^^(D
■
i
R
■"
t
; Max Eckert
Die
Kartenwissenschaft
I.Band
^\
(1
DIE
KARTENWISSENSCHAFT
FORSCHUNGEN UND GRUNDLAGEN
ZU EINER KARTOGRAPHIE
ALS WISSENSCHAFT
VON
MAX ECKERT
ERSTER BAND
[IT 10 ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER KARTE
BERLIN UND LEIPZIG 1921
VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER
WALTER DE GRUYTER Sc CO.
VORMALS G. J. GOSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG • .1. OUTTENTAQ VERLACS-
BUCRHANDLUNG ■ GEORG REIMER . KARL J. TRfTBNKR • VEIT * COMP.
Alle Rechte, iusbesondeie tlas der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbihalton.
Copyright by Vereinigung wissenschaftlicher Verleger Walter de Gruyter & Co.
Berlin und Leipzig 1921,
Druck von Melzger & Witüg in Leipzig.
Vorwort.
Was ich 1907 in dem Vortrag: „Die wissenschaftliche Kartographie im Uni-
versitätsunterricht" auf dem XVI. Deutsehen Geographentag zu Nürnberg wie in
dem Aufsatz „Die Kartographie als Wissenschaft" in der Zeitschrift für Erdkunde
zu Berlin mehr progi-ammatisch entwarf imd zu bearbeiten in Aussicht stellte, liegt
jetzt beendet in der „Kartenwissenschaft" vor, nachdem ich Gelegenheit gehabt hatte,
auf größern Studienreisen meine Kartenkenntnis zu vertiefen und zu erweitem.
Längere Zeit arbeitete ich in GöttLngen, Hamburg, Iviel, Berlin, Dresden, München,
Nürnberg, Gotha, Leipzig, Bonn, Duisburg, ferner in den verschiedensten BibUotheken
in Wien, Paris, wo mir sogar die Einsichtnahme in das wertvolle Kartenmaterial
des Marineamtes (Service Hydrographique) gestattet war, in London, Edinburg.
Amsterdam, Brüssel, Kopenhagen, Stockholm, Petersburg und Moskau.
Vorhegendes Werk, das nm- Forschungen und Grundlagen zu einer Karto-
graphie als Wissenschaft geben will, ist weder eine Geschichte der Kartographie
noch ein Handbuch der Kartographie. Mir ist die geschichthche Untersuchung
lediglich Mittel zum Zweck gewesen, um besser zur Klarheit über die einzelnen
Probleme vorzudringen. Soviel Freude es auch einem Forscher bereitet, das ge-
schichthche Dunkel aufzuhellen, mich konnte es allein nicht befriedigen, mein Ziel
ging weit über das Historische hinaus. Immer wieder die Stellen zu finden, wo
die Verbesserung emzusetzen hat, immer \vieder die Bahnen des Fortsclu-itts zu
zeigen und zu offnen, immer wieder neuen Ideen Eaum zu schaffen, — das war
und ist mein eigenthches Ziel. Überall war ich bestrebt, auf Grund der Exaktheit
im kleinen und einzelnen zu großen Wahrheiten emporzusteigen.
In meiner Absicht lag es, der ,, Kartenwissenschaft" zugleich einen Atlas bei-
zugeben, der die wichtigsten Karten in der geschichtlichen Entwicklung der Karte
veranschauHcht hätte. Leider ist die Herausgabe eines derartigen , .genetischen
Facsimileatlas" vorderhand ein Ding der Unmöglichkeit, weil dazu eine größere
Anzahl von Kartenreproduktionen aus Pariser und Londoner l^ibUotheken notwendig
sind. Diese, zu einem Atlas vereint mit verschiedenen Abzügen von seltenen Karten,
die sich bereits in meinem Besitze befinden, dürften später einmal eine angenehme
Zugabe zu meiner Kartenwissenschaft bilden.
Mit dem Werke über die Kartenwissenschaft verfolge ich ebensowohl den idealen
Zweck, die theoretische Kartographie als Wissenschaft zu begründen, wie einen viel-
seitig praktischen. Da galt es zunächst, für hinreichenden und interessanten Stoff
zu kartographischen Vorlesungen zu sorgen. Die Probleme der theoretischen Karto-
graphie sind so vielseitig, aber auch so schwierig, daß sie nur ein Vollwissenschaftler
beherrschen und lehren kann. Es muß dahin gestrebt werden, daß die Vorlesungen
über Kartographie zu einem dauernden Bestand des Vorlesungsprogrumins jeder
Universität und jeder Technischen Hochschule werden, so älinlich wie dies bereits
an (Ici- Technischon Hocliscliul(^ zu .Vadicn geworden ist.
IV Vorwort.
Habe ich insonderheit für den Wissenschaftler geschrieben, dürfte doch auch
der praktische Kartograph auf seine Eechnuug kommen, l'erner dürfte der Schul-
mann nicht ohne Gewiim meine Studien aus der Hand legen, wenn ich auch die
Schulkartographie nur dann und wann gestreift habe. Gerade der Lehrer, sei er
Yolksschullehrer oder Lehrer an einer höhern Schule, beschäftigt sich gern ein-
gehender mit der Karte und deren Problemen; verdanken wir ihm doch eine Eeihe
von Anregungen und praktischen Vorschlägen zur Entwicklung und Verbesserung
von Schulatlanten und sonstigen Schulkarten.
Nicht zum geringsten hoffe ich, daß das praktische Leben Nutzen aus meinen
Darlegungen ziehen wird, hauptsächlich aus denen des zweiten Bandes, wo ich die
angewandte Karte eingehender behandle. Bergbau und Industrie drängen immer
mehr zu kartographischen Übersichten. Handel und Industrie müssen wissen, was
sie an einer Karte haben, was sie von einer Karte verlangen und wie sie von einer
Karte am vorteilhaftesten unterstützt werden köimen.
Manches wissenschaftliche Werk, das auf einen nicht umfangreichen Leserkreis
rechnen kann, würde heute wegen der holien Herstellungskosten unveröffenthcht
bleiben, wenn nicht die deutsche Industrie der deutschen Wissenschaft tatkräftig
helfen würde. Gewiß ein schönes Zeichen, wie in Deutschland Wissenschaft und
Industrie Hand in Hand gehen. Der Aachener Industrie und einigen Großunter-
nehmungen außerhalb Aachens bringe ich deshalb meinen ganz besondern Dank zum
Ausdruck, daß sie durch eine bedeutende Unterstützung die Herausgabe des W'erkes
ermöghchten. Aber auch wissenschaftliche Gesellschaften beteiligten sich gern an
dieser Unterstützung. Auf einem besondern Blatt, das dem Vorwort IwiHegt, sind
die Geber einzehi genannt.
Aachen, am 3. Oktober 1921.
Miix Eckert.
Die Herausgabe
des Werkes über „Die Kartenwissenscliaft" haben unterstützt:
Die Gcst'Ilscliaft von Freunden der Aachener Hochschule und die Hlieinisehe
Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung (Bonn).
Größere industrielle l'nternehmungen: Verein für die Interessen der Rheinischen
Braunkohlen-Industrie, Köln; Eschwciler Bergwerksverein, Kohlscheid (Rheinl.); Aktien- Gesell-
schaft für Bergbau, Blei- und Zinkfabrikation zu Stolberg und in Westfalen, Aachen; Stahlwerk
Becker A.-G., Willich (Rheinl.); Deutsche Elektrizitäts-Werke zu Aachen, Garbe, Lalimeyer d- Co..
A.-G.; Rhenania, Vereinigte chemische Fabriken, A.-G. Aachen.
Tuchfabriken, Spinnereien und Tuchgroßhandlungen: Ad. Croon; Erich Cüppcr;
Carl Delius; Gebr. Erasmus; Job. Erckens, Söhne; Aug. Ferber; Grüneberg & Co.; Haarenci-
Tuchfabrik (O. Lippmann); Gebr. Hirtz; Katz & Langstadt; Aloys Knojjs; Jos. Königsberger;
Marx & Auerbach; F. & M. Meyer; J. & J. Meyer; Meyerfeld & Herz; C. Neilessen, J. M. Sohn:
Struch & Guttentag; Tuchfabrik Aachen. — Aachener Streichgarn- Spinnerei, Alb. Bruls; Aktien-
Spinnerei Aachen; Hubert Alt (W. Renner); Vereinigte Streichgarnspinnereien. ~ L. Rosonberg jr. :
Wertheim & Schiff.
Eisenbahnwagen-, Automobil-, Leder-, Kratzen-, Nadel- undMaschinenfabriken:
G. Talbot & Co.; J. P. Goossens, Lochner & Co. — Mannesmann-Mulag; Fafnir- Werke. — Aachener
Lederfabrik, A.-G.; Aachener Kratzenfabriken (Cassalette & Co.-A. G. Hermann); \'ereinigte
Kratzenfabriken (G. Kellner). — Leo Lammertz; Georg Printz; Hugo Heusch & Co.; Rheinische
Nadelfabriken A.-G.; Konr. Seyler. — Sev. Heusch; L. Ph. Hemmer; .Jacques Piedboeuf; F. Schuh-
macher & Co.
Spiegelglas-, Porzellan-, Chemische, Tabak-, Scliokoladenfabrikeii; Brennerei
und Brauerei; Material- und Öl-, Eisengroßhandlungen: Hellenthal, E. & Co. (H. Loh-
mann); N. Kinon. — Risler & Co. — Cl. Lagemann; Gebr. Vossen; Aachener Chemische Werke
für Textil-Industrie. — Gramer & von Baerle; Gebr. Querinjean. — Leonh. ifonheira; Rheinische
Schokoladenfabrik H. Damblon & Co. — Adler-Brennerei u. Brauerei von Herrn. Consten. — Bleei!
& Mackenrodt. — B. Holländer; Jos. Holländer.
Banken: Aachener Bank für Handel und Gewerbe; die Fihalen des Barmer Bankvereins
Hinaberg, Fischer & Co., der Darmstädter Bank für Handel und Industrie, der Deutschen Bank,
der Dresdner Banli und dos A. Schanffliausenschen Bankvereins; Koch. (Ittcii Ä- Co.; Probst i^- Co.
Inlialt.
Teil I.
Die Kartographie als Wissenscliaft.
A. Die Stelliins: der Kartographie im Gebäude der Wisseiisehalten.
I. Allgemein Methodisches uiul Kritisches.
Seite
1. Die Berechtigung einer besondern Kartenwissenschaft 1
2. Wisscnschafthche (theoretische) und praktische Kartographie 3
.'5. Die Kartenwissenschaft eine dualistische Wissenschaft 6
4. Beobachtung und Messung 9
ö. Kartographische Induktion, Deduktion und Fiktion 11
6. Psychische Hemmnisse und ökonomische Tendenz im Kartenbild K>
7. Die Kartenkritik '5
8. Das kartographische Plagiat I*J
9. Richtlinien für die Beurteilung von Originalkarten 2-
II. Die historische Methode in der Kartogra])hic.
10. Zweck und Aufgaben der historischen Methode 24
11. Jüttel und Wege der historischen Methode 28
12. Das historische vergleichende Kartenstudium 32
13. Die kartographischen Schulen und Pflegcstiittrn 3.^
14. Die großen kartograplüschen Anstalten Deutöcliland^ 39
15. Wandkarte und Atlas •*-
li. Zur Krltirschuu!; des ^Ve^('ll^ (h-r Kailc.
1. Die Karte an sich.
K). Probiem.'telluiig über das Wesen der Karte
17. Kartenwesen und Kartenart
18. Kartendetinition und Kartenname
19. Die Karteneigenschaften im allgemeinen
20. Die Karte als Ruhepvnikt in der Erscheinungen Flucht
21. Autor- und Datumangabe der Karten. Namenindex
22. Der Kartenkommentar
11. Die Bedeutung der Karte.
66
23. Karte und Buch
24. Zur pädagogischen Bedeutung der Karte. Karte imd Bild 69
2.'). Entstehung und Zweck der Karte '-
26. Die Bedeutung der Karte für die geogiuiihische Wissenselialt im "ueondoni 74
V, Inhalt.
27. J)io Bedeutung der Kaite füis praktische Leben 76
28. Überschätzung und Ausartung der Karte. Karteiikurio.sa 78
29. Karte und Kunst 81
30. Die kartographische Befähigung einzelner Völker 85
('. Gniiulziii;«' der ijciit'invärtijÄt'ii und künlfiiieu Eiilwickluug der Kartoaiapliie.
I. Nmio Bahuen und neuo Anfgahen.
31. Die Evidcnthaltung der Karten 91
32. Die Weiterentwicklung der C4eländedarstelluiig '. 91
33. Verschmelzung von Landkarte und Meerestiefenkartc 93
34. Buntfarbige und einfarbige Karte 94
35. Entwickhmg der morphologischen Karte im allgemeinen 94
36. Die Entwicklung der morphologischen Karte durch Passarge 97
37. Die Entwicklung der morphologischen Karte durch Gehne 99
38. Verquickung von hypsometrischem und kulturgeographischem Element 100
II. Internationale Aufgaben und Weltkartenproblenu'.
39. WirkUche Weltkartenproblemc 102
40. Europäische Kartenprobleme 104
41. Die Entwicklung des Planes einer Weltkarte in 1 : 1000000 106
42. RichtUnien und Vorschläge für den Aufbau der Weltkarte in 1 : 1 000000 108
43. Die Kartographie als Kulturmesser. Das Internationale Kartographische Archiv .... 112
Teil IL
Das Karteiinet/;.
A. Zur Kritik der Karteuprojektiou chorographischcr Karten.
I. Zur Geschichte der Kritik der Kartenprojektion.
44. Die Projektionstheorie im allgemeinen Umriß 115
45. Die Projektionen für den Geographen nicht Zweck, sondern Mittel zum Zweck .... 117
46. Erstes Aufleuchten der Projektionen 117
47. Hindämmern und Lichtstrahlen im mittelalterlichen Kartenwesen 118
48. Die erste Sturm- und Drangperiode der neuen Kartographie und deren Projektions-
erzeugnisse 119
49. Die von Mercator angewandten Entwürfe 124
50. Die Projektionen in der klassischen Zeit der neuern Erdkrmde 126
51. Die moderne Kartennetzreform. Verzerrungsgesetz. Indikatrix 129
52. Einfluß der neuen Lehren auf das Kartenbild 131
IL Namen und Systeme der Projektionen.
53. Die kritische Geschichte der Theorie imd Anwendung der Projektionen im allgemeinen . 133
54. Benennung älterer Projektion nach ihrem Urheber 134
.55. Lösung des Kegelnetzproblems bei Mercator 137
56. Richtlinien für die Benennung neuerer Projektionen 142
57. Die neuen deutschen projektionstechnischen Bezeichnungen 144
58. System der Projektionen von mathematischem Standpimkt aus 146
59. Kintcilung der Projektionen auf Gnindlage der Linionsystcme 148
60. System der Projektionen von geographischem Standpmikt aus 151
Inhalt. VII
15. hit' Biaiicliliiiikcit der Pidit-klidiicii für (■iKirofirapliiscIic Karten.
I. Allgemfineru geograpliiticlu' Auforderuiigen an die Kartt-nnetze.
61. Der Kampf zwischen fläcbentreuer und winkeltreuer Projektion 1.5.3
62. Die Flächentreue und ihre L'<n_'iaiiiii~i lie Bedeutung 1.54
63. Die flächen- und ^nidieltn u. u Kart, iim t/e in ihrer Wertschätzung bei dem KartcniJiaktil<t r I.m
64. Kartennetze auf Grund iiuithtiniitis. h. r und geographischer Überlegung I.57
6ö. Die geograpliische Analyse der Erdkugelnotze l."»".)
66. Der Wert geradhniger Parallelen 161
II. Die geographische Brauchbarkeit einiger rrojektioneii.
67. lU'chtcckige JSrdkarten und Verhältnis von Mittelmeridian zimi Äquator 164
68. Kreisförmige Erdkarten (Kreisnetze) 167
69. Das Oval und andere Umrißfonnen der Erdkaiteu 168
70. Die geographische Kritik an der Mercatorprojektion 170
71. Die Forderungen der Wirtschafts- mid politischen Geographie an die Kartennetze ... 174
72. Zur Verteidigung der Mercator-Sanson sehen Projektion 175
73. Zur Verteidigung des Bonneschen Entwurfs 178
('. Zur Kritik der Projektion topograi»hisebcr Karten.
I. Die (iriuuUagcn der tupographisc-hcn Ahhilduugen.
74. Die geographischen Koordinaten I7!t
75. Die rechtwinkhgen Koordinaten auf der (mathematischen) Erdoberfläche. Die Soldner-
schen Koordinaten 182
76. Die Gaußschen Koordinaten (Die Gaußsche Projektion) 183
77. Die Soldnersche Projektion 186
78. Das Gitternetz 189
II. Die Gradnetze der topographischen Kartenwerke
79. Gradabtcilmigskarte imd Polyederprojektion 19-
80. Topograplüsche Karten ohne Gradabteilung, insbesondere die Bonnesche Projektion . 19.5
81. Der französische Einfluß in tojwgraphischen Kartenwerken 1'.I7
82. Der deutsche Einfluß in topographischen Kartemverken 199
83. Die zulässigen Fehler großmaßstabiger Karten 2(M
Teil III.
Die Karteuaiifnalimc.
A. Das Bedürfnis naeli !;ToßmaBstabis:en Karten.
I. (ieograjih und Oeodiit.
84. Das gemeinsame Arbeitsgebiet zwischen Geographen iu\d (Icoiläten . -H
85. Die Scheu des Geographen vor groBmaßstabigen Karten 21
86. Die tojximetrische Gnmdkailc- oder die Einlu-ilskiutc 21
II. (leulogie und t opogva pii iselic Kartr.
H7. ZiUMimmenarbeit von Geologie und Toiwgraphie -'
SS. Eine bessere geogiuphi.-iche und geologische Au.sliilduuL' <lct 'l'c>i«>i:nipluii 21
S9. Die iMaIJstabfrage bei geologischen Aufnahmen -'
111. Wirtschaft und topomotrische Karte.
Seite
90. Geologisch -agronomische Karten. Forstkai-ten 219
91. Eisenbahn-, Straßen- und Wasserbaukarten. Wirtschaftsgeograpbische Karten 220
92. Der ökonomische Wert großmaßstabiger Karten und das Wachsen der Ansprüclie an den
Maßstab 221
IV. Die großmaßstabigen Karten einzelner Länder.
93. Die großmaßstabigen Karten außerdeutscher Länder 22.3
94. Die großmaßstabigen Karten der deutschen Länder 224
95. Die praktische Durchführung einer einheitlichen topometrischen Gmndkarte 225
96. Militär- imd Ziviltopogi-aphie. Neuorganisation im Vermessimgswesen 226
V. Die Genauigkeit der topographischen Karten.
97. Vorbedingung zur Beurteilung der Genauigkeit 229
98. Der erschütterte Glaube an die Unfehlbarkeit offizieller Karten 229
99. Die absolute Genauigkeit 230
100. Das Maß für die Genauigkeit großmaßstabiger Karten (die geodätische Genauifikeit) . 231
101. Die niveUitisch imd trigonometrisch bestimmten Punkte 233
102. Die Genamgkeit der Höhenkurvenzeichnung an sich 234
103. Meßtisch oder TachjTneter? Das topographische Sehen 237
104. Kein Allerweltsaufnalimcvcrfaliicn. Das Vcrläßliclikeitsdiagramni 238
B. Die Auhiahmeiui'lhodt'ii und ihn' geographische Kompeteii/.
I. Geschichte und Bewertung der Ka rtenaufnalmie.
105. Die Zielsetzung topographischer Aufnahmen 239
106. UrsprüngUche primitive Airfnahmemethoden 240
II. Die lineare Topograiiliie.
107. Die flüchtige topographische Aufnalimc 241
108. Die Orientierung im Gelände 242
109. Das Itinerar oder die Routenaufnahme 244
110. Die Phantasie als große Gefahr der Routenantnahnic 245
111. Die deutsche Kolonialtopographie und -kartograph c 247
112. Die außerdeutsche Kolonialkartogiapliic 248
111. Die flächenhafte Topographie.
113. Plächendeckung, das Hauptziel der topographischen Aufnahme 249
114. Die topographischen Vorkenntnisse der Forschungsreisenden 250
115. Flächendeckung mit wenigen Aufnahmeinstrumenten. Krokiertisch, nicht Peiltisch . . 251
116. Das geographisch-topographische Programm einer Neuaufnahme 253
117. Die geographische Vermessung bei den Nordamerikanem 255
IV. Das trigonometrische Skelett.
118. Wesen der Trianguherung 255
119. Zur Geschichte der Trianguliei-ung. Die altem Triangulierangen 258
120. Die moderne TrianguUeirmg Deutschlands mustergültige Vermessungsarbeiten .... 260
Iiiliall. IX
V. Das Nivellieren.
Seite
121. Wesen und Aufgaben der Kivellicnnij.' 263
122. Der Höhenausgangspunkt 264
123. Der Nivellcnientsanschluß 266
('. Das Lichtbild in diT Kartenaufuahiiie.
I. Das Lichtbild bei der terrestrischen Aufnahme.
124. Wesen und Bedeutung des Lichtbildes für die Aufnahnio 266
125. Das Bildmeßverfahren 267
126. Das Raimibildmeßverfahrcn 269
IL Das Liclitbild in der Luftaufnahme (Luftbildaufnahme,
Aerophotogrammetrie) .
127. Ent\vicklimg der Luftbildaufnahme 272
128. Das Entzerren der Fhegerbilder und die Verfahren der Kartcnverbessenmg aus Flieger-
bildern 273
129. Besondere Übelstände der Luftbildaufnahmen 275
in. Neuaufnahmen mit Fliegerbildern.
130. Neuaufnahmen nach Fliegerbildern mit Voraussetzung von iixlischen Festpunlcten . . . 276
131. Neuaufnahmen nach Flicgerbildem mit Verzicht auf irdische Festpunkte 278
IV. (iruudriß- und Geländedarstell iing.
132. Toixjgraphisclie Aufnahme schwer zugängücher Gebiete 280
133. Verbesserung des toiXDgraphischen Grundmaterials, insbesondere des Grundrisses . . . 281
134. Iri-ungen beim Fhcgerbildlesen 282
135. Das Versagen des Fhegerbildes bei der Tarraindarstellung 282
136. Das Meßbarmaclien des Geländes auf dem Fhegerbild 283
137. Da.s Fliegerbild als Unterlage beim Tojxjgraphieren. Abschließendes Urteil über seinen
Wert 284
V. Die Luftbild Um rte.
138. Das Wesen der Luftbiklkarte oder der besondern Flugbildkiulc 285
139. Der Wert der Luftbildkarte. Kein Kartenersatz 28«
140. Die Luftbildaufnahme ein Teil der Landcsaufnahnu' 287
VI. Die Luft fahrer- oder Luf t schifferkart <■ und die praktischen
Flugkarten.
141. Wesen und Entwicklung der Luflschiffcrkartc 288
142. Flugstraßen und Höhenschichton als flugkartograpliisclie Prohlciiic 289
143. Luftschifferkarte und Seekarte 291
144. Maßstabfrage tmd aeionautische Weltkaitc 293
145. Die allgemeine Flugkarte 293
146. Die spezielle Flugkarte 294
Teil IV.
Die Landkarte und ihr Lageplan.
(Morphographie I. Teil.)
A. Miiltstiilt, (»lifiitidiiiig. Goneialisicrung, KarteiiNtliriK iiiul Kailciiiiaincii.
I. Der Maßstab.
Seite
147. \\\-sfn des Maßstabs SM
14S. Die genaue MaÜstabbezeichnunt; 2!)()
149. Maßstab und Kartenart, ältere Einteilungen 297
150. Entwertung der Maßstäbe, neue Einteilung 299
151. Maßstab und Kartennetz :500
152. Altere Maßstabbezeichnungen. Der Meilenmaßstal) .'502
153. Ältere Maßstabbezeichnung auf Hemisphären .304
154. Maßstab und Kartenforraatbestimmung ,306
155. Neuere Maßstabbezeichnungen. Der Äquator als Maßstabträger 306
156. Der Meridian als Maßstabträger .307
157. Der Parallel als Maßstab träger. Der mittlere Maßstab 308
158. Mittlerer Maßstab = enaittelter Maßstab 308
159. Jlittelpunktmaßstab. Doppelter Maßstab und Kugehnaßstab 310
160. Die Maßstabbezeichnung in Bruchfoi-m 310
161. Neue Bezeichnung für topographische Maßstäbe und ihre Einfüluung auf Karten kleinein
Maßstabs 312
162. Nichtberechtigte und berechtigte Maßstabbezeichnungen 314
163. Der Flächenmaßstab 31(>
164. Wünsche und Ziele der Maßstabangabe. Die Bruchfomi intemational 318
165. Sicherheiten und Kommensurabilität des Maßstabes 319
II. Orientieren der Karte.
166. Wesen der Orientienuig 321
167. Arten der Orientiening 322
168. Die verschiedene Orientierung nach praktischen Bedürfnissen 324
169. Das praktische Bedürfnis der Südorientierung im speziellen 325
170. Die Nordorientierung 327
III. Das Generalisieren.
171. Die naturähnliche Wiedergabe der Objekte 328
172. Wesen und Schwierigkeit des Generalisierens 330
173. Keine Gesetze des Generalisierens 332
174. Veralli^emeineruni.' ttrminologischer Gattungsbegriffe, d. i. Vereinfachen und Zusammen-
ziehen des Stoffes 332
175. Die mathematische Erfassung des Generalisierens von Flächen- und Linienelementen . 333
176. Die quantitative Generalisienmg, d. i. Beschränken und Auswählen des Stoffes .... 334
177. Die Stoff besehränkung auf Schul Wandkarten 335
178. Die qualitative Generalisienmg, d. i. Herausarbeiten imd Hervoiheben bestimmter geo-
graphischer Objekte und Begriffe 336
179. Wert des Generalisierens 337
IV. Kartensclirift und Kartenuamen.
180. Die Kaitenschrift imd ihre Entwicklung 339
181. Der Kart«nstil 340
182. Antiqua vmd Fraktur .341
183. Die Handhabung der Kartenschrift im allgemeinen 342
184. Wertsfiieifhing den- rfpograijliisclicn Ohji'Utc diinli (JinBc. Stär-lic Ai-1. Stclliiiiir iiiul Fiirlic
der Schriftzeichen •i'iS
185. Wesen und Aufgaben der Kui Icniiaini'U .■i45
186. Die stumme Karte 347
187. Die halbstuinme Karte 348
188. Das geographische Moment der Karteiischrift. Ihre Bedeutung als Ersatz für Signaturen 348
189. Auswahl und Stellung der Namen :H9
190. Die aus der Pra.xis entwickelten Regeln der Nanienstellung 350
191. Die Zahl 351
192. Transkription der Kartennamen, ein ungelöstes Problem 353
19.'?. Kompromisse in der Transkription und Auswüchse der Namengebung 354
194. Orthograpliisches und phonetisches Prinzip in der Transkription 356
K. Die zwt'idinu'usioiialo Darstclliiii!; auf dor Karle.
I. Darstellung der von der Natur gegebenen geograpliischeu Olijekte.
105. Die Entwicklung des Kiistenumrisses 357
196. Die Verteilung von Wa.iser und Land 359
197. Land- und Wasserhalbkugel 360
198. Die Zeichnung der Küstenhnie und der Mceresfläclien 361
199. Darstellung der Binnenseen 364
200. Das kartographische Bild der Gletscher 364
201. Die zeichnerische Entwicklung der Flüsse 364
202. Die Uferlinien 366
203. Quelle und Mündung 369
204. Flußschiff barkeit. Besondere Flußkarten und Stromsysteme 369
205. Wüste und Steppe im Kartenbild 370
206. Darstellung der Sumpflandschafteu 370
207. Der Wald (einschUeßhch Savannen). Die Notwendigkeit seiner Darstellung 371
208. Unterscheidung der Baumarten 374
IL Zeichnung der von Menschenhand ins Antlitz der Erde
eingeschriebenen Spuren.
209. Die Kulturfläche im allgemeinen 375
210. Felder und Wiesen im Kartenbilde 376
211. Darstellung von Sonderkulturen 377
212. Die Entwicklung des Städtebildes auf der Karte 377
213. Der Kampf zwischen Auf- und Grundriß beim Städtebild 379
214. Die Kreis- oder llingsignatur 381
215. Systematisierung der Ortssignaturen 383
216. Die Verkehrswege und ihr SjTiibol 386
217. Die Wegeklassifikation im Kartenbilde 387
218. Mangelnde Angaben von Entfernungen, Gefälle und Steigung 388
219. Entwicklung der Brückensignatur 389
220. Dar.stellung der Kanäle und Tunnels 391
221. Hervorhebung charakteristischer Einzelgebilde, von KuUui-stiidten und -statten .... :i92
222. Die Triangulationspunkte 394
223. Entwicklung des poHtischen und adniini.strativen tSrenzbildes 395
224. Die farbige Grenze und Grenzgenauigkeit 396
225. Die spezielle Grenzsignatur 39/
226. Der Wert der Symbole imd die Signaturentafel 398
227. Versuch einer generellen Einteilung. Büek- un.l Vor1)li(l< iibei di.' KMlwicklunt; der sym-
iH.Iis.'hen Zei<.|,eii 39S
Teil V.
Die Landkarte und ihr Gelände.
Geschichte und Tatsachen der Geländedarstellung.
(Merphosraphie II. Teil.)
A. Dir Geläudedarstelhin^ im Altertum und Ulittelaltcr.
I. Das Gelände, ein konstitutives Element der Landkarte.
228. Bedeutung des Geländes für Karte und Kartenwissensehaft ."iOO
229. Schwierigkeit der Geländedarstellung. (Allgemeines.) 400
IL Die Uranfänge der Geländedarstellung bei Kultur- und
Naturvölkern.
230. Die ältesten Kartendokumente 401
231. Die Karten alter Kulturvölker und Karlen von Xaturvolkern 403
232. Die ai-abisclie Kartographie 404
IlL Das Tasten und Suchen nach einer Geländedarstellung
im Mittelalter.
233. Der Wert der mönchischen Kartenbiider 406
234. Die Scliollcnfonn und ihre Abwandlung auf tlcn Jlönchskarten 407
233. Die Grundfoi-men der Geländedarstellung auf den Mönehskarten 408
I«. Die (icliiiidi'darslcllimg vou der Ri'uaissancc bis zur Slunu- und Ihans;;-
periodc in der Pisten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
1. Grund- und Aufriß der Geländedarstellung von der
Renaissance bis Ende des 18. Jahrhunderts.
236. Der Ptolemäus als Prototyp der modernen Kartographie 410
237. Die ptolemäische Grundform der Geländedarstellung. Die ptolemäisehe AufrilJfonu . . 412
238. Die ptolemäische Grundrißform 415
IL Begriffliche Scheidung des Geländes.
239. Karten mit planloser Anhäufung der Gebirge 417
240. Karten mit richtiger Lage der Gebirge. Beginn der wis.'ionscliaftlichon EjkjcIic der G<'()-
graphie 419
241. Qualitative Merkmale der Gebirgsdarstellung 420
242. Quantitative Differenzierung der Bergformen 423
III. Das Morgendämmern neuer Geländedarstellungen.
243. Geländeaufnalune. KavaUer- und Vogelperspektive 425
244. Pläne und Kai-ten in KavalierjÄrspektive 426
245. Offizielle Karten in Halbperspektive und deren Verklingen 429
246. Die Schattenschraffe. Von der Talschraffe zum Wasserscheidegebirge 430
247. Die Geländeschraffe. Die erste Schraffenkarte 432
248. Bekannte und unbekannte Schraffenkarten des 18. Jahrhimderts 433
249. Abirrungen der Schraffenzeichnung 434
250. Die ersten Anklänge wissenschaftlicher Behandhmg der Geliindedarstellung in Schraffen
und in Tu.schmanier 435
251. Die Erfindung der Schichtlinie 437
252. Die ersten Tcrrainkart<^nvc7-8uche in Schichtliuicu und die .Schwierigkeit ihrer Hersk-llung 439
('. Die (M'läiidi'daistelliiug von Uosiuii der klassisihi'ii Zi-it bis zur (icgt-iiwait.
I. Die kartographische Kevolution am Ende des 18. Jahrhunderts.
Seite
253. Die säkulare Wiederkehr kartographischer Umwälzungen 441
254. Die politischen vmd wissenschaftlichen Ui-sachen der kartographischen Revolution . . . 442
255. Geheimhalten staatlicher Kartenwerke. Die staatliche Übernahme des Vermessungswesens 44:j
256. Fi-ankreichs Anstoß zur Staatstüpographie. Deutsche Privattopograpbie 445
257. Die wis.sen.schaftliche Begründung der Hypsometrie und der Seh raff endarsteUung. Das
Entstehen \rissenschaftUcher und wirtschaftlicher Sonderkarten sowie der Touristenkiutc 447
IL Die Lehrjahre in den neuen GeLindedarstelhingen
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
258. Die kartographische Metropole Paris. Die Hypsometrie 44,s
259. Das Höhenbild 440
260. Das Profil und seine Bedeutung. (Das Blockdiagramm.) 4.">()
261. Die Landesaufnahmen und ihr Besitznehmen der Schichtliuiendarstellung 4.5."!
262. Von der Schichtüiiienkarte zur Hübenschichtkarte 400
263. Die Ersthnge der Höhenschichtkarten 457
264. Die Geburt der geogiaphisch und anthropogeographisch bedingten Itegionalfarben . . . 459
265. Die Suprematie der Schraffe 4(!0
266. Schräge imd senkrechte Beleuchtung der Schraffenkarte oder französische und deut.schc
Methode 462
267. Die langsame Vervollkommnung der Schraffen auf topogi-aplüschen und chorogiuphiscben
Karten 463
268. Erste Versuche der Verbindung von SchichtUnienkarte mit Schi-affenkarte 466
IIL Die Meisterjahre in der Geländedarstellung von der Mitte des
19. Jahrhunderts bis zur Gegenv\-art.
269. Neue Einflüsse der Geographie und Topographie auf die Kartographie 467
270. Erfindung neuer kartograplüscher Reproduktionsmethoden 467
271. Die Gebirgszeichnung wird zimi Weseirsteil der Karte. Neue toiMgraphiscbe Kartenwerke 468
272. Die tojwgraphischen Übersichtskalten oder die Generalstabskarten 470
273. Die Alpenkarten, das große Studienleid der Geländedarstellungen 471
274. Die Schweiz, das klassische Land der Gebirgsdai-stellung. Die Dufourkarte 47 l'
275. Der Siegfriedatlas (Siegfriedkarte) und sein Einfluß 47t
276. Die Felszeichnung. Einfluß neuer Aufnahmemethoden auf die Gebirgszeichniuig . . . 475
277. Die Schraffe in ihrer höchsten Entwicklung als Böschimgsschraffe, Schattenschraffe tind
allgemeine Gebirgsschraffe 478
278. Die gesonderte Terrainplatte 4St»
279. Die Entwicklimg der Schtmimerung 4.S1
280. Die Entwicklimg des Farbenkolorits .483
281. Die Höhenschichtkarten der privaten und staatlichen Kartograph!. . 4S4
282. Das Herauscntwickeln der Farbenplastik. Die Leipziger Schule . ... 486
283. Die Wiener Schule 4«8
284. Die Edinburger Schule 489
285. Die Hochbildkarten. Die Schweizer Reliefkarten oder die Karten in S<liwii/.ci Miul.r 490
286. Die wahren Hochbildkarten und die Pseudo-Hochbildkarten . . 493
287. Das Hochbild oder das Relief 495
288. Das Rundbild oder das Panorama 496
Teil VI.
Die wissenschaftlichen (jJruudlagen der Gfeländedarstellung.
(Morphojiraphie III. Teil.)
A. Eiuniliiiiii!; iu die Theorie der Geländedarstelliini;.
I. Die morphographische Deduktion.
289. Die moiphogiaphigche Deduktion im allgemeinen 498
290. Die theoretische Kartographie auf neuen Grundlagen nach Peucker 499
291. Die Geländedarstellungsart und ihre mathematische FormuUenmi; 501
292. Geländedarstellimg und Plastik 503
IL Die morphographische Induktion.
293. Die technisch-morphologische Geländelehre. Einzelfomien 504
294. Die GerippUnien 506
295. Die reine Geländelehre. Schratfe, Schichtlinie, Farbfläche 507
B. Die Böschuugssehral'ie.
I. J. Cr. Lehmann und sein System.
296. Die ^'orläufer Lehmanns 509
297. Das Lehmaiuische System und seine wissenschaftliche Voraussetzung 512
298. Abänderung der wissenschaftlichen Grundlage 513
299. Lehmanns Lehrsätze. Die Schichtlinie bei Lehmann 515
300. Lehmami im Urteil seiner Zeitgenossen und Nachfahren 516
301. Die Überhaltung der Schraffe 518
302. Die Stärke und Schwäche der Schraffe 519
303. Die Schraffen als Großkreisschnitte 521
IL Die Nachfolger Lehmanns.
304. Die deutschen Nachfolger Lehmanns, Müffhngs Manier 524
305. Lehmanns System für Katasterkarten 526
306. Rückschluß vom Schwarz-Weißverhältnis auf Neigungsgrad. Bestimmung von Strich-
länge imd Strichstärke. Strichanzahl 526
307. Verlauf der Striche -528
in. Die Böschungsschraffe bei den Franzosen.
308. Lehmamis Einfluß auf die Franzosen 529
309. Die selbständigen Ansätze zu einer Bösohungsschrafte. Das Abstand- oder Viertelgesetz 530
310. Schraffenskalen von Bonne und Hossards Resümee .532
IV. Die Zukunft der wissenschaftlichen Schraffe.
311. Die Zukunft der wissenschaftlichen Schraffe. Lehmann, der Klassiker der Geländedar-
st.-llnng 533
C, Die Seliattenschrafl'c.
I. Böschungsschraffe und Schattenschraffe.
312. Das Wesen der Böschungsschraffe und Schattenschraffe im allgemeinen 535
313. Das .\nschauungsbedürfni3 des menschlichen Geistes. Die Arten der Beleuchtung . . . 536
314. Kein konsequentes Schräglicht 537
315. Die Anwendungsbereiche von Böschungs- und Schattenschiaffe 538
316. Das Verhältnis der Böschimf.'- und Schattenschraffc zur SchichthMic -539
II. Senkrechtf und schräee ßeleuchtunt,'.
Seite
317. Der Kampf um die seukrechtc und schräge Beleuchtung, besondere auf französischer Seite 540
318. Die französischen Hauptvertreter der senkrechten Beleuchtung 542
319. Französische Gegner. Französische Art der Beleuchtung 543
320. Die Alpen das günstigste Anwendungsbereich der Schattenschraffe. Die Dufourkarte . 544
321. Die Mängel der Dufourkarte 545
322. Deutsche Hauptvertreter der schrägen Beleuchtung 546
323. Deutsche Gegner der schrägen Beleuchtung 548
324. Sorgsames Abwägen der Vor- und Nachteile von Ober- und Schräghcht 549
325. Die Anschaulichkeit der Touristenkarte 551
326. Die schräge und senkrechte Beleuchtung in Pemkschen .Studien 552
327. Die zentripedale Beleuchtung _ 554
328. Die senkrechte Beleuchtung als Axiom des Gelehrten 557
III. Vom Lichteinfall im besondern.
329. Der dekhnable Ldchteinfall 559
330. Südliche Beleuchtung und Orientierung 560
331. Der inklinable Lichteinfall 562
332. Die naturgemäße Behchtung und ihre Zukunft .563
I). Allst'iiii'iiio (icläiKk'Scbralle und Schialfeiu'isaf/.
I. Die allgemeine Geländeschraffe.
333. Unterschied zwischen Bö.sclumgs- und allgemeiner Geländeschmffe 564
334. Die Geländeschraffe und ihr AvissenschaftUcher Hintergiomd 564
335. Die Inhomogenität der Karten einheithcher Kartenwerke 566
336. Die unobjektive und unexaktc Schraffe 567
II. Die bunte Schraffe.
337. Die Schraffe im Bunt- und Schwarzdruck 568
338. Die wissenschaftlich biuite Schraffe 568
339. Die buntfarbige allgemeine Schraffenkarte 569
III. Der Schraffenersatz.
;i40. Der Schraffenei-satz im allgemeinen 571
.341. Wiechels System der schrägen Beleuchtimg (in Schimimenmg) 572
342. Schräge Beleuchtung und Wellenform der Böschiuig in Beziehung zu VN'ieihels System 574
343. Richtlinien zur einfachem Auffassung und zurFortentwiokhmg des Wiechcischen Systems 575
344. Schattcnplastik und Formen jilastik 5(6
:M5. Schummerung und Schichtlinie 577
]']. Elciiif'iilc ciiior iK'iicn (iflüiidiMlarsIclluni; (Kckcrls l'uiiklsy.s(t'in)
I. Zur Ccncsis des l'unkt sy.'^lciu.s.
346. Vorbegriffe luid Vorbemerkungen
347. Das mathematische und technische (Jcriist der J'uiikldai^lcllunf;
11. Das l'miktsyst.-ni und seine Anwenduni;.
348. V..rt.'ilc und Xa.liteilc des l'.n.Utsysle.ns und seine praklis.lie Auwenduii-
:M9. Die bislurigc Anwendung des Punktes in d.r Kai l..-iiililiif
Inhalt.
F. Die Stirulillini«' mul <lii' Uölu'iisihichlliarlf.
I. Dil' Si'lnchtliiiip an sich. j-eite
.'592
:?50. Namen und Wesen der .Scliichtlinieii j_^^
W'A. Foinilinien
IL Zur Kritik der Schichtlinien.
3ö2. Die Schichtlinien kleinmaßstabiger Karten. (Geographische Kritik.) ^^
■}-):! SchichtUnienkarten oi-stcr und zweiter Ordnung -^
:W4 Das Genauigkeitsniaß bei chorographischen Scliiehthnienkarton ■ ■ • ■ ; f'
35.5. Das topographische Unvermögen der Schichtlinie; ihre naturgenuiße Darstellung . . . o9S
356 Schichtlinienabstand und Böschungswinkel •' •
357 Die Äquidistanz der ScbichtUnien auf Hochgübirgskartcn
358' Die Vei-nachlässigungswerte bei der Gleichabständigkeit (Gleichentfcrnung) 001
359. Hilfen der geographischen Kritik an SchichtUnienkarten
360 Gleichentfernung und Steigung und Neigung-swinkel
301. Bezifferung und graphische Differenzierung der Schichtlinien
III. Die farbige Schichtlinie und die rseuddköri.erlichkcil der
Schichtlinie.
362. Die Realität der Schichtlinie. Die farbige SchichtUnie '^j'^^^
363 Plastik der Schichtliniendarstellung
364 Die beleuchtete SchichtUnie (nach photographischer Aufnahme) -
36ö'. Die beleuchtete SchichtUnie (nach Konstruktion). PauUnys Manier -^ • y ; ; ; ' ""'
:„m. Die einfachere Entwickhmg der Paulinyschen Methode. Die Fehler der Methode 1 a.ü.nj. ^^_
und der danach ausgeführten Karten
IV Der wissenschaftliche Aufbau der Hölienschicht kart <•».
.... 618
367. Die Isohypsen und ihr Zwischem-aum ^^^
368 Die Regionalfarben , \, «91
369. Die reine Höhenschichtkarte und ihre ersten «nssenschaftlichen lest.setzungen • • ■ ' «^^
370. Die Wiener Schule g23
371. Die Leipziger Schule g2^
G. K. Pcuckers Farbeuplastik.
1. Farbenplastisches und malerisches Höhenbild.
374 K Peucker, der Begründer einer neuen Ära in der Kartographie . «25
375' Begriff der Farbenplastik. Die adaptiv-perapektivische Farbenplast.k . ■ ■ • ■ ■ -^ -
376'. Das malerische Höhenbild der Schweizer im Gegensatz zu dem ^nssenschafthch em.leut.gen ^^^
Höhenbild Peuckers
II. Zur Raumwirkung der Farben.
377. Farben ohne raumerhebende Wirkmig. (Kalte und warme Farben.) ^ . • • , • ^'^
378. Die spektral-adaptische Farbenreihe. Die raumbildenden Eigenschaften der bpektiul- ^^^
färben
m. Die farbenplastischen Karten und ihre Zukunft.
379. Peuckers farbenplastische Karten g^^^
380. Vorschläge zur Verbesserung farbenplastischer Systeme •■■■•,.■, K = ....>n ß'^7
381 Die weitere Anwendung der Farbenplastik auf topographische und ehorograplusche Kaitoi 63.
382 Peuckers System und die künftige Umgestaltung der Handatlanten
(140
Nachtrag
Teil L
Die Kartographie als Wisseuschaft.
A. Die Stellung der Kai-tographie im (Teltäiide dei- Wissenschaften.
I. Allgemein Methodisches und Kritisches.
1. Di»' Berechfisuiis einer hesouderii KarteuHissenschalt. Sdnvierig ist es, einen
neuen Wissenschaftszweig zu begründen und einzufühlen, eine Disziplin, über deren
Umfang man sich bisher nicht klar ist, deren Methoden kaum oder nur teilweise aus-
gebildet und über deren Daseinsberechtigung neben gewichtigen Urteilen schiefe Be-
hauptungen aufgestellt worden sind. Locken auf der einen Seite die Schwierigkeiten,
einer so gewaltigen Aufgabe Herr zu werden, läßt sich zugleich auf der andern Seite
der Entwicklmigsgang der Geschichte der Wissenschaften nicht aufhalten und drängt
nach einer übersichtUchen Darstellung des sich planlos angehäuften Stoffes und damit
zur Anerkennung der neuen Disziplin, die sie als ein Schlußstein geographischer Bildmig
in reichem Maße verdient.
Die Hauptaufgal)e. durch die die Aimahme einer besondern Kartenwissenschaft
gerechtfertigt wird, besteht darin, die Vorgänge zu beobachten und zu untersuchen,
nach denen die Entstehimg der Karte erfolgt, d.h. die Erfalu-ungsweisen, nach denen, die
Umstände, unter denen, die Grenzen, innerhalb derer die in der Natur, im Räume ge-
gei)enen Gegenstände aufgenommen und zum Kartenbilde umgebildet werden, und end-
lich die einzelnen Schritte, wie wir, auf Naturerscheinungen und -beoinichtungen gestützt .
durch die kombinierende und abstrahierende Tätigkeit des Verstandes, also durch
Messen, Zählen, Vergleichen, Unterscheiden, Auswählen, Verallgemeinern, Zusammen-
fassen usw. zu zweckljestimmten Karten gelangen. Bei der Erfüllung dieser .\ufgabe
werden wir erkemien, wie verhältnismäßig selten man sich mit einer fruchtl)arin Theorif
der kartographischen Darstellung im allgemeinen und wie wenig man sich im besondeni
mit der Theorie der angewandten Karten, die ithysisch-geographische und anthropo-
geogiaphische Probleme veranschaulichen, befaßt hat. Daher kann es nicht wvmder-
nehmen, daß A. Hettner die Meinung vertritt: die Beantwortung der „Frage nach
einer zweckmäßigen Gestaltung der darzustelleiulen geographischen liegriffe. die einen
«■infachen Ausdruck mit einem reichen wisseuscliaftlichen Gehalt verbinden müs-sen.
um kartographisch darstellbar zu sein", ist nicht die Aufgabe der tlieon-tisehen Karto-
graphie, sondern der verschiedenen geographischen Teildisziplinen.' Icii lioffe. daß es
' .\. Hettnpr: I)it> KijrrnschafK'n iiml McllioHrn ili'i kiiil»i;niphis.h.'n IMi^ti-llunK. <i. Z.
I«10, ,S. 82.
Erkürt, Kurtriiwisvii-clmfi. 1. '
2 Die Kartographie als Wissenschaft.
mir gelingt, nachzuweisen, daß die Lösung des Problems dennoch eine Aufgabe der
Kartenxsassenschaft ist. Des weitem werden wir zu dem Ergebnis geführt, daß die
Klarlegimg all dieser Erscheinungen auch nicht dem kartographischen Techniker über-
lassen bleiben kann, sondern wissenschaftUch begründet werden muß.
Die Forschungen und Untersuchungen der Kartenwissenschaft rufen, wie bei
jeder andern Einzelwissenschaft, verschiedene Methoden hervor. Gesetze werden formu-
liert, und faßbarer und prägnanter tritt das Wesen der Karte an den Beschauer und
Denker heran. AllmähHch beginnen in wissenschaftlicher Hinsicht die Nebel über das
Wesen und den Wert der Karte sich zu lichten; und ein heiterer Sonnenstrahl der Er-
kenntnis durchdringt befruchtend das geographische Forschungsfeld. Schon spürt
man erfreuhch den belebenden Hauch in Arbeiten, die die Kartographie zur Wissen-
schaft erheben. Abgesehen von den historischen Kartenforschimgen treten uns heute
die feinsinnigen projektionskritischen Darlegungen von Tissot und Hammer, die
philosophisch durchdachten Kartendeduktionen von H. Fischer, A. Hettner und
E. Friedrich, die sich mehr und mehr durchsetzende Kartenkritik von H. Haack,
das Eingen um die Veranschaulichung der dritten Raumdimension auf der Kartenebene
von K. Peucker entgegen.
Wie ülierall in den Einzelwissenschaften ein Vorwärtsdrängen der früher mehr
oder weniger vernachlässigten Nebenzweige zur Verselbständigung und Anerkennung,
so auch in der theoretischen Kartographie. Das Interesse der verschiedensten
Wissenschaftskreise an der Karte ist in den letzten Jahren merklich gewachsen, und
man lernt die \\assenschaftliche Leistung des Kartographen mehr und mehr schätzen.
Freilich steht mancher Vertreter sowohl A'erwandter wie nicht geographischer
Wissenschaften noch verständnislos zur Seite; ihm war bisher die Karte weiter nichts
als ein manuelles Produkt, handwerksmäßig geschaffen; noch vermag er nicht einzu-
sehen, daß in einer wissenschaftlich fimdierten Karte sehr oft mehr Wissenschaft und
mehr Fleiß und Nachdenken steckt als in einer philologischen Exegese oder in einer
auf gewissenhaftester Akribie herbeigeführten Textkonjektur oder in einer chemischen
Analyse. Nicht verkannt sei, daß solchen Urteilen zuweilen ein Mangel an Interesse
ztigrunde hegt, das imter Umständen auch nur latent ist. Würde ein Archäolog aus
antiken Fundstätten ein der modernen Karte nur entfernt ähnliches Produkt ans Tages-
licht fördern, er würde es als eine Geistestat ersten Ranges feiern. Welche Begeisterung
und Bewunderung haben schon die kartographischen Versuche Altbabylons und Alt-
ägyptens hervorgeruf(Mi, und doch sind es nur höchst primitive Ansätze zu einer Karte,
die zudem zeigen, wie die Denkrichtungen der Alten, ganz gleich, oli es sich um asiatische
oder europäische Kulturzentren handelt, in der Hauptsache in einfachen Linien vor-
wärts gingen. Deshalb auch das Einfach- Großartige, sowohl in der Kunst wie in Dich-
tung und Philosophie. Die großen Komplexvorstelhragen und das abstrakte Denken
der modernen Zeit fanden in der Antike noch wenig Nährboden. Den Alten lag die
reale oder konkrete Anschauhchkeit mehr als die modern abstrakte, was sich auffällig
in der Kartographie nachweisen läßt, selbst für Zeiten, die dem Altertum schon mehr
entrückt sind. Wie liezüglicli dieser Anschauungsweisen in der Literatur der alt-
sächsische Heliand und der Klopstoclcsche Messias Gegenpole liilden, so in der Karto-
graphie das Vertikalbild der Berge auf den alten Karten und das (lebirgsschraffenbild
der neuen Karten.
Unter den Forschern und Denkern hat K. Peucker am meisten danach gerungen,
der theoretischen Kartographie ein besonderes wissenschafthches Gebäude zu geben.
Allgemein Methodisches und Kritisches. 3
In Schrift und Karten hat er seit Jahrzehnten gewirkt, die Karte in den Mittelpunkt
geograpliisch-kartographischer Erörterungen zu stellen. Ihm verdanken wir sehr viel ;
und wenn wir irgendwo tiefer im kartographischen Arheitsfeld schürfen, begegnen wir
neben E. Hammer' und H. Wagner^ immer wieder seinem Namen und werden uns
(ifters mit ihm zu beschäftigen haben. Das Schwergewicht seiner Untersuchungen
liegt weniger auf dem Gebiete der Methode als dem des Untersuchungsgegenstandes
an sich, indem er dessen Berechtigimg als seilest ändiger Teil einer kartographischen
Wissenschaft nachzuweisen versucht.^ Er wollte eine „Geotechnologie" begründen,
die als technische Wissenschaft hauptsächUch Globuskunde, Geoplastik und Karto-
graphie umfassen sollte. Indessen haben wir uns seit langem daran gewöhnt, bei den
kartographischen Betrachtungen die erdplastischen Darstellungen, Eehefs, Globen usw.
mit einzuschUeßen, daß mithin die Bildung eines neuen Namens überflüssig erscheint.
Wie mir Peucker 1914 selbst mitteilte, hat er die Bezeichnung „Geotechnologie"
wieder fallen lassen, wodurch eine weitere Erörterung darüber gegenstandslos wird.
2. Wissensehallllche (theoretische) und praktische Kartographie. Es erweckt
leicht den Anschein, wenn ich von wissenschaftlicher und theoretischer Kartographie
spreche, als ob ich damit einen Gegensatz konstruieren will. Schon Hammer hat mich
seinerzeit darauf aufmerksam gemacht*, daß es vielleicht besser wäre, theoretisch statt
wissenschafthch zu sagen, weil ja die praktische Kartographie ebenfalls wissenschaft-
hch sein muß. Daß ich einen Gegensatz in dem Simie aufrichten will, daß die praktische
Kartographie nichts mit der Wissenschaft zu tun habe, liegt fern von mir. In dem
Eahmen einer ,, Kartenwissenschaft" halte ich den Ausdruck „wissenschafthch" um
so mehr angebracht, als er umfassender als „theoretisch" ist, wie sich im Laufe meiner
Untersuchungen herausstellen wird. Ohne Schaden für die Forschungsergebnisse ge-
brauche ich vielfach beide als identische Begriffe, und in diesem Sinne wird sich gewiß
auch der praktische Kartograph zufrieden erklären. Verschiedene praktische Karto-
graphen wollen von dem Unterschied nichts wissen, aber ich glaube, ohne üirem Wissen
und Können nahe zu treten, dürften meine Darlegungen sie davon überzeugen, daß
man auf die Aufrechterhaltimg beider Eichtimgen für ein ferneres fruchtbares Ver-
tiefen der Kartographie nicht verzichten kann. Selbstredend wird keine haarscharfe
Trennung möglich sein, und ohne Wechselbeziehungen dürfte die eine wie die andere
nicht bestehen.
Von der wissenschaftlichen oder theoretischen Kartographie, die das
' E. Hammer ist besonders bekannt geworden durch die Übersetzung und Bearbeitung von
A. Tissots „Memoire sur ia reprdsentation de.s surfaces et les projections dos cartes gtographiques",
femer durch seine „Geographisch wichtigsten Kartenprojektionen" ui\d — nicht zu vergessen —
durch seine zuweilen kla.ssischen kartographischen llefcrate iu Petemianns Oeogr. Mitteilungen iii\<l
im Geogr. Jahrbuch.
'Bei H.Wagner denkt man vorzugsweise an die ausgezeichneten kartograplüscheu Ab-
sclmitte in seinem berühmten „Ixhrbuch der Geograplüe" und an seine kritischen Arbeiten zur O»--
schichte der Kartographie in den Nachrichten v. d. K. Gt>.s. der Wiss. der Universität zu Gottingen.
' Von den hauptsächlichsten hierher gehörigen Arbeiten K. Peuckers seien her\-orgehol>eu:
."^t'liattenplastik \m<i Farbenplastik. Wien 1898. — Zur kartogr. Hai-stelhuig der dritt. Dimension.
(J. Z. 1901. — Di-ei Thesen zum Ausbau der theoretischen Kartogmphie. O. Z. 1902. — Offener Brief
an Herrn Dr. Haack. G. .-V. 190.1. — Neue Beiträge zur iSystematik der Geotechnologie. Mitt. d.
geogr. G<!s. Wien 1904. - Höhenschichtenkarten. Stuttgart 1910.
* E. Hammer i. d. Besprechung mein.-'s .Vufsntzes iil>or die Kartli«gmphio als WiM»en»rhn(t.
P. M. 190S. LB. 248, S. 92.
4 Die Kartographie als Wissenschaft.
(ianzo des kartographischen Schaffens überblickt, die die Karte naeii Wesen, Auf-
gaben und Zweck zergliedert und für das kartographische Schaffen und Betrachten
bestimmte Normen aufsucht und festsetzt, unterscheidet sich die praktische Karto-
graphie, die mit verschieden abgestuftem Takt nach konventionellen und wie mit Ge-
setzesgewalt auftretenden Regeln manuell das Erzeugnis hervorln'ingt, das wir Karte
nennen. Damit ist nicht gesagt, daß sie nicht auch wissenschaftlich sei; im Gegenteil,
ohne Berücksichtigung und Handhabung wissenschaftlicher Erkenntnisse würde die
))raktische Kartographie nur stümperhafte "Werke hervorbringen. Davon ist jeder
Sachkenner überzeugt, daß eine gute Karte herzustellen schwieriger ist als ein Buch
zu schreiben, wo man mit Worten manche Klippe leicht vermeiden kaim. Dagegen
darf sich der Kartograph bei seiner Arbeit keine derartigen Freiheiten gestatten; er
muß sinnen und trachten, in eine festgesetzte Norm und Form neuen Inhalt zu gießen,
er kaim nicht den Flußlauf, die Ortslage usw. ändern wie es ihm am besten im Karten-
bilde passen würde, sondern streng muß er sich an die mathematische, die geometrische
Gnmdlage seiner Karte halten. Allgemein sagt man, daß die topographische Karte,
die Meßtischblätter geschickte technische Leistungen sind, denn bei den großmaß-
stabigen Karten komme es nur darauf an, nach den gemessenen Winkeln, Linien und
Punkten alles in liestimmter Verkleinerung wiederzugeben, was eine rein technische
Fertigkeit sei. Doch ist es nicht allein dies — man würde die Karte in ihrem Wesen
verkennen — , sondern auch die künstlerische Befähigung und die- wissenschaftliche
Schulung, die sich selbst im großmaßstabigen Kartenbilde dokumentiert, wobei man
nur an die Konstruktion der Schichtlinien zu denken braucht. Mehr noch bekundet
sich die wissenschaftliche Erziehung des Kartographen in der chorographischen Karte.
Eine Karte von Deutschland in 1: 500000, wie die von C. Vogel, ist nicht bloß eine
hohe technische Leistung, sie ist eine künstlerische und wissenschaftliche Tat. In
der Seele Vogels mußte das Bild Deutschlands sich erst gestalten, bevor mit dem
Zeichenstift ihm der gewünschte Ausdruck verliehen wurde. Eine riesige Summe von
Vorstellungen und Apperzeptionen auf Grund Ungeheuern Tatsachenmaterials mußte
erst aufgenommen und verarbeitet werden. Br. Hassenstein, der auf Grund un-
zähliger Routen- und anderer Aufnahmen uns manche exotische Landschaft im Karten-
l)ilde nahe gebracht hat, spricht davon, wie es nötig ist, sich in die Seele des Reisenden
hineinzuversetzen, um gleichsam in dem Fußstapfen seines Denkens zu dem von ihm
gewollten Ziel zu gelangen. Nicht das Nebeneinanderstellen von Daten, nicht die Reich-
haltigkeit au Materie, sondern die kritische und sinngemäße Durcharbeitung erfordert
einen wissenschaftlich begabten und geschulten Kopf. Das hat man in der Wissen-
schaft auch anzuerkennen gewußt, wie ich oben bereits angedeutet habe. Die Ver-
leihung eines ,,Doctor honoris causa" an bedeutende Kartographen gibt ein beredtes
Zeugnis von der Wertschätzung auf wissenschaftlicher Seite. ^ Hinwiederum für die
Achtung der Wissenschaft auf anderer Seite spricht das Heranziehen von akademisch
Gebildeten in die großen kartographischen Institute. ^
' Die Würde eines Dr. h. o. wurde verliehen an August Petermann (Göttingen 185.5),
Hermann Berghaus (Königsberg 1868), Bruno Hassenstein (Göttingen 1887), Carl Vogel
Olarburg 1891), Ludwig Friederichsen (Marburg 1898), ErnstDebes (Gießen 1909), J. Bartho-
lomew in Edinburg (Edinburgh 1909).
^ Bei J. Perthes in Grotha: Dr. Lüddecke f, Prof. Langhans, Prof. Dr. Haack; bei Wagner
& Debes in Leipzig: Dr. P. Eifert f, Dr. H.Fischer, Dr. E. Wagner f; bei Velhagen & Klasing
in Leipzig: Dr. E. Friedrich (frülier), Dr. E. Ambrosius; bei Artaria & Co. in Wien: Dr. K.Peucker
All^t'ineiii MitliDiliscIiis iiiiil Kritisches. 5
Die ]iraktischf Kartd^'iaiilni' arlit-itct in zwcckljestiiiinitcii und verschieden-
giadig mechaniscL bestimmten Eiclituiigtn. Der einzelne praktisch schaffende Karto-
graph vermag kaum das große wissenschaftliche Ganze zu überblicken. Damit soll
ihm kein Vorwurf gemacht werden. Er kann es aus natürlichen Gründen nicht. Seine
mühsehge und langwierige Arbeit, bei der sich im engen Kreis wissenschaftlicher Scharf-
blick und künstlerisches Gefühl mit manueller 1^'ertigkeit paaren müssen, absorbiert
seme Kräfte in dem Maße, daß ihm die Zeit zu umfassenden geographischen Studien
ermangelt. Daß das einseitige Urteil mancher Kartographen hierin einen entschuld-
baren Grund findet, ist leicht erklärlich. Die wissenschaftliche Kartographie wird
mancherlei Dinge berühren, die der praktische Kartograph aus ,, Instinkt" oder ,,natür-
hchem Takt" befolgt.^ Ihm muß es doch wohl im hohen Grade willkommen sein, wenn
er aus dem Instinkt heraus zum vollen Bewußtsein geführt wird. Beachtenswerte
Anläufe dazu finden wir in einigen kartographischen Untersuchungen, die von akade-
misch gebildeten Kartographen, von H. Fischer, E. Friedrich und besonders von
K. Peucker herrühren.
Bei einem tüchtigen Kartographen nimmt man jetzt als selbstverständlich an, daß
er eine wissenschaftlich geographische Bildung besitze, nicht aber \on einem Geographen,
daß er kartographisch gebildet sei, mid doch muß man gleichfalls verlangen, daß ein
tüchtiger Geograph, wemi auch nicht kartenpraktisch, so doch kartentheoretisch durch-
gebildet sei. Die Annalune E. Hammers, daß der Geograph, der nicht einmal die
mathematischen Grundlagen der Karte versteht und anwenden karm, kein ,, eigentlicher"
Geograph ist., können wir nur bestärken. Nun ist es aber nicht bloß die mathematische
Grundlage, sondern noch viel mehr und anderes, was der Geograph von der Karte
wissen muß. In der theoretisch kartographischen Ausbildung ist noch sehr \ iel zu tun
und nachzuholen. Mancher Geograph soll nur nicht in allerhand Ausflüchten seine
Interesselosigkeit oder Unkemitnis bekunden oder gar befürchten, zum praktischen
Kartographen ausgebildet zu werden, wozu bekanntlich eine ganz besondere Ver-
anlagung gehört. Ein tüchtiger Theaterrezensent braucht noch kein Dramaturg zu
sein, wenn der Dramaturg selbst des kritischen Talentes nicht bar sem darf. Die wissen-
schaftliche Kartographie verhält sich zur praktischen ähnlich wie die Kunstgeschichte
zur Kunst, wie der Literaturhistoriker zum Dichter. Wenn auch die Künstler mehr oder
minder instinktiv die Gesetze der Perspektive, des anatomischen Aufbaues des Körpers,
des Ehythmus und des Versbaues in ihren Werken befolgen, so macht das Bild, die
Skulptur, die Dichtung, die Sonate noch keine Wissenschaft, wohl aber das feinsinnige
Aufspüren und Festlegen der ästhetischen, psychologischen mid physiologischen Ge-
setze, die die Künste miteinander verbinden, und deren Erkennen geeignet ist, nicht
bloß den Schaffenden, sondern auch den Genießenden .'in Stück in der ]\Ienschheits-
geschichte vorwärts zu bringen.
Wie der Kartograph s(>ine i)raktische Domäne auf kartographischem tiebiete hat,
so der Wissenschaftler seine theoretische. Aber beide gehen nicht nebeneinander,
sondern miteinander, da sie aufeinander angewiesen sind. Außer einem Korrektiv und
gesetzgebenden Faktor soll die wissenschaftliche Kartographie der geistvolle Inter-
pret der praktischen Kartographie sein. So bedingen und ergänzen beide einander.
Nur aus lieider Zusamnienwirktii kami das entstehen, was wir in di'r Karte als Nieder-
1 Vgl. das, was H. Habenicht ül>cr K. Peuckor sagt. P. M. 1901. LB. Ü07, S. 149.
Forschungstätigkeit der Gelehrten hat H. Habenicht bei seinen AusfUhnujgcn übersehen.
6 nie Kartognipliic als Wissensthaft.
schlag des geograiiLischcn Wissens ansehen. Es gilt einem hohen Ziele zuzusteuern.
Wir stehen noch njitten auf dem Wege. Selbst bei der ausgezeichneten, für ihre Zeit
besten Leistungen, wie in den Karten des neuen Stielerschen Atlas, der am Anfang
des neuen Jahrhunderts herauskam, würden Inhalt und Anlage mancher Karten ge-
wonnen haben, wenn ein engerer Zusammenschluß von wissenschafthcher und karto-
graphischer Seite stattgefunden hätte. Auf das obwaltende Mißverhältnis weist einer
unserer kompetentesten Beurteiler kartographischer Dinge, H. Wagner, in Peter-
manns geogr. Mitteilungen hin, wobei er besonders betont, daß es zu einem \ iel eugerii
Zusammenschluß zwischen wissenschaftlichen Geographen und wissenschaftlichen Karto-
graphen führen sollte als es bisher der Fall ist.^ Vom psychologischen Standpunkte
aus läßt es sich ja verstehen, daß ein Kartograph, der mit seinem Geist, seinem Ge-
schmack und seinem zeichnerischen Talent eine gute und schöne Karte geschaffen hat,
ganz besonders an seinem Werke hängt. Diese Liebe zu seinem Kinde kaim ihn aber
unter Umständen blind machen, ihn unbescheiden gegen die Arbeit anderer werden
lassen. Der wissenschaftliche Geograph oder der kartographische Theoretiker steht
all den kartographischen Produkten viel unbefangener gegenüber. Die Voraussetzung
ist bei ihm vorhanden, daß er besser als ein Kartograph zu emem gerechten Urteil über
die Karte kommen kann.^ Ich weiß, daß viele unserer deutschen Geographen, die
als Hochschullehrer tätig sind, es als einen mangelhaften Zustand empfinden, daß
Kartographie und Geographie meist nebeneinander anstatt miteinander gehen. Ein
Satz aus der bekannten Schrift von A. Penck , .Beobachtung als Grmidlage der Geo-
graphie" mag meine Aussage bekräftigen: ,,Die Gewinnung einer engern Pühlung-
nahme zwischen Geographie und Kartographie erscheint unerläßlich für die gedeihliche
Fortentwicklung nicht bloß der erstem, sondern beider, denn auch die Kartographie
bedarf der Fühlung mit fremden Gebieten." ^ Und Veranlassung zum Nachdenken
gibt ein anderer, einem Vorwurf sehr ähnlicher Ausspruch Pencks: „Es ist bezeichnend
für die neuere Entwicklung der Geographie, daß sie für eigene Bedürfnisse noch nicht
Ähnliches zu schaffen versucht hat, was andere Wissenschaften in ihren systematischen
Tafelwerken besitzen, wie demi überhaupt die Bedürfnisse der Geographie als solcher
bei der gesamten Pflege der Kartographie nicht in erster Linie stehen."* Wir werden
noch oft Gelegenheit haben, auf die Pmikte hinzuweisen, wo sich ein besseres Verhältnis
zwischen Kartographie und Geographie anzubahnen hat. Noch vielmehr als es heute
schon statthat, muß mit dem Traditionellen gebrochen werden, wenn auf der ganzen
Linie, d. h. in dem Kampf um die größere Berücksichtigung geographischer Bedürfnisse
ein energischer Fortschritt erzielt werden soll.
3. Die Kartenwissenschaft eine dualistische Wissenschaft. Wer die Geschichte
einer Einzelwissenschaft schreibt oder einen Einzelzweig zur Wissenschaft erheben
will, wird an der KUppe des Einreihens der zu untersuchenden Disziplin in das System
der Wissenschaft nicht vorbeisteuem können oder, wie C. Stumpf sagt, jeder Spezial-
1 H. Wagner: Stielers Handatlas in neuer Gestalt. P. M. 1904, S. 6.
^ Selbst das unbefangene Laienauge kann zuweilen der Kai-tographie gute Dienste erweisen.
Adolf Stieler bezeichnet seinen Diener Bär, einen thüringischen Bauernsohn, als den getreuen
Gehilfen, „ohne dessen prüfenden BUck fast keine Zeichnung dem Grabstichel, keine Platte der
Presse übergeben wurde". — ÄhnUchen Vorkommnissen werden wir noch später bei den Schweizer-
karten Erwähnung tun.
^ A. Penck: Beobachtung als Grundlage der Geographie. Berlin 1906, S. 58.
* A. Penck: Deutsche Handatlanten. G. Z. 1911, S. 644.
AllgPinein Methodisehes nnd Kritisi-hes. 7
forscher, der über seine eigene Disziplin nachdenkt, sieht sich dazu geführt, sie auch in
ihrem Verhältnis zu den übrigen von allgemeinenu .Standpunkt aus zu betrachten.'
W. Wundt hat in seinem bekannten System der Philosophie die Eiuzelwisseuschafteu
scharfsinnig geghedert und systematisch geordnet. Den i^'ornicn Wissenschaften, ins-
besondere der allgemeinen imd speziellen Mathematik, stehen die realen Wissenschaften
gegenüber, die sich schon seit älterer Zeit in bezug auf die Hilfsmittel, Methoden und
Prinzipien der Untersuchimg in Natur- und Geisteswissenschaften scheiden. Im großen
Ganzen kommt es auf eine Zweiteilung hinaus. Schon A. Comto unterschied abstrakte
und konkrete Wissenschaften.
Die Geographie ist den Naturwissenschaften zugeteilt, und zwar der Jjehre von
den Naturgegenstäuden. Wie schon an anderer Stelle von mir^ und auch von andern,
wie Kirchhoff, Eichthofen, Eatzel, Hettner, Schlüter, nachgewiesen wurde,
paßt für- viele der neuen Zweige der Geogi-aphie, so fiü- Anthi'opogeugraphie oder die Kultur-
geographie, und somit für che Geographie im ganzen nicht mehr die philosophisch syste-
matische Zwangsjacke, selbst wenn wir an Eubriziermigen von Wiudelband, Eickert,
Müusterberg, Lampreclit imd die mehr- weitsichtigen von Stumpf denken. Audi
das Comte-Ostwaldsche Eegriffssystem, nach dem alle Wissenschaften in die drei
Gebiete der Orchiungs-, der Arbeits- imd der Lebenswissenschaften zerfallen, kami uns
keine befriedigende Lösung geben. Die ersten enthalten Logik, Mathematik imd Geo-
metrie, die zweiten Physik und Chemie, die dritten Physiologie, Psychologie imd Sozio-
logie oder Kultm-wissenschaft. Es gibt jetzt schon zu viele Einzehvissenschaften, die
gleichweit nach der geisteswissenschafthchen wie nach der natunvissenschaftlichen
Seite hin mkhnieren, und gar bei der Kartographie werden, wie kaum bei einem andern
geographischen Zweige viele Wm-zeha von der Mathematik genährt. Mit Hettner wird
man sich einverstanden erklären, der die Geographie kurzweg eine konkrete Wissen-
schaft, die es auf unmittelbare Erkenntnis der Wirkhchkeit abgesehen hat, nennt. Bis
zu einem gewissen Grade, den wir später noch modifizieren werden, stimmt dies auch
für die Kartographie, die vornehme Schwester und unentbelu'Uche Gehilfin der Geo-
graphie. Außerdem teilt die Kartographie mit der Geographie das Schicksal, ein schier
unübersehbares Feld von Aufgaben zu bieten und damit eine Wissenschaft von weitesten
Grenzen zu sein, die wohl durch einen, an die dingliche Ausfüllung des Erdraums ge-
bundenen Gedanken, nicht aber dm-ch eine einheitliche Forschungsmethode gebunden
wird. W'as alles übersetzen wir in die kartographischen Linien mid Zeichen! Neben
den Formen der Oberfläche, den Siedlmigen imd Verkehrswegen die Wärme, die Tempe-
ratur, den Sonnenschein, den Niederschlag, die Ernte, die industrielle Betätigung, die
Volks- und Tierdichte, den Schädelindex, die Körpergröße, die Geburt, die Krankheit,
den Tod und unendlich vieles andre mehr. Es gi-enzt schier ans Wunderbare, wie sich
alles Sichtbare auf dem Erdball, selbst die verschiedensten geistigen Phänomene der
kartogi-aphischen Darstellung und Beherrschung beugen. Die Grenzen dieser Herr-
schaft untersucht die kartenwissenschaftüche Analyse. Das ist eine ebenso dankbare
wie interessante Aufgabe, die aber zugleich einen Vorgeschmack von den Schwierigkeiten
gibt, die die Kartographie zu bewältigen hat, aber auch von dem Unvermögen, der
Kartographie im Gebäude der Wissen.schaften eine ganz bestimmte Stelle zuzuweisen.
'■ C. Stumpf: Zur Einteilung der Wissenschaften. Abh. d. K. prcuß. .\kad. d. Wiss. Berlin 1906.
- M. Eckert: Das Verhältnis der Handelsgeographio zur .\iithroix)goograpluo. Ein Beitrag
zur Handelsgeographie als Wi.s8en.schaft. Ix>ipzig 1902. S. (1. — Zur Methodik der .\nthrnpogeographio.
P. M. 1909, S. 71, 72.
8 Die Kartographie ;ils Wissenschaft.
Wir halten es nicht für angebracht, den Spekulationen nach dieser liichtung
zu weit nachzugehen. Kachfolgende Tatsachen -werden mehr sprechen und mehr be-
weisen als subtile philosophische Erörterimgen über Methode und Aufgaben, die man
gewöhnlich gern der Domäne des altern Wissenschaftlers überläßt, was natürlich ist,
da er auf eine lange Eeihc von Forschungen und Erfahrmigen zurückblicken kann.
Zuletzt ist jeder wirklich großer Forscher immer aucli Philosoj)h.i Ganz können wir
auf die Erörterungen der Methoden nicht ■\^erzichten, wemi wir auch einsehen, daß es
nicht ratsam erscheint, von ihnen auszugehen, da ja die tiefgreifenden Unterschiede
der Methoden zuletzt in den Unterschieden der Gegenstände wurzelt; indessen halten
war sie zur Einführmig in die gesamte Materie für geeignet, sofern ihnen nur die Gegen-
stände bzw. die Forschungsgebiete folgen, an denen und durch die die einzelnen Me-
thoden erprobt werden.
A. Hettner tadelt die Auffassmig vieler mid auch tüchtiger Forscher, nach der
die methodischen Betrachtungen über die Aufgaben und die Grenzen der Einzel-
wissenschaften als urmütz bezeiclmet wird, als „einseitig und kurzsichtig, für ein Über-
bleibsel aus jener Zeit, in der der philosophische Geist ganz abgestorben war und die
-wissenschaftHche Eoharbeit allein, womöglich nur für praktische Zwecke, wertgeschätzt
wurde". Etwas anders küngen die W'orte des für die Geographie leider zu früh vei-
storbenen H. iSchurz: ,,Im allgemeinen ist es ein charakteristisches Zeichen des Alterns
einer Wissenschaft, wenn mehr über sie als in ihr gearbeitet wird, wenn man mehr den
Autoritäten als den eigenen frischen Untersuchungen vertraut, oder wenn man mit
ängstHcher Sorgfalt die Grenzen des Forschungsgebietes gegen andere Wissenschaften
aljzirkelt. In Wahrheit gibt es ja nur eine Wissenschaft, die Grenze solchen Forschens
aber suche jeder, wo es ihm nützhch erscheint, ohne sie andern aufzudrängen." Auf den
ersten Bück wirken beide Aussprüche gegensätzlich, indessen ist der Gegensatz nur
ein scheinbarer, entstanden aus einer Schlußfolgerung, die den gleichen Gegenstand
unter verschiedenem Einfallswinkel belichtet. Hettner will durch seine philosophischen
und methodischen Untersuchungen den Bück für das Eigen tümhche der Geographie ^
und Kartographie* schärfen und erweitern, denkt aber durchaus nicht an einen Purismus
imd läßt den teils zeitweihgen, teils dauernden Verflechtungen der Geographie und
Kartographie mit andern Wissenschaftsgebieten ihr Eecht. Schurz legt auf die
letztere Erscheinung mehr das Schwergewicht, da man, um den charakteristischen
Unterschied einer Disziplin klarzulegen, mit einem Einteilimgsprinzip nicht auszu-
kommen vermag, imd nur zu oft mehrere sich kreuzende Untersuchungsreihen benutzt
werden müssen. Es ist eme auffallende Tatsache, daß sich trotz zunehmender Arbeits-
teilung die wissenschaftlichen Forschungen und Untersuchmigen auf den verschiedensten
Gebieten immer mehr verflechten. Auch die Kartographie zeigt so recht, wie sie in die
wissenschaftUchen Forschimgen der einzelnen geographischen und verwandten Zweige
ein- und übergreift, ganz gleich, ob sie naturwissenschaftlich oder geisteswissenschaftlich
geartet sind. W'as versclilTi^,'! is, wenn sie sogar mit Wissenschaftszweigen, die in ihrem
Gegenstand wenig niiti iiniiidir zu tun haben, „auf lange Strecken einen unteilbaren
Körper" bildet. An der Selbständigkeit der Kartographie als Wissenschaft vermag auch
dies nicht zu rütteln.
M. Schlick: Allgemeine Erkenntnislehre. Berlin 1918, S. VIII.
A. Hettner: Das Wesen und die Methoden der Geographie. G. Z. 1905, S. 545ff.
A. Hettner: Die Eigenschaften und Methoden der kartographischen Darstellung. G. Z.
. 12 ff.
Allg.M.Riu iMotliodisclu-s und Kritist-li.s. 9
4. Iteobachtiiug iiiul Messung. Jedes Kartenbilcl, ganz gleich, oIj es nielir reale
Gegenstände oder durch geistige Ahslraktionen gewomiene Ergebnisse darstellt, regi-
striert einen Tatsachenbestand oder — mit andern Worten — verfährt chorographiscii.
Aber der theoretischen Kartographie an sich ist wie der Geogra^ihie eine chorologischc
Seite eigen, die dynamisch ist, indem sie Ursache und Wirkung im Kartenbild miter-
sucht. In bezug darauf können wir die theoretische Kartographie definieren als die
chorologische Wissenschaft der Abbildung imd physisch-geographischer und anthropo-
geographischer Erscheinungen der Erdoberfläche. Schon E. v. Kichthof en bezeichnete
imsere Zeit als diejenige der chorologischen Eorschung.i
Die Tatsachen, die wir in das Kartenbild einordnen und deren Ursachen und
Wirkungen hinwiederum aus ihm zu ims sprechen, müssen irgendwo vmd irgendwie
beobachtet und gegebenenfalls nach Maß festgelegt sein. So sind auch in der Karto-
graphie Messung und Beobachtung, wie in der Geographie und den Naturwissenschaften
überhaupt, die Mittel, mit deren Hilfe unsere Wissenschaft das von ihr zu verarbeitende
Material gewinnt.
Ohne Beobachtung keine geographische, keine kartographische Wissenschaft. \ni
die Wichtigkeit der Beobachtung haben unsere bedeutendsten Geographen ausdriick-
lich hingewiesen, wie E. v. Eichthofen, A. Penck, E. v. Drygalski, S. Passarge,
W.M.Davis, E. de Martonne, A. Hettner, A. Philippson, K. Sapper u.a.m.
Penck macht, wie bereits hervorgehoben wurde, die „Beobachtung als Gnmdlage der
Geographie" zum Gegenstand einer eingehendem Erörterung, wobei auch die Karto-
graphie nicht leer ausgeht. Passarges morphologische Untersuchungen mid Atlanten*
werden auf viele Jahre hinaus für die wissenschaftliche Kartographie eine unerschöpf-
liche Fundgrube reichster Anregungen sein ; ist doch imter allen lebenden Geographen
Passarge einer derjenigen, der am meisten dafür sorgt, daß unser geographisches
Sehen nicht verkümmert.
Das topographische Kartenbild ist die Summe der Beobachtungen über all die
Gegenstände, die den irdischen Eaum ausfüllen. Je nach dem Maßstab der Darstellung
wird das Auge des Beobachters geschärft, Nebensächhches von Hauptsächlichem zu
unterscheiden. Nichts ist geeigneter, die Oberflächenformen und die dingliche Aus-
füllung des Raumes besser zu beobachten als die kartograjjliische, d. h. die t()p(>gra]ihiscbe
Aufnahme dieser Formen. Nur zu leicht gleitet das Auge bei bloßer Beobachtung über
die Formen dahin, die dem aufnehmenden Beobachter nicht entgehen. So wird die
Geländeaufnahme zu einer der besten Schule der Beobachtimg. eine Tatsache, auf die
meiner Meinung nach von geographischer Seite aus noch viel zu wenig (Gewicht ge-
legt wird.
Ist das Experiment von Natur aus in der Geographie im allgemeinen ausgeschlossen,
gewinnt es in der Kartographie imter Umständen Einfluß. Im Lalioratorium ist es mög-
lich, die Intensität schräg beleuchteter Flächen experimentell zu bestimmen. Das
optische Prinzi]) kaim in der Generalisierang von Einfluß werden, insofern das Be-
obachten eines Kartenbildes aus der Ferne eine Handhabe gehen kann, welche Einzel-
heiten auf Kosten kleinerer Maßstäbe zu verschwinden haben. Durch das optische
Prinzip wird schließlich ein wesentlicher Unterschied zwischen Hand- und Wandkarte
bestimmt, femer für einige Kartenarten Gebrauch und Duktus der Schrift, aber auch
' F. V. Riclithofeu: Aufgaben imd Methoden der heutigen Geographie. Ix-ipzig 1883, S. 38,
- rntor doti zaWroichon Schriften S. Passargea seien hervorgehoben: Physiologische Mor-
phologie. Haiiilnirg li»12. Moi-phologiscber Atlas. I. Hamburg 1914.
10 Dip Kartographie als Wissenschaft.
das plastische Element des Geliindebildes, wie wir später noch ausführlicher nachweisen
werden.
Wii" kennen die Schwierigkeiten der Auffassung und des Behalten« von Tatsachen.
Beide Schwierigkeiten mildert die Umwandlung der Beobachtungen imd Tatsachen in
das Kartenbild, weil hierbei, wie bei dem Experiment, das Auge, eines der empfind-
lichsten imd dabei leisttmgsfähigsten Sinnesorgane, zur gesteigerten Mitarbeit heran-
gezogen w'ird. Die Kartenwissenschaft bUebe einseitig, wemi sie sich nur auf persöiüiche
Erfahrimgen des Autors und nicht auf die Summe der mannigfaltigsten Beobachtungen
stützen wollte. Ist die Karte auf Beobachtungen aufgebaut, wird sich eine darauf be-
gründete Spekulation um so sicherer bewegen, obwohl es, was hier gleich bemerkt sei,
nicht ratsam ist, die Karte allein als die Grundlage jener Spekulation zu gebrauchen.
Soweit das Messen in der Geographie eine Eolle spielt, ist es hauptsächlich an die
Karte gebunden. Die Karte selbst ist das Produkt unzähliger Messungen im Gelände,
die sich auf Lage, Eichtung, Größe, Höhe, Neigung, Anzahl, Umfang, Gestalt der auf-
zunehmenden Gegenstände beziehen. Selbstredend spiegeln sich derartige Meßergeb-
nisse nur in großmaßstabigen Karten wieder. Solchen Karten, wir wollen sie vorderhand
Flurkarten nermen, begegnen wir bereits im alten China, Ägypten, Mexiko. Neben ihnen
waren die andern kleinmaßstabigen Karten rein kümmerliche Versuche. Hettner
macht darauf aufmerksam, daß gegenwärtig die Karten kleinem Maßstabs durch Reduk-
tionen von Karten größern Maßstabs entstanden sind. Das ist richtig; indessen erfährt
seine weitere Darlegung nach dem, was ich soeben mitgeteilt habe, eine kleine Ein-
schränkung, wemi er sagt, daß der geschichtUche Gang der Entwicklung ein umgekehrter
gewesen ist: von den Karten kleinern Maßstabs ist man allmähhch zu den Karten
großem Maßstabs gekommen. Im allgemeinen entspricht Hettners Auffassimg den Tat-
sachen, wobei besonders zu betonen nicht vergessen bleibe, daß der Gang der Entwick-
lung von der kleinmaßstabigen Karte zur großmaßstabigen eng an die Vervollkomm-
nung der Aufnahmeinstrmnente geknüpft ist, wie auch an den des Staatsorganismus,
dessen wachsende Bedürfnisse (Grimdsteuererhebtmgen usw.) allmählich zu einer ge-
nauen Aufnahme des Bodens tmd damit zur kartographischen Veranschaulichimg dieser
Messimgen hindrängten.
Dadurch, daß die Karte das Ergebnis einer vielseitigen Messung ist, erhält sie
einen Wert, der weit über dem aller sonstigen in der Geographie gewonnenen Ergeb-
nisse hinausgeht. Ein Gefühl der Sicherheit wächst in dem, der seine Studien auf gut
aufgenommene topographische Karten stützt, ganz gleich, ob er Geograph ist oder
Soziologe oder Verkehrstechniker. Auch Hettner kommt zu dem Schluß, daß eine
Gegend der Geographie erst durch die topographische Karte erobert wird. Bis jetzt
kaim man noch nicht bemerken, daß die großmaßstabige Karte in weitgehendstem
Maße zu geographischen Studien herangezogen worden wäre. Das wird erst die neuere
geographische Entwicklung bringen. Man lernt schon besser sehen und sich eingehender
orientieren, wovon zweifellos neuere morphologische Karten ein gutes Zeugnis ablegen.
Mit der Aufnahme der Karte ist die Messtmg bei der Karte noch nicht erschöpft.
Es ist das Eigenartige an ihr, daß sie als fertiges Kartenbüd wiederum den Ausgang
zu neuen Messungen bildet. Die topographische Karte in ihren verschiedenen Maß-
stäben wird zu Eintragungen von geologischen, morphologischen, wirtschaftHchen tmd
andern Tatsachen gebraucht. Sie körmen, je nach Bedarf, auf dem Kartenblatt
ausgemessen werden. Dasselbe geschieht auch mit physisch-geographischen und
anthropogeographischen Erkemitnissen, die meistens auf Karten kleinern Maßstabs
Allgemein Methodisches und Kritisches. H
dargestellt -werden. Viele der hierhergehörigen Messungen fußen auf der Konstruktion
von Linien gleicher Intensität, wie sie in den Isobaren, Isothermen, Isohyeten, Iso-
hypsen usw. vorliegen, welche Linien man mit dem sprachhch nicht gerade glückhch
gewählten Ausdruck ,,Isarithmen" zusammenfaßt.
Doch schon die einfache Geländekarte gibt Gelegenheit zu vielseitigen Messimgen
über die Länge von Flüssen, Grenzen usw. Der Linear- und Arealmessung sind auf
der Karte sozusagen keine Grenzen gezogen. Die Flächenmessungen führen zu Voluui-
berechnimgen, was auch mit Hilfe der hypsographischen Km'venkonstruktion geschehen
kann. Für die Längen-, Flächen- und Eaummessungen haben sich im Laufe der Zeit
bestimmte Methoden ausgebildet, mit und ohne Apparate. Über deren Leistungs-
fähigkeit belehrt uns die Kartometrie (s. S. 58).
ö. Kartugraphisehe Induktion, Deduktion und Fiktion. Die Induktion sucht
aus den einzelnen Wahrnehmungen zu Allgem einbegriffen und Urteilen vorzudringen,
was mittels gültiger Schlüsse, haltbarer Beweise, entwickelter Gesetze erreicht wird.
Das gesamte Kartenbild ist ein Ergebnis der Induktion. Die in der Natur vorhandenen
Einzelgegenstände werden nach bestimmten Gesetzen und Eegeki beobachtet imd auf-
genommen und sodann wieder nach anders bestimmten Gesetzen und Eegeln zu einem
Kartenbild vereint. Die Landkarte hat somit vieles mit der Gewinmmg von Ergeb-
nissen hl den Naturwissenschaften gemeinsam; sie ist das unmittelbare Ergebnis der
Forschung wie der Verarbeitung. ^ Daran muß man festhalten, wenn man die Stellung
der Kartographie in den Wissenschaften und ihre Methode verstehen will.
Eine zweite Art kartographischer Induktion baut sich unmittelbar auf dem
fertigen Kartenbild auf. Sie führt zu allgemein-geographischen Begriffen imd Schlüssen,
die sich teils auf den orographischen Aufbau, teils auf natur- und kulturhistorische
Erscheinungen beziehen. Die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse sind nicht von
einer derartigen sichern Gültigkeit, mit der uns die der ersten Induktionsart entgegen-
treten; jedoch besteht ihr Vorzug in dem grüßern Betätigimgsfeld. Ihr Nachteil
liegt außer in dem kurz zuvor erwähnten vor allem in dem Übermaß, mit dem über
das Ziel hinausgeschossen und geographische Begriffe überwertet Averden, wie uns
klassische Beispiele in 0. Peschels „Neuen Problemen" zeigen und noch krasser hi
Arbeiten einzehier Nachfolger Peschels, die die vergleichende Methode der Induktion
auf Karten geradezu mißbrauchten.
Bei der ersten Induktion ist die Gesamtarbeit mehr synthetischer Natur als bei
der andern, wo die Analyse viel Einfluß gewinnt. Hätte S. Mehedinti beide Arten
der kartographischen Induktion scharf unterschieden, wäre vielleicht seine Unter-
suchung über che kartographische Induktion nicht so blutleer ausgefallen.- Auch
wäre schärfer zwischen topographischer und chorographischer Karte zu unterscheiden
gewesen, wie zwischen chorographischer mid angewandter Karte. ^lit dem an den Haaren
herbeigezogenen biologischen Gesetz der Wechselbeziehung, die zwischen den Organen
und den Funktionen, die diese erfüllen, besteht, wird keine kartographische Induktion
begründet.^ Desgleichen wird die wissenschaftliche Grundlage nicht mit dem Satz
1 A. Penck: Der Krieg und' das Studium der Geograplde. Z. d. ties. f. Kuikdr. /.ii IVrliii
1916, S. 116.
* S. Mehedinti: Über die kartographische Induktion. Disa. Leipzig 1899. Die ganze Arbeit
erscheint als ein Jongüeren mit Worten unter lialbphilosophiBcliem Gewand und weniger als eine
Vertiefung in das eigentliche Problem.
^ S. Mehedinti: a.a.O., S. 21ff .
12 l>i'- Kailoniai.liir als Wi.ssc.iscliiirt.
«osdiaffi-ii: ..AVir niüssni st.lchc Karten nvlniuichcii, ^mf (Icticii ,1,t (inul der (u'ucralisa-
tion uns erlaubt, die Xatur \ iTeiulachl zu ln'trachten, uhne dal.) die \'ereiutudunif,r auf
Kosten der Wahrheit der charakteristischen Teile geschieht".^ Mithin soll nach Mehe-
dinti die Natur weder in allzu großer Nähe, noch aus allzu großer Ferne betrachtet
werden. Das wäre kartographisch nein nls In deiildich. Dann wären unsere groß-
maßstabigen topographischen Karten zur Indulilioii gai- nicht geeignet, obwohl sie
■/.. V). zu geomorphologischen Detailstudien viel zweckdienlicher als kleh)maßstal)igi'
sind. In einseitiger und logisch nicht einwandfreier Weise zieht Mehedinti noch die
Projektion heran, um die Genauigkeit der kartogra])hischen Induktion einigermaßen
zu stützen.*
Wer das Wesen einer Karte recht erfaßt und in die Seele ihrer Entwicklung hinein-
bhckt, dem wird die Karte eine dauernde Quelle der Induktion sein, die den Forschungs-
trieb mächtig anregt, zu neuen Versuchen ermuntert, das Kraftgefühl weckt und bei
jedem Gehngen steigert und zuletzt den Wert objektiver Wahrheitserkenntnis un-
mittelbar schätzen lehrt. Wie die Chemie ist die Geographie und mit ihr die Karto-
graphie emc induktive Erfahrungswissenschaft im eigentlichsten Sinne des Wortes.
Immer wieder muß auf die Beobachtung und Erfahrung zurückgegangen werden,
immer wieder muß das Kausalitätsgesetz, das die ganze Natur beherrscht und auch
in uns entwickelt ist, erweckt und belebt werden; dann wird man auch die Karte im
(4ang der geographischen Forschung richtig einschätzen und nicht überschätzen lernen,
(1. h. bei Untersuchungen sich nicht nur auf das rein äußere Eild der Karte stützen,
wie wir oben bei Peschel hervorgehoben haben.
In der Induktion vollziehen sich viele Vorgänge, die wir eingehender Ijei der
Jjogik der Karte besprechen werden. Auch kann man die verschiedenen Weisen der
kartograjibischen Darstellung, wie sie A. Hettner darlegt', unter dem Gesichtswinkel
der Induktion beleuchten. Aus der Dreiheit der räumlichen Auffassung der Objekte
als Punkt, Linie und Fläche und der quahtativen und quantitativen Art der Betrachtung
residtieren nach Hettner sechs Darstcllungsweisen. Betrachtet man die allgemeinen
Werturteile, die auf diese Weise entstehen, unter dem Gesichtspunkte der mehr absoluten
oder mehr relativen Gültigkeit, kann man schließlich zwölf Darstellungsweisen ge-
%virmen. Nicht immer sind sie streng auseinanderzuhalten, und verscliiedcngradige
Übergänge und Wechselbeziehungen finden statt.
Mit der zweiten Art kartographischer Induktion mischt sich gern die ü e d u k t i o n.
Die Karte erweist sich als ein geeignetes (iebiet, das Einzelne durch das Allgemeine
zu liegi'eifen. Selbst zu neuen Gattungsbegriffen kann auf diese Weise vorgeschritten
werden, wenngleich der induktive Weg der gegebenere ist. Das läßt sich da nachweisen,
wo die Begriffsbildung nicht auf (Gegenstände der unmittelbaren Sinneswahrnehmung
beschränkt ist. Sie erstreckt sich sodann ebensogut auf physikalische Vorgänge wie
auf rein geistige Dinge. „Gerade dadurch ist es der Kartographie möglich gewordin,
sich auf Erscheinungen auszudehnen, die ihr sonst verschlossen gel)Heben wären."*
Die mathematische Deduktion ist ein vorzüglicher Forschungsweg, die Karte
jiraktisch auszunutzen, der Morphologie sowohl wie der Kulturgeographie, der Statistik
und Nationalökonomie wertvolles Zahlenmaterial zu verschaffen. Die Vergleichung
' S. Mehendinti, a. a. ()., S. 2.').
2 S. Mehedinti, a. a. O., S. 26.
■= A. Hettner: Die Eigen.scliaften und Methoden, a. a. O., S. 73ff.
•• A. Hettner, a. a. O., S. 19.
Allgemein Methodisches und Kritisches. 13
hat in den aus der Karte gewonnenen Zahlen ein vorzügliches Mittel, das die weitere
Arbeit fördert, das aber auch leicht Gefahr läuft mißbraucht zu werden.
Im System der logischen Wissenschaft schHeßt sich der Induktion und Deduktion
als ein gleich berechtigtes drittes Glied die fiktive Tätigkeit an.^ Wir operieren in
Geographie und Kartographie mehr mit Fiktionen als allgemein eingestanden wird,
ja wir gebrauchen Begriffe, die wir von theoretischem Standpunkt aus als falsch er-
kennen; trotzdem behalten wir sie bei, da sie praktisch „wahr" sind, d. h. nützlich und
unentbehrHch. Das ist ja in jeder exakten W'issenschaft so. Beispielsweise sprechen
wir von einer senkrechten oder schrägen Beleuchtung des Terrains, oliwohl eine Be-
leuchtung absolut nicht vorhanden ist. Wir bestimmen das Verhältnis von Schwarz zu
Weiß bei dieser oder jener Geländeneigiing und wissen, daß es technisch nicht mogUch
ist, das Verhältnis restlos zu veranschauHchen. Die Philosophie des „Als Ob" belehrt
uns über die Erscheinmigen und deren Berechtigimg. Beispiele hierfür lassen sich in
der Kartogi-aphie zu Dutzenden aufzählen.
Die Mittelzahl, mit deren Hilfe physisch-geographische Karten (Isothermen-,
Isobarenkarten usw.) entworfen werden, ist, logisch betrachtet, eiae fingierte Zahl,
mit der lediglich gerechnet wird. Wir gelangen damit in das Gebiet der Durchschnitts-
fiktionen, d. h. solchen Fiktionen, ,,wo aus einer Menge graduell verschiedener Er-
scheinungen das ^Mittel dieser abweichenden Grade genommen wird und als Rechnungs-
ansatz dient".- An diese Stelle reiht H. Vaihinger alle diejenigen willkürlichen Be-
stimmimgen in den Wissenschaften ein, wo. \vie z. B. im Meridian von Ferro, gewisse
Anhaltspunkte willkürhch fixiert werden.
Die kartographische Fiktion ist eng mit der kartographischen Hypothese
verschwistert ; manchmal gelingt es kaima, beide auseinander zu halten, da sie sich äußer-
lich sehr ähnlich sind. Während die Fiktion unter mehreren gleich moghchen Fiktionen
die zweckmäßigste auswählt, geht die Hypothese auf das Wahrscheinhchste aus, d. h.
sie unterwirft sich der Probe auf ihre Wirkhchkeit. Jeder Fachmann weiß, daß che
Karte nur zu oft, besonders wenn sie sich auf das Gebiet angewandter geographischer
Darstellungen begibt, zur hypothetischen Ergänzvmg und Konstruktion die Zuflucht
nehmen muß. In der Kartographie gebraucht die Hypothese Analogie, Korrelation und
Kausahtät. Während die Analogie leicht zu Irrtümern führen kaim, ist dies bei der
Korrelation und Kausalität weniger der Fall, zumal Schlüsse, die aus andern verwandten
Erscheinungen gezogen werden, die Ursache oder Wirkung mit der darzustellenden
Erscheinung klarzulegen imstande sind.
(». Psychische Hemmnisse und ökonomische Tciiiiciiz im KarltMihild. Wäluvnd
das geographische oder kartographische ijeiirl)ucii die wissenschaftlichen Ergebnisse
sukzessorisch unserm Geiste üijermittelt, springt uns die Karte mit einem Schlage mit
einem Maximum von Tatsachen ins Gesicht, die wohl mit einem Male überblickt, aber
nicht geistig rubriziert werden, da sie nicht gleichzeitig über die Schwelle des Bewußt-
seins treten. Der psychische Mechanismus versagt zunächst. Nur durch viele Lbung
kann den natürlichen psychischen Hemmnissen etwas begegnet werden, d. h. die Vor-
stellungen werden schneller reproduziert. Wer viele Karten nicht bloß mit dem physi-
schen, sondern auch mit dem geistigen Auge betrachtet hat, wird den (iesamteindruck
schneller erfassen als derjenige, der nur dann und wann eine Karte zur Hand nimmt.
» H. Vaihinger: Die Plülosophi.« dos .Ms Ol.. .".. u. ti. .\iifl. t-ip/in 1020. S, UM.
- H. Vaihinger, a.a.O.. S. 34.
14 l^ie Kartographie als Wisaensehaft.
Jener ■wird sich auch schneller in einem Kartenbild zurechtfinden als dieser.
Inhalt und Ausführung zu wünschen übrig, wird der Kenner gleichsam von Karten-
fehler zu Kartenfehler stolpern mid daran hängen bleiben, während der Kemitnislose
über die Versehen hinweggleitet und sie unbeanstandet bestehen läßt. Die Entschuldi-
gung, daß auf einmal auf das beobachtende Auge zuviel Eindrücke einstürmen, kann
nicht immer als Ausrede frommen, werm man auch manchmal Gnade für Eecht wird
ergehen lassen. Übrigens beruht auf all diesen Hemmnissen auch die Schwierigkeit
der Kartenkorrektur, die sich mit der gewöhnlichen Textkorrektur kaum ver-
gleichen läßt.
Sind Gelände, Wege, Flüsse, Ortschaften, Wälder, Kultvu'erscheinungen usw. in
einem Farbenton wiedergegeben, findet sich das Auge des Uneingeweihten zunächst
schwer zurecht. Ist er gewissenhaft, wird er jeder Einzelerscheinmig besonders nach-
gehen imd sie auf ihre Eichtigkeit prüfen. Erst dann werden sich alle die scheinbar dis-
paraten Vorstellmigen, die ein Kartenbild vereint, zu einem Gesamtbild in seinem Geiste
gestalten. Um diesen psychischen Prozeß zu erleichtem, vei-wendet die neuere Karten-
technik Farben. Dadurch lösen sich aus dem Kartenbilde sofort die Gattmigsbegriffe, die
sich umgekehrt auch wieder zu einem harmonischen Ganzen mühelos zusammenfinden.
Unstreitig erleichtert die farbige Differenzierimg im Kartenbilde den Denk- u^d
Aufnahmeprozeß. Darum wird auch jederzeit der Laie von vornherein mehr unbewußt
ziu: bunten Karte greifen. Aber selbst in sachkundigen Kreisen wird man gegebenen-
falls der gutausgefülirten bimtfarbigen Karte den Vorzug geben. Als Operationskarte
(für taktische Zwecke) war die kurz vor dem Weltkriege von dem enghschen Kriegs-
niinisterium als geheim herausgegebene Karte Belgiens in 1: 100000 mit ihren braunen
10 m-Schichtlinien, grünen Wäldern, schwarzen Eisenbahnen und roten Wegen der
deutschen Generalstabskarte in 1 : 100000, die einfarbig gedruckt ist, überlegen.
Jedoch muß das Bunte im Kartenbild Maß halten. Eine Überfülle an bunten
Zeichen, wie bei manchen Wirtschaftskarten, wirkt direkt schädlich, ist also jeghchen
Nutzens bar. Schade um die Arlieit an solchen Karten. Hier kann nicht genugsam
\or dem embarras de richesse gewarnt werden.
Eine gute Karte wird man stets an der mehr oder mmder klaren ein- oder mehr-
farbigen Hervorhebimg der Einzelheiten erkennen oder, was dasselbe ist, an der Art
und Weise, wie sie dem psychischen Mechanismus Eeclmung zu tragen versteht. Darum
wird die photogi-aphische Karte, die durch irgendein Luftfahrzeug aufgenommen ist
und das sklavische Abbild der Gesamtgegend ist, nie mit der manuell konstruierten
Karte konkiuieren köimen. Weil sie eben alles bringt, bringt sie nichts. Die photo-
graphische Platte erfaßt alle Einzelheiten des Geländes, ob wichtig oder unwichtig,
mit gleicher Schärfe imd einem Schlage, nicht aber der menschliche Geist. Der sondert,
wählt und verfolgt das Einzelne und das für ihn Wichtige. Und diesem Vorgange des
psychischen Mechanismus kommt die Karte in ihrer Konstruktion nach, sie hebt zum
bessern Verständnis und leichterm Gebrauch das Typische hervor, liildet und ver-
anschaulicht Begriffe und Urteile, was dem photographischen Kartenbild versagt bleilit.
Wie jede Wissenschaft auf den höhern Stufen hat auch die geographisch(>
Wissenschaft die ökonomische Tendenz, Arbeit imd Kraft zu ersparen. Die Karte ist
durch ihre Zusammenfassung das sichtbare Mittel dieser ökonomischen Tendenz. Zu-
nächst ist die Karte eine Nachbildung geographischer Beobachtungen und Erfahrungen
aus erster Hand. Des weitem ist sie geeignet, körperliche Strapazen, fruchtlose Ver-
suche und falsche Schlüsse, die jede ursprüngliche Forschung mit in Kauf nehmen muß.
Allgemein Methodischea und Kritische.-i 15
ZU ersparen. Ihre Hauptaufgabe bleibt indessen die sich anhäufenden Tatsachen unter
einen einheitUchen sichtltaren Ausdruck zu bringen, so ähnlich wie die Tatsachen von
der 'vrissenschaftUchen Zusammenfassung unter einer mögUchst einheitlichen Norm
gebracht werden. Durch die ■wissenschafthche und kartographische Zusammenfassung
werden die geographischen Gedankenmassen besser behalten und leichter rückläufig
wieder gefunden oder, wie der Psychologe sagt, die apperzipierenden Vorstellungen
flüssiger erhalten. Damit ist aber eng der andere Vorteil verbunden, direkt höhere
Operationen zu ermöglichen, olme alle Reihen von Anfang an wieder durchlaufen zu
müssen.
7. Die Kartenkritik. In der Kartographie wissen viele nicht Theorie, Hypothese
imd Tatsachen auseinanderzuhalten. Wir geben zu, daß dies unter Umständen nicht
leicht ist, und A. Hettner kommt zu dem Schluß, daß es ein großer Mangel der karto-
graphischen Darstellung ist, daß sie den hypothetischen Charakter der Eintragung
nicht deutüch vom sichern Wissen unterscheiden kann.^ Daß es jedoch möghch ist,
wenigstens auf den topographischen und verwandten Karten das Hypothetische vom
Wirkhchen zu unterscheiden, werden wir bei der Erörtermig des „VerläßHchkeits-
diagramms" sehen. Wo derartige Handhaben oder texthche Aufklänmgen fehlen, ist
es in der Tat schwer, das TragUche vom Wirklichen zu trennen. Um aber auch dies zu
können, genügt kein Wissen, das ledighch aus Büchern geschöpft ist, sondern ein lang-
jähriges sorgfähiges Studium der verschiedenen kartogi-aphischen Aufnahmen, Methoden
und Äfaterien und ein fortwährendes Vergleichen vieler Karten. Zugleich wird man aucli
zu der Einsicht geführt, daß die Methoden der kartographisch wissenschaftüchen
Forschung sein- mamiigfaltig sind, daß überhaupt keine Methode endgültigen Wert
besitzt, wie schon Streffleur in Wien imd C. Vogel in Gotha betonten.
Vor länger als einem halben Jahrhundert klagte E. v. Sydow damber, daß ein
großer Teil des PubHkums vollständig ohne Kritik über kartographische Arbeiten ist
und sich diu-ch äußerliche Eeizmittel bestechen läßt.- Mir wiU es dünken, als wemi es
lieute noch nicht wesenthch besser geworden wäre, denn man muß bedenken, daß heute
die Forderungen an Karte luid Iviitik höher gestellt werden als vor einigen Jahrzehnten.
Diu-ch das schöne glänzende Äußere lassen sich leider auch heute viel zu viele über den
innern Wert der Karte täuschen. Hier muß die Kritik scharf und gerecht einsetzen.
Man kann die helle Enträstung der Sachkenner verstehen, mit der sie manclies Karten-
zi'Ugnis in Gnnid imd Boden verdammen.
Die Kartenkritik soll wohl erwogen und gerecht sein luid sich erst nach wieder-
boltem Beschauen der Karte formen. Wie schnell sind leider viele mit dem Urteil über
eine Karte fertig. Es ist beschämend, von welchen Einseitigkeiten, .scliiefen Ansichten
oder Voreingenommenheiten manche Kartenkritiken winunehi. Selbst Wissenschaft Kr
entblöden sich niciit, kartograpliische Erzeugnisse iluer Schützlinge als ansehnliche
Leistungen hinzustellen, eben weil sie das Wesen, den Geist der Karte nicht recht ver-
stehen. So spricht manche Kartenkritik von einer Leichtfertigkeit des Beurteilenden,
über die der Fachmarm den Kopf schüttelt. Wir verkennen durchaus nicht die Schwierig-
keiten, die dem Kartenkritiker in dem Kartenbilde vorliegen. Schier ausgeschlossen
erscheint es manchmal, ein gereclites Urteil zu fällen, wimhi man niclit die Entstelnmt;
der Karte ab ovo kennt.
• A. Hettner, a. a. O.. S. il.
- E.v.Sydow: Der kartop- Standpunkt Kimii«,-! um S.hliissr des.lalin« Is.V.l. P.M.18«(\ 8.47.'».
16 Die Kartocraphic als Wissiüiselmft.
Die mathematischp Seite der Kartenkritik ist diircli E. Hammer l)esonders
gefördert worden, nicht wenig unterstützt durch A. 'l'issot und weiterhin durcii A. Breu-
sing, H. Wagner, M. Fiorini und einige andere. Gott sei Dank, daß die Mathematik
die Kartographie so befruchtet hat und befruchten kann; ist sie ja für die gesamte
geographische Wissenschaft der ..niiverietzüche Schutzpanzer gegen jegHche Popu-
larisierung".^ Die Mathematik ^'ibt der kritischen Arbeit vorzügHche Hilfen. Längen-
und Arealschätzungen, methodisch-kartographische Erwägmigen werden durch den
mathematischen Kalkül ins richtige Gleis gelenkt, Winkel-, Längen und Flächen-
verzerrungen der Kartennetze bewertet, die Grenzen der Genauigkeit verschiedener
kartographischer Darstellungsformen festgelegt u. v. a. m. Damit begegnen wir einem
schwierigen Moment jeglicher Kartenkritik, das selbst von manchen Geographen ge-
mieden wird, obwohl es verdient, mehr als bisher Berücksichtigung und Verständnis
zu finden. Kann man nach dieser Richtung hin erfreuliche Fortschritte zur Besserung
feststellen, so läßt doch noch vieles zu wünschen übrig. Manches schiefe Urteil würde
vermieden worden sein, wenn Geograph und Mathematiker (bzw. Geodät) ihre gegen-
seitigen Berührungsgebiete etwas besser kennengelernt hätten; ihre gegenseitige Kritik
hätte mehr Form und Inhalt gewormen.^
.Jede neue Wissenschaft wird es mit der Bildung neuer Namen zu tun haben.
Es ist das Zeichen von Kraft einer Wissenschaft, neue technische Ausdrücke zu erfinden
„mit deren Hilfe sie die Erscheinimgen kurz und doch deutlich bezeichnen kann".*
Dabei wäre auch zu untersuchen, ob alten guten Bezeichnungen, die längst vergessen
sind, nicht wieder zur Einführung zu verhelfen sei.* Bei der Schöpfung neuer Wörter
ist zur größten Vorsicht zu mahnen. Insonderheit sind es die Schlagwörter, die das
ganze System einer Wissenschaft verwirren können. Sie entstehen manchmal plötzhch,
beinahe imbewußt und unbeabsichtigt imd können wie ein Bhtzschlag wirken, zündend
und verheerend; denn auf sie reagiert besonders das Massenempfinden und nicht auf
ihren Gedankeninhalt. Das war für S. Passarge der Beweggrund, mit aller Ent-
schiedenheit den Kampf gegen die Schlagwörter aufzunehmen, die durch die Morpho-
logie von W. M. Davis in die deutsche geographische Wissenschaft hineingetragen
wurden. Was Passarge gegen die morphologischen Schlagwörter vorbringt, gilt in
gleichem Maße gegen die kartographischen, wie ,, Naturtreue", ,, Raumtreue", „Dufour-
beleuchtimg" usw., die wir später noch unter die kritische Sonde nehmen werden. Mit
' S. Passarge: Physiologische Morphologie. Hamburg 1912, S. IStli.
^ Ein klassisches Beispiel für das gegenseitige Mißverstehen finden wir in .1. l''risehaiifs
„Beiträgen zur Landesaufnahme und Kartographie der Erde"', Leipzig 1919, S.80, wo Kri sc häuf davon
spricht, daß sich H.Wagner, wemi er die Definition über den Maßstab richtig gegeben hätte, sich
die 70 Seiten starke Abhandlung über dem Maßstab in der Z. d. Ges. f. E. zu Berlin 1914 hätte ci-
sparen können. Diese Bemerkung bezeugt evident, daß der Geograph noch ganz andere Seiten der
Betrachtung dem Maßstab abgevriimt als der Mathematiker. Ich im besondcm möchte gerade diese
Abhandlung Wagners für die theoretische Kartographie nicht missen. Hinwiederum hat Frischauf
dort sehr recht (Beiträge S. 7.5, 76), wo er sich darüber aufhält, daß E. Oberhummer im Hinblick
auf eine minimale pekuniäre Unterstützung für die topographische Aufnalime von Mittelalbanien
Fr. Seiner empfiehlt, oder mit andern Worten, daß viele Geographen gar nicht wissen, was zui' tojw-
graphischen Aufnahme eines Landes gehört.
'A. Hettner: Die Oberflächenformen des Festlandes. Leipzig und Berlin 1921, S. 224.
* So hat die Bezeichnung „Nordsee" wenig für sich. Ich bedauere, daß die alte deutsche Be-
zeichnung „Deutsches Meer" ganz verschwunden ist. Auf C. Vopells Karte von Europa [Nat. Bibl.
Paris] lesen wir „Oceanus German".; „das große Teusch Meer". Selbst auf engl. Karten lesen wii-
von „German Oeean", wie auf der Tiefenkarte von Robert Stevenson aus d. Anfang des 19. Jli.
Allgemein Methodisches und Kritisches. 17
solchen Wortbildungen wird nur scheinbar eine Erklärung gegeben, in Wirklichkeit
aber die oft sehr verwickelten und schwierigen Probleme umgangen und verschleiert.
„Obendrein — namenthch iii deduktiver Betrachtungsweise — verleiten sie geradezu
zum oberflächlichen, schnellen Aburteilen". ^
Ebenso wird die Kartenwissenschaft und damit die Kartenkritik streng darüber
wachen, daß die kartographische Nomenklatur durch die Übernahme von Bezeichnungen
aus fremden Sprachen nur in geziemenden Grenzen vermehrt wird.- Solche Namen
bekommen dadurch noch lange nicht den internationalen Stempel. Neben dem oft
krampfhaften Suchen nach neuen wissenschaftlichen Bezeichnungen aus dem griechi-
schen und lateinischen Wörterbuch — eine Manier, die schon hier und da abflaut — ,
wird jedes wissenschaftUch denkende Volk darauf hinarbeiten, aus seinem eigenen
Sprachschatz Wörter zu finden, die die Sache selbst so gut wie mögUch kennzeichnen.
Die kartenkritische Untersuchung hat hier auf deutschem Boden schon recht gute Er-
folge zu verzeichnen. Es sei nur an A. Breusing erinnert, der der Projektionslehre
vorzügUche deutsche Bezeichnungen gegeben hat, die selbst in fremde Sprachen wört-
lich übersetzt die betreffende Eigenschaft der Projektion besser bezeichnen als die meist
üblichen Ausdrücke.
Die Kartenkritik geht auch den bis jetzt gebrauchten Bezeichnungen zuleibe und
untersucht sie auf ihren Wesensinhalt und ihre historische Treue und Haltbarkeit.
Das Richtige und Gute kann nicht oft genug wiederholt werden. Wie oft ist schon, von
mir z. B. auch zu wiederholten Malen, gesagt imd geschrieben worden, daß es nicht
richtig ist, von einer „Flamsteed sehen Projektion" zu sprechen, und immer Uest man
davon. Ebenso verkehrt ist es, von einer ,,homalographischen Projektion" zu sprechen.
Man hält es tatsächlich kaum für möglich, mit welcher Gedankenlosigkeit, die an Träg-
heit imd Dummheit grenzt, selbst in wissenschaftlichen Büchern sich solche schon seit
Jahren klar gelegte mid richtige imibenannte Bezeichnimgen in ihrer falschen alten
Form frisch erhalten.
Irrtümer über Irrtümer hat die Kartenkritik festzustellen und zu berichten. So
nimmt sie unter anderm den gern zitierten Anspruch, daß der Soldat zuerst gute Karten
machen lernte^, unter scharfer Lupe. Gewiß ist es richtig, daß z. B. in Preußen das
Kartenwesen seit altersher ein wichtiger Teil der Kriegswissenschaft war, daß selbst
ein Macchiavelli den Feldherren riet, sich mit genügendem Kartenmaterial zu ver-
sehen, deimoch ist es ein historischer Irrtum, wenn W. Stavenhagen und andere
schreiben, daß ,,das drängende Bedürfnis der Kriegsführung nach brauchbaren Orien-
tierungsmitteln der allein maßgebende Grund zur Ausführmig von Landesaufnahmen"
war. Schon seit 1711 verlangte C. Gottschling in dem „Vorsuch von einer Historie
der Land-Charten" im Hinblick auf die bereits vorhandenen, durchaus nicht mili-
tärischen Proben topographischer Karten von einer Spezialkarte, „daß man darinnen
alle Dörfer in ihrer wahren Situation, alle kleine fließende Wasser, Mühlen, Brücken,
alle Täler und Pässe der Gebirge nach ihrem eigentlichen Zweck, alle Moraste, hiundierte
Länder, unfruchtbare Heiden usw. einbringt." Und sind die deutschen Landtafehi
nicht viel älter als die stehenden Heere! Denn um die Mitte des 16. Jahrhunderts be-
' S. Passargo: Physiologische Morphologie. P. M. 1912. II. S. 8. - Plmiologisclie Mor-
phologie. Hamburg 1912, S. 28.
= Vgl. hierüber auch S. Passarge: Physiologische Moi-phologie. Hamburg 1912. S. 21.
^ W. Stavenhagen: Die gesch. Entwoklung des PrcMili. Militärknrtonwosens. C. / MHX).
S.-A., S. ,5.
18 Die Kartographie als Wisscnseliaft.
gegnen uns Spezialkarten. die in der Tat auf den Namen topographische Karten An-
spruch erheben küimeu, wie G. Mercators große „Karte von Flandern" aus dem Jahre
1540 und die „Bayrische Landtafel" von Philipp Apian aus dem Jahre 156G. Ferner
darf Comenius Moraviae vom Jahre 1645i bei einer Geschichte der topographischen
Karte nicht übergangen werden. Die modernen vom Militär aufgenommenen und heraus-
gegebenen topographischen Karten hatten ihren bedeutenden Vorläufer und ihr Muster-
bild in der nicht mihtärischen Carte de la France 1 : 86400, die auf der 1750—1793 von
Jaques mid Cesar Cassini vorgenommenen Triangulation von Frankreich berulite.
Da all diese Klarstellungen eine intensivere Erörterung erheischen, als sie in euiem
Einleitungsabschnitt gegeben werden kann, muß sie einer spätem ausführlichen Unter-
suchung überwiesen werden. Ausdrücklich sei jedoch hier hervorgehoben, daß dadurch
die Verdienste der offiziellen Kartographie keineswegs herabgemindert werden sollen. -
Xm- darf nicht Glanz und Verdienst des einen die Wahrheit des andern verdunkeln.
Jeder Sachkenner weiß, daß erst dadurch, daß das Mihtär die topographischen Auf-
nahmen in die Hand nahm, die für ihre Zeit gewünschte Großzügigkeit und Schnellig-
keit in das Unternehmen kam; imd dies war gewiß nicht die schlechteste Episode in
dem Gang der Geschichte der Karte. Bis jetzt war es deren glanzvollste Zeit. Das wird
auch die Ziviltopographie neidlos anerkennen (s. § 96).
Die feinere Kartenkritik hält sich nicht bloß an die Formen und Zeichen, sondern
sucht in den Geist des ganzen Kartenwerks hineinzudringen. Sie wird selbst absonder-
lichen Auffassimgen, die nicht in den ausgetretenen Bahnen des Alltags wandeln, gerecht.
Das Ganze muß als solches erfaßt werden. Bei einem Atlas, sei er Hand- oder Schul-
atlas, darf die Kritik nicht an den einzelnen Kartenblättern hängen bleiben, sondern
muß in die Seele des Ganzen hineindringen, aber auch einen Standpunkt über dem
Ganzen gewinnen, um frei und voriu-teilsfrei alles überschauen zu können und dem-
entsprechend das Urteil zu fällen. Bei einem neuen Atlas insonderheit wird der metho-
dische Fort- imd Eückschritt ein besonderes Kriterium bilden, das unter Umständen
wichtiger sein kaim als das bloße Kartenblatt.
Nichts ist leichter als eine Karte zu tadeln. Das ist kein Kunststück. Viel schwie-
riger ist das Bessern und Weiterbauen. Da versagen leider selbst gute Kartenkritiker.
Ein gutes Stück „positiver Kritik" hat E. Hammer mit seinen Kartenkritiken in
Petermanns Geographischen Mitteilungen und im Geographischen .Jahrbuch ge-
leistet. Diese Seite der Kritik hat er bewußt gepflegt, wie er selbst versichert.^ Sein
großer Vorgänger hierin war E.v.Sydow, dessen Berichte über ,,den kartographischen
Standpunkt Europas mit besonderer Eücksicht der topographischen Spezialarbeiten"
in den Jahrgängen 1857—1872 von Petermanns Geographischen Mitteilungen noch
auf Dezennien hinaus Quellen reicher kartographischer Anregung und Belehrung
sein werden.
In jeder Karte gibt es Fehler, die außerhalb jeder Kritik liegen, weil sie kritisch
kaum oder überhaupt nicht erfaßt werden können. Es kommt vor, daß offizielle Karten,
'Moraviae nova et post omnes priore.s aeeuratissima (iolincatio; auctoi<' J. A. (,'oiiieni'o.
Xoviter edita, a Xicolao Johannide Piscatorc. Anno Domini 164.5. — Vgl. Comenius als
Kartograph seines Vaterlandes. Nach der böhmischen Abhandhing von Josef Smaha, mit einem
Xeiidniek der Karte de Comenius, deutsch herausgegeben von Karl Bornemann, Comenius-
studien, H. .'>. Znaim 1802
- C'arusso: Importance (h- \:i (•art(igra|))iie (ilfici.'llc. (Jcnl I SS(i.
■' E. Hammer in I'. M. I'JUI. L15. üüö, S. 14i).
Allgemein Methodisches und Kritisches. 19
denen man von vornherein mit einem gewissen Vertrauen begegnet, bei Neuauflagen
Irrtümer enthüllen, denen gegenüber die Kritik zunächst sprachlos ist, die aber dann
um so schonungsloser höher gehangen werden müssen, da sie meist auf eine kaum zu
entschuldigende Sorglosigkeit und Unachtsamkeit zurückführen. Wenn z. B. moderne
Seekarten dort Insehi verzeichnen, wo gar keine sind, ist dies nicht bloß ein bedauer-
licher Irrtum, sondern sogar eine grobe Fahrlässigkeit. ^ Aber auch auf gewöhnüchen
Landkarten kommen verwandte Fehler vor, wie noch an zahlreichen Beispielen nach-
gewiesen werden wird. In der geschichtlichen Entwicklung von der Erkenntnis der
Erdgestalt hat man ein gutes Mittel zur Verfügung, die Karte wertzuschätzen. Doch
ist bei diesen Untersuchungen Kritik und historische Methode als eins zu achten und
wird uns daher letztere als die bisher umfangreichste und bestgepüegte Methode gleich
ausführlicher beschäftigen.
8. Das kartographische Plagiat. Eng mit der Kartenkritik ist der Nachweis ver-
knüpft, ob eine Karte ein Original oder eine Nachbildimg ist. Damit berühren wir ein
heikles Kapitel, um das man gern herum geht und über das man sich, soweit ich die
Literatur kenne, nie ordentlich ausgesprochen hat. Und doch ist es gut, auch in dieser
Beziehung einige Eichthnien zu gewinnen; denn im Grunde genommen lassen uns die
Gesetze über Nachdruck bei der Bem-teilung des kartographischen Materials fast voll-
ständig im Stich. Wir fangen gleich mit der bedauernswerten Feststellung an, daß wohl
auf keinem Gebiet, mit Ausnahme in der Musik, soviel gestohlen wird wie in der Karto-
graphie, und auf keinem Gebiet kann der Diebstahl so leicht verschleiert werden wie
auf dem der Kartenherstellung. Das hängt einmal mit der Leichtigkeit der Hand-
habung der Motive, d. h. der Kartendarstellmigselemente und sodann mit der Schwierig-
keit zusammen, die OriginaHtät immer sicher nachzuweisen.
Die Klage über die Nachbildung von Originalkarten ist uralt, d. h. so alt, als
zum ersten Male Karten durch den Druck verbreitet imd die Kartenmacher sich ihrer
Mühen und der Bedeutung ihrer Arbeit bewußt wurden. Mithin klopfen auch hier wir
wieder nicht vergebens bei der Eenaissance an. Zu Apians Zeiten stand der Nach-
druck in Belgien in hoher Blüte.^ An seinem Cosmographicus über hatte er es erfahren,
und darum suchte er seine dritte Weltkarte vor Ausbeutmig zu schützen, denn \vir
lesen darauf zum erstenmal von einem , »Privilegium imperiale". Mercator hatte für
seine Weltkarte in Deutschland ein auf 14 Jahre imd in Belgien ein auf 10 Jahre gültiges
Privileg erhalten. Trotzdem hatte er über den Nachdruck seiner Karten zu klagen.
Mit dem Unwesen des Nachdrucks von Karten beschäftigte sich ausführHcher J. G. Gre-
'■ Folgende merkwürdige Mitteilung hatte, wie aus London kurz vor dem Weltkriege berichtet
wurde, die britische Admiralität an die Marine ergehen lassen: „Kiel Island, das an der Westküste
von Palao oder den Paleoinseln liegend angenommen wurde, existiert nicht. Kiel Island ist deshalb
von allen Seekarten zu entfernen." Diese ,Jnscl" im nördlichen Teil des Stillen Ozeans, die niemals
existiert hat, nahjn seit 50—60 Jahren auf den Karten der britischen Marine ihren Platz ein. Vor
mehr als einem halben Jahrhundert wurde sie „entdeckt" und beschrieben und auch auf der Karto
eingezeichnet, aber als die Seeleute sie niemals zu Gesicht bekamen, wurden sie zweifelhaft imd wußten
nicht, wem sie mehr trauen sollten, ihren Augen oder der Karte. Bevor diese skeptischen .\nsclmuungen
aber in die Admiralität drangen, sind mehr als 50 Jahif vergangen, und erst ein dc\itsclies Kriegs-
schift, das von der deutschen Admiralität zur Untersuchung dieser nie gesehenen li\sol aiisgesandt
war, hat Kiel Island als ein bloßes Phantom festgestellt.
2 Vgl. H. Wapner: Die dritte Weltkarte Peter Apians v. J. I5S0 und die Pseudn-Apianisohc
Weltkni-te von l.l.'")!. Nachr. v. <i. K. tVs. d. Wiss. zu (Wttingeii IStVJ. S. r>4«.
20 Die Kartographie als Wissenschaft.
gorii in seinen „Cimeusen Gedancken"^ und besonders E. D. Hauber in seinem „Ver-
such einer iimständlichen Historie der Land-Charten", Ulm 1724. Seine Darlegung
über die Fehler imd mannigfaltigen Gebrechen der Ijandkartcii sind werf, wiirtlicb
hier festgehalten zu werden (Aniu. S. 50—56):
„Ich mag nichtwohl anfangen, diese zu erzehlon, weilen ich niclit leicht wiederum
ein Ende daran finden würde. Ich will aber meine Meynung mit denen Worten deß
Jüngern Herrn Sturms in seinem teutschen Compendio Matheseos P. III. § XI. n. 12.
p. 220. anßdrucken; welcher darvon also sagt: ,Es wäre kein Wunder, wann bey denen
Particular-Charten die Geographie eben so in Verachtung gekommen wäre, wie das
Calendermachen durch die Astrologie, indeme jetzo selten die Mathematici mit Charten-
Zeichnen zu thun halien. sondern einige eigennutzige Kupffer- Händler sich in dieses
Handwerck so eingemenget, daß sie selbst durch allerhand liederliche Handgriffe die
Charten zusammen stümpern, und auß denen von anderen gemachten Charten zusammen
rauben.' Ausser denen außgelassenen, falschgenennten, unrecht gesetzten Orten, Flüssen,
Bergen, etr. Ausser diesem, daß in denen mehrsten Charten die Gradus Longitudinis
gesetzet werden, ohne zu melden, von welchem Meridiane Primo sie gezehlet seyen:
daß die Gradus der Polus-Höhe ohne darvon gemachte Observationen determiniret
werden: daß Meilen-Stäbe, besonders von gemeinen Teutschen Meilen, hingesetzet
werden, ohne zu wissen, wie groß solche Meilen, in bekanntenMassen, Schritten, Schuhen
oder Euthen seyen ? u. v. a. m. Ausser diesem allem, sage ich, ist es ein Haupt-Fehler
der Land-Charten, daß sie zu unseren Zeiten wenigsteutheils von Gelehrten und der
Sache Erfahrenen, sondern mehrstentheils von Kupfferstechern verfertiget werden,
deren nur immerdar emer den andern abcopiret, und je länger je mehrere Fehler hinein
machet, und doch darauf setzen darff: Tabula nova, novissima, exactissima, recens
cm-ata, etr. Ferner gehöret unter die Fehler der Land-Charten, daß ;uit «hiK nsi llien
nicht gemeldet wird, aus was vor Gründen und Nachrichten, nach welcher .Metlidde. » Ir.
eine Charte seye gezeichnet worden, etr. Es handelt sich auch von denen Fehlern und
Mängel der Land-Charten umständlich die Essai sur l'Etat present de la Geographie
in Journal des S^avans A. 1721. Octobre, Art. 3. Bilhch aber muß ich auch hier unter
die Mängel so wohl derer Land-Charten, als der Geographischen Compendien zehlen,
daß dieselbe keine Nachricht von der Orthographie geben, oder Avie die Namen derer
Orte müssen gelesen und außgesprochen werden. Dann solle man die Leute nicht
billich die Narren der Orte nicht nur ansehen, sondern auch außsprechen lernen, xmd
zwar also, wie sie eigentlich lauten, und in dem Lande außgesprochen werden, darinnen
sie gelegen seynd, und man jemand, der in solches Land kommen möchte, auch ver-
stehen könnte?
Ülierhaupt kan keine Charte accurat seyn, wami sie nicht auß genügsamen Nach-
richten, und geometrisch- oder trigonometrischen Gründen, in dem Lande selbst ver-
fertiget werden. Diejenige aber, welcJie vom Land-Charten-Machen Profession machen,
und ein Handwerck damit treiben, werden von dieser Geographischen Charletanerie
und Macchiavellisterey niemalen abstehen, es wäre dann, daß sie durch deßwegen ge-
'■ Curieuse Gredancken von dci] \.>i]i( liinst<ii und accura testen Alt- und Neuen Land-Charten
nach ihrem ersten Urspi-unge, EHniHuu-. Au. i.nibus und Sculptcribus-, Gebrauch und Nutzen ent-
worffen, auch Denen Liebhabern dci /.iituiiLcn zum Vergnügen, aus der Greographic, Historie. Chrono-
logie, Politica und Jure Publico erläutert. Und nebst kurtzen Lebens-Bes< lnciljiiiiL'in der berühm-
testen Geographorum ausgefertigt durch Johann Gottfried Gregorii \i>n Tnlia :iiis 'riiiiringen.
Franckfurt und Leipzig, Zu finden bey Hieronymo Philipix) llitscheln, Bik lihiunllrrn. Aiinu 1713.
Allpeinrin Methodisohes und Kritisches. 21
luaclitf Gesetze verlumclen würdeu, bey einer jeden Charte beyzusetzen, wo sie soiclie
lier haben, auß was vor Nachrichten solche verzeichnet worden, auf was vor Observa-
tiones sich solche gründe, deßgleichen das Jahr, warm sie solche ediren, etr., welches
aber nicht zu hoffen ist. Übrigens handelt auch von denen Verbesserungen der Land-
Charten in das besondere, das mehnnahlen angezogene Essai sur l'Etat present de la
(Geographie Art. 3. welches aber auch einige Cautelen giebet, welche man ])ey solchen Ver-
besserungen in acht nehmen muss. Zum Ex. daß man denen allerneust en und spezialsten
Charten nicht allemahl trauen solle, weilen auch diese öffters ungemeine Fehler haben,
auch in denen Stücken, worinnen sie von denen allgemeinen Charten abgehen.
Wie aber die Erfahrung in dem Augenschein zeiget, daß die mehrste Land-
Charten-Macher die Charten nur voneinander abstechen, also kaim es seyn, daß ich in
derThat den größten Theil derer Land-Charten habe, wann ich auch kaum den viertenTheil
hätte, derer die von denen unterschiedenen Geographis gestochen worden. Also seynd
die Karten Mercatoris, Ortelii, Guilielmi Blaeuvv, Johannis Jansfonii, Blaeu der Waes-
bergiorum und die mehrste deß älteren Visfchers fast alle einerley, daß wer die Charten
deß einen hat, in der That auch die Charten des anderen besitzet, dahero ich unter den
obigen Ca tologis auch einen CatalogumParallelum von denenselben zu inserirengedencke."
Die Quintessenz der Hauberschen Ausfühi-ungen muß jeder Kartenkritiker altern
Karten gegenüber beherzigen, nämhch derartigen prätentiösen Prädikaten, wie tabula
noxdssima, accuratissima, receus nova et post omnes priores accuratissima delmeatio
oder tire des meilleurs autheurs, sur les memoires les plus nouveaux, suivant les observa-
tions des Messieurs de l'Acad. u. a. m. mit größter Vorsicht zu begegnen, da allerhand
Verschleierimgsmittel, wie die Änderung des Autornamens, des Titels*, der Jahreszahl,
des Formates, der Orientierung, der Parerga mid lUuminiermig zm* Verdunkelung des
Originals in ausgiebigster Weise gebraucht werden.
Energisch machen die ..Homaimischeu Vorschläge" gegen Nachstich und Nach-
druck Front^, obwohl J. B. Honiann im Anfang seines Geschäftes seit 1710 in Nürnberg
selbst viele andere Karten nachgestochen hatte. In den Vorschlägen wird einigemal
von den „Sudelkarten" gesprochen. ,,Dannenhero ist leicht zu gedenken, was von denen
in Hast und Eyl verfertigten Land- mid Atlassen der Sudler zu urtheilen. Ein solcher
Atlas ist nichts anderes als ein blindlings durch den Nachstich mid mittels der elendsten
Behelfe der Verjüngung und Vergrößerung aus andern zusannnengerafftes und gleich
einem Bettlers JMantel zusammengesliektes Werk, das nur allein dicnrn -nll. ilic («>-
winnst-Begierdi' des Verlegers zu stillen."
Ähnlich wie Ortelius, Mercator, Sanson. Delisle nachgedruckt und aus-
genutzt worden sind, wm'den um 1800 J. Reniul und A. Arrowsmitii in England
ausgebeutet. Daß es jedochArrowsmith selbst mit deniNachdruck nicht so genau nahm,
wissen wir von A. v. Humboldt, der von der Benutzung seiner Karte von Neuspanien,
die er 1804 bearbeitet und in zwei Blättern seinem großen geographischen und physischen
Atlas vom Königreich Neuspanien, Paris 1809, beigegeben hatte, durch Arrowsmith
nicht gerade sonderlich erbaut war.'
' Selbst vor einer spiejjelbildlirlun \\'ii<lei«iil)e des 'l'itels «iiide iiieht /iiniekgeseluvekt.
- Homannischo Vorsehläge von den nötij;en V'erbcssenmpen der WeitbcMelireibimgs-
Wisscnscluift und einer disfals bey der Homiuuü sehen Handhinp zu errichtenden neucu Academie.
Nürnberg 1747, S. 8, 9.
' A. V. Humboldt: Über eine Karte von .\'eus|>nnien Iiei-avi8(f0gebeii von .\i rowsniith,
i. J. 1810. V. Zaehs „Monatl. Com-spondcnz.' XXV. ttotha 1912, S. 2645-272.
22 Die Kjiitoi;iaphie als Wissenschaft.
Im Anfang des 19. Jahrhunderts war es nur wenig besser geworden. Die Wider-
wärtigkeiten, die J. Perthes zu bekämpfen hatte, traten bereits ein, als die ersten
Hefte von Stielers Handatlas erschienen waren. ^ Sie steigerten sich bei der Heraus-
gabe von Heinrich Berghaus' Physikalischem Atlas, so daß voll Unmut Heinrich
Berghaus die „nachäffende Fabrikation und mittelalterliche Freibeuterei" geißelte.
Seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts hat die Art mid Weise der Benutzung
anderer Kartenerzeugnisse im allgemeinen einer anständigem Form Platz gemacht
imd die ältere schamlose Ausbcutxmg des Kartenmaterials der tonangebenden Institute
durch kleinere Anstalten und Firmen, die sich allerdings auch heute noch oft zu Un-
recht „geographische" oder „kartographische Anstalten" und ähnlich nennen, gehört
Gott sei Dank zu den größten Seltenheiten. Während die Karten der großen karto-
graphischen Institute von Deutschland, England, Frankreich, der Schweiz, Italien,
Österreich usw. in der Hauptsache mit Zugrimdelegmig der ursprünglichen Karten-
aufnahmen mühevoll herausgearbeitet sind, so daß sie vollwertige Originale sind, können
die kleinen Firmen selten derartige Originale aufweisen, da sie meist über keine geo-
graphisch und methodisch ausgebildete Kartographen verfügen, die nicht auf die Ur-
quelle zurückzugehen vermögen, und deren Leistungen mehr oder minder auf den
fertigen Oi iginalleistungen der großen Institute basieren. Bekannt ist, daß diePerthes-
schen Karten von kleinen Firmen ausgiebig benutzt und verwertet worden sind, daß
weiterhin verschiedene deutsche Schulatlanten, selbst diejenigen renommierter Anstalten,
bei E. Debes zu Tische gegangen sind. Der Typus, den Debes mit seinen Atlanten
geschaffen hat, tritt selbst bei Atlanten, die sich im speziellen nicht an Debes anlehnen,
im allgemeinen doch wie ein Familienzug hervor. Das mag auch damit zusammen-
hängen, daß Kartographen von einem Institut zum andern gewechselt sind, wie z. B.
von Debes hinüber zu Velhagen & Klasing; übrigens eine Erscheinung, die sich
auch für ältere Zeit feststellen läßt. So wissen wir, daß schon Janssonius undHondius
Mitarbeiter Blaeus, des Schülers von Tycho de Brahe, für sich zu gewinnen suchten.
9. Richtlinien für die Beurteilung von Originalkarten. Es ist richtig, daß Art und
Weise, Zweck imd Ziel der weitern Verarbeitung imd Durchdringimg des Kartenstoffs
von Fall zu Fall eine Eichtschnur der Beurteilung bilden werden, inwieweit die neue
Leistung, die sich nicht auf Quellen erster Ordnmig stützt, zu einem Original aus-
gewachsen ist. Damit reden wir nur schöne Worte nach, die man öfters hört und mit
denen im Grunde genommen kein Ausmaß für die Nutzanwendung gewonnen wird.
Bei diesem Problem muß schon tiefer geschürft werden.
Das jahrhundertwährende Plagiatunwesen in der Kartographie hat semen tiefern
Grund — die geschäfthchen Aspirationen laß ich ganz aus dem Spiele — in dem Un-
vermögen der meisten Kartenbenutzer, selbst vieler Kartenverfertiger, das Karten-
original richtig einzuschätzen. Dieses offenbare Manko hätte schon längst dazu führen
müssen, gewisse Eichthnien in der Beurteikmg von Originalkarten aufzustellen. Dem-
gegenüber steht hemmend am Anfang gleich die Beantwortung der Frage: Was ist
eine Originalkarte? Beispielsweise ist das preußische Meßtischblatt eine Originalkarte,
da sie direkt auf den Aufnahmeskizzen basiert, die württembergische Karte 1: 25000
in diesem Sinne nicht, und dabei ist sie besser und vielfach auch korrekter als jene aus-
geführt; sie ist aus den Flurkarten 1 : 2500 herausgewachsen. Dieses scheinbare Dilemma
1 Justus Perthes in Gotha 1785—1885, Jubiläumsschrift der geogr. Anstalt von J. Pcrtho.s.
S. 47.
Allgemein Mutliodim-hes und Kritisches. 23
ist leicht zu beseitigen, wenn wir das Hauptgewiclit bei der üeantwurtung auf die Auf-
nahme und die von dieser unmittelbar und mittelbar beeinflußten Karten legen.
Großmaßstabige Karten, die direkt aus den Aufnahmeskizzen oder aus solchen
den Aufnahmeskizzen fast gleich zu achtenden Karten (Flur-, Kataster karten), ohne
zu wesenthchen Vereinfachungen veranlaßt zu werden, hervorgehen, sind Original-
karten katexochen. Wir wollen sie Urquellen nennen. Mithin sind, von diesem Ge-
sichtspunkte aus betrachtet, die Meßtischblätter und die süddeutschen Karten 1 : 25000
als gleichwertig zu betrachten. Ferner unterscheiden wir Urquellen erster imd
zweiter Ordnung. Zu erstem gehören diejenigen Karten, die auf topographischen
Aufnahmen beruhen, wie sie bei den Landesaufnahmen gepflegt werden, oder die denen
der Landesaufnahmen im großen imd ganzen als gleichwertig zu achten sind Die
Hauptsache dabei ist. daß ein trigonometrisches Netz festgelegt worden ist. Zu den
Urquellen zweiter Ordnung gehören die Karten, die auf Grundlagen der allerverschie-
densten Aufnahmen bearbeitet worden sind; wozu also die meisten Kolonialkarten,
die Karten von Forschungsreisen usw. zu rechnen wiiren.
Von den Urquellen, den Originalkarten katexochen. wollen wir der Einfachheit
halber die Originale erster, zweiter, dritter imd vierter Ordnung imterscheiden.
Als Originale erster Ordnung betrachten wir die topographischen Karten, die sich
auf den Meßtischblättern und verwandten Karten aufbauen, die wohl eine Verringerung
des Stoffes der Urquellen zeigen, aber liei der Darstelhmg der wiederzugebenden geo-
graphi.schen Objekte noch nicht zu Signaturen ihre Zuflucht nehmen. Hier melden
sich die topographischen Karten l)is zum Maßstal) 1 : -iOOGUÜ. Wenn diese Originale in
gleichem Maßstab nachgezeichnet, vereinfacht und veröffenthcht werden, entstehen
kerne neuen Originale ; sie smd glattweg als Plagiate zu ahnden. Unter die Originale erster
Ordnung muß man auch die Karten der Handatlanten zählen, die aus den verschiedensten
Kartenmateriahen, vielfach Urquellen, zusammengearbeitet sind, damit sie ein dem
Maßstab entsprechendes gleichförmiges Gepräge erhalten. Bei diesen Atlas- mid ver-
wandten Karten (Handkarten) spricht bereits die GeneraUsierung ein entscheidendes
Wort: der Signatur ^vird schon ein reiches Betätigmigsfeld eingeräumt. Trotzdem ist
die Herstellmig der Originale erster Ordnung der zweiten Kategorie (Handatlaskarteu)
weit schwieriger als die der ersten Kategorie, weil jene viel mehr geographische Kennt-
nisse als diese voraussetzen.
Die Klippe der Beurteilimg einer Karte kleüiern Maßstabs als Origuial oder
Nachdruck liegt in der Generahsierung. Wiewohl diese von \vis3enschafthchem Geiste
getragen ist, wird es nie gelingen, bindende Gesetze für sie aufzustellen. Wie wir später
noch sehen werden, ist die Arbeit des (Jeneralisierens außerordentlich schwer und er-
fordert ein gut Teil geographischer Kenntnisse. Ihnen läßt sich schon einigermaßen
nachsiiüreii. Den Entscheid hierüber können imr Kartographen von Fach und Geo-
grajihen. vorausgesetzt, daß sie kartographische Probleme zu beurteilen verstehen,
geben. Die Karten unserer großen Schuhitlanten (Ol)erstufenatlanten) sind als Ori-
ginale zweiter Ordnung aufzufassen, in der Hauptsache aus den Quellen erster
Ordnung geschaffen; und in diesem Knt wicklungsgang weitergehend sind - in all-
gemeinen Zügen betrachtet - die Mittelslufetiatlanten Quellen dril I er Ordnung
und die l^nterstufen- »md Volksscbuhithinten solche vierter Ordnung.
Bei vorsteheiuler Klassifiziermig ist lediglich die Hauiitsaciu» einer Ijandkarte.
Situationsplan und Terrain, ins Aug(> gefaßt. Wenn man nun annehmen würde, daß
mit .im ()rigin;il(ii d.T vierti'ii Onlnung ein gewisser Grad von .Minderwertigkeit
24 Dip Kartoffraphie «Is Wissenschaft.
gegenüber denen erster und zweiter Ordnung ausgedrückt wird, wäre dies ein großer
Irrtum, denn unter Umständen kann das Original vierter Ordnung ebensowohl geistige
Arbeit wie das erster Ordnung oder zweiter Ordnung erfordern, wenngleich nicht ge-
leugnet werden kann, das jenes sich technisch leichter meistern läßt. Ferner sei darauf
aufmerksam gemacht, daß es verkehrt wäre, alle Karten in das hier aufgestellte System
einzwängen zu wollen. Mancherlei Übergänge werden stattfinden. So steht offenbar
die berühmte Deutschlandkarte in 1: 500000 von C. Vogel als Originalkarte zwischen
den Origmalen erster imd zweiter Ordnmig.
Freihch reicht der innere Wert einer Originalkarte vierter Ordnung, wie es selbst-
verständlich ist, nicht an den derjenigen erster imd zweiter Ordnung heran. Der Wert
erwächst eigentlich erst in der Gesamtheit, in der Vielheit solcher Karten, die ein ge-
schlossenes Ganze, sagen wir: einen Atlas bilden. Viele Beurteiler werden die Original-
karten vierter Ordmmg kaum noch als selbständige Originale anerkennen, aber in dem
Zusammenschluß der von einem methodischen oder sonst ähnlichen Fortschritt zeugen
muß, werden sie erst zu einem wahren Original verkörpert. Darum wird gerade der
letzte Punkt einen guten Fingerzeig geben, die Originalität des Werkes zu untersuchen
imd festzustellen. Bei der kritischen Arbeit an einem Schulkartenwerk wird sich
ziun Kartographen und Geographen noch der ychulmann gesellen. Das pädagogische
imd psychologische Moment der Kritik hat hier wirksam zu sein (§ 6).
Nim gibt es eine Anzahl von Karten, die sicTi einfach aus Stücken anderer Karten-
blätter zusammensetzen. Auch diesem Verfahren muß Maß und Eiegel vorgeschoben
werden. Man sollte sich auf die Regel festlegen: Ist mehr als ein Zehntel des Karteu-
blattes bloßer Nachdruck einer Karte, verfällt es ohne weiteres wegen Nachdrucks
den Strafmaßnahmen. Gesetzt der Fall, eine neue Karte setze sich aus fünf bis zehn
Zehnteln der verschiedensten Karten zusammen, darf sie nimmermehr als Original
angesprochen werden, selbst wenn sie auf eine gewisse Verarbeitung Anspruch erheben
■«all und kann. Je schärfer man in dieser Richtung vorgeht, um so mehr nützt man der
Kartographie wie der Geographie.
Jede angewandte Karte erscheüit von vornherein als eine Originalkarte. Zur
Vollkommenheit dieses Originals gehört nicht bloß das Neue, das aus der physischen
Erdkunde oder der Kultur- und Anthropogeographie in die Karte hineingearbeitet ist,
sondern auch die Situation, was viele zu übersehen scheinen. Auch diese erfordert eine
Neubearbeitung, es sei denn, daß die angewandte Karte in einem Verlag erscheint,
der infolge seiner Druckplattenvorräte Situationsabzüge in reicher Anzahl gestattet.
Die angewandte Karte, die die Situation von einem andern Kartenblatt olme weiteres
übernimmt, ohne dazu autorisiert zu sein, ist als Nachdruck strafrechtlich zu verfolgen.
II. Die historische Methode in der Kartographie.
10. Zweck und Aufgabe der historischen Methode. Für- das Verständnis jeghcheu
wissenschaftlichen Problems, das innerhalb eines Wissenschaftsgebietes auftaucht, trägt
die historische Methode ein gut Teil bei, in manchen Wissenschaften das meiste. Sie
ist geeignet, Klarheit zu schaffen und die Bedeutung des Problems in das rechte Licht
zu rücken, Talmi von Edelmetall zu trennen. Diesen Wert der historischen Methode
verkennt vielfach unsere nervös hastende Zeit. Zuweilen verstehen junge Gelehrte
die feinem liistorischen Zusammenhänge der Probleme ihrer Wissenschaft nicht mehr.
Die historische Methode in der Kartographie. 25
sie drapieren sich. I)z\n-. ihre Werlie mit einer Anzahl abgegriffener Zitate herühniter
Manner ihres Faches. A. \. Humboldt, K. Ritter usw. werden fleißig zitiert, aber
umso unfleißiger gelesen. Bedauerlich ist es, daß viele versäumen, sich in den Werde-
gang ihrer Wissenschaft zu vertiefen, und sie glauben Xeuentdeckungen zu machen
und wissen nicht, daß ältere Gedankenkomplexe bereits bessern Spuren nachgingen.
Sein wichtiges Kapitel über die deutschen Landmessungen leitete W. Jordan
folgenderweise ein: ,,Zum richtigen Verständnis unserer Landmessungen, zur unpartei-
ischen Würdigung ihrer Vorzüge und auch ihrer Mängel ist die geschichtliche Forschung
von großer Wichtigkeit. Der rein technisch-mathematische Maßstab versagt oft bei
geodätischen Fragen: man muß studieren, auf welchem Wege ist die Sache so geworden,
•wie sie heute ist."^ Viele geographische imd kartographische Untersuchungen und
Lehrbücher, auch solche der Topographie, hätten sicherlich gewonnen, wenn sie die
historische Seite etwas mehr gepflegt hätten. ^
Die kartogi-aphisch historische Forschung bekundet aufs unzweideutigste das
Selbständige einer Kartenwissenschaft gegenüber der praktischen Betätigung der Karto-
graphie (im übhchen Sinne). Sie hat die gleichen Schwierigkeiten zu überwinden wie
die allgemeine historische Forschung, die in der Hauptsache der Entwicklmig der
Staatswesen, ihrer Menschen und Eimichtungen gilt; indes reicht jene über diese
hinaus, da sie nicht bloß die maßgebenden Kulturzustände berücksichtigt, sondern
vorzugsweise die Art und Weise der Darstellung und die jeweilige nutzbar gemachten
Darstellungsmittel festzuhalten sucht.
Li die historische Kritik gehören zuletzt auch die Streiflichter, die aus den Unter-
suchimgen der Wechselbeziehimgen einzelner auf verschiedenen Gebieten angewandter
Forschungsmethoden auf die Kartographie entfallen.^ Ferner darf man nicht m den
Irrtum verfallen, historische Kartographie und Geschichtskarte bzw. Geschichtsatlas
als eins zu achten.* Letztere sind das in der Gegenwart oder zu einer andern Zeit rekon-
struierte Kartenbild der Staatswesen oder sonstiger kultureller Erscheinungen einer
altem Zeit. Dagegen hat es die historische Kartographie mit den Kartenoriginalen und
diesbezüglichen Beschreibungen imd Erörterimgen der verschiedenen Epochen des Ent-
wicklungsganges des Kartenbildes zu tun, also mit dem Urmaterial, wie es ims über-
liefert ist. Dieses wird untersucht und im Zusammenhange der Einzel- wie Gesamt-
wissenschaft (Kartographie und Geographie) erklärt.
Im großenganzen lassen sich die Kriterien historisclur Analyse imd Synthese
auf die Karte anwenden. Wie die Geschichte Bewegmig ist, aber keine gleichmäßige,
ist auch die kartographische Genesis keine gleichmäßig fortschreitende, sondern ge-
bimden an die sprungweise Entdeckung neuer Länder, an die sprimgAveise Erfindung
und Einführung technischer Hilfsmittel. Stagnationen, ja rückläufige Bewegungen
sind in der Geschichte der Karte keine Seltenheiten. Nicht selten hinkt das Weltbild
' VV. Jordan: Handbiuli der Vennessungskunde. I]. Aehto erweiterte .-Vufiage von Ü. Eggert.
«tutigart 1914, S. !t21.
* So hätte Br. Schulze in »einem sonst ganz guten Buche „Uat milit&rischo Aufnehmen",
Leijwig und Berlin 1903, gerade der liistorischen Entwicklung etwas geivehter wcrdeil können und
nicht die Emmgen-seliaften von O. Schreiber, die doch aus dein ganzen Werke verstohlen Iieraus-
strahlen, tot schweigen »ollen.
" Augustin Krämer: WeclLseitx'ziehungi-n etluiogiupliischer und geograph. Forschung, nebst
einigen Bemerkungen zur Kartographie der Südsee. Globus LXXXIV. 1903, S. 362— :JM.
' Dieser mcrkwiitdigon Auffassung hegegenen wir unter andomi bei H. Besehornor in
<». Keude« Handbucli der geograpluschen VVissenscIiaft. i. Berlin 1914, S. :W7 — :169.
26 IJ'r Kartogr:iphif als Winsnisdiafl.
der durch die Entdec-kunj,'i'n sefonlcrtcn WClttTkcuntiiis iH'liaehllicli liiiiU>rlicr und
der zuweilen vertretene Parallelisuius mju W'cllerkemituis und Weltbild gerat iu be-
denkliches Schwanken. Vertrautsein mit dem Gang der Weltgeschichtt^ ist ein wichtiges
Fordernis für den Kartenforscher ; dabei darf er sich nicht an einzehie wenige Tatsachen
anklammern, die nur selten zu einer einwandfreien Auffassung historischer Dokumente
führen, sondern das Ganze einer historischen Periode muß er vor Augen haben und sicli
in das geistige Niveau, in dem ein einzelner Autor aufgewachsen ist oder eine Gelehrten-
]izv,-. Kartograplienschule gewirkt hat, einfühlen. Man darf, um mit H. Wagner zu
sprechen, über die Freude der Entdeckung kartographischer Quellen, Originale und
Zusammenhänge das wichtige Erfordernis eines Geschichtsschreibers der Wissenschaft
nicht außer acht lassen, „nämlich die Versenkung in den Zeitgeist, in das ganze wissen-
schaftliche Können, sowie den literarischen Gesichtskreis einer Gruppe von Forschern
der jeweilig in Betracht kommenden Perioden".^ So spielt der gesamte Kulturzustand
und das wirtschaftliche Leben in die Geschichte der Karte hinein, vor allem auch Schiff-
falirt, Handel und Heerwesen und last not least das Kimstleben eines Volkes. Von
fundamentaler liedeutung sind liei allen historischen kartographischen Forschungen
die geographischen und teilweise die mathematischen Erkenntnisse der einzelnen Zeit-
perioden.
A\ä ein großer Mangel ist in der geograpliischen Wissenschaft das Fehlen einer
(beschichte der Karte mid damit einer (ieschichte der Kartographie empfimden worden.
Sie dürfte bis auf weiteres noch kaum geschrieben werden. Die Zeit scheint noch nicht
reif dazu zu sein. Es fehlen noch zu viele Vorarlteiten. Wohl gibt es einige ältere Ver-
suche, so von Caspar Gottschling: Versuch von einer Historie der Land-Charten,
Halle 1711, und von E. D. Hauber: Versuch einer umständlichen Historie der Land-
Charten, Ulm 1724.2 Indessen versprechen die Titel mehr als die Bücher in Wirklichkeit
bieten. Einige kleine zusammenhängende Arbeiten, wie von W. Wolkenhauer',
A. Laussedat* u. a. vei-weisen in die jüngste Zeit. Auch sie sind noch lange keine
Geschichte der Karte oder der Kartographie. Die Arbeiten von d'Avezac, J. Lelewel,
H.Wagner, M. Fiorini, E. v. Nordenskiöld, S. und W. Rüge, K. Kretschmer,
S. Günther, V. Hantzsch. H. Beschorner, Ch. Sandler, Fr. v. Wieser, G. Mar-
cel, H. Lutz, ,1. E. Xiemeyer, K. Ahlenius, A. Heyer, E. C. Abendanon, W. und
Aug. Wolkenhauer u. a. m. bedeuten erfreuliche Anfänge und Bausteine zu einer
Geschichte der Karte. Das Hemmende zur Fertigstellung des großen Baues einer Ge-
schichte der Kartographie liegt teils an der Person, teils an der Sache. Ein Geschichts-
1 H.Wagner: Über das von S. Güntlier 1888 herausgegebene sp<ätmittelalterliche Ver-
zeichnis geographischer Koordinatenwerte. Methodiselie Bedenken. Nachrichten v. d. K. Ges. der
Wiss. Göttingen 1891, 8. 257. — In den Göttinger Kachrichten hat Wagner noch andere klassische
Beispiele gegeben, wie historisch-kartogiaphische Ersclieinungen kritisch zu untersuchen sind; z. B.:
Die dritte Weltkarte Peter Apians v. J. 1.530 und die Pseudo-Apianischc Weltkarte von 1551.
Göttingen 1892. — Die llekonstruktion der Toscanclli-Karte v. J. 1474 und die Pseudo-Facsimilia
des Behaim-Atlas v. J. 1492. Göttingen 1894. — Diese Arbeiten heben sich in ihrer ganzen Unter-
suchungsmethode von den historisch-kartograplüschen Arbeiten von S. Günther vortrefflich ab,
der mehr auf das Sammeln von Tatsachen ausgeht und in der Benutzung seiner Quellen nicht
gerade wählerisch ist; infolgedessen ist man gezwungen, Günthers Zitate öfters nachzukontrolUcren.
- Hierzu gehört auch E. D. Haubers „Nützlicher Discours etc." Ulm 1727.
^ W. Wolkenhauer: Leitfaden zur Geschichte der Kartographie in tabellarischer Daretellung.
Breslau 189.5. Verschiedene Ergänzungen sind zu diesem brauchbaren Werkchen in den „Deutschen
Geographischen Blättern" in Bremen erschienen.
■* A. Laussedat; Histoirc de la cartograpliic. llevue scientifique 1892, 8. 71)7 — 714, 742 — 751.
Dil- hisforischf Methode in der Kartographif. 27
Schreiber ilcr Karte und ilirer 'llieurie muß ebenso uiil der Ge.schicbte der ( ifugrajjhie
und beider Forschungsmetlioden vertraut sein wie mit der Philologie. Damit muß sich
eine bedeutende mathematische Kenntnis vereinen. In der weitgehendsten Beherrschung
dieser Wissenschaftszweige wird die Formel zu finden sein, die zu dem gewünschten
Ergebnis führt. Nur einer kömitesie jetzt erfüllen, das wäre H. Wagner in Göttingen. ^
Warum konnte H. Jierger eine so ausgezeichnete Geschichte der ^vissenschaft liehen
Erdkunde der Ciriechen schreiben"? Weil er mit einer gründlichen philologischen Sciiu-
lung eine auf gediegener geographischer Basis getragene weitsichtige Kritik verband.
Ist es kaum möghch, jetzt schon eine allgemeine Geschichte der Kurten zu schreiben,
imi so wünschenswerter sind die Einzelstudien, die die geschichthche Entwicklung be-
stimmter Einzelkarten ziim Vorwurf haben. Dem Mangel an einer allseitig abgerundeten
auf wesentliche Entwicklungspunkte gestützte Geschichte der topographischen Spezial-
karte wäre zunächst abzulielfen. Die Entwicklmigsbilder der topographischen Karte
einzelner Länder, wie von Frankreich, England, Italien, Bußland, den Niederlanden,
Norwegen, Schweden, Österreich-Ungarn, Preußen, Bayern, Sachsen, können nur teil-
weise diese Lücke ausfüllen. Vielfach sind diese Einzelstudien lediglich imter mili-
tärischer Brille gesehen und kranken von vornherein an Einseitigkeit. Ein gutes Muster
in der Behandlung, allerdings nur für ein einziges Land, hat Berthaut in seinem z\s'ei-
bändigen Werke La carte de France 1750—1898 gegeben.
Kann man allenthalben bei der Landkarte, selbst bei der Seekarte, BHcke hi
den geschichtlichen Werdegang werfen, ermangelt dies fast vollständig bei der an-
gewandten Karte. Bis jetzt sind uns schleierhaft die einzelnen Entwicklungsphasen
der Verkehrs-, Wirtschafts-, statistischen, geologischen und anderer Karten. Allüberall
drängen sich Probleme heran, die zu lösen der Mühe wert sind, da sie zuletzt auch die
Menschheitsgeschichte ein Stück vorwärts bringen. Ein anderes wichtiges Kapitel
aus der Kartengeschiehte. uljwohl sich das Material einer kritischen Sichtimg mid Er-
örterung schon mehrmals verlockend darbot, scheint noch lange ein Desideratum zu
bleiben: Die gründliche und ausführhche Geschichte des Atlas, d. h. der systematischen
Sammlungen von Karten in gleichem Format imd nach bestimmtem Plan. Selbst die
Geschichte des Stielerschen Atlas ist uns bis heute noch nicht beschert, obgleich sich
vor dem fünfzigjährigen Jubiläum von diesem Atlas im Frühjahr 1864 der große Ge-
schichtsschreiber der Geographie, Oskar Peschel. mit dem Gedanken beschäftigte,
eine (iesehichte über den Atlas und seine Wandlungen zu schreiben. Neben den großen
Handatlanten dürfte ein geschichtlicher Abriß der kleinen Atlanten nicht fehlen, die
hauptsächlich mit den kleinen Mercator.schen Atlanten einsetzten* und zur Ent-
wicklung des Taschenatlas führten. Ferner fehlt ims eine Geschichte des Schulatlas,
wobei nicht eiimial nötig wäre, auf alle mögliclien Veröffenthchmigen einzugehen,
sondern lediglich auf die. die das rein Pädagogisch-Methodische verfolgten und dem-
ents))rechend gefordert haben, angefangen etwa mit dem bei Homann veröffentlichten
methodischen Atlas von J. Hühner: Atlas methodicus exjilorendis juvenmu pro-
fectibus in studio geopraphico ad methoduni Hubnerianvmi acconiodatus. Nürnberg 1719.
— Ich kann mir nicht versagen, dennoch in einem Sonderabsciniitl auf die Haupt-
niomente der Atlasgeschichte einzugehen.
' Neben H. Wagner scliien mir sein Schüler Aug. Wolkenhauer, gefallen d. i">. Febr. 1915
in den Argonnen, der Gelehrte zu »ein, bzw. zu werden, der obiger Konnel voll entsprochen hatte.
- In .Amsterdam wunlen vpixrUiedene Au»gnl>en von Meroatoris .Xtlas minor gfidnirkt. in
l'iiri» \-on S. Sansons Atlas portativ. Gregnrii spricht schon I7i:t von übtir 30 solcher Atlanten.
28 Oi'' Kai-topraphie als WissenHohaft.
SchlieJilich sei iiocli auf dri-i Gosichtspuiikle in dvv (luscliichle der Karte hin-
gewiesen, die einer einziehenden geschiclitlichen Forschung harren. Zunächst ist es die
geschichtliche Entwicklung der verschiedenen Aufnahmemethoden, ^ sodaim die Dar-
stellung der Keproduktionsweisen und ihrer charakteristischen Merkmale,^ von der
mittelalterlichen Manuskiiptkarte an bis zur Kupferstich-, Steindruckkarte und den
auf verschiedenem phototechnischem Wege reproduzierten Karten der Gegenwart,^
imd drittens die geschichthche Beleuchtung des Materials, auf das die Karten ge-
zeichnet sind. Teilweise führen uns derartige Kartendokumente in die älteste Geschichte
der Menschheit zurück.
II. WüM \iii(l »t'sc der historiseheu .Methode. Die historisch-kartographische
For.schung bedient sich derselben Wege imd Mittel, wie sie ganz allgemein in der Ge-
schichte imd der Philologie übhch sind. Wie wir schon durchbhcken ließen, reichen zu
dieser Arbeit Mathematik imd Naturwissenschaft starke Stützen. Die Forschung be-
schäftigt sich in der Hauptsache mit den Einzelkarten ; erst neuerdings wird es Brauch,
neben besondern Einzelerscheinungen und Data auch die Personen schärfer ins Auge
zu nehmen.
Kluge Köpfe ragen aus der zahlreichen Schar der Kartenmacher und Karten-
stecher hervor und geben ihren Schöpfimgen ein bestimmtes Gepräge, das mehr oder
minder auf gleichzeitige und künftige Arbeiten anderer Autoren einwirkt. Die Aufgabe ist
unter Umständen nicht leicht, die richtige Würdigung für die Tätigkeit und den Einfluß
älterer Kartographen zu finden.* Doch ist nach dieser Richtung in den letzten Dezennien
mancherlei ErfreuHches zutage gefördert worden, dessen Gelingen allerdings vielfach
vom Zufall der Entdeckvmg altern Kartenmaterials abhing.* Einen der bedeutsamsten
und ^\■ohl auch interessantesten Funde auf dem Gebiet der Karteninkunabehi haben
wir in den zwei so lange vermißten Karten des Martin Waldseemüller* (Waltze-
' Viel Literatur dazu findet man in W. Jordans Handbuch der Vermessungskunde zusammen-
getragen.
" Es ist tatsächlich nicht immer klar ersichtlich, vermittelst welcher Reproduktionstechnik
eine Karte entstanden ist; das bestätigt auch C. Vogel in einer Besprechung von Volkmars Werk
(s. folgende Anm.) in P. M. 1885, LB. S. 405.
' O. Volkmar: Die Technik der Reproduktion von Mihtärkarten u. Plänen des k. k. niil.
geogr. Inst, zu Wien. Wien 1880. Dasselbe erweitert und verbessert Wien 1885. — In den Mitt. des
k. k. mil.-geogi-. Inst, begegnet man noch einer Anzahl neuerer Abhandlgn. über die verschiedenen
Reproduktioiismethoden. — Vgl. auch R. Lehmanns Vortrag auf dem Londoner GeogiaphenkongreU.
Report of the sixth International Geographical Congreß, held in London 1895. London 1895, 8. 77 ff.
— C. Koppe: Wesen imd Bedeutmig der graph. Künste f. d. lUustrations- u. Kartcndnick. Hamburg
1898. - Ed. Wagner: Kartograph. Reproduktionsmethoden. G. Z. 1909, S. 204ff.
* Die Arbeit eines Kartenkritikers und -historikers ist sodann nicht anders als die, wie sie
Lessing für seine Tätigkeit in den „Rettungen des Horaz" kennzeichnet: „Ich selbst kann mir
keine angenehmere Beschäftigung machen, als die Namen berühmter Männer zu mustern, ihr Recht
auf die Ewigkeit zu untersuchen, unverdiente Flecken ihnen abzuwischen, die falschen Verkleistenmgen
ihrer Schwächen aufzulösen".
= So sind z. B. Joh. Meyers Originalkalten von Dänemark u. Schleswig-Holstein als Wand-
schmuck in einer Gesindestube des Kopenhagener Schlo.sses entdeckt worden; die drei bekannten
Mercatorkarten auf dem Boden der Breslauer Stadtbibliothek von Heyer, die berühmten Waldsec-
müllerschen Karten in der Bibliothek des Fürsten Waldburg auf Schloß Wolfegg in Württemberg
durch J. Fischer. In der ehemaligen Universitätsbibhothek zu Helmstadt hat W. Rüge Chiisto-
phorus Pyxamius „Gennania" (1547) wiedergefunden, an der S. Günther achtlos vorübergegangen war.
• Die älteste Karte mit dem Xamen Amerika aus d. .1. l.TO? und die Carta maiinaausd. J. 15I(i
des M. Waldscemüller (llacomilus). Hg. von J. Fischer und Fr. R. v. Wieser. Innsbruck 19Ü3.
Die liistorisihe Methode in der Kartographie. 29
müller, Hylacomylus oder Ilacomilus), deren eine, die Weltkarte vom Jahre 1507
zum ersten Male den Xamen „Amerika" zeigt und deren zweite die Carta marina navi-
{Tatoria vom Jahre 1516 als Seekarte große Bedeutung hat.
Für die Geschichte der Kartographie sind beide Karten Waldseemüllers von
weitreichender Bedeutung geworden. Einmal, daß die Weltkarte für die Benennung
der Keuen Welt wichtig ist, hat sie sodann eine ganze Beihe Ivlarstellungen von Karten
veranlaßt, die man hisher als Originalwerke auffaßte.' Mit der Weltkarte verglichen,
scheint z. B. die alto berühmte Apianische Weltkarte von l.')20 weiter nichts als eine
verschleierte Kopie der Waldseemüllerschen von 1507 zu sein.^ Auf die Apianische
Weltkarte stützte sich ein Teil des Euhms, der P. Ajjian zu den bedeutendsten Ver-
tretern unter den Kartographen der Renaissance erhob. Die historische Kritik schaltet
hier ein l)isher geglaubtes Verdienst A])ians aus, ohne jedoch seine Bedeutung für die
Kartographie in Abrede stellen zu wollen. Die Carta marina vom Jahre 151G ist inso-
fern liemerkenswert, als sie die erste gedruckte Seekarte großen Stils ist.
Gerade die Zeit Waldseemüllers und die Folgezeit bieten eine Menge Pro-
bleme^, deren Lösung nur möglich ist, wenn zugleich der Werde- mid Schaffensgang
des in Frage kommenden Kartographen klar gelegt wird. Da zeigen selbst die sorg-
fältigsten Arbeiten noch Lücken; z. B. bringt die ausführhche Abhandlung über Mer-
cator und dessen Werke von Averdmik und Müller-Eeinhard* nichts Sicheres über
die Quellen, die das mathematische Können Mercators speisten, das ihn zur Her-
stellung seiner berühnmten Weltkarte vom Jahre 1569 befäliigte. Nur wenige Karto-
graphen und kartographisch arbeitende Wissenschaftler haben eine so eingehende
Würdigung wie Mercator, Humann oder in neuerer Zeit Aug. Petermann^ ge-
funden, obwohl es viele andere verdienen, gleichfalls genauer bekannt zu werden. Hier
bleibt also noch viel zu tim übrig. Gute Ansätze findet man bereits reichlieh und kurze
treffende Charakteristiken über einzelne, aber für das Gesamtverstehen bieten sie noch
zu wenig. Wie man von der Sache zur Person vordringt und in gegenseitigem Vergleich
zu beachtenswerten Ergebnissen kommt, hat Aug. Wol kenhau er an b'rhard Etz-
laub und dessen Eeisekarten durch Deutschland gezeigt.
Im aUgemeüien ist der Weg, die Untersuchmig an das einzelne aufgefimdene
Karteilbild anzuschließen, am einfachsten imd sichersten. Mit glänzendem Seharf.sinn
und anerkennenswerter philologischer und bibliographischer Akribie hat Fr. v. Wieser
die Kommentare zu den oben genannten Waldseemüllerschen und andern Karten
gegeben, die er zugleich in mustergültiger Weise zu pubhzieren verstand. Ihm reihen
sich unter verschiedenen andern E.L.Stevenson und J.Fischer mit der Welt-
karte des J. Hondius von 1()11 an*, desgleichen Konnid Miller mit .seinen >hvppae
' Vgl. S. .38 und 39 de.s bogleitenden Textes zu beiden Karten (s. Anm. 6. S. 28).
'•' Vgl. die ■ttcit«m Ausführungen von H. Wagner über diese Karte und die Carta .Marina in
den Göttingen sehen Gelehrten Anzeigen 1904.
" Vgl. L. Gallois: I.*s geographes allcinands de la renaissanee. Paris 1890.
' H. Averdunk u. .I.Müller-Reinhard: Gerhard Mereator und die Geographen unter
seinen Nachkommen. P. M. Ergh. Nr. 182. Gotha 1914.
•■' K. Weller: Aug. Petermann. Ein Beitrag zur («'schicht«' der googr. Kntdeckgn. ii. der
Kartographie im 19. Jahrh. Leipzig 1911.
° Mit dem Erscheinen dieser Karte (New York 1007) nahm ein groß angelegtes Unternehmen
seinen Anfang, das unter den .Auspizien der ...American G<<ographical .'^«•iety" und der ..Hispnnic
Society of America" unter der Oireklitm von E. I,. Sti-vensou die HcrauHgal>c einer Keihe \-on
KnitcM des IT).. Ki. iiml 17. .lalirh. pliiiilr. Diese .Si>Mimhing soll gewis.sernial3on eine Krgiinzung und
30 t)ie Kartographie als Wissenschaft.
mundi oder den ältesten Weltkarten (Stuttgart 1898—1898), wo uns Karten aus dem
1. bis 18. Jahrhundert vorgeführt werden. Wie man bei der historischen Kleinarbeit
verfährt, dafür ein Beispiel. Auf der Weltkarte in der Ulmer Ausgabe des Ptolemäus
von 14S2, die bis jetzt als älteste signierte Karte gilt, heißt es in der Legende: ,,In-
sculptum est per Johannem Schnitzer de Armßheim". Schnitzer ist hier auf alle
Fälle als Eigennamen und nicht als Handwerkbezeichnung aufzufassen, wie es durch
E. V. Nordenskiöld geschieht, der im Facsimileatlas übersetzt: ,,Skuren af Jo-
hannes, träsnidare fram Armsheim". Der deutsche Fachausdruck für dieses Hand-
werk war „Formschneider", wie Fr. v. Wieser in der Beurteilimg des Facsimile-
atlas nachweist.^
Uns fehlen verschiedene Untersuchungen über den Einfluß der Einzelkarten
auf ihre Zeit. Manche prächtige Karte galt schon für ihre Zeit verschollen, wie die
Karten des J. A. Eauch aus Wangen. Dagegen haben andere nachhaltigen Einfluß
auf Jahrzehnte, ja auf Jahrhunderte hinaus gehabt. Außer an das bekannte Beispiel
der Apianischen Landtafehi von Bayern erinnern wir an G. M. Vischers Karte
von Ungarn „Theatrum belli inter magnos duos imperatores romanorum et turcarum",
che 1685 in Wien erschien und für die Kartographie Ungarns auf Jahrzehnte hinaus
maßgebend war, aber auch an Vischers Karte von „Oberösterreich", die 1669 zum ersten
Male veröffentUcht wurde, aber noch 1808 in Linz nach den Straßenzügen verljessert
erschien. Sogar aus dem Jahre 1826 besitzen wir noch Abdrucke von dieser Karte.
Es gibt eine Anzahl von Karten, die bereits eine mehrfache Untersuchung und
PubHkation erfahren haben, wie die Madabakarte, die Peutingersche Tafel, die
Goldminenkarte von Nubien, die man als die ,, älteste Karte der Welt" zu bezeichnen
gewohnt ist, die Cusa- Germaniakarte von 1491, die zu den ersten Landkarten gehört,
die das Zeitalter moderner kartographischer Darstellungskunst einleiten.^ Daneben
spielen Karten eine KoUe, die zum ersten Male irgendein geographisches Objekt in
richtige Lage bringen oder eine kartographische Versinnbildlichung, die auf die Folge-
zeit von eminenter Wirkung wurde. Lateressant ist es, den Karten nachzuspüren,
die zimi ersten Male die Gebirge an richtiger Stelle setzen, die zum ersten Male bewußt
die Schraffe in senkrechter Beleuchtimg oder die SchichtUnien anwendeten. Damit
gelangen wir aber schon zu den einzelnen Elementen einer Karte, die gleichfalls ein
dankenswerter Vorwurf historisch-kartographischer Untersuchung sind. H. Wagners
historisch-kritische Erörterungen über den Maßstab, besonders den Meilenmaßstab
sind ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Kartographie.^ Es fehlen aber noch sehr
Fortsetzung der Sammlung bilden, die kurz zuvor von Stevenson unter dem Titel „Maps illustrating
early discoverj- and exploration in America 1502—1.530 reproduced by photography" herausgegeben
worden ist. — Bei diesen Amerikakarten ist auch nicht vorbeizugehen an J. G. Kohl: Die beiden
ältesten Generalkarten von Amerika, ausgeführt i. d. Jahren 1527 u. 1529 auf Befehl Kaiser Karls V.
Weimar 1860.
' Fr. V. Wieser: Nordenskiölds Facsimile-Atlas. P.M. 1890, S 272. '
^ Fr. V. Wieser in G. Z. 1905, S. 646, 711.
^ Auf H. Wagners Einfluß ist es zuiTickzufüliren, daß für sämtliche alte maßstablose Karten
der Göttinger Universitätsbibliothek der Maßstab berechnet und auf die Karten geschrieben wurde,
eine Einrichtung, die zur Nachahmung allen andein Bibliotheken empfohlen werden muß. Auf den
Karten der K. Dresdener Bibliothek ist die nachträgliche Berechnung des Maßstabes gleichfalls
durchgeführt. — Auch beim Zitieren von Karten soll man tunliclist den Maßstab mit angeben, denn
für den Fachmann ist es außerordentlich wertvoll, zu wissen, ob z. B. die Karte im Maßstab ] : 250000
oder 1:2500000 gezeichnet ist; er kann sich tiiinii im Geiste schon ein ungefähres Bild von der
Karte üi.ujifii.
Die historische Methode in fl("r Kaitopiaphie. 31
viele derartige Beiträge, wie über die Entwicklung der Kartenschrift, einzelner Signa-
turen und Symbole, wie die der ületscher-, der Binnenseen-, der Eluß-, der Wälder-
darstellmig usw. Weiterhin fehlt uns eine Erörterung und Zusammenstellung von
besonders eigentümlichen Karten, hauptsächlich von solchen, die irgendeine nicht
übliche Kombination verschiedener Kartenelemente bringen, die mehr oder minder
als nachahmenswert empfohlen werden können, \de z. B. die Verbindung von Kultur-
zonen mit Terrainkarte. 1
Den Gang der Untersuchung an ein eiigbegrenztes geographisches Objekt an-
zuschließen, ist eine beliebte Art. So hatte z. B. die Entwicklung der richtigen Auf-
fassung von der Ausdehnung des Mittelmeers seither die Forschung gereizt. Durch
Ptolomäus war bekamitlich dem Mittelmeer eine zu große westostliche Ausdehnung
gegeben, die sich auf den Karten bis ins 17. Jahrhundert erhalten hatte, da man an
der Auffassung des Ptolomäus bei dessen Autorität zu rüttehi sich scheute, wie
Lelewel sagt: ,,Le maitre l'avait dit, il fallait le croire".^ Wrights Weltkarte in
Mercatorprojektion vom Jahre 1599 steuerte auf eine richtige Auffassung hin, der aber
erst durch die Kepp 1er- Eckebrecht sehe Weltkarte vom Jahre 1G30 — nach
Chr. Sandler der erste kritische Versuch zu einer fimdamentalen Verbesserung des
ganzen Weltbildes — und vor allem durch die Planiglobenkarte des G. Delisle end-
gültig zum Siege verholfen ward.
Ein ebenso interessantes Problem wie das ^ orluTgehende ist das der Auffassung
und Entwicklung der terra incognita der Südhemisphäre. Viele Sonderkarten (in
polständiger Projektion) liringen das unljekaimte Südland mehr oder weniger aus-
gedehnt, andere hinwiederum gar nicht, gemäß einem alten von der Kritik diktierten
Arbeitsspruch der Kartographie: Was man nicht genau weiß, gehört mcht ins
Kartenbild. Eine Zusammenstellung der wichtigsten dieser Karten ist in der Tat
eine lohnende Aufgabe, wie auch die von Karten, die uns die Land- und Wasserhalb-
kugelbilder zeigen. Es bereitet einem einen ganz besondern Genuß, an der Hand dieser
Karten, die bis gegen 1600 zurückreichen, zu verfolgen, wie die Idee einer besondern
Wasser- und einer besondern Jjandhalbkugel entstand und sich aus den Darstellungen
verschiedenster Erdansichten losschälte. Die Verteilung von Wasser und Land hat
immer, seitdem es eine wissenschaftlich denkende Menschheit gibt, die Gemüter be-
schäftigt; es ist ein Problem, das immer jung bleibt, das immer wieder neue Seiten
der Erörterimg darbietet, wie dies neuerdings die Theorie der großen tangentialen
Konfinentalverschiebungen von A. Wegener wieder eindringhch lehrt. Lassen wir
' Es melden sich hier C. Kofistka: Terrain- und Hölienkarto der Hohen Tatra in den Ceutral-
Kariwten. 1:160000. P.M. Eh. 12, 186.S; oder L. Brackebust h: Physiogiuphische Karte des
noixiwpstl. Teils d. Arg. H. 1 : :}0000(X). P.M. 1893, T. 11.
* J. Leleweli: Geographie du nioyen äge. Bru.xelles 1857. I. S. L.XXWII. — Ganz kiitik-
los wurde übrigens da.s Ptolomäisehe Kartenmaterial nicht iibemonimen. \Vald.seemüller
scheute sich 'nicht, daran zu bessern. In der von Jacobus Pentiiis de Le\ice besorgten Ptolomiius-
ausgabe, Venedig l.")ll, wagt, wie amh E. v. Xordenskiöld und \V. Wolkenhauer .sagen, Bern-
hardus ^Sylvanus Ebolensis als ein Ei-ster einzelne Ptoloniäuskarten nach neuen Forschungen zu
verlH'ssern. I^ngc Zeit galten die französischen Gelehrten Peirese und liasseudi als die ersten,
die auf den Fehler <ler Überdehnung des Mittelmeeres hinwiesen. Die Priorität dieser ldt>e weist
Chr. Sandler in seiner „Reformation der Kartographie um 1700", München und Berlin 190.">, S 2,
dem nie<lerländiRelien Kartographen Willem Jansz. Blaou zu, der in einem Brief IKW an den
Professor der Astronomie an der Tübinger Universität W. Schiekharf zum Ausdnick lu-nehte. dali
die Kntfi iiumg zwischen Alexandriii und Pom und in wiit.ni K.il.je davon ganz Eumiwi viel /.u
laut; (d. h. zu l.ieil) iliirgestellt sei.
32 Die Kai-togra]ihie als Wissenschaft.
die Geschichte der Kartographie in ihren hauptsächhchsten Episoden luid Leistungen
vor unserm geistigen Auge vorüberziehen, müssen wir erkennen, daß doch innerhalb
einer winzig kleinen Zeitspanne in der dokumentierten Geschichte der Menschheit eine
Abbildimg der Erde gehmgen ist. mit der sich irgendwelche Erzeugnisse des Altertums
nicht vergleichen lassen.
12. Das historisch vergk'it'hi'iitU' Kartmistiuliuiu. Unter den Mittehi und Wegen
der liistorischen Methode hat der Vergleich eine so hohe Bedeutung, daß es sich lohnt,
etwas länger bei ihm zu verweilen. Mit dem historischen Vergleich ist nicht das ver-
gleichende Kartenstudiima zu verwechseln, das die geographische Beobachtung er-
gänzen will, wobei es sich in der Hauptsache um eine Methode handelt, die wir die
„morphologische" bezeichnen (s. § 35) Die historische Methode will kurz gesagt das
Alte mit dem Neuen vergleichen oder umgekehrt. Sie ist älter als jene morphologische,
die kavun über 0. Peschel hinausgeht. Schon bei Philipp Clüver (1580—1623)
finden wir die Bemerkung: „Auch alle antiken Autoren zusammengenommen können
nichts nützen vmd bieten nur reine Eätsel, wenn man nicht zuvor dem alten Tat-
bestand den gegenwärtigen gegenüberstellt und den einen durch den andern erläutert."^
Etwa ein Jahrhundert später lesen wir bei G. Delisle (1675 — 1726): „II est du devoir
d'un Geographe de faire le parallele de l'ancienne Geographie avec la nouvelle", oder
„il ne faut pas esperer que sans ime comiaissance raisonnable de l'etat present du Monde,
ou puisse faire le rapport de l'ancienne Geographie avec la nouvelle."^ Diese historische
Methode der Kartogi-aphie hat sich jedoch ganz besonders erst im 19. Jahrhundert
ausgebildet imd wurde zimächst durch M. V. de Santarem, E. F. Jomard und
J. Lelewel praktisch erhärtet.
Das Betrachten des vielseitigen im Laufe der Jahrhmiderte aufgespeicherten
Kartenmaterials führt ganz spontan zu der ebenso anschaulichen wie l:)elehrenden
Methode der Vergleichung. Entweder faßt sie die Karten einer gewissen Zeitperiode
ins Auge oder die Entwicklung einer bestimmten Kartengruppe, bzw. Kartenart oder
eines bestimmten Kartenobjektes im Laufe der Zeit. Nur vor einem Fehler dieser
Methode mag bei kartographischen Kritiken und Untersuchungen gewarnt werden,
nämhch den gegenwärtigen Zustand immer als den zu bezeichnen, der nicht über-
troffen werden koimte. Die Superlative Bezeichnung vmd Schmückung für gegen-
wärtige Erzeugnisse ist geradezu krankhaft geworden, wobei nur selten bedacht wird,
daß unsere Nachfolger den gegenwärtigen Leistimgen gegenüber das gleiche Eecht
der Kritik für sich in Anspruch nehmen dürfen und werden, zu dem gegenwärtig wir
ims berechtigt glauben.
Verfolgt man die Entdeckungsgeschichte irgendeines Landes an der Hand von
zeitgenössischen Karten, hat man zugleich einen hübschen Einblick in die Geschichte
der Kartographie und in das kartographische Können einer Zeitperiode. Es fehlt
nicht an Arbeiten nach dieser Eicht ung.
Amerika war bisher bei derartigen Untersuchungen am bevorzugtesten, was
ims nicht Wunder nimmt bei der Bedeutung, die die neue Welt in der Entdeckungs-
geschichte einnimmt. Ihr reihen sich Afrika, Australien, einzelne Inseba und Küsten-
gebiete an. „Kartographische Denkmäler zur Entdeckungsgeschichte von Amerika,
J. Partsch: PhilippClüver, der Begründer der liistorisclien Länderkunde. Wien 1891, 8.24.
Chr. Sand ler: Die Reformation der Kartopraphie um 1700. München und Berlin 190.'), S. 17,
Die historische Methode in d<'r Kartogiaiihic. 33
Asien. Anstiiilicii und Afrika" hahen Y. Huntzscli und L. Schmidt. Leipzig 1903,
zusammengestellt. Mit vielen Karten zur Entdeckung Amerikas macht uns
K. Kret Schmer bekannt.^ Muster in der Behandlung historischer Kartenprohleme
und in der Wiedergabe alter Karten haben Paul Graf Teleki, insbesondere A. E.
V. Nordenskiöld gegeben. Teleki beschäftigt sich ledighch mit der kartograi)hischen
Klarstellung eines Landes, und zwar mit Japan, während Nordenskiöld- uns in
die große Entwicklungsepoche der Karteuinkunabeln* und Seekarten (Portulankarten)
hineinstellt und die mannigfachsten kartographischen und geographischen Probleme
teils löst teils anregt. Seine beiden mit ausführlichem Text ausgerüsteten und von einer
souveränen Beherrschung des ausgedehnten bibliographischen Materials zeugenden
Atlanten „Facsimileatlas on the early History of Cartography", Stockholm 1889,
worin hauptsächlich Karten zur- Geschichte des Wiegenalters der Kartographie wieder-
gegeben werden, und ,,Periplus. An Essay of the early History of Charts and Sailing
Directions", Stockhohn 1897, der vorzugsweise handschrifthch überheferte Seekarten
enthält, sind Werke von monumentaler Bedeutimg für die Geschichte der Karto-
graphie und der geographischen Entdeckungen, sie sind die große Eüst- imd Schatz-
kammer der historischen Kartographie. Diesen Werken gegenüber kommt der Atlas
zur Geographie des Mittelalters von J. Lelewel* nicht auf, was schon deshalb aus-
geschlossen ist, daß die Lelewel sehen Karten keine Faksimile, sondern nur verkleinert
gezeichnete Nachbildungen der Originalkarten sind, obwohl fast zu gleicher Zeit
M. F. de Santarem^ und E. F. Jomard* mit der Eeproduktion von Original-
karten (von alten Karten in Originalgrößen) begonnen hatten. Noch vor Nordenskiöids
Atlanten erschien Th. Fischers ,,Sammlmig mittelalterUcher Welt- und Seekarton'"
in photographischen Abzügen, Venedig 1886.
Sich auffällig schnell ändernde Küsten- imd Flußmündmigsgebiete laden zu
vergleichenden Untersuchimgen auf Grundlage von Kartenbildern aus verscliiedenen
Zeiten ein. Die holländische und friesische Küste, das Po-Delta, das Mississippi-Delta,
der Hwangho-Unterlauf ' sind die gegebenen Übimgsbeispiele, obwohl mau sich hüten
muß, altern Karten und Berichten allzuviel zu trauen. Erst unser heutiges Karten-
material, das durch genaue Messungen festgelegt ist, wird künftigen Jahrhunderten
einwandfreie Quellen zur Ycrgleichung bieten. Sind die alten Karten als Quollen
' K. Kretschmor: Die Entdeckung Amerikas in ihrer Bedeutung f. d. Entwiokhnig des
Weitbii des. Mit Atlas. Berlin 1892. - Vgl. auch Anm. 6, 8. 29. :{(). - Die Anierikafeiem von 1892
hatten manche bis dahin imbekanntc oder wenig bekannte Anierikakarte ans Tageslicht gefördert.
* P. Graf Teleki: Atlas zur Grcschichtfl der Kartographie der Japaniseiien Inseln. Budaiiest
1909. — S. auch E.W. Dahlgren: l.rf's debuts de la cartographie du .Tapon. Archives d'Elndes
Orientales, publikes par J. A. LundcU. Upsala 1911.
^ Hierbei sei auch hingewiesen auf C. Uhr. Bernoulli: Kin Kartoninkunal)elnband der öffentl.
Bibliothek der Universität Basel. S.-A. aus d. Verh. der Naturfoi-ach. Gt\s. in Basel. XVllI. Heft 1.
Basel 190.'}. — G. Brcusing: Leitfaden durch das Wiogenaltcr der Kartographie bis zum Jahiv
1600. .'}. Deutscher Geographen tag zu Frankfurt a. M. 188.1. — Vei'schipdone Berichte von \V. Kuge
über „Älteres kartographisches Material in deutschen Hihljotlukcn" in d. Xachrichton d. K. <«••<. iler
Wiss. zu Göttingen. Pliilol. histor. Kl.
♦ J. Lelewel: Geographie du moyon ägc. Atlas conipwc de iini[uanle planclu's. Hiuxelliv- l.><.">0.
' M. F. de Santarom: Atlas compos6 de mapj)emonde~s, de [urtulans etc. depnis je \'l''
jusqu'au XVUo siide. Paris 1842-1853.
" E. F. .lomard: Monuments de la gcogi-aphie. Paris 1842-1862.
' .1, Meninici-: Die Liuitiiiul.-niiigen des .gelben Flusses in historischer Z<-il. Diss. M\inchcn.
Nürnberg 1912.
EcLoi-t, Kurlciiv»lMou«:li.ifi. 1. '-i
B4 Wii^ KartoRrapliic als W
zur Iiislorisclien Forschung auch mit größter Vorsicht zu genießen, helfen sie immerhin
manche Anschauungen klären mid vertiefen, wie Karten über die oben genannten
leicht veränderlichen Gebiete. Selbst Binnenseen bieten nach dieser Eichtuug hin
einen dankbaren Stoff der Untersuclamg. Die Untersuchungen über ihre allmähliche
Yerlandung sind noch nicht erschöpft. Eng verwandt mit diesen Untersuchungen
sind solche über die Darstellung des richtigen Laufes von Flüssen. Beispielsweise
sieht man auf den Etzlaubschen Karten, und auf Karten, die nach deren Muster
gehalten, wie S. Münsters Karte von Deutschland, die Spree direkt in die Ostsee
münden; auf der ältesten Etzlaubschen Karte vom Jahre 1492 ergießt sich sogar
noch die Havel m die Ostsee. Wohl aber gibt S. Münsters Eheinskizze zum ersten
Male die Eheingestalt einigermaßen richtig wieder. ^
Eigentümlicherweise hegt über den ursprünglichen Küstenimiriß von Jütland
noch keine größere Untersuchung vor. Da ist es mit Island schon besser bestellt. Die
ersten annähernd richtigen Umrisse von Island imd die ersten Versuche, die Küsten
Skandinaviens zu zeichnen gehen auf die Catalanen zurück. Schon im 14. Jahrhundert
verkehrten Schiffer aus Majorka und Barcelona in der Nordsee. Hamy versucht
nachzuweisen^, daß die Catalanen das nördUche Europa durch arabische, moghre-
lünische Quellen kennen gelernt haben. Das scheint nicht zu stimmen, denn die mogh-
rebinische Kartenskizze der Bibliotheca Ambrosiana in Mailand, die Hamy mitteilt,
ist nichts anders wie eine Kopie italienischer Arbeit.
J.V.Zahns schönes Beispiel von der Kartogra|iliic eines hcstimmicii Land-
gebietes* steht nicht vereinzelt da. Solche Vergleiche, wie sie kartographisch noch
diffiziler von H. Walser für den ..Umkreis des Kantons Zürich seit der Mitte des
17. Jahrhunderts" ausgeführt wurden, tragen zur Erhellung der Entwicklung des
historischen Landschaftsbildes wesentlich bei. Sie geben Aufschluß, ob die Verände-
nmgen der Erdoberfläche auf physische, bzw. natürhche oder menschhche, bzw.
künsthche Einflüsse zm-ückzuführen sind. Leichter als der Nachweis der Veränderung
einer gi-ößem Landschaft ist der eines einzelnen bedeutendem Ortes, der auf eine
längere historische Entwicklung zurückschaut. Von den Städten, wie Paris, London,
Leipzig, München, Wien, Eom, Athen u. v. a. m. besitzen wir ausgezeichnete historische
Atlanten, die das Bild der Entwicklung des Stadtplanes bringen. Mehr noch als
Atlanten liegen Abhandlimgen über die Entwicklung des Stadtplanes vor, vielfach
veranlaßt durch geogi'aphische und kartographische Ausstellimgen bei irgendwelchen
festhchen Gelegenlieiten.* Daß der Stadtplan eine beachtenswertere Seite der Be-
trachtung für den (Geographen bietet als gewöhnlich angenommen wird, hat E. Ober-
hummer schon vor längerer Zeit nachgewiesen.''
1 Aug. Wolkenhaucr: iSebastian Münsters handschriftliches Kollegienbuch aus den
Jahren 1.515-1.518 und seine Karten. Abh. d. K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Phil.-hist. Kl. Niuo
Folge XI. Nr. .3. Berlin 1909, S. 65.
' E. T. Hamy: Les origines de la Cartographie de l'Europe scptentrionale. Exti-. du Bull,
de g6ogr. hist. et scient. 1888, Nr. 6. Paris 1889. (Mit 7 Kartenskizzen.)
3 Jos. V. Zahn: Steiermark im Kartenbilde der Zeiten vom 2. Jahrh. bis 1600. Graz 1895.
* So auch gelegentlich der ausgezeichneten kartographischen Ausstellimg in der Deutschen
Bücherei während der Tagung des 20. Deutsch. Geogra])hentages in Leipzig 1921. — Vgl. H. Kudolphi :
Die Entwicklung des Stadtplanes von Leipzig. In den „Beiträgen zur deutschen Kartographie", hg.
von H. Praesent, Leipzig 1921, S. 13—31.
' Eug. Oberhummer: Der Stadtplan, seine Entwicklung und seine geographische Bedeutung.
Verh. des 16. Deutsch. Geographenteges in Nürnberg 1907. Berlin 1907, S. 66-101.
Die historische Methotlp in dn- Kartograpliie. 35
Von dem großartigen Fortschritt selbst bei einer einzelnen kartographischen
Anstalt gibt die Gegenüberstellung von afrikanischen Karten auf Tafel 11 in Peter-
nianns Geographischen Mitteilungen vom Jahre 1905 ein beredtes Zeugnis; dort die
alte Afrikakarte aus der ersten Ausgabe von Stielet s Handatlas, entworfen tmd
gezeichnet von C. G. Eeichard 1820, hier die neue Afrikakarte aus der damals
neuesten Stielerausgabe, bearbeitet von C. Barich 1905, dort die große, phantastische
Schraffenzeichnung, hier die fein temperierte Geländedarstellung, dort die großen
leeren Flecken imbekannten Landes, hier eine Fülle von erkundetem und vermessenem
Kartendetail, die die winzigen Flecke kleiner unbekannter Eegionen bei dem Maß-
stab der Karte nicht mehr darstellbar macht.
Zuletzt bleibt die historische Aufstellung besonderer Kartengruppen übrig,
wie der Wirtschafts-, Verkehrs-, statistischen, geologischen Karte usw. Über die
Entwicklung der Alpenkarten im 19. Jahrhundert hat E. Oberhummer in der Zeit-
schrift des Deutschen imd Österreichischen Alpenvereins eine Reihe von Aufsätzen,
die dm-ch instruktive Kartenproben illustriert sind, veröffentUcht. Derartige Ab-
handlungen werden immer willkommen geheißen, nur hätten wir m vorüegendem
Falle auch gern etwas über die Aufnahmemethoden und die Genauigkeit der Karten
gehört. Das Eätsel der Portulankarten scheint jetzt vöUig gelöst zu sein. Doch eine
lange Zeit emsigen Forschens und Erwägens mußte verstreichen, ehe mau den Portulan-
karten die richtige Stellung in der kartographischen Entwicklung einzuräumen ver-
stand. A. Breusing, K. Kretschmer, E. v. Nordenskiöld und vorzugsweise
H. Wagner haben an der Lösung des Problems gearbeitet.
13. Die kartographischen Schulen und Pflegcstätfen. Überblickt man eine
längere Zeit und versucht leitende Gesichtspunkte irgendeiner Kulturerscheinung
herauszuschälen, nimmt man wahr, daß sich die Kartographie bald in diesem, bald
in jenem Lande stärker entwickelte. Es bildeten sich Schulen, wie man zu sagen
pflegt. Sie bedeuten gewissermaßen Höhepunkte in der jeweiligen Kartenentwicklung
imd hängen mit dem geistigen mid künstlerischen mul zuletzt auch politischen
Leben eng zusammen. Für den Kartenhistoriker ist ein großer Reiz, die Fäden zu
verfolgen, die von einem Volk auf das andere, von einer Kaitenseliulc auf dir andere
anderer Nationahtät überleiten.
Über die deutschen Kartograplien der Renaissance ist bis jetzt das meiste Liclil
verbreitet worden. Aus der elsässisch lothringischen Schule, zu der Ludw. Ringmanii .
Phrysius (Frisius) und Villanovanus (Serveth) gehören, ragen Waldsee-
raüller und Sebastian Münster hervor. Diese Schule wetteiferte aufs beste, wie
Gallois nachgewiesen hat», mit der Nürnberger Schule, deren Hauptvertreter
Schoener, Pirckheymer und Werner waren. Doch haben Waldseemüller
»md S.Münster wohl den größten Einfluß gewonnen, dieser lun 1550 durch seine
Kosraographie*, jener durch seine bedeutenden kartographischen Arbeiten. \\ ald-
' L. Ualloia. a. a. Ü., S. 38.
» Über die V. Hantzsoh (Soh. Münster. Ixiipzig IS9S) iut«-ilt: „Sic ist die or-str atisftihrlicho,
ziiuleieh Wissenschaft!, u. voliotUm!. Weltl)eschit>il)un>; in ilcnt-schor Sprache, eine Knicht achtzehn-
jüluigen eignen Fleißes und freiwiiUger >Lt«rlx'it von mehr als 120 Stondesix>rsonen. (Vlehrten und
Künstlern, ein Buch, das wegen seiner Vielseitigkeit und iM-ispiellosen Verbreitung mit H.vht als ein
Hauptwerk der gesamten geographischen Literatur des Heformationswitalters Ix-trnditt-t wenlen
dai-f." nie Kosmocmphie wurde in clic veiN<liiedensten Spnu-hen ill)erset7.t und erlebt \l........
.\uflag.-n (s AniM. ■.*. S IL')
36 Oif Kartopaphie iils Wissenschaft.
seemüller (etwa 1480—1521) war der erste, der große Wandkarten herstellte iind
sie vervielfältigen ließ, er war der erste, der eine bessere Projektion für das gesamte
Weltbild anwandte, er war der erste, der die Ptolomäuskarten berichtigte mid durch
Portulankarten ergänzte, er war der erste, der die neuen transozeanischen Ent-
deckungen der I'ortugiesen und Spanier in gedruckte Karten eintrug und sie einem
großem Pubhkuni zugänglich machte. ^ Beinahe ebenso l)e(leutend war ('. Vopellius.
den man erst in neuerer Zeit wieder voll gewürdigt hat. Nicht einmal bei A. v. Hum-
boldt, 0. Peschel, S. Enge ist er genannt, obwohl schon auf der Schweizer Karte
des Aegydius Tschudi der ..herrUch tafel der gantzen weit Vopely" rühmend ge-
dacht wird. 2
Auf die kleinen führenden Geister der Waldseemüllerschen Zeit kann liier
nicht eingegangen werden, obwohl sie in einer Geschichte der Kartographie nicht
vergessen werden dürfen, wie z. B. Jakob Ziegler (1470—1549) in Passau, dem neben
andern Eichtigstelhmgen die erste richtige kartographische Darstellung der skan-
dinavischen Halbinsel zu verdanken ist.*
Bei weitem der Größte am Anfang der neuzeitlichen Entwicklung ist Gerhaid
Kremer, genannt Mercator (1512—1594), über den schon ein Zeitgenosse urteilte
„in cosmographia longe primus". Mit sichtbarem Euck hat er die Kartenprojektion
in ein neues Gleis und die Darstellung des Karteninhaltes in ein neues Fahrwasser
gelenkt. Eührt der Grundgedanke von Mercators Projektion auch nicht von ihm
selbst her, so erscheint doch seine Weltkarte von 1569 tatsächhch wie eine „proles
sine matre creata" und als eine eigne Schöpfung des genialen Mannes. Mit dieser
Karte und der Karte von Europa aus dem Jahre 1554 kann man mit gutem Eecht
die erste Reform der Kartographie beginnen lassen.
Der immittelbare Einfluß der deutschen Kartographen zur Renaissance- und
Folgezeit auf die Niederländer wurde als eine feststehende Tatsache hingenommen,
bis es Nordenskiöld gelang, noch eine eigene Zwischenstufe italienischer Karto-
graphie nachzuweisen, die sich von den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts ab
entwickelte imd einige Jahrzehnte ihr Übergewicht über die deutsche Kartographie
behauptete, nicht zum geringsten verursacht durch die Schönheit und Feinheit der
Ausführung der italienischen Karten in Kupferstich gegenüber den deutschen in ihrem
derben Holzschnitt. Der sogenannte ,,Lafreri-Atlas", eine Sammlung von Karten
der verschiedensten Autoren und Drucker, giljt eine Vorstellimg von dem Eeichtum
an treffhchen Karten Italiens zu jener Zeit.
Im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts übernahmen die Niederländer die
kartographische Führerschaft und behaupteten sich, trotzdem sie kaum etwas Selbst-
ständiges leisteten, bis tief ins 17. Jahrhundert hinein. Leider wurden die nieder-
Kartenwerke (Atlanten) recht kritiklos zusammengestellt. In der nieder-
• Ft. V. Wieser: Die älteste Karte mit dem Xamen „Amerika" a. d. J. 1507 und die Carta-
Marina a. d. J. 1516 des Martin Waldseemüller. P.M. 1901,8.271-275. Hier finden sich auch
Literaturangaben über Waldseemüllers Leben und Arbeiten, und wir lesen Anm. 1, S. 271, daß
sich Xordenskiöld zu der Überzeugung von der großen Bedeutung Waldseemüllers trotz Wiesers
.Schriften noch nicht durchgerungen hat.
^ Vgl. Michows Faksimile der Karte und ausführlichen Kommentar i. d. Mitt. der Geogr.
Ges. in Hamburg. XIX. 1903. — W. Rüge: Die Weltkarte des Kölner Kartographen Caspar
Vopell. In Ratzeis Gedächtnisschrift. Leipzig 1904, S. 305ff.
' S. Günther: Jakob Ziegler, ein bayrischer Geograph und Mathematiker. For.schgn.
zur Kultur- und Litcraturgesch. Bayerns. Buch 4. Ansbach 1896.
Dil- historisilir MptluiHf in iloi- KartOfrr:ipliir. 37
ländisclieii ^^fliiilc sclilc|ii.l.ii sicli iillf I hrl j;ilirz.'lintclMiij,' fi.it. l)ic riclitige Auf-
fassung des Weltbildes litt uud aiuleie eieuuiilaii' J-eliier -wurdeii durcli den nieder-
ländischen Einfluß ge-wec-kt und weiter gepflegt. ^ Erranfe uno errant onines. Wegen
dieser Eebler und der geringen l'Virderung der Kartographie durch die Niederländer
Ivommt Breusing /u dtni Urteil, daß man doch endlich einmal anfhciren sollte, „von
einer holländischen Schule der Kartogra|iliie zu sprechen, die zwar Bilderbücher über
Bilderbücher geliefert, aber nie einen eigenen Gedanken geha})t hat."
In seinem Lehrbuch der Geographie spricht H. Wagner davon, daß der Atlas
von Nie. Sanson (1600—1(567) wesentlich den Holländern nachgebildet sei.* Das
kann ich nicht ganz unterschreiben, denn die Holländer haben auch Sansou in
schamloser Weise ausgenutzt, übrigens eine Sache, über die eine tiefere Untersuchung
noch aussteht. Die französische Schule, die durch Sanson begründet wurde,
war nicht mehr und nicht weniger wert als die niederländische, und vdi wollen nicht
vergessen, daß Sanson manche vortreffUche Arbeit geleistet hat.
Von einer belgischen Schule wird man kaum sprechen, wenngleich zu den
berühmten belgischen Geographen Abraham Ortelius (1526—1598) zählt, dessen
berühmter Atlas .,Theatrum orbis terrarum" zum ersten Male 1570 in Antwerpen
erschien. Er war weniger Kartograph als vielmehr Sammler und Herausgeber der
besten zeitgenössischen Karten. ^ Im Theatrum bringt er ein erstes Verzeichnis von
Kartographen. Jeder Karte seiner verschiedenen Werke gibt er eine kurze Be-
schreibung der Länder und seiner Bewohner, sowie eine Angabe der wichtigsten
Quellen bei. Darum sagt nicht mit LTmecht F. v. Eichthofen von ihm: ,, Hatte
Mereator die Legende aus der Kartenzeichnmig verbannt, so gebührt Ortelius der
Euhm, den -sv-issenschafthcheu Charakter der letztern durch die möglichste Be-
schränkiuig der Darstelkmg auf das wirklich Erkundete imd die Ausscheidmig des
der Hypothese unterworfenen Gebietes der alten Geographie erhöht zu haben."-*
Über Amsterdam kamen nicht bloß niederländische Erzeugnisse, sondern auch
die Arbeiten von Sanson und Delisle nach Deutschland, wo sie in verschiedenen
Städten, die sich mit Kartendruck beschäftigten, nachgeahmt, bzw. nachgedruckt
wurden. Wir können uns in bezug auf Selbständigkeit imd Ideenreichtum kaum ein
unerfreulicheres und ärmlicheres Bild denken als das der deutscheu Kartographie
um die Wende des 17. zum 18. Jahrhundert, wobei allerhand altes Kartenmaterial
aufgewärmt wird imd neues sich nur spärlich durchringt.
Im 17. Jahrhundert rücken in Deutschland die kartographischen Höhepunkte
nach den süddeutschen Kunststädten Nürnberg und Augsburg*, wo sie sich, be-
sonders in der erstem Stadt, bis Ende des 18. Jahrhunderts erhalten. Unter den
Augsburgern wTirde namentlich M. Seutter bekannt, der in dem Format der Ho-
mann sehen Karten meist Kopien von niederländischen, französischen und italienischen
1 K. Jolig: Niederländische EinflUs.se in der deutsch. Kartographie bes. des 18. Jahrh. Diss«.
Uipzig im-i, S. 82.
2 H.Wagner: Lelirbuch der Geographie. 9. Aufl. Hannover und Leipzig 1912. S. 9.
» W. Wolkenhaucr: Abialuuii Ortelius. IVut.s.lic Kundschau f. fioigr. u. Statistik.
XX. 10. Heft. S.A. S. 2.
* Fr. V. Richthofcn: ( hin.i 1. Heilin 1877, «. Ii44.
15 In Augsburg: Bodenehr (IKil 1704), Stridbeck (1K40-171B), Engelbrecht (1672
bis 1735), Pfeffel (1C86 oder 1074- 1700). Wolff (lOftl 1724), Probst (167:1 1748). Seutter
(1678-1756), Lottor (1717-1777). In Nürnberg: Jacob von Sandrart (l«:tO I7W), David
Punck (um 1700), Christoph Wcigel (1654-1725). Joh. Baptist« Homuiu. (lfi(U ^ 1724).
:{j^ Di,. Kaitii-niplii.- als WiKs.ns.-lmft.
Kartell, gelegentlich auch von Honiümischen Arbeiten brachlc. (Lr. Sandler
urteilt über ihn als einen Manu \on nicht großen Verdiensten. ^ Weit höher ist der
Nürnberger J. B. Homann, der erste berufsmäßige Kartenstecher jener Zeit, zu
bewerten. Blieb die Technik der Niederländer auch von nachhaltigem Einfluß auf die
deutsche Kartographie, emanzipierte er sich als ein erster von dem niederländischen
Einfluß; demi er strebte danach, seine Erzeugnisse kritisch, gestützt auf verschiedenes
Quellenmaterial, zu bearbeiten. Ferner wurde er dadurch, daß er sich mit einem Stab
wissenschaftHcher Mitarbeiter umgab, indem er Beziehungen mit wissenschafthchen
Autoritäten seiner Zeit anknüpfte, wie mit J. G. Doppelmayr, J. M. Hase,
J. Hübner, C. Gottschling, J. G. Gregorii, E. D. Hauber, Tob. Mayer,
G. M. Lowitz^ u. a., der erste Kartograph im modernen Sinne. Hases Karte von
Afrika aus dem Jahre 1737 war die erste wissenschafthch fundierte Karte der neuern
Zeit in Deutschland, weil sie Eesultate älterer Schriftsteller und neuester Reise-
beschreibvmgen verarbeitet hatte. Mit ihr kann man billigerweise ein neues Zeitalter
der kritischen Kartographie begiimen lassen, die im folgenden Jahrhundert zu so un-
geahnter Blüte gelangte.
Die ,,Homannsche Offizin" ging 1730 an J. G. Ebersperger und J. Midi.
Franz über, die sie als ,,Ho männische Erben" weiter führten. Franz war ihr intellek-
tueller Leiter, worauf Chr. Sandler^ und S. Buge* großes Gewicht in ihren Er-
örterungen legen. Die Homännischen Erben standen in hohem Ansehen, auch im
Ausland, besonders in Frankreich.^
Wenn auch nach Sandler ^/g der etwa 600 Karten, die von 1702—1760 in der
Homannschen Offizin erschienen, Kopien sind, kaim doch dieses Nacharbeiten
anderer Produkte, im Lichte der damaligen Auffassimg von Original und Kopie ge-
sehen, den Homannschen Ruhm nicht schmälern.* Homann und seine Nachfolger
im Geschäft waren nach Mercator in Deutschland die ersten, die ihre Kartenwerke
systematisch ausbauten, technisch imd wissenschafthch zu vervollkommnen strebten
imd die vaterländische Karteuerzeugimg wesenthch förderten. Was das Justus Perthes-
sche kartographische Institut für das 19., das war die Homannsche Offizin für das
18. Jahrhundert.
Parallel mit der deutschen Entwicklung blühte in England imd Frankreich
während des 18. Jahrhunderts die Kartogi-aphie mächtig empor. In England sind
' Chr. Sandler: Matthäus Seutter und seine Landkarten. Mit. d. Ver. f, Erdkde. zu
Leipzig 1895, S. r>.
2 Chr. Sandler: Die Homännischen Erben. Kettl. Z. f. wiss. Geogr. VII. Weimar 1890,
S. 438Ö. — Vgl. auch von demselben Verf.: Job. Bapt. Homann, Z. d. Gfes. f. Erdkde. zu BerUn
XXI. 1886. — J. G. Krünitz: Ökonomisch-technologische Encyklopädie oder allgemeines System der
Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirtschaft und der Kunstgeschichte. 60. Teil. Berlin 1793, S. 108ff.
' Chr. Sandler: Die Homännischen Erben, a. a. O., S. 345.
* S. Rüge: Aus der Stumi- und Drangperiode der Geographie. (Die älteste geogr. Ges. u.
ihre Mitglieder.) Kettl. Z. f. fl-iss. Geogr. V. Wien 1885, S. 251.
=- In dem Atlas Universel par M. Robert et i>ar M. Robert de Vaugondy son fils, Paris 1757
[Xat. Bibl. Paris], sind die einleitenden Kapitel sehr wichtig, bes. Kap. V: Des progres de la g6o-
graphie, depuis son rdtablissement en Europe, jusqu' ä präsent. Hier wird auf Seite 14 des langem
der Verdienste Homanns und der „h6ritiers de Homann" gedacht, auch vieler deutscher Ge-
lehrter, die für die Geographie damals von Bedeutung waren, von denen wir viele heute kaum noch
dem Namen nach keimen. Besonders hervorgehoben sind noch Seutter in Augsburg und Micovini
in Wien (t 1750), letzterer bekannt durch seine Landesaufnahmen in Österreich-Ungarn.
• K. Jolig, a. a. O., S. .52.
Dil- historisclie Methoilr in der Kartojjcnipliie. 39
Moll, Templeman imd Kitschin die wichtigsten Vertreter. Frankreich hat mehr
zu verzeichnen. Namen wie G. Delisle, d'Anville, Vaugondy, Cassini, Buache,
Beilin, Ducarla. Dupain-Triel sind unvergänglich mit der Geschichte der Karto-
graphie und der Wissenschaften verknüpft. Mehr noch als G. Delisle (1675 — 1726)
ist J. B. Bourguignon d'Anville (1697—17^2) als der erste moderne wissenschaft-
liche Kartograph Frankreichs anzusehen.^
Im 19. Jahrhundert kristallisieren sieh Kartographie und zugehörige Wisseu-
.schaft mehr imd mehr in besondere Institute, imter denen in Deutschland .J. Perthes
in Gotha alles Ahnhche des In- und Auslandes überragt. In Großbritannien hat
namenthch J. G. Bart hol omew m Edinburg die alten guten Traditionen der
enghschen Kartographie, besonders die zarte Situationszeichnung imd den feinen
Namenstich, weiter gepflegt. Die neuere nicht offizielle Kartographie Frankreichs doku-
mentiert sich am vorzüglichsten in dem bei Hachetteet Cie. in Paris erschienenen
großen Atlas von Vivien de iSt. Martin, den Fr. Schrader fortsetzte imd vollendete.
Die Karten des Atlas sind sorgfältig bearbeitet und erfreuen durch ihren schönen
und feinen Kupferstich, der manchem bald zu zart erscheinen mag. In Österreich
hat schon seit vielen Dezennien der kartogi-aphische Verlag Artaria & Co. in Wien
einen guten Klang, nachdem in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts der Feld-
zeugmeister von Hauslab^ den kartographischen Arbeiten neue Perspektiven er-
öffnete und heute KarlPeucker an der Spitze dieses Unternehmens im Hauslab-
schen Geiste weiterarbeitet. In neuester Zeit kommen Peuckerts kartographische
Kenntnisse und Fertigkeiten auch der kartographischen Anstalt von G. Freytag
& Berndt in Wien zugute. In der Schweiz hatte J. M. Ziegler in Winterthur eine
eigene Schule begründet. Ihren Höhepiuikt erreichte sie in den Karten von St. Gallen
und Appenzell. Ziegler gehört zu den hochverdienten Altmeistern der topographischen
Wissenschaft ; er begnügte sich nicht bloß mit der Keproduktion der eidgenössischen
Aufnahme, sondern suchte aUe Gesichtspunkte der in Betracht kommenden Wissen-
schaft bei der Herstellung der Karten zu berücksichtigen. Darum pflegte er nicht bloß
mit den besten Kenuem, den Geologen seines Landes Rücksprache, sondern auch mit
bedeutenden Vertretern der Erdkunde (§ 16, S7). Auf Zieglers Werke wie über-
haupt auf die Neugestaltung zahlreicher Karten der Schweiz hat die Dufomkarto
einen unverkennbaren Einfluß ausgeübt. Doch darüber später mehr.
14. Die groBen kartographischen .Viisfaiton Deutschlands. Denken wir an
J. Perthes, dann steigen, abgesehen von den gegenwärtigen tüchtigen kartographischen
und wissenschaftUchen Kräften der Gothaer Anstalt, die Männer, wie Stieler (f 1836),
E. V. Sydow (11873), Petermann (t 1878), Heinr. Berghaus (t 1884), Herm.
Berghaus (f 1890), K. v. Spruner (f 1892), C. Vogel (t 1897), Lüddecke (t 1898),
Hassenstein (f 1902), Habenicht (f 1917) vor unserm Geiste auf. Sie haben
1 W. Wolkcnhauer sagt über d'Anville in d. Deutsch. Rundschau f. Gcogr. u. iStatistik.
XIX. Jahrgg. 10. Heft: „Der 200. CJeburtstag des großen Meisters der Kartographie aber mag dem
Jünger dieser Wissenschaft eine ^L^bnung sein, sich auch heute noch dessen Arbeiten zu erinnern
imd daraus zu crst-hen, welch langer Weg es ist, der von den frtUiem rt)hen Eni- und L&nderbildern
bis zu unserer heutigen Kartograiiliie führt."
- K. V. ^^J■do^v■ sagte über von Hauslub, dnli er in .scii\er IVi-son den luicrniiidlichen und g»--
wiindten Zeiclmer mit dem denkenden Geograjihen und niminir nustenden Forscher vereine. Der
kaiU.gi. Standpunkt EurojÄS in den .laliien 18(« und 186ti. P. M. 1867, S. 145. - Üln-r Hauslab
vgl. auch K. l'cuckci: Scli.it tenpl<u-<lilv und FarlKMipla.-lik. Wien 18HS, S. 1 - lM».
40 l>i'' Karlo-nipliic mIs Wissenschaft.
Urumllagen und Methoden gebcliaffeu, die heute Norm und Maß bei kartograi)hischen
Werken sind. Vielfach haben sie sich als Seher bewährt und der Kartographie Wege
gewiesen, die sie zu einer Wissenschaft mit emporhoben. Unnütz wäre das Beginnen,
einen dieser Männer auf Kosten des andern in den Vordergrund zu rücken. Jeder
in seiner Art hat Hervorragendes geleistet ; bei ihnen ging gewissenhafte selbstbewußte
Durcharbeitung des Kartenstoffs mit der meisterhaften Beherrschung der Technik
Hand in Hand. Ein herrliches Kartenwerk nach dem andern wurde durch sie ge-
schaffen. All diesen Schöpfungen wurde aber die Krone mit Carl Vogels Karte des
Deutschen Eeiches in 1:500000 aufgesetzt; sie bedeutet einen Höhepunkt unserer
gegenwärtigen Kartenentwicklungi (s. S. 4).
Aug. Petermann unterscheidet sich insofern von seinen Perthesfchen Mit-
arbeitern, als er schulbildend wirkte.^ Nicht nur der eignen Anstalt kamen seine ge-
schulten Kräfte zugute, sondern der gesamten leistungsfähigem deutschen Karto-
graphie in ihrer jetzigen Entwicklung.^ Wenn das Kritisch-Wissenschaftliche ein
Maßstab der Beurteilung ist, dann gebührt dem Obersten Emil von Sydow (1812
bis 1873) ein erster Platz. Auf seine berühmten zwölf kartenkritischen Aufsätze über
den ,, kartographischen Standpunkt Europas" in Petermanns Geographischen Mit-
teilungen habe ich beieits hingewiesen (S. 18). Von unvergänglichem Wert mid
klassischer Diktion ist seine Abhandlung über die „drei Kartenkhppen".* Neben
\-ielen Karten hat er eine Übersicht der wichtigsten Karten Europas veröff enthebt,
eine für allgemeine Zwecke brauchbare Generalrekapitulation, bei der außer der
eminenten Beherrschung des Stoffes mad der ebenso gediegenen aln unparteiischen
Kritik ganz besonders die praktische Einrichtung des Ganzen hervorgehoben zu
' Obwohl Vogel selber keins der Kartenblätter mehr gezeichnet hat, so hebt doch die Kritik
überall die ungemein große EinheitUchkeit als das ausschließliche Werk ihres befähigten Leiters
hervor. Vogel wußte eben, wie H. Wagner in dem Nekrolog über C. Vogel (P. M. 1897, S. V)
sagt, seinen Mitarbeitern einen Geist gleichgerichteter Auffassung einzuflößen, der sie nach gemein-
samem Ziele streben ließ. J. Partsch begründet in der Schlesischen Zeitung (1893) die praktische
Bedeutimg der Karte folgendennaßen: „Sie stellt sieh die Aufgabe, das Tenainbild, die Beschaffen-
heit und Waldbedeckung des Bodens, die menschlichen Ansiedlungen, das Netz aller Wegeverbindungen
mit so weitgehender Unterscheidvmg ihres Charakters und ihrer Leistungsfähigkeit zu bieten, daß
Heeresbewegungen im großen und einzelnen danach geregelt werden können;" und nachdem er
weiter darauf hingewiesen, daß für die praktischen Aufgaben der Terrainbenutzung selbstverständlich
Karten großem Maßstabes nicht entbehrlich sein werden, fügt er hinzu, „daß eine diesen Forderungen
entsprechende Karte auch jedem andern Zwecke des ernstem Studiums und der Bereisung, wenn sie
etwas größere Flächen umsjjannen sollen, völlig Genüge tut." — Über die zweifache Ausgabe der
Vogelschen Karte 1:500000, 27 Bl. (Gotha 1891-1893) vgl. L. Neumann in G. J. Bd. XVIL
1894, S. 183. — Ein ähnliches Lob wie der Vogelschen wird auch der Karte von Lep sius: Geologische
Karte des Deutschen Reiches (1 : 500000, 27 Bl., Gotha 1894-1897) gespendet. - Der Verlag
J. Perthes hat sich den Dank der verscliiedensten Interessenkreise erworben, daß er 1907 noch eine
wohlfeile Umdrackausgabe der durch die Art der Herstellung bedingten nicht ganz billigen Vogel-
schen Kai-te herausgab. — P. Langhans hat Vogels Karte neu bearbeitet (1917) und um 6 Blätter
erweitert, nach S üb. d. Alpen zwischen Genf und Agram, im 0 üb. die deiitschen Kroiiländcr
(isteiTeichs.
2 Vgl. E. Behm im Nekrolog über Aug. Petermann. P. M. 1878, Blatt 4.
" Unter den Schülern Petermanns seien genannt: E. G. Ravenstein, Br. Has»(aistcin,
E. Debes, L. Eriederichsen, H. Habenicht, A. Wekker, Fr. Hanemann, Chr. Pei]),
Br. Doman und Otto Koffmahn.
^ E. v. Sydow: Drei KartenkUpiJen. G. J. I. 1866, S. 348-361. - Wieder abgedruckt
bei (). Krümmel: Ausgewählte Stücke aus den Klassikern der Geographie. Kiel u. Leipzig. I. 1904,
S. Hil 174.
Dil- historische Methode in der Kartographie, 41
werden verdient. ^ In ;ill diesen Arliciten dokunienfiert sieb eine erstaunliche Siclier-
heit und Beherrschung des Stoffes, sie sind die Grundlage einer modernen Karten-
kritik geworden, die durch ihre zentralisierende Beleuchtung sehr verschiedener .Me-
thoden auf mannigfaltige Kartenarbeiten, ebenso auf Verbesserung und Erweiterungen
offizieller Mappierungsarbeiten anregend und belebend gewirkt hat.^ Diese kritisch-
kartographischen Arbeiten werden erfreulichenveise weiter gepflegt.
Neben d&r Gothaer Anstalt haben sich verschiedene andere Institute in Deutsch-
land entwickelt, die gleichfalls Einfluß auf das kartographische Schaffen und Leben
gewannen. Unter ihnen seien vorderhand allein genannt die kartographische Anstalt
von Velhagen & Klasing in Leipzig, jetzt unter der Leitung von E. Ambrosius
und vorzugsweise bekannt durch die Herausgabe des vielseitigen imd praktischen
Handatlas von Andree, und ganz besonders die Anstalt von H. Wagner & E. Debes
in Leipzig. Die Seele der letztem ist E. Debes. Unter ihm wirkten und wirken
P.Elfert (tl898), E.Wagner (j 1916), O.Heymer (t 1917), C.Erdmann (f 1920),
H.Fischer, O.Winkel, H. Baumann u. a.* Die Wagner-Debessche Anstalt \er-
öffenthchte neben der großen Anzahl von Karten und Stadtplänen für die Reise-
handbücher von K. Baedeker zahlreiche kartographische Arbeiten für andere Ver-
leger und wissenschaftliche Institute, ferner den bekannten Neuen Handatlas von
E. Debes und zum ersten Male in Deutschland nach neuen pädagogisch-methodischen
Prinzipien eine Reihe stufenförmig sich erweiternder Schulatlanten imd Wand-
karten. Die Debesschen Schulatlauten fanden durch ihre übersichtliche, deutliche,
alles Nebensächliche miterdrückende, kräftige imd doch dabei formrichtige, genaue
Zeichnung, verbunden mit einer geschmackvollen, harmonischen Farbengebiuig und
einer sorgfältig erwogenen Namenauswahl, sowie einer äußerst eleganten mid scharfen
Ausführung m Stich vmd Druck großen Beifall mid entsprechende Verbreitung,
aber auch eifrige Nachahmung.
Die großen kartographischen Institute haben sieh mit einem wisseuschafthchen
Arbeiterstab umgeben, der zuletzt ein integrierender Bestandteil dieser Institute
geworden ist. Dieser Typus in der kartographischen Entwicklung ist insbesondere
bei J. Perthes ausgebildet worden. Zu Petermanns Zeiten war die Perthessche
Anstalt eine kleine „geographische Gelehrtenrepubhk", gewiß eine interessante Phase
im Entwicklungsgang der Kartographie. In Befolgung dieses Typus sind J. Perthes
und andere Anstalten groß geworden. Ob das für die Zukunft die ausschließlich
gegebene Form ist, bleibt noch abzuwarten. Es will mir dünken, daß die zukünftigen
Aufgaben der Kartographie auf weitere Formen abgestimmt werden müssen, oder
mit andern Worten, daß der Geograph, der nicht direkt in Diensten der Anstalt steht,
wieder mehr zu den kartographischen Arbeiten herangezogen werden muß. Denn
('S entwickeln sich Aufgaben, die die einzehien Anstalten mit ihren geographisch-
wssenschafthch durchgebildeten Kartograjihen mcht allein bewältigen kömien
(s. S.6, 60). Einen Anfang dieser Neutrscheinung erbUcke ich bereits in der Bearbeitung
des „Grande Atlante Internationale" des Touring Club Itahanu mit dem Zentralsitz
in Mailand. Eine große Schar italienisciier Geographen sind an der Herausgabe des
' E. V. Sydow: Übersieht der wiehtipsten Karten Euu jas. Perhii lbf4.
2 Vgl. den Nekrolog über E. v. Sydow von Fieih. v. Trosehke I. d. ..Mil.\Voehenl>latt"
v..ni 18. Okt. 1873. ^ Wieder abgednukt in P.M. 1873. S. 441-444.
» Darunter Kromayer. Ketzer Ct), Carsten. Guoid Jiin^ik. M. Groll, Sternkopf. Hölke. P. Bosse
(Weimar).
42 l>i<' lvartiigra])liic' :il^ Wissciisrliiil't.
Werkes beteiligt, für die, damit das gaiizr iiiclil ein Midiwerk wiid. riu grolteügig
angelegter und doch fein durchdachter Ailicilsjilan vorgeschrieben ist.'
i:.. -WaiMlKarlc iiiul Afhis. Die (iocliiclilr des Atlas begiiinl niil. der VVeu.le
des j\littela!ters zur .Neii/.eit. l'ast um die gleiche /eil sel/,t auch die der Wandkarte
ein. Wiiiu-end die Kartographie bis dahin in d<'i liiuiilsaehe maritim war, fängt sie
mit der Wiedererwcckimg des Ptolcmäus an kontinental zu werden.
