üeber die Disposition von Catos Origines sind wir
durch Gornelius Nepos*®*) wohl unterrichtet; das erste
Buch enthielt die römische Königszeit, das zweite und
dritte die Ursprungsgeschichten sämmtlicher Staaten Ita^
liens, das im weitesten Sinne, Gallia dsalpina mit ein-
geschlossen, gefesst war. Im vierten Buche folgte der
erste punische Krieg und weiter die übrige römische
Geschichte bis auf die Zeit des Autors herab. Warum die
Republik vor den Kriegen mit Karthago übergangen Wftr^
darüber gibt uns Gato selbst Aufsehluss in einem kurzen
Fragmente, das dem vierten Buche, wahrscheinlich der
Einleitung desselben, entnommen ist: nan lubü scnbere^
^^3) Dion. 1. 1. KccTcoy ^k UoQXtog 'ElXfjvixoy /uty ovx ogiCt*
XQ^yov, intfieki^s ä^ y€v6ftSP0s ti x«i rig aklo^ nsQ* rijt^
dWi Ttal Tqiüotopta xcu i^xqaxoaloig vaj£Q»9cay Tiay 'iSUaxtSy. In
diesem Zusammenhange kann sich das Lob yo& Catos groraer
Sorgfalt nur auf die Chronologie beziehen.
i«3) Frg. 77 Peter.
164) Peter, Fra^meuta S. 4D.
Die Grfindungsaera. 177
qaod in tabula apud pontificem maxumum est, quotiens
annona cara, quotiens lunae aut solis lumini ccdigo aut
quid obstiterit. Das heisst, die republikanische Geschichte,
wie sie in der Pontificalchronik und aus ihr bei Fabius
erzählt war, erschien ihm als leerer und trockener No-
tizenkram, welcher einer neuen Darstellung nicht werth
sei. Sollte er sie deshalb aber wirklich ganz übergangen
und so eine klaffende Lücke in seiner römischen Ge-
schichte gelassen haben? Ich glaube nicht, sondern was
ihm daraus werthvoU schien, stand eben schon im zweiten
und dritten Buche.
Diese enthielten, was wir eine historische Geographie
Italiens nennen würden, d. h. die Beschreibung der
Länder und Städte, der Sitten ihrer Bevölkerungen, der
Naturmerkwürdigkeiten, welche sich bei ihnen fanden,
endlich auch die Geschichte jedes Staates oder Stammes.
Hier bildeten die Ursprungssagen natürlich die Haupt-
masse, weil über sie die ausführlichste Kunde vorlag,
doch auch die späteren Schicksale der Völker wurden
nicht übergangen. So heisst es im Frg. 66: itaque res
über fuit, antequam legiones. Es war also hier von der
Blüthe irgend eines Staates die Rede und von der Ver-
nichtung desselben durch die römischen Heere, etwas
was mit den Origines im engsten Sinne nichts zu thuii
hat. Ebenso gehört die Nachricht von dem Bunde der
Latiner im Haine zu Aricia (Frg. 58) gewiss nicht in die
Urzeiten. Im Ganzen werden wir uns diese Bücher
ähnlich disponirt vorstellen müssen, wie das Werk des
Appian; ^*^) bei den einzelnen Völkern und Städten waren
auch die Kriege erzählt, welche sie mit Rom geführt
hatten, und so wenigstens die äussere Geschichte der
Republik ziemlich erschöpfend dargestellt.
*®^) Diesen Vergleich hat schon Niebuhr gemacht (I S. 9).