Die Auferstehung des Ptolemäus im Zusammentreffen mit der Auffindung
der hjeewege nach Indien und Amerika und mit der Erfindung des Buch- und Platten-
druckes waren die mächtigen Impulse, die die Geographie und Kartographie aus ihrem
mittelalterlichen totähnlichen Schlafe aufiaittelten und ein Interesse an geographischen
Entdeckimgen, Beschreibungen mid Kartenerzeugnissen weckten, das uns heute noch
iji Erstaunen A^'rsetzt. In hohi-n Auflagen wurden Karten mid Atlanten gedruckt
und verbreitet-; es war, als oli sich die Wi'lt nicht satt seilen, lesen und unterrichtien
gekoimt hätte.
Die Form der kartographischen Veröffenllicluing in Sammlungen, in Atlanten
überwog in der Zeit der großen Entdeckimgen die Herausgabe von Einzelkarten, so
daß S. Münster 1528 direkt zur Herstellung von Einzelkarten aufforderte. Aber
erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts werden sie häufiger, vorwiegend der
Etzlaubsche Verkehrskartentypus und die Wandkarte, wie wir sie heute noch kennen
und gebrauchen.
Die Geschichte der Wandkarte ist bis jetzt ganz stiefmütterlich behandelt
worden. Größtenteils hängt das damit zusammen, daß Wandkarten aus den frühern
Jahrhunderten zu den größten Seltenheiten gehören. Sie sind noch leichter der
Vernichtung anheimgefallen als die einzelnen Handkarten, die sich gut in einzelnen
Folianten aufbewahren ließen. Zum ersten Male treten die Wandkarten im 16. Jahr-
hundert auf, gelangen gegen Mitte des folgenden Jahrhunderts zu einer gewissen Blüte,
treten darauf dann wieder weniger in Erscheinung, um erst wieder gegen Mitte des
19. Jahrhunderts zu neuem kraftvollem Leben zu erstehen.
Die großen Weltkarten von Waldseemüller, Mercator sind nicht direkt
als ,, Wandkarten" in dem heutigen Sinne anzusprechen. Aber die Art imd Weise
der Darstellung, die ganze Auffassung des Inhaltes und die Größe des Maßstabes
lassen sie ohne weiteres als Wandkarten bezeichnen. Im 17. Jahrhundert knüpft sich
die Herausgabe von Wandkarten an zwei Namen, an Willem Janszoon Blaeu
imd Frederick de Wit. Die Wandkartenzentrale war Amsterdam; die Wandkarten
selbst entstammen dem Zeitraum von 1620—1670. Von Fr. de Wit, der sowohl als
Kartograph wie als Drucker und Herausgeber auftritt, besitzen wir Wandkarten von
Europa, Asien, Afrika^ und eine vorzüghche von der gesamten Erde. Letztere Karte
1 II „Grande Atlante Internationale del Touring Club Italiano". Nota per V VIII Congresso
Gcographico Italiano. Firenze 1921, S. 18-32. (Mit Kartenbeilage).
^Wissen wir doch, daß die 235x120cm große Weltkarte Waldseemüllers von 1.507
in 1000 Exemplaren gedruckt worden ist. — Innerhalb eines Vierteljahrhunderts erschienen niclit
weniger als 25 Ptolomäusausgaben. — S. Münsters Kosmographie, deren erste nicht voll-
ständige Ausgabe 1544 erschien, erlebte bis 1650 46 Auflagen.
^ Fr. de Wit: Nova et accurata totius Europae tabula. Amsterdam 1662. — Nova et accurata
totius Asiae tabula. Amsterdam ca. 1660. — Nova et accurata totius Africae tabula. Amsteidam
ca. 1660. — SämtUche drei Wandkarten Iiaben je eine Größe von 120 x152 cm. - Über die drei
Karten verfügte 1919 noch der tjckaiintc BiiclJuindlcr und Antiquai K. W. H ioi sciriann in I>i-ipzig.
Die histurisulic Mctliuili- in d.-r Kartognipliie. 43
sah ich in der Bibliothek des Prinzen Ulrich von Schönhurf^'-Waldcnhurt,' auf
Schloß Guteborn bei Euhland unter vier Wandkarten, die sich ebenso durch ihre
Seltenheit wie ihr Alter und wissenschaftliche Bedeutung auszeichnen.^ Die ilrei
andern Karten haben Blaeu zum Verfasser und scheinen aus den Jahren lü20— KJBO
zu stammen. Sämtliche Karten sind in Kupfer gestochen, sie enthalten außer dem
vollständigen Gradnetz auch noch Kompaßrosen und Kompaßlinien. In bezug auf
die Darstellung der Küstengliederung und der einzelnen Erdräume sind die Karten
reich an Einzelheiten und geben den Stand der damaligen neuesten Forschungen an.
Um den Absatz der Karten in den verschiedenen Ländern zu erhöhen, hatte man die
Ränder auf den Witschen Karten mit einer dreifachen ausführlichen Beschreibung
des Erdteils in lateinischer, französischer und niederländischer Sprache ausgestattet.
Auf der Weltkarte von de Wit erscheint die geographische Beschreibung der ganzen
Erde in niederländischer, französischer und enghscher Sprache. Auch diese Karten
sind wie die Handkarten jener Zeit mit merkwürdigen und größtenteils natui-getreuen
Yölkertypen und Trachtenbildern, Plänen und Stadtansichten geschmückt, die leeren
Stellen innerhalb der Kontinente mit charakteristischen Völkertypen und wilden Tieren
und innerhalb der Ozeane mit Handelsschiffen, kämpfenden Kriegsflotten uml
Seeungeheuern. Die Blaeuschen und Witschen Karten haben nichts Gemeinsames
mit den viel verbreiteten Blaeuschen Atlanten, sie shid offenbar direkt als Wand-
karten entworfen. Am interessantesten ist die Weltkarte; ihr ungenannter Zeichner
verfügt über ein umfassendes erdkundliches Wissen und eine ausgezeichnete kritische
Befähigung, was man an der Darstellimg Amerikas, Australiens und Japans verfolgen
kann. Im 18. Jahrhimdert hat man Wandkarten hergestellt, von denen man bestimmt
weiß, daß sie ,,zum Gebrauch des Aufhängens an den Stubenwänden gestochen sind".
Man bezeichnete sie damals irrtümlicherweise auch mit dem Namen ,,Cabinets- Karten",
worunter jedoch die großmaßstabigen Karten und Pläne einzelner Besitzungen zu
verstehen sind; sie waren dmxhgängig handschriftlich hergestellt und entsprechend
mit einer ungedruckten Beschreibmig versehen. -
Die neuere Entwicklung der Wandkarte setzt gegen Mitte des 1'.'. Jahrhunderts
ein, wesenthch veranlaßt durch das Erscheinen von Herrn. Berghaus' Chart of the
workP, die auch im neuen Jahrhimdert noch Auflage auf Auflage erlebt. Diente
sie von Haus aus mehr wirtschaftlichen Zwecken, wurde sie gern auch im Unterricht
benutzt. Das Bedürfnis eines sich methodisch und praktisch vertiefenden Geographie-
unterrichts nach gutem kartographischem Anschauungsmaterial ließ die Schul-
wandkarte in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstehen. E. v. Sydow
' Nova totiuH tenai-imi orbis tabula. 150x200cm. Gedruckt Amsterdam bv Frederii-k
de Wit, ca. 1660. — Nova et e.xacta Asiae pixijjraplüca descriptio, auct. G. J. Blaou. Stocher und
Drucker der ältere Claes Janszoon Vissclier. — Nova Africae geograplüca et Ivydrographica de-
scriptio, auct. G. J. Blaeu. Stecher: T. van den Ende sculpsit; Dnuker: Cl. J. Visschcr.
Nova totiu.s Americae sive Novi Orbis tabula, auct. G. J. Blaeu. — Die drei Erdteilkarten haben je
eine Größe von 125 x 175 cm. Die Amerikakarte ist gewiß sehr .selten, sie fehlt, wie aus Philipps
„List of Maps of America" 1901 hervorgeht, in der Library of t'ongreß, \Va.shington. — In der kiirto
gra])lÜHchen Literatur sind sämtliche 4 Karten bisher niolit beschrieben, auch in dem maßg»"lHMidiMi
Kai-t«-nverzeiclmis der reichsten Karfen.samndnng der Weil, dem Ciitaiogiie of the print«>d maj»*
in thi' British Museum, sind sie nicht crwiiluil.
- J. G. Krünitz; Encykloiiädie, a.a.O.. S. «7, .\nin. ,1. Gh. Pfennig: EixiU-schn-ibung.
licilin u. Stettin 1779, S. 153.
" 186.3 zum ei-sten Male vei-öffcnllidil. Die Situalii'is/.ci. liiuiiig wiii <-iii<- der let/.leii Arln-ileii
des greisen v. Stülpnagcl.
44 I»ir K:ir((.pr;i|.liic :\1? Wissonsetiaft.
in l'ivuücii. (). DeHlscli in Siichscn. A. Sl ein lia nser in ()slcnvifli. -1. M. ZiegliT
in der Sc'li\\ciz giil cn den iiriicn Ideen die wiinsfliiiiswerte Stoßknifl. Hervorragende
Schuliuäiuier, hauptsächlich solche der Volksschule, gewarinen großen Einfluß auf
die neuzeitliche Schulwandkarte. Kleine und große private Karteninstitute des In-
und Auslandes wurden Hersteller mid Verleger der neuen Kartenart. Nur selten hat
der Staat, wie z. B. die Schweiz, in die Entwicklung der Schulwandkarte eingegriffen.
Unter den neuern Schulwandkarfenautoren finden Avir wohlklingende Namen, wie
Diereke, Haack. Friederic-lisen . Gabler. Harms. Kulinerl. Edw. Stanford
u. V. a. ni.
Am Anfang der Geschichte des Atlas stellen die einzelnen Ptolemäus-
ausgaheni; sie bilden den Frofotyp unserer modeiuen Atlanten. Die Straßburger
Ptolemäutausgabe vom Jahre 1518, die außer dem Text und den Ptolemäuskarten
noch in einem zweiten Teile ..Claudii Ptokmei Supplementum" zwanzig moderne
Karten (darunter die Karte von Deutschland nach Etzlaubs Eeisekarten von 1501)
von Martin Waldseemüller bringt, ist wohl mit Nordenskiöld als der erste
moderne Atlas anzusehen. Durch Ph. Clüvers Einfluß verschwinden am Anfang
des 17. Jahrhunderts die Ptolemäusausgaben mehr und mehr. Sie hatten sich in der
Tat überlebt. In seiner Abhandlimg über Clüver kommt J. Partsch zu demselben
Ergebnis wie Lelewel, daß der Einfluß, den der ägyptische Geograph im 16. Jahr-
himdert auf die Gestaltung der Länderräume, insbesondere auf Europa gehabt habe,
einen Eückschritt bedeute. So schroff möchte ich diese Bedeutung des Ptolemäus
nicht abweisen und in ihr nur mehr eine wissenschafthch notwendige Staffel in der
Entwicklungsgeschichte erbhcken. Denn man muß sich doch ins Gedächtnis zurück-
rufen, daß durch die Ptolemäische Doktrin auch enger begrenzte Länderräume auf
Gnmd von Distanz- und Positionsbestimmrmgen in größerm Maßstabe fixiert wurden,
wie Ijothringen, die Schweiz, die Oberrheinische Ebene in der Straßburger Ptolemäus-
ausgabe von 1513 bezeugen, welche Karten als die frühesten, wenn auch rohen imd
unbeholfenen Belege für die erwachenden Landesaufnahmen gelten. ^
Die erste Sammlung neuerer Länder- und Erdbilder schuf Abraham Ortelius
1570 mit dem „Theatrum orbis terrarum". Der Sohn Mercators, Eumold, gab
ein Jahr nach dem Tode seines großen Vaters den Folioband heraus: Atlas sive
cosmographicae meditationes de fabrica mimdi et fabricati figura Gerardo Mer-
catore Eupelmundano etc. Duisburgi Clivorum 1595; gedruckt von Albertus
Busius in Düsseldorf 1595. Mit dem Erscheinen dieses Werkes wird der schon von
Mercator bei Lebzeiten — wie aus dem dem Atlas gewidmeten Vorwort hervorgeht —
gewählte Ausdruck „Atlas" für Kartensammlungen gebräuchUch. Beiläufig bemerkt
ist der Atlas von Anton Lafreri aus den Jahren 1556—1572 die älteste Karten-
sammlung, die den globustragenden ,, Atlas" zeigt. Daneben werden noch allerhand
andere Bezeichnungen für größere Kartensammlungen angewandt. So erscheinen
' Justin Winsor: A bibliography of Ptolemy's Gk-ography (1462 — 1867). Libraiy of Har-
vard University. Bibliographical Contributions. Nr. 18. Republished from the bulletin of Harvard
University, Cambridge Mass. 1884, 42 S. - Nordenskiöld: Facs.-Atlas, S. 9-29. - W. Wolken-
hauer: Aus der Geschichte der Kartographie. Deutsch. Geogr. Blätter XXVTI. Bremen 1904. —
Th. Schöne: Die Gradnetze des Ptolemäus im 1. Buche seiner Geographie. Gymnasialprogramm.
Chemnitz 1909. — Wolterdorfs Repertoriiun der Land- und Seekarten, Wien 1813 (zuerst 1810
erschienen), bringt übrigens eine ausführliche Aufzählung der Kartenausgaben des Ptolemäus.
2 Vgl. auch Anm. 2 S. 31.
Die historische Methode in der Kartographie. 45
lieben dem Atlas novus ein Atlas nuevo, Thi atre du monde. Theatro del todo ei
mondo, Grooten atlas oft weroltbeschryving, Tooneel des Aerdiycx, Großes Weltbiich.
(ienerale Weltbeschreibimg. General Atlas. The world described, Kieuwe eii beknoptt-
Hand-Atlas etc.i Eine schier endlose Reihe von Atlanten läßt sich aufzählen, dii-
iiatürhch immer als „erneuert" und „verbessert" auf den Markt kamen, (he wohl
cjuantitativ viel brachten, aber quahtativ bis auf wenige Ausnahmen keinen Fort-
schritt gegenüber den Veröffentlichungen von Ortelius imd Mercator aufwiesen.
Die Blüte der mehrbändigen Atlanten in GroßfoUo reichte bis weit in das 18. .Tahr-
hiiiidert hinein. ^
An der Herstellung von Atlanten beteiligten sich außer den Deutschen und
Niederländern in der Hauptsache Franzosen, Engländer und Itahener. Die franzö-
sischen Atlanten dominierten im 18. Jahrhundert. In neuester Zeit sind es vorwiegend
Deutsche imd Engländer, die große Atlanten verlegen ; Frankreich folgt erst in zweiter
Linie. In der Herstellung von Spezialatlanten, ganz gleich ob sie mehr das länder-
kundliche tmd politische oder das physikahsche oder das wirtschaftliche Moment in
den Vordergrund stellen, hat Großbritannien allen andern Staaten den Eang ab-
gelaufen. ^
An Handatlanten, die die ganze Welt umfassen, besitzt gegenwärtig Deutsch-
land die meisten und besten*; und der große Stieler, Andree und Debes sind zu
Hunderttausenden in deutscher Sprache oder in Übersetzung über die ganze Erde
hin verbreitet. Gewiß auch ein Grund, daß man Deutschland außerhalb der schwarz-
weißroten Grenzpfähle das Land der Geographen nennt. Der Handatlas von Adolf
Stieler, der Neue Handatlas von Ernst Debes und der Allgemeine Handatlas von
Richard Andree bedeuten entschieden Höhepunkte unserer modernen Atlas- uiul
Kartengeschichte. Gerade dieses Dreigestirn am kartographischen Himmel hat
A. Penck vorzugsweise einer eingehenden Analyse imterzogen^, indem er sich an die
äußere Ökonomie der Kartenblätter hält, soweit sie vom Maßstab diktiert ist, imd
Vergleiche zwischen den einzelnen Karten nach Umfang und Inlialt anstellt. Auf die
Entstehimgsgeschichte der .\tlanten selbst wie den Lrmern Bau* geht Penck nicht
l
' Anlior den in .Vnm. 1 S. 44 genannt Kartenübersichten vgl. weiter: Libi-ary of Congi-ess. A
Ustof geographica! atlasesby Philipps. Vol. I. Atlases. \'ol. 11. Author list. Index. Washington 1909.
- Wertvolle und soviel wie möglich vollständige Atlantensammlungeu befinden sieh in dei-
Bibliothenue nationale in Paris und im Britischen Museum in London. .\uch die .\msteixJamer Uni-
versitätsbibliothek besitzt eine reiche .Sammlung. Ebenso liaben amerikanische Bibliotheken sehr
viele Atlanten aus europäischen Bibliothekbeständen zusammengehäuft.
' Unter den engli.schen Spezialatlanten seien nur hervorgehoben : The sm-vey atlas of England
and Wales. Edinburgh 190:5-1904. J. Bartholoraew & Co. - John Elliot: Chmatological Atla-s
of India. Issued by the I tidian Meteorological DeiKirtement 1906. - Philips' Mercantile marine atla.s.
London 1905. - Atlas of tlie world's commerce. Hg. von J. G. Bartholomew. London 1907.
* Außer den drei bekannten Atlanten Stieler, Debes und .-Vndree seien genannt: Sohr-
Berghaus, Neuauflage (nicht vollendet) von Alois Bludau; H. Kieperts Handatlas; Spamers
Handatlas; die Volksatlanten von Velhagen & Klasing, von Hartleben; Meyers geographi-
scher Handatlas, letzterer in iler Hauptsache ein Samiuelband der Ivartcn luis .Meyers Konversations-
lexikon.
" A. Penck: Deutsche Handatlanten. G. /. 1911, S. C:« -64li.
'^ Wie man z. B. bei der Beurteilung des imiern Baus von .\tlantfn vorgehen kann, hat Eng.
v. Romer in seinen „Kritischen Bemerkungen zur Frage der Ternvindai-stellung" (Mitt. d. (Jeogr.
(ies. in Wien 1909, S. 507-538) gezeigt. Übi>rhaupt steigt l'euek nirgends in giiillere Tiefen hiniil.
und gibt sieh mit allgemcinou Wertschätzimgen schon zufrieden.
46 1*''' Kai'ttigraiiliic als Wissonsclmf't.
oiii. fcincv wird die Projektionsfrage nur flüchtig gestreift. Dagegen bleibt er ausführ-
licher l)ei Verbesserungsmöglichkeiten der Handatlanten stehen und gibt da etliche Winke.
Für mich handelt es sich hier bloß darum, auf das Unterschiedliche im Aufbau
zwischen den beiden Handatlanten von ausgeprägtestem Typus, zwischen Stieler
und Debes, hinzuweisen. Was Stieler unter den Kupferstichkarten, das ist Debes
unter den Lithographiekarten. Debes achtete bei der Anlage seines Werkes besonders
auf die Aligrenzung der Blätter, von denen jedes ein geographisch gut abgerundetes
Landschaftsliild liringt, dabei jedoch in möglichst praktischer imd ökonomischer Art
so gestaltet ist, daß die benachbarten Blätter meist weit ineinander greifen. Darin
unterscheidet er sich wesentHch von Btieler, der die Kontinente und größern Länder
in einzehie, nicht abgerundete Kartenteile zerlegt, die erst aneinander gefügt ein
geographisches Gesamtbild ergeben^; nur bei Asien ist dieses Prinzip, das wir anstatt
Hand- besser Wandkartenprinzip nennen wollen, durchbrochen. Über den Wert
der verschiedenen Abgrenzungsprinzipe läßt sich streiten; offenbar hat Debes in den
geschlossenen größern Landschaftsbildern das mehr geographische Moment voraus,
dagegen gewinnt Stieler durch seine Methode und die dadurch bedingte Vermeidimg
von Wiederholungen einen größern Maßstab für die Karten und gibt die Möglichkeit,
große liänder, wie die spanische Halbinsel, Frankreich, die Vereinigten Staaten von
Amerika^, Südamerika, Afrika durch Zusammensetzen auch in einem Blatt bringen
imd benutzen zu können. Der Stieler ist umfangreicher als der Debes; dieser hat ein
größeres und ebenso wohlerwogenes Format.^ E. Debes, durch die projektions-
kritischen Arbeiten von Tissot und Hammer angeregt, bringt als ein erster in dem
Handatlas rationellere Entwurfsarten in weitgehenderm Maße als es bis dahin in
Handatlanten der Fall war. Im übrigen aber behält Stieler als allgemeiner Hand-
atlas mit seinen 100 Blättern der Neuauflage immer wieder die führende Bolle unter
allen ähnlichen Kartenwerken des In- und Auslandes; noch immer umfaßt er unter
den jeweiligen Erzeugnissen die schönsten rmd wirksamsten Bilder von dem Antlitz
der Erde. Diese Palme zu erringen ist jetzt schwieriger als früher, da das Niveau der
Kartographie des In- und Auslandes ein erfreulich höheres und gleichmäßigeres ge-
worden ist. Daneben ist aber für den Stieler noch ganz besonders anerkeimenswert,
daß er bei einer hundertjährigen Entwickliuig Charakter mid Ziel im wesentlichen
treu bewahren konnte, also die Grundsätze der Bearbeitung, die Adolf Stieler in
den ersten Sätzen des Entwurfs zum großen Atlas folgenderweise bezeichnete: ,, Meine
Idee ist, etwas dem Plan nach Beschränktes, aber in der Ausführung Ausgezeichnetes
zu liefern. Bequemes Format, Begleittext zu jedem Blatt, möglichste Genauigkeit,
' M. Eckert: Der Einfluß von Ernst Debes auf die Deutsclie Kartographie. Olobus X(!III.
Nr. 15. 1907. - Vgl. auch C. Vogel in P. M. 1879, S. 338.
- Gerade diese Karte, zuerst von Aug. Petermann sorgfältig bcaibeitet, fand seither größte
Anerkennung, auch von amerikanischer Seite; E. H. Ruffner (Headquarters Department of the
Missouri, Porth Leavenworth, Office of the Chef Engineer) schreibt am 5. Nov. 1874 an Petermann:
„I am led to admire jour great care and accuracy and also the beautiful execution of the whole werk.
This Map, I am ashamed to be compelled to acknowledge, is much the most accurate generale one in
existence of the westem half of ovir territory."
" Als Debes das Format der Blätter seines Atlasses innerhalb der Randünie nach eingehen-
den Erwägungen in dem Au.smaß von 36 x 48 cm festgesetzt hatte, wodurch ein Ponnat erreicht
wurde, das ungefähr die Mitte hält zwischen den Atlanten von Kiejjert und Stiele r und eine Menge
Vorteile bietet, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, wurde dies bald von Herausgebern
anderer Atlanten erkamit, die sich ihrerseits lioeilten, ilire Weike auf dasselbe Format zuzusc'hneideii.
Die histüiisi-hf Mptliodr in (liT Kartogviiphir. 47
Dputlichkeit und Vollständigkeit, dabei doch zweckmäßige Auswahl, Gleichförmigkeit
der Projektion und des Maßstabes-" Der Begleittext hat in den spätem Ausgaben
dem Inhaltsverzeichnis weichen müssen. Eine solche Höhe vermochte der Stiele)
schon seit der Jubelausgabe in 84 Blättern von lüQQ imd 1867 zu behaupten, in der
sich die Terraindarstellung eines größern Kartenwerkes zum ersten Male in ausgiebiger
Weise auf Höhenzahlen stützte. Zu dem wohlverdienten Lobe des Stielerschen
Handatlas, das bereits in allerlei Tonarten des In- und Auslandes besungen worden
ist', wollen wir hier weiter keine Lorbeerreiser hinzupflücken, da sich uns noch öfter
die Gelegenheit bieten wird, auf diese mid jene Seite des Atlas einzugehen.
Nim soll man nicht glauben, daß mit den heutigen Handatlanten das Xon plus
ultra der Kartographie erreicht sei. Neue Zeiten zeitigen neue Bedürfnisse. Auch die
Handatlanten werden sich umwandeln oder wesentHch ergänzen müssen. Sie genügen
wohl heute vollkommen dem PoUtiker vmd Zeitmigsleser, nicht aber dem Geographen,
es sei denn, daß er recht anspruchslos ist. Doch darüber wollen wir uns später noch
ausführlicher unterhalten und hier bloß hervorheben, daß es ims heute vor allem
an guten deutschen Spezialatlanten, che wissenschafthchen und praktischen Be-
dürfnissen dienen sollen, fehlt. Für die Probleme der Anthropogeographie mid Staaten-
kunde fehlt ims ein großer methocUscher Atlas''^, imd die Herstellung eines kultur-
geographischen Atlas ist schon seit Jahrzehnten, seit der Zeit, als J. Spörer seinen
geistreichen Aufsatz „zur historischen Erdkunde" schrieb', ein schöner Traum.
Wir sind niso noch an keinem Endpunkt kartographischer Entwicklung an-
gelNouinicn. und all die gegenwärtigen scheinbar Superlativen Entwicklungserscheinungen
sind weiter nichts als Durchgangsstufen. Immer wieder muß betont werden, Ziel
und Zweck eines Kartenwerkes sollen dessen Inhalt. Umfang und Güte bestimmen.
1 P.M. 18(i7, S. 211-217; 1871, S. 321-320; 1874. S. 89-93; 187ö, S. :t3-3r); 1876, S. 1
l)is 7; 1879, S. .S38 — 344. — Sodaim die neuern Aufsätze über Stielers Handatlas von H. Habenichl
in P. M. 1902, S. 12, 13; von H. Wagner in P. M. 1904, S. 1-10; von H. Haack: Die Hundcrtjahr-
ausgabo von Sticlers Handatlas in P. M. 1921, .S. 19ff. — Die Güte der Stielerschen und anderer
Karten der Pertbesschen Anstalt ist aucb in älterer Zeit anerkannt worden. So heißt es im rE.x-
plorateur 187.5, Nr. 30 gelegcntlicli der geographischen Ausstellung der Pariser Weltausstellung 187.5:
„Tout le monde sait que les cartes ex^cut^s k l'Institut ä Gotha ne brillent pas seulenient par 1»
perfection de leur ext-oution. niais aussi par leur eonsciencieuse exactitude et le sein avec lequel los
eonqiietes nouvellcs de la g6ographie y sont registrtes". Und in dem ei-sten Bande der duivh M. Cli.
V61ain wieder aufei-weckten Re\nie de Geographie (Paris 1906/07) beginnt S. .594 .\lphonse Berget
seine Kritik über Stielers Handatlas also: „l'ne nouvelle Mition du celebre Atlas de Stieler est
toujours ohose impatiemment attendue de tous oeux qui, professionnels ou simples amateurs. ^tudient
la g^ograplüe. Iji reputation de eet atlas est, en effet, universelle, et on pent dire qu'il est un des
pliLs pr6eieux instrumenta ([ui soient ä la disposition des gtegraphes.'"
- Dies hat auch F. Hahn zun» Ausdnick gebracht, als er über H. Wagners l^hrbuch in P. M.
19(H), S. 143 referierte.
' Die itn (i. .1. 1872, S. 270 niedergelegten Wünsche verdienen es, lüer wörtlich wi«lergcgebt-n
zu werden: „Noch l)«>sitzen wir keinen kulturgeographischen Atlas, welcher uns Blatt für Blatt
den Kulturstand der weltgesclüchtlichen Eijoclien von den Zeiten der l'hönizier bis auf <lie Ogen-
wart im Zusammenhange mit den Verkehrswegen imd der auf denselben sich vollziehenden Kultur-
bewogung in Kolonisation und Mission, in Handel und Wandel, in den von Epoche zu Epoche die
Knotenpunkte des Land-, Fluß- und Seeverkehrs markierenden Land-, Fluß- luid Seeliandelsstädton
usf. zur Anschaiumg bräclite. Ein derartiges Kartenwerk, das (lie Kullurcutfaltimg der weltgeschicht-
lichen Mcnsclilieit auf matt angelegtem ethnographischen Farbenpnuide an dem (Jen<ler der Wrkehrs-
linien - Land-, Fluß-, Meeresstraßen, ozeanische Wultatraßen - veranscliaulichte, wäre ein vor-
zügliches Föi-derungsmittel für historisch-geographische Studien luul eine schöne IWigabe zu den
bereits vorliandenen historisch-geographischen Atlanten."
48 Die Kartographie als Wissenschaft.
Oftmals steht der zu erwartende pekuniäre Gewinn in keinem Verhältnis zu dem
wissenschafthchen Wert des Unternehmens, noch öfters ist es umgekehrt. Merkanti-
lische Eücksichten schnellerer und bilHgerer Kartenherstellung machen zuweilen die
Anwendmig wenig guter Eeproduktionsverfahren unabweisbar.^ Und diesen Um-
stand muß die Kritik, auch die historische, mit berücksichtigen.
B. Zur Erforschung des Wesens der Karte.
I. Die Karte an sich.
16. Problemstellung über das Wesen der Karte. Die Karte ist der Niederschlag
des geographischen Wissens einer Zeit. Die Karte ist das vornehmste Hilfsmittel
der Geographie. Die Karte ist das unentbehrHchste Werk- und Rüstzeug der geo-
graphischen Wissenschaft. Die Karte ist die Basis der Geographie. Die Karte ist in
der Geographie der Stein der Weisen. Die Karte ist das Auge der Geographie. Diese
und ähnliche Aussprüche bedeutender Geographen und Denker haben sich in der
Geographie einen festen Platz gesichert und der Karte einen Wert verliehen, der weit
über den Wert des Ansehens von Hilfsmitteln in andern Wissenschaften hinausragt.
Und selbst innerhalb der Geographie verschiebt sich allmähhch die Stellung der Karte,
insofern sie nicht mehr als reines Hilfsmittel betrachtet wird, das nur mit Hilfe des
ergänzenden Wortes das geographische Objekt zu veranschauhchen vermag, sondern das
vor allem schon durch seine Zeichen wirkt und durch diese die Grundlagen zu neuen
geographischen Abstraktionen liefert, ^ insbesondere recht oft dem beschreibenden
Wort reiche Nahrung gewährt und so einen kräftigen Impuls in den wissenschaftUchen
Gedankengang hineinträgt.^
Die Karte ist an sich schon ein Forschungsobjekt. Dadurch liegt in ihr a priori
ein eminent wissenschaftliches Moment. Insonderheit rücken gegenwärtig ihr Inhalt,
ihre Darstellungsmittel und ihr Zweck in den Vordergrund wissenschaftlicher Er-
örterungen. Die Klarlegung des Wesens der Karte wirkt gleichmäßig befruchtend
auf Wissenschaft und Praxis.
Zum Wesen der Karte dringen wir vor, weim wir zunächst ganz allgemein das
Betätigungsfeld der kartographischen Darstellung und Aufgaben untersuchen, um
^ Daiiiber klagt bereits H. Kiepert in seinen „Bemerkungen zur Karte" 1867 in Ad. Ba.stian;
Reisen in Slam im Jahre 1863. III. Band. Die Völker des östlichen Asiens. Jena 1867. — K. Lorenz
sagt bei Gelegenheit des Besuches der Pariser Weltausstellung 1867 (P. M. 1867, S. 371): ,,Aber die
Technik des Farbendruckes ist noch so kostspielig, daß nur in seltenen Fällen die Interessen des
Verlagsgeschäftes mit den Wünschen des kolorierenden Autors sich vereinigen; fast immer muß der
letztere, rein nur des Kostenpreises wegen, auf den ihm vorschwebenden hohem Wert seiner geo-
graphischen Darstellung in methodischer wie künstlerischer Rücksicht verzichten." — Heute, nach
dem Weltkriege, wird die gleiche Klage noch lange am Platze sein, obwohl in dieser Beziehung
sich im Laufe eines halben Sakuliuns viel geändert und gebessert hat.
- Man denke nur an das Ausmessen von Linien und Flächen auf den Karten, an die Bestim-
mung der mittlem Höhe der Kontinente und der Meere usw.
■' Kein geringerer als E. v. Sydow spiach die.s bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert
au.s. Der kartographische Standpunkt Europas am Schlüsse des Jahres 1856 m. bes. Rücksicht auf
den Fortschritt der topograph. Spezialkarten. P.M. 1857, S. 1.
Die Karte an sieli. 49
sodann zu dem von rspeziellcii Zwecken geleiteten Kartenindividuen, bzw. Karten-
gruppen überzugehen.
Unstreitig ist die vornehmste Aufgabe der Karte die, das Erdganze oder ein
größeres oder kleineres vStück davon in die Ebene zu projizieren und so ein verkleinertes
Abbild der Erdoberfläche zu liefern, oder wie J. L. de Lagrange 1779 bereits sagte:
,,Eine geographische Karte ist nichts anderes, als eine ebene Figur, die die Erdober-
fläche oder einen Teil derselben darstellt."^ Noch kürzer heißt es in dem Artikel
, .Landkarte" in der ökonomisch-technischen Enzyklopädie von J. 6. Krünitz:
,,Die Ijandkarte ist die Abbildimg des festen Landes, oder eines Theiles derselben, auf
ebener Fläche." Nach diesen Definitionen wird also die Karte die auf die Horizontal-
ebene projizierte Lageverhältnisse der im Eaume sichtbaren geogi-aphischen Objekte
wiedergeben. Dadurch tritt sie als ein Gnindriß des auf ihr dargestellten größern
oder kleinern Teils der Erdoberfläche uns entgegen. ^
Abgesehen davon, daß es nicht möglich ist, die Kugeloberfläche restlos auf die
Ebene zu übertragen, ist es doch dem Grmidriß oder besser: der Abbildimg auf die
Ebene, dem Planbild bei genügender Maßstabgröße eigen, die Nebeneinanderlagerung
der geographischen Objekte so zu geben, daß ihre Ausmessungen und gegenseitige
Vergleichung nach Lage und Fläche der Kugeloberfläche äquivalente Werte er-
geben. Äquivalente Werte kann die Karte einzig und allein nur in der zwei-
dimensionalen Wiedergabe von zweidimensionalen terrestrischen Erscheinungen
schaffen, also im Grunde genommen nur von den in der Natur horizontal gelagerten
Flächen.
Die Karte schlechthin oder die Landkarte will neben Länge, Breite imd Umriß
die orographischen Verhältnisse der Erde zur Darstellung bringen, sie will die drei-
dimensionale Ausdehnimg des Eaumes in der zweidimensionalen der Fläche wieder-
geben, d. h. das Raumbild in ein Planbild umsetzen.^ Der Körper ist der Libegriff
der drei Dimensionen. Er wird äquivalent nur dm-ch ein ähnhches körperhaftes Ge-
bilde, was natürhch sehr verkleinert erschemen muß, wiedergegeben, eigenthch nur
durch das nicht überhöhte Relief. Infolgedessen sind die Anschauungswerte, die die
Karte bezügHch der Darstellung der Erhebungsformen in sich birgt, nicht mehr äqui-
valente Werte, sondern bedingte Werte, ganz gleich, ob die Geländedarstellung
auf hypsographischem oder schatten- oder farbenplastischem Wege gewonnen ist.
Bei der Beurteilung von Karten handelt es sich zumeist um die Beiuteilung der be-
dingten Werte, da man die äquivalenten, die in den großmaßstabigen Karten von
1 : 25000 an und grüßer bis zu den Kataster- und Flurkarten ruhen, gewölmlich still-
schweigend voraussetzt. Dem Charakter des bedingten Urteils entsprechend, müssen
nolens volens auch derartige gern gebrauchte Epitheta, wie ,,naturwahr"*(Peternianii)
' J. L. de Lagrange: Über die Consti-uction geograph. Karton. (S»r la construetiou dos
cartes gtographiques. Nouveaux M6inoires de TAcadönüe i-oyalc de Berlin. Ann^ 1779, S. Itil
bis 210.) Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften. Nr. 55. Leipzig 1894, S. X
2 Vgl. A. Bludau: Üb. d. Wahl der Projektionen f. d. Liindcrkarten d. Hand- n. .Sliiil-
atlanten. G. Z. I. 1895, S. 499.
' Vgl. K. Peucker: Zur kartograph. Darstellung d. dritten Dimension. G. Z. 1901. S. 22ff.
— AI. Geistbeck: Eine Gasse f. d. Ansclmuung im GeograpIiieunt«rricht. S.-A. aus d. Bayorisili.
Z. f. KcalscLulwesen. XV. München 1894, S. 3.
* A. Petermann: Die Schweiz. P.M. 1864,8.438.
Eckart, KarteuwiueQsclialt. i. 4
50 Die KartOf^raphie als Wissenschaft.
„natui-treu"! (Pescbel), das Antlitz der Erde treu wiedergebend (Syduw) usw.
in ,, naturähnlich" umgeprägt werden. Die Äußerungen von Petermann, Peschel
und Arielen andern, auch neuem Autoren in Ehren, aber naturgetreue Karten gibt
es einmal nicht, ebensowenig wie es raumtreue Karten gibt. Der Abweis dieser Aus-
drücke erfährt noch im Laufe imserer Untersuchmigen eine eingehendere Begründung.
Gleichsam berichtigend möchte ich hier anfügen, daß sich August Petermann,
dem vielfach eine übertriebene Wertschätzung der Karte zugesagt wird, des be-
dingten Wertes der Karte recht wohl bewußt war. Im ersten Bande des geographischen
Jahrbuches sagt er selber: ,, Der Begriff aller unserer Karten ist ein durchaus relativer."^
Ge\siß mag zu dieser Auffassung nicht unwesentlich eine Erörterung mit dem großen
Schweizer Geographen und Kartographen J. M. Ziegler geführt haben, der in einem
vom 12. Januar 1865 datierten Brief an Petermann schrieb: „Je mehr man die
Geologie berücksichtigt, desto mehr wird die Anschaulichkeit und Eichtigkeit einer
topographischen Karte erreicht. Es ist mir immer, man' wird an den geographischen
Karten der Gebirgsländer nach ein paar Generationen von vom anfangen und alles,
was naturwissenschaftlicher beobachtet und bestimmt worden ist, in das Kartenbild
eintragen."
17. Kartenwesen iiud Kartenart. Bei der Herstellung einer Karte handelt es
sich zunächst um die Lösung einer geometrischen Aufgabe, um die konstruktive Nach-
bildung der Eaumlage geographischer Objekte. Wie wir später noch sehen werden,
bestimmen Stand der Erkenntnis, Maßstab und Zweck den Umfang und die Zahl
der darzustellenden Objekte.
Neben den rein geographischen Objekten, wie sie die Natur wiedergibt, gibt es
vielerlei geographische Erscheinungen und Tatsachen, die gleichfalls eine karto-
grax^hische Darstellung erheischen; sie sind nicht direkt in der Natur beobachtet
worden, sondern erst auf dem Wege der Induktion oder Deduktion aus Beobachtvmgen
in der Natur oder über die die Erde besiedelnden Menschheit gewonnen. Solche Karten
bringen mithin teils physisch-geographische, teils anthropogeographische (im weitesten
Sinne) Erscheinungen zur Darstellung. Werden insbesondere wirtschafts- und ver-
kehrsgeographische Tatsachen in das Kartenbild hineingearbeitet, dami sind diese
Karten so recht der graphische Ausdruck imsers momentanen Gesamtwissens über
eine Gegend.^ Wenn es sonst noch zweifelhaft wäre, den Menschen von der geo-
graphischen Betrachtung auszuschheßen, müßten gerade die besten unserer Karten
diese Zweifel beheben.
Die topographischen Karten großen Maßstabes sind im Grunde genommen
Spezialkarten (die topographische Karte ist letzten Endes immer Spezialkarte), denn
infolge ihres Maßstabes ist es ihnen noch möglich, das Nebeneinander der geographischen
Objekte speziell, d. h. deutheh luid klar ohne sinnfällige Übertreibungen sichtbar zu
machen, besonders auch die allgemeinen Erscheinungen der Pflanzenwelt, wie Nadel-,
Laubwald, Gebüsch, Wiese, Sumpf, und des die Erdoberfläche verändernden Wirkens
' O. Peschel: Neue Probleme d. vergleichenden Erdkunde. 4. Aufl. Leipzig I88.'i, S.S. —
C. Vogel üb. S. Simons Karte vom Ötzthal und Stubai. P. M. 1894. LB. 588, S. 151. - H. Habe-
nicht: Bemerkungen zur neuen Lieferungsausg. d. „Großen Stieler''. P. M. 1902, S. 13.
- A. Petermann: Notiz üb. d. kartograph. Standpunkt d. Erde. G. J. L Gotha 1866, S. 581.
» Fr. Ratzel: Die Erde und das Leben. I. Leipzig und Wien. 1901, S. 55. — H. Fischer:
Die Anforderung d. Vollständigkeit an d. Kaite. Ratzel- Gedenkschrift. Leipzig 1904, S. 70.
Die Karti- an sieli. 51
des Menschen zur Veranschaulichiing zu bringen. Staaten, die ihre topographischen
Karten weniger mit einer reichen Darstellung von mannigfaltigen Bodenerhebungen
auszufällen haben, können von Natur aus mehr Gewicht auf die Differenzierung der
kulturellen Elemente legen, wie z. B. die Niederlande. ^
Der physikalischen Übersichtskarte, wobei es sich um kleinmaßstabige Karten
handelt, ist die Berücksichtigmig des kulturellen Elementes schwer noch möglich.
Anders ist der Fall, wenn der größere Nachdruck auf das kulturelle Moment gelegt
wird. Das führt indessen zu einer besondern Art von Karten.
Die topographischen Spezialkarten, die sich von größtem Maßstab an bis etwa
zu dem von 1 : "25000 bewegen, und die Generalkarten oder Übersichtskarten von
1:50000 bis 1:2000002 giu^j j^g richtigen geographischen Karten. Wir wollen
sie geographisch konkrete Karten nermen, weil sie sich bemühen, das in der
Wirklichkeit Gegebene so naturähnüch wie nur möghch in der Bildebene wiederzugeben.
Ihnen stehen die geographisch abstrakten Karten gegenüber, die das Wesent-
liche einer Erschemmig vom Zufäüigen absondern und ganz verallgemeinert zum
Ausdruck bringen. Sie zerfallen in die chorographischen und in die angewandten
Karten.
Zu den chorographischen Karten zählen alP die physischen Karten kleinen
und kleinsten Maßstabes.* Wir bezeichnen sie im gewöhnlichen Leben als ,,Landkartexi".
Die Karten in den Maßstäben 1 : 300000 bis 1 : 500000 sind auch chorographische
Karten, da sie in erhöhtem Maße schon zur Signatur die Zuflucht nehmen müssen,
sie sind deshalb aus dem Gebiet der reinen topographischen Karte auszuscheiden
imd bilden den Übergang von den geographisch konkreten zu den geographisch al>-
strakten Karten.
Die zweite Gruppe der geographisch abstrakten Karten wird durch die an-
gewandten Karten vorgestellt. Da melden sich die allgemeinen Wirtschafts- und
Verkehrskarten, die poHtischen, ethnographischen, statistischen (diese nur teilweise)
und Bevölkerungskarten, die geophysischen Karten, imter ilmen die erdmagnetischen,
die isothermischen, isobarischen, isohyetischen mid andere Karten. Der Ausdruck
„angewandt", obwohl schon von H. Siegfried 1879 in demselben Sinne wie hier
gebraucht,* will mir eigenthch nicht recht zusagen, da es spezielle angewandte Karten
nicht gibt, denn jede Karte ist schließhch eine angewandte Karte, ganz gleich, ob
man das Angewandt auf die Herstellungsweise oder den Gebrauch bezieht. Auch habe
ich mich früher dagegen ausgesprochen*, indessen habe ich, offen gestanden, noch
keinen bessern Ausdruck gefunden. Bestimmend für mich, ihn demioch wieder an-
zuwenden, war, daß jetzt in der gesamten kartographisciien und geographischen
Literatur keine Zweifel darüber bestellen, was unter ,, angewandter Karte" zu ver-
stehen ist.*
> Vgl. hierüber auch E. v. Sydow in P. M. 1870. S. 64.
- Hierher gehört z. B. d. Topograph. Übersichtskarte <I. Deutschen Reiches in 1 : 20(MXXl
deren Bearb. bei d. preuQ. Landesaufnahme 1899 begann.
' In dem Artikel über „Kartographie" in Meyers Konversationslexikon, der der Meisterhand
E. Dobes' entstammt, heißt es S. 1010: ..Landkarten kleinsten Mulistubes sind nur noch ein ab-
straktes Bild der allgemeinsten Verluiltnisse, der Umrisse. FItichcnrämne u. Erhebungen."
' H, Siegfried: Geograph, u. kosmograph. Karten u. .Apiwrate i. d. International. Welt-
ausstcllung 1878 zu Paris. Zürich 1879. S. 7.
'' M. Eckert: Die Kartographie als VVi-ssenschaft. Z. d. Oes. f. Erdkde. t. Berlin 1907. S. 545.
• H. Fischer, a. a. O.. S. 78.
52 l^ie Kartographie als Wissenschaft.
Für die Einteilung der Karten können außer rein wissenschaftlichen Gründen
noch andere maßgebend sein. Das üblichste ist, der Zweckbestimmung zu folgen. ^
In der Hauptsache werden dabei die angewandten Karten rubriziert. Als erste
Gruppe würden hier wieder obenan stehen die geographischen Karten, imter die großen-
teils die topographischen Übersichts- und die chorographischen Karten fallen. Es
folgt die umfangreiche Gruppe der physikaüschen Karten, aus denen wir die all-
gemeinen imd besondern hervorheben; zu jenen gehören die geognostischen, geolo-
gischen, geologisch-agronomischen, die hydrographischen oder Gewässer- und die
orographischen oder Gebirgskarten, zu diesen die erdmagnetischen, meteorologi-
schen, kHmatologischen und ozeanologischen Karten mit Einschluß der Seekarten.
Die nächst wichtige Gruppe ist die der biologischen Karten, die je nach ihrem
Forschungs- und Darstellungsgebiet in ethnographische, tier- und pflanzengeo-
graphische zerfallen. Es folgen die großen Gruppen der politischen und liistorischen
Karten, der Wirtschafts- und Verkehrskarten, der Siedehmgs- und statistischen Karten.
Die statistische Karte wird, sobald sich das statistische Material nicht den geographi-
schen Methoden der Bearbeitung fügt und die Signaturen und Abbreviationen, wie
sie die statistische Darstellung auch ohne kartographischen Hintergrimd gebraucht,
einfach in das Kartenbild hineingesetzt werden, zum Kartogramm. Außerdem
gibt es Karten, die man verschiedenen Gruppen zuweisen kann; die Touristenkarte
z. B. kann geographische, orographische oder Verkehrskarte sein. ^ Schheßüch sei
noch auf die bekannten Unterschiede von Hand- und Schulkarten, Hand- und Schul-
atlas, Hand- und Wandkarte hingewiesen.
Ein großer Unterschied zwischen den konkreten imd abstrakten Karten besteht
darin, daß dort die Quellenwerke der ganzen Kartographie geschaffen, hier die Grund-
lagen nicht selbst geschaffen, sondern jenen Originalwerken erst entlehnt werden. Dort
befinden wir uns auf dem Boden der staatlichen Kartographie, hier auf dem der
Privatkartographie. Diese beschäftigt bis jetzt in höherm Maße die Geographen als
jene, zmnal die angewandten Karten auf wissenschafthchen Methoden beruhen,
deren Ursprung in den meisten Fällen direkt in die Arbeitstube des Gelehrten führt.
Ein Fehler der meisten angewandten Karten ist, daß sie ohne Geländedarstellung
sind. Und doch wird bei jeder dieser Karten das Oberflächengebilde bewußt oder un-
bewußt hinzugedacht; denn beispielsweise ist eine politische Karte ohne Terrain
nicht vollständig verständhch, ebenso nicht die kulturgeographische oder natur-
historische. Die Bevölkerungskarte sollte ohne Terrain kaum denkbar sein, und den-
noch präsentiert sie sich durchgängig ohne Gebirgszeichnimg, obwohl schon vor
Jahrzehnten K. v. Baer darauf hinwies, daß „in der physischen Beschaffenheit der
Wohngebiete das Schicksal der Völker vmd der gesamten Menschheit gleichsam vor-
gezeichnet ist", — ein Satz, der später in Eatzels Anthropogeographie mannigfach
variiert auftritt. Wohl erheben sich jetzt noch technische und pekuniäre Bedenken,
das Gelände bei den abstrakten Karten zur Darstellung zu bringen, indessen wird
man bei künftigen Karten immer mehr danach streben, das Terrain als zarte Unter-
lage des Hauptinhaltes der Karte erscheinen zu lassen. Wie hier und da bereits, er-
freuhche dahinzielende Ansätze, wenn auch noch recht zaghaft, zu erkennen sind,
werden die hier behandelten Probleme gebührend hervorzuheben wissen.
1 M. Groll: Kartenkunde. II. Berlin und Leipzig 1912, S. 7-10.
^ Als neuere Erscheinung gehört z.B. zu den Touristenkarten d. Schiroutenkarte. Mitt.d.I).
u. Ö. A.-V. 1909, Nr. 2.
Die Kartp an sich. 53
18. Kartendefinition und Kartenname. Konkrete und abstrakte Karten können
kaum die an sie herandrängende Fülle des Stoffes beherrschen; im Stoffe per se liegt
ihre Zusammengehöiigkeit von vornherein fundiert, ganz gleich, ob diese mehr kon-
kret oder abstrakt behandelt, ganz gleich, ob die Karte mit Terrain oder ohne Terrain
gezeichnet ist. Auf jeden Fall sind die abstrakten Karten von dem Allgemeinbegriff
„Karte" nicht auszuschalten, mithin auch nicht bei einer Definition über das Wesen
der Karte. So gelangen wir zu dem Ergebnis:
Die geographische Karte ist das Planbild eines größern oder
kleinern Teils der Erdoberfläche, das neben den Lageverhältnissen auch
Flächen- und Eaumverhältnisse und sodann geophysische, kultur- und
naturhistorische Tatsachen graphisch übersichtlich so zur Veranschau-
lichung bringt, daß das Ablesen und Ausmessen der dargestellten Ob-
jekte ermöglicht wird.
Mit dieser Definition dürfte wohl das Wesen der Karte erschöpft sein. Auch
das Lesen und Messen auf der Karte, womit ein wesentlicher Teil der Arbeit des wissen-
schafthchen Geographen beginnt 1, findet darin die entsprechende Berücksichtigung.
Aber die Länge der Begriffsbestimmung ist ihre Schwäche. Darum wird man sich
für gewöhnlich mit folgender kurzem Fassung begnügen köimen: Die Karte ist
das Planbild der Erde oder eines größern oder kleinern Teils der Erd-
oberfläche. Schon 1713 nannte J. G. Gregorii die Karte ,,ein Gemälde, wodurch
die Erde oder deren Teile in einer Fläche künsthch vorgebildet werden." Wer sich
mit diesen Definitionen nicht zufrieden geben will, kann ja eine von den ^delen wählen,
die am Eingang unserer Untersuchung mitgeteilt wurden (S. 48) oder die jetzt noch
folgen, die weniger das Wesen der Karte als ^-ielmeh^ ihren Zweck treffen. Wenn wir
mathematisch scharf vorgehen wollen, genügen alle gebräuchlichen Definitionen nicht,
die von der Karte als dem Planbild, der Abbildung der Erdoberfläche auf die Ebene
sprechen. Das ist nur bei Karten der Fall, bei denen man voraussetzt, daß die Karte
maßstäbhch so groß ist, daß sie praktisch dem abzubildenden Erdoberflächenstück in
jeder Weise gleich ist. Wenn es heißt, die Karte ist die Projektion der Erde oder eines
Teiles der Erdoberfläche, handelt es sich van weiter nichts anderes als um eine Kon-
struktion, eine Abbildung der Projektion nach mathematisch geregelten Gesetzen.
Ohne die Karte ist keine geographische Anschauimg möglich, ohne sie keine
rechten geographischen Begriffe, ohne sie kein geographisches Studium. Das offen-
bart gleichfalls das schon vor langer Zeit von A. Petermann geprägte Wort: ,,Die
Karte ist die Basis der Geographie"^, ein Wort, das in allen Variationen in Zeit-
schriften und Lehrbüchern wiederkehrt, im Liland wie im Ausland. W. Wolken-
hauer wiederholt es in dieser Weise: ,,Die Karte ist die Basis der Geographie imd
der wichtigste Träger aller erdkundlichen Erkenntnisse"*, womit er das weitere Wort
Petemianns zusammenfaßt: „Die Karte zeigt uns am besten, am deutlichsten und
am genauesten, was wir von unserer Erde wissen ". A. Hettner sagt: „Die Karte
' H.Wagner: Lehrbuch der Geographie. 9. -Aufl. Hannover u. Leipzig 1912, S. 252. —
A. Wedemeyer: Das Messen auf neograpliischcn Karten. Z. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin 1917,
S.96— 114. — S. femer die Berichte üIht Kartometrie im G. .1.. die K. Hammer lK>gonnen mid jetzt
von H. Haack fortgesetzt werden.
2 Aug. Petermann in G. J. I. 1«66, S. 581.
' W. Wolkenhauer: Die kartographische Darstelluni! der s«Miki-e< hien Gliedenuig der Erd-
oberfläche. Deutsche Kundsch. f. Geogr. u. Stat. 18»0, fei. 1.
t
54 nii> l\:irt..f;i-M|)liio als Wissenschaft.
ist das Gerippe des geographischen Studiums, die Natur und deren Bewohner sind
das Fleisch und Bhit": Wharton: „Good niaps are the foundation of geographica!
knowledge".!
Mehr oder weniger eng mit dem Wesen der Karte hängt ihr Name zusammen.
Spärhch treten uns Spuren über die Erforschung der Kartennamen entgegen, obgleich
auch sie einer längern Untersuchung wert wären. A. Breusing ist, soweit ich die mir
zugänghche Literatur überschaue, der einzige, der sich etwas ausführHcher mit dem
Gegenstand befaßt hat, veranlaßt durch seine Forschungen über „La toleta de
Marteloio und die loxodromischen Karten". ^
Breusing glaubt, daß wir das Wort ,, Karte" den Portugiesen verdanken, von
denen es zu den Spaniern gekommen ist. Auch im Itahenischen begegnet luis die
„carta". Indessen ist es wohl auf das lateinische „charta" (griech. xügrrjg) = Papier
zurückzuführen, wie auch der portugiesische, spanische und italienische Ausdruck
„carta" ursprünghch nichts anderes als Reisebrief, Urkunde, Zeugnis, Schriftstück
bedeutet.* Daß A. v. Humboldt nach Breusing den Ausdruck carta nicht voll-
kommen richtig erfaßt hat, ist kaum zu bezweifeln ; wenigstens ist die Carta rarissima,
von der im Kosmos geschrieben wird*, keine Karte, wie Humboldt meint, sondern
ledighch ein Bericht. Dagegen ist die ,, Carta de marear" (womit ursprünghch Segel-
anweisungen bezeichnet wurden) des Toscanelli tatsächlich eine Karte, als welche
sie auch Humboldt erkannt hatte.^ Es handelt sich um die Toscanelli-Karte vom
Jahre 1474, deren Eekonstruktion uns H. Wagner in mustergültiger Weise gegeben
hat.« Breusing selbst teilt eine Stelle aus dem Briefe Toscanellis an den Canonicus
Martinez in Lissabon mit, worin carta für Karte in unserm heutigen Sinne ge-
braucht wird.
Wenn Breusing annimmt, daß das französische „carte" (carte geographique)
keine organische Bildung aus dem lateinischen ,, charta" und auf das Spanische, bzw.
Portugiesische zurückzuführen sei, irrt er, denn charte und carte sind in gleicher Be-
deutung im Französischen belegt. In der deutschen Sprache tritt „Charte" zum
ersten Male in der „Uslegung der Meer-Charten", Straßburg 1530 von Laurenz Fries
auf. In Anlehnung an diese Wortbildung erscheint viel später erst (im 17. Jahrb.)
die Bezeichnimg „Land-Charte", die sich bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts erhält.
W.V.Goethe schrieb zunächst noch „Charte" für Landkarte, im Unterschied zu
den andern Karten (Spielkarten usw.), trotzdem wir zu jener Zeit auch schon von
Landkarte, Kupferkarte lesen.
Was wir als Karte bezeichnen, nannten die Griechen „nivu'C." und die Römer
„tabula". Vor der Renaissance entstand bereits die Ausdrucksweise ,,mappa mxmdi",
wie wir z. B. auf einer Karte von Marino Sanuto aus d. J. 1320 sehen. Daneben
gibt es in den romanischen Sprachen noch andere Synonyme, wie figura, i)intura,
1 Geography. By Reai-Adiniial W. J. L. Wharton. The National Geographica) Jlagazine.
1905, S.485.
2 A. Breusing in Kettl. Z. f. wiss. Geogr. II. Lahr 1881, S. 191, 192.
3 In dieser Bedeutung tritt uns z. B. „charta" in der bei-ühniten erst^-n Grundlage der eng-
lischen Verfassung, der „Magna charta libertatum" v. J. 1215 entgegen.
*A. V.Humboldt: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. II. Stuttgart
und Tübingen 1847, S. 305.
= A. V.Humboldt, a. a. O., S. 300, 474.
» H. Wagner: Die Rekonsti-uktion der Toscanelli-Karte v. .1. 1474 und die Pseudo-Facsimilia
des Behaim-Globus v. J. 1492. Nachr. d. K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen 1894, S. 208-312.
Dio Karto an sich. 66
imago u.a. Der tabula geographica entspricht die deutsche „Land-Tafel", ein Ausdruck,
in der Eenaissancezeit entstanden, der uns weit hinein ins 17. Jahrhundert begleitet,
wo er dann von der „Land-Charte" ganz vmd gar verdrängt wurde. Das enghsche
„Chart" (charter) und ,,card" in der Bedeutung als Seekarte scheint aus dem Hol-
ländischen nach England gekommen zu sein, offenbar durch L. J. Waghenaars
berühmte Seeatlanten au.s dem Ende des 16. Jahrhunderts, die eine ungemein weite
Verbreitimg und Behebtheit fanden, worin auch die Rede von den „Paß-Charten"
(= Seekarten) ist, weil man darauf mit dem Zirkel (niederländisch Passer von compassus)
arbeiten, messen kann. Heute noclj wird im Enghschen „chards" fast ausschließüch
für Seekarten gebraucht, zum Unterschied von den „maps", den Landkarten, worin
die alte Bedeutung von mappa mundi weiterlebt, wie auch in dem französischen
„mappemonde", in Frankreich aber schon seit Jahrhunderten nur für die Erdhalb-
kugelkarten gebraucht.
19. Die Karteneigenschaften im allgemeinen. Heben wir die guten Eigenschaften
einer Karte hervor, ergeben sich die schlechten von selbst, so daß auf diese besonders
einzugehen sich erübrigt. AusführUcher beschäftigt sich 1761 Buy de Mornas mit
den Karteneigenschaften; das betreffende Kapitel seines methodischen Atlas heißt:
„Des bonnes et mouvaises quaHtes des cartes.''^ Indessen geht er bei seiner Unter-
suchung weniger auf das Wesen der Karte und ihres Inhaltes ein als mehr auf die
äußerUche Anordnung. So hebt er bei den guten Eigenschaften hervor, daß die Länder
nicht verschiedene Gestalt auf den verschiedenen Karten haben dürfen, daß die Grenzen
benachbarter Staaten auf allen Karten übereinstimmen müssen usf. Mornas hatte
seinerzeit noch auf Dinge zu achten, die uns heute als selbstverständUch erscheinen,
wie die Wiedergabe der genauen Ortslagen nach Länge und Breite im Kartenbild, die
exakte Konstruktion der Projektion. Die schlechten Eigenschaften führt er auf vier
Quellen zurück: Auf die lücht genügende Berücksichtigimg des vorhandenen Quellen-
materials, die Verschleierung der Originale beim Nachstich dm-ch skrupellose und
gewinnsüchtige Kaufleute imd Verleger, die Gedächtnisfehler der Autoren und die
Ungeschicküehkeit der Kartenstecher.
Wir wollen uns hier nicht mit den Ursachen der Güte und der Mängel der Karten
beschäftigen, da sie, wie noch dargetan wird, besonders große Untersuchungen erfordern,
sondern lediglich mit den allgemeinen guten Eigenschaften einer Karte. Von der Karte
wird gefordert, daß sie richtig, vollständig, zweckentsprechend, klar imd
verständlich, lesbar und schön sei.^
Die wichtigste Anforderung ist die Richtigkeit oder Genauigkeit. Sie be-
zieht sich nicht allein auf die Korrektheit der Umrißzeichnimg, der Namengebmig»
und Zeichensetzung, sondern auch auf die der Wirklichkeit entsprechende Wiedergabe
der Längen- und Breitenausdelinungen und der Flächeninhalte. Es knüpfen sich hieran
hochinteressante Untersuchungen, die sowohl topographisciier wie allgemein karto-
» Atlas iiK'thodique et el^nientaire de gtogi-aplüo et d'üistoiro piir Buy de Mornas. Pmfos.seur
dl. g^ographie et d'luKtoire. Pari» 1761. 1. Blatt 26. [Nat. Bibl. raiis, 1 Ex. a\uL i. d. Hof- u.
Staat«bib!. in München.]
2 Ober Vollständigkeit, Genauigkeil und U-.sb.irkeit sjuirbt f. Vogel in P.M. 1887. S. 16:
vgl. in Aus allen Weltteilen XII, S. 162.
' \gl. u. .1. J. Part;,, h: Kine .\ufg.il.e der Karloniui.liie im KieM-ngebirgo. Hirschborg 18{t7.
56 Dii^ Kiirtographii' als Wissenschaft.
graphischer Natur sind, jene von E. Hanim(>r zuerst in sichere Form gebracht^ diese
von H. Fischer.2
Zu der Eichtigkeit gesellt sich die Vollständigkeit, die namentlich durch
den der Karte abgesteckten Eahmen und den Maßstab geregelt wird. Eine topo-
graphische Karte entspricht aus natürUchen Gründen mehr der Forderung an Voll-
ständigkeit als die chorographische Karte. Die Vollständigkeit bezieht sich hier, wie
die Genauigkeit, auf den Karteninhalt. Jede Karte muß, ganz gleich ob sie topo-
gi-aphischer oder mehr angewandter Art ist, durch ihren Inhalt, der immer eine gewisse
Vollständigkeit zeigen muß, einen Schluß auf den Stand der geographischen Wissen-
schaft erlauben. Bei der Vollständigkeit des Karteninhaltes hat zweifellos der Maßstab
das erste und letzte Wort zu sprechen. Von der absoluten Vollständigkeit der groß-
maßstabigen topographischen Karte steigen wir durch die einzelnen Maßstäbe graduell
zur relativen Vollständigkeit der chorographischen Karte hinab.
Eng ■\ei schwistert mit den vorgenannten Eigenschaften ist die Zweckmäßig-
keit. Ein imd dasselbe Erdoberflächenstück wird anders als rein topographische Karte,
anders als Touristenkarte, anders als Mihtärkarte, anders als Wirtschaftskarte, anders
als Schul,- Hand- oder Wandkarte dargestellt. Zweckmäßig muß vor allem die ganze
Anlage eines Kartenwerkes sein, mit bedingt von der richtigen Wahl der Projektion.
Zweckmäßig ist das Orientierungs-, das Vergleichskärtchen innerhalb des Rahmens
einer großem Karte.* Zweckmäßig ist das Verläßlichkeitsdiagramm, das uns über
die verschiedenen Aufnahmen eines großmaßstabigen Kartenwerkes unterrichtet.
Zweckmäßig ist das alphabetische Namenverzeichnis der Karte. Und zweckmäßig
muß das Format der Kartenblätter sein. In einem Atlas, namentlich in einem Schul-
atlas, müssen timUchst die Querkartenblätter vermieden werden, um bei der Benutzung
das fortwährende Drehen des Atlas zu vermeiden.* Verschieden ist die Anforderung
an die Karte vonseiten des Wissenschaftlers, des Reisenden, des Seemanns, des Soldaten,
des Rad- und Kraftwagenfahrers, des Landmanns, des Kaufmanns, des Wasserbau-
technikers, des Regierungs- und Verwaltimgsbeamten. Der Interessen- vmd Interessenten-
kreis der Karte wächst von Jahr zu Jahr.^ Anlage und Inhalt für einen bestimmten
Zweck abzustimmen ist sicherUch keine leichte Aufgabe; was Wunder, daß wir gerade
nach der Seite der Zweckbestimmung so vielen Fehlschlägen begegnen. Nur zu oft
entspricht der Inhalt der Karte nicht dem, was sie will oder ihr anpreisender Titel ver-
spricht. Sie sinkt dann zur bloßen Ware herab.* Zufriedenstellende Resultate mit der
Herstellung zweckmäßiger Karten hat man besonders auf schulkartographischem
Gebiete erzielt.
^ Auf die Hammerschen Arbeiten komme ich später, besonders in Teil 3, ganz besonders
zu sprethen.
2 H. Fischer: Zur Genauigkeit der Karte. G. Z. 1908, S. 185-197.
^ Kleine Kärtchen von bekannten Gebieten auf dem Kartenblatt großer weniger bekaimte
Gebiete dienen vorzüghch dem Vergleich. Dieser pädagogisch wichtigen Forderung genügen jetzt
mehr und mehr unsere Wand- und Schulatlaskarten. Im Handatlas ist dies Verfahren gleichfalls sehr
nutzbringend, wie wir es zum ersten Male angewendet finden in der Ausgabe des großen Stieler bei
der Jahrhundertwende; 3. H.Wagner: Stielers Handatlas in neuer Gestalt. P.M. 1904, S. 7.
^ In den Schulatlanten hat man darin erhebliche Fortschritte zu verzeichnen, weniger bei den Hand-
atlanten, die in dieser Richtung mit großen, nicht zu \ erkennenden Schwierigkeiten >u kämpfen haben.
'" Wer dachte z. B. vor einigen Jahrzehnten an Schikarten oder an Wahlkarten und jetzt sind
schon bestimmte Methoden für letztere au.sgebildet worden, so von H. Wiechel, von H.Haack.
" Gegen die .Jcartograplüsche Ware" zog schon vor langer Zeit E. v. Sydow in.s Fekl in .,deni
kartograph. Standpunkt am Schluß des Jahres 1859". P. M. 1860, S. 461.
Dip Karte an sich. 57
Die Karte muß klar und verständlich sein. Sie muß das, was sie veranschau-
lichen will, luizweideutig ausdrücken. Sie muß es ermöglichen, von dem dargestellten
geographischen Objekt dem Kartenverständigen einen klaren Begriff fnotio clara
geographica) zu geben, d. h. einen solchen Begriff, der scharf von andern Begriffen
unterschieden werden kann, so daß jede Verwechslung ausgeschlossen ist. Das ge-
schieht, indem das Begriffliche zusammengefaßt und das UnwesentUche ausgeschieden
wird. Das begrifflich Zusammengehörige wird imter gleiche Signatur und Farbe ge-
bracht. Dadui-ch wird die Karte üliersichtlich, was wesenthch die Klarheit der Karte
fördert. Es ist dies ein halb imbewußtes Entgegenkommen dem menschlichen Geist
gegenüber, der von früh auf sich Um- und Innenwelt begrifflich zm-echte legt.^ Inner-
halb der gleichen Kartengruppe wird je nach Zweck und Bedürfnis eine weitere begriff-
hche Scheidimg vorgenommen. Beispielsweise müssen auf einer Verkehrskarte die
verschiedenen Verkehrswege und -Systeme unterschiedlich (qualitativ yne quantitativ)
zum Ausdruck kommen. So soll die gute Terrainkarte die Hochebenen von den Tief-
ebenen klar unter.scheiden, die Kettengebirge von den Massengebirgen, die Steilküsten
von den Flachküsten u. a. m.
Ermöghcht es die Karte, daß selbst einzelne Merkmale des geographischen Ob-
jekts bis zu den einfachsten geographischen Elementen klar vorgestellt werden können,
dann wird das geographische Objekt deutlich (notio perspicua geographica) erkannt:
es ist damit vollständig bestimmt (distincta). Eine solche Karte könnte alsdann auch
als deutlich bezeichnet werden. Dieser Forderung zu genügen, geUngt der Karte im
allgemeinen nicht. Ganz abgesehen davon, daß hier der Maßstab gleichfalls ein Wort
mitzureden hat, -«-ird nur derjenige deutliche Begriffe aus dem Kartenbild herauslesen
können, der sich jahrelang mit dem Kartenstudiuni beschäftigt hat und der dem
wissenschaftUchen Gedankengang des Kartenzeichners zu folgen vermag. In bezug
auf die begriffhche Deutlichkeit ist der Karte eine Schranke gezogen, die auch in Zu-
kunft nicht fallen wird. Dafür muß eben die geographische Beschreibung nachhelfen
(s. Karte und Buch, §23). Unter Klarheit der Karte sollte fürderhin nur die begriffhche
verstanden werden.^ Was jetzt allgemein als Klarheit der Karte bezeichnet wird, ist
nichts anderes als die Lesbarkeit der Karte. Daß diese die Klarheit ganz hervorragend
unterstützt, bedarf weiter keiner besondern Betonung.
Die Karte soll lesbar und schön sein. Das Lesbare und das Schöne des karto-
graphischen Erzeugnisses liegen weniger auf der inhalthchen, wissenschaftlichen als
mehr auf der äußerlichen, technischen Seite. Die Lesbarkeit besteht in dem Arrange-
ment der Kartenzeichen und -namen, in der Sauberkeit und Schärfe des Stiches imd
Druckes. Die Schönheit beruht in der Eleganz des Stiches und Druckes, in der takt-
vollen Abstimmimg der Situation (Flußstärke!), der Kartenzeichen und -namen zum
gesamten Kartenbild, insonderheit bei den farbigen Karten noch in der geschmack-
vollen und sach- und sinngemäßen Anwendung der Farbe.
Die dem verfeinerten Geschmack des großen Pubhkums entgegenkommende
Leistungsfähigkeit der Technik erfordert auch eine äußerUch vervollkommnete .\us-
stattung.' Im Farbendruck haben wir ein glänzendes Mittel, der Karte inhaltlioh meiir
• E. Friedrich: Die Anwendung der kartogr. DftrstoMnMp'mittol auf \virt.sohaft«gcogr. Kurten.
Habiht.-Schrift. Leii.zig 1901. S.S.
ä So ist sich H. Zondorvan in seiner .Allgeineiiien Knikund.-. U'ip/.ig lUOl. S. I7f.. 177. iiher
den Begriff der DeiitUcIikeit nicht klar.
' Dies wuixle schon vor vielen De/.ciuüon von K. v. Sydow betont. l>er kartogniiili. iStand-
58 Die Kartographif als WiseenspViaft.
als bisher zuzumuten und fernerhin auf ihr systematische und begriffliche Unterschei-
dungen zum Ausdruck zu bringen. Schon das Altertum wußte die Farbe auf der Karte
zu schätzen.^ In ihren Zeichen und ihrem Parbenkolorit muß die Karte wohltuend
auf das Auge und anschaulich auf den Creist wirken, also durch und durch ein harmo-
nisches Bild sein. Harmonie bedeutet Ordnung und Zweckmäßigkeit. Die Harmonie
stellt die größten Anforderungen an den Kartographen, sie ist eine Klipjje, wie
H. Fischer sehr richtig hervorhebt^, an der viele scheitern.*
Mit Vorstehendem dürften sich die guten Eigenschaften einer Karte im allgemeinen
erschöpfen. Es verbleibt bloß noch eine Anzahl von Eigenschaften, die mehr den Wissen-
schaftler als den Laien interessieren, wenn man beispielsweise verlangt, daß die Karte
meßbar, gleichwertig, ihre Projektion und damit sie selbst flächentreu, winkeltreu,
längentreu, mittabstandtreu usw. sei. Letztere Eigenschaften bilden die Materie zu
einem wichtigen Sonderuntersuchungsgebiet. Die Meßbarkeit und Gleichwertigkeit
könnte man allenfalls unter die Eigenschaften mit einrechnen, die die Harmonie der
Karte bedingen. Weim man verlangt, daß die Karte meßbar sei, hat man damit eine
Eigenschaft im Auge, die meist einem ganz bestimmten Zwecke dient. Das Messen
auf der Karte, die Kartometrie (S. 11, 53), ist ein neuerer wichtiger Zweig der
Kartenerkenntnis und der Kartendeduktion geworden.* Nach H. Wagner ist
geradezu die Grundaufgabe der Geographie eine messende.
Für ein harmonisches Bild, wie es die Karte sein will, ist es wichtig, daß alle Karten-
elemente, die die Karte aufbauen, gleichwertig sind. Die mathematisch begründete
Aufnahme- und Konstruktionsmethode liefert das Gerippe und die Zeichenkunst das
punkt Europas am Schlüsse des Jahres 1856. P. M. 1857, S. 1. — Herrliche Illustrationsbeispiele
lüerzu liefert Stielers Handatlas (H. Wagner in P. M. 1904, S. 8) und besonders auch J. Bartho-
lomews' Survey Atlas of England and Wales.
' Wir wissen dies von der sog. „nubischen Goldminenkarte". — 1909 hörten wir, daß Prof.
Spiegelberg aus Straßburg eine griechisch-ägyptische Landkarte aufgefunden habe. Sie stammt
aus d. 3. Jahrh. v. Chr., stellt einen Bezirk aus dem Gau von Aphioditopolis dar imd ist außer anderm
auch durch die Anwendung von Farben interessant.
2 H.Fischer: Die Beurteilung der Landkarte. In: Geograph. Ausstellimg des Deutsch.
Buchgewerbevereins. Leipzig 1921, S. 14.
3 Merkwürdigeiweise hat, wie auch Fischer hervorhebt, auf diese Klippe E. v. Sydow nicht
aufmerksam gemacht, als er in seinen Drei Kartenklippen {G. J. I. 1866, S. 348—361) von den
Schwierigkeiten der Verebnung der Sphäroidgestalt der Erde, der Darstellung von Hoch und Tief
des Erdbodens und der Verkleinerung (Generalisation) der geographischen Objekte in der Karte sprach.
* Die Kartometrie zerfällt ihren Arbeitsrichtungen nach in drei Arten. Zunächst in die
Linearmetrie. Diese hat es mit der Ausmessung von Linien zu tun. In beschränktem Maße, in-
sofern es sich um die Ausmessung von Entfernungen und Wegen handelt, kann sie bereits auf elemen-
taren Unterrichtsstufen gelehrt und angewendet werden. Weiterhin beschäftigt sich die Kartometrie
mit der Ausmessung von Flächen; sie ist auf dieser Stufe Arealmetrie. Je nachdem die Flächen,
die ausgemessen werden sollen, horizontal oder geneigt sind, unterscheiden wir die Horizontal-
oder gewöhnliche Arealmetrie und die klinotatische Arealmetrie oder kurz Orometrie.
Letztere ist immer nur Flächenausmessung oder Flächenraummessung, nie aber Raummessung. So
setzt fälschlicherweise H. Zondervan (AUg. Kartenkunde, Leipzig 1901, S. 162) Orometrie =
Raummessung. Die Schwierigkeit kartometrischer Aufgaben steigert sich mit der Berücksichtigung
weiterer geometrischer Größen. So sind denn auch die Aufgaben der Raummessung oder Inhalts-
messung oder Volumetrie am langwierigsten. — In der Kartometrie ist der Planimeter ein wichtiger
Kontrolleur statistischer Arealangaben geworden. Besonders haben sich auf diese Weise die Areal-
angaben südamerikanischer Staaten eine bedeutende Reduziemng gefallen lassen müssen. Vgl.
A. Supan: Die Bevölkenmg der Erde. XII. P. M. Ergh. 146. 1904, Sj.61, 70; femer die Angaben
über schwankende Arealangaben südamerikan. Staaten im Gothaischen Hofkalender 1921.
Die Karte an sich. 59
anschauliche Bild. Mit der AnschauUchkeit muß die den natürlichen Erscheinungen
eigene Wahrheit gepaart sein. Sie ist für die Karte das Resultat einer verständnis-
vollen Durchdringung der toten Form zur Erkenntnis der gesetzmäßigen Bildung und
folgenreichen Bedeutung.^ In dem Kausalnexus dieser drei Glieder des Aufbaues einer
Karte scheint in neuerer Zeit vielfach das zweite und dritte Ghed auf Grund der hohem
Ausbildung des mathematischen zu leiden. Im Interesse eines guten Kartenbildes
und der Bedeutung der Mitarbeit am Aufbau eines solchen Werkes soUte niemals über-
sehen werden, daß die drei Gheder, die mathematische Grundlage, die zeichnerische
Ausstattung und die verständnisvolle Anschauung und Herausarbeitung der terre-
strischen Gebilde oder von physisch-geographischen und anthropogeographischen Tat-
sachen gleichwertige Elemente bei einer Karte sind. Damit wollen -nir die hohen An-
forderungen, die an eine gute Karte zu stellen sind, schließen. Je nachdem die Karte
diesen Anforderungen nachkommt, wird es sich zeigen, ob sie ein harmonisches und
organisches Ganzes ist oder nicht.
20. Die Karte als Ruhepunkt in der Erscheinungen Flucht. Die Karte strebt
emem hohen Ziele zu, aber auch einem außerordentlich schweren. Vollkommen, d. h.
restlos wird die großmaßstabig konkrete Karte allenfalls das Ziel erreichen, nie jedoch
die abstrakte. Bei einer kritischen Analyse der Karte darf, um dies schon vorweg zu
nehmen, nicht übersehen werden, durch wieviele Hände das Werk gegangen ist, bevor
es vollendet vorhegt. Ein weiter Weg mit unzähhgen Zw-ischenstufen ist es von der
Neuaufnahme bis zum Meßtischblatte und wiederum vom Meßtischblatte bis zur W^and-
karte. Hierin hegt offenbar eine Schwäche der kartographischen Arbeit.^ Bei dem
deutschen Meßtischblatt allein vergehen etwa drei Jahre zwischen topographischer Auf-
nahme und Herausgabe. 1719 bereits wurde von Ad. Fr. Zürner in seinem ,,Kurtzen
Entwurf f vom Gebrauche, Nutzen und Preisse der Newen Chursächsischen Postcharte"
geschrieben: , .Allein wie richtig solche — die Landkarten — gemachet, kann ein jeder
beurteilen, der weiß, was für unsägliche Kosten, Arbeit, Zeit und Wissenschaft er-
fordert wird, etwas accurates hierinnen zu praestiren." Es sind vielerlei Kenntnisse
nötig, um eine Karte richtig einschätzen zu können; denn die Mathematik bestimmt
das Gerüst (Kartennetz), Geodäsie und Geographie den Stoff, Maßstab und Zweck
den Inhalt ( Stoff auswahl) und die jeweihge Kartentechnik den Grad der Wieder-
gabe des Kartenbildes. Die best entworfene und gezeichnete Karte wird nicht zur
Geltung kommen, wenn das technische Verfahren versagt. Ebenso ist gewiß, daß die
voUendcste Technik nicht über die Mängel des Kartenentwurfs hinwegtäuschen kann.-'
Die Karte ist der mehr oder minder gelungene oder abgeklärte Niederschlag
des geographischen Wissens einer Zeitperiode. Die alte Karte mit ihrem phantastischen
Beiwerk wird gern als ein Kind ihrer Zeit hingestellt, doch auch die heutige Karte ist
nicht minder ein Kind ihrer Zeit. Unser exaktes geographisches Wissen bückt erst auf
eine kurze Spanne Zeit der Entwicklung zurück. Verschiedene Zweige der Geographie
sind kaum ihrem embryonalen Zustand entwachsen. Nicht einmal der europäische
Erdteil ist gleichwertig exakt vermessen und da noch nicht alle Gebiete der heute
kulturell höchststehenden Staaten, geschweige denn die auswärtigen Kontinente; imd
' K. V. Sydow : Der kartogr. Standpunkt Europas vom Jährt- 1870 u. 1871. P. M. 1872, S. 3i:i.
- A. Petermaiin klagt über die obwaltenden Mißstände bei einer Betmchtvmg Ulior die Voll-
endung der neuen Ausgabe von A. Stielers Hanilatliis. P. M. 1870, S. 2.
■> C. Vogel: Übersichtskarte von Miltileuroiw. P. M. 1S87. S. 16.
60 D'P KMi-tographio rIb Wissenschaft.
dennoch zeichnen wir bereits verhältnismäßig detailierte Karten von Asien und Afrika.
Das Detail ist aber nm- scheinbar, bedingt dui-ch den Maßstab gegenüber den großen
Landkomplexen. Unsicher sind selbst die Höhenbestimmungen hervorragender Ge-
birge. ^ Der Kartograph muß mit großem Geschick und Sachverständnis die richtige
Höhenzahl auswählen. Dabei kann ihn der Geograph am besten imterstützen (s.S. 6, 41).
Vielfach ist es der Karte nicht möghch, die wünschenswerte Genauigkeit zu er-
reichen. Ein Vorwurf ihr gegenüber ist alsdann auch unberechtigt. Noch unter der
Hand des Zeichners veraltet die Karte. Das ist zwar für den Kartenzeichner oft schmerz-
hch; doch seine Schaffensfreude besiegt dieses Unlustgefühl und der Drang, der Er-
scfieinimgen Flucht Meister zu werden. Keine Karte veraltet so schnell wie die Land-
karte großen Maßstabes der Industriegebiete und viele Spezialkarteii. Vor allem sind
es die Werke durch Menschenhand, die das Antlitz der Erde rapid verändern. Aber
auch die Naturkräfte tragen das ihrige bei. Die Wirkungen von Regen, Eis, Wind und
fheßendem Wasser zerstören die Erhebungen über dem Meeresspiegel, an den Meeres-
küsten nagen die brandenden Wogen, die Vulkane zertrümmern alte Erdschollen oder
schaffen neue. Allüberall ein unausgesetztes Eegen und Bewegen, Zerstören und Auf-
bauen. In dieser Erscheinungen Flucht bezeichnet die Karte einen Euhepunkt.
Neben der Registrierung der fortwährenden Veränderungen der Erdoberfläche
häufen sich von Tag zu Tag die geodätischen und andern Aufnahmen, die Reisebeschrei-
bungen und allerlei geographische Beobachtungen. Das kartographische Material
schwillt schier unübersichtlich an. Und trotz des seit Jahren riesenhaft angewachsenen
Nahrungstoffes ist die kartographische Kenntnis unserer Erde eine bedeutend geringere
als allgemein geglaubt wird.^ Die Hauptsache jedoch bleibt für die Karte, daß kein
Punkt, keine Linie darin ist, die nicht ihre Berechtigung hat, so daß die Karte jederzeit
das treue Spiegelbild vom Stande des geographischen Wissens ist.
21. Autor- und Datumangabe der Karten. Namenindex. Die wissenschaftliche
Kartographie kann der Karte nach ihrem Habitus und Wesen nur einen approxima-
tiven Wert beilegen, es handle sich denn um Karten in solchen Maßstäben, wie in
1 : 5000 und noch größer, die keine Übertreibimg bei der Darstellung der Dinge im
Räume nötig haben. Trotz der Erkenntnis des approximativen Wertes wird daran nichts
zu ändern sein, daß die chorographische und angewandte Karte jederzeit auf Grund
ihrer bestimmten Zeichen mit einem bestimmten Selbstbewußtsein auftritt. Es läßt
sich nicht in Abrede stellen, daß die Karte etwas SelbstherrUches und Diktatorisches,
ein unbedingt Gewisses zur Schau trägt; sie tritt mit einer Bestimmtheit auf, die so
leicht keinen Zweifel aufkommen läßt.* Der wissenschaftHohe Charakter muß das
^ Beispielsweise hat das Demavendgebirge in der persischen Provinz Masanderan nachweislich
schon 31 verschiedene Höhenbostimmungen erfahren, deren niedrigste zu 4267 m auf Kotschy und
deren höchste zu 6636 m auf Brugsch, Minutou und Nicolas zurückführen. Vgl. O. Lorentzen:
Die mittlere Höhe von Asien. Diss. Kiel 1906, S. 167-169.
* Was C. Vogel schon vor Jahren schrieb, gilt gleichfalls heute noch Wort für Wort: „Unsere
kaitographische Kenntnis der Erde ist trotz der mit jedem Jahre sich mehrenden Vermessungen und
Entdeckungsreisen zu Lande und zu Wasser eine weit geringere als man gewöhnlich annimmt. Dadurch,
daß wir gewohnt sind, auf unsem Karten so ziemlich alle Länder der Erde in gleichmäßiger Ausführung
zu sehen, werden wir unwillkürlich veranlaßt, auch alle gleichmäßig in bezug auf Genauigkeit und
Vollständigkeit zu beurteilen. Und doch wäre nichts falscher als das."
" Daruni sind die Irrtümer der Karte so gefährlich, wie sich leicht bei einem Gang durch die
Geschichte der Entdeckungen verfolgen läßt. Beim vorwärtsschauenden Blick wird die Kluft zwischen
Darstellung imd absoluter Wahrheit immer kleiner, beim retrospektiven immer größer.
Dio Karte an sicli. 61
gebührend würdigen und sich den Shin für 'Qualität, Wirklichkeit und Ursächlichkeit
nicht trüben und täuschen lassen. Gewiß hat es die Kritik in diesen Fällen nicht leicht;
leider sehen wir sie nicht selten sich mit Gemeinplätzen begnügen, mit denen indes
weder der Wissenschaft noch einer ernst vorwärtsstrebenden Kartographie ge-
dient ist.^
Der Kartograph selbst muß mit der gi-ößten PeinUchkeit imd Sorgfältigkeit an
sein Werk herangehen und selbst die größte Kritik an ihm üben. Sodann ist die Evident-
oder Au-courant-Haltung (die augenbückhche Gewißheit) der Karten ebenso wichtig
wie die Schöpfung der Karte. ^ Auf alle Fälle ist der Kartograph der Kritik gegenüber
sichergestellt, sobald das Datum der Herausgabe oder Korrektm, bzw. Revision dem
augenbhckhchen Stand der Dinge soviel wie möglich entspricht.
Man sollte meinen, daß die Datierung auch auf chorographischen Karten etwas
Selbstverständliches sei, da schon Mercator in dieser Hinsicht mustergültig vor-
gegangen war, denn auf seiner berühmten Weltkarte lesen wir: Duysburgi mense
Augusto 1569. Seinem Beispiel folgten einige gewissenhafte Kartographen. Doch
war in der Folgezeit besonders bei der Art und W'eise der gegenseitigen mehr wie
weitherzigen Kartenbenutzung der gute Brauch der Datumangabe überflüssig geworden,
bis erst Guillaume Delisle (1675—1726) auf seinen Karten wieder mit einer
ausführlichen Zeitangabe an die Öffentlichkeit trat.^ In den Homannschen Vor-
schlägen (Nürnberg 1747, S. 10) wird auf die Wiedergabe des Jahres der Herausgabe
der Homarm sehen Karten mit Stolz hingewiesen.
Die engUschen und französischen Karten des 18. Jahrhimderts zeigen im großen
und ganzen eine leidHche Datierung. Namenthch verfahren die Engländer zuweilen
höchst peinUch, indem sie Tag und Monat der Veröffentlichung verzeichnen.* Im
Deutschland des 18. Jahrhunderts war mid bheb das Datum der Kartenherausgabe
etwas Seltenes; erst das kommende Jahrhundert brachte eine auffälhge Besserimg, als
das J. Perthessche Institut mit der genauen Datierung begann. Insonderheit ist der
Stielersche Handatlas mustergültig geworden.^ In seineu anregenden Kartenaufsätzen
und -besprechungen legte C. Vogel den Kartenzeichnern mehrmals ans Herz, „auf jeder
Einzelkarte die Jahreszahl ihres Erscheinens oder die Neuauflage zu verzeichnen. Es
ist eine Forderung, welcher sie sich im eigensten Interesse unterziehen müssen, sollen
nicht unliebsame Schlüsse daraus gezogen werden".* In ähnlicher Weise spricht sich
H.Wagner aus; er betont außerdem noch das Gefühl der Verantwortlichkeit.'
^ Ein lehrreiches Beispiel für die Veranschaulichung der schnellen Veränderung auf karto-
)»raphischem Gebiete ist das ,, Probeblatt zur Überaicht der Korrekturen", das sich auf die Vereinigten
Staaten bezieht und als Taf. 20 dem Jahrgänge 1890 von P. M. beigefügt ist.
- Wie die kartogiuph. Publikationen auf dem Laufenden zu erhalten sind und worin die Kor-
rektur einer Karte besteht, darüber vgl. C. Vogel in P. M. 1893, S. 218-220.
^ So fand ich [in d. Nat.-Bibl. in Paris] von G. Delisle eine „Hemisphero septentrional" und
„Hemisphere meridional" vom Juli 1714, femer eine „Mappemuonde" vom 15. April 1720.
* Unter vielen Beispielen sei genannt: A plan of the Town of thc Cape of Good Hope and its
environs, taken by Monsr. Bourset, in December 1770. London, publistred by Wni. Faden. Nov. 20.
1795. [Bibl. der K. Geogr. Ges. in London.]
' Der Andreesche Atlas zeigt erst von der vierten Ausg. an dio genaue Datiei-ung, E. Dobes"
Handatlas von Anlang an.
* C.Vogel im Geograph. Monatsbericht über „Reliefkarte der Sihweiz" 1:530000 von
K. Leuzinger. P. M. 1884, S. 429. - Ders. inP. M. 189:!, S. 220.
' H.Wagner: Stielers Handatlas in neuer Gestalt. P. JI. 1904, S. 3. — Lehrbuch, a. a. O.
S. 13, Aiuu. 17.
g2 Di« Karto^rajjliii'. als Wissenschaft.
Auf den deutschen offiziellen Karten hat die Datierung verhältnismäßig spät an-
gefängen.i
Die Autorenangabe hält man gleichfalls für etwas Selbstverständliches. Aber
anch sie hat Jahrhunderte gebraucht, bevor sie als etwas allgemein Gepflegtes durch-
gedrimgen ist. Unter den 103 Karten des ersten Atlas von Blaeu „Appendix Theatri
Ortelii et Atlantis Mercatoris" aus dem Jahre 1631 tragen nm- 27 den Autornamen
imd gar nur 7 die Jahreszahl. Etwas besser ist die Autoren- und Quellenangabe auf
den Karten im ,, Atlas contractus" aus der Mitte des 17. Jahrhunderts von
J. Janssonius. Auf einigen neuen Karten, die die Homannschen Erben heraus-
gegeben hatten^, werden die Namen der Zeichner erwähnt und teilweise die benutzten
Quellen angegeben. J. Chr. Adelung rühmt als etwas Besonderes bei der Be-
sprechung einer Karte ,,das aufrichtige und bei Kartenhändlern so seltene Bekenntnis
der Quelle."^ Daß eine besondere Quellenangabe auf Öpezial- und verwandten Karten
erfolgen müsse, war sogar ein Antrag von J. de Schokalsky auf dem VII. Inter-
nationalen Geographen-Kongreß üi Berlin 1899.*
Erwähnenswert im Gange unserer Untersuchmig ist auch die Einriclitung der
Namen-Indizes bei den Atlanten. Mercator gab den einzehien Blättern seines Atlas
mid andern wichtigen Karten ein Namenverzeichnis bei. Diese Sitte wurde haupt-
sächlich in Frankreich und England weiter gepflegt. Die Methode, die Karte in bestimmte
Gebiete einzuteilen, um die Namen schnell zu finden, scheint zum ersten Male in Bayern
im 17. Jahrhundert auf den Karten von G. Ph. Fink h angewendet worden zu sein.* Der
erste moderne Atlas, der mit einem vollständigen alphabetischen Namenregister ver-
sehen war, ist Johns tons' Eoyal atlas of modern geography, London 1855. Die bei-
gegebene gedruckte Liste mit etwa 150000 alphabetisch geordneten Namen weist auf
die Quadrate hin, in denen die Orte aufgefunden werden. Dieser sehr zweckmäßige
Modus der engUschen Atlanten fand erst nach einem Menschenalter in den deutschen
Atlanten Nachahmung. In Schulatlanten ist der erste nennenswerte Versuch durch
H. Haack in seinem Oberstufenatlas (1913) gemacht worden, nachdem auch hierin
die Engländer schon längst dazu das Muster gegeben hatten.« Bei Einzelkarten ist
1 Auf den Blättern der Topographischen Karte des Preußischen Staates 1 : 80000, die ich auf
der Göttinger Universitätsbibliothek einsah, finden sich von Nr. 8 an Jahreszahlen, 1843—1854, auf
einzelnen Kartenblättem.
2 Zu den neuen Karten gehören auch Spezialkarten, so z. B. die Charte von den zu dem
Pegnitzkreise gehörigen Landgerichten Nürnberg, Altdorf, Hersbruck, SchBaittach, Gräfenberg und
dem größten Teil des Landgerichts Schwabach. 1809. [Nürnberger Stadtbibliothek].
3 Joh. Chr. Adelung: Kritisches Verzeichnis der Landkarten und vomelunsten topographi-
schen Blätter der Chur- und Fürstlich- Sachs. Lande. Meißen 1796, S. 29.
* Was man da forderte (Verh. I. Berhn 1901, S. 96 und 97), wurde schon längst von der
deutschen Kolonialkartographie befolgt, die z. B. der Karte von Deutsch-Ostafrika 1 : 300000 bei
jedem einzelnen Blatt« eine austührhche Legende beifügte, worin das grundlegende Routenmaterial
mitgeteilt wurde. Die Kolonialkarten anderer Länder köimen sich in dieser Sorgfalt nicht mit den
deutschen messen.
5 I^nd zwar fü- die verkleinerten Landtafeln Apians in 1 : 265 000 (ca.) mit Hinzufügung der
Oberpfalz, Augsburg 1684. - Vgl. auch H. Lutz: Zur Geschichte der Kartographie in Bayern.
Jahresb. der Geogr. Gesellsch. in München 1886. München 1887, S. 97.
« Desgleichen sind bei J. Perthes auch die Taschenatlanten, „Atlas antiquus" und „Taschen-
atlas vom Deutschen Reich" mit Namenverzeichnissen ausgestattet, leider nicht der gewöhnUche
Taschenatlas. Dessen italienische Nachahmung, der „Atlant« geografico tascabile" von G. deAgostini,
Rom 1902, ist gleich mit einem solchen Verzeichnis erschienen, desgl. Philips' Handy-volume atlas
of the world, by E. G. Ravenstein, London s. a. ,
Die Karte au sich. 63
C. Vogels Karte des Deutschen Keichs mit ilireui Niimenindex mustergültig vor-
gegaugeu.i Als eine ausgezeichnete Einrichtimg empfinde ich, daß neben der allgemeinen
Inhaltsübersicht der Karten eines Handatlas noch eine zweite Übersicht gegeben wird,
die die im Atlas enthaltenen Karten in systematischer Anordnimg bringt, also die
Karten zm- physischen Erdkunde, zur Völker-, Sprache-, Eeligions- und Volksdichte-
verteilung sowie zur Wirtschaftsgeographie und Bürgerkunde zusammenfaßt.*
22. Der Eartenkommeutar. Das Kartenblatt mit Erläutenmgen zu versehen
wurde Brauch, als man sich über die Quellen und den Zweck der Karte Rechenschaft
zu geben anfing. Mercator ^snude auch hier wieder maßgebend, sei es in den Kommen-
taren, die er seinen Atlanten imd Kartenwerken besonders beigab, oder sei es in den
Erläuterungen, die er seinen großen Einzelkartenwerken mit aufdrucken ließ, so bei
der Europakarte von 1554 und der Weltkarte von 1569. In der Legende „Benevolo lec-
tori" auf der Europakarte spricht er sogar über die Art seines Arbeitens.^
Seit den Tagen Mercators sind die Kommentare immer ein notwendiger Be-
standteil der Karten geblieben, wenn ihre Bedeutimg in neuerer Zeit auch weniger
in Erscheinung tritt als früher mid vielfach sogar erloschen ist. Die umfangreichen Er-
läutenmgen, die insonderheit in älterer Zeit den Karten beigegeben wurden, sind Zeugen
dafür, wie nm- auf wissenschafthchem Boden ein derartig inniges Zusammengehen von
Karte und Text entstehen konnte. Im Grunde genommen ist es zu bedauern, daß in
unserer rastlos und nervös vorwärts stürmenden Zeit, wenn schon das Bedürfnis, aber
keine Zeit vorhanden zu sein scheint, die Karten mit ausführlichen Erläutenmgen und
Bemerkimgen besonders in bezug auf das Quellenmaterial in die Welt hinauszusenden.
Die Blütezeiten der Kommentare waren in der Mitte des 18. und 19. Jahrhunderts.
Im 18. Jahrhundert waren es verschiedene Kartenwerke Homanns, die mit er-
läuterndem Text versehen wurden. Diese Arbeiten reichten jedoch nicht an die von
d'Anville heran, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen. Im 19. Jahrhundert
schritt auch in dieser Beziehung für Deutschland und Ausland die J. Perthessche
Anstalt in Gotha als Musterinstitut voran.* In allen Kulturländern, in der Schweiz,
1 The College Atlas, for schools and faiiülies; with an alphabetical index of the latitudes and
longitudes of 30000 places. Published by H. G. Collins, London s. a. [Ein älterer Atlas. In der Bibl.
von J. Perthes in Gotha.]
- Für einen Handatlas zum ersten Male angewandt (in Sthiilatlanten schon länger in Mode)
in Andrees Allgemeinem Handatlas i. d. Ausg. von E. Ambrosius. Bielefeld u. Leipzig 1914.
ä „Primum quam plurimoruni loconun distantias, quod ex optiniis quibusque autoribus.
tum ex itinerariis, partim ab aliis partim a nobis ex multonmi relatu conquisitis, effecimus. Alteruni
(lirectiones nauticas, quibus a loco in locum recto cursu secundum certam coeli regioneni navigatur.
hoc nobis praestitenmt tabulae hydrographicae caatigatissimae, et variae navigationis scriptae
Tertium latitudines oppidorum fideliter obseniatas, quas paucas nobis veteres scriptores contu-
lonint, plures modemi."
* So z. B. bei allen wichtigem alten Stielerkarten; bei den Petermannsclien Karton „Xeue
Karte der Dänischen Monarchie" (P.M. 1862, S. 223-228); „Neue Karte der Südix>larregionen"
(P.M. 1863, S. 407 248); „Neue Karte von Kapland, den Südafrikanischen Kreistaaleii imd dem
Gebiet der Hottt-ntotten imd Kaffem" (P. M. 1867, S. 1011 -108). Beachtenswert sind femer die
Bemerkungen zu der „Karte von ContralEuropa" zur übersieht dos Standpuiiktos der griiß»>m Lnnd-
aufnahmen bis 1857 von A. Petormanii (P. M. 1857, S. I08ff.). Die Stmß«Mikarte der Aljion und
des nördlichen Alpennin von Herrn. Berghaus erschien mit einoni 24 Seiton langen Text, der der
Karte, wie E. v. Sydow treffend bemerkt, einen hohem Wert verleiht, wenn er sieh auch nur auf die
Alpenstraßen bezieht (P.M. 1860, S. 461). Berühmt ist das Memoire zur Karte \-on Innor-Mrikn,
von A. Potcrmann und Br. Hassensteiu (P. M. Ergh. 2. 1862/63), in der Hauptsache von letzterni.
64 l>i<' Kartographie als Wissenschaft.
deu Niederlanden, in Frankrpich, Italien, England, Eußland und den Vereinigleii
Staaten von Amerika finden wir umfangreiche wissenschaftliche Erläuterungen zu
Einzelkarten xmd Gesamtkartenwerken aus alter und neuer Zeit, ganz besonders jedoch
in Frankreich.
Wenn oben das Weglassen von Erläutermigen bedauert wurde, muß man jedoch
auch den Ursachen gerecht werden, die zu der mehr und mehr verlilassenden Zugabe
von Erläutermigen geführt haben. Zmiächst sind sie in dem umfangreichen geo-
graphischen Wissen der jetzigen Zeit zu erbhcken und sodann in dem reichern Besitz
von geographisch wissenschaftlichen Werken, die einen Eückschluß auf das Quellen-
material der Karte unter Umständen erlauben.^ Außerdem muß ruhig eingestanden
werden, daß viele ältere die Atlasblätter erläuternde Eepertorien wegen ihres katalog-
artigen Charakters den eigentlichen Zweck kaum erfüllt haben dürften. Auf anderer,
an sich berechtigter Stufe stehen die Begleithefte zu den topographischen Karten, die
die Positionen und Höhen aller trigonometrisch vermessenen Punkte oder die Lage
der Ortschaften nachweisen.^ Für viele wichtige Kartenwerke der neuesten Zeit, be-
sonders für angewandte Karten, dürfte das Weglassen der Erläutermigen manchmal
doch als ein Mangel empfunden werden. ^
und femer dessen Bemerkungen zur Karte der Region des Kilimandscharo und Kenia (P. M. 1864,
S. 449—456). Als weitere ausgezeichnete Beispiele gelten die Bemerkungen zu Berghaus' Chart of
the World (Gotha, J. Perthes, 8. Aufl.), sowie die Erläuterungen von C. Vogel zur „Neuen Karte
der Spanischen Halbinsel" (P.M. 1871, S. 321 ff.) und späterhin zur „Neuen Karte der Balkanhalb-
insel" (P. M. 1890, S. 42—46). — E. v. Sydow hatte 1856 seiner Wandkarte von Australien einen
begleitenden Text beigegeben, der mit seinen 72 Seiten eine vollständige Geographie Australiens gab. —
Nicht vergessen sei die Denkschrift, die F. Geerz seiner „GeneraLkarte von den Herzogtümern
Schleswig, Holstein und Lauenburg, den Fürstentümern Lübeck und Ratzeburg und den Freien
imd Hanse-Städten Hamburg und Lübeck (1 : 450000. BerUn 1859) beigab, die zu iirer Zeit bereits
als ein Muster kritischer QueUenbearbeitung hingestellt wirrde. E. v. Sydow sagt darüber in der Ab-
handlung über den ,, Kartographischen Standpunkt Europas am Schlüsse des Jahres 1859 (P. M.
1860, S. 415): „Für die Kartenkunde ist diese Denkschrift ein überaus schätzbarer Beitrag und imserm
alitäglich wachsenden Heere von Kartenzeichnern mag sie ein Fingerzeig sein für die eigentUch
hohe Aufgabe, hinter welcher es zu einem großen Teile sehr weit zurückbleibt." — An diese Kom-
mentare schlössen sich die von H. Kiepert an, unter den modernen Vertretern die von H. Fischer,
z. B. dessen kritischer Text zur Karte von Ostasien in der Rio hthofen- Festschrift. Unter den
neuem Kartenerläuterungen seien hier auch die zu den Karten der Deutschen Kolonien (in den
großem Maßstäben 1 : 300000, bei Dietr. Reimer in Berlin) wegen ihrer Sachlichkeit und lako-
nischen Kürze hervorgehoben.
^ So vermissen wir nicht mehr die Erläutenmgen zu den physikahschen Atlanten, wie sie
noch dem Physikalischen Atlas von Heinr. Berghaus 1837 oder dem Atlas zur- Physik der Welt
(zu A.V.Humboldts Kosmos) von Traugott Bromme 1851 beigegeben wurden, seitdem wir
solche ausgezeichnete Lehrbücher der physikahschen Geographie, wie die von A. Geihie, A. de
Lapparent, A. Supan, E. deMartonne, E. Brückner, W. Ule, A. Philippson u.a. besitzen.
" In den meisten Staaten, die irgendeine eingehende Landesaufnahme betreiben, begegnen
wir solchen topographischen Beiheften. Ein Vorläufer dazu ist z. B. D. F. Sotzmann: Repertorium
zur Karte von Deutschland in XVI Blättern. Berlin 1793. — Bei den rein topograplüschen Werken
.scheint das Depot de la guerre den Anfang gemacht zu haben, und zwar mit den Beiheften für jede
aus mehrem Karten bestehende Lieferung der Carte topographique de la France — dite de l'Etat-
major, 1 : 80000. 258 fUs. Publite aux frais de l'Etat au D6pöt de la guerre ä Paris; commenc6e en 1853.
" Als V. Haardt v. Hartenthurn 1887 seine Übersichtskarte der ethnograph. Verhältnisse
von Asien und von den angrenzenden Teilen Europas herausgab, komite A. Kirchhoff mit Recht
sein Bedauern über das Fehlen von Texterläuterungen aussprechen. P. M. 1887. LB. S. 53. —
Schade auch, daß 1). Schäfer zu seiner Karte der Länder und Völker Europas, Volkstum und
Staatenbildung (Berlin 1916), den begleitenden Text so kurz bemessen hat.
Die Karte an sich. 65
Die Erläuterungen dokumentieren die Summe von Fleiß, die in der Vorarbeit zu
bedeutenden Kartenwerken steckt; sie dokumentieren aber auch die kritische Urteils-
fähigkeit des Verfassers imd die damit verbimdene, von wissenschaftUchem Stand-
pimkte aus verlangte Eechenschaft über jeden Punkt der Karte.
Am berühmtesten sind die kritischen Kartenkommentare von d'Anville ge-
worden. Mit den durchdringenden Augen eines Eichters hatte er die Geographie seiner
Zeit imtersucht und alle Karten, soweit sie ihm zugänglich waren, mit kritischem Scharf-
sinn nach streng wissenschaftlichen Grundsätzen geprüft. Dies reinhche Fegen auf
vielen Karten, besonders mit der Absicht der Ausmerzung von unnötigem und un-
kontrolherbarem Namenballast, kam vor allem der Afrikakarte zugute. Seine Karten
und Inhaltserläuterungen' galten lange nach seinem Tode noch als unerreichbare Muster;
sein Euhm ging weit über die engern Grenzen seines Vaterlandes. In England war es
James Eennell (1742—1840), der mit seinem Memoir of a map of Hindoostan 1783
in die Fußstapfen seines großen Vorbildes trat. Nach dem Erscheinen dieses Kommentars
schrieb Edward Gibbon (1737—1794) in seiner umfangreichen History of the decline
and fall of the Eoman Empire: „If he (Eennell) extends the sphere of his inquiries
with the same critical knowledge and sagacity, he will succeed and many surpass, the
first of modern geographers — d'Anville". Eennell hat die Hoffnung Gibbons
nicht zuschanden werden lassen mid hat in allen folgenden Werken seine umfassende
Gelehrsamkeit und scharfsinnige Kritik dokumentiert. *
Wie in England wirkten auch in Deutschland d'Anvilles kartenkritische Ar-
beiten nach. Als Heinrich Kiepert (1818—1899) im Jahre 1853 in die BerHner
Akademie der Wissenschaften aufgenommen wurde, begrüßte ihn damals August
Boeckh als „unsern neuen d'Anville", und er selber bezeichnete den französischen
Akademiker als sein Vorbild: ,,Das Werk emes solchen Meisters mit Hilfe der erweiterten
und gediegenem Hilfsquellen unsrer Zeit zu vervollkommnen und fortzusetzen, soll
meine Lebensaufgabe sein." Und Kiepert hat sein Versprechen redlich gehalten, ja
er hat in bezug auf philologische Kenntnisse und kartographisch philologische mid topo-
graphische Kritik semen Meister weit übertroffen. Die größte Leistung seiner kon-
struktiven Arbeit war der Aufbau der Karte Kleinasiens.^ Die peinhchst genaue
Namenschreil.img wird stets neben vielem andern eine Zierde seiner Atlanten und
Einzelkarten sein. „Ihn lockte nicht leicht ein etymologisches Irrlicht in den Sumpf;
ihm leuchtete die Fackel selbsterworbenen Wissens. "•• d'Anville, Eennell und Kie-
pert sind die glänzenden Vertreter einer topographischen Kritik. In Ivieperts Fuli-
stapfen ist kaum ein neuerer Kartograph getreten, mehr nach der kritischen als karto-
graphischen Seite W. Sieglin und dessen Schüler M. Kießling.
Einen letzten Best der großen französischen Kartenkommentare bilden die Karten-
erklärungen, bzw. die Texte, mit denen die Eückseiten der Kartenblätter in vielen
* Über 200 Karten tragen seinen Namen. Besonders geschätzt waren seine Karten für
l'Histoire ancienne et l'Histoire romaine de C'h. Kollin; von seinen Werken: Trait^ des raesiires
ancienncs, et modernes, 1769; Trait6 des Etats formes en Europc apri's la chute de l'empire dOcii-
dent, 1771; Geographie amienne, 1782; ferner: .Vnalyse de l'Italie, 1744 (:tl!8 S.).
' CA. Frenzel: Major James Rennoll, der Schöpfer der neuem englischen Geographie.
Diss. Leipzig 1904, !S. 184ff.
' H. Kiepert: Memoir über die Constriüition der Karte von Kleiuiisien und Türkisch
Armenien. Berlin 1854.
* J. Partsch: Heinrich Kiepert. Kin Bild sein«»* U<beiiN und seiner .\rlieit. O. Z. 1901.
S.-A., S. 27.
F.i'kart, Karlcnffli>«<Mi9rhiill I. ^
66 D'>^ Kartographio als WissenschHf't.
französischen Atlanten, seien es Hand-, Volks- oder Scliulatlanteu, gern bedruckt
werden; in historischen Atlanten müssen sogar noch die Kartenseiten zur Textwieder-
gabe herhalten.' Auf deutscher Seite finden wir die französische Art in Spamers
Großem Handatlas, Leipzig 1896, nachgeahmt, was nicht zu verwundern ist, da die
größte Anzahl der 75 Karten von den Platten des Atlas de geographie moderne von
Sclirader, Prudent et Anthoine gedruckt worden ist; der rückseitige Text stammt
aus der Feder A. Hettners imd ist vielfach wertvoller als die Karten. Bei Lichte be-
sehen wäre das die imiigste Yerquickimg von Karte und Buch, wenn nur nicht bei
den Unternehmungen dieser Art meist die kartographische Technik leiden wiirde.^
II. Die Bedeutung der Karte.
23. KiU'ie und Biieh. C. Wigel liallc einst den schwerwiegenden Hatz geschrieben:
„Sie — die Karte — soll nicht des erklärenden Wortes bedürfen, sondern umgekehrt
dem Betrachtenden, dem Lehrer mid geographischen Schriftsteller die Basis sein, von
welcher aus er sehae Ansichten bildet und sie andern mitteilt".' Das dürfte heute nicht
widerspruchslos hingenommen werden. Denn die Bedeutm:g, auf die Vogel hinzielt,
erlangt die Karte nur bei dem, der auf der Höhe der kartographischen Erkenntnis
steht; denn „toute carte est une schematisation ! — Meme avec les Instruments et les
mithods modernes on doit Interpreter. "* Nur die sogenaimte ,, natürliche Landkarte"
körmte unter gewisser Voraussetzung ^on dem Vorwurf der Schematisierung befreit
werden.*
Wenn Vogel recht behalten sollte, müßte es eine kartographische Schablone
geben, nach der man Karten zu zeichnen imstande wäre, die gleichzeitig aUen An-
fordenmgen in höchster Potenz zu genügen vermöchten. Das ist jedoch ausgeschlossen,
in der Karte steckt soviel Konventionelles und soviel ist nach Konvention gearbeitet,
daß sie imbedingt eine Erklärung erheischt. Wir wissen, daß die Karte mit einem
Minimum von Linien ein Maximum von Gedanken sagt. Diese Sprache aber muß
' Vgl. F. Schrader, F. Prudent et E. Anthoine: Atlas de geographie moderne. Paris.
Hachette & Co. Ausg. 1904. — F. Schrader: Atlas de gtographie historique. Paris 1896. — Vidal-
Lablachc: Atlas gto6ral. Paris 1894. — Ch. Petit et E. Boy: Livie-Atlas de geograplüe. La France
et ses colonies. Paris s. a. (6. Ausg. 1910). — V. Levasseur: Atlas national. Paris 1854. Außer
Legende und Text sehen wir auf jeder Departementskarte Abbildungen (in Kupferstich) von den
hauptsächlichsten Produkten des betreffenden Departements.
- Das hebt A. Supan besonders her\'-or in einer Besprechung von P. Foncin: Geographie
gent'-rale (3. Aufl. Paris 1889) in P. M. 1890, LB. S. 9.3. Er spricht sich direkt gegen die Vereinigung
von geographischem Handbuch und Atlas aus.
^ C. Vogel: Das Ideal einer modernen I^andkarte. Aus allen Weltteilen. Jahrg. XII, S. 162.
* E. de Martonne: Les enseignements de la topographie. Annales de Geographie. XIII.
1904, S. .386.
^ Die „natürlichen Landkaiton" sollen Unterrichts- und allgemeinen Unterhaltimgszwecken
dienen. Auf einer Bodenfläche von verhältnismäßig großem Umfang sollen die Ländenuassen nach
Art der Reliefkarten dargestellt werden. Friedmann schlägt in P. M. 1865, S. 271 vor, die Alte
Welt oder Europa allein auf einer Fläche von etwa '/e Meile Durchmesser darzustellen. Die Ver-
tiefungen wären mit Wasser auszufüllen. Übrigens ist das ein Gedanke, der schon 1856 zu Wien auf
der 32. Versannnlung Deutsclier Xatuifoi-scher und Ärzte laut wurde. — Unter diese natürUchen
Ijandkai-ten könnte man vielleicht das Relief von Tirol zu Innsbruck rechnen, in dem man henun-
wandeln kann und das aus ureignen Gesteinen der dargestellten Gcbirgsstöcke und -teile aufgebaut ist;
.1. Schuler hat dies Relief, das bei einem Maßstab 1 : 7500 (vertikal 1 : 2600) 90 qm umfaßt, zu-
sjimmengesetzt. .■\ber auch bei diesen Cicbjldcn ist ohne Schematisienmg niclil .■lus/.iikoiiimen.
Die Bodeutuug der Karte. 67
gelernt werden. Nicht allein, daß man die Karte zu lesen versteht und die topographischen
Zeichen richtig zu deuten weiß, man muß auch topographisch denken können. Dazu
gehört viel Zeit und viel Übung.
Wer das kartographische Alphabet versteht, wird sich schneller über ein Land
orientieren und in das Wesen geographischer Dinge hineinschauen als mit Hilfe eines
dickleibigen Textbandes. Im HinbHck auf diese Bedeutimg wurden H. Zondervan,
W. Stavenhagen^ u. a. zu der nicht ganz einwandfreien Ansicht geführt, daß gute
Karten noch wichtiger als gute geographische Bücher seien. Beide sind gleichwertig.
Man würde die Grimdlage der geographischen Wissenschaft verschieben, werm man ein
„Praestare" der Karte dem Lehrbuch gegenüber zur Geltung bringen wollte. Übrigens
hält der Wissenschaftler die Karte auch gar nicht für so prätentiös.
Zimächst wollen wir ganz allgemein ausdrücken: Karte und Buch ergänzen
einander. Die Ergänzung kann ganz locker sein, wie sie etwa zwischen Lehrbuch und
Atlas besteht oder sie nimmt strengere Formen an und beschäftigt sich ledigüch mit
der Erklärung des Karteninhalts. Man kann diese Erklärungen als einen gewissen
Ersatz der alten Kartenkommentare auffassen. Indessen dürfen jene nicht mit diesen
verwechselt werden. Jene wollten in der Hauptsache das Quellenmaterial des Karteu-
aufbaues klarlegen, diese werten die Karte für bestimmte geographische imd andere
Zwecke aus. Sie sind mehr Xeuerscheimmgen in der kartentheoretischen Literatur,
die gegenwärtig insonderheit die Erklärung des Karteninhalts der offiziellen Karten
für Unterricht und sonstige Belehrung als ihre Hauptaufgabe betrachten.- In das Stu-
dium und den Gebrauch der topographischen Karte 1: 25000 (Meßtischblätter) führen
die kleinen imd hübschen Arbeiten von M. Walter ein.' Mit besonderer Liebe und
Sorgfalt nimmt sich W. B ehr mann die Karte des Deutschen Reichs vor und wählt
für Unterrichtszwecke eine Anzahl Blätter aus und erklärt sie*, wobei auf neuere
morphologische Betrachtungsweisen der Landschaft Gewicht gelegt, aber auch siedelungs-
imd verkehrsgeographische Fragen gestreift werden. In diese Eeihe von Kartenerklä-
rungen gehören eigentlich auch die ausgezeichneten morphologischen Deduktionen,
die S. Passarge an die Betrachtung von Baedekerkarten anschheßt.* Schließhch sei
auf A. Egerers Kartenkunde hingewiesen*, die im Grunde genommen nichts anderes
ist wie eine großangelegte Erklärung der offiziellen Kartenwerke. Von außerdeutschen
Publikationen dieser Art ist besonders The interpretation of topographic maps von
Rollin D. Salisbury and Wallace W. Atwood hervorzulieben.'
» So sagt z. B. VV. Stavenhagen aiif S. XV in P. M. Ergh. 148. 1904: „(Die Karte) steht
dem geographischen lii-hrbiich an Wichtigkeit voran."
' Eine Vorgängerin ist J. E. Bodes Beschreibung einer aiif den Horizont von Berlin ent-
worfenen neuen Weltkarte. Berlin u. Stettin 1783.
' M. Wal tor: Die Meßtischblätter und die topographische Karte 1:25000. 1. Inhalt und
Herstellung der Meßtischblätter und der toixjgraphischcn Karte 1 : 25000. — II. Winke zur all-
gemeinen Benutzung der topographischen Karte 1 : 2r)000 (Meßtischblätter). — III. Die topographische
Karte 1:25000 (Meßtischblätter) als Grundlage heimatkundlicher Studien. — Sämtliche drei Hefte
sind bei J. Perthes in Gotha ereclüenen.
* W. Behrmann: 40 Blätter der Karte des Deutschen Reichs 1 : 100000. Berlin 1912.
' S. Passarge: Die Grundlagen der Londscluiftskunde. T. Hamburg 1919. Anliang. An-
leitimg zum Kartenlesen. S. 171 204.
' A. Egerer: Kartenkunde. I. Einf. i. d. Kartenverständnis. Leipzig u. Berlin 1920. -Abbild..
Blattbogrenz., Gradnetz u. Höhennullpunkte der amtl. top. Kartenwerke Deutschlands. P. M. 1921.
' Das Buch ist 1908 in Wa.shington erschienen, ev will .Shiilrr und Laien in da.« Lesen der
topographischen Karten Nordamerikas einfllhim.
68 D'*" Kartographie als Wissenschaft.
Nicht vergessen sei das Handbuch, das sich an einen Handatlas anzulehnen
sucht. Schulgeographische Werke haben es im allgemeinen nicht schwer, ihren Inhalt
mit dem Karteninhalt irgendeines passenden Atlas in Einklang zu bringen. Aber
auch hier kann es Schwierigkeiten geben. H. Wagners Lehrbuch der Geographie
wollte ursprünglich wohl kaum über den Inhalt des Methodischen Schulatlas wesentlich
hinausgehen. Dem Inhalt der Neuauflagen des Lehrbuchs kann jedoch der Wagnersche
Atlas nicht mehr genügen. Weit schwieriger wird die Sache für größere Handbücher,
die ledighch auf einen Atlas Rücksicht nehmen sollen. A. Scobels Geographisches
Handbuch^, das ursprünghch in engster Anlehnung an Andrees Handatlas gedacht
war, wuchs schon bei der Bearbeitung über den Eahmen dessen hinaus, wozu es ur-
sprünglich bestimmt war. Die vielen Mitarbeiter hielten es gar nicht für nötig, sich
streng an den Andree sehen Handatlas zu halten, was man im Interesse des Ganzen
bedauern muß. So hat Scobels Handbuch eine Selbständigkeit erlangt, die seine Be-
nutzimg vollständig ohne Andrees Handatlas, d. h. mit jedem andern Handatlas erlaubt.
Wir verkennen durchaus nicht, daß ein derartig sich eng an einen bestimmten Hand-
atlas anschließendes Handbuch der Bearbeitung außerordenthche Schwierigkeiten bietet.
Vor allem müßte es bloß einen Autor halben. Die Idee eines besondern Handbuchs
zum Handatlas ist schon sehr alt. In den Vorbemerkungen und Erläuterungen zu
Stielers Handatlas vom Jahre 1828 lesen wir, daß die Herausgabe eines auf den Atlas
sich beziehenden geographischen Handbuchs beabsichtigt sei. Und bei dieser Absicht
ist es gebheben, nie ist ein Handbuch zu dem großen Stieler geschrieben worden.
Einen schwachen Abglanz der Idee der Vereinigung von Karte und Buch kami
man schließlich in den großen geographischen Handbüchern erbhcken, die ihren Text
mit einer auffällig reichen Anzahl kleiner Indexkärtchen, die sich auf Stadtpläne,
Häfen, Küsten, Flußläufe, Deltas, Gebirgsstöcke usw. beziehen, ausgerüstet haben,
also ein ganzes Arsenal von Typenkarten vereinigen, wie wir es in Elisee Reclus' Nou-
velle Geographie finden oder in verkleinertem Maße in A. Hettners Grundzügen der
Länderkunde.
Für die geographische Disziplin sind Karte und Buch (= beschreibende Geo-
graphie) ebensowohl koordiniert wie korrelativ. Karte und Buch gehören zueinander
wie Auge und Ohr. A. v. Humboldt hatte dasselbe im Sinn, als er zwischen bestim-
mender Behandlung geographischen Wissens, deren Ergebnisse in Globus und Karte
niedergelegt sind, und beschreibender, die Länder und Völker schildert, unterschied.
„Es liegt in der Natur der Geographie, daß sie sich gleichmäßig auf l'ext und Karte
stützt." 2
Die Karte hat dem Buch gegenüber den Vorzug voraus, durch ihre Zeichen besser
als das bloße Wort Eaumvorstellungen wecken und bilden zu können. Es wird sogar
behauptet, daß die Karte direkt den Raum ausdrücke, Raum vorstelle.* Dabei wird
logisch nicht scharf Raum von Fläche geschieden. Aber innerhalb der Dimensionen
der Fläche ist es der Karte möglich, Erscheinungen und Beziehungen im geographischen
Raum zu veranschaulichen oder wenigstens anzudeuten.
Bringt das Buch Höhenzahlen, kann ich mir darunter gar nichts vorstellen, wenn
ich nicht zum Vergleich an mir bekannte Hiihen denke. Aber auch die Karte gibt mit
' A. Scobci: Geographisches Hamlhuch. Allg. Erdkunde, l..ändorkunde und Wirtschafts-
geographie. 5. Aufl. Bielefeld und Leipzig. I. 1909. II. 1910.
= Fr. Ratzel: Die Lage im Mittelpunkt des geogiaphischen Unterrichts. 0. Z. 1900, S. 26.
■' 8. Mehcdinti: Über di<- kartographisclw Induktion. Diss. Leipzig 1X99, S. 14, 15.
Die Bcdfiutung der Karte. 89
ihren Höhenzahlen noch keine Werte, die Kaunianschauung haben: zu solcher wird
ihnen erst durch eine geschickte Terraindarstellung, mit der man vertraut sein muß.
einigei-maßen verhelfen. Enthält das Buch Flächenzahlen und Angaben über Uneare
Größen, ■wie über die Längen von Flüssen, Küsten usw., kann selbst die eleganteste
und geistreichste Interi>rctation nicht das sagen, was ein Blick auf die Karte alles
vermittelt.!
Karte und Buch tuffcu imttr den bunten und mamiigfaltigen Erscheinungs-
formen der Welt eine nach bestimmten Grundsätzen geregelte Auswahl. Während das
Buch die geographischen Tatsachen und Begriffe nacheinander vorführt, werden sie
vom Kartenbild in einem Xu präsentiert, weil die Karte, wir wollen einmal sagen in-
folge der Zeichnung, etwas Gleichartiges, eine Synthese ist. Sie verknüpft die Tat-
sachen sichtbar untereinander und macht diese Verbindungen für den Geist flüssiger
als wenn sie erst durch mühselige Yergleichimg der nach und nach vorgeführten Tat-
sachen im Buche gewonnen werden.
Ein Totalbild von der Landschaft, wie die Photographie, besonders das Flieger-
bild, zu geben ist der Karte sowohl wie dem Buche unmögUch. Was so auf der einen
Seite als Nachteil erscheint, ist auf der andern durchaus ein Vorteil. Die Gesetze des
psychischen Mechanismus lehren, vne bereits hervorgehoben, das Unvermögen, eine
Totalität von Vorstellungen mit einem Male aufzmiehmen. Nacheinander treten die
Vorstellungen in unsere Gedankenwelt ein; geschieht es in Reihenform, wird ihnen ein
sicherer Halt im Gedächtnis gegeben. Die Karte vermittelt solche Reihenformen. Was
im Buche erst unter Anwendung größerer geistiger Arbeit herausgeholt werden muß.
bietet sich im Kartenbild systematisch abgestuft und geordnet dar. So steht es außer
allem Zweifel, daß durch die Karte der Denkprozeß wesentüch erleichtert und in einem
weit günstigem Maße als durch das Buch gefördert wird.
'24. Zur pädagojsischeu Bedeutuug der Karte. Karte und Bild. Das vorhergehende
Kapitel über Karte und Bucli zwingt geradezu auch der pädagogischen Bedeutung
der Karte mit einigen Worten zu gedenken, obwohl das pädagogische Element außer-
halb des Rahmens meiner Untersuchungen liegt. In pädagogischer Beziehung hat die
Karte einen Wert, der sie für einen fruchtbringenden Geographieunterricht völlig
unentbehrhch macht, der sie weit über den des Buches hinausreiehen läßt. Norbert
Krebs sagt, daß es ein Verkennen der Tatsachen ist, .wenn man das Buch höher ein-
gesehätzt hat als die Karte. Demgegenüber muß immer wieder betont werden, daß
der Atlas das handlichste und inhaltsreichste geographische Handbuch ist und dabei
viel klarer und lesbarer als das beste Schriftwerk."^ Es soll hier nicht die Aufgabe sem,
alle Phasen zu untersuchen, die einer unterrichthchen Behandhuig der Karte zugute
kommen. Wie die Karte mehr oder minder Ausgangspunkt des geographischen Unter-
richts ist, zeigen unzählige Aufsätze in schulgeographischen Methodiken.* In der Kart»'
' Aus obiger Erkenntnis geht letzten Endes auch hervor, daß man da» Zeicluuii als Kauni-
sprachc der Lautspiuchc gcgenübei-sctzt. Bloß durch Zeicluien lernt n\an sehen, wie schon A. Diester-
weg sagte. Vgl. K. Hassert: Das Kartenzeichncn im geogiuph. l'nteiricht. Neuew Konvsiiondcnz-
blatt f. d. Gelehrten- u. llealschuU'u Würltonilx-rgs. Stuttgart 1901. .S.-A.. S. 7.
- X. Krebs: Die Bedeutung der geographischen Karte. Oeogr. Abende im JCentiuliustitut
für Erzieliujig und L'nterricht. Berlin 1919, S. 8. \'gl. ii:eine .XiLsführangen S. 67.
3 Wenn H. Zondervan (All>;. Kartenkunde, Leipzig 19UI, S. 180) «chivibt: „So fand auf
dem im April 1897 in Wien abgehaltenen \'l. IX-utsch-osU-rrciclüsclion .MittelschulUge ilie Beliaiiptuug
des Dr. Juritsch allgemein lieifall, daß der .\tla.s und nirlit das U-hrbuch zur Basis des L'nterrieht.s
70 Die Kartographie als Wiasensohaft.
steckt als einer gewissen Art Abbildung der Erdoberfläche eine gewaltige Anschau imgs-
kraft. Ist sie doch dem menschlichen Bedürfnis entsprungen, die Erdoberfläche zu
überschauen, ja zu beherrschen, ohne jedesmal in natura beobachten zu müssen. ^ Ist
es doch ein Haupterfordemis insonderheit der Landkarte, die Bodenformen der Natur
so wiederzugeben, daß der Beschauer sofort bekannte Gegenden wiedererkennt oder
sich mit Hilfe der Karte zu orientieren vermag.* Im Hinbhck auf die in Aussicht
gestellte Herstellung eines physikahschen Atlas bei Perthes in Gotha sagte 1887
Hermann Berghaus: „Kein Eindruck haftet dauernder als derjenige, welcher un-
mittelbar auf imsere Simie wirkt; so auch graphische Darstellungen, die ims die
Phänomene der physikalischen Geographie übersichtlich vor Augen legen. Sie bringen
das erst gleichsam ins Leben, zur lebendigen Anschauung, was in der schriftlichen
Darstellung oft als toter Buchstabe verborgen liegt".' Neuern pädagogischen Forde-
rungen gemäß soll das Buch weiter nichts als ein erklärender Text der Karte sein.*
Am anschaulichsten wirkt die Karte, werm sie das, was sie vorstellen will, mit
wenigen, aber um so wirkungsvollem Mitteln erreicht. Namentlich soll die Schul-
wandkarte soviel wie möglich von Ballast befreit sein, damit ihre Zeichen, ihr Bild
sich ebenso leicht imd ruhig wie klar und dauernd in dem Geist der Betrachtenden
einprägen. Indessen darf man unter Berücksichtigung des pädagogischen, wissen-
schaftlichen vmd technischen Moments von der Karte nicht alles, zum mindesten nicht
zu viel verlangen. Ihre pädagogische Hauptaufgabe besteht ebenfalls wie ihre wissen-
schaftliche zunächst darin, die ihrem Wesen gemäße Gruppierung der geographischen
Objekte zu veranschauHchen, also die Lagenangabe dem Beschauer zu übermittehi.
„Natürhch will imd muß ja die Karte noch viel mehr geben als die Lage. Aber das ist
eben bezeichnend für die große Bedeutimg der geographischen Lage, daß die Karte allen
andern Zwecken am besten gerecht wird, wenn sie die Lage gut wiedergibt."''
Alle möghchen Mittel werden versucht, die Karte in ihrer unterrichtlichen Wir-
kung zu unterstützen. Selbst vor dem Oktroyieren des imionistischen Prinzips auf
Wand- imd Handkarte, bzw. Atlaskarte hat man nicht zurückgeschreckt.«
Ist indes die Karte auch noch so ausgezeichnet ausgeführt, sie wird nimmermehr
ein vollkommenes Büd einer Landschaft geben.' Daher wird es erklärlich, die Karte
dienen soll", ist das kein einziger markanter Pall, sunckm eine in alierhand Melodien vaiüerte i'orderung
fast aller Methodiken des geographischen iSchuhint( irithts, insbesondere in Deutschland, aber auch
in Österreich-Ungarn, der Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden, Noi-wegen,
Italien, England, den Vereinigten Staaten, in C'liile und selbst schon in Japan.
1 E.Friedrich, a.a.O., S. 4.
- Br. Schulze: Das militär. Aufnehmen. Leipzig und Berlin 1903, S. 180.
•' H. Berghaus: Allgemeine Länder- imd Völkerkunde. Nebst einem Abriß der physikahschen
Erdbeschreibung. I. Stuttgart 1837, S. \^L — Älmliches sagt Coordes in der Vorrede zu dem Katalog
über das Gesamtgebiet der geographischen Anschauimgsmittel (Kassel 1888): „Das Wort genügt
nicht; das Auge ist ein viel besserer Lehrmeister als das Ohr."
* Selbst diese Forderungen sind nicht neu. Wir finden sie verwirklicht schon 1778 (8. Aufl.)
in der „Kurzen Erläuterung einer in Kupfer gestochenen Vorstellung des Erdbodens — zimi Ge-
brauch der Realschule in Berlin."
^ Fr. Ratzel: Die Lage im Mittelpunkt des geographischen Unterrichts. G. Z. 1900, S. 21.
' In der Schule müssen die Schüler allerhand Karten in die Hände bekommen, damit sie im
spätem Leben nicht immer von einer Karte zur andern umlernen müssen. Nur an einerlei Karten
die Jugend gewöhnen, heißt nichts anderes als die Denkfaulheit der Menschen groß züchten. Das
schulkartographische unionistische Prinzip hat nur scheinbar Einiges für sich (auf den untersten
Unterrichtsstufen!), im übrigen ist es als falscher pädagogischer Standpunkt zu verwerfen.
' Diesen Gedanken hat AI. Geistbeck aufgegriffen, um ilm in verschiedenen VeröffentUchungen
Dio BncIeutuiiK fier Karte. 71
durch das Bild üu ergänzen. Das Verständnis der Karte läßt sich durch treffliche, die
Natur getreu wiedergebende Bilder ungemein fördern. Dabei sind soviel wie möglich
nur Typenbilder zu verwenden; denn um all die verschiedenen Landschaften (Land-
schaftsbegriff im begrenzten Sinne), die oft ein einziges Meßtischblatt voreint, durch
Bilder zu veranschaulichen, bedarf es unzähliger Abbildungen. Das Bild hat immer etwas
Begrenztes, selbst wenn wir an das Panorama denken. Es ist im Gegensatz zu dem
Grundriß der Karte ein Aufriß. Das beste Aufrißbild ist und bleibt das naturgetreue
Eelief; derm es gibt die ganze imd allseitig wahrnehmbare Form und beliebig viele
Ansichten zugleich imd „ersetzt die Karte samt zahllosen Ansichten.'- 1
Das Bild wird gern gebraucht, um in das Verständnis der Karte und ilirer Zeichen
einzuführen. In neuern Schulatlanten kommt diese Methode vielfach zum Ausdruck.
Es müssen aber dann auch wirklich der Natur entnommene Bilder herangezogen werden
und nicht solche idealisierte Bilder, die auf einem scheinbar natürlichen Terrainkomplex
allen möglichen geographischen Begriffen nachjagen.^ Die Natur ist wahr und wir
sollen sie durch derartige Machwerke nicht verschandeln.
Das Verfahren, die Karte diu'ch das Bild zu ergänzen, ist einige -Jalirliunderte
alt mid geht zurück auf die alten Kosmographien imd verschiedene Einzelkarten des
16. Jahrhunderts^; denn in den Randbildern und einigen Parerga der alten Landkarten
und in den Vertoonungen der Seekarten des 16. mid der folgenden Jahrhunderte können
wir die Vorläufer unserer heutigen charakteristischen Landschaftsbilder erblicken, die
in das Verständnis der Karte einführen wollen. Mit dem Verschwinden der Randbilder
wm-de das Verhältnis zwischen Karte und Bild immer lockerer, um erst in der Mittt'
des 19. Jahrhimderts einen neuen Anstoß zu erhalten*, aber erst gegen Ende des Jahr-
hunderts zu neuem triebkräftigem Leben zu erstehen. Nur- darf es nicht zu populär-
wissenschaftlichen Bilderbüchern ausarten, wie sie noch vor dem Weltkriege mit viel
Reklame an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Als Neues wurde da in Deutschland
die Beigabe von Bildertafeln mit landschafthchen Darstellungen in Volksscliulatlanten
angepriesen. Aber auch dies ist nur eine Auffrischimg älterer französischer imd
englischer Versuche.^
wciterzaspiiinen, iintfi- denen die -ttiehtigstc Eine GSassc für die .AniSiIuiuunL; im Ceoi;ni]iIiiiiinterrieht
(Bayr. Z. f. Realschulwesen. XV. München 1894) ist.
'A.Heim: Sjx;zialbericht über „Relief" in dem Rericht über die .Schweizer l..aiKle,-üiiis-
stclhing Zürich 188;<. Zürich 1884, S. 19.
- Derartige Idealbilder erinnern mich an einen alten Kupfei-stich, der wähitMid der Mes.-H.'n
zu meiner Studentenzeit in Leipzig noch zu kaufen war, luul der an einem einzigen Pfeitlee.xompiftr
100 imd mehr äußerliche Krankheiten zeigte. — Xur ausnahmsweise kann einem Idealbild Geiwhtig-
keil widerfahren, wie z. B. dem bekarmten Gletscherbild von Fr. Simony.
■' l'nter den unzähUgen Karten dieser Art sei nur auf eine hingewiesen: Xova de.scrittione
d'ltalia di Gio. Anton. Magino. Amsterdam 1617. Das Meer ist mit Schiffen und Ncptungestalten
ausgefüllt. Auf der Karte ringsheiiun Bilder: links und i-echts Volkstrachtenbilder. unten Städte-
bilder, um das Ganze herundaufend eine Beschreibung von Italien.
* In den ältesten Jahrgängen von Petermanns Mitt«ihmgen, 185« und 1869, sind Beispiele
an einer Insel und einem Vulkan von Th. Kotsehy gegeben. V. M. 1858. T. 1 die Insel St. Paul
und P. M. 1859, T. 4 der Vulkan Demavend.
' In Frankreich ist o« eine landesübliche Sitte, Schulatlant«'ii mit Landschaft.-*- und Volks-
typenbildern zu bespicken. In England ist ein bekannter Atlas dieser Art Longmans Xew atlas, hg.
von J. G. Chisholm, London 1889. A. Supan bemerkt ganz richtig lüoreu „ob sie — die Bildor-
tafeln — sich in dem Maße, als sie das Werk verteuern, auch nützlich erweisen worden, ist freilich
eine andere Frage". P. M. 1889. LB. S. 105.
72 Tlic Kartographie als Wissenschaft.
Nencrdings ist der Einführung in das Verständnis der Karte eine ungeahnte
Hilfe in dem Fliegerbild entstanden. Die Fliegerbilder des Weltkriegs haben von
den verschiedensten Gegenden Europas und des nahen Orients eine reiche Anzahl
charakteristischer Landschaftstypen eingeheimst, sowohl in Schräg- wie Senkrecht-
aufnahmen. Sie bilden gleichsam das BindegUed zwischen den sonst üblichen Aufriß-
bildem und der Karte. Der Geographie- und Kartenunterricht hat durch das Flieger-
bild ein großartiges Hilfsmittel erhalten, das in seiner Bedeutung allerdings auch nicht
überschätzt werden darf.^ Der Bedeutung des Fliegerbildes für die Karte werde ich
noch eine Sonderuntersuchung widmen (s. !? 127 ff.).
25. Entstehung und Zweck der Karte. Wie jede Disziplin danach strebt, ihre
Hauptresultate allgemein und übersichtlich zusammenzufassen, finden wir dies Be-
streben nicht minder in der Geographie; denn die Einzelheiten der Geschichte der
W issenschaften gewähren nur insofern einen Nutzen, als man sie durch ein gemeinsames
Band verknüpft (A. v. Humboldt). Dieser Forderung kommt die Geographie teils
durch das Wort, teils durch die Karte nach. Gerade die wohlbegründete Massen-
anschauung^, wie sie eine gute Karte bietet, ist für die geographische Wissenschaft von
einem Wert wie er einer andern Wissenschaft in ähnlicher Weise kaum zur Verfügung
steht^; und die Geographie hat zweifelsohne in der zweifachen Möglichkeit der Zusammen-
fassung andern Wissenschaften gegenüber einen großen Vorsprung.
Die Karte ist dem Bedürfnis, sich über die Erde zu orientieren, entsprungen.
Davon zeugen sowohl unsere bestausgeführten Generalstabskarten wie die primitivsten
Kartenleistungen der Naturvölker. Letztere Kartenprodukte fordern oft unsere Be-
wunderung. Sie gehen auf Naturvölker zurück, deren Orientierungssinn besonders
scharf ausgebildet ist. Bekanntlich ist der Orientierungssinn bei den nomadisierenden
Völkern größer als bei den ackerbautreibenden. Dieser Unterschied besteht z. B.
zwischen den Sahara- bzw. Sudanvölkern imd den Bewohnern Südafrikas. Der Va-
queano ist der Pilot in den argentinischen Pampas, der auch dort sicher den Weg findet,
wo kein Weg ist.* Die Indianer Nordamerikas, die Eskimos in Grönland, die Ostjaken,
die Mongolen der Gobi, die Polynesier — alles Völker, die große Räume in ihrem Lebens-
und Bewegungsgebiet überwinden müssen — haben uns Beweise ihres kartographischen
Könnens gegeben. ^
' Auf die große Bedeutung des Fliegerbildes als geographisches Anschauungsmittel
hinzuweisen, erübrigt sich bei meinen Erörterungen. Trotzdem kann ich nicht umhin, auch hier zur
Vorsicht zu gemahnen. Wenn irgendwo, gilt bei der Auswahl von Fliegcrbildern : Non multa, sed
multum ! Denn man geht bereits an mehreren Stellen daran, aus der Unzahl von Pliegerbildem
typische Bilder zusammenzustellen. Sicher ist, daß sie über viele morphologische Siedelungs- imd
andere Erscheinimgen Klarheit und Licht bringen. Aber ihre Auswahl sollte man den Autoritäten
auf diesen geographischen Gebieten überlassen und danach streben, eine größere Anzahl nach Art
der Luftbildkartenblätter zu einem landschaftlichen Ganzen zusammenzufügen, damit die Einzel-
erscheinung in ihrer Umgebung imd Gesamtwirkung erfaßt wird.
- E. V. Sydow: Der kartographische Standpunkt Europas in den Jahren 1864 und 1865.
P. M. 1865, S. 449.
" J. Spörer: „Nichts ist geeigneter, die Gesamtverhältnisse der Erdphysik zu einheitlich
zusammenfassender Anschauung zu bringen als das von kundiger Hand geschaffene Kartenbild."
G. J. Bd. in. 1870, S. 332.
* K. Andree: Geographie des Welthandels. I. Stuttgart 1867, S. 184, 264.
^ R. Andree: Ethnographische Parallelen und Vergleiche. Stuttgart 1870, S. 202-215. -
A. Schuck: Die Sta.bkarten der Marshall-Insulaner. Hamburg 1902. W. Droeber; Kartographie
bei den Naturvölkern. Diss. Eriangen 1903.
Die Rpdeutunp der Karte. 73
Die Orientierung auf der Erdoberfläche hat zu dem sichtbaren Ausdruck der
Karte geführt. Je mehr die Beobachtungen durch Orientierung sich häuften, um so
detailierter und besser wurde die Karte. Die höchste Form der Orientierung konmit
gleichsam in der Geodäsie zum Ausdruck. Auf jeden Fortschritt dieser Wissenschaft
reagiert die Kartographie mit entsprechender Darstellung.
Vorzugsweise waren es die Eeisen und Entdeckungen, die auf eine Zusammen-
fassung des Gesehenen in ein Bild drängten.^ Darum fängt A. Petermann seinen
bemerkenswerten Aufsatz über den kartographischen Standpunkt der Erde mit den
Worten an: „Das Endresultat und der Endzweck aller geographischen Forschungen,
Entdeckungen und Aufnahmen ist, in erster Linie, die Abbildung der Erdoberfläche,
die Karte" 2, und E. v. Sydow seine berühmte geo-kartographische Betrachtung Drei
Kartenkhppen mit den Worten: „Schon die ältesten Reisenden waren bemüht, die
Anordnung der verschiedenen Terraingegenstände in den durchwanderten Landschaften
bildlich zu versinnlichen, und bereits die ältesten Geographen fühlten das Bedürfnis,
ihre Beschreibungen durch orientierende bildHche Darstellungen zu ergänzen".' Bereits
die erste Erdkarte, die nach Eratosthenes von Anaximander von Milet entworfen
wurde, führte zurück auf den Anreiz, die insbesondere durch die Handelsverbindungen
kennen gelernten Länder darzustellen.* Daß die Eömer bei ihrem ausgedehnten Eeiche
die Notwendigkeit von Karten empfunden mid Karten auch besessen haben, bezeugen
die alten Schriftsteller, wie Plinius, Varro, Agrippa, Strabo u. a. Besonders die
große Weltkarte des Augustus, die sich offenbar auf genaue Straßen- und Stationen-
vermessung aufbaute, hatte bedeutenden Einfluß auf die Geographie und karto-
graphische Nachahmungen jener Zeiten gehabt.'' Wie hauptsächhch Kaufleute das
Kartenbedürfnis zu nähren und zu erweitern verstanden haben, beweisen alte mexi
kanische Kaufmannskarten, auf denen außer den Gebirgen, Wäldern, Städten die Ent
fernungen der Orte und Straßen und Grenzen angegeben und die Kartenränder mit
statistischen Notizen bedeckt wurden.
Die auri sacra fames hat nicht unliedeutend den geographischen Horizont er
weitert und damit das Kartenbild kondensiert. Die leeren Flecke der alten Karten
haben den Gang der Entdeckungen beschleunigt, sie reizten inuner wieder zu neuen
' J. .Spörer sagt iu seiner ilun eigentümlichcu glänzciulin Diktion: „Die ozeaiüsohiu ^<'e-
fahrt<-n liabcn das Riind der Erde entliüUt. Mit dem Überblick über die Eixioberfläche uiiscrs Planeten
ward erst die einheitliche Auffassiuig des Erdlebcns, die physikalische und historische Eixlkimde.
eine Erd-, Tier-, Pflanzen- und Menscliengeschichte, ein wahres Welt- und Selbstbewußtsein der
Menschheit ennöglicht." Zur Iiistorischen Erdkunde in G. .1. Md. !\'. I.S72. S. 2(Ht.
- A. Petermann in G. .1. I. \nm. S. .'iSI.
' E. V. Sydow in G. J. I. 1«66, S. M». Mass, au.li in (». Kiüinnul: Klassiker der IVo-
grnphie. 1. Kiel 1904, S. 161.
* H. Berger: Die Lehn^ von der Kugelgestalt der Krdc im Altcrluui. iig. von M. KieUling.
G. '/.. mm, S. 2:J: „Aus ihr - der jonischen Xaturpliilosophie - ist mit andern SiH-zialwissensihaften
auch die Oographie hervorgegangen. Durch die Handelsverbindimgen, die von alten Kar» wanenwegen
her Kunde über das Innere Asiens brachten, die lx>gierig aufgenommene, ausführliche Nachrichten
verbreitct<!n über das Wunderland Äg>pt<'n, steinen merkwürdigen Strom und .seine Nachbarlünder,
über die SU-pix-n Rußlands, über den jenseitlosen Ozean im \Vest<-n und im Nonlen und s»-ine Zinn-
und Bernsteininseln, hatt« sich ein btKleutendos länderkundliches Material angesanunelt. das Ordnung
verlangte und schnell zur Dai-stelliuig, zur Kartographie reizte und führte."
'■ K. Müllenhof f: Übt'r die Weltkarte und die ("horogrophie des Kaisers Augustus. Kiel
IKöG. E. Sehweder: Wellkarte imd ( 'hon)gnvi)hie des Kaisers Aupistus. Xcue Jahrb. für Piniol.
und Pädagogik. 14r.. und 14(J. H<\. Isili', S. Ii:t_l32.
74 Dit! Kartographie als Wissenschaft.
Unternehmungen an, besonders, nachdem mau neben dem schrankenlosen Weltmeer
doch ein jenseitiges Ufer des Atlantischen Ozeans gefunden hatte. „Von nun an war
das Werk der Entdeckung nicht mehr dem Zufall miterworfen, sondern es ward zu
einer Kmist und Wissenschaft." ^ Die Karten und die geographische Darstellungs-
weise wm'den weseutUch verbessert (A. v. Humboldt).^
Jedes wissenschaftliche Problem Ijürgt in sich außer dem Beiz zur Forschung
das Lustgefühl beim glücklichen GeUngen der Lösung.^ So auch die Karte. Das Lust-
gefühl insofern, als es diu-ch die — teilweise — Erfüllung des Eeizes nach Erforschung
von Unbekanntem unserer Muttererde erzeugt wird, und der Eeiz insofern, als er immer
wieder zu neuer Arbeit hindrängt. Solange noch ein menschhches Lebewesen den
Erdball bevölkert, solange wird der kartographischen Arbeit kein Ende sein. Aber
nicht bloß die Kartenherstelluug imd -Vervollständigung hat etwas Reizvolles, sondern
auch das Beschauen der Karte. Goethe erzälüt uns von einem Gutsherrn, der die
neu aufgenommene Karte seines Besitztums betrachtet, daß dieser „seine Besitzungen
auf das deuthchste aus dem Papier wie eine neue Schöpfung hervorwachsen sah. Er
glaubte sie jetzt erst kennen zu lernen; sie schienen ihm jetzt erst recht zu gehören".*
26. Die Bedeutung der Karte für die geographische Wissenschalt im besouderu.
Wenn die Karte der Niederschlag des geographischen Wissens einer Zeitperiode sein
soll, ist sie direkt als ein Kulturmaßstab für die betreffende Zeit anzusprechen.^
Dabei ist, wie die Erörterung der historischen Methode in der wissenschaftUchen Karto-
graphie gezeigt hat, der ganze Kultmrzustand einer Periode ins Auge zu fassen, damit
ein richtiges Urteil gewoimen werden kann. Sehen wir uns nach der kulturellen Höhe
der europäischen Karten um, demi um diese handelt es sich in der Hauptsache, so
dürfen wir mit Ausschluß der Portiüankarten vor den Zeiten des 15. Jahrhunderts
kaum anfangen, die Wissenschafthchkeit der Karten einzuschätzen; denn die Produkte
zur Blütezeit der mönchischen Wissenschaft sind kultm-historisch wohl interessant,
wissenschafthch jedoch minderwertig, daß sie nicht einmal einen Vergleich mit den
durch ein gewisses Zeichentalent, Orientierungsvermögen und Schätzungsgabe aus-
gezeichneten kartographischen Erzeugnissen von Naturvölkern, wie Eskimos, Poly-
nesiern u. a. aushalten. Mit dem Wiedererwachen des Ptolemäus wurde es besser,
wenn er auch die Emanzipation vom Althergebrachten nicht so befördert hat, wie man
allgemein armimmt. Die erste gedruckte, allerdings von Ptolemäus noch stark
beeinflußte Originalkarte von Deutschland bzw. Mitteleuropa, tritt uns 1491
in der Karte Germania von Nicolaus Cusanus entgegen.« Von Hartmaun Schedels
Weltkarte, 1493, und dessen Holzschnittkarte von Deutschland, m der „Nürnberger
Chronik" von 1493, sagt W. Wolkenhauer, sie zeige, „was zur Zeit der ersten Ent-
deckungen in der Neuen Welt der Durchschnitt der Gelehrten und Gebildeten im Gebiete
• K. Ritter: Gesciiichte der Erdkunde und der Entdeckungen. Vorlesungen. Hg. v. H. A.
Daniel. 2. Aufl. BerUu 1880, S. 238.
2 A. V. Humboldt: Kritische Untersuchungen. (Übers, v. J. L. Ideler). I. Berlin 1852. S.27.
" Von dieser Kunstfreude bei der Herausgestaltung der Karte eines problematischen Gebietes
spricht Fr. Ratzel in seinem Nekrolog über Bruno Hassenstein. P. M. 1902, S. 5.
* W. V. Goethe: Die Wahlverwandtschaften. Berlin, G. Hempel. 15. Teil, S. 40.
5 E. Friedrich, a. a. O., S. 6.
« A. E. V. Nordenskiöld: Periplus. Stockholm 1897. S. 85. — Vgl. weitere Lit^-ratur bei
W. Wolkenhauer im Leitfaden z. Gesch. der Kartographie. Breslau 1895.
Die Bedputunir der Karte. 75
der Geographie und Ethnographie zu -w-issen und zu verstehen brauchte."^ bin Muster
der Zusanunenfassung des geographischen Wissens einer Zeit in Wort, Bild und Karte ist
die Kosmogi-aphie von Sebastian Münster, des „teutschen Strabo", die V. Hantzsch
wegen ihrer Vielseitigkeit und beispiellosen Verbreitung das Hauptwerk der gesamten
geographischen Literatur des Eeformationszeitalters nennt (s. auch Anm. 2 S. 35j.
Die Eeform der kartographischen -nissenschafthchen Zusammenfassung lassen
^yir, wie die der kritischen Kartographie, mit der im Jahre 1554 erschienenen Europa-
karte von Mercator beginnen. Der geometrische UmriB gewann, indem geographische
und astronomische Probleme gelöst wm-den. Aber noch waren die astronomischen
Ortsbestimmimgeu bis ins 18. Jahrhundert hinein eme seltene Ware. Nicht mehr als
139 astronomisch festgelegte (zudem nicht durchgängig genau) Orte, von denen 20 auf
Deutschland entfallen, finden sich in J. G. Doppelmayrs „Basis geographiae recen-
tioris astronomica" 1741. ^ Am 30. November 1773 wiu-den dem König Friedrich dem
Großen der erste Band der Astronomischen Ephemeriden von der preußischen Akademie
der Wissenschaften ülierreicht: in jene Zeiten gehören die Arbeiten von d'Alembert.
Euler, Cassini, Lagrange, Lambert u. a. Mit dem Umriß gewann der Inhalt.
Letzterer stieg zuletzt an Wert, eigentHch erst dann, als die trigonometrischen Auf-
nahmen einsetzten und genauer aufgenommene Karten aus den Geheimkabinetten der
Fürsten hinaus über alle Lande flatterten. Die die Topographie und Kartographie
fördernden Arbeiten von Soldner, Bessel, Gauß stehen in der Geschichte der Wissen-
schaften imvergänglich eingesehrieben. Li der Vereinigung von wissenscliaftüchet
Grundlage mit praktischem Werte leistet die Karte von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr.
Auf diese Eut^^^cklung ist Himaboldts und Eitters Einfluß unverkennbar. C. Eitter
trug das KausaUtätsprinzip m den Gang geographischer Betrachtungen hinein, was
weiterhin bestimmend für die wissenschafthche Kartographie wurde. Das sich über
die Erde ausbreitende Beobachtungsnetz für meteorologische imd erdmagnetische Er-
scheinungen führte auf die Liitiative Humboldts ziu-ück und ün Anschluß daran zur
kartographischen Fixierimg dieser Erscheinungen. Karten zm- Übersicht der Meeres-
räume imd des Weltverkehrs, historische und physikahsche Atlanti^n entstanden in
Frankreich und England sowohl wie in Deutschland. Zu einem Staudard Work ersten
Eanges für- die geographische Wissenschaft entwickelte sich Herrn. Berghaus' Physi-
kalischer Atlas. An Fülle des Stoffes wird dieser Atlas von Bartholomews Physical
Atlas übertroffen.ä
Dil' systematische Zusammenfassimg durch das Kartenbild ist seiir wohl geeignet,
die Lücken vieler geographischer Arbeiten zu zeigen, beispielsweise bei der Festlegung
des Verbreitungsgebietes irgendeines geographischen Objektes oder irgendeiner Er-
scheinung. Nicht allein dadurch, daß die Karte erhellt, was noch unklar bis dahin war,
sondern auch darin, daß sie direkt zu neuen Ergebnissen führt . hat sie einen eminenten
Wert für die geographische Forschung. Von diesem kartographischen Einfluß, man
1 Vgl. W. Wolkenhauer im Globus LXV, Nr. 1 und 2. ÄLt 2 Karlen; ferner Nordouskiöld:
Facsiniile- Atlas. Stockholm 1889, S. 9. Abb. ö.
- Dom. von Limbrunn klagt in dem „Versuch einer Verbesserung der Landkarte \on
ßaiern- (.\bh. der Chu fürstl.-baier. Ak. der Wiss. 11. München 1764. S. :143— MO) darüber. daU in
Bayern die Ortschaften nicht einmal ihrer Breite nach stimmen.
=> Vgl. A. SupanH Besprechung (!'. M. 1900, LJ{. S. 1) über Bartholomews Phy»'»^'»! AÜas.
Bd. TV. Atlas of Metcoi-ologj-, proparod l.y ■^. O. Bnrtholomew nnH A. .T. Herherton. and cdited
bv Alex. Buchan. U.ndun 1899.
76 "i« Kartographie als Wissrnsohnft.
könnte fast von einem Zwang reden, weiß Theo bald Fischer in den Bemerkungen
zur Karte der Verbreitmig des Ölbaums zu berichten.^
Ein gutes fCartenbild regt außerordentlich zum Nachdenken an. Welche Schlüssi'
kann man für die Verbreitmig der Deltas und der Niveauveränderung ozeanischer
Küstenstriche aus E. Credners Karten^ direkt folgern, welche Beziehungen zwischen
Klima und Industrie werden sofort durch die Karten über die Verbreitung der Wind-
und Wassermotoren von 0. Krümm el klar^, welche kulturellen Wertschätzungen
für die einzelnen Erdgebiete fließen aus einer Karte, wie der von H. Wagner* über
die Länder, in denen wirkliche Volkszählungen stattgefunden haben: welch richtige
Verkehrsbedeutung erwächst den einzelnen Ozeanen, wenn die Seeverkehrswege die
wirkliche Größe der Güter-(Tonnen-)bewegiuig zu veranschauUchen vermögen.^
Wo wir auch die Untersuchung über den Zweck der Karte und ihre Bedeutung
für die geographische Wissenschaft anschneiden, überall zeigt sich, daß sie die konzen-
trierteste Zusammenfassung des geographischen Wissens ist.* Nicht allein die Massen-
haftigkeit und der vielseitige hohe Wert des topographischen Wissens für die Geo-
graphie, auch für andere Wissenschaften und viele praktische Bedürfnisse und die
vielen jdiysisch-geographischen und kultur-geographischen Erkenntnisse drängen ge-
radezu zur Aufspeicherung in der Karte, der besten, weil anschaulichsten und für die
verschiedenste Verwendung bequemsten Form.' Und K. Lehmann fragt: ,, Wo gibt
es irgendein anderes Hilfsmittel zur Darstellung menschlichen Wissens, das auch nur
entfernt in ähnhchem Maße auf so kleinem Baume und dabei doch in völliger Klarheit
eine solche Fülle von Tatsachen mitzuteilen und soviel von sehr verschiedenartiger
Auskunft zu geben vermöchte?"'*
27. Die Bedeutmi« der Karli' fürs praktiscliv Leben. Neben der wissenschaftHchen
hat die Karte eine eminent praktische Rfdeutimg. Aus den Eeihen der Praktiker er-
scholl in neuerer Zeit der Euf, grolini;illst;iliiL,'('re Karten als die Meßtischblätter 1: 25000
herzustellen. Die Eisenbahn- und Stialli iiliauingenieure können ihre Arbeiten eigentlich
nur mit Karten in 1 : 1000 bis 1 : 5000 beginnen, desgleichen der Wasserbauingenieur-,
der alte imd neue Flußbetten reguUert, Kanäle aushebt und Talsperren baut. Der
Forstmann imd der Agrikulturtechniker können ohne Karte nicht mehr existieren.
Die neueste Zeit stellt Forderungen an die Karte, an. die vor kurzer Frist noch kaum
gedacht wurde. Die Landesaufnahmen haben den neuen erhöhten Pulsschlag gefühlt
' Th. Fischei-: Der Ülbauiu. .Seine geogr. Verbreitimg, seine wirtseliaftUehe und kultui--
lüstoriscbe Bedeutung. Ergh. 147 zu P.M. Gotha 1904, S. 87: „Trotz meiner langen Vertrautheit mit
der Mittelmeer\velt war ich selbst doch beim Einzeichnen überrascht, daß das Verbreitungsgebiet
der Mediterranflora ein so beschränktes und dieselbe tatsächlich in solchem Maße Küstenflora ist.
Damit tritt uns auch eine neue Seite des thennischen Einflusses klar vor Augen, den das Mitt«lmeer
in dieser Richtung ausübt."
- R. Credner: Die Deltas, Ergh. 56 zu P. M. Gotha 1878. Taf. 2 und :!.
" O. Krümmel: Die geographische Verbreitung der Wind- und Wassermotoren im Deutschen
Reiche. Mit 2 Karten. P. M. 1903.
■" H. Wagners Karte in P. M. Ergh. 62. 1880.
^ M. Eckert: Die Großmächte und dei' Großverkehr. Mit 1 Karte. Globus, 88. Bd. 1905.
« H. Eichfeld in Aus allen Weltteilen. X. 1879, S. 161.
' Obiger Satz stammt in seiner Grundgestalt von H. Fischer her (Die Beurteilung d. Landk..
a. a. O.. S. 2) >md ist von mir nur nach der Seite der angewandten Karte enveitert worden.
' R. Lehmann: Die Einführung i. d. crdkundl. Wissenschaft. Leipzig 1921, S. 31.
Dip Bedeutung der Karte. 77
imd suchen den Nenanf orderungen tunlichst zu entsprechen.* Doch sei hier ernstlich
gewarnt, die bisher reich dotierten (von militärischem Geiste getragenen) in spärlich
dotierte (zivilistische) Landesaufnahmen umzuwandeln. Dadurch werden, so paradox
es klingen mag, dem Volksvermögen direkt Wunden geschlagen. Unverantwortlich
ist es von einem Staat, zu verlangen, daß sich seine Landesaufnahme soviel wie möglich
selbst erhalten soll. Gerade die offizielle Kartographie kann dem Praktiker, womit
nicht bloß der Praktiker in Wirtschaft und Verkehr, in Wald und Flur, in Stahl und
Eisen gemeint ist, sondern auch der Kartograph der großen inivaten Karteninstitute,
für- den die offizielle Kartographie die Urquellen und die Originale erster Ordnung (S. 28)
zu schaffen hat, nur darm recht dienen, wenn sie stets in der weitherzigsten, schnellsten
und tat(geld-)kräftigsten Weise vom Staate unterstützt, überhaupt erhalten wird. Das
Geld, das der Staat in eine große Landesaufnahme und deren Erzeugnisse hineinsteckt,
ist nie verloren : denn hundert- und tausendfältig sind die Früchte, die daraus erwachsen,
in der Gegenwart sowohl wie in aller Zukunft. Vielleicht sind die meisten Beurteiler
dieser Verhältnisse noch nicht fähig, für den Staat imd das staatüche Leben die große
Bedeutung der topographischen Karte zu erkennen, weil es elien eine Bedeutung ist,
mit der sich schlechterdings nichts vergleichen läßt.
Außer den konkreten topographischen Karten haben auch die abstrakten ange-
wandten eine außerordentliche Bedeutung für das praktische Leben. Der denkende Kauf-
mann oder Fabrikant wird aus einer guten, nach den neuesten praktischen Methoden
entworfenen ^^'irtschafts- imd Verkehrskarte auf die besten Bezugsquellen der Eohstoffe
imd den kürzesten Weg zu Produktions- und Konsumtionsgebieten schließen und dem-
entsprechend seine Vorkehrimgen treffen. Aus der Fluß- und Verkehrskarte ^\•ird ein
tüchtiger Lidustrieller schUeßen, wohin am besten er seine industriellen Neuanlagen
zu legen hat. Die Boden- und Klimakarte werden dem Landmann, dem Plantagen-
besitzer, dem Viehzüchter den Weg zur Kultivation neuer Gebiete zeigen. Die Karten,
die die Beschaffenheit des Meeresgrundes an der Küste sowohl wie in küsteuferaen
Gebieten zeigen, sind für die Seefischerei von vitalster Bedeutimg. Die ausführhchsten
Karten dieser Art wurden zuerst von den Franzosen gezeichnet. Sie finden jetzt überall
Nachahmimg. Wir besitzen ganz vorzügUche Meeresgrundkarten von der Nordsee und
der Ostsee.* Ferner sei darauf hingewiesen, daß die Karten ein wichtiges Hilfsmittel
für die Auswandererberat img sind.^
An die Verwendung einer Kartenart für die Praxis denkt man im allgemeinen nicht,
wenn man von der praktischen Bedeutung der Karte spricht, und doch ist diese Karte,
' Bei keiner Landesaiifnalinic bald auffälliger zu verspüren als bei der pii-ußisclien; man vpl.
nur den Jaliresbericht der Landesaufnahme 1919/1920. Berlin 1921.
- Beispielsweise die Fischeroikarte des mittlem Teils dei- Ost-se«-. 1 : tillOOüO. Hg. vom
Reichsmarineamt. 1906. In den Mitteilungen des IX-utschen Seefischei-eiveixiius von 190ß heißt es:
„Die Umsicht und die au-sgezeiehnete Technik, die bei der Bearbeitung luid Hei-a\i.igabe deutscher
Admiralitatskarten vorwaltet, kann kaum in einer andern Karte .so deutlich in die Krscheinung treten
wie hier. Durch die in ausführlichster und klarstei- Weise angegebene Beschaffenheit des Meeix>s-
gnuules ist ein lang gehegter Wunsch der deutschen Fischer erfüllt, indi-ni ihnen möglich wird, die
Fangstelle richtig zu wühlen." Ich kann dieser Bcurteihmg nin- voll imd ganz ziLstinunen.
^ Das Deutsche Ausland-Institut Stuttgart Imt unter K. Wunderlich solche Karleu zu-
sammengestellt und geoi-dnet in allgemeine Karten, tlic der Aiuswandei-erberatung dienen, in länder-
kundliche Karten, die Gebiete der gegenwäi-tigen Haupteinwanderung darstellen, imd in solche
geschichtücher Art, die einen überblick über die Kntwicklung der Au-swandercrbewegung bieten.
Tbrigens könnte jetzt auch im die lli ist. Mung ganz, besonderer .\ uswn ndererkn rt«-n g.-da<-ht werden.
78 Die Kartographie als Wissenschaft.
nämlich die Seekarte, die praktische Karte katexochen. Es ist darum auch nicht
wunderbar, wenn das praktische, meerumflutete England zuerst auf die genauere
moderne Seekarte hinarbeitete. Für die Herstellung der Portulankarten des Mittel-
alters wie der spätem eigentlichen Seekarten, so auch der feinen und gewissenhaften
deutschen Seekarten, die erfreulicherweise im Gegensatz zur englischen Fadentiefe und
in Erkenntnis der internationalen Benutzbarkeit eines solchen Werkes die Tiefen in
Metern geben, war ledighch die Brauchlnir- und Verwendbarkeit der Karten für die
Seeschiffahrt der leitende Gesichtspunkt.
Erklärhch wird das Verfahren, die Tiefenlotungen der verschiedensten Völker,
soweit ihnen Vertrauen geschenkt werden kann, bei der Herausgabe eigejier Seekarten
mit zu verarbeiten, wie es auch die deutschen Seekarten für küstenferne Gebiete getan
haben, nachdem mit diesem Verfahren die englischen Seekarten im Anfang des ver-
flossenen Jahrhunderts begonnen hatten. Ebenso trug auch die von der englischen
Eegierimg herausgegebene H.Kap ersehe Sammlung nautischer Positionen alle für jene
Zeiten zugängHchen Schiffahrtdaten zusammen. ^ Im HinbUck auf die praktische Ver-
wertung strebten in noch höherm Grade eine Konzentrierung und systematische Ver-
einigimg geographischer Beobachtungen Maurys Wind-, current-, pilot-charts^ und
Sailing directions an, die auf Grund von Tausenden und Abertausenden von Beobach-
tungen auf Schiffen aller Nationen von M. F.Maury im Observatorium zu Washington
auf Kosten der Vereinigten Staaten gesammelt, bearbeitet und herausgegeben wurden.
Neuern ähnlichen Arbeiten begegnen wir in den ausgezeichneten Segel- und Dampfer
handbüchern mit entsprechenden Atlanten der Deutschen Seewarte zu Hamburg.
28. Überschätzung und Ausartung der Karte. Kartenkuriosa. Die Karte kann
und vermag viel, aber nicht alles. Darum soll man nicht zuviel von ihr verlangen
und sich hüten, sie zu überschätzen. Auf die wissenschaftHche Überschätzimg will ich
nicht weiter eingehen, da sie schon einigemal berührt worden ist. In der Karte hegt
sicher eine bedeutende Macht, aber nur für den, der sie richtig auszimützen versteht,
wenn er sich nicht Lächerlichkeiten aussetzen will.'
Die schHmmste Überschätzimg hegt in den Tendenzkarten vor. Im großen
ganzen ist das Kapitel der Tendenzkarten kein erfreuliches. Sie bieten wissenschaftlich
zu wenig dar. Trotzdem läßt es sich kaum vermeiden, sie nicht als gewisse kultur-
historische Denkmäler, allerdings als solche kultureller Dekadenz zu erwähnen. Wie
man mit der statistischen Zahl zu Agitationszwecken Mißbrauch treiben kann, so auch
mit der Karte, indem man bestimmte Erscheinungen besonders auffallend, grell in
die Augen treten läßt, um auf diese Weise andere, im Grunde die wahren und wichtigern,
^ Table of maritime positions. Erste Ausgabe 1840.
- Ihre Ausgabe begann 1845.
^ Wer seinerzeit bei dem deutsch-französischen Marokkoabkommen (1911) Gelegenheit hatte,
die neuen Grenzen Kamenms auf der von der Diplomatie handschrifthch bearbeiteten Karten-
skizze (auf Gnmdlage des vorhandenen, nicht einmal des neuesten Kartenmaterials!) zu sehen,
konnte sich beim Anbhck der mit dem Lineal gezogenen neuen Grenzen nicht des Kopfsohüttehis
enthalten. Entweder hatte man da die Macht der Karte überschätzt oder unterschätzt, was schließ-
lich zu dem gleichen Effekt führte; derm sehr viele Wirmisse mußten bei der folgenden Grenz-
reguherimg entwirrt werden, was von vornherein zu vermeiden gewesen wäre, wenn man vernünftiger-
weise auf die geographische Beschaffenheit des Landes mehr Rücksicht genommen hätte. Oder
sollten sich in der ursprünghchen diplomatischen Anlage die tiefem geographischen Kenntnisse
französiscber wie (leutsehci- Diplomaten offenbart haben V
Die Bedeutung der Karte. 79
zu verdunkeln. Es wird gewissen Tatsachen — hierbei handelt es sich nur um an-
gewandte Karten — ein Wert beigelegt, den sie gar nicht besitzen. Darin besteht eben
die große Gefahr der Tendenzkarten, daß zumeist Tatsachen in das Kartenbild hinein-
gelogeu werden. Diese Art Karten hat man bereits mit den verschiedensten Zweck-
bestimmungen auf den Markt gebracht ; neuerdings in schamlosester Weise von selten
Polens. Bei den pohlischen Karten blickt man in einen Abgrund von wissenschaftlicher
und kartographischer Gewissen- und Kritiklosigkeit. ^ Ihre Absicht ist, den wahren
Tatbestand zu verschleiern imd auf diese Weise sich Vorteile zu verschaffen, die kulturell,
wissenschaftlich und völkisch unbegründet smd; mid so werden sie zu einem beredten
imd betrübenden Zeugnis dafür, wie verderblich die Karte ist, wenn sie als ein falsch
aufgebautes, Sand in die Augen streuendes und ski-upelloses Propagandamittel ge-
braucht wird. Diese Ausartung der Karte kann nicht genug gebrandmarkt werden.
Einer erfreuhchern Seite der Ausartung von Karten begegnen wir in altern Karten,
die wir- als Kartenkuriosa ansprechen. Es sind die Karten, die man im 18. Jahr-
hundert als „hieroglyphische" oder „Phantasiekarten'" (mappae imaginariae) be-
zeichnete imd die moralische, poUtische und sonstige historische Vorstelkmgen in der
Form einer Landkarte brachten. Mithin sind es gar keine Landkarten im eigenthcheu
Simie, aber als kultm-historische mid kartographische Denkmäler haben sie einigen
Wert. Unter den altern Schriftstellern sind es z. B. Hauber^, sodann der Verfasser
des mehrfach zitierten Artikels ,, Landkarte" in der Ökonomisch-technologischen
Enzyklopädie von J. G. Krünitz, die die Kartenkuriosa erwälmen. Am berühmtesten
war die Karte von „Utopien- oder Schlaraffenland" aus dem Ende des 17. Jahrhimderts.
Die Karte ist mehrmals nachgeahmt worden und wird einigemal bei altern Schrift-
' Daliin gehört die polnische Karte „Polen und seine Nachbarn" 1921. Die statistischen An-
gaben sind ganz falsch bearbeitet. Eine andere gleichzeitige polnische Karte stellt j.Rehgionsverhält-
nisse von Preußen (!), Oberechlesien und Polen" dar. Ein „Deutsches Reich" will die Karte offenbar
nicht kennen; es wird gefUssentlich an der historischen Entwicklung des letzten Jahrhundert« vorbei-
gegangen. Warum dies geschieht, ist aus der Karte leicht zu entnelunen. Die Verteiliuig der Prote-
stanten und Katholiken ist nach Piozenten dargestellt, und es soll selbstverständlich der Eindruck
in Obei-schlesien erweckt werden, daß „Preußen" als vorwiegend protestantisches Gebiet den Ober-
schlesiem seelisch weniger nahe steht als das katholische Polen. „Woliin muß", heißt es wörtlich
in den Erläuterungen, „demnach das katholische Volk Oberschlesions hinstreben?" Daß innerhalb
des Deutschen Reiches .sehr große Teile katholischer Bevölkerung vorhanden sind, wird durch die
gewählte Beschränkung auf Preußen vollständig vei'schwiegen. Auch auf die ostpreußische Frage
fällt dabei durch die polnische Karte ein entsprechendes Licht: da-s katholisclie Ermeland soll Sehn-
sucht nach dem katholischen Großpolen bekonnuen! Die Karte besitzt aber noch weiteres Intercs-se.
Juden und Orthodoxe sind innerhalb des neuen Polen mit den Protestanten durch gleiche Farbe be-
zeichnet. Dadurch, und vor allem duroh die imrichtigen Zahlenberochnimgen erscheint die ostpolnisclie
Grenzfrage in einem den Polen sehr viel günstigem Lichte als es in Wirklichkeit zutrifft. Die ethno-
graphische imd damit auch die reUgiöse Grenze verläuft viel näher der ehemaligen Grenze \-on
Kongreß-Polen als der auf der Karte angegebenen neuen Ostgrenze des {wlnischen Staates. Durch
die gewählte Signatur werden diese Verhältnisse aber vollkommen verschleiert; die Karte sollte in
dieser Beziehung bei der Entente günstige Eindrücke schaffen, ^fan sieht jedenfalls, mit welchem Gt"-
scliick sich die Polen der Karten als politisches Proiiagandamittel zu bedienen wissen. - Man vgl.
dazu die vomelime Art einer ähnhehen Karte der Preußischen Landesaufnahme „Karte über da.-
Ergebnis der oberschlesischen Abstimmung" 1 : 200000. Berlin 1921. Ferner die \-om Pi-cssediensl
für Oberschicsien heraiusgegebene „Karte des Abstinunungsgebietes", I : 250000, auf der die Akt<-
ix)lnischer Wahlbeeinflussmig dargestellt sind. — Das gan^.e krtrtographischc Scliwindeliranöver
der Polen beleuchtet sehr gut W. Stahlberp: Da.s Kartenspiel in Oberschlesien. Die Oron7hoten
1921. Heft 17/18.
- K. D. Haub.T: Versuch ein.i imisliindli.h.-n His|,„». .I,.,- Lmd Ch.irlen. flni 1724. S. 4ti. +7.
80 Die Kartogi-aphie als Wiasenachaft.
stellern erwähnt. Ihren Verfasser kennt man nicht. Länder und Städte dieser Karte
waren nirgends vorhanden. Wollust, Hochmut, Faulheit und alle übrigen Laster wurden
als Königreiche, Städte, Flüsse und Meerbusen dargestellt und bespöttelt, ,, damit ein
jeder Lasterhafter sich von dergleichen Schimpf möge hüten lernen". ^
In die Eeiho der Kuriosa gehören die „Cartes de Tendre", die Liebeskarten
des 17. und IH. .Jahrhunderts, die ihr Vorbild in der „Carte de Tendre" aus dem Eoman
ClöHa (Clelie, 1654—1660) der Madeleine de Scudery hatten. ^ M. Seutter in Augsburg
hatte eine ähnliche Karte auf den Markt gebracht.^ Gegen Ende des 18. Jahrhunderts
wurden nochmals Liebeskarten von J. G. I. Breitkopf* imd Wilh-. Haas'' heraus-
gegeben, sie waren zugleich die ersten interessanten Versuche, den Landkarten- Satz
(Letterndruck) bei der Kartenherstellung zu verwenden. Im 18. Jahrhundert blühte
auch die Herstellung von geographisch-kartographischen Spielen und von Spielkarten,
die man aus den Landkarten herausgeschnitten hatte.*
Man wird es jenen Zeiten gern verzeihen, wenn die Lust an kartographischen
Darstellmigen über das rein Geographische hinausgegangen ist und mancherlei karto-
graphische Auswüchse erzeugt hat, die den modernen Geist eigenartig anmuten. Bei
ihnen kommt auch der Drang nach übersichtlicher Zusammenfassung zur Geltung,
wie er sich im Wesen der Karte ausspricht. All diese Produkte können als geistreiche
Spielereien angesehen werden, wie auch die phantastischen Einzeichnungen von Stern-
bildern in biblische Personen, Ereignisse usw. in Homanns Globus coelestis oder im
Atlas coelestis seu Harmonia macrocosmica (Ende des 17. Jahrhunderts), von dem
Hübner urteilte, daß er „ein Jeu d'esprit ist, das mehr Curiosität als Nutzen bei sich
führet". Immerhin sind diese Erzeugnisse ein Hinweis auf das große Interesse, das
damals den Karten entgegengebracht wurde.
Die Betrachtung der Karte in der Karikatur verflechtet sich eng mit der
Untersuchung über die Kartenkuriosa. Wir lietreten damit in der Hauptsache das
Gebiet der Politik. Der Spott über die Machtäußerungen und -ansprüche verschiedener
Staaten nimmt auf der Karte verschiedene witzige Ausdrucksformen an; so wenn
innerhalb des Kartemrahmens und der poHtischen Grenzen Europa z. B. mit einer
Jungfrau, die Niederlande oder England mit einem Löwen, Prankreich mit einem
' Jn dem oben erwähnten Artikel bei Krünitz ist die Karte des Sehlaiaffenlandes näher
beschrieben, Bd. 60, S. 294 -302.
^ Die Karte enthält die allegorische Greographie der Liebe. Sie ist mit großem Geschick ge-
zeichnet. Das Original befindet sich in der Nationalbibl. zu Paris, eine gute Reproduktion davon
in der Geschichte der französ. Literatur von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart von H. Suchier
und Ad. Birch-Hirschfeld. Leipzig und Wien 1900, S. 410.
■' M. Seutter: Representation symbolique et ingenieuse projettee en Siege et en Bombarde-
ment, comme il faut, empecher prudemment les attaques de l'amour; mit der heitern Zwecksetzung :
Methode jxjur defendre et conserver son coeur contre les attaques de l'araour.
* J. G. I. Breitkopf: Das Reich der Liebe. Leipzig 1777. Gute Reproduktion der Karte
in dem oben ei-wähnten Artikel bei Krünitz als Fig. 3779. — Quelle der Wünsche, nebst Landkarte.
Leipzig 1779.
■' Wilh. Haas: Reise in das Reich der Liebe, nebst der Charte dieses Landes. Basel 1790.
" Dazu gehört z. B. Koenigii: Methodus per aleani lusoriam locorum cognitionem alicui in-
figendi. 17. 18. Jahrh. — Unter den geograph.-kartograph. Spielen war seinerzeit am bekanntesten
J. Fr. Andreae: Das europäisch-geographische Gänsespiel. Nürnberg s. a., 18. Jahrh. — Im Franzö-
sischen haben wir: Jeu de G^ogiaphie, ou sont les quatre parties du monde. Amsterdam chez Pierre
Monier, s. a. 18. Jahrh. — Ferner gehört hierher: Die Einnahme der Festung Rudella. Ein Gesell-
schaftsspiel (a\is d. 18. Jahrh.) von F. W. A. Isert in Berlin.
Die Hrdeutung der Kart». 81
krallenden Hahn. Hiil.Uand mit t'ineni iJäreii usw. vergliclien oder wenn Itekaiinte und
lierüchtigte politische Persönlichkeiten in die politische Umrahmung der Staaten ein-
gezwängt werden. Derartige Karten kennt bereits das 17. Jahrhundert. Sie sind dann
zu allen Zeiten gezeichnet worden, treten aber wieder häufiger in der Glitte und am
Ende des 10. Jahrhunderts auf. Auch der Weltkrieg hat derartige Karten in England,
Frankreich mid ganz liesonders interessante in Deutschland erzeugt.'
2!l. Karte und Kunst. I''.in ungeklärtes Kapitel in der ixartograpliit' ist das über
Karte und Kunst. Seihst nn Kreise der (ieographen herrscht keine Klarheit über das
MaiJ, wieweit die Karte als ein Kimsterzeugnis gelten kaim. Wenn bedeutende Geo-
graphen die geographische Wissenschaft auf die Darstellung der Erdoberfläche durch
Schrift und Rede beschränken wollen und ihr die Kartographie als eine Kimst gegenüber-
stellen, kommt bei diesem unglücklichen Spiel mit Worten, wie J. Partsch sagt, nicht
viel heraus.2 Diametral entgegengesetzt ist die Richtung, die aus dem Kartenbild
die letzte Kunstfaser herausziehen mid sie lediglich als ein geotechnisches Gebilde
angesehen wissen will. Zu ihren Vertretern gehörte lange Zeit K. Peucker. Die Wahr-
heit beider Anschauimgen liegt in der Mitte. Zu ihrer Klarlegung dringen wir vor.
w(^nn wir in unsrer Erörterung historisch vorgehen.
Auf mittelalterlichen Darstellungen ist es manchmal schwer, Karte von J3ild
zu imterscheiden. Indessen hat das Streben, von dem Lande eine Maßvorstellung und
eine Anschauung über seine Form und Ausdehnung zu bekommen, wohl letzten Endes
l)ei jeder Darstellung in Kartenform mitgespielt. ,.Vor allem wollte man eine Vor-
stellung von der Erscheinmig für sich selber herausgestalten und sie dann auch andern
vermitteln, und das war ein künstlerisches Schaffen, ein Gestalten in sich inid aus sich
heraus, mit subjektivem Einschlag, wo in der Seele der Gedanke erwacht imd dann
aus ihr zur Tat wird, wobei ihm der Kopf die Form gibt."^ Im Mittelalter selbst wurde
die Karte als ein Gemälde angesehen, worauf auch die Bezeichnung „pictura" deutet,
die auf sie angewandt wurde. Weit noch in die neue Zeit hinein begegnen wir dieser
Auffassung, wenn auch die eigentliche Bedeutung von pictura mehr und mehr ver-
blaßt. In Ph. Clüvers Introductio in universam geographiam tam veterem quam
novam lesen wir in den Ausgaben aus dem Ende des 17. Jahrhunderts: Mai>pa seu
Charta Geographica est pictura, qua situs Terrae vel ejus partes in piano artificiose
describuntur." Trotzdem, daß durch Mercator u. a. der mathematischen Grundlage
der Karte ein bedeutendes t'bergewicht gegeben wird, betrachtete man die Karte
weiterhin als ein G(>mälde. als Kunstprodukt per se. Darum kann es nicht wunder-
nehmen, daß auf vielen Karten des 16. bis 18. Jahrhunderts, ja auf französischen his
tief ins 10. Jahrhundert hinein, der eigentliche Karteninhalt mehr oder minder als
Nebensache erscheint und das Drum-und-Dran die Hauptsache ist, d. h. die reich ver-
schnörkelte Randleiste, die l'itelsetzungen und -Verzierungen, die Parerga und sonstige
Ausschmückimgen, wie Städteansiehtcii, Volkstyiieu. Traciiteiil.iider. Seihst zur l'nter-
/.. ß. „(U^'driingtcrriilijahi-sülHisicIU von Kiii-im i. .1. 1!)1.">". Vorlag von L. Uriifo, Haml>mg.
.J. Partsch: Die geographisihc Arbeit iles l'.t. .lahrh. Hfktoi-atorede. BroMlau ISO!), S. 7.
F. Becker: Die Kunst in der Kartograpliie. G. 7.. 1910. S. 47:t.
Obige Stolle ist aus der Ausgabe v. .1. 1097, S. ")9. Anistei-dani bei J. Wolters, zitiert. In
.\mstoixlnni l«7ß iH-i ,J. Waesbergios.
II : Deninaih scheint sie von Cliiver
IUI andei
•n, gleichfalls in meinem Be?
dt/.
befii
idlii
lOien
Ausgab
in der
mehr riti verseliei
, rrfon
le
lilt
<lic
Definit
•Ibst nid
it her/iistiinimen.
Eckert
, K»rliüWl»»eu»cLuft. i.
82 Di.- KaituKVHphif als Wisisenscli.ilt.
bringung ganzer Pürstengalerien^ und dazugehöriger Wappen^ dient die Karte. Für
jene Zeiten war in der Tat eine so reich ausgestattete Karte ein begehrter und gern
gesehener Wandsehmuck; und es ist nicht weiter erstaunhch, wenn der kurfürsthch
sächsische Land- und ( Irenzkommissar A. F. Zürner ("j" 174'2) den „großen Herren"
empfahl, die Karten in Tapetenform herstellen imd „damit ihre Zimmer auf ehie propre
und magnifique Art meubliren zu lassen." Wenn gute Karten heute noch als Wand-
schmuck emiifnhlen werden, kann man das nur begrüßen.*
Kein Zufall ist es, daß die Blütezeiten kartographischen Schaffens vielfach mit
denjenigen der Kunst zusammenfallen. Die Kunst folgt gern dem Glanz des Herrscher-
hauses, der Monarchie. Eine ähnliche Erscheinung müssen wir auch bei der Karto-
graphie feststellen, eingedenk der alten HerrHchkeit an den Höfen Frankreichs*,
Bayerns, Sachsens, Österreichs usw. Die alten Fürstenhöfe und die geistig bedeutenden
Eeichsstädte mit ihren tüchtigen, kunstliebenden Patrizierfamilien waren Horte und
Pflegestätten der Kmist und der Kartographie.^ Gewiß ist auch, daß bis in die neueste
Zeit die Älonarchie die Kartographie immer gepflegt und gehegt hat. Dagegen zerstört
die Eevolution nur Werte imd die Republik soll, wie man sagt, Kunst und Wissen-
schaft schützen. Damit ist für die Kartographie blutwenig getan, sie muß nicht bloß
beschützt, sondern vor allem tatkräftig unterstützt werden, wie ich schon an anderer
Stelle betont habe (s. S. 77).
Im 19. Jahrhundert klären sich die Ansichten, daß man in der Karte nicht bloß
ein Kimstprodukt, sondern ein bedeutendes wissenschaftliches Erzeugnis, als welches
sie sich allmähhch herauswächst, vor sich hat. Trotzdem lesen wir noch von ,, Gemälde",
„Naturgemälde" (0. Peschel), aber nicht im Sinne des altern Kimstproduktes, sondern
hauptsächlich auf die Art der Wiedergabe der Oberflächengestalt gemünzt. Auch hervor-
ragende Kartographen und Kartenkenner bedienen sich gern dieser und ähnlicher
Redewendungen und Vergleiche. E. v. Sydow spricht des öftern von Porträt und
Porträtieren^, auch Chr. v. Steeb'; H. Habenicht und andere von dem Anthtz der
Erde. In diesem Vergleich kommen sich Karte imd Kunst schon näher. Böcklin hat
einmal gesagt, daß das Porträt die elendeste Kunstgattung sei, weil es dem Künstler
in der Behandlimg des Stoffes Fesseln auferlegt. „So können wir auch die Topographie
vmd Kartographie als die schwierigste und sprödeste Kunstbetätigvmg ansehen"
(F. Becker). Dagegen müssen wir die Versuche als abenteuerlich bezeichnen, die die
Horizontalschichten und Schraffiermethoden auf ein menschliches Gesicht anwenden.*
1 So z. B. auf: Geographische Karten / von gantz Teutschlandt / worinen Zur Nachricht an-
gedeutet vnd Beschrieben wirdt / was Ihr Königl. Mayt. In Schweden vnd dero Allyrten / beyden
Anno 1648 Jahrs zu Münster vnd Oßnabrugt getroffenen Frieden Schhiß etc. [Univ. Bibl. Göttingen].
^ In der Heraldik ist das Studium dieser Karten, die in der richtigen Wiedergabe von Wappen
nicht selten Hervorragendes leisten, noch nicht genügend ausgenutzt worden.
^ So empfiehlt z. B. H. Habenicht S. G. Bartholomews TojDograpbical and physical map
of Palestine (Edinburgh 1901) als einen prachtvoUen Wandschmuck. P.M. 1902, LB. 146, S. 45.
* Man denke hier nur an die vielen Auszeichnimgen für Kartographen als eines „Geographe
du Roi" oder „Geographe ordinaire du Roi".
^ Daß insbesondere ein Zeitalter Ludwig XIII. und Ludwig XIV, das den Künsten imd
Wissenschaften so förderhch war, auch auf die Kartographie großen Einfluß gewinnen nuißte, ist
einleuchtend.
« E. V. Sydow z. B. in P. M. 1859, S. 209.
' Chr. V. Steeb: Die Kriegskarten. Mitt. des k. k. mil.-geogr. Inst. XX. Wien 1901, S. 144.
« Charties (Beamter des französischen Kriegsdepartements): Models de Topographie. Paris
s. a. Etwa Mitte des 19. .Vh. — ÄhnMchen Versuchen begegnet man auch in Deutschland.
Die Bedeutung der Karte. 83
Es läßt sich niclit in Widerrede stellen, daß all diese Bezeichnungen und Versuche
ein gut Teil Schuld daran haben, wenn heute noch in nichtfachmännischen Kreisen die
Karte mehr als Kunst- und weniger als wissenschaftliches Produkt bewertet ward.
E. V. Sydow dürfte einer der ersten sein, der klar zum Ausdruck gebracht hat.
daß die Kartographie ein inniges Verschmelzen des wissenschaftlichen Geistes mit der
ausübenden Kunst ist.^ Die beste, auf guter Grundlage beruhende Bearbeitung einer
Karte erfüllt nicht ihren Zweck, wenn nicht der Kartograph dem Kartenentwurf eine
schöne, ästhetisch wirkende Fonii zu geben und das technische Verfahren die Vorzüge
der Karte ziu- Geltimg zu liringen vermag.^ Auch damit hat die Kartograpliie etwas
Übereinstimmendes mit der Kunst, sie bedient sich deren Eeproduktionsmethodeu, also
des Holzschnittes, Kupferstiches, der Lithogi'aphie, Hehogravüre, Photographie, des
Vielfarbendruckes usw. In dem Maße, wie die Eeproduktionsmethoden sorgfältig oder
nicht sorgfältig behandelt werden, wird sich dies in dem Erzeugnis, also in der Karte
bekimden. Das Produkt der Eeproduktionsverfahrens hält oft nicht das, was die
Manuskriptkarte versprochen. Darum muß die wissenscbaftHche Kartographie auch
der Kartenreproduktion eine Stelle in ihrer Untersuchung einräumen.'
Wird von der Karte als Kunstprodukt gesprochen, denkt man unwillkürlich au
die chorographische Karte, die gewöhnhche Landkarte, obwohl auch die angewandte
Karte und die topographische Karte viele Seiten der Kimstbetätigmig imd Kunst-
Ijetrachtimg darbieten. Es wäre ein großer Irrtum, insbesondere bei der topographischen
Karte kein künstlerisches Können des Kartographen vorauszusetzen, übrigens eine
merkwürdige Anschauung, der im Anfang des verflossenen Jahrhunderts schon der
französische Oberst Bonne entgegentrat: ,,Man solle nicht aus den Augen verlieren,
daß eine topographische Karte eine Art Gemälde ist. Der Gegenstand selbst ist an
sich schon trocken genug; nehmen wir ihm daher nicht auch noch das Wenige, was
ansprechen könnte." Welche Anforderung an das künstlerische Vermögen des Karto-
graphen stellt z. B. die Felszeichnung auf topographischen Karten!
Die Kirnst imd der Geschmack des Kartographen spricht sich vorzugsweise in
der Geländedarstelhmg aus, imd da stellen sich wiederum der chorographischen Karte
ganz andere künstlerische Forderungen entgegen als der topographischen. Dort ist
die Generalisation, die Verkleinerung, wie E. v. Sydow sagt, die Klip])e, an der sehr
viele Karton scheitern; denn gerade sie setzt ein Geistig.^ichversenken in den abzubil-
denden Gegenstand voraus, wie kaum wo anders im kartographischen Schaffen. In
dieser Art Intuition erblickt insonderheit A. Hettner die Kirnst der kartographischen
Darstellimg'*, in ähnlicher Weise, wie man von einer Kunst der historischen Darstellimg
spricht. Ob wir bei der Darstelhmg des Geländes einmal .soweit kounuen. wie manche
glauben, die kimstlerischo Konstruktion nach der alt üherhcferten Methode^ di's Messens,
die docli der eigeiitliolie Kern der Geometrie im Bereiche der Kunst ist. durch das
rhythmische Baumgefühl zu ersetzen, wird die Zukunft lehren.
Die Kunst, das technische Kunstschaffen sowohl wie das intuitive, ist mein- in
der Karte verankert als man glaubt. Es hilft nichts, sie wegzudis)mtieren. Warum auch ?
' E. V. Sydow: Der kartograph. StaiicliHinkt Kiimpa.'« i. d. .Iiihn-n Istio iiixl ls»il. l'. M.
1861. S. 467.
* C.Vogel: Übersichtsk. v. Mitteleumi» 1 : 750000. 1'. M. 1887, S. lü.
' H. Haack: Die Fortschritte der Kartenprojekt ioiiNlehro. Kartenzeiohnunj; und ver\-i<'l-
fültimmc. s.nvie der KarlenmesHunfi. O. .1. XWI. lOaTlilOl. S. Ml. — V^l. anriv ob..n S. '.'S
' .\. H.ltncr: Die Kigenscliaflen und Methoden <ler knrto(;r. DarsIeJlnnK. 0. Z. 1910. .S. U'l.
84 Dif Kartographip als Wissenschaft.
Ist es nicht ein lächerliches Beginnpn, Kunst nnd Wissenschaft oder Kvuist und Teclmik
in Widerspruch zu Ijriugen. Die Phantasie ist die Mutter beider. Ist niciit der große
J)enker zugleich ein großer Künstler. Sind nicht große Naturforscher zugleich große
Künstler. Man denke mir an A. v. Humboldt . Ch. Darwin, E. Haeckel u.a.m.
und daliei nicht an die nianiudlen Produkte, sondern an die Darstelhnig des Wissens-
stoffes. Das Große und Weite wird erfaßt, geistvoll durchdrungen und in eine faßbare
l<\)rm gebracht. Das ist reines Kunstschaffen. Das war im Altertum so wie heute.
Und doch fängt der moderne Menscli an, sich langsam imizuwandeln mid die Begriffe
iler Schönheit und ästhetischen Befriedigung umzuprägen. Das Mittelalter konnte
sich an den schaurigen Märtyrerszenen dei' alten deutschen Meister nicht satt sehen,
heute haben sie mehr kunstgeschichtliches Interesse. Wir sprechen bei der Erklärung
eines Bildes von der i)rächtigen Farbenzusammenstellung, dem guten Faltenwurf, dem
gelungenen Gesichtsausdruck, wir sprechen heute aber auch von der schönen Linie
einer in Eisen konstruierten Brücke, von einem schönen Maschinensaal, von einer
schönen Stadt- und Parklage, von einer schönen Karte usw. Wollte man die Karte
selbst nicht als ein Produkt des Kimstkönnens gelten lassen, müßte man doch ein-
räumen, daß sie ästhetischen Anforderungen in hohem Maße nachzukommen hat. Auf
letztere Seite ist l)ei T'ntersuchungen, selbst bei Kartenbesprechnngen noch viel zu
wenig Gewicht gelegt worden, und doch ist das Kajjitel Kartographie und Kunst,
überhaupt Geographie und Kunst, so wichtig, daß es schon längst einmal ein Verhand-
lungsgegenstand bei emem internationalen oder heimischen geographischen Kongresse
hätte gewesen sein müssen.^
Wie bereits näher ausgeführt wurde (§ 20), hält die Karte ein bestimmtes Erd-
bild zur bestimmten Zeit fest. Das Fixieren eines bestimmten Momentes in der Er-
scheinungen Flucht hat die praktische Kartographie mit den Künsten des Raumes ge-
meinsam. Den Künsten der Zeit würde, falls ein Vergleich hier erlaubt ist, die be-
schreibende Geographie entsprechen; denn sie verfährt sukzessive bei der Darlegung
ihres Stoffes und ihrer Begriffe.^ Während jedoch die einzelnen Künste des Baumes
mid der Zeit in ihrer spezifischen Art für sich bestehen, können es Kartographie und
beschreibende Erdkunde weit weniger.
Die Karte bedarf von Grund aus des erläuternden imd belehrenden Wortes,
nicht allein für den Hersteller, sondern auch für den Benutzer. Wohl hat C. Vogel
beim Anbhck von Schweizerkarten einmal geäußert, daß sie das Ideal seien, da sie
ohne erklärende Worte zu uns sprächen (S. 66). Das ist jedoch nur ein Ausnahmefall.
Solange es Karten gibt, wird es auch Erklärungen dazu geben, und immer wieder wird
man in das Lesen der Karte eingeführt werden müssen Ein ganz Schlauer kann mir
hier entgegenhalten, daß die neuern Kunstprodukte, wiedie des Impressionismus und
Expressionismus auch einer Erklärung, eines Impresarios bedürfen, infolgedessen sei
der Unterschied zwischen Karte und Kunst gar nicht so groß. Ist die Kartographie
' Die Themata über diesen Gegenstand hängen in der Luft. Warum wird die Kartographie
auf den Deutschen Geographentagen immer so stiefmütterlich behandelt? Warum behandelt man
nicht einmal Kartographie und Kunst ? Warum nicht Geographie imd Kunst ? Hier würden J. Ponten
und E. Banse („Expressionismus und Geographie") das richtige Wort gefunden haben. Denn
G.L.Kriegks Studie Über ästhetische Geographie, I^eipzig 1840, ist längst vergessen. Der Geo-
graphentag müßte allen geographischen Richtungen gerecht werden und Gelegenheit zur Aussprache
die ja kurz bemessen sein kann - über neue Ergebnisse geben.
' Vgl. das anregende Einleitungskapitel b(^i K. .Tolig: Niederländische Einflüsse i. d. deutsch.
Kaitographie bes. des 18. Jahrh. Diss. Leipzig 190^.
Die Bedeutung der Karte. 85
auch eine imitative Kunst, wird sie doch weder zum Impressionismus werden, der die
Welt malt, wie sie gerade der betreffende Künstler sieht, noch zum Expressionismus,
der aus Farbe und Form Bilder sozusagen abstrakt, nach Art optischer Kontrajjunktik
aufbaut. Meiner Meinung nach sind jene expressionistischen Erzeugnisse gar keine
Bilder in dem üblichen Sinne, sondern mehr künstlerische Experimente, die der Er-
klärung bedürfen, da sie nicht selten den Nexus der Lage der Teile des Raumes ver-
schieben oder (scheinbar) auf den Kopf stellen. „Auf dem Nexus der Lage der Teile des
Raumes beruht die ganze Geometrie" vmd in weiterer Folge die gesamte Kartographie,
wie ich ein Wort von A. Schopenhauer ergänzen möchte. Wir kommen von dieser
geometrischen, der eigenthch wissenschaftlichen Grundlage der Karte nicht los. Das
ist aber auch der große Vorzug der Karte als eines wissenschaftlichen Hilfsmittels der
Geographie in künstlerischem Gewand. Sie bleibt immer an die darstellende Wirklich-
keit, au eine wissenschaftUche Basis und einen wissenschaftlichen Aufbau gebunden.
So wird die Karte unbeschadet aller künstlerischen Aufmachung wahr und treu sein,
wie es das Ziel jeglicher wissenschaftüchen Arbeit sein soU.i
SO. Die kartographische Befähigung eiuzehier Völker. Wie jedes Volk seine Eigenart
besitzt und sie in vielseitigster Art imd Weise zu betätigen sucht, läßt sich dies auch
in der Kartographie nachweisen, weniger auf de'm Gebiet der topographischen üriginal-
karte als vielmehr auf dem der chorographischen Karte. Ich kann hier nur auf Grund-
sätzliches eingehen, die ausführlichere Behandlung dieses Gegenstandes würde einer
Geschichte der Kartographie angehören. Bei den topographischen Karten handelt
es sich um die Fixierung der mathematisch gewonnenen Vermessungsergebnisse. Du
ist wenig nach eigenem Ermessen zu gestalten, das Gerippe ist vorschriftsmäßig aus-
zufüllen. Es werden sich demnach bei den kartographischen Ergebnissen der Landes-
aufnahmen im allgemeinen nicht so schwerwiegende Differenzen ergeben, daß man von
einem besondeni Kartentypus der einzehien Völker sprechen könnte, wenn auch zuletzt
jeder Kenner das deutsche Aufnahmeblatt von dem österreichischen, italienischen
oder französischen sofort unterscheiden wird. Sie ähneln alle mehr oder weniger einander ;
ihre Unterschiede treten meistens da hervor, wo die Ijandesnatur zu besoudem Dar-
stcllungsweisen (Felszeichnung usw.) zwingt. Erst dort, wo die Originalkarteu weiter
\crarbeitet werden, treten die Gharaktereigentümlichkeiten der einzehien Völker in
der kartograjihischen Produktion entschieden hervor. An drr Generalisierung sollt ihr
sie erkeimen! Und das GeneraHsieren ist eine sehr seliwire Arbeit, die nach C. Vogels
Urteil erst nach langjähriger Routine erlernt werden kann.
.\uf dem Gebiet der chorographischen Karten halien si'it nahezu 100 Jahren die
Deutschen (einschließlich Deutsch-Österreicher und Deutsch-Schweizer) die l-'ührung
an sich gebracht. Dem Deutschen ist von Haus aus eine große Gewissenhaftigkeit,
ein andauernder Fleiß und Pflichttreue auch im kleinsten eigen, welche Tugenden
sich in den deutschen Kartenwerken glänzend widerspiegeln. Dazu konnnt das ihm
eigentümhche kosmopolitische Auffa.ssen und Denken, also die Charaktereigenschaft,
sich schnell in die Wesensart anderer Völker und anderer Gegenden zu versetzen.*
Darum war er bisher allein fähig, von der ganzen Erde Karten und Atlanten von großer
' Eug. OlxMhummer: Übor HiR-hncliiinskartfii. VoitniK auf <1. VIl. liit<Mniit. GtH.graplien-
konproll Berlin 18U9. II. Berlin 1001, S. «H.
••' Kein Volk hat soviel übersetzt iiiul vei-steht Silin und .\iH<lnu k der „Stiiiinuii der Völker"
(J. Or. Herder) wie das doutache.
86 Die Kartogrrtpliii! jila WiMNcnsclrnft.
Vollkommenheit herauszugeben, Kartenwerke, die den andern Völkern erst zeigen
mußten, wie ihr Land gestaltet ist.^ Der Ausspruch E. v. Sydows, daß in Deutschland
die Anwendung der Kartographie ,,auf die Herstellung der Atlanten aller Gattungen
zur Unterstützung des wissenschaftlichen Studiums, des praktischen Gebrauchs imd
des Schulbedürfnisses viel zahlreicher und der neuern geographischen Schule ent-
sprechender ist wie in allen andern Ländern"^ bleibt heute noch zu recht bestehen.
Stand Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits quantitativ mit
seinen Kartenerzeugnissen über den andern Staaten, so seit der Mitte des Jahrhunderts
auch qualitativ. An unsern Stieler, Debes, Andree kann kein fremdes Werk bis jetzt
heran. Aber selbst für das eigene Land eine so prächtige, bei einem Maßstab in 1 : 500000
so ungemein topographisch fein detailierte Karte wie die von C.Vogel zu schaffen, ist
bisher noch keinem andern Volk in ähnlichem Maße gelungen. Eeich sind die An-
regungen, die andere Völker von der deutschen Kartographie empfangen haben. Daß
deutsche Karten den fremdländischen als Muster dienen, ist nichts Ungewöhnliches, und
in der feinen Schraffentechnik imd im wissenschaftlichen Aufbau werden sie selten er-
reicht, geschweige übertroffen. Ob Deutschland fürderhin die Führung in der Karto-
graphie behalten wird, werden die folgenden Jahrzehnte lehren. Bis jetzt können die
Deutschen stolz darauf sein, daß es Deutschland dank seiner eminent wissenschaft-
lichen und praktischen Befähigung noch immer verstanden hat, sowohl an der Spitze
der Fortschritte auf kartographischem Gel)iete wie der Vertiefimg geographischer Kennt-
nisse und der Vermehrung und Verbesserung von Hilfsmitteln der geographischen
Wissenschaft zu stehen.
Die österreichische Kartographie kann man sich ohne die mannigfaltigen
Schraffenkarten des K. K. MiUtär-geographischen Listitutes nicht denken. Heute
noch möchte ich unterstreichen, was A. Petermann 1878 geurteilt hat: „Die öster-
reichischen Generalstabskarten sind von altersher in großem und noblem Stil zu-
geschnitten und in außerordentlich kräftiger Weise ausgeführt, es ist das einmal adop-
tierte System und die zum feststehenden Gebrauch gewordene Geschmacksrichtung."*
Die inoffizielle Kartenindustrie* fing mit den Arbeiten von Hauslab, Steinhauser,
Streffleur an, also mit den kolorierten Höhenschichtendarstellungen eine typische
Eichtung zu verfolgen, die jedoch über den engern österreichischen Kreis hinaus keine
Bedeutung gewann. Vielleicht erblüht der farbigen Karte durch den Schlesier
K. Peucker in Wien eine neue Ära.
Die Schweizer Kartographie kommt der deutschen sehr nahe, weniger in den
allgemeinen Kartenproduktionen als vielmehr in den topographischen Spezialkarten ;
vielleicht steht hierin die Schweiz an erster Stelle. Wenn Amrein sagt^, daß die eigen-
artigen Terrainverhältnisse der Schweiz der technischen Anlage und künstlerischen
Ausführung ungleich schwierigere Aufgaben stellten als diejenigen der meisten anderer
Länder, so kann man wohl dieser Aussage im ersten Punkt bezügUch der technischen
' Ich denke hier z. B. an die Vierblattkarte von Spanien, an die Karten \on Süd- und Nord-
anieiika in Stielers Handatlas.
2 E. V. Sydow in P. M. 1857, S. 84.
' A. Petermann: Die Sonne im Dienste der Geographie und Kartographie. Der Sonnen-
Kupferetich (Heliogi'avüre) und die neue Generalstabskarte der Österreichisch-ungarischen Monarchie
in 715 Bl. P. M. 1878, S. 207.
* Darunter die bedeutenden Wiener Firmen Artaria & Co., G. Freytag & Berndt.
' K.C. Amrein: Bericht über die Kartographie der Schweizer Landesausstellung, Zürich
1883. Zürich 1884, S. 5.
Dil- Ueilfufuiif; d.T Kurte. y7
Anlage ^ nicht aber im zweiten, betreffs der künstlerischen Ausführung beii)flichten ;
denn gerade die Schweiz hat kaum wie ein anderes Land ein für kartographische Zeich-
nung höchst dankbares Gelände. Die Natur des Landes hat der Kartographie den
spezifischen Stempel aufgedrückt. Die eigenen Berge verstehen die Schweizer sehr gut
darzustellen, sobald aber die Karte in anders orogi'aphisch aufgebautes Gebiet hinein-
reicht, fällt die Zeichnung beträchtlich ab. Der Schweizer hat noch immer am besten
nur sein eigenes Land zeichnen können. Merkwürdigerweise überschreitet die Karto-
graphie der Schweiz auch nur selten die Landesgrenze. Das wurde schon vor Jahr-
zehnten erkaimt.^ Neuerdings scheint die schweizerische Schulkartographie den Bann
brechen zu wollen.
Schon seit Jahrhunderten arbeitet man in der Schweiz an der Yervollkonuunung
der technischen Ausführung und ersinnt neue Mittel mid Wege, um mathematische
Genauigkeit mit dem künstlerischen Bild, der Widerspieghmg der großartigen Natur
des Alpenlandes zu vereinigen. Die Schweizer Schule spricht sich mehr noch als in der
Dufour- imd Siegfriedkarte in den farbenplastischen Bildern aus, wie sie in der Schweizer
Wandkarte ihren Höhepunkt fand. Oder sollte man das farbenplastische Ten-ainbild
der Schweizerkarte nicht als das in Farbe übersetzte Bild der Dufourkarte mit den
Grimdelementen der Siegfriedkarte ansprechen dürfen? Mit der Hochgebirgsnatur,
dem politisch eng umschlossenen Gebiet und der Liebe zur eigenen Scholle hängt es
zusammen, daß die Schweizer Kartographie wesentlich „Heimatkmist" ist.
Nicht zu verkennen ist, daß die historische Entwicklung der Schweizer Karto-
graphie eins der anziehendsten imd ergiebigsten Kapitel in der Geschichte der Karte
und der Kartenwissenschaft ist ; denn nur wenige Zweige schweizerischer Wissenschaft,
Kunst und Industrie lassen sich gerade in der Schweiz in ihrer historischen Entwicklung
so genau verfolgen wie die Kartographie, wenige auch bieten ein so klares Bild des
menschlichen Bingens nach technischer und künstlerischer Vervollkommnung wie sie.
Die amtUche französische Kartographie hat sich fast ein volles Jahrhundert
in denselben Geleisen bewegt. Kein rechter Fortschritt ist wahrzunehmen. Das darf
uns nicht in der Meinung bestärken, als ob die Franzosen nicht selbst die Mängel ihrer
Karten wüßten. Diesen will man diux-h die neue Karte 1 : 50000 iibhelfen, deren Heraus-
gabe 1897 beschlossen wurde und von der schon eine Anzahl Blätter vorhegt. Merk-
würdigerweise hatte die französische Generalstabskarte bis in die zweite Hälfte des
vergangenen Jahrhiuiderts hinein wenig Einfluß auf das Studium der Geographie mid
auf die Kartenherstelluug privater Anstalten. Die inoffiziellen Karten befolgten damals
entweder die schräge Beleuchtung ohne jedwede Schichtlinien und erzeugten falsche
Terrainbilder oder es schimmerte bei den phantastischen Geländegebilden noch die
alte Wasserscheidentheorie hindurch, wie bei dem Bazin-Cadetschen Atlas', der für
die Militärschule von St. Cyr vorbereiten sollte und in der freilich sehr detaiHerten
methodischen Zerlegung des Stoffes sein relatives Verdienst gehabt haben mag. Eine
' Die techiüsihc Anlage, womit man vor allem die Aufnahme meint, ist in den .•\lixn oft mit
außerordentlichen .Shwierigkeiten verbunden. Manche» Festlegen von Punkten hat nicht bloU
viele pekmiiare Opfer gefordert, sondern auch Menschenleben. Hierin begegnen sich die Aufnahmen
in den Alpen mit .solchen in schwer zugänglichen Küstengebieten; davon erzählt z. B. die englisclio
Adniiralitätsaufnahmc der We-stkUste von Schottland. 1838 -I8Ö2.
* Die geogmpliische Aimstellung in Paris. 15. Juli bis 16. Sept. 1875. Von dem Delegierten
der Pertheeschen Anstalt in CJotlia. P. M. 1876, S. 51.
'■' F. Uazin ot F. fadet: Atlas s|xicial de la g6ographio physinue, poUtique et historique de
la France. Paris 1854/55.
88 ni-' Kaitograpliie als Wissonsoliaft.
elegante Ausfühningsweise suchte die Fehler dieser Kartenwerke zu verschleiern. Das
verschwindet gegen Ende des Jahrhunderts und macht einer soliden wissenschaft-
lichen Basis der Karten Platz. Die Karten wurden dann vielfach zu nichts Anderm als
Exzerpten der offiziellen Kartenwerke. In den achtziger und neunziger Jahren war
die private französische Kartographie fast vollständig verbummelt. Mit Wehmut
vergleicht man die chorographischen Karten mit denen der fünfziger Jahre, die elegant,
klar und sauber sind. Zweifellos hat dies, wie auch der Schweizer F. Becker bemerkt^,
seinen Grund darin, daß sich unter der Eegierung Napoleons III. alle Künste einer
größern Blüte als in der Nachfolgezeit erfreuten, darunter auch die Kartographie,
die imter der neuen Staatsform mit ihrem ewigen Wechsel in den Ministerien keine
Förderung erfuhr. Die neueste chorographische Karte Frankreichs hat die alte Eleganz
etwas vdeder aufleben lassen und an tiefem Gehalt, jedoch nicht an spezifisch Eigen-
tümlichem gewonnen, so daß man nicht von einer besonders eigenartigen französischen
Kartenleistung oder -manier sprechen körmte.
Der italienischen Kartographie, die recht gute Erzeugnisse aufzuweisen hat,
ist ebenfalls bis jetzt nichts Ursprüngliches und Tonangebendes nachzurühmen. Zu-
nächst auf französischen und österreichischen Schultern gestützt, hat sie bald allein
gehen gelernt und erfreut durch saubere und teilweise auch elegante Karten bei guter
wissenschafthcher Grimdlage. Auch die deutsche Kartographie ist nicht ohne Einfluß
auf die italienische gebUeben, wie man in der Privatkartographie wahrnimmt. Wenn
der von dem Touring Club Italiano geplante und im Erscheinen begriffene Grande
Atlante Internationale das wird, was die Anlage und die ersten Karten versprechen,
werden die Italiener in der Eeihe der kartographisch tätigen Völker wieder einen be-
deutenden Platz vorrücken.
Nirgendwo anders sind wir so gezwungen, zwischen amtlicher und nichtamtlicher
Kartograi^hie zu unterscheiden wie bei den Spaniern und Portugiesen. Derm von
der einen Seite, der amtlichen, besitzen wir gute Werke, nicht aber von der andern. ^
Wenige Länder sind von Natur aus so günstig ausgestattet wie die iberische Halbinsel,
daß sie, im Kartenbild fixiert, stets ein gutes Bild geben müssen. Die liesten choro-
graphischen Karten .sind im Lande nicht selbst, sondern von Nichteinheiuiischen ge-
zeichnet worden, wie die herrhche Vierblattkarte der Pyrenäenhalbinsel in Stielers
Handatlas. In neuester Zeit bereitet sich ein Umschwung vor, langsam fängt man in
der privaten Kartographie an, nach französischen und deutschen Mustern zu arbeiten.
Die russische Kartographie weist in Eigenart und Anlage nichts Originelles
auf, sie arbeitet ganz und gar in deutschen Bahäen. Auch die Kartographie der nor-
dischen Länder, einschließhch Dänemarks, ist bei den Deutschen zu Gaste ge-
gangen, erst in zweiter Linie bei den Franzosen imd Engländern. Die originellen
offiziellen Karten hängen mit der Natur und Wirtschaft in den l^etreffenden Ländern
zusammen.
Selbständig hat sich die englische Privatkartographie entwickelt, die dort,
wo sie direkt Material des Sm'vey verarbeiten konnte, Schönes und Mustergültiges (die
* F. Becker: Die .Scliweizerisclie KarU)jira])liu- an dvv Wcltaiisstell. in Paii.s ISSi) iiiid ihre
neuen Ziele. Fraucnfcld 1890, S. 48.
- Etwas so Gesclunaekloses und Manirieitcs in der (iel)iij,'s(lai«tellun^' findet man seilen «jeder
wie in dem Atlas de Espana y sus posesiones de ultraniai" von Fr. Coello 1 : 2(I0()(MJ und I : I (MM)Oü(i.
Um 1860 erschienen. [U.-Bi. Gott.].- Diesem Produkt reiht sicli würdifi an di<- „Karte dei Hnelva-
Pro\nnz" vom Dez. 1887 in 1:300000.
Die Bedi'Utuug der Karte. 89
Höheuschichtkarten von J. Bartholomew) geschaffen hat. Daß J. B. Bartholo-
mew in dem Vorwort zu dem „The Survey Atlas of England and Wales" (Edinburgh
1 903/04) von dem Atlas seilst sagt .,as a national work the English Ordnance Survey
is unsurpassed in any country", -wollen wir dem bekannten Verfasser und Verleger,
im Gegensatz zu Koffmahn, als eine kleine nationale Übertreibung zugute rechnen.'
Tatsäcbhch kann sieh kein Atlaswerk eines andern Landes damit messen, schon
deshalb nicht, weil ein so eigenartig angelegtes Werk in keinem Lande bis jetzt ein
Pendant gefunden hat. So hat der Engländer für sein Mutterland durchaus Muster-
gültiges geschaffen. Sobald er aber über sein engeres Vaterland hinauskam, war es
vorbei mit der kartographischen Darstellung des Geländes. Leider ist es nur allzu-
wahr, daß der ewige Blick auf das Meer den Engländern den Sinn für die Bergformeu
eingeebnet hat. Diesen Mangel an morphologischem Sehen und Denken beklagte
schon 1885 J. Geikie. Daß es in der modernen Geographie außer Flüssen, Städten,
Eisenbahnen und pohtischen Grenzen auch physische Elemente gibt, scheint erst
neuerdings dem kartographisch sich betätigenden Engländer einzuleuchten. Trotzdem
ist noch auf den Karten neuester Atlanten die Gebirgsdarstelkmg imbeholfeu und roh,
in der alten Eaupenmanier. Schon seit den Zeiten von Arrowsmith leidet die eng-
lische Terraiudarstellung geradezu an hahnebüchenen Fehlem. Atavistische Leistungen
sind nicht selten. Selbst auf modernen Karten wird dort, wo die Namengebung be-
einträchtigt werden könnte, das Gelände einfach unterdrückt. Das kami man selbst
beim besten Willen nicht einmal mit dem kaufmännisch-praktischen Sinn des Eng-
länders entschuldigen, mid schwer nur vermögen einen wegen der mangelhaften Terrain-
darstellung der feine Stich, die Lesbarkeit und das diskrete politische Kolorit zu ver-
söhnen. Nur ein paar Beispiele mag unser hartes, aber sicher gerechtes Urteil illustrieren.
In Keith Johnstons Eoyal Atlas of modern geography^ dem Gegenstück zu
unserm Stieler, Debes oder Andree, tritt auf der Karte von Deutschland der Harz gar
nicht her^-or, das Erzgebirge repräsentiert sich als höheres imd mächtigeres Gebirge
als das Eiesengebirge, auf Blatt 19 ist es im Maßstab 1 : •203'2000 besser und ausfülir-
licher als auf Blatt 18 in 1 : 1050000 behandelt. In ähnhcher Weise wird das Gelände
auf andern Kartenwerken großer englischer Firmen verhimzt.'
Mängel und Eückständigkeit zeigen sich selbst bei der Einzelkarte des Ürdnance
Survey*. und dennoch ist James Geikie so erfreut darüber, besonders beim Anbhck
der schottischen Gebirge, daß er 1885 an seine Landsleute die Frage stellt, „wie lange
einsichtige Lehrer nun noch fortfahren würden, jene veralteten Mißbildungen (antiquated
monstrosities) zu dulden, die so oft als Wandkarten in Schulräumen gebraucht würden."
Seitdem ist es ein klein wenig besser geworden. Alles in allem genommen: Den Eng-
ländern fehlt bis jetzt die kartographische Elastizität und Kapazität.
' (). Koffmahn in I'. -M. 1902, S. 232. - .-Vuch Kut:. 01)erhiimiiUT sprüht von a<r U-riiif;-
sclüitzung uud Vemathlas.sigut»); der seiikrtvhtoii Güodcruii>; aiif oiiglisihen Karten in dorn Noitmi;
„Über Hochgebirftskarten", V[I. Internat. CJeogr.-Kongr. Berlin 1899. U. Borhn liH)l, S. 91.
Über unge.seliickte und geiudezu antii(uaris('h auniutei\de engl, luid noixianierikani!«.'he lieliinde.
l.ilder vgl. E. Hammer in O. J. .\.X1V. (k)tha 1902. S. 46.
- Ich hatte die Auflagen von 1879 (hxlinburgh und Luiidon) und von 1907 (London) zur Hand.
' .Vuf A. K. .Johnstons Wandkarte „t'oinniercial and library (hart of the world on .Merca-
tor.s pmjection u.sw.', London und Edinburgh 1902, sind die Alpen nicht anders wie da« Uiesen-
gebirge dargestellt. - Ähnliehen groben Verstöüen begegiu-n wir in Philips „New |»pular atla«".
London 8. a.
* O. Koffmahn: Kiiie neue Karte von OmUbritanniiii und Irland. 1*. M. 1902. S. S.U. 2.12.
Wie uicht anders zu envarteu, krankt die private Kartographie der Vereinigten
Staaten an den gleichen Fehlern wie die Großbritanniens. Ein in Amerika seinerzeit
viel beachtetes "Werk war Monks Neue Karte von Amerika^, die lange Zeit den
Landkartenmarkt des Alltags beherrschte. Es bleibt unverständlich, wie selbst bei
Karten des eigenen Landes die Bodenunebenheiten so mangelhaft, in manchen Teilen
überhaupt nicht dargestellt worden sind wie auf der Monk sehen Karte; bespielsweise
ist darauf das ganze Plateau von Mexiko auf eine kaum durch zwei Längengrade und
einen halben Breitengrad sich ausdehnende Erhebung nordwestlich von Acapulco
zusammengedorrt. Gegen die Schrift ist nichts einzuwenden, das politische Kolorit
jedoch scheint sich des Guten nicht genug zu tun, denn jede der Bahamainseln trägt eine
andere Farbe. Bei der Besprechung von Crams Atlas of the world, ancient and mo-
dern, Chicago 1902, spricht A. Supan von einer „haarsträubenden Gebirgsdarstellimg.'"'*
Der Atlas leidet an den gleichen Fehlern wie die Karte von Monk, bezüglich des Terrains
sind die außerunionistischen Länder gar nicht und das eigene Land kaum zu erkennen.
Für .solche Machwerke ist die Bezeichnung „atavistisch" noch zu gelinde. Der Geschmack
der Bewohner der Vereinigten Staaten scheint noch weniger als der der Engländer ver-
wöhnt zu sein. Im übrigen sind die Karten, die den wertvollem amerikanischen Publi-
kationen beigegeben werden, klar und schön im Druck, nur nicht in der Gelände-
darstellung, mit der die Amerikaner nicht zu Fache kommen. Die Bearbeitxmg mid
Herstellung der offiziellen Karten stehen wegen ihrer Sorgfalt und Schönheit in
Stich und Farbengebung in krassem Gegensatz zu den privaten Erzeugnissen.
Von der außereuropäischen Kartographie ist Eigenartiges und Hervorragendes
kaum zu berichten. Die Europäisierung der Erde dokumentiert sich auch auf karto-
gi-aphischem Gebiet. Wo wir anscheinend selbständigen Arbeiten begegnen (Argen-
tinien, Chile, Bolivien usw.), sind sie europäischen Ursprungs oder von Europäern,
vielfach Deutschen^, in dem betreffenden Lande gearbeitet. Wo Einheimische die
Hand im Spiel halien, geht die Geländedarstellung nicht selten ins Groteske über.*
Auch die japanische Kartographie ist, wie ich nach den wenigen amtlichen und
privaten Karten, die mir zu Gesicht gekommen sind, m'teilen kann, von der europäischen
abhängig und scheint zu keinen besonders eigentümhchen mid kartographisch-wissen-
schaftlich nemienswerten Leistimgen vorgedrungen zu sein.^
^ Moiikb ,,New Americaa Map exldbiting tue larger portioii of North America, enibracing
the United States and Territories, Mexico and Central America, including the West India Islands,
the Canadas, New Brunswick and Nova Scotia." Compiled from reccnt Government surveys and
other authentic sources. Baltimore, J. Monk 18.57. 1 : 36.50000.
2 A. Supan in P. M. 1903. LB. S. 1.
" Ich denke hier an die argentinischen Karlen von L. Brackebusth.
* Vgl. ,, Piano topografico y geologico de la Kepublica de Chile", Levantado per orden del
gobiemo bajo la direccion de A. Pissis. 1 : 250000. [U.-Bi. Gott.]
^ Ihr Nathahmungstalent haben die Japaner auch in der Kartographie schon längst bezeugt.
Ph. ¥. V. Siebold (Nippon, Archiv f. Beschreibung Japans. 1832-1851. Bd. I mit Taf.) besaß eine
von einem Hofastronomen in Kupfer gestochene Karte, die sich außer auf japanische, chinesische
und koreanische Karten auch auf russische und altportugiesisohe stützte.
Neui- Balincii iiiiil neue AufgHbea.
C. Gi'undziige der .gegenwärtigen und künftigen Entwicklunü-
der Kartographie.
I. Neue Bahnen und neue Aufgaben.
31. Die Kvidcnthaltuu!,' der Kurten. Das beste Zeichen einer selbständigen Wissen-
schaft ist, daß sie nicht bloß ihr Gebäude zu begründen und aufzurichten versteht,
sondern vor allem eine Anzahl Probleme schafft, die den sichern Keim der Fortentwick-
lung und des Bestandes einer Wissenschaft in sich bürgen. Auf einige wichtige dieser
Probleme einzugehen erblicke ich als die vornehmste Aufgabe noch im ersten Teil
meiner Grimdlagen und Forschungen.
Einige der kartographischen Werke, die in den letzten Dezeimien geschaffen worden
sind, bedeuten emen solchen Höhepunkt in der kartographischen Entwicklung, daß
die Frage berechtigt erscheint: Ist in der Kartographie noch eine weitere Entwicklung
mögHch oder ist sie bereits auf der Höhe ihrer Ijeistungen angekommen '? Als Antwort —
so paradox sie auch klingen mag — muß der Sachkiuidige geben: Die Kartographie
steht erst am Anfang ihrer Leistungsfähigkeit. Die Aufgaben werden von Jahizelmt
zu Jahrzehnt größer und komplizierter. Schon ahnt man gewaltige künftige Betätigimgs-
gebiete der Kartographie. Einzeltatsachen und wissenschaftliche Forschungsergebnisse
drängen zu internationalen Kartenwerken hin, aber noch viel mehr im eignen
Lande zur Vermehrung von Kartenarten und Vertiefung vorhandener Karten. Es gilt
aber nicht bloß Neues zu schaffen, sondern vor allem auch das Alte und Gute zu er-
halten und weiter zu pflegen. Zu einer der allerwichtigsten Aufgaben der privaten wie
staathchen Kartographie gehört dieKurrent- oder Evidenthaltung der Karten (S.C.l).
Sie zu beschleunigen tragen die schnellern Aufnahme- und Reproduktionsverfahren
wesentlich bei. In der FHegerphotographie liegt das Mittel der schnellen und befrie-
digenden Evident-(Evidenz-)haltiuig offizieller Karten. Wie unangenehm ist es vielfach
empfunden worden, daß gewisse Meßtischblätter erst nach rund dreißig Jahren wieder
verbessert herausgegeben werden. Es ist kaum zu verantworten, wie manche Staaten
die Evidenthaltung selbst wichtiger Kartenwerke auf sieh beruhen lassen. Es soll
durchaus nicht verkannt werden, daß die Evidenthaltung der großmaßstabigen topo-
graphischen Karten Unsummen verschhngt, was nützt jedoch eme großmaßstubige
Karte, wenn sie nach zwei liis drei Dezennien so veraltet ist, daß sie für die meisten
Zwecke, besonders in wirtschaftlicher Beziehung, nicht mehr oder schwer benutzbar
ist; dann lohnen sich kaum die Herstellungskarten. Jeder Staat muß es als eine seiner
vornehmsten Aufgaben erachten, seine grundlegenden Karten ständig und kurzfristig
evident zu halten. Gewiß lassen sich verschiedene Staaten die Evidenthaltung sehr
angelegen sein. In den Niederlanden z. B. ist sie durch die steten Veränderungen der
Meeresküsten und Ufergelände sehr erschwert, trotzdem stellt in dem kleinen l.nnde
jährlich eine bedeutende Sinnme für Kurtenkorrekturen zur Verfügung.»
;{2. Die WeilorentwiokiuiiR der Geiüiidedarstellung. l^cr .Fluß der Dinge" zieht
auch die Gelandedarstellung in den Wiriiel seiner Bewegung, obwohl augenscheinlich
1 Vor «lom VVi-ltkrii'gü iittoh d- in Ktut jillirl.cli übri TlHWI M.
92 . Die Kartographie als Wissonschaft.
auf diesem Gebiet ein Fortschritt am schwierigsten erscheint. Da die SchichtHnie ein
absolut notwfndiger Bestandteil im Aufbau einer Terrainkarte, die auf wissenschaft-
liche Brauchbarkeit Anspruch erhebt, ist, wird sie für immer ein integrierender Bestand-
teil jeglicher kartographischen Geländedarstellung, die nicht zum Maßstab der Schul-
handkarte herabgeht, sein. Hingegen haben Schraffen, Schummerung und Farbton
mehr sekundäre Bedeutung, die wohl zur Anschauung der Terrainelemente außer-
ordenthch brauchbar und wertvoll und ihr förderlich, aber nicht absolut notwendig
sind. Die Zeit, wo man weitausgedehnte Gebiete, wie die alte östereichisch-ungarische
Monarchie in Schraffen darstellte, dürfte vorüber sein. Andere Darstellungsmittel,
die bequemer, schneller imd fast ebensogut zum Ziele führen, treten auf den Plan.
Die Isohypsendarstellung mit Schummerung hat ein weites Feld der Betätigung. Auf
Karten dieser Art ist die Touristik von großem Einfluß gewesen, denn sie will für den
Laien leicht lesbare imd schnell erfaßbare, verständhche Karten. Die Schweiz ging
mit dem Siegfried- Atlas bahnbrechend vor. Auf wissenschaftlicher Seite wird man die
Schichtlinienkarten mit senkrechter Beleuchtmig bevorzugen. Das setzt eo ipso voraus,
daß die Schummerung auch wissenschaftlich behandelt wird und nicht aus der großen
Hand, um lediglich einen plastischen Effekt zu erhaschen. Dann werden die Karten
miter anderm für geologische Eintragungen, für Mineralien- und Pflanzenfundstätten
vorzügUch zu verwenden sein.
Für die Karte der Zukunft wird die Schraffe nicht ganz auszuschalten sein;
abgesehen davon, daß sie für kleinere Kartenwerke stets bestehen bleibt, wird sie un-
entbehrUch bei scharfen Niveauunterschieden von sehr kleinem Abstand; denn plötz-
üche Steilabstürze, Dämme, Wälle, Geländeeinschnitte imd -hohlen, Terrassen usw.
kann die Schummerung nicht darstellen, da muß die Schraffe einspringen. Die Kombina-
tion beider Geländedarstellungselemente wird künftighin das Augenmerk des Gelände-
zeichners besonders fesseln. Dies ist nicht so zu verstehen, als ob die Schummerung
für sich allein auf eine bestimmte Höhenstufe oder für besondere Gebiete imd daneben
die Schraffe mit ähnlicher Einschränkung zu gebrauchen wäre.^ Die restlos befriedigende
Verquickung beider ist keine leichte Aufgabe, mit viel Geschick, Takt imd Sachkenntnis
muß dabei zuwege gegangen werden; auch die bei den Kombinationsverfahren noch
selten vorhandene Erfahrung wird ein gut Teil mitsprechen müssen.
Auf die Kombination verschiedener Terraindarstellungselemente wird man noch
öfters zurückgreifen müssen. Bei der I-uftschifferkarte der Zeppelingesellschaft ist
von M. Gasser die Verkettung von Höhenschichtkarte mit Schummerung nicht
kolorierter Schichten angestrebt worden, ein Versuch, der jedoch nicht als geglückt
zu bezeichnen ist. Desgleichen der Versuch E. Friedrichs, die farbigen Höhen-
schichten durch verschiedenfarbige Schraffen zu ersetzen. Übrigens haben diese Art
Karten glücklichere Vorgängerinnen in offiziellen schwedischen und norwegischen
Karten, wo, wie wir wissen, Schichtlmien mit Schraffen das Kulturland bezeichnen,
Schichthnien mit oder ohne Schummerung kulturlose Gebiete.
Eine Schraffenzeichnung im Verein mit besonders detaiUerter Felsdarstellung
befriedigt nicht vollkommen : denn bei der Felszeichnung find die gleichen Strichelemente
nur in den verschiedensten Lagen und Stellimgen angewendet, während bei den Schraffen
regelmäßig und in Eeihenform. Die Felszeichnung kombiniert mit der von mir ge-
'■ Wie es beispielsweise P. Birgham handiiabt, der die Kraterböden und innem Kraterwändc
schummert, dagegen die äußern Wände (Lava und Sand) in Schraffen darstellt; vgl. die Krater
Mokuaweoweo und Kilauea in P. M. 1876, T. 19.
Neue Bahnen uiul mm- Aiifjrjib.m. 93
gebenen Pnnktmanier (s. spätpi) scheint ein wcscntlicli vorteilhafteres Bild zu geben.
Bis jetzt steht die Felszeichnung als etwas Besonderes im Kartenbild, sie .scheint niil
den übrigen (ieländedarstellungselementen nicht recht verwachsen zu sein. Diesem
Sonderdasein bereiten die neuesten Karten der sächsischen Landesaufnahme in 1 : 10000,
die Gel)iete der Sächsischen Schweiz zum Vorwurf haben (Karte des Schraranistein-
gebietes), ein Ende.* Bei ihrem Anljlick merkt man, daß die Felszeichnung organiscli
ins ganze Kartenbild hineiniiaßt. Mag sein, daß sich das ([uademauf bauende Elb-
sandsteingebirge für diese Art Yer((uickmig von Kartenelementen hervorragend eignet.
33. Verschmelzung vou Laudkarte und Meeresfieleukarte. Über das Ungereimte
einer Kombination von Terraindarstelhmgen hat man bis jetzt noch kein Wort ver-
loren, nämlich über die inkonsequente Verschmelzung von Landkarte mit
Meer es tiefenkarte. In verschiedener Intensität wird gemeinhin die blaue Farbe,
die dem Meere als liquidem Element zukommt, stufenweise im Sinne der Höhenschicht-
karte gebraucht. Dieses Bild wird meistenteils mit einem Landkartenbild in Schraffen-
darstelhmg verbunden, auf S})ezialkarten sowohl me auf Atlaskarten ; in konsequenter
Weise müßte das Land gleichfalls in farbigen Schichten (Nuancen einer Farbe) dar-
gestellt w^erden. Nur wenige Autoren haben dies bis jetzt (mehr intuitiv) befolgt. —
Nun ist es kein Ding der Unmöglichkeit, den Meeresboden gleichfalls in Schraffen
darzustellen. Die altem, hierher zielenden Versuche, abgesehen Aon den Meeresgebirgen
des Buache, sind ganz vergessen worden, und doch war es kein geringerer als .J. M.
Ziegler, der auf der Europakarte seines Hj^psometrischen Atlasses vom Jahre 185()
den Boden des Mittehneeres und des Schwarzen Meeres mit Gebirgsschraffen bedeckte,
um darzulegen, daß die Hypsometrie auch vor dem Meeresl)eeken nicht halt machen
darf. Der Anblick der Karte ist interessant und doch befriedigt er nicht, das Auge
wird durch die Gebirgsdarst eilung des Meeresbodens irre geführt, was Ziegler leicht
hätte vermeiden können, wenn er die Meeresfläche mit einem leichten blauen Ton be-
deckt haben würde, wodurch sich die unter dem Meeresspiegel befindliche orographische
Gestaltung der Erdrinde klar und eindeutig von der über dem Meeresspiegel hinaus-
ragenden abgehoben hätte. In dieser Weise eine Karte nach den neuesten Tiefsee-
lotungen herzustellen, dürfte eine lohnende Aufgabe sein: unter Umständen könnten
die Schraffen des Meeresbodens etwas leichter im Druck gehalten werden. Auch hier
gibt es noch vielerlei Probleme zu lösen. Warum soll nicht einmal eine Isohypsenkarte
gezeichnet werden, deren Ausgangspimkt für die Schichtzeichnung und -kolorierung
der tiefst gelotete Punkt des Weltmeeres ist'? Sie würde mit zu der Erkenntnis bei-
tragen, daß der Unterschied der orographischen Gestaltung zwischen Meeresboden
und trockner Erdoberfläche gar nicht so groß ist, wie allgemein noch angenommen
wird. Auf diese Unebenheiten des Meeresbodens haben u. a. A. Penck in seiner Morpho-
' C. Treitschkc sohiribt .selbst hieiiibci. „Bei dem bo.somlciii t'liamkter di-r Sandstoin-
formationen, bei dem tellerförmigen Geschiebe der Fel.smasseii, den freigelap-rten K»iiffonnen und
abgeschwemmten Tallagerungen wui-de in Anschauung <ler Natur eine bildliche Darstellung der
Felsen versucht. Die abgeschliffenen, nmden und weichen Fonuen erfolgen, günstig für Zusamnien-
wirkung von Schichtlinien mit Felsen, dui-ch horizontal gerichtete Linien, die wiedenuu dun-h kunte
senkrechte Verbindungen dargestellt weiiien. In den Kehlen und Schlucliten weixlen die Felsbänder
durch xackige seiiki-echt«- Linien verbimden >uid damit die typischen Abbnichstellen angt>deutet.
Senkrecht abstufende Torrassen und Buivhbruchstellen werden im Aufriß gezeichnet und können
in Ijesonders schwierigen Stollen schräg beleuchtet werden" (Dir UiidesAufnalitnr Sncbsen von 17S0
bis 1921. Beiträge zur deutschen Kartograpliie. Leip/.ig n»2l. S. ">S. ">()).
94 \ l>ii' Kartographu' nU Wissenschaft.
logie der Erdoberfläclipi und 0. Krümmel in seinem Handbuch der Ozeanographie^
ausführHchor hingewiesen und einige kartographische Proben gegeben.
;{4. Hiiii(farbi;;(' und »"iiil'arl»is»> Kar<c Ein großes Feld der Betätigimg erblüht
unstreitig der Inuitfarhigen Karte. Werden lediglich Kulturelemente dargestellt, gibt
schon die Logik jedem denkenden Kartographen die Eichtschnur in der l-arlicngebung
an die Hand; kommt es auf die Wiedergabe des Terrains an, wird in der Hauptsache
die Abtönung einer einzigen Farbe oder das Peuckersche oder ein verwandtes System
maßgebend sein. Dabei wird man sich innerhalb der Grenzen gewisser Maßstäbe ])e-
wegen.
Trotz guten Drucks und klarer Farbenwahl befriedigen farbige Geländedarstel-
lungen vielfach nicht in der gewünschten Weise. Daß sie in Zukunft mehr als heute
herrsehen werden, ist nach dem heutigen Stande der Entwicklung und Erfahrung sicher
anzunehmen. Schon hat man der Schraffenkarte, wenigstens der einfarbigen, den
Tod gewahrsagt. Daß man sie, die nach Lehmann scher Manier streng ausgeführte,
dereinst zu den veralteten Karten rechnen oder ganz ad acta legen wird, ist nicht aus-
geschlossen, wenn sie auch der Wissenschaftler und das Militär immer wieder gern zu
Studienzwecken zur Hand nehmen werden. Sie ist der ruhige, vornehme, abgeklärte
Aristokrat, während die farbenplastische Karte zunächst noch als Parvenü erscheint,
iils der Emporkömmling, der sich mit allen modernen augenfälhgen Hilfsmitteln in den
Vordergrund schiebt und sich so vorteilhaft wie möglich, ich will nicht gerade sagen
protzig, zu präsentieren sucht; er muß sich noch abklären, um als Partner der alt-
ehrwürdigen Schraffenkarte oder andern guten einfarbigen Karten das Gleichgewicht
halten zu können. Zweifellos wird ihm das gehngen, bis er jenem alten Gegner gegenüber
nicht bloß gleichwertig geworden ist, sondern auch überlegen, dann dürfte sich jenei-
ganz auf sein Altenteil zurückziehen.
35. Entwickluns; der morphologischen Karte im allsemeinon. Schlaffen, Punkt,
Schummerung und Farbe sind mit Hilfe der Niveaukm-ven ganz allgemein das Mittel,
den orographischen Aufbau des Geländes zu veranschaulichen, also die rein äußerliche
Gestaltung der Erdoberfläche. Sie bieten jedoch weiterhin Handhaben, tiefer zu
schürfen, um das ,,Wie?" und „Warum?" der Geländeformen weniger theoretisch als
vielmehr genetisch und sichtbar zu ergreifen und zuletzt deren kulturgeographisches
Moment zu verdeutlichen. Wir begeben uns bei diesen Untersuchungen auf ein Gebiet,
auf dem beinahe hundert Jahre gearbeitet worden ist, ohne daß man zu greifbaren und
allgemein beherzigten Ergebnissen vorgedrungen ist; noch ist es in vieler Beziehung
ein Tasten und Suchen nach allgemeingültigen LeitUnien. Kaum oder nur halb erreicht,
wird vieles schon wieder verworfen. Die gegenwärtig vorliegenden Versuche geben noch
keinen Anlaß, ein einheitliches Streben zu erkennen. Über den Charakter einer Studie
nicht hinausgekommen, wird der Einzelfall nicht selten als der typische angesehen,
während die großen Zusammenhänge verschleiert bleiben. Das soll jedoch auf dem
1 Bd. II. Stuttgart 1894, S. 606ff. Fig. 38, S. 615 „Die Gouf von Kap Breton".
2 Bd. I. Stuttgart 1907. S. 108, 124. Auf S. 100 findet sich ein Kärtchen in Scüraffcniuanier:
„Alpine Bodenformen am Nordrand des Biskayagolfcs". — Die Maßstäbe 1 : 40000000, wie auf den
Tiefenkai-tcn der Ozeane von M. Groll(Vcrüffentlichgn. des Institutes f. Meereskimde. Hg. v. A. Penck.
.\'eue Folge. A. 2. Heft), und 1 : ;50000000, wie auf der Karte dos Atlantisch. Oz. von G. Schott
(Beilage zur Geogr. des Atlant. Oz., Hamburg 1912) würden gerade noch genügen für eine Schraffen-
dar.stelhuig, bei der indes größere Maßstäbe voizuziehen wären.
Neue KahiHMi und iieiiH Autg;iberi. «)f,
einmal betretenen Wef; niclit ontmiitiKen. Noch viel Kleinarbeit wird geleistet werden
müssen, bevor sich leitende Gesichts^uinkte herausschälen lassen.
Bisher gilt der Gmndsntz, daß zu einer vnllständifjen Aiibildung der Erdober-
fläche drei Arten von Karten gehören: die topographische, liypsometrische und gen-
logische Karte. Die Verbindung der ersten beiden ist gelungen, die tiefere Verankerung
mit der dritten Art steht noch aus. Damit ist nicht die geologische Karte auf oro-
graphischer Unterlage gemeint, die schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts gezeichiiel
wurde, sondern das Sichtbarmachen von spezifisch geologisch und orographisch lie-
dingten Formen im Geländebild mit Hilfe topographischer Darstellungsmittel.
Daß an der Lösimg dieses Problems J. M. Ziegler zum erstenmal eingehender
gearbeitet hat, wissen -wir.^ Dorl. wo man taghiglich die großen Veränderungen in
der Natur -wahrnimml, in der Alpenwelt, fing man zuerst an, darüber nachzudenken,
we die topographische Karle ein Spiegelbild des inneren Baues der Gebirge sein
könnte. Das andere große Gebiet auffälliger Veränderungen, die Küstenregion, hat
nicht in dem Maße zum Ausbau der topographischen Karte angeregt. Mit ähn-
lichen Problemen wie der Schweizer J. M. Ziegler beschäftigte sich der Österreicher
K. V. Sonklar, dessen Karten der ötztaler Gebirgsgruppe als ein Muster einer
wissenschaftlichen Behandkmg der Urographie gerühmt wurden.^ Alles was Ziegler
für die morphologische Ausgestaltung des Terrainbildes mehr geahnt als erreicht
hat, ist jetzt auf dem besten Wege, verwirkhcht zu werden. R. Lucerna geht
kaum über Ziegler hinaus, wohl aber die Arbeiten von Passarge und Gehne. Lu-
cerna glaubt etwas Neues zu bieten, wenn er sagt, daß der Bauplan der Gebirgs-
oberfläche aus der Karte erhellt werden soll, sow^eit dies der Maßstab zuläßt. ^ Er
macht der modernen Kartographie den Vorwurf, daß sie insbesondere bei den Alpen-
karten zu rein topographisch sei, nur Hoch mid Tief und das Gefälle in den Vordergrimd
stelle und die Formen des Gebirges nicht genetisch, d. h. entwicklungsgeschichtlich
darstelle. All die Formen, die verschieden genetischen Ursprungs sind, dürfen nicht
nach einem Schlüssel gezeichnet werden; hinwiederum wird nach Lucerna keine bis
in Details gehende Alterskarte des Gebirges gewünscht, da dies nur die geologische
Karte mit ihrer reichen Farbenwahl geben kann, sondern es sollen vor allem die alters-
verschiedenen Fomien, wo die Grenzen in der Natur nicht gut ausgeprägt sind, auf
der Karte markiert werden. Es fehlen eben nach Lucerna ,,die für das Formen-
verhältnis der Gebirgsoberfläche oft eminent wichtigen Kanten, auch wenn sie im Maß-
stab der betreffenden Karte darstellbar wären." Wie er sich die entwicklungsgeschicht-
liche Darstellung der Geländeformen denkt, soll eine Karte der Hohen Tatra in 1 : '25000
veranschauliclien, die nach der Methode der altersgleichen Flächen aufgenommen ist.
Ihr sollen Al{)enkarten folgen. Bis jetzt ist mir nur die Morjihologische Karte der
Montblancgruppe in 1 : 100000 entgegengetreten.*
Die Grundlage der Karte bildet das morphologische Flächenelement. Einschließ-
lich weiß werden sieben Farben zum Ausdruck gebracht.^ Durch das Aussparen von
' Die hierher gehörige Stolle seines berühmten Uriefes nn A. l'cterninnn kennen wir bereits
(S. 50). — Eingehenderes über Zieglers Einfluß auf die Ocliiiidiaufnahnir und diirstolhiug vgl. in
dem Teil über die Geliindcaufnahme (S 87).
» Vgl P M. 1861. S. .121.
» R. Lucerna: D«^r Bauplan der OebirgHoberfliiohe. >Ltt. des I). u. «). .-V.-V. 1913. S. 2(12.
* R. Lucerna: Morphologie der Montblanignippe. P. M. Ergh. ISl. Gotha 1014.
■ .\u(h in der Karhennebunc der niorphologischeii Elnnrnte ist kein System; vgl. Karte ii.
S. 182, 18:t, a. a. O.
96 l^'P Kartograpliie als Wissenschaft.
i'irn und Eis in Weiß, wodurcli die Umrisse der Gletscher wiederholt werden, kann
man sich in den Hauptsachen der Montblancgruppe zurecht finden. Aber durch den
Verzicht auf die Terraindarstellungshilfsniittel, wie Isohypsen, Schraffen und Farb-
stufen, wird die Karte von vornherein ihres Wertes als morphologische Karte entkleidet
und geht nicht über das Maß einer farbigen Skizze hinaus. Was nützt es, wenn Lucerna
selbst sagt^, daß es wünschenswert sei, daß die neuen topographischen Karten auf die
genetischen Leitlinien der Landschaft llücksicht nehmen sollen, damit das durch die
iieutige Geländedarstellmig vollständig verschleierte Bild dem Kundigen sichtbar werde,
und gibt sellist nicht ein Beispiel, wie es gemacht werde. Bei ihm bleibt demnach grau
alle Theorie, oder sollte die beabsichtigte Karte an dem kartographischen Können ge-
scheitert sein? Damals waren bereits die Karten von Gehne erschienen, sie hätten
ihn auf einen annehmbaren Weg bringen können, und Passarge hatte schon seine
wichtigen Darlegungen über die Schwierigkeit des Aufbaues geomorphologischer Karten
und den Weg zu einer zufriedenstellenden Darstellung ]<undgegeben. An diesen Ver-
liffent Hebungen durfte Lucerna nicht vorüliergehen.
In der deutschen Geographenwelt ist man nach 1910 insbesondere an die Kon-
struktion morphologischer Karten herangetreten, und zwar von namhaften Autoren.
\vie Passarge, Behrmann, Gehne. Nicht unerwähnt sei, daß eine Art morpho-
logischer Karte zuerst in Frankreich von N. Delesse gezeichnet worden ist, die ,, Carte
lithologique des mers de France etc." 1 : 2000000, Paris 1869. Auf einer Schichtlinien-
karte wird versucht, die vom Festland in das Meer geführten irdischen Niederschläge
nach Art mid Abstammung zu bezeichnen und systematisch zu grupjiieren und die
verschiedenen Fluß- und Meerbassins voneinander zu scheiden. Bis zu jener Zeit waren
noch auf keiner Karte die hydro-orographischen Grundelemente so korrekt uud ge-
schmackvoll niedergelegt worden, daß selbst E. v. Sydow nicht ansteht zu erklären,
daß ,,seit langer Zeit die geographische Wissenschaft keinen so Ijedeutungsvollen Beitrag
zu ihrer Aufklärung erhalten hat."^
Bei den morphologischen Karten muß man zwischen l'ljersichts- und Spezial-
karten unterscheiden, diese in den Maßstäben 1: 25000 bis 1: 100000 und jene in den
kleinen Maßstäben 1: 200000 bis 1: 500000, wie die Morphologische Skizze des Harzes
von W. Behrmann in 1 : 400000^ oder die Morphologische tibersichtskarte von Nord-
Schleswig von P. Woldstedt in 1:300000.* Zu kleinern Maßstäben darf man bei
morphologischen Karten nicht vorschreiten, da die morphologischen Elemente bei
kleinen Maßstäben nicht mehr ordentlich klar auseinander gehalten werden können.
Die Übersichtskarten bedienen sich zumeist des Flächenkolorits, sie bieten karto-
graphisch nichts Bemerkenswertes, dagegen sind die eigentUchen morphologischen
Spezialkarten auch kartographisch von hohem Interesse, da sie nach neuen karto-
graphischen Ausdrucksmitteln streben. Wir besitzen solche Karten in den Maßstäben
1:50000 von Passarge, Gehne, 1:75000 von M. Kirchberger, 1:100000 von
E. Wandhoff. Margarete Kirchbergers Karte ist überschrieben Morphologische
Übersichtskarte des Vennabfalls^ ; im Grunde genommen ist es eine S])ezialkarte, auf
1 R. Lucerna, a. a. O., S. 18.3.
- E. V. Sydow in P. M. 1870, S. 67.
^ W. Behrmann: Die Oberflächennestaltung des Harzes. Eine Morphologie des Gebirges.
Forsch, z. deutsch. Landes- und Volkskunde, hg. v. H. Hahn. XX. Stuttgart 191.3, T. 2.
* P. Woldstedt: Beiträge zur Morphologie von Nordschleswig. Diss. Göttingen 191.3.
^ Margarete Kirchberger: Der Nordwestabfall des Kheinischen Schiefergebirges zwischen
Neu.! »Hliiien und ii.ue Anf<;al>i-ii. 97
deren Isohypseimnterlage .sich farbig die morphologischen Stufen und Einebnungs-
erscheinungen gut ahhohon. Die Karte Wandhoffs Die Moselterrassen von Zeltingen
bis Cochem ist insofern bemerkenswert, als bei ihr nnf jegliches Kolorit verzichtet wird.*
Auf einer mit Verständnis angelegten Isohypsenskizze sind außer der vorpUozänen
Stufe und dem unterplioziinen Kieseloolithschotter die Niederterrasse in einer, die
Mittelterrasse in fünf mid die Hauptterrasse in drei schwarzen Signaturen angelegt.
Man merkt dem Verfasser die Mühe an, die Signaturen deutlich auseinander zu halten,
aber die Übersichtlichkeit der Karten leidet trotzdem. Hier muß schon die Farbe zu
Hilfe genommen werden, wobei ich nicht verkennen will, daß dadurch die Herstellungs-
kosten der Karte erhöht werden.
Die Herstellung morphologischer Karten soll man dem Wissenschaftler über-
lassen imd nicht dem Topographen oder Kartographen. A.Hettner warnt, aus topo-
graphischen Karten, wie sie in Nordamerika unter den Bann der Davisschen Natur-
auffassung geraten sind, „morphologische Eegeln herauszulesen, die der Zeichner erst
hineingelegt hat."* Diese Wahmehmimg bringt einen auf den Gedanken: Ob es denn
überhaupt ratsam ist, die Topographen mit den Problemen der Morphologie bekannt
zu machen, um sodaim bei der Aufnahme im Felde auf sie zu achten. Ich habe kein
Bedenken, dies zu befürworten, muß aber ausdrücklich hervorheben, daß der morpho-
logische Unterricht für die Topographen einzig und allein den Zweck haben soll, die
Topographen im Gelände besser sehen zu lehren, und nicht den, bestimmte morpho-
logische Erscheinungen besonders zu beachten und aufzunehmen. Da dürfte kaum
etwas Gescheites herauskommen.
;$(!. Die Entwicklung der morphologischen Karte durch Passarge. Das Problem
der kartographischen Darstelhmg morphologischer Erscheinungsformen spielt eine
Hauptrolle in den physiologisch-morphologischen Untersuchungen von Siegfried
Passarge. Bedeutungsvoll sind die Darlegimgen in Kapitel IX: Physiologisch -
morphologische Karten und im Kapitel X: Das Studiimi physiologisch-morpho-
logischer Karten in seinem Werke Physiologische Morphologie, Hamburg 191 2*;
an ihnen darf kein Konstrukteur morphologischer Karten vorübergehen.* Passarge
baut sein System auf dem wichtigen und richtigen Grundsatz auf, daß einzig und allein
tatsächliche morphologische Erscheinungen, niemals abstrakte Begriffe kartiert werden
dürfen. Zugleich ist er sich bewußt, daß .sich aus topographisch-morphologischen
Karten nur Schlüsse in sehr beschränktem Maße ziehen lassen, ,, sichere überhaupt
nicht. Wohl aber ist es sehr lehrreich, Differentialdiagnosen aufzustellen imd die ver-
schiedenen Möglichkeiten ins Auge zu fassen". Zuletzt erblickt er in der Methode der
gewissenhaften Aufnahme physiologisch-morphologischer Karten, gestützt auf ein-
gehende petrographische und geologische Kenntnisse, auf geologische Karten und neu
zu erlernende, nicht bloß mit dem gesunden Menschenverstand zu erfassende Unter-
(lor R<>icIi.MKiTri/.o und ilnii Kurlalj;ial>cn. S. A. aus il. Wrh. des Natuiliistor. \or. der pn-uUiix-h.
Ilhcinlando und Wcstfalons. L.X.XIV. 1917. (Bonn 1919.)
' E. Wandhoff: Die Moselterrasson von ZeltinRon bis ('.hIu-ui. Diss. OipOen 1914.
= A. Hcttnor: Dio Ol)orfläch<mformi'n dos Festlandes. I>-ipiig u. Berlin. 1921. S. 2.»S.
' Als Sondorabdruik erailiienen aus Mitt. d. OeoKi. Oes. In Hambur«. XXVI.. ."<. \X\ IWT.
mit 1 Originalkarto und 17 Originalabbildunnen.
' Kurz zusammenfassend piht Passarpe i>ini(zi- KirliiliiiifM wieder in "P. M. 1912. 11. .'^. ."> S,
insliesondere S. S.
Krki'rf, Kartf^nwistt'nftcliiiri I. '
98 l*if Kartof^raphie als Wissenschaft.
suchungsmethoden, eine Schutzwehr gegen Verflachung und Popularisierung der
nioriiliologischen Wissenschaft .
Der Niederschlag der morphologischen Studien tritt uns in seinem Morphologischen
Atlas, erste Lieferung, Hamburg 1914, entgegen. ^ Nicht zu vei-wechseln ist dieser Atlas
mit dem Morphologischen Atlas, dessen Herstellung auf dem Internationalen Geo-
graphenkongreß zu Genf 1908 beschlossen wurde,, und der unter der Redaktion von
E. Chaix herausgegeben wird. Die Hauptstärke dieses Atlasses Hegt mehr in der Bild-
sammlung morphologisch interessanter Gegenden als m deren kartographischer Fixie-
rung. An dem Atlas von Passarge arbeiten verschiedene Autoren, denen in der Dar-
stellung der Probleme völlig freie Hand gelassen ist. Dadurch wird die Einheithchkeit
des ganzen Werkes leiden, und das Spezifische des Begriffes ,, Atlas", ein nach bestimmten
Grundsätzen und Darstellungsmitteln geregeltes und gleichmäßig durchgeführtes Werk
zu sein, geht verloren. Auf der andern Seite hinwiederum hat die Kartensammlung
den Wert, daß sie dermaleinst Leithnien ergeben wird, wie morphologische Karten
aufzubauen und darzustellen sind; denn jetzt handelt es sich mehr oder minder doch
nur um kartographische Erstlinge. Aus allen diesen Versuchen dürften sich mit der
Zeit eine oder wenige Methoden der Darstellung herauskristallisieren.
Unter den acht Karten Passarges, die von dem Meßtischblatt Stadtrcnuhi (in
Thüringen) die Topographie, Böschungen, Talformen, Geologie, physikalische Gesteins-
beschaffenheit, chemische Widerstandsfähigkeit der Gesteine, Böden und hypothetische
Ausgestaltung der Oberfläche zum Vorwurf haben, sind für uns hier nur ein paar Karten
von Interesse. Die topographische Karte mit dem grünen Fiächenkolorit für den Vege-
tationsschutz zeigt sorgfältig ausgeführte Schichtlinien mit 20 m Abstand. Die Karte
der Böschimgen wäre leicht mit der topographischen zu vereinen gewesen; die Schicht-
linien wegzulassen ist m. E. nicht gut, auch die lose Schraffenzeichnung, die die Farbe
imterstützen soll, ist nicht geschickt behandelt und stört den Gesamteindruck. An
Passarges Stelle wäre ich bei der Darstellung gebheben, wie sie auf Kartenbild 2 der
..physiologisch-morphologischen Karten der Umgebung von Thälendorf" in seiner
Physiologischen Morphologie befolgt ist. Wichtig ist der Versuch, bestimmte Bö-
schimgen mit einer Farbe zusammenzufassen, was übrigens eine wenig bekannte, auf
Manuskriptkarten angewandte Manier österreichischer Topographen ist. Passarge
betrachtet che Böschungsverhältnisse imter ganz neuem Gesichtswinkel, nämlich in
Beziehung zm- Erosionstätigkeit und landwirtschaftlichen Benutzbarkeit (Pflugbarkeit).
Bei Qo bis 5" herrscht eine geringe Erosion des fließenden Wassers mit geringen Flächen-
abspülungen und Bodenversetzungen, bei 5" bis 10" hauptsächlich die Horizontal-
erosion mit kräftiger Abspülung, bei 20 bis 35" nur Vertikalerosion mit kräftigen Ab-
spül ungen, Bodenversetzmigen und Erdrutschen. Stellt die erste Stufe leicht zu be-
pflügendes Land dar, so die zweite bepflügbares Land und die dritte gestattet nur
Pflügen mit modernen Eadpflügen. Bei den Böschungen über 35", wo die Abtragungs-
möglichkeiten gesteigert und eine Zunahme der Möghchkeit für Erdrutsche und Berg-
stürze besteht, ist das Pflügen unterbunden. Die Karte der physikalischen Wider-
stände der Gesteine zeigt unter anderm die Abhängigkeit der Böschungen von der Festig-
' Der vollständige Titel lautet: Morpholofjiseher Atlas hg. v. S. Passarge. Lieferung I.
Passarge: Morphologie des Meßtischblattes Stadtremda, 8 Karten nebst Anleitung in Mappe und
Erläuterungen. Sonderabdruck aus d. Mitt. d. Oeogr. Ges. in Hamburg XXVITI. Hamburg 1914.
— Lieferung IT. C. Rathjens: Morphologie des Meßtischblattes Saalfeld. Hamburg 1920. — Karto-
graphisch bieten die Karten von Rathjens nichts Besonderes.
NeiU' Baliiii'ii und nfue Aufgabon. 99
keit der einzelnen Formationen. Während die Karte der Talformen iind die hypothetische
Karte der Ausgestaltung der Oberfläche klare kartographische Bilder sind, kann man
es von der Bodenkarte nicht behaupten, die offenbar an t'lberfülle des Gegebenen
leidet.
37. Die Entwicklung der ni()r|thologischen Karte durch (iehne. Das Originellste,
was bisher auf dem Gebiete morphologischer Karten vorliegt, ist die ,,geomorpho-
logische Karte der Umgebung vonThale" in 1 : 500001 vq^ HansGehne, einem Schüler
von A. Philippson. Dreierlei Anforderungen richtet Gehne an eine morphologische
Karte, sie muß morphographisch, geologisch und morphologisch sein.^ Die erstere ver-
langt eine gute Wiedergabe der Formen, insonderheit auch deren Höhenverhältnisse,
die zweite den geologischen Aufbau nach morphologischen Gesichtspunkten schemati-
siert, wobei die Petrographie und das Alter in Faltengebieten wegen der tektonischen
Schlüsse zu beachten ist, luid die dritte die Altersbestimmung und Alterszusammen-
gehörigkeit der Formen. Daraus erkermen wir, daß Gehne ganz ähnliche Gedanken
vorschweben, wie sie Passarge ausführhcher entwickelt hat. Beide sind unabhängig
voneinander fast auf gleiche Ideen gekommen, die sie jedoch in verschiedener Weise
kartographisch niedergelegt haben. Was Passarge auf mehrere Karten verteilt, ver-
sucht Gehne in ein emziges Kartenbild zu bannen.
Das Charakteristische und Eigenartige der neuen Methode geomorphologischer
Kartendarstellung von Gehne ist: Wiedergabe geomorphologischer Erscheinungen
auf Grundlage einer Höhenkurvenkarte in farbigen Schraffen, wobei jede Farbe
einen morphologisch gleichwertigen Schichtenkomplex, bzw. einen bestimmten geo-
logischen Horizont vertritt. Mit der gleichen Farbe wird außerdem die Alter-
zusammengehörigkeit der Teile veranschauhcht. So kommen bei dieser farbigen
Schraffenmanier die Schichten nur an Böschungen zur Geltung, was morphologisch
ganz richtig ist, denn die Gesteine, die keine Geländeunterschiede bewirken, sind morpho-
logisch belanglos. Mithin wollen die Schraffen bei Gehne lediglich den Innern Bau des
Geländes versinnbildlichen, sie sind keine Böschungsschraffen mehr im Sinne von
Lehmann, sondern sie werden bezüglich ihrer Dicke imd Dichte nach dem Gefühl
gezeichnet, um zu verhindern, daß durch die verschiedenen P'arl)en. die für ein topo-
graphisch gleiches Gebilde bestimmt sind, ein falsches plastisches Bild erweckt wird.
Um ungewollte Differenzen in den Böschungswinkehi zu vermeiden, hat Gehne ferner
den Helligkeitswert der Farben untereinander abgestimmt. Überall, wo wir in divs
/•Cartenbild hineinleuchten, sehen wir das tiefe Durchdenken der ganzen kartograpliiscii
darzustellenden Materie. Gleichfalls ist es ein guter Gedanke von (lehne, die Farbe
der Schraffen nach der gel)räuchlichen Skala der geologischen Karten zu geben. Dadurch
erweckt die Karte von vornherein Vertrauen, eine lange Legende wird überflüssig und
jeder Kiuidige ist schnell im Bilde. Und dennoch läßt sich die Methode (iehnes niolil
überall gleichgut anwenden. Dort, wo die Gesteine nicht so wie im Harze fonubildond
sind, wie z. B. Schiefer und Grauwacke im Bheinischen Schiefergebirge, geht die
' St^iMiratfilulnuk aus d, Aivlüv f. l^rulon uinl \olkskiiiulr der I'iDvin/. Sji.li»«>ii 1
j^ierizdidcn I^ndcsHtrichen. .Mitt. d. SiicbH.-Tliüiing. Vpn'ins f. Krdkdo. 7,11 Hnllo s. iS. 1!H:
.StUflifn Gohne.'t ppUpn z.iiriick auf doHHon DiHHcrtAtion : Bcitrii««- 7.ur Morpliologip d.» (»tliiliri
Halle 1911.
- H. Ocliiir: Knie uiMie Met linde n.-emorplioldtrisrh.M Kdrleiidiirxlollunj;. IV M I
s. 72, ::!.
100 ^ic Kartographie als Wissenschaft.
Gehnesche Schraffe ihres Wertes verlustig nnd muß durch andere Linien- oder
Flächenelemente ersetzt werden.
Das Fläehenkolorit hat Gehne morphologischen Einebnungserscheinungen (Fast-
ebene, Terrasse. Flußaue) vorbehalten. Durch die Gegenüberstellung der farbigen
Fläche zur farbigen Schraffe erhöht sich weiter die Anschauhchkeit und Übersichtlich-
keit der Gehne sehen Karte. Für die Farbenwahl der morphologischen Flächenelemente
liegt noch kein bestimmtes Schema, vor. Gehne lehnt sich an das Spektrum an, indem
er den Talaiieu die für Talungen und Niederungen geljräuchlichen grüne Farbe gibt
und über gelbgrün, gelb zu orangefarbenen und roten Tönen übergeht und ganz im
Peucker sehen Sinn den höchst gelegenen Flächen die leuchtendste Nuance gibt. Da
die Orange- und Indigofarben in der üblichen geologischen Farbenreihe wenig ver-
treten sind, schlägt Gehne vor. sie hauptsächlich für die Hervorhebung morpho-
logischer Tatsachen heranzuziehen.
Mit den voranstehenden morphologisch-kartographischen Erörterungen glaube
ich genugsam auf die Hemmnisse imd Klippen hingewiesen zu haben, die bei der Dar-
stellung einer brauchbaren morphologischen Karte vorhanden sind. Vom morpho-
logischen wie kartographischen Gesichtspunkte aus haben bis jetzt nur Passarge und
Gehne gangbare Wege gewiesen. Der Weg von Gehne ist vielleicht der kartographisch
entwicklungsfähigste, imd die geographischen Wissenschaftler sollten sich nicht scheuen,
das wohldurchdachte System Gehnes zu adoptieren, es kartographisch zu vervoll-
kommnen und mit Ideen Passarges zu verschmelzen suchen. Vielleicht dürfte man sich
in der Farbenwabl für Einebnimgserscheinungen auch ohne einen von einem Kongreß
sanktionierten Beschluß einig werden. Die Karten nach Passarge- Gehne werden zur
Kenntnis der morphologischen Probleme und deren schärfern Differenzierung wesent-
Hch beitragen; sie sind geeignet, das zu erfüllen, was S. Passarge am Schluß seiner An-
leitung zum Studium der Karten des morphologischen Atlasses sagt: „So sind denn
auch vom didaktischen Standpunkt aus die morphologischen Karten recht wohl
brauchbar und werden manchem Anregung geben."
38. Verquickung von hypsometrischem und kulturgeographischem Element. Der
Gedanke, das hypsometrische Element mit dem kulturgeographischen zu verbüiden,
hat schon verschiedene Köpfe beschäftigt, aber zu allgemein gültigen Ergebnissen ist
man auch auf diesem Gebiete nicht gelangt. An der Lösung des Problems sind öffent-
liche -wie private Kartenwerke beteiligt. Stimmt die Darstellung für ein Gebiet, führt
sie bei andern zu erheblichen Differenzen. Mit gewissen Einschränkungen könnte man
die agronomischen Karten hierher rechnen, selbst die Böschungskarte nach Passarge
mit der Darstellung des Geeignetseins der verschieden geneigten Geländeflächen für
die Feldbestelhmg.
Aus den Regionalfarben Sydows l)lickt ein schwacher Schimmer des kultm--
geographischen Momentes hervor. Besser spiegelt es sich in den Höhengürteln auf der
Hypsometrischen Übersichtskarte des größten Teils der östereichisch-imgarischen
Monarchie in 1 : 750000 wieder. Die Talebenen und Niederungen sind mit dem Wiesen-
grün koloriert, von 150 m an folgen braune Töne mit den Stufen bis 300, 500 imd 700 m,
von da ab sind die braunen Intervalle je 300 m groß und werden je höher desto dunkler,
sie bezeichnen in großen Zügen den Waldgürtel. Die niedern Alpenregionen, Höhen-
lagen von 2300 bis 2900 m, bhcken ims in zwei Eosatönen an. und die über 2900 m
berichten von den höhern Alpenregionen, die in Eis und Schnee erstarren und deshall)
Nfue Bahnen uucl neue Aufgaben. 101
weiß gelassen sind. Unter gleichen Voraussetzungen für eine außergewöhnliche Ab-
stufung der Höhenschichten ist die Carta corografica ipsometrica del Eegno ditalia
e delle regioni adiacenti in 1:500000 konstruiert. Die mit Wiesen geschmückten
Täler und Niedervmgeu erscheinen bis 300 m gi-ün. von da ab die Obstbaumregionen
bis 1000 m in allmählich intensiver werdenden hchtbrauneu Stufen; von 1000 bis 2800 m
finden wir dimkelbraime Stufen, die nach der Höhe zu immer gesättigter und dunkler
werden, aber auffällig immerhin noch geschieden bei der Xiveaukurv-e 1600, da bis
dahin die verschiedenen Getreide reichen, und 2000, da hier in der Hauptsache der
BaumwTichs zu Ende ist. Von 2800 m an ist die Region des e^^•igen Schnees, die
bis 3600 blau und die wenigen darüber hinausragenden Gebiete weiß veranschau-
licht sind.
Vollkommener imd tiefer als die staathchen Karten hat die Terrain- und Höhen-
karte der Hohen Tatra in 1:100000 von C. Kolistka die Verschmelzung von Ge-
lände- mit kulturgeogi-aphischer Karte erfaßt. ^ Form, Höhe und ^'egetationsverhält-
nisse werden mit einem Schlage dargestellt. Mit Hilfe von Isohj-psen, senkrecht be-
leuchteten Schraffen, ausführlicher Felszeichnimg und Schichtfarben unternimmt
Kofistka ein lebenswarmes, lebenswahi-es und plastisch wirkendes Bild der Tatra zu
zeichnen. Die Schichthnien entbehren der übHchen starren, ledighdi nach Zahlengrößen
bestimmten Aquidistanz und sind den Vegetationsgrenzen angepaßt. Von 1500 bis
2000 Fuß erscheint ha Weiß die Waldi-egion, bis 2500 Fuß in Gelb die Hafer-, bis 3800
in Heügrün die untere Wald-, bis 4300 in Dunkelgi-ün die obere Wald-, bis 5300 Fuß
in Braun die Ivrummholzregion ; von 5300 bis 6000 Fuß erbhcken wir in Hellrot den
Gürtel der Moose imd Gräser und darüber hinaus die Schneefelder imd kahlen Felsen,
letztere durch ein saftiges Dunkelbraun noch besonders markiert. Die Farbentöne
passen gut zueinander, entbehren nicht einer ge\\-issen Charakteristik der Vegetations-
formen und sind zugleich so angeordnet, den plastischen Effekt des Geländes zu er-
höhen. Also auch hier bei Kofistka ein wohldm'chdachtes System. Allerdings die
Schichtlinien als mittlem Ausdruck sämthcher großen und kleinen Abweichungen
der Pflanzenhöhengi-enzen zu gebrauchen, hat seine Bedenken, worauf schon E. v. Sy dow
hinweist.- Der gleiche Zug der Vegetationsgrenzen der Süd- und Nordabhänge liegt
bei der Tatra an der Grenze der wissenschaftlich gerade noch zu rechtfertigenden Ver-
emheithchung, bei den Alpen mirde er auf erhubhche Schwierigkeiten stoßen, wo z. B
in den Tauem die Getreidegrenze auf der Nordseite bis 1200 m, auf der Südseite bis
1500 und 1700 m reicht, im Gebiete des Brennere ün Norden bis 1160 m, im Süden bis
1350 m, m dem des Ortlers im Nordwesten bis 1250, im Südosten bis 1640 m.*
In der Karte von Koiistka hegt eine ebenso bedeutende wissenschafthche \\ie
kartographische Leistung vor. bei der nm- zu bedauern isti daß sie keine Nachfolger ge-
funden hat. Aus ihr kami man wiederum die Lehre ziehen, daß für derartige wissen-
schafthch diffizile Darstellimgen eine gute Terrainunterlage das --/ und ß des GeHngens
imd Verstehens ist. Die zukünftige Kartographie wird sicher Probleme von der Art.
wie sie KoHstka zu lösen suchte, wieder in ihr Arbeitsprogramm aufnehmen. Sie
wie .schon die verhältnismäßig kümmerlich orientierenden staatlichen Karten (s. oben)
sind für physikahsch-geographische und wirtschafts- mid kulturgeographische Studien
Carl Koiistku: Dil- Holii' ThIiu in clt-n OntiulKariwtin. V. M. Ergli. 12. Oolha 1804.
E. V. Sydüw in V. M. ISM. S. 48U.
Vgl. M. Etktit: Oiundrili ilii HandeUgeograpbie. 1. Lt-ipzig l!K)i>, S. 28.
102 "ii- Kaitogvapliio als Wissciisrluiri.
imeutbt'hrlich. Nach iihulicLen Prinzipien müloteii diu \ crschicdeuHten Staaten ein-
lieitlich durchgeführte Kartenwerke herausgeben. Italien hat einen guten Anfang ge-
macht. Dabei sollte man es nicht bewenden lassen, andere Staaten müssen biild folgen,
sie liaben in dieser Eichtung noch viel zu tun, so auch Deutschland.
II. Internationale Aufgaben und Weltkartenprobleme.
.'{)l. AVirkliclic Weltkarlenprobleme. Neue Bahnen verfolgt die vorwärts strebende
Kartographie nicht bloß innerhalb des Kartenbildes selbst, sondern in weit höherm
;\laße bei der Verwirklichung internationaler Aufgaben. Da winkt ein Feld unbegrenzter
Betätigung. Zunächst melden sich noch Probleme, die mehr nationaler als internationaler
Natur sind. Sicher ist die vornehmste Aufgabe die, das Gute, was in einzelnen, nicht
selten recht kostspieligen Werken niedergelegt ist, zum Gemeingut des Volkes zu
machen. An der Erreichung dieses hohen Zieles müßten sich staatHche wie private
Institute gleich stark beteiHgen. Ich spreche nicht bloß von Deutschland, was in aus-
gezeichneten preiswerten Schulatlanten, in dem Zugänglichmachen guten Karten-
materials für breitere Volksschichten andern Staaten vorbildlich sein kaim, sondern
allgemein von den sich kartographisch betätigenden Völkern. "Wieweit hier inter-
nationale Vereinbarungen getroffen werden können, dürfte erst die Zukunft lehren.
Die Einsicht von der Notwendigkeit des Zusammenschlusses benachbarter Staaten,
gegebenenfalls sämtHcher Kulturstaaten der Erde, prägt dem 20. Jahrhundert den
Stempel auf, wenn auch die Wurzeln dazu in das vorhergehende Jahrhundert hinein-
reichen. Nicht gegenseitige Liebe führt zu diesem Zusammenschluß. Es ist mehr Natur-
zwang, der sich insbesondere im Verkehr äußert, der im Sinne einer unbezwinglichen
Macht selbst die politischen Schranken durchbricht. Die moderne Geographie lehrt uns,
daß der mehr und mehr wachsende Zusammenhang der einzelnen Eassen, Völker und
Bevölkerungen eine Wirkung des Verkehrs ist.^ Schließlich hat er auf die Förderung
der internationalen wissenschaftlichen Bestrebungen bedeutenden Einfluß. Unter den
internationalen Vereinbarungen nehmen die auf kartographischem Gebiet liegenden
nicht die unbedeutendste Stelle ein. Die internationalen kartographischen Werke ge-
hören nicht mehr in das Arbeitsgebiet eines einzelnen Staates, viele Staaten sind daran
beteiligt oder müssen zum wenigsten daran interessiert sein.
Je nachdem sich in den internationalen Kartenwerken die ganze Erde um-
spannenden oder europäische Verhältnisse wiederspiegehi, wird man von Welt- oder
europäischen Kartenproblemen sprechen. Zurzeit sind es hauptsächlich zwei
Weltkartenprobleme, an deren Lösung schon längere Zeit gearbeitet wird; es sind
dies die Weltkarte in 1:1000000 fs. S. 106 ff.) und die Geologische Karte der
Welt in 1:5000000, deren Herstellung auf Anregung von Beyschlag auf dem
XL Internationalen Geologenkongreß zu Stockholm im Jahre 1910 beschlossen wurde.
'In der Untersuchung über natur- und kulturhistorische Karten im zweiten Band der
Kartenwissenschaft ist der Eaum gegeben, wo dieses Projekt näher erörtert wird. Mit
derselben Berechtigung, jetzt eine geologische Karte der Welt in 1 : 5000000 herzu-
stellen, konnte man an eine Weltkarte 1 : 1000000 herantreten. Wenn man solange mit
* Vgl. Fr. Ratzel: Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehrs und
des Krieges. 2. Aufl. München und Berlin 1903, S. 5i2ff. — M. Eckert: Grundriß der Handcls-
geographie. Leipzig lOO."), S. 134ff.
Internationale Aufgaben und Weltkartenprobleme. 103
der geologischen Weltkarte warten wollte, bis die Erde vollständig geologisch er-
schlossen ist — denn an den meisten Stellen ist sie nur punktartig angeklopft — , dann
dürfte die Bearbeitung der geologischen Weltkarte noch viele Jahrzehnte, wtnn nicht
Jahrhunderte hinausgeschoben sein. Man fand den Vorschlag Beyschlags gut und
die Ausführung wurde beschlossen. Dagegen sprachen bei dem Weltkartenprojekt
zu viele andre hinein, und trotzdem sind dabei, was das Tragikomische der ganzen
Angelegenheit ist, die richtigen irfachverständigen doch nicht befragt worden. Eine
andere Weltkarte ist die Welttiefenkarte in 1 :10Ü0U0t)(i, deren zweite Auflage
1910 in Monaco beschlossen wuide und deren Eedaklion in den Händen von
G. Schott liegt.i
Ein andres gewaltiges Karteuunternehmen ist von sich allein aus zu einem
Weltkartenwerke ausgewachsen, ohne sich selbst als solches zu deklarieren, nämlich
die Seekarte, die sich dank der rastlosen Aufnahmetätigkeit der enghschen Marine,
der sich die deutsche und andere würdig zur Seite stellten, auf fast alle verkehrs-
tätigen und wichtigen Küstengebiete der Erde erstreckt. Würden sich die Engländer
zum Metermaß bequemen, läge in deo Seekarten der seefahrenden Staaten ein nahezu
einheitliches Weltkartenwerk vor.
Die Weltkartenprobleme sind meist deutschen Ursprungs, so auch
ein andres Problem, das für die Kartographie von eminentem Einfluß geworden ist.
Das unsterbhche Verdienst des preußischen Generals J. J. Baeyer ist es, 1867 die
europäische Gradmessung ins Leben gerufen zu haben, die sich 1886 zur , .inter-
nationalen Gradmessung" erweiterte und mit Ausnahme der Türkei- die europäischen
Länder und ganz Nordamerika umfaßt. Wenn erst diese internationale Gradmessuni^
sich über sämtliche Kontinente erstrecken und so zu einer wirkhchen internationalen
oder Weltgradmessmig werden wird, wenn erst eine einheitUche trigonometrische
Vermessung I. Ordnung über ganze Kontinente hinweggeführt sein wird und die durch
die astronomischen und trigonometrischen Aufnahmen mid Arbeiten eines solchen
internationalen Zusammengehens gewonnenen Eesultale vollkommen berechnet mul
al)geschlosseu vorliegen, so daß die Projizierung der wahren Lage der Parallelkreise
imd Meridiane für Spezialkarten keine Schwierigkeiten mehr macht, wenn erst die
Höhenbestimmung aller wichtigen orographisehen Punkte der wirkhchen Erdober-
fläche eine befriedigende Genauigkeit erreicht haben, und wenn man erst in den meisten
wichtigern Ländern sich darüber einig ist. wie die Karten nach gleichen Prinzipien*
herzustellen sind, daim werden wir die wissenschaftliche Karte xuz i^o/iiv zeichnen,
' Vgl. Annal. der Hydrogr. 1910. S. 220ff. oder P. M. 1910. II. S. 144. - Die zweite Auflage
ist die Bearbeitimg der schon vorhandemn Carte bathymetriquc des oc^ans; sie iiutersoheidet sich
von der cr^ti'n hauptsächlich durch Hinzufiigung der Lan<li.<oliypsen zu den Meeresifobathen. Bis
jetzt (Sommer 1921) .lind die fertiggestellten Blatter noch nicht im Buchhandel erschienen.
2 Die Balkanstaaten sind heute wie vor .Tahrcn noch i-iiokstÄndig. Besonders liiOt die physi-
kalisch-geograplüschc Erforeehung und der damit zusammcnliängcnde Xieilersclilag in Karten immer
noch zu wünschen übrig. Es hat «ich nicht viel gebessert seit der Zeit, als E. v. Sydow in P. M.
1857, S. 22 schrieb, daß die Kartograpliie der südöstlichsten Halbinsel Euroiwa noch außerordenfüch
lückenliaft sei und den fernem scientiveu Erobenmgen ein sehr groUes Feld darbiete. - In den
Bemerkungen zu der Karte über Heine Reisen in Bulgarien 1870-74 (P.M. 1874, Taf. 22) sagt
K.Kanitz S. 429 : „Das Bedürfnis einer umfassenden physikalisch-geographischen Erforschung des
Botlens wird nur in Ländern empfunden, in welelien Ri-gierimg unil Regierte gleichmäßig von fort-
sohrittliclieii Bestrebungen für die Hebung des Nationalwohls erfüllt shid."
3 Vgl. M. Heiniich: Der Standpmikt der offiziellen Kartographie in Euroj». O. J. XII.
1888, S. 309.
104 "i"' Kiiitoürniiliic al- WissiMis.:liiil't.
dann kann die wissenschaftlichf und praktische Kartographie daran gehen, die Welt-
karte herzustellen, und zwar eine solche im Maßstah 1 : 100000. Eine Weltkarte in
kleinerm Maßstal)is wie die gegenwcärtig geplante in 1 : 1 000000, kann bereits aus dem
jetzt vorUegenden. wenngleich vielfach unzulänglichem Kaitenmaterial aufgebaut
werden; aber eine Weltkarte in 1 : lÜOüOO muß aus dem Vollen geschöpft werden
und das feinst destillierte Extrakt aus einer Kartenfülle sein, wie die Vogelsche
Deutschlandkarte in 1 : 500000 aus den topographischen Karten des Deutschen Eeichs.
Das Allgemeine muß aus dem Besondern herauswachsen. i Das sollte mit wenigen
Ausnahmen das Leitmotiv sämtUcher internationaler Kartenunternehmungen sein.
In der jetzigen Zeit von andern Weltkartenwerken zu sprechen hat keinen
Sinn, obwohl die Zukunft noch mancherlei Projekte der internationalen Kartographie
zum Vorschein bringen wird, insonderheit Projekte, die auf verkehrsgeogra{)hischem
Gebiete liegen. Mit dem Fortschritt der Wissenschaft, die ihrem Wesen nach zu einem
gut Teil international ist, wird manches Problem geboren werden, an das wir noch
gar nicht denken. Warum sollten nicht einmal auf Grundlage der Weltkarte 1 : 1000000
beispielsweise die magnetischen Störungsgebiete kartographisch fixiert, warum nicht
einheitliche, wirtschafthcli wchtige kUniatologische Beobachtungen über ganze Kon-
tinente festgelegt, ein einheitlicher Normalnullpunkt für die gesamten Kartenwerke,
ein Anfangsmeridian, der sich nicht auf nationaler, sondern auf allgemeiner terre-
strischer (kultureller) Basis stützt, angenommen werden 9^ Ist das geplante „Ver-
messungsluftschiff" für die Aufnahme einer aeronautischen Weltkarte außer Kurs
gesetzt, wird es doch noch internationalen Aufnahmezwecken dienstbar gemacht
werden, freilich in einer Art, an die man früher gar nicht gedacht hat. Die künftigen
Aufgaben der elektrodynamischen Erforschmig des Erdinnern werden ohne das in
bestimmter niederer Höhe ruhig fahrende Luftschiff nicht vollkommen gelöst werden.
Der Niederschlag dieser Forschungsergebnisse wird eine Weltkarte der Erz- und
Wasservorräte der Erde sein.^
40. Europäische Kartenprobleme. Man spricht in der Tages- wie Fachliteratur
noch von andern Weltkartenprojekten, die indes diesen Namen nicht verdienen und
ledighch im europäischen Interessenkreis begründet sind. In Petermaims Mit-
teilungen 1914 zählt K. Peucker unter drei Weltkartenprojekten außer der Welt-
karte 1 : 1000000 noch eine photogrammetrische und eine aeronautische auf. Immer
wieder muß ich darauf hinweisen, sich in der Geographie wie Kartographie der
modernen politischen Methode, mit Schlagwörtern zu operieren, zu enthalten. Dazu
gehört auch die Bezeichnung „Weltkarte". Die Tragweite der Photogrammetrie
konnte man vor zehn Jahren nicht so überblicken wie heutigestags nach den Er-
1 Vgl. Fr. V. Thudichum: Historische Grundkarten. Tübingen 1892, S. 7.
2 Der Meridian von Greenwich hat trotz aller Vorzüge doch nicht die Zugkraft, allen
Kartenwerken der einzelnen Nationen als Nullmeridian zu dienen; iukI wenn die deutsche Wissen-
scliaft noch so sehr niit ihni liebäugelt, stehen doch seiner allgemeinen Einführung mancherlei Be-
denken gegenüber, wie wir später noch erörtern werden. Es bleibt unveiständlich, warum man einen
so ausgezeichneten internationalen Meridian, wie den von Ferro, durchaus aufgeben will. Daß
Greenwich besser sei, davon haben mich als Geograph nicht einmal die Beschlüsse der VII. all-
gemeinen Konferenz der europäischen Gradmessung, Beriin 1884, überzeugt. Vgl. liierzu auch
H. Haag: Die Geschichte des Nullmeridians. Diss. Gießen 1912. Leipzig 1913.
' H. Löwy: Elektrodj-namische Erforschung des Erdinnern und Luftschiffahrt. Mit einem
^•<)r^vort von R. "v. Mises. Wien 1920, S. 36.
Iiit.iiiati.piiiilc Aufpihiii iiiiil Wi'llkiii-|cui)iobleiii.-. 1(I5
fahruugeii des Krieges, wo Pliotograiumetrie und Stereophotogrammetrie in einer
Weise erprobt und gefördert worden sind, wozu in friedlichen Zeiten gewiß Dezennien
gehört hätten. Mit Berücksichtigung dieser Erfahrung wirde Peuckeis Annahme
auch entschuldbar. Der Fiiegeraufnahme gehört die Zukunft. Sie wird die Anfnahnie
und Herausgabe einer Weltkarte beschleunigen helfen, aber auf sie allein läßt sich
keine Weltkarte aufbauen, und die Bezeichnung einer ,,j)hotogramnietrischen Welt-
karte" erül)rigt sich somit.
Die Aeronautische Weltkarte ist lediglich im europäischen Interessenkreis
begründet, darum muß es Aeronautische Europakarte heißen, oder noch besser
europäische Flugkarte. Fliegerkarte würde ein etwas engerer Begriff seui, wenn
auch an ihre Herstellung jetzt zvmächst zu denken ist, denn die Flieger haben in un-
geahnter Weise die Luftfahrer überholt, nicht bloß in den aviatischen Leistungen,
sondern auch in der Förderimg wissenschaftUcher Probleme. Hat sich das Flugzeug
iillmählich so eingebürgert, daß es als Verkehrsmittel imentbehrlich ist und vielseitig
und regelmäßig gebraucht wird, dann ist auch an die Herstellung einer selbständigen
internationalen Flugkarte heranzutreten, deren Einzelblätter in doppeltem bis drei-
fachem Format der heutigen deutschen Generalstabskartenblätter 1 : 100000 heraus-
zugeben wären.
Sind internationale Karten erst in Europa erprobt worden, dann wird es nicht
schwer halten, sie über die ganze Erde zu breiten und sich zur „Weltkarte" ausdehnen
zu lassen, ähnhch der geologischen Weltkarte, deren maßgebende Vorgängerin die
Internationale Geologische Karte von Em-opa war, die von Beyrich und Hauche-
corne auf Beschluß des Internationalen Geologenkongresses zu Bologne vom Jahre
1881 bearbeitet worden ist. Neben der rein geologischen Karte meldet sich eine andere,
die gern internationale Geltung erlangen möchte, die agronomische. Großmaß-
stabige Karten dieser Art besitzt außer Schweden in der Ökonomischen Karte des
Reiches in 1 : 50000 und 1 : 100000 (Küstenstriche Norbottens, Aelfdal in Wärm-
land) kein größeres Land. Die Geologisch-agronomische Spezialkarte des Nord-
deutschen Flachlandes in 1 : -25000, auf Grimd der Meßtischblätter von K. Keilhack
herausgegeben, ist längsam im Erscheinen begriffen. Eine internationale agronomisclu"
Karte müßte auf einer Isohypsenkarte in 1 : 100000 aufgebaut werden. Eine der-
artige Karte würde die Grundlage weiterer wichtiger wirtschaftlicher Karten werden,
beispielsweise einer internationalen Bodenfruchtbarkeitkarte. Desgleichen
müßten Lagerstättenkarten der nutzbaren Mineralien international werden: sie
können sich leicht zu wirklichen Weltkarten entwickeln.
Zu internationalen Kartenwerken drängt die Entwicklung der Telegraphen,
der Telephone, der Funkenstationen, der Kabel hin. Die Eadfahr- und Automobil-
karten mit ihrem grellroten Straßennetz mit der Bezeichnung der Entfernungen in
km und der gefahrvollen Wegestrecken wachsen sich mählich international aus.
Auch verschiedene kartographische Darstellungen des Binnenverkehrs, wie die
des Wasserstraßenverkehrs, vertragen eine Behandlung weit über die politischen
Grenzen eines Staates hinaus. Internationale Vereinbarungen, aber nicht bloL<
Kongreß-, sondern wirklich staatlich unterstützte B.schlüsse könnten auf dem wioil.r
frisch erwachten Gebiet der Wirtschaftskartendarstellung viel Sfgi'nsri'ich«>s stiften:
z. B. müßte festgelegt werden, daß die Signaturen, die sich auf Erzeugnisse und B.-
triebe aus dem Pflanzenreich beziehen, die grüne Farbe erhalten, die aus dem Tier-
reich die rote, die aus dein Minenilnicli die blaue Firbe. gemischte Betriebe konnten
106 ''ie Kartograpliif als Wissenschaft.
brauu und sonstige sich in die genannten vier Farben nicht einreihende schwarz
erscheinen. An die internationale Lösung kartographisch-statistischer Probleme
ist noch gar nicht gedacht worden. Die gesamte Kulturgeographie gibt eine reiche
Anzahl Probleme an die Hand, die kartographisch eine internationale Klärung er-
heischen, wie die Herausgabe einheitlicher Volksdichtekarten, ferner von Karten
über die Verbreitung bestimmter Siedelungsformen , der Naturdenkmäler- und der
Schutzgebiete für Naturdenkmalpflege u. v. a. ra.
41. Dil' Eutwicklung des Planes einer Weltkarte 1:1000000. Die Staaten, zu-
nächst die benachbarten, werden künftig vorzugsweise darauf hinarbeiten, so viel
wie möglich ihre Karten gegenseitig in den Maßstäben besser als bisher anzupassen.
Schon bei der Herausgabe von Karten in sogenannter Meßtischblattgröße, also in
1 : 20000 und 1 : 25000, hätte man mehr aufeinander Rücksicht nehmen körmen.
Verbohrt wäre es, bei Karten in noch größern Maßstäben in dem einen Lande Karten
in 1 : 10000 und in dem benachbarten 1 : 12500 herzustellen. 1 : 10000 müßte für
solche Kartenwerke maßgebend sein. Noch mehr wäre es bei den topographischen
Übersichtskarten von größtem Segen, wenn man sich bei ihrer Herausgabe gegenseitig
besser verständigt hätte.
Soviel Karten wie möglich in gleichem Maßstabe zu haben, ist der Wunsch
jedes Geographen, der sich letzten Endes auch mit dem deckt, bald eine Weltkarte
in 1 : 1 000000 zu besitzen. Wenn ich in meinen fernem Darlegungen von Weltkarte
spreche, ist darunter stets die im Maßstab 1 : 1000000 zu verstehen, für die im
Dezember 1913 in Paris als endgültiger Titel Carte internationale du monde
1 : 1000000 lestgelegt worden ist.
Auf dem V. Internationalen Geographenkongreß zu Bern 1891 nahm A. Penck
den von Sir James gefaßten Plan einer allgemeinen großen Weltkarte wieder auf.
ohne an die beachtenswerte Papensche Höhenschichtenkarte von Zentraleuropa,
die in dem Maßstab 1 : 1000000 1858 in Frankfurt a. M. erschien, zu denken. Wie
bei der Weltkarte sind die einzelnen Blätter der hypsometrischen Karte, die A. Papen
entworfen und Ravenstein in Frankfurt a. M. fortgesetzt hatte, Gradabteilungs-
blätter. Eine andere hervorragende Leistung im Maßstab 1:1000000 war die von
Fräulein Kleiuhans bearbeitete und von Levasseur herausgegebene ReHef karte
von Frankreich, die als Pracht- imd Meisterwerk den größten Eindruck auf jeden
Beschauer der geographischen Ausstellung des IL Internationalen Geographen-
kongresses in Paris 1875 gemacht hat. Auch sei an Br. Hassensteins Atlas von
Japan in 1 : 1000000, Gotha 1887, erinnert.
Vor seinem Vortrag in Bern hatte Penck 1891 den Plan zur Weltkarte in
1:1000000 kurz in der Allgemeinen Zeitung entwickelt. ^ Wenn er auf dem
VII. Internationalen Geographenkongreß zu Berlin (1899) bittet, , .nicht von dem
l'enckschen Projekt der Weltkarte zu sprechen, sondern es als eine allgemeine Sache
zu betrachten, die nicht mit einzelneu Personen zusammenhängt", gibt er einer
richtigen Empfindung Ausdruck, imd doch muß jeder, sei er Freund oder Gegner
des Projektes, anerkennen, daß Penck für das Zustandekommen und die Förderung
des Projektes, das jetzt mähhch sichtbare Resultate aufweist, unstreitig das meiste
Verdienst hat.
1 A. Penck: Die Erdkarte im Maßstabe von 1 : 1 000000. Beilage zur „Allgemeinen Zeitung".
Mttnchen 1891. Nr. 169, 20. Juni.
liiteiimtiuiialc Aufgaben und Wrltkartenprobleme. 107
Das Projekt hat viel Anfeindungen erfahren, besonders von namhaften Karto-
fTrai)hen und Geographen der Perthesschen Anstalt in Gotha, von E. Lüddecke
und H. Habenichti angefangen bis auf Supan. Selbst H.Wagner gehört in ge-
wissem Sinne hierher, noch auf dem VII. Internationalen Geographenkongreß be-
kennt er sich offen als Gegner der Penckschen Weltkarte. In dem Bericht über
den Kongreß sagt A. Supan in Petermanns Mitteilungen*, daß es Ptncks Plan
nur zu einem Achtungserfolg gebracht habe, insofern nur die Anfertigung eines Netz-
entwurfes von dem Kongreß beantragt wurde; er fährt sodann fort: „Wir sind über-
zeugt, daß es bei diesem Entwürfe verbleiben wird."
Der entschiedenste Gegner, auch heute noch, ist J. Frisch auf^, der außer
einer Eeihe sachlicher Gründe, denen man beistimmen muß, und die zum Teil
jetzt behoben sind, dem Projekt gegenüber ins Feld führt, daß es zwecklos sei. Als
Geograph erscheint mir die Karte sehr zweckdienhch, nicht bloß, daß man einmal
eine klare Einsicht in die Gebiete erhalten wird, die topographisch und geographisch
intensiver zu erschließen sind, sondern auch, daß man brauchbare Messungen bei dem
gewählten Maßstab gerade noch vornehmen kann, und daß vor allem die Grundlage
zu vielerlei Karten, selbst für angewandte geschaffen wird. Daß die Weltkarte sich als
Kriegsoperationskarte bewährt hat, werden wir gleich noch besonders hervorzuheben
haben. Der größte Fehler bei der Eeahsierung des Projektes war, und hierin muß
man Frischauf unbedingt beipflichten, daß das Projekt von Gelehrten vertreten
wurde, die mit kartographischen Dingen recht wenig bisher zu tun hatten.^
Von selten des Auslandes wurde zunächst in Eußland und später in Frankreich
dem Weltkartenprojekt weitgehenderes Interesse entgegengebracht. Namentlich
wirkte in Eußland A. Tillo für das Verständnis und die Venvirklichung des Projektes
durch Wort und Schrift.^ In Frankreich beschäftigte sich Berthaut mehr platonisch
mit dem Projekt und analysiert nur die von Penck vorgeschlagene kegelstumpfige
oder polykonische Polyederprojektion, die bereits von den Vereinigten Staaten an-
gewendet wird.** Daran schließt er weitere Betrachtungen über die Anwendung eines
ähnlichen Projektionssystems für französische Karten in verschiedenen Maßstäben.
Die beschleunigte Herausgabe der Weltkarte niöchfe ich als i'in Postulat der
' Über die Auseinandei^setzung von l'cnik mit J^iidiicrlii- iii\(l Hal>enitlit vgl. ...^UflaiHi"
1891 und 1892.
* A. Supan: Der 7. internationale Geogiaphenkonf»rolJ zu Horlin. 28. ,Sept. bis 4. Okt. 1'. M.
1899, S. 288.
" J. Frischauf: Die mathematischen Grimdlagen der Landesaufnahme und Kartoj^mpbio
des ErdspLäroids. Stuttgart 1913, 8. 189 — 192. - Beiträge zur Landesaufnahme und Kart<)gnv|)hie
des Erdsphäroids. I^ipzig und Berlin 1919, S. 170-17:i.
* Ist es nicht merkwiii-dig, daß auf der internationalen Weltkarlenkonfei-enz von den Geo-
graphen niu' die intimsten wissenschaftlichen Vreunde Pencks geladen waren, nicht aber ein wirklicher
Faclunaun, der von den Kartenprojektioiien otwa.s Richtiges veixtann, kein Fachmann, der im
kartograplüschen Beruf groß geworden war. überhaupt kein Geograph. \on dem n\an hätte l>ehaupten
können, daß er kartographisch etwas Hervorragendes geleistet luibe. Dann wird \uis auch dos herbe
Urteil von Frischauf verständlich: „Statt dessen erscheint die .Vnivgiuig zur Weltkarte nur als
Ausfluß von Unkenntnis vei-eint mit der Eitelkeit, Urheber eines gmßen l'mjektes zu s«'in."
'•" Besondeis in den V'eröffentliehimgen der Bussischen CJeogr. Ot-s. in Petersburg, wo er im
Band XXVIII die russische Übersetzung der ersten VeWiffcntlichmigen Pencks tllH>r di»>s Weltkarten^
Projekt gibt, wie auch die Gegenmeinungen von K. Lüddecke und H. Habeuieht aus dem „Aus-
land" 1891. 1892.
« lUilhaut: J^i Carte de Fniiuc. Ktu.lc lustoncHie 11. Pari» 1899. S. :t;l7ff.
108 !'''• Kiutciiraphic als WisHciisclmft.
geographischen Wissenschaft bezeichnen, als eine Forderung, die unbedingt erfüllt
werden muß, ohne die Gründe hierfür bis zur letzten Schattierung einwandfrei dar-
gelegt zu haben. Deshalb wrd es auch stets Bekämpfer des Projekts geben. Das
inliomogene Kartenmaterial unterstützt die Gegnerschaft. Auch der landläufige
Satz: Je bekannter ein Land, desto größer ist der Maßstab und umgekehrt — wird
durch die Weltkarte entwertet. Für etwa die Hälfte der Landoberfläche ist der Maß-
stab 1 : lOOOOüU jetzt gerade genügend, für ein Achtel würde er zu groß und für das
übrige zu klein sein.
Femer behaupten die Gegner, die gut vermessenen Länder büßen bei dem
Maßstab 1:1000000 viel zu viel an ihrem wertvollen dinglichen Inhalt em. Dem
ist entgegenzuhalten, daß die Weltkarte, was sie mit dem kleinen Maßstab verliert,
an Übersichtlichkeit der komplizierten Naturverhältnisse gewinnt. Was Karten in
diesem Maßstab zu leisten vermögen, hat z. B. E. Debes auf den Einzelblättern zu
Deutschland und den beiden Alpenländerkarten in seinem Atlas gezeigt.
Mit seiner gewohnten Zähigkeit hat Penck das Projekt auf jedem internationalen
Geographenkongreß (London 1S95, Berlin 1899, Washington 1904, Genf 1908, Eom
1913) vorgebracht 1, bis endhch eine besondere Kommission sich mit der Weltkarte
befaßte, die zum ersten Male in London 1909 nachhaltig für die Entwicklung des
Projekts tätig war.- Die Fortsetzung fand die Kommission in der Pariser Konferenz
vom 10. bis 18. Dez. 1913, der eine neue für den Schluß des Jahres 1914 in Berlin
folgen sollte, die jedoch infolge des Weltkrieges unterblieb.
42. Richtliiücu und Vorschläge für den Aufbau der Weltkarte 1:1000000. Bei
der Weltkarte ist zunächst der Maßstab von Interesse. Penck hat reiflich erwogen,
bevor er sich zum Maßstab 1:1000000 (1mm Strecke = 1 km, 1 inch = ungefähr
16 miles) entschloß. Wir besitzen von fremden Erdteilen bereits viele Karten in teils
größerm, teils kleinerm Maßstabe. Vor einem Menschenalter hat deLannoydeBissy
seine berühmte Karte von ganz Afrika in 1 : 2000000 veröffentlicht. Wenn wir die
bisher vorliegenden Karten der einzelnen Erdteile miteinander vergleichen, machen
sich, ganz abgesehen von der ungleichartigen Bearbeitung, verschiedene Übelstände
bemerkbar, nämlich verschiedener Maßstab, verschiedene Projektion, verschiedener
Inhalt und verschiedenes Ziel. Dadurch erwachsen der weitern Forschung ganz er-
hebhche Schwierigkeiten, die sehr wohl zu vermeiden wären. Das sind die Erwägungen,
von denen Penck ausging. Er mußte einen Maßstab wählen, ,,der für die bereits
vermessenen Länder nicht zu klein, für die noch dürftig bekannten nic|it zu groß ist";
so entschied er sich für 1:1000000. E. Lüddecke spricht sich dagegen aus und
betont, daß Maßstäbe 1 : 3000000 oder 1 : 4000000 nach dem Stande der geographischen
Erforschung der Erde für die einzehien Erdteile völlig genügen würden, zudem sei
das geogi-aphische Wissen der Erde nocli viel y.n ungleichmäßig, um überhau]it eine
Darstelkmg in 1 : lOOOüOO zuzulassen.
All diese Gründe körmen bei einer fortschrittlichen Entwicklung der Wissen-
schaft nicht stichhaltig sein. Wenn man warten wollte, bis der letzte ,,i"-Punkt in
sämtlichen Untersuchungen und Forschungen der Geisteswissenschaften sowohl wie
1 Ausführlich hat A. Penck „über die Herstellung einer Erdkarte im Maßstabe von 1 : 1 000000''
in den „Deutschen Geographischen Blättern" Bremen, 1892. XV. S. 165—194 berichtet.
- Internationales Weltkartenkomitee, London 1910. Resolutions and Proceedings of the
International Map Committee as-sembled in London, Nov. 1909.
Iiitornationale Aufgalien uiul Wi-ltkarteiiprobleini». 109
der Naturwissenschaften gemacht wäre, dann würde es mit dem Fortschritt der Wissen-
schafton nicht herrlich bestellt sein. Manche kühne vorausschauende Kons^eption
hat die Arbeitsmethode dazu erst später finden lassen. Wenn Dujiain-Triel seiner
Frankreichkarte in Schichtlinien ledighch die bis dahin gemessenen Höhenwerte
zugrunde gelegt hätte, wäre ihre Konstruktion nimmermehr erfolgt und wer weiß,
wie lange uns die Darstellung der dritten Dimension in einer Schichtlinienkarte vor-
enthalten geblieben wäre; wenn J.W. Jäger und J. G. A. Jäger in der zweiten Hälfte
des 18. Jahrhunderts hätten warten wollen, bis die deutschen Länder nur einiger-
maßen gleichmäßig topographisch aufgenommen gewesen wären, hätte ihre neue
Spezialkarte von Deutschland in 81 bzw. 87 Blättern nicht erscheinen können \ und
wenn ein A. v. Humboldt alle meteorologischen Elemente für den genauen Aufbau
einer Isothermenkarte hätte abwarten müssen, würde er nimmermehr zu ihrem Ent-
wurf gekommen sein. Es ist deshalb Penck Dank zu wissen, daß er sich trotz der
Bedenken, die im Kartenmaterial beruhen, und der Einwände von fachmännischer
Seite an der Verwirklicluuig seines Planes nicht hat beirren lassen. Zu bedauern
ist ledighch, daß von der Weltkarte eine größere Reihe einheitlich gestalteter Blätter
nicht schon vorhegt, wenn wir nicht die en^disciic Kriegskarte in 1 : 1000000 als Teile
der Weltkarte ansehen wollen.
Jedes einzelne Blatt der Weltkarte soll ein Verzeichnis der wichtigsten Quellen
enthalten, die bei seiner Herstellung benutzt wurden. Doch weit anschauhcher und
schneller orientierend wäre die Beigabe einer kleinen Skizze, des Verläßlichkeits-
diagramms, wie ich es bezeichne, in etwa zehnfacher Verkleinerung des Originals
(mit Netz). In jedes Eingradfcld wäre sodann mit größter Peinlichkeit imd Genauig-
keit nach Maßgabe irgendeines Schraffurschemas einzutragen und zu drucken, ob
das Gebiet trigonometrisch und topograi)hisch oder lediglich topographisch oder durch
Routen aufgenommen oder nur erkimdet ist : unerforschte Gebiete bleiben nach altem
Brauch weiß.
Der Maßstab 1 : 1000000 war das erste, worüber man sich bei der Herausgabe
der Weltkarte einig war. In spätem Verhandlungen erfolgte sodann die Festsetzung
des Kartenentwurfs, und das war das Schwierigste. Was da geleistet wurde, findet
Frischauf geradi'zu unglaublich. Doch muß man eben daran erinnern, daß keine
Fachmärmer zu den Beratungen liinzugezogen worden waren. Schon wemi man die
Bezeichnung ..modifizierte polykonische Pnlyederprojektion" liest, überläuft einen
' L'Allomagno en LXXXT Feuille.^ coinjm.si'o.>( suivant le.s plus nouvolles Obsen-ations i-t
dessinees d'aprta le» meilleures C'artes g^ographiqucs des Cabiiiots. qui sont oii paitie grav6es, et en
partie enoore dessin^es; revues .lelon la Gt-ograplii des Mr. le D. Büsching, Conseiller du Coii.si.stoitT
Sup^rioirr de Sa MajesW« Ic Roi de Prus.se, avee privilege de Sa Maj. Imperiale, pnr T. G. A. .liigei .
Ing6nieur-('apitaine-Lieutenant d'Artillerie et Tiisix-cteur de.s Arsenaux de la Ville Ulm' Imji^riale
de Francfort Hur le Main etc. Diese große Karte wurde 1768 von T. W. .Täger angefangen imd von
dessen Sohn T. O. A. Jäger 178S vollendet. I>>mi ganzen ist ein Übei-siehtablatt in zehnfaeher Ver-
kleinerung beigegeben. Es fülirt den Titel: Plan des la Nouvello Carte giMigi-aphique sp«>iale dWlle-
inagne, consistantes on 81 grandes feuilles, rcpresentantes l'Alleniagne divns<^e on »es Cei-cles et S<ng-
neuriea, oü sont marqu^s tous les lieux remarquables. los Contr^-es des demit^ifs Guerrcs, le» Grands-
C'hemins et los sentiers, los giundes riviörcs et les ruisseaux. les )X)nts et [letits ponts. tous les \'illages,
Bourgs, Abbaics, Cloitres et Chiteaux; tii-^es des meilleures et des i)lus exaetes Cartes spik-iale»;
qu'on püt avoir, corrig6es selon laGeogmphie de Mr. BUsching, faites et ivvues, aviv toute diligcme.
exactitude et 6l6gante par Mr. T. et K. etc. Mit Ergän/.ungsbliitteni unifaOt das \V« ik «7 Blätter.
Wenn der 'l'itel auch mehr vei-sprieht als was die Karten bieli-n. -^n war das Kartenwerk für -mmmc 7a-\\
sicher eine ganz imgewöhnlicho Leistung.
110 Dif Kartographio als Wissonscliaft.
ein leichtes Frösteln. Ist es nicht ein Treppenwitz in der Geschichte der Wissenschaften:
Während bei der Tagung der Internationalen Weltkartenkonferenz in London im
November 1909 die Clarkeschen Sphäroidelemente vom Jahre 1880 für die Welt-
karte vorgeschrieben werden, hatte kurz zuvor, Ende September 1909 in London
imd Cambridge die XVI. allgemeine Konferenz der Internationalen Erdmessung
getagt, wobei man die neuesten Werte für die Erdabmessung erhalten konnte. Bei
der Kartenkonferenz gestand man selbst zu, daß die Wahl der Projektion mathe-
matisch nicht einwandfrei sei. Das hatte offenbar den französischen Geodäten
Ch. L allem and liewogen gehabt, später noch, in der Sitzung der Pariser Akademie
der Wissenschaften vom 18. September 1911 erwirkt zu haben, das Prinzip des
Maßhaltens in der Schärfe der mathematischen Anforderungen noch nachträgUch
für die Weltkarte zur Geltung zu bringen. Vor ihm hatte aber schon J. Frischauf
den gangbaren Weg gezeigt und sogar in einer mehr elementar gehaltenen Darstellung
seine Vorschläge zur Abbildung der Erde in 1 : 1000000 veröffenthcht.i Darum
kann man sich nicht wundern, daß Frischauf über die Vemachlässigmig seiner
Ideen und Vorschläge ungehalten ist;^ auch betont er, daß den Teilnehmern der
Konferenz mem Aufsatz Die Kartographie als Wissenschaft in der Zeitschrift der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlm, 1907, unbekannt gebheben zu sein scheint.
Auch hält er aus wohlerwogenen Gründen das Format der Weltkartensektionen für
unpraktisch. So häufen sich die Tatsachen, die überzeugen, daß das Weltkartenprojekt
vorher nicht genügend ausbalanciert und sodann vertreten worden ist, wie es im Interesse
dieses wichtigen kartographischen Unternehmens wünschenswert gewesen wäre.
Erst auf den jüngsten Zusanmaenkünften der internationalen Erdkarten-
kommission wurden maßgebende Beschlüsse über konventionelle Zeichen, Wege-
netzunterscheidung, Schrift, Farbengebung der hydrographischen und oro-
graphischen Elemente gefaßt, endlich wurde ein permanentes Bureau für die Weltkarte
geschaffen, dessen Sitz in Southampton (Ordnance Survey) und Zweigbureau in
London ist. Nach einem Vierteljahrhundert hatte sich endlich die Einsicht durch-
gerungen, daß nur eine einheithche Zentrale die Vereinheitlichung der Weltkarte
wünschenswert fördern kann. Denn die Karten, die gleichsam als Probekarten bis
zur Pariser Konferenz vorlagen, waren mehr ein Sammelsurium von Kartenmustern,
wie es eben nicht gemacht werden muß. Auf das Höhenschichtenkolorit sollte man,
wie ich später ausführlicher nachweise, vorderhand ganz verzichten, es kommt nicht
viel Brauchl)ares dabei heraus, dagegen sollte man mit recht viel Liebe und Sorg-
falt die Schichtlinienzeichnung behandeln.
1 J. Frischauf: Zur Wahl der Projektion für Karten großen und mittlem Maß.stabes. P. M.
1908, S. 161—163. — Zur Abbildimgslehre und deren Anwendung auf der Landesaufnahme. Z. f.
Verm. 1908, S. 225-240.
= Beinahe sieht dies wie Absicht aus; wie kommt es, daß Penck geflissentlich diese Arbeiten
meidet, die doch seinen Arbeiten gegenüber einen großen Fortschritt bedeuten. Frischauf nennt
dies bei Penck „Eitelkeit". Es ist bedauerlich, daß man einem Gelehrten wie Penck, einem der
bekanntesten heute lebenden deutschen Geographen, sogar öffentlich den Vorwurf der „Gelehrten-
Eitelkeit" machen muß. Oder sollte Frischauf doch zuviel behauptet haben? Eine kritische Sich-
tung der kartentheoretischen Veröffentlichungen Pencks und das sonstige Verhalten in karto-
graphischen Dingen scheinen die Aassage Frischaufs zu unterstützen. Den kartograpliischen
Darlegungen Pencks kann man einen gewissen Fleiß nicht absprechen; ihr Wert liegt außer auf
verschiedenen Anregungen insbesondere auf der kritischen Seite und sodann in der Propaganda für
das Weltkartenprojekt. Eigentlich kartographisch Positives — weder theoretisch noch praktiscli —
hat Penck nicht geleistet. Seine Bedeutung liegt auf anderiii Gebiet.
Internationale Aufgabrn und Wrltkartt-nprobleiue. 111
Um etwas Einheitliches und Bleibenderes zu gestalten, dürfen zunächst die ein-
zelnen Länder an die Herstellung und Herausgabe der Karten ihres Landes nicht allein
herangehen. Die Zentrale muß zugleich eine Zentralbearbeitungsstätte und Zentral-
reproduktionsanstalt sein. Die an der Weltkarte interessierten Länder hätten tüchtige
Bearbeiter an die Zentralstätte zu senden und daselbst unter Aufsicht der Ober-
leitung die Karten ihres Gebietes zu bearbeiten. Sobald die Karten für den Druck
fix und fertig sind, könnten die fremden Bearbeiter wieder in ihre Heimat mit Um-
drucken der Weltkarte ihres Gebietes auf Zink oder Aluminium zurückkehren, um
daheim die Karten ihres Vaterlandes je nach Bedarf reproduzieren zu können. Die
Originale sind in der Zentrale aufzubewahren und au courant zu halten.
Obwohl man sich über Projektion, Maßstab, Farbengebung, Signaturen, ver-
schiedene Behandlung klimatisch gemäßigter und tropischer Gegenden einig ist und
eine Zentrale für die Weltkarte in England eingerichtet bat, fehlt es immer noch an
größerer Vereinheithchung der Arbeit an der Karte. Der Plan dazu muß noch groß-
zügiger aufgefaßt imd noch großzügiger eingerichtet werden. Ein Fehler ist es, daß
Southampton bzw. London die Zentrale der Weltkarte ist, viel richtiger wäre dies
Berlin, wo Penck und andere kartographisch bewanderte Gelehrte und Praktiker
jederzeit ihre Ki-äfte hätten zur Verfügung stellen köimen.
Bei der eigenartigen Begabung des Deutscheu für kartographische Darstellungen
wäre gerade die Anfertigung der Weltkarte in 1 : 1 000000 so recht eine Aufgabe der
deutschen Kartographie gewesen. Aus diesem Gnmde ist es zu bedauern, daß sicli
A. Penck das Weltkartenprojekt, für das er jahrzehntelang gekämpft und gewirkt
hatte, aus der Hand hat gleiten lassen, wenn er auch die Genugtuimg hat, endhcii
das Projekt halbwegs imter Dach und Fach zu sehen. Ob es aber das werden wird,
was er einstmals davon erhofft hat, möchte ich bezweifeln.
Die Auspizien für eine wissenschaftlich wertvolle Weltkarte sind nicht günstig,
nachdem England der Hort der Weltkarte geworden ist. Auffällig ist, daß früher
England sich gar nicht dafür interessierte. Erst einige Jahre vor dem Weltkriege
erwachte plötzlich das Interesse und England protegierte auf den letzten internationalen
geographischen Tagungen das Projekt, wohl mit dem leisen Hintergedanken, endlich
einmal einen Plan zu erhalten, nach dem das eigene weit zerstreute Kolonial- und
Interessenspliärengeliiet kartographisch einheitlich in Beziehimg zum Mutterland
dargestellt werden kann. Bis jetzt haben die Engländer noch nicht l)ewiesen, daß
sie großen kartographischen Problemen, die sich insonderheit in der Geländedarstellung
auch aussprechen, gewachsen sind, im Gegenteil, wenn sie auf fremdes Ciebiet geraten
sind, haben sie fast immer versagt (s. S. S»). Bei dem Weltkartenprojekt ist ihnen
allerdings vieles von andern in die Hand gespielt worden, mit dem es sich recht gut
arbeiten läßt, aber zu einer guten Darstellung des Terrains durch die Engländer habe
ich kein Vertrauen; denn nach dem, was sie als Proben der Weltkarle hergestellt haben.'
' Ich verweise bei.spielswciwe aiif das Blatt „Lstambul (Conatantinopli-)'", North K '.Vi, von Her
Geographical Section, General Staff in London bearbeitet. Schon die Schichtlinien, deren scheinlinr
prägnanter Lauf Welerort.s mehr von der Phantasie als den tatsächlich geineosenen Höllen dirigiert
wird, geben genug Beweismaterial, daß die p:ngländer der Aufgabe nicht gewachsen sind. Nic-ht
einmal die Höhenwerte für die Schichtlinien sind eingefügt. Die Sihichtlinien auf dem franrösisehen
Blatt „Paris" sind in Bogen ge7.eichnct. als oh sie dem wallenden Kleidersaum einer .Schlangentiinrerin
abgelauscht seien; und letztere« Blatt ist vom Ser\-iee fWographie de lArra^ in Paris lK>arl>«>ilet.
VhfT weiten- fertig gest<-llte Blätter vgl. HaardI v. Hartenlluirn: Die Internationale Knikarle
in 1:1 Million" in 1'. M. II. litl't. S. llOOff.
112 Die Kaitograi)hic als Wissenscliaft.
rufe ich den Karten verfertigern jener Blätter zu: Hand weg von dem Kartenwerk,
das versteht Ihr nicht zu meistern!
Zu diesem Urteil haben mich durchaus nicht chauvinistische Gründe geführt,
wie manche annehmen könnten, sondern rein objektive Erwägimgen. Traurig ist es,
weim man feststellen muß, daß ein gut Teil der Schuld die Deutschen selbst betrifft,
l)psonders, daß es an der mangelnden Initiative der preußischen Landesaufnahme
gefehlt haben soll; denn bitter klingt es, was A. Penck schreibt: ,,Wer endüch der
Weltkartenkonferenz 1913 beigewohnt hat, wird sich lebhaft daran erinnern, wie fremd
die Aufgaben einer Karte 1:1000000 dem damaligen Chef der preußischen Landes-
aufnahme lagen. Er stand mit seinen Ansichten vielfach ganz allein, während die
übrigen deutschen Vertreter aus zwingenden sachlichen Gründen leider nicht mit ihm
gehen konnten, so daß England und Frankreich die Führung in die Hand bekamen." ^
Dieser schwere Vorwurf Pencks kommt allerdings reichhch post festum (1913! — 1920!).
Warum hat dies Penck nicht vor dem Kriege zum Ausdruck gebracht? Warum hat
er nicht die deutsche Geographen- und Kartographenwelt seiner Zeit mobihsiert?
Das ist doch merkwürdig. Aber da hätten vielleicht Sachverständigere das Wort
ergriffen und das Werk wäre sicherlich für Deutschland — gerettet worden. Das sind
verpaßte Gelegenheiten, die nicht oder kaum wieder gut zu machen sind. Betrachten
uns ja die Engländer bereits von der Mitarbeit an diesem Kartenwerk als aus-
geschlossen. ^ Ihnen konnte es tatsächhch beim Ausbruch des Krieges mehr als will-
kommen sein, daß das Projekt der Weltkarte soweit gefördert worden war — aus
eigner Intuition und eigner kartographischen Befähigung und Kraft hätten sie es
schwerUch gekonnt — , um sich auf Grimdlage der Vorarbeiten dieser Karte bequem
eine Operations- imd Übersichtskarte in 1 : 1000000 für das Kriegsgebiet zusammen-
zustellen.' Neben der internationalen Benutzbarkeit wußten die Engländer gar wohl
dem Werke einen nationalen Anstrich zu geben.* In der Hauptsache mußten deutsche
Kartenwerke herhalten, wie die österreichische Karte 1 : 750000 und die H. Kiepert-
sche Karte von Kleinasien, rmi die englische neue Karte mit Inhalt zu füllen.^ Im
wesentHchen ist sie die geplante internationale Weltkarte, obwohl Oberst C. F. Close,
der Direktor des Ordnance Survey besonders betont, daß das Werk nicht die inter-
nationale Karte sei, sondern nur ein Sprößling vor ihr, sie sei durchaus national,
nicht international. Er ist der Überzeugung, „daß nach dem Kriege alle Kulturländer
sehr gerne bereit sein werden, den großen Plan einer Weltkarte weiter zu fördern."
Auf diese Weiterförderung sind wir in der Tat sehr gespannt.
43. Die Kartographie als Kulturmesser. Das Internationale Kartographische Archiv.
Am Schluß meines Ausblicks auf die Zukunft kartographischer Betätigung angelangt,
möchte ich nochmals hervorheben, daß die Neuschaffung von Kartenwerken und die
Vertiefung des vorhandenen Kartenmaterials und dessen historisch-kritische Er-
' A.Petick: Landesaufnahme und R^ichsveimessunRsamt. Z. d. Ges.f.Krdk. Berlin 1020, S. 17:?.
2 Gfogra;)hioal J. 1920, LV, S. 47.
' M. Eckert: Die Kartographie im Kriege. G. Z. 1920, S. 282.
" Das englische Kriegskartenwerk 1:1000000 stand unter der Leitung von A. R. Hinks,
dem Sekretär der Royal Geographical Society; die Oberaufsicht führte Oberst W. C. Hedley, der
C.lief der geograph. Sektion des Generalstabes. Die Vcrviolfaltig\ing erfolgte teils beim War Offieo
teils beim Ordnance Survey.
•* Hiei-über spricht ausführlicher A. Merz, .imh über Iranziis. Kriegskarten 1:10011000 In
Z. d. Ges. f. Krdkdc. zu Rerliii. 191. 5, S. ir,:, 4()2.
Internationale Aufgaben und Weltkartenprobleme. 1 ] 3
forschung das Zeichen eines geistig regen und w-issenschaftlich hochstehenden Volkes
sind, mithin ein vorzüglicher Kulturmesser der betreffenden Völker (§ 30j. Wenn man
die in Frage kommenden Völker untereinander vergleicht, müssen wir auch die Palme
den Deutschen zuerkennen; selbst in einer so schweren Zeit, wie im vergangenen Welt-
kriege, haben sie verstanden, neben reinen Kriegskarten eine Menge kulturgeographischor
Karten innerhalb des Kriegsgebietes zu schaffen, die natürlich in enger Beziehung zu
Kriegswirtschaft an der Front standen.
Die Aufgaben, die die Kartographie künftig noch zu lösen hat, sind so umfang-
reich, groß und mannigfaltig, daß ich nicht zu viel behauptet habe, als ich eingangs
dieses Abschnittes sagte (S. 91), daß die Kartogi-aphie erst am Anfang ihres Wirkens
steht. Ihr wird die Lösung vieler Aufgaben durch die sich immermehr verfeinernden
Eeproduktionsmethoden erleichtert, freilich in der richtigen Auswahl dieser Methoden
auch erschwert. Bei diesen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt sich vermehrenden Re-
produktionsverfahren läßt sich gleichfalls noch kein Ende absehen. So ist z. B. für
die Kartographie das Problem des Dreifarbendrucks noch nicht gelöst. Zweifellos
wird dies einmal die polychromistischen Karten, zu deren Herstellung jetzt 10 bis
20 Druckplatten, bzw. Steine (Schweizerkarte!) notwendig sind, nicht mehr als drei
oder vier Druckplatten gebrauchen, was einen wesentlichen Preisrückgang, also die
Wohlfeilheit guter Karten zur Folge haben wird. Man wagt die Zukimft der Karto-
graphie nicht auszudenken, wenn sich die Fheger und Photogrammeter der Farben-
photographie bemächtigt haben. Der Kartenherstellung werden Aufgaben von un-
geahnter Größe erwachsen.
Mit der Vermehrung der Kartenarten, kartographischen Darstellungsmethoden
imd kartenkritischen Arbeiten einerseits und der sich kartographisch intensiver
betätigenden Völkern andererseits wird es in Zukunft immer schwieriger, einen
sichern Überblick über die Fortschritte der Kartographie zu gewinnen. Das Bedürfnis
dazu ist immer vorhanden gewesen. Schon seit der Erweckung des Ptolemäus merken
wir das Ringen, sich Rechenschaft über die kartographische Produktion zu geben.
Ortelius war der erste, der systematisch sammelte und ordnete. Hauber .scheiterte
aber schon an dem Versuch, eine kritische Übersicht über das Kartenmaterial des
15. bis 17. Jahrhunderts zu gewinnen.^ Im 18. Jahrhundert vermehi-ten sich die
kritischen Verzeichnisse von Landkarten, von denen das von Adelung aus dem
Jahre 1796 am bekanntesten geworden ist. Es fand seine Fortsetzung in E. G. Wolter-
dorfs Repertorium der Land- und Seekarten, Wien 1813, in C. W. v. Oesfelds
Karten-Freund, Berlin 1841 und 1844, und andern bedeutungslosem Verzeichnissen.
Über all diesen und gegenwärtigen Kartenbibliograpliien scheint ein Verhängnis
zu schweben: Man empfindet, daß sie eine tatsächliche Lücke in der Literatur aus-
füllen tmd doch führten sie immer nur ein kurzes Leben. Obwohl sie eine zeitliche,
fortdauernde Einrichtmig sein sollten, sind sie mehr oder minder an die Person des
betreffenden Referenten gebimden. Man denke nur an die klassischen Aufsätze
Vj. V. Sydows in Potermanns (Geographischen Mitteilungen über den karto-
' Damals zählte man im ganzen liefen 17 000, bia zur .Mitte des 18. Jli. gegen 18000 Karten,
«ovon aber nur etwa 'y,^ Originalkiirten waren. Vgl. dazu auGcr Hauberauili JoL.Christ. Pfennig:
Anleitung zur KenntnilJ der matliematisel'en Krdbeschrcibun,' mit hinliinglirheu Ketra-htungcn.
wcloho die Geschichte imd Güte der kiinstii« ben Sphären, Himniols- u. Knikugeln, w.e auch der
maiiaigfaltigcn Land- und Seekarten zum nützlichsten Gebrauche darstellen. Berlin u. Stettin 1779.
Hcsonders Kap. XVII: Von d(M- Geschichte der bindkarten S I.">1 1S7. 11. Kap. XVIII: Von den
brivuchbarsten LaucUtarten S. 244- -S97.
Eokrrt, KartrnvT^aeuiirbart. 1. ^
114 Die Kartographie als Wissenschaft.
graphischen Standpunkt Europas, die ich hier bereits gewürdigt habe (S. 18). Ein
großes Verdienst war es von H.Wagner, daß er die Spalten des Geographischen
Jahrbuches einer regelmäßigen Berichterstattung über den Fortschritt in der offi-
ziellen wie privaten Kartographie eröffnete ; die Eeferate von M.Heinrich , E.Hammer,
A. llarcuse, H. Haack sind ausgezeichnete kritische Zusammenstellungen und
-fassungen kartographischer und verwandter Erscheinungen. Bedauerlich ist, daß
die kartographischen Monatsberichte von H. Haack, die 1908 in Petermanns
Geographischen Mitteilungen zu erscheinen begannen, wieder zu einem kümmerlichen
Dasein eingeschrumpft sind. Um so erfreuHcher ist es, daß H. Praosent beginnt,
in der Leipziger Deutschen Bücherei wenigstens die deutschen Karten, die jetzt er-
scheinen, vollständig zu sammeln und für eine gewissenhafte Herausgabe der Karten-
titeldrucke zu sorgen.^
Nicht allein in Deutschland hat man die Lücke der fehlenden Kartenindizes
und Kartenkritiken empfunden, sondern auch in andern Staaten; jedoch ist man
daselbst bei der Aufstelkmg von tJbersichtcn lange nicht so kritisch und umfassend
^vie in Deutschland zu Werke gegangen. In den Mitteilungen der Geographischen
Gesellschaft in Wien begegnen wir noch vor 1900 drei Aufsätzen über die amtliche
Kartographie von den europäischen Staaten aus der Feder von K. v. Haradauer.
Wertvoller sind die Aufsätze von V. Haardt v. Hartenthurn über die militärisch
wichtigsten Kartenwerke der europäischen Staaten in den Mitteilungen des k. u. k.
Militärgeographischen Institutes in Wien, dessen umfangreichster 1907 erschien. An-
läßUch der Pariser Weltausstellimg von 1878 schrieb A. Grandidier einen weit be-
achteten Report über die daselbst ausgestellten Karten.^ In Frankreich referieren unter
andorm die Annales de Geographie über neue Kartenwerke. Nach dem III. Inter-
nationalen Geographenkongreß zvi Venedig im Jahre 1881 wurde uns ein ausführlicher
kartogi-aphischer Bericht von G. M. Wheeler beschert.^ Das Geographical Journal in
London ist ein fleißiger Berichterstatter über neu erschienene Karten; selbstver-
ständlich stehen die englischen Neuerscheinungen im Vordergrund.
Überblickt man die vielen Versuche, muß ihr redliches Bestreben anerkannt
werden, soweit wie möglich vorhandene Lücken auszufüllen und zu orientieren. Sieht
man genauer hin, so bleiben sie doch alle nur Stückwerk. Es ist eben unmöglich, die
Materie vollständig zu beherrschen. Ganz ausgeschlossen ist, daß sie ein einzelner
zu bewältigen vermag. Zuletzt ist es auch nicht notwendig, daß heute jede Karte
des In- und Auslandes genannt und gekannt wird. Aber wie alsdann die richtige Aus-
wahl treffen? Ich denke mir, daß hier ein Internationales Kartographisches
Archiv Ablülfe schaffen kann, ein Organ, das nicht bloß über den jeweiHgen Stand
der kartographischen Kenntnis der betreffenden Teile der Erde unterrichtet, sondern
auch neben der Kritik wichtiger Karten und den Leitlinien und Arbeitsmethoden
neuer Kartenwerke vor allem Proben neuer, die kartographischen Probleme fördern-
den Karten, sowohl der öffentlichen wie der privaten Kartographie, bringt.
* H. Praesent: Kartentiteldrucke und Kartenbibliographien. Börsenbl. f. d. Deutschen
Buchhandel. 1920, S. 1089—1093. — Die Aufgaben der Kai-tensammlung der Deutschen Bücherei.
Beiträge zur deutschen Kartographie. Leipzig 1921, S. 7 — 12.
* A. Grandidier: Exposition universelle internationale de 1878 ä Paris. Kapport sur les
cartes Paris 1882.
* G. M. Wheeler: Report upon the tlürd International Geograpliical f'ongres and E.xhibition
at Venice, Itali, 1881. Washington 1885.
Teil II.
Das Kartennetz.
A. Zur Kritik der Kartenprojektion chorograpliischer Karten.
I. Zur Geschichte der Kritik der Kartenprojektion.'
44. Die Projektionstheorie im allgemelueii Umriß. Die geogiaphische Karte
ist die auf die Ebene gezeichnete Projektion eines größern oder lileinern Teils
der Erdoberfläche.^ In ähnlicher Weise wurde die Karte schon von den ersten
Projektionstheoretikern definiert (s. S. 48, 50, 54), womit in kurzen Worten der
Hauptzug des Wesens einer Karte zum Ausdruck gebracht wh-d. Heute ist die
Kermtnis der Projektionslehre ein vornehmer Bestandteil des Bildungsschatzes des
wissenschaftUch arbeitenden Geographen. Damit soll nicht gesagt werden, daß diese
Kenntnis der absolute Gradmesser füi- den Wert des Körmens eines Geographen
sei. Wer wollte leugnen, daß Friedrich Batzel einer imserer besten Geographen
war und doch lag ihm die Projektionslehre vollständig fern. Selbst mit Ferdinand
V. Richthofen war es in dieser Richtung kaum besser bestellt. Auch unter den
gegenwärtigen wissenschafthchen Geographen dürfte sich noch dieser und jener finden,
der überhaupt für mathematische Dinge wenig übrig hat; ihm deshalb einen Vorwurf
zu machen, dürfte nicht augebracht sein. Ist es auch auffällig, daß kartographische
' Die kritische Betrachtung über die Kartenprojektion ist in ihren zwei ersten Haupt-
abschnitten großenteils bereits 1910 in Hettners Geographischer &itsohri£t erschienen. Ich hatte
sie Hermann Wagner zu seinem 70. Ooburtstago gewidmet. Allgemein ist sie beachtet mid das
Einveretändnis mit ihr zum Ausdruck gebracht woixlen. Kritisch ins Kinzolne war nur H. Wagner
eingetreten. In einem langen Briefe hat er seine Einwände dargelegt, was mich luu so mehr orfreut
hat, da ich ihn als den kartenkritisch begabtesten Geographen schätze, dessen Urteil im In- wie
Auslande etwas zu bedeuten hat. Ich danke ihm auch an dieser Stelle für die Miiüe und Arbeit, deren
er sich im Interesse der Verbesserung meiner Abhandlung unterzogen hat. — Dank schulde ich auch
Ernst Debcs, der sich in einem langem Schreiben an mich vom 15. Nov. 1910 mit meiner .\bhand-
lung tiber die Projektionen betaßtc. — Zum weitern Studium sei ganz besonders auf die au!<gozeichnoton
Berichte über die Fortschritt« der Projektionslohre im Oeograpliischen Jahrbuch, hcraui<gogel)cn
von H. Wagner, hingewiesen, die seit 1894 von E. Hammer geschrieben wortlen sind (G. J. XVII,
1894; -KIX, 18i)(),/97; XX, 1897/98; XXIV, 1901/02) und seit 190t von H. Haack (0. J. XXVI,
1903/04; X.XIX, 190<i/07; XXX, 1910). Vor allem berücksichtigen diese Berichte auch viele außer-
deutsche Veröffentlichungen, deren eingehende Würdigmig mich hier viel zu weit geführt hätte,
sie gehört auch mehr in ein Handbuch der Kartograpliio oder der Kartenprojektioncii.
^ Anders oder weiter wird man die Kart« definieren, wenn man deren Inhalt noch dem
logischen Charakter des Inhalt« untersucht. Vgl. A. Hettiu-r: Die EiBtMwhnffen \md Methoden
der knrtopraplii seilen DarHtplliuig, O. /. 1910, S. 15.
116 I>ns KiU-tonnetz.
Probleme heute im Universitätsimterricht möglichst gemieden wnclen. um das
Kapitel der Projektionslehre kommt man nicht ganz herum, schon zur Vermeidung
des Anscheins der Eückständigkeit. Man überweist es meist Jüngern Kräften oder
den Seminarübungen der Institute und hofft so, sein Möglichstes getan zu haben.
Im allgemeinen ist es ja besser geworden, al)er immer noch l)leibt das Wort von
Zöppritz zu rechte bestehen, das er 1883 seinem Leitfaden der Kartenentwurfs-
lehre mit auf den Weg gab: „Die Kenntnis der geometrischen Methoden, auf denen
der Kartenentwurf beruht, und ein gewisser Grad von Übung in der Handhabung
desselben ist unerläßlich für jeden, der Karten mit Nutzen geljrauelien, Geographie
nicht bloß dilettantisch betreiben will."
Zöppritz zählt imter die ersten, die die neue, gegenwärtige lleformation der
geographischen Kartenentwürfe einleiteten. Die erste Keformation ist unvergänglich
mit dem Namen Mercator verknüpft. Die Eeformation der Kartographie um 1700,
mit der ims Chr. Sandler ausführlicher bekannt gemacht hat, und die sich haupt-
sächlich an das Wirken von Delisle knüpft, hat es weniger auf das Kartennetz als
vielmehr den Karteninhalt abgesehen, insbesondere auf die richtige Lage und Ver-
besserung der Konturen der Festländer, auf die Position der Orte usw. Gewiß war
Mercator auch in dieser Beziehung reformatorisch vorgegangen, man denke nur
an die kritische Sichtung des Inhalts zu seiner Europakarte 1554, aber seine Be-
deutung lag doch mehr auf der Verbesserung und Anwendung von Kartennetzen,
die er teils wieder erfunden oder denen er ein weites, großes Anwendungsbereich
gegeben hatte. Gegen 1800 hat sich die zweite große Eeformation der Netzentwürfe
abgespielt. Kein germgerer als der deutsche Mathematiker .1. H. Laml)ert war
der Träger dieser Epoche. Von Lamberts Projektionen imd Theorien zeiiren wir
heute noch, weit mehr als von dem, was uns Mercator überhefert hat.
Auffällig ist im höchsten Grade die Erscheinung, daß die Kartenprojektionen
fast ausschließlich von Deutschen und Franzosen, und erst in weiterm Abstände
von Italienern und Engländern gefördert worden sind. Merkwürdigerweise haben
die Engländer auf diesem Gebiete wenig Erfolge zu verzeichnen.^ Soweit mir die eng-
lische Kartenliteratur bekannt ist, habe ich bloß schwache Ansätze zum Betreten
selbständiger Wege in der Projektionslehre gesehen, und zwar da, wo es sich um
ältere Zylinderprojektionen oder um Modifikationen der Mercatorprojektion (Gall)
handelte. Selbst für topographische Karten müssen l)ei ihnen die einfachsten Zylinder-
projektionen herhalten.^ Wie wenig sie kartographisch kritisch begabt sind, beweist
als älteres Beispiel, daß sie eine ältere Projektion, von Mercator und Sanson bereits
angewandt, nach Flamsteed benennen, als jüngstes Beispiel, daß sie eine topo-
graphische Karte in Bonnescher Projektion mit einem rechtwinkligen Koordinaten-
netz überdecken.^ Man ist leicht versucht, wie ich es auch getan habe*, diese Versehen
mit dem konservativen Charakter des Engländers zu entschuldigen; oder sollten sie
nicht in einer tatsächlichen Unkenntnis der Materie begründet sein?
Wichtig ist vor allem der Unterricht in der Projektionslehrc auf höhern Lehr-
anstalten, insbesondere auf Universitäten und technischen Hochschulen. Über-
' So z. B. die drei verschiedenen Modifikationen der Kegel projektion von J'. Muidai
die Mitte des 18. Jahrh.
- M. Eckert: Die Kartographie im Kriege. G. Z. 1020. S. 2KI, 2K:!.
•' M. Eckert, a. a. O., S. 317, .321-323.
' M. Erkeit: Die Kartenprojektion. G. Z. 1910, 8. 2i)K.
Znr Gf'Bühirlitu ilcr Kritik rl.r Kiirtriiprojektii.ii. 117
blicken wir die Studicngäiige uiul wissenschaftlichen Ausbildungsiaoglichkeiten in
den einzelnen Ländern, müssen wir zu luisrer grüßten \'erw\mderung feststellen, daß
die Projektionstheorie in den Lehrplänen des Aaslandes viel schwächer vertreten ist
als auf deutschen Hochschulen, daß sie da kaum als Unterrichtsfach existiert,
geschweige die andern Zweige der Kartographie.
45. Die Projektionen für den Ueographeu nicht Zweck, suiuleni Mittel zum Zweck.
Insonderheit zwingen die neuern Kartenentwurfsbestrebungen den Geographen, sich
mit der Projektionstheorie zu befassen. Dabei ist aber wohl zu Ijedenken, daß
die Projektionen fiü- den Geographen nicht Zweck, sondern nur Jlittel zum Zweck
sind. Diesen Gesichtspunkt übersehen bisweilen diejenigen Gelehrten, die sich
lediglich von der Basis der Mathematik der geographischen Wissenschaft genähert
liaben. Der Geograph hat sich mit der mathematisch kritischen Aual)'se der
Projektionen und der darauf begründeten Güte der Kartennetze vertraut zu machen,
er wird sich von ihr leiten, aber nicht beherrschen lassen: denn auch geographisch
kritische Momente sind bei der Wahl und Zeichnung der Projektionen zu berück-
sichtigen, die man indes bei dem derzeitigen Vorherrschen der rein mathematischen
zu übersehen schemt, wie später noch eingehender ausgeführt werden soll.
Neben den rein kritischen Bedenken hat der Geograph noch ein bedeutendes
iiistorisches Interesse an der Projektionsichre, da aus ihrer Entwicklung klärende
Lichtblicke auf die Fortschritt'^ geographischer Erkenntnisse fallen.
Das Erdkarteimetz an sich ist m-alt und geht nahezu auf die ersten Landkarten-
versuche zurück. Die Geschichte des Erdkartennetzes dagegen ist jung; M. d'Avozac
gab 1863 in seinem Coup d'ceil historique sur la projection des cartes de geographie
einen geistreichen, heute aber schon teilweise veralteten Abriß der Geschichte der
Projektion, in dessen Eandbemerkungen zugleich ein reicher Quellenschatz nieder-
gelegt ist. Unter den neuen Historikern der Projektionstheorio verdient M. Fiorini
einen ehrenden Platz. H. Wagner hat in seinem bekamiten Lehrbuch der Geographie
die Entwicklung der Projektionen wesenthch unter historischer Lupe ge.sehen. Auch
W. Wolkenhauer läßt in seinem Leitfaden zur Geschichte der Kartogra])hie die
Gradnetze nicht luiberücksichtigt.i Einzehie Projektionen und Projektionsgruppen
haben spezielle monogra))histische Behandlmig erfahren. Immerhin fehlt alier eine
abgerundete und allseitig vertiefte (ieschichte der Pr(>j(>kti()nen. Die Hauiitpunkle
dieser Geschichte seien im folgenden kritisch gewürdigt.
40. Erstes Auflouchteii der Projeklioueu. .\us dem Kreuz zweier Gradhnien, der
Nordsüd- und der Ostwestlinie, der l'lankarte (Plattkarte) hat sich das Gradnetz ent-
wickelt. Das Orientierungskreuz findet seinen ersten geschichtlichen Beleg bei Di-
käarch von Messina (850 — -200). Das erste Gradnetz, dessen Beschreibung wir dem
ersten Buche, Kap. 20, der Geographie des Ptolemäus entnehmen, ist die oblonge
oder rechteckige Plattkarte des Mnrinus (um 100 n. Chr.). nicht des Anaximanders.
wie Germain'', (iretschel^ und Wenz* meinen. Die Große des Hreitenimrftllels
' Gut übersiehlüoh ist \V. \V..lk<iiliiui. rs ..Zt-Itluliu ICntwicklimg iiiul KigciwlmfU-ii .I.t
Kartt-nprojcktionen" in der Kartopi. Z. VI. 1917, .S. 185-187.
- A. Oei inain: Traiti- dos projentions dt« cartos göographiquos. Paris 1860. S. 20J.
' H. Oirtsrhol: rx-Iiihmli (Ici K.irfonpi-oj.-kf ion. W.-inmr 1873. S. i:n.
' »i. Wonz: M\a.H zur LniulkaitciiiMit\v\iilslcliiv, MUmhon 18öf>, S. 2,
118 Das Kartennet/..
imd Meridians von Ehodus war für die Karte des Marinus bestimmend gewesen.*
Sie war keine quadratische Plattkarte, als welche sie Zöppritz-Bludau^ mid
E. Hammer' ansprechen.
Die erste Anleitung zum Entwerfen für Karten gab Ptolemäus (87—150).*
Sie ist niedergelegt im ersten Buche seiner Geographie, Kapitel 21— 24. Die von
Ptolemäus entwickelten Projektionen sind Kegelprojektionen mit der Konvergenz
der Meridiane nach den Polen zu. Die eine ptolemäische Projektion weist die
Meridiane als gerade, die andere als gebogene Linien auf. Die Parallelen sind Bogen
von Kreisen um ein imd dasselbe Zentrum, das senkrecht über dem Nordpol {xarö
XQv ßÖQfiov iioloi) zu denken ist, d. h. in der verlängerten Erdachse. Von ihm aus
werden bei der einen Projektion die geraden Meridianlinien gezogen. Von dem rein
Technischen in der Konstruktion der gekrümmten Meridiane der andern Projektion
erzählt uns Ptolemäus nichts und den Mutmaßungen ist hier ein weites Feld gegeben.^
Geographen und Mathematiker haben sich von jeher gern mit den ptolemäischen
Darlegungen befaßt. In neuerer Zeit hat Theodor Schöne sie ausführlich und
kritisch behandelt. Der ptolemäische Atlas selbst ist erst um 500 n. Chr. von Agatho-
dämon gezeichnet worden. Auf alle Fälle aber ist Ptolemäus der erste wissen-
schaftliche Kartograph gewesen. „Pour Ptolemee la geographie c'est l'art de
dresser des cartes generales de la terre."^
47. Hindämmern und Lichtsfrahlen iui mittelalterlichen Karlenweseu. Die
herrhchen Anfänge der Projektionslehre des Altertums verkümmerten in der Zeit-
periode, die wir als Mittelalter zu bezeichnen pflegen. Ist man allgemeinhin ge-
wöhnt, den Zeitraimi vom 6. Jahrhundert bis Anfang des 15. Jahrhimderts als
eine Zeit des Stillstandes der geistigen Entwicklung oder gar als einen Eückfall der
Wissenschaft in ihr Kindesalter zu bezeichnen', war sie in der Entwicklung der
menschhchen Kultur nicht überflüssig, sie hatte einen weit ausgedehnten, fast durch-
gängig sterilen Völkerboden umgearbeitet und neue Werte geschaffen, die erst nach
längerer Zeit des Werdens und allmähhchen Heranreifens den Einschlag der ptole-
mäischen, wie überhaupt der hellenistischen Wissenschaft aufzunehmen, zu ver-
stehen imd weiterzubilden vermochte. Das Mittelalter war keine Zeit des vöUigen
Vergessens antiker Anschauungen. Selbst in die sog. Eadkarten, die zunächst vier-
eckige, sodann rimde und ovale Gestalt hatten, spinnen sich aus dem Altertum
geistige Fäden, weim auch recht dümie, hinein.^ Schon die Ebstorfer Weltkarte
dürfte das zur Genüge beweisen.
1 Vgl. H. Wagner: Lehrbuch der Geographie. 9. Aufl. Hannover und Leipzig 1912, S. 213.
— A. Breusing: Das Verebnen der Kugeloberfläche. Leipzig 1892, S. TjO. — M. Fiorini: Le pro-
jezioni delle carte geografiche. Bologna 1881, S. 338 ff.
" Zöppritz-Bludau: Leitfaden der Kartejientwurislehre, 2. Aufl. I. Leipzig 1899, S. 133,
ä E. Hammer: Über die geograpliisch Mächtigsten Projektionen. Stuttgart 1889, S. 20.
* H. Berger: Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen. Leipzig 1903, S. 640.
^ Th. Schöne: Die Gradnetze des Ptolemäus i. erst. Buche seiner Geographie. Über-
setzung der Kapitel 21 bis 24 nebst Amnerk. u. Fign. Wiss. Beil. z. Jahresb. des Kgl. Gymnas. zu
Chemnitz. Chemnitz 1909.
' J. A. Letronne: Examen critique des prol6gomenes de la geographie de Ptol^m^e, Parisl830.
' Vgl. O. Peschel: Geschichte der Erdkunde. 2. Aufl. von S. Rüge, München 1877, S. 101.
- V. Hantzsch in G. Z. 1897, S. 618.
' Vgl. Nordenskiölds Monumentalwcrke zur Geschichte der Kartograpliie: Facsimile-
Zur Geschieht.- ihr Kritik der Kiirtcnprojekti.
Die mittelalterlichen Kudkurten, zu denen auch die des Fra Mauro und
des G. Leardo gehören, sind eine primitive Projektion des seinerzeit bekannten und
geahnten Weltbildes. Sie beruhten auf der alten Vorstellung von der .Scheibengestalt
der Erde. Auch die rümisclu-n Itinerarkarteu waren nicht ohne Einfluß. Die Meinung
Wiesers, daß das gesamte ]\Iittelalter eine Projektion im eigentlich geometrischen
Sinne nicht kannte^ hatte ich früher auch zu der meinigen gemacht. ^ Indessen
kann sie nur sehr bedingt aufrecht erhalten werden, insofern wir gegen den Ausgang
des Mittelalters auf Karten stoßen, die in das Plattkartennetz hineinkonstruiert
sind, z. B. Geographia di Francesco Berlinghieri (Firenze ca. 1478). ^ Die Platt-
karte tritt uns selbst auf arabischen Karten entgegen. Vascoda Gama sah in Melinde
eine arabische Karte des Indischen Ozeans, der als Seekarte nicht die damals üb-
lichen Windstriche zugnmde gelegt waren, sondern, ganz nach dem Vorbild von
Marinus, ein sich rechtwinklig schneidendes Netz von Meridianen und Parallelen,
die kleine Quadrate umschlossen, wie J. de Barros berichtet.
Daß das Mittelalter nicht bar jeglicher linearen Konstruktionsmittel beim
Kartenaufbau war, beweist eine Gruppe von Karten, die man zuerst ,, Kompaßkarten"'',
dami „Portulani"^, imd zuletzt „Portulankarten"* genannt hat. Auf sie komme
ich bei der Seekarte noch ausführhcher zu sprechen, wo ich sie als „orthodromischc
Windstrahlenkarte" bezeichnet habe. Um die Aufhellung dieses Kartenproblems
haben sich A. Breusing^ und H. Wagner* großes Verdienst erworben. Zur Ent-
stehung der orthodromischen Windstrahlenkarte sei kurz gesagt, daß das einfache
Koordinatenkreuz der Karte im Siime der Strahlen der Windrose (strahlig) erweitert
wurde. Kreisförmig um das mittlere Wmdstrahlenbüschel -wurden noch acht bis
sechszehn solcher Büschel gezeichnet. Die Entfernungen der einzelnen Küsten-
punkte \vurden auf den Strahlen mit Hilfe des beigegebenen Meilenmaßstabes
konstruiert, bzw. abgelesen.
48. Die erste Sturm- und Uraug:period(' der ueueu Kurto^raphir und doreii l'ro-
jektiüuserzeugnisse. Die ungeheure Erweiterung des geographischen Gesichtskreises
an der Wende vom 15. zum 16. Jalirhiuidert, der Aufschwimg der exakten Wissen-
schaften und die damit verbundene Wiedererweckung des Ptolcmäus mußten von
größtem Einfluß auf die Kartographie werden. Das erste Viertel des IC). Jahr-
hunderts ist die erste Stunn- und Drangperiode der neuen Kartograi>hie." Der tief-
greifende Einfluß des Ptolemäus auf die Kartographie äußert sich in der Haupt-
Atlas, Stockholm 1889; Penplus, Stoikliolm 1897. — Ferner K. Millers Sammelwerk: Miipiwi.-
mundi oder die ältesten Weltkarten. Stuttgart 1893—98.
' F. R. V. Wieser: A. E. v. Xordenskiölds Facsimile-Atias V. M. 1890, S. J7I.
- JL Eckert: Die Karteuprojektion, a. a. O., S. 300.
^ Xordenskiöld: Facsimile Atlas., a. a. O., T. XXVIII.
* O. Peschel: QoscLichto der Erdk. 2. Aufl. von S. Rupe. Mün.lun 1S77. S. 208.
^ So z. B. von F. R. v. Wieser, a. a. O.. S. 271.
' Von V. Wieser vorgoachlaRen in P. ^L 1899, S. 1899, Anm.; naelidem aber schon «>hn .lalire
früher Nordcuskiöld im Facs.A., S. 4fi, von „Portolanos" oder „PortA)lan-ehart«" ge.sehrieb«'n hatte.
' A. Breuaiug: Zur Geschichte der Kartographie. La toleta de Mart«loio u. d. lo.\odr\imi»clien
Karten. Kettlers Z. f. wiss. Geogr. II. Uhr 1881, S. 187. 188.
" H.Wagner: Das Elatsel der KomiMißkarten im Licht»> der Gcaamtcntw-icklung der Soc-
karten. Verh. des XI. Doutach. G<?ograplientagc» zu Bremen 1895. Berlin 1896, S. 68.
• Aug. Wnlkenhauer: Beitrüge zur Geschichte der Kartographie u. Nautik de« ir). bis«
17. Jahrb. Mitt. d. C^>ogr. Ges. MUnelien, M. I. 2. Heft, 19CW.
120 I^"^ Kiirtenuetz.
Sache theoretisch-formal, iiisofeni den alteu Ptolemäuskarten \vi(> eleu erst niiu uiit-
worfenen Karten eine Projektion zugrunde gelegt wurde.
Die zweite Ptolemäusprojektion, deren Meridiane gekrümmt mid zweifel-
los als Kreisbogen aufzufassen sind, gab zunächst den Anstoß zur Weiterentwicklung
der Projektion. Das Ptolemäische Kartenbild wurde über die Halbkugel hinaus
erweitert und führte zu den herzförmigen Projektionen. Vorderhand waren sie nur
lierzähnlich, pseudocordiform oder cordoid^, wie die Karte (Venedig 1611) von
B. Sylvanus^, die Weltkarten (Wien 1520) von Peter Apian^ zeigen.* Hierher
gehört auch die schwach herzförmige Karte von Vavassore.^ Dagegen haben die
drei Projektionen des Joh. Stab, durch Joh. Werner bekannt geworden, als eigent-
lich herzfönnige oder cordiforme zu gelten.* Die Tabula orbis cogniti universahor
(Ingolstadt 1530) des Peter Apian ist die erste Karte, die in der sogenaimten
zweiten Stab-Wernerschen Projektion entworfen ist.') Breusing^ PescheP,
Steinhäuser^", H. Wagner^^ u.a. haben diese Projektion mit Eecht als die erste
fläehentreue bezeichnet. Sie ist zudem ein Zeugnis dafür, daß die damaligen Er-
rungenschaften der mathematischen Projektiouslehre in die praktische Kartographie
eindrangen.
Die hauptsächlichste Verbreitung der Stab-\\erner>-chen cordifoimen Pro-
jektionen geschah durch die Weltkarten 1531^^ 1586, 1566" des Orontius Finaeus,
des bedeutendsten französischen Geographen des 16. Jahrhunderts, besonders durch
dessen Nova et integra universahs orbis descriptio, die 1566 in ItaUen zum zweiten
Male aufgelegt wurde. Die vmnatürliche Lage des Pols wurde bereits von den Zeit-
genossen getadelt, immerhin errang die uns heute sehr unvollkommen erscheinende
Methode vielen Beifall, wie sie denn auch von Vadian, Mercator, bemerkenswert
ist dessen doppelherzförmige Karte v. J. 1588", und andern adoptiert wurde. Die
Anwendung durch Mercator hat sicherlich noch mehr dazu beigetragen, die Stab-
1 H. Wagner: Die dritte Weltkarte Peter Apians v. J. 1590 u. die Pseudo-Apianische
Weltkarte von 1551. Nachr. v. d. K. Gies. d. Wiss. u. d. Georg-August-Universität zu Göttingen.
1892, S. 553.
2 A. E. Nordenskiöld: Facs.-A., T. XXXIIl.
3 A. E. Kordenskiöld: Facs.-A., T. XXXVIII.
•' Desgleichen die Karten von Joh. Honterus: Rudimenta cosmographica, 1546 (Facs.-A.,
T. XLIV); und von Hieronymo Girava: Dos libros de cosniograpliia, 1556 (Facs.-A., T. XLV).
' Die Karte fand ich in der Nat.-Bi. zu Paris unter Nr. 1044. Mappemonde du XVIe sieclc
par Vavassore.
' Wenn die Entfernung zwischen Äquator imd Pol = s ist, und die Länge von 90° auf dem
Äquator = l ist, dann ist l bei der I. Stabprojektion = 7i/2 s, bei der II. = s und bei der III. = 7iß s.
' Dm einzige bis jetzt bekannte Exemplar befindet sich im Britischen Museum. — Vgl. auch
Xordenskiölds Periplus, Taf. XXXXIV; des weitem über Peter Apian: H. Wagner (s. Anm. 2).
— W. Wolkenhauer: Peter Apian, ein Erinnerimgsblatt zu seinem 400 jährigen Geburtstage
(Rundschau f. Oeogr. u. Stat. 1895, S. 518-522). — Harrise: The discoveiy of North America,
Paris 1892; dazu noch die eiaschlägigon Werke von Nordenskiöld und Gallois.
' A. Breusing: Gerh. Kremer, gen. Mercator. Duisburg 1869, S. 45, 46.
9 O. Peschel, a. a. O., S. 410, 411.
'" A. Steinhauser: Stabius redivivus. Kettl. Z. f. wiss. Geogr. V. Wien 1884, S. 289.
" H.Wagner: Lehrbuch, a. a. O., S. 200.
12 Nordenskiöld: Facs.-A., S. 88ff. T. XLI. - M. d'Avezac: Coup d'oeil historique aur
la protection des cartes de gfeographie. Bull, de la Soc. de g^ogr., Paris 186.3, V. S. 50.
"Nordenskiöld: Facs.-A., S. 89.
" Nordenskiöld: Facs.-A., T. XLIll.
Zur ßesohirlitr d.r Kritik <I.m Kürt.iiprojrUtioii. 121
WiTiiersclif Projektion zu verbreiten als die Karten des J^'inaeus. Die italienisdiei]
Naclil)ildungen von Lafreri und Salamanca sind weiter nichts als gewöhnliche
Plagiate.' An das Ajnanische Vorbild klingt auch die große Weltkarte in Herzfonu
des Kaspar Yopellius an; sie erfreute sich großer allgemeiner Behebtheit.^ Eine
merkwairdige türkische Karte, von einem gewissen Hadschi Achmed aus Tunis, hatte
das Vorbild, wie Fiorini nachgewiesen hat, in den Karten des Finaeus. A. Stein-
hauser, Gretschel, Wenz, Breusiug, H.Wagner u. a. haben in neuerer Zeit
die herzförmigen Kartennetze wieder in Erinnerung gebracht.
Die ovale Weltkarte des Peter Apian, die ,,Apianische Projektion",
findet sich in Apiaus Liber cosmographicus. Diese Projektion mutet uns heute,
da wir neue Projektionen in mehr oder weniger eUiptischer Form mit immer größerer
Häufigkeit gebrauchen, gar nicht mehr so unmodern an -sne noch vor einem ilenschen-
alter. Im IG. Jaiirhxmdert fand die elhptische Projektion viele Verehrer, so bei
Bordone, Vadian, Münster, Cabot, Gastaldi. Sie verschwindet darauf, um
nochmals eine kurze Auferstehung durch Lot t er (1783) zu feiern.' Meine Projektionen
haben lieminiszeuzen an sie wach gerufen ."•
In dem i. J. 1524 zum ersten Male erschienenen Cosmographicus über von
Peter Apian, dessen verbesserte Auflage durch Gemma Phrj-sius (Frisius) vom
Jahre 1539 mir aus der Universitätsbibhothek Bonn vorlag, ist die sogenannte
Apianische Projektion viermal vertreten, für die Darstellung des Schemas der
Parallelen, der Ivlimate, der Längen und Breiten auf Fo. VIU, IX, IX (Rückseite)
imd X, Von letztern beiden ist die der Längenkreise (IX, Rückseite) am wichtigsten.
Ehie PoUinie ist auf Apians Skizzen nicht zu bemerken. Die in ihrer Haupterstreckimg
als Kreisbögen gezeichneten Meridiane verflachen sich allmählich nach dem Polpunkt
zu, wo sie zusammenlaufen. V,'eim sie nach den Polpimkteu in eine gerade Linie über-
zugehen scheinen, ist das nur ein Konstruktionsfehler. Apian hält kein richtiges
Verhältnis zwischen Mittelmeridian und Äquator ein, das unter den vier Projektions-
bildeni zwischen 5,5 cm (Mittelmeridian) zu 7,7 cm (Äquator) luid 8,9 zu 10,5 cm
schwankt.^» Es spricht sich darin keine bewußte Festsetzung aus, wohl aber auf der
Weltkarte von Bordone vom Jahre 1528, wo der Mittelmeridian, 18,6 cm, genau die
Hälfte des Äquators, 37,2 cm, beträgt.* Deshalb will A. E. v. Nordenskiöld die
Projektion nicht nach Apian, sondern Bordone genamit wissen, indem er hervorhelit,
daß Apian die Projektion weder beschrieben noch zu ihrer Konstruktion Veranlassung
gegeben habe.' Das erstere stimmt, das andere muß ich bezAveifeln. Ich nehme an,
daß Nordenskiöld die Apianischen Skizzen nicht gesehen hat. Zweifellos hat das
Werk Apians. das seinerzeit die größte Verbreitung und Beachtung fand, zur Pro-
' M. Fiorini: Lc projczioni torfifoniü neUa cartografia. Ktill. Soc. Oimijji. Ital. IS89, II.
S. 554-579.
* Auf der Stliwcizorkarte dos Ägydius Tschudi litiüt es: ..die liorrlich Ufel der gaiuwii
weit Vopely".
' Vgl. M. Fiorini: Sopra tel siXK-iali projczioni meridiane c i Mapinnioiidi o^•ali dol .i.>tH>lo
XVI., Roma, 1895. - (i. Wenz: Atlas zur Landkartcnentwiirfslelire. München 1885, Nr. 15.
' H.Wagner: Lehrbuch a. a. O.. .S. 221.
^ .\uf den Karten von C'oppo, (Jrynaüus. Uosell... (iastaldi ii. ii. enl.-.prochen » Hrtsitc«
K'rade 10 Längengraden; Cabots Krdknite zeigt das VerhälUiis von ;i : 4. Vgl. M. Fiorini: Sopm
tri- speciali projczioni moridianc etc. Alem. soc. gcogr. Ital. V. 189.'). S. 105
" Nordenskiöld: Fnes ..\., T. XXXIX.
' Nordenskiöld: Facs.-.V., S. 90.
122 ''■''^ Kartoniietz.
jektion Bordones angeregt. I)ie äußere l'orm und das allgemeine Koustruktions-
priuzip kommt in den Apianschen Skizzen zum Ausdruck; Bordone hat dem
Apianschen Entwurf lediglich den mathematischen Gehalt gegeben, was natürlich
projektionstechnisch \on größter Wichtigkeit war. Immerhin glauben wir es recht-
fertigen zu können, weim wir Wert darauf legen, weiter von ,,Apianischer Projektion"
zu sprechen. Das ähnliche Verfahren wie bei Apian und Bordone nehmen wir bei
spätem Karten wahr, wie bei Sim. Grynaeus 1532^, bei Joach. Vadianus 1534^
auf Weltkarten in Ptolomäusausgaben.^ Es schien mehr Geschmackssache zu sein,
die Meridiane in die Pollinie in einem Winkel aufstoßend oder allmählich in die
Pollinie übergehend, nach den Polpunkten zu sich verflüchtigend, zu zeichnen, d. h.
zu interpoUeren ; und wurde von 80" (Bordone) oder auch 70" (Grynaeus) an die
Bogenform geändert. Beide Verfahren werden gut verdeutlicht durch die Welt-
karten der Ptolemäusausgabe, Venedig 1548'*, und im Theatrum orbis terrarum von
Abr. Ortelius, Antwerpen 1570.'' Eine eigenartige Variante der Apianischen
Karte fand ich auf einer Manuskriptkarte in Paris.* Die auf den Mittelmeridian im
N- und S-Pol zusammenstoßenden kreisförmigen Meridiane hatten die gleiche Größe
wie die das Weltbild begrenzenden Meridiane. Infolgedessen erreichen die zwischen
den beiden innem Ganzmeridianen mit gleichem Eadius gezogenen Meridiane nicht
mehr die Pole imd geben dem imiern Kartenbild ein schalenartiges Aussehen.
Hatten die herzförmigen Projektionen den Projektionspol im Nordpol der Erde,
zeigten die elUptischen Erdkarten zum ersten Male den Äquator für Weltkarten
als orientierende Hauptlinie', und sie wurden zur ersten äquatorständigen oder
A (]uatorialproj ektion .
Juan Vespucci, der Neffe Amerigos, hatte auf seiner Weltkarte (1524)
einen speichentreuen polständigen Entwurf gewählt.^ Mercator gebrauchte die
gleiche Projektion auf seiner berühmten Weltkarte ad usum navigantium zur Dar-
stellmig der Polargegenden bis 70" Breite imd dann später im Atlas bis 60" Breite.
Und erst 1581 benutzte Postel dieselbe polständige Projektion auf der in Paris er-
schienenen Karte: Polo aptata nova charta universi.
So bescherte mis das 16. Jahrhimdert polständige und äquatorständige,
speichentreue imd flächentreue Projektionen (Stab-Werner 1514, Mercator
1554). Aber auch die rein perspektivischen Projektionen, deren Prinzipien
nach dem glaubwürdigen Zeugnis des Bischofs Synesius schon auf Hipparch (180
bis 125) zurückgehen", werden in diesem Zeitraum ausgebildet. Vor allem war es die
sogenaimte stereographische, die winkeltreue Projektion, die als polständige Pro-
' Xordenskiöld: Facs.-A., T. XLII.
- Nordenskiöld: Facs.-A., S. 105.
' Xordenskiöld: Facs.-A., T. XLIV. Ptolomäus-Aasg. Basel 1540.
* Xordenskiöld: Facs.-A., T. XLV.
» Xordenskiöld: Facs.-A., T. XLVJ. - Ein eigentümliche» Größenverhältnis von Mittel-
lueridian zu Äquator herrscht auf der Weltkarte von Georgio Calapoda 1552 (Xordenskiöld: Peri-
plus T. XXVI), worauf der Meridian 18, der Äquator 251/2 «n lang ist, also ein Verhältnis anstatt
von I : 2 ein solches von 2 : 3 besteht.
« In der NationalbibUothek zu Paris Xr. 927. Atlas ilalia, miheu du XVI" siecie. Ms.
' H.Wagner: Lehrbuch a. a. O., S. 184.
« Xordenskiöld: Periplu«, S. 1.53 u. T. XLVTT.
'•' Vgl. V. Zachs Moii. Corresp. Xlf. 1805, ,S. 22. Hier auch noch ältere Lit. augegeben.
Zur Geschichtr der Kritik der KMrteiiproifktion. 1'23
jektion 1507 von dem Lothringer Kanonikus Walter Lud», von Iteisch 1512-, von
P. Apian 1524^, als äquatorständige für die Ost- und Westerdhalbe von Gemma
Frisius 1540* und als zwischenständige, auf den Horizont von Nürnberg bezogen,
von Job. Stab, bzw. J.Werner 1514^ entworfen wurde, allerdings hegt hier Nürn-
berg nicht im Zentrum der Karte. Der 10. Grad südlicher Breite ist Grenzkreis der
Karte. In dem Werke Libellus de quatuor terrarum orbis in piano figurationibus
ab eodem Joanne Yernero novissime compertis et enarratis, Nurenbergae 1514.
vnrd also von Werner selbst die zwischenständige stereographische Projektion mit
folgenden Worten empfohlen: ,,Talis profecto terrarum orbis figuratio, plurimum
honestatis atque ingens omamentum viro adiiciet philosopho, si super ipsius mensae
piano depicta fuerit. Nam epuhs atque mappa remotis huius intuitu descriptionis
convivae svaviorem multo capient iocunditatem, quam si dulcoratis melhtisque pas-
cantur bellariis atque praedulci quodam potarentur temeto." Dazu vergleiche man
die Bemerkung des Bernhard Varenius in Geogi-aphia generalis, Amstelodami
1650, L. III, cap. XXXII, prop. VI: ,, Tales mappas, in quibus locus datus medium
mappae locum seu centrum occupat, amant ilh populi, qui vana opinione gaudent,
suam regionem in medio totius Telluris sitam esse, ut Chinenses et olim Judaei." Damit
beweist Varenius, daß er den Wert der Horizontalprojektionen nicht verstand, wie
überhaupt ilim die ganze Projektionslehre fernlag. Zwischenständige winkeltreui-
Projektionen, wie sie Werner bereits gezeichnet, aber mit dem Projektionszentrum
auch im Mittelpmikt der Karte, scheint erst das 17. Jahrhundert konstruiert zu
haben. Die erste derartige Karte fand ich als Nebenkarte mit dem Karten- und Pro-
jektionsmittelpunkt Paris auf einer Übersichtskarte von 1610 in der Nationalbibüothek
zu Paris.'
Die stereographisehe Projektion erfreute sich größter Beliebtheit imd Ver-
breitimg, insonderheit fih- die Darstellung der Ost- und Westhemisphäre. Erst in
imsern Tagen verbleicht aUmählich ihre Anwendung für die Halbkugelbilder. Die
Winkeltreue der stereographischen Projektion scheint zuerst Mercator erkannt
zu haben; in der Legende auf einer 1587 zu Duisbm-g erschienenen Karte der öst-
lichen und westhchen Halbkugel bemerkt er, daß in der stereograpliischen Projektion
das Abbild dem Urbild in den kleinsten Teilen ähnlich ist.
Die bedeutendste Förderung haben im 16. Jahrhmidert die sogenannten Zylinder-
projektionen erfahren. Nachdem der Äquator zur Orientierungslinie der Neuen Welt
erhoben war, war der Schritt zu einer quadratischen Platt karte der Welt
nicht weit. Die Entwicklung dieser Karte weist uns bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Für größere umfassendere Landkomplexe wiu-de sie nach 1500 gebraucht. Paolo
Toscanelli hatte 1474 eine Plattkarte für nautische Zwecke entworfen, auf der sich
Parallele imd Meridiane rechtwinklig schnitten. Die Karte selbst ist verioreu ge-
' d'Avczac, a. a. 0., S. 4St.
- Nordenskiöld: Facs.-A , S. 92.
» Nordenskiöld: Facs.-A., S. 0:t.
* H.Wagner: Lihrbuch a. a. ü., S. 200.
<■ Nordenskiöld: Facs.-A., S. 92.
« Sobald es die Zeiten gestatten, hoffe ich meine «eiivi.Ue iSauinilimg alteni /.»is.hen-
standiger Horizontalprojektioncn (Land und WaaserhalbkugcUi), die nur durch wenige mir borri(<*
bekannte Karten a>is Pariser und Ijondonei Hibliotheken 7.n eriinn7en ist, als FaksiniileHntrk ».u
verüffeutlichen.
124 r);,s KMitrniutz.
gangen; H. Wagner hat eine Eekonstruierung gegeben.^ Die erste quadratische
Plattkarte der gesamten Erde ist schon vor Mercators großer Weltkarte gezeichnet
worden, und zwar auf der etwas rohen Holzschnittkartc von Robert Thorne 1527.''^
Doch das war eine rara avis. Die nächste scheint sich erst um 1600 l)ei Arnoldi zu
melden. In den verschiedensten Ptolemeen treten uns Plattkarten entgegen;^ imd
im Hinblick auf ihren weitern Gebrauch kaim man sagen, daß die rechteckige Platt-
kartü die Länderkarten beherrscht, soweit nicht der tra])ezförmige Entwurf von
Nie. Germanus bevorzugt wurde.
Die Projektion mit den konvergierenden geraden Meridianen oder die trapez-
förmige Projektion (d'Avezac: projection trapeziforme) hatte zuerst Dominus
Xicolaus Germanus auf Manuskriptkarten zum Ptolomäus angewandt. Ver-
schiedene Exemplare davon fanden eine weite A'erbreitung. Vielleicht haben sie die
Anregung gegeben zu den Karten in gleichem Entwurf auf der römischen Ptolemäus-
ausgabe vom Jahre 1478. Unter dem Namen von Donis Nicolaus Germanus
wurde 1482 zu Ulm eine Ptolemäusausgabe gedruckt, durch die die trapezförmige
Projektion vor allem bekannt wurde. Der Atlas, der 32 Karten umfaßt, ist berühmt
nicht bloß wegen der neuen Projektion, sondern auch wegen der ersten in Holzschnitt
ausgeführten Ptolemäuskarten und wegen der fünf modernen Karten (Spanien,
Frankreich, Skandinavien, Italien und Palästina), die den 27 alten Karten des Gl.
Ptolemäus, bzw. Agathodämon, eines Jüngern Zeitgenossen des großen Alexan-
driners, angefügt sind.* Diese Ausgabe des Ptolomäus hatte Veranlassung gegeben,
von einer , .Projektion von Donis" zu sprechen, was jedoch mit IJiu-echt erfolgte,
wie schon Nordenskiöld nachgewiesen hat.^ Die Projektion war außerordentlich
beliebt und wurde viel angewandt, väe von A. Ortelius, G. Mercator u.a.; sie
spielt in der Geschichte der Projektion eine ähnliche Rolle wie die annähernd hiuidert
■Jiihre später aufgekommene Mercatoi-Sansonsche Projektion.
49. Die vou Mercator augewandten Entwürfe. Das 15. und It;. -lahrhundert
haben sowohl die alten Kartenentwürfe neu belebt wie neue hinzugeschaffen; die
neuen sind jedoch vielfach nur Verbesserungen der zwei Ptolomäischen Entwürfe.
Wohl keins dieser Netze war dem kritischen Auge Mercators entgangen. Jedes
Netz probierte er aus und untersuchte es auf seine Verwendbarkeit für die Dar-
stellung einzehier Länder oder ganzer Erdteile. Die Auswahl der Projektionen für
die Größe des darzustellenden Gebietes maßgebend sein zu lassen, daran hatte vor
Mercator niemand gedacht. Wir wandeln auch hier wieder auf den Spuren eines
genialen Mannes. Vielen Entwürfen, deren Dasein halb in der Theorie, halb in klein-
maßstabigen, kaum beachteten Karten schlummerte, hat er zu neuem Leben ver-
holfen; und wenn er auch selbst kaum eine eigene Projektion erfunden hat, bleibt
ihm deimoch sein Ruhm ungeschmälert, der erste wissenschaftüche Kartogra))h im
Morgenrot einer neuen Zeit zu sein.
Die alten Rechteckkarten gebrauchte Mercator in seinem Ptolemäus 1578,
1 Vgl. H. Wagners Abhandhinfr i. 'I. Nai Iir. v. d. K. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Hist.i)liil.
1894.
■' Xordenskiöld: Facs-A., T. XLl.
3 Xordenskiölds Facs.-Atlas enthält solche Karten auf T. XXVII, XXVIIi u. XXXVI,
' Ein gutes Exemplar befindet sich z. B. in der Nürnberger Stadtbibliothek.
' .Vordenski.ild: Facs.-A., S. 86.
Zur rjestfliirhtr .l.-i- Kritik dfr K:irteni.r..ipkti..i.. 125
im Atlas 1.59Ö und auf finzelut-n Karten. ^ Die trapezförmige Karte hatte er einer
wesentlichen Verbesserung unterzogen. In der damals gebräuchlichsten Ausführung
wurde der untere und obere Grenzparallel ,,abweitungstreu" unterteilt imd die ent-
sprechenden Einteikmgspunkte durch gerade Linien miteinander verbunden. Die
beiden abweitimgstreu unterteilten Parallele rückte Jlercator in die Mitte zwischen
Mittelparallel und jedesmaligem Grenzparallel, wodurch das Gebiet, das von der
richtigen Einteilung der Meridiane Nutzen hatte, d. h. weniger verzerrt wurde, an
Raum gewann. Im Ptoleniäus erscheinen mit Ausnahme der Welt- und der siebenten
Europakarte alle Karten in dieser verbesserten Projektion. Desgleichen zeigt eine
Anzahl Karten im Atlas den gleichen Entwurf.
Ein weiterer Schritt in der Projektionsanwendung war, das vorstehende Prinzip
mit den zwei abweitimgstreuen Parallelen auf zwei kreisförmige Parallele zu über-
tragen, deren Mittelpunkt der Pol ist. Die entsprechenden Einteilungspimkte wurden
gleichfalls durch gerade Meridiane verbunden. Die meisten Länderkarten des Atla.s
zeigen diesen Entwurf. Im Atlas minor 1607 und in einem kleinen Atlas von 1598^,
der offenbar dem großen Merca torischen Atlas vereinfacht nachgebildet ist, gleich-
sam als „Taschenatlas", finden wir den Entwarf auch auf den Kontinent Europa
ausgedehnt, in der Ausgabe von 1598 dazu noch auf Asien. Das widerspricht in ge-
wissem Sinne dem, was J. Müller-Eeinhard sagt, daß sich Mercator gehütet
habe, die Projektion, die vorzugsweise für Einzelländer geeignet ist, auf die Erdteile
zu übertragen.-'' Hat Mercator selbst den Atlas minor nicht mehr herausgegeben,
so ist er zweifellos der Spiritus rector des Unternehmens, Vielleicht hat er auch Ein-
fluß auf den Taschenatlas von 1.598 gehabt. Doch sind für diese Annahme die bisherigen
Anhaltepimkte noch zu schwach.
Schheßlich bleibt bei diesem Gedankengang noch übrig, die abweitungstreue
Unterteilung sämtlicher Breitenkreise, ganz gleich ob diese kreisförmig oder gerad-
linig gezeichnet werden. Die erstere Art kennen wir bereits in dem flächentreuen
Netz von Stab-Werner, von Mercator 1538 auf der doppelherzförmigen Karte
angewandt, später 1554 und 1572 auf der Großen Karte von Europa und auf den
Karten Asien imd Afrika im Atlas. Die konzentrischen Breitenkreise verlaufen um
den Polpunkt. Daneben gibt es Karten von ähnlicher Konstruktion, nur daß der
Mittelpunkt der Parallelkreise nicht mehr im Polpunkt liegt, sondern auf der Ver-
längening des mittlem Meridians über den Pol hinaus (s. § 55).
Das Prinzip der abweitungstreuen Unterteilung sämtlicher Parallelen, übertragen
auf gestreckte gerade Breitenkreise, findet sich zum ersten Male angewandt auf der
Karte von Südamerika in der .Vusgabe des Atlas von 1606, auf der Karte von .\frika
im Atlas minor 1607 und in der Ausgabe von 1609 zudem für Nord- \\m\ Südamerika.
Später hat die Projektion eine weitgeiiende Anwendung für Einzelländer und Kon-
tinente durch Sanson gefunden.
Die speichentreue Abbildung mit dem Mittelpunkt im Nordpol findet sich auf
einer Nebenkarte der Weltkarte von 1569 (bis 20" Polabstaiid) imd aiif der Nordpolnr-
' H. Avordunk u. J. Müllcr-Ki'liilinrd: Gerhard Monator und dio Gtvgraplu'U unter
Minen Nachkommen. Ergh. 182 zu P. .M. l'.tU, S. 142. .T. MüIUm • Hoiuhord bringt eine lir»uch-
barc ZuHiimraen«tellung der von Mercator ungewandten Projektionen und den dar.u gehörigen
Xnohweis hei den cinzehien Werken .\rercator». Dabei vermisse ieh den Hinwei« auf <len Atlns minor.
- Diemm Atlas fnnd i<Ii in der Univcrxität«bibliothek 7ii .Amstenliini.
' II. .\v.TdiiMk. iiiwl .1. Miill.-i Iteinluinl. n. a. »).. S. 14(1.
J26 I^'i8 Kartennetz.
karte im Atlas (bis 30" Polabstand). ^ Auf den Plauisphären von 1587 und im Atlas,
hier auch auf der Karte von Amerika tritt vms die äquatorständige winkeltreue
(stereographische) Projektion entgegen, desgleichen auf den Halbkugelbildem im
Taschenatlas und im Atlas minor.
Mercators Euhm knüpft sich besonders an die winkeltreue ZyUnderprojektion
oder das Netz mit vergrößerten Breiten^ an, die er 1569 auf seiner berühmten Welt-
karte anwandte; man nennt sie kurzweg die „Mercatorprojektion".* Meine seiner-
zeit ausgesprochene Vermutung, daß die Projektion schon vor Mercator gebraucht
wurde^, sollte nur allzubald bestätigt werden. A. Wolkenhauer, der sich um die
Erforschung des Nürnbergers Etzlaub große Mühe gab, machte mich auf dessen
Sonnenkompaß von 1511 im Germanischen Museum zu Nürnberg aufmerksam. Die
auf den Holzdeckel eingravierte (eingeritzte) Karte erkarmte ich sofort als einen
Entwurf mit vergrößerten Breiten, ganz im Sinne der Mercatorprojektion. Die Be-
rechnungen dieses Netzes, wie das eines ähnlichen Sonnenkompasses von 1515, haben
es mir zur Gewißheit gemacht, daß Mercator nicht der erste war, der die sogenannte
Mercatorprojektion zum ersten Male anwandte. Aber sie zum ersten Male für die
ganze damals bekannte Welt als Seekarte in verhältnismäßig großem Maßstab ent-
worfen zu haben, ist sein imstreitiges Verdienst. Doch darüber mehr in dem Teil über
die Seekarte.
öO. Die Projektionen in der klassischen Zeit der ueueru Erdkunde. Wenig
schöpferisch hinsichtüch neuer Projektionen war das ganze 17. Jahrhmidert. Erst
im folgenden Jahrhundert ist es damit wieder besser geworden. 17. und 18. Jahr-
himdert bilden jedoch Theorie und Kritik der früher gefundenen Projektionen weiter
aus und bringen einzelne Projektionen zm- intensivem Anwendung, so daß vielfach
die alten Erfinder der Entwürfe vergessen und die Namen der neuen Praktiker bzw.
Theoretiker, wie Flamsteed, mit bereits gefundenen imd angewandten Projektionen
verknüpft werden.
Das 17. Jahrhundert hatte in der Hauptsache mehr damit zu tun, die neu ent-
deckten und damit die sich rapid vermehrenden, sowie auch die allmählich sicherer
bestimmten Ländergebiete in die neuen Entwürfe zu spannen als die Theorie dieser
Entwürfe auszubilden.
Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wird die tiefere Erforschung über das
Wesen der Übertragung von einer gekrümmten Fläche auf eine ebene oder eine
andere krumme Fläche angebahnt. Die konischen (kegeUgen) und. stereographi-
schen Projektionen werden in ausführUcher Weise ausgebildet und erklärt. J. N.
1 Nordenskiöld: Facs.-A., S. 9.5.
' Karte mit ,, vergrößerten Breiten" ist ein deutscher 8eeniannsausdruck und ist der Be-
zeichnung Karte mit „wachsenden Breiten" vorzuziehen, womit das weniger treffende französische
„carte r^duite" übersetzt wird.
" Über Mercator vgl. in der Hauptsache die Monographie von A. Breusing: Gerhard
Kremer, genannt Mercator, der deutsche Geograph. Zweite vennehrtc Ausgabe. Duisburg 1878. —
Das Verebnen der Kugeloberfläche f. Gradnetzentwürfe. Leipzig 1892, S. 31. — Femer die aus-
führliche Monographie mit zahlreichen literarischen Nachweisen von H. Averdunk u. J Müller-
Reinhard, a. a. O.
•• M.Eckert: Die Kartenproifktion, a. a. O., S. :{02, 30.3 u. 440, Anm.
Zur Geschichte der Kritik der Kartenprojektion. 127
Delislei, Murdoch-, Bonne', Albers* sind die hauptsächlichsten Vertreter der
Kegelprojektionen; die vier gingen außer auf bekannten auch auf eignen Spuren,
aber nur die beiden Franzosen gewannen durch ihre neuen Kegelprojektionen großem
Einfluß auf die Folgezeit, wenn auch Albers glaubte, ,,sich mit Eecht schmeichehi
zu können, das Problem einer womögüch vollkommenen Kegelprojektion zuerst be-
friedigend gelöset zu haben". Späterhin haben sich unter andern C. Mollweide'
imd M. Henry* mit der Theorie des Bonneschen Entwmfs befaßt. Um die Erklärung
imd Anwendung der stereographischen Projektionen, insbesondere auch um die
z^vischenständige oder die „stereographische Horizontalprojektion", wie sie
damals bereits genannt wurde, erwarben sich Lacroix, Tobias Mayer der Ältere",
Hase aus Wittenberg^ Kästner^, KlügeP" und Bode^i Verdienste. Eine rein
analytische Darstellung der Projektion nach hohem mathematischen Prinzipien hat
ebenfalls Mo 11 weide gegeben. '-
Die tatsächhche Erforschung des Wesens der Übertragung von gekrümmten
Flächen auf die Ebene gelang jedoch erst den genialen Mathematikern J. H. Lamliert
(1728—1777), L. Euler^' und T. L. de Lagrange." Wenn Euler. und auf ihn ge-
' Die Projektion auf den .Schnittkegel von J. X. Delisle = de l'lsle (tl76tt) wurde 1745
zuerst angewandt. Sein älterer Bruder G. Delisle {tl726) hat sich namentlich um den Kartoninhalt
verdient gemacht. Vgl. Chr. Sandler; Die Reformation der Kartographie \un 1700. München und
Berlin 1905. S. Uff.
- P. Murdoch: Mercators saihng appUed to the true figme of the earth, with an intro-
duction concenüng the discovcrj- and determination of that ligure, London 1741. — Dens.: „On
the best form for geographical maps" in den „Ptiil. Transactions"' 1751. — Theorie und Kritik von
drei Murdoch sehen Kegelprojektionen gibt H. C. Albers in der Monatheb. Correspondenz zu Be-
förderg. der Erd- und Himmelskunde, hg. von F. v. Zach, XI. Ck.tha 1805, S. 97-114, 240-250.
' Rigobert Bonne brachte 1752 die nach ihm benannte Projektion; vgl. dessen Atlas
maritime ou cartes reduites de toutes les cötes de France, Paris s. a.
* H. C. Albers: Beschreibung einer neuen Kcgelprojektion Monatl. Corresp. v. Zach. XII.
Gotha 1805, S. 450-459.
^ C. Molhveide: Beweis, daß die Bonnesche Entwurfsart die Länder ihrem Flttcheninlialte
auf der Kugelfläche gemäß darstellt. Monatl. Corresp. v. Zach. XIII. Gotha 1806, S. 144-152.
' M. Henry: Memoire sur la projection des cartes geographiques. adopt^ au dejwt peneral
de la guerre. Paris 1810.
" Vgl. auch Chr. Sandler: Die Homännischen Erben. Kettlers Z. f. »is,«. Gcogr. VII.
Weimar 1890, t?. 444 ff.
' .1. M. Hase hatte die Aufgabe, „die Karten, welche für die Homannsche Offizin neu g« ■
zeichnet werden sollten, nach der stereographischen Projektion einzurichten imd die zuverlässigen
.Angaben über Länge und Breite gewis.ser Orte innerhalb der Karte zu verwerten". Vgl. ,S. Rugr:
.\bhandlgn. u. Vorträge zur Gesch. d. Erdkunde. Dresden 1888, S. 121.
» A. G. Kästner in seinen Dissertationibus niathemat. et phys. Altonburg 1771, S. ,S8ff.
"• G. S. Klügeis Programm (Halle 1788) enthält eine „Geometrische Entwicklung der Eigen-
schaften der stereographischen Projektion".
'^ J. E. Bodo: Beschreibung und Gebrauch einer auf den Horizont von Berlin entworfenen
neuen VVeltcliartc in zween Hemisphären. Berlin u. Stettin 178.3.
'- C. Mollweide: Aualyt. Theorie der stereograph. Projektion. Monatl. Corresp. v. Zach.
XIV. Gotha 1806, S. 427 --437, 528 .539.
" L. Eulers Drei .Vbhandhuigen über Kartenprojektion (1777) sind in guter deutscher Vhcr
sitzmig mit Anmerkungen v. .V. Wange rin in Ostwalds Klassikern der e\akton WisdonHchaften
erschienen, Xr. 93.
'♦ .1. L. de Lagrange: Sur la constnution de.s larte» g»t)gniplü<iue». Berlin. .Vcad. .Mem.
1779. - Vgl. auch Lagrange imd Gauß, Abhandlungen über Kartenprojektion (177«n. 1822). Hrmm
.'Ci;rlH>n von A Wantfciin. In (»-.Iwalds Kla.^sik.Tn. .Nr. .V..
128 ^"^ Kartennetz.
stützt Lagrange, auch verschiedene Regehi für die Kartenprojektionen aufstellten
und bereits Verzerrungsformebi der Projektionen fanden, wenn ihre Ausführungen
sich auch durch die gi-ößere Eleganz in den analytischen Entwicklungen als die Arbeiten
Lamberts auszeichnen, so sind ihre Abhandlungen doch mehr für den Mathematiker
als den Geographen wichtig. Nur die dritte der berühmten Abhandlungen von Euler:
,,De projectione geographica De Lishana in mappa generali imperii russici usitata"
hat für den Geographen Interesse. Für den Geographen und Kartographen sind von
weit größerer Bedeutung die Arbeiten von Lambert. Die Ausführungen Lamberts
sind in dessen Beiträgen zum Gebrauche der Mathematik und deren Anwendung^
niedergelegt; der dritte Teil der Beiträge enthält den für uns wichtigen Abschnitt:
Anmerkungen und Zusätze zur Entwerfung der Land- und Himmels-
charten (1772). 2 Hatte Mercator das Wesen der Winkeltreue bereits erkannt, so
erhält sie, die ,, Konformität", durch Lambert erst den mathematischen Ausdruck;
nicht minder hat er die Flächentreue, die „Äquivalenz", klar gelegt. Lambert schuf
uns die flächentreue azimutale, die flächentreue Kegelprojektion, die flächentreue
äquatorständige Zyhnderprojektiou, die winkeltreue kegehge und eine winkeltreue
zylindrische äquatorständige Projektion, letztere für meridional ausgedehnte Länder,
wie Gesamt-Amerika.3
Bei all den kritischen Erwägungen ging die Kartentechnik nicht leer aus. Die
Kegelprojektionen finden durch J. N. Delisle und Bonne Aufnahme in die Atlas-
karten', die von Delisle allerdings weit seltener als die von Bonne. Das Gradnetz,
das in den Zeiten von Mercator, Sanson bis Homann noch vielfach unvollkommen
auf den Karten erschien — wiurden doch gewöhnHch nur die Parallele, weniger die-
höchstens am Rand angedeuteten Meridiane ausgezogen — , wird jetzt ein sicherer,
unvergänglicher Bestandteil des Kartenbildes. Mustergültig war darin G. Delisle
vorangegangen. Nur bei Karten kleinerer Gebiete unterließ er, das Gradnetz auszu-
ziehen.^ Joh. Tob. Mayer der -Jüngere* und KlügeP machen darauf aufmerk-
.sam, daß unbeschadet der Richtigkeit der geographischen Karten die elhpsoidische
Gestalt der Erde vom Kartenzeichner vernachlässigt werden kann. Trotz der sichern
Gradnetze ermangeln noch die Maßstabbezeichnungen, die ganz vereinzelt auftreten,
1 In 4Bdn. oder Teilen Berlin 1765-1772.
-' Diese Anmerkungen sind erfreulicherweise auch im Neudruck wieder herausgegeben von
A. Wangerin in Ostwalds Klassikern, Nr. 54.
•■' Vgl. Tissot- Hammer: Die Netzentwürfe geographischer Karten. Stuttgart 1887, S. 73,
82, 90, 130, 141. - Nach S. Günther (Geschichte der Erdkunde. Leipzig u. Wien 1904, S. 190)
begegnet man der winkeltreuen zylindrischen äquatoratändigen Projektion Lamberts in selbst-
ständiger Bearbeitiuig auch bei Cagnoli: DeUa piii caatta costruzione delle carte geografiche, 1799.
' H. Wagner: Lehrbuch a. a. O., S. 200.
■■ Chr. Sandler, a. a. O., S. 19.
' J. T. Mayer: Gründlicher und ausführUcher Unterricht zur praktischen Geometrie. Teil 4
enthält die vollständige und gründliche Anweisung zur Verzeichnung der Land-, See- und Himmels-
diarten. Erlangen 1794. In der zweiten verbesserten und vermehrten Aufl., Erlangen 1804, S. 30,
124 [Bonner Univ.-Bibl.]. Vgl. ferner Kästners Abhandlung: Fasciarum, q^uibus globi obducimtur,
ex conis sphaerae circumscriptis, coastructio, in den Götting. Commentatt. auf das Jahr 1778, —
der auch Mayer gefolgt ist. — In dem gleichen Bande der Götting. Commentatt. findet sich noch eine
andere Abhandlung über denselben Gegenstand von Lo^\•itz: De figura et divisione segmentorum,
quibus magni globi coelestes et terrestres obducimtur.
' G. S. Kluge 1 bespricht im Archiv der reinen und angewandten Mathematik von C. Fr.
Hindenburg I. Leipzig 1795, S. 236ff., II. Leipzig 1798, R. 105ff. das Werk von J. T. Mayer ini.l
entwickelt dabei über dieselben Entwiufspiolileme eine Keihe eiuner Gedanken.
Zur Geschichte der Kritik der Kartenprojektion. 129
wenn wir von dem Meilenmaßstab absehen, der jedoch nur auf den wahren Grad der
Verkleinerung schließen läßt. Der Meilenmaßstab herrscht bis Ende des 18. Jahr-
hunderts. Auf der Mercatorkarte versch-windet der Maßstab begreifhcherweise,
weil er mit den Breiten ständig wechselt, und in den Breitenminuten waren die je-
weiUgen Maßstäbe von selbst gegeben. Wie man auf ihnen Distanzmessungen vor-
nimmt, zeigte N. Bellin.^ Daß man bei all der Ausbildung und Einfühnmg neuer
Projektionen im 18. Jahrhimdert nicht die Bedeutung der Mercatorprojektion vergaß,
bezeugen die Aussprüche von Bouguer: „Les cartes reduites sont une des plus
heiles inventions de l'esprit himiain"^ und von Lalande: „Les cartes reduites sont
les plus utiles, qu'il y ait ; on peut en regarder Tinvention comme une des decouvertes
importantes du 16. siecle."^ Das sind herrUche Urteile über Mercator, erklärUch
teils aus dem Anwendungsbereich der Seekarte, teils aus den Zeitverhältnissen hin-
sichtUch des Besitzes an brauchbaren umfassendem Projektionen, deim damals
kannte man kaum em brauchbares Netz für die Gesamtdarstellung des Erdbildes,
deshalb das letzte Aufflackern des Apianischen Weltbildes durch Homann und
Lotter.
51. Die moderne Kartennetzreform. Verzerrun?sgesetz. Indikatrix. Die Wurzebi
der modernen Kartenprojektionsreform hegen im 18. Jahrhundert, doch erst in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten diese Wurzeln Lebenskraft und
treiben imd wachsen. Kurz nach der Mitte des vergangenen Jahrhimderts widmet
Germain* den Veränderimgen der Größenverhältnisse in den verschiedensten Ent-
wurfsarten seine Aufmerksamkeit, indem er die von der Mitte des Entwurfs nach
dem Umfang fortschreitenden Änderangen der Linien-, Flächen- und Winkelverhält-
nisse hervorhebt, um damit einen Wertmesser für- die Brauchbarkeit der verschiedenen
Entwurfsarten zu gewinnen. Was er wollte, ist ihm nicht ganz gelungen. Einem andern
Franzosen, A. Tissot, blieb es vorbehalten, durch die Anwendung emer neuen Art
von Analyse, des sogenannten Verzerrungsgesetzes, den Weg zu zeigen, der zur
mathematisch besten Projektion führt. Durch seine Untersuchungen, die in dem
Memoire sur la representation des surfaces et les projections des cartes geographiques.
Paris 1881, einen zusammenfassenden Abschluß fanden, hat Tissot der gesamten
Projekt ionslehre eine neue Basis geschaffen. Daß der Geograph aber noch andere
Fordenmgen als rein mathematische an den Kartenentwurf stellt, soll später noch
erörtert werden. Soviel steht aber fest, daß mit Tissot eme neue Epoche der Kritik
imd des Studiums der Projektionslehre beginnt. Von Tissot hat uns E. Hammer
eine vorzügliche deutsche tlbersetzimg und Bearbeitung gegeben in den Xotz-
entwürfen geographischer Karten, Stuttgart 1887. Schon vor Hammer und gleich-
' X. Beilin: Essay d'une cart« röduit« contenant les parties eomiuos du globo torrostro.
A la Haye chez Pierre de Hondt. 1750. (W. Wolkenhauer: Leitfaden zur Gösch, der Kartograplüe.
Breslau 1895, S. 54.)
* V. Bouguer: Xouveau traitd de la navigation. Paris 1753, S. 120.
^ J..J. Lalande: L' Astronomie. Paris 1792, §4070. (A. Breu.sing: Verebnen der Kugcl-
oherfläche. Leipzig 1892, S. .Sl.)
' V. Germain: Traiti- des projections des cartes gi^ographiques, representation plane de la
sphöre et du sph^roide. Paris 1866. - An Germain lehnt sich H. Gretschels L<-hrbuch der Karten-
projektion, Weimar 1873, an. .Auoh mancherlei geschichtlU he Notizen, wenn auch nicht fn>i v.m
Irrtümern, finden sich bei Grotschel.
Eckert, K*ruowtu*Dtcbaft. 1. >
]H0 Hii" K:irt('imetz.
zeitig mit ihm siiclion Züi)])iit /,' und Herz- in dio Ycizeiiuiigsxcrhältnisse gewisser
Projektionen auf Tissotschor Chundlage einzuführen. Vor ihnen ist noch der treff-
hche riorini zu nennen.* Doch hat E. Hammer entschieden das größte Verdienst,
uns die Tissotsclie (ledankenwelt am nächsten gebracht zu haben. Gewiß möchte
in Deutschland jetzt wohl schwerHch ein anderer zu finden sein, der mehr als Hammer
auf dem Gebiete der Projektionslehre zu Hause sei.* Auch A. Bludau steht in seinen
kartentheoretischen Untersuchungen wesentlich auf den Schultern Hammers.
Tissot, der, zunächst an Gauß sich anlehnend, sodann aber durch eigene,
selbständige Gedank<'narbeit zu seinen Keformen der Kartenprojektionslehre gelangt
ist, hat gleichwohl einen Vorläufer in dem deutschen Mathematiker Lambert,
i-'riscliauf hat den Nachweis erbracht, daß sich Lambert rmd Tissot. zwei um
ein volles Jahrhundert auseinander stehende Forscher, unbewußt in vielen Pimkten
zusammengefunden haben.^ ,.Was damals der Deutsche Lambert an neuem wissen-
schaftlichen Material den Mathematikern und Geographen aller Nationen dargeboten
hat, das ist für den Teil von Frankreich jetzt von Tissot mit reichen Zinsen zurück-
gezahlt worden." Dies ^Yort von Zöppritz, dem auch E.Hammer beistimmt,
mag für die Mathematiker voll und ganz stimmen, nicht aber für die Geographen;
imd so werden auch Breusings Worte erklärlich: ,,Es hätte der Formebi Tissots
nicht bedurft, um zu erkennen, daß die nach ihren Urhebern Fournier, La Hire,
Parent, Miirdoch, Braun u. a. benannten zwecklos und damit wertlos sind."
Lambert hat den Geographen praktischere Werte als Tissot geschaffen. Gleichwohl
ist nicht zu verkennen, daß wir erst durch Tissot Lambert wieder zu würdigen
beginnen: mid vollends hat Hammer durch seine „geographisch wichtigsten Karten-
projektionen" die Bedeutung Tissots wie Lamberts in unvergängliches Licht gerückt.
Lambert herrscht inmitten der gegenwärtigen kartographischen Eeform.
Man kann wohl sagen, daß wir erst einen Tissot haben mußten, um einen
Lambert vollkommen zu würdigen. Es wäre nicht das erste Mal, wie Welt- und
Kulturgeschichte, ja die ganze Geschichte der Wissenschaften erweist, daß ein guter
Gedanke erst nach hundert Jahren zur Ernte reif wird. Dringen wir indes in die ver-
borgenen Tiefen der Entwicklung der geographischen Wissenschaft ein, so werden
wir hier und da Stellen entdecken, die zeigen, daß Lambert auch bei seinen Zeit-
genossen, die von tieferm geographischem Interesse erfüllt waren, nicht spurlos vor-
übergegangen ist. Tob. Mayer d. J.^, späterhin Eeichard und andere hatten die
Zweckmäßigkeit der Lanibertschen flächentreuen Projektionen hervorgehoben.
J. E. Bode zeichnete eine ,, Weltkarte" in Lamberts flächentreuer Azimutal-
projektion.'^ Nachdem er den Vorzug der Lanibertschen Entwurfsart gegenüber
1 So in der Zeitschrift d. Gtes. f. Erdkde. Berlin 1884, 19. Bd., S. I; ferner in der Zeitsohr.
■für Venness., 1884, S. 293; und vor allem in dem Leitfaden der Kartenentwurfslehrc, Leipzig 1884.
- X. Herz: Die Landkartenprojektionen. Leipzig 1885.
'■' M. Fiorini: Le projezioni delle carte geografiche. Bologna 1881. Wohl eines der besten
imd ausführlichsten Kartenprojektionswerke.
* In ähnlicher Weise äußert sieh auch H. Wagner im Vorwort zum XVII. Jahrgang des
Geographischen Jalirbuches.
* .J. Frischauf: Beiträge zur Geschichte und Konstruktion der Kartenprojektionen. Graz
1891. Die Beiträge sind insonderheit den Manen Johann Heinrich Lamberts gewidmet.
* J. T.Mayer: Gitindlichcr u. ausf. Unt., a. a. O., S. 20.
' Als Beilage zu G. E. Bodes Anleitung zur allgemeinen Kenntnis der Erdkugel. 1. Aufl.
Berlin i78fi; 2. durchgchends verbesserte u. vemiehrte Aufl., Berlin 18015.
Zur Gescliichte der Kritik il<i KartPiiproji-ktiou. 131
den orthographisclion und stereogra))hisehen Projektionen für Hemisphären klar-
gelegt hat, fährt er fort: „Und dann trifft daljey die sehr erhebliche und vorteilhafte
Bedingung ein: daß alle Länder dem Eaum nach, eine ihrer wahren Größe pro-
portionierte Größe in der Zeichnung behalten, wenn auch ihre Gestalt nach den Seiten
hin etwas verzogen wird.''^ Im allgemeinen jedoch seheinen diese Erkenntnisse in
der Folgezeit verloren gegangen zu sein. Nur da und dort glimmt in den mathematischen
und geographischen Lehrljüchern ein Lanibertscher Gedanke fort, wie bei Kries-
und Littrow.3 pjp meisten hierhergehörigen, selbst berühmtem liehrbücher^ in der
ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, geschweige denn die Kartenwerke jener
Zeit, kennen Lambert nicht. Der Grimd liegt gewiß in der mühsamen und umständ-
lichen Bestimmung der Parallelkurven, und hätte uns Hammer nicht die Tafeln
zur Verwandlung von geographischen Koordinaten in azimutale gegeben, es würde
heute noch die Anwendung der Laniliert sehen flächentreuen Azimutalprojektion
sehr beschränkt sein.
Die Seele des Verzerrungsgesetzes von Tissot ist die Judikat rix, „une sorte
d'indicatrice", das Verhältnis der großen zur kleinen Achse der Verzerrungsellipse
oder Deformationsellipse, durch das das ^faximum und Minimum jeder Längen-
veränderiuig auf den verschiedenen Kartenpunkten ausgedrückt wird. Zöppritz,
Hammer, Bludau und Haentzschel* haben den Begriff der Indikatrix anschaulieh
entwickelt. Für tlächentreue Projektionen hat Bludau die gleichen Verzerrungs-
linien, die ,,Äquideformaten", wie sie S. Günther zuerst genannt hat, und die Lage
der Indikatrixachsen bestimmt und gezeichnet.« Der Niederländer Schols zeichnete
die ersten Aquideformaten, und für flächentreue Entwürfe der ganzen Erde iiat
W. Behrmann eine größere Anzahl Äquideformatenbilder gegeben."
.)2. Eiufiiiü der neuen Lehren auf das Karteubild. Dem k. und k. Militär-
geographischen Institut zu Wien gebührt ohne Zweifel der Ruhm, die Tissotschen
Untersuchungen über die Verzerrimg zuerst durch H. Hartl praktisch gewiü-digt
und erprobt zu haben; denn Hartl hatte sich die Aufgabe gestellt, die Verzerrungen
zu ermitteln, die entstehen, wenn bei einem Entwiufe einer Karte der österreichischen
Monarchie eine oder die andere der gebräuchlichen Projektionen, niinilieii Bonne.
Cassini, Gradkartensystem und Tissot, zur Anwendung kommt.'*
' .J. E. Bodc, a. a. ()., S. S24.
- Fr. Kries: Lehrbuch der mathematischen Geogra|)hie. Leip/ji; 1814. .S. itüt.
•' J. tl. Littrow: Chorographie oder Anleitung, alle Arten von I.AnH-. 8oe- und Himmels-
karten zu verfertigen. Wien 18.33,' S. 7.
' Wie z. B. die .'VnfanfSSgründe der mathematisehen Geograiihie von H. .'^tudt-I. Hcn\, Cliiu
u. Leipzig ISSfi.
^ E. Haent/.sciiel: Oas Erdsphiimid u. seine .Abbildung. Leiiwig 190,3. S.80. Haentzsi-hel ist
mit Recht gegen die bloße Bezeichnung „Indikatri.x", die einen fal.schen Kindruck erwivkt, da Tissot
ganz korrekt „une aorte d'indicatrice" schreibt, worunter er eine „indicatrice de dt^formation ou l'alt^-
ration" versteht. Mit der Bezeichnung „VerzerrungBellipse" kommt die Kartographie vollständig aus.
• Die hierhcrgcliörigen .\ufsiitze und Skizzen von A. Bludau licfinden sich in der Zt.schr.
d. Ges. f. Erdkde. zu Berlin: 1S9(), Bd. 25, S. 2«:«; 1801, Bd. 2«. S. 14.1; 1802. Bd. 27, .S. 221 : sowie
in P. M. 1802, S, 214.
' W. Behrmann: Zur Kritik der fliiclientrouen Projektionen der ganzen Erde mid einer
Halbkugel. Sitzgsber. der K. Bayer. .\k. der Wissenschaften. >!ath.phys. Kl. München lOnO.
» H. Hartl: Die Projektionen der wichtigsten vom k. k. fVneralquftrtiermeisteretÄlx- und
vom k. k. .ADIitiir.-geogr. Inst. herausgegeluMien Kar'enwerke. In den Mitt. des k. k. Militargixigr.
Inst. Willi 1886, B.I. VI, ,S. I2()ff.
9*
132 ßas Kavtennetz.
Verhielten sich damals die weitem kartographischen Kreise zunächst noch al)-
lehnend gegen die Tissotschen Neuerungen, so währte es doch erfreulicherweise nur
kurze Zeit, bis das Gute dieser neuen Auffassung sich mit Macht Bahn bracli. Deutsche
Theoretiker, wie Zöppritz, Hammer, Bludau u. a., befaßten sich mit der Wahl
der Projelitionen für die Landkarten der Hand- und Schulatlanten imd erhärteten
auch an praktischen Beispielen die neue Theorie.^ Vor allem hielt um die Wende des
neuen Jahrhimderts die flächentreue Azimutalprojektion von Lambert ihren Sieges-
einzug in die Schulatlanten; er wurde hauptsächlich durch den Mittelschulatlas von
Lüddecke eröffnet. Die gleiche Projektion für die Hemisphäre änderte E. Hammer,
durch die Projektion von Aitow angeregt^, ab luid erweiterte sie zu einer flächentrouen
Projektion für die Holosphäre*; als ,,Hammersche Projektion" fand und findet sie,
l)e.sonders durch eine größere Einzelausgabe in 1 : 30000000 durch Bludau gefördert^,
gebührende Anwendung in Einzeluntersuchungen und umfassenden geographischen
Werken.
Die neuen Lehren dei- Projektionstheorie den Entwürfen der Handatlaskarten
zugängUch gemacht zu haben, ist das große Verdienst von E. Debes.* Er wandte
neben den altern Projektionen, wie der Delisleschen und Bonneschen Projektion,
besonders die Lambert-Gaußsche konforme Kegelprojektion an, fernerhin speichen-
treue Entwüi-fe, bzw. mittabstandstreue Entwüi'fe mit verschieden gewählten Pro-
jektionspolpunkten und Breusings vermittehiden azimutalen Entwurf. Diese Pro-
jektionen waren l)isher in den Atlanten so gut wie nicht vertreten, und die alten,
bisher nicht gepflegten Kartennetze komiten hinsichtlich der Wiedergabe des Karten-
bildes, d. h. eines naturähnUchem Bildes mit den neuen Entwürfen nicht wetteifern.
Daß A. Bludau bei der neuen Herausgabe des Handatlasses von Sohr-Berghaus
die neuen Errungenschaften der Projektionslehre berücksichtigen würde, ist ohne
' Die diesbezüglichen Aufsätze befinden sieh hauptsaehlicli in der Zeitsclir. der Ges. f. Erdkde.
zu Berlin und in Pet. Geograph. Mitt. Neben dem Werke von B. Hammer „Über die geographisch
wiehtigsten Kartenprojektionen" kommt besonders der Abschnitt über „die Auswahl der Projektion
von geringster Verzerrung"' in K. Zöppritz" „Ix>itfaden der Kartenentwurfslehre", Leipzig 1884,
S. 10.5ff. in Betracht, sowie Zöppritz' Aufsatz: „Die Wahl der Projektionen für Atlanten und
Handkarten" in der Zeitschr. d. Ges. f. Erdkde. zu Bedin, 1884, Bd. 19, S. Iff. - Eine gute und
allgemein verständlich gehaltene Erörterung der Envägungcn, die bei der Wahl des Netzentwiu'fes
für eine bestimmte Karte in Betracht kommen können, bietet A. Bludau in der G. Z. 1. Jahrg. 1895,
S. 497 ff.: „Über die Wahl der Projektionen für Landkarten der Hand- imd Schulatlanten". -
Mancherlei Anregung gibt auch eine von anderm Standpimkt als die vorhergehenden Aufsätze auf-
gefaßte Erörterung von H. Struve: ,, Landkarten, ihre Herstellung und Fehlergrenzen"; Berlin
1887 (Konderabdruck aus dem „Archiv für Post und Telegraphie"). — Vgl. auch C. Vogel über die
Wahl der Projektion „Aas allen Weltteilen", .Jahrg. 12, S. 144.
- Die Planisphäre von M. D. Aitow i. Nouv. G(-ogr. 1892, S. 89.
' E. Hammer: Über die Planisphäre von Aitow und verwandte Entwürte, insbesondere
neue flächentreue ähnlicher Art. P. M. 1892, S. 8.5-87.
* Die von Bludau herausgegebene „Umrißkarte in flächentreuer Planisphäre" nimmt keinen
Bezug auf Hammer, weshalb der Irrtum verbreitet wurde, als habe Bludau auf anderm Wege wie
Hammer eine gleiche selbständige Projektion gefunden. So führe auch ich in meiner Untersuchung
„Neue Entwürfe für Erdkarten" (Pet. Mitt. 1901), S. 97) noch Bludau neben Hammer an als einen,
der eine besondere Projektion gefunden liat. Bludau erkennt aber vollständig die Priorität Hammers
an und ist, wie er mir seinerzeit brieflich mitteilte, der Meinimg, die bewußte Piojektion nui'
„Hammersche Projektion" zu nennen. Freilich hätte er diesem Gedanken nuch .mf der- von ihm
heran.sgcgebenen Umrißkarte öffentlichen Ausdruck verleihen müssen.
•' Neuer Handatlas I. Aufl. Ix^ipzig 189.5. 4. Aufl. J^ipzig 19ir!.
Namen und Systcuir di r Frujektionen. | 33
weiteres erklärlich.^ In neiieni Atlanten dürften auch die zwischenständigen zylin-
drischen Projektionen, auf die neben andern insbesondere O.Winkel hingewiesen
luit^, Berücksichtigung finden.
Überblicken wir die praktischen Resultate, die sich gegenwärtig allenthalben
in der Kartographie bekunden, so haben wir den besten Beweis dafür, ilali nicht bloß
in der Theorie, sondern auch in der Praxis die neuzeitliche kartographische Reformation
angebrochen ist.
Die Theorie hat auch hier der Praxis den Weg gebahnt ; auch hier zeigt sich 's
wieder, daß die mächtigen Impulse für das fortschritthche kartogra])hische Schaffen
weniger aus der Praxis selbst erwachsen als vielmehr aus dem gelehrten Nachdenken
und Forschen.
II. Namen und Systeme der Projektionen.
53. Die kritische Geschichte der Theorie um! Auwenihiii^ der Projektionen im all-
!!;etueinen. Die kritische Geschichte der Theorie vmd Anwendung der Projektionen
ist einer der interessantesten Abschnitte in der Ge.schichte der Wissenschaften, dessen
vollkommene, entwickehide und abgerundete Darstellimg uns heute immer noch er-
mangelt, obwohl d'Avezac schon vor einem halben Jahrhundert einen ersten Anlauf
dazu nahm und trotzdem schon Breusing den Wunsch danach Fiorini gegenüber
zum Ausdruck brachte und Fioiini uns auch einen modernen gelungenen Versuch
dargeboten hat. Stein auf Stein dazu ist genugsam zusammengekarrt, nur der Bau-
herr fehlt noch.' Einer der ersten, der an die Kritik der Theorie und Anwendung der
Entwürfe, soweit sie bekannt waren, heranschritt, war J. J. Littrow. Von ihm hören
\vir, daß man den perspektivischen Projektionen früher allzuviel Wert beigelegt habe.
was er mathematisch und mit der Anwendung verschiedener Maßstäbe auf ein mid
demselben Kartenblatt begründet.'' Heute ist die Sache nicht mein- so schwierig wie
vor zwanzig und mehr Jahren. Alsdann dürfte auch die Nouuaiklatur der Projektionen
noch gewinnen; denn in dieser Beziehung herrscht eine Zerfahrenheit, wie sie kaum
in eüiem andern Zweige der Geographie wiederkehrt. Die maßgebende Fachsi)rache
für die Entwürfe festzulegen wäre am Ende eine dankbarere, zum mindesten aber
eine ebenso wichtige Aufgabe eines internationalen (ieographenkongresses als die
Behandkmg einer Frage nach einer Erdkarte im Maßstäbe 1 : lOOOOOtl, die auch nach
ihrer Vollendung immer noch ein mehr oder weniger erfreulicher Torso bleiben wird.
wenigstens bei der jetzigen Oberleitung des Unternehmens und nach !''.insieiitnainne der
bis jetzt vorliegenden Blätter. Merkw ürdigerweise hat auch der Deutsche (ieogmphen-
' In der Xc-uaiiflagc zu K. Zöpprit/,' LoitftKliMi dt-r KatUMUMitwurfslchiv. Lcij>zig 1899, gibt
A. Bludau am ScbliiB der Behandlung der einzelnen Pinjektionen zalilmehe .\ng»ben über die
Vei-wonduiig der genamten Projektion in deut«ehen Hand- und Sobulatlnnten.
° O.Winkel: Flächentreuo, sehiofachHige Zylinderpi-ojektion mit liingentifuem Grundkivis
für eine Karte von Nord-, Mittel und Südamerika. P. M. 1«W, S. :i2i>, :i:JO. 370. :Wü. - Fläelientivue.
zwiBchcnständige, azimutale Projektion für eine Karte der BritiHelien Inseln. O. A. 191 1. .S. 30, 31.
— Beitrag zur Entwicklung schiefaeliMiger, HjÄziell zylindri scher Pn>jektioncn unter Annahme der
Kugelgestall der Erde. P. M. 1913, K. 241 ff.. 304«.
^ Wauwormans hat wohl in winer Einleitung nun „Essai de l'hist. de l'ieolc cartographie
anvoiBOiso au XVI» sitVilo" (BulL Soc. R. de g6ogr. d'Anvers. 1S93) die Arl)oit d'AveiacH etwas ci
weitort, alxjr nicht dessen Irrlllmer vormiodon.
* J. J. Listrow, a. a. (.)., S. «5, 77, 78.
1JJ4 üas Kiirtcnnctz.
tag die Sache noch nicht angeschnitten. Cianz zu verwundern ist es nicht; denn die
Namengebung ist eine heikle Sache. Das historisch persönliche und das mathematische
Prinzip stehen sich gegenüber; d. h. ist es wichtiger, die Projektionen nach ihren Ur-
hebern oder nach der mathematischen Foiniol und einer kurzen sachliclien Eigen-
tümlichkeit zu benennen? Zu letzterer Ansicht neigt, wie zu erwarten, mehr Tissot
und, auf ihn gestützt, Hammer, werm sie auch selbst das für recht erkannte Prinzip
bei der Benennung in ihren Darlegungen vielfach durchbrochen haben. Dadurch
zeigen sie eben, wie schwierig es ist, ein Prinzip konsequent durchzuführen. Für den
Geographen gibt ein von historischem Gesichtspunkte aus geleiteter Kompromiß
beider Prinzipien eine befriedigende Lösimg.
54. Beneuuung älterer Projektion nach ihrem Urheber. Becht und billig ist es,
wie Breusing sagt, jeder Projektion den Namen ihres Urhebers beizulegen. ^ Gewiß
ist dies ein annehmbarer Standpunkt, nur darf er nicht einseitig, wie von Breusing,
vertreten werden. Hammer hält darum entgegen, daß bei altern Projektionen immer
wieder eine Namengebung vorgenommen werden müßte, sobald man einen altern
Urheber als bis dato bekannt, ans Tageshcht zieht. Einige Projektionen teilen sogar
das Schicksal, einigemal erfunden zu sein, wie die Mercator-Sansonsche, die ihre
letzte Erfindmig sogar im 19. Jahrhundert feiern konnte.^ Wenn wir die Bedeutung
1 Breusing: Das Verebnen der Kugeloberfläche. Leipzig 189?, S. 63, 64.
2 So von Mohr als neue isographische Piojektion präsentiert. Vgl. P. M. 1865, S. 114, 115.
— Irrtünilicliei'vv'eise wird auch J. Franke genannt, der die Sansonsche Projektion wieder erfunden
habe, vgl. P. M. 1861, S. 406. E. Debes schreibt mir hierüber: „Bei Franke handelt es sich nämlich
um eine zuerst von Apianus, dann von Fr. Arago in seiner Astronomie populaire angewandten
Entwurfsart. die einfach mit Zirkel und Lineal hergestellt werden kann. Wie Hermann Berghaus,
von dem die Besprechung (in P. M. 1861) wahrscheirlich lierrührt, als Kartograph sie für die Sanson-
sche Entwur'sart hat halten köimen. ist mir übrigens nicht recht begreiflich, da diese, auf die Hemi-
sphäre ausgedehnt, ja gar keinen Kreis ergibt. — Der Apian-Aragosche Entwurf ist wohl nicht
häufig zur Anwendmig gelangt, da mir außer der Frankeschen Wandkarte nur noch ein Fall bekannt
ist, zu dem icli selbst die Veranlassung gegeben habe. Als es sich 1861 oder 1862 darum handelte,
die Karte von Polynesien und dem Großen Ozean in 2 Bl. für Stielers Handatlas, die jetzt nicht
mehr gediiickt wird, zu zeichnen, sollte nach Petermanns Wimsch ursprünghch die Sansonsche
Projektion dafür angewandt werden, um geradlinige Paiallelen und gleichwertige Parallel- und
Meridiänabschnitte zu erhalten. Weil dieser Entwurf aber bei der großen räumlichen Ausdehnung
der beiden Blätter allzugroße figürliche Verzerrungen in diagonaler Richtung hin ergab, mußte
davon Abstand genommen werden. Da mir es numnehr Petermann Überheß, einen Ausweg zu
finden, ihm aber vor allem daran lag, äquidistante Breiten- und Längengrade zu erlialten, um
das Abgreifen von geogr. Positionen möglichst bequem zu machen, kam ich auf den Ausweg,
Äquator und Mittelmeridiau in gleichgroße Abschnitte zu teilen, mit dem Radius von 90" von der
Mitte aas einen Kreis zu schlagen und die geraden Parallelen in entsprechend gleiche Teile zu teilen.
Petermann hat die Projektion in .seinen Bcgleitworten zur Karte (P. M. 1868, S. .374) als eine „modi-
fizierte Flamsteed sehe'' bezeichnet, was keinen Sinn hat; sie scheint jedoch immer für die Sanson-
sche gehalten worden zu sein, vielleicht auch von Hammer, weim ich die Fußnote auf S. 80 seiner
„Kartenprojektionen" nchtig deute. Erst viel später — mehr als 30 Jahre danach — habe ich ent-
deckt, daß der Entwurf von Arago herrül^rt, sonst würde ich wohl heute noch in der Annahme
leben, damals etwas Originelles gefunden zu haben, wie es dem guten Franke auch gegangen ist."
— Dem möchte ich hinzufügen, daß sich die beiden saubei bei F. A. Brockhaus gestochenen Plani-
globen von Arago vorfinden im XIIL Bd., Leipzig 18.56, von Franz Aragos sämtl. Werken. Mit
einer Einleitung von A. v. Humboldt. Deutsche Originalausgabe von W. G. Hankel. S. 260ff.
spricht Arago auch über geographische Karten und weist bei den bewußten Erdhalbkarten, die Barral
auf seine Veranlassung entworfen hat, darauf liin, daß sie nach astronomischen Gesichtspunkten dar-
gestellt seien.
Naiiifii und .Systcuii- der l'r«>jfktii)iieii. 135
der Projektionen berücki^ichtigen, kommt der Einwurf Hummers von selbst in
Wegfall. Das steht wohl fest, daß wir heute alle bedeutenden Projektionen des Alter-
tums, des Mittelalters und des Anfangs der neuen Zeit kennen; wird etwas Neues in
dieser Eiclitung nocii entdeckt, so kann es sich höchstens um eine kleine Modifikation
schon gebraucliter Projektionen handehi oder um eine so geringe Bedeutung der be-
treffenden Projektion für ihre Zeit mid Folgezeit, daß uns bezüglich der alten und
guten Projektionen beachtenswerte Namensänderungen nicht mehr bevorstehen.
Tobias Mayer d. J. war der erste, der in seinem „gründlichen und ausführlichen
Unterricht zur praktischen Geometrie" (Erlangen 1794) den Vorschlag machte, den
Gradnetzentwurf nach dem Kartographen zu nennen, der ihn am weit-
gehendsten angewendet iiabe. Auch das ist ein Standpunkt, der sich hören läßt,
denn die ausgiebige Anwendung ist immer von Einfluß auf den weitern Gebrauch,
auch von anderer Seite. Den Gedanken von Tob. Mayer ergriff d' Avezac und sprach
nun von Projektionen „appelees de Sanson, de l'Isle, de Bonne etc." Desgleichen
steht H.Wagner diesem Verfahren der Namengebung nicht unsympathisch gegen-
über und möchte darum nur von „Sansonscher" Projektion reden.* Zuletzt kann
auch dieser Standpunkt als einseitig aufgefaßt werden. Am besten hilft liier ein Doppel-
name, insofern der Name des Urhebers mit dem, der die betreffende Projektion vor-
zugsweise anwandte oder wissenschaftlich vertiefte, verknüpft wird. So kennen wir
die Lambert-Gaußsche winkeltreue Projektion. ^ Daß die Bezeichnung Cassini-
Soldnersche Projektion nicht richtig ist, werden wir später noch imtersuchen. Der
Doppelname ist nicht erst neuern Datums. Seit längerer Zeit spricht man von der
„ Stab-Wernerschen" Projektion. Gegen die Bezeichnung ,,Wernersche" Projek-
tion wendet sich entrüstet Breusing, weil Stab der Vater des Gedankens zu
dieser Projektion ist. Und doch wäre es ungerecht, Werner bei der Bezeichnung
auszuschalten, hat er doch durch seine Projektionsfiguren auf Grundlage der Stab-
schen Anregiuigen den Gedanken von Stab erst fruchtbar gemacht, so daß ihm die
Ehre des frühesten selbständigen Kartographen der Neuzeit zuteil geworden ist.'
Nicht richtig ist es, wie es heutigestags zumeist noch geschieht, von einer „Sanson-
Plamsleedschen"' Projektion zu reden* oder von einem sogenannten ..Sanson-
oder Flanisteed-Entwurf"^, wo es ,,Mercator-Sansonsche" Projektion heißen muß*:
über die Anwendung der Projektion auf verschiedenen Meroa duschen Karten
s. S. l'2ö. Flamsteeds Name ist bei der Betrachtung geographischer Karten über-
haupt ganz auszuschließen. J. Flamsteed hat die Karten seines Atlas coelesiris
1729 in der Mi rcator-Sansonschen Projektion entworfen. Den Astronomen des
' H. Wagiur. a. a. O . S. 220.
» In Dobes' Handatlas sind Eiin.|>.i, N-.\V-.S- und »t. A-i.-n. Atla.sliind.T. A,.si,nl,.M. \r.
einigte Staaten von Amerika und niittlcifs Südamerika in der IjimlKrt-CIauDwhen winkeltuMicn
Kegelprojektion entworfen. HnUland und die Nilliinder in der Ijinib<rt.<;auU<i)ien winkeltnMi.-n
Zylinderprojektion.
ä Vgl. S. Güntli.r im Geogr. .lahrl.. I«S2. S. 114. Aueli li^-ol Hainni.-r (S. IMl) Htniimt
dem bei.
* Vgl. I'>. Bourgeois u. IMi. l'u rt « lingler im (1. IUI S. 27S .In Knz,vklo|»i<|H' der umllu-.
matiselien Wissenwliaften. litüll.
'' E.Hammer: Ül>er die geographiMcli wiehtigsten l'ii.jikti"'nt ii. Stiittgait 188». S 77
• O. Krümmel u. M. K.kert: Gi'ogmiJhi.-wJies Praktikum. l>i|./.ig imw. S J I Kurt-
wängler liat die richtige Bez.eiehnung wenigstens in der Anmi-rkung (Ibemoinmen. n. n U. S. '.'78.
Anm. 6i">; und Bludau in Zi.pprite-BUidau. a. a U., 3. Aull. I. 11112. S. 160(f.
136 I^«" KartPnnetz.
18. Jahrhunderts scheint das Vorhandensein der Projektion unbekannt geblieben zu
sein, deshalb deren Benennung nach Flamsteed. Auf das Auftreten der Projektion
bei Mercator hat A. Breusing schon hingewiesen und schließt den betreffenden
Passus mit den Worten: „Man sollte doch endhch einmal aufhören, Sanson oder
Flamsteed die Erfindung eines Gradnetzes zuzuschreiben, das sich schon hundert
Jahre früher in einem Atlas findet, der damals in aller Händen war."^ Da sie jedoch
N. Sanson von 1650 ab systematisch für Erdteil- und Länderkarten in seinen gi-oßen,
das 17. Jahrhundert beherrschenden Atlanten benutzt, glaube ich in dem Doppel-
namen der Projektion den besten Ausweg gefunden zu haben. In eine Art Anachronis-
mus fällt J. Müller-Eeinhard zurück, wenn er unternimmt, die altem Bezeich-
nungen Sansonsche oder Sanson-Flamsteedsche Karte zu retten; ,,man darf
nicht mit Eckert von der Mercator- Sanson- Projektion sprechen". ^ Man darf
nicht, sondern muß sogar sprechen. Der Ausweg Breusings, von ,,pseudopostel-
scher", „pseudobonnescher", ,,pseudoflamsteedscher" etc. Projektion zu reden, sagt
xmserm Geschmacke gar nicht zu, auch wird durch diese mehr negierende Bezeich-
nungen kaum etwas Charakteristisches für die Entwürfe gewonnen.
Mit der Zeit werden doch die umichtigen Ausdrücke ausgemerzt, wie der so-
genannte ,,Postelsche" Entwurf, d. h. die speichentreue Polarprojektion erweist.
Heute hört man schon viel seltener diesen Entwurf nennen als vor einigen Jahren
imd besonders zur Zeit d' Avezacs, der ja der Urheber dieser Bezeichnung war. Vor
G. Postel, der 1581 eine polständige mittabstandstreue Azimutalprojektion
anwandte, hatte sie schon Mercator 1569 entworfen mid vor diesem wiederum Juan
Vespucci (S.122). Wie soll mm diese Projektion benannt werden? Auch hier kann
nur die Bedeutung der Projektion einen Ausweg finden lassen. Gegenüber den Karteu-
bildem, die ihren Projektionspol, bzw. Karteumittelpunkt nicht im Nord- oder Süd-
pol haben, stehen die polständigen Projektionen in ihrer geographischen Bedeutung
imd kartographischen Anwendimg weit zui-ück. Man wird darum gut tun, die so-
genannte Postelsche Projektion mit keinem Namen zu belegen, sondern bei ihrer
Behandlung in der Gruppe der polständigen azimutalen Entwürfe einfach zu be-
merken, daß sie bereits im 16. Jahrhundert von Vespucci, Mercator und Postel
gebraucht wurde.' Ihre bei weitem charakteristischere Stellung mit dem Projektions-
mittelpunkt auf einen Punkt des Äquators ist zuerst von Lambert angegeben, und
ihre zwischenständige Lage von Schjerning, mir u. a. gezeichnet worden.
Die ähnliche Weise der Vemachlässigvmg persönlicher Benennung, wie wir sie
dem Postel sehen Entwurf gegenüber wünschen, ist bereits mit der Globular-
projeklion geschehen. Sie vnvd nach keinem Urheber genannt, obwohl sie von
dem Italiener Nicolosi, soweit bis jetzt nachweislich, 1660 zum ersten Male an-
gewendet wurde, sodann 1676 von Pierre Duval, 1700 von de Per, 1714 von dem
Geographen Guillaume Delisle imd andern Geographen seiner Zeit und späterhin
' A. Breusing: Das Verebnen, a. a. O., S. 53.
- H. Averdunk u. J.Müller-Reinhard, a. a. O., S. 144.
^ Trotz der von mir bereits 1910 gegebenen Klarstellung spricht J. Müller- Reinhard, a.a.O.,
S. 142, noch von Posteis Projektion. Dagegen ist, wie ich mit Befriedigung feststelle, in der Aus-
gabe von Debes Handatlas von 1913 auf den speichontreuen Karten der Name „Postel" ver-
schu-unden. Gerade dieser Handatlas ist ein Muster der Gewissenhaftigkeit in der Angabe der den
Karten zugrunde liegenden Projektionen, wodurch sich neben anderm der hohe Grad der Wissen-
schaftlicldceit des Kartenwerkes dokumentiert.
Namen und Systeme der ProjcktioDeii. 137
(1794) von Aron Arrowbmith. der sie „globulare Frojektion" taufte, welchen Namen
sie heutigestags noch trägt.
Fast ganz versch\vunden ist endlich die Bezeichnung „Babinets homalo-
graphische" Projektion, die J. Babinet 1857 in seinem Atlas als etwas Neues inau-
gurierte. Diese Projektion war aber 1805 bereit-; von Molhveide gefiuiden worden,
und d'Avezac machte dementsprechend aufmerksam, als er durch Malte-Brun mit
den Arbeiten deutscher Gelehrter auf dem Gebiete der Projektion bekannt wurde.
Heute weiß jeder Kartenkiindige, was er unter „ Mollweidescher Projektion" zu ver-
stehen hat. Bei dieser Benennung fällt auch das wenig sagende Epitheton ..homalo-
graphisch"^ fort.
55. Lösung des kegelnetzproblems bei Mercator. Über dit- Namen zwt-ier Pro-
jektionen schwanken bisher die Ansichten noch, obwohl Fiorini und H.Wagner
den richtigen Weg zur Benennung schon gezeigt haben; es sind dies die Projektionen
von Delisle (de l'Isle) und von Bonne, deren Urheberschaft von fielen Seiten,
wie von Germain, Gretschel, d'Avezac, Tissot, Hammer, Breusing, N. Herz.
H. Hartl, A.Wangerin, J. Müller-Keinhard u.a. direkt dem Mercator zu-
gesprochen wird. Weder mit der ^Nlercatorkarte ist man sich im klaren noch mit den
andern von Mercator angewandten Projektionen. Es ist merkwürdig, wie sich da
einer immer auf den andern verläßt. Allerdings, wenn Tissot, Breusing und andere
Gelehrte durch ihren Namen eine Auffassung stützen, kann man sich allgemeinhin
darauf verlassen, daß aber auch sie irren, beweist gt-rade die Auffassung bezüglich der
Mercatometze.
Mercator hat keine Kegelprojektionen angewandt.- Diesen Ausspruch,
den ich schon vor Jahren getan, muß ich heute mehr als ehedem aufrecht erhalten.
Mehrmalige Berechnungen iler Mtrcatorischen Kartemietze machten mir zur Gewiß-
heit, daß er stets mit einem System konzentrischer Kreise arbeitete, wie er es durch
die Stab-Wemersche Herzprojektion kennen gelernt hatte. Dem Prinzip (Ueser
Projektion huldigte er öfters, so außer in seinen Atlanten^ auch auf Einzelkarten*,
vor allem auf der großen Karte von Euroi)a (im Maßstab 1:4360000, abgerundet),
die 15Ö4 in Duisburg erschien*; sie ist nur ein Ausschnitt aus einer Erdkarte in der
Stab-\\ernerschen Projektion >ind durchaus keine Kegelprojektion. Auch H. Heyer
bat die Übereinstimmung des Gradnetzes der Europakarte ^(>n 1554 mit der herz-
förmigen Projektion von Stab-Werner erkannt*, aber .-meiner Ansicht, „daß Mercator
die von ihm gewählte Projektion selbständig erfunden oder, richtiger gesagt, noch
einmal erfimden hat', kann man niciit beipflichten, da Mercator diese Projektion
' So genannt, weil die l'mjektion, dem j,'rieflusehen Wort o/iitxo,- ^ ivgrlniiiliig, gemaU.
die bei Entwurf der Kugelfläche in die Ebene unvermeidliche Venindenuig derFlachonauadehnimg regelt.
* Die Untersuchung über Mercator stützt sich in der Hauptsache auf .Materialien, die icli
ini „.Mu-seums-Vercin" zu Duisburg vorfand, sodann in der Uni\-er8itÄtsbihliothek zu .■Vinstcrdain.
Eine Anzahl Xetzo habe ich nachkonstruiert und nachgi-ivchnet.
' Wie in Mercator» Atlas (der 1595, ein Jahr nach Mercator- Tod. in Düsseldorf erRchicn)
die Karte von Afrika, in Merciitors Atla.s (der 160« bei .I.Hondius in .\instordani enicliien) Asien, in
.Mct\ators AÜaat minor (1608 lateinische. 1000 deutsche .\usgubc) Asien.
* Auf einem Er>ttlingswerk Mcrcators. auf der Weltkarte in hertfönniger Projektion von IM».
* Die Karte ist IS91 von der Ges. f. Enlkdc. zu BerUn in FaksimileLichtdnirk nach dem
Original in der Stadtbibliothek zti Breslau hcmusp-geben worden.
* Vgl. Kettlers Z. f. wi.««.. Geogr. VII. IS89,Ö0. S. :tM.
lyö '>"" KMrtfiiiU'tz.
schon 1538 auf der doppelherzförmigen Weltkarte angewendet hatte, und er siclier-
lich durch seinen Mathematiklehrer Eainer Gemma Frisius (1508—1555) in die
Lehren von Stab-Wtmei' eingeführt worden war. Vielleicht trat sie in Einzel-
karten viel häufiger auf als wir es heute noch nachzuweisen vermögen. Leider fallen
Einzelkarten viel schneller dem Vergessen und zuletzt auch der Vernichtung anheim
als Atlanten. Gilt dies schon von der Gegenwart, so in erhöhtem Maße für die ver-
gangenen Jahrhunderte.
Auf Mercators großer Europakarte sind die Parallelen abweitungs- oder
längentreu abgeteilt. Das war für die Kartographen schon damals keine Schwierig-
keit, da Tabellen über die Abnahme der Längengrade mit dem Cosinus der Breite
in A))ians Cosmographicus hber 1526 und bei andern existierten. Zuletzt konnte
man die Abweitungstreue auch auf dem Globus abzirkeln. Eine Folge der Konstnik-
tion ist, daß die Meridiane, die ihre Rechtschnittigkeit von der Mitte aus besonders
nach der Südwest- und Südostecke der Karte auffällig embüßen, gekrümmt erscheinen.'
Auch bei den andern Mercatornetzen liegt der Projektionspol für die Parallelen-
konstruktion im Nordpol, nur bei der Karte „Asia" im Atlas minor liegt der Pro-
jektionspol nicht ganz 10" über den Nordpol hinaus. Beinahe möchte dies als ein Ver-
sehen des Zeichners erscheinen, besonders wemi man die KaHe „Europa" in demselben
Atlas damit vergleicht, wo der Projektionspol der Parallelen genau der Nordpol ist,
wemi nicht vielleicht dieses Bedenken gewaltet hat, daß bei der Benutzung des Netzes
von Europa die gewaltigen Landmassen im Norden Asiens sehr zusammengedrückt
worden wären; und in den andern Ausgaben des Atlas minor tritt uns die gleiche
Konstruktion entgegen, mithin ist sie als beabsichtigt anzusehen. Von dem Mittel-
punkt des Kreisnetzes kann man Tangenten an die Meridiankurven legen, die etwa
den 50. Breitenparallel treffen. Das würde ganz dafür si)rechen, daß wir hier eine
unechte alnveitungs- und flächentreue Kegelprojektion, bzw. die Bonnesche Pro-
jektion vor uns haben. Bei Bonne jedoch ist der Berührungsparallel zwischen Kegel
und Kug(d ^'()n vornherein lierechnet, er steht in innigem Verhältnis zum Kugelradius
imd zur Entfernung zwischen ihm und Kegelspitze. Es ist anzunehmen, daß bei
Mercator, wie ich oben schon andeutete, ein rein praktischer Gesichtspunkt gewaltet
hat; die Parallelen wurden mehr gestreckt, um ein besseres Bild der Verteilung der
Ländermassen am nördlichen Polarkreis zu erhalten, deren seitliche Gebiete im
gleichen Kartenformat bei den Parallelkreisen mit Pohnittclpunkt eingebüßt hätten,
insofern sie außerhall> des Kartenrahmens gefallen wären. Mithin hat man mit dem
Kreismittelpunkt von etwa 98" Entfernung vom Äquator bei dem kleinen Maßstal)
der Karte, rund 1 : 70000000, ein leidliches Bild von der Verteilung der Landmassen
erhalten. Diesen Entwurf kami man wie den folgenden als eine verbesserte (zweite)
Ptolemäusprojektion ansehen. Die Ptolemäischen Projektionen zu verbessern, war
ja sein ernstes Streben, wie er selbst in der Praefatio zu seinem Ptolemäus des
Nähern ausführt.
Mercator war mit der Verlegmig des Zentralpunktes des Kreisnetzes über
den Nordpol hmaus in der Verlängerung des Mittelmeridians (durch Ptolemäus)
vertraut, wie sich noch an einer seiner andern Karten nachweisen läßt, die deshalb
auch als eine verbesserte (zweite) Ptolemäusprojektion angesprochen worden ist.^
1 Die Meridiane weichen hier 9-11" vom rechten Winkol ab. Man vgl. nur Blatt 11 der in
.4nm. 5 S. 137 bezeichneten Ausgabe.
2 H.Averdunk u. J. MüUer-Keinkard, a. a. O., ,S. 143.
Niimcii tiii.l Systeiiif .l.r Pioj.ktiuui u. 139
In Mercators Ausgabe des Ptolomäus befindet sich die bewußte Karte, die einen
Maßstab von rund 1:46600000 zeigt. iSie will die den Alten bekannte Welt ver-
anschaulichen. Das Netz der Karte sieht J. Müller-Reinhard als die Bonnesche
Projektion an. „falls er (Mercator) den Entwurf bewußt auf den Mittelparallel
bezogen hat". Der mittelste Breitenparallel der Karte ist der 20. Grad. Der Mittel-
punkt sämtlicher Parallelkreise liegt 174,5" vom Äquator entfernt, d. h. 84,5" über
den Nordpol hinaus auf dem verlängerten Mittelmeridian. Ein Meridiangrad selbst
mißt 2,425 mm, zehn Meridiangrade 24,25 mm.
Wie wir wissen, faßte Mercator bei der Anlage eines Kartenwerkes alles
W ichtigere ins Auge, wie Maßstab, Format des Kartenblattes, Karteninhalt. Seine
Stärke lag darin, all die kleinen Kartennetze und Kartenskizzen seiner Zeit, soweit
sie sich als brauchbar erwiesen, ins gi-oße umzusetzen. Außer der mathematischen
Durchdringung des Stoffes kam es ihm auf eine gute Konstruktion an. Zu seiner
verbesserten (zweiten) Ptolemäusprojektion scheint er auf rein konstruktivem Wege
gekommen zu sein.
Im folgenden glaube idi die Lösung zum Kegelnetzproblem bei Mercator ge-
fxmden zu haben. Die Karte erstreckt sich von 20" S bis 60" N, letzterer wird in der
Mitte etwas überschritten. Festhalten wollen wir zunächst, daß bei der trapezförmigen
Ptolemäuskarte oberster mid unterster Par;illel abweitungstreu unterteilt ist. Gemäß
der Stal)-Weinerschen Projektion werden bei Mercator um den Nordpol Kreise
gelegt, jedoch nur zwei, die durch den 20" S und durch den riO" N laufen. Ein Kreis
durch 60" N ist nicht mehr bestimmend für das Meridian- imd Gesamtkartenbild.
Die beiden Grenzparallelen 20" und 50" (der Hilfskonstruktion) werden wie bei der
trapezförmigen Karte abweitungstreu unterteilt und die entsprechenden Punkte
durch gerade Meridiane verbunden, die sich auf der Mittelmeridianverlängerung bei
etwa 174,5" schneiden.^ Um nun dem ptolemäischen Vorbild näher zu kommen als
es durch die Stab-Wernersche Projektion geschieht . hat Mercator den Mittelpiuikt
der Parallelen in den Schnittpunkt 174.5" verlegt und von da aus die Parallelkreis-
bögen gezogen, die alsdann abweitungstreu unterteilt wurden. Das war eine ebenso ein-
fache wie praktische Lösung des Problems, das er sich gestellt hatte. Nimmermehr ist
dabei an ein Kegelnetz zu denken; denn man kann weder die J^eziehung zum Krdradius
noch die zwischen abweit ungstreuem Berülirungsparallel und Kegelspitze nachweisen.
Diese Art Konstruktion hat Mercator schehibar nie wiederholt. Aber das
Prinzip der Konstruktion, das er geschaffen, kehrt wieder in den oben genannten
Karten des Atlas minor, ganz gleich ob die Karten von Mercator selbst oder seinen
Nachfolgern entworfen sind. Man änderte das Prinziji insofern etwas ab, als man
die beiden abweit ungstreuen Parallelen mehr nach dem Norden der Karte verschob,
was zur Folge hatte, daß die Meridiane der Hilfskonstruktion sich nicht allzuweil
vom Pol entfernen imd sich in der Meridianverläiigennig bei etwa 98" schneiden. -
Dieser Punkt wird nun Kreisnetzmittelpunkt und di(> um ilni geschlagenen Kreisbögen
weiter in der Stal)-Wernerschen Munier behandelt.
' belbstvcrstttiidlii h ist, daß sich je naili diT Wahl der U>idon abwitungntn-upii ranilloU-ii
diT Meridian«luiitti)unkt .stet-s ündem, di-in Nordjiol zu- oder von ihm abriirkon »iitl, jo nachdom
djp beiden Parallelen voneinander entfernt oder mehr naih dem Xoi-djxil 7.u verxohol)on sintl.
' Früher hatte ich den Schnittpunkt b«'i I0()° angenommen. Die Kleinheit der Karten und
die Papiervcrzerninf; lassen diese Annahme ent.'<eliuldincn. Ki>l auf konstruktivem Wege kommt
man zu einem beaäcni Ergebnis.
14(1 Dns Kaiteniietz.
Die von Mercator angewandte Projektion kann man sowohl als eine „ver-
besserte (zweite) Ptolemäusprojektion" wie als eine „abgeänderte Stab-\\orner-
sclie Projektion" auffassen. Ich gebe der letztern Bezeichnung den Vorzug. Als
selbständige Projektion ist sie mir nur noch einmal begegnet, und zwar bei H. Moll,
von dem als einem Projektionskonstrukteur ich gleichfalls viel hatte. In seinem Atlas
geographicus, London 1711—17141, finden wir zunächst die abgeänderte 8tab-
W'eniersche Projektion auf einer Karte von Europa, betitelt „A new map of Europa",
sodann auf der Karte von Eußland mid andern Karten. Soweit ich nachgemessen
habe, handelt es sich um die gleiche Projektionsart wie bei Mercator. Trotzdem
ist nicht ausgeschlossen, daß Moll die Kegelprojektion doch schon kannte; die eng-
lischen Quellen hierüber sind noch nicht erschlossen.
Nicht unberechtigt erscheint die Frage: warum hat Mercatoi- die abgeänderte
Stab-Wernersche Projektion ausschließlich auf Karten kleinen Maßstabes an-
gewandt? Doch sicherhch nur deshalb, weil für Karten großen Maßstabes seine
mechanischen Hilfsmittel versagten. War der Kreisnetzmittelpmikt im Nordpol,
konnte man schon zu großen Maßstäben greifen, Avie es Mercator auch getan hat,
nicht aber so leicht bei der Kegelprojektion, was wohl möglich gewesen wäre, wenn
man sie bereits erdacht und ihre mathematischen Gesetze gekannt hätte. Die
Kegelprojektion als solche kannte das 16. Jahrhundert nicht, sie und ihre Abarten
blieben dem 18. Jahrhundert vorbehalten.
Würde Mercator eine echte oder unechte Kegelprojektion im Sinn gehabt
haben, körmten wir sicher sein, daß er darüber auch ein Wort Aerloren hätte; denn
er spricht sich über die Netzkonstruktion seiner Karten an den verschiedensten Stellen
aus, in Büchern sowohl wie auf den Karten selbst. An einen Vergleich zwischen ihm
und Bonne ist nicht mehr zu denken. Ist der Schlußeffekt der Bonneschen und
Mercatoischen Projektion derselbe, so ist doch die Genesis beider eine wesentlich
verschiedene. Infolgedessen dürfen wir auch Gerhard Mercator vmd Rigobert
Bonne nicht mehr in einem Atemzug neimen, und den von mir seiner Zeit vor-
geschlagenen Namen ,,Mercator-Bonnescher Entwurf"^ muß man wieder fallen lassen
wie auch die Bezeichnung „Mercators flächentreu unecht konische Projektion.-^
Eine weitere Folge der Untersuchung über die Mercatometze ist, daß man auch
nicht von dem Gebrauche einer Kegelprojektion, wie sie J. N. Delisle zum ersten
Male auf dem Schnittkegel anwandte, sprechen darf. Für die Übereinstimmung mit
Delisle wird öfters die Mercatovsche Karte von Europa herangezogen.* Mercator
gab auf dieser Karte den intermediären Parallelen 40° mid 60" die ihnen zugehörigen
Abweitungen. Die ZAvischen den abweituugstreuen Breitenkreisen befindüchen
Parallelen sind etwas verkleinert und die südlich und nördlich darüber hinaus liegenden
' Atlas geogi-aphicus: or a compleat System o£ geograpliy, ancient and modern, tontaining
wliat is of mort use in Blaeu, Varenius, Cellarius, Cluverius, Baudrand, Biitus, Sanson
etc. with the discoveries improvements of the beet modern authors with 100 new maps by H. Moll
and many other cuts. 4 Bde. London 1711—1714.
* In dem von O. Krümmel und mir herausgegebenen Geographischen Praktikum befindet
sich noch die Bezeiclmimg „Mercator-Bonne scher Entwurf"; also die einfache Bezeichnung ,,Bonn(-
scher Entwurf" ist die richtigere.
' Tissot-Hammer: Die Xetzentwürfe geographischer Karten. Stuttgart 1887, S. 155.
* Es kann sich hier nur lun die Europakarte in dem ersten Mercatoratlas von 1595 handehi,
nicht nm die große Europakarte von 1554, wie es Gretsehel. auf Oermain u. a. gestützt, in seinem
Lehrbuch der Kartenprojektion, Weimar 187."!, S. 138 annimmt.
N'amcn und Syateme der Projektionen. 141
Parallelen dagegen vergrößert.^ Soweit scheint dio Sache mit Delisle übereinzu-
stimmen, aber bei genauerm Hinsehen merkt man, daß Breitenkreise und Längen-
kreise nicht rechtschnittig wie bei Delisle sind.* Die Rechtschnittigkeit gewann
Delisl'^ dadurch, daß er als Projektionsebene nicht mehr den Mantel des berührenden,
sondern des durch die Kugel gestoßenen Kegels (in zwei Zwischenparallelen) annahm.
Die Dolislesche Projektion ist mithin eine konische Projektion mit längentreuen
Meridianen oder kurzweg die Projektion mit dem durchstoßenen Kegel. Die Be-
zeichnung ,,Mercator-Delislesche Projektion" dürfte nun liald aus dem Wörterschatz
unserer Wissenschaft versehwinden.
Ganz das Gleiche, was von den Übersichtskarten gesagt ist, gilt auch von den
Länderkarten Mercators. Die Parallelen auf diesen Karten sind Teile von Kreisen,
die .sich konzentrisch um den Pol lagern. Auf den intermediären, d. h. den von Karten-
rand und Kartenmitte ziemlich gleichweit entfernten Breitenkreisen, sind die Ah-
weitungen abgetragen.' Es konnten infolge dieser vereinfachten Konstruktion die
Meridiane als Gerade gezogen werden, und man war der mühevollen Knr\enzeichnuug,
wie sie die Ötab-Wemersche Projektion mit sich brachte, enthoben. Eine weitere
Folge dieser Konstruktion ist, daß auch auf keiner der Karten Mercators mit der
vermeintlichen Kegelprojektion Eechtschnittigkeit der Meridiane imd Parallelen ge-
wahrt ist. Nur in der Mitte und in den nördlichen Teilen der Karte bringt die Kon-
struktion von selbst eine sinnfälhge ßochtselinittigkeit.
Die Konstruktion der letztern Xetze hat Anlaß zur Verwechselung mit dem
von H. Wagner als ,, vereinfachte Kegelprojektion" bezeichneten Entwurf gegeben.^
Der hauptsächlichste Unterschied ist, daß bei Mercator das Kreisnetz polständig
ist, hei Wagner aber infolge der Kegelmantelkonstruktion nicht. Von dem Be-
rührungsparallel aus werden in geeigneter Entfernung zwei Parallele ganz wie bei
Meicator abweitungstreu eingeteilt imd durch die entsprechenden Teilpimkte gerade
Meridiane gezogen, die sich jedoch nicht wie bei Jlercator in einem Punkte des
verlängerten Mittelmeridians treffen, sondern in verschiedenen Punkten den ver-
längerten Mittclmeridian berühren. So ergibt auch diese Untersuchung, daß es nicht
mehr angängig ist, von der „Kegelprojektion Mercators"* schlechthin oder der
' Die Bestimmung der Größe de» Mal3stabes der Karte ergibt rund einen Mnll.stal) von
1 : 14820000. Die Abweitungen betragen alsdann für zehn Grade auf dem 60. Parallel .17 mm, auf
dem 40. Parallel 58 mm; sie .stimmen mit der Karte Mercators ganz üliei-ein. Die Abweitiuig ant
dem .")0. Parallel beträgt 48, bei Mercator nur 47 mm, auf dem 70. Paiullel 26, bei Men-ator 27 mm.
auf dem 30. Parallel 65, bei Mercator nahezu 70 mm. Die Xachmessungen bestätigen mithin a>if
fiillig das oben im Haujittext zum Ausdrvick (Gebrachte.
= Übrigens hat si hon M. Fiorini den richtigen Siuhverhalt gekannt, (ierai.ln .Mcnatore
in BoU. Soc. Geogr. lul. 1890, S. ;)44. - Desgl. hat H.Wagner. Lehrbuih ,s. 224. Anm. 4!» darauf
lüngewie.sen, daß auf Mercators .\tlnskarten die Pamllelkreise nicht senkitilit von den Meridianen
geschnitten werden.
» Mercator macht bei den einzelnen wichtigern Karton die Parallelen der abweitungstnnien
Einteilung namhaft, indem er sich immer auf den Mittelmeridian der Karte bezieht, so Ix-i der Karte
Gallien 44" imd 4it» und bei Germanien gleichfalls mit der stoitsotyiien Wendung: Medius Mcridianus
34. reliqiü ad cum inclinautur pro lutione 4S. ot 5:). Parallelormu (in: Galliae Ubida«' gixigmphicae.
bzw. Galliae, Belgii inforioris et Germania«- tabulae, Dmsburg 1685). bei ItÄÜen 40° imd 44" und Ixi
(;riechenlaiid 38" imd 42" (in: lUlim-, Sclavoniftc, et Onu-<lae tabulae geographiciu». Duisburg 1580).
In den simtoin Atla-snuHgaben, denen die Einielkartenwerke ülx<r Gallien usw. IwigegeWn waivn.
verliert sich allmählich die besondere Angabe der abweitungstreu u;<-teiltin Parallelen.
' H. Wagnei: Ixjhrbuch. a. a. O.. S. 223. 224.
• II. Cirls. lul; U-hibu.b d.M Kartenpn.jekli..,,. Wc.nmi IH73. S. 137.
142 l^-i« Kai-tcniiptz.
,, vereinfachten Kegelprojektion" ^ desselben oder von „Mercators Kegelrumpf-
projektion'** zu sprechen. Höchstens könnte man hier einmal von oiner „pseudo-
konischon Projektion" ii'den.
."»((. Hichtliuii'U für die Hpueuniiii;> neiu'ri'r Projektionen. Im Hinblick auf das
gesehichtliclie Werden der Projektionen ist zu empfehlen, die (Jrenzscheide der rein
persönlichen Benennung von Entwürfen im 18. Jahrhundert eintreten zu lassen.
Bis dahin sind es ja nur einige markante Projektionen, die schon durch ihr Alter An-
spruch auf Verehrung und allgemeinere Kenntnis haben. Im wesentlichen handelt
es sich außer um die Ptolemäusprojektionen um die Entwürfe von Stab-Werner,
Apian, Mercator, Mercator-Sanson, Delisle und Bonne. Höchstens kann
man noch die einzigartige Projektion von Mollweide (1805) hierher zählen. All diese
Projektionen sind ohne weiteres verständlich und bedürfen l<einer erklärenden Bei-
wörter; so muß z. B. das Wesen der Bonneschen Projektion jedem (ieographen
auch ohne den Zusatz „unecht konische flächentreue" Projektion bewußt sein^, oder
das der Mercatorprojektion ohne die näher bestimmende Bezeichnung ,, Mercators
loxodromische Zylinderprojektion".'*
Mit Lambert setzt eine neue Bezeiehnungsweise ein, die noch i'ür die (iegen-
wart maßgebend ist; es wird der Name mit irgendeiner charakteristischen, am besten
mathematischen Eigenschaft der Projektion verbunden. So spricht man von Lam-
berts flächentreuer Azimutalprojektion, von Lamberts winkeltreuer Kegelprojektion,
von Lamberts flächentreuer Kegelprojektion und flächentreuer Zylinderprojektion.
Die sogenannte Projektion von Lagrange dürfte man in Zukunft auch besser nur
Lamberts winkeltreues Kreisnetz nennen. Eine Menge Beispiele dieser völlig
befriedigenden Bezeichnungsweise liefern die modernen projektionstheoretischen
Arbeiten. Auch für neuere und neueste Entwürfe kommt man sehr gut mit der ge-
wünschten Benennung der Projektionen aus, und wir reden am besten von ,, Neils
modifizierter Globularprojektion", von ,,Breusings vermittelnder Azimutalprojektion"
und der ihr ähnelnden „ausgleichenden Zenitalprojektion von Airy", des weitern
von ,, Hammers flächentreuer Erdkarte", von „Eckerts flächentreuer Kreisring-
(sinuslinigen) und Elüpsenprojektion"^, von ,,Behrmanns flächentreuem Zylinder-
entwurf", von ,,Grintens Kreisnetz" usw. Mit einigem guten Willen ist schon der
,, Zustand öffentlicher Unsicherheit, in der wir uns in dieser Beziehung noch immer
befinden", wie E. Hammer* sagt, zu beseitigen. Vor allem muß erstrebt werden, daß
1 Vgl. Fiorini: Geiaido Mercatore; in BolL Soc. Geogr. Ital. 1890, S. 344; ferner H. Wagners
Lehrbuch der Geographie, 1912, S. 223, 224.
^ Tissot-Hammer: Die iSIetzeiitwürfe geographischer Karten. Stuttgart 1887, S. 146.
' Diese lange Bezeichnung mokierte schon Herrn. Berghau», als er E. Hammers Buch
Über d. geogr. wichtigsten Kartenproj. in P. M. 1889 besprach (LB. S. 112).
'So nennt K. Peucker seine Erdkarte 1:93000000 in Steiiihiiuser.s Repetitionaatlas
Wien. s. a. Bl. I.
• In der Abhandlung über diese Projektion (P. M. 1906) steht auf der zugehörigen Taf. 8
abweitungsgleiche Polarongkoide, mit Zugrundelegung von oyxoi ^ Krümmung, Wulst, weil nach
den Polen zu aufgewulstet. Späterhin, im Geographischen Praktikum, ist nur von „Kreisringprojektion"
die Rede; W. Behrmann spricht in seiner Abhandlung „zur Kritik der flächentreuen Projektionen
der ganzen Erde und einer Halbkugel" (Sitzg.-Ber. d. K. bayr. Akad. d. Wiss., München 1909) von
,, Eckerts flächentreuer Tiupcz-", „flächentreuer Ellipsen-" und „flächentreuer Sinuslinienprojektion".
Damit ist wohl die einfachste und beste Bezeichnung gegeben.
« E. Hammer in G. .1. XX, 1897. S. 438. 4.30.