Seeck, Die Kalendertafel der Pontifices. ^2
178 ^^ Grändungsadra;
Ist diea richtig,, so entspricht die Episode der Keltenf
kriege bei Polybius II 18« ff. genau demjenigen, was wir
in. diesem. Theile^ von Gatos Origines zu- finden erwarten
musstien. Das Werk, desselben, ist jedenfalls successiva
erschienen;, dies lehrt schon der Titeln der nur daim
einen Sinn hat^ wenn, wir uns die drei ersten Bücher;
für die er allein passt, gesondert herausgegeben denkem
Mithin mussten diese schon in den Händen des Publikums
sein, als Polybius an seiner Geschichte ai4)eitete^ und) das
erste historische Werk;, welches in lateinischer Spradie
erschien, hat damals unweifelhaft in den gebildeten
Kreisen Roms solches Aufsehen gemacht, dass es dem
Freunde der Scipionen nicht unbekannt bleiben konnte»
Zu diesen äusseren Ursachen, die uns in Cato die Quelle
des Polybius vermuthen lassen, kommt noch ein inneiac
Grund. Wir wissen, dass jener die Kriege ohne Nennung
der Feldherm erzählte ^^®), und bei Polybius finden sich
in der Gallierepisode bis auT den ersten punischen Krieg
herab nur zwei Namen (11 19, ^, der eines gefallenen
Heerführers und seines Nachfolgers. Bei jenemi konnte
Cato schon eine Ausnahme machen, weil sein Heldentod
diese Ehre erforderte ^^'^^ und dies mochte auch auf seinen
Rächer zurückwirken. Später dagegen werden die Namen
sehr häufig: natüriicb, denn Cato setzte bei dem. ersten
punischen. Kriege ja in chronologisch geordnetiar Dai^
Stellung ein; die zusammenhängende Erzählung der
Gallierkämpfe hörte hier auf, und wenn Polybius { sädl
die einzelnen Notizen, welche er brauchte, doch aus
>^) . Com. Nepos Cato 3, 4 atqm horum bellorum duees nen iMm-
fMvit sed sine nommibus- res- notavit Plin. h, n. VUI 11 Gato^
cum imperatorum nomina annälibus detraocerit,
^^') Eine ähnliche Ausnahme machte Cato auch mit dem Tri-
bunen Q Caedicius, der sich im ersten punischen Kriege frei-
willig dem Tode weihte. Frg. 83,
Di» 6)raiidtui|W6Hu yi%
entlegenen Stellen zusammensuchen musste, so konnte
ep dies besser bei Fabius thun, der ohnehin für diese
selbsterlebteu' Bt^eignisse der glaubwürdigere Zeuge> war.
Die Meisten haben bisher die ganze Gallierepisode
dm Polybius auf Fabius zurückgeführt; für diejenigen
Theile derselben, welche nach dem ersten punischen
Erlege liegen^ halten wir dies^ wie gesagt, auch jetzt
noch für richtig; doch für das vorhergehende Stück ver-
bietet sich eine solche Annahme schon durch die Chro-
nologie, und da Polybius die Origines kennen musste
and in ihnen das ganze Material so bequem beisammen
fbnd, wie nirgend sonst, so bieten sie sich hier von selbst
als Quelle dar.
Dürfen wir also die Chronologie, welche sich in
diesen Stücken des Polybius findet, auf Cato übertrageni
so muss dieser die Anarchie als fünfjährig gezählt, aber
die Dictatorergahre übergangen haben, d. h. er jfblgte
einer Redaktion der Pontificalchronik, welche vor der
letzten Nagelschlagung (491 Varr.) abgeschlossen wsr.
Da er aber zugleich an der Jahreszahl, welche zu seiner
Zeit als die officielle galt, festhielt, so ergab sich ihm ein
Minus von vier Jahren, das er durch irgend ein Ein-
schiebsel ausgeglichen haben muss. Welches er wählte,
lässt sich zwar quellenmässig nicht mehr nachweisen,
doch findet sich bei den Späteren eine Construction, die
seinem Zwecke vollkommen entsprochen hätte und' daher
wohl auf ihn zurückgehen kann.
Die Zeit des Decemvirats berechnete die Chronik auf
zwei Jahre sieben Monate, doch da diese sich tmter zwei
EponymencoUegien vertheilten, galten sie in den Fasten
auch nur als zwei Jahre. Mit höherem Rephte konnte
man dafür drei setzen und gewann so ein Jahr. Der
Rest wurde der Eönigszeit hinzugefügt und zwar derart,
dass man den beiden friedlichen Königen Numa. imd
12 •
180 I^id GründoDgsaei».
Ancus ihre Regierung vergrösserte, jenem um zwei, die-
sem um ein Jahr. Damit waren die vier Dictatorenjahre
vollständig ersetzt und die Zahl der Pontifices blieb un*
berührt.