Nninpii und Systeme der l'rojoktioiien. ]43
die anfcewendeten Bezeichnungen eindeutig sind; iiicr ziehe ich gern mit H. Haack
an einem Seil.' Wie glückhch gewähU ist z. B. Hammers Bezeichnung „gegen-
:izimntale Projektion" für tlie von .1. L. Craig (Egy])tian Survey Departement. Map-
Projections, Cairo 1909) angewandte Projektion.'^ Craig selbst bezeichnet sie als
„Mecca retroazimutal projection"; .sie besteht darin, daß die Meridiane gleich-
abständige parallele Gerade und die Parallele krummlinig sind. ('. Schoy hat sich
eingehender mit den gegenazimutalen Karten beschäftigt.*
Ein Best von Projektionen verbleibt, dem jegliche persönliche Bezeichnung
fehlt. Teils sind dies uralte Projektionen, wie die stereographischen, orthographischen
und gnomonischen, teils auch neuere, wie verschiedene Zylinder-, Kegel- und azi-
mutale Projektionen. Die Bezeichnungen stereographische, gnomonische, ortho-
graphische usw. sind sämtUch mehr oder minder anfechtbar, doch hat man sich im
Laufe der Zeit so daran gewöhnt und sie sind so ,, konventionell" geworden, daß sehr
wohl das Eichtige darunter verstanden werden kann. Die stereographische Projektion
war im Altertum imter dem Namen „Planisphaerium" itekannt, imd erst der belgische
Mathematiker Aguillon oder Aguilonius (1566 — 1617) hatte sie 1613 „stereo-
graphisch" genannt. Die stereographischen Netze fallen heute unter die Gruppe der
„winkeltreuen" Netze. J. H. Lambert ist gegen den Ausdruck ,, stereographisch",
den er als eine Verlegenheitsbildung auffaßt.* Auch hebt er hervor, daß die stereo-
graphische Projektion von J. M. Hase als , .horizontale .stereographische Projektion"
eingeführt worden ist, imd zwar für den Fall, ,,wo das Auge in den Nadir des Mittel-
punkts des zu entwerfenden Landes gesetzt wird". Li neuerer Zeit haben sich
E. Hammer und K. Peucker gegen die Bezeichnung „stereographisch" aufgelehnt.
Ersterer spricht von „winkeltreuer azimutaler Projektion"*, letzterer von ,, Nadir-
projektion".® Diese Bezeichnung scheint wenig Aussicht auf Einbürgerung zu haben.
Hammers Vorschlag spiegelt sich auch in meiner Einteilung und Behandlimg der
Projektionen wieder.'
Die Bezeichnung ,, orthographisch" führt ims wohl ins Altertum zurück (Vitrnv),
doch ist sie erst von Aguillon gleichfalls 1613 in dem Sinne für die Kartenprojektion
angewandt worden, wie wir sie heute noch verstehen. Für orthographische (ortho-
gonal) sagt man am besten Parallelprojektion. Ausdrücke, wie ,.homalographisch'"
(s. S. 137), verlieren sich gottlob.**
Noch eine Gruppe von Projektionen bleibt zu erwähnen übrig, bei denen die
Nomenklatur falsch ist, d. h. die einzehien Bezeichnungen gar nicht zum Wesen des
' H. Haack in G. .J. XXIX, 190Ö/Ü7, .S. 354.
- E.Hammer: Gegenazimiitale Projektionen. P. M. 1910. 1. S. IS.'t — 155.
' C. Schoy: Azimutale und gcgenazimutalo Karten in gleichabsfcäudipen panülelen Meridiiuien.
Ann d. Hydr. u. Maritimen .Meteorologie. 191,3, S. 33-42. - Die gegenazimutale mittabstandstreue
Karte in konstruktiver und thootvtisiher Behandlung. Elwndu, !S. 466—473. — Die Mokka- «der
Qiblakarte. Gegonazimutale mittabstandstreue Projektion mit Mekka als Knrtoimiitto. Kartogr.
Z. VI. Wien 1917, S. 181-185. Mit Karte.
^ J. H. Lambert: Anmerkungen und Zusätze zur Entwerfung \«i\ Land- mid Himmels-
charten 1772. Hg. V. A. Wangerin in Ostwaids Kla-wiker der exakt. Wi»». Nr. .V4. U>ipiig 1894, S. 5.
' E. Hammer: über die geogr. wichtigsten Kartenprojektionen usw. Stuttgart 1880. S. 19.
« K. Peucker: Physiogiuphik. S.-A. aus Mitt. d. gcogr. Ges. Wien 1907, S. 714.
' ü. Krümmcl-Eckert, a. a. O.. S. 12.
» In der neuen von Otto Grat be>orgten Ausgabe von M. Grolls Kartenkunde (2 Riehen..
Berlin u. Leipzig 1921) ist nun endlieh die noch in der .\uflage von 1912 vorhandene lUveichnung
„homnlogmphischcn Pi-ojektion imch Mollweldr und Babinof vere. h«unden.
144 Hiis Kartennetz.
Entwurfs passen. E. Hammer hat in seinen Berichten einigemal auf solche Versehen
hingewiesen.! So ist mit der Bezeichnung „Äquidistante Meridianprojektion"^ gar
nichts gesagt, ebensowenig, werm es von J. C. Gygers Karte des Kantons Zürich
heißt, daß sie „in den kleinsten Teilen nicht äquivalent isf^; denn es ist dabei gar
keine Beziehung zu irgendeiner Abbildungsart aufgestellt. Falsch ist es, von der
Bonneschen Abbildung als einer „modifizierten Flamsteedschcn" zu sprechen, was
schon A. (tormain als eine „grosse absnrdite" gegeißelt hat.'' Es war von V. Haardt
von Hartenthurn nicht richtig, den Entwurf der neuen Übersichtskarte von Öster-
reich-Ungarn in 1 : 750000 als „polyedrische Projektion" nach Albers zu bezeichnen^;
er ist konisch flächentreu. A. Bludau spricht bald von „Azimut-", bald von „Azimutal-
projektion"®, wo lediglich die zweite, die adjektivische Form die richtige ist.
E. Hammer wendet sich gegen die Bezeichnung ,, einfache Kegelprojektion"
und schlägt „vermittelnde Projektion" vor, da ja jede Kegelprojektion einfach in
der Konstruktion sei.' Aber in vorliegendem Fall hat der Geograph nur eine ganz
bestimmte Projektion im Auge, die wahre Kegelprojektion mit längentreuen Meri-
dianen, wie sie immittelbar auf Ptplemäus zurückzuführen ist.^ Zuletzt kommt
es vor, daß eine Projektion weder durch einen Namen noch durch eine mathematische
Formel charakterisiert wird, wie wir es beispielsweise in Bartholomews Physical
Atlas ^ sehen. Zwei Karten darin zeigen die Mercatorprojektion, die andern eine
Art modifizierter Mercatorprojektion, die A. Supan irrtümlich auch als Mercator-
projektion angesehen hat.^o Wohl ist es eine zyUndrische Projektion mit wachsenden
Breiten, aber nicht im Sinne von Mercator. Der Text zu den Karten läßt nichts
über den Entwiuf verlauten. Es ist dasselbe Netz, das 0. Krümmel als ..willkürliche
Projektion" bezeichnet hat.^^
57. Die ncueu deutschen projektionstechnischen Bezeichnungen. Einen erfreu-
lichen Fortschritt in der Bezeichnung brachten die Bemühungen Breusings in der
Verdeutschung fremder, oft nichtssagender Benennungen in der Kartennetzlehre.
A. Breusing war nicht bloß ein luigemein praktischer, sondern auch ein sprach-
schöpferischer Kopf. Zunächst wandelte er die Bezeichnungen normal, transversal
(querachsig), schiefachsig. die auf Lambert und Tissot zurückgehen und logisch
' E. Hammer in G J XX, S 438, 4.39; XXIV, S. 32.
- S. Rüge in P. M. 1S96, LB. 356, gelegentlich der Besprechung von M. Fiorini: Sopra tre
special! projezioni meridiaue c i niappamondi ovale del secolo XVI. Mem. soc. geogr. Ital. Bd. V,
T. la, S. 165.
ä E. Brückner: Veränderungen der Erdoberfläche im Umkreis deH KaiilonK Züri(^h seit der
Mitte des 17. Jahrh. P. M. 1896, S. 233, Anm. 1.
* Vgl. E. Hammers Bericht in G. J. XX, S. 438.
^ V. Haardt v. Hartenthurn: Die militärisch wichtigsten Kartenwerke der europäischen
Staaten. Mitt. d. k. k. Mil.-geogr. Inst. 1898. XVIII. Wien 1899, S. 124. - Vgl. dazu H. Hartl:
Studien über flächentreue Kegelprojektionen. Ebenda 1895, S. 219.
" Auf den Karten zur Neubearbeitung des Sohr-Berghaus' Handatlas. Glogau I!t02fi.
l' E. Hammer in G. J. XXIV. S. 32.
ä H.Wagner, Lehrbuch a. a. O., S. 222. - Krümmel-Eckert, a. a. O., S. 18.
ä Bartholomews Physical Atlas. Bd. IV. Atlas of meteorology, prepared by -T G. Bartho-
lomew and A. J. Herbertson, and edited by Alex. Buchan. London 1899.
'» A. Supan in P. M. 1900, LB. 1, S. 2. Ref. über vorhergehenden Atlas (Anm. 9).
'1 O. Krümmel in P. M. 1900, LB. 479, S. 134. Ref. über Meteorological charts of the Sou-
lhern Orean.
NaniPu und Systome der Projektionen. 145
anfechtbar sincP, in pol-, äquator- und zwischenständig um.^ Breusing spricht nicht
von Projektionen, sondern von Gradnetzentwürfen. Meiner Meinung nach kann man
neben ,, Projektion" ebensogut von ,, Entwurf wie von ,,Netz" sprechen, indem
man stillschweigend den Ausdruck „Karten" vornwegsetzt. Nicht recht verständlich
ist, warum sich W. Jordan gegen den Ausdruck „Entwurf" wandte^, war er doch
selbst nicht peinlich Ijei der Wahl von Ausdrücken, die er solchen Dingen zu geben
pflegte.* Auch das Wort , .Kartennetz" dürfte nie zu Irrtümern führen. Da wir von
„Gradnetz. Fliißnetz, Wegenetz" sprechen, liegt aber durchaus kein Grund vor, nun
die gesamte Situation als „Netz" zu bezeichnen, wie es K. Oestreich auf einer
Übersichtsskizze der oro-hydrographischen Verhältnisse von Makedonien getan hat.^
R.Bourgeois und Ph. Furtwängler, überhaupt die Geodäten sprechen kurzweg
von „Abbildung."''
Weiter verdanken wir Breusing die heute ganz allgemein üblichen Ausdrücke
„flächentreu" für äquivalent, isomer (Lambert), authaüque (Tissot) und ,, winkel-
treu" für konform (Gauß), autogonal (Tissot), isogonal, orthomorph. Auch seine
Verdeutschmig für orthographisch oder orthogonal durch ,, reifentreu", für zenitalo
Projektion auf einen Meridian einfach durch „speichentreues Netz" läßt sich hören.
Für speichentreu haben wir durch W. Schjerning die bessere Bezeichnung ,,mitt-
abstandstreu" erhalten', da, wie er ausführt, , .äquivalent" zu viel sagend, , .azimutaler
Entwurf mit längentreuen Mittelpunktgroßkreisen" nach Hammer wohl korrekt,
aber zu schwerfällig, ,,Postelscher Entwurf" aus historisch-kritischen Gründen abzu-
lehnen, „speichentreu" nach Breusing nicht schlecht, aber doch mcht zu empfehlen
ist, weil man das Wort Eadius nicht überall mit Erfolg ersetzen kann.
Selbst gegen die Bezeichnung , .säulige (iradnetzent würfe" für Zyünderprojek-
tionen läßt sich nichts einwenden wie gegen , .höhentreu", wenn die Höhe der Säule
und ihre Teile genau der wirklichen Größe der Meridianbogen entspricht ; dagegen
dürfte sich der Ausdruck ,,geradwegig" (orthodromisch) für gnomoniscli nicht ein-
bürgern, da auch loxodromische Linien geradwegig sein können, und in andern Üm-
nennungen, wie „Stuhleck" für- Trapez, ,, Gleiseck" für Parallelogramm scheinen
Breusings puristische Bestrebungen zu weit gegangen zu sein. Doch ganz ablehnend
dürfen wir auch diesen und andern verdeutschenden Ausdrücken nicht gegenüber-
stehen, wir wissen niciit, oii dem Ohr einer spätem Zeit das besser klingt, was uns
heute noch nicht behagt. Für UrLUsings „mitteltreu" hat sich in neuerer Zeit,
'■ .Spraoldich und logisch gibts z. ß. keinen Unterschied zwi-sclion <iiii<iiulisin und «rliiof-
ac-bsig. Allenfalls könnte man da noch schrägachsig .sagen.
^ Vgl. A. Brensings geistvolle Schi-ift: Das Vorebncn. a. a. O.
' W. .loidan in '/.. f. Veiin.-W. 1898. Heft 23.
' y<i\. K. Hammer in G. .1. XXIV. I9((l/u2. S. .Tt.
■ .\iif Taf. 16 in G. Z. 1904. - Vgl. H. Haack in (J. .1 XXIX, 191X5/07. S. 3.%:..
• H. Bourgeois und Ph. Furtwängler: Kartographie. Enzyklopiidie der niatheui. Wiiw. VI,
S. 24."i -29«. (Al)gcschloHsen im .lanuar 1909.) Den Ausdruck „Abhildung" für Projektion niiK-htc
ich den G»mgrai>lu'ii weniger empfehlen. Crt-sctzt auch, daß das Wort „Projektion" in der Karto.
graphie nicht allein in dem in der pmjcktivcn Geometrie üblichen engern Sinn« gebinuihl »itvl,
seheint es doch opixjrtun zu s»-in, von der allgemeinen Bezeichnung „Abbildung" abzuHchen, da wir
unter kartographischer Abbildung auch das (•elitnde mit einbegivifen. Bei to|)ographiiu-heM Karlen
liilll man sieh die Bezeichnung „Abbildung" schon eher gefallen; da hat sie ihren guten Grund, auf
den ich noch zu sprechen komme. - M. Groll gebraucht in der Kartonkiindc (I. B«>rlin u. I/eipiig
1912) ehenfnlls die Bezeichnung ...Abbildung '.
' \V. S.hjerning: ('ber inillabst.in.l-iMMc K.irl.M.. Abh.d. (^i-ur. ( 'n^. Wien V. 19W (M. Ni. 4.
Ecken, KarlrDwIaHcDsrlian. I. "•*
146 I>:is Kaitiniiptz.
besonders durch die Bemülmngcn Hammers, die 1 rcf feiideic Bozoichnnng , .ver-
mittelnd" eingeführt. Vor allem jedoch dürfte der von den Seeleuten gebrauchte
und von Breusing empfohlene Ausdruck „Abweitung", worunter der im Linearmaß
gemessene Bogen eines Bi-eitenparallels zu verstehen ist, bald auch in den Sprach-
schatz des „binnenländischen" Geograplien und Kartographen eingedrungen sein
und so Allgemeingut im geographischen Sprachschatz werden.^ Außerdem muß man
mit dem Gebranch des Ausdrucks „längentreu" (vorzugsweise von Geodäten benutzt)
Bescheid wissen, we-nn auch die Bezeichnung ,, Länge" in einem andern Sinn als geo-
graphischer Terminus technicus gebraucht wird \ind daher auf geographischer Seite
leicht Mißverständnisse durch jenen veranlaßt werden können. Der Ausdruck ,. maß-
treu" dafür, wie ihn E. Debes vorschlägt, scheint mir nicht ungeeignet zu sein.
58. System der Projektionen von mathemutisehem Standitunkt aus. Bis jetzt
haben wir uns auf einem Boden bewegt, auf dem der Geograph vuid Mathematiker
einträchtig miteinander wandehi können, bei der Systematisierung der Pro-
jektionen scheint dies weniger der Fall zu sein. Wohlweislich werden sich beide
in diesem Punkt nicht befehden; jeder wird tunlichst seine eigenen Ziele befolgen,
weim der Mathematiker dem Geographen im einzelnen auch dann und wann den
richtigen Weg zeigt. Mathematisch lassen sich von den verschiedensten Gesichts-
punkten aus Systeme aufstellen, aber jedes -wird mehr oder weniger anfechtbar sein,
da man sich auch hier zu Konzessionen bequemen muß. Wie der Mathematiker das
Gerüst für ein System der Projektionen aufbaut, zeigen ))eispielsweise R. Bourgeois
und Ph. Furtwängler.-
Mit der Schwierigkeit des mathematischen Aufbaues eines Systems hatten die
alten Projektionstheoretiker fast ständig zu kämpfen. Darum stellen sie die ver-
schiedenen Projektionsgruppen oft wahllos nebeneinander oder schaffen nur ganz
allgemein gehaltene Oberabteilungen, in die alles Möghche hineingepfropft wird, wie
wü' es bei J. J. Littrow sehen, der die vielen Projektionen, die er in seiner Choro-
graphie von 1833 behandelt, vmter die drei Hauptabteilungen perspektivische Pro-
jektionen, Projektionen zu besondern Zwecken und allgemeine Projektionen bringt.
Selbst A. Tissot ist nicht streng systematisch vorgegangen, er behandelt die ver-
schiedenen Projektionsgruppen gleichfalls zwanglos nebeneinander, ohne vom Leichtern
zum Schwerem fortzuschreiten, oder von einer andern Idee als der, nur die Ver-
zerrmigen bei allen geograj^hisch möglichen Projektionen festzustellen, beseelt zu
sein. Hammers „geograjAisch wichtigsten Projektionen" sind schon weit syste-
matischer aufgebaut. Aber auch sie beweisen, daß es schwer oder kaum möglich
ist, die Projektionen in ein allseitig befriedigendes System hineinzuzwängen. Schon
die sogenaimten ,, konventionellen" Entwürfe verhalten sich widerspenstig. Von
' In O. Schlömilohs Handbuch der Mathematik, das R. Henke und R. Heyer neu heraus-
gegeben haben, hat letzterer den Abschnitt „Kartenentwürfe" bearbeitet, wobei er die Breusing-
schen Bezeichnungen weitgehendst anwendet. Auch ich habe sie teilweise in dem „Geogr. Praktikum"
übernommen. Im Handatlas von Debes sind sie durchgeführt. Statt Heyer, wie es in G. J. XXIX,
1906/07, S. 342 richtig heißt, wird auf S. 354 Heger geschrieben. J. Frischauf, S. 341, heißt auf
S. 352 J. Frühauf. Wie kaum anders zu erwarten, treten infolgedessen im allgemeinen Personal-
register des Bandes vier anstatt zwei Autoren auf. Dies sei nur nebenher erwähnt, um zu zeigen,
wie leicht bei der kartographischen Literatur Fehler übersehen werden, und den Argusaugen Haacks
entgeht gewiß selten ein Versehen!
" R.Bourgeois und Ph. Purtwängler: Kartographie, a. a. O., S. 24.')ff.
Namen iiud Systome dfr Projektionen. 147
der besondern Auffassung der „konischen" Entwürfe wollte Breusing nichts wissen.
— Lassen sich nicht die Zylinderprojektionen und die azimutalen als Grenzfälle der
Kegelprojoktionen auffassen und ebenso wieder die polständigen und äquatorständigen
Projektionen als Grenzfälle der Zwischenständigen! Jedes System wird immer etwas
Gewalttätiges an sich haben, aber dennoch ist ohne es nicht auszukommen, schon die
Eigenart der menschlichen Psyche, die Einzelvorstellung am besten in Eeihenform
zu apperzipieren, verlangt es. Auf welche Weise dies nun geschieht, kann gleich-
gültig sein, wenn das System nur gewünschten logischen und praktischen Forderungen
entspricht. Damit ist den Systemen auf geographischer Seite der Spielraum nicht
eingeengt. H. Wagner half sich bei der ßehandlimg der Projektionen in seinem
Lehrbuch der Geograpliie dadurch, daß er bestimmte Projektionsgruppen
in historische Eeihenfolge brachte und auch in jeder Einzelgruppe einen mehr
oder minder ausgeprägten historischen Faden hineinwob. Das ist für den Geographen
immer ein guter mid dankbarer Weg.
Die von Breusing geschaffenen Ausdrücke polständig, äquatorständig
und zwischenständig erfreuen sich noch nicht allgemeiner Beliebtheit, weder bei
den ]\Iathematikern noch Geographen; so verhalten sich E. Hammer und H. Wagner
ablehnend ihnen gegenüber. Wagner will dafür lieber normal (rechtachsig), schief-
achsig und transversal (querachsig). Polständig will er nur auf den Spezialfall be-
schränkt wissen, wo der Projektionspol im Nord- oder Südpol der Erde gelegen ist,
imd nicht, wie bei allen normalen Kegelprojektionen in der \-erlängerten Erdachse
über dem Nordpol.^ Wagner bringt den Einwurf gegen die Ausdrücke B)eiisings
bei der Behandlung der Kegelprojektionen und scheint dabei zu übersehen, daß
Breusing von Kegelprojektionen überhaupt nichts wissen will. Mit pol-, äquator-
und zwischenständig werden aber sehr gut die azimutalen Projektionslagen ver-
anschaulicht, denn bei ihnen steht oder ruht der Projektionspol und damit die Karten-
mitte entweder im Pole oder im Äquator, oder zwischen beiden. In den Bezeichnungen
Breusings haben wir unsers Erachtens nach anschaulichere Ausdrücke für die bereits
im IB. .Jahrhundert gebrauchten Ausdrücke: Polar-, Äquatorial- und Horizontal-
projektionen. Hammer aber will noch allgemeinere Ausdrücke, wie normal, trans-
versal und schiofachsig, um so eine gemeinschaftliche Bezeichniuig für die Lage der
konischen, zylindrischen mid azimutalen Entwürfe zu haben. Daß aber auch diese
Einteilung bzw. Bezeichniuig etwas Gezwungenes mid nicht allseitig Befriedigendes
an sich liat. fühlte Hammer selbst, und darum möchte er die normalen azimutalen
Abl)ildungen als Poiarprojcktion, besser „Äquatorialprojektion", die transversalen
azimutalen als Äquatorprojektion, besser ..^leridianprojektion" und die schiefachsigen
azimutalen als „Horizontalprojektion" bezeichnen. Mit der ..bessern" Benenninig
Hammers aber würde noch größerer Wirrwarr in die Lagebezeichnung der Pro-
jektionen hineingebracht als ohnehin schon vorhanden ist. Für die azimutnlon
I'rojektionen sollte man pol-, äquator- und zwischenst&ndig gelten lassen,
für die verschiedenen Lagen der kegeligen und zylindrischen Entwürfe al>er
(Ion Ausdrücken rechtaciisig, querachsig und schrügachsig (also einlieitlichen
deutschen Bozeiciiiuuigen) Bürgerreelit verschaffen. Notgedrungen lassen sieli recht -
achsig, queraehsig und sohrägachsig auf die LagiMi siimtlicher Karteniirojektiouen
anwenden, wenn man hecUMikt. daß die azimutalen und zylindrischen Kniwürfo mir
148 I^:>'< Kaitennetz.
als Grenzfiillf der mieniUichcn Iioilic dor kcRoligeii ;mzusolieii sind. Besi3er erscheinen
mir alsdann die von E. DcIks vorgeschlagenen Ausdrücke polachsig, äquatnr-
achsig und schiefachsig.
.")». Eintoiluii;; der Projektionen auf Grundlage der Liniensysteme. In dem
Suchen nach einem brauchbaren System hat man sich selbst auf mathematischer
Seite nach Mittebi umgesehen, die mehr äußerlicher Natur zu sein scheinen. Der be-
merkenswerteste Versuch nach dieser Richtung liegt in Littrows Chorographie vor.'
In dem zweiten Teil seines Werkes, wo er die Projektionen zu besondern Zwecken
analysiert, spricht er von Karten (seil. Projektion) mit parallelen Meridianen und
geradhnigen Parallelen, von Karten mit konvergierenden Meridianen und geradlinigen
Parallelen, von Karten mit konvergierenden Meridianen und kreisförmigen Parallelen
(Konstruktionen von Delisle, Senex, Vaugondy usw.), von Karten mit krummen
Meridianen und kreisförmigen Parellelen (Bonne) und schließhch von Karten mit
krummen Meridianen und geradlinigen Parallelen (Flamsteed [seil. Mercator-
Sanson]). Als besondere Gruppe behandelt er später noch die Karten mit elHptischen
Jleridianen und geradlinigen Parallelen (Mo 11 weide). Damit hatte Littrow einen
guten Anfang gemacht, aber als strenger Mathematiker kam er, wie seinerzeit
J.T.Mayer, der in seiner Anweisung zur Verzeichnung der Land-, See- und Himmels-
charten einen sehwachen Anfang nach dieser Richtung hin gemacht hatte, mit dieser
Gruppierung nicht aus und läßt für andere Gruppen den Erdradius, Winkel und
Flächenelemente maßgebend sein. Indessen ist es wohl mögUch, auf Grundlage der
Liniensysteme der Gradnet zentwttrfe zu einem System zu gelangen, wie der folgende
Versuch zeigt.
Für den Aufbau des Entwurfs sind im Grunde genommen imr wenige, haupt-
sächhch die einfachsten Linienelemente notwendig. Gerade Linien, Kreise und
Elhpsenbogen, seltener Areus-Sinus- und Arcus-Cosinuslinien, wie auch andere Kurven
bilden die einzelnen Elemente des Entwurfs. Während von den drei ersten Gruppen
schon jede für sich allein ein fertiges Netz aufzubauen vermag, körmen sinushnige
Bogen, Hyperbeln und Parabeln nie allein ein vollkommenes Netz für Erdkarten
hefern. Wie es in der Natur der Bauteile liegt, ergeben die geraden Linien einfachste
Netze, unter denen die quadratische oder äquidistante, höhentreue Plattkarte einer
rechteckigen Plattkarte, etwa auf den 45. Parallelkreis konstruiert, vorzuziehen ist.
Bevor die Mercatorkarte zur Seeherrschaft kam, war die rechtwinkhge Plattkarte
durchaus vorherrschend als Seekartenprojektion. Nur für äquatornahe Gegenden
wurde die quadratische Plattkarte gebraucht, wie heute noch in beschränktem Maße
für Länderkarten. ^ Ferner sei hier hervorgehoben, daß sich die Mercatorkarte,
bevor sie allgemein als Seekarte gebraucht wurde, schon für Erdkarten eingebürgert
hatte. Daß sie aber nicht bloß in der Form von Erdkarten möglich ist und gebraucht
wird, darüber soll der besondere Abschnitt über die Seekarte Aufschluß geben. Da
die Konstruktion der Mercatorkarte ab ovo schwierig ist, hatte man beizcnten Tabellen
für die wachsenden Breiten berechnet. Mit ihrer Hilfe ist die Zeichnung so leicht, daß
sie selbst der Ungeschulte und Nichtkartograph ohne jegliche Schwierigkeit ent-
1 J. J. Littrow, a. a. O., S. 81-111, 134-139.
^ Beschränkte äquatomahe Gebiete können stets in tlies-er Projektion ersc}ieinen, w wie
'.. B. bei der Darstellung von Deutsch-Neuguinea, den Karolinen, Marianen und Marshall-Inseln
„Großen Deutsclicn Kolonialatlas" (Blätter Nr. 26, 27, 28, 29) geschehen ist.
NHiiieii und S.vsU-uii- der l'roj.-kfiuiii-ii. 149
werfen kann, was gewiß audi ein Grund ist. daß die Mercatorkarte sich mit solcher
Hartnäckigkeit in Atlanten und andern Kartenwerken eingenistet hat. Mit Hilfe der
Tabelle, vorausgesetzt, daß man sie richtig zu handhaben weiß, lassen sich aber auch
andere geradlinige Netze, wie die flächentreuen Zylinderprojektionen von Lambert
und von Behrmann, die flächentreuen Trapezprojekt ionen von Collignou und von
mir ohne weiteres konstruieren. Das Bedürfnis nach Lamberts flächentreuer Zylinder-
projektion imd Collignons flächentrt'uem Trapeznetz ist erstorben, und lun- den
andern genannten geradlinigen, flächentreuen Netzen kami noch Bedeutung zu-
gemessen werden.^
Die stereographischen oder winkeltreuen Netze haben den Vorzug, in äquator-
und zwischenständiger Lage nur mit Kreisen und deren Teilen konstruiert zu werden.
Die Konstruktion mit Kreisen kann zuweilen leichter als die mit geraden Linien sein.
Die hierher gehörigen, schon dem Altertum bekannten Kartennetze hal)en sich gleich-
falls wegen der bequemen Zeichnung immer größerer BeUebtheit erfreut, mid der
äquatorständige stereographische Entwurf für die Erdhälften ist heute noch in At-
lanten zu sehen. Die Planiglobenzeichnung ist von ihm über drei Jahrhunderte be-
herrscht worden, 2 von der ebenfalls kreistreuen Globularzeichnung, obwohl schon
bei Nicolosi (um 1660) nachgewiesen, nur ein volles Säkulum^, und von deren Nell-
schen Modifikation'' nur einige .Jahrzehnte. Als Ansichten der gesamten Erde haben
sich die kreistreuen Karten nicht einzubürgern vermocht (s. § (is). Auch andere
kreistreue Netze haben sich nicht gehalten, wie die sogenannte zweite ,,Ptolemäus-
projektion". Abgesehen davon, daß die stereographischen Netze außer kreistreu
noch winkeltreu sind, sagt uns doch die starke Vergrößerimg der Netzmaschen
nach dem Kartenrand nicht recht zu, und man kami sich des Eindrucks nicht erwehren,
daß viele nur durch Kreisbogen dargestellte Projektionen etwas Manieriertes an sich
haben. Einigen von ihnen haften die Kinderjahre der kartographischen Entwicklung
zu offensichtlich an.
Das Manierierte der kreistreuen Netze wird durch die Projektion der Kreise
in Ellipsenform wesenthch gemildert; es ist, als ob die Ellipsenlinie zwischen
der ursprünglichen Geraden und der Kreislinie ausgleichen wolle. Hier melden
sich die flächentreuen Azimutalprojektionen von Lambert für die Hemisphären
imd Einzellandgebiete, in äquatorständiger Lage sowohl wie in zwischenständiger.
Bei der zwischenständigen orthographischen Proji'ktion bilden gleichfalls Parallelen
und Meridiane EUipsen. Die Abänderung der Lambertschen flächentreuen Pro-
' Wie trapezaitigc Netze für kleinere Gebiete vei-wciidet werden können, reigt die ..Oeo-
gi-aphischo Übersichtskarte des Atlas" von M. Blankenhorn (l*. M. Ergh. 90, 1888). Damit will
ich aber nicht sagen, dalJ ich den von Blankenhorn gewählten geradlinigen Entwurf als muster-
gültig lialt<'. Über die Anwendung von einfachen Trapetz-net zen dunh H i p pa rc h . O r t e I i us . H o m a u n
vgl. H. Wagner» Lehrbuch a. a. ().. S. 218, 211).
- Im 16. imd 17. Jahrh. ist diese Projektion auch vielfach zur üarstellung für ganz Amerika
und Afrika benutzt woixlen. so von Mercator und seinen Nachfolgern.
' Die Glübularprojektion, ein Mittelding zwisdien orthograplüscher und winkeltix-uer l'n>-
jektion, benutzte de hi Hire in äquatoi-ständiger Lage zu Sternkarten und A. Arrowsmith zu Welt
karten. Die englischen Atlai\ten zu seiner wie nach seiner Zeit zeigen sehr hiiufig die Enlnnsieliten
in Globularprojektion.
* Von E Debes kultiviert. Siehe in »1. Mitt. des Ver. f. Enlkde. /.u U-i|«r.ig IS82. Dcbe^
gibt liier Tabellen der Kivishalbmesser. Neil liatte 1852 die mich ihm l)cnaniUe .Modifikaüou dw
Globulariietzes angegeben.
150 I^»3 Kavteiinetz.
jektion für den Planiglob führte Hammer zu dem gefälligen, von einer Ellipse um-
rissenen Erdbild, während die Lambertsche flächentreue Azimutalprojektion der
gesamten Erde, in eine Kreisform gegossen, uns nicht gefällt. Auch die schwierigern
Kurven der mittabstandstreuen Projektionen, in transversaler oder schiefachsiger
Lage, sch-wächen das Manierierte der reinen Kreiskonstruktionen ab. t'ber ovale
Weltkarten vgl. -weiter § (59.
In der Mischung und Verquickung der verschiedenen Liniensysteme
var den Kartenprojektionen ein -weiter Spielraum gegeben. In allen Verquickungen
spielt die gerade Linie eine tonangebende Eolle, denn sie ist fast überall dabei und
verbindet sich mit Kreisen, Kreisbögen, Ellipsenbögen, Sinuslinien und zuletzt auch
mit Hyperbeln, Parabeln und ver-wickeltern Kurven. Auf diese Weise -wird eine reiche
Anzahl von Projektionen ermöglicht. Ganzkreise in Verbindung mit Geraden zeigen
alle pülständigen Projektionen, ganz gleich, ob sie winkeltreu, wie die stereographischen,
oder flächentreu, wie die azimutalen von Lambeit, oder mittabstandstreu, wie die
von Mercator, oder vermittelnd, wie die Neljsche Globularprojektion , oder gno-
monisch sind. Daran schließen sich die verschiedenen sternförmigen Projektionen
an^, sodann die konischen Entwürfe mit geradlinigen Meridianen.^ Unter den Erd-
karten mit geraden Linien und Kreisbögen kommt Kloß der alte Apianische Welt-
kartenentwurf in Betracht.
Seltener ist schon die Verquickung von geraden Linien mit Ellipsenbögen.
Unter dieser Gruppe sind nur die Mollweidesche Projektion und mein Ellipsen-
entwurf von Belang, weniger die äquatorständige orthographische Projektion. Nicht
viel häufiger ist die Verknüpfung von Geraden mit sinuslinigen Kurven, wie bei
der Mercator -Sansonschen Projektion und meiner Kreisringprojektion. Noch seltener
treten gerade Linien mit andern Kurven, wie mit Hyperbeln auf; so zeigt z. B. die
äquatorialständige gnomonische Projektion die Mittagskreise als gerade parallele
Linien, während die Parallelkreise sich als Hyperbeln projizieren. Bei der zwischen-
ständigen gnomonischen Projektion werden die Meridiane als Gerade projiziert, der
40. Breitenparallel, wenn angenommen wird, daß cp = 50", als Parabel; die südhch
davon liegenden Breitenparallele bilden Hyperbeln und die nördhch davon gelegenen
ElHpsen. Kreise und ElHpsen verknüpfen sich in Airys Projection by Balance of
Errors.^ Kreise und höhere (herzförmige) Kurven setzen den Bonneschen Ent-
wurf, die Stab-Wemersche Herzprojektion und andere zusammen. — Wir sehen,
eine reiche Anzahl von Verquickungen der verschiedensten Linienelemente sind mög-
hch; aber immer gehören gewisse Grappen zusammen, so daß sich auch nach
Gesichtspunkt ein Einteilungsprinzip der Projektionen finden läßt.*
' Die steinföi-migen Projektionen sind ein Ganzes von dei- Mitte bis zum Äquator, wo sich
die Sternzacken alsdann ansetzen. Dabei erleiden die Meridiane eine Brechung. Die sog. erste
Projektion des Ptolemäus zeigt auch eine Brechung der Meridiane am Äquator, weshalb man
sie als eine Vorläuferin der Stemprojektionen ansieht. Vgl. Herz: Die Landkartenprojektionen.
Wien 1894, S. 94; desgl. Tissot-Hammer: Die Netzentwürfe geographischer Karten. Stuttgart
1887, S. 190.
* Von der Schwierigkeit der Einzeiclmung flacher Kreisbögen und andern Konstmktions-
schwierigkeiten sehe ich bei dieser mehr allgemeinen Betrachtung ganz ab.
" Die Projektion hat für den Geographen wenig Wert. Vgl. die Entwicklung dieses Netzes
in U. Gretsehels Lehrbuch der Kartenprojektion. Weimar 187:5, S. 247ff.
^ Ein anderer, allerdings sehr einseitiger Versuch liegt vor in dem Gyninasialprogranim von
IJock: i?ber verschiedene Konstruktionen zur Übcrtragmig von l'^iguren von einer gegebenen Ober-
Niiiiiun und Systeme der Projekt ioueu. 151
(tO. System der Projektionen vom geographischen Standpunlit aus. Wenn vun
geographischer Seite aus eiri System der Projektionen angestrebt wird, kann auch
da die mathematische Basis nicht verlassen werden. Nur die Formel soll nicht aus-
schlaggel)end sein. Hinwiederum muß man sich vor Äußerlichkeiten hüten. Die Ein-
teilung soll klar und übersichthch sem, bei der sich auch mathematisch weniger Be-
gabte etwas denken und vorstellen können. Zu den ersten Versuchen dieser Art gehört
die Eiuteilmig von Saija und Marinelli. Dem Urteil E. Hammers über diese
Arbeit schließe ich mich an.i Das Gute, was sie bringt, ist nicht neu, imd das Neue
ist nicht gut. Praktisch und einfach hat Charles Duchesne die Projektionen zu-
zusammengefaßt, um sie dem Verständnis der Schüler höherer Schulen nahe zu bringen.
Er geht von dem gesunden Prinzip aus, ledigUch in die Kartennetze einzuführen, die
in den verbreitesten Lehrbüchern und Atlanten am meisten gebraucht werden. Dabei
spricht er von Projektionszonen oder Kugelflächenstücken (fuseaux) und unter-
scheidet zunächst Projektionszonen bzw. -flächen, deren Abgrenzmig durch gerade
Linien erfolgt, sodann von Projektionsflächen in Sektorenform und zuletzt von solchen
in Eosettenform. Im ganzen werden elf Projektionen behandelt. ^ Damit mag dem
Geographieunterricht auf Mittel- und hohem Schulen gedient sein, nicht aber dem
Hochschulunterricht, der seine Ziele höher steckt.
Wird bei der Systematisierang auf das historische Moment verzichtet, so wird
die Sache schwieriger und bietet der Kritik schon größere Angriffsflächen dar. Für
Geographen brauchbar und völhg ausreichend ist folgender Entwurf zu einem System
der geographisch wichtigsten Projektionen. Dabei sehe ich von den Projektionen
der Landesaufnahmen ab, die eine besondere Erörterung erheischen. Die Gradnetz-
entwürfe lassen sich, insbesondere wenn man den Wert einer guten Veranschaulichung
für noch nicht Eingeweihte im Auge hat, ganz allgemein in Entwürfe teileii, die
direkt auf die Berührungsebene projiziert werden, also keinen Hilfskörper bei der
Projektion notwendig haben, und in solche, die nicht direkt auf die Ebene projiziert
werden, die gewissermaßen von der Erdkugel erst auf einen andern Körper über-
tragen werden, um von hier aus erst die weitere Umwandlung auf die Ebene zu er-
fahren.' In die erste große Gruppe gehören die Azimutalprojektionen, und zwar in
fläche auf eine andere (Lyck 1884). Vorderhand wiixl liier an dem Prinzip festgehalten, daU das System
von Meridianen und Parallclkreisen der Erdkugel entweder durili ein Doppelsystem von Kit-isen
oder durch ein System von geraden Linien wiederzugeben ist.
> Nach E. Hammer in G. J. XXIV, 1901/02, S. 14 sei die Einteilung mitgeteilt. A. C«v-
metrische, B. Pseudogeometrische und C. Konventionelle Projektionen. Nur Gruppe A zerfällt in
Unterabteilungen, und zwar in folgende sieben: I. Perspektivische Abbildungen: rcntrograpliisch,
«Midographisch, stereograpliisch, szonognvplvisch, orthographisch; dabei wird jedesmal Äquatorial-.
Meridian- und Horizontal projcktion unterschieden; II. Projektionen durch Schnitte; III. Proj. durch
Umklappung; IV. Polyetlri.iche Proj.; V. Proj. durch Abwicklmig (zylindrisch und konisch); M. Natür-
liche Proj.; VII. Polykonische Projektionen
* Ch. Duchesne: L'enseignement des projivtions cartogmphiques. Lilttich 1907. - Kr
gruppiert: I. Fuseaux align^ea: 1. Mercator, 2. Flamsteed- Sanson, 3. Babinot Mollweide;
II. Fuseaux en sectcur: 4. B()nne, 5. Welch, (i. Delisle (Duchesne schreibt durchweg falsih
ile risles); IM. Fuseaux cii wsace: 7. Postel, S. Lambert, 9 steirographisohe Pn>j.. 10. Breusing.
II. orthographische Pmj. — Vgl. H. Haack in G. ,1. XXXIII. 1010, S. 148.
' Breusing (Das Verebnon der K\igeloberfliichc, S. M) hält das Einfuhren eines HilfskoriM-rs.
wie Walze oder Kegel, für unnötig. Für »eine Zwecke, liatte er (UhIi Stn-Ieuto in den nautiüchen
Kenntnissen auszubilden, moilite diese Ansicht richtig »ein, aber damit konnnen wir in uusenu H<hIi
^ihulunteiTicht nicht aus.
J52 ""^ Kiutemietz.
ihrer pol-, äquator- und zwischenständigen Lage. Die zweite Gruppe füllen die
Kegel-, Zylinder und Kreisriugprojektionen aus, deren jede Abteilung wieder durch
echte und unechte Projektionen vertreten ist.^
Über die von mir befolgte Einteilung ist man, soweit ich die Literatur kenne,
nicht hinausgekommen; gern würde ich dem Bessern den Vortritt geben. M. Groll
und J.Y.Eriksson haben sich im wesenthchen an meine Einteilung gehalten. Der
erstere spricht in der bekannten Kartenkunde von den Abbildungen auf die Berührungs-
ebene oder azimutale Projektionen und von den Abbildungen auf den Kegel- und
Zylindermantel. Von hier ab wird er selbständiger und behandelt als besondere
Gruppen die aus den vorerwähnten Entwürfen graphisch abgeleiteten Projektionen
und solche, die sich ledighch auf mathematischem Wege ableiten lassen. Was lieiUl
grajihisch abgeleitet, das ist ein Begriff, der gerade bei den Projektionen sehr dehnbar
ist ; unter Umständen kann er auch nichtssagend sein.^ Ebenso anfechtbar ist die
Bezeichnung der Gruppe von Kartennetzen, die sich ledighch auf mathematischem
Wege ableiten lassen, also ohne Hilfskörper. Darunter fallen nach ihm auch meine
Kreisringprojektionen oder Polarongkoide.^' An Klarheit, Einfachheit und Brauch-
barkeit wird die Grollsche Einteilung von der Gruppierung durch J.V.Eriksson
übertroffen. Die zwei Untergruppen des zweiten und dritten Hauptteils meiner Auf-
stellung, also die echten und unechten Projektionen, erhebt er zu den beiden Haupt-
gruppen seines Systems. Innerhalb jeder Hauptgruppe unterscheidet er azimutale,
konische imd zylindrische Projektionen, die ich als Hauptgruppen aufgestellt habe.
Somit hat Eriksson eine Umgruppierung vorgenommen und dadurch jeder bedeuten-
dem Projektion, die man jetzt kennt und nennt, ein Obdach gegeben*, wobei allein
die Einteilung der Azimutalprojektionen in echte und unechte eine strittige ist.
^ Nach diesem Systematisiei-ungsprinzip sind die Projektionen im „Geographischen Praktikum "
von Krümmel-Eckert behandelt, S. 5-23.
- Zuletzt ist jede wichtigere Projektion in Atlaskarten graphisch abgeleitet, wenn man z. B.
wie Groll sagen vdl], daß aus der einfachen (Berührmigs-) Kegelprojektion die Bonnesche oder die
:nittabstandstreue und flächentreue herzförmige Stab- Werner sehe Projektion oder die amerika-
nische polykonische Projektion mit längentreuem Mittelmeridian und längentreuen Parallelen graphisch
abgeleitet sind. Daß aus der quadratischen Plattkarte die Mercator-Sansonsche Projektion
graphisch abgeleitet wird, erscheint mir gesucht.
•'• Hätte sich Groll ein wenig mehr in meine Arbeit (P. M. 1906. oder Geogr. Praktikum 1908)
vertiett, oder in deren Auszüge bei H. Haack (G. J. XXXITI, 1910, S. 163ff.), bei A. Bludau
(Zöppritz-Bludau. I. 1912, S. 201ff.), würde er kaum den Kreisring (die Wulöt) als Hilfskörper
übersehen haben. Auch Eriksson vergißt nicht, den Kreisring als Projektionskörper bei meinen
Projektionen hervorzuheben.
* J.V.Eriksson: Om Kartprojektioner. Uppsala 1916. I. Hauptgruppe: Echte Pro-
jektionen: A. Azimutale Proj. 1. orthograph., 2. stereograph., 3. gnomonische und 4. externe
Proj. B. Konische Ptoj. 1. echte konische, 2. Schnittkegel-, 3. polykonische imd 4. Polyederproj.
C. Zylindrische Proj. 1. echte Zylinderproj. 11. Hauptgruppe: Unechte Projektionen.
A. -\zimutale Proj. 1. mittabstandstreue Azimutalproj., 2 Lamberts flächentreue Azimutalproj.
und 3. Globularproj. B. Konische Proj. 1. längentreue (speichentreue) konische, f lachen treu kon.,
3. winkeltrcu kon., 4. Bonnesche und 5. Stab- Wernersche Proj. C. Zylindrische Proj. 1. quadra-
tische Plattkarte (nebst Cassini-Soldnerproj.), 2. rechteckige Plattkarte, 3. Lamberts flächentreue
Zylinderproj., 4. flächentreue rechtschnittige Zylinderproj. (Bchrmann), 5. winkeltreue Zylinder-
proj. (Mercatorproj.), 6. Sanson-Flamsteed sehe Proj., 7. Mollweides Proj., 8. Hammers flächen-
treue Erdkarte, 9. Kroisproj. (van den Grinten) und 10, Eckerts Polarongkoide.
AllgeiufiiK n? gi'Of,'i-:i|pliisclie Aiifonli-rungeii an flif Kailemn-tzc. lOIJ
1>. Die BniUfhb.irkcit der Pi-qjektioneii liii- clKtrograjjliisrlK' Kart.ii.
I. Allgemeinere geographische Anforderungen an die Kartennetze.
(il. Der Kampf znisi-heii fläfhenlreuer und winkellmier Projekliou. Mit dir
l*'i)ick'ruiig an die Karte, ein möglichst genaues topographisches Bild des ahzubilden-
den Gebietes zu liefern, sind wir in eine Ära der Kartographie eingetreten, die seit
Anfang des 19. Jahrhunderts den neuem Forschungen über die Projektionslehre das
Gepräge gegeben hat. Bis dahin wurden in der Eegel allein die Bilder der Meridiane
und Parallelkreise untersucht und ihre Abbildung auf die Ebene gelehrt. Eigentlich
werden nur Punkte der Kugeloberfläche oder des Sphäroids abgebildet und aus den
Abbildungsformeln selbst noch Eigenschaften des Bildes abgeleitet. Hierher gehören
die Bemühungen der Begründer einer wissenschaftlichen Projektionslehre, wie die
von Lagrange und Lambert. Wenn jedoch .J. Frischauf sagt, daß den modernen
Anforderungen an eine Karte die Beschränkung auf Bilder der Pimkte nicht mehr
genügt^, kann ihm der Geograph nicht liedingungslos folgen. Frischauts Darlegungen
treffen für die Entwicklung der topographischen Karte zu, nicht aber für die choro-
graphi.schen Karten, die sicheriich noch lange von den Theorien eines Lamberts.
Tissots u. a. zehren werden, was ja natürlich ist, da es diese Karten mit den Bildern
von Meridianen und Parallelkreisen zu tun haben, und das wird solange der Fall sein,
als es noch Handatlanten und Schulkarten geben wird. Mit andern Worten: die
Geographen haben es in der Hauptsache mit chorographischen Karten zu tun und
die Projektionslehre für diese Karte hat auch seit Lambert Fortschritte zu ver-
zeichnen und sich merklich entwickelt, wenngleich nicht in dem schnellen Tempo
Avie die der topographischen, was auch wiederum einleuchtend ist, da letztere bis zum
18. Jahrhundert eigentlich keine Entwicklung hatten.
Als dem Geograjjhen das Gewissen für die Projektion seiner Karten geschärft
war, wurde die Frage aufgerollt: Sind die winkeltreuen oder die flächentreuen Pro-
jektionen von größerm Nutzen? Die Frage ist im allgemeinen zugiuisten der flächen-
treuen Entwürfe entschieden worden. Wohl sagt noch Hammer: ,,l)it' Ansicht dar-
über, welche von beiden Anforderungen an geogiaphische Karten gestellt worden soll,
schwankten luid schwanken: eine allgemein gültige Autwort ist nicht zu geben. Fin-
viele Zwecke der Geographie sind Winkelverzerrimgen ziemlich gleichgültig, es handelt
sich nur um Vergleichung von Flächenräumen; die Flächentreue ist für die (iwgrui)hie
meist die wichtigere Eigenschaft".'' Nun, wir glauben, nach der heutigen Ansicht
der geographischen Wissenschaft hinsichtlich der Kartenprojektionen steht die .\nt-
wort jetzt f( st : Im allgemeinen sind die flächentreuen Entwürfe für ileii
G(ogra[iliiii die wichtigsten. Ob sie azimutal sind oder nicht, das ist vorderhan«!
gleichgültig. Wir finden auch die entgegengesetzte Anschauung vertreten, nach d.r
nur winkeltreue Projektionen als einzig brauchbare für den tieograi>hen hingestellt
werden.' Daneben gibt's noch eine dritte, lediglich von <len Erfalmnigen «ler Praxis
diktierte Anschauimg. die <ias Schwergewicht weder auf die Winkeltreue n(H-h auf
' J. FriBtliaiif: Bcitrnne. a. a. O.. S. TV iiiul V.
- E. Haninier: Über die gconraphiscli wichtipiten Pnijrktiiiiien. iStiittpnrt l«89, S. lt.
=> Vgl. VVittsteins und AupuHl» AnMicIiton in HnninierTissot: Die Nctr.cntwürip rco.
grapliiHrher Knrloii. .Stuttgart 1887. S. VII.
154 I'HS Knrti.nnrtz.
iliü Flächentreue legt, sondern lediglich die figürliche Ähnlichkeit zwischen Natur-
luul Kartenbild im Auge hat. Mit dieser Ansicht von E. Debes werden wir uns noch
eingehender zu beschäftigen haben.
Auf besondere Fälle allein verweist der Gebrauch der winkcUrcuen Netze, die
wohl vom mathematischen Standpunkt, nicht aber vom geographischen aus die inter-
essantesten Projektionen Hefern, fernerhin der Gebrauch von mittabstandstreuen
oder speicheutreuen und vermittelnden Entwürfen. Winkeltreue (Konformität) und
Flächentreue (Äquivalenz) stehen, wie Hammer sagt, einander innerhalb emer Gruppe
von Abbildungen diametral gegenüber, oder mit andern Worten: beide Eigenschaften
stehen in unversöhnlichem Kampf miteinander, die eine Eigenschaft schließt die
andere aus. Nur auf Plankarten ganz großen Maßstabes, die als vollkommenste Ab-
bilder der Erde gelten können, sind Flächentreue und Winkeltreue vereinbar; aber
mit solchen Karten haben wir es augenblicklich hier, wo wir Hand- und Atlaskarten
der Kritik unterziehen, nicht zu tun.
In gegebenen Fällen läßt sich Flächentreue wohl mit einer gewissen Abart
von Mittabstand streue vereinen; (Ue Azimutalität ist alsdann ausgeschlossen,
und der Projektionsmittelpunkt ist nicht mehr Kartenliildmittelpunkt. Ein erstes
derartig komponiertes Netz, wenn auch dessen Flächentreue seinem Erfinder noch
nicht bewußt war, ist der zweite der Entwürfe, den Werner 1514 in der Übersetzung
und Erklärung des ersten Buches des Ptolemäus vorgeschlagen hat, von Stabius aber
herrührt und als Stab- Werner sehe Projektion (Herzprojektion) bekaimt ist. Auf
Grundlage dieses Netzentwurfes sind noch weitere Abänderungen, wie Projektionen
in Blätterform^, möghch.
62. Die Flächentreuo und ihre geographische Bedeutung. Neben den Entdeckungs-
reisen waren es vorzugsweise die erwachenden staathchen Aufnahmen und die Aus-
bildung des staathchen Bewußtseins vom Werte des Bodens, die zur Wertschätzung
der genauen Flächen hinführten und des weitem zur Berücksichtigung der flächen-
treuen Entwürfe. Noch mehr aber drängt die neue wirtschaftsgeographische Eich-
timg der modernen Erdkunde auf flächentreue Entwürfe hin (s. § 71).
Die Flächentreue ist, wie wir aus der Stab-Wernerschen kordialen Projektion
sehen, für Atlaskarten schon eine alte Ernmgenschaft. Hauptsächlich wurde sie
jedoch durch die Mercator-Sansonsche und die Bonnesche Projektion gepflegt.
Nun darf man bei den altern flächentreuen Projektionen nicht übersehen, daß sie
nicht mit der Absicht, ein flächentreues Bild zu geben, erfunden worden sind. Die
Flächentreue ist später erst nachgewiesen worden, msbesondere in projektionskritischen
Arbeiten, wie sie in v. Zachs Monathcher Correspondenz enthalten sind. So
gebührt die Entdeckung der Flächentreue bei der Bonneschen Projektion H. C.
Albers^; sie wurde zum ersten Male wissenschaftlich ausfülirlicher durch C. B. Moll-
weide behandelt. 3 Der Anstoß zur Bevorzugung der flächentreuen Entwürfe geht
■ Vgl. W. Silijeining: Über niittalistamlstreue Karten. In dcM Abhandlungen di-r Oogi.
Ges. zu Wien. V. Bd. 1904, S. 29ff. Taf. ItJ (Taf. 1 und 11 bringen andere Kombinationen
auf oben angegebener Grundlage.)
2 H. C. Albers: Über Murdocbs drey KcgeliM-ojeetii.nen. v. Zaelis Mimall. Curros].. XI.
1805, S. 111.
» C. B. Mollwcidc: H.-weis. daß di(^ HnnneselicKntwiuls.nl die LiindiT iinciii KlüilicMinlinltc
Muf der Kugeluberfläclic gcmäli darstellt, v. Zaehs Monatl. ('(UTcsp. Mll. 1800, S. 144 \ry>.
Allgeuieiiici')' gfijgiMplübche Aiifurdi-ningeii an die K.irU-uoetze. 155
auf K. Zöppritz zurück, in dessen Leitfaden der Kartenentwurfslehre . Leipzig;
1884, die Flächentreue als wichtigste Eigenschaft der Karten im allgemeinen bezeichnet
wurde. Bei dorn Ansehen, das Zöppritz sowohl bei den Geographen wie bei den
Mathematikern genoß, wurde die Flächentreue bald zum allgemein anerkannten
Axiom, und seitdem wurde sie in geographischen und kartographischen Lehrbüchern
zum ^-clilagwort, so ähnlich, wie das von den ,, leicht vergleichl)aren Jlaßstäben", das
wie E. Debes meint, gar nicht den Wert und die Bedeutung hat, die ihm zugeschrieben
werden. JedenfaUs ist Zöppritz zu der Wertschätzung der flächentreuen Entwürfe
durch seine Wahrnehmung gekommen, daß in den Kartenwerken seinerzeit haupt-
sächlich Sanson und Mercator vertreten waren. Daneben war sicher eine andere
Ursache noch maßgebend. Zöppritz war ein großer Freund von Flächenberechnungen
imd andern zahlenmäßigen Feststellungen und Untersuchungen; und da mußte ihm
die Flächentreue der Karte eine eiwünschte und zweckmäßige Eigenschaft der Pro-
jektion geographischer Karten erscheinen. Wenn schon einmal die Geographii'
eine messende Wissenschaft ist, geben gerade dieser messenden Wissenschaft die
Karten die wichtigste und sicherste Unterlage. Flächentreue und nicht flächentreue
Karten können zum Messen gebraucht werden, während al)er die letztem allerlei
Umstände und Eechnungen bedingen und zuletzt die Richtigkeit des Ergebnisses
immer noch fraglich erscheinen lassen, haben die erstem, .sofern sie zuverlässig ent-
worfen und gezeichnet sind, nicht mit diesen Schwierigkeiten zu rechnen und hefern
weit zuverlässigere Resultate, ganz gleich, mit welchen Mitteln, ob mit Planimeter
oder elementaren mathematischen Methoden, und welcher Art, ob Linien-, Areal-
und Volumenmessung, und in welchem Umfang die Messungen betrieben werden.'
Darin hegt, was nicht weiter zu beweisen notwendig ist, ein geographisch wissenschaft-
licher Vorzug der flächentreuen gegenüber den winkeltreuen, mittabstandstreueu und
vermittelnden Projektionen.
Damit soll jedoch nicht über die nicht flächentreuen Entwürfe der Stab ge-
brochen sein. Umstände erheischen es, auch in der Geographie andere als flächentreue
Netze zu gebrauchen; und weim Hammer gegen J. G. Bartholomews Karte
„Eoute to India" eifert, weil sie in Mercatorprojcktion entworfen ist und nicht in einer
viel geeignetem, wie in vermittelnder schiefachsiger zyhndrischer Projektion, so
kann dem nur voll und ganz zugestimmt werden, ebenso auch seiner Behauptung
für vorliegenden Fall, ,,daß das Studium der Verzerrungsverhältnisse in allererster
Linie die Frojektionswahl bestimmen muß".* Nicht aber ist, das mag mit ganz
besonderer Schärfe betont werden, das mathematisch beste Netz stets das
geographisch beste. Damit stellen wir uns in bewußten, noch weiterhin zu be-
weisenden Gegensatz zu dem jetzt herrschenden imd angebeteten Dogma : die mathe-
matisch bestentwickelte Projektion ist auch für geographische Zwecke die beste
Projektion.
«3. IMe flächen- und winkellrpueu Kurtennetze in ihrer Werlsthülzun;; bei dem
Kurtenpraktiker. Es ist mehr als recht und billig, auch einen Karlenpraktiker zu
Worte kommen zu lassen. Dabei stützt' ich mich in der Hauptsache auf Krorterungeii,
die ich mit E. Del)es gepflogen habe; und die Ajischauungeii. die ich im folgenden
wiedergebe, sind vorzugsweise diejenigen Debes". Der Sansoiische und Bonne-
* Auch A. Bind im hat iliesen Oi-danken in der O. Z. 1805. S. 510 »um Aiwdniik gcbnu-ht.
» Zwii lu-aktisclie lUispiolo /.yliiidrisclicr Kaitomiitzontwilrfc. P.M. 1004. 8.270, Anni. 1.
156 1^1« K.iiUi.nrIz.
sehe Entwurf, die A. Breusing in treffender Weise „abweitungstreue" nennt, werden
nicht wegen ihrer Flächentreue von den Kartographen bevorzugt, sondern wegen
ihrer maßtreuen Wiedergabe der Breitengrade und Längengrade und der Möghchkeit,
nach zwei Eichtungen hin genaue Linearmessungen vorzunehmen. Andere Projek-
tionen sind nach dieser Eichtung hin weniger geeignet und gestatten auch nicht das
rasche Abgreifen von Positionen wie jene genannten Entwürfe. Für kartentechnische
Zwecke ist besonders wertvoll, daß sich jede Ergänzung der Netze, sei es im Sinne
von räumüchen Erweiterungen, sei es im Sinne einer Verdichtung der Netzmaschen,
bequem, leicht und exakt bewerksteUigen läßt, während dies bei den ,, neuen" Ent-
würfen, namenthch den flächentreuen, nicht ohne, oft sehr zeitraubende Umständ-
lichkeiten möglich ist, wenn auf genaue Arbeit Wert gelegt werden soll.
Diesen charakteristischen Eigenschaften gegenüber betrachtet Debes auf Grund
seiner eigenen, langjährigen jnaktischen Erfahrungen die Flächentreue der genannten
abweitungstreuen Entwürfe nur als ein gleichsam zufälliges oder beiläufiges Ergebnis,
das weder von ihren Erfindern beabsichtigt worden, nobh ausschlaggebend für ihre
häufige Anwendung geworden ist. Nach der Wahl der Netze im Neuen Handatlas
erkennt man, daß er sich nicht auf den Standpunkt von Zöppritz und Bludau
stellt; die Karte ist ihm in erster Linie ein Bild der Erdoberfläche, das vor allen
Dingen figürliche Ähnlichkeit voraussetzt, d. h. Eichtigkeit der Winkel, wenigstens
in den kleinsten Teilen, oder mindestens möglichst geringe figürliche Verzerrungen.
Da deckt sich seine Ansicht fast mit der ähnlichen von J. Frischauf, der darüber
ungehalten ist, daß die Flächentreue als ein unantastbares Dogma und als wichtigste
Eigenschaft aller Karten hingestellt wird, „ohne zu bedenken, daß der Ausdruck
,, flächentreu" nichts über die Gestalt besagt, imd die topographischen Grundlagen
nur mit Endstellung benutzt werden können, falls Gebiete von der Größe Deutsch-
lands zusammenhängend dargestellt werden sollen. "^ Dem ist entgegenzuhalten,
daß wir noch gar nicht ans Ende der Leistungsfähigkeit flächentreuer Entwürfe an-
gekommen sind. Ich selbst habe einen Weg gezeigt, wie man Teile der Erdoberfläche
am besten in flächentreuer Projektion bei größt möglicher Bewahrung der figürlichen
xVhnlichkeit wiederzugeben vermag^, und glaube, daß Karten dieser Art auch von
Dobes als gefällig und gut angesehen würden. Ihm erscheinen immer diejenigen Ab-
bildungen als die besten, die die geringsten figürhchen Verzerrungsverhältnisse zeigen,
nicht etwa imter dem Gesichtswinkel der ,,zierhchen mathematischen Formel",
sondern nach Maßgabe des gesunden geographischen Bewußtseins.
Für Karten, deren Hauptdimensionen in der Eichtung W— 0 verlaufen, sind
Kegeljjrojektionen zu wählen, für solche, deren Hauptdimensionen in meridionaler
Eichtung liegt, zylindrische Entwürfe und für Gebiete, die sich kreisförmig odc^r
quadratisch abgrenzen, azimutale Netze. Nach dieser Grmidregel hat Debes im
Neuen Handatlas die Projektionen aufgebaut, wobei die Kegelprojektionen vor-
herrschen, was ebensowohl im Format als in dem Umstände hegt, daß die meisten
Karten mit ihrer Längsdimension im Sinne des aufgeschlagenen Atlas orientiert sind.
Aber noch andere Gründe sind es, die uns die Vorhebe Debes' für die An-
wendung winkeltreuer Entwürfe oder solcher mit möglichst geringer Winkelverzerrung
erklärlich erscheinen lassen. Sie sind rein praktischer Natur und können in einem
' J. Frischauf: Bc-iträge, a. a. ()., S. 127, Anm. :i.
- M. Eckert: Abändening flächentreuer Netze. P. M. 1920, S. 125, 126.
Allgemeinere ficogrupliiache Anfoiiieiunpen ttii <lie K:irt<>niietze. 157
kartographischen Privatinstitut, wie das von Wagner &, Debes, nicht ohne ge-
schäfthche Nachteile oder — hesser gesagt — ohne Preisgabe erhebUcher Vorteile
iil)ersehen oder vernachlässigt werden. Debes schreibt mir hierüber: „In jedem
Kartenverlag, selbst in staatlichen Instituten, macht sich häufig das Bedürfnis geltend,
selbständige Karten üu Sonderzwecken aus Teilen oder Ausschnitten von Atlasblättem.
einerlei, ob aus einem einzigen oder mehreren benachbarten, durch Ülierdruck her-
zustellen. Dergleichen Zusammenstelhmgen haben wir aus dem Kartenfonds un.sei-s
Verlags, namentheh des Handatlas schon in großer Zahl gemacht, und es war die
nur möghch, weil die von mir gewählten Entwurfsarten diesen Weg — natürlich
nicht immer, aber doch in zahlreichen Fällen — gangbar machten. Jeder Versuch
derart mit flächentreuen Blättern würde, namentlich, wo azimutale Ent^vürfe in
Betracht kommen, auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen, da die Schiefschnitt ig-
keit der Netzmaschen benachbarter Blätter im entgegengesetzten Siime verläuft.
Vergleichen Sie beispielsweise einmal in Andrees Atlas die beiden Blätter 163/16ti
von Nordafrika! Wäre dabei an eine solche Zusammensetzung zu denken? Freilich
hat hier Bludau auch den doppelten Mißgriff begangen, erstens, daß er, trotzdem
die Blätter nicht quadratisch sind, sondern ihre Längsdimensionen in ostwestlicher
Richtung verlaufen, azimutale Entwürfe angewandt hat, wo doch unbedingt konische
besser gewesen wären, und zweitens, daß er diese außerdem auch noch flächentreu
gemacht hat. Sie wären ohne weiteres zusammensetzbar, wenn er konische Entwürfe
gewählt hätte. Denselben Bock hat er übrigens bei der Vierblattkarte der Vereinigten
Staaten in demselben Atlas geschossen, bei der doch zweifellos eine Kegelprojektion
am Platze gewesen wäre. — Im Gegensatz dazu lassen sich Karten in winkeltreuen
Entwm-fsarten der Eechtschnittigkeit ihrer Gradnetze wegen sehr häufig zu solchen
Zwecken ausnützen. Würde bei Flächentreue der hierbei in Betracht kommenden
Netze auch nur entfernt daran gedacht werden können, etwas derartiges zustande
zu bringen? Und dabei handelt es sich in zwei Fällen noch dazu um Entwürfe ganz
verschiedener Ableitung! Konisch und äquatorständig die eine Zusammenstelliuig,
konisch imd schiefachsig zyUndrisch die andere!"
G4. Karfennetze auf Grund niafhematischer und geographischer t'berlesune;.
So gut wie die Geschichte wichtige Hilfsinittfl zur ursächlichen Erforschung des
Werdeganges den geographischen Disziplinen darreicht und der (ieograph dennocli
kein „Historiker" ist, so gut wie die (ieologie unschätzbare Materialien zum Verständnis
des orographischen Erdbildes und des terrestrischen Geschehens gil)t und die (ieo-
graphen demioch keine „Geologen" sind, so befruchtet die Mathematik außerordent-
lich heilsam den geographischen Boden, ohne daß der Geograph zum ..Mathematiker"
werden muß. Nur zu leicht beleuchten Vertreter der genannten nachbarlichen Wissen-
schaften die Geographie von diogeneshaftem Standpunkte a\is und möchten den
(ieographen ganz unter diesen linseitigen Standpunkt zwingen. Dem muß jeder
denkende geographische Kopf entgegentreten. Es wird naclig.Tade Zeit. <lies den
heutigen Kartentheoretikern und auch Kartenpraktikern entgegenzuhalten. Ver-
hallt scheinen die Worte des alteiirwürdigen und so außerordentlich praktischen
Breusing zu sein: „Nicht die zierlich mathematische Fornu-l. sondern der gesunde
Menschenverstand sollte in dii'scn Dingen nialJgfbcnd sein"': iiberlragen wir dies
158 1^'"' Kiirtonnctz.
Wort in den Silin unserer Untersuchungen, so lautet es: Nicht allein die mathe-
inatische Formel, sondern vor allem das geographische Denken liosiimniti
die Wahl der I'rojektion. Auch hat nur selten die mathematische Formel zu neuen
^'oographisch brauch) )aren Projektionen geführt, wohl aber die von der äußern An-
schauung angeregte geographische Intuition. Mercator hatte seine große Welt-
l<;ute lange vor der Fntdeckung der Differentialgleichung gezeichnet.
Daß die Auswahl der Projektion für den Wert und die Verwendungsfähigkeit
der Karte von entscheidender Bedeutung ist, darüber besteht kein Zweifel mehr und
ist zur allgemeinen gültigen Ginrndregel geworden. Welches sind nun die Prinzipien,
die für die Wahl der Projektion als ,, maßgebend" gelten? Soll mit Eücksicht auf
das abzubildende Gebiet die Projektion winkeltreu, flächent.reu oder vermittelnd sein ?
Wie sind die Haupt jjunkte und Hau])tlinion der Abbildung auszuwählen? Vor allem
ist der wichtigste maßgolieude Punkt die Berechnung der Winkelverzerrang unter
einer Anzahl zur Wahl stehender Projektionen, und die Projektion mit der geringsten
durchschnittlichen Maximalwinkelverzerrung 2tUj oder auch mit dem geringsten
Maximalwert der Verzerrung 2co„ax i^* alsdann nach jetzt herrschender Ansicht
unweigerlich die geographisch beste. Hammer hat durch seine Arbeiten unstreitig
den Anstoß zu dieser heutigen rein mathematischen Auffassung gegeben, obwohl dabei
vergessen wird, daß er selbst einmal gesagt hat, daß auf flächentreuen Darstellungen
der ganzen Erdoberfläche hinsichtlich vieler Zwecke der physikalischen Geographie
die Vergleichung von Flächen viel wichtiger ist als die Herabdrückung der Winkel-
und Längenverzerrungen. 1 Ist nun die Winkelverzerrung bei zwei oder mehreren
Projektionen gleich oder annähernd gleich, so gibt für die Auswahl alsdann die größere
oder geringere leichte Konstruktionsfähigkeit den Ausschlag. Die pol- und äquator-
ständigen Projektionen sind fast durchgängig leichter zu berechnen und zu kon-
struieren als die zwischenständigen lizw. schief achsigen, und unter letztern erfordern
wiederum die Zylinderprojektionen die größte Mühe. Am meisten Eechenarbeit ver-
ursachen die zwischenständigen Kegelprojektionen. Die azimutalen Entwürfe hin-
wiederum machen das Gradnetz der Karte leicht verständlich, gewiß ein Vorzug dieser
Projektionsgruppe, zu dem noch kommt, daß sie hervorragend geeignet sind, der
Forderung Hammers nachzukommen, die Gradnetzentwürfe besser als es das alte
Herkommen überhaupt ermöglicht, der Form des abzubildenden Stückes der Erd-
oberfläche anzupassen.
Damit erschöpfen sich heute im allgemeinen die maßgebenden Momente, die,
wie leicht zu erkermen, von mathematischen Gesichtspunkten aus diktiert sind. Uns
interessieren hier aber auch die altern Bedingungen, die an ein Kartermetz gestellt
worden sind. Schon im 18. Jahrhundert faßt J. H. Lambert die damals herrschen-
den Ansichten über die Eigenschaften des Kartenentwurfs in dem einleitenden Ab-
schnitt zu seinen Anmerkungen und Zusätzen zur Entwerfung der Land- und
Himmelscharten (1772) in folgender Weise zusammen: „Man gibt überhaupt mehrere
Bedingungen an, denen eine vollkommene Landcharte Genüge leisten soll. Sie soll
1) die Figur der Länder nicht verunstalten. 2j Die Größen der Länder sollen auf der
Charte ihre wahren Verhältnisse unter sich behalten. 3) Die Entfernungen jeder Oerter
von jeden andern sollen ebenfalls imVerhältniss der wahren Entfernungen seyn. 4) Was
' E. Hammer: Über die Planisphäre von Aitow und verwandte Entwürfe, insbesondere
neue flächentreue ähnlicher Art. P. M. 1892, S. 85.
Allgeraciiieri' gpofjrapliiacho Aiifonii-runpon an die Kurtcniietzf. 1 r)0
auf der Erdfläche in gerader Linie, das will eigentlich sagen auf einem größton Circul
der Sphäre, liegt, das soll auch in der Landcharte in gerader Linie liegen. 5) Die geo-
graphische Jjänge und Breite der Oerter soll auf der Charte können gefunden werden
etc. Das will nun überhaupt sagen, die Landcharten sollen in Absicht auf ganze
Länder, ganze Weltteile oder die ganze Erdfläche durchaus eben das seyn, was ein
(Irundriß in Absicht auf ein Haus, Hof, (iarten, Feld, Forst etc. ist. Dieses würde
nun ganz wohl angehen, wenn die Erdfläche eine ebene Fläche wäre. Sie ist aber eine
Kugelflächc, und damit läßt sich nicht allen Bedingungen zugleich Genüge leisten,
sondern man muß sich eine oder einige davon besonders voisetzen. wenn es sich der
Mühe lohnt, derselben vorzüglich (lenüge zu leisten."'
Die von Lambert zusammengefaßten Ansiclitcn blielnii lierrschend und siml
im Gninde genommen ja auch heute noch herrschend; wir begegnen wieder den
gleichen Ansichten fast mit älinhchen Worten vor rund einem halben .lahrhunderl
in Peternianns Geographischen Mitteilungen. ^ Und vergleichen wir die altern Dar-
legungen mit den neuern, so will es ims bedünken, als ob die alten Bedingtnigen geo-
graphischer klängen als die modernen. Die Bestrebungen der modernen Karten -
theoriker haben wohl unser mathematisches Gewissen hinsichtlich der
Projektionen geschärft, aber dabei nicht selten unser geograpliisches
Sehen verkümmorl.
(i.'i. Die geographische Analyse der Krdkugehielzc. Das Verzerrungsgesetz be-
stimmt gleichsam das ganze innerhalb von*geographischen Koordinaten umschlossene
Flächenstück. Es ist eine Art quantitativer Analyse, die mit einem durch geo-
graphische Koordinaten eingeschlossenen Kugelflächenstück nach seinen dimensionalen
Veränderungen vorgenommen wird.'^ Aber auch die qualitative Analyse muß
bei der Wahl der Projektion berücksichtigt werden, und diese wird wesentlicli von den
geographischen Eigentümlichkeiten des Erdkugehietzes geleitet.
Das Gradnetz unserer Erdkugel ist kein zufälliges. Haben wir es auch dem
Himmel entlehnt, so drückt es doch so spezifisch terrestrische Eigentümhchkeiteu
aus, daß es Halt und Gerippe für das Verständnis geographischer Erscheinimgen ist;
und es ist, als ob auf diese durch das Gradnetz gestützte geographische Tatsachen
viele der neuen Projektionen keine Eücksicht nelimen wollen und können. Das Grad-
netz ist das wichtigste Hilfsmittel zur Orientierung auf der Erdkugel und hat gleich-
sam etwas Apriorisches an sich, indem es ermöglicht, geograiihische Erfahrungen
zu machen und des weitern sie zu lokalisieren. Darum muß von vornherein in dem Grad-
netz etwas Bestimmtes, Festes, sagen wir ,, Starres" liegen. Das offenbart sich in den
gleichweit entfernten Parallelen und den senkrecht darauf stehenden Meridianen,
die sich in den Polen vereirügen. Bekanntlich drücken die Breiti'n])arallele die Ost-
westrichtung aus und die Meridiane die Nordsüdrichtung. Bi'ide Picht ungen ergeben
die Koordinaten jedes Punktes auf der Erdkugel, und damit die genaue Lage. Die
Frage nach der Lage, nach dem Wo? ist ja che Kardinalfrage jeder geographischen
Disziphn: „Denn was nutzt mir die Kenntnis der Gesetze der geographischen Er-
scheinungen, wenn icli nicht weili, wn «Uise Erscbein\nigen sind?" fragt Friedricli
' P. M. 1865, S. 115. IJor VcrfasHcr «Its .\\ifiMit7.os ist K. Dt'bc-s. wif duwtT mir am 4. \I1I.
litlO briefliih niittoilto.
» Man vgl. mit im-inor Auffassung:' M. Fiorini in I>« projor.ioni qunntitativo n\ «luivnl.nti
(Iclla caitografia (UoU'ttino dolla aociotA goografi.a italinna ISST. 2" S<>rif X, XI, XM).
ItlO 1*1>'* K:ll-t<Mlliet7..
Eatzel.^ Die Lage von Kontinenten, Meeren, Ländern und Orten zu erkennen ist
das Hauptziel der Karte. Außer der Lage wird und muß die moderne Karte sicher
viel mehr noch geben, „aber das ist eben bezeichnend für die große Bedeutung der
geographischen Lage, daß die Karte allen andern Zwecken am besten gerecht wird,
wenn sie die Ijage gut wiedergibt" (Eatzel). Sehen Mir uns nach dieser Eichtung
hin die neuern Karten an: werden sie hinsichtlich des Zwecks, dem sie dienen wollen,
der einwandfreien Lagenangabe immer gerecht? Nein!
Als ßreusing über das Verebnen der Kugeloberfläche nachdachte, da fiel ihm
auch eui, wie schwer er sich von der in der Jugend gewonnenen verkelu'ten Vorstellung
der Lage Grönlands, welche Insel die damaligen Karten von Europa in der Bonne-
schen Projektion m ostwestlicher Eichtung anstatt nordsüdlicher Eichtung brachte,
befreit hat, und sehen wir uns die modernen Bilder von Europa an, in Lamberts
flächentreuer Azimutalprojektion, verläuft darauf die Ostküste Grönlands nicht gleich-
falls wieder in ostwestlicher Eichtung trotz der geringern Winkelverzerrung der
Projektion; oder gar auf einer Karte Asiens in gleicher Projektion, ist darauf die
skandinavische Halbinsel nicht ebenfalls ostwestlich gelagert und ragt Kap Deschnew,
das in Wirklichkeit noch nicht den Polarkreis erreicht, nicht um 12 Breitengrade,
um rund 1300 km, über die nördlichste Spitze Asiens, Kap Tscheljuskin, VT" 43",
nach Norden hinaus ! Für Karten der Handatlanten und Atlanten gehobener Schulen,
wo das Verständnis für Gradnetze bereits entwickelt sein soll, mag diese Verlagerung
der Kontinente und Länder nicht so von Belang sein als für Wandkarten und Atlas-
imd Handkarten für mittlere und niedere 'Schulstufen. Und hier haben wir alle, die
wir Schulatlanten herausgegeben haben, nicht recht getan, einmal aus Liebe zur
flächentreuen Azimutalprojektion und andermal — vielleicht in der Hauptsache —
aus schultechnischen Gründen, weil die flächentreue Azimutalprojektion gestattet,
das Kartenbild ostwestlich einzuengen und nordsüdlich zu verlängern, und damit der
praktischen Schulforderung entsprochen werden kaim, den Atlas beim Gebrauche
stets in gleicher Lage, die zudem den wenigsten Platz erfordert, zu halten. Die natür-
lichen (loxodromischen) Lagerungsverhältnisse müßten sich aber auf all diesen Karten
viel besser widerspiegeln. Bei der azimutalen Projektion kann man sich ja einigermaßen
helfen, indem man dem Kartenbilde ganz dem Wesen der Projektion entsprechend
eine runde Abgrenzung gibt, eine Forderung, die Zöppritz, Breusing^, Hammer,
Bludau bereits ausgesprochen haben, der E. Eeclus auch schon praktisch nach-
gekommen war. Im Wesen der azimutalen Projektion liegt es, daß sie von der ortho-
dromischen. der ,, Weltrichtung", die astronomischer Natur ist, beherrscht wird;
^ Die Lage im Jlittelpimlit des geographischen Unterrichts. S.-A. aus den Verhandl. des
VII. Internat. Geographenkongresses in Berhn. BerUn 1900, S. 9.31.
2 Für den Geographen besonders sind beachtenswert die Worte von A. Breusing im Ver-
ebnen usw., a. a. O., S. 28: „Jede nach einem strahligen Gradnetzentwurfe angefertigte Karte sollte
als Radkarte eigentlich von einem Kreise als Reifen begrenzt sein und am Umringe die Kompaß-
richtung der Sehstrahlen aufweisen, um daran unmittelbar die gerade Richtung ablesen zu können,
in der ein Ort von der Mitte der Karte aus gesehen wird. Es ist das ein von den Geographen
bisher viel zu wenig beachteter und nach seiner Wichtigkeit gewürdigter Punkt. "" Der Forderung
Breusings glaube ich bei der Zeichnung der Isochronenkarte der Erde (P. M. 1909, Taf. 25) voll
und ganz entsprochen zu haben. Allerdings darf man diese Forderung nicht überspannen, denn
konsequenterweise müßte alsdann ein konischer Entwurf auch als Ringsektor (auch schiefachsig) ab-
gegrenzt werden und ebenso das den schiefachsigen zylindrischen Entwurf abgrenzende Parallelo-
gramm schief auf das Blatt zu liegen kommen.
Allgimeiiiorc ;;• iijj;r:iplii.sche Anforderiiiigcu an ilie Kartciinolzf. 161
die geograpliisclien Erscheiuuugou aber werden in o.stwestlicber Kichtuiig vuu dir
loxodromischen, der „terrestrischen Richtung" beherrscht; d. h. nichts anderes,
als für uns in Deutschland ist nicht die im orthodromischen Ost gelegene MalaiLsehe
Halbinsel Osten, sondern die im loxodromLschen Ost gelegene Insel Sachalin. Mit
dem für uns wirklichen, d. h. terrestrischen Osten, verknüpfen sich eine Menge geo-
graphischer Tatsachen, ohne die uns die Physis des Erdballs und das Leben darauf
unverständlich bleibt. Dürfen wir aber .solche Tatsachen auf neuen Kartenprojektionen
ganz hintan stellen? Die stark gekrümmten Parallelkreise der Azimutalprojektionen
auf Karten in kleinen Maßstäben mißhandeln die wahre Einsichtnahme in jene Tat-
sachen. Sie sind eben, wie es immer wieder gesagt werden muß, wesenthch vom geo-
metrisch-mathematischen Standpunkte angefertigt, nicht aber aus der Erkenntnis
geographischer Wahrnehmungen heraus.
66. Der Wert geradliniger Parallelen. Die gegenseitige Lage von Ländern und
Ortschaften kann nicht tief genug unserm Gedächtnis eingeprägt werden, oft ver-
bindet sich mit dieser Lage geradezu eine ganze Eeihe geographischer Merkwürdig-
keiten, denen wir in einigen Beispielen nachgehen wollen.
Das zwar im Sommer tropisch heiße, im Winter jedoch oft genug von eisigen
Schneestürmen durchbrauste New York befindet sich auf dem gleichen Breitengrade
wie das ewig sonnenerfüllte und vom südhch blauen Himmel durchleuchtete Neapel.
Die südlichste Spitze der Vereinigten Staaten, Kap Sable auf Florida, reicht nahezu bis
zum Wendekreis des Krebses, d. h. für europäische Begriffe umgewandelt und über-
tragen, bis ins heiße Afrika, in die Öde der sonnendurchglühten und sonnenverbrannten
Sahara. In Yorderasien scheidet derselbe Wendekreis Hindustan von dem Dekan, und
die üppige Indel Formosa schneidet er in zwei Hälften. Das den Deutschen gestohlene
Schutzgebiet Iviautschou hegt in der gleichen Breite wie die Südküste Kleinasiens
und der Nordrand der Atlasländer. Wladiwostok hegt m demselben Breitengrad wie
Biarritz und Milwaukee am Michigansee, München in dem gleichen Breiteugrad wie
Chabarowsk und Victoria auf Yancouver, London hegt m derselben Breite wie Leipzig
und Breslau; und auf der Südhalbkugel liegen in gleicher Breite nur öde Gebiete des
südhchsten Amerika, und die einzige nennenswerte Ansiedelung, Punta Arena, SS"
s. Br., hegt demnach nur anderthalb Grad darüber hinaus. Das als ostsibirischer
Handelsplatz bekannte Kjachta an der chinesischen Grenze, sowie das im Winter
in Eis starrende Irkutsk am Baikalsee hegen in Breiten, die im begünstigtem Europa
am deutschen Ehein die Reben, in Holland die Garten-, Gemüse-, Obst- und Blumen-
kultur in prächtigster Weise gedeihen las.sen. Ebenso reicht das von der Golfstrom-
trift und den Westwinden erwärmte Küstenland Norwegens mit seinen Kulturen
von Oiwt, Getreide und Kartoffiln bereits in Breiten, die als (Jegenstück die un-
gastüchen Tundren im NO Europas und im nördlichen Asien besitzen, wo der er-
kältende Hauch des nördlichen Eismeeres selbst im Sommer den hartgefrorenen Boden
kaum noch ein wenig unter der Oberfläche auflauen läßt. H.'ihen wir daran noch .lir
mit zahkeichen GroBstädtcii besäten britischen Inseln, die zwar im Sommer küld.
dagegen im Winter mild, mit der gleichen geographischen Mreite wie dus unwirtlich.',
nur von Pelztierjägern durchstreifte Labrador.
Weit weniger befremdend und auffälliger ist es dagegen für unser gt-ognipliisches
Gefühl, wenn wir, zimächst von der heimischen Grenze ausgehend, feststellen, daß
die altpreußische Krönungsstadt Königsberg auf gleieher geogniphisclier Uinge wie
HJ2 Hiis KartPnnotz.
Belgrad sich befindet, dagegen das als Hallwsien zu wertende russische Reich mit
seiner westlichen Hauptstadt noch um anderthalb Grad östlicher als die Sultans-
residenz am Goldenen Hörn, mit seiner östlichen dagegen, dem „heiligen Mütterchen"
Moskau, sich über die Länge von Damaskus, also dem reinen unverfälschten Orient
um einen Grad hinaus erstreckt, während die im Osten folgenden Htädte, wie Kasan,
samt dem Wolgalauf abwärts bereits einen Längengrad besitzen, wie ihn das west-
liche Persien hat. Ist man sich bewußt, daß Liverpool östlicher als Edinburg Hegt?
Wie oft wird übersehen, daß Südamerika gegenüber Nordamerika um die ganze Breite
der Vereinigten Staaten von Amerika nach Osten verschoben ist und die Länge von
Fittsburg im Osten Nordamerikas die gleiche von Guayaquil, also des äußersten
Westens von Südamerika ist. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, sich der
großen Bedeutung der gegenseitigen Lage bewußt zu werden.
Das natürliche Arrangement der Gradnetzlinien darf nicht einer eleganten
mathematischen Formel zuliebe verschoben oder gar vernachlässigt werden, sondern
ist im Hinblick auf die geographischen EigentümKchkeiten der Lageverhältnisse der
Netzkonstraktion tunlichst zu berücksichtigen. Wir verkennen nicht, daß dies leichter
gesagt als ausgeführt ist, aber mit dem guten Willen zum Bessern werden auch hier
annehmbare Wege gefunden werden. Das Suchen des geographisch befriedigenden
Ziels wird erleichtert, wenn eben immer wieder von den tatsächlichen und nicht von
den konstruierten Eigenschaften des Netzes ausgegangen wird. Eo ipso wird auch
hier die Erfüllung des einen die Ausschließung des andern zur Folge haben; immerhin
werden doch verschiedene Kompromisse in Hinsicht auf den Zweck der Karte
vielerlei Brauchbares ergeben.
Aus den Gnindtatsachen des Erdkugehietzes erwachsen für den Geographen
die Grundvorstellungen irdischer Lagen. Die Grundtatsachen sind in der Eichtung
und Länge, der gegenseitigen Entfernung und Eechtschnittigkeit der Gradnetzhnien
gegeben. Die Parallelkreise sind bekanntlich in allen korrespondierenden Punkten,
den Meridianschnittpunkten, gleichweit voneinander, infolgedessen auch gleichweit
von dem Äquator entfernt. Werden die Parallelkreise in die Ebene abgewickelt, ge-
streckt, so ergeben sie parallele Linien, die auch am besten den ursprüngUchen Eigen-
schaften der Parallelkreise entsprechen müssen. Erst in zweiter Hinsicht würde eine
Projektion der Parallelen in konzentrischen Kreisen in Betracht kommen und zuletzt
eine solche in Elhpsen und andern Kurven, bei denen die Paralleütät geschwunden ist.
Bezüglich des geographischen Wertes lassen die gestreckten Parallelen
andere projizierte stellvertretende Linienführungen weit hmter sich. Bei Projek-
tionen des gesamten Erdbildes kommt dies hauptsächlich zum Bewußtsein.^ Die
Erdkartennetze von Mollweide^, Hammer und mir sind flächentreu. Alle drei
weisen an dem Rand erhebliche Verzerrungen auf, die aber bei Mollweide und mir
am wenigsten störend empfunden werden. Dazu haben beide die zu Geraden aus-
gestreckten Parallelkreise, Hammer dagegen gekrümmte und nicht parallel ver-
laufende Breitenkreise, welcher Nachteil auch nicht durch die Bemühung, ein
winkeltreueres Netz (bezügUch des geringsten Maximalwertes der Verzerrung 2cd^^^)
als Mollweide zu haben, ausgeglichen wird. Die zu Geraden ausgestreckten und
tatsächhch parallelen Parallelkreise sind für physisch-, bio- und wirtschaftsgeographische
1 Vgl. M. Eokcit: Neue Entwürfe für Erdkarten. P. M. 1906, Taf. 8.
2 In V. Zachs Monatl. Corresp. XII. 1805, S. 160 gibt C. B. Mollweide die Gnmdzüge
seiner fläcbentrcnen Eiddai'stollung.
Allficini'iiirrc fjcogrjiphi.sclic Anroicti'niiigt'ii an ilip Knrtriiiii-lzc. \^'^
Gesamtül)ersicliten von auljcrordcntlicbem Vorteil, das Xui^a ülierscLaut luit emeni
Blicke in eint-r geraden Kichtung das ganze Uild.' Vor allem wird l>ei Moliweidt-
luid mir die Lage der polaren Verbreitung von Pflanzen und Tieren, von Ländern
und Orten usw. in bezug auf den Äquator besser als auf Erdkarten mit krummlinigen
Parallelen, wie bei Hammer, gewahrt. Was wirklich im Osten oder Westen eines
Ortes oder Objektes auf gleiciier Höhe liegt, das bleibt auch in gleicher Entfernung
vom Äquator. Nach dieser Eichtung ist sogar die Mercator-Sansonsche Projektion
mit Vorteil zu benutzen, weim nur ihre nordwestlichen un<l nordöstlichen, südwest-
lichen und südöstlichen Felder nicht gar so zusammengedrückt wären. Dieser Nach-
tiel kann auch durch die gleichweit voneinander entfernten Parallelen und den in
richtigen Abweitungen gezogenen Meridianen nicht ausgeglichen werden, weshalb
man im Hinblick auf ein allseitiges klareres Erdbild immer wieder zu Mollweide
oder zu meinen Projektionen oder einem andern Entwmf seine Zuflucht nehmen wird.
In den ausgestreckten Parallelkreisen liegt ein großes didaktisches Moment.
Wie viele falsche Vorstellungen beruhen auf der Krümmung der Breitenkreise! Das
hatte gleichfalls schon Breusing- erkannt, und vor ihm bereits Hermann Berg-
baus.^ Auch H. Wagner weiß den Vorteil geradliniger Parallelen zu würdigen.
Für die Erkenntnis der Lage und Verbreitung der physischen, bio- und wirt-
schaftsgeogra))hischen Erscheinungen ist die Breitenlage wichtiger als die Läugen-
lage; mit andern Worten: die nordsüdlichen Lagen sind lür das Leben der Erde
einschneidender als die ostwestliclien. In der nordsüdlichen Lage und ihrer jährlichen
Variation, durch die Stellung der Erde zur Sonne bedingt, liegen die Zonen unil
Jahreszeiten, die das Leben unsers Erdballes regeln, begründet. Dagegen haben die
Längengrade den Breitengraden gegenüber den Wert als Zeitmesser voraus; es haben
eben aus bekannten astrophysischen Gesetzen alle Orte auf gleichem Meridian alle
Tageszeiten gemeinsam, und ihr gegenseitiger Vergleich erweckt den Begriff des Zeit-
unterschiedes und zuletzt den der Entfernung in ostwestlicher Eichtung. In nord-
südlicher Eichtung gibt die Poldistanz die Werte für die Entfernungen. Obwohl
sich Meridiane und Parallelen stets im rechten Winkel schneiden, kommt diese Tat-
sache bei der allgenieinen Betrachtung des Globus weniger zum Bewußtsein als die
Wahrnehmung, daß die Meridiane polwärts konvergieren. Infolge dieser gewonnenen
allgemeinen Anschauung will uns ein Erdkartenbild in zylindrischem oder säuligeni
Entwurf, auf dem die Parallelen wohl im rechten Winkel von den Meridianen ge-
schnitten, aber diese selbst slarr, paralli'l zueinander verlaufen, nicht recht zusagen,
und selbst eine geringe Krümmung der Meridiane auf einem Gesivmterdbild, wie bei
meiner flächentreuen Ellipsen- und simislinigen Projektion, erinnert uns .-^chon mehr
an das von dem Globus her in uns aufgenommene Bild. Daß die Meridiane die vom
1 Man vergleiche nur die in Haiiiinersclier l'n>jektion gegebenen Ei(Uil)ersii'liten in dem von
A. Bludau neu heraasgcgebenen „Sohr-Bergliiius' Handatlas", oder in E. Friedriih» „Wirt-
«haftsgeograplue" (hier aiw Wi-selu-n als „HeniiHpliiirc'- anstatt „Holospliiin-" Iwreiolinet) oder in
G. Dreßlers „Fußpfad und Weg" (Dis-s. Leipzig lOütt) mit den .VIollweideselien Bildeni in BerglioiLs
„Physikalischem Atlas", in A. Suiians „Territorialer Entwiekiung der europiiLHchen Kolonien" oder
mit den Kartenskizzen in meiner Kreisringprojektion in dem „Uitimlen für Hände l«g>-ographie"
(:t. Aufl. Leipzig 191 1). in dem „Kleinen Atlas zur Wirls<lmft-s- un<l Verkelii^geogniphie " (Hille a. S.
l!)l)9) oder in meinem ,.Wirt8oha'tMUtla-i <ler Deutschen Kol.mien • (He ' n 1912).
■ A. Breusing: Das V'eivbnen a. a. <>., S. 59.
» In dem Aufsatz „über H. James und J. Babinott Rntwurf.skjirfen für PlttnigLilM-n " iP. M.
18r>8. S. Clff.) kommt H Borghaus Wnigemal auf die ge Uv. kten Pnmllelen zu nMen.
11'
jß4 Das KarU'imetz.
Pol uach dem Äquator wachsfutkii raialklkri'i.sf stfts iu gleiche, der Anzahl der
Meridiansclinitt punkte entsprechende (Stücke, „Abweitungen", zerlegten, das ist
gegebenenfalls ein Moment, das für die Wahl bzw. den Ausschluß mancher Projektion
sprechen kann.
II. Die geographische Brauchbarkeit einiger Projektionen.
ß7. Kethteckige Erdkaiteu und Verhältnis von Mitlelmi'ridiau zum Äquator.
Die Berücksichtigung des ganzen Linienarrangements und das darauf begründete
Studium des Verlagerungsverhältnisses der Länder und Erdteile nennen wir eben
die qualitative, die geographische Analyse eines NetzentMTirfs. Sie und die quan-
titative Analyse, die also auf dem Studium der Verzerrungsverhältnisse beruht,
müssen die Wahl der Projektionen bestimmen, nicht die Verzerrungsverhältnisse
allein, wie Tissot, Zöppritz, Hammer, Bludau, Behrmann u.a.m. wollen.
Behrmann spricht sogar mit apodiktischer Gewißheit: ,,Zur Abwertung der
Güte der flächentreuen Projektionen kann einzig und allein der Wert
der durchschnittlichen Maximalwinkelverzerrung 2cü^ maßgebend sein''^;
und so koimte es nicht ausbleiben, daß er die flächentreue Projektion auf den Schnitt-
zylinder im dreißigsten Parallelkreis als „die beste flächentreue Projektion der ganzen
Erde" hinstellt, „die berufen ist, als Projektion mit den geringsten Verzerrungen an
die Stelle vieler alter Erdbilder zu treten". Abgesehen davon, daß letztere Worte
zu allgemein gesprochen sind, ergibt die ganze Behrmannsche Untersuchung ein
klassisches Beispiel dafür, auf welchen Abweg die „Anbetung der Formel" führt.
Schon auf mathematischem Wege lassen sich die Projektionen anders beurteilen,
als es Behrmann getan hat ; nur muß man dabei immer an die von Natur gegebenen
Größenverhältnisse denken. Man weiß, daß die Projektionen von Mollweide und
mir an der Auseinanderziehimg der Breitengrade in den äquatornahen Gegenden
leiden, besonders jedoch an der Zusammendrückung der Breitengrade nach den Polen
zu. Dieses Mißverhältnis wird aber geradezu bedenklich bei der von Behrmann
vorgeschlagenen flächentreuen Zylinderprojektion.
Setzt man voraus, daß die Mercator-Sansonprojektion, die Zylinderprojektion
von Behrmann und die Ellipsen- und Sinuslinienprojektion von mir in gleichem
Flächenverhältnis vorliegen, und nimmt man die Entfernung des Pols (bzw. der Pol-
linie) vom Äquator auf dem Mittelmeridian bei der Mercator-Sansonprojektion gleich 1
an, da das Koordinatenkreuz dieses Netzes am besten den natürlichen Abmessungen
entspricht, so beträgt die gleiche Entfernung bei Behrnianns Zylinderprojektion = 0,7
(0,735), bei meiner EUipsenprojektion = 0,8 (0,845) und bei meiner Sinuslinien-
projektion = 0,9 (0,882). Demnach ist bei dieser Eelation die Behrmamische Mittel-
linie gegenüber der natürlichen um ^|^ zu kurz, bei meiner Sinuslinienprojektion nur
um Vio-
Wird bei den vier genannten Projektionen die Entfernung auf der Mittellinie
vom Pol zum Äquator mit 1 angenommen, so wahrt nur die Mercator-Sansonsche
Projektion die gleichen Entfernungen von Grad zu Grad, also ganz wie es den natür-
lichen Verhältnissen entspricht; die andern Projektionen ändern die Entfernungen
1 W. Behrmann: Zur Kritik der flächentreuen Projektionen der ganzen Erde usw. Sitzgsb.
d. K. Bayr. Ak. d. Wiss. 1909, 13. Abhandig. München 1909, S. 8.
Die f,'rOKi;iphischc Br;inelibaik<it einigiT Prqjrktionpn. 165
dpi- ruiallohn älinlich ^v^e die Projektion von Mollweido von Grad zu Grad. Die
äquatornahen Breiten sind zu ausgedehnt, die jjokiahen zu verengt. Darum zeigen
sich die Extreme auch am besten in der Nähe des Äquators und des Pols. Nehmen
wir bei der gleichbleibenden Größe 1 Entfemimgen von 10 zu 10 Grad an, so be-
tragen diese bei der Mercator-Hansonprojektion ständig — 0,111; von 0" bis 10° da-
gegen bei der Behrmannschen Zylinderprojektion = 0,174 (= 0,111 + 0,063), bei
meiner Sinusliuieuprojektion =0,143 (= 0,111 -f 0,032) und von 80° bis 90° bei
Behrmann =0,015 (=0.111-0,096) und bei mir =0,024 (= 0,111 - 0,087).i
Überall zeigt sichs, daß die Behrmannschen Abmessungen sich immer als die un-
günstigsten den natürlichen Verhältnissen gegenüber erweisen.
In der Größe der SjTnmetrielinien „Äquator" und ,, Mittelmeridian" einer Erd-
kartenprojektion sind die beiden wichtigsten und grundlegenden Entfernungen des
Erdballs gegeben. Sie stehen in dem natürlichen Verhältnis von 2:1, emem Ver-
hältnis, das auch bei jeder wichtigem Erdkartenprojektion, auch der flächentreuen,
wiederkehrt. Dagegen verhält sich der Äquator zum Meridian auf der von Behrmann
vorgeschlagenen Zyhndcrprojektion wie 2,62: 1. Das ist offenbar kein gesundes Ver-
hältnis; um rund 31 "/o geht die Länge des Äquators über die ihr zugehörige Meridian-
länge hinaus.^ Darum erscheinen auch die Maschen in doppeltem Sinne zu breit und
gedrückt, was H.Wagner bereits der Lambertschen flächentreuen Zj-linderprojektion
zum \"orwurf macht und als Grund für deren praktische Vernachlässigung angibt.^
In der flächentreuen Zylinderprojektion hat Behrmann bereits Vorgänger in
J. H.Lambert und J. T.Mayer gehabt. Mich wunderts, daß Behrmann letztem
ganz übersehen hat. Der erstere gibt in seinen berühmten Anmerkungen und Zu-
sätzen zur Entwerfung der Land- und Himmelscharten, 1772, die tlächentreue
Zylinderprojektion für die halbe Erdoberfläche.* Auf die Konstmktion selbst weist
er nur mit ganz allgemeinen Worten hin. Mayer beschäftigt sich emgehender mit
den Netzen, „worauf jedes Land, oder jedes Stück der Erdfläche, nach seinem wahren
Flächenraum dargestellt wird".* Er entwickelt unter anderm die flächentreue ZyUnder-
projektion und untersucht die Entfernung der Parallelen zueüiander, damit zonen-
treue, d. h. flächentreue Streifen entstehen. Die Entfernungen der Parallelen gibt er
sodann nach lunks ,, Anfangsgründen der mathematischen Geographie". Mayer
denkt wie auch Lambert weniger an die Darstellung der ganzen Erde als vielmehr
an die einzehier Länder und auf Tafel III gibt er in Fig. XXXIV ein Netz für ein
1 Vorausgesetzt, daß 0° bis 90° = 1 ist, so ist
bei Behrmann bei Eckert (Ellipsen) bei Eckert (Sinuslinien) bei Mercator-San.sou
BiEs ;ii si ii
300-40» = 0.643 »• ^ Q,r.95 J * = 0.500 «' J^ 0.444 J'
40» -50» = 0,766 J-^ ^ 0,718 J'^ ^ 0.600 ^^ J« 0.r..V, '
50»-6(. = 0.866 ;^ ^ 0.827 j;^; ^ ^K« T-' .Üm!
60» -70» = 0,940 J 0,9 . - 0.007 .^, ,_, , , ^
2 über das Voriiiiltnis von Mittolnierldlaii 7.uin Aiiiiutor auf iilu-rn Knlkarlon vgl. S. 121.
^ H. Wa«iuT: U'hrbuih. a. a. O., S. 218.
' In Ostwalds Klassiker drr exakt. Wiss. \r. r4. Uipr.in 1894. S. 61.
• J. T. Mayor: Vollständige u. gründl. Anwcisg . n. a. U., 2. Aufl. ErUugeii 1804, 8.376(1.
166 HKS Kiiitonnctz.
Gebiet, das vom Äquator bis zur Pollinie reicht und vom Mittelmendian sich nach
0 und W auf je 25 Grad ausdehnt. Würde man die Projektion auf Gnmd der Skizze
oder der Funkschcn Zahlen vervollständigen, würde das Verhältnis vom Äquator
zum Meridian für ein ganzes Gradnetz wie 3,14:1 sein; das gleiche Verhältnis kann
man auch aus der Lambertschen Skizze herauslesen. Mithin ist das Verhältnis noch
weit ungünstiger als bei Behrmann; zugleich sind aber dessen Berechnungen ein
beachtenswertes Beispiel für den Fortschritt der Projektionstheorie seit den Tagen
von Lambert und Mayer.
Mit der Überstreckung des Äquators hängt bei Behrmann die gleichfalls un-
angenehm wirkende Überstreckung der PoUinie zusammen. Wenn schon sie einmal
gebraucht wird, so soll man sich damit begnügen, ihr Höchstmaß nicht über die
doppelte Meridianlänge, die gleich dem zugehörigen Äquator ist, hinauszudehnen.
Nim gibt es aber für die Größe der Pollinie innerhalb vom Polpunkt bis zur Äquator-
länge unendlich viele Möglichkeiten der Bestimmung der Verzerrungsverhältnisse,
so daß sich bei geschickt gewählter Eandkurve die mittlere Maximalvnnkelverzerrung
noch auf geringere Werte als bei den Projektionen von mir und Behrmann bringen
läßt, und daß zuletzt auch im mathematischen Sinne das ,, Beste", was Behrmann
seiner vorgeschlagenen Projektion als ausschlaggebende Eigenschaft beimißt, sich
noch einer wesenthchen Einschränkung unterziehen muß.
Aber schon das gesamte Exterieur der flächentreuen Zylinderprojektion, das
sich als stark zusammengedrücktes Eechteck präsentiert, will unserm geographischen
Empfinden, das von der Kugelgestalt der Erde genährt wird, nicht recht zusagen.^
Das Erdbild, das geographischen Zwecken dient, soll der in uns lebenden Vorstellung
von der Gestalt der Erde und der natürlichen Form der Kontinente doch ein wenig
entgegenkommen. Das tun aber alle andern Erdprojektionen viel besser als die die
ganze Erde berücksichtigenden Zylinderprojektionen. ^
Bei aller Kritik sei indessen auch l)ier nicht übersehen, daß die flächentreue
^ Die, tr Voi-wurf trifft in gewisKem Sinne auch die Mercatorprojektion. Dazu macht sie bei
ihrer viereckigen Umrandung den Eindruck einer Gesanitkarte der Erde; das ist aber nur eine
Täuschung, denn sie kann bekanntlicli das gesamte Erdbild nicht restlos darstellen.
' W. Behrmann führt in seiner iS. 164, Armi. 1 genannten Abhandlung aus, daß die mittlere
Maxinialwinkelverzerrung 2 w^ in Eck' rts Sinuslinienprojektion 32" 19' beträgt, dagegen in Eckerts
Ellipsenkonstruktion nur 27" 34'; er schließt daher (S. 28): „Es ist somit von den Eckertschen
Projektionen die Ellipsenprojektion die beste und nicht, wie er annimmt, der Entwurf mit
den Sinuskurven." Das stimmt mathematisch, aber geographisch kann man auch anderer Ansicht
sein. Wohl war mir bewußt, wenn ich es auch noch nicht besonders zum schriftlichen Ausdruck ge-
bracht hatte, daß meine Ellipsenprojektion die geringste Winkelverzerrung hat, und dennoch habe
ich mich für die Sinuslinicnprojektion als die geeignetere von beiden entschieden, weil sie die Kon-
tinente, d. h. die figürliche Ähnlichkeit nicht so verzerrt wie die Ellipsenprojektion. Der
V'ergleicli mit dem Globusbilde ist hierbei ein guter Korrektor. Als ich an die Herausgabe eines flächen-
treuen Erdnetzes im Maßstab 1 : 20000000 schritt, erwog ich beide Vorteile: Hier geringste Winkel-
verzenxmg, dort geringere Entstellung des Erdbildes. Das geographische Gefühl gab den Ausschlag
und wählte die Sinuslinienprojektion. Um meiner Sache sicher zu sein, sprach ich noch mit O. Krümmel
darüber, der sich auch für die Sinaslinienprojektion entschied, desgleichen rieten mir auf briefliche
Anfrage hin H. Haack und H.Wagner zur Veröffentlichung der Sinuslinienprojektion. Gerade
der Entscheid dieser Kartenkundigen unterstützt meine obigen Ausfühnmgen ganz vortrefflich, daß
ein gesundes geographisches Urteil auch in der Projektionslehre für uns Geographen wichtiger ist
als ein lediglich von der Mathematik bestimmtes Urteil. Stimmt es auch hier nicht wieder, daß grau
alle Tlieorie ist und grün des L<'bens goldner Baum! — Trotz aller geographischen Einwände mochte
ich besonders noch hervorheben, daß ich die fleißige Arbeit Behrmanns zu schätzen weiß und in
Die !;cof;ra|iliisclic Uniiiclilmrkfit ciiiipcr I'roicktionen. I(j7
Projektion des Zylinders, der die Erde im dreißigsten Parallelkreis durchdringt, den
Vorteil hat, nur durch gerade Linien in kurzer Zeit konstruiert werden zu können.
(>S, Kreisförnuge Erdkarten (Kreisnetze). Fast ebensowenig wie die Rechtecks-
forra kann die umrandende Kroisi'orm für das Gesamt Itild der Erde befriedigen,
ganz gleich ob sich die Projektion dabei aus Ellipsen aufbaut und Flächentreue be-
wahrt, wie die Azimutalprojektion für die ganze Erde, die von Tissot behandelt
wurde, oder ob sie nur aus Kreisen konstruiert wird und die Flächen alsdann in un-
schickliche Verhältnisse zueinander setzt, wie es die Kreisnetzbilder von Lambert
und Grinten dartun. ^
Lambert hat für seine Netzlinien eine stereographische Anordnung, Grinten
dagegen läßt den Äquator in gleichen Abständen durchschneiden und ändert dami
entsprechend die Abstände und Krümmungen der Parallelkreise derart, daß keine
Deformation längs des ganzen Äquators eintritt; man kann nicht behaupten, daß
dadurch das Gesamtbild bei Grinten sehr viel dem Lambertschen Bilde gegen-
über gewomien habe. Beide Bilder leiden unter dem Verhältnis 1 : 1 des Meridians
zum Äquator, das in der Natur 1 : 2 ist. Dadurch wird das ganze Erdbild glücklich
wieder auf die Scheibe der alten Griechen zurückgeführt.- In geschickter Weise hat
sich H. Haack dadurch geholfen, daß er die Grintensche Projektion rechteckig
verschnitt, dadurch verlor das Bild im N und S und mußte an allen vier Ecken ergänzt
werden.* Die von Haack so zugestutzte Karte kann mir in projektionstechnischer
Hinsicht nicht gefallen.* Wohl werden die Äquatorgegenden weniger als die äquator-
femere Gegend deformiert, indessen ist das imnatürliche Anwachsen der Konlinent'.il-
massen nach den Polen zu gerade so unleidlich wie bei Lambert und der Mcrcator-
karte. Grönland z. B. erscheint als eine Kontinentalmasse von der Größe Südamerikas,
das aber in Wirklichkeit achtmal größer als Grönland ist: die Polarraeere erscheinen
als die größten Weltmeere. Dies hat ja Haack wohlweislich durch sein Eechteck
vermieden; da die Polgebiete abgeschnitten sind, ist die Karte keine Weltkarte im
strengen Sinne des Wortes. Sie läßt für Nord- und Südpol wie die Mercatorkarte
etwas Ungelöstes. Das möchte indes noch gehen, da wirtschaftlich in den äußersten
Polgebieten nichts zu holen ist, aber die verschieden figürliche Wiedergabe ein und
desselben Gebietes auf einem Kartenbild wird unbedingt störend empfunden: man
sehe sich daraufhin nur die Tschuktschenhalbinsel oder Alaska an. Im Begleitwort
zu seiner Karte betont Haack. daß sie die Landmassen nicht in der Weise wie
Morcator vergrößere. Das stimmt, aber Mercator hat neben der Parallelität der
Breitenkreise noch voraus, daß Gebiete, die Ijei einer Verlängermig der Karte nach
den von E. Hamnior (NovaacU. Alili. il. Kai.s. Leop.-Carol. IX'uUsih. .\kad. der Naturforscher. L.XXI.
Hallo 1898, S. 467) empfohlenen durehsihnittlichen 2,»^ bei der rntcrsuohimp von Enlkarteu
einen Fortschritt gcf^enüber dem Tissotschen 2o),„„x <'rkenne. Behrmann wird »icher mit He-
friedigunt; davon Kenntnis nehmen, daß in dem Grande .Vtlante [nleniazionale del Tourinj: l Inli
Italiano, Milano. \ eixehiodene Karten in meiner Klliiwenpmjektion erseheinen.
' J. H. Lambert: Entwerfunn der I^nd- und Himmelseharten. 177:». Ostwalds Kla-ssiker.
Xr. ri4. S. ."54, Fig. II. — Alph. .1. van <ler Orinten; DarstelUmn der jjan/.en ErdolH'rfläehe auf
einer kreisförmigen Projektionsebene. In P. M. ISHU. S. Ifl-Iff. u. Taf. 10.
^ Über das i\Linierierte der Kreisiiet/.e vgl. S. 140.
' H. Haaek: Physische VVeltkarto in van der (}rinU-us Kntwurf I : lIOtKKUHHi. tn.tim.
.1. l'.ithes, 8. a. (1914).
' Im übrigen ist die Karte, d. h. das plivsiselii- Bild, sehr »iikungsvoll und ans. hauli. h dm
geslelll.
lOS T)«s Kartennetz.
0 Oller nach W doppelt wiederkehren, immer in der gleichen Größe erscheinen. Das
Wechseln der Flächengrößen und Formen für ein und dasselbe Geliiet wie auf der
Haackschen Karte kann pädagogisch nie gut geheißen werden.^
Das Kreisbild gehört im Grunde genommen nur der Ha.lbkug(>l oder einem
kleinen Teil der Erde, einer Kugelkappe, an. Nur ausnahmsweise kann es über das
Gesamtbild der Hemisphäre hinausgehen, wie es z. B. außerordentlich geschickt durch
Henry James, Chef des britischen Vermessungswesens, geschehen war, dessen
perspektivische Entwurfsart von einem Kreis begrenzt wird imd dabei nahezu ^/g
der Kugeloberfläche umfaßt. ^ Dies war James nur dadurch gelungen, daß er für
seine zwischenständige Projektion die Parallelen der gewöhnlichen stereographischen
Horizontalprojcktion nicht in Kreisen, sondern in Ellipsen konstruierte. Ausuahmi'u
werden immer vorkommen, besonders wenn es sich um sogenannte angewandte Karten
handelt, deren Zweck weniger die Darstellung des physischen Erdbildes als die wirt-
schaftlicher, überhaupt anthropogeographischer Erscheinungen ist. Dazu gehört bei-
spielsweise die kreisförmig geschlossene, die ganze Erde umfassende und einzig und
allein hinsichtUch eines ganz besondem Zweckes konstruierte und zu bewertende
Isochronenkarte der Erde mit dem Mittelpunkt Berlin, diu 1909 zum ersten Male von
mir entworfen wurde.^
69. Das Oval und andere Umrißformen der Erdkarten. Nehmen wir ein Karten-
blatt zur Hand, ist es uns etwas Selbstverständliches, daß es Eechteckform besitzt;
unwillkürlich übertragen wir bei einer Karte diese Form auf das eigentliche Karten-
bild, das uns eben am meisten behagt, wenn es die Form des Blattes wiederholt. Bei-
nahe ist man versucht, hier kartographische Imponderabilien vorauszusetzen. Bei
tieferm Nachdenken kommt man der Lösung schon auf die Spur, die sich auf psycho-
logische Gesetze gründet. Ihnen kam Haack bewußt oder unbewußt nach, als er
aus dem Grintenschen Kreisnetz das Eechteck herausschnitt. Neben der Kreisform,
die uns auf den ältesten Karten (Babylon), besonders auf den mittelalterlichen Welt-
karten, den Radkarten, entgegentritt, aber seit Wiederauferstehung des Ptolemäus
für die Darstellung der gesamten Erde vollständig verschwunden ist — auch neuere
Projektionstheoretiker haben ihr kein neues Leben einzuhauchen vermocht — , hat
sich seit der Renaissance die Ovalform als die behebteste Erdumrißform eingestellt.
Das Oval kann man sich gleichsam aus einem Rechteck entstanden denken,
dessen Ecken abgerundet worden und dessen Dimensionen in den Mittelachsen noch
geblieben sind, Mittelmeridian zu Äquator wie 1:2. M. Fiorini hat der ovalen Erd-
umrißform eine besondere Untersuchung gewidmet und führt sie auf itaUenischen
Ursprung zurück*, wobei betont wird, daß derjenige unbekannt ist, der die ovale Dar-
1 Über Kreisnetze vgl. auch A. M. Neil: Vorschlag zu einer neuen Chartenprojektion. Heidel-
berg 1882. — E. Debes: Neils modifizierte Globularprojektion. Mit. d. Ver. f. Erdkde. zu Leipzig
1882. Leipzig 1883, S. 19ff. — Nicolosi gab 1660 zu Rom eine Reihe von Karten heraus, und zwar
in einer Projektion, die gleichfalls zu den Kreisnetzen gehört. Man nennt sie die „Projektion von
Nicolosi" oder „Globularprojektion" oder auch „englische Projektion".
' Vgl. Herrn. Berghaus: Über H. James' und J. Babinets Entwurfskarten für die Plani-
globen. P. M. 1858, S. 63.
^ In P. M. 1909, Taf. 25. — Zum zweiten Male entworfen in meinem Wirtschaftsatlas der
Deutschen Kolonien. Berlin 1912, S. 2, 3.
* M. Fiorini: Sopra tre BpeciaH'projezioni meridiano c i mappamondi ovale del aeeolo XVI.
Mem. soc. geogr. Ital. V. 1895. T. la, S. 165.
Die geotrr;ipliisc>ii^ RrHUchbarkcit «inigcr Projektionen. 169
steilling zum ersten Male angewandt hat.^ Mag sein, aber die im Isolario di-l Bordone,
Venedig 1528, ist nicht die älteste, wie er mid E. v. Nordenskiöld annehmen, sondern
die in Ajiians Cosmographicus liber vom Jahre 1524 (s. S. 121. 122).-
Die Apiansche Form war mit mehr oder weniger Abänderung durch das ganze
IG. Jahrhundert beliebt, verschwindet aber dann ziemlich rasch, tauchte erst 1783
bei Lotter wieder auf (S. 121) imd erhielt die geläuterte Form als Oval im 19. Jahr-
hundert, durch Mollweide am Anfang und durch Hammer am Endo des Jahr-
hunderts. M. Groll macht geltend', daß die Hammersche Projektion für die
wichtigsten Festlandgel)iete noch günstigere Verzerrungsbedingungen ergibt, wenn
der Projektionsmittelpunkt nicht im Äquator, sondern in nördlichen Breiten an-
genommen wird. Daraufhin konstruiert er das Kartenbild mit dem Hauptpunkt in
50" n. Br. und nennt den Entwurf „flächentreue transversale Planisphäre". Für das
Institut für Meereskunde in Berlin und unter dem Einfluß dieses Institutes hat Groll
das neue Netz zur Darstellung verschiedener physikahscher und wirtschaftlicher Er-
scheinungen benutzt. Zugleich ist das Netz ein weiterer Beleg, zu welchen Absurdi-
täten die Anbetung der Formel führt. Dem Grollschen Erdbild kann man kaum
ein verschrobeneres zur Seite stellen. Der Äcjuator scheint total verschoben, die Süd-
hemisphäre wassersüchtig aufgedunsen. Auf der Nordhemisphäre erscheinen die Kon-
tmente platt ausgebreitet, auf der Südhalbkugel jählings umgebogen. Mit solchen
Erdbildern sollte man uns wirklich verschonen!
Wir achten die Oval-, Ellipsen-, Ei- oder Zwiebelform für flächentreue Erd-
karten, wie bei Moll weide, Aitow und Hammer, als die gefälligste. Diesem Umriß
nahe kommt meine flächentreue Ellipsenprojektion und der alte Apianische Erdkarten-
entwurf, w^ährend bei meiner Kreisringprojektion durch den Ansatz der sinushnigen
Kandmeridiane an die Pollinien wohl die gleiche Umrißlinie gestört wird, nicht aber die
Gleichsinnigkeit der Umrißlinie. Immerhin ist dies Verfahren bei weitem besser als die
Umrißform zu zerschHtzen, wie es K. Zöppritz bei der flächentreuen perigonalen Kegel-
projektion für Afrika versucht hat.* Das Erdbild, wie überhaupt jedes Kartenbild* mit
geschlossener und gleichsinniger, d. h. in einer gegebenen Eichtung soviel wie mögUch
stetig fortschreitenden UmrißlLnie hat jederzeit etwas Ruhiges luid vor allem \iel
Anschaulicheres an sich als das mit Zacken und andern Detailformen umgrenzte Bild.
Andere Umrißformen, wie Herzform und Apfel- bzw. Nierenform, haben
sich in die moderne Kartographie nicht einzuführen vermocht; jene ist, wie wir
wissen, schon längst außer Gebrauch gesetzt und diese, der epizykloidische Entwurf
von F.August, ist trotz der Erdkarte von Kiepert in dieser Projektion erst gar
nicht in Mode gekommen." Dasselbe Schicksal erwartet auch van der Grintens
' Bei den mittolaltei liehen Karlen kam -/.uwoilen eine ovale l'niranduug vor, wie \m KanuKus
de Hyggeden, 1360, iniago niundi, in auo jKjlyrlironicono. Vgl. J. Lelewcls Atla-n zur Wographio
du moyen :ige. Brüssel 18.")0, Taf. 25.
2 Ovale Eixlkarton finden wir noch bei Giov. Andrea Vavassore, von desnen Weltkarte
sich noch Kxeniplare in München und Pari» Iwfinden (üben, S. 120), ferner bt-i Pictro t'oppo, Por
tulano, Venedig 1")2H, mit ovaler Weltkarte, aber ohne Meridiane und Pamllelc. bei Oiov. Pictm
(lo Matin 1529, Fr. Kosello 1532, Grynaeus in Novu» Orbi» 1532, 1537, 1.555. Vadianus \r>M.
Münster 1540, Cabot \rA4. Gastaldi 154«. l'vW, 1562 u. bei a. ni.
" M.Groll: Kartenkunde. I. Hie Pmjektionen. Kerhn ii. Leiiwig UII2. S.u."..
* S. Abb. auch bei Hludau, a. a. Ü., Taf. «.
• Vgl. das, was über Ziipprit/.' Afrikakarte auf S. 176 gesagt ist.
« Vgl. Z. der (ics. f. Krdkde. Bt>rlin. tX Bd. S. Abb. auch hei Bh.dau. a. ... O.. laf. li.
apfelschnittförmige Erdkarte.^ Die polykonische Projektion, von ähnlicher Umriß-
form wie der August sehe Entwurf, eignet sich ebenfalls nicht zur Darstellung der
ganzen Erde.^ Die blatt- und blütenförmigen Umrißkarten, wie sie W. Schjer-
ning ersonnen hat, tragen zu offenkundig den Stempel des Gekünstelten. ^ Viel
Geschmack ist ihnen wahrlich nicht abzugewinnen und man kann sie ruhig, ohne
irgendeinen wissenschaftlichen Fortschritt benachteiligt zu haben, ad acta legen. Über
sie hätte A. Breusing sicherlich gespottet; spricht er doch im Hinbhck auf die Stern-
projektionen der Erde von Steinhauser, Jäger, Petermann und Berghaus
als von „leeren Spielereien". Desgleichen können die Versuche, das Erdbild in mehr
oder minder breite Globusstreifen aufzulösen vmd sie aneinander zu reihen, wie es die
Franzosen schon früher versucht haben und in neuerer Zeit mit nicht zu verkennen-
dem Geschick von Sipman wiederholt ist*, aus den bereits genannten Gründen
nicht befriedigen.
70. Die sieographisehe Kritik an der Mercatorprojektion. Unter den bisher üb-
lichen Projektionen wurde zuerst den stereographischen Projektionen, sodann
der Bonneschen, der Mercator-Sanson sehen und gegenwärtig der Mercatorkarte
hart zugesetzt, während den erstem mehr von mathematischer, so der Mercator-
projektion mehr von geographischer Seite. Immer deutlicher gibt sich das Bestreben
kund, den Wert der Projektion mehr nach dem Anwendungsbereich, dem Zweck
zu ermessen. So geeignet die Mercatorkarte als Seekarte ist, so ungeeignet ist
sie als Landkarte. Das hat man bereits in altern Zeiten erkannt und Bode scheidet
genau die Seekartenprojektion von den Landkartenprojektionen^, und Kries schreibt
direkt: „Zur Verzeichnung eines Landes würde die Entwurfsart (Mercatorprojektion)
nicht taugen, weil sie die Gestalt desselben, besonders nach den Polen hin, sehr ent-
stellen würde, und der Vorteil, den sie dem Schiffer gewährt, hier keine Anwendung
fände."® — Man erkannte das Mißliche der Mercatorkarte, aber man gebrauchte sie
weiter als Landkarte.
In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts setzte die geographische Kritik
gegen die Mercatorkarte etwas mehr ein, hatte aber auch damals noch nicht die
gewünschte Wirkung. Als A. Petermann eine genaue Eeduktion der von
^ Wiedergegeben bei Zöppritz-Bludau. I. S. 185.
^ Desgleichen hat die apfelförmige, dem Umriß der rechtwinkligen ix)lykonischen Projektion
ähnliche Erdabbildung (eine Erweiterung der Globularprojektion) von H. Bouthillier de Beau-
mont keinen Eingang in die praktische Kartographie gefunden. Vgl. de Beauniont: De la pro-
jection en cartographie et Präsentation d'une nouvelle projection de la sphfere entiere comme plani-
.sphfere (Le Globe, Genf 1888. VII, S. Iff.).
" Vgl. Taf. III von Schjemings Abhandlimg Über die mittabstandstreuen Karten, a. a. O. —
Auch wiedergegeben bei Zöppritz-Bludau. I. S. 201.
* Sipmann: Globuskarte, Weltkarte in Teilkarten in einheitlichem Flächenmaßstabe.
Berlin 1907. Auf dieser Erdkarte ist die Erde in sechs Globusstreifen zerlegt. Der Verfasser empfand
das Trennende des Weltbildes durch diese Darstellung und erweiterte darum ie Globusstreifen oder
Hauptkarten über ihre eigentlichen Kartenränder hinaus. Die so geschaffenen Ergänzimgskarten
können aber die Trennung nicht beheben. Trotz aller Versöhnungsversml» d. i i( h trennenden
Glieder verbleibt dem Bilde etwas Unruhiges und Ungelöstes. Auch dicsii m m li .In lehrreiche
V^ersuch zeigt wiederum, daß das geschlossene Erdbild selbst bei mancherlei \ i izeii inijen doch die
bessere Gesamtübersicht über die Erde ergibt.
» .1. E. Bode: Anleitung zur allgemeinen Kenntnis der Erdkugel. 2. Aufl. Berlin 1803, S. 327 ff.
« Fr. Kries: Lehrbuch der mathematischen Geographie. Leipzig 1814, S. 220.
IJip goo^Tiipliisclir Biniiclilmrkcit einiger IVijcktioiK-n. 171
J. Washington veranlaßten und ausgeführten, von der britischen Admirahtät
herausgegebenen Karte des Großen Ozeans brachte^, sagt er in der physikalisch-
statistischen Skizze zu der Karte, daß sie in der Projektion eines Planigloben* ge-
zeichnet ist, da sie „eine viel richtigere Vorstellung von Form und Ausdehnung gibt,
als eine Mercatorkarte, welche z. B. die Entfernung zwischen dem Kap Hoorn mid
Australien beinahe noch einmal so groß angibt, als sie in Wirkhchkeit ist". Ähn-
liche Worte wurden gebraucht, als ISOs die Jubelausgabe von Stielers Handatlas
in 84 Blättern vollendet war und für den Großen Ozean eine ,, modifizierte Mercator-
Sansonsche Projektion" verwendet wurde^, die aber, wie wir wissen (S. 134, Anm.2),
mit dem Mercator-Sansnnschen Entwurf nichts zu tun hat. Aber zehn Jahre
früher werden die Vorzüge der Mollweideschen Projektion, damals ..homalographische
Projektion von Babinet" genannt, gegenüber der Mercatorprojektion in einer Weise
von Herrn. Berghaus gewürdigt, die unsere vollste Aufmerksamkeit verdient.
Herm. Berghaus war ein geistreicher Kopf, der den Anschauungen seüier Zeit viel-
fach vorauseilte: er führte aus, daß die ,, zwiebelartige Form" der Projektion von
Mollweide immer noch eher an die sphäroidische Erdgestalt erinnere als die Mercator-
karte, und jene Projektion würde zur Veranschaulichvmg physikahscher Erscheinungen,
wie der Hauptwindrichtungen, Verteilung der organischen Naturerzeugnisse, bei denen
es mehr auf die Verbreitimg nach den Polen zu als auf Längenrichtung ankommt,
der Mercatorprojektion vorzuziehen sein, mehr aber noch bei graphischer Darstellung
statistischer Tatsachen, bei denen die Rücksicht auf das Flächenvorhältnis in den
Vordergnmd tritt.* In dem von ihm herausgegebenen „ Physika Hschen Atlas" hatte
Bei^haus Gelegenheit, seine Ideen zu verwirklichen, wenn auch nur teilweise, so
bei Eegenkarten, pflanzengeographischen und ethnographischen Karten der Erde.^
Immerhin dominiert noch die Mercatorkarte in Berghaus" Physikalischem Atlas,
obwohl selbst der praktische Gnmd geltend gemacht wurde, daß, um Raum zu sparen,
in vielen Fällen füi- die Erddarstellimg die äquivalente, d. h. die Mollweidesche
statt der üblichen Mercatorkarte gewählt wurde.* Die Projektion von Mollweide
ist gleich gut für die Darstellung der Planiglolien wie der gesamten Erdoberfläche.
Ihre Behebtheit verdankt sie aber auch der leichten Konstraierbarkeit. Im Hinblick
darauf werden die Worte des praktischen Steinhausers erklärlich, wenn er sagt,
daß durch die Mollweidesche Projektion der Entwurf von Lambert verloren habe.
,,denn wer wird über Berge mülisam khmmen, wo eine neue bequeme Straße ebenfalls
zum Ziele führt"." Auch S. Günther hält sehr viel von der Projektion von Moil-
weide, doch stellt sie keineswegs eine ..allgi-nieinere Losung des Problems der äqui-
valenten Projektion" dar."
' A. Pi-terniaiiM in l". M. IS.".?. Taf. 1. 'IVxt S. 27ff.
- Es ist ein niittabstandutroiier üqiiatorstündiger Aziniiitalentwurf.
» A. Petermann in P. M. 1868. S. :n4.
* Herm. Bprjjliaus in P. .M. IS.IS. y. «W.
* Es ist zu verwundom, daß Borgliaus dir Mollweidesehe PtDJekliim niclil ninli niolir Ihm
Kin/x'lunteisnchimnen anwandte, /.. B. bei der Weltkarte 7.ur tVrsieht der Luftstiinnimpen. Btiden
U-scliaffenlieit usw. (P. XI. Er«. H. -W. 187«): die liier benutzte Monatorprujektion konnte dwli
kein riehtiges Bild von der Verbreitimg von Wal.l und Kulturlanil, Tundivn. Stepiirn und \Vtl»ton gelyn.
« P. M. 188ß. S. :<22.
' A. Steinhäuser: Grmulz.üge der nialhein. 0<><igr. un<l dn l.iindknil«Miim.jekli<>n. :t. Mi(\.
Wien 1887, S. 117.
» S. CJünthür in (itxigr. Jahrb. IX. 1882, >'. 4iri.
172 'L)as Kartemietz.
Im großen ganzen verhielt man sich zu Berghaus' Zeiten noch ablehnend
gegen die neuen Ecformbestrebungen. Das Mercatorhild hatte sich allzu tief in dem
geographischen Vorstellungskreis eingewurzelt. Wie war dies möghch? Einzig und
allein durch die weltweite Verbreitung des Erdbildes in Mercatorprojektion, die mit
Arrowsmiths Erdkarten einsetzte und alsdann durch Herrn. Berghaus' Chart of
the World eine Verbreitung, Sanktionierung vmd Nachahmung erhielt, die den
Gedanken an andere Erdkartenprojektionen kaum aufkommen heßen und wenn
aufgegangen, bald erstickten. Erst im letzten Dezennium des vergangenen Jahr-
hunderts setzt eine energischere und auch erfolgreichere Kritik gegen die Mercator-
karte ein, und im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts dringen die Ansichten
über ihre Anwendung und Nichtanwendung auch praktisch durch, weil heute auch
die Anfordeningen des Geographen an ein Kartennetz höher, durchdachter als vor
einigen Dezennien sind. Die Gegenströmung zur Anwendung der Mercatorprojektion
mußte eintreten, als man die Eäume auf den Karten gegeneinander abwertete. Das
brachte erst die neuere, die messende Geographie; sie erwies, daß die Vergleichung
tles Baumes auf der Mercatorkarte praktisch nicht möglich ist: darum ist sie eines
der wichtigsten geographischen Momente bar. Dies veranlaßte K. Peucker, bei der
Mercatorkarte von dem „gi'oßen Schein einer Treue, der das Auge blendet gegen die
Fülle von Untreue, durch die er erkauft ist", zu sprechen.^ Er konstruiert daraufhin
seine „Entstellungsbilder"^ und sucht durch die Betrachtung der „Azimutalverzerrung"
das Urteil über den Wert der Winkeltreue für chorographische Karten zu klären.
Damit liefert er in erwünschter Weise, wie auch E. Hammer gebührend würdigt*,
zu dem Studiimi der Elementarverzerrungen ein neues Moment, das sich auf endhche
Dimensionen bezieht. Auf diese Art Verzerrang hatte ich gleichfalls schon hingewiesen,
als ich davon sprach, daß zur allgemeinen Abschätzung von Strecken, wie von Reise-
wegen, die Mercatorkarte sehr ungeeignet ist, indem sie die Eouten in den Tropen-
gegenden viel zu klein, in den gemäßigten und polaren Gebieten viel zu lang
angibt.*
Trotz aller Einsicht kommen immer noch ganz widersinnige Anwendvmgen des
Mercatorentwurfs vor, was heutige Pubhkationen nur zu oft beweisen, selbst bekaimte
Schulatlanten. Doch wird man auf diesem Gebiet schon hellhöriger und hellsehender
und weist hie und da die ungebührliche Bevorzugung des Mercatometzes auf Schul-
karten entschieden zurück, wie es beispielsweise durch Schwarzleitner^ und
Carsten n* geschehen ist.
An dem Kampf gegen die Mercatorprojektion als geographische Landkarte
1 K. Peucker: Studien an Pc^imesis Atlante scolastico. Mit. d. Geogr. Ges. Wien 1899
u. 1900.
- K. Peucker gibt auf Xr. 1 von Steinhauser.s Repetitionsatlas eine Mercatorkarte als Um-
rißkarte, an deren Rand aber zugleich auch das Verzerrungs- oder Entstellungsbild. — Vgl. auch
a. a. O., 1900, S. 37.
3 E. Hammer im G. J. XXIV 1901/02, S. 27.
* A. Petermann gibt in P. M. 1869, T. 16 eine Karte zur Übersiclit von A. v. Humboldts
Keisen in der Alten und Neuen Welt 1799—1829, worauf die Reisestrecken in den amerikanischen
tropischen Gebieten viel zu kurz gegenüber der russischen Reise wegkommen. — s. M. Eckert: Die
Kartenprojektion, a. a. O., S. 447.
•'■' Schwarzleitner: Die Landkarte im Gebrauche der Schule. G. A. 1914, S. 55.
" Edw. Carstenn: Soliiile un Mercators Erdkarte. Pädagogische Blatter. 4.3. Jahrg.
1914, S. 257-259.
Die geographische Brauchbarkeit einiger Projektionen. 1 73
beteiligten sich in neuerer Zeit außer mir* mehr oder minder ausgesprochen Günther-,
Aitoxs^ Hammer^ Bludau^ und auf letztem gestützt Zondervan', weiterhin
Sipman^ imd Peucker«. Auch einen Breusing hielt seine natürliche Verehrung
Mercators nicht ab, die Schwächen der Mercatorprojektion offen anzuerkeimen.'
Bartholomew, der der Mercatorprojektion auch nicht kritiklos gegenüberstand,
half sich im Challengenverk imd in andern Pul)Ukationen dadurch, daß er eine Pro-
jektion anwandte, die als „Galls Stereographic Projection" bezeiclmet wird.*" Dieser
Entwurf, ein zylindrisches Netz mit stereographisch geteilten Meridianen, korrigiert
gewissermaßen Länge und Breite der Mercatorprojektion, insofern beide Größen ver-
kleinert werden, so daß am Äquator durch Parallelkreis und Meridian bereits längere
Rechtecke als bei Mercator erscheinen, die polwärts nur allmählich an Ausdehnung
gewiimen. Die deutschen ozeauographischen Arbeiten bevorzugen schon mehr die
flächentreuen Projektionen gegenüber der sonst dabei angewandtenMercatorprojektion.il
Vor allem jedoch muß die Geologie flächentreue Projektionen anwenden, wenn sie
die Ausbreitung der verschiedenen Porniationen zeigt. Geradezu abstoßend wirken
auf den denkenden Geographen historisch-geologische Karten in Mercatorprojektion,
die das Erdbild zu irgendeiner geologischen Zeitperiode veranschauUchen woUen.
Bei allen Gegenströmxmgen gegen den Gebrauch der Mercatorkarte mag nicht
übersehen werden, daß sie sich auch von dem Geographen, wenn es sich um die Ein-
prägung ostwesthcher und nordsüdlicher Lagen von Orten und Ländern handelt,
mit Nutzen veraenden läßt. Darin hat die Mercatorkarte entschieden einen Vorzug,
der aber trotzdem die uimatürliche Flächenausdehnung der polwärts gelegenen Gegen-
den und die dadurch bedingte Vernachlässigung der gewaltigen Tropengebiete nicht
wett macht.
1 JL Eckert: Neue Entwürfe für Erdkarten. P. -M. 1906, S. 97, 98. - Die wissenschaftliche
Kartographie im Universitätsunterricht. Vortrag auf d. X\^. Deutschen Geographentag zu Nürn-
berg. Berlin 1907, S. 226. - Zur Logik der Karte. Gaea 1909, S. 455.
2 S. Günther: Handbuch der Geophysik. 2. Aufl. Stuttgart 1897. I. S. 299.
' D. Aitows Projektionen „Canevas deriv6" auf den Blättern 3, 4 und 5 in F. Schrader,
P r u d e n t und A n t h o i n e : Atlas de g^ographie moderne. Paris 1 890. — Vgl. hierüber auch E. H a m m e r
in P. M. 1892, S. 85.
* E. Hammer mehr indirekt, indem er auf die Flächen treue geographischer Karten bei ver-
schiedenen Gelegenheiten energisch hinweist.
' A. Bludau: Über die Projektionen der Erdkarten. Geogr. Z. 1896, Bd. 11, S. 510. Fernerhin
in Bludaus Neubearbeitung von Zöppritz' Leitfaden der Kartenentwurfslehre. Leipzig. I. Bd.
1899, S. 142.
« H. Zondervan: Allgemeine Kartenkunde. Leipzig 1901, S. 106.
' Sipman in den Begleitworten zu seiner „Globuskarte". Berlin 1907.
' K. Peucker: Drei Thesen zum Aufbau der theoretischen Kartographie. Geogr. Z. 1902.
S. 66ff. — 8. auch Anm. 2, S. 172.
» A. Breusing: Das Verebnen der Kugeloberfläche. Leipzig 1892, S. 58, 59.
'» Vgl.: Scottish Geographical Magazine 1885. — Dass. 1890: Geological skctch map of
the World. — Dass. 1903: Map showing discoveries of Commander Pcarjs E.xpedition. 1900 — 1902.
»' O. Krümme 1 wandte bei den Karten zur „Rei-scbeschreibimg der Planktonexjtedition"
(Ergebnisse der Planktone.xpedition. Bd. I A. Kiel u. Leipzig 1892) mittabstandstreue Netze an.
bei den Tcxtkärtchen zu wincm „Handbuch der Ozeanographie" einmal die fläihentreue .\zimutal-
, Projektion von Lambert und .sodann meine flächentreuo Kreisringprojektion. G. Schott ücß die
Tiefenkarten des Atlantischen und Indischen Ozeans im „Valdiviawerk" in Hammers flächentrcuor
Projektion zeichnen. .\uch Ix-i neuem Publikationen verwendet Sihott diese Projektion, wie bei
der ..Wiiinievcrteihmg in den Tiefen des .Stillen Ozeans" in Z. d. tJcs. f. Eixlkde. zu Bt<rlin 1910. Taf. 2 u.3.
174 ÜHs Kiu-ti'iuu'tz.
71. Die Fdidciuujii'ii der Wivfscbal'tis- und politischen Geograpbic an die Karten-
iit'(/.t'. Neuore kartographische Eeflexionen müssen alle möghchen Werte der ein-
zelueii Projektionen ausproben und sie in Hinsicht auf einen bestimmten Zweck
kompensieren und balancieren. Insbesondere muß hierbei den Forderungen der
politischen Geographie imd der Wirtschaftsgeographie nacliuckdiiiincn
werden. Verkehrt mid widersinnig ist es, gerade bei politischen ( In r-icIiislKailcn
die Mercatorprojektion, wie noch meist üblich, zu verwenden. Die fai^cluai üilder,
die durch solche Karten, verstärkt durch deren Flächenkolorit, erweckt werden, be-
kommt man jahrelang aus seinem Vorstellungskreis nicht heraus. Da die Kolonien
der europäischen Staaten zumeist in den Tropen liegen, kommt die gewaltige Aus-
dehnung der Tropenkolonien gegenüber den europäischen Mutterländern nie richtig
zum Ausdruck.^ Die politische Geographie, die vor dem Weltkrieg zu verkümmern
schien, regt wieder mächtig ihre Schwingen und versäumt hoffentlich nicht, iliicii
Forderungen nach flächentreuen Kartenbildern entsprechenden Nachdrack zu verleiben.
Von gleicher Wichtigkeit, wenn nicht noch wichtiger, sind die flächentreuen
Bilder für den Wirtschaftsgeographen. Wohl sind für seine Zwecke die Erdbilder
von Mollweide, Aitow' (ist nicht flächentreu!) und Hammer zu gebrauchen. Sie
haben viele Vorzüge vmd sie werden ihre große Bedeutung stets behalten und für diese
und jene Darstellmig unentbehrhch bleil)en, indessen stören den Wirtschaftsgeographen
ganz erheblich die Verzerrungen und Zusammenquetschungen am Bande der ge-
naimten Erdkarten. Der Wirtschaftsgeograph und gewiß jeder, der einmal mit diesen
Karten als Umrißkarten zu tun gehabt hat, wird die Erfahrung gemacht haben, daß
sich Eandgebiete, besonders im NO und NW, im SO und SW, der Eintragung geo-
graphischer Erscheinungen, und erst recht der Einschreibung von Namen gegenüber
sehr widerspenstig verhalten. Die Entwürfe von Mollweide und Hanauer sind
flächentreu, beide weisen an dem Bande erhebliche Verzerrungen auf, die aber bei
Mollweide bald weniger störend als bei Hammer empfunden werden. Dazu hat
Mollweide die zu Geraden ausgestreckten Parallelkreise, Hammer hingegen ge-
krümmte und nicht parallel verlaufende Breitenkreise, auch die Größe der mittlem
Maximalwinkelverzerrung 2a)^ beträgt bei Mollweide nur 32" 7', bei Hammer da-
gegen 37" 34'. Werm auch, wie früher bereits dargelegt wurde, die gestreckten
Parallelen unbedingt den Vorzug gegenüber den gekrümmten haben, sind doch diese
bei gewissen wktschaftsgeographischen Erscheinungen kaum zu entbehren, z. B.
wenn es sich um die Verbreitung der polaren Nutztiere handelt. Hier würde man aber
weniger eine strahhge oder Polarprojektion wählen als vielmehr einen Entwurf, der
außer der zirkumpolaren Gegend noch den größten Teil der Erdoljerf lache veranschau-
Ucht. Die fast kaum angewandte Horizontalprojektion von H. James (S. 168) würde
hier gute Dienste tun. Zur Veranschaulichung von wirtschaftsgeographischen und
andern geographischen Erscheinungen bedient man sich mit Vorliebe auch der Plani-
globen. Insbesondere wird dazu Lamberts flächentreue Azimutalprojektion neuer-
dings gern in Atlanten sowohl wie in Spezialdarstellungen benutzt.^ Die Plani-
' Von diesen Erwägungen ließ ich midi leiten, als ich 1912 meinem Wirtschaftsatlas der
Deutschen Kolonien zur Übersicht der politischen Aufteilung der Erde eine flächen treue Weltkarte beigab.
^ Man denke z. B. an Stielers Handatlas, an Berghaus' Physikalischen Atlas oder an die
.Monatskarten des Regenfalls von A. J. Herbertson (The distribution of rainfall over the land. '
Royal Geographica! Society, Extra PubUcations. X, London 1901) oder an die neuen Planigloben-
waiulkrirtcn vnn H. Haack usw.
Die geogi-iiphi.sclir Brauchbarkeit einiger Frojektionen. 175
globen haben imstroitig vielo Vorzüge.^ Man wird sie da mit viel Nutzen gebrauclien,
wo es sich darum handelt, geographische Erschehiungen zu veranschaulichen, die sich
entweder allein auf das Land beziehen, wie Volksdichte, Rehgionen, Industriezentren,
Pflanzenjjruvinzen, Vulkanreihen'^, oder nur auf das Meer, wie Meeresbodenbedeckung,
Meerestiefen, Salzgehalt. Indessen lenkt die Darstellung der ozeanographischen
Phänomene, wie Meeresströmungen, Meerestemperaturen usw. schon wegen des un-
unterbrochenen Zusammenhangs des Meerwassers mehr auf den Gebrauch ge-
schlossener Übersichtskarten hin.^ Die Schwäche der Planiglobenzeichnung
liegt insonderheit darin, daß sie das Erdliild, das eigenthch ein von der Natur gegebenes
Ganze ist, zerreißt. Älit dem Erdbild werden aber zugleich auch viele geophysische,
wirtschaftsgeographische und andere Erscheinungen zerrissen. Diese Tatsache hat
gewiß auch H. Wagner empfunden, als er auf Karte 9 seines Methodischen Schul-
atlas das Verbreitungsgebiet der Malaien emzeichnete. Durch eine Erweiterung der
Lambert sehen flächentreuen Azimutalprojektion komponierte er mit Preisgabe der
Flächentreue einen Zusammenhang zwischen Ost- imd Westhalbkugel.
Das alles sind die Erwägungen, die mich zu der Auffindung neuer Projektionen
hinführten, zu Projektionen, die gleichsam in der Mitte zwischen Mercator und den
andern übhchen Erdkartenprojektionen stehen. Sie ergeben flächentreue Kartenbilder,
die ehimal bei Vermeidung des falschen Bildes der Mercatorprojektion und sodann
bei mögUchster Beibehaltung der der Erde eigentümhchen Größen und Lageverhält-
nisse zum Eintragen von wirtschafts- und andern geographischen Tatsachen auf allen
Teilen des Erdbildes, besonders in den für die Kultur wichtigsten Teilen, den ge-
mäßigten Zonen, geeignet sind.*
72. Zur Verteidigung der Mcrcator-Sansouscheu Projektion. Meine Kreis-
ringprojektion bildet den Übergang von Mercator- Sanson zu andern flächen-
treuen Erdkarten. Mit Mercator- Sanson hat die Kreisringprojoktion außer den
1 Vgl. A. Bludau: Zur Abbildung der Halbkugeln. Z. d. Ges. f . Krdkde. zu Berlin 1895. XXX.
^ Daß aber vulkanische Erscheinungen, junge Kettengebirge und Gebiete großer tektonischer
Erdbeben sehr gut auf einer fläehentrcuen Karte dargestellt werden können, zeigt die Karte dieser
Erscheinungen in Mollweide scher Projektion in dem Sammelwerke: Himmel und Erde; II. Bd.
Unsere Eide; der Werdegang des Erdballs imd seiner Lebowelt, seine Beschaffenheit und seine Hüllen;
gemeinverst. dargestellt unter Mitwirkung von J. van Bebber und Kreichgaucr von L. Waagen.
S. 124. München, s. a. (1909). — Vgl. hierzu auch das, was ich über geologische Karten gesagt habe,
oben S. 173. ^
' Vgl. die Kärtchen der Verbreitung der epilophischen Sedimente und der abyssischen Sedi-
mente in 0. Krümmeis Handbuch der Ozeanographie, Bd. I, Stuttgart 1907, S. 192 u. 193; desgl.
die Kärtchen der thenmschen Isanomalcu der Meeresoberfläche, S. 405, und der Teniijeraturen in
400 m Tiefe, S. 425.
♦ Vgl. des weitem meine Abhandlung Neue Entwürfe, a. a. ü., S. 97 — 109. Die Projektion
mit sinuslinigen Meridianen ist sowohl als Hand-, wie au<h als Wandumrißkarte bei Wagner & Debes
in Leipzig veröffentlicht worden. Die Wand Umrißkarte, in l ; 200001M1Ü, ist in Eingi-adfeldem kon-
struiert, sie bietet in dieser Hinsicht neben vielem andorti interessante Vergleichsmögliclikeiton mit
der ebenfalls in Eingradfc^klern und in l : 20()0000i> entworfenen Mercatoriunrißkiirte von H. Wagner
bei J. Perthes in Gotha. - Wenn J. Frischauf glaubt, mir einen Widerspruch nachweisen zu
können (Beiträge zur Landcsaufnabjuo u. Kartographie. Leipzig u. Berlin 1919, S. 133), irrt er,
denn ich habe lediglich von wirtschaftageographischem Stundpunkte aus die neuen Projektionen
entworfen und besonders betont, warum da der Kaum zwischen 80" und 90° bedeutungslos ist. Es
kommt doch ganz darauf an, was ich verglichen habe, und daß iih dies bewviQt nicht zugunsten
einer niatlieinatischcn Formel yetan habe.
176 Das Kiirtoniietz.
gestreckten Parallelen die binuslinigen Meridiane gemeinsam, doch hat sie eine weit
geringere Schnittwinkel- und Maximalwinkelverzerrung als jene und ist darum für
die Darstellung des gesamten Erdbildes bei weitem geeigneter als die Mercator-
Hansonsche Projektion. Indessen ist letztere reich an geographischen, terrestrischen
Eigenheiten, daß sie durchaus nicht die Vernachlässigung verdient, die ihr besonders
von mathematischer Seitt' aus gewünscht wird. Weil mit der Entfernung vom Äquator
mid von dem gewählten ]\Iittelmeridian sehr starke Verzerrungen rasch auftreten,
sollte der Gebrauch der Abbildung nach Hammers Ausführung ganz verboten sein.^
Schon bei Homann lesen wir von den „Sansonschen Affen in Frankreich und
Holland";^ und Hammer spricht von einem Morbus Sansonii und eifert ziemhch
heftig gegen den Sansonismus in verschiedenen Handatlanten, wie im Atlas general
von Vidal-Lablache, m Andrees Handatlas, in Spameis Atlas (Text von A. Hettner),
im Atlas Larouse.^ Dem kaim von geographischer Seite nur bedingt zugestimmt
werden. Keinem denkenden Geographen wird" es noch einfallen, der Mercator-Sanson-
schen Projektion Darstellungen der ganzen Erde zugrunde zu legen, aber für äquator-
nahe Gebiete, für die sie nach Hammer auch verpönt sein soll, ist sie immer noch
sehr wohl anzuwenden. Wenn man auf ein geschlossenes, ganzrandiges Bild verzichtet,
dann kann man die Mercator-Sansonsche Projektion z. B. in sechs Globusstreifen
karten auflösen, wie es Sipman getan hat ; dann erkennt man die großartigen Vorzüge
der Projektion und wie sie vorzugsweise dazu geeignet ist, die Entstehung des Karten-
bildes aus der Kugelfläche, die Wechselwirkung zwischen Globus und Karte verständ-
lich zu machen.
Insonderheit hat sich Afrika immer eine ganze Eeihe von Vorschlägen bezüghch
neuer Projektionen gefallen lassen müssen, und Hammei hat recht, weim er sagt,
daß mit der Leidensgeschichte dieses Erdteils ein dickes Buch zu füllen wäre.* Zöpp-
ritz, Hammer und Bludau haben sich in der Hauptsache mit der Anwendung
neuerer Projektionen für Afrika beschäftigt, wobei eine besondere Auseinandersetzung
zwischen Hammer und Bludau nicht ausblieb, indem Hammer aus rein mathe-
matischen Erwägungen sogar einer schief achsigen Azimutalprojektion für Afrika den
Vorzug gibt und dabei auf geradlinigen Mittelmeridian und geradUnigen Äquator
verzichtet.^ Daß aber selbst mathematisch gut geschulte Köpfe vor Geschmacklosig-
keiten nicht bewahrt bleiben, zeigt K. Zöppritz mit seiner flächentreuen perigonalen
Kegelprojektion nach Tissot. Vor dieser hnksseits aufgeschlitzten Kartenprojektion
wird jeder Geograph mit Breusing einen Horror empfuiden.* Unumwunden muß
anerkarmt werden, daß die kreisförmig umschlossene, flächentreue Azimutalprojektion
von Afrika das Bild von Afrika ziemlich mathematisch getreu und gewiß auch form-
1 E. Hammer: Unechtzylindrische und uneohtkonische ilächentreue Abbildungen. Mittel
zum Auftragen gegebener Bogenlängen auf gezeichneten Kreisbögen von bekannten Halbmessern.
P. M. 1900, S. 42.
2 Homannische Vorschläge. Nürnberg 1747, S. 13.
' E. Hammer im G. J. XIX. 1896/97, S. 14; XX. 1897/98, S. 437; XXIV. 1901/02, S. 28,
29, 30. Auf S. 30 weist Hammer auch auf verschiedene Einzelkart«n in San-oni Projektion hin,
wie z. B. auf S. Passarges Reisewege im Ngamiland.
* Geogr. Jahrbuch Bd. XIX. 1897, S. 14. Berühmt sind ja geradezu die „Entrüstungs-
abschnitte" in seinen Berichten im Geogr. Jahrbuch geworden. S. Anm. vorher.
' Hammers und Bludaus (gegenseitige) Erörterungen über das azimutale Afrikanetz haben
.sich über zehn Jahre hingezogen. Vgl. P. M. 1892, S. 214ff.; 1894, S. 113; 1899, S. 246, S. 138 des LB.
» A. Breusing, a. a. O., S. 58 u. Taf. 6. - Vgl. oben S. 169.
Die gcomapliisclw Braui'liliaiU.'it iMiiij;ei- l'rqjcktioiieii. 177
getreu wiederzugeben vermag. l''(ilgen \vir dieser Erwägung, dann geben wir aus
Liebe zur geringsten durchschnitf liehen Maximaiwinkelverzerrung eine Menge geo-
graphischer Vorteile, die die Mercator-Sansonsche Projektion besitzt, preis.
Beide Projektionen sind flächentreu, beide Projektionen sind gleich gut für Flächen-
ausmessungen geeignet. Anders steht es mit den Längenmessimgen. Kann man bei
der Azimutalprojektion auf der gesamten Karte von Afrika ostwestliche und nord-
südliche, den wirklichen Verhältnissen entsprechende Entfernungen wie auf der
Mercator-Sansonschen Projektion abmessen? Nein. Verlaufen dort die Parallel-
kreise wirklich parallel zum Äquator wie hier? Nein. Sind dort die Parallelen von-
einander gleich weit entfernte Linien? Nein. All diese geographischen Vorteile eines
Mercator-Sansonschen Entwurfes kami ein Azimutalnetz nicht ersetzen. Ganz
abgesehen von der außerordentlich leichten Konstruierbarkeit der Mercator-Sanson-
schen Projektion werden die Geographen gut tun, sie auch fernerhin bei der Dar-
stellung des afrikanischen Kontinentes und von Südseegebieten nicht ganz zu ver-
gessen und dann und wann zu gelirauchen, wie es ja auch noch zu geschehen pflegt ^
imd vor drei Jahrhunderten in den Mercator- imd Sansonatlanten bereits gepflegt
wurde. Und ist dieser Entwurf gleich über dreihundert Jahre alt, ist er doch nicht
so alt, daß er keine Anwendung mehr verdiene.
Selbst auf Karten von Südamerika ist, wie die südamerikanischen Karten in
Stielers Handatlas zeigen, die Mercator-Sansonsche Projektion ganz gut zu ver-
wenden, obwohl hier bei Beibehaltung eines geradlinigen Mittelmeridians auch
eine transversale zylindrische Projektion mit zwei längentreuen Hauptklehdireisen
(Horizontalkreisen) nach Hammer zu empfehlen wäre.^ In dem senkrecht sich
schneidenden Koordinatenkreuz, selbst wenn die Kreuzung ausnahmsweise einmal
nicht in der Mitte der Karte erfolgt, liegt ein wichtiges Moment, das der Karte für
vielerlei geographische Beziehungen Halt gibt. Nur unter ganz besondern Fällen
sollte von einem derartigen, das Rückgrat der Karte repräsentierenden Koordinaten-
kreuz abgegangen werden, wenn es sich z. B. um eine Totaldarstellung von Nord-
und Südamerika handelt: Daß alsdaim ein schiefachsiger flächentreuer Zylinder-
entwurf mit längentreuem Grundkreise auch dem Geographen ein befriedigendes
Bild gibt, davon hat uns O.Winkel nach einer Anregung von Hammer überzeugt. ^
' Vgl. die Übersiflit-skarte der dent>schen Besitzungen im Stillen Ozean und von Kiautschou
von P. Si)iigadc und M. Moisel, Bl. 25 im Großen Deutsehen Kolonialatlas. - C. l'lilig legte
seiner Karte der ostafrikanisehen Bruclistufe im zweiten Ergänzungsheft zu den wiss. Beiheften zum
Deutschen Kolonialblatt (Berlin 1909) die Mercator-Saasonsche Projektion, von Uhlig ..Sansonsehe"
bzw. „Sanson-Klamsleedsche Projektion" genaimt, zugrunde. Für ein spezielleres Gebiet bleibt
diese Projektion immer geeignet, selbst bei einem Gtebiet von der Ausdehnung des Mittelmeeres,
wie wir an Th. Fischers Karte der Verbreitung des Ölbaumes im Mittelmeergebiet sehen (P. M.
Rrg.-H. 147. 1904). — Für die topographische Karte der Niederlande wurde die Mereator- Sanson-
sehe gewählt; vgl. van Manen-Schols: Over het berekenen van de eoordinaten der getrianguleerde
punton voor de topografische-en rivier-kaarteu, Haag 1881. — Für die Brauehbarkeit der Mereator-
Sansonsclien Projektion hinsiehtlieU der Karten von Afrika und .Südamerika hatte sich auch Herrn.
Bergbaus envärmt (P. M. 1858, S. 69).
' E.Hammer: (Mier die geogniphiseh wichtigsten Kartenprojektionen. Stuttgart 1889.
S. I19ff. u. T. IV. 1. Vgl. auch A. Blndau: Fiächentreue Gnulnetzprojoktionen für die Karle
von Süd- und JS'ordainerika und Australien. In /. d. Ges. f. Kitlkde. Berlin. X.WII. 1892.
' ü. Winkel: Flächentreue, schiefachsige Zylinderprojektion mit längentix-uein Grund-
kreis für eine Karte von N'oi-d-, Mittel- und Südamerika. P. M. 1909. Kartograph. Monatsborieht.
Xr. II u. 12.
Ecken. K»rtonwliu6UMli.ifi I l-
178 l^"!* Kartemietz.
73. Zur Vertcidijiuuij des Bouiiescheu Entwurfs. Zum Schluß muß hier auch
noch etwas zugunsten des Bomieschen Entwurfs oder der Projektion' des Depot
de la Guerre oder der Carte de France hervorgehoben werden. ^ Durch neuere Pro-
jektionstheoretiker, wie Zöppritz, Bludau, Hammer^ ist die Bonnesche Pro-
jektion in einer Weise diskreditiert worden, daß sich die Kartographen kaum noch
getrauen, sie anzuwenden. Zunächst ist ihre Äquivalenz ein großer Vorzug, schon
von J. T. Mayr d. J. erkannt', den sie aber auch mit andern flächentreuen Pro-
jektionen teilt. Ihr Nachteil beruht vorzüglich darm, daß die Schnittwinkel von Meri-
dianen xmd Parallelen mit der Entfernung vom Mittelmeridian, nach etwa 25 bis 30",
rapid vom wahren Werte abnehmen, weshalb die dargestellten ]jänder alsdann be-
trächtUch verunstaltet werden. Sie hat aber den Vorzug der leichten Konstruierbar-
keit, worauf gerade H. Wagner mit Nachdruck hinweist. Für nicht zu breit über
den Mittelmeridian hinausragende Kartenbilder kann die Projektion nach wie vor
gebraucht werden, desgleichen bei kleinern Erdräumen, wie sie z. B. anf Gradnetz-
karten Platz finden.^ Die Karte des Deutschen Eeiches von C. Vogel in 1 : 500000
würde in einer andern Projektion als in der Bonneschen auch nicht um ein Jota
brauchbarer werden als sie heute ist. Die wirkUche Parallelität der Krtise entspricht
den natürlichen Verhältnissen des Erdkugelnetzes, und was noch wichtiger ist, die
Abweitungen sind getreu wiedergegeben, wodurch sich geographisch wichtige und
richtige Längenmessungen bewerkstelligen lassen, die die azimutalen Projektionen
in dieser Ausgiebigkeit nicht ermöglichen. Außerdem bietet die Maßtreue der Längen-
und Breitengrade die Möglichkeit der Zusammensetzung benachbarter Blattsegmente,
weshalb E. Debes in seinem Neuen Handatlas den Bonneschen Entwurf für die
Karten der europäischen Länder durchweg beibehalten hat.^
Die Bonnesche und die einfache oder wahre Kegelprojektion erfreuen sich bereits
seit langer Zeit, die zweite sogar schon seit dem Altertum großer BeUebtheit, teils
gerechtfertigt, teils unverdient. Mit den Kegelnetzen hat man sich immer viel be-
schäftigt, und sie sind der Ausgangspunkt für allerhand Modifikationen und Neu-
gestaltungen geworden, an denen sich J. N. Delisle, Lambert, Murdoch, Albers,
Tissot, Schols u. a. beteihgten. Schols bringt eine Kegelprojektion zum Vorschlag*,
deren Parallelkreise durch konzentrische Kreise dargestellt werden und die in der Mitte
zwischen der Bonneschen und der Albersschen Kegelprojektion steht; Tissot ver-
minderte die Verzerrungen der echten konischen Projektion dadurch, daß er die
1 Der Bonneschen Projektion auf topographischen Kartenwerken, für die sie wie keine andere
der Projektionen, die für chorographische Kaiten in Frage kommen, geeignet ist, widme ich ein be-
sonderes Kapitel im folgenden Hauptabschnitt und fasse mich darum oben ganz kurz. Man beachte
aber die in jenem Kapitel wiedergegebenen Urteile über Bonne ganz besonders.
2 Außer den Obengenannten hat sich gegen die Bonnesche Projektion auch der Niederländer
Schols ausgesprochen (s. auch Amn. 6).
3 J. T.Mayer: Gründl. u. ausführl. Unterricht, a. a. 0., S. 1.3.
' Vgl. J. Frischauf: Beiträge zur Gteschichte und Konstruktion der Kartenprojektionen.
Graz 1891. - Zur Affinität in d. Z. f. d. Realschulwesen, 16. Jahfg., S. 206ff. - Sodann verschiedene
Stellen in seinen Mathematischen Grundlagen, a. a. O., S. 14.0, 146; und in seinen Beiträgen, a. a. O..
S. 174.
^ Auf 25 Karten hat E. Debes in seinem Neuen Handatlas die Bonntsche Projektion an-
gewendet; und man wird nicht behaupten dürfen, daß Debes von Projektionen nichts verstünde!
• Schols: Eene equivalente projectie met minimumafwijking voor an cirkelvormig terrain
van geringe uitgebreidheid. Versl. en Medel. der K. Ak. van Wetenschapen. Amsterdam 1886. Ab-
teiig. Naturk., III. Reihe. II. Teil, S. 130.
Die rjrundlagrn dir topo^fraphiselu-ii Al)bildunf4k'n. 179
Längentreue der Meriiliane aufgibt und den Abstand ilor Breitenparallelen um den
Bruchteil eines bestimmten Meridians vergrößerte; Lambert hat zwei brauchbare
Kegelprojektionen geschaffen, einmal eine winkeltreue, wobei auf längentreue Meri-
diane verzichtet wird, sodann, was wichtiger ist, eine flächentreue Kegeiprojektion,
die wohl geradlinige Meridiane bewahrt, nicht aber die Gleichabständigkeit der
Breitenparallelen. Auch unter den Kegelprojektionen sind für geographische Zwecke
die flächentreuen Entwürfe meistens die geeignetsten.^
Die vorstehenden Untersuchungen dürften zur Genüge zeigen, daß es bei einer
geographischen Wertschätzung der Projektionen rücht angebracht ist, die Karten-
netze nach einem speziellen Prinzip zu beurteilen, sondern daß auch sie eine weitere,
allseitige Beurteilung erheischen. Mithin klingen unsere Erörterungen dahin aus,
daß der Geograph bei der Wahl der Projektionen außerordeuthch viel zu beherzigen
hat und daß für ihn die alleinige Berücksichtigung der Deformationsverhältnisse ein
einseitiger Standpunkt ist. Damm erachten wir- es als unsere vornehmste Pflicht,
insbesondere darauf nachdrücklichst aufmerksam zu machen, daß in den die Erde
umspannenden Xetzlinien mehr wohnt als der Mathematiker hinein-
zulegen vermag, daß die Netzlinien für den Geographen nicht bloß ein-
fach mathematische Elemente sind, sondern daß sie bei allem Bestimmten
und Festen doch etwas Lebendiges, Wirkendes und Lebenswarmes haben,
was sie zu wichtigen geographischen Leitlinien erhebt.
C. Zur Kritik lU-r Projektion topographischer Karten.
I. Die Grundlagen der topographischen Abbildungen.
74. Die s;e<»grai)hisfhen Koordinaten. Die Frage nach der Lage eines Ortes oder
Punktes auf der Erdolierf lache liaben wir bereits als die geographische Kardinalfrage
gekennzeichnet, und die Bestimmung dieser Lage ist die vornehmste Aufgabe der
Landesaufnahme im engern wie weitern Sinne. Bei der Lösung dieser Aufgabe be-
dienen sich Geograph und Geodät der geographischen Koordinaten. Während aber
der Geograph beim Entwerfen und Benutzen .seiner Karten hauptsächUch an das zu
gleichabständigen Werten der geographischen Längen und Breiten gehörige Netz
der Meridiane und Parallele denkt, smd für den Geodäten diese Koordinaten Winkel,
die zur eindeutigen Lagebestimmung eines Punktes der irdischen Horizontalfläche
mit beliebig weit getriebener Schärfe (also nötigenfalls auf Hunderttausendstel der
Sekunde) angegeben werden können. Für ihn ist nämlich die geographische Breite
der Winkel, den die Lotrichtung eines Pimktes mit der A(iuatorebeue einschließt,
d. h. mit der zur Rotationsachse der Erde senkrechten Ebene, und ist die geographische
Länge der Winkel, den die Meridianebene eines Punktes mit der Meridianeliene eines
als Nullpunkt der Zählung gewählten andern Punktes einschließt (s. Bild 1). Der Geodät
' Hiorbei sei liingpwHesen auf die „Studien ütier flndien treue Kegelpnijektioncn"' vnn H. Hartl
(in d. >Iitt. des k. k. niilitär-geogr. Inst, zw Wien 1S!)6, XV. B<l.), worin in .sehr siirirflilliger und kUn-r
Weise eine .\nzahl flaehentreuer Abbildungen von Ellipsoid- und Kugelzuuen auf die Ebene unter-
sucht wird.
12*
ISO '^-i^ Kartcniicti;.
ist aber bei seiner Definition der geographischen Koordinaten an keine bestimuili'
Voraussetzung über die Form der Horizontalflächen der Erde imbedingt gebmiden.
Geht man dagegen, wie es der Geograph tun muß, von der bestimmten Amiahme
aus, die Horizontalflächen der Erde seien Kugeln oder Sphäroide, so entsprechen jeder
Angabe geographischer Koordinaten bestimmte Bogenstücke der Meridiane und
Parallelkreise auf der kugelförmigen, bzw. sphäroidischeu Erde. Damit ist das dem
Geographen vertraute Gradnetz der Erde definiert. Die Bestimmungen der Ortslagen
richten sich nach Äquator und irgendeinem als Nullmeridian bezeichneten Längengrad.
Jedes offizielle Kartenwerk hat als Nullmeridian meist den Meridian seiner
bedeutendsten Sternwarte oder seines Hauptortes oder auch eines sonst in der Ver-
messung des Landes besonders ausgezeiclmeten Punktes.^ Sämtliche englische Karten
zählen nach der Greenwicher Sternwarte, die französischen nach der Pariser, wie auch
die rumänischen; die Eussen richten sich nach dem Meridian der Nikolai-Hauptstern-
warte in Pulkowa. In Schweden folgt die geographische Orientierung dem Observa-
torium in Stockholm, in Norwegen dem Obsei-vatorium in Kristiania. Der Meridian
von Athen ist den Griechen, der von Lissabon den Portugiesen, der von Kopenhagen
den Dänen, der von Helsingfors seit 1910 den Finnländern Nullmeridian. Die Italiener
zählen von dem Meridian aus, der durch das trigonometrische Signal auf dem Monte
Mario bei Rom läuft. Unter den außereuropäischen Staaten hat der Meridian von
Washington für die Vereinigten Staaten von Amerika zweifellos die größte Bedeutung
infolge seiner wissenschaftlichen Grundlage und der dadurch bedingten Brauchbar-
keit. Mexiko zählt nach dem Meridian von Mexiko. Von den südamerikanischen
Staaten hat natürlich jeder seinen besondern Nullmeridian. Von größerer Bedeutung
sind eigentlich bloß die von Rio de Janeiro (Brasihen), Cordoba (ArgentLoien) und
Santiago (Chile). Nur die Deutschen und Österreicher haben keinen nationalen Null-
meridian; sie hielten fest an dem althergebrachten Meridian von Ferro. Damit war
eigentUch ein internationaler Nullmeridian, der Einheitsmeridian, angebahnt.
Aber deutsche Gelehrte, unter ihnen außer namhaften Geodäten besonders H. Wagner^,
und Schulmänner hatten sich mit größter Energie eingesetzt, den Ferromeridian
zugxmsten des Greenwicher abzuschaffen, indem sie hervorhoben, daß der Greenwicher
Meridian fast ausschheßhch als Ausgangspunkt für die Schiffahrt, Astronomie, Zeit-
nnd Erdmessung benutzt werde. Indessen bat er doch nicht das Ansehen eines
Einheitsmeridians erlangt. Unter den andern Kulturvölkern sind es nur wenige,
die sich nach Greenwich richten, so die Argentinier seit 1911.' Bloß die Deutschen,
seit 1884*, und die Österreicher gönnen sich das besondere Vergnügen, auf ihren choro-
graphischen Karten die Greenwich- vmd auf ihren offiziellen Karten die Ferro-Orien-
tierung zu besitzen. Das sind aber für die deutsche Kartographie unhaltbare Zustände,
entweder kehrt man zu Ferro zuräck oder die offiziellen Kartenwerke geben wenigstens
1 E. Mayer: Die Geschichte des ersten Meridians und der Zählung der geographischen Längen.
Wien 1879. — H. Haag: Die Geschichte des Nulhneridians. Diss. Gießen. 1912. Leipzig 1913.
- H.Wagner: Die Stellung der deutschen Kartographie zur Frage der Einfühiimg des ein-
heitlichen Meridians. Verhandlgn. des IV. Deutsch. Geographentages zu München 1884. Berhn 1884,
S. 55-65.
' Japan heschloß 1886, die genau um 9 Stunden von Greenwich differierende Zeit als japa-
nische Nationalzeit einzuführen.
* Verb, der 7. allgem. Konferenz der europäischen Gradmessung, Berhn 1884, S. 71; Bericht
der Kommission zur Präfung über die vom Bureau der permanenten Kommission gemachten Vorschläge
bezüglich der Vereinheithchung der Längenzählung und Stundenzählung.
Die GnindlRgeii lier topographiscticn Ahbil(luni;eii. 181
an den Kartenecken die Greenwicheinteilung an oder verzeichnen sie am obem
Kartenrand, wie es bei der Vogelschen Karte von Deutschland geschieht, die oben
Greenwich zeigt, sonst aber nach dem Pariser Meridian, gleichsam als einem verkappten
Ferrograd, orientiert ist.
Gemäß der alten Einteilung des Kreisumfanges zählen wir 360 Längengrade,
gewöhnlich 180° östlich luid ISO" westlich, obwohl schon Mercator für eine durch-
gängige Zählung nach einer Kichtung eingetreten ist. Vom Äquator aus zählt mau
polwärts je 90 Parallel- oder Breitenkreise, deren 90. mit den Polpunkten zusammen-
fällt. Da das Gradnetz nicht terrestrischen Ursprungs ist, sondern von dem Himmels-
netz der Astronomen auf die Erde übertragen wurde, ist eine weitere Folge, die geo-
graphischen Länger anstatt in Bogen- oder Gradmaß in Zeitmaß auszudrücken, indem
man davon ausgeht, daß für einen Pimkt P je nach seiner Lage (östlich oder westlich)
zum Nullmeridian die Sonne früher oder später aufgeht als für irgendeinen Pimkt
auf dem Nullmeridian. ^
Neben der alten Kreisteilung in 360" zu je 60' zu je 60" gibt es die dezimale oder
neue Kreisteilimg, nach der der Kreisumfang in 400" zu je 100' zu je 100" unterteilt
wird. Es mehren sich die Stimmen, dieser Kreiseinteilung größeres Gewicht und damit
größere Verbreitung zu verleihen. Bis jetzt finden wir sie zum ersten Male für eine
große offizielle Karte auf der Carte dt France in 1 : 80000 angewandt.
Da der Geograph an die Angabe mid Bestimmung der Orte und geographischen
Objekte lediglich nach geographischen Koordinaten gewohnt ist, betrachtet er die
Wiedergabe des Gradnetzes auf der Karte als eine Conditio sine qua non. Je nach-
dem es der Kartenmaßstab erlaubt, wird das Karteimetz in ^j^-, 1-, 2-, 5-, 10- usw.
Gradeinheiten ausgezogen. Um das Kartenbild mit Linien nicht zu überlasten, ist der
Kartenrand zwischen den ausgezogenen Hauptgraden noch in die nötigen Untergrade
eingeteilt, mit deren Hilfe es nicht schwer ist, die Lage eines jeden Ortes abzugreifen.
Was für chorographische Karten als etwas Selbstverständhches erscheint, ist
nicht in gleicher Weise für die topographischen der Fall. Wohl sind die geographischen
Netzlinien auch auf den meisten offiziellen Karten zu bemerken, aber nur an den
Kartenrändem finden sie sich durch Teilstriche angedeutet. Gemäß dem großen
Maßstabe wird in der Eegel die Minutenteilung durchgeführt, wie auf den Meßtisch-
blättern von Preußen, Sachsen und Bayern. Auf den württembergischen Karten in
1 : 25000 wurden bis 1918 sogar Einzehntelminuten angegeben-, d. h. die Teilstriche
von 6 zu 6". Baden und Hessen haben sich die Arbeit bezüghch der geographischen
Graduierung erleichtert und nur die Blattecken der Meßtischblätter mit Angaben
über die geographischen Koordinaten versehen. Auf dem Topographischen Atlas von
Bayern in 1 : 50000 und auf verschiedenen offiziellen Kartenwerken in Belgien,
Italien mid Spanien finden wir überhaupt keinen Vermerk über die geographische
Graduierung. Das Netz dieser Karten geht von dem Meridian und dem Parallel eines
Ortes in der Mitte des abzubildenden Landes aus. Auf diesen beziehen sich unmittel-
liar alle Langen innerhalb des Kartenwerkes. Mitiiin finden BeziohuTigen zu den
,, absoluten" Ijängen, die sich nach dem offiziellen Xulhneridiaii richten, nicht statt.
auch der Kartenrand gibt keinerlei Andeutungen.
* S. Anin. 2, S. 24.'t in dem Teil „Kartenftufnaluno".
- Vgl. A. Kgcror: Kartenkunde. F. Kinfülininp in diws Kartenvei-stiindnis. Jx'ipzig u. Korlin
1920. 8.21. Dies Küchlein von Kperer nnterrirhtef nusfülirliolier über die oben behandelton Pmbleme.
Die liei-angezogeuen Beispiele tuochen es beniuiders wertvoll.
182
Da> KartPnnt'tz.
75. Die rpchtwinkligen Koordinaten auf der (malhematisehen) Erdoberfläehe.
Die Soldnersi'heii Koordinaten. Weil die den Geogra)3hen vertrauten Bogenlängen
dtr geographischen Koordinaten sieh der unmittelbaren Messung und Festlegung auf
der Erde bei den Arbeiten der Landesaufnahmen im allgemeinen entziehen, entsteht
die Aufgabe, die aus horizontalen Bogen zusammengesetzten Dreiecke der Landes-
vermessung zu den geographischen Koordinaten in rechnerische Beziehung zu setzen.
Hierbei bedient man sich in [der Eegel aus Gründen der Rechnung rechtwinkliger
Koordinatensysteme.
BekanntHch haben die Horizontalflächen der Erde die Formen von nii den Polen
abgeplatteten Rotationsellii)«oiden, sogenannten Hphäroiden. Diese Abplattung ist
so gering (Vagg)- daß auf nicht zu große Entfernungen hin, bzw. bei nicht zu hohen
Genau^keitsansprüchen mit einer nach allen Eichtungen hin konstanten Krümmung,
d. h. mit dir Foiin der Kugel gerechnet werden kann. Deshalb soll der Kürze wegen
im folgenden nui- \()n sphärischen Koordinaten die Rede sein, wobei man sich
stets davon Rechenschaft geben
muß. daß bei der wirklichen Aus-
führung der Berechnungen der
Landesaufnahmen auf die sphä-
roidische Gestalt Rücksicht ge-
nommen werden muß.
Dem Hergange der Arbeiten
einer Landesvermessung, bei der
die linearen Entfernungen der
funkte gemessen, bzw. berechnet
werden, entspricht es, die Lage
eines Punktes P nicht nach seinen
geographischen, sondern nach den
rechtwinkligen Koordinaten x und
y zu geben. Auch dieses Koordi-
natensystem wird astronomisch
orientiert, wie Bild 1 zeigt, dessen
weitere Erklärung sich aus der Be-
nennung der einzekien Teile im Bilde selbst ergibt. Von den geographischen
Koordinaten wird lediglich ein Meridian übernommen, imd zwar der, der durch den
etwa in der Mitte des Aufnahmegebietes gelegenen Ort Pq läuft.
Während die Ordinate y eines Punktes P auf demjenigen Großkreisbogen, der
durch P geht und senkrecht zum Meridian des Nullpunktes steht, positiv gezählt
wird, weim der Punkt östlich des Nullmeridians, und negativ, wenn er westlich davon
liegt, wird die Abszisse x vom Nullpunkt Pq aus positiv nach N und negativ nach S
gezählt. Alle Punkte mit dem Vorzeichen + + (in der Reihenfolge der Koordinaten x,
y) liegen im ersten Quadranten, mit 1- im zweiten, mit im dritten und -|
im vierten Quadranten.^
Das im vorstehenden dargelegte rechtwinklig sphärische Koordinatensystem
heißt auch das Soldnersche Koordinatensystem, weil sich J. (i. v. Söldner
1 Steht z. B. an einem Punkt x = 15700 m und y = H- 18900 m, so liegt der Punkt im
zweiten Quadranten und zwar 15,7 km südl. vom Großkreis der Ordinatenachse und IS,!) km östlich
von der Abszisi-.enachte oder dem Niillraeridian.
Die Grundlagpn der topographisohpn Abbildungen. 183
(1776—1833) um die Ausbildung, bzw. Berechnung dieser sphärischen Koordinaten
und ihre Einführung in die Landesvermessung das größte Verdienst erworben hat.
76. Die Gaußsfhen Koordinaten. (Die Gaußsche Projektion.) Seitdem Gauß
sich der Hamioverschen Landesvermessung angenommen hatte, ist es vielfach übhch
geworden, aus gewissen Gründen (elegante und zweckmäßige Form der Ausgleichung
und Herabminderung der Verzerrungsverhältnisse auf ein Minimum) die Dreiecks-
punkte der Landesaufnahme, die wir- im vorhergehenden nach Soldnerschen Ko-
ordinaten zu berechnen gelernt haben, rechnerisch auf die Ebene konform abzu-
bilden. Der rechnende Geodät, der Gaußsche Koordinaten anzuwenden wünscht,
ist übiigens nicht genötigt, dies auf dem Umweg über Soldnersche Koordinaten
zu tun, sondern es können die Gaußschen Koordinaten nach den in den Landesauf-
nahmen übhchen Eechenformehi uimiittelbar für die Eckpunkte der trigonometrischen
Netze gewonnen werden. "^
Es sei hierbei daran ermnert, daß in den Dreiecken der Landesaufnahme stets
mehr Größen gemessen werden als zur eindeutigen geometrischen Bestimmung an
sich nötig wäre. Wegen der unvermeidlichen kleinen Messungsfehler führen alle diese
Messungen daher notwendigerweise zu gewissen Widersprüchen. Indem man diese
Widersprüche nach bestimmten allgemein übhchen Eechenprinzipien (Prinzip der
Methode der kleinsten Quadrate) verteilt, gelangt man zu genauem Endergebnissen.
Diese sogenannte Ausgleichungsarbeit bildet einen sehr erhebüchen Teil der gesamten
Rechenmühe von Landesvermessimgsarbeiten. Die Ausbildung ihrer Technik ist der
wichtigste Bestandteil der ganzen dabei verwandten geistigen Arbeit. Über die Aus-
bildimg dieser Ausgleichungsmethoden zu geodätischen Zwecken besteht eine um-
fänghche Literatur.
Die Eolle, die die Ausgleichungsrechnimg bei den Arbeiten der Landesvermessung
spielt, ist so hervortretend, daß sie auch die Methoden der Messung und zum Teil sogar
die Wahl der Koordinatensysteme beherrscht. Whd das gesamte Dreiecknetz der
Landesvermessung in Gaußschen konformen Koordinaten ausgedrückt, gestaltet
sich die Ausgleichung der Beobachtungsfehler besonders einfach und übersichthch.
Übrigens wird hier der Küi-ze wegen der Ausdnick ,, Gaußsche Koordinaten'" gebraucht,
auch dann, wenn in der wirklichen Landesvermessungspraxis konforme Koordinaten-
systeme Anwendung finden, die, auf Gaußsche Arbeiten mehr oder weniger fußend,
von anderer Seite ihre Ausbildung erfahren haben.
Hat man bisher gesagt, daß es an einem zwingenden Grund gefehlt hat, die
(lauL^schen Koordinaten in der von L. Krüger gegebenen Form, darum auch .,Gauß-
Krügcr-sche Koordinaten-' genannt, einzuführen, liegt doch ein grolü Teil Schuld in
dem Beharruugsvenuögen des Staatsorganismus, nach dem alte heb gewordene
Methoden nicht mit einem Male über Bord geworfen werden, selbst wenn sich Neues
und weit Besseres in noch so eindringUcher Weise präsentiert. Auch hier hat der Krieg
einen beachtenswerten Anstoß gegeben. Die neuen Forderungen gewisser Ivriegs-
karten, insbesondere des Planmaterials für weittragende (ieschütze, haben die Zweck-
mäßigkeit der Gaußschen Koordinaten hervortreten lassen, weil die darauf gebauten
Teilsysteme, mnerbulli deren (ironzen die Einzelvcrmessungen als ebene lieimndell
werden köniu'n. iOO km in ostwestlicher Richtung lictragen (für Kriegskarteii kann
' Mit inid.iM Worten: Der Wert der Gaußschen Formeln bestellt darin, dall sie mit l'ni-
giliiiiiL; der .lo|.|«li.i. I 1., i irafiini; vom KUipwiid auf die Eb«ne aufgestellt sind.
184 Das Kartonnetz.
noch über 200 km hinausgegangen werden), also 100 km und mehr als bei dem bisher
gebrauchten Soldnerscheii System^, und unbegrenzt weit in nordsüdlicher Richtung
sind. Da wäre der westliche Kriegsschauplatz mit einem System ausgekommen. Der
Vorschlag, die bis dahin gebrauchten Koordinaten umzuwandeln, konnio nicht mehr
ver\\-irklicht werden, da er erst gegen Kriegsende verlautbar wurde.
Die preußische Landesaufnahme hält es jetzt für ihre vornehmste Aufgabe, die
Gauß-Krügerschen Koordinaten oder die Gaußsche Projektion, wie man auch
sagt, so schnell wie möglich einzuführen. Die Gnindlage dazu hat man neben anderm
aus dem bedeutenden Werk von L. Krüger Konforme Abbildung des Ellipsoids in
der Ebene, Potsdam (Leipzig) 1912, geschöpft. Dadurch wird die alte Schreiber-
sche Doppelprojektion (s. Schluß dieses Kapitels) abgelöst. Das Wesen der Gauß-
schen Projektion besteht darin, daß die Meridionalstreifen vom Sphäroid auf die
Ebene winkeltreu übertragen werden. Daß die Projektion in nordsüdhcher Richtung
beliebig ausdehnbar ist, wurde oben bereits vermerkt. Von dem mittlem Meridian,
dem Hauptmeridian eines jeden Meridianstreifens, geht man P^" nach 0 und W,
daß mithin jeder Streifen drei Längengrade umfaßt. Außerdem erhält jeder Meridian-
streifen seinen eigenen Nullpunkt. Wie ich den Ausführungen Baumgarts in der
Zeitschrift für Vermessungswesen entnehme^, wird der bisherige Hauptmeridian der
Landesaufnahme, 31° östl. Ferro, weiter beibehalten, und die Nullpimkte verteilen
sich auf die Meridiane 25°, 28", 31», 34", 37" und 40". Die Breite aller Nullpunkte
verbleibt für jeden Meridianstreifen wie bisher auf 52" 42' 2", 5325.
Durch die Einführung der Gaußschen Koordinaten erobert die preußische
Landesaufnahme ihr altes Prestige im Vermessungswesen zurück. Denn dadurch
wird ein großer Fortschritt erzielt, insofern sämtliche 40 bei der preußischen Katasfer-
messung in Anwendung stehenden Soldnerschen Koordinatensysteme, deren Or-
dinaten nicht über 60 km hinausgehen, rund auf sechs, auf die Bedürfnisse der ge-
nauesten Grundstücksvermessung Rücksicht nehmenden Teilsysteme beschränkt
und sämtliche trigonometrische Punkte der Landesaufnahme in rechtwinkligen Ko-
ordinaten ausgedrückt werden, die für Einzelmessungen und die Kartographie (ein-
schließhch des artilleristischen Planmaterials) unmittelbar zu verwerten sind. Außer-
dem erübrigt sich die Umrechnung aus geographischen Koordinaten. Bisher werden
in der Landesaufnahme rechtwinklig ebene Koordinaten nur zu Ausgleichungszwecken
berechnet. Für die Einzelvermessungen und die Kartographie waren sie belanglos.
Es ist nur zu wünschen, daß sich auch die süddeutschen Staaten sobald wie möglich
anschheßen und Bayern seine ,, splendid Isolation" als das „klassische Land der
Kongruenzkoordinaten" bald aufgibt.
Obwohl man sich in Deutschland über die Gaußschen Koordinaten als die besten
für eine Landesaufnahme längst klar war, hatte es doch recht lange gedauert, bis sie
den Sieg über andere Koordinaten davontrugen. Vor rund hundert Jahren wurden
sie zum ersten Male angewendet, und zwar durch Karl Friedrich Gauß bei der
Landestriangulation von Hannover 1821— 1844. ^ Über die Theorie selbst hat Gauß
' Wieweit die GauBscben Koordinaten den Soldnerschen gegenüber überlegen sind, wird
an Beispielen im 3. Bd. der Vermessungskunde von Jordan-Eggert, Stuttgart 1916, S. 309 nach-
gewiesen.
- Baumgart: Die Bezifferung de« Meldegittemetzes in Übereinstimmung mit den tatsäeh
liehen Koordinatenwerten. Z. f. Verm. 1919, S. 187ff.
5 Vgl. K. Fr. Gauß' Werke. IV. Göttingen 1873.
Die OnindlagPii der topopraplii?i-hoii Abbildnnpeii. 185
nichts veröffentlicht, sie wurde 1866 aus den Traditionen der Hannoverschen Landes-
aufnahme von 0. Schreiber herausgeschält.^ Aber noch fand sie nicht die genügende
Beachtung. Selbst der von F. E. Helmert am 13. August 1877 bei der in Frankfurt
a. M. tagenden Hauptversammlung des Deutschen Geometervereins gehaltene Vor-
trag, in dem Helmert den hohen Wert der Haimöverschen Projektionsmethode be-
leuchtete, hat wenig gefruchtet. Seit 1881 hatten sich in ganz Deutschland die
Soldnerschen Koordinaten eingenistet ; und es ist mehr als eine eigentümhche Fügung,
daß das klassische Gaußsche konforme System gerade in Deutschland keine amt-
liche Einführung fand. „Es ist nicht unmöglich, daß das laute Kühmen der Vorteile,
welche die einheitlichen, süddeutschen Soldnerschen Systeme viele Jahrzehnte
lang voraus hatten, schließlich dem gleichen System auch in Preußen zum Siege ver-
holfen hat; allein jenes Rühmen hat die feinern Unterschiede und Vorteile der Kon-
formität neben dem Hauptmomente, daß überhaupt umfassendere, auf Erdkrümmung
berechnete Koordinatensysteme notwendig sind, nicht in Betracht genommen."^ Den
Anstoß zur gründlichen Behandlung der Frage gab W. Jordan durch seinen Vortrag
über „die deutschen Koordinatensysteme" bei der Tagung des Deutschen Geometer-
vereins am 8. Juni 1895 in Bonn. Der Streit hierüber tobte ein Jahr lang fort.* End-
lich war man von der Bedeutung der Gaußschen konformen Koordinaten auch in
weitern als bloß geodätischen Kreisen überzeugt. W. Jordan schloß seine Rephken
mit dem prophetischen Wort: ,,Wenn abermals zwei Jahrzehnte verflossen sein
werden, ums Jahr 1916—1920, wird die Gaußsche konforme Projektion für Kataster-
aufnahmen ebenso unbestritten als zweckmäßigste gelten wie heute die früher für
unausführbar erklärte Gaußsche Ausgleichung für Katasterdreieckmessimgen". Das,
was die Franzosen für ihre neue Katastervermessung suchten. Einführung von meri-
dionalen Streifen mit konformen Koordinaten*, ist ganz das, was in dem deutschen
Koordinatensystem nach Gauß vorhegt. Ch. Lallemand, der Bearbeiter des neuen
französischen Katasters, kaimte die Hannoversche Projektionsmethode, die er außer
in Frankreich auch in Ägypten anwandte. Aber auch in Deutschland seilest griff man
bei Neueinrichtungen von Landesaufnahmen auf die Gaußschen Koordinaten zurück,
wie bei der winkeltreueu Kegelprojektion der Landesaufnahme von Mecklenburg.
In den deutschen Kolonien ist von 1912 ab von der preußischen Landesaufnahme
nach Gaußschen Koordinaten gearbeitet worden. Neben Preußen und Sachsen hat
jetzt Österreich mit der Einführung der Gauß -Krüger sehen Meridianstreifen begormen.
Andere Staaten dürften bald in größerer Anzahl nachfolgen, zunächst Griechenland.
Schweden, Norwegen.
' O. Schreiber: Theorie der l'i-ojektionsniothodo der Hannövei-scheii Landesvermessuiip.
Hannover 1866.
- .M. Rosenniund: Die Änderung des Projektionssystems der sohweizorisihen Landes-
vermessunj;. Bern 1903, S. 52.
' Man vgl. dazu die versi^liicdenon Aufsätze in den Jahrgängen 1805 u. 1896 in d. Z. f. Verm.,
desgl. E. Hammer in G. J. XX. 1897/98, S. 44:i.
* MinisWre rles financey. Commission cxtrajuirlcnientaire du ladasti'e. Snu-s-comniission
technique. l^feetioii du cadasttre de la commune de Neuilly-Plaisanco (Seine-ot-Oise) par Ch. Lalle-
mand, ingtnieur en ihef des niines, directeur du service du nivellemcnt giSm^ral de la France. Kxfmit
du rapport g6n6ral sur les travaux de la sous-commission technique par M. E. Choysson, insj«H'tcur
g6n6ral des [K)nts ot chaussi^es. Paris 1898. ^■gl. W. Jordans Referat in Z. f. Vemi. XXV'lIl.
1899, S. 38. — Ferner orientiert hiertlber Rothuniel: Erneuenmg \i. Wiederherstellung des Katasters
in Frankreich. P.M. 1907, S. 90-93. insbes. S. 93.
186 Pas Karteniiet?;.
Durch General 0. Schreiber war in der preußischen Landesaufnahme eine
rechnerische Methode ausgebildet worden, um die rechtwinkligen sphärischen Ko-
ordinaten zunächst auf eine Kugel und alsdann von der Kugel auf eine Ebene abzu-
bilden. Dieses Verfahren führt den Namen „konforme Doppelprojektion". Die
Praktiker der preußischen Landesaufnahme schreiben ihm besondere Vorzüge zu
bei der Ausgleichung der Beobachtungsfehler im Dreiecknetz. Im einzelnen erfolgt
die Berechnung beim ersten Übergang (von Elhpsoid auf die Kugel) nach einem
Gauß sehen Grundgedanken, beim zweiten Übergang (von der Kugel zur Ebene)
nach dem (jedanken der Mercatorprojektion.i
77. Die Soldnersche Projektion, Werm man die als rechtwinklig sphärische,
bzw. Soldner sehe Koordinaten ausgedrückte horizontalen Strecken der x und ?/
imserer Dreieckspunkte (Bild 1) wie ebene rechtwinklige Koordinaten auf dem Papier
aufträgt, um danach großmaßstabige Karten zu konstruieren, sagt man, diese Karten
seien in Soldnerscher Projektion entworfen, obwohl eine Projektion im eigenthchen
bzw. üblichen Sinne nicht vorUegt.
Uns interessiert hier vorzugsweise die Anwendung dieser Abbildungsart auf
topographischen Karten. In der Hauptsache werden wir da zu Kartenwerken geführt,
die in Süddeutschland entstanden sind. Die großmaßstabigste ist die in 15572 Blättern
ausgeführte württembergische Flurkarte in 1 : 2500.^ Die Flurkarten sind auf
dem sphärisch-rechtwinkligen Koordinatensystem aufgebaut. Statt Quadrant heißt
es für die Flurkarten Nordost-, Südost-, Südwest- und Nordwestregion. Die trapez-
förmigen Erdoberflächenstücke, durch die sphärischen Koordinaten umrahmt, werden
von der Projektionsmitte aus nach N und nach S als Schichten bezeichnet und mit
römischen Zahlen beziffert und nach 0 und W als Eeihen oder Nummern mit arabischer
Beziffenmg. Bei der Übertragrmg der trapezförmigen Stücke, deren Längen zu je
4000 württembergischem Fuß = 1145,69 m angenommen worden sind, wurden sie
auf der Ebene als gleich große Quadrate abgebildet.^ Je einem Quadrat entspricht eine
württembergische Flurkarte. Bei der ganzen Abbildungsart setzt man eine kugel-
förmige Erdolierf lache voraus. Die Nichtberücksichtigimg der Abplattung hat auf
die Karten eines so kleinen Landes wie Württemberg keinen Einfluß.
Die Trapeze der Kugel oder des Sphäroids durch Quadrate in der Kartenebene
nachzubilden, kann nur bis zu einer gewissen Grenze vom Meridian des Nullpunktes
aus nach 0 imd W erfolgen ; denn mit der Entfernung von der Kartenmitte werden die
trapezförmigen Stücke in der Natur etwas kleiner. Bei den wjirttembergischen Blättern
des äußersten 0 und W entsprechen wohl noch die Nord- und Südränder den Ab-
messungen auf der Kugel, aber die Ost- und Westränder sind um 0,06 mm zu lang.
' Daher die nicht ganz pa.ssende Bezeichnung „Doppelprojektion". Beide Vorgänge muß
man eben genau auseinanderhalten. Darum wird auch das Wesen dieser Abbildungsart selten richtig
erfaßt. Ich glaube nicht, daß derjenige ein klares Bild gewinnt, der die einschlägigen Kapitel in
E. Häntzschels „Erdsphäroid und seine Abbildung", Leipzig 1903, durchstudiert hat. — Man
vgl. auch die Besprechung über Hnntz.<-chels Erdsphäroid von O. Galle in Z. d. Ges. f. Erdk. zu
Berlin 1904, S. 534ff.
- Die Angaben hieiüber hat A. Egcrer, der Vorstand der topographischen Abteilung des
Württembergischen Statistischen Landesamtes in Stuttgart, in seiner Kartenkunde, a. a. O., gut
zusammengestellt.
114
Imf mit Äff Snitj.nliinir*. .
2500
Die Grundlsfrcn der topographischen Abbildiinpen. 187
Indessen ist das eine Größe, noch nicht einmal ein Zehntelmilhmeter, die bei der Karten-
herstellung und -reproduktion in keiner Weise von Belang ist. Immerhin darf lüese Art
Karten nicht in allzuweite Gegenden nach 0 und W ausgedehnt werden, weshalb sich
die sphärisch rechtwinkhgen Koordinaten auch mehr zur Abbildung von meridional
gestreckten Ländern eignen. Zum ersten Male wurden die sphärischen Trapeze in
Quadratform auf der Kartenebene von Cesar Francois Cassini de Thury (1714
bis 1784) auf der Carte de France 1 : 86400 (100 Toisen = 1 Pariser Linie) angewendet,
weshalb man auch von Cassinis Projektion oder von Cassinis transversaler
Plattkarte^ spricht. Ein anderes Kartenwerk, das außer den württembergischen
Flurkarten in Cassini scher Projektion vorüegt, ist der alte Topographische Atlas
von Württemberg 1 : 50000. Jedes quadratische Blatt des Atlas umfaßt 400
württembergische Flurkarten oder nmd 520 qkm.
Das gleiche sphärisch rechtwinkUge Koordinatensystem wie den württem-
bergischen Flurkarten liegt den bayrischen Steuerkarten 1:5000 zugrunde.-
Die Benennung der einzelnen Karten folgt ganz demselben Schema wie die der
württembergischen Flurkarten. Die Großkreisseiten der bayrischen trapezförmigen
Stücke sind 800 bayrische Ruten lang = 2834,87 m.^ Die sphärischen Koordinaten
der Trapeze sind genau nach Soldner berechnet mid die Übertragimg auf die Karten-
ebene erfolgt auch nach den berechneten Eckenwerten; das Auszeichnen geschieht
in ebenen Koordinaten. Der Effekt der Trapezzeichnung läuft in der Praxis auf ein
Quadrat hinaus. Die Abplattung der Erde ist gleichfalls nicht berücksichtigt. Immer-
hin hegt ein Unterschied vor in der Konstruktion der Karte gegenüber der Cassini-
schen Projektion mid man kann eventuell von einer ,, Soldner sehen Projektion'
sprechen, unter L'mständen auch von einer ..Cassini-Soldner sehen Projektion", wie es
E. Hammer^, M. Eosenmund^ u.a. getan haben. J. G. v. Soldner hat das große
Verdienst, als er 1808—1821 als wissenschaftücher Beirat bei der bayrischen Landes-
vermessung tätig war, das nach ihm benarmte Koordinatensystem zur Einführung
gebracht zu haben*, das später in Deutschland das weitaus verbreitetste wurde.
J. Frischauf wendet sich gegen die Bezeichnung ,,Süldnersche kongruente Pro-
jektion"", da Soldner zu seinen Berechnungen nie ebene Koordinaten benutzte."
Indessen, wenn Frischauf die Bezeichnung Cassiniprojektion gelten läßt, kann man
mit fast gleicher Berechtigung von Soldnerjjrojektion sprechen. Jeder Sachversändige
' J. Frischauf: Zum kartographischen Bilde des Groß- u. Parallelkreises. Z. f. Verm. 1914, S. 7.
- \'pl. die bayerische Landesvermessung in ihrer Wissenschaft!. Grundlage. Hg. v. d. K. Steuer-
Katasterkommission in Crt>raeinschaft ni. d. topogr. Bureau des k. G*ncralstabes. München 187."}.
' Für praktische Zw«>cko wenlcn die Trapeze Quadrate mit genügender Genauigkeit mit der
5000
' E. Hammer: Darstellg. einer Erdkugel in C»s>ini -Soldners Projektion. Kcttlen- Z. l.
wiss. Geogr. VI. Weimar 1888, S. 47ff. — Vielfach so genannt auch in seinem Buche „Ül)er d.
geogr. wichtigsten Proj." Stuttgart 1889.
' M. Kosenniund, a. a. 0., S. 16.
• W. Jordan u. K. Steppcs: Das deutsche Vermessimgswesen. 1. Stuttgart 1882, S. 20;t.
— Vgl. auch die Biographie Söldners von .1. K. Müller: Johann Georg Suldner, der GtHuiiit.
Diss. München 1914.
' J. Frischauf: Die mathcm. Grundingen der I^ndcsaufiiiiluue u. Kartographie des Eni-
sphämids. Stuttgart I9i;(, S. 1.51. - .\ui'h P. Gart wendet sich gegen die falsche Deutung des
Wortes „Kongruenz", bes<mders in der ausführlichen Bosprechimg von A. Ahendroths „Praxis
des Vcrmessungsingctiieurs'' (Berlin I'.II2) i. '/.. f. Verm. l!M:t. S. 287. 288.
188 r)as Kartenni'tz.
weiß genau, was darunter zu verstehen ist. Der Ausdruck „kongruente" Soldner-
sche Koordinaten erklärt sich wegen ihrer Eigenschaft, daß die abgetragenen Ordinaten
und Abszissen gleich lang sind wie die entsprechenden Meridianabstände und Meri-
dianabschnitte ^, doch ist er unglückhch gewählt und gibt zu Mißdeutungen Anlaß,
darom am besten auch zu verwerfen.
Die Cassini sehe wie Soldner sehe Projektion kann man als Zylinderprojektion
ansehen, bei der ein Zylinder die (kugelförmig vorausgesetzte) Erde im Mittelmeridian,
d. h. den gewählten Nullmeridian des abzubildenden Landes berührt.^ Deshalb wird
sie rein sachlich als eine transversale zylindrische Projektion mit längentreuenHaupt-
kreisen bezeichnet .^ Legt man bei der Soldner sehen Projektion das Schwergewicht
auf die berechneten und abgebildeten Trapeze, dann spricht man auch von einer
„Soldner sehen Polyederprojektion "^, ganz gleich, ob die bayrischen Steuerblätter
oder die Blätter der Topographischen Karte vom rechtsrheinischen Bayern 1 : 25000,
die nach dem gleichen Prinzip wie die Steuerblätter entworfen sind,^ bei der Ver-
ebnung nahezu quadratische Größen haben. In der Cassinischen Zylinderabbildung
finden \\-ir in Deutschland noch die Topographische Landeskarte von Braunschweig
1 : 10000 imd die Karte 1 : 25000 von Hessen.
Die Soldner sehen Koordinaten haben auch die deutsche Kriegskartographie
beherrscht, wenigstens an der Westfront. Als der Krieg zum Stellungskrieg ausartete,
konnte das vorhandene französische Kartenmaterial nicht mehr genügen und war
man deutscherseits wie auch auf selten der Franzosen und Engländer gezwungen,
das Land topographisch neu aufzunehmen und Karten mit neuem, artilleristisch
brauchbarem Gitternetz zu schaffen. Da es sich um die großen Maßstäbe 1 : 5000 bis
1 : 25000 handelte und irgendwelche Direktiven zu einem einheithchen Koordinaten-
system für die gesamte Westfront von der deutschen Landesaufnahme nicht vorgesehen
und gegeben waren, war es mehr als natürlich, das bewährte und einfach zu hand-
habende Soldnersche Koordinatensystem, das in der gesamten deutschen Kataster-
messung gang und gäbe war, auf das Kriegsgelände zu übertragen. Da man infolge
der westöstlichen Ausdehnung der Frontgebiete, rund fünf Längengrade, mit ein-
maliger Anwendung des Systems nicht auskommen konnte, entstanden infolgedessen
eine Anzahl Soldnersche Koordinatenbereiche mit den Nullmeridianen in Verdun,
Pont Faverger, Keims, Laon und Lille. Sie sind dem deutschen Kriegsvermessungs-
wesen nach dem Kriege als ein Fehler sowohl von deutscher wie von englischer Seite
vorgeworfen worden^; doch das ganz zu Unrecht, wenn man nur einigermaßen die
Entstehungsgeschichte der Koordinatensysteme keimt. Es soll nicht in Abrede ge-
stellt werden, daß der Wechsel von einem Koordinatensystem der einen Arinee zu
dem der andern von der Artillerie in den Grenzgebieten der Armeen unangenehm
empfunden wurde. Nachdem aber die Artillerieoffiziere überzeugt worden waren.
1 W. Jordan in d. Z. f. Verm. XXV, 1896. Kongruente oder konforme Koordinaten, S. 193 ff.
Soldnersche oder Gaußsche Koordinaten, S. 321 ff.
2 E. Hammer: Darstellg. einer Erdkugel, a. a. O., S. 47, 48.
* E. Hammer: Üb. d. geogr. wichtigsten Proj., a. a. O., S. 19.
* A. Egerer, a. a. O., S. 31.
■' Der Blattrand entspricht einer Naturlänge von 3200 bayrisch. Ruten = 9339,5 ni, d. i. in
1:25000= ^^-^yj"»»-. 37.3,6 mm.
25000
« Man vgl. hierüber eine Anzahl Aufsätze in den Jahrgängen 1919 und 1920 i. d. 'A. f. Venn.
u. im Geographical Journal.
Die Grundlage drr topograpliisrhi'ii Abbilduiifjpn. 189
daß das Schießen durch den Wechsel wenig beeiufhißt werde, daß selbst hei entfernten
Zielen für weittragende Geschütze mit einem Fehler zu rechnen ist, der noch iimer-
halb des Streuimgsbereiches der Geschütze lag, fand man sich mit dem wenig schönen
Zusammenschluß der Koordinatensysteme so gut wie es eben ging ali.
Die Engländer waren mit ihrem Koordinatensystem bzw. Gitternetz auf die
Bonnesche Projektion hineingefallen, was sie selbst später eingesehen haben. ^ Die
Franzosen als das offenbar mathematisch begabtere Volk wählten mit raschem Ent-
schluß ein neues winkeltreues Koordinatensystem für ihre Gittemetzkarten, das auf
eine winkeltreue (orthomorphe) Projektion J.H.Lamberts zurückgeht; sie nannten
es „Quadrillage Systeme Lambert", dessen Nullpunkt möghchst weit .nach 0 gelegt
wurde. Das System leistete bei weitem mehr als das englische und konnte auch
über ein größeres westöstliches Gebiet als das Soldnersche ausgedehnt werden.
78^ Das Gitternetz. Zieht man die gleichabständigen Abszissen- und Ordinaten-
werte geradlinig aus, dann erhält man ein Koordinateimetz, das als „Gitternetz"
bezeichnet werden kann und ein weiteres Mittel ist, die Ortslage schnell imd sicher
zu bestimmen. Bisher hat das Gitternetz wie überhaupt das rechtwinklig sphärische
Koordinatensystem dem Geographen ferngelegen, aber die Kriegskarten zwangen
ihn, sich mit diesen ,, neuen" Kartermetzen näher bekamit zu machen. Man darf
nicht glauben, daß dies nur eine vorübergehende Erscheinung ist, die kommende
intensivere Beschäftigung und Erforschung des heimathchen Bodens werden schon
dafür sorgen, daß sie in der Geographie nicht wieder in Vergessenheit geraten; denn
dadurch, daß fernerhegende Gebiete von der Erforschung vorderhand ausgeschlossen
erscheinen, wird sich die Erforschimg des heimatlichen Bodens verdichten und in-
tensiver gestalten. Das führt zweifellos zum Studium großmaßstabiger Karten,
und daim stellt sich die Bekanntschaft mit dem ,, Landesvermessungssystem" von
selbst ein.
Ein Kartennetz nach rechtwinkhg sphärischen Koordinaten in großem Maß-
stabe hergestellt, kann man in westöstlicher Eichtung bequem auf 100—120 km
ausdehnen, ohne Gefahr zu laufen, von natürüchen Verhältnissen stark abzuweichen.
Die Winkelverzerrung ist eine minimale wie auch die ßichtungs- und Entfernungs-
änderung imd erst an den Ecken des gesamten Netzes merkbar, aber kartographisch
kaum darstellbar. Infolge dieser ausgezeichneten Eigenschaften sind die Soldner-
schen Koordinaten zur Herstellung eines Gitternetzes wie geschaffen. Man wählt
in der Regel die Entfernung der Großkreise (die senkrecht den Meridian des Null-
pimktes durchschneiden) wie der Kleinkreise (die parallel zum Meridian des Null-
punktes verlaufen) zu 1 km = 1000 m. Bei dem Maßstab 1 : 25000 beträgt diese
Strecke 4 cm. Das Kartenblatt, etwa von der Größe eines Meßtischblattes — im
Kriege war für die Neuaufnahme in 1 : 25000 die Größe 40 X 40 cm üblich geworden — .
wird sodann mit einem Koordinaten- oder Gitternetz überzogen. Das Gitternetz
wird über den Innern Kartenrand hinaus verlängert bis zu dem etwa 8 mm ent-
fernten äußern Kartenrand. An die 8 mm langen Endstücke der Koordinaten läßt
sich bequem die Bezifferung anbrhagen.
Verschiedene topographische Kartenwerke hatten bereits vor dem Kriege den
Anfang zu einer ausführlichen Gitternetzbezeichnung gemacht, indem iiuf den Blatt-
> iM. Eckert: üio Kartographie im Kriege. O. Z. 1920, S. Ulöff.
190 l>as Kait.MiKtz.
rändern außer der AiigalK' der geogniphischen Netzeinteilung iiocli die der Längeu-
einteikuig nach rechtwinkligen Koordinaten gebracht wird. So zeigen die Karten-
ränder der Karte 1 : 20000 in Wü'-tlemberg und Baden die Teihmgen von 1000 zu
1000 m und in Sachsen und Hessen von 2000 zu 2000 m. Auf den neuern hessischen
Blättern smd die Koordinaten vollständig ausgezogen wie auch auf der Topographischen
Landeskarte des Herzogtums Braunschweig 1 : 10000, hier als 1 km-Netz.
Wie die Gaußschen Koordinaten den Soldnerschen, ist auch das Gitternetz,
das sich auf Gaußsche Koordinaten bezieht, dem Soldneischen wegen der großen
westöstlichen Ausdehnung überlegen. Mit dem Gitternetz des Gaußschen Koordinaten-
systems beschäftigt sich Baumgart (S. 184) eingehender und betont, daß sich in-
folge des zunehmenden Gebrauchs von Karten in allen Wirtschaftszweigen des öffent-
üchen Lebens im vermehrten Maße die Notwendigkeit gezeigt hat, ,,die bisher nur
auf militärischen Karten gebräuchhchen Meldegitternetze mit 1 km Maschenweite
auch auf alle technischen imd wirtschaftlichen Karten größern Maßstabes zu über-
nehmen". Um die Bezifferung des Gitternetzes allgemein verständlicher zu machen,
bringt er den Vorschlag, für x imd y die einfachem Ausdrücke „hoch" und ,, rechts"
für den allgemeinen Kartengebrauch zu wählen, da es sich für Deutschland nur um
Werte des ersten Quadranten handelt. Ferner schlägt er vor, tlie nach 0 positiv
zählende ?/-Achse in den Äquator und die nach N positiv zählende x-Achse in den
Nullmeridian von Ferro zu legen, wodurch der Anfangspunkt der rechtwinkligen
Koordinatenzählung mit demjenigen der geographischen Werte identisch wird. Die
Vorteile einer solchen Zählung sind offenbar. Alle Koordinatenwerte Deutschlands
(wie Europas, Ferro- Orientierung vorausgesetzt) Hegen in dem Nordostquadranten,
shid mithin durchgängig positiv. Damit erübrigen sich in Karten und Koordinaten-
tabellen alle Vorzeichen. Ebenso vereinfacht sich die trigonometrische Rechnung.
Von Seiten des Geographen muß man Baunigarts Vorschlag aufs wärmste unter-
stützen.
Auf den neuen Kriegskarten in 1 : 5000, 1 : 10000 und 1 : 2.5000 hat sich das
Gitternetz vorzüglich bewährt, vor allem zu Meldezwecken, weshalb man auch von
Meldegitternetz spricht. Ein Kartenbild mit dem Gitternetz hat eine außer-
ordenthche Orientierungskraft. Für artilleristische Zwecke wurden besondere Karten
in 1 : 25000 herausgegeben, auf denen die Kilometerentfernung nochmals in 5 Teile
unterteilt wurde, so daß ein Kilometerquadrat in 25 Kleinquadrate von je 64 qmm
Fläche zerfällt. Das Kleinquadrat, dessen Seiten je 200 m in der Natur entsprechen,
wurde nochmals in 4 kleinere Quadrate, a, b, c, d, geteilt, deren Seiten mithin je
100 m, auf der Karte 4 mm lang waren. Damit hatte man ein praktisches, leicht
verständliches vmd nie versagendes Mittel, die wichtigsten Geländepunkte, Artillerie-
stellungen, Minenwerferstände, Beobachtungsstellen, Truppenstellungen usw. so genau
wie möglich anzugeben und gegebenenfalls zu melden. Selbst die Flieger bedienten
sich bei ihren Meldungen des Kleingitternetzes. Für die Infanteriekarten war letzteres
nicht angebracht, da es die schnelle Lesbarkeit des Kartenbildes beeinträchtigt hätte.
Mali half sich mit einer transparenten Zelluloidplatte, auf der ein Kilometerquadrat
mit Kleingitternetz eingeritzt war. Zur genauem Lagebestimmung wurde die Platte
auf die Karte gelegt und die gewünschte Auskunft ebenso sicher wie mit einem voll-
ständig ausgezogenen Kleingitternetz des Kartenblattes gegeben.
Außer der Zelluloidplatte bediente man sich auf den Kriegskarten zur raschen
Bestimmung von Punkten des Planzeigers, auch einer Errungenschaft der Kriegs-
Die Grimdlagi'ii tliT topogra|iliisclu!ii Abbildungen. 101
kartographie. die wert ist, weiterhin im Frieden beihehalten und aucti von geographischen
Kreisen benutzt zu werden. Jeder Maßstab erfordert einen besondern Planzeiger.
Man schneidet ein Kilometerquadrat von der Größe, wie es der Maßstab angilit und
teilt den obem und rechten Kilometerrand in so viel Unterteile, wie man noch deutlich
abzulesen vermag. Bei dem Maßstab 1 : '25000 wird man die lieiden Randseiten zu-
nächst in zehn gleiche Teile zerlegen und jeden Teil wiederum in fünf, so daß jeder
Teil 2 m in der Natur entspricht. Wo beide Teilungen zusammenstoßen (in der NO-
Ecke) ist der Eckpunkt, der den zu bestimmenden Punkt berühren muß, wobei die
Richtungen der Ränder des Planzeigers die des Gitternetzes der Karte einhalten.
An den graduierten Rändern des Planzeigers ist dann sofort die Lage des Punktes
der Karte abzulesen^ oder die Länge der (ebenen) Koordinaten x und ;/; darum möchte
ich vorschlagen, den Planzeiger richtiger Koordinatmeter zu nennen.
Die Angabe der Lage dm-ch das Kartengitternetz ist den bisherigen Angaben,
besonders wie sie im Kriege gehandhabt wurden, bei weitem vorzuziehen. Wie um-
ständlich hieß es oft: Das Wegekreuz befindet sich östlich des Dorfes N. N. an der
Waldecke etwa 200 m über dem Buchstaben x des Dorfnamens. Und das Dorf mußte
auch erst auf der Karte gesucht werden. Wie einfach dagegen: Das Wegekreuz be-
findet sich im Hauptquadrat 2010, Kleinquadrat 18, c. Das Resultat ist sicher, und
der Ort wird schnell gefunden.- Außerdem wird durch das Gitternetz das Abschätzen
der Entfernungen erleichtert. Wie leicht lassen sich die Angaben über Lage und
Entfernung kontrollieren, ob es auch stimmt, daß z. B. ein beschriebener See sich
SVä km von NW nach SO erstreckt oder eine geologische Ablagerung sich 7,8 km
lang nordsüdUcht ausdehnt oder ein Waldhufendorf 3 km lang ist. All diese Vorteile,
insbesondere die kurze und sichere Bezeichnung von Ortslagen, sollten ein Ansporn
für sämtliche Landesaufnahmen sein, künftighin die Meßtischblätter mit einem Gitter-
netz zu Überdrucken. Der Krieg hat zur Genüge bewiesen, daß dadurch das Karten-
bild in keiner Weise beeinträchtigt oder überlastet wird. Das geographische Koordi-
nateimetz kann eben, weil es seine Maschengrößen in nordsüdhcher Richtung stets
ändern muß, nicht das leisten, was das Gitternetz leistet, das auf gleich große Maschen
aufgebaut ist.
Eines Gitternetzes sei noch gedacht — falls es überhaupt erlaubt ist, hier von
Gitternetz zu sprechen — , das weder mit dem vorgenaimten etwas Gemeinsames hat
noch nach dem Gesetz irgendeiner Projektion entstanden ist. Es ist das Netz, das
topographische Kartenwerke in gleich große Quadrate oder Rechtecke zerschneidet .
so daß handliche Kartenblätter entstehen, die in beliebiger Anzahl lückenlos zusammen-
gesetzt werden können. Es ist eine Art Zwangsgitter. Das einzige Geographische
daran ist, daß man bei der Zerlegung vom Mittelmeridian des gesamten Karten-
werkes ausgeht. Die Projektion kommt weniger in Frage, es ist ganz gleich, ob die
' Wird 7.. B. der Planzeiger an den zu bestimmenden Punkt angelegt und zeigt der olici-c Rand
des Planzeigers 43'/.. Teile (also y) bis zur linken Gitterlinie und der graduierte Seitenrand CT) Teile
(also X) bis zur untern Gitterlinie, dann liegt der Punkt 87 m von der Abszisse und 130 m von der
Ordinate des Kilometergitters entfernt. Mithin ist der Planzeiger nichts anderes als ein meehauisches
Hilfsmittel, die Koordinaten x und y direkt nach ihr« r Größe abzulesen. — Vgl. auch T. 11 in P. M.
1919, wo E. Fels die Kleinquadrateinteilung und den Planzeigcr abgebildet hat, wie sie im Kriege
üblich waren; s. auch Text dazu S. 8,1 u. 84.
' Daß das Gitternetz im Kriege ein vorzügliches Mittel war, Onln\mg in den Wir^^varr von
Schützengrüben wie sie die .Schützengiubeukartefl (Lagekarten) zeigten, z>i bringen, sei nur neben-
bei bemerkt.
192 l^as Kartoniictz.
Karte iu Bomiesclier oder Kegelprojektion entAvorfen ist. In der Hauptsache handelt
es sich dabei auch nur um die beiden genannten Projektionen. Zu den großen Karten
in einfacher Kegelprojektion, die auf die angegebene Weise zerschnitten worden sind,
gehört die Eeymannsche Topographische Karte 1 : 200000^, zu den Karten in Bonne-
scher Projektion der Topographische Atlas von Bayern 1 : 50000^, die Vogelsche
Karte von Deutschland 1 : 500000», die Carte de France 1 : 80000.* An den Blatt-
ecken der französischen Karten sind Zahlen angegeben, die lediglich die berechneten
Koordmaten fiu- die Bonnesche Projektion sind, um die gesamte Karte Frankreichs
in gleichgi-oße Blätter zu teilen und deren lückenlose Aneinanderreihung in beliebiger
Anzahl zu gestatten.'' Dasselbe finden wdr auf den belgischen Karton 1 : 20000,
1 : 40000 und 1 : 100 000; bei letzterer sind nur die reinen Koordinaten werte angegeben.
Die offiziellen niederländischen großmaßstabigen Karten" huldigen dem gleichen
Prinzip, nur zeigen sie alte Teilung bei den Rekangaben, während Frankreich und
die neue Kreiseinteilung geben.
II. Die Gradnetze der topographischen Kartenwerice.
79. Gradabteiluugskarle und Polyederprojektion. Die ersten Gradabteihmgs-
karten begegnen uns schon in den württembergischen Flurkarten und den bayrischen
Steuerblättern, insofern die Blatteinteilung nach Kugelgroßkreisen senkrecht und
nacli Kleinkreisen parallel zu einem Meridian vorgenommen worden ist. Wenn wir
es nicht gewohnt sind, von diesen Karten als Gradabteilmigskarten zu sprechen, liegt
es bloß daran, daß bei ihnen die Beziehungen zum geographischen Koordiantennetz
nicht so offenkundig betont werden. Wird eine Karte von zwei Meridianen und zwei
Breitenparallelen trapezförmig umrahmt, sprechen wir von einer Gradabteilungs-
karte, selbstverständhch auch dann, wenn die entsprechenden Bruchteile der Grade,
meist in Minuten ausgedrückt, die Trapeze sind; diese oder die Maschen bilden das
Karten- oder Gradnetz des abzubildenden Landes.
Von Gradabteilungskarten muß man von all den Karten sprechen, die durch
Grade abgeteilt sind, ganz gleich, welche Projektion ihnen zugrunde hegt. So sind
die Übersichtskarte von Mitteleuropa 1 : 300000 imd die Übersichtskarte von Europa
und von Vorderasien 1 : 800000, welche beide Karten die preußische Landesaufnahme
herausgibt und in einer Kegelprojektion entworfen sind, Gradabteilungskarten. Unter
(jradabteilungskarten im engern Sinne sind wir von solchen in der Polyeder-
projektion zu sprechen gewohnt. Da bildet jedes Blatt oder Trapez für sich ein Ganzes,
mit besonderm Projektionsmittelpunkt und rechtwinkligem Koordinatensystem.
Auch für- Karten mittlem imd kleinen Maßstabes will J. Frischauf die Polyeder-
1 Die einzelnen Sektionen sind rund 34 x 23 cm groß.
2 Ein Atlasblatt umfaßte 50 x 80 cm ^ 1000 qkm = ]8 Quadiatmeilcn. Vcm der 2. Aufl.
ab in Halbblättern 50 x 40 cm.
" Die Blätter der Vogel sehen Ivarte sind je 39,5 x 32 cm groß.
* Ein gan/.es Blatt umfaßt 50 x 80 cm; außerdem wird es, in Vicrtelblättern zerlegt, 25 x 40cm,
herausgegeben.
' Daß z. B. die Engländer, unter ihnen A. R. Hinks, den Weit dieser Zahlen nicht richtig
verstanden haben, wenigstens während des Krieges vmd der Folgezeit, liabe ich i. G. Z. 1920, S. 321,
322 nachgewiesen.
« Über d. Projektion s. oben Anm. 1 auf S. 177.
Dif (Jrailiictzr der IdpcigraiihiscInMi Kart<nwerke. 193
projektiou derart verallgemeinern, daß jedes Blatt mit seinem eignen Koordinaten-
system zu versehen ist. In diesem verallgemeinerten 8iime faßt er den Begriff „Foly-
ederprojektion'' auf. Nach ihm sind die Vorteile dieser Projektion: „Erstens, be-
queme Konstruktion des Gradnetzes, wo statt der strengen Formeln leicht zu be-
rechnende Näherungsausdi-ücke verwendet werden können; zweitens, daß die Ver-
größeiTingszahl bei der nicht zu großen Ausdehnimg des Blattes praktisch als konstant
angesehen werden kann und dadurch auch der gewöhnlichen Vorstellung des Maß-
stabes genügt wird. Der Nachteil, daß mehrere Blätter olmo Klaffung nicht ver-
einigt werden können, ist verschwmdend gegenüber den Unterschieden der Karten-
blätter infolge Eingehens selbst des besten Papieres beim Drucke."^
Die trapezförmige Verjüngung der Masche ist eine Funktion der geographischen
Koordinaten. Da es sich dabei um großmaßstabige Karten handelt, darf die Ab-
plattung der Erde nicht vernachlässigt werden, was sich in der wachsenden Größe
des Breitengrades vom Äquator zum Pol ausspricht. Von 110,56 km am Äquator
wächst der Breitengrad langsam auf 111,68 km am Pole, in der Mitte Deutschlands
(51—52") beträgt er 111,25 km. Der Längengrad mißt auf dem Äquator 111,31 km
und nimmt polwärts rapid ab, um im Polpunkt zu verschwinden. In der Mitte Deutsch-
lands, auf dem 51. Parallel gemessen, hat er eine Größe von 70,19 km. Für die Zählung
der Meridiane ist auf den deutschen offiziellen Karten der Meridian von Ferro als
Nullmeridian ■ maßgebend. Am Äquator ist das Trapez nahezu quadratisch, in der
Mitte Deutschlands nimmt es eine Form an, deren Höhe rund ein Drittel mehr als
die Breite beträgt. Weil es aber nicht üblich ist, Karten in Hochformat zu zeichnen,
wird es erforderlich, mit einem Breitengrad zwei oder mehrere Längengrade in Be-
ziehung zu setzen. Derm nur auf diese Weise ist ein handhches Kartenformat zu
erhalten. Da für den Meßtisch die quadratische Form (57 X 57 cm) die geeignetste
ist, hat man sie zum Meßtischblatt in Beziehmig gebracht und umgekehrt. In dem
Maßstabe 1 : 25000 beträgt die Durchschnittsgröße der preußischen Meßtischblätter
rund 128 qkm. Das nördhchste Blatt (Nr. 1) umfaßt 116,177 qkm und das südlichste
(Nr. 3699) 139,687 qkm.
Das Meßtischblatt ist der 60. Teil emer Gradabteilung, also des Areals, das
von zwei aufeinander folgenden Längen- und Breitenkreisen umschlossen wird. Der
Breite nach wird die Gradabteilung in 10 Streifen oder „Banden", jede von 6' Breite,
unterteilt, der Länge nach in 6 Kolumnen oder Säulen, jede von 10' Länge. Das
ergibt für die gesamte Gradabteilung 60 Meßtischblätter. Jedes Meßtischblatt ist
ein sphärisches Trapez von 10' geographischer Länge imd 6' geographischer Breite.
Weil die Abweichung dieses sphärischen Trapezes von einer Ebene gleicher Ausdehnung
in dem Maßstabe 1 : 25000 verschwindend klein ist, werden die (Längen- und) Breiten-
kreise als gerade Linien gezeichnet. Eine weitere Folge ist, daß die topographischen
Aufnahmen wie auf einer Ebene stattfindend ausgeführt werden, dagegen werden
die trigonometrischen Punkte unter Berücksichtigung der Krümmung der Breiten-
grade aufgetragen.^
> J. Frischauf: Beiträge, a. a. 0.. S. 42, 43. — Woiiig Erfolg hatte der in Paris 1878 von
Beguyer de Chani-ouitois gemachte Vorschlag (Unilication des travau.\ gtSographiques. AusstoUg.
Franz. Abteilung. Klas.se XV'I, Nr. 12), alle Projektionen gnomooisch (zentral) auf umschrieben»-
Pülyederflächen auszuführen.
' Vorschrift für die topograph. Abteilung der Laudesuiifnahme. I. 2. Aufl. Berlin 1905,
S. 2. - Br. Schulze: Die mihtürisihen Aufnahmen. Leipzig u. Berlin 1903, S. 21.
194 "*>^ Kartennc'tz.
Die Karte des Deutschen Eeicbs in 1 : 100000 oder die „(leneralstabskarte"
ist gleichfalls eine Gradabteilungskarte. Jedes Blatt umfaßt in der geographischen
Breite 15' und in der Länge 30'. Folglich zerfällt eine Gradabteilung in acht Blätter
1 : 100000, oder in jedem der acht Blätter stecken l^J^ Meßtischblätter. Das Ver-
fahren der Herstellung ist das gleiche wie bei den Meßtischblättern. Flächeninhaltlich
machen sieh die Unterschiede zwischen Nord- und Südblätter bedeutend bemerk-
licher als auf den Meßtischblättern. Das Areal der nördlichsten Blätter beträgt je
870,884 qkm und das der südHchsten 1048,177 qkm.^ Bei der Topographischen
Übersichtskarte des Deutschen Eeichs 1 : 200000 finden wir wiederum die Grad-
abteilung. Die Fläche eines Blattes erstreckt sich über P Länge und V2" Breite,
umrahmt somit vier Blätter der Karte 1 : 100000 oder 30 Meßtischblätter. Bei der
letzten offiziellen Gradabteilungskarte der „Übersichtskarte von Mitteleuropa"
1:300000 umfaßt jedes Blatt 1" in der Breite und 2" in der Länge, also zwei
Gradabteilungen. Die große neue Karte 1 : 50000, die für ganz Deutschland ge-
plant ist^, wii-d sich in der Gradabteüung den vorhergehenden entsprechend an-
schließen.
Die Karten in 1 : 25000 sind in Preußen und den andern Bundes- oder Glied-
staaten mit Ausnahme des rechtsrheinischen Bayern (s. S. 188) Gradabteilungskarten.
Jedes Blatt ist m den vier Ecken des Blattrapezes genau richtig. Um die Blätter,
die zu einem abzubildenden Landgebiet gehören, genau aneinander zu passen, bedarf
man der Oberfläche eines Polyeders, hergeleitet von einer Kugel, deren Eadius 25 000 mal
kleiner als der der Erdkugel ist. Man spricht darum von Polyederprojektion
oder, weil in Preußen die diesbezüglichen Vermessungsergebnisse zum ersten Male
streng ausgebildet imd verwertet wurden, von der preußischen Polyederprojek-
tion.^ J. Aug. Kaupert (1822—1899) hatte die von v. Müffling herausgegebene
Instruction für- die topographischen Arbeiten des königlich preußischen General-
stabes (Berlin 1821) nach der Seite der polyedrischen Projektion vertieft und er-
weitert (Berlin 1884): ,,Das Prinzip der preußischen Projektion besteht darin, daß
jede Kartensektion für die Konstruktion in den angezogenen Maßstäben ein selb-
ständiges Ganzes (Einheit) bildet, also für sich (und nicht die Landeskarte in ihrer
Ausdehnung) auf der Ebene abgebildet wird. Die Kartenblätter bilden daher in
ihrer Zusammenfügimg ein Polyeder auf einem Sphäroide, welches der Verjüngung
des betreffenden Maßstabes entspricht. Die Abbildung des Teiles eines Sphäroids
auf einer Ebene kann theoretisch nur nach den Bedingungen der Ähnlichkeit in den
kleinsten Teilen z-wischen Original und Bild geschehen."^ Nach diesen klaren Worten
Kauperts über die Polyederprojektion darf es darum auch nicht weiter geschehen
(um in das Wesen dieses Entwurfs einzuführen), zu sagen, daß sie im Zerschneiden
einer großem, etwa nicht auf ein Blatt zu bringenden Karte, in einzelne Blätter besteht,
die von Meridianen und Parallelen l^egrenzt sind. Kauport hat durchaus das Wesen
der Polyederprojektion im engern Sinne (S. 208) festgelegt. Daß aber die Bezeichnung
1 Üb. d. Karte des Deutschen Reiches 1 : 100000 vgl. v. Zglinicki i. d. Z. d. Ges. f. Erdkde.
zu Berlin 1910, S. 551—607; wie auch den sich anschließenden Vortrag von A. Penck: Zur Voll-
endung der Karte des Deutschen Reiches 1 : 100000, S. 607—621.