Wenig später scheint eine andere Gorrectur der
Fasten zu sein, welche die ganze jüngere Ännalistik
vollständig beherrscht und selbst auf Diodor nicht ohne
Einfluss geblieben ist. Fabius hatte erzählt, dass an der
Gremera von seinem ganzen Geschlechte nur ein un-
bärtiger Knabe Quintus übrig geblieben sei. Damit stand
es im Widerspruch, wenn schon 21 Jahre später ein
Marcus Fabius Vibulanus in den Fasten erschien, welcher
doch unmöglich der Sohn jenes Knaben sein konnte. So
wurde denn dieses Gonsulat (zwischen 297 und 298 Varr.)
getilgt, und äbnliche historische Bedenken, die wir frei-
lich nicht mehr sicher zu erklären vermögen, müssen zur
Beseitigung zweier andern EponymencoUegien (zwischen
296/7 und 326/7 Varr.) Anlass gegeben haben i^»). Damit
aber trat man in Widerspruch zu der uralten üeber-
lieferung, wonach die Zerstörung Roms 120 Jahre nach
der Vertreibung der Könige fiel, und wenn man diese
nicht aufgeben wollte, musste man die unterdrückten
Consulate ersetzen. Ein Jahr bot hier die Gatonische
Verlängerung des Decemvirats, für die beiden andern
musste man EponymencoUegien fingiren und hat es ge-
than ; uns aber ist es nicht mehr möglich diese Fälschung
auszusondern, da auch Diodor von ihr nicht freigeblieben
ist. Denn wenn wir- alle BeamtencoUegien, die er zwi-
schen der ersten Nagelschlagung und dem gallischen
Brande nennt, mitzählen wollten, so erhielten wir für
*68) Mommsen, Köm. Forsch. II S. 260; Eduard Meyer,
Untersuchungen über Diodors römische Geschichte. Ehein. Mus.
XXXVn S. 612.
Die Gfründangsaera. 181
das erste pontificale Saeculum nicht 96 oder mit Zurech»
nung der vier falschen Anarchiejahre 100, sondern 98
resp. 102 Jahre, und auch die Jahreszahl der censorischen
Register würde nicht mehr stimmen. Seine Quelle muss
also zwei Eponymenlisten contaminirt und aus der einen
die drei echten, aus der andern die zwei falschen Con-
sulate aufgenommen haben, welche zum Ersatz von jenen
erfunden waren.
So war die Rechnung zwischen Königsflucht und
Galliereinfall ausgeglichen, doch das Stadtgründungsjahr
welches sich aus diesen Fasten ergab, blieb in Conflict
mit der officiellen Jahreszahl. An der Summe, welche
diese voraussetzte, fehlten jetzt ausser den vier Dicta-
torenjahren noch drei Consulate; dafür waren eingelegt
drei Königsjahre, ein Decemviraljahr und zwei Consulate:
die Lücke also betrug sieben, der Ersatz nur sechs Jähre»
Da erinnerte man sich, dass die Königszeit am 21. April
begonnen, am 24. Februar aufgehört hatte. Danach
mussten, je nachdem man rechnete, an der vollen Jahr-
zahl entweder zwei Monate fehlen oder zehn Monate
überschüssig sein. Die Pontifices hatten wahrscheinlich das
Erstere angenommen, wenn sie sich über diese Differenz
überhaupt Gedanken machten; die neue Fastenredaktion
entschied sich für das Letztere. Sie betrachtete diese
zehn Monate als die Summe der kleineren Inter-
regnen^*®), und indem sie dieselben zusammen als ein
Jahr setzte, erhöhte sie die Königszeit auf 244 Jahre.
Auch diesem unbekannten Chronologen, auf den die
Fasten des Livius und Dionys in letzter Reihe zurück-
gehen, erschien, wie Cato, die pontificale Jahreszahl
als ein noU me längere. Dies setzt voraus, dass sie da-
1«) Dies ist die Auffassung des Cicero, wie wir S. 104 ge-
zeigt haben.
]£2 I^ü 0randimgsaem.
xBalfi noch effidefie Geltung hatte, 4. li. »äass noda :ffll«-
lährlich Hlie Eakndei^fel im Hause äeß Pontifex maxinnis
nach alter AM 'emeueii; ^fmrde. Mithin müseön wir
diese Fastenintecpolation «noch vor die Zeit tier Goraccaheift
setzen "®).