* Karten u. wiss. VeröffentUchgn. der Landesaufnahme. Berlin 1920, S. 77.
' Über die „preußische Polyederprojektion" vgl. W. Stavenhagen: Die geschichtl. Ent-
wicklung des preußischen Militärkartenwesens. S.-A. atis der G. Z. 1900, S. 21.
* Mitgeteilt bei J. Frischauf: Die math. Grundlagen, a. a. 0., S. 160.
Dio Giadnftzc tW.r topograpliisi-licii KartetiWLTkr. 195
Folyederprojelition überhaupt niciil paßt, darüber melir in dem Kapitel über die
zulässigeji Fehler groß maßstabiger Karten.
Die Gradkarten kann man sich auch m anderer Weise entstanden denken. Für
jede Zone der auf gleicher Breite Ijofindlichen Kartenblätter nimmt man eine Kegel-
projektion an, bei der der Mantel den Mittelpunkt berührt. Dieser und die Breiten
werden längentreu abgebildet. Auch die ßreitendifferenzen entsprechen genau denen,
wie wir sie auf dem Sphäroid finden. Dadurch erhält man für jede Projektionszone
einen andern Grundkegel. Der Abwicklungsvorgang hat zu dem Namen poly-
konische Projektion geführt. Am einfachsten hat man die polykonischen Ab-
bildungen durch die Forderung definiert, daß die Parallelkreise diuch ein System
von Kreisen abgebildet werden, deren Mittelpunkte in gerader Linie liegen.^ Praktisch
verwendet sind bisher nur zwei polykonische Abbildungen, die polykonische Pro-
jektion des Coast Survey Office der Vereinigten Staaten- und die rechtschnittige
polykonische Projektion des enghschen War Office.' Bei Lichte besehen ist der
polykonische Entwurf nichts anderes als eine Art Polyederprojektion.*
Aus dem Wesen der polykonischen oder richtiger polyedrischen Projektion ist
es erklärUeh, daß nur Karten innerhalb der Zonen selbst aneinanderpassen, dagegen
die Eänder zweier benachbarter Zonen nicht auf einem Kreise hegen, sondern auf
zwei Ki'eisen mit verschiedenen Mittelpunkten. Die dadurch entstehenden Zwischen-
räume werden mit der Entfernimg vom Mittelpunkt immer größer. Die Zonen klaffen,
wie man sagt. Doch sind die Nachteile, daß mehrere Blätter ohne Klaffe nicht ver-
einigt werden köimen^, verschwindend gegenüber den Differenzen, die bei dem Ee-
produktionsvorgang des Kartenblattes entstehen. Neben andern hat sich M. Rosen-
mund mit dem Problem beschäftigt und nachgewiesen, daß z. B. bei einer Karte
der Schweiz in 1 : 100000, deren Einzelblätter die Höhe derjenigen der Dufourkarte
haben, die Zonen an der äußersten Ost- und Westgrenze erst 0,15 mm auseinander-
klaffen, ein Betrag, der gegen die Verzerrung des Papiers beim Druck gar nicht in
Frage kommt. ^
80. Topographische Karten ohne Gradubti'ilung, insbesondere die Bonnesi-he
Projektion. Die Gradabteilvmgskarteu haben das Bestreben, mnerhalb ihres ver-
hältnismäßig engen Bereiches keine merklichen Verzerrungsfehler aufkommen zu
lassen. Neben ihnen findet sich in nennenswertem Maße nur noch die Bonnesche
Projektion benutzt, die ein ganzes Land nach einem einheitlichen Projektionssystem
abbildet und infolgedessen mit sehr merklichen Verzerrungsfehlern rechnen muß.
Die Flächentreue spielt dabei die Hauptrolle.
Der französichse Ingenieurgeograph Rigobert Bonne" (1727—1795) hat
1 Tissot-Hammer, S. 156.
* Tafeln zur leichtem Konstruktion des Netzes bei .1. E. Hilgerd: Report of tlio Supüriutoml.
C'-oast survey 1859. Appendix 33, S. 328. — Projection tables of the U. S. Navy. Washington 1869.
- R. S. Woodward- Smitbsonian geogi-aphieal tables. Washington 1894.
' H. James i. Joum. Roy. Geogr. Soc. XXX. 1860, S. 106. - Tissot-Hammer, S. 161.
• Was man dann dazu sagen soll, wenn die Projektion der Weltkarte 1 : 1000000 nach der
Ix)ndi>ner Konferenz den Namen „modifizierte polykonische Polyederpixijektion " erhielt ülwrlaQ
ieh jedem, der nur einigermaßen etwas von Projektionen versteht. Vgl. oben S. 109. 110.
' 4 bis 9 Blätter können ganz gut miteinander verbimden werden.
" M. Rosenmund. a. a. O., S. 22.
' Nicht zu verwechseln mit dem etwas s|>iiter lebenden Obersten Henry Uonue, <ler auib
18*
196 '*«" Kartennotz.
die nach ihm benaruile Projektion, deren Vorzüge er 1752 auseinandersetzte, erfunden.
Lange Zeit figurierte sie als „verbesserte"' oder „modifizierte Flamsteeds Projektion",
selbst in dem amtlichen Bericht, den der franzosische Oberst Henry im Auftrage
der fünfgliedrigen Kommission abgegeben hatte, die durch das Depot de la guerre
zur Entscheidung der Frage, welcher Entwurf für eine größere Karte der beste sei,
eingesetzt worden war. Man hatte sich eigentlich schon 1803 im Depot de la guerre
für Bonne entschieden^, weshalb uns später auch die Bezeichnungen „Projection du
Depot de la guerre" oder „Projection de la Carte de France" begegnen. Die Heraus-
gabe der neuen Karte, der zweiten Carte de France, in 1 : 80000 die als Ersatz der
1750—1793 erschienenen Carte geometrique de la France de Cassini in 1 : 86400 dienen
sollte, wurde am 6. August 1817 vom König Ludwig XVIII. genehmigt. Daß man
seinerzeit über Wesen und Brauchbarkeit der Bonneschen Projektion gut orientiert
war, geht aus dem Bericht Henrys hervor, der sich über die Motive der Einführung
genauer ausläßt. -
Die Bonnesche Projektion gehört zu den unecht konischen. Sie hat mit dem
Kegel die Berülirungsparallele gemeinsam wie die Parallehtät der andern Breiten-
Icreise, aber die Meridiane sind nicht gerade, sondern gekrümmte Linien, die ihre
Form infolge der Verbindung der entsprechenden Abweitungspunkte auf den Paral-
lelen erhalten haben. Vor allem geht der senkrechte Schnitt von Parallelen und
Meridianen, der bloß beim Mittelmeridian besteht, verloren. Mit der Entfernung
vom Mittelmeridian, dem Nullmeridian der Projektion, wird die Winkelverzerrung
in der französischen Kartographie eine große Rolle gesj)'C'lt bat, boscnders bei der Frage der Ein-
führung der senkrechten Beleuchtung auf die Karte 1 : 80000.
^ Auch L. Puissant beschäftigte sich eingehender mit der Bonneschen Projektion in seinem
„Trait6 de topographie, d'arpentage et de niveUement". Paris 1807.
* „L'essence d'une bonne carte g^ographique serait d'etre une image pariaite, exaotement
proportioneDe dans ses dimensions, et semblable dans sa figure ä la portion de la surface de la Terra
qu'elle lepresente; mais la surface de la Terre ^tant courbe en tous sens, il est impossible de la d^ve-
lopper sur un plan, sans älterer ses dimensions et sa tigure. C'ept pourquoi I'on ne pourrait jamais
construire une carte g^ographique dans laquelle les distances des lieux, l'ötendue des pays et les
directions des points de la surface de la Terre. les uns ä l'egard des autres, correspondent rigoureusement
aus veritables.
Dans l'impossibiUt^ de satisfaire ä la fois ä ces diff^rentes conditions, ce qu'il parait y avoir
de mieux ä faire est de chercher ä satisfaire a une ou plusieurs d'entre elles de pr6ference aux autres,
suivant le but que I'on se propose. L'admiration a besoin de cartes qui repr^sentent les surfaces des
terrains, l'art militaire a besoin des distances des lieux, et la marine de leurs directions.
Depuis longtemps on est en possession de la m6thode de construire des cartes qui jouissent de
la propri6t6 de repr^senter les directions des lieux et de conserver aux m^ridiens et aux paralleles le
meme rapport entre eux qu'ils ont sur la Terre. Ces cartes satisfont completement aux besoins de
la marine.
On satisferait ä la fois aux besoins des deux autres Services, au moyen de cartes qui auraient
la propri6t6 de reprdsenter l'^tendue des pays exactement et les distances des Ueux au moins d'une
mani^re trfes approch6e, et ces cartes mferiteraient sans doute la pr6f6rence sur toutes celles qui n'auraient
pas le meme a van tage.
Teiles sont celles qui sont construites suivant la m6thode que Ion a adopt^e au D^pöt de la
guerre, pour la r6union des materiaux topographiques et gtographiques." Aus Henrys „Memoire
Bur la projection des cartes gtographiques, Paris 1810", publiziert in „Tome II au Memorial topo-
graphique et militaire, r6dig6 au D6pöt gen^ral de la guerre". Zitiert aus Berthaut: La Carte de
France 1750 bis 1898. Etüde historique. I. Paris 1898, S. 127. — Wie berühmt die Schrift schon zu
ihrer Zeit war, bezeugt ihre Wiedergabe (deutsch) in v. Zachs Monatl. Correspondenz. XXV. 1812.
S. 418-436.
Die Gradnetzf der topof^aphischpn Karteiiwerkit. 197
immer größer. Sie kann sich alsdann für topographische Karten bis zur Unerträg-
lichkeit steigern, weshalb die Projektion für Gebiete mit großer ostwestheher Aus-
dehnimg nicht geeignet erscheint. Irgendwie eine Einteilung in handlichem Format
nach Graden und Minuten vorzimehmen, ist völlig ausgeschlossen. Deshalb muß
sich eine topographische Karte, die auf den Einzelsektionen über ungefähr gleich
große Formate verfügen will, die Zwangsgittereinteilung (S. 191) gefallen lassen.
Die Geeignetheit der Bonneschen Projektion für topographische und choro-
graphische Karten hat zu großen Meinungsverschiedenheiten geführt. In dem geg-
nerischen Lager sind K. Zöppritz und E. Hammer die Wortführer, in dem andern
vor allem J. Frischauf und K. Then. Die Berufung der Gegner auf M. A. Tissot
ist nicht ganz am Platze, da Tissot ausdrückhch sagt, was jedoch in der Übersetzung
Hammers nicht voll zum Ausdruck kommt: ,,Es gibt keine Projektion, für die man
nicht auf der Erde den Umfang eines Gebietes bestimmen könnte, zu deren Dar-
stellung sie sich besser eignet als alle andern; keine von den bisher vorgeschlagenen
soU a priori ausgeschlossen werden."^ Und kurz zuvor spricht er von der Bonneschen
Projektion. Mithin hat er ilire Verwerfung durchaus nicht angeraten. Frischauf
selbst gibt Beispiele von topographischen Karten, die bei bedeutender Ausdehnung
so geringe Winkel- xmd Längenverzerrung annehmen, daß deren kartographische
Beriicksichtigung praktisch gleich Null ist.^ .Ja. K. Then behauptet sogar, daß eine
in Bonnescher Projektion gezeichnete Karte des Deutschen Reiches in 1 : 100000
erst in den äußersten Blättern den gleichen kartographischen Fehler aufweisen würde,
der in jeder einzelnen Sektion der gleichen, in der Polyederprojektion hergestellten
Karte in 1 : 100000 auftritt.» Ferner steht M. Eosenmund der Bonneschen Pro-
jektion gerecht gegenüber und untersucht ihre Verzerrungsverhältnisse für eine topo-
graphische Karte der Schweiz.* In dem Streite für oder wider Bonne sind choro-
graphische imd topographische Karten wahllos durcheinandergeschüttelt worden.
Beide Gruppen müssen streng auseinandergehalten werden. Bei der Wahl einer Pro-
jektion für neue topographische Kartenwerke kann heute, wo man mit dem Wesen
und den Vorzügen der preußischen Polyederprojektion oder den Gaußschen Koor-
dinaten besser als friiher Bescheid weiß, die Bomiesche Projektion als ausgeschlossen
gelten. Sie jedoch auch von chorographischen Karten gänzlich fernzuhalten, halte
ich für unangebracht, wie ich bereits nachgewiesen habe (S. 178).
81. Der französische Einfluß in topographischen Karlenwerken. In zweierlei
Richtung hatte das französische Vermessmigswesen auf das anderer Staaten ein-
gewirkt, in der Neueinrichtung der Katastervermessung und in der Verbessenmg
bzw. Erneuerung des topographischen Kartenmaterials; jene ging in der Hauptsache
auf Cassinis Projektion zurück, diese vornehmlich auf Bonnes Projektion. Das
18. .laiirhundt'rt gebitrf mit wenigen Ausnahmen ganz den Franzosen. Schon im
17. Jahrhundert hüben die Bestrebungen an, eine große Karte für ganz Frankreich
herzustellen, um vor allem den wirtschaftlichen Verhältnissen zu dienen; wir kennen
einen dahinzielenden .\uftrag des Ministers Coll)ert unter Ludwig XIV. an die Aka-
demie der Wissenschaften. Die Karte entstand auf Grundlage von Reisen versciiiedener
> .1. Frischauf: Die raath. Grundlage, a. a. O., ,S. U."».
- .r. Krischauf. a. a. O.. S. 146, 146.
' K. Tlien: Die liayerischeu Kartenwerke in iliix-n iniitlu-inntitulii-n Oiundlnj:«n. MUnolii
' M. Roeoiimund, a. u. O., S. 12ff.
198 ''•'•' Kaitennotz.
Akademiemitglieder \md war 1693 erschienen. Frankreich Wieb seit jener Zeit rege
in der Landesvermessung, und es sollten auch späterhin die Nachbarstaaten viel davon
profitieren.
Infolge der i'berflutung der französischen Kriegswelle über die Ostgrenzen de^<
Eeiches während des 18. Jahrhunderts war es natüi-lich, daß die in Mitleidenschaft
gezogenen Staaten zunächst unter französischen Einfluß kamen. Damals war der
französische Sieger noch imstande, Kulturwerte mitzuteilen. Zunächst war Süd-
deutschland mit dem französischen Vermessimgswesen bekannt geworden, was sich
in den neu einsetzenden Kataster- wie topographischen Aufnahmen kundgab. In
Württemberg gab J. G. Fr. Bohnenberger eine Karte 1 : 86400 nach der Cassini-
schen Projektion heraus, deren erstes Blatt 1798 erschien. Als später die württem-
bergische Landestriangulierung unter seine Leitung kam, wurde die Cassinische
Projektion in der von Soldner verbesserten Form für die Katastervermessung ein-
geführt und bei dem auf diesen Messungen fußenden Topographischen Atlas 1 : 50000
beibehalten.^
In Italien, wo die Franzosen das Vermessungswesen wie in Süddeutschland
organisiert hatten, war es die Carte topographique des Alpes von Raimond, in
1 : 200000, die Cassinischen Entwurf zeigte. Die Karte selbst wurde im Depot de la
guerre in Paris ausgeführt und 1820 publiziert. 1814 nahmen die Österreicher das
lombardisch-venetianische Königreich in Besitz und das Depot de la guerre in Mailand
■uTirde zu einem „I. R. Istituto geografico mihtare", das 1889 nach Wien verlegt wurde
und sich zum ,,k. k. Militärgeographischen Institut" auswuchs.^ Während jener
Zeit sind verschiedene Karten nach Cassinischem Entwurf erschienen, so in dem
Maßstab 1 : 86400 die Carta topografica dei ducati di Parma, Piacenza e Guastalla
(1828) und die Carta topografica del Regno Lombardo Veneto (1833).
Die Cassinische Projektion wurde 1806 durch den k. k. Generalquartiermeister-
stab für die Vermessung des österreichischen Kaiserstaats in Anwendimg gebracht.^
Die altern „Aufnahmssektionen" der Militänuappierung 1:28800 erscheinen ganz
in Cassinischor Art, desgleichen die 1810 begonnene ,,Spezialkarte der Monarchie"
1 : 144000 (2000 Klafter = 1 Wiener ZoU). Später ist man bald, nachdem man
nicht mehr an Bonne gefesselt war, zur Gradabteilungskarte übergegangen.
Am auffallendsten ist der Einfluß des französischen Vermessungswesens in der
Annahme der Boimeschen Projektion in topographischen Kartenwerken. Bei den
Geographen war die Bonnesche Projektion vor ihrer Amiahme durch das Depot de
la guerre längst im Gebrauch, aber durch letzteres erhielt sie ein Ansehen, „daß man
sich allmählich daran gewöhnte, die Projektion als die eigentlich selbstverständliche
zu betrachten".'' In Süddeutschland war es Bayern, das wohl für seine Kataster-
vermessung die Soldnerschen Koordinaten gebrauchte, für die topographische Karte
jedoch die Bonnesche Projektion vorzog. Für alle Karten des Großherzogtums Baden,
die 1825—1846 aufgenommen wurden, war sie die gegebene. Württemberg schloß
1 W. Jordan U.K. Steppes: Das cleutsflic Vennessungswesen. I. Stuttgart 1880, S. 252 —270.
* Vgl. V. Haardt v. Hartenthurn: Die militärisch wichtigsten Kartenwerke der europäischen
Staaten. Mitt. des k. k. militÄrgeogr. Inst. XXVII. 1907. Wien 1908, S. 155.
^ W. Hartl: Die Projektionen der wichtigsten vom k. k. Generalquartiermeisterstabe u. vom
k. k. rnüitärgeograph. Inst, herausgegebenen Kartenwerke. Mitf. des k. k. militärgeogr. Inst. VI.
Wien 1886, S. 148.
* E. Hammer: Über d. geogr. wicht. Proj.. a. a. O.. S. 109, Anm.
Die Gradnetze der topographischen Kartenwerke. 199
sich, wie wir bereits ^vissen, von der allgemeinen Mode, Bonne zu gebrauchen, aus.
Dagegen erschien 1822 in Österreich die Übersichtskarte des österreichischen Kaiser-
tums 1 : 864000 in Bonnescher Projektion. Von allgemeinen, nicht offiziellen Karten-
werken sei schUeßhch als eine neuere Karte in Bonnescher Projektion die Vogelsche
Karte von Deutschland 1 : 500000 auch hier genannt.
Der Bonnesche Entwurf begegnet uns ferner auf den offiziellen Kartenwerken
der Schweiz, wie auf der Dufourkarte 1 : 100000, sodann in Belgien, den Niederlanden,
in Schottland imd Irland. In Rußland wurde 1822 die Bonuesche Projektion für alle
Kartenwerke des russischen Generalquartiermeisterstabes festgesetzt, die sich, wie
es in den Verhandlungen heißt, gegenüber der Cassinischen Projektion mit Rücksicht
auf die Ausdehnung des Eeichos als die entsprechendste erwies.^ In Bonnescher Pro-
jektion erscheint seit 1847 nur die topographische Karte des europäischen Rußlands
1 : 126000 (1 Zoll = 3 Werst), die Dreiwerstkarte.
82. Der deutsche Einfluß in topographischen Kartenwerken. Obwohl der fran-
zösische Einfluß auf die allgemeine Kartographie im Anfang des 19. Jahrhunderts
mit der Übersiedlimg A. v. Humboldts von Paris nach Berhn gebrochen war, hat
er im Vermessungswesen, soweit es dem Militär imtersteUt war, noch lange nach-
gewirkt, bis etwa ziu: Mitte des 19. Jahrhunderts, sei es, daß man die französischen
Aufnahmemethoden befolgte oder sei es, daß man im W durch gleichmaßstabige Karten,
wie die Franzosen herausgegeben hatten, Anschluß suchte. Einen selbständigen Weg
schlug man zuerst in Preußen ein, wo die Polyederprojektion durch v. Müffling
und Kaupert ausgebildet wurde, zugleich aber durch das Wirken eines K. Fr. Gauß
die mathematische Form gefunden wurde, die auf Jahrhunderte hinaus jeghcher
Neuaufnahme Richtschnui- und Ziel sein wird. Daß der Deutsche J. H. Lambert
noch heute in dem neuen französischen Kriegskartenkoordinatensystem fortwirkt,
ist schon zur Genüge hervorgehoben worden, ebenso daß Ch. Lallemand die Gauß-
schon Koordinaten in Frankreich imd Ägypten angewandt hat. Wir erbUcken sie
■nieder in der neuen Karte 1 : 50000.
Die Koordinaten, wie sie durch Soldner ausgebildet worden sind, waren in
England für die Kataster- imd katasterähnlichen Karten maßgebend. Bei den
Cirafschaftskarten oder Map of counties 1 : 10560, den Six inch couuty maps (6 Zoll
= 1 engl. Meile) treffen wir auf 19 Soldnersche Koordinatensysteme. Dagegen be-
ziehen sich die Koordinaten der Ordnance map oder General map 1 : 63860, der One
inch map auf einen einheitlichen Nullpunkt in Chester, sonst ist die Karte ganz im
Sirme der Soldnerschen Projektion bearbeitet.
Das System der preußischen Gradabteilungskarte, also der preußischen Poly-
ederprojektion, die von W. Jordan für offizielle Karten das „Ei des Kolumbus"
genannt worden ist, erkemit man heute nachwirkend bei den meisten neuem karto-
graphischen Unternehmungen der verschiedenen in- und ausländischen Landes-
aufnahmen." Auf den württembergischen mid hessischen Blättern 1 : 25000 wird
auf der linken ol)em Ecke gleich „(iradabteilung" geschrieben und das Blatt in bezug
' S. Truck: Die Kntwickluiig der nusisehen Militärkurtugmphie vom Ende des 18. Jal\r-
hmidertfl bis zur Gegenwart. Mitt. (i. k. k. militärgeogr. Inst. XVIII. 1898. Wien 1899, S. 201, 202.
* H. WagnerH Meinung (Lohrbrch, a. a. 0., S. M8\ daß l>ei der Mohi-zahl topographischer
Karton die Blattcinteilimg iinabl)ängig vom Gradnetz erfolgt. l>e»telit heute nicht mehr zu 'Recht
Heute ist ob umgekehrt wie vor zwei und drei Dezeiniien.
200 Pos KartPnnetz.
darauf näher benannt. Österreich entschloß sich, die Spezialkarte 1 : 75000 als Grad-
karte nach preußischem Muster herauszugeben. Ein Gradkartenblatt ist ein geradlinig
begrenztes Trapez von 15 Breiten- und 30 Längenminuten. Durch die zwei in der
Mitte des Blattes sich senkrecht schneidenden Achsen wird das Blatt in 4 Teile zerlegt,
die ,, Aufnahmssektionen" heißen und bei der Mihtäraufnahme 1:25000 seit 1872
in Ver^vendung sind.^ Je ein „Aufnahmsblatt" umfaßt den 16. Teil einer Spezial-
karte mit 33/4' Breiten- und l'^j^' Längenunterschied. Bei der österreichischen Grad-
abteilungskarte 1 : 200000 sind die einzelnen Karten von Grad zu Grad begrenzt.
Auf der Neuen Administrativkarte von Niederösterreich 1 : 30000, deren erstes Blatt
1914 in der Bearbeitung von K. Peucker erschien^, beträgt die geographische Länge
jeder Karte 15' und die Breite 772'-
In Italien bildet ebenfalls das Gradkartenblatt, bezeichnet ,,fogho della carte
al 100 mila", die Grundlage der Einteilung. Auf der Carta topografica del Eegno
d'Italia 1 : 100000 sehen ^\^r einen geographischen Breitenunterschied von 20' und
einen Längenunterschied von 30'. Jedes Blatt enthält auf den Feldaufnahmen für
die Konstruktion der topographischen Karte 4 Blätter der Aufnahmen in 1 : 50000
und 16 Blätter der Aufnahmen in 1 : 25000.»
In weitgehendstem Maße hat die russische Militäraufnahme das preußische
Gradkartensystem durchgeführt.'' Auf der Spezialkarte des europäischen Eußlands
1 : 420000 (1 Zoll = 10 Werst) sind Meridiane und Parallele von 30' zu 30' gezeichnet,
auf der MiHtär-Marschrouten- (Straßen-) Karte des europäischen Eußlands 1 : 1050000
(1 Zoll = 25 Werst) von Grad zu Grad, auf der Karte des asiatischen Eußlands
1 : 4200000 (1 Zoll = 100 Werst) von 2» zu 2", ebenso auf der Karte des Grenzgebiets
des asiatischen Eußlands 1 : 1 680000 (1 Zoll = 40 Werst). Die russische Karte der
europäischen Türkei in 1 : 420000 zeigt die Meridiane und Parallele von 30' zu 80',
die Karte der europäischen Türkei 1 : 126000 imd 1 : 210000 die Meridiane von 45'
zu 45' und die Parallelen von 30' zu 30' imd die Umgebungskarte von Konstantinopel
und des Bosporus 1 : 42000 die Meridiane von 15' zu 15' und die Parallelen von 12'
zu 12'. Auf der Gradabteilungskarte der nordwestlichen Mongolei 1:2100000 sind
die Meridiane und Parallele von Grad zu Grad gezeichnet.
Von deri andern Staaten, die Gradabteilungskarten aufweisen, seien Frankreich,
Spanien imd Norwegen genannt. Norwegen hat im neuen Jahrhundert angefangen,
seine Topographische Karte 1 : 100000 als Gradabteilungskarte umzuarbeiten und
herauszugeben. Die geographische Länge eines Blattes umspannt 1" und die Breite
20' (Vs")- Spanien hat sein gesamtes offizielles Kartenmaterial in das Gradkarten-
system eingesijannt. Auf der Karte 1 : 50000 beträgt die Länge jedes Blattes 20'
und die Breite 10'. Frankreich ist erst in neuerer Zeit an die Gradabteilung heran- .
geschritten. Den Anfang dazu machte die vom Ministerium des Innern herausgegebene
Karte 1 : 100000 (seit 1910).^ Die Länge jedes Blattes reicht von 30' zu 30' und die
» H. HartI, a. a. O., S. 159.
^ Bei Gelegenheit zur 50jährigen Jubelfeier des Vereins für Landeskunde von Niederösterreich.
Das Blatt heißt Floridsdorf. Es ist zu wünschen, daß das Werk, dessen Herausgabe mit dem Kriege
ins Stocken geraten ist, bald tüchtig gefördert wird.
' Tstruzioni sulla projezione naturale, applicata alla fonnazione della Carta d'Italia. Firenze
1875, S. 3ff.
' S. Truck, a. a. O., S. 202, 203.
^ Carte de la France, dress6e par Ic service vicinal 1 : 100000.
Die Gradnetze der topographischen Kartenwerke. 201
Breite von 15' zu 15'. Auch auf der neuen Karte 1 : 50000 finden wir die Gradabteilung,
40' in der Länge und 20' in der Breite, aber nach neuer Teilung. Am äußern Rande
der Karte ist, um zur Kenntnis und zum Gebrauch der neuen Teilimg überzuleiten,
die alte Teilung noch angebracht.
In den tropennahen Kolonialländern wird bei den Neuaufnahmen, die seit
dem Anfang des neuen Jahrhunderts im Erscheinen begrifft^n sind, fast durchgängig
die Gradabteilimg angewandt, ganz gleich ob es sich um deutsche, enghsche und
andere Kolonialkarten handelt. Unter den zahlreichen deutschen sei nur auf die
Karte von Togo 1 : 200000 von P. Sprigade, Karte von Kamerun 1 : 300000 von
P. Sprigade imd M. Moisel, Karte von Ostafrika 1:300000 von M. Moisel hin-
gewiesen, sowie auf die schönen großmaßstabigen Karten, die den offiziellen Mit-
teilungen aus den deutschen Schutzgebieten beigegeben sind. Das gleiche Prinzip
der Gradabteiluug, zu deren Berücksichtigung ja äquatornahe Gegenden geradezu
einladen, begegnet uns — um auch ein paar außerdeutsche Kartenwerke besonders
zu neimen — auf der sauber ausgeführten englischen Ugandakarte 1:250000 (4 miles
to 1,014 inch) sowie auf der Karte Egypt in 1 : 1000000, desgleichen auf der franzö-
sischen vom Depot de la guerre 1882 herausgegebenen Karte von Ägypten 1 : 100000.
83. Die zulässigen Fehler großmaßstabi^er Karten. Jedes Kartenblatt weist
Fehler auf, die verschiedenen Urspnmgs sind. Neben gewollten und ungewollten
Fehlern sind es hauptsächhch die, die mehr oder minder außerhalb des menschlichen
Machtbereichs hegen und durch die Veränderungen des Kartenpapiers herbei-
geführt werden. Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit imd Drackverfahren beeinflussen die
Blattdimensionen der verschiedenen Papiersorten ganz verschiedenartig. Der Kupfer-
druck zieht das Papier mehr in Mitleidenschaft als der Druck vom Stein oder von
Zink- oder Aluminiumplatten. ^ Diese Yeränderimgen sind schon von namhafter
Seite imtersucht worden, wie von Hammer^, Eggert^, Läska*, Fuchs^, Klemm®,
Fromm.'
Am besten hat sich das Büttenpapier bewährt. Alle Maschinenpapiere zeigen
in der Richtimg des Maschinenlaufs eine geringere Ausdehnung als in der Richtimg
((uer zum Maschinenlauf. Die von Klemm mitgeteilten Zahlen ergeben, daß der
Ausdehnung beim Befeuchten bei der Rückkehr in den lufttrockenen Zustand eine
Zusammenziehung folgt, die die Fläche des Papiers regelmäßig über den Ausgangs-
zustand hinaus verkleinert. Die Ausdehnung bewegt sich zwischen 0,0— l.S'/o in
der Längsrichtimg und zwischen 0,5— 2,5*'/q in der Querrichtung. Nach dem Trocknen
tritt im Vorgleich zum Ausgangspunkt eine Verkürzung von 0,25— 0,5 "/^ in der Längs-
richtung und 0,0— 0,75 "/o in der Querrichtung ein. Die Untersuchungen haben er-
geben, daß bei feinem kartographischen Messungen die Schrumpfung an jeder Papier-
' Wie selbst bei einer Karte wie der von C. Vogel in 1 : 500000 der Maßstab auf der Aus^;.
in Kupfcrdrnck mit der Uradruck-Ausg. differiert, hat H. Wagner in seiner üntersnehunc ütxr
„den Kartcnniaßstab" (Z. d. Ge.s. f. Erdk. Berlin 1914, S. 55, 56) nachgewiesen.
= K. Hammer in Z. f. Vemi. 1895, S 161.
' (). Eggert: Handbuch der Vermessungskunde von W.Jordan. 11. S. .\ufl. .Stuttgart
11)14, S. 112, 113.
* W. Ldska in Z. f. Verm. 1906, S. 113f(.
■■■ K. KuchH in Z. f. Verm. 1907, S. 2i)8ff.
« Klemm im Wochenblatt f. Pap.-Fabt. 1910, Nr..«. S. 1981.
' Fromm im Arihiv f. Buchgewerbe. Bd. 49. 1912, S. 2ü7H
202 Das Kartennetz.
art, selbst wenn die Papiere nach gleichem Eezept angefertigt sind, jedesmal neu zu
bestimmen ist.
Zweifellos muß man in gewissen Fällen diese strukturellen Verzerrungen,
wie ich sie nennen will, berücksichtigen, in andern hinwiederum wird man sie ver-
nachlässigen dürfen, da man trotz ihres Vorhandenseins zu brauchbaren kartometrischen
Ergebnissen gelangen kann. Immerhin wird in dieser oder jener Weise die exakte
Kartographie die strukturellen Verzerrungen untersuchen müssen und sie tunhchst
in Eechnimg ziehen. Es sind Erscheinungen, die erst am fertigen Kartenblatt zutage
treten. Daneben gibt es eine Gruppe von Fehlern, mit denen der Aufbau des Karten-
bildes von vornherein rechnet. Sie sind von dem Willen und der manuellen Fertigkeit
des Topographen bzw. Kartographen abhängig.
Bei der Erörterung der Koordinaten ist einige Male darauf aufmerksam gemacht
worden, daß Meridiane und Parallele als Gerade ausgestreckt werden, obwohl sie
eine gekmmmte Darstellung erheischen. Die Meridiane als gerade Linien zu zeichnen,
erscheint weniger auffällig und liegt meist in der Abbildungsart begründet. Die
geradlinige Darstellung der Parallelen ist schon bedenklicher.
Im Maßstab 1 : 25000 erhalten Objekte in der Natur von 2,5 m Ausdehnung
eine kartographische Größe von 0,1 mm, d. h. eine Größe, die sich nur schwer auf
dem Papier ausdrücken läßt und für das unbewaffnete Auge kaum wahrnehmbar
ist. 0,2 mm in der Verjüngung, ganz gleich auf welchen Maßstab sie zurückzuführen
ist, bezeichnet die Grenze der geometrischen Eichtigkeit bezüglich der horizontalen
Längenausdehnung. ^ Es ist dies ein Maß, das uns noch öfters beschäftigen wird;
auch J. Frischauf kommt vielfach in seinen Beiträgen zur Landesaufnahme auf
dieses Maß zu sprechen. Zunächst ist 0,2 mm ein Zeichnimgs- oder Darstellungs-
wert, der nur bei ganz minutiösem Zeichnen zur Anwendung kommt, der aber unter
Umständen vernachlässigt werden kann, ohne die Eichtigkeit und Meßbarkeit des
Kartenblattes zu beeinträchtigen. Er ist lediglich bei den topographischen Karten
von Bedeutung.
Die zulässigen Fehler treten unter anderm in Erscheinung, wemi die Parallelen
auf den Gradabteilungskarten als Gerade gezeichnet werden. Es gilt sodann zu
untersuchen, wie stark kann der Bogen von seiner zugehörigen Sehne, eben der Geraden,
abweichen, ohne die Brauchbarkeit der Karte in Mitleidenschaft zu ziehen. Die ein-
zelnen Blätter der Karte 1 : 25000 erstrecken sich von W nach 0 durch 10'. Der
südlichste Parallel für Deutschland ist 47" und der nördUchste 56". Berücksichtigt
man die Krümmung der Parallelkreise gegen die Sehne in 1 : 25000, ist sie in der
Mitte des Kartenblattes bei Minute 5 am stärksten und beträgt in der Natur auf
47« N 3,37 m und auf 56» N 8,16 m, in der Mitte Deutschlands auf 51 "N 3,82 m.
Da man in der Zeichnung 5 m = 0,2 mm der Karte als ein Höchstmaß der Dar-
stellungsmöghchkeit ansieht, werden in der Praxis die Krümmungsdifferenzen auf
den Kartenblättem 1 : 25000 vollständig vernachlässigt. Etwas anderes ist es
aUerdings bei der Berechnung und Auftragimg der trigonometrischen Punkte, da
werden die Krümm imgswerte in Anrechnung gebracht. Auf der Karte des Deutschen
Eeiches 1 : 100000 enthält ein Blatt 30 Längenminuten. Der größte Krümmungs-
wert auf Parallel 47" beträgt 30,4 m, auf 56" = 28,4 m und in der Mitte Deutsch-
lands = 29,6 m. Im Maßstab 1 : 100000 sind 0,2 mm der Karte gleich 20 m in der
' Vorschrift f. U. topograph. Äbteilg. der Landesaufnahme. Berlin 1905, iS. 69.
Dir Gradnetze der topographisclien Kartonwerke. 203
Karte. Da die Parallele als Gerade ausgezogen sind, Vjeträgt der Höchstwert der
Vernachlässigung 0,304 mm. Man wird nicht behaupten wollen, daß die vortreff-
liche Karte an Richtigkeit sowohl wie an guter Verwendbarkeit zu kartographischen
Messungen eingebüßt habe. Außerdem ist zu bedenken, daß die Höchstwerte nur
auf kleinster Erstreckung des Linienzugs zur Geltung kommen. Im großen und
ganzen ergeben die Untersuchungen, daß die zulässigen Fehler bis 0,4 mm erträglicii
smd, auf keinen Fall über 0,5 mm hinausgehen sollen. Bei noch kleinem Maßstäben
hilft man sich dadurch, daß man das Format des Kartenblattes kleiner als bei den
großem Maßstäben wählt, wodurch die Fehler auf kürzere Strecken wieder als zu-
lässig betrachtet werden können.
Bei der Erläuterung der zulässigen Fehler auf den Meßtischblättf rn 1 : '25000
muß ich nochmals auf die Polyederprojektion zu sprechen kommen. Man geht in
der Ijandesaufnahme ganz richtig davon aus, daß das Stück der abzubildenden Erd-
oberfläche in dem Umfang des Meßtischblattes bei dem Maßstab 1 : 25000 vollständig
als eben zu betrachten ist. Wie J. A. Kaupert bereits ausführte, bildet jedes
Blatt eine Einheit mit besonderm Projektionsmittelpunkt. Vertieft man sich in die
Herstellung genaue]-, wird einem klar, daß sie weiter nichts ist als die kongruente Über-
tragimg der Punkte der Erde auf das Kartenbild, aber nimmermehr eine Polyeder-
projektion. Wozu alsdann eine Bezeichnung, die sich logisch so gut wie nicht recht-
fertigen läßt? Schon der Ausdruck ,, Projektion" in seiner übhchen Bedeutung paßt
nicht ganz mid die geodätische, mehr umfassendere Bezeichnung ,, Abbildung'' ist
vorzuziehen. Zu dem kommt, daß bei der preußischen Polyederprojektion zwei Ver-
fahren durcheinandergemischt sind. Die Parallelen werden als gerade Lmien 'auf-
getragen, dagegen werden bei der Auftragung der trigonometrischen Punkte die
Krümmimgswerte der Erde beachtet. Gesetzt den Fall, daß ein trigonometrischer
Punkt genau auf den Parallel fällt, und dieser wird nicht kreisförmig den natürlichen
Verhältnissen gemäß konstruiert, wohin kommt er zu liegen? Nach der Vorschrift
der Landesaufnahme also außerhalb des Parallels. Diese Inkonsequenz der Be-
handlung der Kartenkonstruktion rechtfertigt erst recht nicht die Bezeichnung ,, Poly-
ederprojektion". Bichtiger ist es, hier einfach von der kongruenten Abbildung
der Landesaufnahme zu sprechen.
H. Wiechel hatte schon vor Jahren darauf hingewiesen, daß für die Praxis
die Pläne und Karten (1 : 500000 und größer) als kongruent mit der entsprechend
verjüngten Erdoberfläche selbst anzusehen sind, sobald nur jede Plansektion selb-
ständig behandelt wird; „eine besondere konventionelle Projektionsmethode gibt
es daher in diesem Falle nicht" ^, d. h. mit andern Worten, daß es praktisch irrelevant
ist, in welcher Projektion man sich das einzelne Kartenblatt gezeichnet denkt, weil
die Verzerrungen in das Gebiet der zulässigen Fehler gehören. Und will man sich
trotzdem mit dem Vorstehenden zufrieden erklären, kann man sich ja vorstellen,
daß der abzubildenden Fläche ein Polyeder entsprechend den einzehien Kartenblättern
eingeschrieben sei imd daß die einzelnen Gebiete auf die Polyederflächen orthogonal
projiziert werden^; dann mag man, wenn schon gezwungenermaßen, von einer Poly-
ederprojektion sprechen, vielleicht am besten auch mit .1. i-risciiauf von einer
verallgemeinerten l'olyederprojektion (S. 19!^).
' H. Wiechel: l<ationelloQraduetzpn)joktioiien. l)er<;i\ilinKPnieur. XXV. Ix^ipr.ig 1879, fS. 422.
' Bourgois-Furtwtingler, a. a. O., !S. 283.
204 Das KartiMinctz.
Eigentlich muß eine Polyederprojektion von dem Großenganzen des abzubildenden
Landes ausgehen imd an der Hand der Grade das gesamte Kartenbild des Landes
in Trapeze zerschneiden, deren Parallele kreisförmig gekrümmt und deren Meridiane
geradlinig sind. Sobald die Positionen nur einigermaßen richtig gegeben werden
sollen, darf die Krümmung der Parallelen nicht \ernachlässigt werden. Das, was
ich hier gegenüber der Polyederprojektion vorgebracht habe, gilt in gleichem Maße
von der Polykonprojektion.
Der oben behandelten Gruppe von zulässigen Fehlern gesellt sich eine andre
bei, zu der wir durch die Beantwortung folgender Frage gelangen: Bis zu welchem
Grade oder Maße kann das abgebildete Erdoberilächenstück, also der Teil eines
Sphäroids aH eben gelten, ganz gleich, welche[Projektion dabei zugrunde hegt? — Um-
gekehrt kann man auch so folgern: Da es nicht möghch ist, das auf dem Tische aus-
gebreitete Kartenblatt infolge seiner physischen KörperHchkeit im Sinne der reinen
(abstrakten) Geometrie als Fläche eindeutig zu definieren, sehe ich ein Kartenblatt,
etwa von der Größe des Meßtischblattes, nicht als ebene Kartenfläche, sondern als
Teil einer Sphäroidfläche an. P. Gast hat, soweit ich die Literatur überschaue, die
Betrachtung hierüber zum erstenmal auf eine praktische Basis gestellt. ^ Wir be-
rechnen in scharfsimiigster Weise Verzerrungen, geben bis auf winzigste Dezimal-
bruchteile Werte für Winkel, Längen und Kurven und schalten unbewußt das Un-
zulängliche unserer mechanischen Hilfsmittel und zeichnerischen Betätigung zur
Darstellung des Berechneten aus. Da drängt sich unwillkürlich die Frage auf: Wie weit
ist die Tischfläche als uneben anzunehmen? Geodäten, Geographen und Karto-
graphen werden einen Arbeitstisch, dessen kontinuierliche Unebenheiten rund 1 mm
betragen, nicht als unbrauchbar für die Benutzung von Karten mad das Herstellen
neuer Karten beanstanden. „Ob diese Betrachtung für einen bestimmten Maßstab
zulässig ist, hängt allein davon ab, ob die sphäroidische Wölbung der Globusfläche
— etwa als Pfeilhöhe des Kartenmittelpunktes über der Ebene der Blattecken ge-
messen — höchstens von derselben Größenordnung ist, wie die noch als unmerklich
geltenden Unebenheiten in der Form der Tischflächen, auf welchen man Karten zu
benutzen pflegt." Gast teilt hierauf eine Tabelle mit, die den sphäroidischen Wölbungs-
betrag einer Fläche für verschiedene Globusmaßstäbe enthält; so beträgt die Pfeil-
höhe der Wölbung beim Maßstab 1 : 25000 = 0,1 mm, in 1 : 100000 = 0,3 mm^,
in 1 : 200000 = 0,6 mm, in 1:500000 = 1,6 und in 1 : 1000000 = 3,1 mm. Bei
seinen Berechnungen hat Gast die Blattgröße der offiziellen Karten im Auge. Wie
wir wissen, ändert Maßstab für Maßstab das Kartenformat. Um von diesem Ver-
änderungsfaktor unabhängig zu sein, habe ich die Pfeilhöhenberechnungen für eine
gleichgroße Fläche durchgeführt, und zwar für eine Fläche 50 X 50 cm und eine
solche 40 X 40 cm. (Tabelle siehe S. 205.)
Der Vergleich der Größen mit den Sehnen 50 und 40 cm oder den Halbsehnen
25 imd 20 cm zeigt, daß wir weit schickhchere Verhältnisse bei der Blattgröße
40 X 40 cm erhalten. Damit wird der Hinweis gegeben, bei Gradkarten die Aus-
' P. Gast: Eine Bemerkung üb. d. inatliomatische Form der Kartenfläche. Z. f. Verm.
XLII. 1913, S. 713-716.
* Durch meine Berechnungen bin icli zu dem gleichen Eesultat gekommen. Der Wert 0,1 für
1 : 100000, den A. Bludau im Leitfaden der Kartenentwurtelehre fl. Leipzig u. Beriin 19)2, S. 150)
angibt, ist entschieden zu klein, es sei denn, daß man ein kleineres Fonnat als das eines Kartenblattes
1 : 100000 annimmi.
Dip Grad
netze ilcr topograpliischen Kar
tenworke.
Kugelhaubc
in Graden
Maßstab
PfeUhöh
<; in mm
K-iümniuugs-
(Halbaehnen)
bei 60 cm
bei 40 om
ladins in m
bei 50 cm
bei 40 cm
1:5000
0,009
0,003
1274
'
.33"
1: 10000
0,027
0,01
637
1'21"
V 5"
1 : 20000
0,079
0,04
318,5
2' 38"
2' 9"
1 : 25000
0,103
0,06
254,8
3' 22"
2-42'-
1 : 50000
0,235
0,15
127,4
, 6' 32"
5' 24"
1 : 80000
0,465
0,25
79,625
' 10-48"
S' 38"
1 : 100000
0,518
0,32
63,7
13' 30"
10' 48"
1 : 200000
0,9
0,67
31,85
26' 59 "
21' 36"
1 : 300000
1,54
1,02
21,233
40' 29'
32' 24'
1 : 500000
2,47
1,68
12,74
1« 6' 51"
53-58"
1 : 1 000000
4,94
3,14
6,37
2« 14' 57 '
10 48' 3"
1 : 2000000
9,81
6,2!)
3,185
4» 30' 7"
3« 36' 1"
dehming nicht zu lang zu nehmen, damit nicht die Vernachlässigungswerte (zulässigen
Fehler) zu solchen werden, die man eben nicht mehr vernachlässigen kann. Ferner
läßt die Tabelle ohne weiteres erkeimen, daß die Hypothese sphäroidischer Flächen-
form für die Maßstäbe 1 : 200000 und größere zulässig ist. Entwirft man das Grad-
netz dieser Karten nach einem sphärischen Koordinatensystem, nach dem Meridiane
und Parallele längentreu aufgetragen werden, ,,jene als Geodätische^ (praktisch also
als Gerade), diese als Kreisbogen von leicht zu berechnenden Halbmessern, so erhält
man ein dem Urbild ähnliches Abbild, und zwar in dem approximations-mathematiscii
strengen Sinne dieser Definition."
Wenn der Maßstab 1 : 800000 als strenge Grenze für- die sphäroidischen Karten-
fiächen angenommen wird, kann sie trotzdem ohne Gefahr für die Genauigkeit der
Karte auf 1:1000000 hinaufrückeu. Setzt man das Sphäroid gleich einer Kugel
mit dem genauen mittlem Erdradius 6360,738 km (nach Besselschen Werten), dann
ist der Umfang der Kugel im Maßstab 1 : 300000 = 133,345 m, im Maßstab 1 : 1000000
= 40,003 m. Das Kartenblatt sei 40 cm lang und 40 cm breit. Die Sehne hat die
gleiche Länge, der zugoiiörige Bogen im Maßstab 1 : 300000 die Länge von 40,004 cm
lind im Maßstab 1 : 1000000 = 40,018 cm. In Millimetern ausgedrückt, wii-d die
eine Strecke zu 400,04 mm, die andere zu 400,13 mm in der Ebene ausgereckt, d. h.
mit andern Worten, im Maßstab 1 : 300000 ist 0,04 mm graphisch nicht mehr dar-
stellbar, und auch in 1:1000000 kann 0,13 mm vollständig vernachlässigt werden.
Die Flächen umspannen in 1 : 300000 1600,81 qcm und in 1 : 1000000 1601,04 qcm.
Das ist ein verschwindender Unterscliied zu der angenommenen ebenen Flädie zu
1600 ijcm. Bei eingehendem Flächenl)erechnungen auf Karten 1:1000000 dürfte
man schon eher die wahren Werte berücksichtigen, da sich in der Summierung vieler
Blätter immerhin eine beachtenswerte Größe herausstellt, die nicht so oline weiteres
zu eliminieren ist. Im großen imd ganzen muß man jedoch daran festhalten, wie es
auch die mitgeteilten Zahlen zur Genüge beweisen, daß die Unterschiede für das
' Die „geodiitiHelie Ijinic" ist tlio kürzest«" Entfernung zwiselien zwei Punkten iiuf der Krde.
|{ei der reinen Kugel fiillt sie mit dem größten Kreis ziuiiiinu\en, koniplizii rtor wird sie aiil dem Splmniid ;
hier fällt der Vertiknlschnitt von A nneli H nicht /.usamnien mit dem von B noch A. Die ..Oeo
dutisebe' verläuft zwischen bci<lcn \'ertikiil»ehnitten.
206 T)'"'8 Karteiiiictz.
fertige KartenMatl selbst bei 1:1000000 praktisch nicht in Erscheinung treten.
Setzen wir anstatt der Kugeloberfläche die Sphäroidoberfläche ein, wird bei unsern
Breiten das Verhältnis zwischen Sphäroidflächenstüclc und der ihm entsprechenden
ebenen Karte noch etwas günstiger, wenn auch nur ein klein wenig, als zwischen
Kugelflächenstück und Karte.
Vorstehende Untersuchungen und die Tabelle erlauben weiter den Schluß, daß
die Vernachlässigungswerte m vertikalem Sinne größern Umfang ala die hoi-izontalen
eimielimen, nmd zehnmal größer als diese sein können. Also im Maßstab 1 : 1000000
darf der \(n-tikale Veruachlässigungswert 5 mm nicht übersteigen, der bei einem
Blattfoi-mat von 50 cm Länge und Breite gerade das Grenzmaß für die Vernachlässigung
der Sphäroidizität ist. In Summa müssen wir sagen, daß tatsächlich Blatteinteilungen
(in sog. Polyederprojektion) noch bis zu gewissen Maßstäben möglich sind, die es
erlauben, jedes Blatt hinsichtlich der Deformationsverhältnisse als völHg winkel-,
flächen- vmd längentreu, d. h. als grundrißtreu anzusehen, weil die Unterscheidung
des dargestellten, sphäroidischen Erdoberflächenteils gegenüber der ihm entsprechenden
Ebene (der Karte) in praktischer Hinsicht so gut wie gar nicht wahrnehmbar ist.^
Damit dürfte auch genügend nachgewiesen sein, daß meine Anfechtungen der preußischen
Polyederprojektion gegenüber haltbar sind. SchUeßlich wird durch vorliegende Unter-
suchungen bestätigt, daß sich das Kartenbild dem' entsprechenden Erdkugelabschnitt
mehr und mehr anpaßt und ihm wesensgleich zu achten ist, ,,wenn der größte Fehler,
der auf der betreffenden Projektion gemacht wird, nicht größer ist als die Eehler,
die in der Herstellimg der Karte, der Veränderhchkeit des Papiers und der Individualität
des Messenden beruhen."^
Außer H. Wiechel ist A. Penck in einem besondern Falle ähnlichen Gedanken
nachgegangen, ohne sie in mathematisch präzise Form gekleidet zu haben.* Er
macht darauf aufmerksam, daß ein entsprechendes Verhältnis zwischen Maßstab und
Blattgröße gewählt werden soU, damit die einzelnen Sektionen einer Weltkarte in
1 : 1000000 nahezu die Summe von Eigenschaften, also Winkel-, Flächen- imd Längen-
treue, erhalten, die die Kugeloberfläche besitzt. Eine Kugelhaube von 2" Eadius
(Halbsehne) würde ungefähr diesen Forderungen entsprechen. Damit hat Penck
ungefähr das Richtige getroffen. Nach obiger Tabelle ist das Verhältnis für die Welt-
karte am besten, wenn der Kugelhaubenradius 20 cm lang ist, [also einen Durchmesser
von 40 cm besitzt, der im Bogenmaß ausgedrückt = 3" 36' 6" (für den Radius 1 " 48' 3")
beträgt. Eine Kugelhaube von 2" 14' 57"-Radius, was einer Seimenlänge von 50 cm
1 Vgl. hierzu J. Frischauf: Die Polyederprojektion. P. M. 1910. II. S. 29, 30; ferner:
P. Weikmeister: Gradabteilungskarte, Polyederprojektion, Gradkartensystem, natürliche Pro-
jektion. P.M. 1911. I. S. 309, 310.
2 Wie sich diese Fehler gegenseitig ausgleichon oder zu berücksichtigenden Werten verdichten,
bat F. E. Mouths in seiner Rostocker Dissertation , Linienmessting auf Karten" (Stuttgart 1912)
mit Hilfe der Formel arc. F' — nachgewiesen. Hierbei ist die in Frage kommende Strecke
M M
auf dem Globus mit arcus bezeichnet, der Kartenmaßstab mit -— - und das jeweilige Gesetz der
M
Projektion, nach dem diese Streck« vom Kartenmittelpunkt (Indifferenzpunkt) aufgetragen wird
um Flächen-, Winkel- oder Mittabstanditreue zu berechnen, mit /'.
' A. Penck; Üb. d. Herstellung einer Weltkarte im Maßstab 1 : 1000000 Verb. d. VII. In-
tern. Geogr. Kongresses. Berlin 1899. II S. 67 ff.
Die Gradnetze di-r topograplüdclicn Kartenwerke. 207
entsprechen würde, ist weniger geeignet. Mithin hat l'enck die Sehne etwas zu
lang angesetzt.
Mit der Untersuchung über die zulässigen Fehler will ich den Abschnitt über
die topographische Karte beschließen. Für mich war es von Wert, die Geographen
auf Dinge hinzuweisen, die bisher ihren kartographischen Meditationen fernlagen,
die aber mit der Zeit nicht mehr übersehen werden dürfen, weil die topographische
Karte jetzt und künftig noch mehr in das Arbeitsfeld des (ieographen hineinwachsen
wird. Auch die kartographischen Lehrbücher nehmen heute noch viel zu wenig
Rücksicht auf das Verständnis und das Gefüge der topographischen Karte. Beispiele
hierfür stehen ja jedem genügend zur Verfügung.
Teil III.
Die Kartenaufiiahme.
A. Das Bedürfnis nach großniaßstabigen Karten.
I. Geograph und Geodät.
84. Das gemeinsame Arbeitsgebiet zwischen Geogiaplien uud Geodäten. Die
Karte hat als Spiegelbild der natürlichen Ausstattung der Erde von jeher das Interesse
der Erdkundigen wachgerufen und gefördert. Im Zusammenhang damit steht gewiß
schon seit ältesten Zeiten die Frage nach der Entstehung der Karte im Gelände. Wenige
können darauf antworten und dem Spiele irriger Vorstellungen ist dadurch weiter
Eaum gegeben. Die Vorstellungen von dem Werte der einzelnen Aufnahmeverfahren
vermengen und verwirren sich allzuleicht ; was Wmider, wenn der Geograph sich schon
mit Ergebnissen zufrieden gibt, wo der Geodät kaum anfängt, geringste Genauigkeits-
forderungen festzulegen. Das ist eine bedauerliche Erscheinung, der mit einigem
guten Willen von selten des Geographen abzuhelfen ist. Sicher ist ein himmelweiter
Unterschied zwischen der flüchtigen Kartenaufnahme in kaum gekannten Ländern
imd der topometrischen Aufnahme eines Kulturlandes, imd doch ist er nicht so groß,
daß die Keimtnis des einen Verfahrens die des andern ausschlösse. Wo es der Geo-
graph in der Hauptsache mit der Beschreibung der Erdoberfläche und deren dinglichen
Ausstattung zu tun hat, müßte es etwas Selbstverständliches sein, die Arbeitsmethoden
zu kennen, nach denen diese so verschiedenartig ausgerüstete Erdoberfläche im Karten-
liild erscheint. Dabei ist es ebensowenig angebracht, in rein geodätische Probleme
hinüberzugreifen, wie er sich hüten soll, rein geologische Probleme zum Gegenstand
seiner Untersuchung zu machen; aber wo sie gemeinsam schaffen können, auf dem
Gebiet der topographischen Landesaufnahme, soll der Geograph vor einer Zu-
sammenarbeit mit dem Geodäten nicht zurückschrecken.
An das Kapitel Geodät und Geograph bzw. Kartograph wird von selten der
Geographie nicht gern gerührt. Daß ein so wichtiges, hauptsächlich in den mathe-
matischen Tatsachen der Geographie sein Schwergewicht suchendes Lehrbuch der
Geographie wie das von H. Wagner der geodätischen Ortsbestimmung, der Nivellierung,
der Abhängigkeit der Schwerkraft von der geographischen Breite usw. einige ausführ-
hchere Worte schenkt, karm nicht überraschen.^ Sagt Wagner doch selbst, daß die Geo-
H. Wagner: Lehrbuch der Geographie. 9. Aufl. Hannover und Leipzig
Geograph und Geodät. 209
graphie in manchen Zeiten rascliore Fortschritte gemacht haben würde, werm sie mit
Astronomie, Geodäsie und Nautik immer Fühlung behalten hätte.^ F. v. Kichthofen
gedenkt in seinen ausführlichen Erörtenmgen über die Aufgaben und Methoden der
heutigen Geographie in kurzen Worten des Geodäten und Geographen, indem er darauf
hinweist, daß die exakten Messimgen der hohem Geodäsie der heutigen Zeit, die durch
die Verschärfmig der Methoden imd Instrumente ermöglicht wurden, dem Arbeits-
gebiete des Geograi)hen beinahe entrückt sind. Zu den Aufgaben der hohem Geodäsie
rechnet v. Eichthofen die Bestimmung der Erdgestalt, ihre geometrische Einteilung
und die richtige Konstruktion der Landkarte.^ Damit wird lediglich gesagt, daß der
Geograph von der Landkarteukonstmktion ausgeschlossen sei, nicht aber von der
Kartographie im ailgememen, in welchem Sinne A. Penck die Richthofenschen Er-
örterungen auffaßt.^ Penck schenkt dem Thema ,, Geodät und Kartographie" etwas
mehr Aufmerksamkeit als v. Eichthofen. Man karm ihm folgen, werm er sagt, daß die
Geodäsie den festen Eahmen zur Darstellung der Erdoberfläche hefere und die Karto-
graphie ihn ausfülle.* Die Kartographie ist hier im weitesten Sirme gefaßt. In dem
Zusammenhang der Penckschen Ausführungen hätte besser ,, Topographie" statt
,, Kartographie" gepaßt. Nach deutschem Fachsprachgebrauch bildet die Topographie
einen Teil der Geodäsie; im Ausland ist Topographie = niedere Geodäsie. In Deutsch-
land hat sich die höhere Geodäsie in dem Geodätischen Institut in Potsdam von der
Landesaufnahme abgespalten und dient der Erdmessung als emer naturwissenschaft-
lichen Aufgabe. Das geodätische Institut ist durchaus Forschungsinstitut, eine Arbeits-
gemeinschaft mit der Landesaufnahme dürfte nur dann von Segen sein, werm die wissen-
schaftUche Freiheit dieses Institutes in keiner Weise angetastet würde.
Die Hauptaufgabe der Landesvermessung ist, ein das gesamte Staatsgebiet über-
deckendes Netz von Punkten in bezug auf einen als gegeben anzusehenden Festpunkt
geometrisch zu bestimmen. Um diese Aufgabe zu lösen, muß sie Horizontal- und
Vertikalmessungeu ausführen. Die geodätische Arbeit wird jederzeit in dem Genauig-
keitsnachweis der ihr zugehörigen Vermessungsaufgaben gipfehi. In der Methode der
kleinsten Quadrate hat Gauß dem Vermessmigswesen eine Eechnungsmethode ge-
geben (s. S. 183), nach der es möglich ist, aus der Gesamtheit der Messungen möghchst
genaue Ergebnisse abzuleiten und den tJrad der Genauigkeit anzugeben. Auf dem
Gebiete der topographischen Landesaufnahme, also da, wo sich Geodät mid Geograpli
begegnen, ist diese Methode freilich nur ausnahmsweise emfach genug, um angewendet
zu werden.
Man wird von dem Geographen nicht verlangen, das Präzisionsnivellement
und die verschiedenen Methoden trigonometrischer Feinaufnahmen zu lieherrschen :
doch darüber sollte er sich klar sein, bis zu welchem Grad der Genauigkeit das Gelände
durch die verschiedenen Meßverfahren aufgenommen werden kami. Er sellist muß die
einfachem Verfahren erprobt haben und sich mil den Instrumenten und ihren Fehlern
' H. Wagntr, a.a.O.. S. 44.
- F. V. Uichthofeu: .Aufgaben ii. Motlioden clor hoiUigcn G<>ograplui'. Lt'ipzig 188:1. 8. 2(>. 27.
^ A. Pfiiok: Der Krieg und das Studium der Goographio. Z. d. (Wn. l. Erdk. zu Berlin. 10U>,
.S. 239. 240.
* Durch diese Ausführungeu macht Penck gewisserniaüen wieder gut, was er seinoryA'it in
seinen .Studien über Geländedarstellung (Neue Karten u. Kelicfs der .\Iih-u. l.<Mi>7.ig 1904. 8.4) ver-
sehen hat. wo er .sagt. ..daß eine strengsten luatheraatisehen Anfordenmgen genügende Wii>derg»be
der Unebenheiten der Knloherfliiche noch keine Karte ist", welchen Satz K. Hammer schon als h\nüv
..Rcdcn.Miirf rügte (G. .1. .WIV. Gotha I!«I2. S. 4.">).
Kekrrl, K>rk'uvfi9sriiacli>iri I 14
210 Dil' KartMiaufiuilimr.
Veit laut machen, um die damit geleistete Arbeit, richtig zu beurteilen. Kann er dies,
(laiiii wird er mit ganz anderm Verständnis und Gewinn die Karte Iietrachten und
studieren. Zuletzt muß sich der Geograph nocli daran gow(ibnc'ii, \ ii'i mehr als liishcr
mit großmaßstabigen Karten zu arbeiten.
Von S. Truck ist ein beachtenswerter Versuch gemachte w()rd('n\ rnifang und
lichrgrundsätze zu bestimmen, die für eine Einführung des Geograplu^n in die Geodäsie
genügen. Leider scheint es noch gute Weile zu haben, ehe sich seine Vorschläge reali-
sieren werden. Mit einigem guten Willen von selten der Hochschullehrei' läßt sich schon
manches erreichen. Aber sie stehen größtenteils selbst noch diesen Bestrebungen fremd
gegenülier. Vor allem darf die Theorie nicht allein genügen. Praktische Übungen und
Exkursionen müssen die theoretischen Vorlesungen aufs wirksamste unterstützen.
85. Die Scheu des (loograplioii vor groOmaßstahigcn Karten. Auffällig ist die
Scheu der Geographen vor großmaßstabigen Karton, (ianz selten wird bei der Einzel-
skizze über den Maßstab 1:25000, mit dem man sich stillschweigend als größt- und
bestmöglichen Maßstab für detaillierte geographische Untersuchungen einverstanden
erklärt, hinausgegangen. Die neueste und künftige Entwicklung der geographischen
Wissenschaft kann an diesem Maßstab nicht haltmachen. Die feinern Detailunter-
suchungen auf geomorphologischem, anthropogeographischem und wirtschaftsgeo-
graphischem Gebiete verlangen nach Karten großen Maßstabs, wo die natürlichen
Verhältnisse durch die gewählte Verjüngung möglichst- naturgetreu wiedergegeben
werden, nicht mit Symbolen, die an Übertreibrmgen auf Kosten des Areals leiden;
man denke an die Straßen, Flüsse, Kanäle und Einzelsignaturen der Karten 1:25000
und 1 : 100000. Ein Weg von 5 m Breite kann in 1 : 10000 mit 0,5 mm gerade noch
als Doppellinie gezeichnet werden, in 1 : 5000 ist er 1 mm breit, (iemarkungsgrenzen
können erst auf großmaßstabigen Karten richtig gewürdigt worden. — Die Generalstabs-
karten 1:25000 imd 1: 100000 werden ihre allgemeine Bedeutung bewahren und als
Studien-, Touristen- wie Heimatkarten nach wie vor geschätzt sein.^
Veränderungen der Erdoberfläche, die erst im Laufe von Dezennien oder Jahr-
himderten infolge des Eingriffs der Menschen und der verschiedenen Verwitterimgs-
faktoren, insonderheit durch die verschiedenartige Erosion des Wassers (wodurch
zuletzt die Schrumpfung der Isohypsen herbeigeführt wird) und die Deflation (hier
werden z. B. Isohypsenumformungen durch Sandverwehungen verursacht), entstehen,
lassen sich an der Hand großmaßstabigor topometrischer Karten feststellen. Kultur-
technische Arbeiten und fortwährendes Bearbeiten des Ackerbodens verändern die
Oberflächenformen, die gleichfalls nur bei Höhenkarten in 1 : 5000 am besten nachweisbar
sind. Wie glücklich ist man schon, an der Hand älterer halbwegs brauchbarer topo-
graphischer Karten im Vergleich mit modernen topographischen Karten Veränderungen
in der Bodengestalt imd -bedockung nachweisen zu können, wie es H. Walser auf
Grund der topographischen Karte von J. C. Gyger aus dem Jahre 1667 getan hat.
Seine Untersuchungen führten zu den wichtigen Ergebnissen, daß durch die Ein-
1 S. Truck: Geodäsie für Geographen. Mitt. d. geogr. Ges. Wien 1907, S. 408-42.3.
^ Einfach und klar führen in Wesen und Gebrauch der Meßtischblätter die drei Werkchen
von M. Walter ein: Inhalt und Herstellung der to|X)graph. Karte 1 : 25000. — Winke zur allgemeinen
Benutzung der topograph. Karte 1 : 2.5000. — Die topograph. Karte 1 : 25000 als Grundlage heimat-
kundlicher Studien. — Sämtliche drei erschienen bei J. Perthes in Gotha, 1913ff., als Heft 1, 4 u. 8
der „Geographischen Bausteine", die H. Haack herausgibt.
Orograph und Geodät. 211
Wirkung des Menschen und Verwitterungseinflüsse in 240 Jahren ein allgemeiner Kück-
gang der stehenden Gewässer erfolgt ist, der sich hauptsächlich im Verschwinden
einer auffallend großen Zahl von kleinen Seen äußert, daß sich das Areal des Waldes
seit dem 17. Jahrhundert zwar wenig verändert, dagegen das der Rebe ständig ge-
ändert und vergrößert hat.^ Das läßt sich l)ereits an topographischen Karten nach-
weisen, deren Genauigkeit noch nicht auf der heute gepflegten Höhe steht, wieviel mehr
geben wir durch moderne topometrische Karten der Zukunft ein vielseitiges und ver-
läßliches Vergleichs- und Untersnchungsma'terial. Unsre Nachfahren werden uns
dafür doppelt dankbar sein.
Das Messen einzehier Höhepunkte und Neigungsverhältnisse ist auf jeder Iso-
hypsenkarte möglich. Nur der Grad der Genauigkeit ist ein unendlich wechselnder.
Je größer der Maßstab, desto genauere Ergebnisse, d. h. den natürlichen Verhältnissen
immer mehr entsprechende Werte erhalte ich, vorausgesetzt, daß die Güte der Karte
mit der Maßstabvergrößorung stetig zunimmt. Ein hoher Grad von Vollkommenheit
wird erreicht, wie wir später noch erkeimen werden, bei einem Maßstal) 1 : 5000. Aber
auch die topographische Grundlage der Karten kleinern Maßstaljs kann nicht genau
genug sein. Die Zeiten, wo Hammer schrieb, „daß eine geographische Karte eines
Kulturlandes, selbst in kleinem Maßstabe, ohne die Unterlage der topographischen
Originalblätter heutzutage gar nicht mehr denkl>ar ist oder wenigstens sein sollte" 2,
sind heute noch nicht endgültig überwunden.
86. Die topometrische Gniudkartc oder die Eiuheitskartc. An Stelle des zaghaften
Einfühlens von seiten des Geographen in das Gebiet topogi-aphischer Karten muß
eine bewußte Forderung nach Höhenkarten größten Maßstabs Platz greifen. Ich bin
der Meinimg, daß dem Geographen jetzt und künftighin mit einer topometrischen
Grundkarto oder Einheitskarte in 1: 5000 in jeder Weise gedient ist. Das Jordan-
sche Projekt einer Einheitskarte für das gesamte Deutsche Reich in 1 : 2500 mit Höhen-
linien scheidet vorderhand ganz aus. Der Maßstab 1 : 10000 wäre wohl noch zu erwägen;
indessen setzt er an die wahrheitsgetreue Wiedergabe verschiedener Naturobjekto zu
große Anforderungen, die zu erfüllen oft schwer fällt (s. oben). Die Karten 1 : 5000
siiul jederzeit photographisch leicht auf 1 : 10000 zu reduzieren und bleiben alsdann
immer noch gebrauchsfähig, ohne Neubearbeitungen zu fordern. Wemi eümial etwas
Neues und Großes geschaffen wird, dann soll es gleich in der Weise geschehen, daß es
den weitesten Kreisen dient und den vielseitigsten Nutzen hat, damit nicht nach einigen
Jahrzehnten schon wieder der Wunsch nach einem größern Maßstabe oder das Be-
dauern, früher nicht schon Großraaßstaliiges geleistet zu haben, allg(>mein rege wird.
So sehr icii mich über die ausgezeichnete neue Topographische Liindeskarto von Braun-
schweig in 1:10000 freue, die also im Maßstab weder den topographischen Neuauf-
nahmen in Preußen, noch denen in Württemberg entspricht, sondern zwischen beiden
liegt und nach dem Ausspruch C. Koppes, des Leiters und Herausgebers der Karte,
gleichsam einen durch die speziellen Verhältnisse bedingten Kompromiß zwischen
ihnen bildet, muß ich doch bedauern, daß sie nicht in 1 : 5000 aufgenommen und heraus-
gegeben wurde, dann hätte sicher ein Teil Norddcutschlands eine mustergültige Karte
' H. Walser: Veränderungen der Ei-doberiliiehe im Umkreis des Kantons Ztirii'li seit der Mitte
de« 17. Jahrliundorts. XV. Jaliresbericht der Qvonr. Ges. von Born. 1896.
= E. Hiiiiimor in 1". M. IHil7, LR. Nr. 478, fS. i:tl.
14»
212 ß'i' Kartcnaufnalime.
auf Jahre hinaus gehaht, und Knppo wäro der Mann dazu geweson, eino solchß Karte
zu schaffen.^
Dem Geographen als Forschungsreisenden verdanken wir durch seine zahheichen
Aufnahmen mit den einfachsten Instrumenten die Entschleierung des Weltbildes. Wo
heute noch kein Schritt des Landmessers widerhallt, hat schon vor Jahrzehnten der
Keisende das Dickicht imerschlossener Länder gelüftet und mamiigfaltige und mühsam
aufgebaute Skizzen zu einem Kartenbild zusammengeroiht. Dort nun, wo die Arbeit
bei der Aufnahme eines altern Kulturgebiets eingehender und sorgfältiger wird, hört
allgemein die topographische Arbeit des Geographen auf. Nimmt er an der Vermessung
des Geländes nicht direkt teil, kann er sich trotzdem für die Topographie nützlich er-
weisen, indem er dem Topographen das Auge für wichtige, in der Erdgeschichte be-
deutungsvolle Oberflächenformen schärfen hilft. So müßten beispielsweise die deutschen
topographischen Karten die einzelnen Terrassen der Ehein- und Moselgegend besser
als bisher veranschaulichen. Hier kann der Geograph l>plohronrt iniigreifen. Ganz
gleich, wie sich der Geograph neben dem Landmesser an dnn l(iiin;^iii|iliischen Aufbau
des Terrainbildes beteiligt, ob direkt messend, oder wie es ddcli wohl meistens der Fall
sein wird, indirekt durch eine morphologische Belehrung, auf joden Fall wird die Arbeit
für beide anregend und gewinnreich sein.
II. Geologie und topographische Karte.
87. Ziisaiumt'iiarbcit veii (u'olduic iiikI To|M»graiihic. Wie der niorphulogiscli
geschulte Geograph vermag der Feldgeolog dem Topographen beratend beizustehen.
Die Forderung des Zusammenarbeitens von Geologie und Topographie reicht weit
über himdert Jahre zurück. J. G. Lehmann war es, der schon 1799 in der Form der
Berge einen Wegweiser zur Erforschung ihrer mnorn Beschaffenheit und derjenigen
Ereignisse erbhckte, die sich dort zugetragen haben.* Will man die Bergformen ver-
stehen, muß man ihre Entstehungsgeschichte wissen. Lehmaim beruft sich auf Tylas,
der in der Mineralhistorie von Schweden S. 116 sagt: „Die Gestalt der Berge hänge
von ihren Steinarten ab." Später, 1835, hatte der württembergische Topograph Karl
Eduard Paulus nachgewiesen, wie die Formen des Gebirges durch die Gebirgsarten
bedingt werden, und daß die Geognosie die Seele der Topographie sei.'. Etwas jünger
sind die Untersuchungen des Ingenieurtopographen Heinrich Bach ülier die Gesteins-
schichten als Hauptursachen der Gebirgsformen.* Die Theorie der Bergzeichnung auf
' Vielleicht dringen die Ansichten über die Notwendigkeit einer topometriHchen Grundkarte
in 1 : 5000 so durch, daß die braunscliweigische Landeskarte, die bis jetzt noch ein Torso ist, nicht
weiter in 1 : 10000, sondern in 1 : 5000 bearbeitet wird.
2 J. G. Lehmann: Darstellung einer neuen Theorie der Bezeichnung der schiefen Flächen im
Grundriß oder der Situationszeichnung der Berge. Leipzig 1799, S. 1, 7, 12, 13, 18 der Einleitung.
" Vgl. H. Müller: Über den zweckmäßigsten Maßstab topographischer Karten. Ihre Her-
stellung u. Genauigkeit imtcr Berücksichtigung der Verhältnisse und Bedürfnisse in Baden und Hessen.
Diss. Karisnihc. Heidelberg 1913, S. 21, 22.
■* H. Bach: Die Theorie der Bergzeichnung in Verbindung mit Geognosie oder Anleitung zur
Bearbeitung und zum richtigen Verständnisse topographisch-geognostischer Karten, begründet auf
die Übereinstimmung des innem ' Schiehtcnbaus der verschiedenen Gesteinsarten mit ihrer Ober-
fläche. Mit besonderer Berücksichtigung und Angabe der geognostischen Verhältnisse des südwest-
lichen Deutschlands. Mit 23 Plänen und Karten. Stuttgart 18.53. — Der langatmige Titel gibt schon
hinreichend Aufschluß über das, was Bach will. Ganz hat er es nicht erreicht, auch fehlte ihm bei
(iciildgic uihI t(ip(if;rKpliisclir K.irti^ 213
mathematischer (Irundlage (nach ]>ehmaim) luid der Nachweis einer Übereinstimmung
einer äußern Gestalt der Gebirge mit dem innern Bau ist ihm von größter Wichtig-
keit, „als dadurch die natürhche Anschauung der Dinge in ihrem Zusammen iiange
erleichtert, der Blick überhaupt geschärft, und so manchem Forscher ein weiteres
Mittel in die Hand gegeben wird, das ihm leicht imd schnell bisher mibekamite Gesetze
erschließt, die unverkennbar für das praktische Leben von hohem Werte sind". In
der Hauptsache sind Bachs Darlegimgen mehr beschreibender Art, die den geübten
Kenner befähigen sollen, aus der Kartenzeichnmig die Formation zu bestimmen und,
ohne an Ort und Stelle näher bekannt zu sein, deren Grenzen herauszufinden. Zu dem
Verlauf der charakteristischen Linien im Geländeaufbau auf Grund der geologischen
Verhältnisse ist Bach nicht vorgedrungen. Der weitere Schritt erfolgte auf schweize-
rischem Boden, obwohl in verschiedenen topographischen imd kartographischen Kreisen
kein gewissenhafter Kartenzeichner ein Geländebild entwarf, ohne auch auf den geo-
logischen Aufbau Eücksicht zu nehmen.^ Sagte doch schon um die Jlitte des ver-
gangenen Jahrhunderts Murchison: ,,No really good topogra])hy can be made by
any surveyor who neglects geological data."
J. M. Ziegler (1801 — 1883), der hochverdiente Altmeister der topographischen
Wissenschaft, den ein reger Briefwechsel mit C. Bitter, Escher v. d. Linth, A. v. Hum-
boldt und A. Petermami verband, war einer der ersten, der die Darstellung des Ge-
ländes nach geologischem Gesichtspmikte streng sachhch behandelte. Ob er von dem
Württemberger H. Bach beeinflußt w^orden ist, läßt sich nicht ermittehi, wenn man es
auch voraussetzen kaim. In seiner heute noch lesenswerten Schrift „Über das Verhältnis
der Topographie zur Geologie bei der Darstellung von Gebirgskarten in gleichem Maß-
stäbe"^ geht er zunächst von dem Verständnis der Gebirgsgruppen nach ihrer Gesteins-
art aus, vergleicht sodann ihre Gliederung m Kämme und Täler vmd beobachtet die
Spuren der dynamischen Kräfte; daran schließen sich die Untersuchiuigen über die
Verschiedenheit der Erosion gemäß der Gesteinsverschiedenheit in den Massen, imd
zuletzt folgen Bemerkungen über Gletschererscheinungen und über Bildung von Guffer-
linien als Eechenschaft über deren Zeichnung in der Karte. Nach seinen Ausführungen
muß der Topograph die Linien des Gefüges in den Kopf- und Schichtenseiten erkemien
lassen. ,,Das ist aber im Verhältnis der Reduktion der Karte oder des Eeliefs nur- an-
nähernd möglich, und er muß sich mit möglichst getreuem Ausdruck der Physiognomie
begnügen. Weniger m den Details, dafür im Festhalten der Besonderheiten der Fonna-
tion, hat seine Zeichnung vorzugehen. Das muß einläßücher geschehen als in einer
geographischen Karte."* Ziegler macht bereits darauf aufmerksam, auf die Verwitterbar-
keit der Gebirgswelt besonders Obacht zu haben mid dafür Sorge zu tragen, daß man
in der Kartenzeichnimg das verschiedene Verhalten gegenüber der Verwitterung bei
den einzelnen Formationen erkemie. Klar und deutlich erkannte er das Wesen der
Isohypsenfüiinnig. ,, .Jeder, der mit der Karte in der Hand eine (iebirgsgegend bereist,
findet die Natur so reich, so mannigfaltig, daß sellist der Maßstaii einer topograpiiischen
allem guten Willen die kritische ISchivrfc in seinen Darlegunnen, gan?. al)gesehen davon, dali er auf !S. '.•
die Karten in Halljixrspektive als „französ. Manier" vind den l)eJcaantei\ säelisischen Major .T. G. Ix>li-
niann als einen preußisclien Major bezeichnet.
» E. V. Sydow: Die Kartographie Eumixv» bis /.um Jahre IS.-)8. P. M. IS.'iS. S. US.
'' J. M. Ziegicr: „Über das Verhältnis der Topographie zur Cn-ologie usw." Mit 1 iicol. Karte,
.^> Taf. Gcbirgszeichnungen u. 1 Taf. Profile. Wintorthur 1869.
" Ziegler, a. a. ()., S. :15(.
214 ^^'<' K;irtfiiaiifnaliiiu'.
Karte sehr klein, ja oft zu klein wii-d, um die charakteristischen Merkmale alle in der-
selben richtig zu betonen. Wenn hierbei der Beobachter, sich an die geometrischen
Bestimmungen haltend, mit völliger Sicherheit vorgehen konnte, um sich während seinen
Exkursionen durch die Aufnahmsblätter leiten zu lassen, ward ihm bei wiederholter
Begehung von Berg und Tal hier und dort etwas auffällig, das nicht in dem unerläß-
lichen Gerüste exakter Bestimmung hegt und der Fehlergrenze entgehen darf, jedoch
in verschiedenen Stellen auftauchend als eine Eeihe von Punkten erscheint, welche
aller Beachtimg wert ist, so darf nachträglich diese Eeihe eingezeichnet werden. Z. B.
Felsenriffe, welche nicht so hervorragend sind, um über den senkrechten Abstand der
Niveaulhiien hinauszureichen, solche, welche an einzebien Stellen hervortreten, an
andern unter Vegetation oder Schutt verborgen hegen, aber im Zusammenhang eine
Felsenlage zu erkermen geben. Femer Lawinenzüge, Schuttkegel und Ablagerungen
von Wassergüssen, welche bedeutende Ausdehnmig erlangten. Derlei kaim sich all-
jährlich anders gestalten, allem die Stellen, wo selbige gefunden werden, die Formen,
welche sie angenommen haben, sind abhängig von der Struktur des Gebirges und ver-
langen unter diesen Bedingungen nähere Beachtung. Indem man allem dem nachgeht
und zugleich die allgemeinen Formen der verschiedenen Gebirge vergleicht, wird man
auf die verschiedenen Krümmungen der Isohypsen geführt, welche, als auf der Ober-
fläche der Erde gedacht, doppelt gekrümmte Linien sind. Dieselben kann man be-
stimmen, wo man nur eine teüweise zusammenhängende Eeihe von Punkten für ihre
Form zu fixieren weiß. Manchmal zwar ist der passende Standpunkt des Geometers
schwer zugänglich, dann ist die Bewegung des Lattenträgers im Hochgebirge nicht
selten mit Lebensgefahr verbunden. Gewisse Stellen sind völlig unzugänglich, da der
A'ermesser durch Schätzung der Größe entfernter Gegenstände, wie Felsen oder Tannen,
der obersten Eegion sich aushelfen muß. General Dufour hat für Bestimmung solcher
Niveaulinien keine Fehlergrenze festgesetzt. Nichtsdestoweniger gewähren dieselben
in ihrer Totalität im Maßstab der Aufnahme sehr vollständige Anhaltspunkte zum Ver-
ständnis der Gebirgsformen.
Wir haben oben vielfach Gelegenheit gehabt, die Außenformen der verschiedenen
Bildungen nach den drei Hauptgnippen zu vergleichen. Daß dieses, armähernd zwar,
aber mit Sicherheit möghch war, verdanken wir zumeist den Isohypsen, welche durchweg
den ]\Iodifikationen des Terrains sich anschmiegen, so daß, wenn auch lokale kleine
Unsicherheiten bei deren Bestimmung mit untergelaufen, in Summa alle diese Linien
gegenseitig sich kontrollieren, um schheßlich das feste Gerüste der Gebirgsoberfläche
zu geben." ^
Kurz nach Zieglers Tode erschien seine letzte Arbeit: Ein geographischer Text
zur geologischen Karte der Erde.^ Darin wird nachzuweisen versucht, daß das Ent-
stehen und langsame Umgestalten der Erdform nur unter Berücksichtigung der geo-
dätischen Forschungen zu \erfolgen sti, denn nur die Geodäten vermögen die Ungleich-
heiten der Krustendecke infolge von zeitweisen Schwankungen in der Drehung der
Erde armähernd zu bestimmen, vorausgesetzt, daß ein solches Ergebnis zu erzielen
möglich ist.
Zieglers Ideen waren ihrer Zeit vorausgeeilt. Weder er selbst noch andere haben
praktisch kartographisch erreicht, was er wollte, weimgleich durch sein anregendes
Ziegler, a.a.O., S. 37, 38.
Mit Atlas in 15 Taf., Basel 1883.
Geologie und topographisclic Karte. 215
Wirken die Berg- und Talformen besser als bisher ins Kartenbild gebannt wurden.
Ei-st die neuere morphologische Karte kommt den Zieglerschen Wünsciien nahe, erfüllt
sie jedoch noch nicht ganz.^ Auf ihn ist es zurückzuführen, daß einfache geologische
Oberflächenerscheinungen in die Geländedarstellung großmaßstabiger Karten ein-
drangen. Heute nehmen wir es als selbstverständhche Tatsache hin, daß sich auf guten
topographischen Karten die Formen des Vorgebirges von denen der Kalkalpen unter-
scheiden, doch hat es lange gedauert, bevor sich die Karte zu dieser Höhe emporschwang.
Von schweizerischer Seite aus wird aber auch gewarnt, das geologische Bild bei
der topographischen Karte nicht zu übertreiben. Kein Geringerer als der Heraus-
geber des Siegfriedatlasses, H. Siegfried, ist es selbst, der darauf aufmerksam macht,
daß der Topogi-aph den geometrischen Verlauf der Niveaulinien der Oberfläche, soweit
das Gelände überhaupt durch solche Linien darstellbar ist, wiederzugeben hat und nicht
den miter der Bedeckimg des Gesteins erkamiten Verlauf von Schichtköpfen, was in
eine geologische Karte gehört; ,,wenn der Maler das Bild des lebenden Menschen geben
soll, so darf er die Züge desselben nicht bis zum Bild des geschundenen Marsyas über-
treiljeu."-
Es ist natürlich, daß wir in die Gegenden mit ausgesprochenem Gebirgscharakter
gehen, wemi ^vir die Abhängigkeit der topogi'aphischen Linienführung vom geologischen
Bau der Erdrinde studieren wollen, obwohl zuletzt jedes Stückchen Erde dazu Ge-
legenheit bietet. Dit- Alpen und Süddeutschland sind ein bevorzugtes Studiengebiet.
Überhaupt hat Württemberg von jeher diesen Problemen großes Interesse entgegen-
gebracht. Darum finde ich es nicht erstaunhch, daß ein neuerer Großmeister der Topo-
graphie, E. Hammer, ein ausgezeichnetes Beispiel gibt, wie topographisch auf Grund-
lage der geologischen imd moqihologischen Erscheinimgen aufzimehmen ist.' An
einem klassischen Beispiel zeigt er, wie es gemacht w^erden muß, wie z. B. sich die Profile
von Buntsandstein, Muschelkalk und Keuper ganz verschieden verhalten, wie sich
diese Verschiedenheit in der Linien führiuig der Schichtlinien widerspiegehi muß, oder
wie die Schichtlinien in den Seitentälchen luid Schluchten (Klingen oder Einschlägen)
des Keupermergels wosentHch anders, nämlich sehr spitz, als im Buntsandstein ver-
laufen usw.
Die alpine Kartographie insonderheit hat durch Ziegler gi'lenit. Zimächst
waren es die Karten des Schweizer Siegfriedatlasses, in 1 : '25000 und 1 : 50000, die
sich den Ideen Zieglers anzupassen suchten, indem .-^ie auffällige Oberfläcben-
erscheinimgen (Karrenfelder) besonders charakterisierten, wie auch dii' unterschied-
lichen Formen des Urgebirges und Kalkgebirges. Bei der Felszeichnung einzehier
Blätter karm man auf das verschiedengradig widerstandsfähige Gestein schließen,
Berg- und Talformen treten möglichst prägnant im Kartenbilde auf. Zur Erreichung
dieses Zieles haben die im Beginn der Gebirgsaufnahmen vom Ingenieur Wolfs-
berger gelieferten musterhaften Zeichnungen der Gebirgspartien von Unterwallis
beigetragen. Leuzinger gab den Aufnahmen auf der Karte das vollendete Bild,
(ieologisch vertiefter ausgearbeitet sind die Karten in 1 : '25000 und 1 : 50000 des
Alpenkartographen Leo Aegerter, die in der Zeitschrift des Deutschen und Oster-
' Vgl. den Abschnitt tiber „morpholopischc Karten" in Teil I, S. 94ff.
• H. Siegfried: Geograph, u. koamograph. Karten u. Ap])srate. Bericht Internat. Welt-
ausHtellg. 1878 in Paris. Schweiz. Zürich 1879, S. 30.
' E. Hammer: Die orographische Gestaltung Württembergs u. sein geologischer Bau. Kettler»'
Zeitschr. f. wis». Geographie, III. Lahr 1882, S. 03ff,. 148ff.
216 !>''■ KHitHnriiifiiuliiiw.
reicbischeu Alpeuvereiiis Bischienen siiid; aus ihnen lassen sich die geologischen
Schichtungen, Faltungen, Verschiebungen, ferner Gletscherübertiefungen, Schutt-
kegel, Sandreißen, Formen der Mulden (ob kessel-, teller- oder trichterförmig), Tal-
stufen, Terrassen u. a. m. herauslesen. All diese Bemühungen der Alpenkartographen,
den geologischen Verhältnissen im topographischen Bilde Rechnung zu tragen, sind
von den verschiedensten Seiten gewürdigt worden, so von Eug. Oberhummer,
A. Penck, Ed. Eichter, Em. Chaix, A. v. Lapparent.* Beachtung verdient
auch das Vorgehen von J. Moriggl, der vom Gesichtspimkt der Gangl)arkeit des
Terrains die Darstellung der Bodenart in der Karte verfolgt. *
Hinwiederum ermahnt S. Passarge die Geologen, selbst in Ländern, deren
Übersichtskarten in verhältnismäßig großem Maßstabe vorliegen, eigene Karten
anzufertigen, ,,da kaum jemals die vorhandenen Karten von Kartographen stammen,
die für die Geländeformen imd ihre Abhängigkeit vom geologischen Bau Verständnis
haben, und da ferner gar zu leicht die Aufnahmen geradezu ungenau sind".' Weniger
trifft dies für topographisch vollwertig erschlossene Länder zu.
88. Eine bessere geographische und geologische Ausbildung der Topographen.
Die Listraktionen und theoretisch praktischen Anleitungen für topographische Auf-
nahmen in der Schweiz, in Bayern, Österreich, Italien und Frankreich miterlassen
nicht, auf die Kenntnis der geologischen Beschaffenheit der aufzunehmenden Land-
schaft hinzuweisen. In der Instruktion für topographische Aufnahmen im Hoch-
gebirge der Schweiz heißt es S. 27: „Der aufnehmende Ingenieur wird vor allem
die Terrainbildung so weit studieren, daß er sich über die Art und Weise der Model-
herung unserer heutigen Bodenoberfläche klar wird. Er wird dabei eine Reihe immer
wiederkehrender typischer Formen finden, die, unter gleichen Gesetzen gebildet,
gleichartige Gestaltung zeigen und zu deren charakteristischer Darstellung jeweilen
analoge Pimktbestimmimgen notwendig sind. Aus der Beachtung der wechselseitigen
Beziehungen zwischen geologischer Bildung, örtUcher Lage, Vegetationscharakter,
Bewohnung, Wegnetz, überhaupt der gesamten Bodenbedeckung, ergibt sich für
den Aufnehmenden eine geistige Auffassung, welche ihn befähigt, die technischen
Operationen mit Verständnis auszuführen und bei Anbringung aller dem Maßstabe
zukommenden Detaüs ein klares Kartenbild zu liefern." A. Heller sagt in der
Theoretischen und praktischen Anleitmig für den Dienst der topographischen Zeichen-
sektion, München 1902, kurz und klar: ,,Es genügt nicht, ein bloß schönes Bild zu
schaffen, sondern es müssen die durch das Material, die Schichtungs-, Lagerungs-
und Verwitterungsverhältnisse bedingten Momente, wie sie sich dem Beschauer zeigen,
auch aus der Zeichnmig zu ersehen sein." Aus den Werken über Geländekimde in
den neunziger uud folgenden Jahren, besonders aus demjenigen von de la Noe imd
Em. de Margerie, geht hervor, daß auch Frankreich das geologisch-stratigraphische
1 A. de Lapparent geht im Hinblick auf das geologische Verständnis hauptsächlich auf die
Richtlinien des Studiums topographischer imd geographischer Karten ein; vgl. seine beiden Aufsätze
,,L'art de lire les cartes g6ographiques" in Comptes rendus ass. franf. av. sc, 25. sess., Paris 1896 und
in Rev. scientif. Paris 1896, S. 38.5ff.
- J. Moriggl: Anleitung zum Kartenlesen im Hochgebirge ra. bes. Berücksichtigung der von
D. u. Ö. Alpenverein herausgeg. Spezialkarten. München 1909. (Die 14 beigegebenen Kartenbeilagen
sind recht instruktiv!)
' S. Passarge: Geologische Beobachtungen i. d. Tropen u. Subtropen. In K. Keilhacks
Lehrbuch der praktischen Geologie. 3. Aufl. I. Stuttgart 1916, S. 253.
Geologie und tupographischp Karte. 217
Element mehr in den Dienst der Kartenaufnahme und -wiedergäbe gestellt hat als
es früher der Fall war. B. S. Lyman sagt: „Jemand, der topographische Karten
macht und nichts von Geologie versteht, tut dasselbe, wie jemand, der eine chirur-
gische Operation ausführt und nichts von der Anatomie kennt."^ Auf die gegen-
seitige Durchdringung von Geologie und Kartographie bei der Terraindarstellung
und -aufnähme weist G. v. Dit trieb ausführlicher hin.- !S. Passarge klagt über
das geringe Verständnis der Kartographen für Geländeformen in deren Abhängigkeit
vom geologischen Bau.^
Trotz aller Instruktionen läßt sich immer noch auf vielen Karten der Landes-
aufnahmen in 1:25000 die Vernachlässigung geologisch-tektonischer Eigentümlich-
keiten des Geländes nachweisen. Die Gründe für die Wahrnehmimg sind nicht allzu-
weit zu suchen, sie liegen in den topographischen Lehrbüchern, in der Leitung der
topographischen Institute, in der geringen Belehrung der Topographen von selten
des Geographen luid Geologen und nicht zuletzt in den heutigen topographischen
Aufnahmemethoden.
Die Lehrbücher der Topographie, z.B. die von .J. Enthoffer*, H. v. HiHorS,
J. Zaffauk«, W. Veith', E. Eothpletz«, V. Wessely», Br. Schulzei", J. Köger",
A. Egereri^ u. v. a. m. , wie vei-wandte Veröffentlichimgen befassen sich mit
den Bodenformen vom rein vermessungs- imd kartentechnischem Standpiuikt aus,
oder sie beleuchten sie wie die von C. A. le Coq in breiter Weise unter Be-
rücksichtigung der militärischen Benutzbarkeit.^* Sie weisen wohl wie die
oben genannten Instruktionen mit km-zen Worten auf die Bedeutung der Geologie
hin, allein damit ist dem Topographen nicht gedient, werm wie bei Br. Schulze
' B. S. Lyman: Contribution to conespondance on the paper of J. C. Branner entitled „Geo-
logy in its rclations to toiiography". Tr. Am. S. Civ. Eng. XXXIX, S. 92 -94. — Impoitance of topo-
graphy in geologieal sui-veys. The mining and metallurgical J. 1900, S. 67 — 78.
^ 0. V. Dittrich: Gt^ologie u. Kartographie in ihrer gegenseitigen Beziehung bei der Terrain-
dai-stellung i. Karten. Mitt. d. k. k. mil.-geogr. Inst. XXMI. Wien 1907, S. 82-95.
■> S. Passarge, a. a. O.. S. 253.
* J. Enthoffer: Manual of topography and tcxtbook of toiKjgraphical drawing, for the iLse
of officers of the aniiy and na^-A', oivil-engineers etc. With an Atlas. New York 1870.
^ H. V. Hiltor: Kurze praktische Anleitung ziun feldmäßigen Daretellen des Terrains (Kro-
kieren). Berlin 1872.
' J. Zaf f a uk : Populäre Anleitimg f. d. graphische Darstellung des Terrains in Plänen u. Karten.
3. Aufl. Wien 1875. — Der«.: Gemeinfaßliche Anleitung zum Croquiren des Terrains mit u. ohne In
Strumente. 3. Aufl. Wien 1883.
' W. Veith: Das Tenain nach militärischer Auffassiuig u. Dai-stellung. Sonderabiliui k aus
„den Elementen der Kriegs- usw. Wissenschaften". Würzburg 1873.
' E. Rothpletz: Die Terrainkunde. Aarau 1885.
» V. Wessely: Die Kartographie nach Einfülining der TerraindaretcUung in Karten imd
Plänen. Teil II u. III. Die Bergzeichnung in Karten u. Plänen. Bremerhaven u. Ixnpzig s. a.
"> Br. Schulze: I)a.s militärische Aufnehmen. Ix-ipzig u. Berlin 1903. - Es sei auch erinnert
an den Leitfaden f. d. Unterricht i. d. Feldkunde (Tcrrainlchrc. Planzeichnen, Aufnehmen) auf d. köiügl.
Kriegsschulen, Berlin 1899. Hierin sind schon die Vorbegriffe aus der Erd-, Ijvnd- und Heinmtkunde zu
fragmentarisch. Wie soll da eine oi-dentliche Einsicht in die Geländeverhältnisse gewonnen werden.
" J. Roger: Anleitung f. d. Unterricht im Kartcnlesen sowie im .\nfertigcn von Krokis, Ski7.zen
und Ansicht.s.skizzen. München 1910.
" A. Egerer: Kartenlesen: Einfühnmg in das Verhältnis toix)graphi8cher Kart<>n. Stuttgart
1914. - Ders.: Kartenkunde. I. Einfühnmg in das Kartcnvcraländnis. Aus Natur und G<>ist»wwelt.
Xr. filO. Leipzig u. Berlin 1020.
" C. A. le Coq: Entwurf zu Vorlcsimgen üb. Tcrrainlchrc u. l<o<ognoscinmg. Dresden IS24.
218 "''■ KHilinuufiial.ni,.
stellt, ..daß scholl in einer nach richtigen Grundsätzen hergestellten topographischen
Karte an dem Wechsel der Bergformen die Grenzen der verschiedenen Gesteinarten
erkennbar sein müssen";^ er muß genau wissen, worauf es ankommt, um nicht auf
zufällige Kauhigkeiten des Geländes mehr Gewicht zu legen als auf tektonisch be-
deutmigsvollere Formen. Nirgends findet er Belehrung, nirgends Anleitung, die
Formen geologisch und morphologisch zu verstehen und in der Natur zu erfassen.
Deshalb werden auch die Klagen nimmer aufhören, die aus Kreisen der Landes-
geologen über die topographischen Karten laut werden. (Vgl. auch S. 97, 212.)
Noch mehr als in den Lehrbüchern scheint mir der Fehler bei der Leitimg der
großen Vermessungsinstitute zu liegen, die für die geographische, geologische und geo-
morphologische Ausbildimg der Topographen nicht genug Sorge tragen. Freihch er-
fordert dies größere Gesichtspunkte als wie wir sie daselbst beobachtet haben imd viel
Arbeit, wobei auch nicht alles nach einem Schema zu behandeln ist, denn der Topo-
graph des Hochgebirges muß anders als der des Tieflandes ausgebildet werden.
An den Geographen und Geologen hegt es weniger, sie sind gern bereit, die
nötigen Unterweisimgen zu geben. Nur müßten die Landesaufnahmen aus ihrer nicht
selten hermetisch verschlossenen Isolierimg heraustreten imd geographischen, geo-
logischen imd mathematischen Kreisen zugänghcher sein. Überhaupt muß der Puls-
schlag neuen wissenschaftlichen Lebens die Landesaufnahmen kräftiger als bisher
durchzittern und auffrischen. Schon haben -wir hier und da gute Anläufe gesehen,
wie bei den schweizerischen, österreichischen und bayerischen Landesaufnahmen.
Und wenn endhch auf allen Hochschulen die Geographen eme Morphologie für die
Bedürfnisse des Geodäten lehren, dürften die Landmesser mit ganz andern Augen
und Gewimi als bisher an ihre Vermessimgsaufgaben heranschreiten.
89. Die MaBstabl'rage bei geologischen Aiifuahmeu. Daß diu heutigen lopu-
graphischen Aufnahmeverfahren trotz großen Maßstabes zur Vernachlässigung morpho-
logischer Phänomene führen können, ist leider allzu wahr. In den frühern Zeiten,
als in 1 : 50000 oder ähnlichen Maßstäben aufgenommen wurde, war die Methode
der Höhenpunktbestimmimg noch nicht so fein imd reich ausgebildet wie heutiges-
tags, und es kam viel mehr auf das scharfe Erfassen der Formen im Gelände an. Nun
ist es richtig, m den „ä la vue-Aufnahmen" nicht das A und ß der topographischen
Aufnahmen zu erblicken. E. Hammer insonderheit warnt, sie nicht zu überschätzen^,
doch dürften sie heute nicht so vernachlässigt werden, wie es weniger bei der Meß-
tischaufnahme als den tachymetrischen Aufnahmen in 1 : 5000 und großem Maß-
stäben der Fall ist. Die Verführung bei letzterm Verfahren ist zu groß, nur in dem
Einheimsen einer großen Anzahl gemessener Punkte, die zur Konstruktion des Ge-
ländes im Zimmer dienen, das alleinige Heil guter topographischer Aufnahmen zu
erbhcken. Es dürfen die numerischen Höhenbestimmungen nicht auf Kosten des
geistigen Erfassens der Bodenformen überhand nehmen. Die große Pmiktzahl macht
noch keine Karte, imd tektonisch wichtige Unebenheiten können auch hierbei über-
sehen werden. Auf alle Fälle ist eine nochmaUge Begehung des Geländes an der
Hand der fertiggestellten Höhenzeichnung sehr zu empfehlen. Der dafür beanspruchte
Zeit- und Kostenaufwand macht sich reichlich belohnt.
1 Br. Schulze: a. a. O., S. 182.
» E. Hammer: Zur künftigen topographischen Grundkarte von Deutschland. Der I^andmesser.
7.. des Landesverbandes preußischer Landinesservereine in Beilin VII. 1919, S. 39.
Wirla.lirtt't und topoiiietriscln' Kurt.'. 219
Die morphologisch gut aufgenommene topogiaiihische Karte ist für die weitere
geologische Kartierung von großem Vorteil. Für jede geologische Aufnahme ist die
topographische Grundlage unentbehrlich, selbst in Ländern, die erst erschlossen
werden sollen. W. Volz z. B. fand bei seinen geologischen Untersuchvmgen in Nord-
Sumatra die vorhandenen Karten so lückenhaft imd falsch, daß er, um überhaupt
seine geologischen Beobachtungen zu Papier bringen zu können, gezwungen war,
sich selbst z\mächst die topographische Gnmdlage zu schaffen.^ Vor eine ähnhche
Aufgabe wiirde W. Penck gestellt, als er den Südrand der Pima de Atacama, ein
Gebiet imierhalb der ariden Zone Südamerikas, geologisch zu erforschen hatte.- ifl
Neuerdings fängt die Maßstabfrage auch hier an, von Wichtigkeit zu werden,
wenngleich die diesbezügüchen Wünsche in geologischen Kreisen noch spärHch auf-
treten, z. B. in Keilhacks Lehrbuch der praktischen Geologie', wo darauf hin-
gewiesen wird, daß für geologische Aufnahmen die Meßtischblätter 1 : 25000 oft
nicht mehr genügen. Bei der Beanspruchung zahheicher Farbendruckplatten dürfte
man mit den geologischen Landeskarten, wie sie jetzt in jedem großem Staat und
Einzelstaat in 1 : 25000 ausgeführt werden, auf Jahre hinaus zufrieden sein. Auch
E. Hammer hält den Maßstab 1 : 10000 für die Grundlage einer allgemeinen geo-
logischen und agronomischen Landesdarstellung zu groß.* Anders verhält es sich
bei der Aufnahme im Felde, wo man gern zu dem Maßstab 1 : 10000 seine Zuflucht
nehmen wird, wenn nicht gar bei verwickeitern geologischen Verhältnissen, wie bei
Bruchzonen, Erzgängen, Lagerstätten usw., zu Katasterkarten, denen aber meistens
die Höhen fehlen. Sicher ist, daß bei geologischen Detailaufnahmen die künftige
topometrische Grundkarte in 1 : 5000 eine große Eolle zu spielen berufen ist. Über-
sichtUch und so vollkommen wie möglich muß die geologische Aufnahme sein; diese
Forderungen zu erfüllen, ist der Maßstab 1 : 5000 gerade geeignet, imd vereint mit
einer auf zahlreichen Punktmessungen berulienden Höhenkurvenzeichnung wird die
Feldarbeit des Geologen ebenso erleichtert wie gefördert.
III. Wirtschaft und topometrische Karte.'
90. GeoloKiseh-agronuDiisehe Karten. Forslkarten. Nahe verwandt der geo-
logischen Karte ist die Bodenkarte oder, ihr engeres Betätigmigsfeld umfassend, die
agronomische Karte. Daß das geologische Moment nicht vergessen werde, dafür
sprechen die geologisch-agronomischen Karten.« Die Karten basieren auf einer
geologischen' und praktisch-wissenschaftlichen Untersuchung. Ihre Hauptaufgabe
ist, die dadurch festgestellten physikalischen und chemischen Eigentümhchkeiten
' W. Volz: Kartographische Ergebnisse meiner Reisen durch die Karo, und Pakpak-Batak-
länder (Xordaumatra). Tijdschrift van het Koninklijk Noderlandsch Aardrijkskiuidig CK-nixitsohap.
2« Ser. dl. XXV, 1908, S. 1346.
* W. IVncU: Topographi-iche Aufnahmen am Südrand der l'una de .Vt^wam» (N W Arven-
tinien). Z. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin 1918, S. 193ff.
' K. Keilhack: Lehrbuch der praktischen Geologie. 3. Aufl. Stuttgart 1916. I. S. 14. l."».
* E. Hammer: l^er die Bestrebungen der neueren Landestopographie. P. M. 1907. S. 107.
' A. .•Vbendrotli apriebt von der topometrischen Karte 1 : .5000 nur als von der „wirtschaft-
lichen Einheitskarte"; s. A. Abendroth: Die l'ra-ci« des Vernie-ssungsingenieurx. Berlin 1912,
S. 773 -777.
* Vgl. u. a. K. Keilhack: Einführung in das Veret&ndnis der geologisch agronomischen Speiial-
karten des Norddeutschen Flachlandes. Berlin 1901.
220 Dif KartpnaufDahme.
des Bodens im Bilde -wiederzugeben. Insonderheit legen die geologisch-agronomischen
Karten darauf Wert, die Untergruudzusammensetzimg bis zu einer gewissen Tiefe,
meist bis 2 m, darzustellen, weil durch die Veranschaulichung der Bodenzersetzung
die Land- wie Forstwirtschaft in die Lage versetzt werden, wichtige Schlüsse auf die
Rentabilität irgendwelcher Bepflanzung zu ziehen. Der Forstwirtschaft gegenüber
wendet der Land bau in ausgedehnterm Maße die Melioration an, er ist nicht wie
jene in so hohem Orade von der ursprünglichen Bodenzusammensetzung abhängig.
Neuerdings wird die Bodenkarte immer unentbehrlicher für die Wasserversorgung
kleiner und großer Gemeinwesen, desgleichen für die Bauverwaltung, da sie den Nach-
weis über vorhandene Baumaterialien für Hochbau und Wegebau liefert.
Von der Bedeutung der agronomischen Karten ist man in allen Kulturländern
überzeugt mid ist an die Herausgabe solcher Karten auf Grundlage der vorhandenen
topographischen Karten in neuerer Zeit tatkräftig herangegangen. Frankreich hat
schon seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geologisch-agro-
nomische Karten in 1:40000 herausgegeben, bearbeitet von Meugy und Nivoit.^
Wesentlich von geologischem Gesichtspimkt aus geleitet, werden nach 1900 in Preußen,
Bayern und Württemberg die agronomischen Karten aufgenommen; sie bauen sich
auf den Meßtischblättern 1 : 25000 auf. Nach den oben ausführlicher erörterten
Zwecken sind diese Karten nichts anderes als Übersichtskarten. Für speziellere
Untersuchungen ist man gezwimgen, zu dem großen Maßstab 1 : 5000 zu greifen,
den auch C. Eberhart auf Grund langjähriger Erfahrungen vorgeschlagen hat.*
Die Forstkarten haben von jeher gi'oße Maßstäbe bevorzugt. Am beliebtesten
sind Karten in 1 : 4000 bis 1 : 8000. Daneben machen sich Karten in 1 : 1000 bis
1 : 16000 bemerkbar. Diese Mannigfaltigkeit erweist sich bei vergleichenden Be-
trachtungen imgemein störend. Darum wird es nachgerade Zeit, daß man sich im
Forstwesen auf eine Gnmdkarte in 1 : 5000 einigt, natürlich mit Höhenkurven, da
von der Höhenlage neben der Bodenzusammensetzung bzw. Fnichtbarkeit die Een-
tabilität des Waldes abhängig ist. Ebenso erweist sich für die Anlage der Forstwege,
die sich möglichst den Unebeidieiten des Geländes anschmiegen müssen, die Höhen-
karte imentbehrlich. Zuletzt dürfte die gemeinsame topometrische Grundkarte in
1 : 5000 dem Mißstand , die Forstkarten an den Eigentumsgrenzen aufhören zu lassen,
ein Ende bereiten.
!)1. Eisenbahn-, Straßen- und Wasserbaukarteu. Wirtschaftsgeographische Karten.
Die Forderung des Eisenbahnbaus nach großmaßstabigen Karten nimmt man als
durchaus selbstverständlich hin. Die bahnbautechnische Literatur sucht aber auch
heute noch nach den zweckmäßigsten Maßstäben. Keine Einheitlichkeit ist vor-
handen, der allerdings die verschiedenartige Gestaltung des Bodens Vorschub leistet.
Bei Eisenbahntrassierungen läßt es sich im gebirgigen Gelände mit 1 : 10000 kaum
auskommen, viel weniger mit 1 : 25000. Da keine Karten in dem gewünschten Maß-
stab 1 : 5000, mit Ausnahme in Bayern, vorliegen, hat die Eisenbahnverwaltung zu
den Katastern in 1 : 1000 bis 1 : 2500 gegriffen, die sie größtenteils durch Höhen-
kurven vervollkommnen mußte. Von fachtechnischer Seite aus wird die Heraus-
' So die Cartes g^ologiques agronomiques des arrondissements de Retliel, Mezi6res, Sedan,
Rocroi et Vouziers. Paris 1876-1885.
^ C. Eberhart: Über Wesen und Bedeutung der Bodenkarten. Naturw. Z. f. Forst- u. Landwirt-
schaft 1910.
Wirtschaft und topometriache Karte. 221
gäbe einer topometrischen Grundkarte warm befüi-wortet iind im speziellen der Maß-
stab 1 : 5000 für generelle Eisenbabnvorarbeiten als höchst zweckmäßig bezeichnet,
so von Würtbenaui. E.Hammer, H.Müller, C.Koppe, letzterer in seinen
spätem Yeröffentlichmigen*, während er in seinen frühem noch für den Maßstal >
1 : 10000 eintritt. Die Bauingenieure der Schweiz treten samt und sonders über-
zeugend für den Maßstab 1 : 5000 als den vorteilhaftesten sowohl für die topographischen
Aufnahmen wie für die Pläne zum Zwecke allgemeiner Eisenbahnvorarbeiten ein.
Nel)en dem Eisenbahnbau haben der Straßen- und weit mehr noch der Wasser-
bau' berechtigtes Interesse an der Herausgabe einer topometrischen Gnmdkartc
in 1 : 5000. Bei den Straßenbaukarten würde dann endUch die gesamte Nachbar-
schaft auf dem Kartenbild mit erscheinen, und nicht wie jetzt übhch, nur links und
rechts des Straßenzuges die orographische Gliedemng auf kaum 100 m Entfernung
angegeben. Der Maßstab der gewünschten Grandkarte gestattet eine ausführliche
imd klare Kartierung des Wassernetzes mit sämtHchen Wasserbauten. Für das
gesamte Kultur- und Mehorationswesen sind die topographischen Karten 1 : 25000
nicht geeignet : schon als Übersichtskarten sind sie nur beschränkt zu brauchen, wie-
viel weniger noch als Arbeits- und Aufnahmekarte.
Wird die topometrische Grundkarte in 1 : 5000 erst einmal für größere und
wichtigere Gebiete fertig vorliegen, so werden ihr noch Aufgaben zuwachsen, an die
man jetzt kaum zu denken wagt. Nur auf wirtschaftsgeographische Darstellungen
sei hingewiesen. Die Klage über die Überfülhmg der Wirtschaftskarten, selbst bei
Spezialkarten, wird bei den jetzt für diese Karten üblichen Maßstäben nie verstummen.
Erst auf der großmaßstabigen Höhengnmdkarte wird es möghch sein, mit den karto-
graphischen Mitteln imd nicht statistisch-graphischen Hilfsmitteln die verschiedenen
Gewerbezweige eines Industriezentrums oder -beckens klar und instruktiv darzustellen.
Das Problem der detaillierten industriellen Wirtschaftskarte ist dann mit einem
Schlage gelöst.
92. Der ökonomische Werl großmaOstabiger Karten und das Wachsen der .\n-
sprürhe an den .Maßstab. Vor allem werden, wie wir schon durchblicken ließen, durch
ein einheitliches großmaßstabiges Werk viele leidige Doppehnessmigen eines Staates
vermieden, was seinem Haushalt offenbar zugute kommt. Schon E. v. Sj'dow
sagte vor mehr als einem halben Jahrhimdert: „Je gründlicher und besser eine Auf-
nahme, um desto größer ist die Ersparnis, derm zwei flüchtige Aufnahmen kosten
ebensoviel als eine gute und üefem niemals die gleiche Ausbeute, so daß jedes auf
Genauigkeit berechnete Bedürfnis auch wieder eine Spezialaufnahme erfordert."'
' Würthcnau: Mitteilungen über d. Herstellung topographischer Karten mit Horizontal-
kurven zur Bestimmung der Zugrichtung von Eisenbahnen. Stralien u. Kanülen. Stuttgart 1888.
- Vgl. C. Koppe: Die topographisch. Grundlagen bei Eisenbahn-Vorarlieiten in verschiedenen
Landern. Z. f. Verra.-W. 1910. S. 401 410.
" In J. h. van Ornum ..Toiwgraphical surveys, their methods and value" (Bull, l'niversity
Wisconsin, Engineering series, Bd. I. Nr. 10; S. WM —.369; Miulison, Wisc. 189fi) lesen wir von der
großen Bede\iti»ig guter topograph. Karten für ilie Wasserversorgung. .Auch auf Liverpool (England)
ist hing«-wlesen, da-s von dem Nutzen der Karten des Ordnance Survey für da» Was-serversorgiuigs-
projekt spricht.
* Sydow äußerte dies gelegentlieh einer Besprechung der tojxigraphischen .•\ufnahme von
Böhmen. Vgl. Der kartographische Standpunkt Kuropa» in den . fahren I8fi.1 und I8«4. P.M. I8fi4,
S. 479.
222 !>!'■ Kint.'nauri.i,lnnr.
Bei iillen Vorteilen der topometrischen Grundkarte in 1 : 5000 l>in ich mir der außer-
ordentlichen Schwierigkeiten eines derartigen epochalen und von unzähligen Inter-
essenten dringend geforderten Werkes gar wohl bewußt. Aber mit dem Feldzeug-
meister Otto Frank, dem letzten berühmten Kommandanten des k. u. k. Militär-
geographischen Instituts bin ich der Überzeugung, daß es durchs Zusammenwirken
alk'r wissenschaftlichen, technischen, industriellen und staatlichen Faktoren doch
gelingen muß, ,,alle Schwierigkeiten zu ülierwinden und eine Landesaufnahme y.n
schaffen, die das Beste und für lange Zeiten Gültige leistet". Schon 1905 kam l<'raiik
zu der Überzeugung, daß der Maßstab 1 : '25000 infolge seiner merklichen Verschiebungen
von Horizontalprojektionen den Anforderungen der Technik usw. nicht entspricht. ^
Von dem Grundsatz ausgehend, den Maßstab bei einer großmaßstabigen topographischen
Karte so zu wählen, daß durch die Signaturen keine Verschiebungen von Terrain-
teilen imd -gegenständen möglich sind, kam er bei seinen Untersuchungen über den
Maßstab 1 : 25000 zu dem Ergebnis, daß Verschiebungen bis 50 m vorkommen, so
bei Wegen, kleinen Talweitungen, selbst bei Kuppen, Sätteln usw., und zwar auf
Kosten des Geländes. Selbst im Hochgebirge ist bei 1 : 25000 das topographische
Detail zu gering und die Anzahl der Höhenkoten zu klein. Ohne von E. Hammers
Arbeiten über diesen Gegenstand Kenntnis gehabt zu haben war auch l'rank wie
ich durch die Erfahrungen des Krieges auf den Gedanken der Ausführung einer groß-
maßstabigen Grundkarte mit Höhenschichten gekommen, ein guter Beweis dafür,
daß das Bedürfnis nach jener Karte an verschiedenen Stellen entstanden und laut
geworden ist.^
Interessant ist es, festzustellen, wie innerhalb weniger Jahrzehnte die Ansprüche
an den Maßstab sich geändert haben. Als die ersten Meßtischblätter nach 1871 der
Öffentlichkeit übergeben wurden, war das ein Ereignis, imd kein Geringerer als
C. Vogel weist auf die wissenschaftliche und praktische Bedeutung der Aufnahmen
in 1 : 25000 hin, wie sie ein Hauptträger der Nationalökonomie und Statistik sind,
überhaupt derjenigen Wissenschaften, die sich vorzugsweise mit den Lebensäußerungen
des Staates und der Menschheit beschäftigen, die mithin den größten Einfluß auf
das Wohlergehen des Ganzen und des Individuums ausüben. ,, Staat' mid Gemeinde,
Gesellschaften und die einzelne Person finden in diesen Karten den Nachweis und
die Grundlage zur Ausübmig für die verschiedensten Lebenszwecke. Ihre Wichtig-
keit für das militärische Interesse hier ganz beiseite lassend, sind sie die Vorbedingung
für die genaue und erschöpfende Anfertigung von wissenschaftlichen, naturhistorischen,
meteorologischen imd geologischen Karten."* Und schon vor Vogel hat K. Kofistka
• O. Frank: Landesaufnahme u. Kartographie. Mitt. d. k. k. militär-geogr. Inst. XXIV.
Wien 1905, S. 52, 53, 57. — Frank erweiterte die Vorschläge von Bancalari und gab ihnen positive
Grundlage. Bancalari hatte seinerzeit scharfe Kritik an den offiziellen österreichischen Karten und Auf-
nahmen ausgeübt, wobei er u. a. auch zu dem Ergebnis kam, daß eine Neuaufnahme geschaffen werden
müsse, die den mannigfachsten Wissenszweigen diene; sie müsse eine Art geographischer morpho-
logischer und topographischer Kataster zu werden trachten. Vgl. G. Bancalari: Studien üb. d.
Österreich. -Ungar. Militärkartographie. S.-A. aus d. Organ der militär-wissenschaftlichen Vereine.
Wien 1894, S. 30.
- Gerade über diesen Punkt und weitere kartographische Probleme hatte sich Frank mit mir
bereits schriftlich in Verbindung gesetzt. Er hatte mir auch seinen Besuch im Felde angekündigt,
als plötzlich der Tod seinem tatenreichen Leben ein jähes Ende bereitete, was ich im Interesse meiner
kartenwissenschaftlichen Studien besonders schmerzlich empfunden habe.
' C. Vogel: Die vom K. Preußisch. Ministerium f. Handel usw. herausgeg. Meßtischblätter
der Gencralstabsaufnchmcn. P. M. 1873, S. 366ff.
Die griißiiuiBstaliigcii Karten cinzeliitT Länder. 223
die Darstellungsmethoden der Höhenverhältnisse und den Entwurf von Schicht-
linienkarten untersucht und versucht, die Beziehungen nachzuweisen, in denen der-
artige Aufnahmen mit wichtigen Fragen der Urographie, der Geologie, der Pflanzen-
geographie und der gesamten Landeskultur stehen.^ Ähnlich wie sich C. Vogel über
die Bedeutung der deutschen Meßtischblätter für den Zivilingenieur äußerte, urteilte
H. Siegfried fast zti gleicher Zeit bei der Herausgabe der Schweizer Aufnahmen
in 1 : 25000.2
IV. Die großmaßstabigen Karten einzelner Länder.
93. Die großmaßstabigen Karton außerdeufscher Läudcr. Die rapide Entwicklung
und damit zusammenhängend die weitgehenden Ansprüche der Wirtschaft und Kultur-
technik, insbesondere die neuern Bestrebungen, Wasserstraßen und Wasserkräfte
nutzbar zu machen und last not least die steigende Bevölkerungsdichte haben den
noch vor einem Menschenalter allseitig begehrten Maßstab 1 : 25000 für topographische
Karten überwunden, nicht in allen Ländern, nur in wenigen hochkultivierten Ländern,
unter denen Deutschland voransteht, wenn auch Großbritannien und Irland die
Länder sind, die zuerst einheitliche Karten großen Maßstabs gehabt haben, was aus
der kulturhistorischen Entwicklung Englands heraus zu erklären ist, befördert durch
die günstige Verteilung des Kulturbodens, die frühzeitige Entwicklung vom Agrar-
z\im Industriestaat und die verhältnismäßige Kleinheit und Geschlossenheit des
Landgebietes gegenüber den bedeutendem kontinentalen Reichen. England hegt
schon seit 1890 in dem Maßstab 1 : 2500 vollständig kartiert vor. Diese Gemeinde-
oder Katasterkarten. „Maps of parishes", bedecken weiter einen großen Teil von
Schottland und in Irland lediglich das Dubliner Gebiet. Die Neuausgaben dieser
Karten erscheinen in Buntdruck, Situation schwarz, Gewässer blau, Straßen braun,
Baulichkeiten rot; ihre Evidenthaltimg ist eine gewaltige Aufgabe der britischen
Katasterkartogi-aphie. Leider fehlen ihnen die Höhenangaben, bzw. Höhenschichten,
die uns erfreulicherweise auf den Grafsehaftskarten „Maps of counties" in 1 : 10560
mit dem Abstand von 25 engl. Fuß = T.fJ m entgegentreten. Über 25000 Blätter
zählen die Grafschaftskarten oder ,,6 inch county maps", (> Zoll = 1 engl. Meile.
Frankreich, das vor hundert und mehr Jahren so rüstig an Neuaufnahmen
lieranging, und für seine Zeit glänzende Eesultate erzielt hat, ist in den letzten Jahr-
zehnten nicht so recht vom Fleck gekommen. Damit sage ich den Franzosen nichts
Neues. Wie stolz war man früher auf die Generalstabskarte und doch mußte man
in der Kammer im September 1920 eingestehen: ,,Mais, de toute fa^on, la carte d'etat-
major a vieilli et doit etre remplacee." Sie wissen das selbst zur Genüge, aber bis
jetzt haben sie noch keine durchgreifenden Maßnahmen zur Abänderung ergriffen.
Seit 1897 ist die Neuaufnahme m 1 : 10000 im Gange; für die Gebirgsgegenden ist
sie in 1 : 20000 vorgesehen. Doch schreitet sie rücht in der Weise vorwärts, daß bald
ein gedeihUcher Abschluß des Werkes zu erhoffen wäre. Die französischen Kataster-
anfnahmen sind nach .\lter und Wert außerordentlich verschieden. Nach eigener
Beurteilung an Ort und Stelle fand ich viele so veraltet, daß eine Neuaufnahme höchste
Zeit ist. Die alte Katastrierung war 1S50 vollendet, 1890 entschied sich die fran-
' K. Küfitttka: Studien üb. d. Metlioden u. d. ßoiiüt7.iiiig hyiMonietrisoher ArbeiU-u, njwli-
gewiesen an den Niveauverhältnisscn der Umgebungen v. Prag. Kin neuer Beitrag zur (1«ida«ie n.
zur Orographie. Mit 2 Niveaukartcu. Gotha 1858.
• n. Siegfried, a. a. O., S. 26.
224 ''■'' KMi-ten.-iufnahraP.
zösische Regierung für eine neue Katastervermessung, die jedoch erst 1906 richtig
in Fluß kam. Die Arbeit ging aber kaum in der gewünschten Weise voran. Eine
große Stockung braclite 1914 der Krieg. Nach dem Kammerbericht vom 5. Sept.
1920 soll der Service geographique die Aufnahme wieder energisch in die Hand nehmen.
In Belgien ist vor mehreren Jahrzehnten eine genaue Landesaufnahme in
1 : 10000 durchgeführt worden, und Holland besitzt schon seit geraumer Zeit Spezial-
karten für wasserwirtschafthche Zwecke in 1 : 10000. Daneben treffen wir auf
Katasterkarten in großem Maßstäben. Für Norditalien ist die Aufnahme und Heraus-
gabe eiues Kartenwerkes in 1 : 10000 geplant. Österreich hatte in Erkemitnis der
Unzulänglichkeit der Karte 1 : 25000 eine ,, Präzisionsaufnahme" in 1 : 10000 geplant,
aber wegen der damit verbimdenen hohen Kosten, langen Zeit und vermehrten Arbeits-
kräften nicht ausgeführt, zugleich auch in dem Bewußtsein, daß mit der Neuaufnahme
den Bedürfnissen der Technik und Wirtschaft noch nicht so gedient ist, wie man
ursprünglich erhoffte. Merkwürdigerweise hatte man dazu weder die alten „Katastral-
mappen" in 1 : 2880 (40 Klafter = 1 Zoll) noch die neuern in 1 : 2500 und größern
^Maßstäben zugrimde gelegt. Bei der heutigen Beschneidung des ehemaligen öster-
reichischen Gebietes dürfte von dem Militärgeographischen Institut in Wien eine
Karte großen Maßstabes bald in Angriff genommen werden, am besten im Anschluß
an das geplante bzw. zu planende deutsche große Grandkartenwerk.
In der Schweiz hat man gleichfalls das Ungenügende der Karte 1 : 25000 für
kulturelle Zwecke eingesehen imd ist hier vor allen Dingen mit der Renovierung des
gesamten Katasters beschäftigt, die 1910 begonnen hat, hauptsächüch mit der Grund-
buchvermessimg in den Maßstäben 1 : 200 bis 1 : 10000. Der Gebrauch der vielerlei
Maßstäbe ist indessen nicht gut; man vermißt die Einheitlichkeit des Planes.
Ansätze zu großen einheitlichen Kartenwerken, die über die Maßstäbe 1 : 25000
imd 1 : 20000 hinausgehen, befinden sich erst im Status nascendi bei den andern
europäischen Staaten, geschweige denn bei den außereuropäischen. Daß Däne-
mark Katasterkarten besitzt, desgl. auch Schweden, Norwegen und Spanien für gut
angebaute Gegenden, in dieser Hinsicht katasterähnliche Karten in beschränktem
Maße selbst amerikanische Länder, Südafrika, Nordafrika, Australien, Vorderindien,
Siam^, Ostasien, braucht hier des nähern nicht ausgeführt werden. Insbesondere
ist Südamerika, wo bis jetzt P/q des Landes in Kultur stehen und in kurzer Zeit 10
bis 20"/o. d. h. 2—3 Millionen Quadratkilometer Land zu Ackerbau und Forstwirt-
schaft benutzt werden können, gezwungen, für die Regelung der Besitz- und Be-
steuerungsverhältnisse em Kataster zu schaffen.^ Der älteste Kataster dürfte auf
die alten ägyptischen Landmesser zurückgehen.^ 1906 ist die neue Katasteraufnahme
in 1 : 2500 und 1 : 4000 durch die Engländer vollendet worden.* 1 : 4000 ist derselbe
Maßstab, der bei der Steuervermessung in Indien und Siam angewandt wird.
94. Die großmaßstabigen Karten der deutschen Länder. Innerhalb Deutsch-
lands finden wir nicht bloß seit längerer Zeit gute Ansätze zur Aufnahme von groß-
' Siam hat Katastcrkarten in 1:4000 aufnehmen lassen. Vgl. M. Groll: Die topographische
I^ndesauf nähme von Siam. S.-A. aus der Z. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin 1913.
^ Von nordamerikanischen Katasterkarten sind die größerer Stadtbezirke bemerkenswert, wie
die von City o£ St. Louis, Mo. und City of Baltimore, Md. in 1 : 2400.
' Vgl. H. G. Lyons: The cadastral survey of Egypt 1892-1907. Cairo 1908.
* Vgl. H. G. Lyons Bericht in „Egjrpt. A report on the work of the survey department in 1906.
Cairo 1906. - Dazu E. Hammers Lit.-Ber. in P. M. 1908, S. .''.8. .'•>9.
Die groUiiiiißstabigi'ii Karten einzelner T.iinder. 225
maßstabigen Karten, sondern Itereits fertiggesteUte Katasterkarten', die gedruckt
und im Buchhandel zu beziehen sind, wie in Württemberg und Bayern. Aber trotz
dieser erfreulichen Tatsachen herrscht eüi Durcheinander, daß es Zeit wird, die ver-
schiedenen üffentUchen großmaßstal)igen Kartenunternehmimgen als eui Ganzes
einheitlich und planmäßig zu behandeln. Die süddeutschen Gebiete sind den nord-
deutschen voraus, was erklärlich ist. denn das kleine Württemberg kann leichter
em großes geschlossenes Werk dieses Gebietes als das große Preußen herausgeben.
Während in Preußen die Meßtischblätter in 1:25000 als Originalaufnahmen an-
zusehen .sind, haben die Karten gleichen Maßstabes von Bayern und Württemberg
nicht mehr den Grad einer Originalaufnahme imd sind schon mehr als Quellenwerke
zweiten Grades zu betrachten (S.'2'2, 23); derm sie beruhen jetzt in der Hauptsache auf
den Originalaufnahmen 1 : 5000 in Bayern, einige wichtigere Gel)iete sind in 1 : 2500
aufgenommen, und 1 : 2500 in Württemberg. Hier ist mithin die Originalaufnahme
eine zehnmal größere als in Preußen; was das für die Richtigkeit und den Wert der
württembergischen Originale mid femer für die Karten 1 : 25000 zu bedeuten hat,
ist ohne weiteres einleuchtend. Seit 1868 ist die Geländeaufnahme in Schichtlinien
auf den bayrischen Katasterkarten 1 : 5000 im Gange, es wird heute noch daran ge-
arbeitet.- Für die württembergischen in 1 : 2500 ist die Höhenkurvendarstellung
eine unerläßhche Bedingung. Man scheidet in einigen Ländern, wie in der Schweiz,
in Österreich, bereits das ,, Höhenkataster" von dem „Lagekataster". Für die moderne
Wirtschaft luid Kulturtechnik hat die Katasterkarte ohne Höhenbezeichnung be-
schränkten Wert. Darum hatte man in Württemberg dank dem tatkräftigen Wirken
E. von Hammers beizeiten mit der Höhenkurvendarstellung für Katasterkarten be-
goimen imd Württemberg hat dadurch ein ausgezeichnetes, mustergültiges Karten-
werk geschaffen, dem man bis zur Stunde kein ähnhches von gleichem Umfang, in
gleicher Güte und Ausführung weder im Inland noch im Ausland an die Seite zu
stellen vermag. Zugleich wird durch es wie durch die bayrischen Katasterkarten
der richtige Weg gezeigt, wie eine Musterkarte 1 : 25000 zu schaffen ist, nämlich vom
Detaillierten ins Generelle überzugehen. Den württembergischen Katasterkarten
reihen sich die Pläne des neuen deutschen Katasters von Elsaß-Lothringen würdig
an. Von den sächsischen Katasterkarten beruhen die Neuaufnahmen in 1 : 1000 und
1 : 2000 (1870—1890) auf besondem Triangulationen, die alten Blätter sind einfache
Meßtischaufnahmen.^ Diese alten und neuen Karten haben wie in Preußen keine
Beziehung zu den sächsischen Meßtischblättern in 1 : 25000 (nach preußischem Muster
ausgeführt, seit 1904 im Erscheinen), die wiederum nicht zu verwechseln sind mit der
,, Gradabteilungskarte des Königreichs Sachsen m 1 : 25000", kurzweg ,, (topographische)
Karte 1:25000" genamit, die 1875—1888 aufgenommen wurde, hauptsächlich zum
Zwecke der Kartierung der Geolog. Spezialkarte des Königr. Sachsen 1 : 25000.
die seit 1872 von H. Credner, R. Beck, Fr. Etzold u.a. liearboitet wonlen ist.
J).). Die prakliM'he Itiircliliihriimr fiinT fiiilifilliclit'ii to|toinetriM-li(Mi (irund-
kart«. Was Württemlierg und Bayern im kleinen geschaffen. uiul.i sieli auf das ge-
samte Deutsche Reich ausdehnen, wenn möglich im Anschluß auf Nachbargebiete.
' Erklärung des Wortes „Katnstcr" s. Z. f. Venu. ISitT. S. 161 Itifi.
« Heller: Die Tätigkeit des bayer. topogmph. Bureaiisi. d. letzt. lO.Iabi-en. Müiulien IIK». 8. 5.
^ Vgl. A. Riebicr: Hie siiebs. Lande-sverniessung (KatH-itorviniii-^Kiini;). Rcitrügo zur
deiilHch. Kartogr. Hg. v. H. I'nies.nt. Loip/ig I9J1, S. «I—«:;.
Kckcri , lw>rlPDwi»«Dacliari. 1. 15
226 L)ie Kartoimiiftiahmo. ■
Für ein solches Unternehmeu kommt lediglich eine Höhenkurven karte m 1 : 5üOU
oder, wie wir sie künftig nur bezeichnen wollen, die topometrische Grundkarto(Ein
heitskarte) in 1 : 5000 in Frage. Darüber braucht man kein Wort weiter zu verlieren
daß die kleüiparzellierten Weinberg- und Gartenbaugebiete des Eheins und das
rheinisch-westfälische Industriegebiet eher in Angriff zu nehmen sind als die Eomin
tener Heide. Vor allem kommt es darauf an, daß die großmaßstabigen Karten, also
die Kataster und die topometrische Grundkarte genauen Aufschluß über die Ge-
ländeverhältnisse geben. Es gelangt dadurch ein alter Ausspruch wieder zu Ehren
den J. G. Lehmann bereits vor 1800 getan hat, als er von einer guten topographischen
Karte mit der sichern Angabe des Geländes (für seine Zeit suchte er in der Böschungs
schraffe das Allheilmittel) sagte: ,,Mir deucht, auch der Naturforscher im allgemeinen
der Staatswirt, der Berg- und Forstmann, der Land- und Wasserbaumeister, der
Unternehmer großer Fabriken, imd selbst der größere Landwirt bedarf dieser hier
entwickelten Kenntnisse als Hilfsmittel; denn überhaupt beruht ja der irdische und
geistige Wohlstand unserer aller, als Menschen und Staatsbürger, auf der richtigen
Erkenntnis und klugen Benutzung der Erdoberfläche." ^ Noch etwas früher hatte
auf die Nützlichkeit topographischer Karten ,,fiir mehrere Geschäfte des bürgerlichen
Lebens" und ,,die Nützhchkeit der Bergzeichnung für die Ökonomie" der kurpfälzische
Wasserbaumeister Wiebeking hingewiesen. ^
Für den Maßstab 1 : 5000 haben sich, wie wir oben sahen, viele Fachleute aus
den verschiedensten praktischen und wissenschaftlichen Kreisen erklärt. Vom Gesichts-
pimkt des Geographen aus habe ich den Maßstab zu rechtfertigen gesucht, aber auch
auf Grund eigener Erfahrungen im Kriegsvermessungswesen muß ich für einen Maß-
stab in 1 : 5000 plädieren. Bei einem Bewegungskrieg ist der Maßstab 1 : 25000 der
größtmögliche, bei dem Stellungskrieg der 1 : 5000 der beste; denn bei den Infanterie-
verteidigungsanlagen und den Artilleriestellungen gilt es, die feinsten Bodenwellen
auszunützen, die wegen der Gesamtanlage des Verteidigungs- bzw. Angriffssystems
vorher auf der Karte kenntUch gemacht werden müssen. Wegen der kurzfristigen
Termine, zu denen während des Krieges die Neuaufnahmen des besetzten Frank-
reichs fertiggestellt sein mußten, wurde in der Hauptsache im Maßstab 1 : 10000
aufgenommen, daneben nur, wo es angängig war, 1 : 5000 (besonders von den Bayern
im Argormerwald, sie waren diesen Aufnahmemaßstab von zu Hause aus gewöhnt).
Die Hauptarbeit bei der Neukartierung des Deutschen Eeiches fällt Preußen
zu. Ab ovo jedoch ist nicht alles zu schaffen, es gibt auch in Preußen überall Kataster-
karten, nur müsst^n sie zusammengefaßt, vereinheitlicht und weiter ausgebaut und
ergänzt werden. Wo sie als Grundlage für die Grund- oder Einheitskarte versagen,
sind Neuaufnahmen — und ihrer werden es nicht wenige sein — notwendig. Sodann
müssen die neuen Katasterkarten wie auch die süddeutschen in ein einheitliches
Koordinateimetz eingehängt werden, als welches sich das von Gauß- Krüger von
selbst empfiehlt (s. § 76).
96. Militär- und Ziviltopographic. Neuorganisation im Vermessungswesen.
Die Arbeiten der Neukartierung und verwandte Arbeiten müssen in einer Hand,
d. h. bei einer einzigen Behörde liegen. Das ist die große Aufgabe der Zukunft, die
' J. G. Lehmann: Darstellung einer neuen Theorie der Bezeichnung der schiefen Flüche im
Grundriß oder der Situationszeichnung der Berge. Leipzig 1799. S. III.
« C. F. Wiebeking: Über topographische Garten. Mülheim am Rhein 1792, S. 17-26.
Die gi-oBiMaßstabi{;eii Kaitiii ciiizplin r Länder. 227
eine neue Laudesaufnahme odfr ein ßeichsvermessungsamt zu lösen hat,
nicht bloß in Deutschland, sondern auch üi andern Ländern.^ Wird der Eeform-
gedanke richtig erfaßt und verwirklicht, dann gleiten die gesamten Vermessungs-
aufgaben der bisherigen Landesaufnahmen von selbst aus den Händen des Mihtärs.
Dieses hat seine Aufgabe erfüllt. In einer Zeit, wo sich erst die Aufnahmen der
einzelnen Ijänder entwickelten und der Ziviltopographie ein bescheidenes Dasein
blühte, war die Mihtäraufnahme, die in Eücksicht auf das Schutzbedürfnis der
Staaten in der wünschenswerten Weise autoritativ wie pekimiär unterstützt wurde,
allein in der Lage, große Landgebiete in verhältnismäßig kurzer Zeit topographisch
festzulegen.^ Für die kriegerischen Operationen genügten die Karten 1 : 100000
oder 1 : 80000, die sog. „Generalstabskarten", und 1 : 25000 bzw. 1 : 20000 vollständig.
Wenngleich die neueste Kriegführung mit diesen Maßstäben nicht mehr auszukommen
vermag, ist doch ihr Bedürfnis nach großmaßstabigen Karten nicht so groß und von
so vitaler Natur wie das der modernen Technik und Wirtschaft. Die Mängel, die
bezüglich der Geländedarstellung sich auf mihtärgeographischen Karten zeigten,
waren die Ursivche, schon vor 1900 die Ziviltopographie von der MiUtärtopographie
zu unterscheiden, wie es Hammer zuerst imd später Koppe getan haben. Eigent-
lich war der erste, der schon bewnißt zwischen Zivil- mid Mihtärtopographie unter-
.schied, J. G. F. Bohnenberger, der sich bei der Aufnahme seiner ,, Charte von
Wirtemberg" in 1 : 86400, deren erstes Blatt 1798 erschien, schon dahin entschied,
kein Militär dabei mithelfen zu lassen, indem er sich zugleich darüber spöttisch äußerte,
daß es viele Leute gebe, die dächten, „em Offizier vom wirtembergischen General-
stabe müsse die Sache besser als ein Professor verstehen".*
Kein Sachverständiger, selbst der des Militärkarteuwesens, kann sich der Ein-
1 Oberstl. Boelcke, während des Krieges Chef des Kriegsvermessungswesens, denkt sich das
Reichsvermessungsanit in seinem Buche , .Kriegsvermessungen und ihre I.«hren"', Berlin 1920, S. 38
hervorgegangen aus einer Zusammenfassimg des Greodätischen Instituts und der deutschen Landes-
aufnahmen; auch General v. Bertrab neigt dieser Auffassimg zu. Das einzige Bedenken ist, daß das
dätische Institut" in Potsdam ein rein wissciischaftUches, ein astronomisches Institut ist und mit der
Praxis zunächst nichts zu tun hat. Meiner Ansicht nach gehört vor allem die Katastervermessung
in ein Reichsvermessungsamt, ganz so, wie in England die Aufnahme des Katasters, der Fortifikationen,
Grenzen usw. in das Tätigkeitsbereich des „Ordnance Survey" mit der Zentralstelle in Soiithampton
gehört. Ganz meiner Meinung war auch der Feldzeugmeister Frank. Insonderheit emchte ich die
r> Punkte des Antrags zur Errichtung eines „Reichsvermessungsamtes" und die Leitlinien für die
Gliederung der neuen Behörde .sehr vernünftig, die Lotz im Auftrage des Deutschen Geomctervercins
und des Landesverbandes preußischer Landmesservereine aufgestellt hat. Vgl. Z. f. Verm. -Wesen.
Stuttgart 1919, S. 473, 475. Das sind künftig ganz unhaltbare Zustände, wenn z. B. die Wrmessimgen
in PreuUen hauptjiächlich an 5 Ministerien geknüpft sind: 1. Kriegsministeriimi mit der Landesaufnahme
(Generalstab); 2. Kultusministerium mit dem Geodätischen Institut; 3. Finanzministeriimi mit der
Katastervermessung; 4. Ministerium für Landwii-tschaft und Forsten mit den Generalkomnüssionen
für Kon-solidation und den Porstvermessungen; .'i. Ministerium der öffentlichen .Vrbeitcn mit dem
Kisenbahnvermessungswcscn, dem Bureau für Hauptnivellements und \Va.sserslandsbeob«chtuugen usw.
In den Kampf der Meinungen über die Reorganisation des deutsehen Verniessungswesons haben Land-
nie.s.ser, Militärs, Geodäten und Geographen eingegriffen. Darüber orientiert am besten die Z. f. Venu.
\V. 1919 1921. Auch A. Penck hat es sich nicht versagt, seiner Meinung in dem .\rtikcl „Ijvndes-
aufnahme und Reichsvermessungsamt" in Z. d. Ges. f. Krdk. zu Berlin 1920 Ausdruck zu geben.
^ Über den Gegensatz zwischen Militärtopugraphie und Zivil- o<ler technischer Toiwgraphie
vgl. die interessanten Ausführungen von C. Koppe: „Die neuere Landestopographie". Braunscl weig
1900. S. Iff.
' Vgl. W. Jordan u. K. Steppes: Das deutsche Vermcssungsweson. I. Stuttgart 1882 S. 26.'>.
228 We Karteniiufnahme.
sieht versclilipßcn. daß die jMilitilrtopographip den Hölieimnkt ihres Wirkens üher-
sehritten hat. SicherUch kann man mit .7. Partsch das kartographische Erbe der
Xapoleonischen Zeit, die Periode der von den Generalstäben bearbeiteten topo-
.ctraphischen Karten als „die fruchtbarste im ganzen Gebiet der Kartographie" be-
zeichnen: unstreitig hat die MiUtärtopographie ihre große Bedeutung gehabt und
Mustergültiges von dauerndem Werte geschaffen, wie die Bestimmung und Fest-
legung eines trigonometrischen Punktnetzes, eines Normalhöhenpunktes und eines
ausgedehnten Präzisionsnivellemonts. Jede historisch kartographische Betrachtung
wird dies gebührend hervorzuheben wissen. Aber das rollende Rad der Zeit läßt sich
nicht in die Speichen greifen, und größere Aufgaben hat die Topographie zu erfüllen
als ledigUch von militärischem Gesichtspunkt aus geleitete Landesaufnahmen. Die
Ansicht des Oberstleutnants H. S. L. Winterbotham finde ich antiquiert, die er
mit den Worten bekimdet: ,,Bei der Wichtigkeit, die einer guten topographischen
Karte für die industrielle Entwicklung eines Landes beizumessen ist, wird es doch
der Soldat mehr wie der Techniker sein, der die Verantwortung für die topographischen
Kartenwerke der zivilisierten Welt zu tragen hat."' Die ,,topographia militans"
muß zu einer ,,topographia triumphans et universalis" werden, was sie nur durch das
hochentwickelte moderne Vermessungswesen, das außerhalb der militärischen Obrigkeit
steht, werden kaim. Daß dabei die Unterstützung von militärischer Seite erwünscht
ist, braucht nicht weiter betont zu werden; nur soll sich deren Arbeit den großen
umfassendem Aufgaben einer modernen Landesaufnalmn'. d. li. dcni modernen Vcr-
messungswesen , imterordnen .
Alle Vermessungsinstitute eines Staates müssen, wie ich oben bereits durch-
blicken ließ, imter sinheitlicher Leitung stehen, schon zur Vermeidung von Doppel-
arbeiten, die im Vermessungswesen anerkarmtermaßen recht kostspielig sind.^ Das
Vermessungswesen krankt fast bei jedem höher kultivierten Staat daran, daß seine
einzelnen Arbeitsrichtungen auf verschiedene Behörden verzettelt sind — ein Ab-
klatsch alter staatlicher Unbeholfenheit oder des Beharrungsvermögens des Staats-
organismus — ; die neuen Staaten müssen auch im Vermessungswesen einlieitlicher
und konzentrierter denken und handehi. Das Militärkartenwesen und damit die
bis jetzt üblichen Landesaufnahmen sind nur ein Teil des allgemeinen Vermessungs-
wesens. Jene müssen diesem eingegliedert sein und nicht umgekehrt; deim das Ver-
messungswesen hat, abgesehen von den großen Aufnahmearbeiten , neue Vermessungs-
methoden und neue Meß- und verwandte Instrumente zu prüfen und zu verwerten,
daneben das kartenwissenschaftliche Studium des eigenen Landes zu fördern, also
eine große Menge kartographischer und wissenschaftlicher Aufgaben zu erfüllen und
— zuletzt nicht zu vergessen — Regeln und Richtschnur für das private Vermessungs-
wesen zu geben. Das vermag nur eine große, staatlich organisierte Einrichtung;
sie allein kann den vielseitigen, auf gleicher Basis beruhenden Wünschen des bürger-
lichen, wissenschaftlichen und auch militärischen Lebens gerecht werden. Die Worte
W. Jordans, mit denen er am 8. Juni 1 895 seinen berühmten Vortrag über die deutschen
1 WinterbothamiBritischSurveyontheWestemFront. Googr. Journ. Vol.LIII. 1919,8.254.
^ Der Betrag allein, den man hätte in Massachusetts ersparen können, wenn beim Beginn des
Eisenbahnbaues eine gute großmaßstabigc topographische Aufnahme mit Höhenkurven vorhanden
gewesen wäre, wird auf 20 Mill. Doli., im Staate New York gar auf 40 Mill. Doli, geschätzt. Vgl. .T. L.
van Ornum: Topographical sun-eys. their niethods and value. Bull. University Wisconsin. Madison,
Wisc. 1896, Engineering scries, 1. S. 331-369.
Die Genauigkeit der topographischen Karte. 229
Koordinatensysteme schloßt, die aber von maßgebenden Kreisen offenbar vergessen
sind, seien zum Schluß noch in Erimiemng gebracht: „Nicht nur in dem krausen
Gewirre der zirka 50 deutschen Koordinatensysteme, sondern auch in manchen andern
damit venvandten Dingen ist (>in Mangel an System und eine Trennung zwischen
den Staaten und Behörden noch so schroff, wie zu Zeiten des Frankfurter Bundes-
tages vor 1866. Es fehlt eine geodätische Zentralbehörde des Deutschen Kelches!"
V. Die Genauigkeit der topographischen Karte.
97. ^orbediugiins: zur Beurteilung; der Genauigkeit. Über Geschichte und Hand-
habung der Karten weiß man in geographischen Kreisen hinreichend Bescheid, nicht
aber über Kartenkonstruktion und Kartenaufnahme. Es genügt nicht, im Zimmer
auf dem Zeichenblatt die Linien und Kurven zu berechnen und zu legen, die zu einem
Kartenbild notwendig sind, vielmehr muß im Gelände eine tüchtige Kemitnis in der
Aufnahme und Entstehung der Karte envorben werden. Erst darm wird der Geo-
graph sowohl wie der Kartograph zur richtigen Beurteilung des Wertes und der (Je-
nauigkeit der kartographischen Bausteine imd Zeichen gelangen. Wir kennen viele
Geographen, Reisende luid Kartographen des In- luul Auslandes, die sich als Topo-
graphen bewährt haben, wemi auch weniger in dem strengen Smne eines Topographen
der Landesaufnahme; imter den A-ielen seien nur genannt Sven Hedin. A. Philippson.
K. Sapper, K. Hassert, W. Volz. K. Tafel, Fr. Jäger, C. LTilig, S. Passarge, P. Spri-
gade, M. Moisel, vor allem C. Vogel. Letzterer hatte sich bei seiner Karte des Thüringer
Waldes in 1 : 60000 (Gotha 1862) nicht mit mechanischer Eeduktion oder Zusammen-
stellung anderer Karten begnügt, sondern als tüchtiger Topograph der kurhessischen
Schule selbst rekognosziert und aufgenommen und so eine korrekte, mit künst-
lerischem Fleiß durchgearbeitete Wiedergabe des Thüringer Landes geschaffen. Gerade
diese Vorarbeiten und topographische Fertigkeiten und Erfahrungen hatten ihn
befähigt. s]iäterhin die meistervolle Karte des Deutschen Reiches in 1 : öOOOOO heraus-
zugeben.
9H. Der erschütterte Glaube an die Unfehlbarkeit offizieller Karten. Der GLvube
an die Unfehll)arkeit der (ieneralstabskarten war allgemein verbreitet, selbst die
(ieogi-aphen waren allenthalben davon befangen. Die Technik, insonderheit die
Wasserliau- imd Kulturtechnik, hatte ihn schon um die Wende des Jahrhunderts
stark erschüttert, noch mehr der Weltkrieg 1914—1918. Die Meßtischblätter 1 : 25000
hatten die Aufgabe zu erfüllen, allen Anforderimgen Genüge zu leisten, die von staat-
licher wie privater Seite billigerweise innerhalb der Grenzen, die durch den Ver-
jüngimgsmaßstab 1 : 25000 bedingt sind, gestellt werden können. Diese Aufgabe
haben die Meßtischblätter sicher vor lÜOO vollkommen erfüllt, Al)er im Laufe de.s
stärker mid schärfer sich entwickehiden Wirtschaftslebens und -kampfes merkte
man die Unzulänglichkeit vieler Meßtischblätter, namentlich der zueret aufgenommeuen
und herausgegebenen. Unrichtigkeiten der preußischen Meßtischblätter bis zu 50 m
im horizontalen und vertikalen Simie zeigten sich z. B. bei der bramischweigisehen
1 W. Jordans Vortrag i. d. Z. f. \enn. XXIV. 1895. S. :t:nff. - In der „prixliitischon Äntral-
bi-horde" schwebte Jordan eine weit umfassendere Orj^ni.sation vor als in dem „Geodütiscli. Institut
u. Zentralbureau der Internat. Krdinessiuig" in Potsdam.
230 "''' Kai'tiiiiiiifnuVimc.
Neuaufnahme im Harze. ^ Ich selbst stieß auf Unrichtigkeiten bei topographischen
Aufnahmen in der Kieler Gegend.* Schlimmer noch sind die topographischen Un-
genauigkeiten des fi-anzösischen Plan directeurs in 1 : 20000. Bei den Höhenkurven
sind mir in der Champagne Fehler bis über 50 m im vertikalen Sinne und bis 200 m
und mehr im horizontalen Siime begegnet. Die Franzosen haben diese Ungenauig-
keit während ilirer Kampfhandhmgen zur Genüge am eigenen Leibe gespürt und
darum die fraglichen Gebiete während des Krieges topographisch so schnell wie
möglich vollständig neu aufgenommen und die daselbst nicht übliche 5 m-Höhen-
kurve als gerissene Linie zwischen den 10 m-Isohypsenabständen interpoliert.
99. Die absolute GenauigkeK. Situation oder Lageplan werden in den grolkui
Maßstäben 1 : 1000 bis 1 : 5000 bei sonst sorgfältiger Arbeit mit absoluter, dem Maßstab
entsprechender Genauigkeit aufgenommen. Hingegen bleibt die Genauigkeit der
Höhenkurven immer mehr oder minder relativ. Wohl könnte man bei geeigneten
Geländeteilen nach der sog. französischen Manier die Höhenlinien auf Grund eingehenden
Nivellements in der Natur abstecken und alsdann stückweise aufnehmen, aber die damit
verbundenen ungeheurn Kosten und der Zeitverlust stehen m keinem Verhältnis zu
dem Gebrauchswert der Höhenkurven. Wir kennen nur ein Kartenwerk, allerdings
ein Meisterwerk in seiner Art, dessen Schichtlinien nicht auf dem Wege der für die tech-
nische Topographie üblichen Interpolationsmethode, sondern auf direkte Aufnahmen
in der Natur beruhen. Das ist der vielfarbige Stadtplan von Zürich in 1 : 2500, der
50 qkm umfaßt.^ Gewiß ist, daß es einen eigenen Genuß bietet, wie Becker sagt,
sich in diese eigenartige minutiöse Darstellung des Bodens zu versenken. Die Höhen-
kurven, in 2 m Abständen, erstrecken sich auf die kleinste Bodenform, sei sie von der
Natur gegeben oder durch Menschenhand künsthch hervorgerufen, wie Gelände-
einschnitte, Ausfüllungen, Sandgruben usw.; überall erkennt man das Bestreben,
durch „genau richtige" Höhenkurven die Bodenformen so getreu wie nur möglich
wiederzugeben, geleitet von der Voraussetzung, daß es unlogisch sei, die Höhenlinien
nicht annähernd so genau wie den Grundriß der Karte aufzunehmen, oder wie es Becker
formuliert, daß es keinen Sinn habe, ,,die Lage eines Pimktes nach Zentimeter und
Dezimeter genau zu bestimmen, der Höhe nach aber nur in Meter."* Wenn er in weiterer
Schlußfolge das Endziel der Topographie in der reinen, von allem Persönlichen bzw.
Willkürlichen befreiten Darstellung der Natur erblickt, hat es damit noch gute Weile.
Die Grundrißaufnahme erfaßt Linien, die Höhenaufnahme Flächen. Die Fläche
ist jedoch nur eine begriffliche Fiktion, da tatsächlich Punkte gemessen werden. So
bleibt die Höhenaufnahme immer ungenau von „höherer" Ordnung als die Grundriß-
aufnahme. Ich selbst zweifle nicht, daß in Zukunft die topographische Aufnahme so
minutiös wird, daß die Genauigkeit der Höhenkurvenmessung und -bestimmung der-
jenigen der Grundrißaufnahme wesenthch näher als heute kommt; und trotzdem werden
1 C. Koppe: Die neuere Landestopographie. Braunschweig 1900, S. 35.
2 Bei meinen topographischen Übungen in 1: 5000 mit Studenten der Kieler Universität {1903
bis 1907) fanden wir öfters bei der Reduktion auf 1: 25000 die Unstimmigkeiten der Meßtischblätter.
' Der Übersichtsplan der Stadt Zürich erscheint in 2 Ausgaben, in 1 : 2500 in 23 Blättern mit
2 m-Kurven und in 1 : 5000 in 9 Blättern mit 4 m-Kurven.
* Fr. Becker: Neue Anforderungen an das Landesvormessimgswesen luid an d. Topogr. u.
Kartogr. Mitt. der ostschweizerischen geograph. -kommerziellen Gres. in St. Gallen. S.-A. St. Gallen
1910; auch Schweizerische Geometerztg. 1912, S. II.
Die Genauigkeit der topographischen Karle. 231
noch genug Unstimmigkeiten unterlaufen. Solange ein Mensch auf Erden wohnt, wird
das Messen der Erdoberfläche nicht aufhören. Dem menschlichen Wissen und Können
sind jedoch auch hier Schranken gezogen. Ein unbedingt Bestes ist nicht erreichbar,
und der Satz von Abendroth : ,, Topographische Karten müssen absolut genau sein,
d. h. keine andern Ungenauigkeiten als die unvermeidlichen des Maßstabes" richtet
sich selbst. 1 Man kann es mit Hammer nicht nachdrücklichst genug wiederholen,
daß es nie eine Karte geben wird, die alle wissenschaftlichen, technischen und wirt-
schaftlichen Bedürfnisse gleichmäßig befriedigen und weitere Höhenmessungen für
technische Zwecke überflüssig machen wird.^ Das jetzige Jahrhundert wird zufrieden
sein können, weim es für die hauptsächhchsten Kulturgebiete eine topometrische Grund-
karte in 1 : 5000 mit gut interpolierten Höhenkurven erhält.
100. Das Maß für die Genauigkeit groBmaßstabiger Karten (die geodätische Ge-
nauigkeit). Bei der Höhendarstellung der topometrischen Grundkarte in 1 : 5000 handelt
CS sich vorwiegend um das Interpolieren der Höhenkurven zwischen einer Anzahl (topo-
graphisch) aufgenommener Höhenpunkte. Ihre Anzahl ist in den einzelnen Ländern für
gleiche Areale beträchtlich schwankend. Daß ein verschiedenartig gestaltetes Gelände
stets eine verschieden große Anzahl von Höhenpunkten fordern wird, ist leicht erklärhch,
weniger jedoch, daß ein Staat mit 40 gemessenen Höhenpunkten auf 1 qkm schon
zufrieden ist, während der Nachbarstaat als Mindestforderung 300 Punkte aufstellt.
Selbst innerhalb des Kreises der Geodäten herrscht noch keine Einigkeit in der Punkt-
frage. Nachdem schon C. Koppe^ auf diesem Gebiet zu der wünschenswerten Ivlarheit
vorzudringen suchte, ist es erst den Bemühungen E. Hammers* und seiner Schüler
H. Müller^ imd A. Egerer^ gelungen, für die Genauigkeit der Höhenkurvenzeichnung
einen zufriedenstellenden mathematischen Ausdruck gefunden und angewandt zu
haben. An den Ergebnissen ihrer Untersuchungen, wie auch an denen von Peroutka',
' A. Abendroth: Die topograph. Karten der kgl. preuß. Landesaufnahme. P. M. 1910, 1, S. 95.
- E. Hammer: Zur künftigen topographischen Gnmdkarte von Deutschland. Der Land-
mci^ser. Z. des Landesverbandes preußisclier Landmesservereine in Berlin. VIT. 1919, S. 20. 23, 24.
'■> V. Koppe: Die neuere Landestopographie. Braimschweig 1900. — Die neue topograph.
Landeskartc des Herzogtvuiis Braunschweig in 1: 10000. Z. f. Vemi.-W. 1912, S. 397. — Militärische
und teclui. Topographie. Z. 1. Verm.-W. 1904, S. Iff. - Über die zweckentsprechende Genauigkeit
der Höhendarstellung in topographischen Plänen und Karten f. allgem. tethn. Vorarbeiten. Z. f.
V'crin.-W. 1905, S. 2ff u. 33ff. — Die Weiterentwicklung der Gtländedarsteilung durch Horizontal-
kurven auf wissenscha.ftl. -praktischer Gnmdlage im techn. u. allgem. Landesinteresse. Z. f. .'Vrchitektur-
u. Ingenieurwe.sen 1907. Heft 3.
* E. Hammer: Anweisungen f. d. Herstellung der Originale der neuen topograph. Karte von
Württemberg in 1:25000. Im .\uftrag des K. Statist. Landesamts. Stuttgart 1891 (nicht im Buch-
handel erschienen). — Die Württemberg. Höhenkurvenkarte 1:25000. Württ. Jahrbücher, 1892.
Abdnick in Z. f. Verm.-W. 1893, S. 315ff. Über die Bestrebungen der neuem Landestopograplüe.
P. M. 1904, S. 97tf. - Der neue Übersichtsplan der Stadt Zürich. Z. f. Venn.-W. 1911, S. 621 ff. -
Zur künftigen topographischen Grundkartc von Deutachland. Der Landmesser. Z. des Landesverbandes
preußischer Landmesservereine in Berlin. Berlin. VIT. 1919, S. 18ff. u. S. 37 ff.
' H. Müller: Topographische Ijandeskarten. Z. f. Venu.-W. 1909, S. 668ff. - Über den zweck-
mäßigsten Maßstab lt)pograph. Karten. Ihre Herstelhu\g vmd Genauigkeit unter Berücksichtigung
der Verhältnisse imd Bedürfnisse in Baden u. Hessen. Diss. Karlsnihe. Sonderabdruck aus der Vereins-
schrift des badischen (kjometcrvereins. Heidelberg 1913.
° \. Rgerer: Untersuchungen über die Genauigkeit der toix)gi-ai>lii.schen Landesaufnahme
(llöhenauf nähme) von Württemberg in 1:2500. Diss. Stuttgart 1915.
' Peroutka: Topograph. Aufnahmen 1:10000. Mitt. des k. k. mil.-peogr. Tust, in Wien.
XXVIII. 1908, S. 58.
232
Kii
Schumann^, Becker^, darf weder der Geograph noch der wissenschaftlich gebildete
Kartograph voriibergehen, wie auch nicht an den von Kahle aufgestellten Wahr-
scheinlichkeitswerten von Höhenlinien, dii- zwischen zwei Höhenliriien auf den Meß-
tischblättern eingeschaltet sind.^*
Im allgemeinen begegnet niiin der Ansicht, daß mit der Vernielirung der ge-
messenen Punkte auch die Genauigkeit der Karte entsprechend wachsen müsse. Dem
entspricht nicht die Erfahnuig. Ebensogut wie es für eine Höhenkarte in 1 : 5000 mit
10 Punkten auf 1 qkm nicht getan ist, so auch nicht mit 1000 und mehr Punkten (vgl.
folgende Tabelle). Die durchschnittliche Entfernung der Nachbarpunkte in der Natur
sowohl wie auf dem Kartenbilde gibt eine leidliche Eichtschnur über die Menge der
aufzumessenden Punkte.
|)urchsclinit
Entfernung der Nachbarpunktc
700
800
900
1000
1100
1200
35
7,0
3,5
1,4
33
6,6
3,3
1,3
32
6,4
3,2
1,28
30
6,0
3,0
1,2
29
5,8
2,9
1,16
25
5,0
2,5
1,0
20
4,0
2,0
0,8
Die Tabelle zeigt ganz allgemein, daß bei den großen Entfernungen die Punkt-
zahl verhältnismäßig gering ist, und bei kleinen Entfernungen schnell wächst. Wenn
auf 1 qkm in der Natur die Punkte gegen 40 m entfernt sind, entfallen 600 Punkte
auf den Quadratkilometer, sind sie hingegen 30 m entfernt, dann benötigt man die
doppelte Anzahl Punkte. Bei 50 m Entfernung wären 400 Punkte einzumessen. Über-
tragen auf den Maßstab 1 : 25000 heißt das: die Punkte sind 2 mm entfernt. Viermal
mehr Punkte wären bei 1 mm Entfernung erforderlich. Damit wird keine größere Ge-
nauigkeit geschaffen, schon die 2 mm-Entfernung ist entliehrlich und man kommt
1 A. Schumann: Ein Vergleich der Hölienlinicn einer tachynietiischen Aufnahme mit denen
des Meßtischblattes der königl. Landesaufnahme. Z. f. Vemi.-W. 1909, S. Iff. Die beigegebene Skizze,
.S. 7, ist sehr instruktiv.
2 Fr. Becker, a. a. O., S. 64ff.
■' P. Kahle: Zur Entnahme von Höhen aus Karten mit Höhenlinien. Globus 1899, S. 281 28:5.
Betrachtungen zu Hohenhnienkarten. G. A. 1920. S. 224, 225.
Die Genauigkeit fler topographischen Karte. 233
bei besagtem Maßstab für die Höhenkun enzeichiiung mit rund 100 Punkten gut aus.
Bei 1 cm-Punktdistanz lassen sich auf großmaßstabigen Karten die Hchichtlinien unter
Umständen noch befriedigend konstruieren, wofür in 1:10000 100 und in 1:5000
400 Punkte zu messen wären. Da wir uns für eine Grundkarte in 1 : 5000 entschieden
haben, würden somit 300—400 Punkte nötig sein, bei 1,5 cm-Entfemung nicht ganz
•200 Punkte, was die Arbeit entschieden erleichtert, ludessen kommt dies alles auch
auf die Gestaltung des Geländes an. Formen können auftreten, die entschieden ein
engeres Punktnetz fordern als im \orhergehenden angegeben.'
Die Anzahl der Punkte ist ein brauchbares Kriterium für die Genauigkeit der
Höhenkurvendarstelliuig. Darum sollte auf jeder topographischen Karte, von 1 : 25000
an bis zu dem größten Maßstabe, die Anzahl der Punkte bezeichnet sein, die zum Aufbaii
des Terrainbildes gedient haben. Die Gebrauchsfähigkeit wird dadurch erhel)lich ge-
steigert. Der Sachverständige kann ohne große Umstände den Grad der Güte der Karte'
beurteilen und die nötigen Maßnahmen ergreifen, in^\^cweit er ausfiUirlichere und tiefer-
gehende Vermessungsarbeiten anzusetzen und in welchem Umfange auszuführen hat.
101, Die nivellitisch iiud trigouomefriseh bestimmton Punkte, Im allgememen
unterscheidet man zweierlei Gruppen von Höhenpmikten, einmal die nivellierten und
trigonometrisch bestimmten Punkte, die im Feld zumeist ausgesteint sind, und ein
andermal die zum weitern Aufbau der Geländezeichnung erforderhchen tachymetrisch
oder mit Kippregel oder Aneroid bestimmten Punkte."^ Bei den preußischen Meßtisch-
blättern rechnet man auf je 5 qkm einen im Felde ausgesteinten, numerisch nach
Lage (mit Hilfe rechtwinkliger Koordinaten) und Höhe fest bestimmter Punkte^ : das
sind trigonometrische Punkte ('('. P.) im engem Simie. In Württemberg zählt man auf
dem gleichen Flächenraum etwa 100 im wesentlichen tachymetrisch bestimmte Punkte
und mehr. Beides läßt sich nicht so ohne weiteres vergleichen. In wirtschaftstech-
nischer Beziehung ist die reiche tachymetrische Punktzahl zu begrüßen, denn dadurch
wird eine große Sicherheit für die Ü'bertragungen aus der Karte in die Natur gegel)en.
womit, wie auch C. Koppe sagt, die neue württembergische Landestopograjibie auf
(Jnindlage der gedruckten Flurkarten ganz einzig und unerreicht dasteht.
Für das Flurkartenblatt von 1,3 qkm Fläche sieht die württembergische Auf-
nahme 150 bis 400 tachymetrisch gewonnene l'unkte vor. Im Waldgelände wird die An-
zahl der gemessenen Punkte gemäß der Schwierigkeit der Aufnahme erhöht. Sie richtet
sich demnach nach den Oberflächenformen um! der Geländebedeckung (s. obenj und.
was nicht außer acht zu lassen ist, nach der Gewandtheit des Topographen. Die schnelle
und gute topographische Punktbestimmimg. ob mit Tachymeter oder Meßtisch, er-
fordert \ael t'bung und Erfahrung. Zahlenmäßig hat das Koppe nachgewiesen.* Die
Gewirmimg einer großem Punktzahl verlangsamt notwendigerweise die Arbeit im Felde.'"
» Vgl. hierzu: JahrcHbericht der Landesaufnahme 1919/20. Berlin 1921, S. 40, 41.
^ Für Grogi-aphi-n ist auch folnondi's Bucii l)rau(iibar: G. Koll u. F. A. Gelbcke: -Vnlcitvuip
zur Ausführung von Landesmessungen für allgemeine Eiscnliahnvorarbeiton im Hügellandc \md Ge-
birge mit vorzugsweiser Benutzung des Anemidbarometers. Köln 1890. (Die eingehende Besehreibung
der Aneroidbarometer von Naudet, Bohne und €>oldschmid ist reeht brauchbar.)
' Da,s sind auf einem Meßtischblatt rund 25 trigonometr. Punkte (T. P.). Indessen gibt es in
PreuBen noch Meßtischblätter, wo nicht mehr als 3 T. P. ziu' Verfügimg gestanden halH'ii.
* V. Koppe: Die neue Landestopographie. Braunschweig 1900, S. 38.
° Bei der ersten österreichischen .Aufnahme In einer Sektion (= ein Viertelblatt der Speziah
karte) wurden je nach ilcr Bi><lcnbcsrliiiffcnli<it S(M) I.")0(> Iliihcnpiuiktc gemessen, bei der neuen
234 P'p Kfiitonaufnalime.
Während sich die mittlem Fehlergrenzen der Höhenpunktbestimmung bei den
l'räzisionsnivellements auf Millimeter oder Bruchteile von Millimetern innerhalb der
1 km-Entfenumg beschränken, hat man bei tachymetrischen Bestimmmigen mit Bruch-
( eilen des Meters zu rechnen. Die Dienstvorschriften für Eisenbahnbauten verschiedener
Eisenbalmdiroktionen, wie Stettin, Bromberg, Danzig, Königsberg, sehen als mittlem
l'ehler beim Höhenpunldbestimmen durch Tachymetrieren nur wenige Zentimeter vor.
\'on den barometrischen Höhenmessungen kommt man bei technischen Zwecken mehr
und mehr ab, und wendet sie höchstens da noch an, wo man sie bequem in nivellitisch
festgelegte Punkte einbeziehen kann, wie in Bayern, wo man einen mittlem Höhen-
fehler von ± 2 m noch als zulässig achtet.
Die württembergischen Anweisungen für die Darstellung der topographischen
Landkarte schreiben vor, ,,daß sich nivellitisch bestimmte Bodenpunkte um nicht
mehr als 0,3 m, halbtrigonometrisch und tachymetrisch bestimmte um nicht mehr
als 0,8 m (bei kleinen) und nicht mehr als 0,6 m (bei großen Höhenwinkehi) fehlerhaft
ergeben dürfen, soweit diese Punkte mit Sicherheit identifiziert werden kömien".^ Ist
(lies nicht der Fall, dann müssen diese Fehlergrenzen entsprechend erhöht werden.
Bei nicht in der Flurkarte gegebenem Punkte darf auf sehr steilem Gelände die Höhe
eines Bodenpunktes vom nächstgelegenen Festpunkt nicht mehr als 3 m abweichen,
auf steilem Gelände nicht mehr als 2 m, auf schwach geneigtem nicht mehr als 1 m
und auf ebenem Gelände nicht mehr als V2 m- Ob H. Müller mit einer mittlem Fehler-
grenze von 5 dem für tachymetrisch gefundene Höhenzahlen bei der geplanten badischen
Karte in 1: 5000 auskonunen wird, ist stark zu bezweifeln 2; in steüerm Gelände dürfte
er seine mittlere Fehlergrenze um eine beträchtliche Anzahl Dezimeter vergrößern.
102. Die Genauigkeit der Ilöheukurvenzeiehuuiig au sich. Für die Gelände-
darstellung der topographischen Karte kommen zunächst die Anzahl der Höhenpunkte
und deren festgelegte Höhe in Betracht. Das geschieht an der Hand gesetzmäßig durch
Zahlen gesicherter Regeln und Leitmotive. Aber weder Wissenschaft noch Technik
haben bis in neuere Zeit die Genauigkeit der Kurvenzeichnung zum Gegenstand karto-
graphisch-mathematischer Untersuchungen gemacht, bis erst E. Hammer und seme
Schule eineWendung zum Bessern herbeiführten, indem sie für die Genauigkeit der Kurven-
zeichnimg einen brauchbarem als bisher übhchen zahlenmäßigen Ausdruck fanden. Nicht
zu übersehen sind die Verdienste von C. Koppe und Schumann, die mittlem Höhen-
fehler der Schichtlinien zu berechnen, jener bei seinen Aufnahmen im Harz, dieser in der
EifeL Über die an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Maßstäben ausgeführten
Genauigkeitsuntersuchungen unterrichtet in knapper klarer Weise A. Egerer.'
Nicht zu verwechseln mit der Genauigkeit der Höhenkurven ist die Bestimmung
der mittlem Fehlergrenze der gemessenen Punkte. Erstere wird gewöhnlich mit den
Aufnahme seit 1896 im Hoch- und Mittelgebirge rmid 4800, was für ein Spezialkartenblatt 19200 Höhen-
punkte ergibt. Betrug bei der ersten Aufnahme und der Reambuliei-ung die Jahresleistung eines
Mappeurs etwa 400— .500 qkm, so bei der Neuaufnahme durchschnittlich 100 qkm. Das würde dem
entsprechen, was wir von andern Ländern her keimen. In Preußen, Rußland, Frankreich und Itahen
wird ein Mappeur im Jahre mit 90—125 qkm fertig, in der italienischen Ebene sollen 150 qkm erreicht
worden sein.
' A. Egerer: Unt<'r8uchungen über die Genauigkeit der topograph. Landesaufnahme. Stutt-
gart 1915, S. 18.
- H. Müller: Über d. zweckmäßigsten Maßstab topograph. Karten. Hei(lelber<r 1913, 8. 74. 75.
» A. Egerer, a.a.O., S. 60ff.
Die Genauigkeit der topographiaclicu Karte.
235
allgemeinen Ausdrücken wie „gut" oder „so genau wie möglich", seltener mit „wenig
genau" oder gar „nicht naturgetreu" abgetan. Mit der als „genau" angesehenen Sehicht-
linienzeiclmung glaubte man zugleich auf die „genau vermessenen" Länder zu schüeßen
und umgekehrt. Das ist ein großer Irrtum; denn nur wenige Tausende Quadratkilo-
meter Landes sind so vermessen, daß man sie als „genau vermessen" bezeichnen könnte.
Zu dieser Ansicht müßte man sich endüch in Geographenkreisen durchringen, nachdem
Hammer schon längst darauf aufmerksam gemacht hat.^ Von ihm laß ich mich auch
bei meinen weitem Ausführungen leiten.
Will man den Genauigkeitsgrad der Höhenkurven auf großmaßstabigen Karten
feststellen, bedient man sich des Begriffs der „Fehlergrenze", worimter man etwa das
Drei- bis Vierfache des mittlem Fehlers versteht. Die Zahlen, die die Fehlergrenze
bestimmen (siehe folgende Tabelle der Höhen- und Lagegrenzfehler), beziehen sich
demnach nicht auf die gemessenen Höhenpunkte und einen darauf begi'ündeten mittlem
Fehler, sondern auf die zwischen den Pimkten konstruierte Höhenkurve. Auf Grund
eigner Vermessung und langjähriger Erfahrimg hat Hammer bei Berücksichtigung
der Geländeformen, wie sie sich im Württembergischen zeigen, gefunden, daß der
Größtwert des Höhenfehlers einer behebigen Höhenlinie oder der Vertikalfehler (F),
wie ich ihn nennen will, = ± (0,8 + 1 5 • tg «) m ist, wobei u der Neigimgswinkel
des Geländes an der betrachteten Stelle ist. Der Vertikalfehler hat logischerweise den
Lagefehler einer Höhenlinie, den Horizontalfehler {H), zur Folge, der sich gleichfalls
in einem Größtwert ausdrücken läßt, für den Hammer den Satz aufgestellt hat : Lage-
grenzfehler (H) = ± (0,8 • ctg« -f 15) m. Mit Hilfe dieser Genauigkeitsformeln hat
Hammer eine Tabelle der Höhen- und Lagegrenzfehler zusammengestellt, die V und H
je nach den obwaltenden Böschungswinkeln wiedergibt, einmal auf die natürüchen,
andermal auf die Verjüngimgsverhältnisse bezogen; die Tabelle wurde von mir mit
Vernachlässigung des Maßstabes 1 : 2500 umgearbeitet und erweitert.
Tabelle der Höhengrenzfehler F (Vertikalfehler) und Lagegrenzfehler E
(Horizontalfehler).
Böschungä-
winkel n und
entsprechendes
Neigungsver-
hältnia ,
\:n i
Im natürlichen
Verhältnis
Im Verjüngungaverhältnis
in mm auf der Karte in
1 : 5000
V H
25000
'/.•;
1:100
1 :57
I :29
I :19
1 : 14,3
1 : 11,4
1 :5,7
1 : 3,73
1 : 2,75
1 :2,15
1 : 1,73
1: 1,43
I :1,19
0,95
1,06
1,32
1,59
1,85
2,11
3,4
4,8
6,3
7,8
0,19
0,21
0,26
0,32
0,37
0,42
0,68
0,96
1,26
1,56
1,90
2,26
2,68
13,2
12,2
7,6
6,1
5,3
0,10
9,6
0,11
6,1
0,13
3,8
0,16
. 3,0
0,19
2,6
0,21
2,4
0,84
2,0
0,48
1,8
0,63
l."?
0,78
•."'
0,95
1,6
1,13
1,6
1,34
1,6
1,S8
1,6
0,04
0,04
0,05
0,06
0,07
0,08
0,13
0,19
0,26
0,31
0,38
0,45
0,66
0,63
V. M. 1907, S. 97 u.
236 '*'•' Kiirtemiufiiahme.
Vorstehende Tabelle läßt erkennen, daß die Vertikalfehler V von 10" bis 45"
N eigung merklich wachsen, bei dem Maßstab 1 : 25000 von 0,1 auf 0,(5 mm, bei 1 : 10000
von 0,3 auf 1,6 mm und bei 1 : 5000 von 0,7 auf 3,2 mm. Das würde, in die Natur über-
tragen, eine Steigerung des Fehlers von 3 auf 16 m bedeuten. Hingegen ist der Ausschlag
hei den Horizontalfehlern H recht gering, bei dem Maßstab 1 : 25000 beträgt er zwischen
10» und 450 nur 0,2 mm, bei 1 : 10000 0,4 mm und bei 1 : 5000 0,7 mm: auf die Natur
übertragen, ist der Unterschied nicht größer als 4 m. Nach den von Hammer auf-
gestellten Formeln darf sich der äußerste Lagegrenz- oder Horizontalfehler bei einem
Böschungswinkel von 1 " bis auf 60 m steigern. Auf den wenig geneigten Flächen werden
die Horizontalfehler immer bedeutender, bis bei der wagerechten Fläche, also bei einer
Neigung 1 : op ein 00 kleiner Höhenfehler die Lage der Höhenlinie um eine 00 große
Strecke verschiebt; d. h. nichts anderes, als daß die Höhenlinie auf Flächen, die sich
in ihrer Neigung stetig der wagerechten nähern, progressiv an Wert einbüßt.
Die zahlenmäßigen Untersuchungen über die Genauigkeit der Höhenkurven auf
topographischen Karten von Hammer und seinen Schülern sind noch nicht als end-
gültig zu betrachten, sie beziehen sich vorderhand auf deutsche Mittelgebirgsformen
und dürften auf andere Gebiete, wie Hochgebirgs- und flachhügehge und ebenere
Gegenden angewandt, noch Abänderungen erfahren; denn unsere Erde ist topo-
graphisch außerordentlich verschieden ausgestattet. Der Maßstab spielt bei den vor-
liegenden Untersuchungen eine tonangebende Rolle. Mit der Genauigkeit der preußi-
schen Meßtischaufnahme in ihrer gegenwärtigen Anfertigungsweise beschäftigt sich
A. Abendroth in Petermanns Mitteilungen^, wobei er feststellt: ,,Der zu befürchtende
Hüchstfehler eines Punktes beträgt für beliebige Gelände- und Aufnahmeverhältnisse
a) in der Lage (nach geographischer Länge und Breite) ± 18 m, b) m der Höhe über
N. N. ± 4 m auf den Kilometer Entfernung vom gegebenen Festpunkt, ohne daß dem
Beobachter daraus ein Vonvurf gemacht werden kami". Den mittlem Fehler der trigono-
metrischen Huhenfestpunkfe berechnet er zu + 0.3 m und den bester Meßtisch-
aufnahmen zu + 0,43 m auf 1000 m Entfernung.
Die zu befürchtende größte Unsicherheit der Höhenschichtlinien faßt Abendroth
in einer Tabelle zusammen, wol)ei er lediglich den Emfluß des Höhenfehlers berück-
sichtigt. Bei einem durchschnittUch größten Höhenfehler von 4 m verschieben sich
bei Geländeneigungen von 5", 10", 15". 20", in 1000 m Entfernung vom Ausgangs-
punkte aus die Höhenkurven um 46, 23, 16 und 12 m. Der Horizontalfehler darf als
Funktion des Vertikalfehlers nicht vernachlässigt werden, ist also mit + 18 m = 0,75 mm
in 1 : 25000 anzurechnen. Nachmessungen haben ergeben, daß der mittlere Höhen-
kurvenfehler der preußischen Meßtischblätter, von denen wir durchaus nicht in Abrede
stellen wollen, daß ihre Genauigkeit im Laufe der Zeit beträchtlich gewonnen hat,
größer ist als man allgemein und Abendroth im besondern angenommen hat. Nach
den Untersuchungen des Meßtischblattes Wehen, das im Jahre 1903 aufgenommen
wurde, fand H. Müller, daß der Maximallagefehler von einzelnen Wegen auf mehrere
Hundert Meter Länge ± 2 mm betrug, also in der Natur ± 50 m.^
Die mittlere Huhenkurvenunsicherheit infolge der Höhenpunktfehler wird bei
den Meßtischblättern durch die Fehler erhöht, die durch die Konstruktion der Kurven
im Anblick der Natur auf Grund der gemessenen Pimkte entstehen — „Fehlerbeträge,
1 P. M. 1910, I, S. 37, 93ff.
- H. Müller: Über d. zweckmäßigsten Maßstab, a.a.O., S. 73. — Vgl. hierzu auch A. Egerer:
Tutersuchungen über die Genauigkeit der topograph. Landesaufnahme, a. a. ü., S. 52, 53, 56, 57.
Die Genauigkeit der topographischen Karte. 237
die im allgemeinen, wo nicht besonders viele Punkte gemessen werden, erheblich größer
sind als die Teilfehler infolge der Unsicherheit der gemesseneu Pmikte" (Egerer).
103. .MeOtisch oder Tacliunctcr.' Das topoEraphische Sehen. Durch ihre Unter-
suchungen und Erfahrimgen im eignen Aufnehmen kommen Hammer und Egerer
zu dem Schluß, daß das „Zeichnen im Anblick nach der Natur", worauf die Meßtisch-
aufnahme so stolz ist, sehr viele eingebildete Vorzüge umschließt i, und daß dieTachy-
raetrie ebenso naturwahre Kurvendarstellungen wie die Meßtischtopographie hefert.
ja bei großem Maßstäben, von 1 : 10000 an aufwärts, entschieden vorzuziehen ist.
C. Kopjie schwankte seinerzeit bei der Neuaufnahme des Herzogtums Eraunschweig
in 1 : 10000, ob er der Tachvmetrie oder der Meßtischaufnahme den Vorzug geben sollte,
entschied sich schUeßlich für letztere, da nach ihr der Grundsatz, daß der Topograph
nichts zeichnen soll, was er nicht selbst gesehen und abgeschritten habe, am besten be-
folgt werde und vor fehlerhaften Darstellungen schütze, „nicht aber eine große Zahl
noch so genau bestimmter Höhenpunkte, wemi der Charakter der Landschaft in seineu
Hauptformen nicht richtig erkannt und zeichnerisch niedergelegt wurde."^ Demgegen-
über stimme ich mit Hammer überein, daß sich die Tachymetrie, die Koppe selbst im
Waldgelände anwandte, da ihre Vorzüge hier auffälhg sind, noch mehr als l)isher ihren
Weg bahnen väid. und daß „selbst geübte Topographen vor dem oft bei ihnen zu finden-
den Zutrauen zur Sicherheit ihres Erfassens der Bodenformen durch das Auge, ohne
genügende Zahl von Messimgen"' nicht genug gewarnt werden können.' Nach meinen
Erfahrungen im Kriegsvermessungswesen muß ich feststellen, daß die Landmesser
und Vermessungstechniker, die während des Krieges zu topographischen Ai-beiten
herangezogen wurden, bei der Aufnahme in 1 : 10000 im Argonnerwald und in der
benachbarten Champagne mit dem Tachymeter schneller als mit dem Meßtisch voran-
kamen.^ Wie ich aber schon hervorgehoben habe, wird das beste kartographische Er-
gebnis erzielt, wenn an der Hand der tachj-raetrisch entstandenen Kartenskizze das
(ielände nochmals morphologisch-kritisch begangen wird.
Von vermessungstechnischem Standpunkt aus muß man dem Tachymeter
den Vorzug geben, von geograjjhischem nur dami, weim l)ei der Aufnahme das Ge-
lände zugleich gut krokiert wird, damit bei der Kartenkonstruktion im Zimmer sich
die Formen des Geländes klar und leicht aus der Pimktzahl herausschälen. Wegen
der guten Schulung des Auges und dem begriffhchen Erfassen der Geländeformen
wird man in geographischen Kreisen stets dazu neigen, den Meßtisch wenigstens als
Krokierti.sch nicht aufzugeben (S, 251 ff.). Der Meister topographischen Sehens und
Erkennens, der sächsische Major J. G. Lehmann, war einer der ersten, der sich
ilem Meßtisch mit besonderer Liebe zuwandte'' und auf seine Bemühungen ist es
' E. Hammer: Zur Icünftig. toiwuraph. Gnmdk. v. Deutäcbland, a..i.O.. S. 41. -A. Eperer:
Untersuchungen, a. a. O., S. 50.
- C. Koppe: Die neuere Landestojxjgraphie, a. a. O., S. 15, Ti.
^ E. Hammer: Zur künftig, toixjgraph. Orundk. v. Deutschland, a. a. O.. S. 39.
' Ganz entschieden wird der Tach>-meter über den Meßtisch triiuiiphieren, wenn er demnächst
.so konstruiert erscheint, daß die Meßlatte überflüssig wird und die gemessenen Punkte nach Ent-
fernung und Höhe mechanisch auf eine Platte (Zeichenblatt) übertragen werden.
' J. (i. Lehmann: .Anleitung zum vorteilhaften und zwivkmnßigen Gebrauch des Meßtisches,
aus einer Reihe praktischer Erfahrungen hergeleitet luid entworfen. Hcrausgegeb<'n und mit einigen
erliiutemden .Anmerkungen versehen von G. .\up. Fischer. Mit 4 Kupfertafeln. Dn-sden IS12.
4. .Aufl. t828.
238 r)''- Kaiteniiufimhinc.
zurückzuführen, daß das Meßtischverfahren gleichsam eiu Prärogativ der Militiir-
topographen wurde. Ihm war es wohlbewußt, daß gute Meßtischaufnahmen euie
langjährige Schulmig des Topographen erfordern. Auch wandte er bereits bei seinen
eigenen Meßtischaufnahmen die Niveaulinien au, um den Oberflächenformen einen
natur- und sachgemäßen charakteristischen Ausdruck zu verleihen. Weniger kam
es darauf an, den (lang luid den Verlauf der Höhenlinien zu bestimmen, da sie nur
Mittel zum Zweck sind. In einer guten Meßtischaufnahme hegen offenbar viele Momente,
die das Gelingen eines guten Kartenbildes gewährleisten. Auf einer guten Topographie
baut sich die gute Karte auf. Die Topographie ist die Karte. Eine schlechte Topo-
graphie kann das ganze Kartenbild verderben, mithin auch den Wert der Triangulation
nicht zur Geltung kommen lassen.
Trotz allem Fortschritt in den Aufnahmemethoden scheint mir von geographischer
Seite aus die Frage berechtigt: Sehen unsere heutigen Topographen noch so gut wie
die von ehemals? Wii'd nicht zugunsten einer reichen Punktbestimmung das Sehen
im Gelände vernachlässigt? Die Antwort haben wir eigentUch schon auf S. 21 6 ff.
gegeben, indessen ist die Frage so wichtig, daß sie am Schluß der Untersuchung über
die Genauigkeit der Karte formuliert zu werden verdient. Wir wissen, daß die öster-
reichische Präzisionsaufnahme auf das richtige Sehen der Topographen großes Gewicht
legte. An der Hand selten schöner und akkurat ausgeführter handschrifthcher Exem-
plare von Alpenkarten verteidigte Oberstleutnant Vogel mir gegenüber das öster-
reichische System^ das darin besteht, daß die Schraffen nicht erst nachträglich in
das Terrainbild mit Niveauhnien hineinkonstruiert, sondern im Felde gleich ent-
worfen und später erst die Höhenhnien hineingearbeitet werden, wodurch das richtige
Sehen bei den österreichischen Topographen bewirkt wird, was bei den deutschen
wohl schwer noch so gut anzutreffen ist. Und doch ist es eine verfehlte Manier, wenn
bei Meßtischaufnahmen die Niveaulinien, die das Charakteristische des Geländes
ausdrücken sollen, erst im Bureau durch Interpolation zwischen den Höhenpimkten
gewonnen werden. In dieser Ansicht weiß ich mich ganz eins mit einem so erfahrenen
Praktiker wie L. Aegerter.** Ebenso zeichnet der itahenische Mappeur keine Schraffen,
sondern in der Aufnahmesektion 50 m- Schichtlinien in unmittelbarem Anblick der
Bergformen. An der Hand der zahlreichen Höhenmessmigen werden später die
Schieb tünien berichtigt imd auf der Spezialkarte (1 : 100000), nicht auf dem Sektions-
blatt, mit Schraffen ausgefüllt.
104. Kein Ailcrwcltsaufnahmeverfahren. Das Verläßlichkeitsdiagramm. Im
großen und ganzen kommt es bei all den Aufnahmeverfahren auch auf em gut Teil
Anlage und geistige Kapazität des Aufnehmenden an. Der eine wird mit diesem
schneller arbeiten können, der andere mit jenem. Schulung imd Erfahrung sind mit-
bestimmend bei der Beurteilung und Bevorzugung dieses oder jenes Verfahrens.
Schließlich spricht das Gelände mit, da jedes \vichtigere und schwierigere Gelände
sein besonderes Aufnahmeverfahren beansprucht.* Ein Allei-weltsaufnahmeverfahren
1 Bei einem Besuch des k. k. militär-geogr. Instituts am 12. September 191.3.
2 Begleitworte zur Karte der Brentagruppe. , Z. d. D. u. Ö. Alpenvereins, 1908, S. 82.
' Es war seinerzeit ein verfehltes topographisches Unternehmen, Deutsch- Süd westafrika
Meßtischblättern 1 : 50000 auizunehmen. Nachdem man die Gegend von Windhuk aufgon(
hatte, nahm man von einer Fortsetzung der Meßtischaufnahme Abstand, der langen Zeitdauer und
Kosten wegen, die diese im Sinne europäischer Landesvermessung ausgeführten Arbeiten beanspruchten.
Goschichte und Bewertunj; der Kartciuufnahiiie. 239
ist bis jetzt noch nicht gefunden und dürfte auch nicht gefunden werden. In der
rationellen und praktischen Anordnung und Konil)inatiou der verschiedenen Auf-
nahmemethoden wird das Wesen der Landesaufnahme der Zukunft bestehen.
Die künftigen Aufnahmen haben noch eine andere Aufgabe zu erfüllen; sie
müssen im fertigen Kartenblatt klar und unzweideutig sagen, auf welchen Aufnahme-
methoden das Gelände beruht und damit zusammenhängend, wieweit die Karte
zuverlässig ist. Nach dieser Richtung tappt der Kartenbenutzer meistens im Finstern.
und zeitraubende Arbeit, An- und Rückfragen hellen erst das Dunkel auf. Neben
einzelnen schwachen Ansätzen und Einzelstudien, wie z. B. die von H. Fischer
über das Aufnahmematerial von ^■orderasienl, hat die österreichische (xeneralkarte
von Mitteleuropa in 1 : 200000 ein hübsches Vorbild gegeben; in eüier kleinem Sonder-
übersicht werden auf den Kartenblättem des Balkangebietes die Räume bezeichnet,
die in der Karte verläßlich sind, und für die das Aufnahmematerial fehlt. Die Öster-
reicher sprechen von einer ..YerläßHchkeitsklausel", ich nenne es „Verläßlichkeits-
diagramni". Es war nicht ohne Bedeutung für die Truppe im Weltkriege und er-
schien auch auf englischen Karten sowohl wie auf deutschen, mid zwar nur auf den
großmaßstabigen, auf den deutschen in 1 : 10000 imd 1 : '25000, auf den enghschen
in 1 : 20000 und 1 : 40000. In einem kleinen Sonderbild am Kartenrand, das den
Umfang der Hauptkarte wesentlich verkleinert wdedergab, war augegeben, was sich
auf altes und neues französisches Kartenmaterial und was sich auf eigene Auf-
nahmen stützte. Auf den deutschen Karten sahen wir sogar noch eine weitere Dif-
ferenzierung der kartographisch verbesserten Gebiete auf Grund von Beutekarten,
von Flieger- und stereophotogrammetrischen Aufnahmen. Damit wird neben andern
auch der künftigen topographischen Karte ein Weg gewiesen. Ein Muster dieser
.\rt hat Fr. Scheck mit seiner Karte des Zahmen Kaisers in 1 : 10000 gegeben.^
Aber nicht bloß diese großmaßstabigen Karten, sondern auch die Landkarten kleinern
Maßstabes sollen sich bemühen, das VerläßUchkeitsdiagramm oder etwas AhnUches
zu bringen. Dann werden die Kartographen und noch mehr die Geographen ein
leichteres Arbeiten haben und sicher vor vielen Irrtümern bewahrt bleiben.
P). Die Aufnahmemetlioden und ihre geographische Kom])eten/„
I. Geschichte und Bewertung der Kartenaufnahme.
lOö, Di»' Zielsetzuuir topiisrapliiMher 7 Aufnahmen. Hinliei kami es sich für
mich nicht darum handeln, eine Geschichte und Bewertung der Vermessungen zu
achreiben, was nicht in das Gebiet meiner Untersuchungen gehört, die m der Haupt-
sache Geograi)heu und Kartographen gelten, und nicht Geodäten. Schöpfen diese
einige Anregimgen aus meinen Erörterungen, soll es mir nur recht sein. Wenn ich
' H. Fischer: Geschichte der Kartographie von Vorderasien. P. M. 1920. S. 82ff. Da7.\i
Karte T. 22.
• In den Mitt. d. Gcogr. Ges. in München. VII. 1921. T. 7. Neben der Hauptkarte ist ein kleine.««
(^Ijcrsichtakartchen als VcrläÖlicIikcitsdiagramni angcbnw'ht, woiauf die Gt'biete cinzehi untorschic<len
werden, die na(.'h ciofachcn und stereoskopischen Bildern aufgenoninien oder ta^hynictrisch oder in.
Meßband u. Bussole oder durch fHichtige Aufnahmen und zuletzt die an die Kurven der öster. Original-
aufnaUnie angeschlossen sind.
240 ' Die Kartenaufnahme.
mich bei der topometrischen Grundkarte länger verweilt habe als es vielleicht im
Eahmen meiner Erörterimgen angebracht erscheint, verfolge ich damit bestimmte
Zwecke, emmal die Schwierigkeit einer guten Kartenaufnahme und ihre Bedeutung
für einen weitern Kartenaufbau nachzuweisen und ein andermal das geographische
Wissen imd Gewissen bei der Beurteilung des Genauigkeitsgrades der Karten zu
schärfen. Denn nur die vollständige Karte spiegelt die natürliche Gestaltung der
Erdoberfläche und ihre natürliche Ausstattung wieder, sie allein zeigt, inwieweit
der Mensch Besitz von ihr ergriffen hat und sie ausnützt, nur sie allein kann zu einem
wirklichen Gradmesser für die Kultur eines Ijandes werden. Diesen Gedanken ver-
folgend, gelangt man zum Verständnis des Ausdrucks „Terrain" oder ,, Gelände" als
eines beUebig begrenzten Teiles der Erdoberfläche mit allen darauf befindlichen un-
heweghchen Gegenständen. Man unterscheidet ,, Gelände-" oder ,, Terrainteile",
das sind Teile der natürUchen Gestaltung der Erdoberfläche, wie Berge, Hügel, Bücken,
Täler, Schluchten, Gewässer, Sümpfe usw., imd „Gelände-" oder ,,Terraingegen-
stände", das sind die mit der Erdoberfläche durch Natur oder Kunst verbimdenen
Gegenstände, wie Wälder, Äcker, Wege, Siedlimgen, Bauten aller Art usw. In der
möglichst getreuen (geometrischen) Wiedergabe beider Teile besteht die Zielsetzung
jeder guten topographischen Aufnahme. Damit geht ein jahrhundertlanges Streben
der Topographie in Erfüllung.
106. l'rsjtrüuglii'he, primitive Aiiliiahnicint'tlioden. Von allem Anfang war die
Karte dem Bedürfnis entsprungen, sich auf der Erdoberfläche zurechtzufinden. Das
ist auch heute noch ihre vornehmste Aufgabe. Bevor die Karte entstand, war die
mündliche Überlieferung die Form, sich auf dem Lande sowohl wie auf dem Meere
zu orientieren. Für beschränkte Horizonte mochte dies genügen, nicht aber für
größere Verkehrsgebiete. Nachdem man gelernt hatte, seine Beobachtungen und
(iedanken schriftUch zu fixieren, entstand die Form der schriftlichen Überlieferung,
die Eeisebeschreibung, die ein Land bis zu einer gewissen Vollkommenheit zu
charakterisieren geeignet ist. Sie ist heute wie ehedem im Schwünge. Fast gleich-
zeitig stellte sich das Bedürfnis ein, das auf dem Lande, der See und der Küste Ge-
sehene nicht l)loß im Worte der Reisebeschreibungen und Seeroutenbücher, der Por-
tulane. festzuhalten, sondern auch in der Form des Kartenbildes. Wir sehen die
ersten primitiven Landkarten entstehen, desgleichen die mittelalterüchen Eeise-
und Portulankarten.
Manche derartige Kartenversuche entstanden an Ort und Stelle, die meisten
doch wohl daheim auf Grund der gesanunelten Beobachtungen und Erkundungen
bei Bewohnern des Landes. Wie das zur Renaissance- und Folgezeit geübt wurde,
hören wir von dem Begründer der neuern Astronomie, J. Kepler. Als die ober-
österreichischen Stände wegen einer Neuaufnahme Österreichs sich an Kepler wandten,
weil die Fehler der altem Karten von Hirschvogel (1542) und W. Lazius (1561)
zu offensichtlich waren, gab er ihnen am 20. Mai 1616 die Antwort, daß sich die Ver-
besserung der altern Karten ohne besondere Bereisungen zu Hause ausführen lasse,
und daß es genüge, wenn man ,,nur die botten und bauem oder jedes orts Inwohner
allhie ausfrage", denn „also sind die maiste mappen bis dato gemacht worden".^
^ J. Feil: Über das Leben und Wirken des Geographen Georg Matthäus Vischer. Berichte und
Mitt. des Altertumsvereins zu Wien. 11. 1857, S. 48, Anm. - Vgl. auch Mitt. d. Geogr. Ges. II. Wien
1858, S. 29, Anm.
Dil' liucarr Tr.poLrrapbip. 241
Diese Worte aus dem Muude Keplers versetzen uus euiigermaßen in Erstaunen, da
er doch über die Aufnahmemethoden seiner Zeit, wo P. Apian schon gewirkt hatte,
Bescheid wissen mußte; auch konnte man von ihm bei seinen hohen mathematischen
Fähigkeitt^n verlangen, Wege und Mittel zu weisen, wie den Irrtümern der Karte zu
begegnen sei; vielleicht lag ihm die ganze Arbeitsrichtung nicht, und die ihm zugleich
anempfohlene Beendigung der berühmten Eudolphmischen (astronomischen) Tafeln
scheint ihn mehr als jene erstere Aufgabe angezogen und beschäftigt zu haben. Wie
dem auch sei, die von ihm empfohlene primitive Methode ist heute noch nicht aus-
gestorben^ und findet sich in der mündhchen Erkundung des Topographen oder
Trigonometers bei den ortsansässigen Bewohnern nach Namen und Schreibweise
von Ortschaften, Gasthöfen, Einzelhäusern, Wegen, Bergen usw. Von Forschungs-
reisen wird die Eichthofensche Fordenmg, in wenig begangenen Ländern bei den
Einwohnern Tag für Tag zu erkunden^ ausgiebig befolgt, manchmal zu ausgiebig,
und die Gefahr Hegt nahe, daß der Eeisende sich mehr auf die Eingeborenenaussagen
verläßt als auf Autopsie.
II. Die lineare Topographie.
107. Die flüchtige topographische Aufnahme. Solange der Geograph zu Forschungs-
zwecken in fremde Lande zieht, wird das Messen nicht aufhören. Der Trieb der For-
schvmg leitet Messung und Entdeckung, sagt v. Eichthofen.^ Trotzdem wir das
irdische Wohnhaus in allen Winkehi abgeleuchtet haben, gibt es für Landesaufnahmen
noch viel, wenn nicht alles zu tun. Selbst in den europäischen, hochkultivierten
Ländern mit ihren durchgeführten Meßtischaufnahmen gibt es für den Geographen
noch lohnende topographische Aufgaben zu lösen, die vorzugsweise in der Ergänzung
des vorhandenen Kartenmaterials bestehen.* Die flüchtige topographische Aufnahme,
der „flying survey", geht in der Hauptsache linear vor. Je nach Zeit, Vorbildung
und GeschickHchkeit des Aufnehmenden wird mit oder ohne Instrument gearbeitet.
Auf Ivrokierblock oder -brett, Bussole, Kompaß, Diopterlineal und Wasserwage
(Libelle) mag heute kaum noch der Geograph als Eeisender verzichten, dem es um
ein einigermaßen brauchbares Kartenbild zu tun ist. Das Kroki erspart ihm lang-
\\nerige Beschreibungen und bietet als graphische Dai-stellung des Terrains den Vor-
teil, sich dem Gedächtnis viel leichter luad richtiger als die bestgefaßte Beschreibung
einzuprägen. Beim Entwerfen der Itinerare, wobei Taschenuhr und Kompaß die
Hauptrolle spielen, kann man nach K. Hassert eine beschreibende und zeicluierische
Methode unterscheiden.^ Bei der erstem wird an jeder Wegkrümmung Urzeit und
Kompaßwinkel notiert, bzw. die Länge des zurückgelegten Weges unmittelbar durch
' Daß in geographischen Kreisen die Kepplersche Methode noch nicht ausgestorben ist, darüber
macht sich .J. Frischauf (Die mathematischen Gnmdlagen, a. a. O., S. 179, 180) histig, und zwar In-i
der Beurteilung der .aufnahmen von Sven Hedin, veranlaßt durch E. Obcrhiunmers Lobrede auf
diese Aufnaluue, die al)er schon von A. Strindl)erg als eine Leistung angesehen wurden, die ihm die
Bezeichnung ,J)er überbaraum" entlockte.
» F. V. Richthofcn: Führer für Forschungsreisende. Berlin ISSti. S. 32.
' F. V. Richthofen, a. a. O., S. 44.
* A. Penck: Oberflächenbau. .\nleitung zur deutschen Ijindes- und Volksforsehung. Hg. v.
A. Kirchhoff. Stuttgart 1889, S. .5.
' K. Hassert: Topographische Aufnalmieu in MontemgR«. P. M. 1905, S. 203, 204.
.f. I. 16
242 l^i*" Kartenaufiiahino.
Schiittzählen ermittelt. Die andere Methode ist das bekannte Krokieren mit Hilfe
von Kompaß und Krokierblock (mit Millimeterpapier); sie ist der erstem vorzuziehen,
da durch den Wegfall der Rekonstruktion der Karte das Gedächtnis weniger belastet
wird. Wie man bei der flüchtigen Geländeaufnahme die Genauigkeit zu steigern
vermag, hat Joh. v. Bezard durch seine neue Orientierungs- oder Diopterbussole
praktisch erprobt. ^ Wie selbst einfachste Verfahren zur beiläufigen Bestimmung
von Winkeln, Höhen und Entfernungen herangezogen werden können, zeigt V. Kahle
in seiner Brachimetrie.^
108. Die Orientierung im Gelände. Das Wichtigste ist I^ei jeder Aufnahme, ob
linien- oder flächeuliaft, die Orientierung im Gelände. Das geschieht mit dem Plan
oder der Karte, mit Hilfe von Bussole oder nach dem Stande der Sorme unter Ver-
gleichung einer Uhr, nach dem Stande des Mondes, namentlich in den Hauptphasen,
nach dem Polarstem und dem Sternbild (.'assiopeja. Selbst Notbehelfe können sich
unter Umständen dienUch erweisen, wie einzelstehende Bäume, die auf der Wetter-
seite, bei unserer Breite in NW, eine moosbedeckte, gröbere und rissigere Rinde als
auf der entgegengesetzten Seite aufweisen. Ähnliche Dienste verrichten die dem
Wetter ausgesetzten Steinblöcke, alte Meilensteine, Martersäulen, Feldsteine, Holz-
pfähle, die auf der Wetterseite mürbe geworden sind; selbst bei Ameisenhaufen beob-
achtet man, daß sie an der dem Wetter zugekehrten Seite mit Gras und Moos be-
wachsen sind, nicht an der entgegengesetzten.
Auf die sorgfältige und genaue Orientierung des Kartenblattes bei der Auf-
nahme kann nicht genug aufmerksam gemacht werden. Man wird es nie gut heißen,
selbst bei flüchtigen Aufnahmen, die Korrektur des Blattes in Hinsicht auf die magne-
tische Deklination erst nach der Aufnahme vorzunehmen. Es gibt Reisende, die
bei der Kartenaufnahme in unbekannten Gebieten durch Nichtkenntnis der magne-
tischen Deklination in größte Verlegenheit gesetzt wurden, trotzdem es nicht schwer
ist, die magnetische Deklination jederzeit zu bestimmen. Von den verschiedenen
Verfahren zur Bestinmiung der Nordsiidlinie seien hier nur vier genannt und zwar
die, die für den Geographen das meiste Interesse haben dürften. Die Verfahren
sind: a) die graphische Entnahme aus magnetischen Karten; b) das Bestimmen der
geographischen Nordsüdlinie (Meridian) mit dem Sonnenlot; c) das genäherte Fest-
legen des Meridians nach Polarstem und Zirkumpolarstemen ; und d) das Beobachten
von Sormenböhen gleicher Zenitdistanzen.
Diese Verfahren liefern keine astronomisch strengen Werte, zumal auch bei
geographischen Aufnahmen gewöhnlich nur Einheitsinstrumente zur Verfügung
stehen und außerdem genaue astronomische Zeitangaben fehlen. Um aber trotzdem
für kartographische Aufnahmezwecke brauchbare Werte zu erhalten, genügt es voll-
kommen, wenn man sich in den Fällen b) und d) durch Verwerten korrespondierender
Sonnenhöhen von der genauen Zeit unabhängig macht, was im Falle c) durch
Messen eines Winkels zwischen Polarstern und einem Zirkumpolarstem ebenfalls er-
reicht wird.
1 Johann v. B6zard: Neue Mittel zur Steigerung der Genauigkeit der flüchtigen Terrain-
aufnahme und zur verläßlichen Lösung aller Arten v. Orientierungsaufgaben. S.-A. aus „Streffleurs
Milit.-Z., zugleich Organ der miUtär-wissenschaftl. Vereine". 1907. II. Wien 1908.
2 Brachinietrie (ßqaxitov u. ueipetv) ist das Verfahren, mit dem „Arm" zu messen. Vgl.
P. Kahle: Betrachtungen zu Höhenlinienkarten. O. A. 1920, S. 156, 167.
Die linearo Topographie. 243
Bei der graphischen Entnahme aus magnetischen Karten hat man den Deklinations-
wert für den Beobachtungsort durch rechnerisches Einschalten zwischen benachbarten
Isogonen zu entnehmen, vorausgesetzt, daß man sich ein Urteil über die Zuverlässig-
keit der Karte auf Grund einiger Messungen gebildet hat. Stehen nur Karten altern
Ursprungs zur Verfügung, ist die jährliche Abnahme des Deklinationswertes zu be-
rücksichtigen. Alle diese Karten geben infolge ihres sehr kleinen Maßstabes, 1 : 5 000000
und kleiner, nur angenäherte Werte; auch sind die Eintragungen der Linien gleicher
Deklination vielfach nicht zuverlässig, da Störungsgebiete kaum oder zu grob be-
rücksichtigt sind. Brauchbarer sind für graphische Ermittlungen Karten größern
Maßstabes, wie sie z. B. die preußische Landesaufnahme für heimische imd benach-
barte Gebiete in 1 : 800000 herausgegeben hat und neuerdings in 1 : 100000 heraus-
gibt.i
Wo Karten und sämtliche Angaben über magnetische Deklination fehlen, ist
es zunächst notwendig, den Meridian kennen zu lernen. Die Meridiaiilinie läßt sich
am einfachsten mit Hilfe des Sonnenlotes graphisch festlegen. Es ist das gleiche
Verfahren, das die Alten mit dem Schattenstab oder Gnomon ausübten. Beim Auf-
zeichnen der Schattenmarken wird die Zeit auf etwa eine Minute genau abgelesen
mid mit diesen Werten die Meridianverbesserung in Beziehung gebracht. ^ Kalt-
brunner sagt im ,,Beol>achter", daß im Laufe einer Reise die Mittagslinie mindestens
einmal ermittelt werden muß, um die wahre Nordsüdlmie zu erhalten, wozu der
Kompaß allein nicht genügt.^ Mit Hilfe des Somaenlotverfahrens läßt sich die Nord-
südrichtung beliebigemal bequem ermitteln.
Die andern genäherten Methoden zur Festlegung des Meridians erfolgen durch
Beobachten des Polarsterns (die einfachste Methode), von Zirkumpolarsternen und
Polarstem und schließlich durch Beobachtung von Zirkumpolarsternen im Momente
der größten Digressiou. Letztere ^Methode bildet den Ersatz der Polarsternbeobachtung
auf der Südhalbkugel.
Die Breite ist nicht so schwierig wie den Meridian zu bestimmen. Auf jeden
Fall kann es nicht schaden, wenn der Reisende mit den einfachsten Verfahren, den
Meridian festzulegen, vertraut ist.* Kann er es selbst nicht, daim muß er sich bei
seinen Aufnahmen soviel wie möglich an gute astronomische Ortsbestimmungen
anlehnen. Jeder Geograph weiß, daß er bezüglich der Lage von Orten. Flüssen und
Seen in den noch wenig erforsciiten Erdteilen mit erheblichen Ungenauigkeiten zu
rechnen hat. Aber viele Fehler, von denen er später überrascht wird, wären ^■on
Haus aus zu vermeiden. Wie falsch unsere Länderkarten sein können, beweist ein
Bericht, den Kapitän Lemaire über die Ergebnisse seiner zweijährigen Arbeiten
1 Die Blätter führen den Titel „Linien gleicher magnetischer MiBweisung, Epoche 1919, 5".
Die Linien sind von 10 zu 10 ÄLnuten gezogen. Jeder Karte ist ein Merkblatt über den G»'bra\ieli der
Karten beigefügt.
* Zur Umrechnung der Zeit in Bogengrade, Bogenminuten und Bogensekimden dienen folgende
.Vngaben:
li» (= I Zeitstunde) = 15" (Bogengrade). 1° (Bogengrad) = 4" (Zeitmin\Uon),
1'" (-- 1 Zeitrainuto) = 15' (Bogenminuten). 1' (Bogenmin.) - 4" (Zeitaekimd.).
1" (= 1 Zeitsekunde) - 15" (Bogensekunden), 1" (Bogensekunde) -= 1«; 15 - O.OOO« (Zeil.sokunden).
^ D. Kaltbrunnor: Der Beobachter. Bearbeitet von E. KoUbrunner. Zürich 1SS2, S. 181).
* S. Passarge mahnt in K. Keilhacks Lehrbuch der pniktischen Geologie (3. Aufl. l. Stutt-
narl l'.»l(). S. 254), daß kein Geologe auf Forsclumgnrei»en gehen soll, ohne aieh mit den einfachsten
lustnuiicnten zur Vornahme astronomischer Ürt,sl>estimmungcu vertraut gemacht zu haben.
16-
244 L)'<^ Kartenaufnahme.
in Katanga vor etwa einem Dezennium an die Eegierung des Kongostaats gerichtet
hat. Der Forscher hatte sich hauptsächKch mit astronomischen Ortsbestimmungen
befaßt und mit deren Hilfe viele Irrtümer in den bisherigen Karten des Kongostaats
berichtigt.^ Es hatte eben bis dahin die richtige Orientierung der Aufnahmen gefehlt.
109. Das Itinerar oder die Routenaulnahnie. Die tliiclitige Aufnuhme. und liei
den Eoutenaufnahmen oder Itinerarien handelt es sich meistens um solche,
muß in kurzer Zeit große Strecken durcheUen. Mit Meßband wird da nur selten
gearbeitet, und die Distanzen werden durch Abschreiten, Abreiten und Abfahren
gemessen, gegebenenfalls durch Zeitmaß, Entfernungsmesser, selbst nach dem Augen-
maß. Sehen wir uns die Eoutenaufnahmen genauer an, sind wir erstaunt, wieviel
nach Augenmaß gearbeitet worden ist. Dieses Aufnehmen „ä coup d'ceil" oder „ä
la vue" oder „ä vue d'ceil" erscheint auf den ersten Augenblick als das leichteste
und bequemste Verfahren, imd darum das von Anfängern bevorzugte^ ;''und doch
ist es außerordenthch schwierig, das Gelände selbst bei der flüchtigen Aufnahme,
dem Kroki, charakteristisch, deuthch und korrekt aufzufassen; „denn gerade die
roheste Skizze bedarf des gewandtesten und genialsten Zeichners, soll sie natur-
wahren Eindruck machen".* Das Krokieren erfordert viele und langfristige Übungen
und trotzdem kami man den gröbsten Täuschungen ausgesetzt sein.* Vor manchen
Ungenauigkeiten steht man wie vor einem Eätsel.^ Nach meinen topographischen
1 Die Lage eines so bekannten Ortes wie Matadi war nach der eingehenden Ermittlung von
Lemaire bisher um .50km falsch angegeben und die Länge der Eisenbahnstrecke nach Leopoldville um
75 km überschätzt worden. In den südlichen und östlichen Bezirken des Kongostaates war auf den vor-
läufigen Karten nicht ein einziger wichtiger Ort genau angegeben. Ein hervorragender Punkt in dem
Grenzgebiet zwischen dem Kongo und Zambesi mußte lun einen vollen Längengrad verlegt werden,
imd ganz bekaimte Wasserfälle, Seen, Stationen lagen um 30— 40 km oder noch mehr von der Stelle
entfernt, an der sie auf der Karte erschienen. Sogar eine so bedeutende Linie wie die Westküste des
Tanganyikasees war bisher unrichtig verzeichnet; sie mußte erheblich weiter nach Westen verlegt
werden, und die Mündung des Lukugaflusses verschob sich um nicht weniger als 50 km. Der ganze
Lauf des großen Lualubastromes, eines der mächtigen Arme des obem Kongo, lag um fast 60 km
näher an dem großen See als es die Karte anzeigte. Durch diese Berichtigungen wurden alle bestehenden
Karten von Innerafrika zu Makulatur, wenigstens für den Geographen, dem es nicht auf eine ungefähre,
sondern auf eine genaue Zeichnung der Karte ankommt.
2 Aus dem 18. Jahrb. liegen uns Anleitungen zum Aufnehmen nach dem Augenmaß
vor; so von F. C. Müller: Theoretisch-praktische Abhandlung über d richtige Aufnehmen und Zeichnen
der Situations-Charten nach bloßem Augenmaße. Mit einer Kupfertafel. Münster 1778. — Der „Coup
d'oeil militaire" von Pirscher ist auf Müller von Einfluß gewesen. — Vgl. auch Anm. 4.
' E. V. Sydow: Der kartographische Standpunkt Europas am Scliluß des Jahres 1859. P. M.
1860, S. 475.
♦ Schon im 18. Jahrhundert stolperte man über die „Augenmaß-Aufnahmen", und zur Be-
seitigung ihrer Mängel haben Wiebeking, Schmettau, Hogreve, Hayne u. a. ni., auch Franzosen,
gearbeitet. — Es sei hingewiesen auf Hayne: Deutliche und ausführliche Anweisung, wie man das
mihtärische Aufnehmen nach dem Augenmaße ohne Lehrmeister erlernen könne. Berlin 1782. —
C. F. Wiebeking sagt in „Ueber topogr. Garten", Mülheim a. Rh. 1792, S. 13: „Die Fertigkeit, topo-
graphische Aufnahmen richtig auf das Papier zu bringen, entlehnt ihre Grundsätze von der Mathe-
matik, xmd wird nur durch richtiges Augenmaß und schnelle Beurteilimg.skraft ausgeübt."
' Man vergegenwärtige sich beispielsweise, daß sogar die Moltkesche Karte (H. Kiepert,
Konstantinopel und der Bosporus. Reduktion nach der Aufnahme des Freih. v. Moltke. Berhn 1867,
1 : 100000) den großen, 2000 Einwohner zählenden Ort Ai-nautkiöj noch an den Westhang der Alemdagh-
kette und an einem z\im Bosporus abfUcßendcn Bach verlegt, während er tatsächlich am Ostabhang
der Kette und in einem nach N zum Rivadere sich öffnenden Tale liegt. — Vgl. auch C. Freiherr
v. der Goltz-Pascha: Karte der Umgegend von Koustantinopd. 1: 100000. Berlin, s. a.
Die liiioare Topographie. 245
Erfahrungen stehe ich auf dem Standpunkt, keinem Kartenelement einer topo-
graphischen Karte zu trauen, das nicht durch Zahl und Maß bestimmt ist. Mag sein,
daß man sich eine große Eoutine ei-werben kann, die Größe einzelner Linien, Winkel
und Flachen nach bloßem Augenmaß zu schätzen und ihre Lage anzugeben; Böschungs-
winkel jedoch abzuschätzen, wenn man kein Vertikalinstrument zur Hand hat, heißt
die größte Anforderimg an das Augenmaß bei zweifelhaftem Ergebnis stellen. Ich
erinnere nur daran, wie schwierig der Böschungswinkel eines Abhangs von vom zu
schätzen ist, was höchstens bei nächster Nähe zu etwas Brauchbarem führt.
Wird ein Land die Kreuz und die Quer von Eoutenaufahmen durchzogen^,
verdichtet sich allmähhch das topographische Bild zu einer Karte^, die infolge des
unausbleibhchen kleinen Maßstabes einen fertigen, d. h. auf Grimd flächenhafter
Aufnahmen entstandenen Eindruck macht. Das ist ganz dieser Eindruck, den wir
bei den meisten Karten von Asien, Afrika und Südamerika empfinden. Im Grunde
genommen ergeben die dichten, sich kreuzenden Koutenaufnahmen noch keine
Flächendeckung, da das zi\'ischen den Routennetzmaschen liegende Gelände in der
Hauptsache als imerforscht gelten muß. H. Fischer hat sich der mühevollen Arbeit
unterzogen, die verschiedenen Aufnahmen bei der topographischen Erschließung von
Vorderasien kartographisch zu veranschaulichen.^ Bei der Betrachtung des Karten-
bildes vnid jeder erstaunt sein, wie wenig in ^'orderasien als Aufnahme im Sinne
unserer Landesaufnahme gelten kann, wie ungleichwertig und zerfasert das Eouten-
netz ist, ^vie groß und zahlreich die unerforschten Gebiete zwischen den einzelnen
Wegeaufnahmen sind und wie E. Hammer nur allzu recht hat, wenn er Kleinasien
topographisch als Terra incognita bezeichnet*; und dabei hegt uns Vorderasien kul-
turell näher als das meiste außereuropäische Kolonialgebiet. Und gehen wir weiter
in europafeme Gebiete, da sieht es noch trauriger mit der topographischen Er-
schheßung aus.^
110. Die Phantasie als große Gefahr der Rnutenaufuahme. Bei den Routen-
aufnahmen besteht zu große Gefahr, das Kartenbild durch die Einbildungskraft zu
ergänzen, also bewußt oder unbewnißt topographische Details in die Karte hinem-
zuphantasieren. Das Mißtrauen des Kenners ist hier nur allzusehr berechtigt. Offen
und ehrlich muß sich der Geograph eingestehen, daß er bezüglich der Genauigkeit
diesen Kartengebilden gegenüber vielfach zu nachsichtig ist, weil die blendende Auf-
1 Gute Hilfe leisten hierbei die bei Dietr. Reimer in Berlin erschienenen Routenaufnahnie-
bücher, von P. Sprigade u. M. Moisel bearbeitet und mit einer kurzen, klaren und völlig aus-
reichenden Darstellung der Iloutenaiifnahmen versehen.
■ Bei der Karte von Togo in 1 : 200000 (10 Bl.), die P. Sprigade nach ISjähriger Arbeit voll-
endete, gelangten zur Venvendung 891 Rovitcnaufnahmen, von 54 .Aufneluuern herrührend, in 1925 Blatt
kon.ttruiert, dazu noch 60 fertige Manuskript karten und -skizzen; zu Rate gezogen wurden 227 ver-
öffentlicht«' Karten; an astronomisch festgelegten Punkten standen 349 zur Verfügung. — In der von
M. Moisel redigierten Spezialkarte von Kamerun in 1 : :?00000 (20 Bl. u. 4 .An.-MVtzstücke) sind 724 Iti-
nerare u. \'ermest<ungcn verschiedenster Art verarbeitet, herrührend von 210 Aufnelimcm: die Auf-
nahmen mußten erst in Kartenfonn aus den Feldbüchem übertragen, d. h. konstruiert werden, was
eine Summe von 4492 Bliittern (46 x 60 cm) ergab.
^ H. Fischer: Vorderasien nacli dem Stand der to]Xigrapli. Kenntnis für 1914. P. M. 1920, T. 22.
* E. Hammer: Über die Bestrebgp. der neuem LandestoiK>gniplii<-. 1". M. 190". S. 97.
^ rnziihlige Beispiele ließen sich hier herbeiziehen. N\n- auf N'oi-dwest-Haiti sei hingewiesen,
das R. Lütgens durch I^'>utenaufnahmen weiter ereehlosxen hat: vgl. seine ..Qixjgraphisehen u. geo-
logischen Beobachtungen in Nordwest -Haiti.' Mitl. d. Ot-i.,.'.. (>.-., <ii HamlMin:. \\.\11. S. r.9{f.
246 1^''' Knrteniiufnahnie.
machung oft über den innern Wert täuscht und die Wiedergabe von Gebirgen in
Schummerung, in Schraffen oder gar Isohypsen (vorsichtigerweise werden sie viel-
fach schon „Gefühlsisohypsen" genarmt) den Eindruck erweckt, als ob eine grund-
legende und tüchtige topographische Arbeit geleistet worden wäre.
Es hat nicht an Forschungsreisenden gefehlt, die auf das Fehlerhafte solcher
Kartenaufnahmen genugsam hingewiesen haben, wie z. B. F. v. Eichthofen. Er
wußte nur zu gut, daß sogar öfters begangene Strecken Chinas noch falsch dargestellt
wurden. Den Karten seines Atlasses lagen zahlreiche eigene Itinerare zugrunde,
die er durch allerhand anderes Erkundungs- und teilweise nicht kontrollierbares
Kartenmaterial zu einem allgemeinen Kartenbild verdichtete. So haften dem Karten-
werk noch mancherlei v. Eichthofen wohl bewußte Mängel an, wobei man bedenken
muß, daß bei einem so gewaltigen Gebiet wie China die Herausgabe eines guten
Kartenwerkes noch lange Weile haben wird. Trotzdem gibt dieses Zeitmaß keinen
Anlaß, mangelhafte Karten zu beschönigen, selbst wemi sie von namhaften Autoren
herstammen. Noch lange nicht ist alles gleich gut und brauchbar, wenn es ein für
seine Zeit bedeutender Wissenschaftler mit seinem Namen deckt, und die ruhig und
sicher abwägende Kritik nach dieser Eichtung ist nicht bloß in der Geographie, sondern
auch in der Kartographie geboten, so ähnUch wie ich sie, um bei der Gegenwart zu
bleiben, über die Erzeugnisse der deutschen Kolonialkartographie bei Gelegenheit
der Verhandlungen des Deutschen Kolonial kongresses 1910 zu Berlin geübt habe,
wodurch der Sache wie dem Autor in gleicher Weise gedient wird, selbst auf die
Gefahr hin, daß die Kritik zunächst herb und bitter empfunden wird. Ist es nicht
Unsitte oder Urteilslosigkeit, ältere durch größere Zeitspanne uns entrückte und
doch für ihre Zeit recht mittelmäßige Werke über das Maß hinaus zu loben, so ähnhch
wie es mit dem Atlas von China des Jesuiten Martini^ durch 0. PescheP u. a. ge-
schehen ist, und die Geographen nehmen eine schwere VerantwortHchkeit auf sich,
wenn sie wie Duhalde, d'Anville, Klaproth ohne weiteres annehmen, daß die katho-
lischen Missionare wirklich eine Dreiecksmessung Chinas, zumal der entlegenen nord-
westlichen Teile des Landes, vorgenommen haben; ihre Aufnahmetätigkeit beschränkte
sich lediglich auf imtergeordnete Teilmessungen. Durch v. Eichthofen zur größten
Gewissenhaftigkeit beim Aufnehmen des Geländes ermahnt, bringt A. Tafel in dem
Kartenwerk zu seinen Eeisen in China und Tibet-'' einzig und allein das zur Darstellung,
was er selbst gesehen und gemessen hat bei völliger Vernachlässigung vorliegender
chinesischer Quellen. „Dies Vorgehen bietet den großen Vorteil, klar erkennen zu
lassen, was der Eeisende selbst l^eobachtet hat, und das von ihm Wahrgenommene
nicht zu trüben durch Übernahme von Material, welches auf seine Verläßhchkeit nicht
geprüft worden ist. Auf diese Weise werden die Grundlagen für die kritische Ge-
wiimung eines Gesamtbildes von China dargeboten"*, und den Geographen, die ein
besseres Kartenbild größerer Teile von China und Ost-Tibet gewinnen wollen, ein
* Der „Novus Atlas Sinensis a Martino Martini Soo. Jesu" erschien als 11. Toll des „Novus
Atlas absolutissimus" von Janson, Amsterdam 1655.
2 O. Peschels Geschiebte der Erdkunde bis auf A. v. Humboldt u. C. Ritter. 2. Aufl. von
S. Rüge. München 187"!, S.. 346.
3 A. Tafel: R«ise in China imd Tibet 1905—1908. Kartographische Ergebnisse. Teil I : China,
31 Karten in 1 : 200000, herausgeg. v. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin 1913.
' A. Penck: Da,» Kartenwerk „Dr. A. Tafel, Reisen in China und Tibet". Z. d. Gi-s. f. Erdk.
zu Berlin 1913, S. 82.
Die lineare Topographie. 247
her\-orragender Dienst geleistet. Fast in ähnlicher Weise wie Tafel verfuhr W. Filch-
ner bei seinen Aufnahmen in Nordost-Tibet^; indessen sind die Aufnahmen von
Tafel in bezug auf Sorgfältigkeit höher zu bewerten.
111. Die deutsche Kolonialtopographie und -kartographle. Südamerikanische,
afrikanische und asiatische Kartenbilder, die uns heute in bedeutenden Atlanten
sowohl wie in Einzelkarten entgegentreten, gründen sich auf die Ergebnisse von
Itinerarien, die im Laufe von ein bis zwei Jahrhunderten angesammelt worden sind.
Eine wesentUch kürzere Entwicklung, rund die eines Menschonalters, liegt in der
deutschen Kolonialkartographie vor.^ Da sie vorderhand einen Abschluß
erreicht hat, gibt sie in extenso ein vorzüghches Lehrbeispiel, bei dem sich all die
Fehler und Vorteile der einzelnen Aufnahmemethoden, wie sie bisher bei Kolonial-
ländem und ähnlichen Landgebieten verwendet wurden, nachweisen lassen. Von
der primitiven Aufnahme der bloßen Erkundung und der Aufnahme mit Uhr und
Kompaß an bis hinauf zur geodätischen Aufnahme imd astronomischen Ortsbestimmung
— letztere beiden vorzugsweise bei der Festlegimg von Landesgrenzen — haben das
Material für die deutschen Kolonialkarten gehefert.^ Auch der Ausbau der Verkehrs-
wege, Eisenbahnen imd Kunststraßen und die Farmvermessungen der Landmesser
hatten eine große Anzahl detaüherter Aufnahmen gezeitigt, die mit großem Nutzen
beim Aufbau des Kartenbildes gebraucht wurden. Infolge dieses verschiedenartigen
und ungleichwertigen Aufnahmematerials verbietet es sich von vornherein, den Grad
der Genauigkeit von den Kolonialkarten wie von den Karten des Mutterlandes zu
fordern. Schon aus technischen, zeitHchen, pekimiären und Nützlichkeitsgründen
mußte man von der Forderung absehen, die Schutzgebiete in gleicher oder ähnhcher
Weise wie das Mutterland zu vermessen.