»Seit Mucius ^ScaeiFola die pontificale .Schaltung von
dem Zw&Dge der Jahrestafiel befreit hatte (S. <63), igab
es keine Rechnung mehr, die sich öffentlicher Aner*
keMiuBg erfreut 'und dadurch die Willfcühr der Ghrono-
kjgen in gewisse Schranken gebannt hätte, ßafur tritt
bald nachheir die Tarutisohe Finsternisberechnung ein;
auf ihr beruht das System des Atticus, welches dut^
Varro seine Verbreitung gefunden und vom ihm den
Namen erhalten hat
JNfach der Eosmianischen Sonnenfinsternis folgt dieses
ganz einfach der PontificaJchronik in ihrer jüngsten Re-
daktion; mit ihr hat es die fünfjährige Anarchie und die
vier DictatoreBQahre gemein. Vor jenem Datam aber
schlägt Atticus einen andern Weg <ein, weil soneft der
chaldäische €yclus sich nicht ergeben hätte. Er wählt
daher jenen Eälsoher 2um Führer, dessen ScbMiiim-^
besscanimgen wir eben besprochen haben, setzt aber daß
Decemvirat wieder auf seine ursprüngliche Jahrzahl herab,
rnid gelangt «dadurch mit der Sonnenfinsterms ribhtig wai
das Cions^ilat des Papirius 9m& Nautius.
470) Bei d^r Rechnung des Gellius wird jedenfalls, wie Matzat
S. 335 emniimni;, 'flas Jsihr «des 'GreilliereinffiLlls «nach Polybms be-
stimmt "eein. IMe 'in^eite JahreffiudiL, twelolie uns «bub Ihan eo^haHlea
ist (d88 «= 59B Varr.), ^eigt, dass ^ die -ersten Terentinisobe«
Spiele .(505 V^arr.) in das Jahr 500 der Stadt gesetzt -hat; offenbar
also ist diese Saecolarrechnung für seine Chronologie entscheidend
gewesen. Wie er im Uebrigen seine Fasten gestaltet hat, lässt
Bioh micbt -aagen, doch kann er ;iücht «der Erfinder cdee im Text
dargestellten chronologischen Systems gewesen sein.
Die 'örä&üungfsaera. l^g
;Die Gapitolinische Redhimng ist mit der Varroiitischen
identisch, 'AT^eser dstss sie die 348jäfa:ige Sjönigszeit des
Cato feßthatt. Der ^Ginind mag "ireiriger ein principieller,
als ein rein technischer gewesen sein. Jenes ä44ste Jahr
wurde ja nicht «inem ^einzelnen Könige zugescbriefben,
sondern «es sollte sich ;aus kleinen Brudhstücken, weldte
zwischen die verschiedenen Regierungen fielen, znsaanmen«
setzen; dies aber auszudrüd&en, war in einer Tabelle, die
nur nach ganzen Jahren rechnete, unmdgiMcb.
So teiHt uns in allen Gröndcngsaeren, von wölcben
uns die üefeerliefenang eine emgehemdere Keniatois ge-
'W^rt, hnmer wieder die Wiifemg der Kalendertäfel
Bfitgegen. Zuerst uibt sie dieselbe rriEP disrch die Jahres-
zahl aus, welche sie an der Spitze trug u»d die jedem
Römer bekannt sein musste: nach ihr setzte Timaeus,
äem Eratoi^henes und ApoUodor fdlgiten, das Ja%ir der
Stadtgrundung an (S. 66) und sp&ter unaMmngig vm.