Die Entwicklung der deutschen Kolonialkartographie ist etwas älter als der
deutsche Kolonialbesitz selbst. In den alten Weißbüchern des Auswärtigen Amtes
befinden sich die ersten sichern Hinweise des deutschen Handels mit Gebieten, die
später deutsche Kolonien wurden. Diese Veröffentlichungen sind durch Inhalt und
Kartenbeilagen kolonial-historisch wie kartographisch-historisch interessant. In
ihnen finden wir die ersten eigenen Karten deutscher Kolonien. Die ersten Karten-
liilder, von L. Friederichsen in Hamburg entworfen und gezeichnet, verghchen
mit den jetzigen Karten, geben den anschauhchsten und besten Beweis für den Fort-
schritt in der geographischen und wirtschafthchen Erschließung der deutschen Kolonien.
Da erkennt man, daß die deutsche Nation innerhalb von drei Dezennien bereits eini'
beachtenswerte große Arbeit in Übersee geleistet hat, der sich schlechterdings in
Eücksicht auf die Kürze der Zeit von selten der andern Kolonialvölker, wie England,
> W. Filchner: Wi.-sensohaftliche Ergebnisse meiner Expedition nach Nonlost-Tibct IIKM.
Karten, aufgenommen v. W. Filchner u. G. Scholz. Berlin 1907.
' Über die deutache Kolonialtopographie vgl. auch folgende Kapitel, was über Jäger, Kohl-
schütter usw. gesagt ist.
' Über die Entwicklung der deutschen Kolouialkartograplup vgl. folgende Arbeiten von mir:
..Die deutsche Koloniiilkartographie" in Verhandlungen des Deutschen Kolonialknngresses 1910.
Berlin 1910. „Entwiiklung und ucgenwärtiger Stand un.srer Kolonialkartogmphii-" in Deutscher
Kolonialzeitung 1910, Nr. II, 12, 13, 14. .\uUci-dem habe ich sie eingehender berücksichtigt in den
Berichten über die , J<\)rt«chritte in der geographi.schen Erschließung vmserer Kolonien", die von 19<XS
bis 1914 in dem Jahrbuch über die deutaehen Kolonien, Essen, herausgegeben von K. Schneider
erschienen.
248 ^^'6 Kartenaiifnabmc.
Franki-eich usw., nichts, am allerwenigsten an Kartenwerken, an die Seite stellen
läßt. Die holländischen Karten nehmen eine Sonderstellung ein, wie wir weiter unten
noch sehen werden. Wir wissen auch, daß die deutschen Kolouialkarten Gegenstand
bewundernder Nacheiferung seitens der an die deutschen Kolonien grenzenden Nach-
barn geworden sind^; und von Engländern und Franzosen, von letztern oft in über-
schwenglichen Worten, ist die Überlegenheit und technische Vollendinig der deutschen
Kolonialkarten zugegeben worden. ^
Missionare, Kaufleute, Farmer, Ingenieure, Landmesser, Beamte, Forscher
sind tätig gewesen, das topographische Bild der deutschen Kolonien zu enthüllen,
insbesondere sind viele Hunderte von topographischen Eouten- und andern Auf-
nahmen ein Euhmesblatt in dem Geschichtsbuch kolonialen Wirkens des deutschen
Offiziers ; ich nenne nur einige der bekanntern, wie G Hartmann, C. v. Fran^ois, E. Hom,
V. Seefried, Herrmann, G. Friederici, H. Glauning, Schlobach, Th. v. Trotha, v. Pritt-
witz und Gaffron, M. Weiß. Unter den Forschern, die durch ihre Aufnahmen die
Kartographie der deutschen Kolonien gefördert haben, seien hervorgehoben: 0. Bau-
mann, L. Schulze - Jena , S. Passarge, H. Grüner, K. Hassert, E. Kohlschütter,
K. Sapper, C. Uhlig und Fr. Jäger. Das Wertvollste dieser Aufnahmen zusammen-
gefaßt, in ein kartographisches Bild verarbeitet und so dem allgemeinen Verständnis
nahegebracht zu haben, ist in der Hauptsache das Verdienst von Eichard Kiepert
in Berlin, Paul Langhans in Gotha, Paul Sprigade und Max Moisel in Berlin.
Kiepert gab die ersten Sektionen der großen Spezialkarte von Ostafrika in 1 : 300000
heraus, welche Karte später in die Eedaktion von Sprigade und Moisel überging.
Letztere beiden sind so recht die deutschen Kolonialkartographen^, die der deutschen
Kolonialkartographie gegenüber den ähnlichen Erzeugnissen anderer Kolonialländer
ein besonderes Gepräge aufgedrückt haben, daß man von einem eigenartigen
deutschen Kolonialkartentypus sprechen muß.
112. Die außerdeutsche Eolonialkartographie. Was sich für den deutschen
Kolonialbesitz auf wenige Dezermien beschränkte, hat sich bei den andern Kolonial-
ländern auf viele Jahrzehnte verteilt, ohne, mit Ausnahme der Holländer, zu hervor-
stechenden Leistungen gelangt zu sein.* Es lohnt sich nur, neben der deutschen von
einer enghschen, französischen und holländischen Kolonialkartographie zu sprechen,
die Kolonialkarten und Aufnahmen der andern Kolonialvölker, wie Spanier, Por-
1 C. Uhlig: Entwicklung, Methoden u. Probleme der Geographie der deutschen Kolonien.
G. Z. 1911, S. 366.
^ P. Sprigade: Max Moisel, ein Gedenkvvort. Koloniale Rundschau, Z. f. KolonialpoUtik und
Weltwirtschaft. Berlin 1920, S. 147.
'' P. Sprigade u. M. Moisel (f 1920) waren die Fülirer des rühmlichst bekannten Karto-
graphischen Instituts von Dietrich Reimer (E. Vohsen) in Berlin, das sich leider 1919/20 aufgelöst hat.
Sie verarbeiteten vorzugsweise die offiziellen Aufnahmen und die Aufnahmen, die im Auftrage der
Landeskundlichen Kommission ausgeführt wurden; sie sind die Kartographen des Kleinen und des
Großen deutschen Kolonialatlasses wie der einzelnen offiziellen Karten unserer Kolonien, die als Sonder-
beilagen zu den Mitteilimgen aus den deutschen Schutzgebieten erschienen. Ihnen kamen die Erfah-
nmgen, die sich auf eigene Routenaufnahmen in Kamerun und Togo stützten, zugute. — Vgl. auch
Anm. 1 und 2, S. 245.
'' Zum Studium der Kolonialkarten deutscher wie fremder Besitzungen sei die Kolonialkarten-
sammlung des alten Reichskolonialamts empfohlen. Als Führer dazu dient H. Marquardsen: Die
Kol.-Kart.-Sammluni.' des Rcichs-Kolon.-Amts. Beilage zu Heft 2 der Mitt. aus d. Deutschen Schutz-
gebieten. Berlin 1915.
Die flftchenhafte Topographie. 249
tugiesen, Italiener, Nordamerikaner, sind für eine eingehendere Berücksichtigung
zu unbedeutend. Die Kolonialkarten der Engländer, Franzosen und Holländer be-
ruhen wie die deutschen in der Hauptsache auf Eoutenaufnahmen, daneben finden
wir beachtenswerte Leistungen in genauem Aufnahmen. Neben rohen kartographischen
Erzeugnissen^ finden wir elegante englische Karten für die Nilländer imd Vorder-
indien. Aber zu großzügigen Aufnahmen ihrer Kolonialgebiete und einheithcheu
Kartenwerken sind die Engländer nicht vorgedrungen, trotzdem sie über eine jahr-
hundertlange kolonisatorische Erfahrung verfügen. Es soll nicht verkannt werden,
daß die nach den Kolonien vom Ordnance Survey entsandten Vermessungsexpeditionen
und der für Vorderindien eigene eingerichtete Vermessungsdienst mancherlei Beachtens-
wertes geschaffen hat, aber gegenüber der langen Zeit, die England bereits zur Ver-
fügung stand, und der von ihm behebten eigenen Wertschätzung bedeuten die karto-
graphischen Ergebnisse blutwenig. Auf Gnmdlage der französischen Karten-
materiahen, die mir unter die Hände gekommen sind, habe ich nirgends etwas Be-
merkenswertes entdeckt, nirgends den Keim eines schöpferischen Gedankens, nirgends
die Spur zu einem kolonialkartographischen Typus. Die französischen Kolonial-
karten bleiben sogar hinter vielen engHschen zurück. Dagegen heben sich die hol-
ländischen vorteilhaft hervor. Für Niederländisch-Indien ist ein eigener „Topo-
graphischer Dienst" eingerichtet. ^ Während man sich für die größten Gebiete Suma-
tras, namentlich das Innere, noch mit Eoutenaufnahmen begnügen muß, besitzen
wir Aufnahmen der Westküste m 1 : 20000, 1 : 40000 und 1 : 80000, und neben den
andern Inseln ist es vorzugsweise Java, das sich ähnhcher Aufnahmen wie das Mutter-
land erfreut. Die meisten Gebiete hegen in Aufnahmen in 1 : 20000 vor, selbst Ka-
tastern in 1 : 5000 begegnen wir. Bergige Gelände ohne große wirtschafthche Be-
deutung erscheinen in kleinern Maßstäben. Welche Summe topographischen Fleißes
steckt in den „Krater-Kaarten" in 1 : 10000 und 1 : 25000. Die Vereinigten Stuten
haben in ihrem weiten Staatsgebiete flott arbeiten gelernt; ihre Aufnahmemethoden
wenden sie auf die Philippinen an, wie auch in China.
III. Die flächenhafte Topographie.
113. Flächondeckims;, das Hauptziel der t<»po£rraphisehcu Aufnahme. Die voran-
stehenden Betrachtungen haben dargetan, daß ich den Begriff der Kolonialkartographie
nicht allein auf die Schutzgebiete der europäischen Staaten anwende, sondern über-
haupt auf jene Neuländer, in denen in geodätischer wie kartographischer Hinsicht
zusammenhängende Landesaufnahmen fehlen, und die sich „gewissermaßen als
Kolonialgebiete der europäischen Geodäsie kennzeichnen", wie P. Gast sagt.' Denn
Kolonialländer sind traditionslose Länder, und zwar in dem Sinne, als ihr politisches
Gefüge nicht wie die europäischen Reiche von der Wucht der Tradition staatlicher
Einrichtungen und Maßnahmen, wozu die Landesvermessung als eine durchaus
' So z. B. „Oi-dnaiue Survey of tbe penüisula of Sinai", raade in 1868-1869 by C. W. Wilson
aud H. S. Palnicr, umier tlio direotion of H. Jarnos. 1: 126720; oder „.Map of Afghanistan, b)v-iod
on survey of India iiiaps. 1:2027520. s. a.; u. v. a. m.
* Vgl. „Do Topographische Dienst in Nedcrlandsch-Tndie". Ecnige gcgovens omtrent gosihio-
denis, orgaoisalio cn werkwijzc, uitgogcven tcr gclogonheid van do tcntoonstelling van hot koninklijk
N(xlcrland.si'h Aardrijsi.iuulin Ot-nootwchap to Amsterdam. lOH.
ä P. Gast: Die Triungulatiun von Koloniallaudorn. Z. I. \ orui.-W. lUlO, S. 721.
260 Die KartPnaufnahme.
europäische Kulturfonn rechnet, getragen werden. In der Hauptsache sind es Ge-
biete mit dünner Bevölkerung und extensiver Bodenkultur, und diese Gebiete sind
bekanntüch die ausgedehntesten innerhalb der Ökumene; von ihnen Karten zu be-
sitzen, gehört zu den großen Bedürfnissen der Zeit.
Die Vermessung, wie sie in die Kolonialländer hinausgetragen wird, um Unter-
lagen zur Konstruktion kleinmaßstabiger Karten (bis 1 : 100000) zu gewinnen, nennt
man schlechthin geographische Vermessung, geschieht sie nach einem einheit-
hchen System über ein großes Gebiet hin, spricht man von geographischer Landes-
vermessung (geographic survey). Größern Maßstäben wie 1 : 50000 oder 1 : 25000
begegnet man nur in Einzelfällen.^ Die Krone der Vermessungsarbeiten gebührt
der geodätischen Vermessung. Damit ist nicht gesagt, daß die Tätigkeit des Geo-
graphen von der geodätischen Landesvermessung ausgeschlossen sei; da er aber sein
Augenmerk bei der Erforschung eines Landes noch auf wesentlich andere Dinge als
auf die trigonometrische Aufnahme zu richten hat, wird er die feinern, langwierigen
Messungen, die ein besonderes Studium erfordern, gern dem Geodäten überlassen. Hat er
doch mit dem bereits genug zu tun, was ihm der Geodät aus seiner reichenlnstrumenten-
rüstkammer zum Aufnehmen überweist ; und diese Instrumente, wie Theodolit ,Tachymeter .
Meßtisch mit Kippregel usw. gebraucht der Geograph, wenn er das Land nicht bloß linear
durch Itinerare, sondern hauptsächlich durch Flächendeckung erschließen will.^
114. Die topographischen Vorkeuiitnisse der Forschungsreisendeu. Um topo-
graphische Flächendeckung vornehmen zu körmen, ist es notwendig, sich die dazu
erforderlichen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten in der Handhabung der
geodätischen Instrumente und einige Gewandtheit im topographischen Zeichnen
bereits in der Heimat anzueignen.^ Man muß wissen, welche Genauigkeit man mit
seinen Instrumenten erzielt, wie weit man sich auf sie verlassen kann. Dann wird
es auch möghch sein, sich Modifikationen des Aufnahmeverfahrens, zu denen das
aufzunehmende Gelände zwingt, ohne Schwierigkeit anzupassen. Dadurch entsteht
das Gefühl der Sicherheit, wodurch wissenschafthche Arbeiten nur gewinnen können.
Es ist erstaunlich, wie sorglos manche Forschungsreisende gerade diesen Punkt ihrer
Ausrüstung behandelt haben, und wie bitter es sich nachher gerächt hat, wenn die
Messungen beginnen sollten und das Gelände ganz andere Verfahren erforderte,
als man sich erst einbildete, selbst bei dem Arbeiten auf große Entfernungen hin.
Nicht jeder hat das Glück wie W. Penck, beim Anfang seiner Aufnahmen einen so
tüchtigen Lehrmeister wie F. Graef, den Leiter der topographischen Abteilung in
der Direccion Gal. de Minas zur Seite zu haben, mit dem zuerst Aufnahmemethoden
und Ziele der kartographischen Darstellung durchgesprochen wurden, und der zuletzt
selbst tätigen Anteil an den Vermessungsarbeiten nahm.*
1 Z. B. in Kiautschou die Karte de» Lauschan in 1:50000, herausg. vom deutschen Reichs-
marineamt. Die langjährigen Arbeiten der TTsambaravermcssung der kaiserlichen Landmesser in
Deutsch-Ostafrika wurden provisorisch niedergelegt auf 10 Bl. in 1:25000 und in 1:50000. — Die
topographischen Neuaufnahmen, die sogen. District surveys, von Siam, seit 1909 im Gange, werden
in 1 : 25000 und 1 : 50000 publiziert.
- Vgl. auch den Eingangsabschnitt dieses Hauptteils „Geograph und Geodät".
' P. Vogel: Aufnahmen des K«iseweges und des Geländes. Anleitung zu wissenschaftlichen
Beobachtungen auf Reisen. Herausg. v. G. v. Neumayer. 3. Aufl. Hannover 1906, S. 74, 75.
■* W. Penck: Topographische Aufnahmen am Südrand der Puna de Atacama (NW-Argentinien).
Z. d. Ges. f. Erdk. zu Berlin. 1918, S. 193.
Die flächenhaftp Topographie. 251
Wie schmerzlich empfinden Reisende, die ursprünglich ans Aufnehmen gar
nicht dachten, sich plötzHch vor die Aufgabe gestellt, von dem Gebiet, das sie er-
forschen woUen, erst eine brauchbare Karte zu schaffen, wozu die primitiven Aller-
weltsverfahren, die Entfernungen durch Schrittzählen, die Azimute durch Kompaß-
peilungen und die Höhen durch Aneroidablesungen zu bestimmen, nicht ausreichen.
Wäre ihnen vorher auf technischen Hochschulen oder Universitäten Gelegenheit
geboten worden, sich genauer über die Anlage von Vermessungen zu orientieren, so
hätten sie sich auf der Reise viele Mühe erspart und mit geringer Mühe ein besseres
Ergebnis erzielt, wie sehr richtig A. Wedemeyer bei Gelegenheit der Beurteilung
des Triangulationsnetze.s von Fr. Jägers Karte des Hochlandes der Riesenkrater
in Ostafrika hervorhebt.' Ich versäume nicht, die kartographischen Arbeiten von
Fr. Jäger und C. Uhlig, jener über das ,, Hochland der Riesenkrater und die um-
liegenden Hochländer Deutsch-Ostafrikas" und dieser über die ,, Ostafrikanische
Bruchstufe"^, als ausgezeichnete Lehrbeispiele, wie man bei einfachen Yermessungs-
arbeiten in Kolonialländern verfahren soll, namhaft zu machen. Geht Uhlig mehr
auf Itineraraufnahmen aus, so Jäger mehr auf Flächendeckung.
Flächendeckung ist das Ziel jeglicher Topographie, sogar der Routenaufnahme,
wenn das Netz der Kreuz- imd Queraufnahmen immer enger geschlossen wird, be-
sonders durch einen Aufnehmer, wie es beispielsweise durch v. Prittwitz und Gaffron
in Deutsch- Ost afrika ausgeführt worden ist. Das Itinerar haftet zu sehr am einzelnen,
während die Flächendeckung das Große und Ganze im Auge hat und Kleinformen
des Geländes, sobald sie nicht charakteristisch oder prominent auftreten, vernach-
lässigt. Es findet sodann schon im Felde ein Generalisieren der Geländeformen statt.
Viel wichtiger ist es, sobald ein Neuland kartographisch fixiert werden soU, die großen
Geländezüge, den Zusammenhang der Täler und Flußsysteme zu erfassen, als sich
in zeitraubende und für das Ganze wenig in Belang kommende Einzelheiten zu ver-
lieren, wie Aufzeichnung unwesenthcher Geländeunebenheiten, unwesentlicher Hügel-
und Talformen usf.
llö. Flächondeckuu^ mit weiiisrcii Aiifnahmoiustrumpntpn. Krokiertisch, nicht
Feiltisch. Wie man im Anschluß an einige wichtige Festpunkte mit \venigen In-
strumenten, selbst ohne Theodolit, die Flächendeckung bewirken kann, zeigt Fr. Jäger.
Das Dreiecknetz hat er sich mit Hilfe von Krokiertisch und Diopterlineal geschaffen.
Die Gegend der Riesenkrater im Hochland Deutsch-Ostafrikas war für dieses Ver-
fahren, das ich kaum als behelfsmäßige Triangulation bezeichnen kann, günstig, und
so kann es nicht wundernehmen, daß bei sonstiger Sorgfalt und Mühe des Auf-
nehmenden ein leidlich zufriedenstellendes Resultat erzielt wurde. Wenn aber Jäger
daraufhin freudig erregt zu dem Schluß kommt: ,,Es kann somit auch ein mit der
Handhabung des Theodolits und mit astronomischen Messungen nicht vertrauter
Aufnehmer eine in sich richtige Karte liefern"', ist dieser Ausspruch mit großer Vor-
sicht aufzunehmen, denn es könnte andere Aufnehmer in ganz anders geartetem.
' A. Wedeiiuyir innerhalb der Abhandlung von F. Jüger: DasHoihland der Rie«oiikiutor
und die umliegenden Hoc hl(inderDeut«ch-Ostafrika.s. Erg.-H. 4 der Mitt. ausd. deutech. Schutzgi>bieten.
Berlin 1911, S. 2.5.
* C. Uhlig: Die ostttf rikftuischi- Bnubstufo. Teil 1. Die Kurte. Ki^;. H.2 der Mitt. ausd. dput,-<(h.
S<lnitzgebietcn. Reiliii KlO'.t.
' Fr. Jäger, a. u. ()., ti. 22.
252 '^'P Kartenaufnabme.
gleich großem Terrain veranlassen, in gleicher Weise wie Jäger zu verfahren, und sie
würden zuletzt vor einem kläglichen Ergebnis stehen. Das Sicherste und Beste bleibt
stets trotz allem Ersatz die Festpunktbestimmrmg mittels Theodolit.
Jäger hat kein neues Verfahren angewandt, es ist das alte, besonders in Öster-
reich sehr beliebte Aufnehmen mit dem kleinen Meßtisch. C. Uhlig hat dafür
die Bezeichnung ,, Peiltisch" empfohlen^, die ich nicht glücklich gewählt finde, wie-
wohl sie schon Nachahmung gefunden hat.^ Denn mit „Peiltisch" wird nichts Charak-
teristisches ausgesagt, da jeder „Meßtisch" ein Peiltisch ist; sagt doch Br. Schulze
ganz ausdrückhch: „Das graphische Bestimmen von Eichtungen bildet diejenige
Arbeit, auf welche der Meßtisch in erster Linie eingerichtet und bestimmt ist."^ Wenn
Uhlig die Bezeichnung „Detaillierbrett" sprachlich unschön und wenig bezeichnend
findet, hat er recht; wenn er aber vermutet, daß sie von 0. Baumann in dessen
Aufsatz „Topographische Aufnahmen auf Eeisen" zuerst gebraucht ist, stimmt dies
nicht; Baumann entstammt der Wiener Topographenschule, wo der Ausdruck gang
und gäbe war und unter anderm in Zaffauks „Anleitung zum Krokieren" schon belegt
ist.* Hier finden wir auch andere Namen wie „Eekognoszier-", „Krokiertisch".
Wenn man schon einen Unterschied zum altbewährten Meßtisch der Landesaufnahme
durch einen Sondernamen ausdrücken will, ist die Bezeichnung Krokiertisch die
am besten passende.
Auf ein wesentlich anderes Verfahren als Jäger stützte sich F. Kohlschütter
bei seiner Karte des Ukingagebirges in 1 : 100000.^ Er arbeitete mit Theodolit und
Meßtisch. Ihm kam es nicht darauf an, eine Triangulationskette aus geschlossenen
Dreiecken zu schaffen, was ihm zuviel Zeit gekostet hätte, er begnügte sich mit einer
,, ungeschlossenen Kette" und führte so den Nachweis, daß eine ungeschlossene Tri-
angulation, auch ohne trigonometrische Signale, hinreichend genaue Festpunkte zu
Uefem vermag. Kohlschütter hat 400 Punkte in einem 2900 qkm großen Gebiet
angeschnitten, also im Durchschnitt 1 Punkt auf 7,2 qkm, was das für einen Grad
der Genauigkeit gibt, kann man aus den Untersuchungen der Genauigkeit, die ich
über topographische Karten im ersten Teil dieses Abschnittes angestellt habe, er-
schließen. Das zwischen den angeschnittenen Punkten liegende Gelände wurde nach
Augenmaß in recht ausgiebiger Weise eingezeichnet. Daß da ganz erhebliche Fehler
vorgekommen sind, gibt Kohlschütter selbst zu. Immerhin hat das Verfahren Kohl-
schütters den Eoutenaufnahmen gegenüber das voraus, daß es den topographischen
Karteninhalt weniger in Detail als gleichmäßig dicht und verhältnismäßig schema-
tisiert über das ganze Gebiet verteilt bringt. Ob es viel Nacheiferung finden wird,
ist fraghch. Die 2900 qkm hat Kohlschütter nach seiner Methode in 2V2 Monaten
aufgenommen, demnach 1160 qkm in 1 Monat oder rund 40 qkm an einem Tage,
1 C. Uhlig, a. a. O., S. 19, Anm.
- So z. B. durch A. Penck: Der Krieg u. das Studium der Geographie. Z. d. Gl-s. f. Erdk.
Berlin 1916, S. 170.
' Br. Schulze: Das miütärische Aufnehmen. Leipzig imd Berlin 1903, S. 120.
* J. Zaffauk: Gemeinfaßl. Anl. zum Groquiren des Terrains mit u. ohne Instrumente. 3. Aufl.
Wien 1883, S. 70.
' E. Kohlschütter: Triangulation und Meßtischaufnahme des Ukingagebirges sowie all-
gemeine Bemerkungen über koloniale topographische Karten. Mitt. aus d. deutsch. Schutzgebieten.
XXI. Berlin 1908. Ist ein Auszug aus dem II. Band der Ergebnisse der ostafrikanisohen Pendel-
cxixiUition der kgl. Gesellschaft der Wis.s. zu Göttingen in den Jahren 1899 — 1900.
Die flächpnhaftc Topographie. 253
ein topographisches Kunststück, das allerclinjjs durch Sven Hedius Aufnahnii-n
(S. 241, Anm. 1) noch übertroffen wird!
Deutsch-Ostafrika entwickelte sich vor dem Weltkriege immer mehr zu einem
übungsfeld der verschiedensten Aufnahmeverfahren. M. Weiß, der Topograph der
Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg, erprobte das Aufnehmen
mit dem PhototheodoHt, das gleichfalls auf Flächendeckung ausgeht, im Ivirunga-
Vulkangebiet Deutsch-Ostafrikas. Die Aufnahmen haben den Vorzug der Schnellig-
keit und Wohlfeilheit, indes haben sie gerade in Ostafrika gezeigt, daß die anfangs
gehegte Erwartung, in dem PhototheodoHt eiu universelles Vermessungsinstrument
zu besitzen, nicht in Erfüllung gegangen ist, weil Boden-, Witterung- und Vegetations-
verhältnisse für viele Gebiete, speziell für die tropischen Kolonien, dessen Anwendung
verbieten. Außerdem müssen die Aufnahmen in unzugänglichen Gebieten durch
anders geartete ergänzt werden, und so sind denn zuletzt die Karten von Weiß das
Ergebnis einer Kombination von Eouten- imd Meßtischaufnahmen, von Triangulation
und phototheodolitischen Messungen, i
116. Das geog;raphisch-topographische Programm einer Neuaufnahme. Klare
Beurteilung des aufzunehmenden Landes, erprobte Kenntnis der wichtigsten Auf-
nahmemethoden und sicheres Ziel geben jedem Aufnehmer das richtige Programm
seiner Tätigkeit im Felde. W. Penck hatte diese Aufgabe sicher erfaßt. Nun ergab
sich folgender Gang der Aufnahmearbeiten^: Anlage eines Grunddreiecks, dessen
einer Eckpimkt ein bis auf Bruchteile der Sekunde astronomisch festgelegter Ort
ist; Basislegung zwischen zweien der Eckpunkte; Bestimmung der astronomischen
Nordrichtung; Übertragung all dieser Daten auf einen Meßtisch, auf dem mittels
der Kippregel ausgewählte Punkte fixiert werden, und zuletzt die Übernahme dieser
Festpunkte auf einen Krokiertisch, auf dem mittels Diopterlineal weitere Festpimkte
niederer Ordnung gefunden werden, zwischen die das topographische Material hinem-
zukrokieren ist. — Das ist ein Arbeitsprogramm, das jedem Aufnehmer in Kolonial-
und verwandten Ländern empfohlen werden kann ; denn auf Grundlage einer solchen
läßt sich 's ersprießhch arbeiten und zu emem brauchbaren Ergebnis gelangen.
In den Kolonialländem sind bereits die verschiedensten Methoden angewandt
worden, um Festpunkte zu gewinnen. Dadurch ist aber nur hie und da Bresche in
kartographisch unerschlossene Gebiete geschlagen worden. Em emheitliches Vor-
gehen wird vermißt. Es ist eine merkwürdige Wahrnehmung, daß selbst Vermessungs-
behörden, die im Mutterlande Ausgezeichnetes leisten, im Koloniallande mit Experi-
mentieren von Aufnahmen begüinen und zwischen den Systemen hin- und herpendeln.
P. Gast, der sich auf Grund seiner langjährigen Erfahrungen als Chef der trigono-
metrischen Abteilung des argentinischen Generalstabes mit dieser Erscheinung ein-
gehender beschäftigt hat, erblickt in den obwaltenden Schwierigkeiten weniger einen
Ausfluß der technischen Seite der geographischen Landesvermessung als vielmehr
der Ungleichartigkeit der Spezialaufnahme und der sie tragenden Festpunktbestimmung,
' Das Vulkangebiet von Deutscli-Oatafrika in 2 Bl. bearb. v. M. Weiß nach eig. MeBtisch-
blättem u. phototheodolit. Aufnahm, unt. Benutz, des Horrraaim sehen Materials u. d. .Angaben v
Egon Fr. Kirschstein. Konstr. u. gez. v. F. Schriwlcr. 1 : 100000. .abgeschlossen 1911. - Der weiße
Fleck. Triang. u. in 2 Meßtischblättern aufg. v. M. Weiß, konstr. \i. gez. v. F. Si-hrüdcr. 1: lOOlXX).
Abgeschlossen 1911. Anlagen zu dem Werk Wiss. Ergebnisse der dcutechen Zentiulafrikae.\pedi-
tion 1907-1908. Bd. I. Berlin.
« W. Penck, a. a. O., S. 199. 200.
254 nie Kiiit.iirtufnHhiiic'.
welch' beide Arbeitsrichtungen bei der geographischen Landesvermessung nicht so
scharf wie bei der europäischen Landesaufnahme, die bekanntlich von dem Prinzip
des unabhängigen Nebeneinanderwirkens von Triangulation und topographischer
Spezialaufnahme beherrscht wird, zu scheiden sind.'
Bei der geographischen Landesvermessung bandelt es sich, wie Gast richtig
bemerkt, nicht um die Arbeit eines Einzehien, sondern um Massenarbeit. Infolge
der verschiedenen Vorbildung imd dem durch die verschiedengradige Widerstands-
fähigkeit den physischen Einflüssen gegenüber bedingten Wechsel des Personals ist
es notwendig, an die individuelle Technik des Personals denkbar geringste Ansprüche
zu stellen, d. h. mit andern Worten: die aufnehmenden Methoden so einfach wie
mögUch zu gestalten. Von dieser Überzeugung geleitet, stellt nun Gast folgende
drei Punkte für ein geographisches Vermessungsprogramm zusammen: Ausführung
von Stahlbandzügen, Schrittmesserzügen und Barometermessungen. Die Stahl-
bandzüge, die die im Flachland immer mißlich empfundene Triangulation ersetzen,
müssen nach MögUchkeit gestreckt angelegt und in der Weise verknotet werden,
„daß sich aus ihnen Netze von großen Dreiecken bilden lassen, in welchen jede Dreieck-
seite als durch einen Stahlbandzug indirekt gemessen auftritt". Hier liegt gewisser-
maßen eine Triangulation ohne Winkelmessung vor, die sich durch die Verringerung
des relativen Entfernungsfehlers auf große Strecken hin kennzeichnet. Die astro-
nomischen Ortsbestimmungen vermitteln den Gastschen Dreiecksnetzen lediglich
die allgemeLae Orientierung auf dem Erdsphäroid.
Die Zugpunkte der Stahlbandzüge fallen mit charakteristischen Gelände- und
Wegepunkten zusammen, imd da die Höhenwinkel jedes Stahlbandzuges, dessen Seiten
je nach der Geländeform verschiedene hundert Meter lang sein körmen, mit dem
Höhenkreis des Theodolits vor- und rückwärts gemessen werden, erhält man mit
jedem Zug ein geographisches Profil und zugleich wichtige Anhaltspunkte für die
Höhenbestimmung und -darstellimg. Von den Zugjjunkten aus wird ausgiebig krokiert
und nach geographisch bemerkenswerten Objekten gepeilt.
Die Schrittmesserzüge zweigen sich von den Stahlbandzügen ab und verfolgen
wichtigere Geländelinien, wie Wasserscheiden, Talsohlen, Kommunikationen usf.
Im Verein mit den von den Zugpunkten aufgenommenen Peilungen und Krokis Uefern
sie für die Flächendeckung der Karte das nötige Material, besonders wenn der Maß-
stab der Aufnahme kaum über 1 : 100000 hinausgeht. Die Barometermessungen
haben den Zweck, die Höhenmessungen, die durch das trigonometrische Nivellement
der Stahlbandzüge bereits angebahnt sind, zu ergänzen und zu verdichten.
Das Programm, wie es Gast für die geographische Vermessung von Kolonial-
und verwandten Ländern aufgestellt hat, wurde von der argentinischen Eegierung
angenommen und bei der zusammenhängenden geographischen Aufnahme (Original-
konstruktion und Krokierungen in 1 : 100000, Kartenmaßstab 1 : 200000) der Pro-
vinzen Entresios und Corrientes, des „argentinischen Mesopotamiens", durchgeführt.
Es hat die Probe auf seine Brauchbarkeit glänzend bestanden und läßt sich auf andere
Gebiete, die eine verwandte Oberflächengestaltimg wie die genannten argentinischen
Provinzen besitzen, direkt anwenden und bei nicht verwandten Geländeformen mit
kleinen Abänderungen.
' P. Gast: Geogr. Landesvermessung. P. M. 1911, 1. S. 87, 143 — 145. — Von der argen-
tinischen Landesvermessung. Z. f. Venn.-W. Stuttgart 1913, S. 761 ff.
Das trigonometrischf Skplett. 255
117. Die geugraphisehe Vermessiiug bei den Nordamerikauern. Der Begriff der
„geographischen Vermessung'" ist auch den Nordamerikanem geläufig, jedoch in
etwas anderm wie in dem Gastschen Sinne. H. Wilson, dem eins der bedeutendem
amerikanischen Werke über Vermessungswesen zu danken ist^, spricht von Erkundungs-,
topographischen und geographischen Aufnahmen (exploratory, topographic and geo-
graphic surveys). Der größere Unterschied ist zwischen der ersten und den beiden
andern Aufnahmen. Letztere beiden unterscheiden sich fast ausschheßhch durch
den Maßstab, im Genauigkeitsgrad der TerraindarsteUung und in der Beachtung
der der Erde eigentümlichen Gestalt. Topographische Aufnahmen verfolgen in der
Hauptsache technische, bzw. wirtschaftliche Zwecke und werden darum in mögüchst
großem Maßstab (1 : 2400) mit Berücksichtigung sämtücher Details ausgeführt. Für
diese Pläne, Katasterkarten, spielt, obwohl sie durchaus auf geodätischer Grund-
lage beruhen, die Erdgestalt keine EoUe. Die gleiche Grundlage haben sie mit den
geographischen Aufnahmen gemeinsam. Darum gehen die topographischen Auf-
nahmen, wenn ihr Maßstab kleiner wiid, ganz allmähüch in die geographischen über,
die bei der Wiedergabe der Messungen auf ein Kartenblatt die Kugelgestalt der Erde
zu berücksichtigen haben. Wird bei den geographischen Aufnahmen der Maßstab
kleiner imd das Gelände aUgemein, d. h. generaUsiert (by approximative methods)
dargestellt, dann tauchen sie unmerklich in die Erkundmigsaufnahmen (Eouten-
aufnahmeu, Rekognoszierungen) unter, die praktisch auf dasselbe Ziel lossteuern,
bloß mit dem Unterschied, daß es bei der geographischen Aufnahme wesentUch auf
Flächendeckung ankommt.
Die geographische Aufnahme eines großen Ländergebietes zerfällt nach ^^'ilson
in drei Teile, von denen der erste, die geodätische Aufnahme, sich wesentUch mit der
Übertragung der ursprünghch gewonnenen Fixpunkte auf die Kartenebene beschäftigt,
der zweite mit der Flächenaufnahme, wobei das ursprüngliche Pmiktsystem durch
Zwischeupunkte, auf dieselbe Ebene bezogen, verdichtet wird, und der dritte mit
der hypsometrischen Punktbestimmung. Die Ergebnisse der geographischen Auf-
nahmen gipfeln in der geographischen Karte, die es ermöghchen muß, ein so voll-
kommenes Bild von Grundriß und Gelände zu geben, wie es eben der Maßstab ge-
stattet, die gleichsam ein Bericht über die physikalischen und kulturgeographischen
Eigentümhchkeiten der aufgenommenen Eegion ist. Die geographischen Karten
bewegen sich in den Maßstäben 1 : 10000 bis 1 : 250000. Mithin sehen wir, daß die
Nordamerikaner unter geographic survey im großen und ganzen das. was wir als
Landesaufnahme bezeichnen, verstehen.
IV. Das trigonometrische Skelett.
118. Wesen der Trianguiieruns:. .leghciie topographisclu' Aufnahme liängt in
der Luft, wenn sie nicht in ein trigonometrisches Skelett eingebunden wird. Da die
Ausdehnung der Erdoberfläche in horizontalem wie vertikalem Sinne gemessen wird,
zerfällt die trigonometrische Tätigkeit in Horizontal- oder Lagemessuugen und
in Vertikal- oder Höhenmessungen. Ein Stück Erdoberfläche, das nicht allzu
H. Wilson: Topographic 8urvo>-ing. Including geographic, exploratory, and miliurj- mapping.
- loni
Xeuvork 1901
256 l^'*" Kai-tenaiifiialunc.
weit ausgedehnt ist, kann als eben betrachtet werden. Vor hundert Jahren etwa
nahm Joh. G. F. Bohnenberger die Größe dafür zu 200 qkm an; in Jordans Ver-
messungskunde lesen wir nur von 55 qkm = 1 Quadratmeile i. H. Wagner denkt
an 100 qkm mit dem Diuchmesser von 10 km, das wäre ein Stück Meeresoberfläche,
das man von 2 m Höhe über dem Wasserspiegel nach allen Seiten hin zu überblicken
vermag.- Indessen kann man für die Größe eines für Triangulationszwecke als eben
aufzufassenden Erdoberflächenstücks kein bestimmtes Maß angeben, da es lediglich
auf den Genauigkeitsgrad ankommt, den man bei den Messungen erzielen will, und
da können selbst 100 qkm zu groß sein. Eine derartig gewonnene Plächengrenze,
innerhalb derer sich die Kleintriangulierung, die Feldmeßkunst oder niedere Geodäsie
betätigt, spielt lediglich für die Lagemessung eine Kolle, für die Höhenmessung muß
die Erdkrümmimg früher berücksichtigt werden, da diese auf 1 km Entfernung
bereits 8 cm in der Höhe beträgt.
Die Triangulierung geht von dem Grundgedanken aus, daß mehrere Punkte
in der Ebene durch gerade Linien so untereinander verbunden werden, daß eine An-
zahl Dreiecke entsteht, von denen zwei benachbarte Dreiecke eine Seite gemeinsam
haben, und daß es genügt, nur die Winkel des Dreiecknetzes zu messen, wenn eine
Seite als Basis genau bestimmt worden ist. Mit der größtmöglichen Schärfe muß
darum die Grundlinie (StandHnie oder Basis) festgelegt werden. Sie darf über em
gewisses Maß nicht hinausgehen. Nach dem Vorgang von Gauß, dessen berühmte
Basis von Göttingen aus dem Jahre 1880 5193 m lang war, pflegte man im allgemeinen
eine Strecke von 6 km anzunehmen ; in neuerer Zeit nimmt man die Strecken möglichst
groß, bei Drahtbasismessungen solche von 30—40 km. Mit den heutigen Hilfsmitteln
wird die Basis auf etwa V500000 ^^^^ Länge genau bestimmt; imter Umständen werden
noch genauere Resultate erzielt.' Bestimmte Einrichtimgen und Meßinstrumente
sind zur Basismessung notwendig.* Das Meßverfahren, das heute am meisten und
mit großem Erfolge Ijenutzt wird, sich auch im Kriege bewährt hat, ist das von
Jäderin in Stockholm angegebene, bei dem meist 24 m lange Drähte aus Livar''
die Stelle der alten Stangenapparate vertreten.
Nach der Länge der Dreieckseiten, die bestimmt werden, hat man die Triangulierung
in verschiedene Ordnungen emgeteilt. Je nachdem die Dreieckseiten 20—50 km
und darüber, 10—20, 3—10 und 1—3 km lang sind, werden Triangulierungen L bis
IV. Ordnung unterschieden. Die beiden ersten faßt man als Haupttriangulierung
zusammen, die beiden letzten als Kleintriangulierung, die das Netz der Haupt-
trianguherung ledigUch zu verdichten hat. Die Triangulation IL Ordnung heißt
auch Zwischentriangulienmg. Während des Weltkrieges hatte es sich als nützlich
erwiesen, da die Triangulation I. Ordnung im Kriegsgelände so gut wie ausgeschlossen
war, von Triangulierungen L, IL und III. Klasse zu sprechen. Das Wort „Klasse"
statt „Ordnung" wmrde angewandt, weil man gewöhnt ist, mit dem Begriff der
1 W. Jordan: Handbuch der Vermessungskunde. II. 8. Aufl. Bearbeitet von O. Eggert.
Stuttgart 1914, S. 3.
2 H. Wagner, Lehrbuch, a. a. O., S. 91
= H. Wagner gibt a. a. O., S. 96 den Wert zu 1: 700000.
' Über die Basismeßapparate, die Geschichte, Genauigkeit und Schnelligkeit der Basismessungen
vgl. Jordan, a. a. O., n, S. 84ff.
^ Das Invar besteht aus 64% Stahl und 36% Nickel, sein Ausdehnungskoeffizient ist winzig.
Vgl. Jordan, a. a. 0., III. 1916, S. 64.
Dms trl^oiioiii.d-iMcli.- Sk.-leU. 257
„Orcluuiig'" eini- bestimmte Vorstellmig von den Längen der Dreieckseiten zu ver-
binden. Dreiecke der I. Klasse entsprachen hinsichtlich der Seitenlängen etwa denen
der II. Ordnung der Landesaufnahme. Die Punkte dieser Hauptdreiecke galten als
Punkte I. Klasse. Wo die vorhandenen Hauptpunkte I. Klasse weit auseinander
lagen und das (iclände hinrcicbfiid offen und ülicrsichtlich war, wurden Punkte
IL und IIL Klasse unterschieden. Die Punkte IL Klasse waren einzeln oder höchstens
paarweise nur von Hauptpunkten abhängig. Bei ihrer Auswahl kam es viel mehr
auf Erzielung günstiger Schnitte an als bei den Punkten III. Klasse, weil iine Fehler
sich weiter fortpflanzen als die Fehler der III. Klasse. In schwierigerm Gelände,
wo die für Punkte IL Klasse erforderhchen langem Sichten ohne zeitraubende Durch-
holzung und ohne besonders hohe Gerüste nicht zu erlangen waren, wurde von Punkten
IL Klasse abgesehen. Die Punkte III. Klasse wurden dann so ausgewählt, daß sie
in Form kleiner Ketten zwischen Hauptpunkten eingehängt werden konnten. Ein
Meßtischblatt in 1 : 10000 mußte etwa 12 Punkte erhalten, also die durchschnittliche
Entfernung von Nachbarpunkten durfte IV2 km im allgemeinen nicht überschreiten. —
Diese Kriegst rianguhermig ist ein interessanter Beleg dafüi-, wie schnell und gut
liraucliliar sich selbst die Triangulierung auf eigenartig gegebene Verhältnisse ein-
zustellen vermag.
In der Praxis hat es sich herausgestellt, daß die Längen der Dreieckseiten von
20— 50 km die geeignetsten fi'ur die I.Ordnung sind; sie können das Maß noch be-
deutend überschreiten, da längere Seiten den kürzern gegenüber, die allerdings leichter
zu messen sind, rein theoretisch schon im Vorteil bezüglich der Azimut- und Längen-
übertragmig sind. Betragen sie 200 km und mehr, dann reicht Heliotropenlicht nicht
mehr aus und elektrisches Licht mit Nachtbeobachtung muß zu Hilfe genommen
werden. Schon Gauß versvendete eine Länge von 106 km zwischen Brocken und
Inselsberg. Das jMittelraeer wurde mit einer Seitenlänge von 270 km zwischen Mula-
hacen in Spanien und Fühaoussen in Algier trigonometrisch überspannt. ^ Von emer
Seitenlänge von 294 km zwischen Uncompahgre und Mount Ellen berichten die Nord-
amerikaner*, und Hehnert spricht von den bis 840 km weiten Sichten der Engländer
in der Himalayagegend.^
Beträgt die Länge der Dreieckseiten nicht mehr als 10 km, kann die Erdkrünnuung
oft vernachlässigt werden. Darüber hinaus müssen die Dreiecke als sphärische Drei-
i'cke, deren Winkelsumme großer als ISO" ist, behandelt werden. Der t'berschuß
der Winkelsumme über 180" heißt der sphärische Exzeß, der bei einem gleich-
seitigen Dreieck von 200 q km Fläche, also mit Seiten von 21Vo km, = 1 Bogen-
sekunde beträgt, bei einem gleichseitigen Dreieck mit den Seiten von 1" = 15 geo-
graphische Meilen = 111 km bereits 27 Bogensekunden, während er bei ehiem gleich-
seitigen Dreieck mit den Seiten von IIV4 km, welches Dreieck eine Quadrat nieile
= 55 qkm umfal.5t, noch nicht eine halbe Bogeusekunde ausmacht.'
Wie im kartograjjhisch unerschlossenen Flachland, wo die Erkvuulung regulärer
Dreiecke oft auf außerordentliche Schwierigkeiten stößt. Polygonzüge, die zu großen
ideellen Dreiecken M'rknüitft werden, an die Stelle dei- regulären Triangulierung
Tii'pied: La gi'iidcsie frain,ai»i'. Keviie siiontifinui- \eiM 21, \\i^. Iss
r. 8. Geod. survoy tmnscont. trianRul. 1000, S. M't.
F. H. Helmnt: Die matli. 11. phys. Tln-orii'n clor liöhoni Oi'nclnsie, 1.
\V. .Inrdan. n. a. O., Hl. Ü. Anfl. liUf.. S. 24ti.
258 l>'i' KMiteiiaufiLiliiiK-.
treten können, zeigt das Vorgehen der argentinischen LancU's;nifnahme unter der
Leitung von P. Gast in den Jahren 1006—1909.1
119. Zur fioschielife der Triangulicrunj;. Die altern Tiiaii!;uli(Miiiiseii. l^cni
Auf;<ch\vung und der schnelk'ii Kntwifkhmg der Triaiigulioiiiiig liegen zwei Mo1i\'e
zugrunde, einmal das wissenschaithche Interesse an der Erkenntnis der Erdgestalt
und sodann die Einsicht von d(»m Werte guter topogra]ihischer Ivarten für militärische
/wecke.'- Die eigentliche Entwicklung drängt sich auf rund hundert Jahre der 18.
tuul 19. Jaiu'hunderts zusammen, Avährend die Spuren d(^r Triangulierung schon in
altersgraue Zeiten zurückreichen. In großtuerischer Weise schreiben die Chinesen
in ihrer Geschichte, daß sie bereits .8000 v. Chr. die Kunstfertigkeit besaßen, Gegenden
aufzunehmen. Sichere Nachweise gibt erst das 4. Jahrhundert nach Christus. ]^ei
den alten chinesischen Aufnahmen wurde keinesfalls trianguliert ; es handelt sich
dabei um einfache Geviertaufnahmen in der Weise, daß die Geviertseiten ein be-
stimmtes chinesisches Längenmaß ausdrücken.* Auch suchen wir auf den chine-
sischen Karten vergeblich nach Angaben und Tatsachen, die auf astronomische Längen-
und Breitenliestimmungen zurückgehen. Bei den im 17. Jahrhundert von katho-
lischen Missionaren vorgenommenen Dreiecksmessungen handelte es sich, wie bereits
Ijemerkt, um einige untergeordnete Teilmessungen. Dagegen waren die alten ägyp-
tischen Landmesser mit den hauptsächlichsten Triaiiu'ulalidiismethoden vollständig
vertraut. Lyons hat uns mit diesen Arbeiten näher Ifckaniil gemacht, er gibt zugleich
AlJjildungen aus Theben, die die alten Landmesser bei der Arbeit zeigen.* Höchst-
wahrscheinlich waren auch die alten Mexikaner mit der Dreiecksmessung ver-
traut; denn wir hören, daß besondere Beamte (Landmesser) die Katasterkarten auf
dem Laufenden zu halten hatten, da alles Eigentum wegen der Steuereinnahme ver-
messen war.^
Das mönchisch denkende Mittelalter war exakten mathematischen Aufgaben
nicht zugänglich. Mit der Eenaissance und der Wiederbelebung des Ptolemäus er-
wachte das Bedürfnis nach guten Karten. Gute Karten aber müssen in der Natur
aufgenommen werden. Man grub den alten Methoden nach, verbesserte sie und
gewarm neue Gesichtspunkte im Aufnahmeverfahren. Das grundlegende Werk ist
der 1538 von Gemma Frisius herausgegebene „Libellus de locorum describendorum
ratione"*, worin drei Arten der Landesvermessung unterschieden werden. „Negare
})rofecto non possum, (piin omnium modorum certissimus in hac re sit is qui per longi-
tudines ac latitudines loconim incedit, postea autem is qui per latitudines et angulos
positionis regiones describit: Ultimo vero loco qui per stdos ]iositionis angulos agit.
1 P. Gast: Das polygonoinetrische Triangulierungsverfahrcn der argentinischen Landesauf-
nalinie. Z. f. Verm. Stuttgart 1910, S. 425ff., 449ff. — Die Triangulation von Kolonialländern. Z. f.
^•fl■m. 1910, S. 721 ff.
- .Ich. Frischauf: Die mathemat. Grundlagen der I.iandesaufiuilniic und Kartographie des
Erdsphäroids. Stuttgart 1913, S. 149.
" K. A. Skatschkof: Die geogr. Kenntnisse der (ihinesen. 1'. M. ISdS, S. .S.VJ.
■' H. G. Lyons: The cadastral suriey of Egypt 1892 1907. Cairo I90H. (Minislry of Finance,
Egypt. Survey Departements.)
5 Nouv. Ann. des voy. IS.'SR. IT. S. :?09. H. Baue ruft: Xativo Kaccs nf tlie Pacific States.
187.5. II. S. 488, Anm.
» Vollständiger Titel: Lilielhis de loconiiii dcscrihcnderiiMi ratioiic et de coiuin distantiis in-
venicndis nuni^uaiii ante hac visus. I'cr Gcnimain Phiysiiiin, Antwerpen ]r)?,:\.
IHx ti-igonoiiiftn.selio Skelett. 259
Quvm luüdiini hie piiiuiiiii iioninius, eoque alii« facilior sit et vulgarior." Das Werk
von G. Frisius benutzte zum großen Teil Seb. Münster, nicht bloß in seiner Cosmo
graphia (1544), sondern schon in der 1530 herausgegebenen kleinen Schrift Mappa
Europae.i Ferner lehnte sich an Frisius, ohne ihn zu nennen, Georg Joachim
von Ijauchen an, bekannt als Joachim Rhaeticus (t 1574), ein Schüler des Coper-
nicus. Er schrieb bei der Gelegenheit eines Entwurfs einer „tabula chorographica"
im Herzogtum Preußen in deutscher Sprache eine Chorographie^, worin er „fiererley
weiss und art" angilit, ..die Chorographicas oder lands tafflen zw machen". Durch
Auftragen der Längen und Breiten (,,dise weiss muss man den Mathematicis lassen"),
mittels Itmerar imd Zirkelschnitt, durch eine Winkelmessimg mit Kompaß und
mittels Kompaß und Itinerarbenutzung. Es scheint nicht ausgeschlossen, daß Frisius
sowohl wie Rhaeticus aus einer gemeinsamen Quelle, die bis jetzt noch unl)ekannt ist,
geschöpft haben. Auch Hirsch vogel, dem Wellisch die Priorität in der Trian
gulierung zuzusprechen versucht^, wird von dem Werke Frisius sicher Kenntnis
gehabt haben, als er bei seiner Aufnahme von Wien im Jahre 1547 von sechs Stand
l)unkten aus Winkel bestimmte, ohne jedoch eine Basis gemessen zu, haben. Das
selbe muß man bei den kartographischen Arbeiten für Nürnberg und Umgebung
von P. Pfinzing in den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts feststellen, obwohl
ihnen große Genauigkeit nachgerühmt wird, da sie mit Bussole und einem von Pfinzing
eigens konstruierten, an einem Wagen angebrachten Schrittzähler vermessen waren.*
Über die Art und Weise, wie man bei der für die Kulturgeschichte Sachsens einen
l'jhren platz beanspruchenden Landesaufnahme von Matthias Öder und dessen
Vetter Balthasar Zimmermann, die unter Kurfürst August begonnen und bis
in den dreißigjährigen Krieg hinein fortgesetzt wurde, verfuhr, sind wir ziemlicli
genau unterrichtet; die Aufnahmearbeiten waren nicht für die Öffentlichkeit l)e-
stimmt. Dabei wurde mit Meßschnur, Quadrant und Bussole gearbeitet und die
Vermessungen in Vermessungsjournale eingetragen'^, vom Abstecken einer Basis
verneluuen wir auch hier nichts, wohl aber erst 1780 auf der Ebenheit am Fuße des
Liliensteins in der Sächsischen Schweiz«; die Arbeiten der Triangulation lagen in
den Händen des Majors Friedrich Ludwig Aster; sie begannen also in einer Zeit,
\vi) man in Dciilscliliiiid iiml an(l(>rwärts allgemciu mit dm Ti-iaiigulaliotn-n anfing.
ITt'it boriclili'i Osirrwald vnn einer gemessenen (Iniiiilliiiie \nn Mnnclieii \i'\< Macliau.'
' \r,-M uml 15.-,8 niMi aufKcIo};! unter .Iciii Titel: Cosinofirapliei Mappa Kuniiuie. Vgl. V.Hantzseh:
Seil. Miinsteis Lehpii. Werke und wisseaseliaftl. Uedoulung. .\l)li(ll;..;n. der |>liil.-liist<M'. Kl. iler kgl.
säehs. Ges. d. Wiss. XVIII. S. 39, 148, Mi).
•■' Cliorogiaphia /terofd)./ nuwh (k: ,!. Hliaetien ete. Vitonl.eij.' MDXLl. Vj;!. V. Hipler:
Die Geographie dos Joaehim Rhactievis. Z. f. Math. u. l'l.ysik. -XXl. Hist.-lit. .M.titr. I.STC. S. llV.
l.i» 1.50.
'■' Vgl. Zeitschrift des Österr. Ingenieur- und .Vrehitektenvorcins 1888, S. ">;"):(.
^ P. Pfinzing: Das Anipt Horsbriiek samt den darin liegpndon .\inptoni Roieheneek. Knpel-
thal u. Höllenstein, lüitti. 12 Bl. ungef. in 1: Hir>fH). [Xürnhcrger Kreisarehiv.]
•'• Von den Vennessungsjournalen gibt es noeh eine roielie An/jUd a»is den .Fahren UW.i lO.'M.
die in\ Hauptstaat.sarehiv Dresden, lioe. !)7I12, aufhewahrt weitlen: sie dient*'n zur Herstolhmg der
Sfiozialrisse, mit denen die oigcntl. Landtnfel im MaIJstal) von etwa 1 : l'iOtK) z\isammenge.setzt wunle.
» Vgl. F. VV. Hanseh: Gosehiehte de» Kgl. Siieli». Ingenieur- un.l Pionier Koriw. I)res<len IStlS.
Der .Vbsehnitt über die IjandesvennCHsung S. 135 144.
' Pet. von Ostervvald i. d. Abh. doi rhiii-flil-stl.-lmier. Akad, der Wiss. IF. Mitn.hen ITIH,
s. :!ni :iHf,
IT
260 1'"' K:u-I.^..:nd,inl.in,-.
Wpsentlich ausführlicher als Ehaeticus hat nach dem Vorbild des G. Frisius
der Schweizer Seb. Schmid 1567 seine „Chorographia et Topographia" verfaßt.
Das schwierige Thema sucht er ebenso selbständig wie leicht verständlich darzustellen. ^
Er verfehlt nicht, die verschiedenen AnfiuihmemGthoden (wys und form) an prak-
tischen Beispielen zu erläutern. Mit den Arbeiten des Ehaeticus war Christoph
Puehler -vertraut, der in seiner Kurzen Anleitung zum rechten Vorstand gcometriae,
Dülingen 15^8, die Aufnahme eines Dreiecks durch Winkelmessung und Berechnung
der übrigen Seiten durch die ..(aliula siinini et cliordannu" zeigt. Die Arl)eiten
Euehlers waren 1'. Aiiiau nicht imliekannl uiul ilauiit aucli nicht die Triatiguliennig,
weshalb es liuclist wahisclieinlicli ist. dal'. Apian die Tnangulienui- hei der Her-
stellung seiner großen l\arte von Üayern mit verwendet, liat.-
!•_'(». Di«' nutderui" Triaugiilicrung-. Deutschlands mustcrgültis«' Vcrmcssungs-
ailM'ilcii. Die Triangulierung im heutigi'n Sinne, d.h. die Wmkel im Grundriß ge-
messen unil trigonometrische Bereclmung auf Grund vorher bestimmter Basis, geht
auf den Niederländer Snellius (Willebrord Snel van Eoien, 1580—1626) zurück.'
V.Y verwandte das Dreiecknetz, wie später noch viele andere, zur Gradmessung zwischen
Alkmaar und Bergen op Zoom. Direkt zin- Landesaufnahme wurde es Kl'iO von
\V. Scbickhart in Tübingen benutzt.' Snellius und Schickhart halien die neuere
Triangulierung begründet^; die eigentliche und intensive Entwicklung setzte erst
anderthalb Jahrhunderte später ein. Schickharts Landestriangulierung fand zunächst
wenig Nacheiferuug. Man ist erstaunt, wie wenig die Aufnahmemethoden den Karten
zustatten kamen; und so konnte Joh. Tob. Mayer jun. von den 4000—5000 Origmal-
karten seiner Zeit urteilen, daß sie meist nur aus Eeiserouten zusammengeflickt seien
oder von Geometern herstammen, die keine Fertigkeit in Winkelmessung und Orien-
tierung haben.* Gute Triangulierangsarbeiten älterer Zeit knüpfen sich an die Namen
1 Chorographia et Topographia. Underrichtung, wie man lecht und kunstlich ein iede land-
schaft abcontrefehen und in grund legen solle, dur M. Sebastianura Schmid zu besonderem wol-
gefallen etlicher siner gut^n günner und diser kunst hebhaberen zusammen getragen u. vertütscht
anno domini 1566. — Vgl. ]lud. Luginbühl: Die Anfönge der Kartographie in der Schweiz mit
S. Schmids Anleitung zum Kartenzeichnen a. d. J. 1566. Aus der Festschrift zur 49. Versammlung
Deutscher Philologen u. Schulmänner. Basel 1907.
2 Um die Aufhellung dieses Punktes hat sich Ma.\ Gasser durch verschiedene Untersuchungen
Verdienste ei-worben; u.a. vgl. seinen Vortrag „Zur Technik der Apianischen Karte von Bayern" in
den Verh. des XV\. Deutsohen Geographentages zu Nürnberg. Berlin 1907, S. 102 ff.
3 Sem beriihmtes Werk ist betitelt: Eratosthcncs Bata\us, de terrae ambitus vera (|uantitati',
a Willebrordo Snellio Ju'c töjv t'^ ünou/rifiÜTUii fieiQvaÜP ütonrowc Suscitatus. (<) quam
contemta res est homo, nisi supra humana .se croxcrit) Lutrduni Batavonnii ai)Vi(l .Iddocuiii -i Colstcr.
Ann. CIOIOCXVIl (1617). [K. Bi. Berlin.]
* Schickharts kleine Schrift erscheint 1629, nochmals gedruckt nach sciuiiii Ttnlc; Kurtzc An-
weisung, wie Künstliche Land-Tafeln aus rechtem Grund zu machen, und die bissher begangene Irr-
thumb zu verbessern, sampt etlicli New erfundenen Vörthebi, die Peius Höhin auffs Icichtest, und
doch scbarpff gnug zu forschen. Dtnch Herrn Wilhelm Schickharton Soel. gewesenen Professoni
in Tübingen. Kmendationis priniiis et gradus. lOrrciicTii detcxissc, 'l'iil)int;cn. \'cili-f.'tN .(oluuin Georg
Ootta. Im .lahre 1669.
'" Snellius und Schickhart haben auch die erste geodätische Kückvvärtseinscluicidcaufgabc
mit Konstruktion und mit trigonometrischer Berechnung gelöst. \'gl. W. Jordan: H.uidlnicli dir
Xenni^ssungskmide. II. Stuttgart 1914, S. 386.
'^ .Joh. Toh. Mayer: Gründlicher und ausführlicher Unterricht zur praktischen Geometrie.
I. .\ufl. Erlangen 1778 — 1783. Davon der 4. Teil: Vollständige und gründliche Anweisung zur Ver-
zeichnung der Ijind-, See- und Himmel.scharten und der Netze zu Coniglobien und Kugehi.
Das trif;«iioiiii-h-iscln- Skelett. 'J(;|
11. f. Gyger (t 1674). H. IVycr (t 1R90). Schleensteiiis Karte von Hessen-Cassel
aus dem Jahre 1708 iiml Krii. \ . Klieiiieeks Sj)ecialcliarte des Rheinthaies werden
..als fast fehlerfrei" lieziij;licli dir I)n ii ckaufnahnie geiühnit.i Bis Ende des IH. Jahr-
hunderts waren die Landesauliialinuii noch uieiit vollständig von dem Bewußtsein
einheitlicher 'J'riangulationen durchdrungen. Kein topographisch war schon mehr
geleistet worden, wie wir das von den Arbeiten der beiden Grafen von Schmettau
(Vater und Sohn) kennen, desgleichen von preußischen, sächsischen, hannoverschen
und nissischen Offizieren. Aber im Hinblick auf die Triangulation .schreibt 1791»
der königlich preußische Artillerieleutnant v. Textor an v. Zach: „Alles, was in
Preußen an Karten vorhanden ist, kann man nur als Wische ohne die mindeste
Richtigkeit betrachten, demi eigentliche Messungen und Beobachtungen sind erst
seit drei Jahren vorgenommen w-orden."^ Kaum besser ist das Urteil über die öster-
reichischen Karten jener Zeit.* Trotzdem gibt es doch einzelne gute Aufnahmen,
die die Gnmdlagen genauerer Karten wurden. Eine der bemerkenswertesten ist die
Basismessung auf dem Eise des (ireifswalder Boddens im Jahre 1757'', die von Andreas
Mayer, Mathematikprofessor an der (ireifswalder Universität, ausgeführt wurde
und einer Karte Schwedisch- Vorpommerns, des heutigen Neuvorpommerns, zugrunde
liegt, etwa in 1 : 210000.^ W. v. Goethe, der allem Wissenswerten semer Zeit das
größte Interesse entgegenbrachte, wußte, daß mit der Magnetnadel lediglich eine
Kartenskizze anzufertigen war. dagegen die genauere Aufnahme der Triangulation
be<lurfte.«
Während des 17. und 18. Jahrhunderts und tief hinein in das folgende Jahr-
lumdert wurde die Trianguheruug in der Hauptsache von Gelehrten gepflegt. Ihnen
kam es vor allem auf die Feststellung der Erdgestalt mit Hilfe von Gradmessungeu
au. So ist die Geschichte der Triangulierung zugleich eine Geschichte
der Gradmessungen." Sie setzten im 17. und 18. Jahi'hundert ein und haben
die Triangulation und deren Methode bedeutend gefördert. Picard begann seine
1 J. Früh: Zur (i.stl.ichti- .l.r T.riaindar.stellun;.;. K.ttl. '/.. f. «is-. (Vo-i.. II. Uhi ISIS.
.'S. i.->ti. |.-)-.
- Köni-rsljerg, d. il. .Miiiv.. und Molin.ivJ.Mi. d. .".. Mai ITIHI. V-l. v. Zacli: .M..n..tlirh.- C.m--
.-II..M.I.1./.. I. 18()0.
^ G. Bancalari: Studien itl)or d. oslci i.-iuiuai. .Militai-Kiiil<>i;ia|>liii-. S.A. aus di-ni Oif^aii
diT .Vlilitär-wissenschaltl. Veifinc. Wien 1«)4, S. 12.
* C. Drolsliagcn: Eine Basismessung auf dem Eise des Oreifswalder Boddens i. .1. I7.'>7. Z. f.
Nenn. 1920, S. 695 ff.
^ Der Titel der Karte lautet: Pomei-aniae Antciioris Svedicae ae rrineiiJatus Uu-^iae tabula
nova. A.stronomicis obsei-vationibiis et jieonictricis dinicnsionibus superstnicta. Illustribus ae si>len-
didisaimis Status Oitlinibus in devotissimi atque j;iutis$imi aninii Tesseram dieata ab Andrea Mayer,
l'rof, Mathem. et Pliys. Exp. Reg. Seient. .\cademiar. Holmiens. Beml. atque Institut) Bonon. Sini".
at<|ue cxeusa a Tobia Conrado Lottor Geogr. Atig. V. (= .\ugusta Vindeliconnn).
• In Goethes „Wahlvervvandt.sehaften" heißt es I. Teil, :5. Kaj). : ,J)as Ei-ste, was wir tun sollten",
saji^e der Hauptmann, „wäre, dalJ ich die Gegend mit der Magnetnadel aufniilnnr. Es ist »las ein leiehtes,
heiteres Geschäft, und wenn es auch nicht die größte Genauigkeit gewährt, so bleibt es do«'h immer
nützlich und für den .\nfaiig erfreulieh; auch kann man es ohne große Beihilfe leisten und weiß gewiß,
daß man fertig wird." Das 4. Kap. fängt sodann an: „Die toimgrapliische Karte. n>if welcher diws
(}ut mit .seinen Umgebungen nach einem /.iendich gi-oßen Maßstäbe chamkteristi.-'ch und faßlich dunh
Federstriche und Farben dargestellt war, und welche der Hauptmann durch einige t rig<Hiomet risehc
Messimgen sicher zu gründen wußte, war bald fertig."
' Vgl. \V. .Tordan: Handbu.h .Icr Vcrmes.sungskutid,-. I. «.Aufl. I. Stuttgart 1910. S. 46«ff.
Ilui «inl auch auf «ichtigcic [..ilcratur hinL'cwiceu.
262 ''"■ Kartoiiaiilii;ilMrir.
(Inuliiicssuii',' Paris-. Viiiinis ItWiD; ]C>S:! «iinlc sii- \(iii .1. |). ('a>>iiii liis zu ih'ii
ryruuäi'U furtgcsctzL uiul 171S mit iKt iiurdliclKii \'iTläiigmi!iy nacli Düukiri-liiii
zum Abschluß gebracht, t'ber die Genauigkeit der Triangulation hören wir jdloeb
erst bei den 1730 ^ orgenomnif nen französischen Gradmessungen in Fdu durch
de la Cüudaniiue und in Lappland durch Maupertuis. Wichtig -wurde auch die Grad-
messung von Mt'chain und Delambre aus dem Jahre 1792 zwischen Dünkirchen und
Barcelona. Durch die verschiidmeu Gradmessungen -war Frankreich mit einem
Ketz erster Ordnung überspannt worden, das der großen und für ihie Zeit un-
eireichten Karte von Frankreich, die 1750 durch C. Fr. Cassini begonnen wurde,
zugute kam.i In Großbritannien begannen 1788 die Triangulierungiii unter ]^oy
und wurden 1858 unter H. James und A. E. Clarke abgeschlossen. ^
Zu großer Bedeutung gelangten die ausgedehnten Gradmessungtn in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts, wie in Eußland durch F. G. W. Struve, in Däne-
mark durch Schumacher. In jene Zeit fällt die „Hannoversche Gradmessung"
zwischen Göttingen und Altona von Gauß, 1820—1825. Dazu hatte Gauß mehrere
klassische Arbeiten veröffentlicht. ^ Der hannoverschen Gradmessung reiht sich
würdig die Gradmessung in Ostpreußen von F. W. Bessel* an und auf diesen
wiederum gestützt die Küstenvermessung von J. J. Baej'er.'' Vorstehende Werke
haben den wissenschaftlichen Grund für die preußische Landestrianguüerung gelegt.
Später hat das Kgl. Preußische Geodätische Institut verschiedene gi-ößere Trian-
gulierungsarbeiten ausgefüln-t."
Das erste deutsche geodätische Zentrum war zu Anfang des 19. Jahr-
hunderts nicht im Norden, sondern im Süden Deutschlands geschaffen worden. Für
die gesamte Landesaufnahme des Eeiches wirkte bahnbrechend die in Bayern durcli-
geführte erste zusammenhängende Triangulierung und Landesvermessung mit recht-
winkligen Koordinaten. Der Astronom und Geodät Job. G. v. Soldner (177(5 l>is
1 Zur Geschichte des Kartenwerkes vgl. die 5. AbhdJg. des Werkes: Momoircs poiir senir ä
riiistoiie des sciences et ä celle de l'observatoire royale de Paris, suivis de la vie de J. D. Cassini derito
par lui meme, et les dlogcs de pliLsieurs acaddiuiciens niorts jicndant la rdvolution par J. D. Cassini,
ci-devant Dii'ccteur de l'observatoire royal de Paris. Paris 1810.
2 S. das Werk: Ordnance trigonometrical survey of Great Britain and Ireland. Account of the
ubscrvations and calculations of the principal triangulation and of the figui'e, dimensions and uieau
«jx-cific gravity of the carth as derived from, etc., by Captain Alexander Ross Clarke ander the
dircction of Colonel H. James, Superintendent of the Ordnance survey. London 1858.
•■' Unter ihnen die Theorie der Triangulierungsausgleichung ganzer Ketze nach bedingten Be-
obachtungen; veröffentlicht in: Supplcmentum theoriae combinationis crroribus minimis obnoxiae,
societati regiae exhibita Sept. 16. 1826. (Comraentationes societatis regiae scientiarum Goettingensis
reeentiores. Vol. VI. 1823-1827,8.57-98.)
* Das Werk selbst ist betitelt: Gradmessung in Ostpreußen und ihre Verbindung mit preußischen
und nLssischen Dreiecksketten, ausgeführt von F. W. Bessel, Direktor der Künig.sberger Sternwarte,
Baeycr, Major im Generalstabe. Berlin 1838.
* Niedergelegt in dem Werke: Die Kiistenvcrniessung und ihre Verbindung mit der Berliner
ftrundlinie. Ausgeführt von der trigonometrischen Abteilung des Gcneralstabes. Herausgcgeb. von
.1. ./. Baeycr, Oberst u. Abteilungsvorsteher im Generalstabe und Diiigent der trigonometrischen
Abteilung. Bcriin 1849.
" Ein ausführhcher geschichtlicher Kommentar zu den trigonometrischen Theorien, wie sie für
das deutsche Kartenwesen und A\ifnahmewesen bestimmt geworden sind, s. in dem Werk : Das deutsche
Vermessungswesen, historisch -kritische Darstellung, auf Veranlassung des Deutschen Geomete^^'ereins
unter Mitwirkimg von Pachgcnosson, hg. von W. Jordan und K. Steppes. Stuttgart 1882. I. Bd.
Höhcrc Geodä.sic und Topograjiliic-. TT. Bd. Das \'cniicssung8wcscn im Dienst der Staatsvcnvaltung.
Das Nivclli.T.ii. 263
1H33) war reich an Ideen und die treibende Kraft der neuen bayrischen Landes-
aufnahme. ^ Die sphäroidischen Soldnerschen Koordinaten haben seit 1810 in der
Landesvermessung und besonders in der Katastrierung eine große Rolle gespielt
(s. S. 1S7). Von ähnliclier Bedeutung wie Soldner für Baj-ern war für Württemberg
Joh. F. F. Bohnenberger (f 1S31), Professor in Tübingen und wissenschaftlicher
Leiter der württembergischen Landestriangulation. 2 Die andern deutschen Staaten
traten bald in die Fußstapfen der ausgezeichneten Arbeiten in Bayern, Württemberg
und Preußen.'
Deutschland war im l'.l. .Jaluluuulert in allen ttiiitrn ^Vrmessungsarbeiten
für die ganze Welt mustergültig geworden, und wo man nur irgendwo auf genaueste
Messungen Wert legt, kaim man an den klassischen deutschen Yermessungswerken,
ohne von ihnen gründlich Kemitnis genommen zu haben, nicht vorübergehen. Diese
Kemituis schöpft allerdings tief aus dem mathematischen Bronnen. Den Geographen
würde sie viel zu weit von seinen eigentlichen Aufgaben abführen. Insonderheit hat
der Geograph, er sei denn Geophysiker, nichts mit den Genauigkeitsuntersuchungen,
die für den Geodäten der Anfang und das Ende aller feinern Messungen sind, zu tun;
indessen kami er, schon wenn er mit den Hauptergebnissen dieser Untersuchungen
\ertraut ist, mit ganz andern Augen an kartographisch-kritische Studien heran-
treten als ein mathematisch ungeschulter Geograph.
V. Das Nivellieren.
lil. >\i'seu iiud Aufgaben der .XivfUleruu!;. Seltener noch als das Trianguüeren
tritt das Xivelüeren an den Geographen heran, obwohl es die feinste und beste Methode
der Höhenbestimmung ist. Die Höhen lassen sich barometrisch, trigonometrisch
und nivelütisch bestimmen. Die Genauigkeit dieser drei Höhenmessungen steht in
direktem Verhältnis zu der bei jeder Methode aufgewandten Arbeit. Arbeits- und
Zeitaufwand sind am größten beim Nivellieren und das Ergebnis infolgedessen auch
am genauesten, während am ungenauesten bei der leichter zu handhalieuden bam-
iiu>( rischen Höhenmessung. Nivelheren heißt Höhenunterschiede benachbartir Orte
mit Hilfe von Nivellierüistrumenten festlegen. An die Konstruktion solcher In-
strumente winde erst herangeschritten, nachdem Picard 1674 zum ersten Male das
Femrohr zum Nivelheren gebrauchte. Mit der Leistungsfälligkeit der Instrumente
haben sich die Messungsmethoden der Feiimivellements, wie sie bei ausgedehnten
Landesnivellements angewendet werden, entwickelt.
* Vgl. Die bayiischc Landcsvcnucsaiing in ihrer wissensehiiftliflieii Gnmdlane, lig. von d. kgl.
.Steuerkata.storkün\ini.-f.sion in Gt'mcinschaft mit dem tojwgr. Bureau des kgl. Gt-nei-alstahs. Miuiehcn
1873. 1. .\bsclin. Die Gnnidlinien, lx>ail). vom DirekU)r v. ßauernfeind; 2. bi.s 3. .\bsehu. Triangu-
lienmg vuid Oiudiue.ssungsix-sultatc, iH'arb. von Olx'i-stl. v. Orff. Verner das Werk von .\mann:
Diebayr. Lande.tvermes.sung in ilirergcschielitlielien Knt»ioklmig. 1. Teil. Die -Aufstellung des Laudes-
vcrmcs-sungswerkes 1808 — 187L Im Auftrag des kgl. Kataäterbuivaus dargestellt. Miinelien lOOS.
- Bolmenbergers theoretische Geodäsie heißt: „De computandis diniensionibiis trigonomctricis
in suiK'rficic terrae sphaeroidica institutis eommentatur Juan. Tluxi])liil. Frider. Bohnenberger.
ordinis philosophiei T. T. Decanus. Tubingae litteris Ernesti Eifcrti 182(>. — Kino deut«ehe Ik-arlieitung
hat E. Hammer, Stuttgart 1885, geliefert.
' Von gesohiehtlichem Interesse ist die Vennessung des „Bergisohcn Landes" 18(V5--18(Hi
dunh J. F. Benzeuberg, iiLsofem sie die letzte deutsehe Triangulierung mit dem .St-xtanten, alsi> noch
ohne Theodolit, ist.
2H4 l>i'' Ivu-t.-naufn.ih.n.-.
•Icilc >\>lciiiM(i^clic' .lldlii'ulicslimmung grümli'l sit-h liciil/.iila'^c auf s(i>^L'iumiiU'
ilolicufi'stiuuikti'. die in \ ('r.si'liicili'iieii großen Absläiulni diircli das Ni\('llit'riuigs-
vi-rfiihren der Landesaufiiabmeii gewonnen wtrdcn. (iewdhnlicli folgen diese Nivel-
lierungen den großen Staatsstraßen, Eisenbahnlinien und Hauptwasserstraßen. Längs
dieser Linien findet man in der Kegel alle '2 km einen solide und unveränderlich
angebrachten Bolzen, dessen Höhe bis auf Millimeter angegeben wird. Im Deutschen
Iteicbe, mit Ausnahme von Bayern, Württemberg und Sachsen, entfällt auf 34 qkm
i'in Festpunkt des Landesnivellements. Zur Konstruktion von Höhenkurven und
überhaupt zur graphischen Darstellung des Cieländes findet das Nivellierverfahren
nur da Anwendung, wo es sich in verhältnismäßig kleinen Flächenbezirken um sehr
gruUc Oenauigkeiten handelt, wie bei dem uns bereits bekannten Stadtplan von
Zürich; denn das Nivellement ist die genaueste, freilich auch langwierigste Methode,
Höhen im Gelände zu bestimmen. Wie diese Methode zur Bezeichnung „französische
Methode" kommt, ist nicht recht erklärlich, vielleicht weil das Nivellieren zuerst in
Frankreich ausgebildet und dadurch bei den Festungsbauteii, also auf kleinem i'aume,
Isohypsen festgelegt wurden (§ 25'2).
Die Nivellierungslinie erhält größern Wert, wenn sie zu ihrem Anfangspunkt
zurückkehrt, also eine Art Schleife bildet. Erst daim kann über Sorgfalt und Ge-
nauigkeit der Arbeit ein abschließendes Urteil gefällt werden. Berühmt ist die
Nivellementsschleife geworden, die von Bozen ausging und über Brixen, den Brenner,
Innsbruck, Landeck, Mals, Meran Bozen wieder erreichte. Sie ist 356 km lang und
zeigte den geringen Schlußfehler von 0,007 m, die Höhenstationen schwankten
zwischen 250 und 1500 m. F. K. Helmert gründete auf diese Ergebnisse seine
Untersuchungen über Die Schwerkraft im Hochgebirge, insbesondere m den Tiroler
Alpen, in geodätischer und geologischer Beziehung, Berlin 1890. Helmert wie
dem Franzosen Ch. Lallemand verdanken wir die wertvollsten Arbeiten zur Theorie
des Nivellierens.^ Die Praxis hat festgestellt, daß das Nivellement gut ist, wenn
der mittlere Fohler nicht mehr als 3 mm auf 1 km Länge Ijeträgt. Heute ist die Ge-
nauiglceit des Feinnivellements meist noch \icl größer.
122. Der llölu'naus|i>'au^s|iunkt. Schwierig ist es, einen gemeinsana n Ibilien-
ausgangspunkt zu fhidcn. Was ist überhaupt genau genommen ,,Höbc liluT dem
Meere"? Selbst die internationale Erdmessung hat es noch nicht zuwege gebracht,
einen mternationalen Nullpunkt für alle europäischen Nivellements festzusetzen,
,,da einerseits die Nivellements trotz ihrer großen Güte doch nicht genau genug sind,
selbst nur für das genannte (Icbict, geschweige denn für ganz Europa, ein durch-
schnittliches Mittelwasser alizuhitcn und ein gemeinsames Höhensystem wissen-
schaftlich befriedigend festzustellen, während andererseits der gegen \\ Tu li^^r Zustand,
wo jedes Land seinen eignen Nullpunkt benutzt, für alle technisrln Anwi iiiluii,i,fi'ii
genügt, da bei Grenzüberschreitungen, dank der vielen Nivelleiuentsanseidüsse,
leicht von einem Höhensystem zum andern übergegangen werden kann."^
1 Helmert behandelt cingeliend und kritiseh die Ttieorie des Xiveliieiens in : Die niatli. undphys.
Tlieoricn d. höhern Geodäsie. II. Leipzig 1884, S. .500ff. - Unter den Werken Lalleniands sei ge-
nannt: „Levcr des plana et nivelleniciit." Paris 1889, S. 3.581f. Lallemand hat das Werk gemeinsam
mit Pclletan herausgegeben.
2 Die 10. Allg. Konferenz .Ur Internationalen i':rdinessung /.u Brüssel. Z. f. \'.mii.-W. I8i»2.
S. 642.
Hiis Xivcllifi.'.!. 265
Mit Hilfe von Nivt-llemeuts nach den benacliliarten Küsten des Atlantisclien
Ozeans, des Mittelmeers, des Adriatischen Meers und der Ostsee werden die Meeres-
liöhen für wissenschaftliche Zwecke der Geodäsie abgeleitet. Das zumeist mit Hilfe
des Mareographeu bestimmte Mittelwasser wird als Ausgangshorizont bzw. Null-
punkt betrachtet. In Deutschland beginnt mit Festsetzung von Normalnull (N. N.)
1879 an der Berliner Sternwarte durch eine Marke, die die Höhe 37 m über N. N.
aufweist 1, eine Vereinheitlichung der Holienangaben auf den deutschen Karten-
werken, deren durchgi-eifende Ergebnisse wir erst am Ende des ersten Dezenniums
des neuen Jahrhunderts wahrnehmen. Von benachbarten Staaten haben Deutsch-
land und die Niederlande bereits ihre Hohen in Einklang gebracht. Für beide
Länder lag der Ausgleich nahe, da nach den Nivellements der preußischen Landes-
aufnahme N. N. mit dem Nullpunkt des Amsterdamer Pegels (A. P. = Amsterdamer
Peil) in annähernd gleicher Höhe liegt. Der Höhenunterschied von 44mm ist so gering,
daß alle über N. N. angegebenen Höhen im geographischen Sinne tatsächüch als
..Höhen über dem ^leere" gelten können. -
Die Höhennullpunkte der amtlichen deutschen Kartenwerke hat H. Heyde
zum Gegenstand einer Untersuchung gemacht', die weiter auf die außerdeutschen
Kartenwerke ausgedehnt werden müßte. Den süddeutschen Staaten, denen wir die
ersten neuem topograjjhischen Karten verdanken, war das Mittelmeer der ideelle
.\usgangspunkt für ihre Höhenbestimmungen. Die badischen Karten, die bis 190!)
erschienen, beziehen sich auf einen ideellen Meeresspiegel miter dem Boden des Straß-
bmger Mün.sters, 143,730 m über N. N. Bisher nahm man 145,754 m über dem
Mittelwasser des Mittelländischen Meeres an. Demnach müssen die Höhen um 2 ni
gekürzt werden, wenn man sie auf N. N. bezieht. Bei den Höhenangaben der würt-
tembergischen Karten ist schon seit 1895 N. N. m Eechnuug gezogen worden.
Vor dieser Zeit richteten sie sich wie die badenschen nach dem Boden des Straß-
bnrger Münsters. Die gleiche Beziehung finden wir auf den Blättern der bayrischen
l'falz. Die Höhenangaben des Bayrischen Topographischen Atlas in 1:50000
ililatt l-lOD) für das rechtsrheinische Gebiet fußen auf der Hohe des innern Pflasters
!ni Haiiptportal der Frauenkirche in München, 519, lü m über der Adria bei Venedig,
liii die Höhen des Topographischen Atlas in Einklang mit N. N. zu brhigen, hat man
sie Ulli 1,74 m zu reduzieren. Im übrigen hat sich Bayern vollständig an N. N. an-
geschlossen. Der Atlas des Königreichs Sachsen von überreit bezieht die
Höhenangaben auf den Dresdener ElbnuUpunkt, den Wiemann zu 442 Pariser Fuß
liestimmt hatte. Nach 1871 schloß man an das preußische ,,Gradmessungs-Nivelle-
inent zwischen Swineniünde und Konstanz" an, durch das der Nivellementsiiunkt
Boderau eine Hohe von 100,430 m über dem Mittelwasser der Ostsee bei Swinemündi'
erhalten hatte. Bei der Einführmig von N. N. in Sachsen nach 19Ü0 zeigte sich, daß
die Höhenmarke von Böderau nur 100,374 m über N. N. liegt, mithin müssen die
' l''üi den l!M2 iliin ii ilrii .Vhlmi. Ii .li r altin Ucriini-r .Stcniwarn' (ifsloitcn Norniallioliciiuiikl
sind an der Stiuüe Herlin-ifanselinow 5 uiiteiiixlisehe l'unkte (jesoliaffeii worden. \'nl- K. Hammer:
Die neuen jireußiselien Nornialhöliepunkte. 1*. M. l!)l(i, ,S. 21: des^l. Verliaiidlunfseii der 17. .Ml^eni,
Konferenz d. Internat. Kitlm. zu Hamburg 1!U2. Berlin 1014, II. S. 170.
- V. Z^linieki: Die Hauptkartenwerke der kj{l. |iivußiselien l.jindeMiiif nähme. Bcili. III t.
Militnnvoehenl)!. Berlin I8i)6, S. ItU.
' H. Heydi-. Die Hnliennnlli.iinkte d.r amtliel.en deut.-.el.en Kartenwerke. In ..Fest Land"
Allireilit IVmk. Stutlpirt MMS, S. 37.">ff.
266 l>i-' K;u-leMaulMaliiiie.
lluinTi iltT altern sächsischen Karten um 0,056 m vernimtlert werden, l'iir die lloiieii
auf den hessischen Karten vor 1902 beträgt die Reduktion - (),l-25 m. Da die
braunschweigischen topographischen Karten erst später autgenonuiieii «uideu,
erscheinen ihre Höhenangaben direkt in X. N.
\'1.\. DiM- MvelleinenfsaiischhiLt. \\ ie die eiuzehien deutschen Staaten all-
iiiäidieii diu X. N. ein- und durcligeführt iiahen, uiüBten sich auch die einzelnen
europäischen Länder auf einen internationalen Normalpunkt einigen, ganz gleich,
ob auch das Mittelwasser für die verschiedenen Meeresgestade der europäischen Küsten
nicht gleich hoch ist. Es sind unter Umständen erhebliche Schwierigkeiten, die für
wissenschaftliche hypsometrische Untersuchungen, für Eisenbahn- und Kanalbauten
offenbar werden, wenn sich beim Überschreiten (b'r Landesgrenzen die Höhenbeträge
ändern.
Die Berücksichligung und Umrechnung der \cischiedenen Landeshorizonte
hatte die Kriegskartographie auf unserer wie auf feindlicher Seite als eine höchst
unangenehme Arbeit empfunden^, und war durchaus nicht so leicht, wie man nach
dem Ausspruch der Zehnten Allgemeinen Konferenz der Internationalen Erdmessung
zu Jiriissel annehmen müßte (s. S. 2()4). Auf französischen Karten hat man teils
mit Höhen nach dem „Nivellement Bourdaloue" (1863 abgeschlossen), teils mit dem
neuen Hauptnivellement, auch „System Lallemand" genannt, zu rechnen. Die Höhen
des alten Nivellements sind um rund 85 cm zu verkleinem. Die belgischen Höhen
müssen gegenüber dem französischen Nivellement general um 2,3 m vergrößert werden.
Das belgische Nivellement geht zurück auf die „Triangulation du Eoyaume du Pays-
Bas" vom Jahre 1822. Der französische Nullpunkt liegt um 0,809 m tiefer als der
deutsche N. N.; also N. N. + O.SOil m gil)t beim deutsch-französischen Nivellements-
anschluß die gewünschte französische Höhe in deutschem Wert. Die Höhe des
russischen Landeshorizonts schwankt, sie beträgt im Mittel -|- ().:51 ni; die russische
Höhe gewhmt man demnach aus deutscher Höhe — 0,31 m.
(,'. Das LiclitlMld in iU'v Ivarlciiaiirnalmir.
I. Das Lichtbild bei der terrestrischen Aufnahme.
l'J4. Wesen und Bedeutung des Lichtbildi's lür die Aulnaliinc. In lU r l'jiitwicklung
der TojKigrajjhie spielt das Lichtbild seit einem MenschenalLir eine gröl.iere Eolle,
und erst in jüngster Zeit ist es berufen, eine Umwälzung in do-r Topographie herbei-
zuführen. Wenn es auch nie heißen wird: Das Lichtbild hat Meßtisch und Theodoht
überwunden und Topographie und Triangulierung erdrosselt, so läßt sich doch heute
die Trag^veite der neuen Lichtbildmeßverfahren nocii nicht überschauen, und man
muß feststellen, selbst auf die Gefahr hin, zu den „soldats du progres" gerechnet zu
werden, daß unsere gesamte Landestopographie anders eingestellt, daß manches
alte behebte Aufnahmeverfahren zurückgedrängt werden wird, und daß sich den
neuen Methoden im Hin1>Iick auf die Unreife der topographischen Kenntnis des
Vg]. M. Eckiit; Diu Kaitegraiiliic im Kiicgc. G. Z. 1920, S. 277
I»H- I.irhtbild bei lin- t,nt'»tiisL-lnii Aii((Mi;ihmr. 267
giütSti-n Teils der Erde ganz ungeahnte Perspektiven eröffnen. Wie der Kartograph
wird sich auch der Geograph mit dieser neuen Methode befassen müssen, und der
Forschungsreisende insbesondere wird je nach mathematischer Veranlagung und er-
worbener Fertigkeit im Lichtmeßverfahren auf dieses in seinem Forschungsgebiet
nicht verzichten wollen. Auf jeden Fall muß sich der Geograph über den Wert der
neuen Methoden klar sein und wissen, wie weit er sich auf sie verlassen und was er
von ihnen verlangen kann.
Mit der Erfindung der Photographie durch Daguerre war auch der Gedanke
der Benutzung des Lichtbildes zu Meßzwecken bei Terrainaufnahmen laut geworden. ^
Aber erst A. Laussedat kam zu einem brauchbaren Ergebnis, nachdem er die Stand-
linie einführte, von deren Endpunkten zwei orientierte Aufnahmen eines Objekts
gemacht wurden. Übrigens finden wir diesen Grundgedanken der terrestrischen
Aufnahme schon bei J.H.Lambert. Laussedat nannte sein Verfahren Metro-
photographie^, w'ofür auch Photometrographie gesagt wurde. Gebräuchlicher ist
die in Deutschland und Österreich angewandte Bezeichnung Pliotogrammcf rie,
die auf A. Meydenbauer zurückführt.'
An der Vervollkommnung der Photogrammetrie sind Franzosen (Berget),
Italiener (P. Paganini), Bussen (R. Thiele), Engländer, Amerikaner (E. Deville)''
und Deutsche beteiligt. Unter den Österreichern seien A. v. Hübl, Th. Scheim-
pflug und E. V. Drei, unter den Deutschen im besondern C. Koppe, S. Finster-
walder, C. Pulfrich und E. Hugcrshoff genannt. Die Deutschen einschließlich
der Österreicher haben die photogrammetrischen Probleme am meistt'U gefördert,
und die Ausarbeitung und Vervollkommnung der neuesten Lichtbildmeßverfahren
knüpfen in der Hauptsache an deutsche Forscher und Denker an.^ Dazu komm),
daß Deutschland bei seiner innigen Verquickung von Wissenschaft und Technik
auch an der Spilze der o]itisclion Industrie der ganzen Welt marschiert.
125. Das ItildmfUvorfahrcii. Durch das Lichtbild wird ziuiächsl ein fremdes
islciiienl in die Aufnalmic hineingetragen. Da das ticlingen des Lichtbildes von
' Vgl. E. iJolcial: Überdie Ucdeutuujj; dor ijliotogiaphisclien Moükunst. Iiiteniationales Aix-Iiiv
f. l'li.itograninictric. Wien und Leipzig 1908, S. lööff.
- A. Laussedat: Mi^moire sur reinjjloi de la Photographie daiis le leve des plau.s et siieeialenient
daris les rcc'oniiaissanees militaircs. Comptes rendu.s. L. 1860, S. 1127-1134.
' A. Meydenbauer: Über die Anwendung der Photographie zur .\rchitelitur- und Terrain-
aufnalunc (Photometr<)gra])liie). Z. f. Bauwesen. 1807, S. fi2— 70. - Meydenbauer und Tschudi:
Zur Photogrammetrie. Ueutsehe Bauzeitung 1873, S. 265f{. — Mithin wird die Bemerkung in .Tonhtn:
Handl)ueh der VermesBungsk. II. Stuttgart 1914, S. 843 hinfällig, worin ziuu Ausdruek kommt, als
ob die Z. f. \'erm.-W. 1876, S. 17, dasWort ,;Photogrammetric" als sjjrachl. \'erbesserung für Photo,
nietrographie zum erstenmal gebraucht und so die neue Bezeichnung inauguriert habe.
* Auj das Werk von K. Deville „Photogi-aphie surveying inchiding the elenicnts of deseriplive
geometry and ]K'rs]X'etive 1805" (Ottowa 1895), sei bescmdors hingewiesen, worin höchst elegante Kon-
struktionen angegeben werch-n, um aus den jx-i-siM^kti vischen Bildern (Phot<)giiii)bien) ebener Figuivn
deren Horizontalpiitjektioiien abzuleiten. Th. Scheimpflug hat diese Konstruktionen auch für rüuni.
Ii<lic Cti-bilde angewandt.
•'■ Über Lit. zur Photogrammetrie usw. vgl. S. Finstcrwaldcr: Photogrannuetric. Knzyklo-
IHidic dormathcm. VVissenscli. VI. U-ipzig 1906, S. 96 116. — ('. l'ulfricli: Stcreoakopischcs Sehen
und Messen. .Icna 1911, S. 29. K. Korzer: Die Stereoautogrammetrio im Dienst«- der Ijindesauf-
nähme. Mitt. d. k. k. mil.geogr. Inst. XXXMI. Wien 1914, S. 103. Anm. - K. Hugershofl und
H. f'ran/.: (Jrundlagen der Pliot^gi-ammctric aus Luftfahi7.euL'rn. Stuttüarl 1919. R. 125-128.
l><'l/.lere ist insofcni lücUcidiaft, als die Scluiflcn von C Pulfriib niiht mit aufgenommen sind.
268 l»i>- Kart.MaiilimlnMe.
(Il'Ui Wetter, der Beleuchtung, der Kamnierkoustruklion u. a. al)hängt, ist es er-
klärlich, daß ältere erfahrene Geodäten dem Lichtbild mit Mißtrauen begegneten
1111(1 immer wieder die Meßtisciiarlieit dem pliotiinniphisolieii Aufnehmen vorzogen. ^
J)üeli im J.auiV diT Zeit verstand man. die .Mänij;el. ilie dem photographischen Auf-
nehmen anhafteten und die zum nicht geringsten in der Kammerkonstruktion be-
standen, zu beheben. Nach dieser Kichtung hat sich C. Koppe große Verdienste
erworben.- Zur verbesserten Konstruktion photogrammetrischer Apparate hat er
wertvolle Anregungen gegeben. Seit seinem Wirken reden wir von einer Meßtisch-
oder Intersektionsphotogrammetrie, die auf dem Prinzip der ^Meßtiscliaufnahme
lieruht und sich von dieser nur dadurcli unterscheidet, daß die Straiilen nicht nach
Pmikten der Natur, sondern des Lichtbildes gezogen werden. Um die weitere Ver-
\ ollkormnnmig dieses Verfahrens hat sich neben andern S. Pinsterwalder besonders
liemüht. der auf die.sem Gebiete seit 1887 unermüdlich tätig ist.* Die praktische
Anwendung des Bildmeßverfahrens im größern Stile geht auf den Itahener Ba-
ganini zurück, der in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine
Zone von rund 1000 qkm in den Grajischen Alpen (Gran Paradiso) auf diese Weise
aufgenommen hat. Beim Anlilick der Arbeit Paganinis und deren Studium kam
Vj. Richter zu dem Schluß, daß durch die phutogrammetrische Methode der Hoch-
gebirgskartograi)hie ilie Möglichkeit eines ganz gewaltigen Fortschrittes gegenüber
den bisherigen Leistungen gegeben sei.* Finsterwalder hat gleichfalls mit seiner
Karte des Vernagtferners eine Musterarbeit von bleibendem W^erte geschaffen. In
Kußland hat sich E. Thiele für die Einführung des photogrammetrischen Meß-
verfahrens und späterhin auch der Stereophotogrammetrie die erdenklichste Mühe
gegeben.''
Das Bildmeßverfahren besteht darin, ilaß man aus ehier Landscliaflsphotogiaijhic
Horizontal- und Vertikalwinkel abmißt, wenn man die Entfernung der Bildebene
\om Zentrum des Linsensystems kennt, durch das alle Visierstrahlen hindurchgehen.
Dabei wendet man den aus der Topographie bekannten Vorwärtsoinsclmitt an,
jedoch mit dem Unterschied, daB man die Bichtuiigeii nach den l'unklen, die liestimmt
1 \''.'l. A. V. Hiibl: Die photogrammetrische Aufnahme. Mitt. d. k. k. inil.-gcuj,'!. last. XJ.\.
Wii 11 lOou, S. 140. — Desgl. A. V. Hübls Vortrag über „Stereophotogramnutiii" i. d. \'frliaiullgii.
der Oc's. dcutsther Naturforscher u. Ärzte, 8.5. Versammlung zu Wien 19i:{.
2 C. Koppe: Die Photogranimetrie oder Bildmeßkunst. Weimar ISOit. — IMiiitograminetiic
und internationale Wolkermiessung. Braunschweig 1896.
^ S. Finsterwalder: Die Terrainaufnahme mittels l'liotogrammctrie. S.-A. Bayr. iiidustiie-
u. Gewerbeblatt 1890, Xr. 47. München 1891. — Der Vei-nagtferner. Seine Gesclüchte u. Vermessung
i. d. Jahren 1888 u. 1889. Dazu ein Anhang: Blümcke u. Heß: Die Naclunessungen am Vcmagt-
ferner. Wiss. Erg. Hefte z. Z. d. D. u. Ö. A.-V. I. I.Heft. Graz 1897. — Die geometrischen Grund-
lagen der Photogrammetrie. Jahresber. d. Deutsch. Math. Vereinig. VI. 2. Heft. Leipzig 1899, S. !!
bis 41. — Eine neue Art, die Photogrammetrie bei flüchtigen Aufnahmen zu verwenden. Sitzber. d.
Akad. d. Wiss. zu München XXXTV. 1904, S. 10:?-114. - Die Photogrammetrie als Hilfsmittel der
Geländeaufnahme. In G. Xeumayers Anleitung zu wissenschaftl. Beob. auf Reisen. :). Aufl. 1. Han-
nover 1906, S. 165—202. — Alte und neue Hilfsmittel der Landcsvermessg. Festrede, München 1917. —
Hierher würden auch gehören die Arbeiten von A. v. Hübl (s. Anm. 1), von Rosenmund: Unter-
suchungen über die Anwendung des photogrammetrischen Verfahrens für topographische Aufnahmen.
Bern 1896.
* E. Richter in P. M. 1891. LB. S. 163.
= Vgl. R. Thiele: Photogrammetrische Arbeiten in Rußland. Intern. Aiclüv f.Photogrammctrie.
Wien u. Leipzig . I. 1908, S. 174ff.
\)n<f Lu'lithild bei il^r tPrrwstrisrlii'n Ailfiiahiiu'. 2('i3
werden, nicht direkt im Gelände mißt, sondern photograpbiscli festlegt und nach-
träglich aus den BUdem entnimmt. Es empfiehlt sich, jeden gefundenen Punkt auf
mindestens drei Bildern zu identifizieren. Die Schnitte nach den zu bestimmenden
Punkten dürfen nicht zu spitz sem. weil sonst die Genauigkeit leidet. Darum wählt
man von vornherein die Standlinie, von deren Endi)unktpn aufgenommen wird, groß
und vermeidet in der Regel Konvergenzwinkel der Aufiiahmeachsen von unter 30".
Das Festlegen der Basis bedingt weite, zeitraubende und oft recht beschwerliche
Wege. Je größer die Standlinie, um so verschiedener werden die aufgenommenen
Bilder auf beiden Standpunkten; sind diese sehr hoch über dem Aufnahmegelände,
macht sich der Unterschied weniger geltend. Je verschiedener nun die beiden auf-
genommenen Bilder, desto schwieriger die Aufstellung identischer Punkte. Dann
muß sich die Ausmessung auf wenige markante Pimkte, ^\•ie Schornsteine, Häuser-
ecken, Einzelbäume. Bergspitzen beschränken. Die Meßtischphotogrammetrie ver-
langt ein übersichtliches Gelände mit deutlich ausgesprocheneu Bodenfonnen und
zahlreichem, markantem Detail. Li einem Gebiet mit formenarmem Gelände ist
mithin die Auslieute an photogrammetrisch bestimmten Punkten mäßig. Auch
leidet auf größere Entfernungen hin die Beurteilung der Bodenformcii.
12«. Das KaumbildmeBverfahrpii. Die l'lielstände. die der Meßtischi)h()t(i-
granunetrif anhaften, werden durch die Stereophot ogrammetrie oder das Eauiii-
liildmeßverfahren l)eseitigt. Bei diesem Verfahren arbeitet man mit einer ver-
hältnismäßig kurzen Standlinie (früher 30—150 m, jetzt zuweilen bis öOO m lang),
deren Länge ^/\g bis V30 ^^^ ^" messenden Entfernung sein muß, bei neuern In-
strumenten bis Vso-^ Das Messen geschieht nicht wie beim Bildraeßverfahren durch
Identifizieren der zu messenden Punkte auf beiden Platten getrennt voneinantler.
sondern im stereoskopischen Sehen an einem Eaumbild des aufgenommenen Objekts.
Dadurch, daß man stereoskopisch sieht, erfolgt gleichsam eine unliewußte Iden-
tifizierung. Eaumanschaulichkeit entsteht durch die Yerschied(»nheit der Bilder,
die das linke und das rechte Auge bei der Betrachtung eines körperlichen Gebildes
erhalten. Das Stereoskop täuscht dem Beobachter aus zwei flachen Bildern Raum-
gestaltung vor. sobald diese zwei aus verschiedenen Standpmikten aufgenommenen
Bilder desselben korperhchen Gebildes zu einem einzigen verschmelzen. Der Beob-
achter hat dann den Eindruck, ein plastisches, ein körperliches Modell vor sich zu
halten. Das gt-naue Ausmessen der vorgetäuschten Körperlichkeit gestattet ein
verfeinertes Stereoskop, der Stereokomparator. dem C. Pulfrich bis jetzt die voll-
kommenste (iestalt gegeben hat.* Mit der m dem Stereokomparator befindlichen ballon-
formigen Meßmarke. die über der Tiandschaft zu schwel)en .scheint, läßt sich das
' Jiasislangc Uiiiuc (lUdiiis) des .aorooskopis.licn Fi-Idrs
.i>,>nn-il. 1 M'-'tand der .\unen tU mm O.:}."! in 4.'>0 ni)
KHtni II..-, km «km
20») „ 1.0 .. IJ ,
:iOO ,. I,.-. .. IS ..
400 .. 2.0 „ -M .
- C. l'ulf rirli: ('Iht iiciiere .\uwoiuliiii):eii der St«'t<i>.skoi)ie iiiiil iiIht einen liieriür Uvstininiten
SleiVf>komi»i»tor. Z. f. Instnnncntonkiinde I!t02, l«0;t. 1904. (Mkt »eitere Lit. vgl. .Ior(Jan:
Handh. d. Venn.K. II. Bd. «. .^ufl., Ix-arb. von <>. Kggert. Stuttgart 1014. S. K61. Vgl. weiterhin
('. PnUricJi: (^Imt einigt- Verlufwerungen de« KartieningHVerfaliri'iis l»oi stenHipliotogreninietriwIien
.VrlM'itin. .Mill. aus der «ipl. Werkstiilte von Carl /ei« (wiilneml des Khege.s ers.liieneii).
270 l'ic K!iv1en;iiifii:iluiu'.
imaginäre Modell nach allen seinen Dimensionen auswerten. Punkt für Punkt kann
man genau bestimmen, ein Vorgang, der an die Tachymetrie erinnert, sich aber von
dieser dadurch unterscheidet, daß der Aufnehmer bzw. Auswerter am Stereokomi^arator
Lattenträgcr, Instrumentenleser, Skizzenzeichner und Protokollführer alles in einer
Person ist, zudem nicht von der Witterung, von Tages- und Jahreszeiten abhängig
ist und seine Messungen bequemer und rascher als im Felde ausführen kann. Die
Praxis soll nach ö. Truck erwiesen haben^, daß die Raschheit der Pl;mhorsfi>llin»i;
dreimal so groß wie bei der tachymetrischen Aufnahme ist.
Das sich im Stereokomjjarator plastisch darbietende Bild unterstütz) vor/ii.u'iich
die Festlegung der verschiedenen Geländeformeu. Irrtümer sind so gut wie aus-
geschlossen. Beim räumlichen Sehen und Messen kann auf das Vorhandesein mar-
kanter Punkte auf beiden Platten, an die sich die Meßtischphotogrammetrie an-
klammert, verzichtet werden. Bezüglich des Geländedetails kann das Einzelbild
nimmermehr das leisten, was das Raumbild im Stereokomparator vermag. Die
]jodeuformen können auf große Entfernungen hin sicher beurteilt werden. Mithin
wird die topographische Fernwirkung durchs stereoskopische Verfahren außerordentlicli
gesteigert.^
Im Felde hat man nicht die großen Schwierigkeiten wie bei dem Biklnieß-
verfahren zu überwinden. Im Gegenteil, sie vermindern sich ganz wesentlich. So
küimen Höhenrücken infolge der kleinen Standlinie voll ausgenutzt werden. Mit
wenigen Aufstellungen ist es möglich, das aufzunehmende Gelände fast lückenlos
zu umfassen. Al^er nicht jegliches Gelände ist für die Raumbildaufnahme geeignet,
es muß einen Einblick in die GHederung der Formen gestatten, mag es auch sonst
wie beschaffen sein, ob zugänglich oder unzugänglich, ob verkarstet, zerklüftet usw.''
Ebenes Gelände, Laub- und Nadelwald, Getreidefelder, Savannen sind für Raum-
bildaufnahmen nicht oder wenig geeignet, dagegen in erhöhtem Maße Küstengebiete."
Neben der stereophotogrammetrischen Punktbestimmung und Vermessung der
lirdoberfläche ist 'ein weiteres Ziel die unmittelbare Darstellung des Geländes, d. h.
die an der Hand der Raumbilder vorgenommene Aufzeichnung von Schichtlinien
und Situationsplänen. Das geschieht mit Hilfe des von E. v. Orel erfundenen und
von C. Pulfrich verbesserten Stereoautographen.^ Er bedeutete zunächst einen
Höhepunkt im Raumbild meß verfahren und ist vom festen Erdboden aus das ge-
gebene Auswerteinstrument. Um die praktische Verwertung der Stereophotogram-
luetrie und Stereoautophotogrammetrio bei topographischen Neuaufnahmen, jener
seit 1904 und dieser seit ]i)10, hat sich insbesondere das k. k. MilitärgeographiscJie
' S. Ti'uck: Die Bedeutung u. Amvondg. der Stcreopliotogiamnietrie als Veniiessungsrnctliodc
in der Ingenieurjnaxis. Intern. Archiv f. Photogrammetrie. IV. Wien 1913 — 1914, S. 98.
- Vgl. P. Seliger: Die stereo.=kopisehe Meßmethode in der Praxis. Berlin 1911, S. 103, 104.
' Vgl. H. Lüscher: Beispiel einer .stereophotogrammetrischen Geländeaufnahme aus der
Praxis. Intern. Archiv f. Photogrammetrie. III. Wien u. Leipzig 1911-1912, S. 17ff. - Lüscher
hat reiche Erfahrungen auf diesem Gebiet, von ihm dürften wir noch manche wertvolle hierher ge-
hörige Publikation ei-warlen.
' E. Hörn: Stereophotogrammetrische Aufnahme der Rügensclirn Steilkästc. Jahrosl). der
I^ndesaufnahme 1919/1920. Beriin 1921, S. 82-86. Mit Karte.
' E. V. Orel: Der Stereoautograph als Mittel zui- automatisclien Verwertung von Kompaiatoi-
daten. Mitt. d. k. k. mil.-geogr. Instituts XXX. (1910). Wien 1911, S. 62-86. - Ders.: Über die
Anwendung des stereoautographischen Verfahrens für Mappieiungszwecke. Mitt. d. k. k. mil.-geogi.
Iiist. XXXT. (inil.) Wien 1912. 8. I.',2 Ui.'').
Institut in Wien große Verdienste erworben. ^ Aber auch der Stereoautograph bedarf
noch größerer Einfachheit in der Konstruktion sowohl wie in der Handhabung. Bald
worden wir über wesentlich leichtere, handlichere und leistungsfähigere Stereoauto-
graphen verfügen. Wenn wir oben feststellten, daß das Eauniljildmeßverfahren der
Meßtischphotogrammetrie bei weitem überlegen ist, muß dem noch hinzugefügt
werden, daß man infoige der Messung sehr spitzer Winkel bei ersterer Methode ganz
Ijesonderer Präzisionsapparate sowohl bei der Feld- wie bei der Zimmerarbeit be-
darf.^ Die Arbeit mit Phototheodolit, Stereokomparator und Stereoautograph er-
fordert ein vorzüglich ausgebildetes Personal. Der Raumliildner kann besser als
der Topograph die zu erreichende Genauigkeit durch selbst zu treffende Maßnahmen
innerhalb gewisser Grenzen regulieren. „Diese Maßnahmen beruhen auf geodätischen
(irundlagen, woraus erhellt, daß die Stereophotogrammetrie eine durchaus geodätische
Disziplin ist und daher nur von einem Geodäsiekundigen in der Praxis rationell be-
trieben werden kann."^ Die neuen guten Instrumente verbürgen bei sachgemäßer
Handhabung mindestens eine relative Genauigkeit von Viooo i" ^1^'" Koordinaten-
bestimmimg.*
Nochmals sei darauf aufmerksam gemacht, daß man mit einem Aufnahme-
verfahren nicht jedes Terrain meistern kann. Gerade die kummulative Yerljindung
verschiedener Methoden verbürgt den schnellsten Arbeitsfortschritt und die sicherste
Kontrolle. Selbst engljegrenzte, formenreiche Gebiete erheischen verschiedene Auf-
nahmemethoden. So hat Fr. Scheck im Kaisergebirge je nach der Gestaltung des
Gelän<los einfache und stereoskopische Bildmessungen neben Messungen mit dem
Tachymeter und mit Meßband und Bussole vorgenommen.* Die tief eingeschnittenen,
■\on zerklüfteten Wänden umrahmten Kare des Wilden Kaisers waren ein dankbares
Objekt für die einfache Bildmessung. Die Nordabstürze des Zahmen Kaisers und
* Was das k. k. mil.-geogr. Institut in der Photogiamnietric geleistet hat. darüber berichtet
K. Korzer in den Alitt. des Instituts 1914, S. 107: „Die Photogrammetrie hat sich im steigenden
>Liße, iasbesondere im Hochgebirge als ein vorzügliches Hilfsmittel für die topographische Landes-
aufnahme erwiesen. Bei den ersten großem Arbeiten mit Meßtiscliijhotogramnietrie in den Jahren 189S
u. 1894 wurden in der Tatra im Laufe je eines Monats Feldarbeit ein liaum von 10 qkm aufgenommen.
In der Zeit von 189.5 —1904 stieg das jälirlich photogrammetrisch aufgenonunene Gebiet (Julischc
.•Vl|icn, Karawanken, Steiner-Alpen, Dolomiten) von .33 aut ISOf^km. 190r> u. 1906 wurden in Tirol
gleichzeitig stereophotogrammetrische und photogrammetrische Feldarbeiten durchgeführt; im letztem
.Jahre umfaßte der Arbeitsramn bereits 400 qkm. 1907 wm^den stereophotogram metrisch in zwei
.Monaten 800 qkm, 1909 u. 1910 aber 1000 qkm in Tirol aufgenommen und simter als Vorarbeit für
die topographischen Detailaufnahmen ausgearbeitet." S. 147: „Der im Sommer 1911 stereophoto-
grammotrisch aufgenommene Raiun (in Tirol) umfaßt eine Flache von ctwi» 770 qkm. Die stei-eo-
])hotogrammetrisclie Feldarbeit wurde in nicht ganz acht Wochen bewältigt."
' Vgl. M. Weics: Meine Arbeiten in Innerafrika mit dem l'hotothcoddlitcn. \"crlmn(llL'. d.
Deutsch. Kolonialkongresses 1910. Berhn 1910, S. .56.
' S. Truck: Die Bedeutimg imd .\nwcnd>mg der Sterc<i|)h(it<iirrammetric als Vcruicssun^s.
mithode in der Tngenieurpraxis. Intern. .Xrcliiv f. l'li(il<>t;i«Tninrtrir. I\'. Wiiii ii. l/>ip/.ig I9i:i 14.
S. Kto.
* .\lso muß auch die .Standlinie mindestens eine Genauigkeit von ', ,„« der Uinge halten; mit
neuern Instriuiicntcn wurde bei der Vennessunpsabteilung (Nr. 19. 2. Sjieh».). <lii> ich im Kriege führte.
''hhhi erreicht.
' Fr.Scheck: Einfache und stcreoskopische Hiklme.ssmig im i-einen Felsgebiete. Diss. München,
Techn. Hochschule. Erlangen 1912. Erschienen auch in d. lAudeskimdl. Foi-sehungen, hg. v. d. Oogr.
livn. in München, Heft 14. München 1912. In denselben I.andeskundl. Foi-seh.. Heft II. München
l'.M I, vgl. L. Distel n. Fr. Srlicik : Das Plateau dc-s Zahmen Kaiseis. Kartograph, ■morphiving. Studii'.
272 ••i'' K;nt.eiiaiiriialiiiii'.
der westliche Zug des Wilden Kaisers boten auf der Nord- und Südseite reichlich
Gelegenheit zur stereoskopischen Bildmessung. Die Karren- und Felsgebiete auf
dem Plateau des Zahmen Kaisers wurden tachymetrisch festgelegt und der größere
(westliche Teil) des Plateaus, der durch Latschengewirr und einzelne Karrenerscheinun-
gen charakterisiert ist, mit Meßband und Bussole. Das Ergebnis der Messungen ist
ein lelirreiches Kartenbild des Fels- und Karrengebietes des Zahmen Kaisers in 1 : 10000.
II. Das Lichtbild in der Luftaufnahme (Luftbildaufnahme,
Aerophotogrammetrie).
127. EiittvickliiiijL; der LuKbildaiiliialiiui'. iSaclulem es gelungen war, von ter-
restrisch festen Punkten mittels Lichtbild Geländeteile aufzunehmen, wurde der
Gedanke, ähnhche Aufnahmen von irgendwelchen Luftfahrzeugen aus zu er-
zielen, von verschiednen Forschern und Denkern erwogen. Man denke nur an die
Arbeiten von S. Finsterwalder^, A. Laussedat^, R. Thiele^, A. Schell-», Th. Scheiin-
pflug^, A. le Mee®, G. Kammerer', E. Dewidels.* Die Mittel, die hauptsächlich in
Betracht kamen, um photographische Apparate in die Höhe zu heben, waren Drachen",
llaketen^", Sondierballon, Fesselballon und der bemaraite Freiballon. Bald trat das
lenkbare Luftschiff hinzu. Jetzt wurde die Frage der Luftbildaufnahme akut.
Man war gerade daran, sie in langwieriger und umständlicher Weise zu lösen, indem
eine besondere „Luftfahrerkarte" geschaffen werden sollte, als sie mit dem Ausbruch
des Krieges über Bord geworfen wurde und einer viel raschern und praktischem
Lösung durch den Flieger entgegenging.
Zu den durch den Krieg besonders geförderten technischen Wissenseluificn
gehört die Luftbildaufnahme durch den Flieger. Innerhalb von vier Jalircu
' S. Finsterwaider: Über die Konstruktion von Höhenkarteu aus Ballonaufiuiluiicn. Sitz.-B.
d. niath.-phys. KL der k. Bayr. Akademie d. Wiss. XXX. 1900, S. 160.
^ A. Lanssedat: Sur un moyen rapide d'obtenir Ic plan d'un terrain en i)ay.s de plaiur d'apirs
uiie vue photograplüque prise eu ballon. Comptes rendues. Paris 190.3.
•' K. Thiele: Über präzise Aufnahmen von Plänen der Niedenmgon großer Flüsse, ihrer Mün-
dungen u. Dlllas m. Hilfe der Photographie u. Drachenphotograpliie. Eders Jahrbuch 190.3.
* A. Schell: Die stereophotogrammetrische Ballonauf nah nie für topographisclie Zwecke.
Sitz.-B. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien, Abt. IIa, Wien 1906.
^ Th. Scheimpflug: Über Ballonphotogramnictrie u. die Auswert, von Ballonphotographien
zu Karten u. Plänen auf photographischem Wege. Sitz.-B. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien. Abt. IIa,
Wien 1907.
' A. 1(^ .Mec: (>instru<ti(iii duni' carte topographique au luoycn de dcux vues hyixrst^i'io-
scopiques prises en aöroplauc. Inlnn, Anhiv f. Photogrammetrie. Wien u. Leipzig II. 1911, S. 280.
' G. Kammerer: Tli. S< In nii|.lluL Landesvermessung aus der Luft. Intern. Archiv f. Photo-
grammetrie. III. Wien u. Lci|i i_ l'.il_'. > l'.Mi -22ß. - Aerophototopographic, Photoperspec tographe
et Photocarte. La conquctc de l^ür. I. 3. 1913. — La photogrammdtrie a6rienne 1913, Nr. 80,
S. 225—245. — Photograph. Landesaufnahme voiu Luftschiff aus. Deutsche Luftfahrer-Zeitschr.
191.3, Nr. 24, S. 569-574.
« EgonDewidels: Die Aufnahme von .Wuland durcli Ai loiilicitogrammetrie. Allg. Tngenieur-
Zeitg. Wien 1913, Nr. 9 u. 10.
' Th. Scheimpflug: Über österreichische Vcrsuclic, Draclienphotogramme kartographisch
zu verwerten u. deren bisherige Resultate. 8.-A. aus der Photographischen Korresirandenz 1903.
" Th. Scheimpflug: Der Raketenapparat des sächsischen Ingenieurs Maul. Intern. Arch.
f. Pliotogramm. Wien u. Leipzig I. 1908, S. 213.
Das r>ii!litl)ilil in iIit Liit'tiuifiialiinc (Luftbildaufiiiilimc, AriophotugramiiiL-tiii). 273
hat siu ciuf Eiilwickluiif,' crfahifii, zu der iu I'iirdcii.szeitcii kaum uin Mtiiscluiialtrr
gereicht liätte. Die senkrechten Aufnahmen der letzten Kriegsjahre gegenüher den
ersten schrägen Auhiahmen, die vielfach noch chemisch behandelt werden mußten,
damit etwas aus dem Bilde herauszulesen war, die jetzt üblichen Meßkammem in
freier Handhabung uder im Boden des Flugzeuges eingebaut gegenüber den ersten
behelfsmäßigen Geräten, dazu die Aufnahme in Eeihenbildem nach der Art der
Kinoaufnahmen und die topographische Aufnahme des Geländes aus Flugzeugen,
das alles bedeutet einen Fortschritt, wie er selbst vor dem Kriege von Fachleuten
kaum geahnt wurde. Ein teures und schwerfälliges Vermessungsluftschiff, wie
es vor dem Kriege von Scheimpflug', Dolezal^, Hergesell', Gasser'', Beucker* u. a.
gefordert wurde, ist nicht mehr nötig, da das Flugzeug bei weitem gebrauchsfähiger und
billiger ist (vgl. Ö. 104). In der Geschichte der Flugbildaufnahme wird man Th. Schelm -
pflüg stets den gebührenden Platz einräumen*, weim auch über seine Methoden und
seine wertvollen Apparate, wie den Photoperspektograph und den Zonentransformator,
der Gang der Versuche und neuern Erfindungen, besonders durch den Weltkrieg an-
geregt, so schnell hinweggeschritten ist, daß wir ihnen heute nur noch historisches
Interesse entgegenljrmgen. Trotzdem behält J. Partsch recht, als er ausrief: „Die
Scheimpflugsche Erfindung ist eine gewaltige Sache!" Das war sie jedoch nur auf
kurze Zeit. Der Krieg hat bessere Methoden gezeitigt und das Bessere, der Feind
lies Guten, war schneller da als geahnt wurde.
128. Das Entzerren der Fliegerbilder und die Aerfahren der Kartenverbesseruni;
aus Flicgerbildern. Bei den Lichtbildaufnahmen haben wir es fast ausschließlich
mit Fliegerbildern zu tun. Sie werden heute in der Regel senkrecht aufgenommen,
d. h. die optische Achse steht senkrecht zur Aufnahmeplatte. Mithin hegt diese
selbst wagerecht, im Unterschied zur horizontalen Aufnahme, wo die Platte senk-
recht wie bei der Erdaufnahme steht. Zwischen beide Aufnahmen reiht sich die
Schrägaufnahme ein, bei der die Kammer geneigt wird; ihr Spielraum bewegt sich
innerhalb von 0" bis 90". Wird bei der senkrechten Aufnahme das Gelände unter
dem Flieger im Bilde festgehalten, so bei der Horizontalaufnahme, die übrigens in
nicht zu großer Höhe, d. h. Entfernung vom Erdboden, aufgenommen werden darf,
diis in weiterer Entfernung vom Flieger gelegene Gelände. Zwischen beiden Auf-
nahmen steht die Schrägaufnahme, die jenen Aufnahmen gegenüber ihr Gesichts-
feld mit der Erhöhung des Aufnahmepunktes außerordentlich vergrößern kann. Das
kleinste (iesichtsfeld ist der senkrechten Aufnahme eigen.
1 Th. Scheimpflug: Die technischen und wirtschaftlichen Chamcn einer ansgc<lchnten
Kulonial-Vermessung. Vortrag, gehalt. im Pliysil<. Verein in Frankfurt a. .M. .S.-.\. aus Xr. 1 1 ilei
ria- Wochen-Rundschau.
- E. Dolezal: über d. Bedeut. d. pliotograph. Mclikunst. Intern, .\riliiv f. Photogniinni. I.
Wien u. Leipzig 1. 1908, S. 162, 163.
■' H. Hergcsell: Luftfahrten zu wissenachaftHchcn Zwecken. I*. M. litlJ. I. S. (»».
* M. Gasscr: Studien zu einer iwrogeodütischcn Ijindcsaufnalinic. Z. d. \'civins der Hiihcin
Bayrischen VcrmessungslH'ainten. XVIl. München lilLt, S. I{, .'i. Auf S. ."i spricht Oasser von einem
.,St<'rco- Vermessungsluftschiff".
' K. Pcucker: Luftschiffahrt, Kartographie und l'ntcrriilil. S.-.\. aus der K. Wiener Zeitung
l!>|-2, Xr. 224.
* K. Peucker: Theodor Scheimpflug. Deutsche liundschau f. (Jeographie. X.X.W, i». Heft.
S...\. Am Schhiö ein Verzeichnis von lit. .\rl)eil<-n Scheimpflugs. .1. Frischauf: Dii- mathiin.
Grundlagen der Landesaufnahme u. Karlograpliie des Erdsphiiroid». Stuttgart liU:!, .S. |((8.
274 O'p Kartenaufnahme.
Da bei der Sehrägaulnahme oberer und unterer Platteiiraud selten parallel
zur Plorizontalen verlaufen, der Apparat ,,\'erkantet" ist, wird sich diese Verkantung
auch in der Aufnahme bekunden, was man beim Lesen und Auswerten des Flieger-
bildes zu berücksichtigen hat. Um dies und die Eliminierung der Fehler infolge der
Neigimg des Apparates zu ermöglichen, wird die Aufnahme photographisch umgeformt,
und sie erscheint, je nachdem die Schrägaufnahme mehr oder weniger geneigt und
verkantet oder nicht verkantet war, in der Gestalt eines uni'egehnäßigen oder regel-
mäßigen Trapezes. Das Bild wird „entzerrt", wie der fachmännische Ausdruck lautet.
Aber auch die senkrechten Aufnahmen sind keine -wärkUch senkrechten; Er-
schütterungen des Flugzeugs und unmerkhche Änderungen in der Flughöhe führen
zu solchen vorderhand nicht wahrnehmbaren Veränderungen der wagerechten
Plattenlage. Nur die genaueste Auswertung des Bildes begegnet diesen Aufnahme-
fehlem. Die beobachtete Fehlergrenze ist sehr verschieden. Teils lassen sich die
Korrekturen im Kartenbild nach bloßem Augenschein des Fhegerbildes ausführen,
teils müssen besondere Verfahren angewendet werden, um selbst die Fehler der senk-
rechten Aufnahmen zu eliminieren. Dabei sei noch auf die fernen Berechnungen
der Innern Orientierung (Hauptpunkt und Bildweite) und äußern (Neigung, Aufnahme-
richtung imd Koordinaten des Standortes) hingewiesen.
Das Entzerren kann rechnerisch, graphisch und mechanisch geschehen.
Aus der Praxis heraus entstanden während des Krieges die verschiedenen Methoden,
die danach streben, die Fhegeraufnahmen möglichst schnell und auf einfachem Wege
füi' die Herstellung, richtiger füi' die Verbesserung der Karte zu entzerren. Die
wichtigsten graphischen Verfahren sind die einfache Bildübertragung, das n-Punkt-
verfahren und das Vierpunktverfahren. An anderer Stelle habe ich Gelegenheit
genommen, an der Hand von Skizzen diese verschiedenen Verfahren zu schildern.^
Senkrechte Aufnahmen von ebenen Gegenden lassen sich, wie leicht einzusehen,
am besten auswerten; je gebirgiger die Gegend wird, desto unverläßlicher wird die
Bildauswertvmg. Schon in welligem Gelände macht sich die Schwierigkeit der Bild-
auswertung für den Grundrißaufbau der Karte bemerkbar.^ Man muß vorsichtig
zu Werke gehen, wenn man mit Hilfe von Fliegeraufnahmen die Ungenauigkeit der
offiziellen (topographischen) Karten nachweisen will; denn diese sind großmaßstabig
und bei der Wiedergabe der Grundrißzeichnuug lagengerechter als die über das ganze
Bild schwer nur maßstabdurchhaltenden Flugzeugbilder. Darum sei zur Vorsicht
gemahnt, werm es Geographen empfohlen wird, „mit einigen Linien die Richtigkeit
vmd Zuverlässigkeit einer Karte einwandfrei nach dem FUegerbilde zu prüfen."^
Man muß nicht vergessen, daß wir in den vorhergehenden, auch an andern Orten
mehr oder minder ausführlich beschriebenen Verfahren keine Präzisionsmethoden
1 M.Eckert: Luftbildaufnahme und Kartcnherstellung. G. Z. 1921. (Bereits im März 1920
geschrieben).
- So wurde z. B. während des Krieges bei meiner Vermessungsabteilung in dem Zeitraum eines
reichlichen Jahres das Fort St. Hilaire im N des Camp de Chälons auf Grund von senkrechten Flieger-
bildem und wenigen Festpunkten einige Male auf der Karte verschoben, in ostwestlicher Richtung
innerhalb eines Raumes von 0 bis über 200 m, bis es erst mit Hilfe stereographischer Erdaufnahmen
gelang, es festzulegen, desgleichen die nördlich davon von W (Reims) nach 0 (Argonnerwald) hin-
ziehende Römerstraße. Die vorliegende französische Generalstabskarte brachte das Ft. St. Hilaire
in nicht richtiger Lage. Dazu ist zu bemerken, daß wir bei der Eintragung befestigter Anlagen auf
offiziellen Karten nicht selten bewußten Fehlem begegnen.
^ R. Fels: Das Kriegsvermessungswesen im Dienst der Geographie. P. M. 1919, S. 85.
Diis LiehtbiUt in der Luftautnahmf ([^iiftbiliiaiifii:iliiiie, Aerophotograiiiinotrif i. 275
erblickeu dürfen, und daß sie hauptsächlich für die Auswertung der Fliegeraufnahmen
im Kriegsgelände geschaffen worden sind. Etwas ganz anderes ist es, wenn man
nachweisen will, wieweit offizielle Karten veraltet sind.
Auch auf das „Pyramidenverfahren" sei als auf eine der möglichen Methoden
beim Entzerren hingewiesen. Das Verfahren, das auf S. Finsterwalder zurückführt
und von E. Hugershoff weiter entwickelt wurde, besteht darin, daß das Bild und
Kartendreieck, durch drei Festpunkte bestimmt, mit dem Objektivmittelpunkt der
Kammer durch zwei Strahlenp\Tamiden (Bild- imd Festpimktpyramide) in Ver-
bindung stehen, wodurch es mögUch wird, nach den bekannten Sätzen der Darstellenden
Geometrie Punkte, die im Bilddreieck hegen, ins Kartendreieck zu projizieren. Zur
genauen graphischen Auswertung von Fliegerbildem ist das Pyramidenverfahren
eine der besten Methoden, weil sie die Auswertungselemente, wie Höhe, Neigungs-
und Kantimgswinkel des Aufnahmegeräts, Bildwagerechte und Bildsenkrechte be-
stimmen läßt, doch ist die damit verbundene Konstruktion umständlich, vielfach
verwickelt imd zeitraubend.
Verschiedene Geräte sind gebaut worden, um die Entzerrung auch mechanisch
vorzmiehmen, vor\viegend zu einer Zeit', wo die Bilder noch stark geneigt und ver-
kantet waren. Man gUederte die Geräte in zwei Gruppen; die eine stellt das ent-
zerrte Bild unmittelbar her, das sind die Umformer oder Umbildncr, während
die andere die Bildlinien, die entzerrt erscheinen, erst dm'ch Zeichnmig zu einem
Bilde formt, das sind die Umzeichengeräte. Ich will die einzehien nicht aufzählen,
sie gehören bereits der Geschichte an. Während des Krieges hatte sich im großen
imd ganzen das Ica -Entzerrungsgerät bewährt. Doch auch dieses war noch zu schwer-
fäUig, daß man selbst an die HersteUimg leichterer und leistungsfähigerer Umbiklner
heranging, zumal es sich in den letzten .Jahren des Krieges fast nm- um lotrechte Auf-
nahmen handelte und man dadurch von den strengen Prinzipien (bleibende Bild-
schärfe, Zwangsläufigkeit) befreit war, nach denen z. B. der Scheimpflugsche Trans-
formator gebaut war.
129. Besondere Übelstände der Luftbildaufnalimcu. Allgemein gilt die Voraus-
setzung, daß bei senkrecht aufgenommenem Bilde das Gelände kartenmäßig richtig
aufgenommen und das Bild winkel- und läugentreu sei. Das ist jedoch nur bedingt
richtig, bei Aufnahmen eines nicht zu ausgedehnten ebenen Flächenstücks aus nicht
zu großer Höhe. Je höher die Aufnahme erfolgt, desto größer ist das auf der Platte
festgehaltene Areal und um so mehr machen sich die Verzerrungsfehler nach dem Rande
des Bildes geltend. Für die Ausdehnung der zur Abbildung gelaugenden Fläche
sprechen neben der Höhe des Aufnahmepunktes Brennweite imd Plattengröße das
entscheidende Wort. Bei einer Plattengröße von 9 x 12 und einer Breimweite von
•25 cm der Zeiß- und Ica-Fliegerkammem wird bei 500 m Höhe eme Fläche von
0,04 qkm aufgenommen, bei 1000 m von 0,16 qkm, bei 2000 m von 0,G1 qkm, bei
3000 m von 1,39 qkm und bei 4000 m eine solche von 2,46 qkm. Mit der wachsenden
Größe der Bremiweite verkleinert sich das aufzunehmende AicmI, umgekelu-t ver-
größert es sich. Bei einer Plattengröße von 13 x IS und lincr Brennweite von 70 cm
beträgt das abgebildete Areal in 1000 in Höhe 0,04 qkm und in 4000 m noch keinen
Quadratkilometer (0,70 qkm). dagegen umfaßt es bei der gleichen Plattengröße und
der Brennweite von 21 cm in denselben Höhen 0,49 und 7,82 qkm, also ein nind
zehnfach größeres Aufnahmegelände. Zugleich gibt iliese Erscheinung den Hinweis.
276 I^''' Kiirteiuiufnaliinc.
bei scblechlw IvarUii^niiuUagc (sehr weiUuu l'cstiiuiiktiiily,) ilas tuläiidf mit beyoiideni
Meßkammein kurzer Brennweite untl großer riatteuabniessiing aufzunehmen, damit
Aussicht vorhanden ist, Festpunkte der Karte auf dem Bilde wiederzufinden.
Ein anderer Übelstand der Phegerphotographic besteht in ihren Verzeichnungen,
die durch die orographisch bedingten Höhenunterschiede hervorgerufen werden.
Je höher ein Teil des Geländes, desto näher hegt er der Kammer und um so mehr
gewinnt er in der Abbildung an Größe bzw. Ausdehnung auf Kosten der tiefer ge-
legenen Landpartien, entsprechend bekannten perspektivischen Gesetzen. Durch
Eechnungen lassen sich die Verzeichnungen feststellen; die Auswertung der Bilder
wird dadurch nicht bloß erschwert, sondern auch erheblich verlangsamt; vielfach
muß man sich durch verschiedene schräge und senkrechte Aufnahmen aus verschiedener
Höhe oder noch besser durch stereographisch aufgenommene Bilder helfen, weil die
Aufnahmen sich ergänzen und alsdann die Bestimmung der einzelnen Punkte er-
leichtern. Dies gilt nur üisoweit, als man sich nicht der neuern Methode xon Hugers-
hoff oder von Fischer bzw. Pulfrich bedient (s. weiter unten).
Wie bei Schrägaufnahmen selbst geringe Höhenimt erschiede die Eichtigkeit
der Kartenherstellung beeinträchtigen können, mag eine kleine Betrachtung erhellen.
Gesetzt, der höchste Punkt einer Erhebung werde von der optischen Achse des Auf-
nahmegeräts unter einem Winkel von 30" zur Senkrechten getroffen, so beträgt der
Ausschlag des Punktes in der Kartenebene gegenüber dem senkrecht auf die Karten-
ebene projizierten Punkt in dem Maßstab 1 : 10000 bei einer Höhe des Punktes im
Gelände von 25 m = 1,4 mm, bei 50 m = 2,9 mm, bei 100 m = 5,8 und bei 500 m
schon 28,9 mm, also rund 3 cm. In dem Maßstab 1 : 25000 sind die entsprechenden
Ausschläge 0,6; 1,2; 2,8 und 11,5 mm groß.
Der Maßstab des senkrecht aufgenommenen Fliegerliildes ist aus Brennweite /
und Aufnahmehöhe h leicht zu ermitteln. Wenn / = 25 cm und /( = 4000 m be-
trägt, ist M = -^ = ^^ = 1 : 16000; bei einer Höhe von 30U0 m = 1 : 12000,
bei 2000 m = 1 : 8000, bei 1000 m = 1 : 4000, bei 500 m = 1 : 2000 usf. Bei schräger
Aufnahme vergrößert sich das Gesichtsfeld, das die P'orm eines Trapezes armimmt,
dessen kleine Seite im Vordergrund und dessen große Seite im Hintergrund hegt.
Dafür kann nur ein mittlerer Maßstab berechnet werden, deim die Gegend der trape-
zischen Kleinseite ist maßstabgrößer als die der Großseite abgebildet. Am besten
sieht man bei den Schrägaufnahmen von der Wiedergabe des Maßstabes ab. Unter
Umständen ist es notwendig, die Aufnahmehöhe zu berechnen. Man muß dazu die
Entfernung zweier Punkte auf einer guten Karte messen. Auf dem Bilde sei sie
z. B. 4,5 cm, in der Natur (nach der Karte berechnet) 225 m ; dann verhält sich
45:225000 wie 1:5000. Die Höhe ist demnach das 5000 fache der Brennweite;
beträgt diese 0,25 m, ist die Höhe = 1250 m.
IM. Neuaufnahmen mit Fliegerbildern.
130. Neuaulnahmeu nach Fliegerbilderu mit \ (iraussptzuns« von inlischrn Fosl-
|iiuikten. Die Neuaufnahme nach l'hegerbildern ist das größte Problem, das die
Topographie gegenwärtig und gewiß auch künftig noch beschäftigen wird. Zu be-
antworten stehen die zwei Fragen: Ist es möglich, im Anschluß an bestehende Fest-
Npiiaufnahmen mit Friepcrbitdern. 277
punkte das Festpunktnetz zu verdichten? und bei Verzicht auf irdische Festpunkte
vollkommen neue Festpunkte zu gewinnen? Während an der Lösung der zweiten
Frage noch gearbeitet wird und viele an einen befriedigenden Ausweg überhaupt
nicht glauben, ist die Lösung der erstem so gut wie vollendet zu betrachten, wenn
auch die in Frage kommenden Verfahren noch nicht den höchsten Grad der Voll-
kommenheit erreicht haben. Daß man ohne irdische Festpunkte bei den Neuaufnahmen
nicht auskommen könne, war man sich seit der Zeit bewußt, da man anfing, die Luft-
liUdaufnahmen auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen. Th. Scheimpflug,
der schon vor dem Kriege durch die nach ihm benannten Geräte am meisten
zur Ver%"ollkoinmmmg der Luftbildaufnahme beigetragen hat und von deren
Leistungen mehr erwartet als verwirklicht wurde, ist stets von der Voraussetzung
ausgegangen, daß ein unanfechtbarer geometrischer Zusammenhang zwischen den
verschiedenen Aufnahmeorten des Luftfahrzeuges nur durch irdische Festpunkt-
bestimmung geschaffen wird^: und der Begründer und Herausgeber des „Inter-
nationalen Archivs für Photogrammetrie", Doleäal in Wien, faßte in einem Vortrag
vor Fachleuten seine Anschauung über diese Frage in der Erklärung zusammen, daß
die Luftphotogrammetrie nur dann zu verwendbaren Eesultaten führt, wenn sie
sich auf vorausgegangene geodätische Grundlagen, insbesondere Triangulierung,
stützen kami, und daß Bestrebungen, die ohne derartige Unterlagen imternommen
werden, kaum zu einem positiven Ergebnis führen dürften. Auch ein dritter kom-
petenter Beurteiler, C. Pulfrich, kommt zu dem Schluß, daß bei aller Verfeinerung
der Apparate die Luftbildaufnahme niemals die Genauigkeit eiTeichen dürfte, die
die Messung von einem unverrückbar festen Standort aus auszeichnet.* Man muß
sich eben in dieser Hinsicht von vornherein bescheiden. Die Entwicklung der Luft-
bildtechnik während des Ivrieges hat diese Anschauung führender Fachleute durchaus
bestätigt.*
Einen mittelbaren Beweis dafür liefert die Stellung der irdischen Bildaufnahme,
insbesondere die Eaumbildaufnahme (Stereophotogrammetrie) zur Triangulation-
Die Raumbildaufnahme hat sich gerade im Kriege sehr günstig entwickelt und be-
tätigt. Aber obwohl sie im Gegensatz zur Luftbildaufnahme über fest aufsteUbare
Geräte verfügt und deshalb eine wesentUch höhere Genauigkeit erzielt, hat sie es nach
wiederholten Versuchen aufgeben müssen, sich unabhängig von der Triangulierung
zu machen. Selbst sie vermag umfangreiche Flächen nur daim unanfechtbar zu
vermessen, wenn sie sich auf ein Netz von trigonometrischen Festpunkten stützen
kann, von deren Lage sie sogar eine höhere Genauigkeit voraussetzt, als sie behelfs-
mäßig durchgeführte Triangulationen besitzen. Die Erfahnmgen haben gelehrt,
daß in günstigem Gelände durch die Raumbildaufnahme, deren Standlinie tadellos
festgelegt ist, Punkte bis zu einer Entfernung von IG km in ihrer Kartenlage mit
einem mittlem Punktfehler von 12 m bestimmt wurden.
^ Th. Scheimpflug: Die Herstellung von Karten und Plänen auf pliotopraphisrhem Wego.
Sitz.-B. d. k. k. .\kad. d. VVias. in Wien. 1907, S. 31, 32.
* C. Pulfrich: Über Photogrammetrie aus Luftfahrzeugen und die ihr dienenden lustnuiiento.
Jena 1919, S. 43, 46.
' Der Geodät Paul Gast, mit dem ich während des Krieges längere Zeit zuaammengearlieitet
habe, kam mit mir zu der gleichen Überzeugung, daß sich nirgendsi ein Ansatz zu einer Entwicklung
zi'ige, die die Unabhängigkeit der Luftbildauftmhiiion von irdischen Fi'stpuMktbestimnumgen als dankl>nr
erscheinen lassen konnte, wenigstens nicht für bereits vennessenc Limder.
278 t)i>' Kartenaufnahine.
Bei der Gewinnung von Festpunkten mit Hilfe der Fliegerphotographie kann
es sich nur um exakte Verfahren handehi, da die Höhe der Punkte berücksichtigt
werden muß. Durch Hugershoff ist das Pyramidenverfahren zu einer exakten Methode
entwickelt worden.^ Indessen bleibt das Verfahren immer noch umständlich. Dafür
hat T. Fischer aus Stuttgart ein anderes einfacheres Verfahren ersonnen, das darin
besteht, aus drei Fixpunkten der Erdoberfläche, die auf der Platte mit abgebildet
sind, Neigung und Verkantung direkt zu ermitteln. Auf diese Werte wird die Kammer
des Bildmeßtheodolits eingestellt, und man mißt sodann die übrigen vier unbekannten
Größen, also die drei Eaumkoordinaten und die Achsenrichtung der Kammer. Methode
und Ergebnis sind ähnlich denen des Eückwärtseinschnitts im Felde mit Hilfe des
TheodoUts nach trigonometrischen Punkten. Fischer selbst bezeichnet das Ver-
fahren als „räumlichen Rückwärtseinschnitt durch Zerlegen in Grundriß und Auf-
riß". C. Pulfrich hat es weiter modifiziert.^
Bei der Festpunktbestimmung durch die Luftaufnahme handelt es sich, wie
wir oben bereits andeuteten, um das Problem des Rückwärtseinschneidens
im Baume. Theoretisch haben es Finsterwalder*, Fuchs*, Werkmeister*, Klin-
gatsch*, T. Fischer' gefördert, praktisch, d. h. graphisch sowohl wie mechanisch
Pulfrich und Hugershoff. Ist es dadurch auch nicht möglich, in einem neu zu er-
schließenden Gelände neue Festpunkte zu schaffen, so ist es hingegen ein ausgezeich-
netes Verfahren, ein weitmaschiges Triangulationsnetz durch zahheiche Neupunkte
zu verdichten, bei dem nur die Hauptbedingung besteht, daß das darzustellende
Gelände zum mindesten auf zwei Platten abgebildet wird. Damit der Abbildungs-
maßstab bei allen Bildern nahezu gleich ist, erscheint es als zweckmäßig, die Auf-
nahmen in ungefähr gleicher Höhe auszuführen. Im übrigen können die Bilder unter
beliebiger Neigung und in beliebiger Aufeinanderfolge aufgenommen werden. Das
sind unverkennbare Vorteile der neuen Methode, wozu sich noch die gesellen, daß
sie keiner „starren" Basis zur gleichzeitigen Herstellung von gegeneinander orien-
tierten Meßbildern wie die Meßtisch- und Stereophotogrammetrie bedarf, und daß
die Aufnahmen in jedem beliebigen Flugzeug aus freier Hand ausgeführt werden
können.
131. Neuaulnahmeu nach Fliegerbildern mit Verzicht auf irdische Festpunkte.
Die Schnelligkeit, mit der die FHegeraufnahmen im Vergleich zu den zeitraubenden
Vermessungen im Gelände selbst zustande kommen, hat zu der Frage geführt, ob
die Geländemessungen überhaupt nicht durch Luftbildaufnahmen ersetzt werden
können, und ob insbesondere auch die Gewinnung der zur Kartenkonstruktion not-
' R. Hugershoff u. H. Cranz: Grundkigen der Photogranimetrie aus Luftfahrzeugen. Stutt-
gart 1919.
2 C. Pulfrich, a.a.O., S. 38ff.
" S. Finsterwalder u. W. Scheufeie: Das Rückwärtseinschncidon im Raum. Sitz.-B.
d. raath.-phys. Klasse der k. Bayr. Akad. d. Wiss. XXXIII. München 1903. — S. Finsterwalder,
s. Anm. 1, S. 279.
* K. Fuchs: Das Rückwärtseinschneiden im Raum. Z. f. Verm.-W. 1906, S. 425.
' P. Werkmeister, Einfaches Rückwärtseiiischneiden im Raum mit Hilfe von Positiv-
winkeln. Intern. Archiv f. Photogr. V. Wien u. Leipzig 1915.
* A. Klingatsch: Zum räimahchen Rückwärtseinschneiden. Intern. Archiv f. Photogr. V.
Wien u. Leipzig 1916. — Üb. d. Ortsbestimmung aus Flugzeugen. Kart. Z. 1921.
' Vgl. C. Pulfrich, a. a. O., S. 20ff.
Neuaufnahmen mit Fliegerbildrni. 279
wendigen Festpunkte aus der Luft geschehen kann. Man hat Methoden zur Fest-
punktbestimmung aus der Luft mehrfach vorgeschlagen. So könnte man dadurch,
daß der Sonnenstand mit auf die photogi-aphische Platte gebracht wird, jede Auf-
nahme in eine einfache geometrische Beziehung zur Erdachse bringen, und infolge-
dessen irdische Marken, die auf verschiedenen, durch Vermittlung der Sonne in Zu-
sammenhang gebrachten Aufnahmen abgebildet werden, in ihrer Lage zu den Auf-
nahmeorten des Luftfahrzeuges bestimmen. Vorausgesetzt wird dabei, daß die gegen-
seitige Entfernung einzelner dieser Marken im Gelände gemessen wird, damit der
Längenmaßstab jeder Einzelaufnahme gegeben werden kann. Auch wäre erforder-
lich, jene Marken vor der Aufnahme so zu bezeichnen, daß sie auf der photogi'aphischen
Platte ohne Zweifel erkannt werden können. So oder in ähnhcher Weise Ueßen sich
vielleicht Festpunktbestimmimgen aus der Luft ausführen. Solchen Spekulationen
geht auch S. Finsterwalder nach und kommt zu der Überzeugung, daß die Mög-
Uchkeit einer Lufttriangulation besteht. ^ Daß alle derartigen, theoretisch möglichen
Verfahren sehr umständliche Rechenarbeiten erfordern, ist ohne weiteres klar, weil
ihnen im Gegensatz zu den Vermessungen auf der Erde die unmittelbare Beziehung
auf die Horizontale fehlt. Irdische Vermessungen lassen sich wegen dieser einfachen
Beziehung ■ auf die Horizontale, die nur durch fest aufgestellte Geräte vermittelt
werden kann, nach den Regeln der ebenen Trigonometrie berechnen, Luftaufnahmen
dagegen nur im dreidimensionalen Raum.
Aber wenn schon die Umständlichkeit der rechnerischen Auswertung die Fest-
punktbestimmung aus der Luft zu einer praktisch sehr schwierigen Aufgabe macht,
die zu lösen nur in Ausnahmefällen lohnt, versagt die Luftbildaufnahme, wenn von
der Festpunktbestimmung dieselbe Genauigkeit verlangt wird, wie sie irdische Tri-
angulieningen ohne weiteres erreichen. Finsterwalder gibt selbst zu, daß bei einer
Lufttriangulation die Genauigkeit mindestens SOfach geringer als bei der Boden-
triangulation ist. Die Verwirklichung einer Lufttriangulation käme erst dann in
Frage, wenn für eine Aufnahme in unvermessenem Gelände die äußerste SchnelUgkeit
geboten wäre.
Der eigentliche Grund der Unsicherheit, mit der sich Winkelgrößen auf photo-
graphischen Platten ermitteln lassen, auch bei Verwendung der feinsten Geräte zur
Ausmessung der Platten, liegt darin, daß die Genauigkeit der photographischen
Winkelmessung hauptsächhch von der Länge der Brennweite abhängt, und zwar
derart, daß eine Kammer mehrere Meter lang sein müßte, wenn mit ihr Winkelgrößen
ebenso genau ermittelt werden sollten wie mit einem kleinen Landmeßtheodolit von
13 cm Kreisdurchmesser und einem Femrohr von etwa 30 cm Länge. Dieser
Genauigkeitsgegensatz zwischen photogramnietrischer und unmittelbarer Winkel-
messung ist der Natur dieser verschiedenen Meßverfahren eigentümlich und läßt sich
durch keinen technischen Fortschritt der Luftbildmessung beseitigen. Selbst wenn
man nicht davor zurückschrecken wollte, Kammern von so ungeheurn Ausmaßen
im Luftfahrzeug zu verwenden, würde man dennoch die erstrebte Genauigkeit nicht
erreichen, weil durch die große Länge der Kammer neue Feblenpiellen, wie die nicht
vollkommen feste \erbindung zwischen Lins<' und Plattenebene, das Schwanken
' S. FinHtcr« ttidor: .\ltc und nevic Hilfsmittel der Ijinde.HVonnessiinK. Festrede, jieti. i. d.
Offentl. Sitzung denk. .Akwlemie d. Wi»». am 15. November UM6. Mümlien 15117. Den Gedanken-
gang gibt kurz wieder O. Eggcrt i. d. Z. f. Verm.VV. 11(20, S. ö40, 541.
280 r)'*" Kaifonaufnaliinn.
und die Erschütterung des Flugzeuges und die unsichere Hohenbestimmung im Augen-
blick der Beobachtung entstehen. All diese Fehlerquellen können wohl an terrestrisch
festgestellten luf^trumentcn, nicht aljer im Flugzeug oder Luftschiff ausgeschaltet
werden.
IV. Grundriß und Geländedarstellung.
132. Topographisehc Aiifnahiiip schwer ziigänsliehor Gebiete. Von ebenso großer
AViclitigkeit, wenn nicht größerer als die Verdichtung des Festpunktnetzes ist die
topographische Aufnahme' durch das Flugzeug, wobei ebenfalls zu betonen
ist, daß die sicherste und beste Grundriß- und Geländedarstellung die terrestrische topo-
graphische Aufnahme ergibt. Wo jedoch keine Möglichkeit oder Zeit zu topographischen
Aufnahmen vorhanden ist, ■«'ird die Lichtbildaufnahme zum wichtigen Notbehelf.
Schwer zugängliche Gebiete, sei es im Hochgebirge, sei es in sumpfigen
Niederungen, die topographisch bisher kaum gemeistert werden konnten, werden
durch die Luftbildaufnahme sicher erfaßt. Zweifellos tragen auf solche Weise die
Fliegerbilder zur Vervollkommnung der topographischen Grundlage einer Karte
bei. Ebenso verspreche ich mir durch die Fliegeraufnahme für die Felszeichnung
einen entschiedenen Fortschritt. Leuzinger, Simon, Becker, Aegerter, Finsterwalder
haben die Felszeichnung im Kartenbild nach Möglichkeit gefördert, namentlich mit
Hilfe der gewöhnlichen terrestrisch photographischen Aufnahmen, Finsterwalder durch
die Meßtischphotogrammetrie. Teils mit dem senkrecht aufgenommenen, teils mit
dem schräg aufgenommenen Fhegerbild ist endlich das Mittel geschaffen, z. B. eine
Karstlandschaft, ein Karrenfeld, ein wild zerrissenes Dolomitgebiet usw. morphologisch
und kartographisch befriedigend darzustellen. Der alpinen Kartographie erwachsen
dadurch neue und, wie ich weiß, längst ersehnte Aufgaben.
Abgesehen von den erwähnten Fels- und Hochgebirgsgegenden, von Wüsten,
wo ^\■irtschaftlich nichts zu holen ist, gibt es wirtschaftsgeographisch hochinteressante
Gebiete, die Ijisher jeder kartographischen Darstellung trotzten. Dazu gehört vor-
nehmhch das Inundationsgebiet des Amazonas. Geographisch wie wirtschaftlich
wichtig ist es, das Ausdehnungsgebiet der drei Landstufen, wieweit sie von der
Überschwemmung erreicht werden oder nicht, genau zu kennen; wieweit also die
Terra firme, das außerhalb jeglicher Überschwemmung liegende Gebiet reicht, und
wo sich die unterste Stufe, der Jgopö (Sumpf), von der zweiten, der Varzea, dem
zeitweiUgen Überschwemmungsgelüet, scheidet. Die Aufnahme solcher Gelände-
stufen im Grundriß muß schnell und sicher geschehen; hier, wo die Arbeit des Topo-
graphen versagt, wird die Luftaufnahme voll und ganz zur Geltung kommen. Bei
tieferm Nachdenken erweitert sich die Fülle der Aufgaben der Luftaufnahme. Geo-
graphie und Wirtschaftstechnik werden durch sie in ungeahnter Weise bereichert
werden. Wie dankbar werden es diese und andere Wissenschaften empfinden, weim
einmal oder besser noch von Zeit zu Zeit die Gletscher, Schneefelder, -verwehungen
und -Wächten, Verlandungen von Seen, Deltabildungen, Überschwemmungen, Fluß-
bettverschiebungen, Wanderdünen, Sande und Baijen im Wattenmeer u. a. m. im
Bilde und sodann meßbar in der Karte festgelegt werden. ^
1 E. Ewald: Die Plugzeugphotot;raphie im Dienst der Geograpliie. P.M. 1920, S. 1-6. —
Obcrstl. Boelcke: Die Bedeutung des I^uftbildes. Das technin'lie Blatt. Illustr. Beilage der Frankf.
Zeitung. Frankfurt 1920, Kr. 1.5, d. 24. Juli. Mit 16 Abb.
Gmnilriß und Gplliniledarstclliing. 281
133. Verbesserung des topographischen Grundmateriais, insbesondere des Grund-
risses. In der Verbesserung des topographischen Grundmaterials erbUiht
der Fliegeraufnahme ein aussichtsreiches Betätigungsfeld. Im Hinblick auf eine
einheitliche Weltkarte in 1:100000 (S. 104) oder auf eine einheitliche topo-
graphische Aufnahme von Mitteleuropa in 1 : 10000 oder eine topometrische Grund-
karte (Einheitskarte) von Deutschland in 1 : öOOO, wodurch den Landesaufnahmen
hohe und aussichtsreiche Aufgaben erwachsen, stellt sich in der Luftaufnahme ein
neues Hilfsmittel zur rechten Zeit ein. In Bruchteilen einer Sekunde entsteht auf der
Platte das getreue Spiegelbild eines Geländestücks, zu dessen Aufnahme der messende,
schreitende und zeichnende Topograph Tage und Wochen gel)raucht.
Zur schnellen Herstellung einer detaillierten Grundrißzeichnung der Ortschaften
ist die Luftbildaufnahme hervorragend geeignet. Bei einem Maßstab 1 : 10000 genügt
es nicht, den einfachen Grundriß einer Siedelung, d. h. — wie jetzt in der üblichen
Weise auf Karten 1 : 25000 — nm- Hauptstraßen und Umgrenzung eines Ortes wieder-
zugeben, sondern Einzelheiten in der Ortsanlage müssen mit verzeiclmet werden,
so ähnlich, wie es im Kriege notwendig war, auf Karten in 1 : 10000 und 1 : 5000
das Ortsbild durch Fliegerbilder zu ergänzen, da oft einzelne Häuser im Orte zu
Verteidigimszwecken ausgebaut und daher in der Karte benötigt wurden.
Den Grundriß einer Ortschaft nach einzelnen Gebäuden, Gärten usw. auf-
zmiehmen, ist langwierig und erfordert viel Arbeit und Geduld; vieles kann hier der
Fhegeraufnahme überlassen werden. Dabei ist nicht in Abrede zu stellen, daß Orts-
lagenpläne in 1 : 500, Katasterkarten in 1 : 1000, 1 : 2000 und 1 : 5000, Spezialpläne
für Straßen- und Eisenbahnbauten in 1 : 1000 und in ähnlich großen Maßstäben hi
Deutschland und andern kulturell gleich hochstehenden Ländern in genügender
Anzahl vorhanden sind, die für eine Karte 1 : 5000 das beste Grundmaterial geben,
das mit Leichtigkeit photographisch reduziert wird und unter Umständen sichere
und bessere Bausteine zum Aufbau der Karte als die Fliegeraufnahme Uefert. Das
Mißliche jedoch bei der Kartenherstellung ist, daß all diese Urkarten und Pläne,
wemi sie zur weitern Verarbeitung gelangen, meist veraltet sind und selten Höhen-
angaben bringen, auch vielfach nicht recht zusammenpassen wollen, nicht einmal
in bezug auf die trigonometrischen Punkte.^
In dicht besiedelten Gebieten, wo sich Wegenetz und Siedelungsbild ständig
ändern und topographische Hilfskräfte nicht immer oder in nicht genügender Anzahl
zur Verfügung stehen, ist eine Kurrent- oder Evidenthaltung des betreffenden Karten-
hlattes mit Hilfe einer Eeihenbildaufnahme zuzeiten gar wohl angebracht. Auf diese
Weise trägt das FHegerbild zur Korrektur der Originalkarten und zur ,.Up to date-
Genauigkeit" der neu und wiederholt herauszugebenden Karten erlieblich bei.
Im großen und ganzen wird das Fliegerbild die Schnelligkeit der Veröffent-
lichung der amtlichen Kartenwerke und deren Neuauflagen kaum so fordern, wie
man jetzt allgemein erhofft, da eine öftere Neuausgabe eines großmaßstabigen offi-
ziellen Werkes in der Hauptsache am Kostenpunkt scheitert und weniger an dem
in hinreicliendeii Mengen vorliegenden topographischen Material. Brauclien indessen
keine Kosten und Mühen gescheut zu werden, und erfordern wirtschaftliche und
' V. V. Rönnr; WVlohi« Gesichtspunkte eröffnet der Plan einer Einheitskarte großen Nfali-
stahesfürdie rmge.staltnnmlesge.samten VerniesMiumswesens? Z. f. Venu. -W. 1919, S. 138,139. I)aU
bei der geographischen Ziisaniniensotziing von kleinen FlSohen zu großen die Verschiebungen un-
vermeidlich sind, betont Hchon H. Siegfried, a.a.O.. S. 28.
282 Die Kaitimaufnahme.
technische Umstände beschleunigte Neuherausgaben, die in großer Auflage her-
zustellen gar nicht nötig ist, dann wii-d selbstredend die Luftbildaufnahme ein wesent-
licher Faktor zur Auffrischung des amtlichen Kartenmaterials sein.
134. Irrungen beim Fliegerbildlesen. Das Fliegerbild will gelesen und verstanden
sein. Trotzdem ist man vor groben Fehlem bezüglich der Grundriß- und Gelände-
darstellung nicht sicher. So erscheinen z. B. im Sommer Kleefelder auf den Flieger-
bildern wie Waldstücke. Nur eine Winteraufnahme kann zuweilen die richtige Auf-
klärung geben. Überhaupt ist die Frage zu erwägen, in welcher Jahreszeit gewisse
Landschaften am besten für topographische Zwecke aufzunehmen sind. Der Spät-
herbst ist recht geeignet, doch hat er wieder den Nachteil in der kurzen Dauer der
Aufnahmezeit. Neuschnee läßt viele Grundriß- und morphologische Formen aus-
gezeichnet erkennen. Schon bei der Betrachtung der Photokarte von Scheimpflug
konnte sich E. Kohlschütter nicht der Befürchtung verschließen, daß die ver-
schiedene Färbung der einzelnen Ackerstreifen je nach der Jahreszeit zu irrigen Auf-
fassungen führen kann.^
Die Beschaffenheit der Wege ist aus dem Fhegerbild nicht zu ersehen. Nur
wer viele Fliegerbilder wegen des Straßennetzes zu vergleichen gelernt hat, wird
einige Fertigkeit in der Beurteilung der Wege erhalten, aber auch dann sind Irrtümer
nicht ausgeschlossen. Der Verlauf von Wegen im Walde ist schwer oder gar nicht
auf der Bildaufnahme zu erkennen. Die Schneisen sind nicht von den Wegen zu
unterscheiden. Desgleichen erkennt man aus dem Luftbilde nicht den Zustand der
Brücken, Furten, die Gangbarkeit der Wiesen und sumpfiger Gelände, einzelne Weg-
weiser und Bildstöcke. All diese und andere Einzelheiten, wie die Namen der Orte,
Berge, Wälder usw. sind eben nur durch eignen Augenschein und durch Erkundungen
an Ort und Stelle und bei den Einwohnern festzustellen. Also das Begehen des Ge-
ländes durch den Trigonometer oder Topographen, vorausgesetzt, daß dies Begehen
auch möglich ist, bleibt nicht erspart, auch nicht nach den neuesten Aufnahmemethoden.
135. Das Versagen des Fliegerbildcs bei der Terraindarstellung. Die karto-
graphische Darstellung des Geländes läßt sich mit dem Fliegerbild nicht ohne
weiteres bewerkstelligen. Wer selber geflogen ist, weiß, daß schon in einer Höhe von
noch nicht 1000 m Höhenunterschiede von 50 m und mehr kaum noch wahrzunehmen
sind. Alles scheint eingeebnet zu sein. Nur ein geübtes und topographisch geschultes
Auge vermag z. B. an der Verschiedenheit der Beleuchtung am Schatten bei schräg-
stehender Sonne Höhenunterschiede, Berge und Täler zu entdecken, während in
Kulturgebieten Krümmungen und streckenweises Verschwinden von Straßen und
Wegen, unregelmäßige Gestalt der Felder und Ackerfurchen die Unebenheiten des
Landes zur Not erkennen lassen.
Benachbarte, zum großen Teil sich deckende und liurz hintereinander auf-
genommene Bilder lassen sich im Eaumglas (Stereoskop) im beschränkten Maße
dazu benutzen, das Geländebild orographisch zu erschheßen und kartographisch zu
fixieren. Wir nennen die zu diesem Zwecke aufgenommenen und zusammengesetzten
Bilder „Fliegerraumbilder". Außer der ordnungsmäßigen Eaumwirkung treten auf
den meisten senkrechten Fliegerraumbildem noch scheinbare Hebungen und Sen-
* E. Kohlschütter: Die Sclieinipfliig-Kammererschp Land vermessuiij.' von Liifttaluzoufjcn
aus. P. M. 1914. I. S. 274.
Grundriß und Goländedarstellung. 283
kungen des Bildgeländes, die mit dessen wirklicher Gestaltung nichts zu tun haben,
auf. Diese Hebungen und Senkungen besitzen meistens ausgesprochene Wellen-
form, mehr oder minder regelmäßig vom Plattenrand aus über die Platte hin verteilt.
Treten auf dem Bilde zweierlei Wellenläufe auf, die in verschiedener Eichtung ver-
laufen und sich derart überlagern, daß der auffällige regelmäßige Welleneindruck
verwischt wird, daim ist die Gefahr der Irrefühning erhöht, indem die scheinbaren
Wellen Täler und Berge vorspiegehi. Bei allgemeinen Höhenunterschieden im Ge-
lände ist das senkrechte Fliegerbild nicht verläßhch, dagegen bei scharf abgesetzten
Eaumtiefen, wie man bei Brücken, Häusern, Bäumen, steilen Dämmen und Fluß-
ufern wahrnimmt. Die Ursache der Wellenerscheinungen ist in den Erschütterungen
der Kammer, die durch die Bewegung des Flugmotors und durch den Auslösevorgang
der Platten hervorgerufen werden, zu suchen.
Bei Schrägaufnahmen tritt die Wellenerscheinung nicht auf, weil die Bild-
verschiedenheiten zu groß sind, um daneben etwaige Bildverzerrungen im Eaum-
eindruck zur Geltung kommen zu lassen, was zugleich den Hinweis gibt, die Schräg-
aufnahmen zur Konstruktion des Geländes eingehender heranzuziehen. Das ist
vor allem durch Hugershoff und sodann durch Pulfrich und Fischer geschehen.
136. Das Meßbarmachen des Geländes auf dem Fliegerbild. Während das Flieger-
bild sozusagen nichts über die orographische Gestaltung der Erdoberfläche sagt und
das Flugraumbild lediglich nur ^ngibt, wo und wie sich die Bodenerhebungen auf
dem Bilde bemerkbar machen, haben die neuen Methoden von Hugershoff und von
Pulfrich das Geländebild auf der Fhegeraufnahme durch besonders konstruierte
Geräte direkt meßbar gemacht. Das ist ein weiterer großer Fortschritt in der
Photogrammetrie. Neben den eigcnthchen Meßbildern, die man am besten in 30"
Neigung aufnimmt und die auch nicht als stereophotographische Aufnahmen an
die starre Basis eines Vermessungsluftschiffes gebunden sind^, werden gleichzeitig
senkrechte Aufnahmen durch Eeihenbildner vorgenommen, die zur Konstruktion
von Einzelheiten in der Situation und im Verlauf der Schichtlinien herangezogen
werden. Bei der Herstellung eines Lage- und Höhenplanes in 1 : 10000 werden nach dem
Hugershoffschen Verfahren bisher durchschnittlich 100 Pimkte für 1 qkm in kurzer
Zeit gewonnen: der mittlere Fehler einer einfach bestimmten Höhe soll 3,9 m, der
einer doppelten Höhen best immung 2,8 m betragen. Das sind gute Ergebnisse nach
der neuen Methode. Hugershoffs Methode beschränkt sich zunächst, wie auch
Pulfrich bemerkt, auf die Punktbestimmung im monokularen Sehen. Nach ihr bleibt
es immer umständlich, für die Höhenschichtlinien die Punkte einzeln auf der Karte
aufzutragen. Um dies zu vermeiden, werden Stereoautogra jihen konstruiert, die
die Schichten selbsttätig aus den Meßbildern entwickeln. An dem edlen Wettstreit,
die besten Apparate hierfür zu konstruieren, shid die namhaftesten optischen Werke
Deutschlands beteiligt, so C. Zeiß in .lena (('. Pulfrich), G. Heyde in Dresden (E. Hugers-
hoff) und V. P. Goerz in P.erlin-Friedenau. Hugershoff hat bis jetzt den besten
ersonnen.
Wenn an die Herausgabe einer topometrischen (irundkarte in 1 : öOOO heran-
gegangen wird, dürfte es sich in der Hauptsache um die Herstellung eines Höhen-
planes auf Grund vorhandener Kntasterkarten und Sonderpläne handeln. Wo sie
' Von welchei AnBi.lit H. HcrgcM-ll hofantjrn war. vgl. T. M. 1912. I. S. 69.
284 T>ip Kaitoii;mtnahme.
Schwierigkeiten im Zusammenpassen und im Maßstab machen, ist die Neuaufnahme
unabwendbar. Zu all diesen Arbeiten kommt die neue Methode wie gerufen. Es
wird nachgerade Zeit, daß die Katasterkarten endlich Höhenangaben und Schicht-
linien erhalten (s. S. 225). Süddeutsche, insbesondere die württembergischen Flur-
karten haben sich in dieser Eichtung schon lange rühmlichst betätigt. Für wirt-
schaftliche, technische und wissenschaftliche Zwecke genügen heute Katasterkarten
mit ausschließlicher Situationszeichnung nicht mehr. Wahrlich, hier winken und
erblühen einer Landesaufnahme oder einem Eeichsvermessungsamt, ganz gleich,
wie man es nennen will, eine Menge neuer, interessanter und lohnender Aufgaben!
137. Das Flipgeibild als Unterlage beim Topographieren. Abschließendes Urteil
über seinen Wert. Bei manchen topographischen Aufnahmen wird es sich empfehlen,
das Eeihen- oder Fliegerbild als Unterlage bei topographischen Arbeiten
zu verwenden. Mit großem Vorteil kann der Topograph die von dem aufzunehmenden
Gelände vorhandenen Fliegerbilder beim Auszeichnen seiner Krokis auf der Meß-
tischplatte benützen ; noch besser ist es, er krokiert gleich in der Natur auf den Licht-
bildern. Zu dem Zweck müssen die Bildabzüge auf mattem Papier hergestellt werden.
Am schnellsten geht diese Art des Aufnehmens, wenn ein Mann besonders am Meß-
tisch arbeitet, d. h. die Lattenpunkte mißt. Der Topograph geht dann mit einem
Lattenträger gleich krokieren und gibt ihm die Punkte an, wo die Latte aufgestellt
werden muß. Der Grundriß wird in Tusche, die Schichtlinien, vielmehr die Form-
linien, werden in gerissenen Linien in Tusche oder auch in Blei gezeichnet. Vielfach
ist es zu empfehlen, die Geripplinien noch hervorzuheben. Auf dem fertig krokierten
Luftbild werden die Höhenzahlen eingeschrieben und die Schichtlinien gewöhnlich
in Eot nachgezeichnet, wenn sie vorher m Blei markiert waren. Auch die nötige
Beschriftung wird m schwarzer Tusche vorgenommen. Nach Ausbleichen des Bildes
mit Blutlaugensalz verschwinden die photographischen Einzelheiten des Bildes und
nur die in der Natur ausgeführte und weiterhin vervollkommnete Zeichnung bleibt
stehen.^ Dann wird eine Pause angefertigt, auf der einige wichtige Einpaßpunkte
von der Meßtischplatte abgenommen werden. Dieselben werden auch auf dem aus-
gewaschenen Bilde scharf und deutlich gekennzeichnet. Darauf wird das Bild ent-
zerrt, d. h. die gemessenen und angegebenen Einpaßpunkte mit irgendeinem Umformer
auf den gewünschten Maßstab gebracht. Die so gewonnene maßstabtreue Entzerrung
wird auf die Meßtischplatte übertragen. Ein derartiges Verfahren beschleunigt die
topographische Aufnahme und gibt ihr auch die gewünschte Genauigkeit.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß der gewandte Topograph in vielen Fällen
auf den Mt^ßtisch ganz verzichten wird. Alle vorhandenen Bilder, Festpunkte und
Höhenwerte wird er sammeln und sich danach kleine, mit Koordinatermetz versehene
Zeichenbrettchen vorbereiten. Ein Wc'ttorglas für Höhenmessung und ein handlicher
Schnellmesser (Tachymeter) für Höhen- und Entfernungsmessung dienen zur weitern
Vervollständigung seiner Ausrüstung.
Auch der Kartograph wird sich bei der Kartenzeichnung der Luftliikler, sobald
ihm etwas in der topographischen Aufnahme zweifelhaft erscheint, gern bc^dionen.
Somit dürften die Luftbildaufnahmen beim Werdegang einer Karte bis zuletzt einen
unschätzbaren Belegstoff und ein jetzt schon willkommenes und in der Folge kaum
noch zu entbehrendes Hilfsmittel sein.
1 Vgl. die Bilder bei M. Eckert: Luftbildaufualuiie u. KaitfiilierMtelluiig. G. Z. 1!)21.
Die Luftbildkürtc. 285
Nach der vichtigeu Aiiwiiguiig der Vor- und Xaclitcilo der Fliegerphotugraiihic
kann es nicht schwer fallen, sich ein Urteil über den Wert der Luftaufnahme für
größere Kartenunternehmungen zu bilden. Bei einem Neuland, d. h. einem topo-
graphisch noch nicht erschlossenen Lande, die Karteudarstellung ledigUch auf Luft-
aufnahmen zu gründen, bleibt gewagt. Gut Brauchbares und der Geographie am
meisten Dienendes wird sie nur da leisten, wo die ti igonoraetrische Festpunktbestimmung
vorweg gegangen ist. Sie mag ja für sich allein ein schönes und brauchbareres Bild
als die meisten flüchtigen Eoutenaufnahmen geben, aber kartographisch befriedigen
wird sie nicht. Für die Kolonialländer und die Gebiete, wo topographisch eigentlich
fast noch alles zu leisten ist, sind neben der trigonometrischen Festpunktbestimmung
die ßeihenbildaufnahmen in Verbindung mit den Aufnahme- und Meßverfahren
von Hugershoff oder von Pulfrich die gegebenen topographischen Aufnahmeverfahren;
und neben der trigonometrischen kami gegebenenfalls die Festpunktbestimmung
aus der Luft für genannte Gebiete von Bedeutung werden. Noch vor wenigen Jahren
erblickte man für gleiche Zwecke m der Scheimpflugschen Aufnahme das einzige
Mittel.^ Heute denkt kaum noch jemand daran.
V. Die Luftbildkarte.
138. Das Wesen der LuJtbildkarte oder der besouderu Flugbildkarte. Lodighch
aus FHegerbildern ein Kartenbild zusammenzustellen, hat nur für einzelne enger
umschlossene typische Landschaftsgebiete Zweck, nicht aber für ausgedehntere Ge-
biete. Während des Krieges hat einmal auf nicht zu lange Zeit die Flug- oder Luft-
bildkarte von sich reden gemacht; ja sie wurde als „Karte der Zukmift" reklame-
haft gepriesen, allerdmgs nicht von selten des Kriegsvermessungswesens. Auf sie
näher einzugehen, lohnt insofern, als die genaue Kenntnis und Erfahrung darüber
geeignet sind, vor ähnhchen kostspieligen und zwecklosen Unternehmungen, die
heute noch verschiedene Fachleute und Laien beschäftigen, zu warnen.
Bei der Herstellung der Luftbildkarte ging man zunächst von der Voraussetzung
aus, daß ein Fhegerbild innerhalb geringer Ausdehnung eine genauere Wiedergabe
der natürhchen Verhältnisse als die Karte ist. Ein Einzelbild karm unter Umständen
ein unbedingt naturgetreues Geländebild sein, niemals eine Karte. Nach dieser
Richtung müssen auch wir Geographen miser Urteil über die Karte korrigieren:
wieviel wird nicht von , .naturgetreuen Karten" oder , .naturgetreuen Gelände-
darstellungen" gesprochen und geschrieben, wo es sich höchstens um Naturähnüch-
keit handelt. Die Naturtreue des Einzel fliegerbildes war die Veranlassung, es in
größerer Anzahl zusammenzusetzen. Man achtete bei einer Reihe von Einzel- und
Reihenhildaufnahmen tunhchst auf gleiche Kammer, Tageszeit. Höhe, gleichen Höhen-
messer, auf gleichmäßige Beleuchtung und Innehaltung emes einheitlichen Maßstabes
während der Aufnaluue. Für die Herstellung der Luftbildkarto kamen nur senk-
rechte Aufnahmen in Frage. Daß sie oft nicht senkrecht sind, wissen wir. Sie müssen
' So Th. Scliciiiipfliis selbst in dem .\itikfl: Zur Kolonialvoniiossunn aus der Vogclpt-rsiH<k-
tive. S.-A. aus Xr. 41 des Frankfurter Woiheuhlattos ,fi\c Maiubrüoke" vom 11. Oktober löOi».
Femer K. Pcucker in dem IMerat über Da-s Verfahren Tlirodor S<lieiniptlugs für aerophotogram-
metrische I-andesaufnalinie für da» k. k. Handelsministerium in Wien. O. Kämmerer: Das Flug-
wesen in den K<)U)nien. Deutsehe Kolouialzeilung 1012.
286 '*''• KiirtPn;mt'naliiiic.
daher entzerrt und auf ungefähr gleichen Maßstab gebracht M'erden. Nachdem die
so behandelten Luftbildaufnahmen zu einem größern kartenförmigen Bilde zusammen-
gesetzt worden wai-en, überzog man die so entstandene Luftbildkarte mit einem der
Karte entsprechenden Koordinatennetz. Man gab den Luftbildkarten die Maßstäbe
1 : 5000 und 1 : 10000, jene umfaßte 8 (Breite) x 5 km (Höhe), also 15 qkm, diese
() X 10 km oder 60 qkm, bzw. Planquadrate. Große Vorkehrungen waren bereits
getroffen worden, verschiedene Gebiete der Westfront reichlich mit diesen Luftkarten
auszustatten, als sich das ganze Unternehmen zerschlug.
Bei der äußern Form der Karte verbinden wir ganz feste Begriffe für vermessungs-
und kartographischtechnische Genauigkeit. Diese fehlte der Luftbildkarte. Bei
der von mir seinerzeit unternommenen Untersuchung differierte der Maßstab zwischen
den einzelnen Blättern bis zu IO^/q. Selbst innerhalb emes Kartenblattes war ein
Schwanken des Maßstabes festzustellen, was bei der Zusammensetzung von nicht
durchgängig gleichwertigen Bildern vorauszusehen war. Vollständig versagte die
Luftbildkarte bei dem von der Karte übernommenen und ihr nachträglich aufgezwunge-
nen Kilometer -Koordinatennetz. Standen bei dem Einpassen ins Koordinatennetz
viele Festpvmkte zur Verfügung, paßte das Netz noch einigermaßen, das dort, wo
nur wenige Punkte vorhanden waren, ganz aus den Fugen ging, wenn es auch äußer-
lich eme gewisse Gleichmäßigkeit vortäuschte. Verschwenkungen des Netzes am
Kartenrand von 100—300 m waren nicht selten, in ostwestlicher Richtung kame^i
auf 3—6 km Entfernung Ausdehnungsfehler bis 400 m vor. Verglich man drei Punkte
auf der Luftbildkarte mit den gleichen der Karte, stimmten sie, wenn sie nahe bei-
einander lagen, leidlich überein, je mehr sie sich voneinander entfernten, um so größer
wurden die Unterschiede zwischen Karten- und Luftbild. Die Luftbildkarte machte,
mit kartographischem Maß gemessen, durchaus einen unfertigen Eindruck, für den
allerdings der ganze Werdegang der Luftbildkarte verantwortlich war. Wird bei
einer Karte erst das Netz konstruiert und dann der Karteninhalt hineingegossen,
wurde bei der Luftbildkarte erst der Inhalt zusammengesetzt und dann in das Netz
hineingepreßt, was ebenso verkehrt ist, als wenn man ein Haus aus Lehm erst liauen
und ihm nachträghch das Holzgerüst einfügen wollte
139. Der Wert der Luftbildkarte. Kein Kartenersatz. Das Urteil über die Luft-
bildkarte hatte kaum jemand besser als die Tru])pe selbst gesprochen: Man gebrauchte
sie nicht. Bei den dafür aufgewandten Verbrauchsstoffen, Zeit und Arbeitskräften
war das eine herbe Enttäuschung. In dem Verhalten der Trappe gegenüber der
Luftbildkarte, die technisch einwandfrei hergestellt worden war, spricht sich deutlich
der große Unterschied zwischen Luftbild und Karte aus. Das Luftbild bringt als
getreue Wiedergabe der natürüchen Verhältnisse alle Erscheinungen des Geländes,
während die Karte auswählt, das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheidet
und das Wesentüche hinwiederum weiter noch generalisiert und mit verschiedener
Wertsteigerung zum Ausdruck bringt. Das menschliche Auge kann nicht mit einem
Male alle Einzelheiten der Natur umfassen und aufnehmen. ^ Der Unvollkommenheit
^ Menschea von merkwürdiger Aufnahmefähigkeit eines urößern Ganzen durch einen Blick
gehören in das Bereich der berühmten Ausnahmen, wie z. B. der Hamburger Zacharias Dase (1824
bis 1861), von dem wahrheitsgetreu berichtet wird, daß er auf einen einzigen Blick von weniger als
Sekundendauer die Anzahl der Ziegel oder Schindeln auf dem Dach eines Hauses mit Sicherheit anzu-
geben vermochte. Das klingt schon ans Wunderbare, wieviel schwieriger ist erst, die bunte Mannig-
faltigkeit des Greländes mit einem Blick scharf zu umfassen.
Die Luftbüflkarte. 287
des menschlichen Organismus und den thirauf hegründeteu psychischen Vorgängen
trägt die Karte Rechnung (s. H. 14). Darum orientierte sich der Soldat lieber und
besser nach der Karte als nach dem Fliegerbild. Ohne Zweifel wird durch letzteres
das Studium der Karte bedeutend gefördert und umgekehrt. Das Fliegerbild sagte
niu" schwer dem Soldaten, was er brauchte, wie die feindlichen Beobachtungsstellen,
Minenwerferstände, feindliche Batterien, Lager, Masken usw., was alles durch besondere
Signaturen auf der von der Vermessungsabteilung der Armee hergestellten Front-
karte gut zu erkennen war. Wenn die Karte durch die gehäuften Signaturen Flächen-
teile des Geländes nicht maßstabgetreu deckte, wurde dies bei den sonstigen Vor-
teilen, die die Karte dem Luftbild gegenüber bot, gern in Kauf genommen.
Zusammenfassend müssen wir sagen, daß die Luftbildkarte mit der ihr eigenen
umfangreichen Gelände- und Grundrißdarstellung in Form einer Karte mit ein-
deutiger Maßangabe und Netzquadraten nach dem heutigen Stande der Luft.bild-
aufnahme ein Versuch mit ungenügenden Mitteln und kartographischen Wider-
sprüchen war, zum mindesten durfte sie nicht in der Form der Karte erscheinen,
damit nicht falsche Vorstellungen erweckt wurden. Sollten selbst die Luftbildkarten
eine Schichtlinienkonstruktion erhalten, an die Scheimpflug bereits dachte, würde
ihre 6el)rauchsfähigkeit kaum gesteigert werden. Die oben angedeutete psycho-
logische Hemmung wird durch eine Luftbildkarte nie überwunden werden und mag
sie noch so gewissenhaft aufgenommen, zusammengesetzt und reproduziert sein.
Damit wird auch über die Idee Scheimpflugs der Stab gebrochen, die wie ein roter
Faden durch sein ganzes Denken und Schaffen ging, nämlich ,,die Bilder in ihrer
Gänze oder zum mindesten größere Teile derselben auf einmal systematisch ver-
ändert und durch rein optische bzw. photographische Prozesse in Teile von Karten
oder Plänen überzuführen".^ Scheimpflugs Mitarbeiter, G. Kammerer, war un-
ermüdlich tätig, die ,, Photokarte" oder „la carte aerienne"^ zur Ausführung zu
bringen.* Ein großes Kartenwerk, das weiter nichts mid vice versa so außerordentlich
viel wie das nackte Aufnahmebild bringt, bleibt als Karte ein Unding, und damit
wird auch die Frage wegen der Herausgabe einer aeronautischen bzw. photo-
grammetrischen Weltkarte hinfällig, für die vor dem Kriege K. Peucker u. a.
weitere Kreise zu interessieren suchten. '' Nur mit Hilfe der Farbenphotographie
dürfte vielleicht dermaleinst die Luftbildkarte in ein neues und brauchbares Stadium
treten, weil eben durch die Farbe der Landschaft ein differenzierendes Moment, das
der menschlichen Auffassungskraft entgegenkommt, in das Karten bild hinein-
getragen wird.
140. Die Luftbildaiifiuiliino ein Teil der Landosauinahiue. Zum Schluß sei
nochmals betoiil, daß das Jiuftbild nie ein Kartenersatz werden wird, wohl aber ein
Mittel zur Verbesserung und Herstellung der Karten. In vielen Fällen werden durch
die Luftbildaufnahme nicht bloß Zeit, sondern eine Menge topographischer Kräfte
' Tli. Schoimpf lug: Die Hcratpllg. von Kaiton ii. Pliincti auf pliotograph.. Woge. Sitz-B.
<1. U. Akad. d. Wiss. in Wien. Matli.- n.ilunv. Kl. C.WI, Abt. IIa. 1S107. Wien 1097. S. 1.
« J. Bouchot: La caitc lurioiinc .VönMiautiiiuc et cartogiaphie. S.-A. des „Correspondant"
vom 25. 2. 1913.
' Ein jäher Tod setzte seinem Wirken bei den Anfnahnievei-suehen in Fiseliamend am 20. (i.
1914 ein Ende.
♦ Vgl. K. Peiukor: Die dritte Konferenz über die aeronautisohe Weltkarte in Brüssel, 3. u.
4. Oktober 191.3. P. M. 191.3. II. S. 328. - s. oben S. 104, 105.
288 1^''' Karton;iufn;ilimc.
und damit auch Kostuii iispait. Sir ist hervorragend geeignet, die topographische
Aufnahme eines Gebietes zu unterstützen und zu beschleunigen. In überschweng-
Hchen Worten liaben Scheimpflug^, besonders dessen Bruder Karl Scheim-
pflug^, Gasser^, Berget* von den Vorteilen der Luftaufnahme gesprochen und
geschrieben, obwohl sie sich nur auf wenige Proben des Scheimpflugschen Aufnahme-
verfahrens stützten. Indessen muß man sich, wo man in der Lichtbildaufnahme
großer Länderkomplexe mit Ausnahme im Kriegsgelände keine Erfahrung hat, hüten,
wie auch Dolezal seinerzeit hervorhob, einen embryonalen Zustand im Aufnahme-
wesen, in dem wir uns durch die neuen Lichtbildaufnahmeverfahren befinden, als
bahnbrechend und titanenhaft zu preisen, wodurch oft mehr geschadet als genützt
wird. Das ist aber sicher, daß bei der Auffrischung der amtlichen Kartenwerke die
Luftbildaufnahme einen wesentUchen Anteil luiben wird. Wegen dieser zweifellosen
Vorzüge muß jede moderne Landesaufiialinus die mit den Fortschritten der Wissen-
schaft Schritt halten will, die Luftbildaufnahme mit in ihr Arbeitsprogramm auf-
nehmen; denn die Flugbildaufnahme ist ganz entschieden ein Teil der Landes-
aufnahme und nicht des Flugwesens.
VI. Die Luftfahrer- oder Luftschifferkarte und die pral<tischen Flugkarten.
141. AVoscii und EiitwickluuiSi der Luflschilferkarte. Die Herstellung einer
Luftfahrer- oder Luftschitferkarte spielte in aeronautischen Kreisen ein bedeutende
Rolle. Niemals ist ein Kartenwerk mit dem Keim eines schnellern Todes als die
Flugkarte für Luftschiffer geboren worden. Im Hinbhck darauf möchte es sich kaum
lohnen, auf die überstürzte Entwicklung des Flugkartenwesens einzugehen, wenn
sie nicht eine interessante und lehrreiche Episode in der Betrachtung kartographischer
Probleme bedeuten würde. Wohl ist der Zusammenhang mit den vorhergehenden
Erörterungen rein äußerlich, denn im Grunde genommen hat die Luftfahrerkarte
nichts mit der Aufnahme zu tun; indessen schheßt sie sich wieder eng an die Luft-
1 Th. Scheimpflug: Zur Kolonialvennessung aus der Vogelperspektive. S.A. aus Nr. 41
des Frankfurter Wochenblattes „Die Mainbiücke", vom 9. Oktober 1909. Hier sagt Scheimpfhiii,
daß die Karten einer Aufnahme von Deutseh- Südwestafrika mit Meßtisch und Kippregel in I: 2!Hm)
etwa 250 Mill. M. bei einem Zeitaufwand von ungefähr 170 Jahren betragen. Nach seinem System
mit einem Lenkballon würde dieselbe Arbeit mit etwa 15 Mill. M. in 4—5 Jahren geleistet.
^ Auf S. 6, Anm. in M. Gassers „Studien zu einer aerogeodätischen Landesaufnahme" (Z. d.
\'ereins d. hohem bayrisch. Vermessungsbeamten. XVH. München 1913) lesen wir, daß Karl
Scheimpflug in dem Aufsatz „Österreichs Mitarbeit an der Weltvermessung" die Angaben seines
verstorbenen Bruders um das 20fache übertrifft, in dem er sagt: „Mit dem Luftschiff kann die gesamte
Landesaufnahme von Marokko (800000 qkm = IV2 Deutschland) in etwa 3 Monaten vollendet sein,
und im Laufe eines Jahres könnten im sicliem Atelier Kartenblätter von ganz Marokko vorbereitet
werden, auf denen der Reisende, der Ingenieur und der Unternehmer jede Höhenlage, jede Wasser-
fläche und jeden Pflanzenstand abzulesen in der Lage wäre."
' M. Gasser, a.a.O., S. 7, schätzt die aerogeodätische Aufnahme von Bayern (76000 qkm)
in 1: 5000 auf 3 Jahre. — Das war i. Jahre 1913. Heute, mit den neuem Verfahren sieht die Sache
schon anders aus, u. der geschätzten Zeit dürfte man allmählieh nahe kommen, vielleicht sie auch hier
und dort kürzen.
* A. Berget, Professor der Geophysik an der Pariser Sorborme, schätzte in einem Vortrag
in Brüssel im Mai 1911 die Scheimpflugsche Aufnahme Afrikas auf 20 Jahre und die Kosten auf 20 bis
30 Mill. Franken, während sie bei den sonst üblichen Aufnahmcveriahren 200 Jahre und 1 '/a Milliarden
Franken beaiiHpiucheii würde; also ein Ersjiarnis an Zeit von 180 Jahren und an Kosten von 98"/„.
Dil- Lut'tfiihrci-- MiiiT Luftschiffeikiirte und ilic | ruktiscbuu Fliij;kaitc-u. 289
bild- luul spezielle Flugbildkartc an, haben doch die i^iiftschiffcr zuerst auf die Karten-
aufnalnne durch das Luftschiff hiuf^'ewirkt. Unter Berücksichtigung dieser Zusammen-
hänge dürfte man die iittrachlung der beregten Kartenart hier nicht als un-
erwünscht sehen.
In der kurzen Entwicklung iles Flugkartenwesens köimen drei Abschnitte unter-
schieden werden, gemäß der Entwicklung der Flugzeuge, des J'reiballonfahrers, des
Luftschiffers und des Fliegers. Nicht gleich sind die Forderungen der drei, bedingt
durch die Eigenart ihrer Fahrzeuge. Da der Apparat des Fliegers eine so glänzende
Vervollkommnung und unglaublich schnelle Entwicklung erfahren hat, ist der Frei-
ballonfahrcr mit seinen Anforderungen an das Kartenbild vollständig ins Hinter-
treffen gekommen. Schon ist seine Stimme bei der Bearbeitung der Flugkarte so gut
wie ausgeschieden. Die ,, Fliegerkarte" ist Trumpf geworden; und wegen des geringen
Absatzes dürfte vorderhand nur die Herstellung einer allgemeinen, allen Flugzeugen
dienenden Kartenart, die allerdings wesentlicii von den Wünschen dos Fliegers be-
stimmt ist, geboten sein.
Das Wichtigste ist für alle drei Gruppen von Luftfahrzeugen, daß sich ihre Führer
schnell orientieren können. Diese Orientierung ist in größerer Höhe vielfach
leichter als direkt auf der Erde, weil ein ansehnliches Stück Land, das unter dem
Fahrzeug selbst viel Älmlichkeit mit einer Karte in riesenhaftem Maßstab besitzt,
ülierblickt wird; aber auch sehr viel schwieriger kann sie werden, weil Wolken- und
Nebell)ildung, plötzliche Änderung der Luftströmung die Ursachen sind, daß man
sie völlig verliert und um sie in ganz anderer Gegend wieder zu gewinnen, lediglich
auf die Karte allein angewiesen ist. Für sämtliche drei Fahrzeugarten ist notwendig,
auf der Karte Orte und Gegenden kenntlich zu machen, wo eine gute Landung möglich
ist, sodann die Orte, in deren Nähe sich Flugzeughäfen, Reparaturwerkstätten be-
finden und von denen Betriebsstoffe leicht zu beziehen sind. Wird auf die Erfüllung
dieser Forderung ganz entschieden Gewicht gelegt, so wird die andere als imjiötiger
Ballast der Karte hinfällig, nämlich alle Hindernisse und Klippen kenntlich zu machen,
die durch orographische Unebenheiten, industrielle Anlagen usw. dem Landen der
Fahrzeuge Gefahr l)ringen. Der Vorschlag, der die verschiedenen Häfen je nach
Windschutz und Vorräten an Ersatzteilen in bestimmte Klassen einteilen und danach
verschii'den bezeichnen will, läßt sich durch eine kleine Signaturvariante der guten
Landeplätze vollständig genügend erzielen. Die zahlreichen Signaturen, wie sie
Moedebeck in drei Gruppen, Orientierungs-, Sicherheits- und Sportsignaturen, vor-
geschlagen hat^, wären künftig auf ein Minimum zu beschränken.
142. FlugstraBcn und Höhenschichteu als Huj^kurtographisi-lio l'robk'uu'. Noch
vor dem Kriege wurde die im Verhältnis zur Windgeschwindigkeit so geringe Eigen-
geschwindigkeit der Luftschiffe als ihre Achinei5verse angesehen. Heute klingt es
anders. Die Luftschiffahrt klebte damals zu sehr noch an der Erde, wie die alte See-
schiffahrt an der Küste. Damals hieß es, die Luft schifte können gar nicht tief genug
fahren, um ihre Leistungsfähigkeit mögliciist zu entfalten und Gas zu sparen. Heute
muß dieser Standpunkt als ülierwunden gelten, für den Flieger war er übrigens nicht
da. Daß damals die Keimt liclnnachung der Flugstraßen im Brennjinnkt des flug-
1 Moedebeck: Die Luftschiffkarto iU>s Lknitschcn Luftsiliiffoi- Verbandes. P. M. 1909. Heft 10.
„Kartographischer Monat-sboricht". - OffizleHor IVricIit ilbor ili-ii Stand der aemniuitisclien Land-
karte von Deiitscliland, Rleichfall» von Moedebink.
Kckort, Kitrii)nwlu«Dsotanri. I 1')
290 1^''' Kai-tciiaufnalimc.
kartographischen Problems stand, ist leicht erklärhch. Unstreitig spricht sicli darin
die enge Beziehung der Luftschiffahrt zur orographischen Gestaltung der Erdober-
fläche aus, und die zweckmäßige Darstellung der Höhenschichten, deren Kenntnis
man für die Wahl der Flugstraßen als unumgänglich ansah, wurde somit die Haupt-
aufgabe der Flugkarte.
Den einzelnen Versuchen, die für eine geeignete Hühensohichtendarstellung
angestellt wurden und die heute als mehr oder minder verunglückt angesehen werden
können, nachzugehen, hat kaum noch größeres Interesse. Wir beschränken uns
darum nur auf das Notwendigste zum Verständnis des Ganzen. Klangvolle Namen
finden sich imter denen, die sich an der Herstellung von Flugkarten mit Kat und
Tat beteiligten. Der erste, der auf besondere Plugkarten, allerdings zunächst für
die Zwecke der Kugelballonfahrt, hinwies, war wohl Moedebeck im Jahre 1888.^
Seiner Anregung und seinem Bemühen ist es zu verdanken, daß die Kartenfrage
bei der Luftschiffahrt in Fluß kam.^ Bald entstanden in den einzelnen europäischen
Ländern Förderer der Luftschifferkarte, wie Schaeck in der Schweiz, v. Berlepsch
in Österreich-Ungarn, Besan^on in Frankreich, Maleve in Belgien, Castanieres und
B. Mima in Itahen, J. Müller in den Niederlanden. In Deutschland war das Inter-
esse bei privaten wie öffentlichen Stellen gleich groß. Die preußische Landesaufnahme
(Matthias, v. Zglinicki) und die bayrische (Heller) haben die Luftschifferkarte außer-
ordentHch gefördert. Indessen war kein Geringerer auf die Herstellung einer ge-
eigneten Luft fahrerkarte so maßgebend geworden als Graf Zeppelin selbst, der in
seinem berühmten Vortrag über die Eroberung der Luft sagt, daß für den Luft-
befahrer „Karten mit leicht erkennbaren, in farbigen Tönen angelegten Höhenschicht-
linien erforderlich sind"; und fährt rmter anderm fort: „Wo es noch an Karten in
großem Maßstabe fehlt — mindestens 1 : 200000 — , werden die Luftschiffer ihren
Bedürfnissen folgend, namentlich für solche gezwungenen Wechsel bald selbst für
Karten sorgen." Seinen Anregungen folgend, hat sich M. Gasser eingehender mit
den Flugkarten beschäftigt und den Zeppelinschen Wünschen entsprechenden karto-
graphischen Ausdruck zu verleihen versucht.^ Noch sicherer hatte K. Peucker
das Flugkartenproblem angepackt.* Der Krieg hat die Herausgabe der geplanten
großen Kartenwerke verhindert. Es ist damit nichts verloren.
Gestützt auf die Erfahrungen der meteorologischen Observatorien in Lands-
berg, Friedrichshafen, Straßburg i.E., Aachen und an der Deutschen Seewarte zu Ham-
burg über die Windstärke m den Höhen von 500,1000, 1500, 2000, 2500, 3000 m usf.
schlägt Moedebeck folgende farbige Höhenschichten vor: 0— 250 m weiß, 250— 500 m
gelborange, 500—750 m hell Terra di Sienna, 750—1000 m dunkel Terra di Sienna,
1000-1500 m lilagrau, 1500-2000 m dunkellilagrau, 2000-2500 m dunkelviolett,
2500—3000 m hellviolett, über 3000 m weiß.^ Die Trennung der Schicht von 500
^ Moedebeck: Über das Landen mit Ballons. Z. d. Deutsch. Vereins zur Förderg. der Luft-
schiffahrt. 1888.
^ Vgl. „Die Karte des Deutsehen Luftschiffer- Verbandes". Deutsche Z. f. Luftschiffahrt. 1910.
^ M. Gasser: Eine Flugkartenstudie. Würzburg 1909. S.-A. eines erweiterten Vortrages
gleichen Themas, gehalten auf d. XVII. Deutsch. Geographentage zu Lübeck 1909, Berlin 1910.
* K. Peucker: Höhenschichtenkarten. Studien u. Kritiken zur Lösung des Flugkarten-
problems. Z. f. Venn.-W. 1911. Auch als Sondei-veröffentlichung erschienen.
^ Moedebeck: Die Luftschifferkarten des Deutschen Luftschiffer- Verbandes. P. M. 1909,
Heft 10. Kartographischer Monatsbericht.
Die Liiftfalircr- orttT Liiftseliiftcikartr uii.l .lic |iiakHschrii Khigkurtcn. 291
bis 1000 m durch diu 750-Niv«iukurve war lediglich eine Konzession für die damals
noch niedrig fahrenden Luftschiffe. Die Moedebecksche Farbenskala ist über den
Vorschlag nicht hinausgekommen, dagegen hatte es M. Gasser mit Unterstützung
der Zeppelingesellschaft schon zu Karten gebracht. Er wiederholt die Farbenreihe
weiß, violett, gelb (mit grüner Nuance), grün (mit blauer Nuance) und rot zweimal
für je 500 m Abstand, demnach für die einzelne Farbe 100 m Schichthöhe. i Ab-
stufungen der Farl)entöne der zwei gleichlautenden Farbenreihen werden durch
Easter hervorgerufen. Da wir in Deutschland über 1000 m bereits ausgesprochenen
Gebirgscharakter haben, werden von da ab die Höhenverhältnisse nicht mehr mit
Farben, sondern mit Schummerung, bei Einzelkuppen auch mit Bergstrichen, mit
Schichtlinien imd einem Orangeton für Talformen wiedergegeben.
Beim Anbhck der Gasserschen Karten eriimert man sich unwillkürhch der alten
Papenschen Karte, die ja auch Pate bei den Luftschifferkarten gestanden hat. Gewiß
gibt diese Art Karten für den Kundigen einen guten Einblick über gleiche Höhen-
verhältnisse bis 1000 m, aber schnell orientierend ist sie nicht. Buntflächig aus-
gemalte Karten, sobald sie keine pohtischen Gebilde wiedergeben, halten den Blick
des Beschauers nur auf und verlangen stets eingehenderes Studium. Auch wider-
strebt es von Natur aus dem menschlichen Gefühl, das Gelände in Farbflächen zu
überblicken, weil dem Menschen in der Wirklichkeit absolut nichts Ähnliches ent-
gegentritt. Hier ist die Kuppe zu suchen, an der die buntfarbigen Schichtbilder
von Papen und andern Zeitgenossen an bis zu den neuesten ähnlichen Produkten
immer wieder zerschellt sind. Nur psychologisch und physiologisch fein abgestimmte
Farbenskalen, wie die von K. Peucker, oder die nach der Intensität abgetönten Stufen
einer einzigen Farbe, höchstens im Verein mit einem Tieflandgrün und Gewässerblau,
können einzig und allein den richtigen Weg weisen. Man kennt die Peuckersche
Farbenskala, geht aber um sie herum wie die Katze um den heißen Brei, man ändert
sie ab, ohne jedoch etwas Gleichwertiges, geschweige Besseres an ihre Stelle zu setzen.
Die Berhner imd Wiener Kichtung in der Herstellung von Luftschiffrrkarten lehnen
sich noch am meisten an das Peuckersche System an.-
143. Luftsehifterkarte und Seekarte. Bei der Darstellung von Luftschiffer-
karten ist man von einer Ansicht ausgegangen, die man weder richtig beurteilt noch
richtig verwertet hat. M. Gasser gibt ihr Ausdruck in dem Satz: ,, Gleich wie die
Seekarte eine ausgesprochene Tiefenkarte ist, uns genauestens Aufschluß gibt über
die Ghederung des Meeresbodens, so muß auch in erster Linie eine Flugkarte eine
Höhenkarte sein, die in ausgeprägter Weise die Erhebungen des Erdbodens erkennen
läßt."' Es ist jedoch ein bedeutend größerer Unterschied zwischen See- und Flug-
karte als auf den ersten Augenblick erscheint. Das Wesen der Seekarte besteht darin.
* Graf Zeppelins Vorschlag von 1907 ging dahin, das Gelände bis 200 m Erhebung auf den
Karten unverändert zu belassen, der Zone 200-300 m einen weißen, von 300—400 ni einen roten,
von 400 -500 m einen gelben, von 500— 600 in einen blauen, von 600— 700 ni einen grünen Ton 7.u
geben, und einzelne in höhere Schichten hinaufragcude Punkte, z. B. StiuUburger Münster, noch be-
sonders zu bezeichnen. Die Farbengebung erinnert ganz und gar an Papen.
- K.Peucker: Die dritte Konferenz üb. d. aeronautische Weltkarte in Brüssel. 3. u. 4. Okt. 1913.
P. M. 1913. Dez.-H. — Zahlreiche hierher gehörige Lit.-Angaben bringt Peucker in dem .\iifsatz ,,Dii'
drei VVcltkartenprojekte". P. M. 1914. Febr.H. — K. Bamler: Der Stand der deutschen Luftfnhnr-
karte. Vcr. f. Luftschiffahrt 1911.
^ M. Oasser: Kiiic FhigkartcnsUidic. Wüizburg 1909, 8.9.
Hl'
292 1^''" Kartciuiufnalimc.
genaue Tiefenlotiuigon und den genauen orographischeu Aufbau des Küstengeländes
wiederzugeben.^ Der Seemann braucht eine allgemeine Übersichts- und Segelkarte
(Kurskarte) und die Küsten- oder Sonderkarten für die Gebiete, die er anlaufen will;
eventuell muß hier auch der fremde Lotse aushelfen. Bewegen sich jene Karten in
kleinen Maßstäben, von 1 : 300000 bis 1 : 120000002, so die Küsten- und Sonder-
karten hauptsächhch in den Größen von 1 : 5000 bis 1 : 200000.^ Ist jene für das
Ganze eines Ozeangebietes bestimmt, so diese in der Hauptsache für Küstenstreifen.
Als Streifenkarte hat sie nicht einmal die ganze Schelffläche, also Tiefen bis 200 m,
wiederzugeben. M. Gasser und andere denken bei ihren Ausführungen lediglich an
die Streifenkarte; was diese im beschränkten Gebiet, eben als Streifen enthält, soll
die Luftschifferkarte von der gesamten Erdoberfläche bringen. Das ist ein viel zu
kostspieUges und vor allem unzweckmäßiges Unternehmen.
Das Verkehrsgebiet zur See hat etwas Flächenhaftes an sich gegenüber dem
Linearen des Landverkehrs, wie ich an anderer Stelle vor längerer Zeit ausgeführt
habeS und das Ausdehnungsgebiet des Luftverkehrs ist körperhaft (raumhaft),
weil dieser Verkehr im Sinne der Ausdehnung des Körpers in den drei Dimensionen
des Raumes drei Bewegungsrichtungen ausführt. Das Bewegungsgebiet des Luft-
verkehrs ist von Natur aus weiter und uneingeschränkter als das der andern Verkehrs-
gattungen. Auch seine Orientierung ist viel weiter und übersichtlicher als die der
andern. Gleich dem Seemann braucht der Flugzeugführer zum Zwecke der Orien-
tierung („Bildofii'iiticrang") eine Übersichtskarte, aber nicht in dem kleinen Maß-
stabe der siciiMiimi-cliiii Übersichtskarten, sondern Karten im Maßstab von 1 : 200000,
1:300000, aiiMmlnii-wnse auch in 1:500000 (Vogelsche Karte). Zum Zwecke der
Landung (,,Punktürientierung") in dem Gebiet, das er erreichen will, müßte ihm
eine Karte größern Maßstabes, etwa 1 : 100000 oder 1 : 50000, am besten 1 : 25000
zur Verfügung stehen. Auf letztere Karten kann er gegelienonfalls verzichten, wenn
die Hafenplätze in der Natur mit den nötigen Luftschiffahrtsignaturen bzw. -Signalen
versehen sind. Warum sollte in der Nacht ein Flieger nicht auch Lotsendienste ver-
richten können?
1 M. Eckert: Entwicklung der deutschen Seekarte, insbesondere der Admiralitätskarte.
Vortrag. Verh. des XVI. Deutschen Geographentages zu Lübeck 1909. Berlin 1910, S. 97.
" ■/.. B. vom deutschen Seekartenwerk {Admiralitätskarten) in 1:300000 westl. Ostsee,
das Kattegat, Deutsche Bucht, Golf von Suez; in 1 : 600000 der Bottnische Meerbusen, mittlere Ostsee;
in 1: 1200000 die Nordsee; in 1: 1500000 Westküste der Britischen Inseln, Enghscher Kanal u. Bucht
von Biscaya; in 1:2000000 Marianen, West- u. Ostkarolinen, Marshallinseln; in 1:2500000 Ost-
chinesisches Meer, Mittebneer, Rotes Meer; in 1: 3500000 Arabisches Meer, östl. Teil des Nordatlan-
tischen Ozeans; in 1: 12000000 Nordatlantischer Ozean, Südatlantischer Ozean.
3 z.B. vom deutschen Seekartenwerk (Admiralitätskarten) in 1:5000 Nord- und Süd-
hafen von Helgoland, Hafen von Leba; in 1: 10000 Freihafen von Stettin, Hafenpläne von Holtenau,
Elsfleth, Vegesack, Bremen; in 1:12500 Hafen von Warnemünde, Strander Bucht, Kieler Hafen;
in 1:25000 Hafen von Memel, Swinemünde, Stralsund, die Weser von Bremerhafen bis Elsfleth, die
Elbe von Brunsbüttclkoog bis Krautsand, von Krautsand bis Brunshausen, von Brunshausen bis
Tinsdahl und von Tinsdahl Viis Hamburg (also 4 Eibkarten); in 1:50000 Kleiner Belt, Großer Belt,
Kieler Föhrde und Eckemförder Bucht; in 1 : 100000 Kieler Bucht, Westküste von Schleswig-Holstein;
in 1 : 160000 Küste von Ostpreußen, von Pommern, Finnischer Meerbusen; in 1:200000 Gewässer
von Oeland u. Gotland, Botten-Wiek.
* M. Eckert: Grundriß der Handelsgeographic. I. Bd. Allgemeine Wirtschafts- und Verkehrs-
geographie. Leipzig 1905, S. 137.
Die Luftfahror- oder I.uftscliiffiTkarto uiul rlip praktischen Flupkarfcii. 293
144. Maßstabfrage und aeronautische Weltkarte. Die Maßstabfrage spielt auch
l)('i der T.uftvfrkihrskarte eine wichtige Rolle. Man hat Versuche mit Karten in
ilen Maßstäben 1 : 100000, 1 : löOOOOi, 1 : 200000, 1 : 300000 und 1 : 500000 gemacht.
Für die Karten der Zeppelingesellschaft war der Maßstab 1 : 200000 festgelegt worden.
Der Maßstab hat das für sich, daß er schon vielfach in andern Ländern vertreten ist.-
Jedes Blatt der Zeppelinkarte umfaßt das Gebiet von vier Karten in 1 : 100000.
während die Karte 1 : 300000 neun solche in sich aufnimmt, die Karte 1 : 500000
dagegen fünfundzwanzig. Für den Maßstab 1 : 200000 plädierte auf dem X. Inter-
nationalen Geographenkougreß zu Rom im Frühjahi- 1913 Lallemand (Paris), was
den Antrag zur Folge hatte, eine internationale amtliche Konferenz zu bilden, die
für eine solche Karte Vorschriften und allgemeingültige Zeichen festsetze. Die dritte
Konferenz, über die ,, aeronautische Weltkarte" in Brüssel am 8. und 4. Oktober 1913
hat das Projekt auch nicht wesentlich gefördert. Das wesentlichste Ergebnis war,
Brüssel wurde zur ständigen Mittlerin für alles, was die Luftfahrerkarte betrifft, er-
hoben. Aus all dem Wirrwarr von Vorschlägen und Kartenproben hatte sich ein
einheitliches, von allgemeiner Einsicht getragenes und wie von Natur aus zwingendes
Prinzip nicht herauskristaUisiert. (Vgl. auch S. 105.)
145. Die allgemeine Flugkarte. Für Karten, die gleich gut dem Luftschiffer
wie dem Flieger dienen, schlage ich den Ausdruck Flugkarte vor, ein mehr neutrales
Wort, aber doch mit Wesensmhalt, so daß sich damit der Flieger wie der Luftfahrer
zufrieden geben kann. Es wäre unangebracht, gegenwärtig an eine Differenzierung
zu denken. Das mag der Zukunft vorbehalten bleiben.
Will man bestehende Kartenunterlagen benützen, so hat dazu die Übersichts-
karte von Mitteleuropa in 1 : 300000 der Landesaufnahme zu Berlin berechtigte
Aussicht.^ Seinerzeit hatte sich schon v. Parseval dafür eingesetzt. Die Karte hat
sich bei den Fliegern im Kriege als recht brauchbar erwiesen, der Maßstab ist einer-
seits noch genügend groß, um die wesentUchen Einzelheiten, die für verschiedene
Zwecke üi Betracht kommen, darzustellen, er ist aber andererseits auch klein genug,
um die notwendige Übersicht, die der breite Aktionsradius der modernen Luftfahr-
zeuge erfordert, in dem engen Räume des Fahrzeugs zu gewähren, wo man nicht
Dutzende von Karten offen nebeneinander ausbreiten kann. Die Karte umfaßt
ganz Mitteleuropa, von 14" 0 von Ferro bis zum 52.'' und von 46" bis CO" N: außer
dem gesamten Deutschland enthält sie daher noch folgende Länder und Teilgebiete:
' So die Karte von Bcsan90n, Glenei-alsekretär vom „.\6ro-Club de France".
- In Deutschland: Topographische übersicht-skart*- des Deutsdien Reiches; Topogi-aphisclie
Spezialkarte von Mitteleuropa oder die Rcjniiannsche Karte; Oenoi-alkarte des Königreichs Württem-
berg; Ülx^rsichtskarte des Großherzogtimis Baden; Gcneralkartc des Großherzogtimis Oldenburg;
inÖsterreich: Gcncralkarte von Mitteleuropa; in Frankreich: Carte de France; in den Nieder-
landen: Topographischer Atlas des Königreichs der Niederlande; in Spanien: Atlas von Sivinicn
und seiner auswärtigen Besitüungen; in Italien: Topographische Karte des Königreichs Italien; in
Serbien: Generalkarte des Königi-eichs Serbien; in Griechenland: Carte de la Greco; in Runiiinien:
Generalkartc von Rumivnien; in Schweden: Karte von Nortlschwedcn; und in Schweden und Nor-
wegen verechiedcno .\mtskarten.
» Auch dieser Maßstab steht nicht einzig da; in Deutschland ci-si hcini noch im gleichen Maß
sUb: W. Liebenows Six'zialkarte von Mitteleuropa; in Österreich: Gfueralkarte von Zentralen roixi.
ferner die Militärroutenkarte der östorreichisch-ungarisclicn Monaix'hie, Bosnien und der Herzegowina;
in Orieehenlanil: Generalkartc des KönignMchs Grie<heuland: in Italien: Marschroutonkart«" des
Königivichs Italien.
294 '^''' Kartenaufiiahme.
die Niederlande, Belgien, den östlichen Teil von England, den nordöstlichen von
Frankreich, die Schweiz, zwei Drittel von Österreich-Ungarn, den nordwestlichen
Teil von Eumänien, den westlichen von Eußland, Dänemark, die südlichen Teile
von Norwegen und Schweden. Würden darauf die Wälder in Grün deutlicher zum
Ausdruck gebracht und die Straßen in Zinnoberrot, die Hafenorte und günstige
Landimgsplätze, sowie die „Verbotzonen" markiert, hätten wir in ihr eine Karte,
die das Bedürfnis der deutschen Luftschiffer und Flieger in jeder Beziehung zu-
nächst befriedigt. Die Karte kann ferner noch nach jeder Himmelsrichtung hin
leicht ergänzt werden, damit sie noch weitem dem Luftverkehr zu erschließenden
Gebieten dient. Es hegen keine besondem Schwierigkeiten vor, sie zu einem inter-
nationalen europäischen Kartenwerke auszubauen.
Während des Krieges, besonders auf dem westlichen Kriegsgelände, wurden
Sektionen der Topographischen Spezialkarte von Mitteleuropa (Eeymannsche Karte)
in 1 : 200000 als Pliegerkarten umgearbeitet (saftiges Wäldergrün und kräftiges Wege-
rot) und gern benutzt. Ob man dem Maßstab 1 : 200000 oder 1 : 300000 den Vorzug
gibt, hat schheßlich die Praxis zu entscheiden und weniger eine kartentheoretische
Untersuchung.
14G. Die speziolle Flugkarte. Neben den Karten 1 : 300000 und 1 : 200000 hat
sich eine andere Fliegerkarte im Kriege glänzend bewährt, die für die weitere Aus-
gestaltung des Flugkartenwesens wertvolle Fingerzeige geben kann; sie wurde für
einzelne Armeen auf Grundlage der französischen Karte in 1 : 80000 neu entworfen.
Hätte die französische Karte bereits vollständig in der deutschen Umarbeitung in
1 : 100000 vorgelegen, wäre letzterer Maßstab bevorzugt worden. Die Fliegerkarte
1 : 80000 zeigte die Situation schwarz, die Eisenbahnen in starken schwarzen Linien,
das Hauptwegenetz wie die hauptsächhchsten Ortschaften rot überdruckt, die Wälder
in Grün und Flußnetz und Seen in Blau, also ganz ähnhch wie bei den vor dem Kriege
hergestellten französischen und belgischen Luftschifferkarten. Nur die wichtigsten
Höhen waren in Metern angegeben und markante Kuppen leicht in Schwarz schraf-
fiert. Die Karte war klar, übersichthch und orientierte, wie ich mich persönlich auf
Frontflügen überzeugt habe, vorzüglich. Also auf das Gelände war vollständig ver-
zichtet worden. Die Wahrnehmung, daß schon in der Höhe von 1000— 1500 m
Höhendifferenzen von 50 und mehr Meter nicht mehr wahrzunehmen sind (S. 282),
läßt eine ausführliche Geländedarstellung auf der Flugkarte (ausgenommen auf
Landvmgskarten) als unnötige Belastung erscheinen. Schon vor dem Kriege sind
in Österreich Stimmen laut geworden, auf das Terrain zu verzichten, und nach den
Fhegererfahrungen im Kriege kann dies gar nicht nachdrücklich genug betont werden.
Teil IV.
Die Landkarte und ihr Lageplan.
(Morphographie 1. Teil.)
A. Maßstab. Orientierung. Generalisieriing. Kartenschrift
und Kartennamen.
I. Der Maßstab.
147. Wesen des 3Iaßstabes. Das Gradnetz ist das feine mathematische Gerüst
für den Aufbau der Karte. Welche Ausmaße das Gerüst aufweisen muß, damit der
Bau einen verständlichen und zweckdienhchen Inhalt erhalte, lehrt der Kartenmaßstab.
Projektion und Maßstab sind die beiden mathematischen Größen der Karte, die in
ständiger Wechselwirkung stehen. Geographisch-kartographisch gesprochen, kann
das eine nicht ohne das andere bestehen und das Wesen des einen ohne Kenntnis
des andern nicht restlos begriffen werden. Damit wird der Maßstab ein wichtiger
Baustein für den Kartenentwurf oder das Grundelement für den Entwurf, wie
H. Wagner sagt. Da der Maßstab außer theoretischen Untersuchungen direkt
praktischen Bedürfnissen dient, ist seine deuthche Kennthchmachung für die moderne
Karte eine unerläßhche Bedingung geworden; und für jeghche Karte ist die Art und
Weise seiner Bezeichnung ein wichtiges Kriterium.
Der Maßstab einer modernen Karte ist die mathematische Ausdrucksform für
die Reduzierung oder Verkleinerung irgendeiner Strecke auf die Karte im Verhältnis
zu ihrer natürlichen Ausdehnung. Das Reduktions- oder Verjüngungsverhältnis
oder der Maßstab der Verkleinerimg wird durch 1:3/ oder \/M bezeichnet: d.h.
irgendeine Kartenstrecke wird auf 1 verkleinert und sodann im Verhältnis zur natür-
lichen Ausdehnung gebracht^, gekennzeichnet durch die als Maßstab dienende Zahl M,
den Modul oder die Kennziffer. Sie gibt mithin den Wert an, mit dem die auf die
Karte gemessene Strecke zu multiplizieren ist, damit sie der Strecke in der Natur
oder der natürlichen Strecke gleich wird.- umgekehrt erhält man die Karten-
lange, weim jede in der Natur gemessene Länge durch den Modul dividiert wird.
Je kleiner der Modul, um so größer der Maßstab, je größer der Modul, um so kleiner
• G. Wcnz: .\tlas zur Landkarton-Entwurfs-Lehre. München 1885, S. 1.
- Wird auf dem Meßtischblatt 1 : 2.")00<1 eine Strecke von 5 rni abgegriffen, so entspricht dieses
Stück einer wirklichen Entfernung in der Xatur von 5:25000 ni = 1250 m. — Eigentlich stimmt die
oben gegebene Definition vom Maßstab nur auf Strei-ken im Bereiche des Kartenmittelpunktes, worauf
auch J. Frischa\if in seinen Beitrügen zur Landesaufnahme u. Kartographie des Erdsphäroids.
Leipzig u. Berüu lÜlU, Ö. 80, hinweist.
296 Die Landkarte und ihr Ijageplan.
der Maßstab der Karte. Ist der Maßstab der Karte 1/M, so wird beispielsweise bei
Verdoppelung des Zählers der neue Maßstab 2/M, also noch einmal so groß wie der
ursjn'üngliche, bei Verdreifachung dreimal so groß; bei einer w-fachen Vergrößerung
ist der neue Maßstab n/ M. Soll umgekehrt der Maßstab entsprechend kleiner werden,
so ändert sich der Modul wie folgt:
1 1 1
M-2 ' M--i ' " ' ■ M-N '
Der Maßstab bezieht sich stets auf Linienelemente, niemals auf Flächen.
Wenn das Bild zur Natur m Beziehung gesetzt wird, so ist „Bild" = die auf dem
Kartenbilde abgezirkelte Strecke, und „Natur" = die auf die mathematische Ober-
fläche der Erde projizierte Strecke.
1 Bild Kartenstreoke Globusradius ,
nrr oder -r—-^ — oder — r-; ,, . ,. — : — , — oder
M Natur mittlem Meridianstreoke Erdradius
Das Verjüngungsverhältnis bezieht sich einmal auf den Meridian, sodann auf
den Erdradius. Da beide voneinander abhängig sind, steht jede Verjüngung irgend-
einer Oberflächenlinie im engsten Verhältnis zum Eadius de^ zugehörigen Globus
und ist proportional dem Erdradius.
•Ist i? = Erdradius und r = Globusradius, so ist r/E = l/ß;r das Verjüngungs-
verhältnis oder der Maßstab der Verkleinerung, mithin ist 1/M = 1/R:r oder
B = M -r und r = B ■ 1/M.
148. Die genaue Maßstabbt'zcichnuug. Die genaue Maßstabbezeichnung auf
Karten ist eine Errungenschaft des 19. Jahrhunderts. Es hat lange gedauert, bis
man sich zur vollen Erkenntnis der Wichtigkeit dieses Kartenelements durchgerungen
hat. Die namhaften deutschen geographischen Handbücher und Projektionslehren,
von denen des Auslandes ganz zu schweigen, treten auch heute noch zaghaft an die
Behandlung des Kartenmaßstabes heran. Zöppritz-Bludau, M. Groll, H. Zondervan
haben ihm in ihren Werken nur kurze Worte gewidmet. Schon ausführlicher wird
H. W'agner in seinem Lehrbuch der Geographie. Der Maßstab aber wird durch ihn
zum Gegenstand einer längern historisch-kritischen Betrachtung in der Zeitschrift
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin (1914). Die wertvolle Arbeit bringt Licht
imd Bewegung in die Maßstabfrage ; imd gern berufe ich mich auf diese Ausführungen,
wenngleich ich in manchen Einzelpunkten andern Gedankengängen gefolgt bin.
Wie H. Wagner spreche ich auch hier nur von dem allgemeinen Maßstab
(Fiorini: Scala generale). Das Verjüngungsverhältnis, ganz gleich, ob es in Bruch-
form (Verhältniszahl) oder mit verjüngtem Maßstab oder in bestimmten Maß-
einheiten angegeben wird, nermen wir kurzweg Maßstab. Bei den bestimmten
Maßeinheiten wird angegeben, wie lang eine Strecke, die auf der Karte den bestimmten
Betrag von 1 mm oder ein Vielfaches davon besitzt in der Natur ist.^ Die Engländer
und Russen gebrauchen diese Maßstabbezeichnung zur Klassifizierung ihrer Karten;
auf sie kommen wir gleich noch zu sprechen. Vorteilhaft bleibt es immer, das Einheits-
maß des metrischen Systems, den Kilometer, zu 1 mm oder 1 cm der Kartenstrecke
in Beziehung zu setzen. So heißt es heute schon vielfach auf den Karten:
^ Krümmel-Eckert: Geographisches Praktikum 1908, S. 6, 7.
2 Steht auf der Karte 1 cm = 1000 m (1 km), so hat die Länge einer Karte, die ich z. B. mit
2.5 cm abzirkle, die wirkliche Längp 100» • 2") ^ 2.') km, und der Maßstab ist, da 1 km - 100000 cm
sind, 1 : 100000.
I)er Maßstab. 297
1 km in der Natur = 1 mm auf der Karte in 1 : 1 000000 oder
100 km in der Natur = 2 cm auf der Karte in 1 : 5000000 usf.i
Nicht zu vergessen ist für eine vollständige Maßstabbezeichnung die ursprüng-
lichste Form der Veranschaulichvmg, wie sie uns im verjüngten Maßstab, dem
Längenmaßstab, dem Überbleibsel des alten Meilenmaßstabes, entgegentritt,
auf dem man die üblichen Maße, wie Kilometer, Meilen oder fremde Mäße, verkleinert
wiedergibt. Auf ihm liest man mittels Zirkels die Entfernungen direkt ab.^ Die
gute Wiedergabe eines Transversalmaßstabes fand ich z. B. auf einer Karte
vom Jahre ISIT.»
Weil durch die drei sich gegenseitig stützenden Maßstabbezeichnungen das
menschliche Anschauungsbedürfnis hinreichend befriedigt wird, ist es erklärhch,
daß alle bessern Schul- und Handatlanten der Neuzeit sich bemühen, ihren Karten
diese Art von gesunder kompilatorischer Maßstabbeztichnung zu geben. Unter
den Handatlanten hat hierin E. Debes" Neuer Handatlas Schule gemacht.
149. Maßstab und Kartenart, ältere Einteilungen. Die Größe des abzubildenden
Erdoberflächenstückes und der Zweck der Karte bestimmen die Wahl des Maßstabes.
Er ist „stets von dem größten und entscheidendsten Einfluß auf den ganzen Inhalt"*
oder, wie H. Fischer sagt : „Der Maßstab bestimmt Inhaltsmenge und damit Charakter
und Leistungsfähigkeit der Karte. "^ Mit der Vergrößerung des Maßstabes nimmt
der Inhalt der Karte zu, mit der Verkleinerung entsprechend ab. Ganz allgemein
kann gesagt werden, daß der Inhalt der Landkarte im Verhältnis der Quadrate der
Maßstäbe zu- bzw. abnimmt. Wieweit dies stimmt, soll später noch untersucht
werden.
Die Erkenntnis, daß der Inhalt der Landkarte wesentlich vom Maßstab ab-
hängig ist, hat zu einem besondern Einteilungsprinzip der Kartenarten geführt. In
der Zeit der Kartenreformation um 1700 begegnen wir den ersten Karteneinteilungs-
versuchen. Ist bei ihnen noch nicht von den Maßstäben die Rede, so merkt man
doch, daß das ganze Einteilungsprinzip nach der Größe der Karte, wie sie durch den
Maßstab bedingt ist, aufgebaut ist. J. G. Gregorii hat sich 1713 ausführücher
mit der Einteilung befaßt. Er scheidet die Karten in Universales oder Generales,
Particulares, Speciales und Specialissimae.^ Zu den Universales Chartae gehören die
Planisphaeria, zu den Chartae Geographicae Particulares die ,,Viertel-Charten".
die einen Hauptteil des ganzen Erdkreises präsentieren, also Europa, Asien, Afrika,
Amerika. Die Speziallandcharten stellen ein Land, eine Provinz oder Herr-
> a) Meßtischblatt 1 : 25000, 1 cm = 250 m «. 4 cm = 1 km in der Natur; b) Karte des Deutschen
Reichs 1: 100000, 1 cm = I km in der Natur; c) Topograph. Übersichtskarte des Deutschen Reichs
1 : 200000, 1 cm = 2 km und 5 mm = 1 km in der Natur; d) Übersichtskarte von Mittelcur.)!» 1 : 300000,
1 cm = :5 km und 3'/j mm = 1 km in der Natur; c) Vogels Karte von Dcutscliland 1 : 500000, 1 cm =
5 km und 2 mm = 1 km in der Natur; f) Weltkarte 1: 1000000, 1 cm 10 km und 1 mm = 1 km
in der Natur.
« Auf der Karte „MeHta Insula" (Kart.- von .Malta) .Ant.Lafrcn. Rom 1551 [N. Bi. Paris]
s|)annt sich über den .Mcilcnmaßstab ein Zirkel, uui zu zeigen, wie die .Miglia abgegriffen werden.
» Christoph Fembo: Postkarte von Deutschland. Nürnberg 1817 [K. Bi. Berlin].
' B. Schulze: Das militäriscbe Aufnehmen. Leipzig u. Berlin 1893, S. 1.
' H. Fischer: Die .\nfordenmg der Vollständigkeit an die Karte. Ralzel G<^cnkschrift.
Leipzig 1904, S. 76.
' .T. G. Gregorii : Curieuse Gedancken von der vornclunsli'ii \inil accuratesten .Alt- und Neuen
Lanilt 'harten usw. Franckfui t und Leipzig 17i;!, S. 280— 2S4.
298 D'f Landkarte unrl ihr Lageplan.
Schaft so „weitläufig" dar, „daß man in solchen alle Städte, große und kleine Flecken,
Schlösser, Flüsse, ja Dörfer, Berge und Hügel, Schanzen und Pässe, Heiden und
dergl. accurat gezeichnet findet, zum wenigstens der Situation nach eine ziemliche
Dichtigkeit siehet; z. B. die Landkarten von Frankreich, Spanien, Italien, Teutsch-
land, Schweden und Polen sind Special- Charten und keine Particular- Charten, wie
sie andere nennen wollen". Auf den „Chartae Geographicis Specialissimis" sind
„nur kleine Territoria oder gewisse Dioecesen aufgerissen"; „z.B. Zürn er s Charte
von der Superintendur Grossen-Ha3rn in Meissen, der Plan vom Schellen-Berge und
Gegend Donawerth, wo Anno 1704 die Bayern und Franzosen geschlagen wurden".
Sicher ist es nicht, ob Gregorius der erste war, der eine solche Karteneinteilung
brachte; Hauber spricht von gleichen Kartengruppen, nur hebt er bei den Spezial-
karten noch die Kreiskarten hervor.^ Homann kam über kein anderes Einteilungs-
prinzip hinaus. In seinen Vorschlägen^ 1747 werden unterschieden: Mappa uni-
versalis = Halbkugelkarte; Mappa generalis = Weltkarte mit sämtlichen Welt-
teilen; Mappa particularis = Erdteilkarte und Karte größei;er Ländergebiete; und
Mappa speciales = Teile von Landkarten.
Noch ein halbes Jahrhundert mußte vergehen, bevor die Karteneinteilung
bewußt an den Maßstab angebunden wurde. Kein geringerer als der sächsische Major
J. G. Lehmann hat auch hier den sichern Weg gezeigt. Unter den Maßstab 1 bis
2 Millionen fallen die geographischen Karten, ,,die ihre Ortsbestimmungen durch
gewisse geographische Linien unmittelbar auf die Oberfläche der Erde beziehen und
die Gegenstände durch Sinnbilder andeuten". Wenn sie von den geographischen
Objekten nur soviel bringen, „als mit der erforderlichen Deutlichkeit abzulesen ist",
heißen sie Generalkarten.^ Die Special- oder chorographischen Charten
zeigen Provinzen oder Kreise eines Reiches oder Staates im ÜberbHcke; sie haben
den Maßstab 1 : 200000 bis 1 : 100000 und größer. Im Maßstabe 1 : 100000 lassen
sich schon viele Naturobjekte in ihrer eigentümhchen Gestalt wiedergeben; solche
Karten werden dann topographische Charten genannt. Karten im Maßstab
1:20000 heißen spezielle topographische Charten. „Endlich wird der Maß-
stab von 1 : 10000 selbst in ökonomischen Zeichnungen das Abgrenzen der Feld-,
Wiesen- und Waldgrundstücke gestatten. Über dieses Maß hinaus nehmen die Zeich-
nungen den Namen Plane oder Risse an."