ihnen, wenngleich gewiss von ihrer )R<echnung unterriöhtet,
Polybius. Bis gegen das ilnde des Tten Jahrhunderts
Isesitzt diese Zalhl einen so bannendem Einftuss^ dass
ausser Fabius keiner von ihr abzuweacben waigt, sondern
wenn seine Jahrzahlungen ihm Differenaen «ergeben, sie
immer wieder durch Faötenint'OTpo'lationen auszugleichen
bestrebt ist. Die Zählungen selbst beruhen -dann wieder
fifotf den Kalendertafeln, wie diese durch >&e PKmtMces
maximi als Chronik in Buchform zittsarnivven^escibneben
'und in ihren Hausarchiven nied>ergelegt sind. Jedes
Exemplar derselben repräsentirt daher «eine andere Re-
daktiKDin^ die sich tibeils dw:<k die Vegrscbiedenheit des
Endpunktes, welcher «durch >^ Zeit des Obeipontifioals
bestimmt ist, tbenlls durdbi privatim gemadMie Zusätze
unterscheiden. Vier >der£Ui^ Redaktionen treten noch
jetzt in mnserer Ueberliefemng hervor: die älteste,
in ihrem •officielkn Theil vor der Nagelscblagung mm,
184 Di& Grundungsaera.
391 Varr. abgeschlossen und daher frei von allen
Fülljahren, soweit sie nach dem gallischen Brande liegen,
hat der Quelle des Diodor vorgelegen; nach der zweiten,
welche wohl die fünfjährige Anarchie, aber nicht die
Dictatorenjahre kannte und deshalb zwischen 391 und
491 gefallen sein muss, construirte Gato seine Rechnung,
und eben der Widerspruch, in dem diese Form der
Chronik zu der pontificalen Jahreszahl stand, bestimmte
ihn zu seinen Interpolationen; die dritte Redaktion, wahr-
scheinlich aus der Zeit des zweiten punischön Krieges
herstammend, benutzte Fabius; die vierte und abschliessende
des Mucius Scaevola leitete Atticus und Verrius Flaccus
bei ihren chronologischen Speculationen. Daneben wirk-
ten historische Erwägungen, endlich auch die Synchro-
nismen des Polybius auf die Chronologie ein, doch ihre
Grundlage blieb immer die eine und gleiche, und die
ältesten Interpolationen der Pontifices sind deshalb auch
allen Quellen gemein (S. 81).
Dass es bei Berechnungen dieser Art nicht ganz
ohne Hypothesen abgehen kann, versteht sich leider von
selbst, doch hoffe ich, man wird ihnen wenigstens den
Vorzug zuerkennen, einfacher zu sein als die Matzatschen.
Eins aber steht über der Hypothese : das ist das Consulat
der Ennianischen Sonnenfinsternis und mit ihm auch die
gesammte Jahresrechnung der Republik. Hatten uns
die Annalen der Pontifices sie verdorben und unklar ge-
macht, so bietet uns die richtige Erkenntnis ihres Wesens
jetzt die Mittel der Besserung. Mommseh hat, wie
auf allen Gebieten der römischen Forschung, so auch in
der Chronologie mit genialem Scharfsinn die Wege ge-
wiesen, doch von den beiden Hauptfragen derselben, der
Gleichung der römischen Daten mit den julianischen und
der Varronischen Jahre mit Jahren vor Christi Geburt,
bat er noch keine endgiltig zu lösen vermocht; auf
Die Grönduogsaera. 185
seinen Spuren folgend hat dies Matzat für die erste ge-
leistet, die zweite aber liess auch er unerledigt. Freilich
brauchte es nicht viel mehr, als die Gedanken dieser
Männer zu verfolgen und zu vereinfachen, und man war
am Ziele. Dieser bescheidenen Aufgabe habe ich mich
imterzogen, und weiss ich gleich sehr wohl, dass mein
Resultat auf vielen Widerspruch stossen wird, so hoflfe
ich dennoch, es ist ein bleibendes.
t
Tabelle.
1. Columne: Die Varronische JahreszahL
2.
3.
4.
6.
6.
n
n
n
n
Das jalianiflclie Datum des Amtsneujahrs.
Der Nundinalbuchstäbe des Amtsnei^ahrs.
Das julianisclie Dc^tum des Kalendemeajahrs (1. März).
Der Nundinalbachstabe des Kalendemeajahrs.
Die Tagzahl des Kalenderjahres. Der Extraschalttag
ist durch die Formel + 1 bezeichnet.
Amtsantritt i
um 18« December«
343
12. Dec. 401
2>
6. Mitrz 401
377
344
24. „ 400
JB
18. „ 400
D
355
345
14. „ 399
H
8. „ 399
G
378 + 1
346
28. „ 398
C
22. „ 398
B
355
347
17. „ 397
F
11. „ 397
E
377
348
y Gefölschte Con-
349
sulartnbunate s.
350
j S. 80 und 128.