Was Lehmaim vor reichhch himdert Jahren als alter Praktiker festgelegt hatte,
stimmt heute noch im .wesentlichen ; nur die Grenze zwischen topographischen Karten
und chorographischen (diesen Ausdruck setze ich dem topographischen gegenüber)
hat sich etwas verschoben.* Den Ausdruck „Speziar'-Karte habe ich ganz fallen
lassen, weil man zuletzt in jedem Maßstab von Karten mit bestimmter Zwecksetzung
als von Spezialkarten sprechen kann. Was für ein Gebiet Spezialkarte ist, ist für
ein anderes nur Übersichtskarte.
' E. D. Hauber: Versuch einer umständlichen Historie der Land-Chartcn. Uhn 1724, S. 74,
86, 87. In dem Nachtrag zu dem Versuch, S. 58, P. 90, zählt Hauber Kreiskarten des sächsischen
Kartographen Zürner auf.
''■ Homann: Vorschläge von den nötigen Verbesserimgen der Weltbeschreibungs-Wissenschaft
und einer disfals bey der Homannischen Handlung zu errichtenden neuen Academie. Nürnberg 1747.
^ J. Q. Lehmann: Die Lehre der Situation-Zeichnung oder Anweisung zum richtigen Erkennen
u. genauen Abbilden der Erdoberfläche, in Charten und Planen. 4. Aufl. Dresden u. Leipzig 1828, S.S.
^ Tm Sinne Lehmanns sehen wir z. B. heute noch den Ausdruck „chorographisch" auf dei; topo-
graphi.sclien Karte von Portugal 1 : 100000 „(Jarta thorographica de Portugal" angewandt.
Der Maßstab. 299
1826 nahm E. H. Michaolis in seiner „Topographenkunst" den Maßstab
1 : 500000 nicht bloß als einen wichtigen strategischen Maßstab an, sondern auch
als einen, bei dem „physische Topographie und Geographie in Berührung treten
dürften". 1 Zunächst bezeichnet Michaehs den Maßstab 1 : 500000 als mittlem stra-
tegischen Maßstab. Dies mochte für seine Zeit stimmen. Heute möchte ich ihn
als den kleinsten strategischen Maßstab bezeichnen. Obwohl der deutsche General-
stab im Weltkrieg 1914/18 über eine Operationskarte in 1 : 800000 verfügte, um
noch ein halbwegs zusammenhängendes Bild der gesamten europäisch-kleinasiatischen
Kriegsschauplätze zu besitzen, so geschah dies doch auf Kosten der Deuthchkeit
und Verwendbarkeit der Karte. Dieser Maßstab dürfte fürderhin ganz fallen ge-
lassen werden, insonderheit in strategischer Hinsicht.^ Die Engländer haben für
gleiche Zwecke während des Weltkrieges die entsprechenden Sektionen der von
deutscher Hand vorbereiteten Weltkarte in 1 : 1000000 bearbeitet und benutzt.
150. Entwertung der Maßstäbe, neue Einteilung. Neue Zeitereignisse, neue
Bedürfnisse lassen Maßstäbe entwerten, deren Wert auf Jahrhunderte hinaus fest-
zuUegen schien. Als am Anfang des vergangenen Jahrhunderts die französischen
Kommissionen über die Herausgabe der Karte 1 : 80000 berieten, glaubte man mit
diesem Maßstab allen miütärischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu
werden; imd doch sank diese Karte 1 : 80000 im Weltkrieg lediglich zur Übersichts-
karte herab, ja, in dem langen Stellungskriege konnten nicht einmal mehr die Meß-
tischblätter 1 : 25000 und 1 : 20000 genügen und man griff zu den großen Maßstäben
1 : 10000 und 1 : 5000, und der Minier- und Minenwerferkrieg schraubte die For-
derungen noch höher und verlangte Karten in 1 : 2000 und 1 : 1000. Darüber dürfte
man einig sein, daß die deutschen wie fremdländischen Karten in 1 : 25000 und ähn-
hchem Maßstabe für viele Zwecke des modernen Krieges nicht mehr genügen, aber
auch nicht für viele Bedürfnisse des gesteigerten Wirtschaftslebens. Für Deutsch-
land stellt sich die Herstellung einer topometrischen Grundkarte in 1 : 5000 immer
mehr als Naturzwang dar (s. §85 ff.).
An der Auffassung von Michaelis, daß sich im Maßstab 1 : 500000 topographische
und geographische Karte berühren, hat sich bis heute wenig geändert. Als 1893
die 500 000 teilige Karte des Deutschen Reichs von C. Vogel beendet worden war, hatte
man ihre Bedeutung für mihtärische, touristische, technische und andere Zwecke
gewürdigt und behauptet, daß durch sie die weite Lücke zwischen der Generalstabs-
karte des Deutschen Reichs in 1 : 100000 und den viel kleinern Spezialkarten der
Atlanten infolge des gewählten Maßstabes in der glücklichsten (übrigens in Frank-
reich und Italien bereits bewährten) Weise ausgefüllt werde.*
Die Karten, die großem Maßstab als 1 : 500000 haben, faßt man bis zur Grenze
von 1:200000 als topographische Übersichtskarten zusammen*, als topo-
' H. Wagnf^r: Der Kartcnmaßstab. Histoiisch-kritiBche Betrachtungen. S.A. aus Z. D. Ges.
f. Eidk. Berlin li)l4, S. II.
" Diese lediglich für Heereszwecke bestimmte, behelfsmäßig hergestellte Operationskarto wird
jetzt umgearbeitet und von der Landesaufnahme zu Berlin als „Übersicbtskart« von Europa 1 :800000"
herausgegeben.
^ Über die praktische Bedeutung der Vogelschen Karte hat »ich J. Partscli in der „Schle-
sischcn 2Ieitung" im älmlichcii Siunc ausgeaproclicn; vgl. ('. Voficl in P. M. ISOIl, 8.240.
* f'arto de Fraiuc 1 : :i20000, Licbonows Karle von Mitlclciuol>a 1:300000. Ti)|H>giuphi8cho
Übcrsicht.skartc des Dcnlsdicu Reiches 1 : 200000 ii. i:. in.
300 V>\c Limclkiwtc und der Tiagoplan.
graphische Spezialkarten in den Maßstäben 1:200000 bis 1 : SOGOON. Die
topographischen Aufnahmekarten bewegen sich in den Maßstäben von 1 : 25000
bis 1:5000, und die Detailkarten und Pläne von 1:5000 (Kataster- und Flur-
karten) bis 1 : 500 und 1 : 100. Die Grenzen sind keine scharf bestimmten und können
es auch nicht sein. Die Unterschiede in der Grenzregion sind oft ganz irrelevant,
und Inhalt und Zweck werden die Karten bald in diese bald in jene Kategorie einreihen.
Es wird gut sein, aus der Masse der topographischen Karten noch als besondere Art
die topometrischen Grundkarten in 1:2500 und 1:5000 herauszuheben, die
eine Vereinigung des Lagekatasters mit dem Höhenkataster sind und in ihrer Be-
deutung und ihrem Gebrauch über die Grenzen der üblichen Katasterkarte hinaus-
gehen, insonderheit die in 1 : 5000, die die Erdoberfläche und ihre dingliche Aus-
stattung in richtiger Verjüngung ohne auf Kosten anderer orographischer Elemente
wiederzugeben gestattet.
Was von 1 : 500000 an kleinern Maßstab trägt, nennt man Generalkarten,
allgemeine Übersichtskarten, fälschlich geographische anstatt chorographische
Karten^, im Unterschied zu den topographischen, die die Naturaufnahmen direkt oder
wenig verallgemeinert wiedergeben. Beide Kartenarten sind die geographischen Karten.*
151. Maßstab und Kartennetz. Maßstab und Projektion sind, zunächst ganz
allgemein gesprochen, maßgebend für die Ähnlichkeit der Karte zum abgebildeten
Globusflächenstück. Indes, je größer der Maßstab der Karte wird, um so geringer
wird der Einfluß des Kartennetzes, der praktisch genommen bei dem Maßstab der
Karten 1:100000 und größer gleich Null ist; das bedeutet nichts anderes, als daß
die Längen-, Flächen- und Winkelverzerrung für die einzehien Kartenblätter, wie
wir auf S. 202—206 untersucht haben, so gering geworden sind, daß sie vernach-
lässigt werden können.
Wenn es sich um sorgfältiges Konstruieren und Aufbauen der Karte oder um
kartometrische Arbeiten handelt, bedient man sich am besten eines geprüften Trans-
versalmaßstabes aus Messing, wie ihn Trigonometer und Topographen bereits bei
ihren Aufnahmearbeiten gebrauchen.* Bei eingehenden Kartenstudien ist der Maß-
stab jedesmal zu prüfen, indem er nochmals errechnet wird. Manche Kechnung
erspart man sich, werm man die bereits 1870 von H.Wagner aufgestellten Tabellen
der gebräuchlichsten Kartenmaßstäbe und zur Auffindung des Reduktionsmaßstabes
einer Karte aus der gemessenen Länge eines Äquatorgrades benutzt.^ Ist der ver-
1 Karte von Rußland 1:126000, Karte des Deutschen Reiches 1:100000, Carte de France
1:80000, Karte von Österreich-Ungarn 1:75000, von Belgien 1:60000, von Frankreich 1 : .50000,
von Bayern 1 : ."iOOOO, von Sachsen 1 : .50000 u. a. m.
2 So z. B. bei J. Zaffauk: Gemeinfaßl. Anleitung zum Croquiren des Terrains mit u. ohne
Instrumente. 3. Aufl. Wien 1883, S. 21, 22.
' Vgl. H. Fischer: Die Anforderung der Vollständigkeit an die Karte. Ratzel-Gedenkschrift.
Leipzig 1904, S. 77, 78.
" Als die preußische Landesaufnahme die Karte von Reymann-Oesfeld in 1 : 200000 über-
nommen hatte, stellte man fest, daß der dazu gehörige messingene Original -Trans versalstab dem Karten-
maßstab nicht ganz entsprach, nicht 200000toilig, sondern 199029teilig war, was einen Fehler von
etwa V2°/o ausmachte. Infolgedessen sind die Blattränder der nördlichsten Blätter lun 5,4 mm und
die der südlichsten um 2,88 mm zu klein, was für manche Berechnungen auf den Karten nicht ohne Ein-
fluß ist.
5 G. J. III. Gotha 1870. Anliang 8. L— LV. ^Gul brauclibar ist auch das Maßstabbild Fifr. 19
in Zöppritz-Bludau: Leitfaden der Kartenentwurfslehrc. J. Leipzig u. Berhn 1912, S. 36.
Der Maßstab. 301
jungte Maßstab auf die Karte gezeicbnet, so divkliert man sein absolutes Maß in
die Länge, die dieses Maß dai-stellen soll, und erhält so das wirkliche Verjüngungs-
verhältnis. ^
Können der Karte bereits durch die Herstellung kleine Fehler anhaften, so
werden solche offenbar durch die Veränderlichkeit des Papiers hervorgerufen. Über
eine Norm hierfür vgl. S. 201.
Die individuellen Fehler liegen in iler verschiedenen Tüchtigkeit und Sorgfalt
des Kartographen und Eeproduzenten. Der tüchtige Kartenzeichner rechnet, wie
wir wissen, mit einem Fehler von Zirkelstichbreite, die über 0,2 mm nicht hinaus-
gehen darf. H. Wagner will dem Urheber das Zeugnis sorgfältiger Arbeit ver-
sagen, ,,wenn die Hauptdimensionen des Kartenbildes im Originalentwnirf mehr
als VioVo '^^^ denjenigen abweichen, welche sie nach 'dem gewählten Maßstab haben
müßten".^
Die neuen und scimellen Verfahren, die sich der Photographie zur Reproduktion
der Kartenoriginale für die Herstellung der Druckplatten (Durchlichtungsverfahren)
zunutze gemacht haben, müssen minutiös mit Zirkel und Maßstab arbeiten und pein-
lichst darauf achten, daß das Objektiv des Eeproduktionsapparates groß genug ist,
um jede Linie des Originals unverzerrt wiederzugeben, auch bei verändertem Maß-
stab in der Reproduktion.
Bei keiner Kartengruppe wirkt das innige Verhältnis zwischen Maßstali untl
Kartennetz so augenfällig wie bei den Planiglobenkarten, bei keuier Kartengruppe ist
auch die Maßstabbezeichnimg gleich großen Veränderungen unterworfen gewesen wie bei
den Halbkugelbildem; weil man mit der Maßstalibezeichnung nicht recht ins reine
kam, verzichtete man ganz darauf, kleinem Kartenbildern dieser Art einen Maß-
stab beizugeben. Zur richtigen Erkenntnis dieses Mißstandes ist man erst in den
drei letzten Dezennien durchgedrungen. Ihn zu beseitigen, haben jedoch erst neueste
Darlegungen vermocht. Wohl schrieb 1814 Fr. Kries: „Die perspektivischen Pro-
jektionen haben insgesamt den Mangel, daß sich kein gradliniger Maßstab dabei an-
bringen läßt, nach welchem die Entfernungen verschiedener Orte auf der Karte der
Wahrheit gemäß bestimmt werden könnten."' Aber erst die mehrfach hier genannten
Untersuchungen von H. Wagner bringen Klarheit in die diesbezügliche Maßstab-
frage. Bei den Planigloben muß stets auf den Erdradius zurückgegangen werden.
Mit Ausnahme der orthographischen Projektion, bei der der Durchmesser des Halb-
kugelbildes dem Durchmesser des abgebildeten Globus entspricht, ist bei jeder Pro-
jektion der dazugehörige Globusradius besonders zu ermittehi und auf dem Karten-
bild kenntlich zu machen. .T. Frischauf wünscht als Längeneinheit für lineare
Größen stets den Halbmesser der Kugel.*
In den Tabellen, die die numerischen Werte füi- die Konstruktion der Karte
zusammenstellen, ist der Kugelradius r = 1 oder P = 1 angenommen. Dadurch
wird die Berechnung der Tabellen und die Rechnung mit den Tabellen erleichtert ;
denn für alle Maßstäbe sind sie zu verwerten, es ist nur nötig, r oder 1° in der wirk-
• Vgl. F. E. Mouths: Linieninessung auf Karten. Stuttgart U>12. S. 18 22. u. H. Wagner:
Der Karteamaßstob, a. a. O., S. 54, 56.
- H. Wagner, a. a. O., S. 53.
' Fr. Kries: Lehrbmh der matbcinatisibcn Ocographie. Leipzig 1814. !S. 2011.
* J. Frischauf: Diu niatb. Unmdlageu der LAudcsaufnahmo ii. Kartograpkio des Erdsphäroida.
Stuttgart 1913, S. 103.
302 '*'<" liiindkartc und ihr Lagoplan.
lichca, von der Abbildung erforderten (Iröße zu bestimmen lunl damit die in der
Tabelle niedergelegten Yerhältniszahlen zu multiplizieren.^
Zwischen den extremen Fällen, den topographischen Karten einerseits und den
Planiglohen andererseits, gibt es eine Eeihe von Karten, die bezüglich der Vernach-
lässigung von Fehlem, die durch Maßstab und Projektion entstehen, gerade an der
Grenze des Erlaubten stehen. Dahin gehören die Fälle, die zu entscheiden haben,
ob bei der Abbildung des Erdoberflächenstückes die Maße der ideellen Kugel oder
des Ellipsoides zu berücksichtigen sind. Wir nähern uns jetzt wieder ganz auffälHg
dem Grenzgebiete zwischen topographischen und chorographischen Karten. Erstere
müssen mit der sphäroidalen Gestalt der Erde rechnen, letztere erst bei dem Maß-
stab 1 : 1000000 und größern Kartenmaßstäben.^
152. Ältere Maßstabbezeiehuuu^cn. Der Meileiimaßstab. Vom 14. .Tahrhundert
bis in das erste Dezennium des 19. Jahrhunderts finden wir fast auf allen Karten
die Bezeichnung des Meilenmaßstabes, zunächst auf den Seekarten, vom 16. Jahr-
hundert ab auch auf den Landkarten. Der Meilenmaßstab war beziffert und an
ihm angegeben, welche Meilenart oder Erdgradstrecken gemeint waren. Die Ptolemäus-
ausgabe von 1513 (Straßburg) scheint bis jetzt das älteste Dokument für die Ver-
zeichnung des Meilenmaßstabes zu sein. 15 Meilen werden auf einen Äquatorgrad
gerechnet. Die gleiche Art von Maßstabbeschreibung ist jahrhundertelang bei-
behalten worden (s. später unter Bode). Der Meilenmaßstal) wurde für jede Richtung
auf der Karte gebraucht.
Außer Karten mit einem Maßstab gab es welche mit einer ganzen Reihe von
Maßstäben neben oder untereinander zum Vergleich. Diesen Karten begegnen wir
bereits im 16. Jahrhundert, und in der Vorrede zur „Auslegung der mercarthen oder
Cartha Marina, darin man sehen mag, wo einer in der weit sey, und wo ein yetlich
Landt, Wasser und Stadt gelegen ist" vonL.Friess, Straßburg 1525, heißt es: „Zum
Messen der Entfernungen findest du auf den Karten drei leitern (= Maßstäbe), die ge-
meine deutsche, die itahenische und französische." • Außer auf Seekarten finden sich
ausführlichere Angaben über verschiedene Maßstäbe auf den Post- und Eeisekarten
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Späterhin werden sie seltener, leben aber wieder auf bei Verkehrskarten in Hand-
^ Es sei z. B. r = 60 mm, die V'erhältniszahl v, dann ist der Radius in der Ebene oder der Karten-
radius 9 = 60 • « und der Maßstab •
6370 km: 60 mm = 1: 106 • 170 • 000
- Über den ausführlichen Vergleich von Ellipsoid und ideeller Kugel bei einem Maßstab 1 : 1 000000
vgl. Zöppritz-Bludau I., a. a. O., S. 38ff. — Vgl. des weitern H.Wagner, a.a.O., S. 56-62. -
E.Haentzsohel: DasErdsphäroid imd seine Abbildung. Leipzig 1903 (behandelt die konforme Doppel-
projektion der Karte des Deutschen Reiches in 1 : 100000). — E. Hammer: Zur Abbildung des Erd-
ellipsoides. Stuttgart 1891. — Vergleichg. einiger Abbildungen eines kleinen Stücks der ellipsoidischen
Erdoberfläche (Karte von SW-Deutschland). Nova acta. Abli. der Kaiserl. Leop.-Carol. Deutsclien
Akademie der Naturforscher. LXXI. Nr. 9. Halle 1898. - Über die Fehler bei Ersetzg. der ellip-
soidischen Erdoberfläche durch die Kugelfläche. Z. f. Schulgeographie. XXI. Wien 1900, S. 161 bis
172. — J. Frischauf: Die Abbildungslehre und deren Anwendung auf Kartographie und Geodäsie.
Z. f. mathem. und natunviss. Unterr. XXXVI. S.-A. Leipzig 1905. — Die mathematischen Grund-
lagen der Landesaufnahme und Kartographie des Erdsphäroids. Stuttgart 1913. — L. Krüger: Kon-
forme Abbildimg des Erdellipsoids in der Ebene. Veröffentlichung des Kgl. Preuß. Geodät. Institutes.
Neue Folge. Nr. 52. Leipzig.
atlanteii, wie bei Debes, Audrt'C^ Gegen Ende des 18. Jahrhumlerts war die Wieder-
gabe der Maßstäbe auf den Postkarten noch nicht so reichlich^, wie späterhin bei
den mehr offiziellen Karten, die z. B. im Kursbureau des Generalpostamtes zu Berlin
bearbeitet wurden, und auf denen sich bis gegen zwanzig imd mehr Meilen und Posten
einstellten.* Das hauptsächlichste Streckenmaß, das zum Vergleich diente, war
die deutsche oder geographische Meile und die rheinländische Euthe (= 3,766242 m)
zu 12 rhemländischen Fuß (1 Fuß = 31,38.5351 cm).*
Unter den Karten, die einen andern als einen Eeisezweck verfolgen und auf
die verschiedenen Maßstäbe großen Wert legen, ist A. Donnets topographische,
mineralogische und statistische Karte von Frankreich (1840), die allein 13 Maßstäbe
klar und deutlich verzeichnet, hervorzuheben. ^ 35 einzelne Maßstäbe sind in dem
Atlas von Bonne, Paris 1785, aufgenommen. Da es Bonne in seinem Atlas darauf
ankam, die Beziehungen des europäischen Handels zu den beiden Indien statistisch
und kartographisch klarzulegen, mußte er, um den Atlas weiten Kreisen des Abend-
landes zugänglich zu machen, die gebräuchlichen Maßstäbe der einzelnen Länder
und Meergebiete auf die Karten eintragen, was ihm als , .Ingenieur Hydrograi)he
' E. Debes gibt auf der Veikchrskaitc <I('s Mittelländischen Meeres (Handatlas 1913) den Maß-
stab für Kilometer, deutsche geogr. Meile, Seemeile und engl. Meile; Andree auf der Verkehrskarte
der Xord- und Ostsee (Handatlas 1914) den Maßstab für Kilometer, engl., dän., sohwed. und norweg.
Meile, russ. Werst und Seemeile.
- Z. B. J. Pongratz: Neueste allgemeine Postkarte durch alle europäischen Staaten. Wien
1798. — Hier werden die verschiedenen Wegmaßstäbe mit Meilen und rheinischem Fuß verglichen.
' Übersicht der Schnellpost- und Eilwagen-, sowie die bedeutendsten Personenpost- und Fahr-
postverbindungen in Deutschland und den angrenzenden Ländern. Bearbeitet im Kursbureau des
Goneralpostamtes zu Berlin 1840. Hierauf befinden sich 20 Wegemaße, s. folgende Anni. — Von dem-
selben Kursbureau bearbeitet mit 21 Wegmaßen, einschließlich Seemeilen: Übereichtskarte der Eisen-
bahnen und der bedeutendsten Post- und Danipfschiffverbindungen in Europa. 1864.
* Die auf der unter Anm. 2 genamiten Karte vom Jahre 1840 angegebenen Wegmaße seien
hier wiedergegeben, um sie für eventuelle Vergleiche zur Hand zu haben.
Auf einen Grad des Äquators gehen:
15,00 Geographische oder Deutsche Meilen je 1969,98 Rheinl. Ruthen
14,77 Preußische Meilen 2000,00
1.5,4.5 Badische Meilen 1911,71
15,00 Bayrische Meilen 1968,79
14,8.3 Belgische Posten 1991,37
14,77 Dänische Meilen 2000,00
69,15 Englische Meilen 427,31
111,29 Kilometer (in Frankreich) 265,51
15,00 Hannoversche Meilen 1969,92
20,02 Niederländische Uren I476,0t1
14,66 Österreichische Meilen 2014,27
15,57 Polnische Meilen 1897.50
18,00 Portugiesische Leguas UU1.)>4
104,92 Russische Werste 2S:!,-:.".
12,27 Sächsische Meilen 240»;,7l'
14,27 Sardinische Posten .... 2070,OU
10,41 Schwedische Meilen .. 2837,95
25,00 Schweizer Stunden 1181.98
17,.58 Spanische Leguas 1680,58
Kinc Post in Itelien (exkl. Lombardei, Venedig und Sardinien) ungefähr 1'/» gi-ograph. Meile.
' Alexis Donuet: Carte topographiquo, mineralogique et statistiquo de la France. Paris IS40.
[H. u. St. Bi. München.]
304 ßic Laudkaitc und ihr Layepl:in.
de la Mariiif" nicht schwer falk'ii konnte. Die hübe Anzahl der Ahißstäbe wird dadurch
erklärlich.^
Das gleiche Prinzip, die in den einzelnen Ländern gebräuchlichen Maßstäbe
anf dem Kartenbilde festzuhalten, findet sich in den historischen Atlanten Ende des
18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Zahlreich, aber nicht sauber gearbeitet sind
die Meilenmaßstäbe im ,, Atlas antiquus Danvillianus minor" (Nürnberg 1801 bei
Schneider-Weigel ediert). In Eeichards ,,Orbis terrarum antiquus" (Nürnberg 1818)
finden sich Milliaria geographica, ßomana, Anghca Nova, Hispanica Nova, Italica,
Judaica, Indica, Arabica, Nautica, ferner Leucae Gallicae veteres und novae, Stadia
Olympia, Parasangae Persicae und Armenicae, Schoeni Agyptii und Werstae Eus-
sicae. Der aus Karten der alten und modernen Geographie aufgebaute Atlas von
Malte-Brun (Paris 1837) ist mit Maßstäben reich ausgestattet.^ Heute wird dieses
Prinzip nicht mehr in gleichem Umfang angewandt, obwohl es für historische Schul-
atlanten sehr angebracht wäre.^
Der Meilenmaßstab ist, wie H. Wagner sagt, für all diese Karten , .nicht ein
von den Kartographen absichtlich eingetragener Beleg für das von ihnen gewählte
Verjüngungsverhältnis", sondern nur ein „Schlüssel", der notwendig für die Be-
nutzung war. Dem steht gegenüber, was Seb. Schmid in der Anleitung zum Karten-
zeichnen* aus dem Jahre 1566 sagt: „Zum ersten mustu machen ein mäßleiteren der
mylen noch der wyte und lenge der landschaft, die du begarst zu beschryben, und
magst die machen klein oder groß nach dinem gefallen und der proportion der fel-
dierung. Als wann ich weite beschryben die loblich statt Zürich mit irem gebiet
und anderen umbligenden orthren umb 6 myl und breit darumb, so mach ich die
mäßleiteren der mylen als lang als die feldierung sin muss der ganzen taflen, und teil
ouch ein iede myl ab in halb mylen und vierteil der mylen, damit ich im inschryben
der orthren den mylen konde zugeben oder darvon nemmen, wie es die nothdurft
erfordret, und nachmals wyter wirt gemeldet werden." Bei G. Delisle war der Meilen-
maßstab ohne Zweifel ein absichtlich eingetragener Beleg für das von ihm gewählte
Verjüngungsverhältnis (§ 165).
153. Ältere Maßstabbezeichnung auf Hemisphären. Weil sich durch Anlegen
des Maßstabes für Entfernungsmessungen auf Weltkarten und Halbkugelbildern
die Verzerrung des Kartennetzes nach den verschiedensten Richtungen zu augen-
scheinhch geltend machten, hatte man den Maßstab auf diesen Karten ganz fort-
gelassen, obgleich sich Mittel geboten hätten, ,, solchen Karten einen nicht mißzu-
verstehenden allgemeinen Maßstab beizulegen". ^
^ Der in meinem Besitz befindliche Atlas mit ausführlichem statistischen Anhang führt den
Titel: Atlas de toutes les parties connues du globe terrestre, dress6 pour l'histoire philosophique et
poUtique des 6tabhssements et du commerce des Europ6ens dans les deux Indes.
" Malte-Brun: Atlas complet du pr6cis de la göographie universelle. Verbessert hg. von
N. Huot. Paris 1837.
' Der im Anfang des 19. Jahrhunderts bei J. Perthes in Gotha nach Mannert, Ukert, Rei-
chard, Kruse, Wilhelm u. a. bearbeitete Schulatlas der Alten Welt bringt die altern Maßstäbe:
auch Kiepert imd Sieglin vergessen sie nicht. F. W. Putzgers Historischer Schulatlas (37. Aufl.
Bielefeld u. Leipzig 1914) ist kärgUch damit ausgestattet.
* Seb. Schmids Anleitung vgl. Anm. 1, S. 260.
' H. Wagner, a. a. O.. S. 6.
Der Malist:il). 305
Bei ähnlichen Betrachtungen scheinen H. Wagner Karten entgangen zu sein,
die sich als wnkeltreue, zwischenständige Halbkugelkarten (also in stereographischer
Horizontalprojektion) repräsentieren und auf das 17. Jahrhundert zurückgehen.
Da erscheinen sie als Nebenkarten auf größern Karten, die die zwei Erdhälften zu-
meist in winkeltreuer äquatorständiger Projektion zeigen. Als Xeljenkarten tragen
sie keinen besondern Maßstab, wohl aber im 18. Jahrhundert, als man sie bewußt
in größerm Maßstabe herstellte, so zuerst von Pater Chrysologue (1774). Die voll-
kommensten Karten dieser Art gaben J. E. Bode (1793) und J. A. Ecker (1794). ^
Verharren wir bei Bode. Er hat seine Halbkugelbilder mit größter Sorgfalt
konstruiert. Mit ihrer Bearbeitmig begaim er 1779; 1783 gab er bereits die dazu
gehörige 177 Seiten lange Beschreibvmg imd Gebrauch einer auf den Horizont von
Berlin entworfenen neuen Weltcharte in zween Hemisphären (Berlin und Stettin)
heraus; die eigentlichen Kartenbilder sind jedoch erst 1793 erschienen. Ob es sich
dabei um eine Neuauflage handelt, konnte ich bis jetzt nicht mit Sicherheit fest-
stellen. Auf S. 17 der Bodescheu Beschreibung heißt es: ,,Noch ist einem jeden
Planisphär ein Maßstab beygefügt, welcher ein in Graden und geographischen Meilen
abgetheilter Halbmesser desselben ist. Er dient zur Abmessung der Sonnenhöhe und
der Entfernung der Örter von Berlin, und zur Erfindung der Weltgegenden, nach
welchen dieselben hinaus hegen." Ein dreifacher Zweck des Maßstabes ist zum Aus-
druck gebracht. Der beigegebene Maßstab ist ein Eadial- oder Speichenmaßstab.
Die zweite Zweckbestimmung, daß durch ihn die Entfernung der Orte von Berlin
aus festgelegt werden kann, stimmt nicht, höchstens für die Berlin zunächst liegenden
Ortschaften. Der Radialmaßstab gibt nur dami die wahre Entfernung in zwischen-
ständiger Lage einer Karte an, wenn der betreffende Ausgangsort der Mittelpunkt
einer mittabstandstreuen Azimutalprojektion ist. Der von Bode angegebene Maß-
stab würde für Berlin passen, werm diese Stadt bei gleicher Projektionsart im Nord-
pol liegen würde. Aus den Ausführungen Bodes scheint es ganz so, daß er sich, ob-
wohl er ein guter Mathematiker und Astronom der Kgl. Akademie der Wissenschaften
zu Berlin war, der Winkel- und P'lächenverzerrung und der daraus resultierenden
Maßstabänderung nicht vollkommen bewußt ist.
Anzuerkennen ist, daß Bode auf die Bedeutung des Maßstabes hinweist, und
in der zweiten Auflage seiner Anleitung zur allgemeinen Kenntnis der Erdkugel
(Berün 1803) sagt er, von allgemeinen Prinzipien ausgehend, S. 313: ..Eben der Maß-
stab, nach welchem die Charte verzeichnet ist, nemlicii der in (iradtheile und deren
Werth in Meilen eingetheilte Meridian, dient zugleich zur Ausmessung des Abstandes
der örter auf derselben." Die genannte Art der Maßstabljezeichnung ist vielfach
auf den Karten vernachlässigt worden, nachdem für sie Mercator bereits gute Musler
gegeben hatte.
Die Worte Bodes „Eben der Maßstab, nach welchem die (harte verzeichnet
ist", rütteln wie die Ausführungen von Sei). Schniid an der Annalnne von H. Wagner,
daß der Maßstab der altern Karten kein von den Kartograi)hen al)sichtlich eingetragener
Beleg für das von ihnen gewählte Verjüngungsverhältnis ist. Jedenfalls erlauben
sie den Schluß, daß sich mathematisch gebildete Kartographen des Maßstabes und
des auf ihm begründeten Verjüngungsverhältnisses wohl lnwußt wari'ii und bei der
Herstellung .Irr Kiirtm iMli.Tzigtm. daü abrr um aii.-b dc^ii Wagn.Tselien Aus-
' \V'I. n<l. II iil«-r V.TU.liiakuilr. I..S. ,li.- ls.»lii.inri.k.iilrn.
Kckort, KftrlcDwi9A«nfloliarc. I. '«^O
306 Hie l.üiiilkiiil.- iiiul ilir La-opUii.
Iiilirungen t;t'i'*'i''>t >'''> wcnleii — lioi der Mohrzalil der ,,Kartenmac!ier" des 16. bis
IS. Jalirhundcrls von der zielliowiißton Arbeitsweisp mit. Maßstabverjiingiiuf]! wenig
•/.u s()üren ist.
ir»4. Maüstiil) und Kur1i>iil'orinatlM>stinuniiiig'. Der graphische Meilon-
maßstab wird niciit sehen als ,, Kartenmaßstab" direkt angesprochen. Über das
eigenthehe VerjüngungsverhäHnis sagt er nichts, und zur Vorstellung über die Größe
der Karte trägt er wenig bei. Man half sich seinerzeit damit, daß man das Karten -
forraat der Länge und Bn>ite nach in einem gangbaren Maße ziffernmäßig festlegte,
(iregorii spricht davon, daß dir ..ordinäre" Länge und Breite dei Laudkavlfii
1 Elle sei.i „Die cxtraonlinäre (Iriiße kann nicht höher als ändert balli l'lllen, der-
gleichen Gerhardus Mercator vor die Könige in England und Wales riünnliclist ver-
fertigt, Fürsten ließen wohl auch andere Formate stechen von ihren Ländern." In
dem „Eepertorium zur Karte A^on Deutschland in 16 Blättern" (Berlin 1793) von
D. F. Sotzmann heißt es auf S. XX von der Tabula novissima totius Germaniae . . .
a Johanne Babtista Homanno (Nürnberg s. a.), daß sie vier Bogen umfaßt, die
zusammengesetzt 3^4 Fuß rheinl. lang und 3 Fuß breit sind, oder auf S. XXI von
der Tabula geographica Imperii germanici . . . 17G2, daß diese große Postkarte
\on dem Geographen J. C. Ehode auf einem Bogen von 21/2 Fuß Länge und über
•2 l'"uß Breite entworfen sei. Daneben finden sich die allgemeinen Bezeichnungen
,,ein Bogen in gewöhnUchem Homämiischen Kartenformat" oder ,,im gewöhnlichen
Landkartenformat", denen wir auch bei altern Autoren begegnen, wie in E. D.
Haubers Versuch einer umständlichen Historie der Land-Charten (Ulm 1724).
Die allgemeinen Ausdrücke sagten, wo die Kartengröße zwischen Duodezformat und
größtem Folio schwankte, herzhch wenig. Wenn Petrus Martyr eine altmexikanische
Karte von „30 Fuß Länge", die auf weißes BaumwoUzeug gemalt ist, beschreibt,
ist für den Maßstab und die Anschaulichkeit der Größenverhältnisse nichts ge-
wonnen. ^
Für Wandkarten jedoch ist außer der Bezeichnung des Maßstabes die KenntHch-
machung des Kartenformats sehr nützhch. Ohne diese Angaben ist heute der Wand-
kartenprospekt oder -katalog einer guten Firma nicht mehr denkbar.* Bei den Leit-
sätzen, die C. W. V. Oesfeld für seinen Kartenfreund (Berhn 1841) aufstellte,
verlangt der dritte die Angabe der Ausdehnung der iimern Fläche nach Höhe und
Länge, ausgedrückt sowohl im Maßstab des Blattes wie nach Pariser Zollen und Linien.
155. Neuere Maßstabbezeichnuugeu. Der Äquator als Maß^itabträger. Nach der
an Maßstabbezeichnungen armen Zeit, die vier Jahrhunderte währte, beginnt um die
Glitte des vergangenen Jahrhunderts die an allerhand Neuerungen, Vorschlägen und
Arrregungen reiche neue Zeitperiode. Wir stehen heute noch inmitten dieser Strömungen.
1 J. G. Giegorii: Curieuse Gedanckon von der vomeluiistcn und aciuraUstin Alt- und neuon
Ijand-Charten. Franckfurt u. Leipzig 1713, S. 7.
= Vgl. H. H. Bancroft: Native races of thc Pacific States. II. 1874, 8.488, Anm.
' Man vgl. dazu die entsprechenden Vcrlagskataloge von J. Perthes, Wagner & Debes,
P. Volkmar.s Schulwart, die Bibliotheca paedagogica u. v. a. m. Die Wandkarten außerdem noch
in verkleinertem Bilde wiederzugeben, wie es in den Katalogen von J. Perthes, Wagner & Debes
und andern deutschen Wandkartenfirmen und in neuer Zeit auch bei a\islandischon Firmen (Stan-
ford u. a. m.) zu geschehen pflegt, ist praktiscli und dankenswert.
D.i- .M.ili3t;ili. 307
Noch sind die Maßstabbegriffo nicht Gemeingut der Kartenbonutzer geworden*, sonst
würde H. Haack dem Hauptkatalog von J. Perthes (Gotha 1915) einen Anhang
mit erklärender Karte „Der Kartenmaßstali: Erläiiferungen für Laien", nicht lici-
gegel)en haben. ^
Die modernen Jlaßstablx'zeichnnngen lehnen sich zunächst an eine wichtige
meßl)are Linie des Kartennetzes an. Für Übersichtskarten der Erde ist der Äquator
die gegebene Linie. Ist die Mercatorprojektion auch die Seekarteriprojektion kat-
exochen, bedient sich ihrer doch die Landkarte in zahlreichen Fällen, und als Übersichts-
karte der Erde behauptet die Mercatorkarte heute trotz vieler berechtigter Gegen-
strömungen teilweise noch das Feld. Der jüngere Herm. Berghaus ist, wie H. Wagner
nachweist^, bahnbrechend vorgegangen, als er auf seine Allgemeine Weltkarte in
Mercators Projektion (Gotha 1859) schrieb: „Äquatorialmaßstab 1:55500000
der natürlichen Größe". Der Ausdruck „Äquatorialmaßstab" oder ,, Maßstab im
Äquator" hat sich seitdem gehalt-en und seit 187G trägt H. Wagners Umrißkarte
der Erde die Bezeichnung ,J\.quatorialmaßstab 1 : 20000000". Auch meiner, bei
Wagner und Debes im Jahre 1908 erschienenen Weltkarte in flächentreuer Projektion
habe ich den Äquatorialmaßstab 1 : 20000000* und der entsprechenden Handumriß-
karte 1:90000000 gegeben. Die flächentreue Weltkarte in meinem Wirtschafts-
atlas der deutschen Kolonien (Berlin 1912) trägt die Bezeichnung: Äquatorial- und
Mittelmeridianmaßstab 1 : 1.50000000, wobei ledighch die Gesamtlänge vom Äquator
wie auch vom Meridian zu verstehen ist.
Für die polwärts wachsenden Längengrade der Mercatorprojektion hat man
graphische Maßstäbe konstruiert. Mercators berühmte Karte trägt noch keinen
derartigen Maßstab. Er begegnet uns am fi-ühesten auf der Karte von Henriciis
Hondius: Navigatio ac itinerarium Johannis Linscotani. Hagae-Comitis 1599.''
15(!. Der Meridian als MaBstabträger. Nächst dem Äquator war der Mittel-
meridian die gegebene Maßstablinie. Erst nachdem man nach 1880 gelernt hatte,
die äquidistanten (mittabstandstreuen) Azimutalprojektionen bei jeder Erdlage an-
zuwenden, hat der Maßstab Bezug auf die Meridiane genommen. Bei den Karten-
netzbildern von Wenz und Kartenprojektionstheoretikern seiner Zeit finden sich
keine Andeutungen über Mcridioualmaßstäbe. 1892 gibt A. Breusiug in seinem
Werkchen über Das ^'erebnen der Kugeloberfläche für Gradnetzentwiüfe drei
kleine Planiglobenkärtchen in pol-, äquator- und zwischenständigem speichentreuem
Entwurf, leider ohne Maßstabbezeichnung. Erfreuhcherweise liest man in Debes
Neuem Handatlas (Ausgabe 1913) bei den Erdhälftenkarteu von einem Radial-
• Waa für Unklarheitoii über den Maßstab herrschen, dar.u piht die unsach);eniäUe Bchandhing
des Abschnittes „Maßstab" eine treffliche Illiistrieruug bei A. Hodcrlrin: Anleitung zum Krokieren,
Kartenlescn u. f. GelanditTkundung. 7. Aufl. Nürnberg 1916.
- Die Erliiutcrungen sind auch einzeln käuflich zu erwerben. Über den Maßstab wird im
Briefkasten einer der bekanntesten illustrierten Woehen-sehriften ein Kinsender wörtlich so belehrt:
„Der Maßstab auf Ihrer Landkarte, 1:25000, Imleutet. daß eine Verkleinerung der Karte erfolgte,
insofern als 1 cm gezeichnet wurde für eine Strecke von 23000 cm ' , km. Sie können daher mit
dem Metermaß genau feststellen, wie weit ein Ort vom andern enifcrni ist. wenn Sie diws gewoniieni-
Ergebnis mit 25000 cm oder ' , km multiplizieren." ( !)
■' H. Wagner, a.a.O., S. 38.
• .M. E<kertsFläehcntreue Umrißkarte der Knie. 4 Hl. mit .VuL'iilve der Kin/.eKelihr. Aquatorial-
nmlistHl) 1:20ÜIHM)00. Wagner & Debes. U>i|>7.lg 1908.
• WiedeigegelHii in A. K. N.. rd.nsk i öl.ls „l'a.similrAlI.i-. . SIihUIioImi 1S,S0. S. 97.
3f),«l Die I-;iii(lU;irtc iiiiil ilu- l..it,'c'|il.iii.
u.aßstab in 1:82000000, 1:41000000 und 1:40000000. Für l^adiiilmn ßstali
würde Breusing sicher ,, Speichenmaßstal)" gesagt haben.
Der Meridianmaßstab wird für die dm-ch den Karten- bzw. l'rojektionsmittel-
piinkt j^ezogtiion Haupt- oder Großkreise berechnet. Bei dem polständigen mitt-
al)stan(lstreuen Netz bezieht sich der Maßstab auf sämtHche Meridiane, bei dem
äquatorständigen nur auf den Mittelmeridian. Deshalb schrieb ich auf die Isochronen-
karte in mittabstandstreuer l'rojektion mit dem Mittelpunkt Berlin: mittlerer Meri-
dian 1 : (i40()()0()0.i
l.")7. Der Parallel als Maüstabtrüser. Der mittlere iMaßstah. Außer den Meri-
dianen treten weiterhin die Breitenkreise und andere Konstruktionskreise (Groß-,
Haupt-, Grundkreise) bestimmend für den Maßstab auf, wenngleich es sich in der
Maßstabbezeichnung nicht offenbart. Man bedient sich der allgemeinen Ausdrucks-
weise: mittlerer Maßstab, wie es z. B. E. Debes in seinem Neuen Handatlas getan
hat. Wir finden daselbst den Maßstab 1:12000000 für Europa, und 1 : 15000000
und 1:10000000 für Europa ähnlich große Gebiete in der Lambert- Gaußschen
konformen Kegelprojektion (winkeltreuer Entwurf) ; auf den Karten selbst sind zwei
Parallelkreise abweitungs- oder maßtreu dargestellt. In der Lambert- Gaußschen
konformen Zylinderprojektion (winkeltreuer, zylindrischer Entwurf) werden Euß-
land in 1 : S250000 und die Nilländer in 1 : 10000000 abgebildet, wobei der Mittel-
meridian als Grundkreis längentreu wiedergegeben wird. In winkeltreuem, zwischen-
ständig zylindrischem Netz sind Südostasien und Mittelamerika in 1 : 10000000
gezeichnet und in gleichem Maßstab in winkeltreuer zwischenständiger Kegelprojektion
Westafrika; bei den beiden ersten Karten wurde ein Grundkreis maßtreu konstruiert
und bei der dritten zwei Kleinkreise. Auf den Karten selbst erscheinen die Kon-
struktionskreise nicht, die Grundkreise der beiden ersten sind im Kartenrand ge-
kennzeichnet. Mit ,,mittlerm Maßstab" meint Debes nicht die geometrische Mitte
der Karte, sondern einen Maßstab, der ungefähr für das ganze Kartenblatt paßt.
Im gleichen Sinne hat A. Bludau den ,, mittlem Maßstab" auf verschiedenen Karten
des von ihm herausgegebenen Sohr-Berghaus' Handatlas angewandt.
Da auf der Mercatorkarte jeder Parallel dem Äquator längengleich ist, hat
man bei Teilkarten, die in Mercatorprojektion entworfen sind, zwar nicht auf die
Bezeichnung ,, Äquatorialmaßstab" zurückgegriffen, sondern bei sonstiger Einhaltung
der Konstruktionsprinzipien der Mercatorkarte einen Parallel, der etwa durch die
Mitte des Kartenblattes verläuft, längentreu eingeteilt und maßstabbestimmend
gemacht. A. Petermann legte seiner Karte vom (jolfstrom^, die sich von 35" bis
HO" N erstreckt, einen ,, mittlem Maßstab" von 1:20000000 bei; das paßt für den
Polarkreis, der infolge der wachsenden Breiten etwa durch die geometrische Mitte
der Karte verläuft. Dieser Maßstab in der mittlem Iheite ist in neuerer Zeit
für die Seekarten gebräuchhch gewordiMi.
158. Mittlerer .Maßstab = erniillelter Maßstab. In nin arithmetischem Sinne
gebrauchen wir den Ausdruck ,, mittlerer Maßstab" für Karten, die keinen 'Maßstab
\on Haus aus besitzen. Er muß erst gesucht oder , .ermittelt" werden. Haupt-
sächlich handelt es sich um die Bestimmung der Maßstäbe alter Karten. Man be-
' M. Kckoits TROflironpnkaHe i. P. M. UHtil. T. 25.
• 1'. M. IS7II. T. 12 II. K!.
l)pr MaBstab. 300
ilioiit sich hierzu, je nachclcni die Uiilerlageu Ijescliaffen sind, ver.schiedeuer Metliodeii.
Entweder wird die Länge eines Meridiangrades auf der Karte gemessen und diese
in die wahre Länge eines Meridiangrades dividiert, oder man wendet die Distanzen-
messung an, indem man die Entfernung zweier oder mehrerer Orte auf der Karte
ausmißt und mit bekannten Karten vergleicht. Dazu läßt sich gegebenenfalls ein
größerer, sauber gearbeiteter Globus vorteilhaft gebrauchen. Die erstgenannti'
Methode ist angebracht, wenn die Karte Gradnetzteile erkennen läßt; fehlen sie, so
läßt sich aus dem Meileinnaßstab einer solchen Karte der Maßstab nicht ohne weiteres
berechnen, es sei denn, daß man weiß, wie groß die AVegniaße, die im Meilonmaßstali
verkürzt wiedergegeben sind, ihrem wahren Werte nach sind.^ Daß es mit einer großem
Anzahl vergleichender Streckenmessungen zuweilen nicht getan ist, einen zufrieden-
stellenden Maßstab für ältere Karten zu gewinnen, hat H. Walser an der Gyger-
karte des Kantons Zürich nachgewiesen. Weil diese alte topographische Karte (1607)
offenbar aus verschieden genauen Teilen zusammengesetzt ist, wurde es notwendig,
den Maßstab der genauesten Partien zu finden, zu welchem Zwecke ein Maß für die
Genauigkeit der einzebien Teile der Karte zu bilden gesucht wurde. Walser gelangt
alsdann zu dem l)rauchbaren Maßstab 1 : 32000.^
Liegen maßstablose Karten jimgern Datums vor, s(j kuiiuen die trigonometrischen
Fixpimkte nach der zweiten Bestimmungsmethode von Nutzen sein. Dies günstige
Moment kommt für ältere Karten, wo es an und für sich mit der Position der Ört-
lichkeiten nicht gut bestellt ist, in Wegfall und eingehende Vergleiche imd Erwägungen
müssen zu einem halbwegs brauchbaren Ergebnis führen. Diesen Arbeiten begegnen
oft ungeahnte Schwierigkeiten, wie H. Wagner an der Maßstabbestinimung M. Gassers
über Phil. Apians Bayrischen Landtafehi nachgewiesen hat^, für die Gasser einen
Maßstab von 1 : 136000 berechnet hat, Wagner jedoch einen solchen von 1 : 145000.*
Bei altern Karten spricht man außerdem von einem abgerundeten Maßstabe,
was hier schließlich dasselbe wie ,, mittlerer" Maßstab bedeutet. E. Oberhummer
macht in seinen historisch-geographischen Studien einen Lnterschied (wenigstens
sprachlich) zwischen beiden Maßstabbezeichnungen. So ist der Maßstab des Planes
\(m Wien des Steinmetznieisters Bonifacius Wohnuet a\is Frankfurt a. M. (um 1547)
..rund 1 : 800", und der Plan von Wien in Kupferstich von dem Nürnberger Künstler
Augustin Hirschvogel (14HS-1553) besitzt einen „mittlem Maßstab von 1 : LSSO"'.^
' Auf obiger Metluxlc fiitit dir Kunstiulttii)n der Siala geDgiapliica iinivci-siili.s aus d. .1. ITtU
von Liinbrunu. Durch diesen Univei^alniaßstab sollte sich bei Untersuchung von Landkarten ohne
Maßstabbezeii'hnung die Anfertigung von besondem Maßstäben erübrigen; s. Dom. von Limbrunn.
a. a. O., S. .360.
- K. Walser: Veründerungen der Krdoberf liiclio im l'nikreis des Kantons Zürich seit der Mitte
des 1". .lahrh. l'ntersuehungen, angestellt auf Grund der t^ixigi-aphisehen Karte von .1. C. (ivgei
au.s dein Jahre 1667. XV. Jahresbericht der Oeogr. CVs. von Bern IS()6. S. Uff.
" H. Wagner, a. a. ü.. Sl. 63 7«.
■ * Man könnte sieh bei dieser MaBstabsbeslinunuiig aucli von rein praktischen Krwiignngen leiten
lassen. Die große Ausgabe der Karte ist im Maßstab ca. 1 ; 4r)(H)0 koiistniiert. Nachdem ihn>r Ver-
iiffentlichtnig S<-hwierigkeiten i'ntgegenslanden. hat sich .'Vpian zu einer redu/.ierten Ausgaln- ent-
schlossen. Dabei ist sehr wahracheinlich, daß er einen dninial kleinem Maßstab als den ursprüng-
lichen «lihlte; ilas wüiv dann ein solcher von ca. 1: i:»5l)00, wcltlic Zahl der von f;«.H.m>r ennittolten
nahc/.u enUi)r(H-hen wünie. (Bei I: 1461XHI wnn- da« Reduklionsverh iltnis :i»/.,!)
'- K. Ohcrhnmincr: Der Stadtplan, seine Kntwickhmg inid Bedeutiuig. Vortrag. Verliaiidign.
d.> Wl. I).uts.licn («ogrnplicnlages zu Nürnberg. B.Tlin I'.MIT. S. !•!.
310 l>.r I.inHlk.-ule. uiul iln- LM-rpl;,,..
I.V.». Mi«('lpiiiik«in:iltis1al). Ihtppi'lfer Maüslal» und Ivum'liiiaBs(ab. Auf Kaihii,
dif grüßt-'R' Teile dw Erdöl n'if lache oder diese ganz darstellen, ändert sich an ver-
schiedenen Stellen der Karte nicht hloß das Verjüngungsverhältnis der Längen,
sondern auch, wenn keine winkeltreue Projektion vorliegt, die Länge selbst. Die
Längen, die von einem Punkt aus nach verschiedenen Eichtungen ausstrahlen, wären
demnach mit verschiedenem Maßstab zu messen. Bei der Erkenntnis dieser Tat-
sachen hat man sich so beholfen, daß man den Karten entweder keinen Maßstab
gab oder einen sog. Mittelpunktmaßstab, M'eil bei jedem dieser Kartennetze
die Langeutreue in unmittelbarer Nähe des Mitteli)unktes der Karte oder des Ent-
wurfs mehr oder minder gewahrt bleibt.
Das Dilemma, ob man die Planigloben mit Maßstab versehen soll oder nicht,
hat zu verschiedenen Auswegen geführt. Die alten Plauiglobenbilder von Stülp-
nagel in winkeltreuer Projektion in Stielers Handatlas (Ausgabe 1876) tragen einen
„Maßstab 1 : 50000000 bis 1 : 100000000". Zwei Jahre darauf ist die Doppelmaß-
stabbezeichnung wieder verschwunden. Der Ausdruck „Mittelpunktniaßstab" geht
kaum weiter als auf 1890 zurück und ist seitdem nur vereinzelt gebraucht worden.
K. Zöppritz gibt in dem Leitfaden der Kartenentwurfslehre (Leipzig 1884) ein
Unirißkärtchcn für Asia-Europa in Lamberts flächentreuer Zenitalprojektion im
„Maßstab von 1 : 120000000 in der Mitte". 1892 gibt E. Hammer seiner flächen-
treuen Erdprojektion emen ,,Läugenmaßstab im Mittelpunkt ca. 1 : 182000000".
Bei A. Bludau tritt uns der Mittelpunktmaßstab mehrmals entgegen auf den ent-
pjirechenden Karten seines Atlas' und auf den von ihm berechneten Netzen in Andrees
Handatlas.
Die oben genannte doppelte Maßstabbezeichnung läßt es herausfühlen, daß
bei manchen Karten, insonderheit bei den Planigloben, eine einfache Maßstab-
bezeichnimg oder ein mittlerer Maßstab die Karte zu wenig charakterisiert. Nun ist
bei den Erdhälftenkarten ein sicheres Maß in dem Globusradius gegeben. Darum
sollten solche Darstellungen stets auf den Globusradius achten, in ähnlicher Weise,
wie CS H. Wagner im Methodischen Schulatlas getan hat. Dort tragen westliche
und östliche Halbkugel (Taf. C), die in Neils modifizierter Globularprojektion ent-
worfen sind, den „mittlem Maßstab 1 : 120000000, entsprechend einem Globus von
— —53 mm Hallimesscr oder lOü inui Durchmesser", oder die Halbkugel-
120(XK)000 m
bilder auf Taf. 10 in Mi)ll\v(ide.< flaelicnl reuer rrojektion den ,,inittleni Maßstab
1 : 140000000, entsprechend einem Globus von .,1„^^^„^— =45,5 mm Halbmesser".
'■ 140000000 m
Diese Maßstabbezeichnung hat dazu geführt, von einem Kugelmaßstab zu sprechen.
1(!0. Die MaBstabbczeichnung in lirurhlorm. Zum Schluß bleibt uns noch eine
Maßstabbezeichnung der modernen Karte übrig, die sich weder auf ein Linienelement
des Netzes (ein geographisches Längenmaß wird stillschweigend vorausgesetzt), noch
auf jeweilig heimische Maße bezieht, sondern nur das reine Zahlenverhältnis als Ver-
ständigungsmittel gebraucht, indem das Verjüngungsverhältnis in Zahlenwertcn
ausgedrückt vnrd. Dies war erst im messenden Zeitalter möglich, zu dem sich das
19. Jahrhundert entwickelte. Wenn wir von der Cassinischen Karte von Frankreich
' Sohr-Beighaii«' HaiuliUlas. rntiT iMilwiikg. von U. Horkthg. von A. Bhiilau. Glugaii
l'J02, l*laniMi)bäie Xr. 5. Xordaiuerika. Xr. 69, 71. Die Polargcbicte Nr. 7 u. a. in.
Der MiiBstab. 31 1
im Maßstab 1 : 86400 und andern Karten des 18. Jahrhunderts und frülierer Zeiten
in bcitimniteni Maßstäbe reden, ist zu bedenken, daß diese Karten den Maßstab in
ßruchform noch nicht kannten, daß er ihnen erst später beigelegt worden ist.
In dem Nachforschen nach altern Bezeichnungen des Maßstabes in Bruchform
klopfen \vii' bei dem tüchtigen J. G.Lehmann nicht vergeblich an. Da. ^\o er in
seiner Anleitung zum richtigen Erkeimen und genauen Abbilden d^r Erdoberfläche
in topographischen Karten- und Situationsplänen (Dresden 1812) das Kapitel der
Einteilung der Karten anschneidet, spricht er deutlich und klar von den Maßstäben
1 : 2000000, 1 : 200000, 1 : 100000, 1 : 20000 und 1 : 10000. Auf seinen Karten
habe ich diese Bezeichnungen nicht gefunden, da stehen nur Linear- (geographische
Meilen-) oder Transversalmaßstäbe.
Die erste Maßstabbezeichnung moderner Art, nicht in Zahlen, wohl in Worten
ausgedrückt, könnte man auf der ebenso seltenen wie jjerühmten Karte des Mer-
wedeflusses von Nie. Cruquius aus dem Jahre 1730 erblicken, worauf steht: „De
Tien Duysend Eoeden van dese Kaart maken Een Ehynlandse Roede."^ Die ersten
Maßstabbezeichnuügen in Bruchform ausgedrückt fand ich auf dem berühmten
Oberreitschen Landatlas von Sachsen^, ferner im Britischen Museum auf einer
Karte aus dem Jahre 1827.^ Oesfeld sagte 1841 ausdrücklich, daß jede Karte den
Maßstab enthalten müsse, „ausgedrückt im Längenverhältnis zur Natm-, sowie, ob
der gestochene Maßstab auch richtig beschrieben ist (welches sehr selten der Fall
ist)".* Aus dem Dämmerungszustand neu sich bildender Maßstabbezeichnimgen
gelangte man endlich um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts zu greifbaren Er-
gebnissen. Stielers Handatlas schi'itt voran, und zwar mit der vierten Auflage
(83 Karten 1848). Über die Maßstab Verhältnisse heißt es in dem entsprechenden
Vorwort, daß als Normalmaß das der Generalkarten der einzelnen europäischen
Staaten gilt, wobei 160 geographische Meilen die Länge von 1 Pariser Fuß geben,
.,was einem Verhältnis zur wahren Größe wie 1 zu nahe 3-/3 MilUonen entspricht".
Die Bruchform selbst ist juu- zwei neuen Karten der Ausgabe beigefügt worden, dem
Piano von Wien in 1 : TöOOO und der Karte vom Königreich beider SiziUen in 1 : 1 858 500.
Wohl aber tragen die meisten Karten der in den sechziger Jahren erschienenen Neu-
auflagen von Stielers ,,Schulallas" und ,, Kleinem Atlas der Deutschen Bundes-
staaten", verbessert imd vernulirl diiieli Herni. Berghaus und C. Vogel, die ni'ue
Maßstabbezeichnung in Bruchform; in lefzterm kehrt die Form öfters wieder: ,,Mal.i-
stab = 1 : 1850000 der wahren Größe."
Das Verjüngmigsverhältnis der Karten in Brucliform 1/^1/ wird langsam und
sicher Gemeingut der geographisch gebildeten Welt. Um seine Einführung haben
sich deutsche Autoren besondere Verdienste erworben, wie die ln'ri'dimlen Mitarlieiler
' Vgl. weiter üb. d. Maßstab clor Karte von Cruquius § 251.
= Auf dcmOben-eitschenLandatlasvou Siu-bson (1821- 1848) liest man: Miißstal) zu I2IMI0 |)i.>
iliicr Elli'ii oder 1 Sachs. Landvermcssungsiiicile reducirt auf 6 Dresdner Zoll oder r.,«-« iiatiuiieher
(iröße. (Von dem schönen Kartenwerke erschien eine l?nidnickau8galK> dur<-h den Vri-oin für süehsixelio
N'olkBkunde 1912, Uindnick von Paul Herrmann, Dresden.)
" rii. van der Maolen: Atlas Univeixel de G<^ograi)liic pli.vsii|iii'. iKilitiiiiir, stutislique et
inineraldgique sur r6clielle de ,„,,--; »u d'une lignc \MV l'.KXr toisne. Hrüssel 1827.
1 641 806
* In der Einleitung zu ('. W. Oesfeld: Der Karten-Vreund oder An/.eigc und Bouteibujg neu
.rHcliienener Undimd Seekarten und Grundrisse. Heft 1. Nr. I -12. Berlin 1841. Heft 2, Xr. 1 -12.
Berlin 1844.
312 r»iP I.a.Mlkarti und ilu- I.i.gqiUin.
bei J. T'crthes, ■/.. B. Ang. IVrt(."rmann (f ISTS), der iillciv lUiur. Bergbaus (f 1884),
(Ut jüngere Herni. Bergbaus (t 1890), l'hnil \ . Sydow (f ls78) iukI Carl Vogel (f 1897).
Xiebt /u vergessen sind Heinr. Kiepert und H. Wagner. Letzterer gebraucht vorzugs-
weisi' für den Yei-jüngungsmaßstab die Bezeichnung „natürlicher Maßstab", weil
er das „Bild" zur „Natur" ins Verhältnis setzt. Die englische Ausdrucksweise ,,niilural
Scale", die besonders durch E. G. Eavenstein gefördert worden ist, scbeinl l':i(c lui
der deutschen Bezeichnung gestanden zu haben.
Schüchtern sind die Anfänge für die Maßstabbezeichnung in Bruchfunii. Heute
verlangen wir ilni sowohl auf dem Kartenblatt wie im Kartenverzeichnis. In dieser
Weise tritt er /niii (rslcinual isTd in Stielers Handatlas auf. Die englischen Karten
führen noch niehl thircbweg dir neue plausible Maßstabbezeichnung, wohl aber die
französischen Karten. In der Beschreibung ersparen sich die Franzosen den Zähler
und schreiben von der Carte de France au 50000*, au 10000«, au 20000* usw. oder
von der l'echelle du 20000000^
1(11. Neue Hezeicliiiuiii; für Idito^irajiliisclie SliiBslälu' iiiul ilue Einlüluun^' auf
Karten klciiioni Maßstabs. E. Hinks hat die Bezeichnung der Maßstäbe topographischer
Karten zum (legenstand einer Diskussion in der Londoner Geographischen Gesell-
schaft im. Dezember 1916 gemacht.^ Das Wesentliclie dieser Ausfüllrungen gibt
E. Hammer in der Kartographischen Zeitschrift wieder.^ Dem englischen Publikum
ist es geläufig, anstatt des Maßstabes, bei dem es sich gewöhnlich nichts denken kann,
das Verjüngimgsmaß auf der Karte gleich durch die Kartenbezeichnung direkt zum
Ausdruck zu bringen. Man spricht anstatt von der Karte in 1 : 63360 von der „1 inch
map" (1 Zoh = 1 engl. Meile), statt 1 : 120720 von „2 miles to 1 inch map" oder
kurz „Half-inch to mile map", statt 1 : 253440 von „4 miles to 1 inch map" oder
kurz von „ Quarter-inch to mile map" usw. Diese Kartenbenemmng hat vieles für
sich, und es wäre zu überlegen, ob nicht in Deutschland bei offiziellen und verwandten
Karten eine ähnliche und noch kürzere Bezeichnung für die langatmigen Karten-
titel mit Maßstabangabe einzuführen wäre, also anstatt von dem Meßtischblatt in
1 : 25000 von der „4cm-Karte", statt einer Karte in 1 : 50000 von der „2 cm- Karte",
statt der Karte des Deutschen Eeichs in 1 : 100000 von der „1 cm-Karte", statt
der topographischen Übersichtskarte des Deutschen Eeichs in 1:200000 von der
„V2 cm-Karte", statt der Übersichtskarte von Mitteleuropa in 1 : 300000 von
der „V3 cm-Karte", statt von Vogels Karte des Deutschen Eeiches ui 1 : 500000
von der „Vj cm-Karte" und statt der Weltkarte in 1:1000000 von der „1 mm-
Karte" zu sprechen.
Auf Schulkarten die neue Bezeicbnungsart, bei der im stiüen stets die Be-
ziehung zum Kilometer hinzuzudenken ist, auszudehnen, würde ich bedenklich finden,
denn man müßte sodann mit Bruchteilen von Millimetern operieren, wodurch die
Veranschaulichung der Maßstabbezeichnung in keiner Weise gefördert wird. Viel-
leicht wäre noch zu bedenken, ob an Stelle von der Beziehung zum Zentimeter oder
MilHmeter, also zum Kartenmaß, die Beziehung zum Natur- oder Feldmaß,
dem Kilometer, vorzuziehen ist. Es würde eine äbidicbe Benemnuig wie bei den
1 K. Hinks i. Ucogr. J. London 1917. XLIX. Xi. ;i.
2 E. Hammer: Zur Maßstabsbezeichnung topographischer Karten. Kartograpli. Z., hg. von
H. Hassinger. Wien 1918, S. 7 9. Vgl. hk-r/.u A. Egerer: Kartenkunde. 1. Einführung i. d. Karten-
veretändnis. Au.s .Natur u. Geistcrwclt. Xi. 010. Leipzig u. Berlin 1920. S. lOff.
Der JLißstab.
313
nissu-lieii Killt. 11 stattli.ili.ii. ««. iiiaii von \.,. 1. "i. :i, Kl, 2.5, 4tJ iiinl CO WVrst-
Karteii s|)riclit.' Man luüßlt^ dann icilcn von diT l-kni-KarU- (1 : lUUUüU), weiter
von ilcr */2"^"i"l'^'*'^te und von der '/^ km-Karte (1 : 25000), wobei stillscLweigend
hinzuzudenken i^t, daß 1, bzw. Y2- */4 l'^ldkilometer gleich 1 Kartenzentimeter
ist. Die 2 km-Karte würde die in 1 : 200000 sein, die 3-km-Karte die in 1 : 300000.
die 5 km-Karte die in 1 : 500000, die 10 km-Karte die in 1 : 1 Million.
Bei der Maßstabbezi-ichnung 1 : M ist die runde Zahl 1 (= 1 km = 1000000 mm)
im Zähler, bei der englischen bzw. russischen Benennungsart im Nemier; dort braucht
der Nenner nicht immer rund oder dezimal gerechtfertigt zu sein, hier der Zähler.
ijber die vorstehenden Erörtermigen gibt die in Anm.- S. 313 u. 314 mitgeteilte Ta-
belle guten Aufschluß, auch wieweit eine neue Bezeichnung Aon Belang ist. Die vierte
Bubrik der Tabelle eröffnet einen interessanten l^lick m den Gebrauch der einzelnen
• 1 Werst = 500 Saschen = 1500 Arschin = 42000 russ. Zoll. "o Werst-Karte = 1 : 21 000,
1 Werst-K.' = 1 : 42000, 2 WerstK. = 1 : 84000, 3 W.-K.= 1 : 126000. 10 W.-K. = 1 : 420000, 25 Werst-
Karte = 1: 1050000, 40 W.-K. = 1: 1680000, 60 W.-K. = 1 : 252000O.
* Maßstäbe der topographischen und anderer offiziell veröffentlichter Karten und
da,<! dureh sie bestimmte Größenverhältnis zwischen Xatur und Karte.
Maßstäbe
1 km der Xatur
= . . . mm der
Karte
1 em der Karte
= ... m der
Natur
Lander, in denen die Maßstäbe offiziell
gebraucht werden.
(Die Abküraungen bedürfen, da leicht
verständlich, keiner besondem Erklärmig.)
1: 10000
1(10
100
Braunschw. Fr. Holland (Niederlande) = H.
10560
!)4,7
105.6
E.
12500
80
125
Ö. Gr.
20000
50
200
Fr. Be. Da. Po.
21000
47,62
210
K.
2500O
40
2.50
D. ü. Schz. I. Gr. H. Xü.
4000(1
400
Fr. Be. Da.
420OO
23,81
420
R.
50000
20
500
D. (Bay. Wü. Bad. Hess. Sa.) Fr. Schz. I. Sp.
Kum. .Seh. Xo. H.
57000
17,36
576
Top. Atl. V. t>achs. (Oberreit.)
60000
16,67
600
Be.
62.500
'Ü.
625
Vor. St.
63360
633,6
E.
75000
13.33
750
{■). Gr. Scr.
80000
12.5
800
Fr. Da.
84(K10
11. !•
S40
H.
lOOlKHl
10
llKHl
1). Kl. He. .Schz. 1. Uä. Seil. No. P...
1: l2.")IHKt
s
I2.-.0
Ver.St.
12«(HM1
7. '.14
1260
K. Balk.
12672(1
7, Sil
1267,2
K.
l.")(l(l(MI
6,67
1 5tHl
(Bei .S<vkarten nicht selten)
KiOIHMI
6,25
16(H1
Re. Da.
2llO(l(Kl
•■>
2(H10
1). Ö. F.. I. Gr. .Ser. Sp. H. Uuni. S.h. Xo.
1: lillMIIM)
1,76
2100
Tiukei (Halk.)
24(11)110
».17
2400
Dil.
: 2500(1(1
4
2.'>oo
»ay. He,s.s. S. ll/.. 1. S.r. Po. No.
ai4
Die l,iuiilk;u-
Liigcpl
Maßstäbe lui den \ cr.sc-liii'dt'inii. topographisch tätigen Völkern. Wir nchniiii walir,
daß England und Eußland mit ihren Maßstäben, weil sie sich nicht auf das Metcr-
system beziehen, allein dastehen, dort die Beziehung zum englischen Zoll (^/jj feet)
= 2,53998 cm, hier zum russischen Zoll (V28 ■'^'^schin, russ. Elle) = 2,54 cm. Bei
den andern Staaten, die nach dem Metersystem messen und rechnen, erfreuen sich
die Maßstäbe 1 : 50000, 1 : 100000 imd 1 : 200000 der größten Behebtheit. Die Maß-
stäbe mit dem Nenner 50000 imd dem Vielfachen davon, also '2-. 4-. 5-, tj-, 10- und
20 fachen, sind die am häufigsten gebrauchten.
Ist man sich in Deutschland über die Einführung der neuen Bezeichnungen
für topographische Karten einig, müssten sie neben den jetzt übUchen nebenher laufen,
und das Publikum kann nicht anders daran gewöhnt werden, als daß die neue Be-
zeichnung auf jede topographische Karte mit eingedruckt wird. So winken einer
wissenschafthch fortschreitenden Landesaufnahme auch hier neue Aufgaben. Zu
wünschen ist, daß damit endlich mit der alten, wenig sagenden Bezeichnung, „100000-
teilige", „75000 teihge" usw. Karte aufgeräumt wird.^
1(>2. Mchtberechtigte und berci-htigte Maßstabbezeichuuugcu. H. Wagner hat
sich üi der mehrfach erwähnten historisch kritischen Studie über nicht geeignete
Maßstabbezeichnungen geäußert. Schade ist es, daß er uns keine positiven Vorschläge
unterbreitet, nach denen sich zu richten wäre, obwohl er den Wunsch nach allgemeuier
Verständigung in Fragen des Kartenmaßstabes auch an anderer Stelle zum Ausdruck
I 1 km der Natur 1 cm der Karte
.Maß.'^täbe , = . . . mm der I = . . . m der
Karte Natur
1: 253440 11 3,95
I: :i( 10000 I :!,:53
1: -IWOIM)
2.5
1 : 420000
2,38
1 : 480 (M)0
2,08
1 : ."JOOOOO
-
1: COOÜOO
1.07
1: 633600
1,.'58
1: 750000
1,33
1: 800000
1 ,25
1: 864000
l,l(i
1: 900000
1,11
1 : 1000 000
1
1 : 1050000
0,95
1: 1200000
0,83
1 : 1 500000
0,07
1 : I 680000
0.59
1:2520000
0,39
Länder, in denen die Maßstäbe offiziell
gebraucht werden.
(Die Abkürzungen bedürfen, da leiolit
verständlicL, keiner besonderen Erklärung.)
2534,4
E.
3000
D. (). I. Gr.
3200
Kl. 1?.-.
400(t
VVii. i5a<l. .Nr..
4200
11.
4800
Dil.
5000
1). Vi: Srliz. 1. Srh. S|
ÜOOO
Vv. Kuiii.
6336
E.
7500
ö. Sp.
8000
1). Fr. 1. Ilum.
8640
Fr. (p. 1. Service du yci
9000
Ö.
10000
1. Seh. N... (Weltkarte)
10500
K.
12000
("•). 1.
15000
Sp.
16800
K.
25200 '
R.
* C. Vogel z. B. spricht bei der Besj)rechung der „Cfeueralutabskarte des Deutschen Ueiehs
;vIb von der „1000(X)tciÜgeu Spezialkarte". P.M. 1891, S. 153.
D.r kaBstab. 315
gebracht liaf.^ Vii'lleicbt helfen meine Vorschläge die Frage klären. Bleiben wir
gleich bei der zuletzt erörterten Maßstabbezeichnung, dem „natürlichen Maßstab"',
stehen. Bedauerlich wäre es, wenn diese Benennung in die geographische und karto-
graphische Literatur weiter eindringen würde. Damit steht die Geographie bzw.
Kartographie direkt im Gegensatz zur Technik, desgleichen zur Taktik. Pläne oder
Zeichnungen sind im natürlichen Maßstab ausgefülirt, wenn auf ihnen die Gegen-
stände in ihrer natürlichen Größe, also in 1:1, wiedergegeben sind.^ Es ist ein Ding
der Unmöglichkeit, daß Karten in natürlichem Maßstab ausgeführt werden können,
weil sie ,, ihrer Katur nach" stets im Yerjüngungsverhältnis dargestellt sind. Damm
ist die beregte Ausdrucksweise für den Kartenmaßstab nicht bloß unlogisch, sondern
sogar irrig. Und als A. Supan eine Eesolutiou über ,,das Eeduktionsverhältnis in
der üblichen Bruchform 1 : X" auf dem VII. Internationalen Geographenkongreß
(Berlin 1899) herbeizuführen suchte, hütete er sich, vom ..natürlichen Maßstab" zu
sprechen. H. Wagner macht selbst darauf aufmerksam, daß der „natürliche Maß-
stab" bei altern Projektioustheoretikrtn nicht ei-^ähnt ist, wie bei Tobias Mayr,
Ed. Schmidt, Lambrecht. Bode, Littrow, Germain, Gretschel, Fioiini, Möllinger,
Hertz, Struve, Breusing, Zöppritz, Wenz u. a. m., aber auch bei neuern fehlt er,
wie bei E. Hammer, Zöppritz-Bludau, Behrmami, Groll, Frischauf. Teilweise hängt
(lies mit den rein projektionstheoretischen Betrachtungen zusammen. — Statt „natür-
licher Maßstab" müßte es durchweg verjüngter Maßstab'* oder Verjüngungs-
maßstab oder kurz Verjüngung heißen oder, was gleichfalls nicht mißzuverstehen
wäre, Maßstabverhältnis oder kurzweg Maßstab, wie man schon meistens der
Bequemlichkeit halber sagt. Er ist tatsächUch nicht Mißverständnissen ausgesetzt.
Auf den Karten heißt es darum auch nur „Maßstab" (genauer müßte es ,,Längen-
niaßstab" heißen); auf den englischen Karten ,,scale", z. B. auf denen von J. G. Bar-
tholomew.
Klarheit herrscht nicht zwischen den Begriffen ..mittlerer" und, .Mittelpunkt -
iiiaßstab". Gegen letztern Ausdruck wendet sich \V. Behrmami, indem er darauf
liinweist^, daß nur liei der Azimutaljtrojektion Lamberts, den Abbildungen Hammers
Mild Sanson-Flamsteeds und dem fliichentreuen Zylinderentwurf mit läiigenireuem
Aciuator die Verzerrung im Kartenmittelpunkt gleich Null, während sie bt'i allen
iiiideni Trojektioneu von 0 verschii'den ist. Dieser Einwand ist, geometrisch gedacht,
lichtig und wird verständlich, wemi man die Bi'hrmannschen Projektionsskizzen
mit den Linien gleicher Winkelverzerrung überschaut, jedoch hat Behrmami den
-Nachweis nicht für alle hierhergehörigen Erdkartennetze gebracht, und dann ist der
Mittelpunktmaßstab, wie H. Wagner den Ausführungen Behrmanns entgegenhält.
' So im Jiiuiheft von 1'. M. 1914, wo H. Wagnt-r das Irrtümlkhe der MaUstablR^zcklmuuj;
iiiif dcu Erdkarton in inittabtitaudstreiu-r A/.iniiitalproiektion von R\idoIpli und ^!/.irtcs darlegt.
- E. Kothpletz: Die Terrainkiinde. .Vaiau 1885, S. 4.
' Dio Bezeiclinung , .verjüngter Maß.stab°' kommt übrigen.-* schon in Grimmelsliau8cu.s
„Simplieissimus" vor, wo es S. 423 (Ausg. .\. Langen, München 1909. V. Buch. XIT. Kapitel) bei
(Irr Ausmessung des Miunmelsees heißt: „Ich nahm oder maß die I.4inge luid Breite des Wassers ver-
iiiittclst der Gieometriac, weil gar zu beschwerlich war, um den tH'c zu gehen und denselben mit Schritt«-ii
und Schulu-n zu mes.sen, und brachte seine Bescbaffenheit vennittelst des verjüngten Maßstabs
in mein Scbivibtüfclcin."
* W. Bclirmanu: /tu Kritik der flaclicntreueu Prujeklioncii der ganzen Ertle \uid einer Halb-
kugel. Sit/, H. ,1 li Itavr Akud .1 Wi-s M:illi. (il'^^'k. Kl lüOll. i:i. Al.bdk'. Miimhen 1909,
Ö. 38, 39.
Die
Landkarte \va
id
ihr
Lageplan.
Icr
Lillr
iiMiiaßsl
;il
1 (l(
.■s iKt i'l
1 VM
Clll)
AvUvu.
1h
•i d
k'U Hall.l
316
zuletzt nichts aiidi'n> als der Liiicaiiiiaßslal) des der l'rojcktiiui /ii^Tiiiidc liegenden
Kugelradius. Es ist daiinu zu emiifelilen. bei den Haibkugelluideiii die Bezeichnung
„mittlerer Maßstal. •• in I\lit t eliainkl maust a li umzuwandeln. Jn der Zeitschrift
der Gesellschaft fiir iM-dkunde zu .llerlin (ISDÖ) iia( A. Dludau der seiner Abhandlung
zur Abbildung der Halbkugeln beigefügten Karte den „mittlem Maßstab 1 : lOOOOOOüü"
gegeben. In der Kritik hierüber bemerkt E. Hammer^, daß es besser wäre, anzugeben:
..Langenmaßstal) im Kartenmittelpunkt (Hauptpunkt) 1 : 100000000." Hammer
denkt gleichfalls au die geometrische Mitte; es müßte richtiger der Mittelpunkt-
maßstab bi'reclmet und wiedergegeben werden. Danach wären auch die „mittlem
Maßstäbe", wie sie auf Karten im vorhergehenden Paragraphen namhaft (Zöppritz,
Bludau, Wagner) gemacht wurden, in ,, Mittelpunktmaßstäbe" umzuwandeln.
Den Ausdruck Kugelmaßstab bei den Planigloben emzuführen, dürfte sich
kaum lohnen, wenngleich auf den Kugelradius Bezug genommen wird. Zweierlei
Maßstäbe auf ein und dieselbe Karte zu terzeiclmen, hält H. Wagner für unzweck-
mäßig. Dem kann man beipfhchten, nicht aber bei komplizierten Kartennetzen,
wie z. B. bei der schiefachsigen abstandstreuen Zylinderprojektion mit zwei längen-
treuen Kleinkreisen, wie sie 0. Winkel für das Deutsche Eeich und dessen Kolonien
entworfen hat, und der er einen Maßstab für Messungen in der Eichtung der Hauptkreise
und einen solchen für Messungen in der Eichtung der Kleinkreise gibt.*
Wenn der Ausdruck mittlerer Maßstab nicht in arithmetischem Sinne, wie
bei den ermittelten Maßstäben älterer Karten oder allenfalls bei den vorher erwähnten
Karten in Debes Handatlas verstanden werden kann, sollte er unbedingt von den
Karten verschwinden. Bezieht er sich auf ein Linienelement im geometrischen Sinne,
muß die entsprechende Linie mit genannt werden, also Äquatorialmaßstab, mitt-
lerer Meridianmaßstab, mittlerer Breitenmaßstab oder Maßstab in der
mittlem Breite. Dafür würde schon genügen Ä(|uatormaßstab, Mittel-
meridianmaßstab und Mittelbreitenmaßstab.
Speichen- oder Eadialmaßstab sind treffende Bezeichnungen. Es muß
also immer eine ,, typische Linie" längentreu abgebildet und benannt werden.
Den für besondere Messungen auf topographischen Karten hinsichtlich Papier-
schwund usw. errechneten Maßstab nenne ich nicht mittlem Maßstab, sondern ge-
raittelten Maßstab.
163. Der Ftächeumalistab. Ein weiterer strittiger Punkt ist die Darstellung
und Einführung eines Flächenmaßstabes. Wenn 1/M den Längenmaßstab von
Karten bedeutet, sodami 1/M* den Flächerimaßstab. M ist der Linearmodul, M* der
Elächenmodul (Fiorini: Modiüo superficiale). Dem Maßstab 1:25000 der Länge
entspricht ein Verhältnis der Flächen von 1 : 25000 = 1 : 625000000. 625 Millionen
Meßtischblätter würden also die von einem Meßtischblatt dargestellte Fläche decken.
Bei den Hand- und Schulatlaskarten würden die Flächenmodul Biüionen anzeigen,
wodurch absolut keine Vorstellung gewonnen wird. Eine andere Form für die Flächen
hat W. Belu-mann» vorgeschlagen, die F. E. Mouths für geeignet*, H. Wagner für
nicht geeignet hält^, nämlich:
1 E. Hammer i. V. M. 1896. LB. S. (i.
= O. Winkel i. P. M. 1913. IL T. 4.5.
■' W. Behrmann, a. a. O., 8. 39.
' F. E. Mouths, a.a.O., H. 20, 21.
' H. Wagner, a. a. O., S. 47 50.
1 _ 1 Bildriäche in der Projektion
•"V ~ 1 HildfliUnTe auf deTErdobertlä^e
Damit ist lediglich linc iimstiiiKlIiclif l'onii des. finfaclioii Verjüng\ingsvcrliältnissf-s
gegeben. H. Wagner untersuclit daraufhin Belirmanns flächentreue Projektion auf
dem Durchsclinittszylinder in 30*» Breite, die den „Flächenmaßstab 1 : lOOüOüOüU"
trägt. ^ Die Karte bedeckt, wie er ausführt, eine Fläche von 51 035 (jkni (34^ mm
lang, 147,0 mm breit), mithin:
VBildfläche 1/346 -147,5 mm VblOSb 1
y Erdoberfläche j/siOOOOOOO qkm l/ölOOOOOOO-lO" 100000000
Dann ist es sicherlich einfacher, auf dem längentreu abgebildeten 30. Parallel den
ifaßstab mit einer Messimg und einer Division zu berechnen, also:
Bild 346 mm
Natur 34630 km
Damit wird der Wunsch Behrmanns hinfällig, daß man sieh daran j,'p\v()linen soll,
den Maßstab lu-i fiächentreuen Projektionen als Flächenmaßstab besonders kenntlich
zu machen. Ihn auf Karten einzuführen, halte ich aus obigen Gründen für über-
flüssig und zwecklos; und dennoch muß die Karte Elemente aufweisen, die es er-
möglichen, bequem mit der Fläche zu operieren. Um die Fläche zu versinnbildlichen,
bringen Schulkarten und ähnlichen Zwecken dienende Karten z. B. neben der Karte
der Kolonien das Mutterland oder einen bekannten Teil desselben in gleicher Größe,
oder es werden zum Vergleich auf einer Karte die Länder in Quadraten oder Vier-
ecken dargestellt, wie es der praktische A. F. W. Crome 1785 bereits getan hat^,
oder es werden auf der Karte kleine (kolorierte) Quadrate, die 10, 100, 500 qkm usw.
große Flächen darstellen, angebracht. H. Wagner ist hierin vorbildlich geworden*,
wie auch in der Einführung der Bezeichnung der absoluten Größe der Gradmaschen
auf den Karten. Seine Worte unterschreibe ich voll und ganz: Jede einzelne Karte
muß die Mittel zur Alischätzung der Flächen in sieh und an sich
t ragen. ^
Die Unklarheiten, die über dem Maßstab zur J>estimmung der Längen und Flächen
auf der Karte herrschen, haben H. ILiack veranlaßt, in seiner kleinen Skizze ülier den
Kartenmaßstab ganz besonders die Kartenflächen, für die die Maßeleraente der Karte
bestimmend sind, dem betrachtenden Auge und dem Verstände nahe zu bringen.
Es ist erstaunlich, welchem Unwissen und Unverständnis selbst in gebildeten Kreisen
man liezüglicli des Großenverhältnissis der Karte (Maßstali und Fläche) begegnet,
' \V. Urluinaiin: Klä. liciitiviK- Piojcktioii auf .1. Hiiivlis.lmittszylind.M im ItO. Om.l (V.nl
kartr). \\ M. llllO. II. T. 27.
^ Die KarU- von Cromo, dii^ die euioimistlien Länder luiifalit. oi-soliien 178.'> in DesRau und er-
lcl>tc melirerc .\iifla>:en; die Karte ist in Wien naehgestoelien und 170"> dem „(Jrolien deutsehen .Vtlas '
(lis Keilly.selien rjvndkarten- und Kiuiwtwerkeversehieißkomptoir einverleibt wortlen.
•' Sokhe (Jiiadrate hat H. Wagner auf «einer 1S74 bei .1. PcrtheB (Gotha) zum erstenmal er-
sclieinrnden „Wandkarte de« Deutsehen Reiches \in<) seiner Xaehhar(jebiete" anpebraehl.
' II. Wajjun: Die iMi.fiiliruuu d.r h'lach.n/.alil. ii auf ilfu Kailrn. 1'. M. llHVi. S. 1.M4.
:n8 l>li' l.aiMlkail,' in.il ilii- l.ii-cplnii.
obwohl die Yorbältnisse so einfach und klar auf der Hand liegen. ^ Nichts ist ein-
facher zu handhaben als der Satz: Die Kartenfläche ist proportional dem Quadrat
der Längenvergrößerang 1 i/.w. Tiiingonvfiklciiicrung.^ (!j ici kimu liicv Wegweiser sein.)
104. Wünsche und Zio](> (li>r Matl$hihan!;al)t'. Die Itruchloim interuatiunal.
Der vorhergehende Paragraph hat bereits mit der Erörterung der einheitlichen und
konsequenten Durchführung der Maßstabbezeichnung die Eeihe der Wünsche und
Ziele eröffnet. Wir betrachten heute die Form 1 : M als den besten Ausdruck fin-
den Kartenmaßstab, nehmen sie als selbstverständlich hm und gedenken kaum noch
dci- Schwierigkeit, die sich ihrer allgemeinen Anerkennung entgegensetzte. Auf dem
VII. Internationalen Geographenkongreß zu Berlin 1899 hat es einer längern Aus-
einandersetzung bedurft, bevor man sich über Inhalt und l'Y)nn der von A. Supan
eingebrachten Eesolution einig wurde; zwölf Eednor liaiicn dol)iitlii'r(. Iiis endlich
folgender Antrag spruchreif geworden war:
„Der VII. Internationale Geographenkongreß spricht den dringenden Wunsch
aus, daß neben dem geographischen Maßstab auf sämtlichen Karten, auch in den
Ländern, die sich des englischen oder russischen Maßes bedienen, das Keduktions-
verhältnis in der üblichen Bruchform 1 : x angegeben und in den Verzeichnissen der
Land- und Seekarten beigefügt werde, und beauftragt die Geschäftsführung des
Internationalen Geographenkongresses, die Eegierungen von diesem Wunsche in
Kenntnis zu setzen."
All diese Kongresse und wissenschaftlichen Veremigungen führen wohl Be-
schlüsse herbei, haben aber bedauerUcherweise kein Ausübungs- und Einführungs-
recht. Immerhin hat der Antrag Supan etwas gefruchtet. Seit jener Tagung ist
es wesentlich besser mit der Maßstabbezeichnung in 1 : M geworden. Auch die Bussen
und Engländer haben gelernt, obwohl in Großbritannien, wie H. E. Mill auf dem
1 In der Natur sind
bei einem Maßstab:
1km =
1 qkm =
1 : 2.5000 (Meßtischblatt)
4 cm
](. iicm
1 : 100000 (Deutsehe Reichskarte)
1
1
1 : 200000 (Topograph. Übersichtskarte)
0,5 „
0,25 „
1 : 300000 (Übersichtskarte v. Mitteleuro))a)
0,333 .. (Va)
0,1 1 1 ,.
1: 500000 (Voj;els Karte v. Deutschland)
0,2 ,,
0,04
1 : 1 000000 (Weltkarte)
0,1 ., (1 mm)
0,01 .. (1 qmm)
auf der Ks
irte, und
auf dem Meßtischblatt ist 1
qmm = 6V4 a u,
. 1 qem = 6V4 ha= Vio^km
„ der Deutschen Reichskarte ist 1
.. = 1 ha
. 1 ,, = Iqkm
„ topograph. Übersichtskarte ist 1
.. = 4 ..
. 1 „ = 4 „
., Übersichtskarte v. Mitteleuropa ist 1
,. = 9 ..
. 1 .. = 9 „
„ .. V'ogelschen Karte v. Deutsehland ist 1
„ = 25 ..
. 1 ,. - 25 „
.. Weltkarte ist 1
.. = 100„(l<|km),.
1 „ - 100 „
in der Na'
"- Längen-(Strecken-) Flächen-
I.ängcn-( Strecken)
Fiaelicn.
Vergrößerung \'(TgrüßeruMg
Verkleinenuig
Verklcinenuig
M:iBstali.
319
Kongroß sagte, nicht so sclindlo Fortscliritto auf diesem Gebiet e gemacht werden,
weil der Engländer langsam und schrittweise vorgeht. Mustergültig ist Edward
Stanfords Catalogue of maps, atlases and books (London 1906), worin jede Karte
nach iiußerm Format, englischem und Yerjüngungsmaßstab gekennzeichnet wird.
Dadurcii wird der Supanschen Forderung vollkommen Genüge getan. Das beste
freilich wäre es, wenn das Maß seilest vereinheitlicht, d. h. das metrische System
allgemein angenommen würde. Auf praktischem wie wissenschaftlichem Gebiete
macht sich dies Bedürfnis immer mehr ycltcnd: aber wie lange wird hier England
noch nachhinken?
An die Einsicht der Piedakteure der geographischen Gesellschaffsschriften
ajipelliert H. Wagner, in ihren Jahresindizes nicht die genaue Maßstabangabo der
Karten 7,n vergessen, wie es leider noch der Fall ist.'
1 (•;"», Sicherheiten und Kommensurabilität des iMaUstabos. Da die englische
Meile in kemem kommensurablen Yerhältnis zum Yerjüngungsmaßstab steht, haben
die Engländer den Modul gelegentüch abgerundet. In der Hauptsache runden sie
nur die Einer und Zehner ab. Daneben lesen wir z. B. noch auf Karten für Süd-
afrika 1:5977382 (O-iVs miles to an inch). für Palästina 1:684288 (IOV5 miles to
an inch), für Greater London 1 : 107712 (P/4 niiles to an inch) iisw.^
In der Abrundung der Maßstäbe wie auch der Flächen^ darf man über ein ge-
wisses Maß nicht hinausgehen. Die graphische Darstellimgsmöglichkeit, die wir in
0,2 mm = 0,002 m kennen, gibt für die einzelnen Maßstäbe die Sicherheiten, wie
ich sie nennen will, bis zu welchem Grade Werte, d. h. in vorliegendem Falle Ent-
fernungen bei den einzelnen Maßstäben vernachlässigt werden können. I)ie unten-
stehende Tabelle* erklärt sich daraufhin von selber.
rnal'
„Tlio
' So in „Annales de Geographie", „La Geographie", „Tlio Geographica!
Seottish Geographica! Magazine", von andern Zeitschiiften ganz zu schweigen.
- Weitere Beispiele in Edward Stanfords Catalogue, s. oben.
' E. Hammer: Die Genauigkeit der Fliichenangaben in der Geographie. G. Z. 1900. S. l:Wff.
Maßstab
1 km
in mm
Die Sicherheiten,
0,2 mm =
1: 5000
11 200
0,2
Im
1: 10000
100
0,1
2 ,.
1 : 20000
r.o
0.0.5
4 ..
1 : 2.'>000
40
0.(M
1 : .•lOmKI
20
0.02
10 ..
1 : S()00(»
12..-.
0.012.'.
l(i ..
1: 10000(1
10
O.Ol
20 ..
1: 200000
5
0.00.-)
40 ..
1 : :!0t1000
3,3
0,00:1:!
CO ..
1 : .-)00000
2
0.002
100 ..
1 : 7.')00(I0
1,33
o.ooi:t
l.-.lt ..
1 : SOOOOO
1.2fi
0.0012.-.
IfiO ..
1 : 1 000000
1
0.001
200 ..
1 : 1 -.00000
o.fir,
O.I^MMlt.
:ioo ..
1 : 200001X1
0..5
1 (.0(1(1.-.
400 ..
320
Di.' l.:iii.lk;i
Li^S'^plü
Die bequeme Vergleichbarkeit (Kommensurabilität) der Kartenmaßstäbo
ist zum Axiom für die Bearbeiter von Atlanten geworden, ganz gleich, ob es sich um
Hand- oder Schulatlanten handelt. Selbst andere Kartenwerke, die eine Karte und
mehrere Teile daraus vergrößert wiedergeben, streben nach einem annehmbaren
Vergleich der gewählten Maßstäbe. Wenn H. Wagner die Vergleichbarkeit der Maß-
stäbe von Atlaskarten bei der Herausgabe seines Methodischen Schulatlas 1888 als
selbstverständlich, wie vor ihm Delisle, hingestellt hat, mußte doch dies später wieder-
holt ausgesprochen mid schriftlich niedergelegt werden, was um die Wende vom
alten zum neuen -Tahrhundert geschah. Hier hat sich neben andern A. Bludau durcli
die Grundsätze liei der Neubearbeitung von Sohr-Berghaus Atlas 1001 verdienstlich
gemacht .
Nicht genug, daß die Atlaskarten gleiches Format haben, müssen gewisse Folgen
von Karten, wie die Karten der europäischen Staaten oder der Erdteile, in gleichem
^laßstab entworfen sein. Ist dies nicht möglich, müssen die verschiedenen Maß-
stäbe unter sich kommensurabel sein, d. h. in einfachem Verhältnis zueinander stehen,
wie 1 : 1 Mill.. 1 : 2 Mill., 1 : 4 Mill., oder 1 : 10 Milk, 1 : 20 Milk. 1 : 30 Milk, 1 : 40 Milk
oder 1 : 9 Milk, 1 : 18 Milk, 1 : 36 Milk usf.
A\'orauf moderne Atlanten so stolz sind und es preisend hervorheben, nämlich
die leichte Vergleichbarkeit der Maßstäbe als etwas Neues eingeführt zu haben, möchte
ich erwidern, daß darin G. Delisle ihnen längst mit seinen Karten und Atlanten, die
in den Jahren 1700—1730 entstanden, vorangegangen ist.^ Er faßte diese Vergleich-
barkeit oder die ,, geraden" Verhältnisse als etwas SelbstverständHches auf, von dem
weder er noch seine Zeitgenossen viel Aufhebens machten. Bei der französischen
Annahme, daß ein Breitengrad = 57000 Toisen ist^, setzte er bei Asien und Afrika
10» = 23 Linien oder 1 Linie = 25000 Toisen fest, bei Europa 5» = 23 Linien oder
1 Linie = 12500 Toisen, bei Amerique sept. et mer. 10" = 27 Linien oder 1 Linie
= 20000 Toisen. Das „gerade" Verhältnis spricht sich noch deutlicher bei den
Karten größern Maßstabes aus. Auf den Karten Mexique, Granada, Terre ferme,
Paraguay, Barbarie, Egypte und Kongo wurden 5 Breitengrade zu 27 Linien oder
.MaBstiü.
1 km
iu luin
1 m
D:e Sicherheiten.
0,2 mm =
1: .3000000
0,33
0,00033
600 „
1 : 4000000
0,25
0,00025
800 „
1 : .-)()( »0 00(1
0.2
0,0002
000 „
1: 10000000
0,1
0,0001
2000 .,
1: 200UOOOO
0,05
0,00005
4000 „
1: 30000000
0,033
0,000033
6000 „
1: 40000000
0,025
0,000025
8000 „
1: 50000000
0,02
0.00002
10000 „
1 : 100000000
0,01
O.ODOIII
20000 ,.
1 : 200000000
0,005
0.000005
4000(( ..
' Vgl. die Untersuchungen von Christian Sancllcr: Die KcfonnatiDn d
I7(H(. München u. Berlin 1905, S. 22.
2 Eine „toise" (lat. tensa = Klafter) .seit der franzö.sisohen Giadmessung i
,toise de Pirou" genannt, meist Pariser Maß = 6 pieds = 1,949 m. Die Toise
n Deutschland, Üsterreich und dei- .Schweiz benutzt.
ni (17.35
(■ awcli
\T.W)
Orl.inl.rcii <lri- Kaiti- 321
1 Linie = 10000 Toiseii bestimmt. Für die europäisclien Länder, wie Italie, Alle-
magne, Espagne, Isles Britanniciues, France, Pologne, Hongrie, Couroimes du Nord,
Moscovie usw. machte er einen Breitengrad = 19 Linien oder 1 Linie = 3000 Toisen.
Nicht außer acht zu lassen ist, daß die gut vergleichbaren Maßstäbe schon in
den systematischen Arbeiten eines Mercators wiederklingen, indem er seine Atlas-
karten „in ein gleiches Format und in em beständiges, sowohl nach denen Grenzen
inul Distanzen, also auch denen Längen- und Breitengraden zusammenhängendes
System gebracht, also der erste gewesen ist. der die (;eogra]ihie in (He gegenwärtige
mathematische Form gesetzt hat".^
Neuerdings will man von den leicht vergleichbaren Maßstäben die Güte des
Atlas abhängig machen. Für Scluilatlanten mag dies gelten, nicht im gleichen Maße
für die Handatlanten; deim nur selten kann man zwei Atlaskarten nebeneinander
benutzen, schon deshalb nicht, weil sie meist in einem Bande gebunden sind. Zuletzt
soll man sich hüten, wenn manche Karten nicht ganz in den nach Schema „F" ge-
forderten Maßstäben erscheinen, die Anforderungen auf die Spitze zu treiben; z. B.
l)ei den Maßstäben 1 : 950000 und 1 : 2100000 kann man sich, wenn es sich um ganz
allgemeine Vergleiche handelt, noch eine ganz leidhche Vorstellung von den Größen
zweier Karten machen (die eine in nahezu 1 : 1 000000, die andere in rund 1 : 2000000).
Ich würde deshalb E. Debes nie einen Vorwurf machen, daß in semem Handatlas
Europa in 1 : 12000000 und das Deutsehe Reich in 1 : 2750000 dargestellt ist, oder
H. Haack, in dessen Schulatlas das norddeutsche Tiefland den :Maßstali 1 : 500000
und die Alpenländer 1 : 925000 aufweisen.
Eng mit obigen Fragen nach gut vergleichbaren Maßstäben iiängt die Frage
zusammen: Welcher Maßstab ist für einen bestimmten Zweck der beste? Für choro-
graphische Karten ist man noch nicht zu einer allseitig befriedigenden Lösung gekommen,
obwohl eine Anzahl berechtigter Normen aufgestellt werden könnte. Denn es ist nicht
gleichgültig, ob ich für Deutscliland je nach der Unter-, Mittel- und Oberstufe eines
Schulatlas oder nach dem Bedüi'fnis eines Handatlas zur Einführung in die pln-si-
kalische Beschaffenheit einen Maßstab von 1 : 2 Mill.. 1 : 3. 1 : 4 otler 1 : t> Mill. wähle,
wenngleich bisher die praktische kartographische Erfahrung brauchbare Kichthnien
in die Hand gegeben hat. Der Kartograph in Verbindung mit dem Schul- und Hoch-
schullehrer dürfte die beste Antwort hierauf geben. Li geodätischen Kreisen ist
die Frage nach dem geeignetsten Maßstab der topographischen Karte bereits ven-
tiliert worden*, \uid teilweise decken sich hiermit die Ausführungen, die ich im ersten
'l'i'il der ..Kartrniiufnahnie'" gegeben habe.
II. Orientieren der Karte.
lli«. Wesen der Orientifruiif;. Bedauerlicii ist. daß der fremden Bezeichnung
„Orientierung" die alt.' deutsche Form „Ortung" oiler „Ortung" bat weichen müs.sen.
Die Orientierung des Kartenidattes i)ildet i)ei der Anlage d(>r Karl(> eine der Grund-
tnaßnahmen, die sich an die Festlegung des Maßstabes anreibt. Schon bei der Karlen-
anfnabme ist sie ein entscheidender Kakti.r. Die Ab'ßtischplall.'. di.- ich daheim so
' K. l). Haub.-i. ,». A. ()„ S. .•!!.
= H. MüUor: CixT (li'ii /.\vi-.kiniiUii;-il.ii Malisial. i..|k...>,ii.liis,li.M Kiul.ii. Diss. Knilsiiiln-.
II.mI.IImth 1913. S. 32 :U.
llckiTl, Knrli-iiwlwll'.iliafl. 1. - '
32-2 Kif l.an.lkuri,. im.l Ihr Lau.'),!:»!.
vorbcivitet hübe, daß die füi' sie hcslimmten trigonouiftriseben Punktt' in das Ko-
ordinatennetz eingetragen worden, dessen ?/-Acbsen der Nordsüdrichtung eines be-
stimmten Meridians gleichlaufen, orientiere ich im Felde durch Drehen der Platte,
bis eine bestimmte Verbindungslinie von zwei trigonometrischen Punkten mit der
in der Natur beobachteten Richtung parallel läuft. Daraus folgt die Parallclitiil
aller ülirigen Richtungen. Das sog. Koordinateimetz muß sauber luid äußerst peinlich
;nif der Meßtischplatte angelegt sein. Die gleiche Rolle spielt bei den cliorogi-apbisclum
Karli'ii (las Ijniennetz der Projektion und hierbei wiedi>rum (für die Ablirzahl der
K.irtciil) (He sichere Lage der Nordsüdlinie (des Mitlelmeridians). Meistens vei--
luiidct die Nordsüdhnie die Mitte des obern iiiil der {]f>^ uiitein Karlenrandes, l'^s
ist für die Karte durchaus nicht notwendig, dal.'i X iniiiicr oben und entsprechend S
unten am Kartenrand liegen muß. Orientieren heißt ganz allgemein, der Karte eine
bestimmte Richtung geben. Die Gegend, wo die Sonne aufgeht (oriri), war dem Alten
die Hnupthimmclsrichtung. Vom Osten kommt das Licht und mit der Sonne die
iMiergicquellc aller Lebewesen, die Wärme, im Osten liegt das Paradies, die Wiege
lies Menschengeschlechts, im Osten liegt das Heilige Land mit Jerusalem, dem Mittel-
])unkt fi-ühmittelalterUcher Erdkunde. ^ Naturphilosophische und religiöse An-
schauungen wiesen nach dem Osten. So mag der Begriff „orientieren" = „sich
nach dem Osten oder Orient wenden" entstanden sein. Wenn dies als ziemlich sicher
anzunehmen ist, ist es noch nicht historisch quellenmäßig festgelegt. Der Begriff
„Orientieren" nahm ))a]d einen weitern Umfang im Sinne des ,,Sichzurechtfindens"
an. in dieser Bedeutung wird ry heute allgemein geln-aucbt.
1(»7. Arten der Orieutieruuis;. Wemi der Osten \on den Alten als Hauptrichtung
erkannt wurde, mußte dies auf den Karten sichtbar sein. Es war ebenso natürlich
wie praktisch, den Osten nach oben ins Kartenbild zu legen. Nach 0 zu erstreckte
sich die den .\lten bekannte Welt am weitesten. All diese Momente trugen dazu bei,
die Karten ostwärts zu orientieren. Mit wenigen Ausnahmen sind alle Mönchs- oder
Radkarten des Mittelalters nach 0 orientiert. Unter ihnen, die vom 10. bis zum
15. Jahrhundert das Abendland beherrschen, seien nur genannt: Orbis exhibitus
apud Anglosaxonos saecuH X (Brit. Mus.), die Radkarten von Marino Sanudo (Petrus
Vesconte) 1320 (Paris) und Andreas Bianco 1436 (Venedig), die Weltkarte von Pom-
ponius Mela 1417 und die farbmiprächtigo Ebsdnrfer Weltkarte aus dem Ende des
13. Jahrhunderts. -
Von den AVeltkurt(.'n, die aiacli S orientiert sind, liesitzen wir neben einigen
bemerkenswerten Leistungen eine ganze Anzahl unansehnlicher Gebilde aus dem
12. und 13. Jahrhundert und ältere und jüngere arabische Kartenskizzen. Das Ver-
worrenste an Orientierung finden wir auf der oval geformten Beatuskarte aus dem
13. Jahrhundert in der Nationalbibliothek zu Paris.^ Die südliche Orientierung,
der Karte war den Arabern entlehnt. Aber mit einer AA'illkür werden Länder, Meere
und Himmelsgegenden behandelt, daß Miller zu dem Ausspiuch berechtigt ist: „Diese
' Vgl. K. Krctschmer: Die Entdeckung Amerikas. Berlin 1892; Atlas mit Text, S. 102ff.
- In Xordenskiölds Periplu.s sind noch eine Reihe Karten mit östlicher Orientierung wieder-
gegeben. Die östliche Orientierung war für die spätem Seekarten des Mittelmeers eine hiiafigc Er-
scheinung. Vgl. M. Boschini: L'Arcipelago, Venecia 1658. Hici ist der gricch. ArdiiiK-l n:u\i O
orientiert, Candia nach X usw. [H. u. St. Bi. München].
•' Konr. -Miller: Die altem Weltkarten. 11. T. 2.
Oiipiiti.'rin .Icr Kurt.-. 323
Karte ist das entsetzlichste Zerrbild einer Weltkarte, das man sich denken kann."
Der Zeichner würfelt alles durcheinander, die Sonne läßt er links aufgehen, das Para-
dies hingegen befindet sich oV)en in der Karte, Palästina wird in das Innere von Afrika,
Unteritalien nach Asien versetzt. Von den wichtigern Karten mit südHcher Orien-
tierung melden sich Edrisis Talnda rotnnda vom Jahre 1154 (Paris) und das Welt-
bild von Fra Mauro, das 1457— 14ö9 entstand (Venedig). S. Günther will in letzterer
Karte einen entschiedenen Einfluß des Ptolemäus erkennen, ohne das näher zu l)e-
gründen.^ Ich kann keinen entdecken. Sicher hätte Tra Maiiro dann auch nördlich
orientiert. Wohl hat er die ihm zugänglichen Eeisebeschreibungen kritisch bearbeitet
>md mit Zuhilfenahme der damaligen Seekarten (Port ulankarten) die Umrisse der
Länder mit teilweise überraschender Genauigkeit festgelegt. Seine Karte ist etwa
20 Jahre älter als die ersten gedruckten florentinischen Ptolemäusausgaben (1475
bis 1478), was jedoch nicht ausschließt, daß der Ptolemäus in Humanistenkreisen
früher bekannt war.
Die südliche Orientierung ist durch arabische Karten inauguriert worden.-
S. Günther glaubt, sie auf die arabisch-hebräische Schreibweise, die der unsem dia-
metral entgegengesetzt ist, zurückführen zu müssen, da ja auch jene Völker „ein
Kartenbild ganz anders betrachteten wie wir dies tun".' Ob südlich oder nördHch
orientiert, für die Betrachtung der damaligen Kartenbilder wie für die SchreiV)weise
war das ganz gleich. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, daß die römische Lokalsitte
der südlichen Kartenorientierung Vorschub geleistet hat. Der kapitolinische Stadt-
plan in Rom war südhch orientiert, vom Süden aus wurden die Provinzen gezählt
und eingeschätzt. Pomponius Mela spricht von der Ostküste ItaUens als von der
linken imd der Westküste als von der rechten Seite Italiens. Für die südüche Orien-
tierung der Karten lassen sich aus dem Mittelalter nicht annähernd so \-iel Belege
wie für die östhche Orientierung finden. Die südliche Orientierung gehört auch
späterhin zu den Ausnahmefällen, wennschon sie dem Kartenzeichner des Abend-
landes zusagender als ein Orientieren nach einer andern Himmelsrichtung war. Nach
S zu lag Rom, lagen die sonnigen Gefilde des Südens, die Sehnsucht des Nordländers.
Das Heihge Land mid die Gegend, wo einst das Paradies war, links oben auf der
Karte zu haben, befremdete den Kartenbenutzer nicht imd dem Kartenzeichner lag
dies bei südlicher Orientiennig recht bequem. Doch herrschte im großen ganzen
die östliche Orientienmg vor imd sie war den mittelalterlichen Kartenmalem in Fleisch
und Blut übergegangen.
Aus analogen Gründen wie die Weltkarten sind die Palästina karten und Stadt-
pläne von Jerusalem ostwärts orientiert. Eng. Oberhummer führt die Orientiennig
dieser Karten imd Pläne auf den Standpunkt des Beschauers zurück, der vom Meere
aus nach Jerusalem reist und zunächst die Küste, dami das Hochland und zuletzt
das Jordantal vor sich sieht.* So plausibel die Annahme im ersten Augenblick er-
.scheint, glaube ich dennoch nicht, daß dieser jiraktische Standpunkt hier uiaBgebend
' S. Günther: Geschichte der Erdkunde. Leiiraip u. Wien 1904, S. 101.
- S. (;ünther: Die I>>hre von der Knlkrtlmmunp u. Erdl>e»o(tiinn im Mittelalter l>ci den
.VrrvlK>rn ii. Hebräern. Halle 1877. S. 101.
" S. Günther: Die KosmoKrajihie des Heinrieh .Schreilxr von Krfiirt. Kettl. /.. f. »i»s. Gt<..-
craphic. II. 1881. S. 60. .\nm. 1.
« E.Oberhumnier: Der StAdtplan. sein.- Entwiekhiiii: ". Hr.l.iUnnu. Verl.. des NVl. Menl», l.en
(;c-<>i.'raphenlfts.'es zii Niimberu 1!«>7. Ilerlin 1!MI7. S. 7S.
324 iJiP l.:nHlk:irlr Mii.l ilir l.a-r,,l:,M.
gewesen ist. /udrm isl is noi-h sehr fraglich, ob Palästiiiii und Jerusali-ni von der
Seeseite aus uiflu' als \on der Laiidseite aus besucht wurde. Um nach Palästina
/u kommen, wurdr in nüttelalterlicher Zeit wohl mehr der Land- als der Seeweg ein-
geschlagen. Aiitli daran mag gedacht werden, daß das östliche Orientieren des Haupt-
altars tur dir Kirchen schon hi diu crslfu .lahrhundcrtcu nacli t'jirisli (Iclairt Eogcl
des r(iiniscli('ii T\irchenl)aues wunlf.
KiS. nie vorschicdeiio Oriciitit'rimi; nach [»rakOscIioii ISctlürlnisNCii. l^Vrncr
lialicu \\'\y Kartcnorienlierungcu iiacli den vier Ha.uj)(riclitungen der Windrose, die
direkt praktischen Bedürfnissen dienen. Die Längs- bzw. kurze Achse der Flächen-
ausdehnung eines Land- oder Küstengebietes war für che Orientierung bestimmend.
Um hier etwas aus dem Kapitel der Seekarte vorweg zu nehmen, sei daran erinnert,
daß die Karten in dem berühmten französischen Seeatlas „Le Neptune francois",
Paris 1693, nach N, 8, 0 und W orientiert sind. Die Haupthimmelsrichtung, nach
der sich der Seefahrer wandte, um zu dem gewünschten Lande, das er gleichsam
vor sich erblickte, zu kommen, bestimmte die Orientierung des Kartenblattes. ^ Die
verschiedenen Orientierungen der Seekarten haben sich weit ins 18. Jahrhundert
hinein erhalten.^ Die Bussolenzeichnung sorgte schon für den richtigen Gebrauch
der Karte. Orientierungen nach NNW kommen auch vor. Zu ihrer Konstruktion
liat man Schifferkarten benutzt, die nach der Bussole orientiert waren. 1()13 macht
Cham piain an der Hand von Kartenbeispielen auf die falsche Orientierung solcher
Karten aufmerksam.' Die „Carta marina" des Olaus Magnus vom Jahre 1539 leidet
gleichfalls durch die magnetische Mißweisung und orientiert nach NNW.*
Nicht allein die Deklination ian sich, sondern das Mißverständnis und der Miß-
Wrauch des magnetischen Wertes hat zu verschiedenen falschen Orientierungen von
Karten geführt. Hier öffnet sich ein Kapitel, das noch einer eingehendem Unter-
suchung wert ist. Juli. Werner berücksichtigt in seiner Abhandlung über „die
Entwicklung der Kartographie Südbadens im 16. und 17. Jahrhundert" ^ die Orien-
tierung der einzelnen Karten, untersucht aber nicht die Deklinationswerte, ob sie
für jene Zeit auch richtig bestimmt waren.
Auf einigen Landkarten, die verschieden orientiert waren, wurden die Himmels-
gegenden besonders benannt, wie z. B. bei altern Karten auf den arabischen Welt-
bildern und bei Jüngern auf Karten von Etzlaub (um 1500), von Setzlin (um 1570),
von Seutter (in der ersten Ibilffe des Is. Jalirliini(leits) n. \-. a. in.
' Das „Deutsche Meer" ist viclfadi nadi W (iiicnticTt ; vül. .loliii Soller: Atlas Maritiimis.
London 1670 [Br. M. London].
^ U. a. vgl. Atlas van Zeevaerten Koophandcl duorde gehecle Wereldt . . . door I!, cii .1. f)t tens.
De Besehryvingen door J. van den Bosch. Amsterdam 1745 [Br. M. London).
^ Vgl. Les Vogages dv Sievr de Champlains Xaintongeois, Capitaine ordinairc poin li- Koy,
cn la marine. Paris 1613.
* Die Karte von Olaus Magnus ist einer ausführlichen Erörterung unterzogen worden von K. Ahle-
nius: Olaus Magnus och hans framställning o£ nordcns geografi studier i geografiens historia. I'psala
1H75. — Vgl. die römische Kopie der Karte (1572) in Nordenskiöld: Facs.-Atlas. Fig. 32, S. 59,
vor allem jedoch die wertvollen „Beiträge zur Greschichte der Kartograi)liie und Nautik des 15. bis
17. Jahrh." von Aug. Wolkenhauer in den Mitt. d. Geogi'. Ges. München. I. 1004.
^ I. Heft der Abhandlungen zur badisch. Landeskunde, hg. von L. Neumann ii. A. Hrttnir.
Karlsruhe 19L3. Die beigegebenen Kartenbilder, nach 21 Originalkarten photograpliiNi li \(ilil(inrrt.
können bei Kartenvergieichen mit herangezogen werden.
Orifnti.ru. .i,r K:nU: 325
l)a> ]iiiiktisclit' Elfmenf der verschiedenen Orientierung auf den Landkarten
i;il)t sieh in zweierlei Eichlung kund, einmal im Interesse des Kartenzeichners,
andermal in dem des Kartenhenutzers. Der Kartenzeichner legte sich bei der Dar-
stellung von Einzelländern das Material so zurecht, \vie es ihm am handlichsten bei
der Bearbeitinig war. Das Elsaß z. B., wo ein reges kartographisches Leben zur
Renaissance einsetzte, wurde bei seiner überlangen nordsüdlichen Erstreckmig am
l)equemsten mit westlicher Orientierung dargestellt. Umgekehrt wurden Karten,
die den Schwarzwald mit südlich davon liegenden Gebieten zum Vorwurf hatten,
üsthch orientiert, wie z. B. David Setzlins Karte Basiliensis territorii descriptio
nova aus dem Jahre 1572.^ Martin Waldseemüller zeichnete die erste westlich
orientierte Karte des Elsaß, die schon vor 1507 entstand und dem Supplementum
zur Neuauflage der 27 Ptolemäischen Karten 1513 einverleibt wurde. Elsaß- und
Oberrheinkarten mit gleicher Orientierung treffen wir 1536 bei S. Münster-, 155s
bei K. VopelF. 1561 bei W. Lazius'', 1576 l)ei Speckel"' und auf diesem fußend 1595
bei G, Mercator^, bei G. Fr. Meyer" und zuletzt noch 1713 bei Cyr. Blödtner auf
einer herrhch ausgeführten Manuskriptkarte im k. k. Kriegsarchiv in Wien, bei der
man liedauoni muß, daß sie iiiclit vcniffentliclil worden ist."
HüK Das |)raktisc-h(> Itedürliiis der Südorienticruii!; im spozidleu. Für rein prak-
tische Bedürfnisse hat E, Etzlaub seine Romwegkarten mit südlicher Orientierung
entworfen. Die Etzlaubschen Karten waren Reisekarten. Zur Orientierung auf
Reisen bediente man sich damals häufig der Sonnenkompasse, von denen Etz-
laub selbst verschiedene konstruiert hatte. Bei dem Gebrauch dieses Reiseinstruments
wandte man sich nach S der Somie zu, stellte mit Hilfe der Magnetnadel die genaue
Südrichtung fest und las sodann an den Schattenstrichen die Zeit ab. So gewöhnte
man sich an eine südhche Orientierung, die in den Etzlaubschen Karti'nbildern einen
l<artographischen Niederschlag fand. In den Etzlaubschen Romwegckarten erkemit
Aug. M'olkenhauer einen neuen Deutschlandkartentypus'-', der sich parallel zu
dem der Deutschlandkarte von Cusanus^** entwickelt hat. Dem erstem ist neben
iler richtigem Zeichnung vieler hyilrogra]ihischer Elemente liesonders die Süd-
nrientienmg eigen. Die Etzlaubsche Karte i<l iiiil niclir oder weniger Veränderungen
' In der Hdf- uiul l-iVudcsUibliothck zu Karlsruhe.
- y. Hantzsoli: S. Münster. Abhandl. d. K. siuhs. Gos. d. Wiss. L^hii.-liist. Kl. XVlll. ISÜS.
' H. Michow: Ka-simr Voix-ll u. seine Khcinkarte. .Mitt. d. Geogr. Ges. Haiuluu-.!;. l'.Hi:!. T. ■».
' E. Oberhummer u. F. v. VVieser: Wolfgang Lazius 1906, S. 35ff. T. 12.
^ K. Schott: Die Entwioklunji der Kartogiupliie des Elsasses. Mit. d. Ges. f. Eitlk. u. Kolimial-
wisen zu .Straßburg i. E. Straßburg 1914, S. USff. T. 2. J. Werner hat, s. Anm. 1. die Orieii-
tierung von Daniel Six-ekels Elsaßkartc auf WXW bestinunt.
• Im „.A,tlas sive eosmopraphieac meditaliones . . ." Duisburg l.")!tr>. also ein .lahr uaeh .Mer-
ealor» Tode.
' K. Sehott, a.a.O., S. 123.
" Das k. k. Kriegsarchiv in Wien besitzt fast siinitlii lic Originale der meislerliaft auf rergiimeiit
iiusgcführtcn Oix-i-ationskarten f ür die Feldzüge vom überrheiu von 1702 1711 des Ingenieurs f. Hliid t-
iier (Hlüdner). Vgl. l'aldus: Johann Christoph Müller. Ein Beitmg zur Gtvschichte vatorlandiselier
Kartographie. In den Mitt. des k. k. Kriegsarehivs. 3. Folge. V. Wien 1907, S. 116, 117.
» W. Wolkenhauer: Erhai-d Etzlaubs Ueisekarte diinh Di-ut.sihland l.'iOI. Xikola-ssiv bei
licrlin 1919. S. 9, 1 1. Mit der Herausgabe dieser Karte hat W. Wolkenhaucr seinem 1915 im .\rgoiuier-
wald gefallenen Sohn .\ug. Wolkenhaucr ein ehrendes IX'nkninI gesetzt.
'" Ober Lit. zur Cusauus Karte vgl. W. Wolkeiiluuur. a.a.O.. S. 9. .\nm.
320 l>i'' l.a.Klkarlc un.l ihr Lii-rplin..
iiacligi'l lüdet wonlcu, so \ou M. Waldsin-niüller 1511—1541, besoudfi's in diu \<iii
ihm edierten Ptoleuiiiuaausgaben ; \on Heinrich Schreiber von Erfurt \'yl-l\ von
Georf,' Erlinger von Augsburg, 1580; von Beb. Münster 1525 (in Oppenheim) und
von 1540 an (Kosmograj)hie 1544): in Joh. Stumpfs Schweizerchronik, Zürich 1548,
1586, und in der Beschreibung des weith berümpten Deudtschlandt , Nürnberg
1569. Dieser Reihe gliedert sich die Nova descnjitio totius Europae von Bartho-
lomäus Musinus aus dem Jahre 1560 an (Nationalbibhothek Paris). Eine selb-
ständige Karte mit südlicher Orientierung ist die älteste Karte der Schweiz von
K. Türst (Tyrst) 1495. Diese Orientierung hat sich lange auf Schweizer und andern
Alpcnkarten erhalten, wir begegnen ihr noch auf der Karte von Ägidius Tschudi aus
dem Jahre 1538 bzw. 1560^, auf der Karte Oberösterreichs von Augustin Hirsch-
\ogel aus dem Jahre 1542" und spätem bedeutungslosem Karten.
Zur Zeit der Früh- wie der Spätrenaissance haben verschiedene deutsche lleichs-
städte Wald- mid andere Spezialkarten herstellen lassen, die noch heute unsere Be-
wmidermig erregen. Berühmt sind die N ü r n b e r g e r Wa 1 d k a r t e n , unter ihnen wiederum
die Wiltkarte vom Jahre 1516.* All diese Karten zeigen südliche Orientierung, mit
Ausnahme der Waldkarte des Nürnberger Gebietes rechts der Pegnitz (Nümberg-
Hersbruck) vom Jahi-e 1581, die nach Osten orientiert ist.'* In der südlichen Orien-
tierung ist der Einfluß Etzlaubs unverkennbar. Aug. Wolkenhauer nimmt sogar
an, daß die eben genannte Wiltkarte ein Werk von Etzlaub sei.-'^ Dagegen vermute
ich nur, daß Etzlaub dem Kartenmaler mit Rat und Tat zm- Seite gestanden hat,
denn die Ausführung zeigt eine ganz andere Technik wie sie von Etzlaub gepflegt
wurde. Die Etzlaubsche Rundkarte oder Umgebungskarte von Nürnberg vom Jahre
1492, auf die ich bei den Verkehrskarten noch eingehender zu reden komme, ist gleich-
falls nach Süden orientiert. In der Geschichte der Kartographie ist diese Holzschnitt-
karte insofern beachtenswert, als sie die älteste Karte der Umgebung Nürnbergs ist
und zugleich die älteste Spezialkarte Deutschlands. Eine weitere Rundkartc
Nürnbergs^ verlegt Aug. Wolkenhauer auf eine Entstehmigszeit von 1555—1559, andere
nehmen die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts an. Letzterer Ansicht schließe icli
mich an und erbhcke hier im Gegensatz zu Aug. Wolkenhauer' eine Karte von Etz-
laub, die nur unter der starken Vergrößerung der halbperspektivisch gezeichneten
Ortschaften auf Kosten der Terraindarstellung gegenüber der erstem Rundkarte
i Einen Ausschnitt dieser Karte wie- auc li (Ui voifiinannten von Türst gibt E. I »lic i liuiiiiiic r
i. d. „Entstehung der Aljx-nkarten" in /. d. D. u. (j. A.-V. IHOl. S. Hü u. 35; in Anm. 4 auf S. :!4 von
überliuiiiniers Schrift ist die Lit. über (iie altern Schweizer Karten zusammengestellt.
- Der Astronom Kepler bezeugt, daß die Karte 1.'542 fertiggestellt worden ist, sie wurde jedoch
erst 1.583 in Antwerpen gedruckt. Vgl. Wolfgang Lazius, Karten der östeneichischen Lande und des
Königreichs Ungarn 1545 — 1563, hg. von E. Obcrliumnu r und Franz Wieser. Innsbi-uck KtOH.
Mit 20 photolithogr. Tafeln.
' Wiltearte Nr. 2 v. J. 1516, transumpta im Jouik r !5Ht od. Abris» über das Ami)t Lauff, Alt-
dorf, lleichcneek u. Haimburg die Wildtbahn bcticffend. Ai|iiai(ll/ci(liii. auf Pergament, H4 x »4 ein.
[G'nnan. Miis. Nürnberg.]
^ Waldkarte des Nürnberger Gebiet» recbt.s iler Tejinitz (NüinbergHcrsbniek), bis zur Linie
Egloffstein-Betzenstein reichend. 1581. Aquarcllzeielin. auf Li'inwand. 69 x 71 cm. [0<>nnan. Mu.s.
Nürnberg.]
5 W. Wolkenhauer, a. a. ().. S. 8.
« Rundkarte fler Stadt .Nürnbert.' und ihrer Umgebung. Hulzsebuitt 89 x 83 cm. [German.
Mus. Nürnberg.]
' W. Wolkcnhauer, a. a. O., S. 8.
Oiuiiti.riii (kl- Kartu. ;J27
gelitti'ii liiit. Es ist sicher anzuiichim-n, daß, wenn Etzlauli die Karte iiiclit sellist
gezcicLnet, sie unter seinen Augen hergestellt wurde.
Die südliche Orientierung hat auch für uns, die wir gern den Wanderstab nach
S setzen, einen nicht zu verkennenden Anschauungswert; darum sind Karten aus
der Alpen weit, die mehr Laienbedürfnissen dienen, mit südlicher Orientierung bis
in die Gegenwart hinein gefertigt worden. * Daß für Schüler die südliche Orientierung
leichter verständlich ist, hat schon der Wiener Humanist Vadianus (1508—1513
an der Wiener Hochschule) nachgewiesen. Doch heute kami sich die Schule auf
derartige pädagogische Experimente nicht mehr einlassen und hat die Jugend trotz
aller Vorzüge der südlichen Orientierung^ beizeiten an die nördliche zu gewöhnen.
Die Stimmen für eine Einführung der südlichen Orientierung sind heute noch
nicht verstummt. Für sie tritt F. Becker energisch ein', da durch sie die Frage der
Beleuchtung der Geländedarstellung auf natürliche Art gelöst wird, weil es das N'atur-
gemäßeste ist, sich nach der Sonne zu orientieren und diese für uns am südlichen
Himmel steht. Auch E. Hammer steht dieser Frage sympathisch gegenüber.
170. Die X(»rdorioii<ieruug. Seit der Kenaissancezeit bricht sich die nördliche
Orientierung, die wissenschaftliche Orientierung, wie ich sie nemie, auf den
Kartenbildern mehr und mehr Balm. Einmal wurde sie durch die Wiederbelebung
des Ptolemäus eingeführt und sodami durch die „Globusmacherei"', die im 16. .Tahr-
lumdert in hoher Blüte stand. Sobald man die Kugelgestalt und die Verteilung der
Kontinente auf der Erde richtig erfaßt hatte, war es eine ganz natüriiche Folge-
erscheinung, den Nordpol oben am Globus hmzulegen, inmitten der Norderdhalbe,
worauf sich auch das meiste bekannte Land fand. Den Nordpol ständig seitlich oder
nach unten zu legen, wäre iiTsiimig gewesen; die Globusbilder geben von allehi die
nördliche Orientierung. Sie erscheinen bald als Planiglobenkarten einzehi und in
Atlanten abgebildet. Ihnen war also von Haus aus die nördliche Orientierung eigen.
Allmählich wurden mit dem Hineinwachsen der ]\Ieridiane und Parallelen ins Karten-
bild sämtliche Landkarten in der gleichen Erdstellung entworfen.* So folgte eins aus
dem andern, bis zuletzt die nordsüdliche Eichtung auf allen Kartenblättern, auch
auf den Seekarten", dominierte. Die Nordorientierung ist zweifellos für alle Zeiten
für die Karten festgelegt. Kleine Ausnahmen in Sonderkarten, Katasterplänen und
Stadtgrundrissen können daran nichts ändern. So hatte ich. um Kaum und Papier
zu sparen, 1900 meine Karte von Ostasien nordöstlich orientiert.* Die vorteilhafteste
Lage in einem gegebenen Raum oder für einen bestinnnten Zweck kaiui die nord-
südliche Orientienmg vernachlässigen. Belege dafür haben wir keimen gelernt; nicht
' Z. B. die lioliefkarte vom Bayr. Hoililaml; li«. vom Wieiii y.vir Fördonuij: des Fiviiulcn-
verkehr« in München u. im Bayr. Hochland. Dar^csU-llt von Michael Zcno Dicmor.
* Auf die südl. Orientierung weixle ich spiiter noch einmal bei dei- EmrU-ruug der senkixvhteii
luid Hchriigen B«'leuclitmig des Geländes zu spi-cchen kommen.
■^ F. Becker: Die Schweizerische Kartographie an der Weltaus.-itell. i. Paris 1889 u. ihn- neuen
Ziele. Fraucnfcld 1890, S. 19—22. — Die beigegebene Probe aus der von Bciker entworfenen Heliefk.
der Albiakctte von Hofer und Bürger /.eigt westliche Orientierung.
* Die wegen ihrer unglaublichen Fehler berüchtigte Karte „Gennanitu- onuiiumnue »ins i)n>-
vinciarum . . ." des F. Bertelius aus d. .1. 1562 war eine der ei-sten Karten ihrer Art mit niinlliclier
< Mientienrng.
' Hier begünstigt aucOi dun^h die .Magnetnadel
" M. lickcrt: OstA.-.icn. Karte des KriegsHclmupliil/.. > in Unna. 1 ; 8(Mt(MMl. l^ip/.ij; l'.MHi
allzu ;
häufig sind sie im IS
. .lahilnin.lnt
.' /a
hl der
Gegenwart, wie z. 15.
auf Kailciici
itwiirl'i
drcichcr crsclii'iiu'U sit- crsl
11 vuii E. Hauiiucr, (). \\iiil'
IM. Das Generalisieren.
171. JH«' iiadiiäliiiliclic AVicdcif'iilu' «Ici- Ol.jcldt', Nur .hi ualiiilidu' ]\laßslal)
gibt die Objekte in natüilicber Größe wieder (s. S. 315). Für die Kartographie ist
er ausgeschlossen. Dennoch wird der Geograiih für gewisse Arbeiten gern Karten
besitzen wollen, die ihm den dinglich erfüllten Eaum genau und verläßlich wieder-
geben. Er greift zu den Meßtischblatt irn 1 : 25000 oder zum Plan directeur 1 : 20000
und andern großmaßstabigen Kartin. Der Waßstal) 1 : 25000 steht mit seinem Ver-
jüngungsverhältnis an der Grenze des wünschenswerten Leistungsfähigen. Einzchie
Häuser können noch richtig im Gnmdriß dargestellt werden. Ist ein Hof oder Land-
liesitz mit Gebäuden 50 m lang und 25 m breit, so bedeckt er auf der Karte 1 : 25000
eine Fläche von 2 qmm, ist also noch im Grundriß darstellbar, dagegen würde er auf
der Karte 1 -.100000 bei einer Größe von Vs "T^"^ ""i" ^^^ Punkt erscheinen. Eine
Straße von 25 m Breite müßte auf dem Meßtisch 1 mm breit, auf der Karte des
Deutschen Reiches '^/^ mm breit gezeichnet werden. Dagegen ist es nicht möglich,
ehien Bach von 1 m Breite auf dem Meßtisch bei einer (iröße von 0,04 mm karto-
graphisch darzustellen.
Die Grenze der graphischen Darstellljarkeit haben wir bereits mit 0,2—0,3 mm
angegeben (S. 819). Auf dem Meßtischblatt können sodann noch Längen von 5 m
wiedergegeben werden, auf der Karte des Deutschen Reiches Längen von 25 m, auf
der Topographischen Übersichtskarte des Deutschen Reiches Längen von 100 m und
auf der Weltkarte solche von 250 m.* Wenn ein geographisches Objekt bei dem
vorgeschriebenen Maßstab nicht mehr aufgenommen werden konnte, nannten dies
die Alten: unter dem Maßstab fallen. So schreibt F. C. Müller in der Anmerkung
auf S. 10 semer Theoretisch - praktischen Abhandlung über das richtige Aufnehmen
und Zeichnen der Situations-Charten nach bloßem Augenmaße (Münster 1778):
..Es fällt bey dem Aufnehmen, oder vielmehr bey der Construktion des Plans, ein
Gegenstand unter dem Maaßstab, weim sein Durchmesser nicht viel mehr als einen
Punkt nach dem Maaßstab beträgt. Z. E. Wenn man eme Gegend nach einem Maaß-
stabe zu 1000 Scliritleii auf ileii Zoll-Rhehiisch aufnimmt, so sind alle diejenigen
^(!egenstän<le. welehe nur 10 liis 20 Schritte lang oder breil sind, unter dem Maaß-
stabe, indem sie durch eine Zeichnung von 1 bis 2 Seiiii>el, (welche man füglich für
Punkten annehmen kann,) ausgedrückt werden miilileii. wclrlie kaum möglich ist."
92, ist das Übersieh tsblatt des ge-
Gebiete zu zeichnen
1 In dem „Russisclien Atlas", hg. voi
1 der l{<-ig
■ Schule 1792, ist das
namton nissischen Reiches so orientiert, n-ie
CS ain lics(
tcn ohne andere, frei
ist. [U. Bi. Göttingen.]
- In der Natur sind
1 kii, 2.-.0 1.1
100 III
."")() 111 25
inl: 25000 4 cm 10 mihi
4 niii
1 2 111111 1
„ 1: 100000 1 „ 2.0 „
1
0.5 „ 0,25
„ 1: 200000 0,5 ., 1,^. „
0,5 „
0,2:, „ 0,12;-
,. 1 : .500000 0,2 ,. 0,5 „
0,2 ,.
0,1 „ 0.05
.. 1: lOOOCKK) 0.1 ., 0,25 ,.
0,1 ,.
0,05 „
iiigcns die Tabelle S. :il9.
D.iM f;,i,.ialisi.ni.. 329
.Mil'it Juan NciSL'liiidiiic Olijcktc auf dem Meßtisdililalt nach, orkcniit man,
(laß das iiatiulicdie Yfijüiigiiiigs\ciliältiiis nicht gewahrt ist. Insonderheit ist die
Breite der Straßen, Eisenbahnen, Bäche auf Kosten der benachbarten Gebiete ver-
größert. Wieviel mehr zeigt sich diese Verbreiterung der Verkehrswege auf der Karte
des Deutschen Reiches. Ein aufmerksamer Vergleich zwischen ihr und Meßtisch-
blatt läßt bereits eine Vereinfachung der Ortszeichnung erkennen. Trotzdem hob
Morozuwicz, weiland Chef der preußischen Landesaufnahme, hervor, daß sicli in
dem Maßstab ] : 100000 noch alle militärisch wichtigen l'jinzelheiten ausdrücken ließen
und andererseits die Übersichtlichkeit möglichst bewahrt bliebe. Der zweite Teil
des Satzes gilt heute noch, indes hat der jüngste Krieg höhere Anforderungen an die
Karte gestellt und alle militärischen wichtigen Emzelheiten kann der Maßstal) 1 : 100000
nicht mehr ausdrücken.
Bei den topographischen Übersichtskarten 1:200000 bis 500000 läßt sich der
Beduktionsprozeß des Karteninhaltes im Vergleich mit dem Meßtischblatt schon
greifbarer verfolgen. Raummangel und das Interesse an Deutlichkeit und Lesbar-
keit der Karte machen sich geltend, wenn alle Objekte berücksichtigt werden sollten.
Komplizierte Formenelemente weichen einer vereinfachtem Linienführung. Mit
einem Worte: Es wii'd generalisiert.^ Ganz allmählich hört der individuelle Charakter
des maßstablich Giroßen auf, und wir werden halb bewußt, halb unbewußt zu einem
allgemeuiern Typus hingeführt, bis das Symbol bei den chorogi'aphischen Karten,
vom Maßstab 1 : 500000 und kleiner werdend an. den alten, die Natur wiederspiegelnden
(I rundriß ganz verdrängt hat. Dieser Vorgang, der sich an der Hand des jetzigen
Kartenmaterials leicht entwicklungstechnisch nachweisen läßt 2, hat die Problem-
stellung der (ieneralisation mannigfaltig licfruclitet und Liclit in die Arluits- und
Denkstätte des Kartographen geworfen.
Bei der Generalisierung schreitet man von den großmaßstabigen Karten zu den
kicinmaßstabigen. A. Hettner macht darauf aufmerksam, daß der geschichtlicht •
(iang der Entwicklung der umgekehrte gewesen ist, daß man von den Karten kleinern
>lal.?stabcs allmählich zu denen größern Jlaßstalx'S gelangte, von der übersichtliehcii
und generi'llen Darstellung zur ausführlichen und sjieziellen.' Das stinuut nicht
ganz, großmaßstabige Karten sind stets neben kleinmaßstabigen einhergegangen.
Neben (bersichtskarten von Ländern und Erdteilen \ergangener Jahrhunderte be-
gegnen wir Plänen und Karten in großen Maßstäben. \\\r brauelun gar nicht an
altägyptiselie. altchinesische und altmexikanische Karten und Pläne zu denken.
' II. Sicgfrii-il (i lS7it) bc/.cRhiut diu Kaitcii 1: l.VUMKl l)is 1 : :i(HI(MH) als „OeiiPiulkartou"
1111(1 sa;;t über sie im BiTicht über ,.G}eo(,'rai)hi8i lic und io.smoj>iupliisclie KaiU-ii und Apparate", in
dir Internationalen Wcltaiusstelhmg 1878 in Pari« (Zürich 1879, S. 13): „Eine Gfneralkarte erfordert
eine intelligente Redaktion mit Hervorhebung de.s Wichtigen, Unteixlrückung des Unwesentliclien
und Vermeidung der Überladung. An üitschaftcn enthält sie jedenfalls alle Oenieinden. die jixiocli
blolJ dureli konventionelle Zeichen eingetragen werden. Das Xetz der Kommunikationen soll voll-
ständig sein und <lie Klassifikation desselben ausdnicken. Das Relief des Terrains soll noch zum voll-
ständigen Ausdnick kommen, jedoch mit l'ntcixhüokiing der kleinern Formen, in größern .MalJen
generalisiert."
^ In den vemehiedensten 8»hiilatlanten, selb.st in Volktwelmiatlanlen. hat man Karti'naiis-
sclinitte aneinander gei-eiht, um die Reduktionsmallstäbe und damit die Tiitigkeit des Oeneralisien-ns
7.11 veranNchauIiehen,
^ .\. Hettner: Die Eigens( haften und Methoden der kai tographiselien Dnnttollung. 0. '/..
l-.»l(t, S. 22.
l'li. Aiuiiiis Karte von Bayern ist i'ine erste topographische Karte, die glcicluildi;^'
ist mit den chorographischen Karten von Mercator. In Bergämtern sclduiimicrn
noch Karten alter Bergwerksgebiete Deutschlands in großem Maßstabe und teilweise
mit geschickter schattenplastischer Geländezeichnung. Hettner scheint bei seinen
Ausführungen lediglich an die neuere Zeit der kartographischen Entwicklung zu
denken. Aber auch hier kann ich ihm nicht ganz beistimmen. Die topographischen
Aufnahmen am Ende des 18. und im 19. Jahrhundert haben weder ihre Methoden
noch ihre Darstellung bei den generalisierenden Methoden der libersichlsliartcn
gesucht und gefunden. Ihre Methoden und Arbeitsergebnisse regelten sich von allein
nach dem (irade der Darstellbarkeit der in der Natur gemessenen Objekte. Wohl
schließe ich mieh den Hettnerschen Ausführungen an, wenn man auf die kidtiir-
geographischen Darstellungen, insonderheit auf Bevölkerungsverteilungskarten größern
Maßstabs hiublickt. Für sie sind in der Hauptsache die Karten kleinern Maßstabes
maßgebend geworden, allerdings oft mit wenig (ieschiek und Zufriodenstellung, da
dii' methodische tlberlegung mangelhaft wai'.
172. Wesen und Sehwierigkeit des dieiieralisiercus. Das Wesen besteht darin, aus
t'iner großmaßstabigeu Karte eine kleinmaßstabige zu schaffen, was einmal durch Ver-
einfachung, YeraUgemeinerung und Vermittlung der Formenelenienfc ^vsehielil.
sodann durch Auswahl und Beschränkung des Stoffes. Dabei ist die WVilsehi idun^'
von großer Wichtigkeit, ob ein Gegenstand, wenn die Karte bei einem vorgesehriebenen
Maßstab dem gewünschten Zweck dienen soll, noch aufgenommen oder besonders
kenntlich gemacht werden soll. Man hat die durch Generalisieren gewonnene Karte
mit dem Auszug aus einem großen Werk verglichen^; wie dieser alles Nebensächliche
fortläßt, die Einzelheiten zusammenzieht und die relative Bedeutung der Dinge ins
rechte Licht setzt, so ist die Vollständigkeit, die in der Spezialkarte eine absolute ist,
in der Eeduktion eine relative geworden. Ein wesentlicher Unterschied besteht
dennoch zwischen Auszug und generalisierter Karte. Ersterer ist viel leichter zu
bewerkstelligen als eine gut generahsierte Karte. Das geschriebene Wort ist iiiclil
so peinlich wie der Zeichenstift und ,, versagt in diesem Punkte den Dienst".''^ Niuiinl
die Beschreibung direkt Bezug auf die Karte im ideinern Maßstabe, so wird sie nui'
die allgemeinsten Züge hervorheben, niu- hier und da auf Einzelheiten eingehen,
während die Karte die Einzelheiten bis zu einer gewissen Vollzähligkeit dem Maßstab
entsprechend aufweisen nmß. Betont sei, daß die Reduktion bei der Generalisieriuig
nichts zu tun hat mit der ,, Reduktion" oder ,, Reduzierung" mittels Pantogiapheii
oder photographischer Apparate.
Die Schwierigkeiten einer guten (ienerahsierung werden luiute noch immer
unterschätzt. Es genügt nicht, um es nochmals zu wiederholen, eine Reduktion mit
])hotographischer Treue herzustellen, sondern es müssen Vereinfachungen und Ver-
bindungen hergestellt. Details weggelassen und für den Zweck wichtig erscheinende
Objekte lHr\ iir;.;elii,lHn weiden. Um das zu erreichen, müssen nicht bloß die Original-
karten gründlich durciigearlieitet werden, sondern auch die einschlägige geographische
Literatur, Statistik und verwandtes Kartenmaterial. Nur den geübtesten und besten
Kräften kann ein glückliches Generalisieren gelingen. Viele Zeichner meinen zu
1 H. bischer, a. a. O., 8. T."}.
2 II. WuKnur: Lohrbucb, a. a. O., S. 242.
Das (icm-ialisiiToii. 331
'^vnv nilisicidi, wdiii .-ic /.. l!. dir J\ii>1(ii- und JluJ.ilinii u in flüclitigfii l''au«tzficl)iiuiigeii
\vii'(liif;( 1 m ui:d ;illc klciiuiii Tciiiiiii^t hildc cinl'acli fortlassen. Das ist ein großer
Irrtum, an dini tbtn viele niindei wertige Kartenprodukte kranken.
Bei dir k;irtogra]ihischen Fixierung jeder Form muß eine ernste Überlegung
vorangehen, um das Charakteristische in generahsierter Gestalt zu erkennen und
deutlich wiederzugeben. In diesem »Sinne arbeiten eigentlich nm* die wenigen, bekannt
besten kartographischen Anstalten des In- und Auslandes. Gerade die großen Meister
des Generalisicrciis, wie A. Petermann, E. v. Sydow. C. Vogel und H. Habenicht
haben gelegentlich von Kartenbesprechungen und kleinern Aufsätzen in Petermanns
geographischen Mitteilungen immer wieder auf die Schwierigkeiten des Generali-
sierens hingewiesen. E. Weller urteilt .geradezu über A. Petermann, daß dessen
ganzes kartographisches Talent und bewährte Meisterschaft sich in der ,, geistvollen
Generalisiition" bekunde^; und Peter mann äußert selbst: ,,Bei Karten kommt
alles auf eine zweckmäßige Generalisation an." E. v. Sydow sagte fast zur gleichen
Zeit: ,,Nur wer Herr des Stoffes ist und mit seiner Hand das leisten kann, was der
Geist will, ist fähig, richtig und gut zu generalisieren." ^ Und späterhin sagt C. Vogel.
daß bei der Auswahl und Beschränkung des Stoffes nichts zufällig sein darf, „und
nur ein verständiger, kritisch richtender und routinierter Kartograph wird imstande
sein, dabei stets das Richtige zu treffen".^ Das veranlaßte H. Wagner in seinem
Leln-buch zu sagen, daß sich diese Kunst nur durch langjährige Übung erlernen läßt*,
und im Nekrolog zu Carl Vogel hebt er dessen Meisterschaft im Generalisieren ganz
besonders hervor, die nicht nur auf die Hervorhebung des plastischen Gesamtbildes
hinarbeitete, sondern auch auf unzähhge Einzelheiten der Bodengestaltuag, die der
Maßstab noch gut vertragen kami.^ Darum sind sämtliche Karten Vogels so außer-
oiilentlich zuverlässig und bieten füi- weitere wissenschaftüche Arbeiten gute Grund-
lagen. Außer in Deutschland findet man in Frankreich, in England, in der Schweiz
und in Österreich einige Beispiele gut generalisierter Karten in den Maßstäben von
1 : 500000 bis 1:1000000.«
Die schwierigste Arbeit l)ci der GcniTalisieruiig isl dir Ürarlicilun;^ des (Ic-
iändes. Um auf topographischen (Irundla^'cn eine ^utr Karle in I : üOOOOd unil
kleinem Mal.'.slalii'n bis etwa 1 : lOOOOOO licrzuslelicn verlang! viel Zeit inid gi-
ualligc Arbeil. ls( diese gi'lunt^cn und NdlLständig /.ufriedenslellend, so isl sie
eine wissenschaftliche Leistung ersten Hanges, denn sie erfordert nicht blol.l .Meister-
schaft in der Ilandlialiung des Zeiclieugriffels, sondern auch eine gediegene Kemitnis
vom morphologischen Aufbau der Erdrinde. Bei NichtVernachlässigung wichtiger
iMiizelheiteii müssen die großen eigeiitüniliehen Züge des lieländes ins .Vugo springen,
.lede Einzelfonn muß sich liarnioniscli d<'ni Ganzen ein- und anfügen. Dann kann
' K. Wcllci : .\u;.'usl l'ctrnimiiri. I'liii Bt-itnif; /,. Crt-scli. der '^ronr. Kiil(lrtki;ii. ii. <1. Kiirtogr.
(lis l'.t. Jiiluli. Bd. 1\' i. l^ulliii u. 1''(iim1uiii;;cii zur Kid- u. Kiiltiiikmidc; lij;. von 1!. Stulir. U-ij>/.i;;
lilll, S. 1 '.)(>.
- K. V. Sydow: D.t kiiit.>j;rai.liis.lic StHiidpurikl Kiin.|).i.s im Jiiliir ISWi Mti'.». I'. .M. ISTO.
^ ('. Vogel; «Jcm-iulstHh.skaitc. d,s D.-iit.scIicn l!oic-lus in ti74 HIaltcm u. im .MaUslul. I : liHMKKt.
!■. .M. 1880, S. ISil.
* H. Wagnor, .i. a. ü.. S. 242.
» H. Wagner: Carl Vögelt- l'. M. I8«7. .S. 111.
" Z. B. Carte de Fraiiie. 1 : «00000. Drei(.H<^o, gnive et piihlii^ i>ar le .S«Tviee getigni|>liiinii-
de lAim«:-e. Pari« 1804.
aai' l'"' l.aii.lKarlr .mmI ,1„- LMpi.lan.
bis herab v.n cinriu Mal.lslab \(iii 1 : 4 (M Kl UDO (nlcr 1 : .lOOOOlK) das HiKl drr Erdober-
fläche iiuli\iihull bewahrt bleiben, oiiiie in eiiii'in allgeuieinen Typus bereits zu er-
starren.'
173. Keiue Gesetze des Generalisierens. Ein Gesetz oder gar Gesetze für
die Generalisierung aufzustellen ist sehr schwer und führt zu keinem befriedigenden
Ergebnis. Wie sich die wissenschaftliche Forschung nicht in spanische Stiefel ein-
schnüren läßt, so auch nicht die generalisierende Arbeit. Die Auswahl der Signaturen
für die verschiedensten Objekte und Kulturen muß geschickt und dem Maßstab und
Landescharakter angemessen sein. Beim Vergleich ein und desselben Landes auf
Karten in verschiedenen Maßstäben, die unter sieb wicdir gut vergleichbar sind,
auf Karten, die womöglich von dem gleichen KajIdL'iMplicn Lic/i'icliiiil ndcr heraus-
gegeben sind'^, wird man feststellen, daß die liediiklimi \»\ iHiuielihaiieii Ma Lisi üben
gering, dagegen bei recht unterschiedlichen Maßstälien auffällig gioii ist, daß, je
kleiner der Maßstab wird, das Auswählen des Inhaltes und Vereinfachen der Eormen
in erhöhtem Maße tätig gewesen ist (s. § 176). Infolge dieser Wahrnehmung ist die
Äußerung gefallen, daß der Inhalt der Landkarte im Verhältnis der Quadrate der
Maßstäbe abnimmt. Dieser Satz ist mit Vorsicht zu gebrauchen. Beweisen läßt er sich
al)solut nicht, kaum irgendwie durch mathematische Aufzählungen stützen. Durch
die mathematische Einkleidung verblüfft er zunächst. Er gibt nur ganz allgemein
einen Anhalt. Für das Weglassen von Objekten oder Kürzen von Linien und Krüm-
mungen lassen sich eben, wie oben schon ausgeführt, keine allgemeinen Normen oder
Werte aufstellen. Ijcdiglich empirisch kann hier vorgegangen werden. Die Aus-
füiiruiii.' unterliegt ganz und gar dein Kuiiiien und Kennen des Kartenzeichners.
174. \eralli;enu'iiu'rimv, termiii(»l(>;;ischer Gattuiigsbe^iilfe, il. i. Veiciiilachcn
und Ziisaniincnzit'hcii des Stoifcs. Zunächst hat die Generalisierung zu veroiiifaclien
und zu \-erallgeiiieiiiern. \\> kommt uiifhin die Art in Betracht, ,,die dem gewöbu-
lichen logischen Begi'iff der Generalisierung entspricht, also in der zunehmenden An-
wendung und Verallgemeinerung der terminologischen Gattungsbegriffe besteht"
(A. Hettner). Auf dem Meßtischblatt erscheint ein Ort noch grundrißtreu, auf Karten
in kleiner werdendem Maßstabe wird der Grundriß allmählich durch die Signatur,
alsi) ^'altnuLT^lK grifflieh, dargestellt. Ein Berg, der als Tafelberg auf der Karte großen
Mal.l>lalii^ ini^ ini^cgentritt, wird auf der kleinern Maßstabes noch durch eme alb
genjeinc rieiL;-iL.r||;iii,,- wiedergegeben. Bei der Eeduktion verschmelzen Ebene und
Fastebene.
Die Verallgemeinerung ist im großen ganzen mehr objektiv als sulijektiv. Die
t'harakterzüge müssen immer wieder heraustreten oder sich nachweisen lassen.
Würden zwei oder mehrere Bearbeitungen über das gleiche Gebirgssystem mit Zu-
grundelegung des gleichen topographischen und sonstigen Materials von verschiedenc^n
' Musterbeispiele, vcütiotcn durch den flaiz und da» Bcraer Oberland, },'ibt H. Wagner auf
Taf. 5 seines Methodischen Schulatlas: ,,Greneralisierung der Terrainzeichnung in Schraffen und
Höhenkurven bei Verminderung des Kartenmaßstabes."
^ Diese Art Vergleich ist für das eigene Studium und das Eindringen in das Wesen der Gfenerali-
.sierung zu empfehlen; deshalb hat H. Wagner als einer der ersten schon 1888 der ersten Ausgabe
seines Methodischen Schidatlas aui Tafel 4 im ganzen 8 Kartenausschnitte von der gleichen Gegend
in 8 verschiedenen Maßstäben gegeben (Beispiel: Berhn).
Dum Gi'ii.Tuli3lc'ivti. 333
Kartographen unter ganz gleichen Voraussetzungen und Bedingungen in demselben
Maßstab ausgeführt, so werden sich wohl Abweichungen im einzelnen, niemals aber
wesentliche Verschiedenheiten in der generellen Haltung, also in dein (iaftungs-
begi'ifflichcn und seinem Ausdruck, bemerkbar machen.
Noch heute begegnet man Karten, insonderheit Schulwaiulkarfeu, auf denen
die generalisierte Darstellung zu wünschen übrig läßt. Da kann man ohne Über-
treibung behaupten, daß die ßergformen sozusagen stückweise aneinandergereiht
sind, ohne daß es dem Zeichner gelungen wäre, der kom])lizierten Bodengestaltungen
in vereinfachter, genereller Manier Herr zu werden. Darum müssen gerade Schul-
wand- und Schulkarten, die dazu liestimmt sind, der jugendlichen Vorstellungskraft
i'ine erste naturfrische Grundlage zu liefern, nachdem die erste Klippe des Verständ-
nisses der kartographischen Bildungs- und Bildersprache überwunden ist, nur von
Meisterhand entworfen werden. Die bekannten gi-oßen in- und ausländischen Karten-
firmen gehen, sofern sie Bchulkarten veröffentlichen, mit gutem Beispiel voran. Ferner
muß sich die Generalisierung davor hüten, gewisse Formen und Figuren so zu ver-
allgemeinern, daß man sie zur Not gerade noch nach ihrer Lage wiedererkennt.
Sowohl Wand- wie Handkarten leiden an diesem Übel. Solche Karten entstammen
jedoch iiielit den großen kartographischen Anstalten, sondern kleinern Kartenfirmen,
die über kein langjährig technisch geschultes und wissenschaftlieh din-chgebildcfcs
l'crsonal verfügen. Zahlreiche Beispiele stehen jedem zur Hand.
A. Hettner sagt im Hinblick auf die Vereinfachung des Terrains und anderer
geographischer Objekte: ..Die Vereinfachung erfordert eine eingehende Erwägung
der wissenschaftlichen Klassifikation, denn eine falsche Wahl des Oberbegriffs kann
der Karte allen wissenschaftlichen Wert nehmen, wie man sich etwa bei einer Prüfung
der geologischen Karten oder der Vegetationskarten in manchen Schulatlanten über-
zeugen kann."
Die gesamte Isaritbnieiizeiehuung unterliegt der Generalisierung. Fast jeder
gioßere Atlas gibt Gelegenheit, auf groß- und kleinmaßstabigen Karten z. B. die Iso-
liiiren oder Isothermen und andere isarithmische Linien zu vergleichen.*
175. Die niatheinatisciic Erfassuu}»; dos Gciu'ralisioreiis von Flächen- und Liiiicii-
i'hMiionten. Am augenfälligsten läßt sich Zusammenziehen und Vereinfachen von
Flächenelementen an den Wäldern und von Formenelementen an den Fluß- und
Küstenlinien erkennen. Der lückenreiche Wald auf der großmaßstabigen Karte
erscheint auf der kleinmaßstabigen lückenlos, also zusammengezogen. Desgleichen
nehmen wir wahr, wie sich auf Karten großen Maßstabes die Sumpfgebiete lockern,
die uns die Karten kleinern Maßstai)es als zusammenhängendes (ieliiet zeigen. Die
Messungen der Längen von Küsten und l'lii.ssen auf Karten verschiedenen Maßstabes
führen immer zu verschiedenen llesultalen. I>aher kounnl es, daß sidi in den Heise-,
li;ind- iiimI l.elirlHK'liern die verseiii.'denst.n An-abeii üb.T Kiis(,.|i- und Flußlängen
xorliihli 11. Vf. Mcnitlis lial liiieligewieseii uliiie dabei di'iii gesanileii ein.-ichlägigi'n
>biterial naciigeluisrlit zu haben , dal! d,r Ülieii, xun I7is l'.'KI in S-i v.TSchiedeni'ii
' .Man V)j!l. i. H. ilic Kiwlo dos l.iiftdiu.ks und der Winde im .liiiuuu auf der .MitU>lnuvikftile
(Xi-. II) in TVlies' Handiitliis mit dur cntipixvlieiidiMi Kiiikiiito (.\r. 4). Hier vcrlivuft die Fsiihiviv 7<U
im S Krank iciiliM direkt naili <> nahezu liis /.um I'mli'lta. auf dei- Mittelniceikaile /.<•i^!t nie (<ine.\iis.
I.iiilitiiiu'. die l)is iia<li Nizza K'iclil und iicili '.ildliili von Oniia verliinfl.
331 -l'i'' l.;in.]k:iil,' und ilir [/if,'r|,lMii.
Längen angegeben worden ist. dir zwischen 1()3'2 und 1410 km schwanken'; der richtige
^Yert liegt bei 1220 km. A\ erden kurvimetrische Messungen causgeführt, weisen in
der Eegel bei gleichem ül)jekte die Karten kleinern Maßstabes ein kleineres Ergebnis
auf. Für die Inseln Rügen und Bornholm hat Mouth die Küstenliinge kurvimotrisch
bestimmt und zwar auf dem Meßtischblatt, der Karte 1: 100000 und der Vogelschcn
Karte des Deutschen Reiches 1 : 500000. Für Rügen fand er in der Reihenfolge der
genannten Karten eine Küstenlänge von 500, 477 und 471 km, für J3ornholm 150, (i,
Ils.4 und 111,3 km. Ferner läßt der Vergleich erkennen, daß der Unterschied der
(ieneralisierung zwischen zweiter und dritter Kartenart bei weitem nicht so groß
ist wie zwischen erster und zweiter, daß mithin der Zeichner von drei mit mehr Ge-
schick und Verständnis an seine Aufgabe herangetreten ist iind sie auch ]>esser gelöste
hat als der von zwei. Die Länge der Küste von Rügen weist einen Unterschied von
G% zwischen erster und zweiter Kartenart auf, zwischen dieser und der dritteln P/»-
Bei der Küste von Bornholm betragen die entsprechenden Zahlen 21"/,, und C/q.
20% Unterschied zum Origmal ist kerne Seltenheit, wenn er auch für die vorliegenden
Maßstäbe schon etwas bedenklich groß ist. Es lassen sich bei wenig gut generalisierten
Kurten bis 40% Unterschied und mehr feststellen. Selbstredend müssen die kom-
mensurablen Maßstäbe nahe aneinander liegen. Es wäre Unsinn, die Küstenlinie
auf einer Karte in 1 : 45000000 mit der in 1: 100000 zu vergleichen. Immer bleibt
zu beachten, welche Karte von der Generalisierung als Originalkarte benutzt worden
ist. Daß es sich dabei zuweilen um Originale zweiter und dritter Güte, d. h. um
Karten, die bereits zwei- oder dreimal den Generahsierungsprozeß ilnrchgemnolit
haben, handelt, ist nichts Außergewöhnliches.
17(>. Die quautitutive (ieueralisieruiig, (1,1, Beschränken und Auswählen des
Stoffes, Das kartographische Generalisieren geht weiter als der einfache Begriff
der „Generalisierung" sagt. Nicht bloß vereinfacht und zusammengezogen wird die
geographische Stoffmenge, sondern auch gesichtet, und die Einzelheiten werden je
nach Wert und Zweckbestimmung belassen oder unterdrückt. Dieser Vorgang ist
mehr subjektiver wie objektiver Natur. Nach dem Zwecke wird der Stoff entweder
rein technisch oder anthropogeographisch , historisch , naturhistorisoh . verkehrs-
geographisch, touristisch, verwaltungstechnisch, wirtschaftsgeographisch, didaktisch
ausgewählt. Im Gegensatz zu der bereits beleuchteten Seite der Generalisierung,
die ich oben mehr quahtativ bezeichnet habe, erhält der Kartenstoff eine Art quan-
titativer Abstufung. Doch auch hier gilt das Wort Hettners von der eingehenden
Erwägung der wissenschaftlichen Klassifikation, das ich auf S. 333 herangezogen habe.
Für den Grad der Stoff beschränkung läßt sich gleichfalls keine Norm finden.
Dem Ermessen des einsichtigen und geographisch durchgebildeten Kartographen
bleibt alles überlassen. Dem Zuviel der Auswahl unterliegt der Kartograph gewöhnlich
seltener als dem /nwenig.
Ni-Iii'ii di'Hi .Maßstab kann die Ausführung nach den verschiedenen gra])hischeii
Herstellungsverfallren ein Wort beim (jeneralisieren mitsprechen, i^ei der Auswahl
i-ines geeigneten Maßstabes für eine Luftfahrerkarte hatte M. Gasser den Inhalt
entsprechender Kartenausschnitte der deutschen offiziellen Karten 1 : 100000, 1 : 2()()00()
Liiiicnmossiincr auf Karton. Diss. Rostock. StnUgait 1012. Anlage
n.iM (!.'lirr:.li8lnen. 335
und 1 : 300000 milcinniuli r \ cijiliclu'n und festgestellt', daß von 28 Ortsnamen der
(ieneralstabskarte auf der topographischen Übersichtskarte 26 vorhanden waren,
auf der Übersichtskarte von Mitteleuropa dagegen nur 10. Die Anzahl der W'asser-
läufe verringerte sich auf den drei Karten von (1 auf l und 3. Die Angalicn der Wal-
dungen verhielten sich wie 6:0:1, die Höhepmikte wie 14:1S:1. Daraus sieht
man deutlicli. daß die Kupferstichkart c 1 : -200 000 bei weitem nicht in dem Maße
zur Karte 1:100000 generalisiert ist. wie die Liihngrai.hiekarte 1:300000 zu der
erstgenannten Kupferstichkarte.
Am leichtesten läßt sich die Auswahl an (h'r r.cseliriiid<ung der Ortszeichen
verfolgen. Sie delmt sich nicht gleichmäßig ü])er die ganze Kartenfläche aus. So
werden iinieiluill» der diclit liesiedelten Gebiete Städte mit geringer Einwohnerzahl
au.sgeschieden, die in weniger dicht besiedelten Gegenden nicht vernachlässigt werden
dürfen. Hier spricht schon ein Faktor der Ul)erlegung mit, der noch eingehender
zu erörtern ist. Bei den Inseln kann man einen ähnlichen Generalisierungsvorgang
wie bei den Ortschaften beobachten. Von dem weitverzweigten Geäst der Nelien-
flüsse wird ein Ast nach dem andern, von dem kleinsten angefangen, abgehauen, bis
zuletzt auf sehr Icleinmaßstabigen Karten der Hauptfluß gleichsam als Stamm noch
übrig bleibt. Der Unterschied zwischen peremiierenden und periodischen Gewässern
hört auf, insofern letztere ganz ausgeschieden werden. Die Unterschiede der Klein-
formen des Terrains verschwinden. Höchstens deutet noch eine Zahl hie und da eh)e
Erhöhung an. Das Verkehrsnetz zeigt bei weitgehender GeneraUsierung nur nocii
die Hauptverkehrsstränge. Die politische Einteilimg bis zur Eegierungskreisgrenze
kann die Karte in 1:1000000 ungehindert sichtbar machen. Bei einem zwei- bis
dreimal kleinern Maßstal) verschwinden die Kreisgrenzen und beim Maßstali 1 : lOOOOdOO
auch die Provinzgrenzen.
Bei der Auswahl des Stoffes kömite man, wie A. Hettner hervorhebt, an einen
optischen Vorgang denken. Die generalisierte Karte sieht gleichsam aus wie eine
nicht generahsierte aus größerer Entfernung, wobei eben die Einzelheiten nicht mehr
sichtbar sind. So ganz nach optischen Gesetzen geht das Generalisieren schon nicht
vor sich; denn liei der Auswahl des Stoffes liegt, wie Hettner ja gleichfalls anerkennt,
ein selbständiger Denkakt vor. Dagegen macht H. Fischer auf ein anderes optisches
Moment aufmerksam. Liegt eine Kartenfläche von bestimmter Größe vor. gleich-
viel in welchem Maßstalj, kann über ein gewisses Quantum von Karteninhalt, bestehend
aus Kartensignaturen und Schrift, nicht hinausgegangen werden. Dieses Höchst-
maß für normale Augen unter l^erücksichtigung von Maßstab, farbiger und nicht
farbiger Aiisfülirungsarl und /ei<dieiiri;ieh,' /iffenuual.^ig zu liesliiunien dürfte ein.'
lohnende Auf^'alie sein.-
177. nie Stollhcschräiikiiim aiil' SchMhvaiitlkartcii. Die S(dnd\vandkarten unserer
kartograpiiischen .Meister geli(>n die besten l!eisi)ieie fin- die Art der Stoffbeschränkung
und Zusammenarbeitung des generalisierten Stoffes. Für .he Sciuiikarl.- muß sehr
sorgfältig ausgewählt w.'rden; und Zon.l.'rvan gilit .'iner allgemein b.'kaimten. pä.l-
agogisch-didaktis.dien Ausidit Ausdru.'k. wenn .'r sagt, .laß mit .l.-ni gering.'ii liallast
' M. OasÄoi : Kim- FluKkaiteiiHludie. Vi-ili. d. -Wll. DeiU.H.Ii. GfHJumphciitAgt-N /.u I-iilicik
l!)00. Hcrlin 1910, S. 208, 209. - Zuraoroiwutisoli. Kai t<>nfra(jc. liit.-m. Aivhiv f. Pli.itogi-aminclric 111.
Wien 1911/12, 8.34.
■ II. Fisch.-!-. a.a.O., S. 73.
33ß IMi; L:ui(lk:irti' iiint ilii- L:i,nci)l;in.
der Schulwandkarte nicht bloß das von ihr gebrachte Bild des betreffenden Landes
deutlicher und ruhiger ist, sondern vor allem sich leichter und dauerhafter dem Geiste
des Schülers einprägt.^ Gehen bei Ivnttn kleinern Maßstabs oft die Ansichten über
Notwendiges und Überflüssiges aiisiinander, so ganz besonders bei den Schulwand-
karten. Scheinbar Entbehrliches ist nur dann zu verwerfen, wenn es wirklich Wich-
tigeres verdecken würde. Dem einsichtigen Kartenzeichner wird es soll ist Bedürfnis
sein, die Land-, Schulwand- und Schulkarten vor tJberfüllung zu bewahren und
insbesondere die Terrainbilder behufs leichtern Verständnisses möglichst einfach
zu gestalten (C. Vogel). Die Schulwandkarten jedoch zu einfach zu gestalten, halte
ich mit Fr. Simony nicht für wünschenswert^, ebenso nicht, einer neuerdings mehr-
fach geäußerten, auch hier bereits erwähnten pädagogischen Forderung zu huldigen,
daß die Schulwandkarte nicht mehr wie die entsprechende Schulhand- oder Schul-
atlaskarte enthalten soll; das Papier ist ja für derlei Forderungen geduldig, in Wahr-
heit sieht es doch anders aus! Alle Schulkarten sollen mehr Einzelheiten enthalten
als beim Unterricht erörtert werden kann, und die Wandkarten wiederum mehr als die
Atlaskarten. Ich spreche hier nur ganz allgemein von Schulwandkarten. Wieweit
auf diesem Gebiet deimoch Differenzierungen eintreten und die Karten ihrem Inhalt
der entsprechenden Unterrichtsstufe angepaßt werden müssen, ist heute wohl trotz
gegenteiliger Versicherangen noch ein ungelöstes Problem. Ich zweifle nicht, daß
es künftig einer gewissen Lösung zugeführt wird. Eine Volksschulkarte muß in-
haltlich anders als die für Eeal- und Handelsschulen generalisiert sein. Der wissen-
schaftliche Unterricht wird sich an einer guten Wandkarte, wie sie in Soliulcti
gebräuchlich, genügen und zur weitem Vertiefung Spezialkarten heranziehen.
178. Die qualitative GeueralisicniiiK. <l. i. Ilprausarliciteii und Hervorheben
bestimmter geographischer Objekte und Begriffe. Damit kommt ein drittes Moment
des Generalisierens zur Erörterung. Schon die Karten in den großen Maßstäben
1:20000 und 1:25000 fangen auf Kosten der Nachbargebiete mit dem Heraus-
arbeiten der Straßen an. Da das topographische Aufnehmen seither wesentlich
unter militärischer Aufsicht und nach militärischen Gesichtspunkten geschah, kann
die Betonung der ausdrücklichen guten Sichtbarkeit der Verkehrswege nicht ver-
wnmdern. Die Wegekarte kleinern Maßstabes wird sich lediglich mit den Verkehrs-
wegen befassen und den übrigen Kartenstoff mehr oder minder nebensächlich be-
handeln. In verschiedenen Atlanten und wissenschaftlichen Büchern finden sich
Karten, die die Eisenbahndichte der Vereinigten Staaten dadurch veranschaulichen,
daß sie auf einer Karte kleinen Maßstabes mit Küstenumriß und Staateneinteilung
sämtliche Eisenl)ahnstränge der Union in Bot bringen, wodurch ein leidhch instruk-
tives Bild erzeugt und der große Unterschied zwischen den Gebieten im S, 0 und W
der Großen Seen und der Felsengebirgsregionen klargemacht wird.' Bei der Sichtung
der einzebien Siedelungen wird man sich durch die öiedelungsdichte und den Typus
der Plinzellandschaften leiten lassen und ferner durch den Wert eines Ortes, den er
z. B. durch eine Heil((uelle oder wichtiges Mineralvorkommen oder durch eine in
■ H. Zoiidfi van: Allgeiuoiric Kaitciikmulo. Leipzig 1901. S. 186.
2 Fr. Simony: Über SchulwaiulkiuUn. Mitt. d. Geogr. Ges. Wien 18HI, S. 27(i--28:}. bps.
.S. 279, 282, 283.
' Vgl. ■/.. B. die Karte, Fig. 127 „Density of railway.s in the Unit«l States' in Ed waid van Dy ke
liohinson: (Vminicnia.l C4eograpliy. Cliicago-New York 1910.
der Nähe gelieferte Schlacht erhalten hat. Auf Siedluiigskarten hat E. de Martonne
(bei der Bei^iedlungskarte der Walachei) zur Ausscheidung und Kenntlichmachung
der städtischen Bevciikerung einen Reduktionsmaßstab dieser Art empfohlen, daß
nur ein Teil der Stadtbevölkerung im Verhältnis zur Oberfläche und zur mittlem
Dichte der Bevölkerimg in der Umgebung berücksichtigt wird. Die Reduktion muß
der Dichte der bewohnten Fläche in den kleinem und großem Städten Rechnung
tragen und ebenso der höchsten Dichte der rein ländlichen Gegenden. Diese Art
Generalisienmg wird sich natürlich von Land zu Land ändem.
Auf den topographischen Ül)ersichtskarten bis zum Maßstab 1 : "200 000 nehmen
wir wahr, daß ein Hauptgewicht auf die Darstellung von einzelstehenden Bäumen,
Fabriken, Gasthäusern, Schlössern. Rumen und Leuchttürmen gelegt ist. Rein
mihtärische Gründe (Orientierung!) sind dafür bestimmend. Läßt man auf klein-
maßstabigen Karten eine große Zalil von Hügehi weg, so wird man doch den baltischen
Höhenzug mit besonderer Liebe herausarbeiten. Auf der Karte 1 : 1 000000 kommen
selbst noch kleine Inselchen und Seen gut zum Ausdruck; beispielsweise auf der Karte
von Deutschland in 1:1000000 Helgoland neben den großem Insehi Scharhörn
und Neuwerk. Auf Karten in 1 : 12 000 000 sind letztere kaum angedeutet, während
Helgoland noch mit Signatur und Namen erscheint. Da ist die Bedeutung eines
kleinem geographischen Objekts einem größern gegenüber ausschlaggebend, wie schon
oben bei den Siedlungen angedeutet wurde. Inseln und Seen würden wegen ihrer
Kleinheit auf Karten kleinern Maßstabes verschwinden, wenn nicht ihre charakteristische
Anordnung in Reihen, Gruppen oder Schwärmen zu veranschaulichen wert wäre.
Schwerer noch als auf gewöhnlichen Landkarten ist das GeneraUsieren, das
Herausarbeiten besonderer Eigentümhchkeiten auf den erdphysikalischen und
kulturhistorischen Karten. Ihre Bearbeitung führt uns in die Arbeitsstätte
des Gelehrten. Bei einer Karte der Niederschlagsmenge Deutschlands etwa im Maß-
stab 1:9000000 oder 1:10000000 muß man die emzelnen Stufen so wählen, daß
besondere Charakteristika nicht verloren gehen. Weim man die Niederschlagsstufen
von 250-500, 500-750, 750-1000 und 1000-2000 üim wählt, unterscheiden sich
die verschiedenen deutschen Mittelgebirge nicht mehr nach ihrem Niederschlag; das
Erzgebirge empfängt soviel wie der Schwarzwald oder der Harz, und doch hat es
noch keine 1500 mm Niederschlag, während der Harz nahezu 1800 mm empfängt
und große Teile des südlichen wie nördlichen Schwarzwaldes an eine Niederschlags-
menge von 2000 mm heranreichen. Füi- das Wuppertal und seine an das fließende
Wasser gebundenen Industrien kommt bei einer Niederschlagstufe von 1000 bis
2000 mm die regenreiche Gegend zwischen Remscheid, Lüdenscheid und Gummers-
bach nicht zum Ausdruck. Die Karte ist alsdann zu sehr generalisiert. Die Nieder-
schlagsstufe von 1000-2ü()0nmi nuiß unbedingt, selbst bei einem Maßstab 1 : 10000000
in zwei Stufen, etwa lOOO-löOO und 1500— 2000 mm zerlegt werden. ^
179. Wort des (Jeneralisiprens. Für die geographische Deduktion spielt die
Generalisierung eine wichtige Rolle. Sie gibt mehr als das bloße Wort : ihre gesamte
' Vgl. hieran die Niedersclilagskaite von >Lttolo\iroi>a in 1 : 900000(1 in .Vndny^s Handatlas
(S. 29), die an dtiu belegten Mangel leidet, mit der Rogenkarte von Deutaolilnnd auf Onind lelin-
jiiliriger Beobachtungen, entworfen von G. Hellmann. Berlin 1906. 1: I8000(K). Hellnianu hat in-
folge de« großem Maßstabes mehr Stufen eingefilhrf; 400 r)00. .".OO-BOO. 600 7(K). 7(X1 800. 8tX> bis
900,900^1000, 1000-1200,1200-1400, 1400-1600,1600-1800, 1800-2000 und mehr als 2000 mm.
Eckorl , KartcnwiuvDücliaft. I. '■^'^
338 l'*!*' I'iuiflkai-ti' 1111(1 ihr Lageplüii.
Ausdrucksweise ist iviclicr und \ ollkouimuuer ah das Wort; sii- gibt in ihrer Art und
Weise immer eiu abgeschlossenes Bild. Das Wort kami zu ihrem Verständnis bei-
tragen, umgekehrt illustriert sie es vorteilhaft. Das Wort kaim nur in den Aus-
messungen genauere Werte geben, die wohl aus der generahsierten Karte abgeleitet,
geschlossen, aber nicht mathematisch genau abgegriffen werden können. In welchen
Eichtungen das Wort über der Karte steht, liegt auf anderm Gebiet und ist im ersten
Teil erörtert worden (§ 23).
Wenn die Donau oberhalb von Orsova bei Dol Milanovac etwas über 1900 m
breit ist und 10 km südlich von Altorsova auf 150 m zusammengedrängt wird und
östlich von Neuorsova wieder auf 1500 m imd breiter anschwillt, muß dies auf Karten-
bildern selbst bis zum Maßstab 1:4000000 zum Ausdruck kommen. Freilich, die
gegebenen Zahlenwerte wird man, auch bei einem Maßstab 1 : 1 000 000, nicht ab-
greifen können. Da versagt die Generalisier ung. Aber trotzdem muß sich diese
Eigentümlichkeit der Donau in guten Karten wiederspiegeln. Wir kloi^fen da wieder
liei dem Meister der GeneraHsierung, bei C. Vogel, an. Auf die von ihm herausgegebenen
Blätter von Österreich-Ungarn in Stielers Handatlas findet sich die Donauverengung
ausgezeichnet veranschaulicht, sowohl auf dem tJbersichtsblatt in 1 : 3700000 wie
den Spezialblättern in 1 : 1500000.^ Meßbare Werte kömien nur die topographischen
Übersichtskarten hefern, am besten in 1 : 300000 und noch größerm Maßstabe. ^
Bei der Wiedergabe der Flüsse wird man fast durchgängig bemerken, daß sie
beim Generalisieren an Breite gewonnen haben; insonderheit Schulwandkarten über-
treiben darin mit vollem Bewußtsein (pädagogische Gründe!). Daß die Generalisierung
umgekehrt verfährt und Ströme im Verhältnis zum Maßstab zu fein wiedergibt, ist
gewiß etwas Seltenes. So erscheint mir die Wiedergabe des Amazonas auf unsern
Handatlaskarten nicht ganz richtig. Wohl erreicht er nicht solche Breiten wie sein
Nebenfluß, der Eio Negro, dieser ist an manchen Stellen bis 50 km und mehr breit,
aber dennoch weist er im Unterlauf östlich von Obidos ähnlich ansehnliche Breiten
auf, daß ihn Eeisende mit Landseen, dem Bodensee, vergleichen, und die Anwohner
ilm Eio Mar, „Meerfluß", nennen. Von dieser Gewaltigkeit des Stromes geben uns
selbst die besten Karten unserer Handatlanten kein genügend anschauliches Bild,
^lüßte auf solchen Karten nicht auch das gesamte Überschwemmungsgebiet, das
jährlich regelmäßig in der Enchente, der Hochwasserzeit, überspült wird, irgendwie
gekennzeichnet werden?
Dadurch, daß durch das Generalisieren nach vorgeschrieliener Zweckbestimmung
bestimmte Objekte auf Kosten der andern herausgehoben werden, hat es einen hohen,
veranschaulichenden Wert. Es zeigt die Objekte nicht aneinander gereiht, sondern
ineinander verarbeitet und vermittelt. Es weckt dadurch Ideenverbindungen, die
der geographischen Weiterarbeit von großem Nutzen sind. Es ermöglicht, was oben
durch die Deduktion angedeutet ist, aus allgemeinen Fällen immer wieder auf be-
sondere Erscheinungen zu schließen. Es lehrt den Wert einer Karte sowohl ein-
zuschätzen wie zu erschließen; denn jede einzelne Stelle auf der Karte muß, wie
C. Vogel sagt, ihre Begründung in sich selbst tragen und mit andern Partien und
der generellen Haltung des Ganzen harmonieren.
' In Debes Handatlas zeigt die Übersichtskarte von Östeneich -Ungarn 1:2750000 (Nr. 26)
die Donauverengiing, merkwürdigerweise nicht die Karte von Ungarn 1:2000000 (Nr. 26a.).
" Vgl. Karte der Donau von ihrem Ursprung bis an die Mündung. 1: 300000. 16 Sektionen
auf 9 Blättern. 2. Aufl. Wien, Pest, Leipzig. A. Hartlebens Verlag, s. a.
Kartciiselirift unil Kartiniiaincn. 339
Die Geueralisierung schärft das Auge; uiid wer mit kartographischem Auge
sehen gelernt hat, wird leicht erkennen, welcher Wert einer generalisierten Dar-
stellung innewohnt. Bei aUem Wert der generaüsicrten Karte muß jedoch vor dem
Generalisieren bis zum Äußersten gewarnt werden. Manche geographische Bedeutung
wohnt bloß in speziellen Begriffen, und wenn diese auf Karten kleinem Maßstabes nicht
mehr darstellbar smd, dann lieber ganz auf die Karte verzichten.^ So sind sehr klein-
maßstabige geologische oder wirtschaftsgeographische Übersichtskarten für den
wissenschaftlich arbeitenden Geographen nur bedingt wertvoll, wenn nicht ganz
überflüssig.
Auf kemem Gebiet der Kartographie ist mehr Einsicht dem Kartenhersteller
und mehr Vorsicht dem Kartenbenutzer geboten als auf dem der Generaüsierung.
Diese ist gemeinhin das Kriterium guter und brauchbarer Karten. Also Maßstab,
Kartenfirma sind noch nicht für die Güte der Karte maßgebend. So wäre es irr-
tümlich, anzunehmen, daß die offiziellen topographischen Übersichtskarten und
die von selten der Eegierung herausgegebenen Karten kleinem Maßstabs durchaus
auch die best generahsierten sein müßten. Gerade dieser Punkt liedarf noch einiger
aufklärender Worte. ^ Wie die Topographen der verschiedenen Landesaufnahmen
jahraus, jahrein stets in einem ganz bestimmten Maßstab aufnehmen, und es ihnen
schwer fällt, plötzUch in andern Maßstäben zu arbeiten', so auch die Kartographen
der Landesaufnahmen, die sich mit der kartographischen Verarbeitung des topo-
graphischen Aufnahmematerials befassen. Die Landesaufnahmen und andere
Kegierungsinstitute, die Karten aufnehmen, leiden an chronischem Mangel gut ge-
schulter Kartenzeichner für chorographisehe Karten und topographische Übersichts-
karten kleinern Maßstabes. Darum überläßt man die hierhergehörige Arbeit zumeist
Privatanstalten. Und doch liegt es im Staatsinteresse, genaue, gute und schöne
Übersichtskarten von der Heimat sowohl wie von den Kolonien zu haben. Im Liter-
esse der Vaterlandsliebe sowohl wie des Unterrichts müßte jede Eegierung neben
ihrem Korps topographischer Zeichner einen Stab gut geschulter General- und Land-
kartenzeichner besitzen oder sich nach dieser Richtung hin mehr als bisher mit be-
währten, leistungsfähigen Privatanstalten in Verbindung setzen."* Hier haben neue
Zeiten neue und dankenswerte Aufgaben zu erfüllen.
IV. Kartenschrift und Kartennamen.
180. Die Karlensehrift und ihre Entwickiun:;. Verschiedene .\utoren fassen
Kartenschrift und Kartennamen als identisch auf. Ich halte beides prinzipiell aus-
einander. Beide sind hinsichtlich ihres Wertes als Kartenbestandteil ein viel um-
strittenes Objekt. Wenn wir die Entwicklung der Karten bis zu iiiren Uranfängen
1 Vgl. A. Hettner, a. a. O., S. 22.
* Vgl. oben (S. 35.5) M. Gas-sers Untersiuliung über tlon Fiihalt der Karten I : l(H)tKH1. 1 : 2tlO(Hm
11. 1 : .300000, die noch dureh viele andere älinlielie Verglcieho zu prüfen und zu erweilom war»-.
' So hat es sich im Weltkriege gezeigt, daß Topographen, die ein bis zwei Jahrzehnte in dem
Maßstäbe 1 : 25000 aufgenommen haben, mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, wenn sie plötzlich
in 1 : 11)1)00 aufnehmen sollten. Hinwiederum konnten die, die von Haus aus die Aufnahmen in 1 : 5«)0
oder 1: 10000 gewohnt waren, zunäclist nicht gut in 1:25000 arbeiten.
' Vgl. H. Habenieht: Atlas Colonial Portugues, ediv;"io ivduzida. Ministerin da Mnrinim e
Lltraiuar. Commissäo de Cartogmphia. P. M. 19W. LB., S. 159.
340 r>>'' I^iuidkaitc und ihr Lagiplan.
zurückverfolgeu, zeigen die ersten scliwäehliclicn kiirlogniphischen Versuche wenige
oder auch keine Namen, aber schon friihmittelalterhche Karten sind mit Namen
angefüllt. Namenlose Karten sind für ältere Zeiten nur sporadische Erschemungen.
Erst die neuere Zeit hat wieder namenlose Karten, d. h. Karten ohne Schrift, in die
Öffentlichkeit gebracht.
Zur Schreibung der Kartennamen bedient man sich der Lateinschrift oder der
,, Antiqua". Sie ist heute die ausschließlich angewandte Kartenschrift und umfaßt
wiederum zwei Schriftklassen, die „Eotundschrift" einerseits und die „Kursivschrift"
andererseits. Beide Schriftklassen können nun je nach Lage der Längsachse der
Einzelbuchstaben stehend (d. h. Längsachse vertikal), vorwärts- oder rückwärts-
liegend geschrieben werden. Die einzelnen Worte setzen sich entweder nur aus großen
Buchstaben oder „Majuskeln" zusammen oder aus großen und kleinen, den Majuskeln
und „Minuskeln", ganz unserm gewöhnlichen Schriftgebrauch entsprechend. Die
Anwendimg lediglich von Majuskeln für die Namen von Ländern und Meeren ist heute
noch gebräuchlich. Für die Schulkarten ist seit einigen Jahren endlich mit dieser
Art Schriftbezeichnung (der Kapital- oder Versalschrift) aufgeräumt worden. Für
die Jugend sind die Namen in Majuskehi immer schwer zu lesen. Mehr wie auf
deutschen Karten finden wir auf französischen, ganz besonders auf englischen die
Schreibweise in Majuskeln. Aber auch da wird sie in neuerer Zeit zurückgedrängt.
181. Der Kartenstil. Die genaue und schöne Wiedergabe der lateinischen Buch-
staben ist eine Kunstfertigkeit, die nur geübte Schriftzeichner beherrschen. Es hat
lange gedauert, ehe in Deutschland eine gute Kartenschrift gestochen wurde. Als
August Petermann aus England zurückgekehrt war, klagte er über die deutsche
Kartenschrift und hebt späterhin noch hervor, daß sich die kartographische Kupfer-
stecherkunst in Deutschland auf einer niedrigen und stagnierenden Stufe befindet,
,,weil es meistenteils am Verständnis des Zeichnerischen und Kartographischen fehlt,
und ganz besonders an einer richtigen, sachgemäßen Schulung".^ An anderer Stelle
heißt es: ,,Die deutschen geographischen und kartographischen Bestrebungen, die
jetzt mehr als je ehrenvoll in der Welt dastehen, verdienen es wohl, ja gebieten es
sogar, daß ein einheitlicher Kartenstil, womöglich nationalen Gepräges, wie z. B.
in England und Frankreich, wenigstens für die Schrift und andere Hauptsachen,
ausgebildet und festgestellt werde, und daß ihm nicht die individuellen Geschmacks-
richtungen der einzelnen Kupferstecher und Lithographen im Wege stehen." Durch
sein Wirken in Gotha ist die deutsche Kartenschrift reformiert worden. Er wurde
,,der Begründer eines einheitlichen, auf erprobten Eegeln fußenden typischen Karten-
stiles für Deutschland". 2 In C. Vogel und E. v. Sydow fand er die getreuen Mit-
arbeiter, den deutschen Kartenstil herauszuarbeiten und zur Geltung zu bringen.
E. Debes, einer der Schüler Petermanns, hätte die Ideen seines Meisters sorgsam
weiter gepflegt, und so wurden die von ihm herausgegebenen Karten, ganz gleich
ob Schul- oder Atlaskarten, in der Schrift mustergültig für ähnliche Arbeiten. Ober-
flächhch erscheinen die Schriften der einzelnen Kartenwerke einander ähnlich, in-
dessen hat bald wie jedes Land auch jeder Kartograph seinen Stil (wie auch die
Schriftsteller).
A. Petermann: Die Sonne im Dienste der Geographie und Kartographie. P. M. 1878,
E. Weller, a. a. 0., S. 194.
Kartonsohriff und Kartennamon. 341
Die offiziellen Kartenwerke lassen nicht minder eine Entwicklung der Karten-
schrift erkennen. So hat z. B. auf dem zuletzt herausgegebenen großem offiziellen
Kartonwerke, auf der Topographischen Übersichtskarte des Deutschen Reichs
in 1 : 200000, die Schrift trotz des kleinem Mußstabes gegenüber den Meßtischblattern
und der Karte des Deutschen Reiches an Schönheit und Klarheit gewonnen. Selbst
auf den englischen Kartenwerken des vergangenen Jahrhunderts kann man einen
kleinen Fortschritt in der Schrift beobachten, insofern in den letzten Jahrzehnten
die Schrift nicht so zart wie ehedem gehalten wird und etwas mehr Nachdruck erhält.
Sonst unterscheiden sich die guten englischen Kartenschriften von heute kaum von
denen vor achtzig und mehr Jahren. Nachdem sich der Engländer im Anfang des
19. Jahrhunderts eine elegante, zarte Antiqua angewöhnt hatte, entsprach es seinem
konservativen Charakter, die Schrift möglichst beizubehalten und wenig zu ver-
ändern. Es ist ein Genuß, die Karten, die aus der großen geographischen Anstalt
von John Bartholomew in Edinburgh hervorgegangen sind, auch nach der Schrift-
seite zu betrachten. Trotz der Kleinheit, mit der viele Namen geschrieben sind,
kann man sie gut lesen.^ Die Nordamerikaner, die von England die Kartenschrift
geerbt haben, zeigen schon vor der Mitte des 19. Jahrhunderts Karten mit sauberer,
eleganter Schrift, wie auch die Franzosen. Das eigentümliche Gepräge, das die Öster-
reicher ihren Generalstabskarten zu geben verstehen, drückt sich insbesondere bei
der Anwendung der Schrift aus, die der Schrift der deutschen Generalstabskarten
gegenüber in Gattung, Größe und Haltung verschieden und im allgemeinen etwas
größer und in den Haarstrichen stärker gehalten ist, was man vom Gesichtspunkt
der leichtern Lesbarkeit als einen Vorzug anerkennen muß, allerdings auf Kosten der
Namengebung bzw. Namenunterdrückung für verschiedene Objekte, damit die Karte
nicht überladen wird.
182. Antiqua und Fraktur. Die Antiqua bcgmnt die Kartenschrift erst zu be-
herrschen, als G. Morcator, der zu s'Hertogenbosch im Hause der Brüder vom
gemeinsamen Leben unter Georg Marcopedius seine Vorbildung für die Universität
genoßt, von den Brüdern, die angesehene Kalligraphen waren, für die lateinische
Kursivschrift so begeistert worden war, daß er im Jahre 1540 zu Löwen ein kleines
Heft von 27 Quartblättern Umfang herausgab: ,,Literarum latiuarum, quas Italicas
cursoriasque vocant, scribendarum ratio." Dadurch wurde Mercator ein eifriger
Anwalt der Kursivschrift gegenüber der sonst auch üblichen Frakturschrift. Seinem
Einfluß und Vorbild ist es zuzuschreiben, daß in Deutschland für die Karten seit
der zweiten Hälfte des IG. Jahrhunderts die lateinische Schrift ausschUeßlicli in
Anwendung gekommen ist. Zu den Zeiten Mercators tritt die deutsche Fraktur viel-
fach verschnörkelt oder klobig im Druck auf, daß Morcator die lateinische, Kursiv-
schrift als eine wesentUch klarere Schrift empfand, die der Lesbarkeit des Karton-
liildes, das durch allerhand Linien und Signaturen schon an sich reich belastet ist,
zugute kam.' Zu Mercators Zeiten finden wir noch äußerlich korudeutsche Karten,
' Ein Mustor dieser Art ist z. B. die „Orographical map of Scotland" in 1 : 6,33600. Vor allem
aber vgl. man „The Survey-Atlas of England & Wales", hg. 1903 von J. Ci. Bartholomew in Edin-
burgh.
^ VV. Wolke nhaucr: Aus der Ge.s<hichtc der Kartographie. Deutsehe Gcogr. Bl. XXXIII.
Bremen 1910. S. 240.
'■' Was die doutsoho Fraktur damals zu viel hatte, hat sie in den achtziiier und neunziger Jaliifii
des 19. Jahrh. zuweilen auch heute noch zu wenig. 1803 lesen wir in ,4X>u Oruuzbutvu", IV, S. 335:
342 r)ic I-Miidkaitr und ihr Lagui.liin.
d. h. Karten mit deutscher Schrift und deutscher Orts-, Landschafts- und Länder-
bezoichnung, wie J. Stumpfs Karte von „Teutschlandt" in dessen „Schwyzer
Chroniiv, das ist Bescln-eibung gemeiner löbHcher Eidgenossenschaft", Zürich 1548.^
Die Deutschlandkarte in Hartmann Schedels ,, Nürnberger Chronik" von 1493
ist der Ersthng, der auf deutschem Landkartengebicte zum deutschen Volke über
dessen Land in deutscher Sprache und Schrift spricht. Mittelalterlichen Weltkarten,
sog. ,,Eadkarten", ist die deutsche Fraktur eine willkommene Zierschrift. ^ Auf den
Eeisekarten von Etzlaub sind die Ortsnamen durchweg deutsch geschrieben. Die
deutschen Karten in Holzschnitt während der Eenaissance tragen meist deutsche
Namen, während der Kupferstich, der zunächst in Italien gepflegt wurde, die latei-
nische Kursivschrift anwandte.
183. Die Handhabung der Kartenschrift im allgemeinen. Die Schrift soll die
Deutlichkeit des Kartfubildes nicht beeinflussen, das Kartenbild möglichst schonen.
Um das zu erreichen, muß das Arrangement der Schrift wohl durchdacht, d. h. die
richtige Auswahl von Schriftgattung, Größe, Stärke und Stellung der Lettern ge-
troffen werden; denn die Karte soll in allen ihren Teilen klar, lesbar und schön sein.
Die Schrift insonderheit ,,soll möglichst geschmeidig und leicht, aber klar und spielend
lesbar sein".^ Eine unpraktische Schrift kann selbst die beste Karte verderben.
Infolgedessen hat die Schrift eine außerordentlich schwere Aufgabe zu erfüllen. Für
sie einen besondern Eaum auf der Karte und zwar auf Kosten der Situation oder
der Geländezeichnung auszusparen, hat sich nicht bewährt. Man hat auch die Namen
auf kleine Zettel geschrieben, die auf Karten oder Globen aufgeklebt wurden. Paul
Dax, der größte und fruchtbarste Tiroler Kartograph des 16. Jahrhunderts, hat
auf seinen schönen Tiroler Karten die Namen von schmalen, rechteckig gezeichneten
Vignetten umrandet oder auf angeklebte schmale Papierzettelchen geschrieben*,
eine Methode, der man vereinzelt auf Eeliefs bis zur Gegenwart begegnet.
Auf die Schrift wurde in altern Kartenwerken nicht selten mehr Wert und
Fleiß gelegt als auf die andern Kartenzeichen. Die Blütezeiten kartographischer
Kunst an französischen, englischen, italienischen, österreichischen und deutschen
Höfen finden wir gleichsam in der Schrift sich widerspiegeln. Auf die Anfertigung
der Überschriften, zumeist innerhalb des Kartenrahmens, wurde besondere Mühe
„Aber unsere Prakturlettem sind jetzt degeneriert und in GJefahr, dem Schicksal des Suppenkaspers
zu verfallen, so fadendünne Gestalten gehen aus den modernen Schriftgießereien hervor. Da ist's kein
Wunder, wenn viele die rundere, noch leichter lesbare Antiqua vorziehen."
' S. Rüge: „Ein Jubiläum der deutschen Kartographie". Globus LX. 1891, S. 7.
* z. B. auf dem farbenprächtigen Orbis e codice 1417, Pomponii Melae, Biblioth. rhemensis
(Reims). Auf die Zierschrift der Karten kann ich nicht weiter eingehen, sie bildet ein Kapitel für sich.
Für sie ist besonders in den Manuskriptkarten viel Fleiß und Pracht verschwendet worden, selbst noch
in spätem Jahrhunderten, wenn es sich um einzelne bevorzugte Kartenexemplare handelte; so wurden
z.B. in der „Carte topographique des cötes de Catalogue de la Selve ä. Barcelona", hg. von Pene,
1680, die Buchstaben der Meeresnamen mit echtem Gold ausgelegt. [Die'Karte befindet sich in dem
Serv. Hydrogr. zu Paris, Manuskriptkarten Nr. 25.]
3 S. Simon: Alpine Plaudereien eines Kartographen. Z. d. D. u. Ö. A.-V. Berlin 1893, S. 388.
■* Vgl.A. Feuerstein: Die Entwicklung des Kartenbildes von Tirol bis um die Mitte des 16. Jahrh.
In der „Festschrift dem Deutschen Geographentag bei seiner XVIII. Tagung Pfingsten 1912 zu Inns-
bruck gewidmet von der Geogr. Ges. in Wien". Wien 1912. Schade, daß die den Untersuchungen
Feuerstein.s beigegebene ältere Karte des Achentais und des bayrisch-tirolischen Grenzbezirks von
Paul Dax aus dem Jahre 1.544 nicht farbig reproduziert werden konnte.
Karteiischrift und Karteiiimmcn. 343
und Kunst verwandt. Die Überschrift wird jetzt bedeutend einfacher und nüchterner
gehalten. Immerhin wird darauf geachtet, daß die Hübe der Titelbuchstaben in einem
angemessenen Verhältnis zur Größe der Karte steht; das erreicht man, wenn man sie
proportional der Quadratwurzel aus dem Flächeninhalt der Karte macht. Für das
gewöhnliche Kartenformat hat A. Fretwurst als ein passendes Maß nach der Formel
h = 2,1 Vi vorgeschlagen 1, worin h = Höhe der Buchstaben in MilUmeter und
I = Inhalt der vom Kartenrande begrenzten Papierfläche in Quadratzentimeter
ist. Für die Kartographen ist die Formel weniger bindend als für den Kartenzeichner
rein technischer Zwecke; die erstem haben in der Schriftzeichnung empirisch mehr
gelernt als durch Vorschriften. Nur bezüglich des Verhältnisses von kleinen zu großen
Buchstaben hat sich eine bestimmte Norm gebildet, insofern das Verhältnis von 3 : 5
als richtig, das von 2 : 3 als angängig und von 1 : 2 als falsch gilt.
Ein Meister in der Kartenschrift war Bruno Hassenstein, nicht bloß in der
Auseinanderhaltung von Abstufungen der Größe, um verschiedene Objekte aus-
zudrücken, sondern auch in Anpassung an das Gelände. ,,Es entsprach Hassensteins
Natur, die unvermeidhche Schrift ästhetisch-wissenschaftlich in das Kartenbild
einzupassen."^
184. AVertscheidung der geographischen Objekte durch Größe, Stärke, Art, Stellung
und Farbe der Schril'tzeicheu. Die Schrift, die an sich etwas Sprödes und Starres
hat, sucht sich den andern Kartenelementen anzupassen und anzuschmiegen, um
so etwas Geographisches zu gewinnen, was ihr von Haus aus fremd ist. Auf diese
Weise unterstützt die Kartenschrift die Wertscheidung verschiedener geographischer
Objekte. Der Schrift stehen vier Mittel zur Verfügung, um Begriffe und Wert-
verhältnisse zu unterscheiden: Größe und Stärke, Art, Stellung und Farbe der Buch-
staben.
Durch die Größe und Stärke der Schriftzeichen die Bedeutung der geo-
graphischen Objekte hervorzuheben ist eine altbewährte Methode. Auf der Charta
Flandriae vom Jahre 1538, die also zwei Jahre früher als Mercators Vierblattkarte
von Flandern erschienen und einen gewissen Torrentinus zum Verfasser hat*, werden
die Ortschaften der Größe nach durch die Beschriftung und den Geländekomplex
unterschieden. Auf den drei offiziellen deutschen Hauptkartenwerken sind für die
Ortsnamen elf verschiedene Schriftgrößen vorgesehen worden, um von der Regierungs-
stadt die Kreisstadt, Landstadt, das Dorf usw. zu unterscheiden. Ein ähnUches
Prinzip zeigen die ausländischen offiziellen Kartenwerke: es wird jetzt auf allen Karten
angewandt. Die Bedeutung der Schrift für die Ortsunterscheidung hat H. Wagner
zu dem Ausspruch veranlaßt: ,,Die Schrift und nicht das Ortszeichen soll heute zum
Auge sprechen."'' Nur bedingt unterschreibe ich diesen Satz.^
* A. Fretwurst: Die Kartenschrift, Anleitung zum Schreiben derselben für kartopnipliischc
und technische Zwecke. Stuttgart s. a., S. 7.
- Vgl. Fr. Ratzeis Biographie über Bruno Hassenstein. P. M. 1002, S. 4.
» Eug. Traeger: Eine Karte von Flandern vom Jahre 1538. P. M. 1894, S. 90 92.
« H. Wagner: Lehrbuch a. a. O.. S. 885.
'^ Mit der Schrift lediglich nur Stadt, Marktflecken u. Dorf 7,u untoineheiden. ist kaum zu emp-
folilon, da bei diesem einfachen Unterscheidungsprinzip die Städte mit ihren großen Unterschii>den
bezüglich der Einwohnerzahl zu schlecht wegkommen. Dazu vgl. KoMstka i. d. Bosprechg. von
.1. E. Wagners Oeneralkarte des Königreichs Böhmen. Geograph. .lahn-sber. IIb. 0»t«>rreieh. II,
1895. Wien 1898, S. 170.
344 Ttic Lnnilkarte und ilu- I.agciiliui.
Die Meeresteile werden je nach der Größe in verschieden abgestimmter „offenen
oder Hohlschrift" dargestellt bis hinab zu den kleinen Buchten, für die man die Haar-
schrift vorzieht. Die Hauptflüsse, die Hauptgebirge werden in größern und auffälligem
Buchstaben geschrieben als die Nebenflüsse und kleinen Hügelketten. Der Name
einer Volksrasse erscheint in größern Lettern als der für die kleinen Volkssplitter,
die von jener noch nicht absorbiert sind. — Zuletzt spricht der Maßstab das aus-
schlaggebende Wort für die Schriftgröße.
Ein eigenes Prinzip in der Beschriftung für Ortschaften bringt der groß angelegte
Grande Atlante Internationale del Touring Club Italiano zur Durchführung. ^ Die
Ortsignaturen entsprechen wohl den Einwohnerzahlen, die Größe der Schrift hingegen
richtet sich nach der Wichtigkeit des Ortes. Diese Trennung ist bisher noch in keinem
Kartenwerk von Bedeutung durchgeführt worden. Zweifellos werden dadurch für
den Kartenleser unklare Schematisierungen vermieden, an denen die Atlanten in
der althergebrachten Beschriftung, wo die Schrift gleich den Ortszeichen nur der
Einwohnerzahl nach klassifiziert wird, kranken. Da tritt z. B. ein Seehafen, der
weniger Einwohner hat als ein anderer Ort mit wenig mehr Einwohnern ohne jede
Wichtigkeit, zurück oder unterscheidet sich nicht. Derartigen Mißständen will die
italienische Schreibweise begegnen. Das ist sicherüch ein guter, vernünftiger und
fortschrittlicher Gedanke, wenn auch nicht in Abrede zu stellen ist, daß es oft sehr
schwierig sein wird, die Bedeutung eines Ortes, die wirtschaftlicher, administrativer,
wissenschafthcher, künstlerischer, historischer, bahneologischer Natur sein kann, richtig
abzumessen. Wir wollen die italienische Art und Weise der Schriftunterscheidung
kurz die kulturhistorische nennen.
Durch die Schriftart, den Duktus, können begriffhche Unterscheidungen
getroffen werden. Durch Bund- oder Eotundschrift werden auf österreichischen
offiziellen Karten großen Maßstabes die orographischen Elemente bezeichnet. Die
ItaUener, die bei den Österreichern in die Schule gegangen sind, haben diese Art Be-
zeichnung für ihre Generalstabskarte übernommen und die Karten 1 : 25000 in der
alpinen Gegend sind den österreichischen ebenbürtig. Die Karte 1 : 100000 trägt
gleichfalls die Kundschrift für die Berge, strebt aber im übrigen Schriftduktus nach
größerer Klarheit als die ältere österreichische in 1 : 75000. Im allgemeinen ist es
nicht zu empfehlen, verschiedene Schriftarten auf ein- und derselben Karte zu ge-
brauchen, da ein Wechsel des Duktus auf Karten kleinern Maßstabes die Über-
sichtlichkeit und Klarheit nicht erhöht.
Die Stellung der Buchstaben erlaubt gewisse begriffliche Unterscheidungen.
Eückwärtsliegende Schrift deutet ledighch auf Flüsse. Die Buchstaben müssen sich
möglichst dem Plußlauf anschmiegen und so verteilt sein, daß kein Irrtum wegen
Ursprung und Mündung, Haupt -und Nebenfluß entsteht. Punkt 7 der Eesolutionen
der Londoner Weltkartenkonferenz (1909) bestimmt ausdrücklich, daß schrägstehende
Schrift, wie bisher vielfach übhch, für die hydrographischen Elemente der Weltkarte
anzuwenden ist. Vorwärts liegende Schrift wird auf den offiziellen Kartenwerken
zur Bezeichnung von Dörfern ohne Kirche, von Vorwerk oder anderm größern Gehöft,
von kleinen Gehöften, überhaupt von Gegenständen von geringer Bedeutung, wie
Hünengräbern, N. P., Kgr. usw. gebraucht. In ausgiebiger Weise wendet man für
* Grande Atlante Internationale del Touring Club Italian(j. Nota per TVIII C'ongresso Geo-
grafico Italiano. Firenze 1921, S. 22, 23.
ivartenschntt und Kartennamen. 34g
mittlere und kleine geographische Objekte die topographische Kursivschrift in den
Handatlanten und auf Handkarten an. Ihre Anwendung ist auch auf Manuskript-
karten wegen großer Deutlichkeit und Gedrängtheit der gewöhnlichen Antiqua ent-
schieden vorzuziehen.!
Auseinandergezogene Schrift wird zur Flächenbezeichnung benutzt. Da
bei der Stellung der Kartennamen noch einmal davon gesprochen wird, will ich mich
hier kurz fassen. Wenn bei der auseinandergezogenen Schrift die Buchstaben der
Längsachse eines Objektes folgen, soll nach Zöppritz darauf geachtet werden», daß
der Zwischenraum zwischen zwei Buchstaben gleich der doppelten Buchstabenhöhe
ist. Zondervan hat dem schon entgegengehalten», daß die Entfernung der Buch-
staben nicht allein von deren Höhe, sondern auch von der Dicke, Farbe, Umgebung,
sowie von der Schriftart bedingt ist. „Denn oft genug stellen sich einem geplanten
Schriftzuge Objekte in den Weg, die unter kernen Umständen dem Flächennamen
zuhebe fortgelassen werden können, so daß eine vöUig neue Anordnung zahlreicher
Namen an einer Stelle erforderlich wird. Auch hierfür bieten besonders die Karten
der Handatlanten Beispiele von Schriftdispositionen, die geradezu als klassisch zu
bezeichnen sind."*
Begriffhche Scheidungen durch die Farbe der Buchstaben auszudrücken,
sofern es sich nicht um Manuskript karten handelt, ist nur dem Vielfarbendruck der
Neuzeit möglich. Die Beispiele hierfür sind nicht zahlreich. Daß die Fluß-, See-
und Meeresnamen mit blauen, die Isohypsen und Gebirgsbenennungen mit braunen,
die Wälder- und Wiesenbezeichnungen mit grünen Lettern gedruckt werden, ist ein
logisches Prinzip, indessen recht kostspiehg und erfordert viel Geschick und Kenntnis
im Aufbau der Karte.s Die Übersichtskarte von Attika in 1:100000 (1903) von
J. A. Kaupert bringt Schrift und Situation in mattem Unterdruck, wodurch die rot
eingedruckten antiken Benennungen (nach A. Milchhöfer) um so deutlicher hervor-
treten. Die Namen in der gleichen Farbe wie die Gegenstände, die sie bezeichnen, zu
geben war Punkt 9 der „Eesolutions and Proceedings" des Internationalen Weltkarteu-
komitees zu London (im November 1909, veröffentlicht London 1910). Ob die Welt-
karte die ganze vorgesehene Farbenpoesie wird innehalten können, bleibt noch ab-
zuwarten. Die neuen, von England herausgegebenen Blätter der Weltkarte, die
Deutschland mit umfassen, sprechen noch nicht dafür. Die Blätter sind allerdings
nur als provisorische aufzufassen, da sie keine Gebirge enthalten, wohl deren Namen
im Schwarzdruck der Situationszeichnung. Die Gebirgsnamen müßten konsequenter-
weise nach Punkt 9 in Braun erscheinen.
185. Wescu und Aiil;;alic dt-r Kiulciiiiamon. Sieht man die Karte auch als ein
Kunsterzeugnis an, das ästhetisch m hohem Grade befriedigen .kann, so sind und
' K. Zöppritz: Leitfaden der Kartencntwiirf.slehre. Leipzig 1884, S. 153. - Xeiiaufl. von
A. Bludau. n. Leipzig 1908, S. .'{3, 37, 38. Das Studium des gesamten Kapitels über die ..Karten-
schrift" bei Bludau, S. 30—40, ist sehr zu empfehlen.
^ K. Zöppritz, a. a. O., S. 154.
•■• H. Zondervan: Allgemeine Kartenkunde. Leipzig 1901, S. 174. 175, Ann\.
' A. Bludau, a. a. ()., S. .39.
^ Auf der „Scliulwaudkarte des Kantons Bern", einer priiohtlgen Kart«« in Schweizer Manier
(gemalt von Kümmerly u. gedruckt bei Kümmerly & Frey in Bern), sind die unwichtigen Ort« in
blassem Ilot gehalten u. ohne Xamen, die wichtigen dagegen nach d.in Orade ihivr Bedeutung dutxh
ein intensives Rot und durch ihre Namen lier\ orgehoben.
346 T>ii' LandUaite und ihr Lugeplan.
bleiben trotz der scbönsten Ausführung Wesen und Zweck der Karte wissenschaft-
lich. Sie ist kein Landschaftsgemälde eines Künstlers, das uns in Stimmung ver-
setzen soll, sie will zu uns von reinen, nackten Tatsachen reden, und wir wollen sie
benutzen, um uns über den dinglich erfüllten Raum richtige Vorstellungen zu machen,
um unser geographisches Wissen zu bereichern. Dazu gebraucht die Karte das Wort.
Jedes bodenständige Objekt bezeichnet sie mit einem charakterisierenden Namen.
Mithin ist der Name kein der Karte fremdes Element, sondern durchaus ein in-
tegrierender Bestandteil der Karte, wie auch H. Wagner hervorhebt.^ Viele
Stimmen sind laut geworden, die das Gegenteil behaupten und in der Schrift (= Namen-
gebung) eine erläuternde Zutat, ein „notwendiges Übel", C. VogeP, eine „unangenehme
Notwendigkeit", Cr. Steeb^, ein „fremdartiges Element", A. Hettner*, der Karte
erblicken. E. Friedrich nennt die Nameneinschreibung auf der Karte einen „Not-
behelf", eine Konzession an den beschränkten Menschengeist, dem sie für die Unter-
scheidung der verschiedenen unter einem Begriff zusammengefaßten und darum mit
demselben Darstellungsmittel wiedergegebenen Objekte zu Hilfe kommen will.^ Mit
dem Für und Wider wird jedoch das Wesen der Namengebung nicht erschöpft. Zu-
nächst ist es eine große Selbsttäuschung, wenn man sie als fremdes Element der
Karte betrachtet. Auch H. Haack stimmt dem bei.« Sie gehört ebenso zur Karte
wie die Signatur. Jeghche Signatur, nicht bloß Kartensignatur, will Begriffs- und
Wertimterschiede zum Ausdruck bringen. Dazu bedarf sie des erklärenden Wortes.
Die Karte hat nun darin einen Vorzug, daß sie die Interpretation großenteils selbst
gewähren kann. Die Kartenschrift bzw. Namengebung gibt der Karte Leben und
Sprache und ist der Schlüssel zu ihrem Verständnis. Darin stinmie ich mit H. Fischer
ganz überein. ]\Ieiner ]\Ieinung nach hat er das Wesen der Kartenschrift am richtig-
sten erfaßt; seine Ausführungen, die er zu dem Werke „Zu Friedrich Eatzels Ge-
dächtnis" beigesteuert hat^ sind in jeder Weise beherzigenswert.
Die Meinungsverschiedenheiten über den kartographischen Wert der Schrift
haben offenbar ihren Ursprung darin, daß man noch nicht gelernt hat, den Grundzug
der Karte als einen durchaus wissenschafthch-technischen aufzufassen. Wenn
E. Friedrich daraus einen Vorwurf konstruieren will, daß der Menschengeist be-
schränkt in der Auffassung sei, setzt er die Problemlösung auf em totes Gleis. Denn
das ist eine allgemeine, längst bewiesene psychologische Tatsache, daß man vielerlei
Wahrnehmungen (Anschauungsbegriffe) mittels des Auges nicht mit einem Male
(>rfassen kann : der menschliche Geist bedarf eines Führers, der ihm das Zurechtfinden
unter der Anhäufung zahlloser Einzelheiten auf der Karte erleichtert, der sicher führt.
Das kann nur der Kartenname. Er wird zur unentbehrlichen Gedächtnishilfe. Des-
halb ist er unbedingt notwendig. Man darf darum die Schriftnamengebung nicht
an sich betrachten, da erscheint sie als fremdes Element, das dem Buche entnommen
1 H. Wagner: Lehrbuch der Geographie. 9. Aufl. Hannover u. Leipzig 1912, S. 239. — Vgl.
auch A. Bludau, a. a. O., S. 3L
"■ C. Vogel i. Aus allen Weltteilen. XII. S. 164.
3 Christian v. Steeb: Die geogr. Namen i. d. Mihtärkarten. Wien 1898, S. 1.
« A. Hettner: Die Eigeaschaften u. Methoden der kartogr. Darstellung. G. Z. 1910, S. 19.
■ E. Friedrich: Die Anwendung der kartographischen Darstellungsmittel auf wirtschafts-
geogiaphischen Karten. Leipzig 1901, S. 10.
« H. Haack in G. .T. 190:i/04, 8. :{95.
' H. Fischer, a. a. O., S. 69, 76.
Kartenschrift und Karteniiamcn. 347
ist. Dadurch jedoch, daß sie die glückliche Verbindung von Karte und Buch her-
stellt, erwächst der Geographie in der Karte ein Hilfsmittel, wie es andere Wissen-
schaften nicht haben. Deshalb das Streben anderer Disziplinen, sich ein derartiges
Hilfsmittel wie die Karte zu schaffen, wie wir es bei den statistischen Karten der
Nationalökonomie sehen oder sogar bei rein praktischen Betrieben.^
186. Die stumme Karte. Infolge vorstehender Erwägungen lasse auch ich die
sog. „stumme" oder ,, blinde" Karte nur. bedingt gelten, so in didaktischer Beziehung,
höchstens noch in ästhetischer. Es steht außer allem Zweifel, daß der brillante Ein-
druck eines Kartenbildes durch das gänzliche Fehlen der Schrift gehoben wird; und
es ist nur zu bedauern, daß Abdrücke unserer guten und gangbarsten Karten ,,avant
la lettre" nicht publiziert werden (zu Studienzwecken!). Finanzielle Gründe, die
für die Herausgabe stummer Karten ausschlaggebend wären^, bestehen heutigen
Tages kaum noch. Mit den genannten Einschränkungen ist der Wert abgetan. Auch
H. Wagner redet ihr nicht das Wort.' Der Standpunkt ist überwunden, daß der
stummen Schulwandkarte die Zukunft gehöre. Alsdann dürften die zahlreichen,
mit Namen bedeckten Wandkarten der großen Kartenfirmen des In- und Auslandes
in den letzten 10—20 Jahren, der Hauptveröffentlichungszeit von Wandkarten, nicht
erschienen sein. Coordes, ein namhafter Scbulgeograph, trat seinerzeit warm für
die stumme Karte ein.* Gegen ihn wandte sich bereits der praktische Eichard Leh-
mann^, und dessen Vorschlag ist genugsam gew^ürdigt worden, die Schrift der Wand-
karten im allgemeinen nur so groß zu halten, daß die Namen in der Nähe deutUch
lesbar sind und durch ungewöhnliche Größe und ungeschickte Stellung nicht die
Klarheit des Kartenbildes beeinträchtigen. Auch K. Peucker wendet sich gegen
die stumme Karte; ,,die Schrift gehört zur Karte, wie die Sprache zum Menschen".®
Noch einmal flammte der Streit um die stumme Schulw^andkarte auf, als 1901
H. Harms mit seinem neuen stummen Schulatlas und der Behauptung, daß die Namen
in der Schülerhandkarte durchaus schädhch sind, auf den Plan trat.'' Der heftigste
Gegner entstand ihm in dem namhaften Schulmethodiker H. Matzat. Über die ganze
Angelegenheit ist man bald zur Tagesordnung übergegangen, und die Schulhand-
und -Wandkarte mit Namen beherrscht nach wie vor das schulkartographische Feld.
Die ersten Beispiele stummer Karten für Lehrzwecke weisen uns auf das 17. Jahr-
hundert zurück, wo Johann Strubius, Rektor zu Hannover, eine Karte herausgab,
in der die Ortsnamen, die aus anderen Karten bereits erlernt waren, durch Zahlen
ersetzt, um dadurch die „Profectus" der Lernenden zu erkeimen.* 1778 zeichnete
' Wenn sich z. B. eine bedeutende Feuer- oder LebensversicherungagescUschaft auf eine groß-
maBstabige Karte ihre Qeneralagentnrbereiche flachcnhaft auftragt u. die Sitze der Agenturen be-
sonders namhaft macht.
' V. Haardt von Hartenthurn: Die Herstellung von Schulwandkart<^n. Virhandl. dos
IV. Deutscli. (JeographenUges zu München. Berlin 1884, S. 127.
' H. Wagner: Ijchrbuch a. a. O., S. 239.
* O. Coordes: Die Anforderungen der Schule an die Landkarten. Braunschweig 18«5. S. 16.
^ li. Lehmann: Vorlesungen über Hilfsmittel und .Methode des geographischen l'nterrichts.
Halle a. S. 1894, S. 182. Anm.
' K. Peucker: Drei The.scn zum .Vitibau der theoretischen Kartographie. O. Z. \W>2, S. 208.
' H. Harms: Der Schulatlas, die Schulwandkarte und der geographische l'ntorricht. 2. Aufl.
Braun.schweig und I^eipzig 1901, S. 18.
" Wtitci-c Xa<hfi>lgci von Stnibius gibt R. D. Hanbcr auf S. 47 (Anmcrk.) seiner Schrift
„Versuch einer umstüudlicheu Historie der Laud-Chartcn." Uhu 1724.
348 r)'P Landkarte und ihv Lagcplaii.
Fr. X. Baraga eine stumme Übersichtskarte von Krain.^ Eine beachtenswerte
stumme Karte für Lehrzwecke gaben M. Flurl und J. Pallhausen in der Wirtschafts-
karte von Bayern 1787. Ob hier die Weglassung der Ortsnamen aus rein didak-
tischen Gründen erfolgte, mag dahingestellt bleiben; in die Karte konnten schwerlich
noch Namen für die Wohnstätten aufgenommen werden, da sie bei dem kloinen
]\Iaßstab mit wirtschaftsgeographischen Signaturen sowieso schon überladen war.-
187. Die halbstumme Karte. Auf oro-hydrographischen Karten die Ortsnamen
durch den Anfangsbuchstaben anzudeuten, finden wir noch dann und wann auf
neuern Karten.* Man bezeichnet dies Verfahren fälschhch als die ,, Manier E. v. Sy-
dows", der sie um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts in seinem Oro-hydro-
graphischen Atlas anwandte.* Bei Homann in Nürnberg gab J. Hübner (der Vater)
am Anfang des 18. Jahrhunderts einen Atlas Methodicus heraus, bestehend aus
18 Generalkarten kleinen Formats, auf denen die merkwürdigsten Orte mit ihren
Initialbuchstaben bezeichnet sind. ,,Es sind Propier-Charten, daraus ein Lehr-
meister seinen Untergebenen, oder auch ein Vater sein Kind examinieren, und also
hinter der W'ahrheit kommen kann, ob sie in der geograi)Iiis(li(u Stunde ,ichts oder
nichts' gelernt haben."'' Auch sei nicht übersehen, daß in (Iciscllicu kartographischen
Anstalt, J. Perthes in Gotha, wo E. v. Sydow arbeitete, Stiulors Handatlas seit Anfang
des 19. Jahrhunderts in fortwcährend verbesserten und erweiterten Auflagen erschien
und auf seinen Übersichtskarten der Flußgebiete und Höhenzüge in den ersten Auf-
lagen die Orte mit einem oder zwei, selten drei Anfangsbuchstaben verzeichnete.^
All die auf diese Weise sich präsentierenden Karten nenne ich halbstumme Karten.
188. Das geographische Moment der Karteuschrift. Ihre Bedeutung als Ersatz
für Signaturen. Wie die Kartenschrift in der Namenbezeichnung gehandhabt wird,
wie sie sich der Karte anzupassen strebt, wie sie dadurch ihren harten Charakter
als Bu(jhschrift mildert, das alles ist ein Beweis dafür, daß sie eine Art Verwendung
gefunden, die sie ursprünglich nicht hatte, daß sie mithin, wie ich oben bereits an-
deutete, etwas Geographisches gewonnen hat und sie als ein behelfsmäßiges karto-
1 Erschienen in Lubaci (Laibacli). [Ü.-Bi, Göttingen.]
^ Von ein und denselben methodisohenEi-wägungen getragen finden sich, nur durch verschiedene
Zeitintervallc getrennt, immer wieder ähiüiche Karten. U. a. vgl. man Jean Palairot: Atlas M6tho-
dique compos6 pour l'usage de son altesse ser^nissime monseigneur le prince d'Orange et de Nassau,
London 1755, worinnen eine Europakarte nur mit Ländernamen, die andere nur mit den Hauptstädten
(je eine für ein Land), die dritte mit den Elußnamen und die vierte mit der poHtisohen Einteilung dei
Einzelländer nach Provinzen gegeben ist; femer Collins' construktive Maps, London 1884; C. Raaz:
Kcliefatlas über alle Teile der Erde, Berlin 1869; H. Haack: Kleiner Deutscher Lernatlas; Gotha s. a.;
Philips Model-Atlas, London s. a. (auf der einen Seite des Atlas nur die Reliefkarte mit Flüssen,
auf der andern nur politische Karte mit Flüssen); u. v. a. m.
' Wir finden z. B. die Manier auf einigen Karten der E. Debesschen Schulatlanten, in Haacks
kleinem deutschen Schüleratlas u. i. a. m.
* E. V. Sydows Atlas enthält 25 Boden- u. Gewässerkarten üb. alle Teile der Erde. Gotha 1856.
'' J. Hübner: Museum geographicum, d. i. ein Verzeichnis der besten Landkarten. Nebst einem
Vorschlage, wie daraus allerhand Atlanten können gemacht werden. Viel vermehrter fortges .... von
.J. Hübner (d. Sohne). Hamburg 1746.
' Die mir vorliegende Ausgabe von Stielers Handtatlas aus d. J. 1831 enthält derartig be-
zeichnete Karten: Nr. 11, Europa zur Übersicht der Flußgebiete und Höhenzüge, entw. u. gez. v.
Ad. St. 1819, und Nr. 18, Fluß- und Bergkarte von Deutschland und den anliegenden Ländcm, entw.
u. gez. v. Ad. St. 1820.
Kartenschrift uiirl Kartiaiiminen. 349
graphischi'S Darstellungsmittel betrachtet werden muß. Man darf nicht zu viel von
ihr verlangen und sie etwa als ein Mittel wirksamer sichtbarer Zusammenfassung
für Unterbegriffe ansehen. Das will sie nicht und steht ihr auch nicht zu. Ebenso
will sie keine Eaumlagen bestimmt l)egrenzen, sie benennt nur bereits vorhandene
Eaumlagen.
Die Namenbezeichnuüg wird direkt als kartographisches Darstellungsmittel
gebraucht, indem man die Bezeichnung „Wald" an Stelle der Waldsignatur setzt.
Ohne Signatur oder Flächenkolorit werden auf der Karte Völkernamen verzeichnet,
in Wirtschaftslandschaften die Namen der betreffenden Haustiere oder Nahrungs-
pflanzen oder nutzbaren Mineralien. In der Hauptsache sind es mehr Bezeichnungen
aus dem Gebiete der Kulturgeographie, die man ohne Signatur in die Karten ein-
schreibt. Ein Gnmd dieser Erscheinung liegt darin, daß man bis jetzt vielfach keine
geeigneten kartographischen Darstellungsmittel besitzt und das Kartenbild nicht
überladen will. Lediglich in der Vertretung der Signatur durch den Kartennamen
stimme ich mit E. Friedrich überein, wenn er sagt, daß die Schrift kern kartographisches
Darstellungsmittel und als solches verwandt, nur ein mangelhaftes Ausdrucksmittel
sei. Sofern es erlaubt ist, einen Vergleich aus einem ganz andern Gebiete herbei-
zuziehen, verhält sich der ohne allen Anhalt für sich allein bestehende Kartenname
zu dem wirklichen in Signatur oder Flächenkolorit dargestellten Gegenstande wie
die alte Shakespearesche Bühnenausstattung, wo die gepfählte Tafel mit der In-
schrift „Wald" einen Wald oder der Inschrift „Schloß" ein Schloß usw. darstellte,
zur modernen Bühnenszenerie.
189. Auswahl und Stellung der \amen. Zweck und Absicht der Karte und nicht
zum geringsten der Maßstal) bedingen die Auswahl der Kartennamen. Der Karten-
entwurf muß, wie mehrmals hier betont wurde, so getroffen werden, daß alle Teile
der Karte einschließlich Schrift harmonisch ineinander passen. Der Kartograph
neigt dazu, die Karte mit Namen zu überfüllen. So schön die Karten in den modernen
Handatlanten sind, so leiden doch viele von ihnen an zu großer Namenfülle. Nicht
immer läßt sich erkennen, daß der Kartograph die Bedeutung der Orte richtig ab-
geschätzt hat; sie darf nur allgemein, nicht lokal sein. ,,Die Grenze für diese Unter-
scheidung finden", sagt H. Wagner^, ,, heißt in betreff dieser Einzelfrage der Orts-
auswahl das wissenschaftliche Material ebenso beherrschen wie die Technik des Karten-
zeichnens. Vergleicht man unter diesem Gesichtspunkt die Spezialkarten unserer
Handatlanten, so sind sie meist weit von solchen Anforderungen entfernt, vielmehr
suchen sie sich gegenseitig in der Zahl mechanisch aufgetragener Wohnplätze zu
überbieten."* Nicht zu verkennen ist, daß daran meist die ganze Anlage (und der
Wunsch des Zeitungslesers!) Schuld ist. Zunächst wird ein weit verästeltes Fluß-
netz ausgearbeitet, dieses zieht wieder reichlichere orographische Elemente nach sich
und weiterhin reichlichere Wiedergabe der Verkehrswege und Ortszeichen. Die
Überfülle ist da und ungern streicht der Kartograph Elemente aus seiner Karte,
die er erst mühsam erarbeitet hat. Berühmt wi>pcii ihrer flegaiitcn Schrift für (>rt-
» H. Wagner: Lphibucli, a. a. O., S. 886.
^ Man vgl. (laraiifhin in Andrcos allgrmcincm liiin<latlius ((i.Aufl. Biolofold u. Ix^prig l>,U4)
S. öl, 52, die Pronnz Schle.sien in 1: T'.OOOO ii. in glcirücni MaßsWlx- S. 57, 58 dif woatliohe Hälfte
der Kartv der Pi-ovinz Sachsen und Herzogtum Anlialt und S. 63, ft* den uiittlora u. westlichen Teil
von Rheinland und Westfalen.
350 r)''' Ijiiinlkarte und ihr Lagcplaii.
Schäften sind die Karte des Deutschen Eeielies und die Carta (opografica del Regno
d'Italia, beide in 1 : lOOOOO.i
Hinwiederum soll man dem Bilde und eleganten Äußern zuliebe nicht in das
Extrem verfallen, ganz abgesehen davon, daß Karten mit spärlichen Namen ein
dürftiges Aussehen haben, verlieren sie bedeutend ihren Wert als Auskunftsmittel.
Was die Karte eventuell auf der einen Seite an Klarheit und Anschauhchkeit gewinnt,
geht auf der andern an Lesbarkeit und der notwendigen Eigenschaft praktischer
Orientierung verloren. Für die Namengebung auf offiziellen Karten werden darum
gewisse Eichtlinien befolgt.^
Die Kartenfläche gleichmäßig mit Namen zu bedecken, ist ein großer Irrtum
vieler heutiger Kartentechniker. Früher, wo die Erde noch nicht bis in die entfern-
testen W'inkel abgeleuchtet war, bekämpften die Kartenzeichner den Horror vacui
durch Anbringen aller möglichen und unmöglichen Tiere und sonstiger Ausfüllungs-
ornamente. Natürlich werden Karten der kulturell hoch entwickelten Staaten eine
gewisse Gleichmäßigkeit in der Namenverteilung erstreben, besonders der Wohn-
stätten (Orte, Weiler, Gehöfte, Schlösser, Ruinen, einzehie Häuser), da diese den
wichtigsten Teil der Kartenbeschreibung bilden, aber dennoch werden sich immer
feine Unterschiede zwischen dicht und weniger dicht besiedelten Gebieten finden.