351
29. Dec. 396
G
23. Mitrz 396
F
355 + 1
352
20. „ 395
C
14. „ 395
B
378
Amtsantritt
am 1. October.
353
22. Oct. 894
JE
27. März 394
D
355
354
11. „ 393
ü
16. „ 393
G
377
355
23. „ 392
A
28. „ 392
H
355
356
13. „ 391
D
18. „ 391
C
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29. März 381
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5. Sept. 356
396
27. Aug. 355
397
9. Sept. 354
398
29. Aug. 353
399
10. Sept. 352
400
31. Aug. 351
401
13. Sept. 350
402
2. „ 349
403
15. „ 348
404
5. „ 347
405
18. „ 346
406
7. „ 345
407
19. „ 344
408
9. „ 343
409
22. „ 342
410
11. „ 341
411
23. „ 340
412
13. „ 339
413
27. „ 338
414
16. „ 337
415
28. „ 336
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19. „ 335
417
2. Oct. 334
418
21. Sept. 333
419
3. Oct. 332
420
23. Sept. 331
421
Dictatorenjahr
422
6. Oct. 330
423
25. Sept. 329
424
8. Oct. 328
425
28. Sept. 327
426
11. Oct. 326
427
30. Sept. 325
428
12. Oct. 324
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2. „ 323
430
Dictatorenjahr
431
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433
16. „ 320
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Mai
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Juni
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Juni
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Mai
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»
320
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C 378
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B 377
355
F 378
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377
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B 355
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F 355+1
B 378
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G 377
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B 355
E 378
G 355
B 377
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J?* 378
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C 377
D 355
Tabelle.
1S9
434
435
436
437
438
439
440
441
442
443
444
445
446
447
448
449
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451
452
453
454
455
456
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458
459
460
461
462
463
464
465
466
467
468
469
470
471
472
Amtsantritt am
1. Mai.
7. Ang. 319
C
8.
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B
23.
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C
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16. „ 311
F
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29. „ 310
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18. „ 309
C
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„ 309
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G
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B
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Juli 306
23. Ang. 305
E
24.
Juni 305
4. Sept. 304
F
6.
Juli 304
26. Aug. 303
B
27.
Juni 303
8. Sept. 302
B
10.
Juli 302
Dictatorenjahr
28. Aug. 301
G
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Juni 301
9. Sept. 300
H
11.
Juli 300
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C
1.
„ 299
12. Sept. 298
E
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„ 298
1. „ 297
H
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14. „ 296
B
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„ 296
4. „ 295
E
6.
, 295
17. „ 294
G
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« 294
6. „ 293
B
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„ 293
18. „ 292
G
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F
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H
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„ 290
10. „ 289
C
12.
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B
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„ 288
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G
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« 287
26. „ 286
B
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„ 286
15. „ 285
E
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n 285
27. „ 284
F
29.
. 284
18. „ 283
B
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» 283
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A 355
B 377 + 1
F 355
A 378
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G 355
B 378
B 355
G 377
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C 378 4- 1
F 355
A 377
B 355 4- 1
F 378
H 355
C 377
B 355
G 378
A 355
B 377 + 1
F 355
A 378
355
F 377
G 355
B 378
B 355
G 377
H 355
C 378 + 1
F 355
A 377
B 355 + 1
F 378
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1. Oct. 282
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B
8. Aug. 276
F
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A
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G
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29. Sept. 273.
B
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B
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D
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B
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355
378
Verlag der Weidmannschen Buchhandlung in Berlin*
Symmachl, Q. Aureiü,
quae supersunt.
Edidit
Otto Seeck.
A. u. d. T.: Monumenta Germaniae historica.
— Auctorum antiquissimorum tomi VI pars prior.
(GCXII u. 335 S.) hoch 4. geh.
/ Ausgabe I auf Schreibpapier M. 22.
Ausgabe II auf Druckpapier M. i5.
Notitia Diguitatum
accedunt
Notitia urbis Constantinopolitanae
et
Laterculi Prouinciarum.
Edidit
Otto Seeck.
*
(XXX u. 339 S.) gr. 8. geh.
Herabgesetzter Preis M. 12.
Eekonstruktion und GescMchte
der
Römlsehen Rednerbtlhne
von
Otto Richter.
DCit zwei Tafeln.
• (64 S.) gr. 8. geh. M. 1.60.
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