Es ist gar nicht nötig, daß es so auffällig wie auf Karten Afrikas ist, wo die Zusammen-
drängung von Schrift und Signatur die verhältnismäßig dicht besiedelten Land-
schaften besonders gut hervortreten läßt.^ Bei alpinen Karten dagegen, wo viele
Einzelgehöfte in der Alpenregion benannt sind, ist Vorsicht am Platze, da die Be-
völkerung daselbst eine schüttere ist. Ebenso darf man nicht aus der Menge und
der mehr gleichmäßigen Verteilung der Wohnstättennamen in der österreichischen
Generalkarte 1 : 200000 auf die Dichte der Bevölkerung schließen. Der Nachteil
wird dadurch gemildert, daß man soweit als tunlich alle Ortsnamen, wenn auch nicht
beschrieben, so doch eingezeichnet hat. Das ist eine Methode, wie sie schon Mer-
cator u. a. angewendet haben. Doch sind dies nur Ausnahmen. Eine Karte mit
Wohnplätzensignaturen ohne die dazu gehörigen Namen hat wenig Bedeutung, nur
relativ als allgemeine Siedelungskarte, wenn alle Wohnplätze verzeichnet sind.
190. Die aus der Praxis entwickelten Regeln der Namenstellung. Für die Stellung
der Kartennamen haben sich im Laufe der Zeit gewisse Regeln entwickelt, so daß
sich unsere jetzigen Kartenbilder in diesem Punkte vorteilhaft von ihren Altvordern
unterscheiden. Auf den Portulankarten sind die Namen der Küstenpunkte senkrecht
zum Küstenverlauf geschrieben, daß manche Küste wie ,,ge-igelt" aussieht. Um
1 A. Penck: Neue Karten und Reliefs der Alpen. Leipzig 1904, S. 20.
* Für die österreichische Spezialkarte in 1 : 75000 werden für ein Spezialblatt 1000 Wohn-
stättennamen, d. i. etwa ein Name auf 1,9 -qcm Papierfläche, als zulassiges Maximum angenommen,
auf der Generalkarte in 1:200000 wegen der kleinem Schrift 1500 Ortsnamen, d. i. ein Name auf
1 ,4 qcm Papiertläche. — Darüber und über die Transkription der Kartennamen berichtet ein S.-A. aus
d. „Mitt. d. k. k. Mil.-geogr. Inst." XVII. Wien 1898; er enthält folgende Aufsätze: „Die geogr. Namen
in den Militärkarten" von Chr. v. Steeb; „die Schreibung der geogr. Namen auf d. Balkaiihalbinsel",
nach einer Studie von Joh. Levacic; und „die Schreibung geogr. Namen nach russischen Karten-
werken" von Jos. Bielawski.
' Fr. Ratzel allerdings tadelt dieses Zusammendrängen in einer langem Besprechung über
d. Spezialkarte von Afrika 1 : 4000000, entw. von H. Habenicht, bearb. von demselben, Br. Domann
u. R. Lüddecke. Gotha 1885/86. P. M. 1886, S. 161.
K;ii-teiisclirift und Kiivtennameii. 351
Sit' zu lesen, muß man die Karte öfters wenden. Das Ortszeichen selbst ist nicht
vorhanden, die Namen stehen aber genau da, wo sich der anzulaufende Hafen be-
findet. Auf vielen Karten des Mittelalters bis tief in die Eenaissance hinein stehen
die Namen kreuz und quer durcheinander, z. B. auf den Karten von Seb. Münster.
Wohl hatte die Orientierung der Karte schon etwas Einfluß auf die Stellung der
Kartennamen, und Mercator, Speckhn geben dafür Vorbilder. Die bessere Namen-
stellung hängt mit der Einführung des Kupferstichs und der lateinischen Kursiv.-
schrift zusammen. Das Bestreben unserer guten und modernen Karten, beim Be-
nutzen und Lesen der Namen die Karte so wenig wie möglich in der Lage zu ändern,
muß anerkaimt werden.
Wir unterscheiden Linear- und Arealstelhing der Kartennamen. Bei der
Linearstellung sind die Namen, insonderheit die Ortsnamen, entweder parallel zum
obem bzw. mitern Kartenrande geschrieben, so wie es hauptsächlich auf altern Karten
gepflegt \\Tirde, oder, ^vie es jetzt am gebräuchlichsten ist, parallel zu den Breiten-
parallelen. Ebenso behandelt man die Namen und Zahlen für einzelne Berge und
kleinere Seen. Dabei beachtet der gewissenhafte Kartograph, daß der Name sich
genau auf das Zeichen bezieht, das er benennen will. Der Name muß so stehen, daß
der betreffende Gegenstand jederzeit unzweideutig verstanden werden kann. Vorteil-
haft hat es sich erwiesen, den Namen rechts am Symbol oder Zeichen beginnen zu
lassen, vorausgesetzt, daß es der Platz gestattet. Die Flußnamen, ebenso alle andern
Bezeichnungen für Gewässer, werden, wie oben bei der Schrift erörtert, tunlichst
in rückwärtsliegenden Buchstaben gegeben. Desgleichen wurde darauf hingewiesen,
wie sich die Namen dem Flußlaufe anschmiegen. Ein ähnliches Anlehnen finden
wir bei den Gletscher bezeichnungen. wodurch auch äußerhch durch die Schrift der
Eisstrom dokumentiert wird.
Die Arealstellung der Namen will zum Ausdruck bringen, daß die Namen zur
Bezeichnung der Flächen verwendet werden können (S. 345). H. Wagner mißt ihr
eine gi-oße Bedeutung bei und spricht sogar von „Flächennamen".* Nicht allein,
daß diese Namen für Länder, Provinzen, Landschaften, Völkerstämme, Gebirge,
Hoch- und Tieflandflächen, Wüsten, Wälder, Inselgruppen und Seen, Meeresteile,
Haustier- imd Nutzpflanzenverbreitung, gesperrt gedruckt werden, müssen sie die
ganze Ausbreitungsfläche in der Längsachse umspannen und entweder in einer geraden
Linie oder in einem wenig gekrümmten Bogen angebracht werden. Letzterer For-
derung wird nicht immer genügt, besonders bei den Gebirgsnamen. Politische Ge-
bilde, die sich über große Flächen ausdehnen und diese in mehr oder minder künstlich
begrenzte Gebiete teilen, geben, wie nicht anders zu erwarten, etwas Schematisches,
nichts individuell Erwachsenes, was auch in der Namengebung sich wiederspiegelt;
man vergleiche nur die Staatennamen auf den Karten von Australien und den Ver-
einigten Staaten von Amerika.
I!»l. Die Zahl. Dem Nam.ii ist die Ziilil als Kartenelement verwandt. Sie
entstammt glt-iciifalis dem Buchdruck und dient zur iiuantitativen Feststellung
verschiedener geograjihischer Objekte. So wird die Anzahl der selbständigen Haus-
haltungen oder der Einwohner eines Ortes neben dem Ortszeichen geschrieben. Die
Karte von Frankreich in 1 : 80000 gibt liicrfin- die ncitigen Belege. .\n historisch
H. Wagner: LpliibmOi, a. n. O.,
352 I5ie LandkaitP uiul ilir T/Ugcphin.
merkwürdigen Orten wird in Gescbiehtskartcii zuweilen das .liilir der in der Nähe
stattgehabten Schlacht geschrieben. Selbst zur Flächenbezeichniuig wird die Ziffer
herangezogen, nicht jedoch in dem Sinne einer Flächenzahl wie der Flächenname.
Geographisch-statistische Spezialkarten wimmeln oft von solchen Zahlenangaben.
Am meisten wird die Zahl als Höhenziffer verwandt. Noch nicht lange hat sie
sich diesem Betätigungsbereich zugewandt.^ Obwohl man bis gegen Mitte des ver-
gangenen Jahrhunderts über einige Tausende von gemessenen Höhenpunkten ver-
fügte, faßte man die Höhenzahlen nur in Tabellen und Auszügen zusammen oder
gab einige auf Gipfelprofilen wieder, ließ sie aber nicht bei ihrem eigentlichen Objekt
auf der Karte erscheinen. Die Neuauflage von Stielers Handatlas vom Jahre 1867
hatte auf Veraiüassung von Aug. Petermann ganz besondere Arbeit und Mühe darauf
verwandt, die Terrainzeichnung durch beigesetzte Höhenzahlen zu belegen. Mit
Recht wurde dies semerzeit als ein Vorzug gerühmt. Dagegen sträubt sich H. Kiepert
noch bei der zweiten Auflage seines neuen Handatlas, Berlin 1871, die Höhenzahlen
aufzunehmen, da ihm die Höhenangaben noch zu widersprechend und ungenau waren.
Wer selbst mit der Messung von Höhen vertraut ist und daraufhin viele Berghöhen,
z. B. in den Alpen, kontrolliert, wird den Höhenangaben gegenüber recht vorsichtig
sein. Wiederholte Messungen führen schließlich zu einem brauchbaren Ergebnis.
Viele Höhen wechseln noch heute von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ihre Höhenziffern.
Wie lange hat es gedauert, bis unsere Atlanten die Höhe des Piks von Tenerife, die
früher allgemein zu hoch angegeben wurde, mit 3710 m, wie sie die Connaissance
des Temps für 1897 gibt, verzeichneten. Bouquet de la Grye hat sich für einen ähn-
Uchen Wert, 3709, entschieden. ^
Die Höhen- bzw. Tiefenzahlen dürfen nicht planlos das Kartenblatt bedecken.
Daß die große Anhäufung von Zahlen kein übersichthches Bild über die Morphologie
des Meeresbodens gewährt, kann man sich auf den Seekarten überzeugen. Da muß
die Isobathe nachhelfen. Für die Atlas- und Studienkarten kann die Auswahl von
Höhenzahlen nicht sorgfältig genug sein. Nicht jeder Gipfel muß eine Höhenzahl
haben: ausgenommen die für einen bestimmten Zweck redigierten Karten, z. B.
Touristenkarten. Mit jeder Zahl, die genau an den von ihr liestimmten Punkt hin-
zusetzen ist, muß etwas Markantes und Typisches ausgedrückt werden, sei es, um
die höchsten und bedeutendsten Punkte herauszuheben, oder sei es die gesamte Höhen-
lage weiter Flächen zu kennzeichnen. In letzterer Beziehung haben unsere Karten
viel nachzuholen.^ Schüchtern sind die Versuche, die Höhenzahl an bestimmten
Punkten dem Flußlauf entlang zu setzen. Gute Karten dürften die Zahlen bei der
Einmündung der Nebenflüsse oder an wichtigen Binnenumschlagsplätzen nicht missen
lassen. So entfalten sich Möglichkeiten für einen ausgiebigen und sinngemäßen
Gebrauch der Höhenzahl, die früher kaum geahnt, jetzt vielen Studien zugute kommen.
Die Höhenzahlen werden auf den Karten der Atlanten, auf Wand- und andern
Karten größtenteils senkrecht geschrieben. Die Tiefenkoten auf den offiziellen
' H. Wagner: Lehrbuch, a. a. O., S. 244.
2 Vgl. E. Hammer: Die Höhe des Piks von Tenerife. P. M. 1902, S. 266. Hans Meyer gibt
dem Pik auf der seinen „Wanderungen im canarischen Hoch- und Tiefland" beiliegenden Karte eine
Höhe von 3730 m. „Die Insel Tenerife", Leipzig 1896.
^ Auf offiziellen Karten haben sich bezüglich der Wiedergabe von Höhenkarten auch bestimmte
Pvegeln eingebürgert. In Österreich z. B. kommt in der Spezialkarte 1 : 75000 auf je 2,8 qcm Raum
und in der Generalkarte 1:200000 auf je 1,6 (jcm eine Höhenzahl.
Kartciisclirit't uml Kartennamen. 353
Karten siiitl in mckwärts liegenden Ziffern gestochen, entsprechend der rückwärts
liegenden Schrift für Gewässer, dagegen sind alle Höhenkoten in vorwärts liegenden
Ziffern gegeben. Die amthchen Karten anderer Länder bringen die Höhenzahlen
in senkrechten Ziffern. Zumeist werden sie der Situationsplatte mit eingedruckt.
Hier und da treten Ausnahmen auf; so %vird z. B. auf der Carte de la France dressee
par ordre du Ministre de l'Interieur in 1 : 100000 die Höhenzahl Idau (auf der Blau-
platte der Gewässer) vorwärtsliegeud gegeben.
192. Die Transkription der Kartennamen, ein ungelöstes Problem. Die Tran-
skription oder die Umschrift ist ein heikles mid auffällig gemiedenes Thema karto-
graphischer Erörterungen. Das hegt in der Materie begründet. Auch ich kami hier nur
ganz allgememe Eichtlinien geben. Die Lösung des Problems hegt schheßhch weniger
auf kartographischem als vielmehr auf philologischem Gebiete. Ferner kann auch
ein einzelner zu wenig erringen imd hat nicht genug Ansehen, um seinen Ansichten
den nötigen Nachdruck zur allgemeinen (internationalen) Einführung zu verleihen.
Darum ist die Transkription der Kartennamen die x\ngelegenheit internationaler
Vereinbarungen. Aber auch von dieser Seite wird sie auf die „lange Bank" geschoben
und kommt zu keinem befriedigenden Abschluß. Die Frage der Transkription hat
seit dem Venediger Kongreß (1881) die internationalen Geographenkongresse un-
unterbrochen beschäftigt, insonderheit den V. zu Bern. Auf dem VIL internationalen
Geographenkongreß zu Berlin brachte Franz Schrader (Paris) m semem Vortrag:
,,La methode de transcription rationelle generale des noms geographiques" seines
früh verstoi-benen Freundes Christian Garnier zur Diskussion. Die Folge war: Eine
Einigimg über die Transkription auf Garniers Grundlage wurde nicht herbeigeführt,
und sie Avurde wieder dem permanenten Bureau des Kongresses überwiesen, auch
reichte Garniers Autorität nicht weit, obwohl er mit seinem Werke* viele Am-egungen
für die Transkription der geographischen Namen gegeben hatte. Er wollte speziell
dem kommentarlosen Atlas dienen, wie Eob. Sieger, einer der kompetentesten Be-
urteiler dieser Frage, bemerkt.^ Sieger hat sich eingehend mit dem Werke Garniers
beschäftigt und kommt zu dem Schlüsse, daß dessen Methode, obwohl sie unzwei-
deutig, übersichtlich und leichtverständlich ist und eine Anzahl glückhcher Gedanken
und trefflicher Einzelheiten aufweist, doch nicht geeignet sei, die ausschheßlicho
Grundlage einer internationalen Vereinbarung zu bieten. Garniers Methode ver-
zichtet auf Hilfsbuchstaben, aber die Anwendung vieler diakritischer Zeichen, auf
die es bei ihm ankommt, belasten die Kartensciirift und damit das Karteubild, und
Ijei den kleinen Namen der Karten sind sie kiuini nocli darstellbar und verschwinden
im Druck.
Wie kaum für ein anderes Kartenwerk ist für die hiternationale Weltkarte
die Transkiiption geographischer Namen eine der brennendsten Fragen geworden.
Die Londoner Beschlüsse von 1909 bestimmen, daß die Ortsnamen selbständiger
Länder oder von Gebieten mit Selbstverwaltung, die sich der Lateinschrift bedienen,
so wiedergegeben werden sollen, wie sie das betreffende Land anwendet. Ist bei
(li II wichtigern Orten neben den amtlichen Ortsnamen noch ein anderer Name beim
Vdlke im (4ebrauch, soll dieser mit kleinen Buchstaben unter die amtliche Bezeicli-
' Chr.QarnicriAy'thodcdotranüiriptionrationoUojji-niTalcilrsnonistrfographiquos. Paris 18!«».
* R. Siegfr: C'lir. Oamicrs Wrsiiili ciniT allcfinoini-n Tninskription (frojrmphisohpr Xanii-n.
1'. M. 1899, S. 194 lim.
Kckert, Knrli'Dwi!u>vii9i'linri. I. -'*
354 I^'C Landkarte und ihr liü^cplan.
uung gesetzt worden. Die liesolutioiieii salirii die Oitsnaineii vui'; sie waren iin-
voUständig, da sie weder üebirgs- noch Mußnameii berücksichtigten. Infolgedessen
kam es auf der Pariser Tagung 1913 zu einem längern Meinungsaustausch, der, wie
vorauszusehen, auch zu keinem einwandfreien Ergebnis führte. Immerhin ist über
den Antrag des österreichischen Delegierten E. Brückner dahin eine Einigung .er-
zielt worden, die Schreibung von gewissermaßen international gewordenen Orts-
namen neben der amtlich festgelegten oder ortsüblichen Form nicht als obligatorisch,
wohl aber als wünschenswert zu, bezeichnen. In der Tat, bemerkt A. Peack, würde
die Karte ihres internationalen Charakters verlustig werden, wenn sie den atis poli-
tischen Veränderungen sich so häufig ergebenden Namensänderungen gleichsam
automatisch folgen wollte, ohne zu berücksichtigen, was sich schon eingebürgert hat.
Damit hat das Kartenkomitee endlich den Standpunkt eingenommen, den bei der
Umschrift von Namen unsere bedeutendem Handatlanten schon längst befolgen.
Die Beschlüsse der Weltkartenkonferenz sind nicht ohne Einfluß auf die Schreib-
weise der Namen im Grande Atlante Internationale del Touring Club Italiano
gewesen; denn bei den Karten in großen Maßstäben wird die offizielle Schreibweise
des betreffenden Landes oder die Sprache des Gebietes angewandt, sowohl für die
Eigennamen wie für die Appellativa (Fluß, Paß usw.). Dabei wird so wenig wie
möglich abgekürzt. Für diejenigen Länder, die nicht lateinische Schriftzeichen
haben, ist die internationale Schreibweise, wie sie bei Post und Telegraph gebraucht
wird, vorgesehen. Den Nachteil verschiedener Formen für ein und denselben Namen
sucht man möglichst dadurch zu vermeiden, daß alle diese Formen ins Namen-
verzeichnis aufgenommen werden sollen. Nur in den Übersichtskarten werden die
wichtigsten Namen italienisch geschrieben. Auf diese Weise glaubt man, den For-
derungen einer Toponomastik am besten zu genügen.^
193. Kompromisse in der Transkription und Auswüchse der Namengebung.
Bei der Lieferungsausgabe des Großen Stielers, 9. Aufl. (1902—1905) weist
H. Habenicht ausdrücklich darauf hin, daß sich die Schreibart der Eigennamen
nach der in jedem Staat amtlich eingeführten Orthographie richtet. Bei großen
Städten, Flüssen usw., von denen es deutsche Namen gibt, sind sie in Klammern
beigefügt. Die Appellativa in der betreffenden Landessprache hat man vielfach
belassen, weil sie oft zum Eigennamen geworden sind, und um den internationalen
Abnehmerkreis des Werkes zu vergrößern. Die Transkription von Namen aus Sprachen
mit lateinischen Alphabeten ist nach möglichst einfachen Gesichtspunkten geschehen,
indem man ohne viele diakritische Zeichen und ohne phonetische Spitzfindigkeiten
die am meisten gebrauchte Schreibart wählte. Habenicht schließt seine Ausführungen
damit, daß diese Maßregehi durchs leichte Auffinden fremdländischer Namen, wie
sie jetzt so häufig in der TagesUteratur vorkommen, und durch den Gebrauch von
Ortsnamen für die Postadressen gebieterisch gefordert werden. ^ Die unter den ver-
schiedenen Bearbeitern des Atlasses vereinbarten Eegeln sind nicht durchweg streng
eingehalten worden. Das weist A. Kirchhoff in seiner Besprechung über die neueste
Ausgabe von Stielers Handatlas nach.' Er war in bezog auf Namenschreibung unserer
' Grande Atlante Internationale, a. a. 0., S. 24, 25.
^ Übrigens kann und müßte das deutsehe Reichskursbiieh ein guter Wegweiser für die Namen-
schrcibung auf deutschen Karten sein!
» A. Kir.lih.iff i. I'. M. 1005, S. 2(i2, 2«:5.
Kartciisclirift und Kartennaincii. 355
Karten immer ein kritischer Kopf und bat sich des öftem und an verschiedenen Orten
über falsche geographische Namen ausgesprochen. Am meisten ärgerte er sieb über
die Sehreibung von Alschier mit „g"; „letzteres pflegen ja ziemlich alle Deutschen
so zu halten, obwohl in diesem französischen g neben deutschem I)ehnungs-e ein
großer Kattenkonig sprachlicher, geschichtlicher und geographischer Ignoranz ver-
steckt ist". Kirchhoff wußte jedoch nicht, daß , .Algier" bereits seit zwei Jahrhimderten
auf deutschen Karten geschrieben wird. Seit jenen Tagen, da Kirchhoff Kritik übte,
ist es einigermaßen besser geworden, manche falsche Bezeichnungen sind von den
Karten fast ganz verschwunden, so für Kaspisches Meer der Name Kaspi oder Kaspi
See, der so fehlerhaft ist, als wenn man für Adriatisches Meer Adriati oder gar Adri
sagen würde.i Häßhch sind ferner die Bezeichnungen Pazifik, Atlantik und
Indik wegen ihrer undeutscben Endungen. -
Bereiten schon die Transkriptionen der Namen der Völker, die von Haus aus
lateinische Buchstaben anwenden, mancherlei Schwierigkeiten, so steigern sie sich
bei der Umschrift zyrillischer Lettern. Österreich hat dies genugsam bei seinen
offiziellen und nicht offiziellen Karten empfunden. Die Erfahrungen, die man in
Österreich gemacht, sind ein brauchbarer Wegweiser für die Methode der Transkription.'
Man hat, um einen Ausgleich zu schaffen, das serbokroatische Alphabet als Norm
der Umschreibung zugrunde gelegt, für die russischen Ortsnamen dagegen das pol-
nische Alphabet, da es sich besser als das serbokroatische zur Übertragung der rus-
sischen Laute eignet imd das rassische Grenzgebiet ehemals polnische Landesteile
umfaßt. Die kroatische Schrift hat den Vorteil, daß sie sich leicht liest und auf den
Karten wenig Raum erfordert. Auf der Generalkarte des Königreichs Böhmen von
J. E. Wagner* ist die Benennimg der Orte nach dem Prinzip durchgeführt, daß an
erster Stelle der von den Einwohnern des Ortes selbst gebrauchte Name steht und
darunter in kleiner Schrift der Name des Ortes in der zweiten Landessprache, wo
ein solcher gebräuchhch ist.
Ein kaum entwirrbares Chaos von Namenschreibungen sehen wir auf den
Landkarten Chinas, denn auf ihnen begegnen uns die chinesischen Namen in
portugiesischer, spanischer, französischer, englischer, russischer und deutscher Scbreib-
1 Fr. Bromme, der Herausgeber de.s „Atlas zu Alex. v. Huiuboldts Kosmos" (Stuttgart 1851)
redet in dem erklärenden Text (S. 06, 98, 99) nur vom „Caspi" oder „Caspi-See"; auf den Karten
steht ganz richtig „Caspischer See" oder „Caspisches Meer". Selbst namhafte Forscher gebrauchen
heute noch die Ausdrücke ,, Kaspi", „Kaspi-See" und „Kaspi -Becken", wie A. Penck in seiner „Morpho-
logie der Erdoberfläche", II. Stuttgart 1894, S. 246ff., femer J. Walthcr: „Das Oxusproblcm in
historischer und geologischer Beleuchtung", P. M. 1898, S. 204-214; und Fr. v. Wicser in den er-
klärenden Worten zu: „Die Weltkarte des Albertin do Virga". Inn.sbruck 1912. — Über allerhand
Inkonsequenzen in der Schreibung geographischer Namen vgl. E. J. Wölfel: Bemerkungen zu gco-
gi-aphisclien Lehr- und Schulbüchern, Karten usw., Freiberg 1902. Progr. Nr. 598; bes. jedoch Wes-
singor, Witte und Herbors: Beiträge zur Namenverbesserung der Karten des Deutschen Ivciches.
Mit einem Schlußwort von A. Kirchhoff. Leipzig 1892.
- Die Bczclilinungen sind aus dem Englischen heriibergcholt. Penck gebraucht sie gleichfalls
in seiner „Jlorphologie der Enloberfläche", wie auch Boguslawaki , S. Günther, J. Walther >i. a. m.
(). Krümmel, auch sprachlich ein feinfühlender Gelehrter, hatte sich g«-gen diese Unsitte gewandt;
vgl. Handbuch der Ozeanographie. 1. Stuttgart 1907. S. 21.
3 Bei den geographischen Namen der Balkanhalbinsel hatte mau es allein mit folgentlcn Spnu'hen,
dci-en jede wieder mehrere .Mumlarten aufweist, iu tiui: Serbokroatisch, Bulgarisch. Makedoslawisch .
Kuinäiiisih. einschließlich Zinzarisch, Griechisch. Albanisch und Türkisch.
' In 4 HliUtcrn in I : 2200<K). I'mg s. a. (2. Aufl. 1898.)
356 ßie Landkarte \ind ihr Lagoplan.
weise. Viele Ecisonde klagen darüber, so F. v. Eicbthofen, daß es bei der Wortarmut
der chinesiscben Sprache und dem ähnlichen Klang verschiedener Silben oft un-
möglich ist, dasselbe Wort in seiner verschiedenen fremden Verkleidung wieder-
zuerkennen.^ Der Translator hat gerade hier manche Klippe zu umschiffen, bevor
seine Transkription der Kartermamen halbwegs brauchbar ist. Verschiedene Methoden
sind aufgetaucht und wieder in der Versenkung verschwunden. Es ist schon ein
Vorzug der Karte, wenn sie nach einer Eichtung konsequent durchbenannt ist.
Br. Hassenstein befolgte auf seiner Karte der Provinz Schantung, Gotha 1898, die
Methode von Paul Hobel. Schon vordem behandelte Hassenstein in dem Atlas von
Japan^ die Orts- und Völkernamen als einen wesentlichen Bestandteil der Karte,
dessen kritisch gründliche Darstellung er zu den Pflichten des wissenschaftlichen
Kartographen zählte. Auf die richtige Schreibweise von Kioto und Tokio anstatt
Kiyoto und Tokiyo oder Tokyo und Kjoto kommt J. J. Eein eingehender zu sprechen.^
Ein deutscher Meister in der Eechtschreibung geographischer Namen und ihrer zweck-
mäßigen Transkription war Heinrich lüepert. Das bekunden seine Karten von
Kleinasien, der Türkei und sein neuer Handatlas. „Dem streng wissenschaftlichen
Geist, von dem das Ganze (der Atlas) durchdrungen ist," huldigte in einer wohl ab-
gewogenen Anzeige Karl Neumann*, wie J. Partsch schreibt, und fügt hinzu, daß
darüber die Konkurrenz ein sauersüßes Gesicht schnitt.^
194. Orthographischi'is und |»lioiiptisches Piluzip hi der Transkription. Vür die
Eichtigkeit der Umschrift kaim entweder das orthographische oder das phonetische
Prinzip maßgebend sein.* In Geographenkreisen neigt man mehr zu ersterm Prinzip.
Schon J. J. Egli (Zürich), der Begründer der geographischen Namenkunde, bekannte
sich dazu^, desgleichen auf dem V. internationalen Geographenkongreß zu Bern
E. Sieger (Wien), J. V. Barbier (Nancy), G. Gambino (Palermo) und Goello (Madrid).
Einwände gegen das Prinzip brachte G. Eicchieri auf dem VI. internationalen Geo-
graphenkongreß zu London 1896. Eine Klärung hierüber sollte der VII. zu Berlin
1899, herbeiführen; hat sie aber nicht herbeigeführt, wie man schon aus meinen An-
deutungen auf S. 353 entnehmen kann.
Auch bei der Transkription kann man nicht für die ganze Erde nach einer
Schablone verfahren und soll nicht aus Prinzipienreiterei an Althergebrachtem und
Eingebürgertem rütteln. Denn wenn man ganz konsequent sein will, kommt man
leicht zum Absurden, und mancher Name weicht so von der gebräuchhchen Schreib-
art ab und wird so verballhornisiert, daß er von Laien gar nicht wieder erkaimt wird.
Man wird sich am besten danach richten, was sich mit den Mitteln der herrschenden
nationalen Orthographie erreichen läßt, und wird dabei eine gewisse „mittlere Ge-
1 F. V. Kiohthofen: China. I. Berlin 1877, S. XXIJ.
- In 7 Blättern in 1: 1000000 und einem Übersiohtsblatt 1:7500000. Gotha 1887.
' J. Rein: Über die verschiedene Schreibweise geographischer Namen. Vortrag. Verh. d.
XVir. Deutsch. Geographentags zu Lübeck 1909. Berlin 1910, 8. 185 ff.
•• Schon von einer seiner ersten Karten H. Kieperts „Generalkarte des türkischen Reiches
in Europa und Asien usw." (Berlin, D. Reimer 1855) wird gerühmt, daß sie sich durch die strenge Be-
rü<ksichtigung der sprachlichen Elemente auszeichnet. P. M. 1855, S. 378.
■'■' J. Partsch: Heinrich Kiepert, ein Bild seines Lebens und seiner Arbeit. S.-A. aus d. G. Z. VIT.
1901, S. 34.
' Die Russen schreiben streng phonetisch. Auch die kroatische Schreibweise ist phonetisch.
' .1. .1. Egli i. Deutscher Rundschau f. Geogr. u. Stalistik. XI. 1889, S. 8.
Daislc'llung der \oii der Niitiii- t^i^i'-hetwu gcogrnphisclini Ohjpktu. 357
luiuigkt'it" (Küppen) befolgen. Auf diisciu (iebiet der geographisch-philologischen
Tätigkeit gibt es noch viel zu tun. J)i(' Karten können nur gewinnen. Selbst in
sprachlich wenig oder nicht gemischten Gebieten harrt der Rechtschreibung und
Yervüllkommnung der Namengebung noch manche dankenswerte Aufgabe. ^ Schon
die Einführung der neuen deutschen Orthographie hat für die Namen der Karte
mißliche Zustände hervorgerufen; es sei nur an die Orte mit den Anfangsbuchstaben
C oder K oder an die mit der Endungssilbe ,,thal" erinnert. Aber auch ohne diese
orthographischen Neuerungen ist z. B. die Namengebung der Karte des Deutschen
Ileich(>s in 1 : 100000 noch verbesserungsbedürftig, desgleichen die französische Karte
1 : 80000.
H. Die zweidimensionale Darstellung auf der Karte.
I. Darstellung der von der Natur gegebenen geographischen Objekte.
19.'), Die Entwicklung des Küstenumrisses. Die Scheidung des Trocknen vom
Flüssigen hat die Menschengemüter seit Anfang der Menschengeschichte berührt und
Ijewegt. Die Berührung war so nachhaltig und griff von allem Anfang an tief in die
Entwicklung des organischen Lebens ein^, daß tiefer schürfende Geister des Alter-
tums die Scheidung auf einen götthchen Schöpfungsakt zurückführten. Zur völligen
Klarheit rang man sich durch, als es Menschengeist und Menschenhand gelang, sich
von der großartigsten und auffälligsten Erscheinung auf dem Erdrund ein Bild, eine
Karte zu machen. Doch ehe dies gelang, mußten Jahrtausende in dem Ozean der
Weltgeschichte versinken. Abgesehen von den schwächlichen kartographischen Ver-
suchen des Altertums bheb es dem Mittelalter vorbehalten, die PräUminarien zu
einem Weltbild zu schaffen, das aber zum ersten Male richtig in späterer Zeit, im
17. Jahrhundert erfaßt wurde, und dessen Kernpunkt in der Zeichnung der Küsten-
gliederung der Kontinente beruht.
Ein langes und interessantes Kapitel geographisch- und kartographisch-
historischer Untersuchung eröffnet sich, die Entwicklung und Vervollkommnung
di'r Küstenlinie an der Hand urkundlichen Quellenmaterials vom Altertum bis zur
Neuzeit zu verfolgen und aufzustellen. Die Geschichte der Entdeckung gibt hierfür
tiiien guten Wegweiser. Das Quellenmaterial liegt nicht gleichmäßig angehäuft und
oft so zerstreut, daß es schon die Arbeitskraft eines Einzelnen auf Jahre hinaus be-
schäftigen würde, die Entwicklung der Küstemmirisse der gesamten Kontingente
historisch lückenlos nachzuweisen. Landkarten sowohl wie Seekarten wären dazu
gleichmäßig heranzuziehen. Für einzelne Küstengebiete, so von deutschen und
holländischen Küstenabschnitten, auch für einzelne Kontini'nte, wie für Afrika^.
' Vgl. .1. Piiilsch: Kii\c .Aufgabe der Kai to^iupliic im Kiosonncl)ii>;<'. Hii-Mclihorg ISST. Knt-
hält Berichtigungen und Ergänzungen zur geogniphisehcn Nomenklatur de« llicaengebirges.
'-' A. Peni-k spricht sich ähnlich aus am St-hlusse seiner .Vhhandlung: Das Verhältnis des I^nd-
iiiid Wasserareales auf der Enlobcrfläche. S.-A. aus d. Mit. d, Oi- igr. Oes. in Wien ISSO, S. !.">.
■' 'l. B. V. Umlauft: .\frika in kaitograpli. Daistelluiig \.in Ueiixlol l>is heute. Wien ISST.
358 I^i« I'iin.lkiiric uiul ihr Laf^cplan.
haben wir kleine und fleißige Arbeiten, indessen große zusammenhängende und \ün
höherm Gesichtspunkte aus geleitete fehlen bisher.
Zu der Untersuchung der Vervollkommnung der Küstenumrisse gesellt sich die
über die Eichtigkeit der Küstenlmienführung und damit zusammenhängend die
Eichtigkeit der Landflächen bzw. der Meeresteile. Wie lange hat es gedauert, bis
der Indische Ozean als ein von Ptolemäus inauguriertes Binnenmeer verschwand^,
bis die erdrückende Größe der Terra australis des Südpols, von Ptolemäus gleichfalls
geschaffen luid bis zu den Zeiten Kants^ und der beiden Förster^ geglaubt und ver-
teidigt, auf ein normales Maß zusammenschrumpfte, bis das Mittelmeer in seine
richtige Längsachse eingespannt wurde und das Kaspische Meer emigermaßen in
seine richtige Gestalt hineinwuchs.
An alten Ptolemäischen Fehlern krankte die Kartographie wie Astronomie,
und beide hatten auf Jahrhunderte das Weltbild verunstaltet und verzerrt.* Erst
die Kepler- Eckebrecht sehe Weltkarte: Nova orbis terrarum delineatio singulari
ratione accommodata meridiano tabb. Eudolphi astronomicarum Sumptus
faciente Jo. Kepplero Sculpsit Norimbergae T. H. P. Walch j. Ao. 1630, ist der erste
Versuch zu einer fundamentalen Verbesserung des gesamten Weltbildes.^ Damit
entfällt der Euhm für die Verbesserung der Mittelmeerbilder, den 0. Peschel dem
Guillaume Delisle zuspricht®, auf Kepler. Eckebrecht war lediglich der Geldgeber,
^ Die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien Iiat diesen Fehler beseitigt, nicht aber den
andern ptolemäischen, die übermäßige Erstreckung der Landmassen in ostwestlicher Richtung, der
erst lun 1700 verschwand.
^ Immanuel Kants physische Geographie. Hg. von Er. Th. Rink. I. Königsberg 1802,
S. 24, 25.
^ Johann Reinhold Forsters Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt, übersetzt von
Georg Forster. Berlin 1783, S. 58ft.
'' Der berühmteste Kartenfehler der spätmittelalterlichen Karten bis hinein ins 18. Jahrh.
war die falsche Wiedergabe der westöstlichen Erstreckung des Mittelmeeres, die zu 62 Längengraden
anstatt zu 42 angenommen wurde, basierend auf Ptolemäus, der zur Berechnung der Längen den
Äquatorgrad mit 700 Stadien statt mit 500 angenommen hatte. Als erstes richtiges Bild des Mittel-
meeres macht J. Lelewel (Epiloque de la geographie du moyen äge, Bruselles 1857, p. 234) die Karte
von N. Berey in Paris vom Jahre 1646 namhaft, eine Kopie der Blaeuschcn Seekarte von Europa.
Das Original dürfte mithin einige Jahre älter sein, viellciclit nicht ganz so alt wie die Kepler-Ecke-
brechtsche Karte vom J. 1630. Der Atlas zur Geographie du moyen äge von Lelewel enthält auf
T. 40 eine hübsche Skizze, woratif mit blauem Küstonumriß das Ptolemäische Bild des Mittelmecrs
und mit rotem dessen jetzige Grestalt gegeben wird. T. 49 bringt einen Ausschnitt aus der Karte von
Xic. Berey, bzw. von J. Blaeu{.\), sowie den Vergleich von Delisle (eine spätere Arbeit von ihm) der
Karte des Mittelmeers mit der Ptolemäischen Darstellung. Farbige Küstenumrisse erhöhen die An-
schaulichkeit. Übrigens befindet sich in der Sammlung (T. 44) die Wiedergabe einer Karte von Jo-
hannes Ruysch: Nova et universalior cogniti orbis tabula, ex recentibus eonfecta observationibus
1507, 1508, worauf das Mittelmeor eine Längenausdehnung von rund 47" besitzt. Die Karte ist ver-
öffentlicht in den Ptolemäus-Ausgaben in Rom 1507 u. 1508. Sie beweist im Vergleich zu andern
Ptolemäischen Karten, auf denen das Mittelmeer so verzerrt dargestellt ist, wie wenig mathematisch-
kritisch von den damaligen Kartographen gearbeitet wm-de. Vgl. insonderheit die gute Reproduktion
der Karte Ruyschs vom J. 1508 in Originalgröße in Nordenskiölds Faes.-Atlas, Taf. XXXII. —
Vgl. auch meine Ausführungen auf S. 31 nebst Anm. 2.
^ Christ. Sandler: Die Reformation der Kartographie um 1700. München und Berlin 1905,
S. 3 u. 4.
» O. Peschel: Geschichte der Erdkunde. 2. Aufl., hg. von S. Rüge. München 1877, S. 671.
Peschel sprichtauch davon, daß G.DelislesKarten von 1700 noch die entstellten Züge der Ptolemäischen
Bilder tragen, indessen reproduziert Chr. Sand ler eine Karte (Nr. V) von Delisle aus dem Jahre 1700,
die das Mittclmcer in seiner richtigen Längenausdehnung zeigt.
Darstellung der von der Xatiir gcgcbfiieii geographiscliet) Olijekte. 359
damit die Karte publiziert werden konnte. Zur Entschuldigung; Pescliels muß gesagt
werden, daß sich die Einwirkung der Karten Delisles auf andere Kartenbilder leichter als
die der Keplerschen Karte nachweisen läßt und Peschel gewiß letztere nicht kannte.
Pendelt schon die Küstenlinie auf alten Karten hin und her, so kann man sich
vorstellen, wie schwierig sich auf diesen Karten Arealbetrachtungen, geschweige
Arealmessungen anstellen lassen. Solche Messungen sind großenteils ausgesclüossen.
Femer gehen mit den Untersuchungen über richtige Küstenlinienführung die Unter-
suchungen über Methoden und Ergebnisse der Längenbestimraungen Hand in Hand.
Wegen der einfachem Bestimmung der Breiten stimmen diese auf den Karten ge-
wöhnlich besser als die Längen. Darum sind die iiordsüdlichen Verzerrungen nicht
so häufig wie die ost westlichen.
196. Die Verteilung von Wasser und Land. Die Verteilung von Wasser mid
Land an der Erdoberfläche ist Gegenstand einer Untersuchung von Emil Wisotzki.'
Der wertvolle Beitrag zur (beschichte der Erdkunde befaßt sich mehr mit den Schrift-
stellern, die über die Verteilung geschrieben haben, als mit dem einschlägigen Karten-
material. Sobald die ungleichmäßige, wechselvolle Ausstattung der Erdoberfläche mit
Wasser und Land erkannt worden war, lagen die Fragen nahe: Auf welcher Hemi-
sphäre liegt mehr Wasser, auf welcher mehr Land? Li welchem Verhältnis sind
Land- und Wasserareal auf der Erdoberfläche verteilt? Die Globen gaben zunächst
das beste Bild von der Verteilung. Bald \vurden Karten konstruiert, die dieses Bild
wiederspiegelten. Eiccioli forderte 1661 als ein erster die Flächenmaße zum Vor-
gleich der Größen geographischer Gebiete: „Oportebat enim reducere areas earum
ad quadrata milharia et tum demum de magnitudine unius prae aliis pronunciare."-
Berechnungen selbst wurden im 17. und folgenden Jahrhundert angestellt und machen
uns außer mit Eiccioli bekannt mit E. W. Happel (1687), H. Scherer (1710) und
A. F. Büsching bzw. J. Fr. Hansen.' Während die beiden Erstgenannten die Flächen-
grüßen in Quadratgraden brachten, hatte Hansen die Landareale für seinen Freimd
Büsching in deutschen (geographischen) Quadratmeilen berechnet.
Die ersten wissenschaftlichem auf Ausmessen und Berechnung der Zonen be-
ruhende Methoden gehen auf Bode* und Tob. Mayer^ zurück. Noch andere Methoden
sind im Laufe der Zeit aufgestellt und empfohlen worden. Insonderheit hat das
Blanimeter die Frage nach der Größe der Kontinente wesentlich klären helfen.''
Aber auch heute noch sind die Berechnungen zu keinem definitiven Abschluß ge-
langt. A. Penck hatte das Verhältnis des Land- und Wasserareals 1886 zum Gegen-
stand einer Untersuchung gemacht.^ Carl Bitter hatte davon gesprochen, daß der
' E. Wisotzki: Die Verteilg. v. Wasser ii. I^nd an d. Ki-cUiberfliuhc. Ein Beitrag z. Gesch.
der Erdkunde. Dias. Königsberg 1879.
' Ricciolus: Geographia et Hydrograpliia reformata. 1661, S. 84.
■' W. Schmiedeberg: Zur Gi-sehieht« der geographischen Flächenmessung bis zur Ei-findung
des Planimeters. Z. d. CJes. f. Erdk. zu Berlin 190«, S. 164-166, 233, 234.
* .I.E. Bode: .■Anleitung zur allgemeinen Kenntnis der Enlkugel. 2. Aufl. Berlin 1803. .S. 37r>f(.
" .loh. Tob. Mayer: Gründlicher und ausführlicher Unterricht zur praktischen Geometrie.
IV. Erlangen 1794, S. 188 207.
•' 8. W. Schmiedeberg, a.a.O., S. Kl.".. Hifi.
' s. Anm. 2. S. 357.
360 U'i' Ijiiiidkaite und ihr l.ngoplaii.
Ciegensatz der Land- iiud Wasserhalbkugel der größte und wichtigste ist, den wir
nächst dem Klimatischen des Nordens und Südens auf der Erde kennen. ^
197. Land- und Wasserhalbkugol. Beim Lesen älterer Kartenkataloge oder
Anzeigen von Karten darf man sicli niciit irreführen lassen, wenn es z. B. heißt:
Mappemonde geohydrographique ou Description generale du globe terrestre et
aquatique ex deux Plans-Hemispheres. Damit sind keine Abbildungen der Land-
und Wasscrhalbkiipcl rr,inipint. sondern ledigHch West- und Osthalbkugel. Der Große
Ozean, der liaiiiitsächlich die Ostluilflc der Erdoberfläche einnimmt, hat zu der Be-
zeichmmg ..Wasscibcinisphäro" gdiilirt. Nun laufen einige wenige Karten neben-
her, die man als Land- und Wasserhalbkugel angesprochen hat. Um das zu können,
muß man sie gesehen haben. Autopsie ist hier mehr wie wo anders am Platze.
H. Beythien spricht von Karten, die er nicht gesehen hat, und sucht mit einer un-
nötig angebrachten Verstandesschärfe Dinge zu beweisen, die sich aus der Betrachtung
der Originale khpp und klar ergeben. Die von ihm und andern herangezogene Karte
der Land- und Wasserbildung von Buache sieht ganz anders aus als die vermeint-
liche Karte der Wasser- und Landhemisphäre; sie zeigt sich in einer polständigen
Projektion, die bis über den Äquator hinausgedehnt ist, damit die Kontinente voll-
ständig erscheinen. Daß die richtigen Darstellungen bis 1690 und darüber hinaus
zurückreichen, soll von mir in einer Sonderuntersuchung nachgewiesen werden.
Es ist gleich, ob man ältere Karten dieser Art als Horizontalkarten oder als
Land- bzw. Wasserhemisphären bezeichnet, auf alle Fälle hatte man schon beizeiten
erkannt, daß die eine Erdhalbe, um mit Bitter zu reden^, in der Hauptsache maritim
und die andere tellurisch ist, und der Schwerpunkt der Landhalbkugel im westlichen
Europa lag. Ganz allgemein ausgedrückt, liegt Europa in der Mitte der kontinen-
talen Landwelt.* Bestimmt die Mitte auszudrücken, hatte man noch keine Unter-
suchungsmethoden; darum war es für damals ganz gleich, ob der Mittelpunkt der
Landhalbkugel Paris, Amsterdam, London, Nürnberg, Berlin, Wien oder eine sonstige
Gegend Westeuropas war. Die genauen Berechnungen über die Grenzlinie zwischen
Land- und Wasserhalbkugel wurden erst am Ende des vergangenen Jahrhunderts
angestellt, nachdem 0. Krümmel ein neues Verfahren zur Bestimmung des Poles der
Landhalhkugel gegeben hatte.* An der Klarstellung des Problems beteiligten sich
außer Krümmel sein Schüler Beythien'' und A. Penck.* Das Ergebnis der ausführ-
lichsten Berechnung, der Beythienschen, lief darauf hinaus, den Polpunkt in die Nähe
der Loiremündung (bei le Croisic 47V4 "• '''• ^'i"^' '-^Vs" "^v- 'j- v. Gr.) zu lij^'cn. Sicher
' Vgl. dazu C. Ritter: Über geograpliische iStellung und horizontale Ausbreitung der Erd-
teile. Vorgetragen i. d. Akad. d. Wiss., Berlin am 14. Dez. 1826. Abgedruckt in O. Krümniels Klas-
sikern der Geographie, Kiel und Leipzig 1904, erste Reihe, Abschnitt „Kontrast der I^and- und Wasser-
halbkugel", S. 86-90.
2 C. Ritter: Über räumliche Anordnungen auf der Außenseite des Erdballs und ihre Punktionen
im Entwicklungsgange der Geschichte. Vorgetragen i. d. Akad. d. Wiss. am 1. April u. i. d. öffentl.
Sitzung zur Feier des Leibnizschen Jahrestages. Berlin 1850.
3 C.Ritter; Europa. Vorlesungen an d. Universität zu Berlin gehalten. Hg. von H. A. Daniel.
Berlin 1863, S. 30.
* O. Krümmel: Bestimmung des Pols der Landhalbkugel. P. M. 1898, S. 106, 107.
^ H. Beythien: Eine neue Bestimmung desPols derLandhalbkugel. Von der philosoph. Fakultät
der Christian-Albrechts-Universität in Kiel mit dem neuschassischen Preise gekrönte Schrift. Kiel
u. Leipzig 1898.
<■■ A. Penck: Die Pole der Landobei-fläche. G. Z. 1899. S. 121-126.
Diirstrlluiif,' ilcr von der Natur gegeboncn gcof,'rapliis(.'lirii Objokto. 361
ist auch dk'üer Punkt noch nicht, da fs, wie Peuck hervorhebt, darauf ankommt, ob
man Japan zur Land- oder Wasserhalbkugel reclmet. Wenn Penck auf die bestehen-
bleibende Fraglichkeit einer sichern Landhalbkugelpolbestimmung hinweist und sich
dazu bekennt, dann ist sein Bemühen im Grunde genommen auch vergeblich, die
von Beythien gefundenen Zahlenwerte durch die Berücksichtigung der sphäroidalen
Erdgestalt zu berichtigen, i
198. Die Zeichuuiig der Küsteulinic und der Meeresfläcbeu. Uns interessiert
vom kartographischen Gesichtspunkte aus di(> Frage, welche Darstellungsmittel ge-
braucht man, um das feste Land, ,,Continens"-, von ^^'asser zu unterscheiden. Die
primitivste Unterscheidung war in der stärkern Hervorhebung der Küsten-
linie gegeben. Die Darstellung konnte lediglich den geringsten Ansprüchen genügen.
Vielfach wurde dabei nicht einmal auf eine gute Wiedergabe der Küstenlinie ge-
achtet. Bis ins 19. Jahrhundert begegnen uns derartig liederlich bearbeitete Karten-
bilder.' Hinwiederum finden wir ältere Karten, die auf die Zeichnung der Küsten-
linie viel Fleiß und Sorgfalt Verwendet haben, besonders bei vielen Karten des 15. und
16. Jahrhunderts, die italienischen Ursprungs sind. Sie zeichnen sich durch eine auffällig
zierhche Behandlung der Landumrisse aus, insofern sie all die kleinen Buchten,
Inseln, Seen, Sümpfe und größere Flußinseln in regelmäßigen geometrischen Figuren
wiedergeben. Mit J. Roger erblick ich darin den Einfluß der arabischen Kartographie.*
Das farbenfreudige Mittelalter verlangte nach drastischen Mitteln der Veran-
schaulichung. Mittels Handkolorit wurden für Land imd Wasser unterschiedliche
Farben angewandt, für das Land hauptsächlich braune und gelbe, für das Wasser
blaue und grüne. Caspar VopelF, Leonardi da Vinci® und ältere Autoren' geben gute
Belege hierfür. Dann und waim kommt es vor, daß das Land grün koloriert wird.^ Als
selbstverständlich und geschmackvoll erachtete man es, das Bote Meer rot auszumalen.'
Mit der farbigen Unterscheidung von Wasser und Land war man meistens noch
nicht zufrieden. Die Küste insonderheit verlangte nach einem markantem Ausdrucks-
' Vgl. H. Wagner: Lehrbuch, a. a. 0., S. 276, Anm. 17.
^ Westenrieder: Erdbeschreibung der bayrisch-pfälzischen Staaten. München 17S4.
^ /. B. Map of the world in Bumian Characters. Calcutta 1832. [Br. M. London.]
' J. Roger: Die Bergzeiehniingen auf den altern Karten. München 1910, S. 52.
^ Auf der Weltkarte des Köllner Kartographen Caspar Vopell vom Jahre 1.570 sind einige
Liirider einförmig bräunlich überpinselt, im ganzen jedoch weiß gelassen, nur das Meer hebt sich durch
dunkelgrüne Färbung hervor.
" Auf der ersten der drei Gaukarten von Leonardo da Vinci, die höchstwahrecheinüch aus
il. J. 1502 stammen u. sich gegenwärtig in der kgl. Bibliothek zu Windsor befinden, wird das nord-
westliche Toskana in etwa 1 : 300000 wiedergegeben, u. zwar das Land in brauner Sepiazeichnung u.
das .Meer in Blau. \'gl. R. Müntz: Leonard da Vinci, Paris 1899, S. 352, und Jean Paul Richter:
The literary works of Ix^onardo da Vinci. 11. London 1883; hier sind die drei Karten reproduziert.
' Auf der Weltkarte des Albertin de Virga aus dem Anfange des 15. Jahrli. ist das Festland
gelb au.sgeraalt. - Die alten arabischen, nach geometrischen Figuren konstruierten Karten geben das
Gewässer gewöhnlich in Grün. — Unter neuern kartographischen Werken z. B. finden wir grünes
Meereskolorit in dem Universal-Handatlas der neuern Erdbeschreibung von Sohr und Handtkc.
5. Aufl. Glogsu 1857, hg. von H. Berghaus.
• Dunkelgrün erblicken wir das Land auf dem Orbis e codice 1417, Pon\ponii Molac [Ms. in d.
Bibl. zu Reims]; das Gebirge ist braun übermalt und dunkelblau Meer, See und FluÜ. — Italienische
Weltkarte aus der Mitte des 16. Jahrh. m. d. Schiffskurs der ersten Erdiunsegelung. Nach dem Rande
zu wird das Grün intensiver [J. P. Gotha].
» nie Wellkartcn vim Alberlin i\v Virga. a. a. ().. des Reiinser Codex, a. a. O.. des Genfer
(odcx (in eiiinii SalluslnuumsUi ipt des !.">. .fiiluh.) und von de In fosa. Pilote des fhi. Columbus
862 ni'' LaiMlU:ii-to und ihr LiiK''l'l'i'>-
mittel. Sie wui'de deshalb durcii einen kräftigern l''arbenton, entwiilrr in der Nuance
des Meeres^ oder durch eine ganz abstechende Farbe hervorgehoben; so finden sich
auf vielen Portulankarten und auch Inkunabeln die Küsten mit besonderer Liebe
in Blau, Rot oder Gold ausgemalt. Im 16. und 17. Jahrhundert hatten es die Karten-
verleger bald heraus, daß das bunte Aussehen der Karte die Kauflust beim Publikum
erhöhte. Für eine kaufkräftige Karte wurde leider nur zu oft das Flächen- oder auch
Kandkolorit und weniger der gediegene Inhalt zur Vorbedingung (s. § 8). Das
Handkolorit, selbst wenn es mit Schablonen geschah, war eine umständliche und
kostspielige Sache. Den Farbendruck kannte man noch nicht in der Renaissance
und folgenden Zeit. Darum mußten Kupferstich und Holzschnitt nach Ausdrucks-
formen zur Kenntlichmachung von Land und Wasser suchen. Für die Ausfüllung
der Landräume hatte man Gebirge, Flüsse, Städte, Menschen, Tiere, Bäume, Landes-
wappen und -fahnen u. a. m. zur Verfügung. Für das Meer war die dingliche Aus-
stattung nicht so leicht. Wohl dienten allerhand Seeungeheuer und Fahrzeuge dazu,
das Meer zu beleben^, aber damit war noch keine Zeichnung des Meeres gegeben.
Die Naturbeobachtung kam ihr zu Hilfe. Man zeichnete die Wellen und hatte damit
eine brauchbare Meeressignatur, geeignet sowohl für den Kupferstich wie für den
Holzschnitt. Eine der altern Karten bringt die Wellen in Zickzacklinien ge-
zeichnet^; die richtige Wellendarstellung tritt uns auch noch ungeschickt entgegen*,
auf hell blauem Untergrund 2—3 mm breite Schlangenlinien ^^^^^^ •
\\esentlich besser ist die Meereswellenzeichnung bei Marino Sanudo'', Ptolemäus*,
Gastaldo', Ortelius^, Mercator^ u. a.^", auch auf Seekarten.^^ Die Wellenberge werden
(1500) haben das Rote Meer hochrot ausgemalt. Auf einem Pergament aus dem Jahre 1603 sah icli
im Serv. Hydrogr. zu Paris eine große Weltkarte im Maßstab ca. 1 : 20000000, auf der das Rote Meer
gleichfalls rot ausgemalt war.
' Auf der Weltkarte von Vopell, a. a. O., sind die Küsten dunkelblaugrün lunrahmt. — Desgl.
sind die Küsten auf der altem spanischen Weltkarte von 1527, mutmaßlich eine Arbeit Fernando
Colons, eines Sohnes von Chr. Columbus grün illuminiert.
^ Vgl. u. a. Sim. Grynaeus, Novus orbis. Basel 1532. In A. E. Nordcnskiöld: Facsimilo-
Atlas. Stockhohn 1889. T. XLII.
" Die älteste Karte mit Wellendarstellung ist ein primitives Weltbild des 11. Jahrb. aus einem
Manuskript in St. Omer (J. Lelewel: Geographie du moyen äge, Atlas, Bi-uxelles 1850, Bl. VII,
Karte 27); auf diesem Radkartenfragment werden die Kontinente und Inseln von zickzackförmigen
Linien umgeben, die zuletzt diegesamtenMeercsflächen ausfüllen. Diese ArtMeeresdarstellung wieder-
holt sich auf verschiedenen Radkarten, vgl. Lelewels Atlas.
* Vgl. Les monumcnts de la g^ographie des biblioth^ques de Belgique. Cartcs de l'Europe 1480
bis 1485; 4 cartes en 8 femlles. Text explicatio par Chr. Ruelens. Brüssel 1887.
5 Weltkarte zu Beginn des 14. Jahrh. von Marino Sanudo. Nordcnskiöld: Periplus. Stock-
hohn 1897, S. 57.
' La geografia di Claudio Ptolemaeo, Ventils 1548. Nordenskiöld: Periplus. S. 142, 143.
' G. Gastaldo: Isola della Sicilia. Venetia 1545. Vgl. auch Remarkable maps of the XV.,
XVL and XVII. centuries, by Frederik Müller & Ci., Amsterdam 1894—97. Teil IV. Vavassor's
map of the world. Veniee, between 1530—1.550.
* Ortelius: Theatrum orbis 1570.
* Gerardi Mercartoris Atlas sive Cosmographicae . . . . J. Hondius, Amsterdam 1619. 4. Ausg.
'" Auf der Karte von Flandern vom Jahre 1538 befinden sich die zart mattgrün gefärbten Fluten
der Nordsee in sanfter Wellenbewegung; die für jene Zeit übhchen fabelhaften Sectiere felilcn. Olaus
Macnufl bringt auf seiner Karte von Skandinavien (Rom 1572; Nordenskiöld: Facsimile-Atlas, S. 59)
flache Meereswellen, belebt von Scliiffen und Meeresungeheuem.
^' Vgl. Wagner (L. J. Waghenaer): Spieghel der Zeevaerdt. Leyden 1548.
Darstellung der von der Natur gegebenen gcogriipliiseheu Objekte. 363
zuweilen schuppenarfig inciiiaiKli'igeschoben.* Ganz wüst ist die Wellenzeichnung
bei J. Ziegler, die sich in Flammen, Wirbeln, Eauchschwaden wiedergibt.^ Die
Wellenhnien ebneten sich allmählicli zu langen Wasserschraffen aus.^ Häufiger
wurden die kurzen Wasserschraffen angewandt.* Zuletzt blieb noch in der Punktur
ein Mittel, die Meeresflächen auszufüllen. ^
In der Schraffur hatten Kupferstich und Holzschnitt ein Mittel, die Küsten-
linic besonders zu markieren. Neljen dieser Küstenschraffur, die parallel zum Karten-
rand oder parallel zu den Breitenkreisen erfolgte, wurde das Meer noch vielfach mit
Punkten ausgefüllt.* Die Punktur verschwindet irn 18. Jahrhundert', dagegen hat
sich die Küstenschraffur bis in die neueste Zeit erhalten.^ Die Linienschraffur,
maschinell hergestellt, bedeckte bei kleinern Karten oft die gesamte Meeresfläche.'-*
Gelegentlich wurde das Land von der Küste aus wie das Meer schraffiert, wie z. B. auf
der Karte des Ärmelkanals von Ph.Buache. Indessen hat sich diese Art Schraffierung
nicht gehalten, da sie leicbt zu Irrtümern Anlaß gibt und als Meer zu veranschau-
lichen scheint, was Land ist und umgekehrt. Vorzugsweise wird die Linienschraffur
noch von Engländern und Nordamerikanern benutzt. Der neuere Buntdruck hat
sie ganz allmählich verdrängt.
Durch die Häufung von Parallellinii'u zum Küsteidauf, die am dichtesten au
der Küstenlinie und in Entfernung davon in größer werdenden Zwischemräumen ge-
zeichnet werden, erzielte man einen hübschem Effekt als mit der steifen wagerechten
Schraffur.'" Doch war die darauf verwendete Arbeit schwierig und zeitraubend.
Man gebrauchte deshalb diese Manier später nur noch für Binnenseen^^, bis auch sie
dem Farbenkolorit erlag.
Die Meeresräume boten schon den altern Kartenzeichnern die gewünschten
Flächen für Inschriften, Legenden und andern Beschreibungen und allerhand Zierat.
' So auf der Karte von Großbritanien u. Irland V(>i\ Ptolemäus, Bononiae I-IOS (1472). ICorden-
skiöld: Facsimile-Atlas, S. 7.
* Jacobus Zieglers Karte von Skandinavien, Argentorati 1532. Nordenskiöld : Faesinülc-
Atlas. S. 57.
^ Vgl. Petrus Apianusherzfömiige Weltkarte V. J. 1530. Nordenskiöld : Periplus. T. XLIV. —
L. Denis: Mappe-Monde. Paris 1764. [Br. M. London.]
* Vgl. Fr. Berlinghicri: (Jeographia. Florenz 1481. — Samtliehe Karten in der Ptoleniiius-
Ausg. Rom 1490. In Nordenskiölds Facsimile-Atlas. — G. Mcrcatoris Atlas Cosmographicae . . .
Jl. Hondius, .\nisterdani 1630. [J. P. Gotha.]
^ Auf der herzförmigen Weltkarte von Orontius Finaeus 1566 (Xordenskiölds Facsiiuile-
.\tlas, S. 80) finden wir .solche punktierte Meeresflächen; desgl. in den Mercatorschen Atlanten. —
.Maurice Bougucreau: Le theatre fran^ois. Tours, 1598. [U.-Bi. Göttingen.]
« Vgl. Karten von Mercator (Anni. .S); ferner B. Musinus: Xova descriptio totius Europae.
l.->60.
' Eine plastisch wirkende Küstcnschi-affur findet sich bei A. Reinhardt: Neue geograph.
Vorstellung der vornehmsten Weltteile. Frankfurt 1747. [J. P. Gotha.]
» Vgl. die breite vind sauber ausgeführte Schraffur in Malte -Bruns „.■Vtlaseoniplot", Paris 1837,
oder die altem Ausgaben von Stielers Handatlas u. a. m.
» So bei Sehulatlanten aus der Mitte des 19. Jahrh. \'gl. E. v. S\ ddws Sehulatlas. (nitlia,
oder H. Kiepert: Historiseh-geographischer Atlas der Alten Welt. Weimar 1861.
'° Diese Art Schraffur ist meisterhaft in Reiehards „Orbis terrarum antiquus". Nürnberg 1818.
ausgefillirt.
" Vgl. W. l^e: Atlas „Der Wümisee in Oberbayern". Leipzig 1901. tTbersiehtskartcn 1 : 250000
für .Ammer-, Wurm-, Staffel-, Koehel- und \\alehen8ee.
364 l>i<' I.ai.dkiiit,. 1111,1 iln- Lii-rplaii.
Diese Gepflogenheit der Kartenlieschriftiing hat sich bis heute LihaUeii. Trotz tlei
freien Flächen erfordert sie Geschick und Überlegung.
199. Darstelluu!; der Biuueuseeu. Letztere unterliegen denselben kartographischen
Darstellungsprinzipien wie das Meer, nur daß der Umriß der Seen in seiner (Jenauigkeit
hinter der der Küstenzeichnung lange Zeit nachhinkte. Auf allen Karten, auf denen
schon einigermaßen die richtige Gestalt der Festländer, Halbinseln und Inseln zu er-
kennen war, erscheinen Binnenmeere noch als Kreise oder Ovale, wie auf der Weltkarte
des Albertin de Virga. Beispiele hierzu lassen sich zu Dutzenden finden, insbesondere
auf arabischen Karten.^ Die Wandgemälde der alten Ägypter zeigen Signaturen,
wie sie heutigen Karten entsprechen ; so werden in den Gräbern von Theben die Teiche
mit Wasserschraffierung wiedergegeben, desgleichen auf der sogenannten nubischen
Goldmmenkarte (S. 402). Alle modernen Kartenwerke, sofern sie Farbonplatten
verwenden, bringen die Binnenseen blau, ebenso die zahlreichen Einzelstudien über
Bmnenseen.-
200. Das kartographische Bild der (iletscher. Die an Biimenseen wie an Ströme
erinnernden Gletscher erhalten in farbiger Darstellung das Blau, aber nicht als
Flächenfarbe, sondern nur flecken- und strichweise, wodurch der liquide Charakter
besser versinnbildlicht werden soll. Selbst auf den modernen Alpenkarten (Sieg-
friedatlas, Karten von L. Aegerter) ziehen sich die Isohypsen, für die die braune Farbe
gewählt ist, in blauer Tönung über die Gletscher hinweg. Auf altern Karten nahm
man dazu die Zeichnung von Punkten^, Eiskristallen*, und die älteste uns bekannte
Darstellung eines Gletschers, des Ütztaler Ferners, die Zeichnung eines mächtigen
Bergstocks zu Hilfe. ^
201. Die zeichuerische Entwicklung der Flüsse. Die Flüsse haben einen langen
Gang zeichnerischer Entwicklung durchgemacht, bevor sie uns mit dem technisch
und wissenschaftlich emwandfi'eien Bild von heute erfreuen konnten. So einfach
die Darstellung erscheint, so kompliziert war sie für das Mittelalter. Man kannte
wohl Flüsse; der eine hatte von ihrem Ursprung gehört, der andere ihre Mündung
' So auf Karten von Isstakhri und Edrisi; selbst auf der Weltkarte aus d. J. 137.5 „Carte
catalane". [ßibl. des Louvie, Paris.]
2 So von W. Halbfass, A. Geistbeok („Die Seen der deutschen Alpen", Leipzig 1885; nur
in blauen Isobathen), W. Ule, G. Braun u. zahlreichen andern. Nicht zu übersehen sind die Spezial-
karten der Schottischen Seen, die bei Bartholoraew in Edinburg bearbeitet worden sind.
3 R. Leuzinger: Ober- Wallis, Berner Alpen u. Simplongcbirge. 1 : 200000. P. M. 1866, T. 11.
* Sydow u. H. Berghaus: Deutschland 1:220000. Gotha, s. a. [U.-Bi. Göttingen.]
5 Auf der Karte Tirols bei Merian „Topographia provincianun Austriacai-um" 1649 erscheint
der gleiche Ferner in ähnlicher Darstellung, woraus E. Oberhummer .schließt, daß bei Merian nur
eine verkleinerte Nachbildung der Ygl sehen Karte vorliegt. Oberhummer reproduziert den betreffenden
Ausschnitt aus Merians Karte in Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1901, S. 39, späterhin bringt er in derselben Zeit-
schrift (1907) eine gute Reproduktion des Gletscherbildes aus W. Ygls Karte von Tirol 1604 (Abb. 7,
S. 8) und im Jahrgang 1909 (S. 10) Bemerkungen über das Wort Gletscher und sein erstes kartographi-
sches Auftreten. Wenn aber Oberhummer sagt: „Daß das Wort ein Schweizer Lokalausdruok war
und in den Ostalpen erst im 19. Jahrh. durch die Wissenschaft und die Touristik eingeführt wurde,
ist bekannt", so ist diese Ansicht zu korrigieren, denn auf der großen Tirolerkarte (Atlas tyrolensis)
von P. Anich und BJ. Hueber, 1774, heißt es „Ferner oder Eisglitscher". — Bis jetzt fehlt noch
eine eingehende kartographisch-historische Arbeit über die Darstellung der Gletscher, die gewiß auch
manche bemerkenswerte Seite des Glctschcrphänomens zutage fördern würde.
Darstellung der von der Natur gegebenen geographischen Objekte. 365
gosehfii; miiu wußte, daß das Land allenthalben von i*'lüs.sen cliu'chzogen war. Aber
wie sie in das Kartenbild hineinbringen? Wenn mr heute manches schlechthin als
laienhaft auf den Kartenbildern verurteilen, werden wir der alten Zeit nicht gerecht
und ahnen nichts von dem Eingen des Künstlers von damals, des flüssigen Elements
eines Landes im Bilde halbwegs Herr zu werden. Über die Lagerung der Gebirge
war man noch in Halbdunkel gehüllt, die Abdachung des Landes war eine Terra in-
cognita und von den großen Wasserscheiden hatte man nicht die blasseste Ahnung.
So nimmt es uns nicht wunder, wemi wir auf den alten Karten blättern zahlreichen
Bifurkationen begegnen, ja sogar sich kreuzenden Flüssen, wae z. B. auf der Welt-
karte von Virga.^
Erst zu Mercators Zeiten und zur Eeformation der Kartographie um 1700 wird
die Flußbezeichnung sicherer, sie wird geographischer. Die Eeisebeschreibungt-n
hatten sich beträchtlich vermehrt und wurden eifrig für das Kartenbild ausgewertet.
Trotzdem treten noch manche schier unglaubliche Errata bezüglich des Flußnetzes
auf. Wie ein böses Fatum zieht sich z. B. auf manchen Karten bis ins 17. Jahrhundert
hinein der falsche Lauf der Spree, die sich mit großer Hartnäckigkeit immer wieder
in die Ostsee ergießt. ^ Nur die besten Kartenbearbeiter sichteten hierbei kritisch.'
Trotz dieser und anderer Versehen war es der erklärliche Lauf der Dinge, daß die
Flußzeichnung in bezug auf Eichtigkeit ihrer einzelnen Elemente der Gelände-
darstellung weit vorausgeeilt war, sie hatte eben nur mit der zweidimensionalen Aus-
dehnung zu rechnen, während das Gelände außerdem noch der Höhe gerecht werden
muß, sie konnte darum schneller zu einem einwandfreien Bilde als das Terrain ge-
langen.
Da die Flüsse einen wesentlichen Bestandteil der Situation eines Kartenblattes
ausmachen, werden sie in der Hauptsache mit der Situationsplatte gedruckt, also
meist in Schwarz. Der mehr logischen Forderung, die Flüsse blau zu drucken, kommen
nur moderne Karten nach, insbesondere die offiziellen Karten verschiedener Staaten
und die ausgesprochenen hydrographischen Karten mid Atlanten. Schöne und
brauchl)are hydrographische Karten sind in jedem gehobenem Staatswesen zu finden.^
Besonilcre Jjlaudruekplatten für das Flußnetz und die Binnenseen finden wir auf
* Von mir öfters zitiert, weil sie als Festgabe des k. k. Ministeriums f. Kultus u. Unterricht
f. d. XVTII. Deutsch. Geographentag in Innsbruck 1912 jedem leicht zugänglich ist.
' Auf der Romweg-Karte 1501 von Etzlaub mündet die Spree direkt bei Stralsund in die
Ostsee; ebenso aut S. Münsters Karte von Deutschland ir)40, auf Pyramius Wandkarte 1547, auf
Gastaldos „Germania"-Karte 1564 (ca. 1 : 4000000); auf dieser Karte liegen Sittar (Zittau), Bauzen,
Berlin, Snalßunt (Stralsund) an der Spree. Hierher gehört auch die „Beschreibung des weith Beriimpten
Deutschlandt", Nürnberg 1569, worauf Spree und Havel selbständige Ostseeflüsse sind (s. oben S. :U).
' In G. Meroatoris Atlas sive Cosmographieae Meditationes de Fabrica Mundi et Fabricati
Figura, hg. von J. Hondius, .Amsterdam 1607, fließt die Spree durch Berlin und wendet sich der Klbe
zu; an dem Ortszeichen für Bautzen stellt ,,Laußnitz". — Auf den spätem hydrographischen Kurten
von Homann und von Seutter hat die Spree ihren richtigen I^uf.
■* Dcut.schland besitzt die ausgezeichnete „Wa,sserkarte der Norddeutschen Stromgebiete" in
1 : 200000. 42 Blatt nebst einer Übersicht.skarte. Hg. vom k. Pivuß. Ministerium f. I.Andwirtscliaft.
Domänen u. Forsten, Berlin 1893. Darauf sind die Flüsse blau gedruckt u. die Wasserscheiden nit.
Die Wasserscheiden der Hauptstrüme sind durch Strich-Punkt-Strich-Punkt usw. getrennt, die der
/iifliLsse r. Ordnung durch dicken Strich, II. Ordnung durch feine geri.isene Linie u. TU. Ordnung
diinh feine Punkticrlinic. Das Textbuch hier/.u gibt den Flächeninhalt der einzelnen Buch., KluU-
Mnil Slronigebicti' in Ouailnitkilonictern. Für Sludicn/.weckc sein enipfehlcnsw.-n.
366 I5i(> Landkarte und ilir Lageplan.
amtlichen Karten in der Schweiz, Spanien, Österreich-Ungarn, Belgien, Frankreich.^
Französische Karten und Atlanten, die von einzelnen Departements herausgegeben
worden smd, bringen das blaue Wassergewand bis in alle Einzelheiten.^ Ferner
haben wir ein gutes Beispiel für ein blaues Flußnetz in der Carte du nivellement
general de la France (1878) in 1:800000.^ In gleichem Maßstabe zeigt die deutsche
üperationskarte* das blaue Gewässer, während die Übersichtskarte des Deutschen
Reiches in 1:300000 wohl eine eigene Flußplatte besitzt, aber nur zum Überdruck
über das schwarz angelegte Flußnetz. In ähnlicher Weise heben holländische und
dänische Karten (1:20000 und 1:40000) das Gewässer hervor. Für die Weltkarte
1:1000000 ist die blaue Flußzeichnung Vorschrift.
Auf altern Kartenwerken fällt die blaue Flußplatte fort, was weniger der Kost-
spieligkeit der Herstellung als dem noch nicht gekannten Kartenbuntdruck zuzu-
schreiben ist. Nur Manuskriptkarten enthalten blaues Gewässer, wie es die bunten
Eadkarten und andere farbige Karten des Mittelalters bekunden. Erlaubte es die
Zeit, so wurden die schwarzen Flüsse der gedruckten Karten blau überzogen oder,
wenn sie doppellinig gezeichnet waren, blau ausgemalt.
202. Die Uferliuien. Die durch Handkolorit ausgezeichneten deutschen Meß-
lischblätter weisen das Gewässerblau da auf, wo der Bach so breit geworden ist, daß
er in Doppellinie oder, wie es technisch heißt, in ,,üferlinien" dargestellt werden
kann. Die blaue Farbe erhöht die Anschaulichkeit der sonst einfarbigen Karte ganz
auffällig, wie auch die Buntdruckausgabe der Karte des Deutschen Eeiches 1:100000
beweist. Die ihr im Maßstabe entsprechende schwedische Karte wird als Schwarz-
druckkarte mit überdrucktem Blau für Seen und größere Flüsse herausgegeben; das
Kartenbild, das sonst recht eintönig aussieht, gewinnt durch die vielen blauen Seen
Leben und Bewegung. Nach gleichem Prinzip werden die enghschen Karten, ins-
besondere durch Bartholomew^, behandelt, desgleichen die Aufnahmen der Ver-
einigten Staaten von Nordamerika.« Ferner bringt dies Land Karten in den Handel,
die lediglich der klaren und brillanten Wiedergabe des blauen Flußnetzes dienen.'
Das Bedürfnis nach besserer Klarstellung und Hervorhebung der Gewässer
auf den Generalstabskarten hat viele Armeen im letzten Kriege dazu geführt, für
ihre speziellen Operationskarten, den sogenannten „Lagenkarten" in 1:80000 und
1:100000, einen blauen Überdruck der gesamten Bewässerung des Landes zu fordern.
Den Führern sowohl wie der kämpfenden Truppe wurde dadurch außerordentlich gedient.
1 Schweiz: 1:25000 und 1:50000, Spanien 1:50000, Österreich-Ungarn 1:200000, Belgien
1:25000, Prankreich 1:50000, I: 100000 (vom Ministeriiun des Innern herausgegeben), 1:200000
und 1:. 500000.
- Ein ausgezeiclmeter Atlas seiner Art ist: Atlas du tl6partement de la Manie. Contenant
31 Cartes. Dress6, suivant döcision du conseil g6n6ral, cn date du 16 avril 1874, par le Service des
ponts et chauss6es et des chemins vicinaux. Paris 1874 — 1878. Die Karten zeigen braune Isohypsen
und blaues Gewässer im Maßstab 1:50000; die Nebenkarten in 1: 10000.
' Die Karte scheint nicht sehr verbreitet zu sein; ich sah ein Exemplar im Lab. Geogr. Physique
der Sorbonne.
* 1921ff. herausgegeben als Übersichtskarte 1 : 800000, 56 Bl., Buntdruck.
'"' z. B. die berühmte „Half-inch to niile" Map of Scotland, England and Wales {1 : 126-720 =
2 Males to an inch) und die ;,Quarter-inoh to niile" Map of Ireiand.
8 Die Karten in 1: 63360 oder 1 mile to an inch.
' ■/.. B. die topographische Karte von „New Jersey". From original sureysv based on the
triangulation of the U. S. Coast and Geodetic Survey. Scale:5miles to an inch (1:316800). 1888.
Darstellung der von der Natar ge-rebenen geograpliisehen Objekte. 367
Großmaßstabige Karten müssen wegen der Gesamtaulagc des Blattes ihr Haupt-
augenmerk auf die hydrographische Ausstattung des Landes richten. Diu Kichtigkeit
der Situation ist in hohem Urade davon abhängig. Die Aufnahmen in der Natur
kömien nicht sorgfältig genug hergestellt werden, selbst wenn sie wie die sumpfigen
Flußgelände höchste Anforderungen an die physischen und intellektuellen Kräfte des
Topographen stellen. Bei den deutschen Aufnahmen ist es üblich, Bäche und Gräben
l)is zu einer Breite von etwa 2 m noch in zwei Linien zu zeichnen. Wasserläufe, die
man ohne weiteres überspringen kann, werden durch einfache Linien dargesteUt.
Dabei ist streng darauf zu achten, daß durch kleine Pfeilstriche die Richtung des
Tjaufes angegeben wird. Es wäre zu wünschen, daß man von dieser Art Pfeile auf
den Handatlaskarten reichUcher Gebrauch machen ^vürde, hauptsächlich auf den
Spezial- und Nebenkarten.
Die Flüsse mit den Uferlinien zu zeichnen, geht bis ins graue Altertum zurück
und ist bis in neuere Zeiten hinein die üblichste Darstellxmgsart geblieben. Auf den
ältesten Dokumenten wird die Wellenbewegung des Wassers mit dargestellt, wie beim
Euphrat auf dem ältesten Stadtplan, den wir kennen, auf einer Keilschrifttafel im
Britischen Museum zu London; dieser Stadtplan von Babylon dürfte um die Mitte
des 7. Jahrhunderts v. Chr. entstanden sein.^ Die gleiche Wasserbezeichnmig erkennt
man auf den römischen Flurplänen von Tarracina und Mintumae. Auf allen Spezial-
karten werden die Flüsse, bei denen die Üferlinien weit genug auseinandergezogen
sind, mit schmückendem Beiwerk versehen, weniger mit fabelhaften Tieren wie die
Meere, wohl aber mit Fischen und Fahrzeugen. Auf der ersten wirkhchen Landkarte,
die wir besitzen, auf der Mosaikkarte von Mateba (Mataba, Madaba), die zwischen
520 und 550 n. Chr. entstanden ist-, erkennen wir, wie sich Fische im Jordan
tummeln, indessen nicht im Toten Meer, das nur von Euderbooten befahren wird.^
Aus der Zeit der Eenaissance melden sich die Karten des nordwestlichen mid
(isthchen toskanischen Gaus von Leonardo da Vinci.'' In Seb. Münsters Cosmo-
graphie (1544) erblicken wir die Flüsse als Flußbänder, die auf die Karte wellig auf-
gelegt und in den Windungen schraffiert erscheinen. Sogar als geflammte Bänder
' Der Plan ist wiedergegeben auf S. 72 der Verh. des XVI. Deutschen Geographentages zu
Nürnberg 1907 in dem Vortrag von E. Oberhummer: Der Stadtplan, seine Entwicklung und geo-
graphische Bedeutung. — Zuerst brachte das Bild der Keilschrifttafel mit der babylonischen Erd-
karte P. Haupt in „Über Land und Me^r", Bd. 73, 1894-95, S. 348. — Auch K. Weule bringt es
in „Weltall und Menschheit ", s. a. III., S. 317. — Der Vortrag von Oberhummer enthält femer die
.Abbildungen der oben weiterhin nachgenannten rümisclien Flurplane.
- W. Sicglin nimmt an, daß die Karte kurz vor 527 entstanden ist. Mit. u. Nachr. des deutsch.
Palästina Vereins 1897, S. 79.
* Kretschmer: Die neugefundene Mosaikkarte von Madtiba nach dem OriginaltH^richto des
Entdeckers. Mit. u. Nachr. d. deut.sch. Paläst. -Ver., hg. von Guthe. Leipzig 1897. — Ad. Schulten:
Die Mosaikkarte von Mataba und ihrV'erhältnis zu den ältesten Karten und Beschreibungen desHeihgen
lindes. 3 Karten, 1 Taf. Berlin 1900. Abh. d. k. Ges. d. Wiss. zu Gijttingen. Philol.-histor. KI.
-Neue Folge, IV. Nr. 2. — Kubitschek: Die Mo.saikkarte Palästimvs; .Mit. d. Geogr. Ge.s. in Wien.
1000. -- Jacoby: Das geographische Mosaik von Madaba. Die älteste Karte des Heiligen Landes.
Ix;ipzig I90.'5. — E. Klostermanns Ausg. des Eusobianischen Onomasticons (in der .\usg. der christl.
griech. Schriftsteller der Berliner Akademie) nimmt auch auf tlie Karte von Madaba Bezug. — Die
Mosaikkarte von Madaba im Auftrage dos Deutsch. Vereins zur Erforsclumg Palästinas, gezeichnet
von P. Palmer, hg. u. erläutert von Gut he. Ix-ipzig 1906.
* Beide Karten, wie auch die dritte von f^eouardo da Vinci sind von E. Oberhummer in The
Geogiaphical .Toiimai 1909, X.X.XIII, S. .■»44, r>45 u. 548 nai-h Jean Paul Richter: Tho liteniry
Hoiks of I^-onardo da \iMri ■. Hd. 2. b>ii(lim 1883, wiedergegeben woi-den (s. Anni. ti, S. ;Hil).
368 I^"-' IjaiidkiirtP und ihr Lagepbin.
treten die Flüsse auf der Karte auf.^ Auf den Weltkarten des Marino Sanudo von 1320,
des Andreas Bianco von 1436 und andern Weltkarten des Mittelalters werden die
Flüsse bis zur Quelle als Doppellinie gezeichnet, wie auch auf spätem Spezial- und
Übersichtskarten.^ Wenn Hartmann Schedel auf der Deutschlandkarte in
Nürnberger Chronik (1493) die Flüsse an den Quellen so ■«*''^=;^^ gezeichnet, so
liegt dies im Holzschnitt, dem es damals schwer gelang, Doppellinien zu vorengen und
in einer Spitze bzw. Linie enden zu lassen. Dadurch erhalten die Flüsse eine unnatür-
liche Breite.^ Auch war für die Breite der ideelle Wert maßgebend, den die Zeichner
den einzelnen Flüssen gaben. Auf W. Ygls Karte von Tirol aus dem Jahre 1 604 ist
die Etsch ein Drittel so breit wie der Gardasee.* Manuskriptkarten großem Maß-
stabes hielten ein richtiges Verhältnis inne.^ Andere Kartographen zeichnen den
Oberlauf als einfache Linie, wie Mercator, Nie. Janson (der Vater), Chr. H. Jaillot,
Homami, M. Seutter, Visscher, • G. Fr. Meyer, Nie. de Fer, G. BaiUieu, G. De-
Hsle u. a. m.
Bei besondern Flußkarten achtete mau darauf, daß die Hauptflüsse doppel-
lüüg, die Nebenflüsse in einfachen Linien dargestellt wurden, wie bei Sanson^, Ho-
mann', Seutter.* Die schräge Beleuchtung, die durch Cassinis Carte geometrique
de la France im 18. Jahrhundert sanktioniert wurde, ging an der Flußzeichnung
nicht unbemerkt vorüber und gab der westlichen Uferlinie einen stärkern Nachdruck
(Schattenlinie) als der östhchen. Die eigenartigste Hervorhebung der Flüsse finden
wir in Bellins kleinem Seeatlas 1764^, worin die Uferlinien mit Schraffen versehen
sind, die quer zum Flußlauf stehen, so daß die Flüsse wie Tausendfüßler (speziell wie
Geophilus electricus Linne) aussehen : .--■■■'•'''^iiiiifi^n^^mil^;^^ . Nur noch ein ein-
ziges Mal habe ich eine ähnliche Flußsignatur angetroffen. i"
Bayern bietet ims einige ältere Kartenwerke mit sorgfältig hergestellter, guter
Flußzeichnung, zunächst die berühmte Apianische Karte vom Jahre 1568 und
sodaim den Stromatlas von Bayern in 1:28000 von Adrian v. Eiedl aus dem
Jahre 1806.
' In der Nationalbibliothek zu Paris befindet sich eine Karte von einem Teil von Bayern
zwischenMainu. Nürnberg, die vor allem denNümbergerWald darstellt. Sie stammt aus dem 16. Jahrh.
Auf ihr sind die Flüsse, ivie oben beschrieben, dargestellt.
2 z. B. auf Specklins Karte vom Elsaß, a. a. O.
' z. B. auf der ältesten spanischen Weltkarte von 1527, von Hernando (Fernando) Colon.
(Auf ihr sind Elbe und Oder vorhanden, nicht aber Ehein.)
* Vgl. Abb. 8 in E. Oberhummers Aufsatz über die „ältesten Karten der Ostalpen" in Z. d.
D. u. Ö. A.-V. 1907, S. 9.
' z. B. Fr. Lavanella: Ducato di Mantoua. Mantoue 170.'i. Die Flüsse sind nicht bloß dojjpel-
linig gezogen, sondern auch blau ausgemalt. [N. Bi. Paris.]
» Sanson: Atlas Universel. Darin Karte Nr. 34. „Carte des rivieres de la France". Paris 1641.
' J. B. Homann: Hydrographia Germaniae. Nürnberg 1710 (?).
* M. Seutter: Hydrographica Germaniae delineatio. Augsburg 1725 (?). Darüber steht in
der Ecke: Ursprung und Auslauf der berühmtesten Flüsse in Deutschland.
' Le petit Atlas Maritime recueil de cartes et plans des quatre parties du monde — cn cinq
volumes. S. Bellin 1764. [Geogr. Soc. Paris.]
"> Fr. W. Spehr: Universalatlas der neuem Gpograj)Iiic. Rraunscliwcif;, im Kunst- und geo-
graph. Bureau 1S27.
Darstellung der von der Natur f;egebenen geographischen Objekte. 369
203. Quelle und Mündung. Die Quellen führen ins Gebirge hinein. Viele früh-
mittelalterlichen Karton richten darauf ihre ganze Aufmerksamkeit. Insonderheit
hatten es die Nilquellen den Karten angetan. Sie so groß wie möglich darzustellen,
gehörte zu dem Vorzug der Karte.^ Auf Mönchskarten sowohl wie auf Karten der
Renaissancezeit und später sehen wir viele andere Flüsse in allerhand runden und
ovalen Quellen, ganz gleich ob sie in der Natur vorhanden waren oder nicht, ent-
springen.^ Selbst auf der Karte von Cas.sini zeigen sich kleine rundliche Quelltünipel
als Ursprung der Bäche. Die nachcassinische Zeit führt dafür den Punkt ein, auf
topographischen Karten zuweilen eine besondere Quellensignatur oder die Be-
zeichnung Source oder Font^ (Fontaine).
Flußmündimgskarten, die in ihrer Art hart an die Seekarten grenzen, sind von
ultersher detailliert ausgearbeitet worden. Selbst mehr l)innenwärts gelegene Strom-
strecken, wo sich bedeutende Binnenumschlags- und Verkehrsplätze entwickelt ha))en,
zeigen teilwrise eine iilinliclie ins Einzehie gehende Darstellung.
204. Fhiüschillliarkoit. Besondere Flußkarfen und Stronisysteme. Ein großer
Fortschritt der Flußkarte des 18. .Jahrhunderts war die Angabe der Orte, wo der
Fluß schiffbar (navigable) und wo er für Seeschiffe benutzbar (flottable) wurde.^
Frankreich ist mit dieser Bezeichnung maßgebend geworden. 1782 gab der General-
direktor der Kanäle, Gauthey, eine Karte von Frankreich heraus, worauf schiffiiare
und nicht schiffl)are Flüsse, fertige und nicht fertige Kanäle unterschieden wurden.'*
Der Anker zeigte nicht bloß den Ankergrund an der Küste und im Ästuar an,
sondern auch die Stelle im J^inncnland. von wo ab der Fluß der Scliift'abrt diente.
Diese Signatur hat sich seitdem niclit verloren nn<l ist (lenieingut. sogar von Volks-
schulatlanten geworden.
Die amtlichen Flußkarten, auf die ich oben hinwies, werden von den Staaten
für allerhand hydrotechnische Ari)eiten herangezogen. Methodische und jiraktische
Zwecke haben gleichfalls zur Herausgabe besonderer Flußkarten geführt.* Wegen
der bessern Vergleicbbaikeit . die verschiedenen Stromsysteme durch buntfarbiges
Rand- oder Mächenkolorit xoneinander zu scheiden, ist eine alt bewährte Methode*
und erfreut sich beute ikk-Ii gml^er P.<-lieMlieit auf Schul- wie auf Handatlas- und
Studienkarten."
' So ■/.. B. im Tlicatnini orhis von Orteliiis, l.")7(l.
= .\uf der Tiroler Karte von Wolfgang La/.ius in den „Tyiii ehorograpliiei .\iistrine" (L^fil)
zeigen viele Quellen eine tüniiH'lartige Erweiterung, die wir aueh .sehon auf Karten des Ptoleniiius in
der Romausgabe von 1490 sehen; z. B. auf T. V in Xordcnskiolds Faesimile-.-^tlas.
" Vgl. Dupain-Trieh Carte gem^rale des fleuves, des rivieres, et des prineii>au.\ ruis-waux
de ia Frame avee les lanaux aetuellenient eoustruits. Paris 1781. [I'.-Bi. Göttingen.]
■* Carte de eliaines des inontagnes de Ia Frame, des sea prinei])ales iivieri>s, et tles ])rinei|>aux
eanaux de na\igatiuD, faits, ou ä faire, dans ee Hoyaunie. Bourgogne, le 8. Sept. 1782. Oessiue ,sous
Ia direetfon de Mr. Oautliey.
' Nur von den ält<'rn Karten die.ser Art sei hervorgehoben; FluÜnetze über alle Teile der Krde
ZUM! Gebraueh für MilitÄrschulen und Gymnasien von Frli. v. Plotho. Berlin 1844.
" Auf der Karte Nr. 2 aus Sansons Atlas universel, die betitelt ist „l.'Hydi-ographie ou de-
seriplion de l'eau", Paris l(i.'>2, sind die Strom.systeme durch Kandkolorit voneinander getrennt:
durch Kliiehenkolorit auf Homanns bydrographisehen Karten von Deutsehinnd (1710 u. I72.">).
' Die ÜI)er.Hiehtskarte in l:2(MH)(MMt, ilie der .,\Va.s.Merkarte der Xouhleuticben Stmmgebiete"
(s. .-Vnm. 4. S.IlOfi) beigefügt ist. Iiringt dii- Kliirtse l)la\i und unlei-siheidet buntfarbig ilun-li Fiiiehen-
unil liandkoloril die einzelnen Slronigeliiflc.
Erkort, Ktrtonvissoiiirhari. I. 2't
370 Die Landkarte und ilir Lageplan.
205. 'Wiiste und Steppe im Kartenbild. Küste und Plüsse bilden das Skelett
der Landkarte. Zwischen den Skeletteilen sind Flächenstücke gebreitet, die je nach
Breiten- und Höhenlage, je nach klimatischen ]"'aktoren und dem dadurch bedingten
Pflanzenwuchs ein verschiedenes Aussehen besitzen. Unter diesem Gesichtswinkel
die Landtlächen betrachtet, teilen wir sie in drei Klassen ein: pflanzlosi' bzw. jiflanzi'U-
arnie, grasreiche und waldreiche Ijandschaften. Je nach dem ]\!al.'istali und Zweck
der Karte kommen ein oder sämtliche drei im Kartenbild zum Ausdruck.
Zu den pflanzenlosen bzw. pflanzenarmen Gebilden gehören die Wüsten. Die
Signatur dafür ist eine gelbe oder braune Fläche, entweder als gleichmäßig zu-
sammenhängender Farbton gedruckt oder durch Easter in unzählige Punkte auf-
gelöst; also ganz dem Sandkorn in Form und Farbe nachgeahmt. Schwarze in un-
zählliarer Menge wiedergegebene Punkte sind die Signatur für Sand auf einfarbigen
Karten und von alters her im Gelirauch, alier nur auf See- und Flußmündungskarten,
weniger zur Bezeichnung der großen Sandrücken, was später erst Mode geworden ist.
Schul- und \\'aiidkarten bevorzugen die Punktsignatur für die Wüstendar-
stellung. Unter den Handatlanten zeigt Debes eine saubere braune Wüstenpunktur.
Stielers Handatlas verwendet einen sandgelben Flächenton, die altern Ausgaben
eine schwarze Punktur.^ Die gleiche Punktur auf gelbem Untergrund bringen eng-
lische Karten.^ Schwarze Punkte allein verwendet Vidal-Lablache.* Ältere Karten
kommen mit der Darstellung der Wüste nicht recht ins Geschick; sie kennen noch
keine besondere Wüstensignatur und bedecken die Wüsten, wenn sie überhaupt
hervorgehoben werden, mit kleinen Hügelreihen, was bis Ende des 18. Jahrhunderts*
und vereinzelt noch späterhin geschah. Man behilft sich vielfach mit der bloßen
Bezeichnung ,,Desert", die aber, soweit ich das Kartenmaterial überblickt habe,
bau])! sächlich für die Wüsten Arabiens „Arabie deserte" und „Deserts tres arides",
s)Hzic]l für die Wüste Roba el-Chah (Wüste Dehna oder El-Ahkäf) angewandt wurde.
Der nächste Verwandte der Wüste, die baumlose sandige Steppe, wird in
den Handatlanten zumeist nicht unterschieden. Wo sie einen ausgesprochenen
wüstenartigen Charakter hat, erhält sie die Wüstensignatur, unterbrochen durch
freie Stellen, wie die Steppengebiete im 0 und W der untern Wolga (Kirgisensteppe).
Topographische Karten legen Wert auf die Auseinanderhaltung der trocknen
und wenig ertragfähigen Landschaften. Die deutschen offiziellen Karten heben
Sanilboden, trockene Wiesen und Heide besonders hervor (s. weiter unten), die
französischen Karten die Dunes de Sables der Grandes Landes, die belgischen
Karten die Campine, die holländischen die Veluwe usw.
206. DarstelluuR «1er Sumpflandschaften. Den Wüsten und Steppen nüun sich
als wirtschaftsschwache Gebiete die Sumpflandschaften an. Für ihre ]5ezeichnung,
ganz gleich, ob ausgesprochener Sumpf, Bruch, Moorbruch, Torfmoor oder Hochmoor,
bedient man sich bis hinab zu Karten kleinsten Maßstabes der sogenannten ,,Wasser-
' Ganz besonders schön und Avirkungsvoll hat zunächst C. (i. Reichaid (1821 in Stielers
Handatlas von 1831), sodann F. v. Stülpnagel die Wüsten von Iran und Turkestan heraus-
gearbeitet. 184.*?. Stielers Hand-Atlas Nr. 43b. Ausg. in 63 Bl. Nr. XLVI.
- Vgl. E. O. Raven stein: Botanical map showing tlic geographical distribution of plants.
London 1859 ( ?).
^ Vidal-Lablachc: Alias G'-m'-ral. Paris l.Si)4.
■" Bonne: Atlas de toutes les paitics lunnucs dn ).'lr>l)c tc-iri>stir. Paris, etwa IT.Hd.
Darstellung der von der Natur gegebenen geographischen Objekte. 371
schraffur". Sio ist seit alters her international und besteht in gruppenweis angeordneten
wagerechten Strichen, die auf manchen Karten mit Punktreihen oder Grashüschel
markierende Striche] unterbrochen werden. Leonardo da Vinci^ und Ph. Apian-
scheinen die ältesten Vertreter der Sumpfschraffur zu sein. Man druckt sie gewöhnlich
schwarz, wo Farbplatten genügend vorhanden sind, blau, auf das wäßrige Element hin-
weisend, oder braun, an den sterilen Charakter wüstenähnlicher (iegenden erinnernd.
Die offiziellen Karten in Frankreich und Belgien, die mittels Lithographie hergestellt
werden, haben die blaue Schraffur. ])ie deutschen Meßtischldätter gebrauchen die
einfache Wasserschraffur zur Bezeichnung von nassem Boden, die Wasserschraffur
mit regelmäßig verteilten senkrechten Doppelstrichpaaren für nasse Wiesen und
dasselbe Bild mit zwischengelagerten Grasbüschelstricheln für Sumpf, Moor, Bruch,
Moorbrach und Morast. Vertreter der blauen Wasserschraffur ist Stielers Hand-
atlas, der braunen Debes'- und Andrees Handatlanten. ^ Letzterer legt manchen
Sümpfen, so dem Zaidam- oder Tsaidamsumpf (95° W und 37' N) im östlichen Zen-
tralasien, noch eine blaue Querschraffur üi)er, was gar nicht übel wirkt. Bei dem
Bourtanger Moor desselben Atlas ist nur braune Signatur angewandt. Die Fluß-
und Gebirgskarte von Europa, wie sie E. Debes im Handatlas bringt und auf der
durch besondere Signaturen Sumpf, Tundra, Steppe und Sand (Wüste) unterschieden
werden, müßte in ähnlicher Weise für sämtliche Kontinente wiederholt werden.
207. Der Wald (einschließlich Savannen). Die Notwendigkeit seiner Darstellung.
Die Wi.'dergab.' dos Waldes im Karfenbildc geh.irt wohl in das (rebiet der natur-
und kulturhistorischen Karten, docli läßt sich ihre Erörterung auch hier reclit fertigen.
Die großen zusammenhängenden Wäld'er hal)en etwas Ürsprünghches an sich, selbst
in Staaten mit hochentwickelter Forstkultur, man denke nur an den Böhmerwald.
Der Wald gehört durchaus nicht zu der dauernd benutzten Wirtschaftsfläche der
Erde. Er bedeckt rund 42 Millionen qkm, daran sind etwa 10 — 12 Millionen qkni
vorübergehend benutzt.* Die reichUche Hälfte des Waldbestandes der Erde, etwa
25—27 Millionen rikm, gehört zu den dauernd unbenutzten Bäumen. Vorwiegend
gelten als kulturell noch nicht erschlossen die großen zusammenhängenden Wälder
in den nördlichen Gebieten der drei Norderdteile bis zur polaren Waldgrenze am
("lO" N und die Urwälder in den Tropen, diese meist nur den großen Strömen folgend,
weniger zusammenhängend als die großen Nordwälder.
Der Ausbreitung der Wälder könnte in den Handatlanten auf Spezialkartcn
oder wenigstens den Übersichtskarten der Festländer ohne große l^elastung des
Kartenbildes mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Durch einen leichten Baster-
ton einer bereits angewendeten Farl)e ließe sich Abiiilfe schaffen. De.sgleichen koimfen
uns die Spezialkarfen der großen .\tlaiiteii über die typischen, ursprünglichen Gras-
' Leonardo da N'inei hat auf der dritten seiner Karten die rontinisolien Sümpfe vorzüglich
wiedergegeben; h. .-Vnni. 6 S. :i01, sowie aueh den Vortrag von E. t)berliumnier: Ix>on»rdo <la N'inoi
und die Kunst der Renaissance in ihren Beziehungen zur Erdkunde. IX. Internat. Qo^gr.K. in Oenf
I90H. 1. Cfenf MMW, S. :I01. :J()2.
' Auf l'hilipp -Vpians Uandtiii'ehi von Mavirn I.Viti s\i\(\ die .Moser ganz in uiisn-r heutigen
Signatur dargestellt.
' In Debes Handalla-i (liU.'J): O^tasien \r. -M. in Stielers Handatlai (lüOTl: Vonlerln.lien
und Innerikiien, Xr. (12; in .Andrees Handallivs (1!U4): OstÄsien. Xr. 1(14 1(>."..
* .VI. Eckert: (iniiwIiiU .l.r llandcisgeographie. I Mli-ni Ui. is, luifl. u. Verkehrsgi-ogr.
I-eipzig 190.">. S. fi:t (>(;.
372 t^ie Laudkavte und ihr Lageplan.
laii(l:Jcliaften unterrichte ii, wie iilier die argentinischen Pampas, die lirasihanischen
Canipas und die IJanos am Orinoko, überhaupt ül)er die Savannen in den Trojien.
j\Iit den kleinen Weltkärtchen über die Vegetationsformen iii den Hand- und Sclud-
atlanten ist es nicht getan. Diese Fbersiehten sind zu aligemein. Mit Bedauern mnl.)
es vermerkt werden, dal.^ auf dem AVeg. den Aug. Ravenstein 1840 gewiesen iial,
nicht fort geschri? teil worden ist.' Die Kenntnis der Vegetationsformen ist y.u wiclitig,
als daß sie nur aus speziellen Pflanzenkarten, die man besondern Atlanten und \'er-
öffentlichungen einverleibt, geschöpft werden kann. Paul lianghans hat duicb seine
Wandkarte von der Bodenbedeckmig Afrikas 1900 ein Vorbild gegeben-, das Nach-
eifening in weitester Beziehung verdient. Gewissermaßen einen Vorläufer hat die
Karte in E. G. Eavensteins Pflanzenkarte der Welt aus der Mitte des vergangenen
.labrhunderts.'' .). G. Bartholomew liehandelt den Wald auf vielen Karten seines
Atlas (jf the world's commerce London s. a. (1907) mit groi.'ier Triebe und Sorgfalt.
Die Zeichnung des Einzelbaumes für einen Wald oder eine Anzahl von Bäumen
reicht bis ins frühe Mittelalter zurück. Sie wird heute noch mit ganz bestimmter
Absicht augewandt, wenn z. B. auf Wirtschaftskarten ein Palmenliaum da hin-
gezeichnet wird, wo sich Öl-, Kokos- oder Dattelpalmen vorfinden.* Auf mittel-
alterlichen Karten und kartenähnlichen Bildern bemerken wir zuweilen nur den
Baum: es genügte, in dem Kartenkünstler und all den Betrachtern seines Bildwerkes
die voUkommne Erinnerung an einen Wald zu wecken.^ Bei Seb. Münster tritt die
Baumsignatur vereinzelt auf.* Auch bei Mercator ist der Wald in einzelne ziemlich
ausführlich dargestellte Bäume aufgelöst.'' .T. B. Homann bringt gleichfalls auf einigen
Karten Einzeli)äume, eine Karte von ihm zeichnet sich dadurch aus, daß auf jedem
]5erggipfel eine Tanne stellt.^
' „Plastischer Schnlatlas" f. d. erste Stufe des Unterrichts in der Erdkunde, hg. von Aug.
Ravenstein, Frankfurt a. M. 1849. Darin sind gelb = Kahlländer oder vegetationslose Wüsten;
gelb mit grünen Punkten = Graslandschaften, in der Form von Heiden, Steppen usw.; gelbgrün =
Graslandsohaften, in der Form als Pampas, LIanos, Prärien usw.; dunkelgrün = Wald- und Busch-
landschaften, als Savannen, Selvas usw.; rot = kulturiähiges Land im allgemeinen. — Was hier im
kleinen angefangen war, hätte im großen, bes. in den Handatlanten, fortgesetzt werden sollen.
- Die Karte führt den Titel: Justus Perthes" Wandkarte von Afrika zur DarsteHung der Boden-
hedeckung in 1: 7.500000, bearbeitet von P. Langhans. Ein hellgrüner Flächenton luiifaßt Baiun-
nnd Baschsavanne mit Höhen- und Galeriewald, Oasen, offenes baumarmes Grasland und Wald- und
Kulturland der afrikanischen gemäßigten Zone. Dunkelgrün erscheint der geschlossene tropische
Wald (Guinea- und Äquatorialwald).
•■ E. G. Ravenstein s. Anm. 2, S. .370. Zugrunde liegt eine Mercartorkarte. Wenig Flächen-
kolorit ist angewandt. Außer den Polargrenzen wichtiger Pflanzen sind darauf angegeben die Wüsten
(oben schon erttähnt), in Hellgrün mit Punkten die Prärien und Steppen, in Dunkelgrün mit ver-
einzelten Baumsignaturen die Waldregionen.
■• Vgl. Wandkarte der Roherzeugung der Erde für den Welthandel und größern Eigenverbrauch
der Produktion.sländer. Bearbeitet von P. Langhan.s. Gotha s. a. 1 : 2000000. Palme mit 4 Wedel =
Kokospalme, Palme mit .1 Wedel = Ölpalme.
■■ Auf Pierre Descelliers Weltkarte i.'j46 stallen einzelne Laubbäume und Palmen asiatische
Wälder dar. Vgl. T. LHI in Xordenskiölds Periplus. Auf dem Kartenausschnitt von Afrika, T. LH,
wird die Verbreitung der Dattelpalme durch vereinzelte Palmenwedel angedeutet.
' So finden sich z. B. auf der Karte von Afrika in Seb. Münsters K()sniiif;iiiphic einzelne
Bäume, auf denen Papageien sitzen. Nordenskiölds Periplus S. 127.
' Vgl. die verschiedenen altern Ausgaben von G. Mercartors Atlas sive cosniogra))hicae
meditationes de fabrica Mundi. ■/. B. die Sbändige Ausg. A. Busius: Düsseldorf l.')8.5 — 9.5. [Br. M.
Jvondon.]
* Xova et accurata f'arinthiac Ducatus tabula gcog?a])liica. Xiiriit.crg s. a. H'.-Bi. Oiitdiii/cn.]
Darstfllung ilcr von der Natur t;egebeucn geograpliisclicn Objekte. 373
llcutf hat der cinzelstcluiiilr IJaiuii im JKartunbild fiue andt'ro Bi-deutuuK'. I^r
ist an Wcgkrc'uzi'ii, auf I5cr},diii|)]i('ii usw. liii wichtiges Orientierungsmittel, für topo-
graphische und Triangulationszwecke suwoid wie für n-in militärische. Darum er-
scheint er gern auf Generalstabs- und Operationskarten größern Maßstalies. Auf
der Karte 1:SS()()()() setzen die Franzosen an Stelle des P^inzelbaurnes einen Tunkt
und schreiben ..Arluc" hinzu, selbst wenn der Baum nicht mehr existiert.
Neben dl 111 i'liiizelbaum finden sich auf altern Karten größere und kleinere
Wälder «largestellt. Auf den sog. Beatuskarten, die wir vom H. — 12. Jahrhundert
finden, sind einzelne Berge mit Baumsignaturen geschmückt^ sowie auf einem l'lane
von Jerusalem eines Manuskriptes des 13. Jahrhunderts der Bibliothek von Bour-
gogne.2 Eine Anzahl Bäume umgeben den Apollotempel von I)a])hne bei der Stadt
Antiochia auf di'r Peutinger Tafel und kennzeichnen auf diese Weise die ijerühmten
Lorbeer- und Zypre.ssenhaiue des Tempels. Auch andere große Wälder sind auf der
römischen Keisekarte angedeutet. Der Schwarzwald (Silva Marciana) und die \'ogesen
(Silva Yosagus) sind mit Bäumen bepflanzt, wodiiicli sie als A\'a]dgebirge dem baum-
losen Ali)enkamm gegenüber gestellt werden. Auf dem l'lau von Jerusalem nach
Marino Sanudo (Petrus Vesconte)' 1320 sehen wir die Wege außerhalb der Stadt von
palmenartig gezeichneten Bäumen (eigentlich Feigenbäumen) begleitet. Bäume werden
auch zu Gruppen zusammengepfercht, um bekannte große Wälder zu markieren.*
Neben dem Verfertiger der Peutingerschen Tafel ist es Phil. Apian, der auf seinen
luu'rischen Tafeln das Waldgebirge in die Karte einführte. Der Wald wurde ganz
naturalistisch beluuidelt. (iute Nachfolger darin hatte er in G. Fr. Meyer (Elsaß-
karte 1703) und in Honiann (Karte von Böhmen). Im Gegensatz dazu werden auf
der Carte Chorograijhique de la Boheme von Müller, Paris 1757, die Berge an ihrem
Fuße von Wäldern umsäumt.
Die Renaissance, die mit kühnem (iriff die mittelalterlichen Fesseln sprengte,
lirachte auf manchen Karten Bäume und (ieliüsch in ihrer Kigenform vollendet zur
Darstellung, wie beispielsweise den Macchienwald der Dünen im S der pontinischen
Sümpfe.'' Die realistische Darstellung von Bäumen und Baumgrujjpt-n hat sich auf
großmaßstabigen Karten und Plänen bis zur Gegenwart erhalten. \\'ahre Pracht -
karten in dieser Beziehung sind die Spezialkarten, die von den fürst liciuu SchKissern
und Parks und uahgelegenen Wäldern zu den Zeiten l^udwigs NIV. bis ins 11». .1ahr-
Imndert hinein gezeichnet wurden. Die Wälder wurden teils in Einzelliäume auf-
gelöst«, teils als dichte Wipfelpartien (aus der Vogeliiersiieklive gesehen) gezeichnet."
Die Franzosen lialun die Muster geliefert zu dieser ausführlichen und wirkungsvollen
' Kdiit. MilU'i: Die iiltcsten Wfltkaitiu. Stullput IS'.I.",. l. J)ir Wellkai te des Uriitiis. In
den Fiuben des Originals. II. T. 4, T. 5, T. 7.
- Jetzt in Brüssel. Vgl. J. Lelcwcl: GÄogiai)liie du iiio.ven äj;e. Atlas. Hrii.s.sel KS."i(), T. :»2.
■' \'gl. K. Kretschmcr: Marino Sanudo der .Vlteie u. die Karten ile.s retnis Veseonte. Z. d.
(ies. f. Kr-dk. zu Berlin 1891, S. .'i.WÖ. - Vgl. aueh Ohcrhumnier, a. a. O., S. 8;«.
' Auf der Kartt^ von Gallien in der CJeograiiliia di Franeeseo Berlinghiori , Firenze IITS ( ?),
i.st lediglieh der Ardennenwald gezeielinet; s. in Nordenskiolds Faesinuie-Atlas S. l:!.
' Auf der ."!. der Gaukarten von l..<'onaid() da Vinci, a. a. O.
« Auf „Im earte geonietrique du Haut-Dauphin^'- von Boureet; (1 : 80.'J(K)) levee «le 174!» a IT.Vt.
" Wie z. B. auf „I^a Carte des Environs de Vei-sailles (dite de.s t'liasses du lV>i), levtV> et dn-ss^e
dl- I7»)4 ä l??."} (1 : 28800). - Vgl. aueh Bonne: Atlas von Frankreieh, Paris 1700, der sich dinvh sorg-
Initijie Kiniragung der Wiildei' au'ziielinet.
374 1^''^' I'iiinlkartc und ilir Lag('j)li\n.
AValdzeiclinung auf licl^-ist-lirii'. jiirdi'rliiiulisclirii ((Iculsflidi)- und däuisclicn KartcuS
di'S 18. Jahrhunderts.
208. l'nfersi'heidunj; der Itauiuarteu. Eigne Sif^'natur für Laul)liauni sowuhl wie
für Nadelbaum zeigt die Peutinger Tafel auf dem Schwarzwald und den Vugesen
(s. oben). Auf der Karte von Deutschland, die sich in dii- Uiilic dci' l'tolemäuskarten
der römischen Angabe vom Jahre 1400 lufindcl. werden Laub- und Nadelholzwälder
unterschieden.* Die älteste Karte der Schweiz von Konrad Tür st 1495 deutet die
Wälder mit Unterscheidung von Laub- und Nadelholz an.* Auf einer Kupferstich-
karte des 16. Jahrhunderts, die den Nürnberger Wald zum Vorwurf hat, bemerkte
ich die erste klare Unterscheidung zwischen Nadel- und Laubwald.* Alte Kataster-
plane mit ähnlichen Differenzierungen lassen sich in reicher Anzahl aufstöbern.
Toiiograjihiseiic und brsdndcrn Zwicken (Hencndc Spezialkailcn bciiiiihen
sich, die Holzarten, die dem Wald das ciiaiakle.istisehe Aussclicn Nrrleili.ni, kenntlich
zu machen. Die Signaturen dafür sind leicht verständlich und ahmen den Laulj-
Ijzw. Nadelwald nach. Mit ihrer Hilfe läßt sich leicht Nadel-, Laub- und .Mischwald
unterscheiden. Die kleine schmale pyramidenähnliche Signatur als Abbild der Tanne
ist für den Nadelbaum die übliche Signatur geworden. Ich will sie der Einfachheit
halber „Tamienbaumsignatur" nemien, zum Unterschied von der „Waldringel-
signatur" für Laubholz.'' Auf den offiziellen schwedischen, norwegischen und dänischen
Karten wird die Tannenbaumsignatur durch ein kleines sechsstrahliges Sternchen er-
setzt. Dasselbe Bild tritt auf den topographischen Karten der Vereinigten Staaten
von Amerika auf, wo es Fichte oder Kiefer bedeutet, während die Zedern das Tannen-
baumzeichen erhalten.
Die deutschen amtlichen Kartm uidnscliciden nur auf l:'2r,()()() und ]:]()()ÜU()
die Waldartens, „jciit mehr auf 1:2ÜUÜUÜ und 1:3U()()(K), obwohl es auf der Topo-
graphischen Übersichtskarte noch möglich gewesen wäre. Auf dieser sowohl wie auf
der Übersichtskarte von Mitteleuropa in 1:300000 ist die allgemeine Wald- oder
Eingelsignatur, die eigentlich dem Laubholz entspricht, angewandt. Auf der mittel-
europäischen Karte ist noch ein Übriges getan worden, indem über die Waldsignatur
' Ft'iraii.s: Carte ehorographicjuc dos Pays-Bas Autrichiciis (Belgien) 1777.
- F. .Sotzniann: Holland oder die Vereinigten Niederlande (in 9 Blättern). iSciliii I7',l().
•' Caspar Wc.el: Karten von Seeland 1768—1772. Karte von Kopenhagen 1706. — Jütland
und die Dänischen Inseln, gezeichnet von H. Skanke 1776, von G.Weßel 1780, von H. Skanke 1783,
von O. Warberg 1787, 1780, von P. Harboc 1791. [Sämthche Karten wie auch die unter Anni. 1
u. i genannten in U.-Bi. Göttingen.]
1 A. E. Nordenski öld: Facsiniile-Atlas, T. V.
s Vgl. dieWiedergabe der Karte bei E.Oberluunnier: Die Kntstehung der Alpeiilaii teil. Z. d.
D. u. Ö. A.-V. 1901, S. .33.
« s. .■\nni. I,S. S68. Übrigeus bilden die alten Nürnberger W'alilkarten, auf die ieli ikhIi einigemal
zu .si)reehen komme, einen wertvollen Bestandteil der Nürnberger Bibliotheken und Museen. Vgl.
J. Müller: Katalog der histor.-gcogr. Ausstcllg. des X VI. Deutseh. Geographentages zu Nürnberg.
Nürnberg 1907, S. 46ff.
' An Stelle des kleinen rund gehaltenen Laubbaumes findet man das rechts mit Nachdruck
( Schatten) gezeichnete Ringel mit senkrechtem Strichet als Stamm und wagerechtem als Fuß. Letztere
beiden Striche fallen auch ganz weg.
» In 1 : 100000 unterschied schon A. Papcn auf den Karten seines ToiX)graphisehcn Atlas des
Königreichs Hannover und Herzogtums Braunschweig (67 Blatt, Hannnover 1832—1847) Laub-
und Nadelholz.
'/eiehnuiig dir von Menschenhand ins Antlitz der Erde eingcschriebonen Spuren. 375
i'in gewisses Flächoukolont ausgu breitet wurde. Darin ist ihr jeduch W. Liebeiiows
Karte von Mitteleuropa in gleichem Maßstabe vorangegangen. Gerühmt und ge-
schätzt ist die Sonderausgabe der Vogelschen Karte von Deutschland mit grünem
Waldkolorit. Die österreichische Karte 1 : "200000 gibt ein durchsichtiges, bläulich
grünes, angenehm wirkendes Waldkolorit. Daneben findet sich auf Karten aus-
nahmsweise auch braunes Flächenkolorit für die Wälder.^ In älterer Zeit wurde
Flächenkolorit nur auf handschrifthclien Karten gebraucht. Desgleichen werden
Kupferstich- und Holzschnittkarten mit grüner Waldfarbe bedeckt.
Die mehr nördlich gelegenen Kulturländer legen großen W'ert auf die Unter-
scheidung der Waldart en^; die südlich gelegenern versagen merkwürdigerweise in
dieser Beziehung, so z. B. Frankreich. Daß die Unterscheidung von Laub- und Nadel-
holz auf 1 : 80000 fehlt, ist ein großer Nachteil der Karte, insonderheit für das nörd-
liche Frankreich. Mit der Eingelsignatur des Laubholzes wird alles ausgedrückt, wie
auch auf der Karte de la France (dressee par ordre du Ministre de l'Interieur), wo
die Waldsignatur in Grün gedruckt ist.' Nicht einmal die schöne iieue Karte von
Frankreich in 1:50000 bringt eine Differenzierung, sondern nur ein gemeinsames
hellgrünes Flächenkolorit.'' In die Fußstapfen Frankreichs tritt teilweise Belgien-',
von Italien brauchen wir nicht weiter zu reden. Zuletzt ist für Italien, Griechen-
land, Spanien, Portugal, die Unterscheidung nicht so wichtig wie für Deutschland
und dessen Nachbarländer. Selbst die Schweiz unterscheidet in den großen Maß-
stäben 1 : 25 000 und 1 : 50 000 nicht Laub- und Nadelholz und begnügt sich mit den
üblichen Waldringeln; die Waldkomplexe sind hier wie auf vielen andern großmaß-
stabigen Karten von einer feinen schwarzen Linie umrahmt.
II. Zeichnung der von Menschenhand ins Antlitz der Erde
eingeschriebenen Spuren.
'2«J>. Die Kulturl'lächo im aii;;(>nH>lnrn. Ob der menschliche Geist die herrlich-
sten Werke der l'oesie und Musik gisehaffeii und inigestillter Forschungsdrang das
Gehoiinnis alter (ieschielits- untl l'jrdejiochen entschleiert, ob heftigste Stürme und
Kriege über die Erde dahinbrausen, ob in dem Kreislauf der Naturvorgänge die
Gebirge nivelliert und die Ebenen wieder zu Gebirgen aufgetürmt werden, nichts
ist gewaltiger als die Spur, die der geschichtliche Mensch in der kurzen Spanne sein(>s
historischen Daseins in das Antlitz der Erde eingegraben hat. Der Mensch lauschte
der Natur ihre Geheinmisse und Gesetze ab und wandte dii' so erworbenen Erfalu-ungen
' So auf ...Mapim KnMfstwa l'olslvii-go |K)dUig naynowszych zrödel ulc'i/.ona i litopiiifoimwa
w Zaizadzic (-)l)ci-Kwatennini»trzii Wojsk w Krölcstwic Polski^ni; 1 : 504000 w 4 Sek. Warszawa IStW
([Klinisch).
- Außer den bereits genannten sei noehFinnland cnviihnt mit dem „Atlas doFinlaude". Helsing-
foi-s 18Ö9.
" Mit dieser Art grüner VValdbezeicimung zeichnet sieh „Hobson's Fox-Hunting Atlas" von
.). u. C. Walker, London 1848 ( ?). aus.
* Paul Pelet koloriert die Walder in seincin ,,.\tlas des culoiiies l'iunvaise.s", Paris 1!>02. gleich-
fiills grfin.
» Bei der buntfarbigen Ausgabe der belgischen MeUtischbliitter 1 : 20000 ist die Waldringel-
Signatur der schwarzen Situationszcichnimg mit einem durchsichtigen, lilc.ugrflncn Fliichcnkolorit
iilicrdeckt.
376 Die Lauilkartc und ihr Lagoplaii.
und Kenntnisse teils gegen sie, teils zu iliivr \Cr\(iiikt)iiiinmuig an. 1)ii'H.s ..('orriger
lii nature" offenbart sich am ursprünglii-lisit u und i,'nil.-')artif;stru in diin (Icwiiin au
Kulturfläche.
Unter Kultiu-naehe der Kide ver^leiie icli die lü-ddlMTlläehr, s(nv,ü si,. iiulzliaro
I'fian/.en . hisoiulei-lu'it Xahrungspflanzen für .Mciisciicn und Tiere liefert (ider zum
Anliau \()n Kulturpflanzen geeignet ist. Weit in iir>rdiielie (a'hiele hinein trieb der
Mensch den (letreidebau, bis die 15" Isotherme des wärmslen Sdinmermimals ihm
ehi Halt gehut. Trotzdem ist die Kulturflache kleiner als die Okinmne. Von der
14!» Millionen Quadratkilometer großen Landoberflächi' des Krdlialis eulfalit auf die
Kulturfläche nicht ganz die Hälfte und davon auf Aekcr und \\ ii'sen bzw. Weideland
über 300 Millionen guadratkih)meter.' Daran seiiliel.ien sieh (he Wälder mit ge-
regeltem Forstljetriel) (8. 371).
h'ür die wirtscdiaftende Menschlu'it wenleii mii jedi ni .laiii-i' dii^ Fragen bri'n-
nender: Wie ist die landwirtschafthche Fläche iu(iiisi\er ausziniulzeu, wie ist sie
zu ^•ergrößern, wie zu verbessern? Die Kulturstaaten, insonderheit die (Hellt be-
siedi'ltMi, haben ein lebhaftes Interesse daran, sich bei der Beantwortung der Fragen
über di(! Verteilung der ihnen zur Verfügung stehenden Kultivationsfläche ein JJild
zu machen. Die Feldvermessung, die schon bei den alten Ägyptern in hoher Blüte
stand, tritt auf den Plan und schafft durch großmaßstabige Karten, die Kataster-
plane. Klarheit. Der Maßstab 1 : 5000 hat sich für diese Karte als brauchbar er-
wiesen und ist nach französischem ^'ol■bilde von Bayern konsequent durchgeführt
worden. Daneben ist der Maßstab 1 : 2500 mit Erfolg angewendet worden (s. ö. 225).
Für geographische Arbeiten und Forschungen werden die Katasterkarten nur in
seltenen Fällen herangezogen. Im allgemeinen begnügt man sich mit den Meßtisch-
blättern, indessen wäre nicht selten angebracht, wie wir nachgewiesen haben, auf
Karten großen Maßstabs zurückzugehen, nicht bloß bei Siedlung»-, sondern auch
liei Wirtsehatts- und andern kulturgeographischen Studien.
210. Felder und Wiesen im Kartenbilde. Auf den Meßt isehbläl fern Jileiben alle
Ijodt'iiflächen, die der Beackerung unterliegen, frei xoii irgendwelcher Bezeichimng,
ganz gleicligidtig, ob die Felder regelmäßig bestelll (»ler ))ur in gr(ißern Zwischen-
räum(n mit Feldfrüchten bestellt werden. Die ami liebe spanische Karte in 1 : 50000
zeigt eine ausgesprochene Feldsignatur, indem feine gewellle hinien, den Ackerfurchen
entsprechend, aneinandergereiht werden. Soweit diese Signatur auch anzuerkennen
ist, die offiziellen Karten Deutschlands, Frankreichs und Englands würde sie be-
lasten, ohne Signatur sind die gewünschten Verhältnisse klar und deutlich aus der
Karte zu lesen. Auf altern Spezial- und Manuskriptkarten werden ganz allgemein
die Ackerfurchen durch (h-ujipen paralleler Linien dargestellt. -
Die Wiesen hingegen werden mit einem besdiidern /eichen iHdaclil. Der
Topograph bezeichnet als Wiesen solche Üodenfläelien, die nicht beackert werden,
ganz gleich, ob sie gelegentlich zur Weide benutzt oder regelmäßig zur Heugewiimung
gemäht werden.' Die deutschen Meßtischblätter unterscheiden durch besondere
Signaturen trockne Wiesen von nassen Wiesen und diese wieder von Hutung bzw.
' Vgl. M. Kckcit: Gnindiiß, a.a.O., .S. (>:!.
- Aui einer Manuskriptkaitc [N. Bi. Pari.sJ „Places fortcs de l'Alsace" (1674—1677) werden die
Felder durch die oben beschriebene Sondersignatur gut von den Wäldern unterschieden.
' Br. Schulze: Das militärische Aufnehmen. Leipzig und Berlin 190U, S. 165.
Zeichnung der von Menschenliand in» Antlitz der Erde eingeschriebenen Spuren. 377
Vicliwciac. Selbst die toi)Ot,'rai)hisclii'ii KartLii 1 : lUÜÜUO uiul 1 : 200000 unter-
scliiiilcii noc-li nasse und trockne Wiesen. Auf diesen Unterschied legen andere
Staaten, wie Italien, En^'land, die Schweiz kein Gewicht, wohl aber Frankreich,
besonders auf altern Karten. Auf den Karten von (i. Baillieu, H. Jaillot aus dem
Anfang des IS. Jahrhunderts erhalten die verijchiedenen Eiedgegenden am lihein
eine Signatur, die für die ..nasse Wiese"" heute noch gebräuchlich ist. Auf der Cas-
sinischen Karte werden die ..Prairies" von den ,,Marais" unterschieden. Die Dänen
legen auf der Karte 1 : 40000 über die Grasbüschelzeichnung eine zarte blaue Schraffur.
La nouvelle Carte de France in 1 : 50000 überdeckt, wie bei den Wäldern Ijereits
hervorgehoben, die Wälder mit Hellgrün und die Wiesen mit Dunkelgrün. Die Belgier
verwenden die l'arljen umgekehrt. Auf allen Karten werden ebenfalls Wiesen wie
Felder mit grüner Farbe angelegt. Indessen bleibt Cirün in der Hauptsache den
Wiesen vorbehalten. Auf der unter der Kegierung Friedrich III. (I.) von 1690 bis
1700 gefertigten topographischen Karte der Kurmark Brandenburg (erschienen 1720)
des Oberingenieurs und Generalquartiermeisters, Generals Peter von Montarques,
waren die Wiesen grün augelegt. Mit hellgrüner Farbe fand ich auf einer Jlanu-
skriptkarte in Paris (1674—1677) Felder und Wälder gut bezeichnet. ^
211. Darstellung von Sondcrkultureu. Auf kleine mtensiv ausgenutzte Län-
dereien, die einer besondern Kultur dienen, können bloß die amtlichen Kartenwerke
Rücksicht nehmen, ausgenommen Karten kleinern Maßstabes, wie Wirtscliaftskartcn.
die mit der Darstellung dieser Sonderkulturen eiiaen bestimmten Zweck verfolgen.
Die deutschen offiziellen Karten unterscheiden auf 1:25000 Obst- und Gemüse-
gärten, Schloß- und Parkanlagen, auf 1 : 100000 Baumschule, Weinberg und Hopfen-
garten, auch Hauberge und Gebüsch, sofern Gartenanlagen darunter zu verstehen
sind, auf 1 : 200000 Wiesen und Hopfenpflanzung und Parks, auf der Übersichts-
karte von Mitteleuropa 1 : 800000 erscheinen nur noch die Weingärten. Die (irandi'
carta topografica del Begno Tltalia in 1:25000 und 1:50000 bringt neben der
feinen Waldringelsignatur eine Sonderbezeichnung in Schwarz für die Weinkultur.
Li nouvelle Carte de France 1 : 50000 macht die Weingärten durch einen violetten
Ton auffallend kenntlich. Daneben werden durch grüne Schraffur die Gärten und
durch schwärzte ]'uid<1ni- die Obstanpflanzungen hervorgehoben. Die dänischen
Karten schenken den Obsf- und (iemüsegärten die nötige Aufmerksamkeit. So
erkennt man auf guten topographischen Karten fast überall, welche Sonderkulturen,
durch Boden und Klima bedingt, für ein Gebiet geeignet .sind und sich einer besondern
Für.sorge der bi'treffenden Staaten erfreuen. Über Sondersignaturen von Kulturen
\gl. weiter folgende Al)schnitte.
Auf die Angalie der Wald- \</.\\. J'.aunisignatur konnten die großniaßstabigeii
tii|iographischen Karten alln- Ivdlurstaaten niKJi luehr Sorgfalt legen. Wenigstens
müßte die Baumsignatur an den l.andsiralien mit aufgcnonunen und dabei gewisson-
iiaft zwischen Obstbaum, gew<ihnlichem Laubbaum (Papitel), Nadelbaum unter-
schieden werden, was die Karten in ihrem Wert für wirtschaftliche Studien ungemein
erludien würde.
iVl. l>ie KntHickimi!; des Stäillchihh'N auf der Karle. ] )ie Aidage und der üau
von Wohnplätzen mul Verkebrswe-. n haben das Anllit/ .ler Knie am auffälligsten
' 8. Anni. 2. .S. ;J7(i.
378 Di*' Laudkarti', uiul ilir Lagcplan.
verändert.^ In altersgiauo, altbubylünischc Zt'it führt uns der erste Grundriß einer
Wohnstätte (s. S. 367). Viel ist aus dem Plan von Babylon für die Kartographie
nicht herauszuholen. Er ist viereckig und umfaßt ein gewaltiges Areal. ^ Wer im
kapitolischen Museum in liom gewesen ist, wird sich des antiken, in kolossalen Dimen-
sit)nen ausgeführten und im Treppenhaus eingemauerten Stadtplans von Koin (etwa
•210 n. ein-.) entsinnen. Er hat in der Anlage viel Gemeinsames mit modernen Plänen.
Die t'hinrsi'n bi'saßen im 4. Jahrhundert bereits Ortsaufnaluuen.^ Von .lerusalem
besitzen wir eine Eeihe bemerkenswerter Stadtpläne aus verschiedenen Jahrhunderten;
von ihnen gibt E. Oberhummer, der den Stadtplan an sich zum Gegenstand ein-
gehender Studien gemacht hat, einige im Bilde wieder.* Der älteste dieser Pläne
ist der auf der Mosaikkarte von Matepa um 550 n. Chr. (S. 367). Er darf mit den
beiden langen Parallelreihen seiner Basare als die älteste bildliche Vorführung von
Jerusalem gelten. Auf ihm sind Grundriß und AiifriR (Profilskizze) in ein Bild ver-
schmolzen. Zu demselben Mischtypus gesi'iicn sicii \i ischiedene alte Stadtpläne,
beispielsweise der Plan der alten Stadt Tecpan in Guatemala, den Z. Nutall (Cam-
bridge, Mass.) nach Fuentes y Guzman kopiert hat'', des weitern auch der reliefartige
Stadtplan von Cuzko, der uns nach seinen Hauptwegen, Plätzen, Häusern und Bächen
ausführlich geschildert ward."
Über die Größe der alten und mittelalterlichen Stadtumrisse herrscht bis jetzt
noch keine Klarheit. Zur Lösung dieses Problems hat Arthur Schneider einen
erfreuhchen Anfang mit einer Zusammenstellung von 12 antiken Stadtplänen im
gleichen Maßstab (1 : 150000) gemacht.' Bei diesem Versuch scheint es bis jetzt
geblieben zu sein, obwohl die mittelalterlichen Städte von Deutschland, Frankreich,
England, Spanien, Italien und der Levante zu solchen Untersuchungen reizen.
Die Eenaissance- und Folgezeit bevorzugten den Aufriß oder das perspek-
tivische Bild dem Stadtplan gegenüber. Aber noch einmal feierte dieser eine karto-
gi-aphische Blütezeit um die Mitte des 18. Jahrhunderts. In den Jahren von 1730
bis 1740 erschienen die großen Stadtpläne von London, Paris, Amsterdam, Haag,
Nürnberg, Berlin, St. Petersburg, Karlsbad^, denen späterhin Madrid" u. a. folgen.
Die Seeatlanten brachten gleichfalls gute Stadtpläne. i"
1 Schon die einfache Beobachtung in der Natur führt zu dieser Überzeugung, die sieli einem
aber mit Gewalt auf einer langem Fahrt in irgendeinem Luftfahrzeug aufdrängt.
- Innerhalb der Stadtmauer wurden auch Felder bestellt.
^ K. A. Skatschkof: Die geograph. Kenntnisse der Chinesen. P. M. 1868, S. 359.
' E. Überhummer: Der Stadtplan, seine Entwicklung und geographische Bedeutung. Vor-
tiag. V'erhandl. des XVI. Deutsch. Geographentages zu Nürnberg 1907. - Stadtpläne mit Mischung
von Auf- und Grundriß sind die abgebildeten Pläne von Jerusalem um 670 (von dem französ. Pilger
Areulf), um 1180, um 1320 (von M. Sanudo bzw. P. Vesconte).
^ Verhandlungen des VII. Internat. Geographcn-Kongr. zu Berlin 1899; Bild zw. S. 616 u. 617.
• Garcilasso de la Vega. Lisboa 1609. Cap. XXVT. De la Geometrica, Geographia etc.
Fol. 52 „Yo vi el modelo dcl Cozco, y parte de su comarca con sus qua, tro caminos prineipales hecho
de barro, y piedrezuelas y palillos, tra9ado por su cueta y medida cö sus pla^as chicas y grädes cötodas
sus callos anchas y angostas, eon sus barrios y casas hasta las muy oluidados, con los tres arroyas q
por ella eorren quo era admiraeion mirarlo".
' Es sind das die Städte: Roma, Tarentwn, Syraeusae, Ephesus, Athenae, Tlul)ae, Sparta,
Hiorosolyma, Tyrus, Carthago, Alexandria und Babylon; auf T. 8 in G. Z. 1895.
' Diese Stadtpläne befinden sich z. B. in der Hof- u. Staatsbibliothek München.
» Atlas Geographico, Madrid 1757. Ein kleiner Atlas auf feinem Papier. Plan von Madrid ist
sehr detailliert und rot ausgemalt. [N. Bi. Paris.]
" Auf eine Sondererscheinung sei hier hingewiesen; Wagenaar: Amsterdam beschreeven.
Zciclmuiig iliT von Mciisitht'nliaixl ins Antlitz dur Kidc ('ingescliriel)eiicn Spuren. .'iTH
(iriil.icni ciiiln'itliclu'ii Saniiiiliuij^cii odor Atlaiilcii von StadtpläiK'U bin ich
in den \on mir besuchten Bibliotheken nicht begegint, nur im Britischen Museum
fand icli 5ü große Stadtpläne einem mehr neuern Atlas beigegeben.^ Craras „Atlas
of the World" (Chicago 1902) besitzt lediglich darin etwas Anerkennenswertes, daß
er zahlreiche amerikanische Stadtpläne bringt. Die alten Stielerschen Atlanten
erscheinen mit dem Stadtplan von Gotha auf dem Titell>latt. Der Stadtplan im
größern Maßstabe hat immer ein Sünderdasein geführt.''^
Eine dankbare historische wie kartographische Aufgabe ist es, die Genesis eines
Stadtbildes an der Hand verschiedener Stadtpläne aus älterer bis in die jüngste
Zeit zu geben. Von einigen großem Orten, wie Leipzig, London, Paris, Wien n. a.
liegen derartige Arbeiten vor.* Sie müßten sich auch auf Orte erstrecken, deren
Bedeutung im Laufe der Geschichte gewechselt hat, z. B. Worms^, Augsburg. Schon
die Bestandteile einer großem Stadt, insbesondere die Vorstädte, verschiedenartig
zu kolorieren, ist anschaulich und lehrreich.''
213. Der Kampf zwischen Auf- iiud (iruiulriß beim Stiidtebild. Uns interessiert
\'or allem die Frage, wie ist der Stadtplan in das Kartenbild hineingekommen, wie
erweist er sich als ein homogenes Glied unter den Bauelementen der Karte? Ältere
Dokumente, die diese Frage losen könnten, stehen uns bis jetzt nicht zur Verfügung.
In der Nationalbibliothek zu Paris sah ich eine Manuskriptkarte des Herzogtums
Mantua vom Jahre 1703, auf der die Ortschaften im Grundriß wiedergegel)en
und rot ausgemalt sind. Bei der Grundrißsignatur handelt es sich um groß maß-
stabige Karten. Der Kampf zwischen Grundrißsignatur und Aufrißsignatur, der
sich im Laufe des IH. Jahrhunderts bemerkbar macht, wurde erst am Ende des-
selben entschieden.^ La carte geometricpie de la France von Cassini hat für die
Stuck 1-13. Amsterdam 17<i(» -17(iS. .Stuek 14-23 sub tit: Veioolg. op J. Wagenaars Amsterdam.
Amsterdam 1788 IMOl. In dem Werke befindet sieli ein sehöner, ausgezeichneter Stadti)lan von
Amsterdam.
^ The Complete Atlas of modern elassieal and eelestiai map.s, together witli plans of the
prineipal cities of the world. London 1860, bei Edw. Stanford. Jeder Stadtplan befindet sieh auf
einem großen Kartenblatt.
- Man denke an die kart<)gia])hiseli nieht auf der Höhe stehenden, aber immerhin praktisehen
l'haruspläne. -An dem Sonderdasein kann aueh der Kiesenatlas niehts ändern, den der Pharus-
veiiag (Berlin) im Deutsehen Buehgewerbehaus in Leipzig 1914 ausstellte, der durch seine Größe und
Kigenart das Interesse des Publikums auf sich zog. Der Atlas war 1 V» m hoch und 1,1 m breit und hatte
das stattliche Gewicht von 150 kg. Er ist lediglich zu Ausstellungszwccken bestimmt und ist die
X'ergrößerung eines Propagandawerkes desselben Verlages.
" Für Stadtpläne der Gegenwart aus aller Herren Länder sind die lleisehandbiieher von K. Bae-
deker eine reiche Fundgrube. Die Konversationslexika von Meyer und von Broekhaus enthalten
gleichfalls zahlreiclie Stadtpläne.
* Worms hatte in seiner Blütezeit im 1.^.. und l(i. .laluh. 60000 Einw., am Ende des 17. Jalnh.
nur noch 7(MX), nach der Volkszählung vom I. Dez. litlO über 46800 Einw.
' Sehr gut finden wir dies ausgeführt auf einem Plan von Wien ,, Grund Piss der k. k. Haupt-
und llesidenz Stadt Wien" mit allen Vorstädten und der umliegenden Gi>gend, von Ma.x. de Griin,
Willi 1798. |L"..Hi. Göttingen.] - In neurer Zeit findet man die buntfarbige Differenziennig der GmU-
Stadt liestandteile auf diu nu'isten (»rtsi>lan<>n, die den Adrelibiiehern der betreffenden Orte beigegeben
.sind.
" .\uf dem ..Kriegs 'riieater der teutHehen und franzoesiselienGraen/.landen zwiseh. d. Hhein u.
d. .Mosel", hg. von J. L. f. lUieinwald und zu.sam mengesetzt von dem I.Andmesspr P. Dewarat
in Mannheim 1798 [im k. k. Kriegsarchiv in Wien] sind die giöücrn Orte im Grundriß, die kleinem mit
den Kirrhtiirmeii wiedergegeben.
Orfssisniitur
l>clK>rrscht das t
opo-n
v])hischc
ir(ij,n-;i]iliisflK':
II Karten, 1,'lric-
'.I.SUII
als vmr
380 I>i<" Laudkiu-te und ihr LagijilMn.
Wulinpliitzc noch dio alte Aufrißsij;iiatiir mit i'ingezL'iclmctem Kreis. Mit. der Voll-
eiiduuf; des Kartenwerkes (1798) wurde diese Art Städtebezeichnung zu Grabe ge-
tragen und die geometrische Grundlage
Kartenhild, wie die Kreissignatur dii
schwache Erinnerung an den Grundriß.
Die deutschen amtlichen Kartenwerke in 1 : i>r)(l(l(), 1 : lOOOOO und 1 : 'iüüOOÜ
bringen als Ortszeichen durchweg den l'lan, wi'iin auch liei den letzten beidi'U Maß-
stäben stark generalisiert. 1 Dagegen «cndel die l'bersichtskarte von Mittelcurüi)a
in 1 : 3(J00üü in ausgiebiger Weise den Orlskreis für die vielen kleinen Wohnstätten
an. Die Vogelsche Karte von Deutschland in 1 : 500000 setzt die Grenze bei den
Ortschaften mit 50000 Einwohnern; Orte darunter erhalten Eingsignatur, Orte
darüber den stark generalisierten und schematisierten Ortsgrundriß. Auch die
Handatlanten machen von diesen Ortsiihineii ..en niiniatnre" für die (iroßstädte
(ieliraueh. Daneben bringen sie einzelne Stadliiliiiu' in liesondern Kartons. Andrees
Jlandatlas legt viel Wert auf die Wiedergabe zahlreicher [Stadtpläne^ desgleichen
Standford's London atlas of universal geography.^ Von den Handatlanten sind
die Pläne in die Schulatlanten eingedrungen. Mancher dieser Pläne erfordert viel
Arbeit und Geschick. Für die zeichnerische Ermittlung richtiger Umrißhnien von
Ortschaften, die sich in aufgelockerter Anbauweise gleich Polypenarmen in die um-
gebenden Plächen hinausstrecken, lassen sieb keine wissenschaftHchen Grundsätze
aufstellen; die Überwindung der sich hier darbietenden Schwierigkeiten bleibt lediglich
dem Takt und dem Können des Kartographen anlieinigi'sti^llt.
Ist der Grundriß von Ortschaften auf altem Karten eine seltene Erseheinung,
so der Aufriß eine immer häufigere, sei es im Karlenbild selbst oder in bunten Vignetten,
mit denen die Karte ausgeschmückt wurde. In den lialbperspektivischen Abbildungen
mancher Karten sind Grund- und Aufriß gewissermaßen vereint. Dem Karten-
benutzer von damals war diese Art Ortsbezeichnung verständhcher als dii' pure Orts-
signatur unserer Tage; die Laien waren noch nicht an das abstrakte Deidieii unserer
Zeit gewöhnt.
Das 16. Jahrlinndert. in ihm die ,.,sten ^■nil.'iin Mnllu selireilunL'i n der neuen
Zeit geboren wunlen, hat uns eine schier unülierselibaie lleilie guter Städtt'bilder
überliefert. Berühmt sind die zahlreichen Städteansii lilen mit weiterer Umgebung
in Sebastian Münsters ,,Kosmographey".* ,, Durch ihren äußern Anblick trägt
eine Stadt zum charakteristischen Aussehen (des Landschaftsbildes) in hohem Maße
bei."'' Dafür baden tnisere Vorfahren scheinbar ein besseres Empfinden als wir.
Ph. Apian legte bei seinen Ortsskizzen ein Ilau])tgewicht auf die tniereinstimniung
von Natur uikI Kopie, insiMiderheit achtele er auf die l;e,laeliung der Kircbl üriiie,
' In ähnlicher Weise vorfahren die amtlichen Karlen säiuthcher Kulturstaaten.
- BcsonderH sind die Rückseiten der Karten in den ausgezeichneten Neuauflagen von Andiccs
Handatlas, die E. Ambrosius versorgt, mit Stadtplänen gcsehmüekt.
ä 3. Aufl. London 1904. — Im gewissen Sinne gehört audi J. Perthes" Secatlas, bearbeitet von
H. Habenicht, hierher.
* Sie war die Frucht einer 18jährigen Arbeit und ist der erste Versuch einer wisscnscliaftliehcn
und umfassenden Darstellung des geographischen Wissens ihrer Zeit. 1544 in deutscher Sprache
erschienen, wurde sie noch in 6 andere Sprachen übersetzt und erlebte bis 1650 46 Ausgaben,
(s. Anm. 2, S. 42).
' K. Hassert: Die Städte geographiscli betrachtet. Aus Natur und Geisterwclt. Kl.'i. Bdilieii.
Uipzig 1907, S. 93.
Zficbuung der von Mcnaclieuhand ins Antlitz der Erde eingesfliricbcncn Spuren. 381
ob Spitze, Kuppel oder Sattelturm. Man erkennt sogar auf den Apianischen Bildern
den Wechsel im Baustil. ^ Auf gleich hoher Stufe stehen die Städtebilder l)ei
Math. Merian.- Im IH. Jahrhundert finden wir iiocli jiräehtige Stadt- und Kirchen-
ansichten bei Yisscher^ mid Sanson.* Gegen Ende des Jahrhunderts verschwinden
sie mehr und mehr von Landkarten und aus Atlanten und bleiben auf die Seekarten
beschränkt, wo sie vielfach von alters her einen Teil der Vertoonungen ausmachen.'''
Die mittelalterlichen Ortszeichen sind gekennzeichnet durcii Befestigungs-
werke oder einzelne Teile daraus, wie Türme und Zinnen. Auf sämtlichen Karten
des Mittelalters begegnen wir derartigen Wohniilafzliczcicjinungen, sellist auf den
altarabisehen.*
Das Ortszeichen, als Burg l>zw. Festung wiedcrgt'geben. ließ sicii mannigfach
ändern, je nach der Bedeutung erweitern oder verkleinern. Auf der Karte desMarinus
Sanudo vom Jahre 13'21 sind Jerusalem, Antiochia, Babylon und Alexandria durch
die reichere Ausstattmig der Stadtsignatur ausgezeichnet ; die übrigen Orte erhalten,
wie auf den Portulankarten üblich, keine Ortszeichen, ausgenommen die Orte an
der Küste Syriens und Palästinas, bei denen eine kleine Turmsignatur steht, worauf
ganz besonders hingewiesen sei. "Wo sich die italienischen Seekarten zu Weltkarten
erweiterten, da erhält das Innere der Länder die ähnlichen Wohnplatzsignaturen,
nicht selten jeder Ort mit einer Fahne geziert, die je durch liesondere Farbe und
Ausführung die Zugehörigkeit der Orte zu einem besondern ])olitischen Gebilde ver-
anschaulicht.
Einen Anfang zur Gewinnung einer mehr schematisierten, einheitlichen Orts-
signatur sieht man in Lamberti filii Onulfi: Europa 1120.' Für alle Orte ist als
Symbol ein in kleine viereckige Felder geteiltes Haus mit Giebeldach gewählt. Bom
ist durch grc'ißere Signatur mit aufgesetztem Kreuz ausgezeiclinet, desgleichen Kiiln,
aber als Bischofssitz nicht so groß wie Bom. Eine XMclialinmng scheint diese Orts-
signatur kaum gefunden zu lialien.
214. Die Kreis- oder ]ting;sig;natur. Das eintiuh-ie und für die Kartenzeiilmer
beipiemste Symbol für eine Wohnstätte ist der Kreis oder der Hing. Ijassen sieli
die Sj)uren dieser Signatur bis auf die alten arabischen Karten verfolgen, tritt doch
der Kreis erst mit der Renaissance als Ortssignatur bewußt in den Vordergrund.
Dieser Erscheinung hat K. Schott in seinen Studien ülnr die ..Entwicklung der
Kartogriipliie drs Elsasses" eine erli-uiiebe Aufnierksandieit gescheid<l.^ Das Elsaß,
' Man vgl. hier weitt-r Gt-org Braun: Ki'sihrcilninL; und Contrafaclur der vorncnib.sti'r Sliit
der Welt. C'.illn I.->"4. [H. u. St. Bi. Miincli.n.l
- In der „Toiwgrapliia Alsatiae" 1644.
^ Nik, Visscher: Atlas Minor. Amsterdam 1706.
* 8anson: Atlas de Poche, ii l'usago des voyageurs et des offioiers. .\mst<idani, clu-z Henri
du Sanzet. 1734. — Vgl. aueh .,\jcn Delices dp Paris". Paris 17.'):?.
' Ho nssin- Atlas, U«»!» in .Marseille, ein Portulankarten-Ms. in dci \. Hi. Paris, hringl kavalier-
)«is|K'kti\nselie .Ansiehten der bedeutendsten Miftelmeerhäfen.
" Unter den zaldreielien N'crtrctiMri seien mir heransgeliolien der Orhis eNliihitus apud .-Vnglo-
saxonos saeeuli X (Br. M. l/)nilciM| ihIit dir solt. 'I'abulae eatalanae, sowie die Ma|)a n\undi von I.'17.">
lliil.l. des IxHivre, Paris).
' Fr. Jos. Mone: Anzeiger für Kunde der deut.selien Voraeit. Karlsruhe 1k:!«, S. :W. Aiieli
in U-lewels Atlas zur (n^gi-apliie du nioven i1ge, Mrüssel IHiV), Hl. S aligelilldet,
" Mit 2 Karten in Kaksiinile; i. d. M t. d. (!rs. f. Krdk. u. Kolonialwesen zu StraUhurg i. K.
in, das .lalir l!li:i. Slialil.uiL' I'.tl4.
382 üie Landkarte und ihr Lagpplan.
WO deutsche nnd französische Karfograiihio sicli die Ilnnil reichen, ist für solclie
Untersuchungen ein dankbares Gebiet.
Bei den P|olemäusausgabeii des 1"). Jalirhunderts spielt der Kreis als Orts-
signatur bereits eine Hauptrolle, weil die Positionsbestimmungen des Ptolemäus
die genauen Ortslagen auf der Karte bedingten. Dazu war die übliche Profilskizze
der Ortschaften nicht tauglich. Während auf den altern Ptolemäusausgaben alle
Orte mit dem gleichen Ortsringsymbol ausgestattet sind, also keine Wertabstufung
zeigen, werden auf der Tabula nova provinciae Rheni superioris, der ersten Über-
sichtskarte des Elsasses, die sich im Bupplementum zu der prächtigen Neuauflage
der 27 ptolemäischen Karten befindet, die Waldseemüller und sein Freund Math.
Ringmann 1513 in Straßburg besorgt hatten, Basilea, Argentina, Hagona durch
große Ortskreise und große Schrift hervorgehoben. Tn der Folge der Wertabstufung
erscheinen sodann Ensheim, Calraaria und Dan; die andern Orte sind wesentlich
kleiner dargestellt und geschrieben.^
Auf der Charte des Elsasses von Specklin (Spockel) aus dem Jahre 1576^ (mittlerer
Maßstab 1 : 188000) wird durch den großem oder kleinern Ortsring gleichfalls die
Bedeutung, weniger die Größe des Wohnplatzes für das Land hervorgehoben. Da-
neben steht noch das alte, charakteristische Stadtbild. Wie Specklin wendet Mer-
cator den Kreis als Ortssignatur an; ohne die übhche Profilskizze und ohne Namen
sogar für kleinere Orte, Klöster und Schlösser.
Die gleiche Anwendung des einfachen namenlosen Ringelchens für Dörfer und
kleine Wohnstätten finden wir auf der Karte von Mähren, die J. A. Comenius in
den dieißiger Jahren des 17. Jahrhimderts „in unfreiwilhger Muße", wie er selbst
sagt, entworfen hatte, und die fast hundert Jahre als Muster für sein Heimatland
galt und in 27 Nachahmungen verbreitet wurde.^
Bemerkenswert ist, daß der Kreis neben dem für die Bezeichnung kleiner Orte usw.
wieder innerhalb der örtlichen Profilskizze, gewöhnlich als Kreis mit sichtbarem IMittet-
punkt auftritt. Das war für die Kartenkonstruktion und die Wegebestimmnng
wichtig. Die übliche Ortsansicht bedeckt zuviel von der Kartenfläche, als daß genaue
Entfernungsangaben oder Messungen darauf begründet werden könnten. Nur von
Kreiszentrum zu Kreiszentrum wird genügend genau gemessen. Eine weitere Folge
w-ar, daß der Kreis nicht bloß inmitten eines Turmes oder Hauses zu stehen kam,
sondern auch in einer Mauer oder ans Haus oder einen Turm angelehnt. Profil-
skizze und Ring sind untrennbar auf den Apianischen Karten von Bayern, sowohl
auf der großen Ausgabe (etwa 1 : 45000) vom Jahre 1363 wie auf der „eingezogenern",
wie A]iian selbst sagt (etwa 1 : 135000) vom Jahre 1568. Die Ringel geben genau
den Ort oder das Gel)äude an, von dem aus oder zu dem hin er seine Winkelstrahlen
liei der Aufnahme gerichtet hatte. Seh. Schmid beschreibt das Verfahren, wie es
auf den Karten ausgeführt win-de, in seiner ,, Unterrichtung" ^ folgendermaßen:
' Vgl. den Ausschnitt der Karte bei K. Scliott, a. a. O. (Anni. S, S, 382).
" ,S. ebenfalls bei K. Schott, a. a. O.
■' Vgl. „Conienius als Kartograph seines Vaterlandes". Nach der böhmisohen Abhandlung von
Josef Smaha, mit einem Nachdruck der Karte des Comenius deutsch hg. von Karl Bornemann.
Comeniusstudien , Heft ~>. Auf der Kartusche dei' Karte steht: Moraviae nova et jxjst omnos priores
accuratissima dclineatio. auctore T. A. f'omenio. Novitei' edita. ä Nicoiao Jobannide Piscaton.
A. D. 164.5.
» Titel des Buches, s. Anm. 1. S. 2(iO.
Zeichnung der von Menschenliaml ins Antlitz der Erde eingeschriebenen Spuren. 383
„Das centrum einer stat ist der mittelpunkt; dan oft umb mer zierd der lundschaft
willen malet man die stet grosser dan si sind zu rechnen gegen der proportion der
ganzen feldierung; und damit man aber wüsse, wo das recht läger oder mittelpunkt
sige einer jeden stat, onangesehen wie groß si der maier gemachet hat. uf al oder
ctlich syten vom waren centro, so verzeichnet man es mit einem ringlin und einem
jiiinten darin, welcher punten uns das centrum, das ist das lager und rieht ])unt der
selliigen stat bedütet."
Auf diese Weise, wie hier vorgeschrieben, hatte offenbar Mercator seine Karten
konstruiert. Das Ringel im profilierten Ortszeichen deutet ganz darauf hin, und die
mathematische Exaktheit, mit der er seine Karten entwarf, machen die Vermutung
zur sichern Annahme. In den Ortsprofilskizzen auf den Karten, die Ph. Clüver seiner
Introductio in universam geographicam tarn veterem tarn novam, Leiden 1024,
beigegeben hat, sind mit großer Peinlichkeit die Ringel in die Aufrißsignafur der
Wohnstätten eingetragen. ^
Nicht alle Kartenmacher haben wie Mercator und einige andere die Ortschaften
nach dem Stande des damaligen Wissens genau nach Länge und Breite ins Karten-
blatt eingetragen, und doch war es für eine gute Karte eine notwendige Voraussetzung,
..que tous les lieux soient places dans leur juste Situation, eu egard aux ])rincii)aux
C'ercles de la Terre, comme rEquator, les rarallclis et los Meridicn^;".-
2ir>. Systematisioriing der Ortssigiiaturoii. Nachdem man gelernt hafte, d'w
Orte richtig nach Koordinatenwerten ins Kartenbild einzusetzen, ging man allmählich
dazu über, mit dem Ortszeichen eine gewisse für den betreffenden Ort charakteristische
Eigenschaft auszudrücken. Die Bedeutung der Orte, besonders in politischer, kirch-
licher und wirtschaftlicher Beziehung, wußte man durch unterschiedliche Signaturen
zu veranschaulichen. Wie wir oben gesehen lialien. fing diese Diffi^renzicrung, ab-
gesehen von schwächlichen altern Versuchen, liri Waldstcniiillcr an: in andmi Ptdli'-
mäusausgaben wurde sie bereits reicher.^'
Comeuius hat erstmalig eine strengere Sj'stematisierung der Ortssignaturen
durchgeführt und darunter neu eingeführt die Thermen und Officinae vitreariae. auch
ilie Ferri, Auri und Argenti fodinae. Nie. Visscher hat eine gute Ausgabe der Karte
\crsorgt; dadurch ist sie in Frankreich und benachbarten Staaten bekannt geworden.
Mit ähidichen Signaturen hat J. Sandrart 1G6G eine Karte von Böhmen heraus-
gegeben.'' Math. Merlan bringt Ortssignaturen, die uns ganz modern anmuten.''''
Von den Franzosen hat er die Festungssignatur übernommen, die darauf eine weite
Verbreitung in der deutschen Kartographie findet. Den Wert der Wohnplätze drückt
' Die zahlreiciicn Auflagen dr.*« Iieiiihmten CJrographielnulies, das bis ins 18. Jahrh. hinein
im Oeograi)henuntcrrielit der gelehrten Schulen herrsehte, bringen die Karten in gleicher Ausführung. --
\'fl\. die ausgezeichnete Abhandlung von .1. Partseh: Philip]) Clüver, der Begrünch>r iler hist<irisehen
Landerkunde. VVien-Olmütz 1891. S. ;16.
* „Des Bonnes et irauvaises (|ualite.s des eartes" iui I. Hd. des Altas uethodlipie et eh'inen-
liiire de geographie et d'histoire jMir Buv de Muruas. Patis 17(>l.
■' Auf der Karte von Böhmen (Ptolemiius, ßasiloae l.')4r); in Xordenskiölds Kaesiniile-.\tlas.
S. III) werten folgende Orte duivh besondere Signaturen hervorgehoben: Civitas ivgiae, C'atitruni.
liaroniun et Xobilium, de si^otae HuU. Pajiae adherens. Oppidum non nuimtum.
* Die Karte fand ich in der r.H-. (iottingen.
* .Auf seiner Karte ...Alsatia i^ndgiuviatus cum Sundgovia et Brisgovia" in ,.To)>ographia
Alsntine • 1(!44.
384 Die Landkarte uud ihr Lageplan.
Ol- durch Größe, Form und Namen der Ortssignaturen aus, uiclit so sporadisch, wii'
CS Specldin getan hatte. Ottens benutzt die Ortsringel und drüc-k) bedeutendere
Orti' durch Aufriß mit 'I'nrni und Hauser aus.^ Doch reichen diese Unterscheidungen
iiiclil an die von Merian heran und an die gleichzeitigen von G. Fr. Meyer.^ Dieser
zählt in seiner Explicatio Notularuni folgende Zeichen auf: Urlis, Fortalitium, Pagus
cum templo. Pagus cum Terra nobili, Arx, Monasterium, Officinallitriana, Villa.
Piir die Officinallitriana, die ein Haus vorstellt, dem eine mächtige Eanchsäule ent-
steigt, hatte Seb. Münster bereits ein mit Schornstein versehenes Gel>äude* und
Cassini hat dafür nur das Haus mit der Beischrift „Manufacture" übernommen. Fast
zur selben Zeit, da G. Fr. Meyer seine Ortseinteilung ])rachte, sagte J. G. Gregorii
in seinen Curieusen Gedancken (1713), daß bei den Städten ein besserer Unter-
schied zu machen sei: ,,daß z. B. eine große Stadt und Festung in ihren Fortifikationen,
eine mittelmäßige Stadt mit drei Türmen, eine kleine mit zwei und ein Flecken mit
einem ])räsentiert würden. Die Dörfer werden insgemein durch ein O angedeutet,
mit Ausnahme auf Spezialkarten'".
Die Differenzierung der Ortssignaturen kam im IH. Jahrhundort zur vollen
P)lü(('. wo auch die meisten heute noch üblichen Signaturen erfunden wurden. Den
Hoheiiunkt einer fein gegliederten Signatur erreichte Müllers Chorographische
Karte von Böhmen 1757*, der sich 1774 der Atlas tyrolensis von P. Anich und
Bl. Hueber würdig anreiht.-'^ Seihst J. G. Lehmann hatte keine detailliertere Si-
naturentafel ausgearbeitet.*
Nach tiefer gehenden kartographischen Unterschieden in der liedeutnng der
Orte lag kein Bedürfnis vor. Noch fehlte es an einem klaren und wirkungsvollen
1 Atlas von Reinier (Reiner) Ottens. Amsterdam noU -Ufl. 0 Rde.
- Geo g Friedr. Meyer: Al.satiae siiperiore.s et inferioris aecurat. geograph. descriptio.
Basel 170.3.
^ Die Karte des Lebertales im dritten Buche von Seb. Münsters Kosmographie.
* Carte C'horographique de la Boheme v. Muller. Paris 1757. {En neuf Feiiilles egalles
aux \nngt cinq Petittea.) Erklärung der Zeichen: Vermaurte Königliche Städte, gemeine Städte,
Städte ohne ruigmauern, Marktflecken, Schlosser, Herrenpaläste und Rittersitze, Marktflecken mit
Schlossern, Dörfer ohne Kirchen, Dörfer mit einem Schloß, Dörfer mit Kirchen und Schloß, Lange
dörfer, Einschichtige Mayerhöfe, Hin und wieder zerstreuete bauernhöfe, Cluster, Capellen, Wuitz-
häuser (= Cabaret oder Cauponae solitariae), Post Wechsel, Warme bäder, Sauerbrunnen, Messing-
werke, Kupferhämmer, Eisenhämmer, Drat mühl, Alaunsiedere^ en, Sallitereyen, Gemeine muhten,
Jägerhäuser, Weingarten, Landstraßen, Bisthümer, Alte Schlösser, Wunderthatige gnadenbilder,
Wofor alters dörfer gestanden, Einsiedeleyen, Glashütten, Bergwerke {Gold, Silber, Zinn, Kupfei-,
Elsen, Bley, Vitriol, Zinober, Alaun, Schwefel).Uberfuhrten, Berge (M). — Die Karte ist später ver-
kleinert herausgegeben worden als „Ijc Royaume de Boheme". Frankfurt, bei Joh. Chr. Jaeger 1778.
[Beide Karten in U.-Bi. Güttingen.]
^ Auf der berühmten Tiroler Karte werden folgende Örtlichkeiten unterschieden: „Stadt, Markt-
flecken, Groß zerstreutes Dorf, Mittelmäßig zerstreutes Dorf, Großes Dorf, Mittelmäßiges Dorf, Kleines
Dorf, Weiler, Schloss, zerfallenes Schloss, Edelsitz, zerfallener Edelsitz, Schildhof, einzelner Hof.
einzelnes Wirthshaus, Alpen, Bischofssitz, Deutsches Haus, Abtey, Kloster mit etlichen Häusern,
KlostiT, Wallfarten, Pfarr, Einsiedeley, Gränzfestungen, Pass durch das Gebirg, Wachthaus, Block-
haus, Marksteine, Feldlager, Wallstadt, B. oder M. Berg, Senkrechte Lage der Berggipfel, Moos, Ferner
oder Eisglitscher, See oder Weyer, Fl. Fhiss oder Bach, Ba. oder B. Bachlein, Postwechsel, doppelte
Post, Bergwerk, Schmölzhütte, Kohlplatz, Glashütte, Pulvermühl, Baadha\is. Sauerbninn, Land-
Strassen, Samerschlag, Gerichts- und Burgfrieden Gränzen, I>andgränzen."
« J. G. Lehmann: Anweisung zimi richtigen Erkennen u. genauen Abbil<lcn der Eidobci'-
fläche in topographischen Karten u. Situatinnspliincn. Mit 7 Kiii)fcrtafchi. Dicsdcn I.H12.
Zeichnung der von Meiiselienhaiid ins Antlitz der Erde eingeschriebeneu Spuren. 385
Ausdrucksmittel der Einwohnerzahl der Wohnstätten. Das bald größere und lialtl
kleinere einfache Ringel konnte nur ein schwacher Behelf sein. Nachdem in der
ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts die statistischen Erhebungen über die
Bevölkerungszahl sicherer und besser und die kleinsten Wohnplätze in die Zählung
mit eingeschlossen wurden, entstand bald das Bedürfnis, den verschiedenen Ein-
wohnerzahlen durch verschiedene Ortszeichen auf der Karte einen sichtljaren Aus-
druck zu verleihen. Insonderheit hatten sich gegen Ende des Jahrhunderts die
Schulatlanten des Verfahrens bemächtigt, durch detaillierte Ortssignaturen die Ein-
wohnerzahlen selbst kleinster Orte zu veranschaulichen.^ Die Auseinanderhaltung
von Dorf, Klein-, Mittel- und Großstadt hat sich im großen und ganzen bewährt.
Überflüssig aber erscheint es auf Schulatlanten zu sein, die Kleinstädte wieder zu
scheiden in solche mit 10000—20000 Einwohner und unter 10000 Einwohner, des-
gleichen bei den Mittel- und Großstädten Unterabteilungen zu bringen. Schon die
Festsetzung der Grenze zwischen Mittel- und Kleinstadt durch die 20000 Einwohner
ist ganz relativ; sie kann mit gleichem Recht bei 25000 oder 30000 Einwohnern je
nach der Yolksdichte und der Entwicklung eines Landes bestimmt werden. Das-
selbe wiederholt sich bei der Unterscheidung zwischen Mittel- und Großstadt. Über-
haupt sollte in den Schulen gar nicht soviel AVert auf die Einprägung von Einwohner-
zahlen gelegt werden, wenn die Schüler die Großstädte mit über 100000 Emwohnern
genau wissen und die Hauptorte ihrer Heimatprovinz nach der Größe, weiter aber
die bedeutungsvollsten Städte als Regierungs-, Kreis-, Geschichts-, Verkehrs-, In-
dustrie-, Kurorte usw., dann ist gerade genug erreicht. In gleicher Weise muß das
andere Extrem, alle Ortschaften auf Schulkarten durch dasselbe Zeichen darzustellen,
zurückgewiesen werden. -
Die Karte muß danach streben, daß die , .relative Bedeutung eines Ortes im
Verhältnis zu seiner Umgebung möglichst mit einem Blick erkannt wird".^ Dazu
geh/irt nicht allein das Ortszeichen, sondern in gleich berechtigtem Maße die Schrift.'*
Die Ortssignatur beherrscht die kleinmaßstabigen Karten, der Stadtplan bleil)t
den großmaßstabigen vorbehalten. In dem Berülirungsgebiet von topographischer
und chorogpiphischer Karte mischen sich beide. Die Ortssignatur hat den Vorzug,
daß sie durch ihre Gestalt die Einwohnerzahl abgerundet ausdrücken karm und weit
weniger Platz auf der Karte als der Ortsplan einnimmt; sie klassifiziert zugleich die
Wohnungsstätten. Der Stadtplan hat den Vorteil, daß er über die äußere Gestalt
'■ H. Harms unterscheidet in seinem „Neuen Schulatlas", der 1901 in erster Aufl. erschien,
zwei Hauptgnippon von Orten, deren Grenze bei 50000 E. liegt; die Orte, die darüber liegen, erhalten
grolJe Signatur mit roter .Ausfüllung, die darunter liegenden kleinere Signatur ohne rote Ausfüllung.
Ein prächtiger Unterschied! Damit nicht genug, fängt er mit Hilfe von Strichen, Dreiecken, Viertel-,
Halb-, Dreiviertel- und Ganzkreis und Figurhalbierungen an, 29 Signaturen für Städtegrößen zu kon-
struieren. Diese zu lesen und zu beherrschen, wird den Schulkindern zugemutet. Weder formales noch
matt'riales Wissen wini dadurch herbeigeführt. Selbst wenn man den mnemotecluiisch erfaßbaren
Oitszelchen, z. B. Dreieck = 3000 bzw. 30000 oder in Rot 300000 E., Viereck = 4(K)0 bzw. 4000»
"der in Rot 400000 E., eine leidliche Seite abgewinnen will, läuft doch das Ganze auf eine wertlose
Künstelei hinaus; ein Bewei.s dafür, daß selbst ein so kluger und i)i-aktis<lier Kopf, wie Harms ist,
vor Abirrungen nicht gefeit ist.
- Gegen eine solche Forderung von .T. .1. ten Have in Ilel omlerwys in der aardrijkskunde iii
de lagere »cliool (Haag I89t>) wendet sieh em^rgiseh II. /ondiMvaii in seiner ...Allgemeinen Karten-
kumle". Uipzig 1901, S. 188 Anm.
' H. Wagner: [..chrbueh. a. n. <)., S. ,SS."i.
' Vgl. meine .Ausführungen auf S, 3 IT ff
L;ckort, Kurlonwlueaschiifl. I. 'JA
386 D"' Landkarte und ihr Lat;eplan.
der Siedelungen völlige Klarheit schafft. Das kann die Signatur niclil. l'iiil irolz-
dem kann diese mehr leisten, als was sie beim ersten Augensclicin vrinuilcu laßt.
Das hat 0. Schlüter mit seiner Skala der Siedelungsformen bewiesen, nach der er
die in einer llichtnng verlaufende Erstreckung der Reihen-, Straßen- und Gassen-
(iorfcr durch lange dicke Striche darstellt und die /.wciti' der ins|iiiiMglicli('ii .\n-
lageform durch zeichnerisch veränderte lÜiigc ciiurscils liii- ( clitc lliiii(lliiii;c und
l'iatzdorfer und andererseits für HautVndiirtVr.'
iM<. Die Vei'kehrswese und ihr Symbol. Die Orte der Karte gehuren zu den
ältesten Elementen des Kartenliildes. Daß sie durch Wege und Straßen miteinander
verbunden waren, erschien den Alten als eine selbstverständliche Sache, die auf der
Karte liesonders anzudeuten nicht notwendig war; die Wege hätten schließlich das
an und für sich nicht allzu große Kartenbild der damaligen Zeit nur belastet imd
kaum künstlerisch erhöht. Abgesehen von einigen wichtigen Staatsstraßen waren
die Wege nicht ausgeliaut und größtenteils m der Regenperiode nicht passierbar,
wie z. B. heute noch viele Straßen Rußlands. Sie tragen weder äußerlich Impo-
nierendes noch innerlich Zwingendes an sich, was zu ihrer Darstellung gereizt hätte.
Alte Stadtpläne und verwandte kartographische Gebilde lassen Straßenzüge er-
kennen, doch lag in der Darstellung an sich w'enig System.
Da der Verkehrskarte eine eingehendere Erörterung gewidnut ist^. will ich
niicli hier kurz fassen und mehr auf Grundsätzliches beschränken, l'iir die Verkehrs-
wege war von vornherein das gegebirie Symliol die T.inic (ulcr. dureli die (paarigen)
Wagengleise veranlaßt, die Doppellinie. Die Peut ingerseln- Tafel aus dem 4. Jahr-
hundert ist die erste Wegekarte, die die einzelnen Orte durch rote gerade Linien nicht
direkt, sondern mit Einlage kleiner Knickungen ver])indet. Die direkte Verkiiüpfinig
der Städte durch die starre gerade Doppellinie sehen wir auf spätem Reisekarten,
wie auf dem Rinerar von Matthäus Paris aus der Mitte des 13. .Tahrhimderts, das
von London nach Apulien führt. Diese Art der Wegebezeichnung hat sich seitdem
nicht verloren. Daneben kommen gelegentlieh auch andere l-^ornieii vor. Auf La-
freris Melita Insula, Rom 1551, kam es bii den We^(il(ip|iellinien mehr auf den
schönen Schwung als auf die Richtigkeit an.
Die Wege wurden nicht bloß in geschlossenen Linien dargestellt, sondern auch
in einfachen und doppelten Punktreihen. Diese Methode der Darstellung iiat sich
bis zur Gegenwart erhalten. Heute wissen wir, daß, sobald auf den Karten eine
punktierte oder gestrichelte Wegelinie erscheint, ein Neben-, ein Fußweg oder eine
Gemeindestraße ohne festen Unterbau veranschaulicht wird. Von diesem qualitativen
Unterscheidungsmoment wußte die ältere Karte noch nichts.* Sinnig weiß Etzlaub
die Punktlinie dazu zu benutzen, mit den Punkten die Entfernungen in Meilen
zwischen den einzehien Orten auszudrücken — von Punkt zu Punkt je eine geo-
gra])hische Meile — , wie er es auf den sog. ., Rom-Wegkarten" um 1500 getan hat.
• Haufendörfer mit und oline erkennbaren rundlichen Kern. Haufendörfer von uniegelmäßigcr
strahienförmiger Anlage und Haufendörfer mit gradlinig rechtwinkligem (Iiiuidiiß. Vgl. O. Schlüter:
])io Siedelungen im nordöstlichen Thüringen. Berlin 1903. Karte 6.
- Im II. Bande der „Kartenw-issenschaft".
'• Nur auf ver.schiedenen Karten in dem großen Atlas von Keim er Ottens, Amsterdam 1703
bis 1709, habe ich gefunden, daß die Hauptstraßen mit Doppellinien verzeichnet sind, dagegen weniger
wichtige Straßen mit doppelter, in Punkte aufgelöster Linie.
Zeichnun^r der von Menschi'iiliand ins Antlitz der Erde ein^LTOschriebenen Spuren. 387
(1. h. auf Karten, die die Wege von Deutschland durch das Alpengebiet nach Italien
darstellten und zeigten, daß „viele Wege nach Rom führen".
Auf Manuskript Zeichnungen werden die Wege fast immer in Doppellinie, ganz-
linig oder punktiert, gezeichnet. Auf der von mir bereits herangezogenen Manuskript-
karte des Herzogtums Mantua von Fr. Lavanella aus dem .Jahre 1703 sind die Wege
ausführlich mit punktierter Doppellinie angegeljen. Dieselbe Wegezeichnung fintlen
wir ül)er ein halbes .Jahrhundert früher gednickt auf einer ,, Wegekarte von Deutsch-
land", die (i. und C. .Jung 1(541 in Rotenburg an der Tauber herausgegeb£>n hatten.
All diese Karten lassen eins vermissen, nämlich die Entfernungsangaben zwischen
den einzehnen Orten. Daß es solche schon auf der Peutinger Tafel gegeben hatte,
wußte man nicht mehr. Erst die Reisekarte, die um die Wende des 17. zum 18. -Jahr-
hunderts einsetzte, sollte hier Wandel schaffen. Deutschland bringt aus seiner reichen
I\artenfülle von damals ein Muster aus dem Jahre 1706, dem ein fremdländisches
kaum an die Seite zu stellen ist. Es ist jene Reisekarte von Deutschland, die
J. U. Müller in Augsburg herausgegeben hat. Der Titel sagt alles: Tabula geographica
totius S. imperii Romani, novä methodo, ita adomata, ut non solum vias de loco
ad locum cuivis accuratissime demonstret, se<l etiani ex libclln. huic taliulae adjancio,
loca in eü contenta facillime inveniri possint.
*217. Die Wegeklassifikatinn im Kartenhiide. Der Entfenuuigsangalie in Meilen
an der Wegezeichnung Ijemächl igten sich liakl alle Reisekarten und insbesondere
die Postreise- oder Postverkehrskarten des IS. .Jahrhunderts. Die letztere Art Karten
verlangte jiotwendig, auf die Qualität der Wege mehr als bisher zu achten. Wie das
IS. .Jahrhundert die cpialitative Ivlassifizierung der Wohnstätten herbeiführte, so
wurden zu jener, also nachmeicatorischen Zeit für die Wege die ersten Skalen nach
deren Beschaffenheit aufgestellt.
Die Weiter- und Durchbildung der Wegeklassifikation wurde noch während
des 18. .Jahrhunderts durch die staatlichen Aufnahmen in die Hand genommen.
Im folgenden .Jahrhundert vermehrte sich die Wegegattung um den Eisenbahnweg.
Die Geleise auf dem Schwellenbelag galten einen Fingerzeig, eine entsprechende
Signatur zu finden. Die deutschen topogiaphischen Karten haben logisch uml mit
viel Geschick nicht bloß die Straßensignaturen sondern auch die Eisenbahnweg-
syml)ole aufgestellt.
Wenn die Doppellinie mit abwechselnden Sclnvarzweißfeldern für die Dar-
stellung des Schienenstrangs eine internationale Verbreitung gefunden hat, wird
doch keine andere Wegart so mannigfach wie die Eisenbahn bezeichnet, voti der
einfachen Linie angefangen bis zu einer Mehrheit von Linien mit und ohne t^iicr-
strichen usf. Oft sin<l eingehende Legenden notwendig, uni die vielen Alten aus-
einanderzuhalten.
Bestimmte Regeln für die Signatur der Eisenbahnen winl man uffentlichen
wie privaten Karten kaum vorschreil)en können, obwohl größere ]''.inheiflichkeit.
besonders innerhalli der Handatlanten, zu wünsch(>n ist. DtT /weck einer Karte
wird immer zu einer bestimmten .\rt von Signatur, idn-r die die Erklärung alsdann
Aufschluß gibt, seine Zuflucht nehmen.
Das Wegenetz ist ein integrierender Bestandteil der Situation des Karten-
blattes. Darum erseheint es bereits auf der Schwarzdruckplatte des Lageplans.
Bei Karten, die von bestimmter Absieiit diktiert sind. wenh'U die Wegesignaturen
388 ^"^ Lanilkaite uml ihr Lageplan.
Imnt Überdruckt, oder erhalten eine oder mehrere ursprüngliche, selbständige Farben-
platten. Die Farbengebung der Verkehrswege spielt seit der Pmitinger Tafel eine
Rolle. Fast der gesamten Farbenskala werden die Töne entliihcii. die die Wege
im Kartenbild als ein wichtiges Element hervortreten lassen. Ist dii' Farbengelnmg
hierbei vielfach auf Irrwege geraten, so dominieren schlicl.ilich dii' wannen Farben
für die Wegecharakterisierung.
Eine bemerkenswerte topographische Karte stellt sich zur '/a'H der Karten-
reformation um 1700 ein, die 1690—1700 aufgenommene und 1720 erschienene Karte
der Kurmark Brandenburg des Generals Peter v. Mont arg u es; auf ihr waren die
Straßen ihrer Beschaffenheit nach durch Farben unterschieden. Wo auf den Eeise-
und Postverkehrskarten die Wege doppellinig gezogen sind, ist mit dem Pinsel auf
manchen Karten der Zwischenraum zwischen beiden Linien gelb, braun, selten rot
ausgefüllt worden; gelb z. B. auf der bereits genannten Mantuakarte von Lavanella,
rötlich auf der Karte des Kriegstheaters der deutschen und französischen Grenz-
lande, Mannheim 1798, usf.
Wie gut das Wegebraun wirkt, hat .T. Bartholomew auf seiner Orographical
map of Scotland^ bewiesen; trotz der rötlich braunen Höhenschichten hebt sich das
Wegenetz ausgezeichnet ab. Die rote Farbe hat bekanntlich die Eigenschaft, aus
ihrer Umgebung aufdringhch hervorzuleuchten und die Aufmerksamkeit des Be-
schauers vorzugsweise zu fesseln. Sie hat Bartholomew für die Qualitätsbezeichnung
der Wege auf seinen berühmten ,,Haf-inch to mile"- (1 : 126720) Karten gebraucht,
obwohl er hier auch mit dem Wegebraun ausgekommen wäre, wenn er den braunen
Hiihenschichten eine ein klein wenig kältere Nuancierung gegeben hätte. IJem Wege-
l)raun oder -gelb ist entschieden der Vorzug zu geben.^ Daran sollten meiner Meinung
nach insonderheit die Karten größern Maßstabes festhalten, die mit einer besondern
]''ar1ienplatte entweder die Straßen mit gutem Unterbau drucken, wie die Topo-
gra)iliische Übersichtskarte von Mitteleuropa in 1:300000, oder die Straßen mit
Ijestimmter Zweeksetzung, wie die Ausgabe für Rad- luid Autofahrer der L. Raven-
steinschen Karte von Mitteleuropa in demselben Maßstab. Anstatt des gewählten
Rots wäre ein Rotbraun besser am Platze. Für die topographische Übersichtskarte
wäre sodann noch zu empfehlen, der Terrainfarbe einen Stich ins Graue zu geben.
Die rote Farbe sollte dem Schienenstrang vorbehalten bleiben, besser noch
das Violett, was zuletzt auch der Bedeutung dieses Verkehrsweges und damit logischen
Forderungen entsj)rechen würde. ^ In Handatlanten lie^'cunet man am häufigsten
den roten Eisenbahnlinien*, obwohl es den in Frage konnm mlen Kartenfirmen keine
Schwierigkeiten bereiten kann, die Eisenbahnen violett zu liringen. Auf Eisenbaini-
karten, die ich während des Krieges im Felde herstellen ließ, hat sicli das Violett
ausgezeichnet liewiihrt .
218. Mangelud« Angabc von Kntlernuniien, (iclällc und Stcifinn«. i'.ine gute
Eigenschaft, die die Wege- und Reisi'karten des ]K. .lalirliunderis las zur Mitte des
1 1: 633600, 10 Miles to an incli.
- Über die „grellen roten Straßen" beklagt sich K. v. Sydovv in seinci' Uctrailit.ung iitier tlen
kartographischen Standpunkt Europas in den Jahren 186:S u. 1864. P. M. IHM, S. 481.
•' Im Spektrum hat d. violette Licht eine größere Schwingungszahl als d. blaue, grüne, gellie usw.
* Von altern Atlanten sei nochmals ,JIob.son's Pox-Hunting Altas", lig. von .1. u. C. Walker,
London 1848 (?), genannt, der die Kisenbalinlinicn rot .aiiskoloricrt zeigt.
Zfiolinuiig der von Mciisclieiiliaiui ins Antlitz flcr Erde cingfscliriebcucn Spuren. ;{8fl
viTgaiif^eiu'ii Jahrhunderts hatten, die IJezeichnung der Entfernungen, ist leider
von- den topographischen Karten nicht übernommen worden. In andern Karten-
werken, wo wenigstens eine oder mehrere Karten die Wegeentfernung brachten, ist
diese gute Eigenschaft verloren gegangen. i Da der Wert der topographischen Karten
in Zukunft weniger auf miütärischera als auf wirtschaftlichem Gebiet liegen wird,
ist die Angabe der Entfernungen eine der wichtigsten Verbesserungen, der sie sich
unterziehen müssen. Je nach dem Maßstab werden durch kleine Striche an den
Wegbändern Kilometerteile und ganze Kilometer zu verzeichnen sein.
Ein anderer mißlicher Zustand der topographischen Karten des In- wie Aus-
landes ist, daß sie keinen Aufschluß über das Gefälle oder die Steigung der Kunst-
straßen und Eisenbahnen geben. Hierbei versagt auch die Schichthnienkarte, nach
der man wohl die Neigung des Geländes, nicht aber (oder sehr umständlich) die der
Straße berechnen kann. Sie zu wissen, interessiert nicht bloß das Mihtär, sondern
in weit hciherm Maße gegenwärtig den Bauingenieur und Verkehrstechniker. In
liadfahrcr- und Kraftfahrerkarten hat man den Übelstand zu beseitigen versucht;
doch sind iiis jetzt die Versuche einer guten kartographischen Festlegung der Gefälls-
verhältnisse als gescheitert anzusehen. Wie man vielleicht zu einem erträglichen
Ausweg gelangen kann, habe ich mich in dem später behandelten Sonderteil über
die Verkehrskarte darzulegen bemüht.
Am Schluß der Betrachtung der Verkehrswege im Kartenbilde angelangt, will
ich kurz die drei Punkte zusammenfassen, nach denen die amtlichen topographischen
Karten Ijezüglich des Straßennetzes zu verbessern wären: Erstens hätten die nichts-
sagenden Punkte bei den Chausseen — man weiß nicht, sollen sie Bäume oder Chaussee-
steine bedeuten — wegzufallen und durch eine sinngemäße Baumsignatur (Obst-,
Laub-, Nadelbaum, Hecke) zu ersetzen, zweitens wären die Kilometer und
BruchteiU- davon je nach dem Maßstab durch Striche, wenn möglich auch durch
Zahlen, zu verzeichnen, und drittens müßten die hauptsächlichsten Gefällsverhältnisse
der Kunststraßen und gebesserten \\'ege angegeben werden.
'2I!>. Kiitwickiuiiir iIit Itrückensignatiir. Den Alten war die Hriicke wichtiger
als die Straße, weil diese in gut gebautem Zustande selten vorhanden war. Die
i'huntasie des Volkes hat sich inmier mit den großen Brücken beschäftigt. Von
alters her werden uns zahlreiche, durch kriegerische oder friedliche Ereignisse wichtige
I {rücken genannt. Ich erinnere nur an den ..Pons sublicius" über den Tiber in Eom.
eine uralte Balkenlirücke, die Jahrhunderte hindurch als Schauplatz religiöser Feier-
lichkeiten zur Ehren des gütigen Fhißgottes diente, an die Engelsbrücke in Born,
die Rialtobrücke in Venedig, die alte Mainbrücke in Frankfurt, die Moldaubrücke
in Prag, den Pont Neuf in Paris, die London Bridge u. v. a. m. Die Reisekarten
und Stadtpläne des Mittelalters widmen der Darstellung der Brücken besondere
Aufmerksamkeit; deini für den Verkehr und Handel war es wichtig, zu wissen, wo
ein Fluß iidir Strom, der den Alten stets ein Verkehrshindernis war, an geeigneter
Stelle durch l'urt oder I'.rücke iiljcrwuiulen werden konnte. Wenn schon die Straßen
nicht vollständig oder gut auf ilem Kartenbild erscheinen koimten, legte man um
so größere Sorgfalt auf die Z(>ichnung der Jirücken. .\uf iWin llinerar von London
• Ein letzt»'« Aufflafkern dt-r WcgfcTnonbczcichniui); finden wir in den ältorn Handatlanton
Stielcrs auf der Karte von „Deutachland zur Übersicht der Eisenbahnen und Hauptstraßen", üio
zahlen zwischen 2 Orten jrcbeii die Kntfernnn^; in l'ostmeilen an.
390 Di« Landkaitc und ilir I.ageplan.
nach Apulii'n (1252) von Matthäus Paris sehen wir, wie nicht weit \(in ..la Im" (der
Tower) die Brücke „pnnt" (die heutige Lon(h)n Jirid^'e) wieder^'iMfeljen ist. In l'arit;
fülu-en zur Seine-Insel Brücken hinüber. Lyon hat seine charakteristische Lage an
der Ehone imd Saöne; über beide Flüsse sind Brücken gespannt. Die alten Stadt-
pläne verzeichnen gewissenhaft die Brücken, wie z. B. der Stadtplan Jerusalems
von M. Sanudo (P. Vesconte), 1320.
Wo Flüsse überbrückt, dort die wichtii;sten Fixpunkte in jedem A\'egelauf.^
Die Flußübergänge waren zumeist befestigt und in genauen Plänen festgelegt. Die
Kartographen von damals ließen es sich angelegen sein, nach diesen Plänen ihre Karten
zu verbessern. Auf der Karte des Elsaß von Specklin vom Jahre 1576 führen
bei Basel, Breisach und Kehl Brücken über den Rhein. Innerhalb Straßburgs wird
die 111 siebenmal von Brücken gequert. Auf einer spätem Eheinkarte, 1604 von
Dietrich von Bry, wird schon im Titel auf die Brücken hingewiesen. ^ Wie nicht
anders zu erwarten, hat der messende Apian die Brücken mit besonderer Liebe be-
handelt. Während man sich früher mit zwei kurzen parallelen Strichen, die den
Flußlaut c[uerten, begnügte, verwendet Apian ein seitlich gesehenes, mehr perspek-
tivisch gezeichnetes Brückenzeichen und deutet sogar auf der großen Ausgabe seiner
Bayernkarte die Art der Balkenlage auf der Brücke an, wie auf den Lcch-
brücken bei Augsburg. Bei München ist die ganze Bauart der Brücken mit den
Brückenpfeilern zu erkennen. Comenius hatte auf seiner Mährenkarte, die in den
Jahren 1627—1630 entstand, die zahlreichen Brücken aufgenommen mit der Ab-
sicht, der Kriegführung und dem Eeisen zu dienen.
Den Apianischen Bildern gegenüber verhalten sich unsere heutigen Brücken-
zeichen recht bescheiden.. Die nachapianische Zeit hatte die Brückensignatur fast
ganz vergessen, selbst Sanson wandte auf Spezialkarten von Frankreich nur das
einfache Brückenstegsymbol an.^ Die bessern Karten führten die Wege im Sinne
der Wegrichtung glattweg über den Fluß, so die bereits genannten Karten von Eoussel,
Bourget, Cassini, desgleichen die nach Cassini reduzierte Ausgabe La carte de la
France von Capitaine (1:345600). Auf großmaßstabigen Karten wird schon zu
Cassinis Zeit die einfache Brückensignatur, wie wir sie heute noch gebrauchen, an-
gewandt, so auf La Carte geometrique des environs de Eambouillet et Saint Hubert,
\<)n d( n Ingemeurgeographen aufgenommen und in Kupfer gestochen von Guillaume
de la Haye, in 1 : 43200 (1764) besser noch auf La Carte topographique des environs
de Versailles in 1 : 28800, bekamit unter dem Namen ,, Carte des chasses du Eoi",
1773 (von Berthier in Angriff genommen). ^
Der preußische Generalstab hat sich schon seit Anfang des vergangenen Jahr-
hunderts mit der Brückensignatur eingehender befaßt und kam schließlich zu ganz
detailherten Signaturen; er unterscheidet für die Aufnahme in 1:25000 bi-i
Bächen und Gräben Holzbriicke, Steinlirücke und Ste;,', liei Flüssen und S(r(imen
' H. Wagner: Lehrbuch, a. a. ü., S. 907.
^ , .Carte du C'ours du Rhin". Theodorus de Bry Leodiensi», apud llemp. Fiancfordincnscni.
Anin. 1604. Rheinstrom: Dess bcrülimten vnd herrlichen Flu.sses eigentliche vnd warhafftige Be-
schreibung / sampt eigentlicher Contrafactur aller Stätte vnd Brücken / so darumbter vnd darüber
erbawet sind / auch allen Bächen vnd Wassern welche darein fliessen auffs fleissigst vnd künstlichst
von newein zugericht Durch Dietrich von Brey. [Eine reich ausgeführte Karte in der N. Bi. Paris.]
' Carte des lividres de la France. Paris ] 641 . Diese Karte ist Kartenblatt Nr. ."54 in einer großen
Sammlung von Sansonscben Karten in der X. Bi. in Paris, die überschrieben ist ,, Sanson, Atlas
Universel".
Zeirhuung der von Moiischoiiliiind ins Aiitlilz drr Erde oingeschrichfiii'n Spuren. ;{91
Hülzljiücke, Bockbrücki', Hulzbrücke mit Aufzug, Steinbrücke, bedeckte Hulzbrücke
mit Wteinpfeileru, Schiffsbrücke, eiserne Brücken und außerdem Kahn-, Seil-, P'uhr-
werkfähre und fhegende Brücke. Die niiHtärische Wichtigkeit spricht in dieser Unter-
scheidung sich aus. Auf der Karle 1 : lUOüüO ist che Brückenzeicimuug noch ziemlich
detailliert, auf 1 : 200000 werden nur noch Brücke, Eisenbahnbrücke mid Furt unter-
schieden. Auf der Topographischen Ühersichtskarte von Mitteleuropa gibt es keine
Ijesondern Brückenzeichen mehr, auch nicht auf der Yogelschen Karte von Deutsch-
land. Darauf werden jedoch die Flußübergänge deutlich markiert. Einem alten
Gebrauch zufolge werden in Stielers Handatlas die Flußübergänge durch Fortsetzung
der Straßensignatur und Unterbrechung der Flußzeichnung keimtlich gemacht. Schon
auf der ersten „vollständigen" Ausgabe von Stielers Handatlas aus dem Jahre 1831
heben sich z. B. auf dem Spezialblatt Sachsen-Thüringen die Elbül)ergänge deutlich
ab. Dagegen legen Debes Handatlas und andere Atlanten, mit Ausnahme von Andrees
allgemeinem Handatlas bei den Karten Deutschlands und der europäischen Länder
auf die Wiedergabe von Brücken oder Flußübergängen keinen Wert.
Sünderbedürfnisse werden immer Sonderkarten hervorrufen. Im letzten Welt-
kriege spielten die Brücken eine auch in Zeitungen off genannte Bolle. Die Brücken-
kopfstellung von diesem oder jenem Fluß wurde für einzelne Operationen ausschlag-
gebend. Es wurden Karten, meist umfangreiche Zusammendrucke der im Lande übhchen
Generalstabskarten angefertigt, die mit besonderm Farbton alle Brücken aus dem Karten-
bild hervorhoben. Für Vorwärtsbewegungen der Truppen waren diese Karten außer-
ortlentlich wichtig. Für Angriffszwecke mußte die Qualität und Tragfähigki'it der
Brücken aus dem Kartenbild herausgelesen werden können, ob die Brücken ge-
eignet waren für Infanterie, für leichte und schwere Artillerie, für Lastautos usf.
220. Darstellung der Kanüle und Tunnels. Die Kanäle verweisen uns in der
Hauptsache gleichfalls auf Kartenmaterial Jüngern Datums, wenn wir nicht die
Darstellung des großen Atjuäduktes bei der Stadt Antiochia auf der I'eutingerschen
Tafel als etwas Verwandtes heranziehen wollen. Frankreich, Holland und England
sind die klassischen Länder des Kanalbaues. Aber nur wenige Karten besitzen wir
aus jenen Zeiten, da die ersten leistungsfähigen Kanäle das Land durchzogen. Von
H. Jaillüt existiert eine Karte des Kanals von der Eure bei Pontgouin bis nach Ver-
sailles aus dem Jahres 1703.^ Gauthey, der Gent-raldirektor der französischen Kanäli',
veröffentlichte 1782 eine Karte der fertigen, nicht fertigen und projektierten Kanäli'
(S. 369). AVenige Jahre später setzten die englischen Kanalkarten ein. die bald Muster
ihrer Art wurden.*
Für die Kanalzeichnung hat sicli mit drv Zeil auf Karten kleinem Maßstabes
die einfache Linie mit angesetzten Strichelchen, die ..Zahnlinie", eingeliürgert. so
auf der Vogelsclien Karte von Deutschhuul, auf den Karten der verschiedenen Hand-
und Schulatlanten. Auf den Karten 1 : 300000 und solchen größern Maßstabes wühlt
man die Flußsignatur, und dureli ihre gestreckte und wenig gewundene Form, ganz
' Atlas von Kfimci (»tt. MS. 1. Md. I7ü:{. 0 Bdo. l)is 1709. Vraukryk. I. Deol. Darin dio
„Cnrto larticuliirc du canal df iariviiTe d'Knrcdcpuis Pontgouin jusquo.sdo VcrsaillosoH sontoxai-tc-
ini'Ht reniarqu6z le» a<iueducs, Ics i-stenj;«, los ponts et autrcs travaux qiü sond dclius et aux ennron»;
avec Ics pays circonvoisons. Par Hubert Jaillot. — Als Doi)|K>llinie ist der Kanal gezeichnet, selbst-
redend auch der Aquädukt bei Maintenon. [Atlas in der Bibliothek der Soc. Geogr. in Paiis.]
' Smith'sNew mapofthe nland nax-igationof Engl.* Wales. London. Printcd fort". S. . Smith.
:tu. .\i>v. 1801. Die Kanüle sind darauf farbig koloriert. | »r. M. I^mdon.J
392 L)'c Landkarte und ilir Lagpplim.
der Kanaltrasse entspreclieiul, wird man auf den Kanal aufmerksam. Auf den topo-
graphischen Karten Frankreichs wiid zur Kanaldarstellung eine starke Ijinie benutzt,
die auf beiden Seiten von düimen Jjinien flaidiiert ist. Die englischen wie holländischen
topographischen Karten haben keine besonders charakterisierende Signaturen für
die Kanäle aufgenommen; auf den enghschen Karten in dem Maßstabe von 2 Miles
to an inch (1 : 126720) wie auf den Karten von Bartholomew werden die Kanäle nur
durch ferne schwarze Linien dargestellt.
Die Darstellung der Tunnel geht auf J. B. Homann in Nürnberg zurück, der
auf einem Nebenkarton seiner Nova accurata Carinthiae Ducatus tabula geographica
einen Serpentinweg und einen Tunnel zeichnet oder wie ,,die Straßen aus Cärnthen
in Crain über und durch den Berg Loibt". In die allgemeine Kartographie jedoch
hält der Tunnel um etwa die Mitte des vergangenen Jahrhunderts seinen Einzug,
nachdem man gelernt hatte, für den Eisenbahnweg hindernde Bergrücken zu durch-
bohren. Die Zeichnung dafür ist einfach. Sobald die Straße oder Bahn in einem
Tmmel verschwindet, ist sie an der Erdoberfläche nicht mehr sichtbar, mithin ist
sie für den Kartographen nicht mehr vorhanden. Darum unterbricht er an dieser
Stelle auf der Karte die Wegzeichnung oder er markiert durch eine feine, gerissene
Doppellinie die Verbindung zwischen Tunnelein- und -ausgang. Maßstab und Tunnel-
länge sind ausschlaggebend, ob der Tunnel selbst bei der schwächsten Signatur berück-
sichtigt werden soll oder nicht.
221. Hervorhebung chaiakteristischer Eiuzelgebilde von Kuiturstädtcn und -statten.
Die Signaturen für Orte und Wege sind die am häufigsten gebrauchten auf den Karten.
Ihre Erklärung ist einfach und plausibel. Dagegen enthalten großmaßstabige Karten
eine Menge Einzelobjekte, für die im Laufe der Jahrhunderte mit mehr oder weniger
Glück Signaturen erfunden sind, die, wenn sie irgendeine Eigenschaft oder das Äußere
-selbst mit wenigen Strichen typisch wiedergaben, Allgemeingut geworden sind.
Auf den Karten vor der Eenaissance treten Sondersignaturen ganz spärlich auf,
höchstens da, wo es sich auf Mönchskarten um das Kenntlichmachen von Klöstern,
Bischofssitzen usw. durch Anbringen von Krummstab oder Kreuzen auf den per-
spektivischen Ortszeichen handelte. Erst nach 1500 wagen sich die Signaturen aus
ihrer Schüchternheit heraus und erscheinen alsbald auf gedruckten Karten, auf Spezial-
karten reichlicher als auf Übersichtskarten.
Zunächst werden die Städte, die irgendeine besondere Bedeutung haben, durch
ein daneben gestelltes Zeichen aus ihrer Umgebung herausgehoben. Den Eeichs-
städtcn fügt Specklin den einköpfigen, Visscher den zweiköpfigen Adler bei. Der
zweiköpfige Adler ist die richtige und gebräuchlichere Bezeichnung. Klöster, Abteien
und einzelstehende Kapellen erhalten im 16. Jahrhundert Zeichen, wie sie heute
teilweise noch üblich sind. Auf der ersten Eom-Wegkarte Etzlaubs aus dem Jahre
1492 sind die Wallfahrtsorte durch besondere ,, Kirchlein" ausgezeichmt. worauf
der Begleittext ausdrücklich hinweist. Specklin und Fischer (Visscher) verwandten
außerdem den Hirtenstab, der schräg ins Ortszeichen hineingesteckt wurde, um einen
geistlichen Ort zu markieren. Mit dem Äskulapstab zeichnete Visscher die Uni-
versitätsstädte aus.' Dagegen macht Gregorii den Vorschlag, die Universitäts-
1 Die Hochschulstädte kenntUch zu machen, hat man in unsrcr rasch fließenden Zeit
ganz vernachlässigt; um so erfreulicher ist es, daß Andrees allgemeiner Handatlas (6. Aufl. 1914) auf
!S. 44 ein kleines Sonderkärtchen den deutschen Universitäten und Hochschulen widmet.
Zcieliiuiiig der Min iMeiisi-licMliiinfl ins Antlitz dor Hrdi' (•inf^esidiriclx'ncn Spurrii. .'JDH
stiultc iiiil zwri, die GyinnasialortL' mit cini-iii Sternchen auszuzeichnen.' Xac-li
ihm solltu IViiuT tue Handelsstäilte das Signum Mercurii ^ erhalten, l'ür
Schloß und B u rj^ fiilu-t Mercator das Kingel mit aufgesetzter Fahne ein. Jaillot scheint
der erste zu sein, der durch senkrecht stehende Fahne (wie Mercator!) und schräg
nach rechts liegende „chäteau" von „chäteau ruine" unterscheidet. Nicht lange danach,
1730, sehen wir bei Roussel dieselben Signaturen, wodurch sie ihren Einzug in die
offiziellen Karten Frankreichs hielten. Sie söid heute noch auf allen offiziellen und
nicht offiziellen Karten der Kulturländer üblich. Sehr früh, auf jeden Fall schon
vor Cassini, so bei Jaillot und Seutter, hat sich der gezahnte Ring als Signatur für
die Wassermühle eingebürgert. Der gezahnte Bing oder das Mühlenrad war das
(iberbleibsel der Wassermühle die als Haus mit dem im Wasser befindlichen Kade
dargestellt wurde. '^ Zu Cassinis Zeit wird auf französischen Karten zur Mühlen-
signatur die Bezeichnung M'." hinzugeschrieben. Sie hat sich auf den französischen
amtlichen Karten bis zur Gegenwart erhalten. Für die Windmühlen bringen alte
niederländische Karten, sodann Cassini eine kleine Profilskizze der Bockmühle, die
auch heute auf verschiedenen öffentlichen Karten verwendet wird; das deutsche
Meßtischblatt unterscheidet durch aufgesetzte, sich kreuzende Striche (x) auf King
und auf Dreieck HoUänderwindmühlc von Bockwindmühle. Für Windmühlen nehmen
die Franzosen lediglich erstere Signatur.^ Die Badeorte hat Seb. Münster geschieden
in ,, Sauerbrunnenkurorte" durch ein Glas und ,, Gesundbäder" durch emen dampfenden
Kübel. Der Badekübel oder die Badewanne ist die Signatur für Heilquellen; so war
es im 17. Jahrhundert (Comenius), so ist es noch heute. Belagerungen und denk-
würdige Schlachten wurden im 16. Jahrhundert (Apian) durch Kanonen bezeichnet,
im nächsten Jahrhundert kamen dafür die gekreuzten Schwerter auf, die heuti- noch
die Signatur für Schlachten sind; sie wird den Orten beigefügt.
Durch Sondersignatur werden hauptsächlich Kulturobjekte kemitlich gemacht.
Das s])richt sich schon in der erörterten Sonderauszeichnung von Städten und andern
Ortschaften aus. Einzelne wichtige Häuser und bemerkenswerte Örtlichkeiten werden
hervorgehoben, so die Poststellen durch Posthaus (Zürner: Post-Charte von Sachsen)
oder Posthorn (Seutter), die Richtstätten durch Galgen inid Rad (Seb. Münster).'
Cassinis Karte setzt dazu nocli das Wort ..Justice", das sieli bis auf die modernen
französischen Karten in 1 : -iDOOO und 1:80000 fortgeerbt hat. Die Glasfabriken
und andere Fabriken erhalten in der Karle eine Haussignatur mit Schornstein (S. 384),
wohl zum ersten Male auf der Lebcrtalkarte im 3. Buche von Seb. Münsters ,,Kosmo-
grajihey" angewandt. Auf dieser Karte werden die Bergwerke als Stolleneingang
mit aufgesetztem kleinen Kreuz mappiert. Phil. Apian bringt dafür (15()G) bei Hellel.
(Hallein) an der Salztich einen Bergmann, der eintn Pliind in den Stollen eines Berges
liineinscliitdit. Comenius unterscheidet Berg\verl<e für Gold. Silber und l'üseii. l''ür
Seutter ist die Haue ilie BiTgwerkssignatiir. Der imMii.liselie Generalstab führte
iieizeilen die sich kreuzi'ndeii Hämmer für den aktiven Berg werksbet rieb ein unil
dasselbe Zeichen umgekehrt für den verlassenen Scliaciit. Die alten Bergmanns-
signtituren fiir Gokl das Sigmim solis 0, für Siliier das Zeichen des Moiules ) .
J. G. Grt-iiorii: ('niicusc (ndaiukcn. Fniiirklnil n. U'ipzin ITl.'J, S. :.V)S.
Vfi}. auch die Miililcnsinnatnr auf der Karte di-.s Nürnbci'nor Walde.s. einer SjK>7.ialkarte. die
Iti. .lahili. .slannnt. jX. Bi. Paiis| s. Aniu. I S. .'iSÖ; desRl. J. G. G egorli. ». a. 0., S. 258.
\'gl. dir Kailin der Dei>attenierit.sallaiUen I : .TOWK).
All. h ,uif d.ii Kalten des Niiiiil>ei>rei- VValde.s, s. .Viiin. -2.
394 l>iP I-niilkarte iiiiU ihr Lu-epl""-
für Kupfer das Zeichen der Venus $, für Quecksillicr das Si.t^iiiiiii Miiviiiii h, fih-
Zinn das Signum Jovis T\., für Blei das Zeichen Saturns 1) und für l'iiscii das Ziit-lien
des Mars (J, erscheinen auf den Bergamtskarten, desgleichen auf den Wirtschafts-
karten, Produktenkarten im 18. Jahrhundert von Crome, von Lange, von Paljhausen
und Flurl. Sie bezeichnen Fund- und Gewinnungsorte, auf der Generalkarte des
österreichischen Kaiserstaates in 1 : 288000 aus der Mitte des 19. Jahrhunderts gelten
die genannten Zeichen fik die im Betriebe befindlichen Bergwerke. Comenius dürfte
einer der ersten gewesen sein, der kult urgeographische Erscheinungen und Signaturen
dem Kartenbilde einghedcrle. Die Entwicklung von Signaturen, die sich auf Wirt-
schaft sgcographischem Geliiete zeigte, gehört in ein anderes Kapitel. Es sind vielfach
Zeichen, die der Kartenhersteller für seinen Zweck zum Teil erfinden mußte. Sio
haben sich größtenteils kein Bürgerrecht erworben. Schon ihre Vielheit setzte einen
Damm der allgemeinen Verbreitung entgegen. ^
Wie wir oben bei den Bergwerkssignaturen sahen, ging IMiü. Ajiian liei der
Wiedergabe wirtschaftlicher Erscheinungen ganz realistisch vcir. A\'ie es kaum anders
zu erwarten, stellt er die Einderzucht durch weidende JüntUr dar, die l'l'orde-
zucht durch Pferde, von einer Hürde umgeben.
Dagegen haben sich andere Bildchen von Anfang an, wo sie zum crstennial
auftraten, dauernd erhalten, wie auf Spezialkarten diu Signatur für den Weinstock.
Als Eebpfahl mit durchschlungenem S findet sich die Eebsignatur bereits im 16. Jahr-
hundert; sie wird heute in gleicherweise noch angewandt. Wolfgang Lazius ge-
lirauciite dafür auf seinen Karten in der Mitte des IG. Jahrhunderts ein Eebenblatt
mit zwei Trauben. Die gebräuchliche Eebsignatur von doppelter Länge bedeutet
Hopfenanbau und ist so bereits auf der Apianischen Karte und auf spätem Karten
zu sehen. Diese Signatur hat sich gleichfalls erhalten.
222. Die Trhui^'iilationsptinktc. Ich möchte von dieser Betrachtung nicht scheiden,
ohne niieh auf ein älteres an sich unscheinbares und doch wichtiges Symbol, den
Triangulationspunkt, hingewiesen zu haben. Er wird als Dreieck ohne oder mit
Punkt inmitten angegeben. So wiederholt er gleichsam den Grundriß des bekannten
Dreibeinsignals bei Vermessungen. Auf Apians Bayernkarte, die auf Dreieckmessungen
beruht, wird das Zeichen noch nicht angewendet, Ai)ian wählt den Kreis mit sicht-
fiarem Mittelpunkt, also dasselbe Zeichen, womit die heutigen deutschen offiziellen
Karten Nivellementsfestpunkt und Pegel bezeichnen. Das Dreieck, zunächst ohne
Mittelpunkt, scheint zuerst bei Bourcet auf la Carte geometrique du Haut-Dauphine
et du C'omte de Nice 1754 aufzutreten. Bei Cassini war die Triangulationspunkt-
signatur beinahe selbstverständlich. Die neuen französischen Aufnahmen haben
dazu noch den Ausdruck „signal" oder die zugehörige Höhenziffer gesetzt.
Wo nur immer auf der Erde vermessen wird, stellt sich heute auf dir Karte
das Ijekannte Dreieck ein. Nicht immer erscheint es auf der Karte, ^'i(■lfaeil er-
' Ein Monstrum dieser Art ist Kempens ,,Katurproduktcnatlas", Wien 1796, worin z. B. auf
der Karte von Bötimen nieht weniger als 171 Signaturen für wirtschaftliche Gegenstände verwendet
.sind, und dazu in .so kleinem Maßstab, daß sie nur mit der Lupe zu erkennen sind. [H. u. St. Bi. München.]
- Auch im 19. Jahrli. treten uns derartige Karten entgegen; z. B. „Karte der gefürsteten Grafschaft
Tirol und Vorarlberg zum Hand- und Reisegebrauch" (1:400000) von J. ß. Roost und E. Gras-
müller, München 18.38. Abgesehen davon, daß die Karte über und über mit Sehraffen bedeckt ist,
sind 100 Zeichen in der Erklärung aufgestellt, dazu noch eine ganze Anzahl Abbreviaturen. Neben den
Städtezeichen finden sieh Symbole für Industrie, Bergbau, Landwirtschaft und Verkehr. Die Karte
ist so überladen, daß zuletzt gar nichts darauf zu erkennen ist. [U.-Bi. Göttingen. J
/fichuuDj; der vuii Mcuscbonhand ins Antlitz diT Enle tiugcscIiriebL-uiii Spurrn. 395
ium'it ein ruiikt noch an sein Da^fin. Auf Karten kleinen Maßstaljes ist auch dieser
verschwunden, nachdem er liier seinen Zweck erfüllt hat, nämlich zur allgemeinen
(.'•liarakterisierung der (irundzüge des Geländes wesentlich beigetragen zu haben.
Die Triangulationspunkte I. Ordnung müssen unbedingt auf jeder großmaßstabigen
Karte, insonderheit auf den toiiographischen t'ljersichtskarten, wiedergegeljen werden.
223. Eiitwirklung des pulitiseheu und admiuistrativeu Grcuzbildes. Die Dar-
stellung der politischen und administrativen Grenzen geht kaum weiter als auf die
Zeit der Renaissance zurück. Die punktierte Linie war der natürlichste kartographische
Niederschlag der amtlichen Abgrenzungen. Auf den Katasterkarten wurden die
tlrenz- und Gemarkungssteine in lebhaften Farben, zumeist in Rot, und verhältnis-
mäßig sehr groß gezeichnet, was auf die Bedeutung schließt, die man ihnen von jeher
zuschrieb. Sie bildeten einen wichtigen Gegenstand, besonders bei den häufigen
Grenzstreitigkeiten. Übersichtliche und instruktive Karten dafür zu schaffen, war
für die ältere Zeit sehr schw'er; wohl rückten die Grenzsteine auf der Karte zu der
punktierten Linie zusammen, aber ihren Verlauf sicher festzustellen, verstand man
nicht oder hatte nicht die nötigen Mittel dazu.
Nur wenige ältere Karten machen eine anerkennenswerte Ausnahme: wir können
sie als topographische Spezialkarten ansprechen, da man bei ihrem großen Maßstäbe
und wegen der richtigen Lage der Ortschaften, Flüsse und Grenzen eingehendere
Vermessungsarbeiten vermutet. Berühmte Beispiele sind die Karten von Wangen
(1647) und von Lindau (um 1630) des Kunstmalers Joh. Andreas Rauch aus Wangen^;
sie sind nach den Ijandschaftsgemälden von Rauch in Kupfer gestochen worden untl
zeigen zweierlei zwischen Grenzsteinen ausgespannte Gvenzsignaturen, von denen
es in der Legende auf den Karten heißt, daß ,.die starken, schwartzen, gebrochenen
Linien, sanipt den dazwischen stehenden Marcken, die Hohe, die getüpffeiten al>er,
die Nidere (ierichtbarkeit ai deiitten". Eine andere ältere Karte, der man Grenz-
gruauiiikeit nachrühmt (durch R. Wolf), ist Gygets Karte des Kantons Zürich vom
•lalire lt)(i4 bzw. 166H, auch ein ^leisterwerk damaliger Kartographie. -
Im allgemeinen seluii wir. daß die administrativen Grenzen die wunderliehsteii
luid bizarrsten Formen amiehnuii. wie sie nimmermehr der Wirklichkeit entsjuecheii
k()imt( n. schon weil sie die Oberflächengestaltung und natürliche Bi-deckung des
J5()dens niciit genügend berücksichtigten, d. h. nur insoweit, als das Gebiet gerade
\()n einem Turm luler Berg aus überblickt werden konnte. Uns ist es überliefert,
daß von soklicn erhöhten Standpunkten aus die Grenzen aufgenommen wurden.
Für die damalige Geographii'. die in ihren Veröffentlichungen der politischen Ein-
teilung großes Gewicht beilegte, war die \\'iedergabe der Grenzen eine heikle Sachi',
und trotzdem mochte sie nicht darauf verzichten, wie wir bei den Karten sehen, ilie
riiiii])]! Clüver seiner Introductio in universam geograiihiain i)eigegeiien hat. Die
politische (irenze wurde auf den Karten kleinern Maßstalies nicht durch (u'nerali-
sation aus den Spezialkarten gewonnen, sondern nur so ungefähr gezi'ichni't, indem
iium sich, falls man sich überhauj)! dieser Mühe untirzog, an die politische Zugehörig-
keit der Ortschaften hielt und zwischen zwei Orten, die verschiedenen Staaten oder
Kreisen angehörten, einfach eine (Grenzlinie konstruierte. Infolgedessen kam es,
daß die (irenzeii von jedem Karteid)earlii>iter anders konstruiert wurden und selten
' K. Hamnici: Die Kniton von Wannen 11. von Lindau aii.s dor rrsten Hiilftc drs 17. .lahili.
(Jlnhns L.XXrir. I«!W, S. raff mit .M.I.. von .Aussclinitlcn il.i tx-iilcn Kait.n.
- K. ('. .\nirein in P. M. IS«:i, .S. :t(lL'.
396 '»i'' Liiu.lkiut.' und ihr Laf,'eplan.
übereinstimnilrii. srllisl in liu und ilcniscllicu Kailciiwcrk. Als Tuy dr Monias
17G1 über dir jiutfii iiiul schlechten Eigcnsclialtcn dir Karten schrieb, wies er im
vierten Punkte auf die schlechte Übereinstimmung der Grenzen in tJbersichts- und
Spezialkarten hin, aber auch in Karten benachbarter Länder, selbst wenn sie gleiche
Situation hatten, wie bei den Karten von Deutschland und Frankreich.
Für die Differenzierung der Grenzen in Gemeinde-, Bezirks- und Landesgrenzen
hatte man auf den Karten im 16. und 17. Jahrhundert noch wenig Gefühl, man half
>ic-h dureil \-erschiedene Kolorierung der Flächen der Länder und Provinzen oder
auch niu- dureli das Handkolorit der betreffenden poHtischeu Gebilde. Leim J\.ü1o-
riereii hütete man sich offenbar, bis zum Areal der Gemeinden vorzmlringen, schon
wegen der phantasiereichen Form der Gemarkungsgrenze.
224. Die farbige Grenze und Grenzit<'"a"isl<<''<- 1^''^' erste, der die Länder mit
Farben versah, der die ,, gezeichneten Punela (iurehgelieuds iilmuinierte"', war Justus
Danckert, der sich 1630 in Amsterdam ehie eigne Kartenoffizin anlegte. Das Eis
der Einförmigkeit schwarz gedruckter Karten wurde gebrochen und ihnen (hneli
die Farbe größere Anschauungskraft verliehen. Für Schulkarten wurde das Pand-
kolorit bereits wenige Dezennien später durch Hübners Atlas scholasticus pro-
pagiert. Ein viele Hände beschäftigender Industriezweig wurde die Illumination,
mit der jedoch nur zu leicht Mißbrauch getrieben wurde (S. 21), und Gregorii
schreibt die Schuld den Koloristen zu, insofern es unverantwortlich sei, daß „sogar
Kinder und Weiber die Karten illuminieren". ^ Der Frauenwelt blieb das Geschäft
der Illuminieruug noch lange übertragen, und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wurden „die Stielerschen Karten von den zarten Händen der feinen Damenwelt der
Gothaer Eesidenz mit gerade so vielem Geschmack und Eleganz als Sauberkeit und
Akuratesse bemalt".* Späterhin wurden bei J. Perthes eine Anzahl fleißiger Mädchen
unter besonderer weiblicher Oberleitung zur Ausmalung der politischen Grenzen
und Kartenränder herangebildet.* Der Farbendruck, der in der Mitte des vorigen
Jahrhunderts einsetzte, hat in der Hau]itsache den manuellen Betrieb der Karten-
kolorierung verdrängt .
Auf dem ersten Handatlas, der bei .1. Perthes ISO'.I in Gotha erschien'", tragen
die Karten keine politische Einteilung, und Heusinger, als Herausgeber, spricht
nicht von Siiaiiien und Portugal, sondern vom ,, Lande vom Atlantischen Ozean bis
zu den Pyrenäen", und weiter ,,von den Pyrenäen Jjis zum Rhein", ,,vom Rhein bis
zur Oder" usw. Doch Malte-Bruns Atlas complet du precis de la geographie uni-
verselle (Paris 1812) redete mit den buntfarbigen Landumrissen eine so eindringhche
Sprache, daß man auch in Gotha bald zum Randkolorit überging; und Stielers Hand-
atlas legte seiion in der ersten Ausgabe 1817 gerade darauf besondern Wert, wie über-
haupt auf die damals noch spärlich vertretene politische und statistische Genauigkeit.
So wurde der Atlas durch seine gediegene innere und äußere Ausstattung von Anfang
1 J. G. Gregorii, a. a. O., S. 72. ^ j. g. Gregorii, a. a. O., S. 266.
3 Justus Perthes in Gotha 178.5-188.5. Festschrift des Verlags, S. 28.
' Die braunen Umrahmungen, „Caffee-Iländcr". aller Justus Perthesschcn Karton, die sicli
seilest bis Anfang der 60er Jahre erhielten, wurdin mit <1( jh c , Hin Mokkasafterzeugt, was eine Spezialität
der , .Madame Sauerbrey"' war, die den Mahiiad' li' n m.i luid.
s J. H. G. Heusinger: Handatlas ütii r :i\\<- 1« k;iiiiit<- Länder des Erdbodens. Nach einer auf
Naturgrenzen beruhenden Darstellung der Länder entworfen, zum Studium der Geographie und Ge-
schichte, zum Jugendunterricht, und für jedes allgemeine Bedürfnis der Liebhaber der Geographie
bestimmt. Gotha bei J. Perthes, 1809.
/.eicliming der vuti Mcnschtjnliand ins Antlitz der Knie eingescliricbcncn Spuren. 307
all der l'idtotyii (Irr zeitgenössischen' uml mndcii.eii Handatlanten, ähnlich wie die
Straßliiii}^er l'toli niiiusausgabe vom Jahre 1513 der Trutotyp der altern Atlanten war.
Nachdem man im 18. Jahrhundert in weitern Kreisen mit Meßinstrumenten
umzugehen gelernt hatte, gehörte von da ab die Aufnahme 'der Grenzen zu den vor-
nehmsten Vermessungsarbeiten. Von den vermessungstechnischeu Arbeiten zu den
Tiroler Karten von P. Anich und Bl. Hueber wissen wir, daß der Aufnahme der
Grenzen besondere Sorgfalt gewidmet und zwischen Gerichts- und Burgfriedeii-
grenzen einerseits und Landgrenzen andererseits unterschieden wurde. ^ Abgesehen
von den notwendigen Vermessungsarbeiten, die bei (irundstückvergrößerungen oder
-Verkleinerungen ständig vorgenommen werden, wird auch bei größern Arealver-
schiebungen die Grenze als erstes bestimmt. Wo in den Kolonien irgendwo ein Zuwachs
oder eine Minderung an Fläche vorkommt, ist die erste Arbeit die Grenzregulieruijg
und -Vermessung, und dann setzen gewöhnlich die weitern Aufnahmen des Landes ein.
Auf den offiziellen französischen Karten des 18. Jahrhunderts treten neben
punktierten Grenzlinien solche aus Kreuzchen und aus Stricheln gebildete auf. Das
Kreuzchen ist mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts wieder verschwunden. Die
administrative Einteilung des Landes durch fein gehaltene oder ,, illuminierte Marken"
anzugelien, hatte man nicht gelernt, und wenn gelernt, bald wieder vergessen.
Das ist ein Mangel, der fast allen topographischen und andern Spezialkarleii
des vergangenen Jahrhunderts bis in die achtziger Jahre vorzuwerfen ist, und doch
war es damals schon für viele, selbst militärische Interessen, wtinschenswert , ,,irniere
Administrativgrenzen in iiKigliclist großem Maßstabe niedergelegt zu finden".'
225. Die spezielle Grenzsignatur. Punkt und Strich sind in zahlreichen Zusammen-
stellungen und Varianten zur Bezeichnung von Grenzen von amtlichen und privaten
Kartenanslalten ausgebildet worden. Die einfach punktierte Linie ist wegen d(>s
leichten Versagens bei größerm Auflagedruck größtenteils durch die gerissene Linie
ersetzt worden. Komplizierte Grenzliniendarstelhing, mit Verwendung aller mög-
lichen Kleinformen, halte ich für im|irak(iseli. •!. G. I,i'liinaiin unterschied durcii
einfache Linienelemente Landes-, Knis- und Aiiils^'icuze.' Die deutschen offiziellen
Karten hingegen zeigen Grenzen, die in ihrer übertrieiienen Einfachheit auch nicht
immer das Richtige treffen. Ein Unterschied zwischen der Reichsgrenze und der
Grenz(> der einzelnen deutschen Staaten ist im (irunde genommen nicht vorhanden,
die stärken; und dünnere Ausführung, durch di(> iieide charakterisiert werden sollen.
ist praktisch kaum wahrzunehmen. Ohne Sehaden des Ganzen könnte bei der Reichs-
grenze zwischen den einzelnen l'luckeii (diu kurzen dickiMi Strichen) ein kleines Kreuz
eingeschoben werden. Dadmili wird auch die Aii-iliatiungskraft der Grenzsignatur
gehoben. Wohl stimmen Reichs- und Landesgrenzen einerseits und Regierungs-
bezirksgrenzen andererseits auf dem Meßtischblatt 1 : •2.5()()() und den Kart.'U 1 : lOOOOO
und 1 : '2<)() ()()() überein, warum jedoch auf dem Meßtischblatt die Krei.-^grenze als
Punkt-Strieh-Punkt usw. gezogen ist und auf den andern Kartenwerken als gerissene
Linie, darauf bleibt uns die I/aiidesaufiialime eine üiierzeugende Antwort schuldig.
Z. H. .r. K. \v...
iTJ: Atlas iilicr.illr TiMlcder Im-
de in -'7
Mhllle
m. KaiUi
•i.lie u.
Freil.ur;; ls:i:
1). a. m.
Vj{l. Anni. .-,, S.
:m4; dosul. H. Haiti: Die Aldi
Ulllll»' V
nuTin
d duivli l>
.I.'i All
iell u. Khisilli
Mit. do« k. k.
mil.-nedKr. liisf. Wien ISS.").
K. V. Sydow i!
11 P. M. 18.17. s. ir,.
.[. C. [..'luMMII
IK Aiiweis.iMj; /.um ,i,lilij;en 1
'ak.'iiiiei
11 usw..
ft. 11. n.
398 I^iü Landkartp und ilir Liiüeplan.
22ß. Der Wert der Symbole und die Siguatiirental'el. Der Wert der Symbole
hesteht darin, einmal die Namengel)un<i; im Kartenbild zu entlasten und ein andermal
dem Gedächtnis eine Hilfe zu geben. Die Signaturzeiehen ins Ungemessene zu steigern,
empfiehlt sich nicht, l'ür den Fachmann sind sie leicht verständlich, schwieriger
für den allgemeinen Gebrauch. Infolgedessen hal)en sich die amtlichen Karten, hin
und wieder auch andere Kartenwerke damit geholfen, Buchstabenabkürzungen
(Al)breviaturen), allerdings ein klägliches Surrogat für das Symljol, für verschiedene»
geographische Gegenstände anzuwenden. Sic werden, wo es der Platz gestattet,
den entsprechenden Symbolen ])eigefügt.
Auf besondern Blättern, den sog. ,, Signaturentafeln" oder , .Zeichenerklärungen"
hat man die Signaturen der einzelnen größern offiziellen Kartenwerke des In- und
Auslandes zusammengestellt. Die bis jetzt vorliegenden Versuche von Zusammen-
fassungen der einzelnen Signaturentafeln in ein übersichtliches Buch oder Heft für
den Handgebrauch, wie das Buch von Zaffauk^, genügen modernen Anforderungen
nicht mehr, weil ihnen vor allem die farbige Ausführung fehlt. Für ein eingehenderes
Studium offizieller Kartenwerke des In- mid Auslandes sind die ausführlichen und
genauen Zeichenerklärungen notwendig, wie sie von den einzelnen Staaten verciffcnt-
licht werden. Das gleiche gilt für die Seekarten.
227. Versuch einer generellen Einteilung. Rück- und Vorblick über die Ent-
wickiiinn- der symbolischen Zeichen. Da es nicht leicht ist, die Symlrole auf den
offiziellen und nicht offiziellen Karten sinngemäß auseinanderzuhalten, habe ich an
andrer Stelle bereits versucht, eine (iruppierung der Symbole aufzustellen-, damit
sie leichter im Gedächtnis haften bleiben. Ich ha])e zwischen Grundriß-, Autriß-
und konventioiK'llen Symbolen unterseliieden. Zu den erstem gehören die Orta-
zeichen, Eisenbahnen, Kanäle, Grenzen u. a.. zu der zweiten Gruppe Windmühle,
Wassermühle, Wegweiser, Einzelbaum, Försterei, Boje, Treibbake, Feuerschiff, und
zur letzten Grup])e Bergwerksbetrieb, verlassener Schacht, wichtiges Schlachtfeld,
Ruine, Schloß, Kirche, trigonometrischer Punkt u. a. m.
Die Entwicklung der symbolischen Zeichen kann man nach vorstehenden Aus-
führungen bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Wenn E. Hammer sagt, daß
in der Zeiclmung des Lagenplanes der Karte seit der Zeit Mercators, in dessen Fahr-
wasser wir uns in mehr als einer Beziehung noch befinden, bis auf unsere Tage, also
in mehr als 300 Jahren, nicht allzuviel anders geworden ist^, so ist dies nur ganz
allgemein aufzufassen. Im einzelnen sind, wie wir oben festgestellt lialun. wr-
schiedene wichtige Situationsbestandteile der heutigen Karten erst in der iiaeb-
mercatorischen Zeit geschaffen worden.
Schheßlich muß noch hervorgeholicn werden, daß mit den jetzt üblichen Si-
gnaturen die symbolische Bezeichnvmg keineswegs am Ende ihrer Kraft angekommen
ist. Es bleibt nicht ausgeschlossen, daß die Zukunft für manches geographische
Objekt noch Signaturen einführen wird, an die wir jetzt nicht denken. Die Farbe
wird sicher hier noch ein großes Wort mitzusprechen haben. — (ianz entschieden ist
auch auf diesem Gebiet das Betätigungsfeld der praktischen und wissenschaftlichen
Kartographie noch entwicklungsfähig.
' J. Zaffavik: Signaturen in- u. aiislämlisclicr Plan- u. Kartenwerke. Wien 1880.
= O. Krümmel u. M. Eckert: Geogr. Praktikum. Uipzig 1908, >S. 30.
^ E. Hammer: Die Fortseiiritte der Projcktionsjehre. G. .1. XVII. 1894, S. li
Teil Y.
Die Landkarte und ihr Gelände.
Geschichte und Tatsachen der Geländedarstellung.
(Morphograpliie II. Teil.)
A. Dit» (■eländcdarstellung im Altertum und Mittelidtor.
I. Das Gelände, ein konstitutives Element der Landkarte.
22S. KodtMituus <1ps fipläiides für Karte und Karteuwisspiischaft. In der Ge-
schichte der Kartographie und in der Betrachtung der Kartographie als Wissenschaft
ist kein Kapitel gleich wichtig und interessant wie das über die Entwicklung des
Geländebildes auf der Karte. Gewiß, die Projektion, der Maßstab, die Situation und
alles, was mit der zweidimensionalen Darstellung zusammenhängt, sind nicht minder
bedeutungsvoll, aber als anschauliche, wirkimgsvolle und das betrachtende Auge zu-
nächst fessehule Elemente treten sie in den Hintergrund. Wenn ich eine Landkarte
anblicke, ob in der Nähe, ob in der Feme, ist neben dem allgemeinen Umriß das Auf-
fallendste die Terraindarstellung, weil sichtlich das Wichtigste.
Olme Gelände ist die Karte keine Landkarte im eigentlichen Sinne. Sie soll
das Antlitz der Erde wiederspiegeln. Das kann sie nur durch die Wiedergabe der
])hysiognomischen Eigenheiten, die sich außer im Flußgeäder vor allem in den Er-
hebungen, Talungen und Runzeln der Erdoberfläche aussprechen. Ohne Terrain
kann man nicht die mannigfache Gestaltung der Erdrinde verstehen und zu keiner
sichem Erkenntnis der Tragweite jener destruierenden. ausmeißelnden und nivel-
lierenden Kräfte vordringen, die dem Antlitz der Erde ein verschieden altes und dar>im
charakteristisches Gepräge verleihen. Die feinen charakteristischen (iesichtslinieu
werden allerdings nur in großmaßstabigen Karten, die mit der eigenartigen Indivi-
dualität der Erhebungen einigermaßen Schritt halten können, festgehalten. Karten-
rx'tz und Situation sind das Fundament, das fleischlose Geripjie der Karte. Das
Terrain gibt ihr körperliche Fülle, Aussehen und Cliarakter. Da.lurch wird es zum
konstitutiven Element der Karte.
Die Geschichte der Geländezeichiuu\g ist als ein Ausschnitt aus der (ieschichte
der Kartographie zugleich ein Teil der Kulturgeschichte der Menschheit. Dies Kapitel
aufzuhellen ist ebenso reizvoll wie dankbar. Es hat auch an niannigfaohen Versuchen
400 Die Laudkartt' und ihr Gelände.
dieser Art nicht gefehlt. Indessen haben sie mit Ausnahme der Studie von J. Eöger^
meist Sondererscheinimgen zum Vorwurf, die oft mit mehr philologischer als karto-
graphischer Gründlichkeit behandelt werden. Größere Zeitabschnitte werden großen-
teils kursorisch erörtert. Ein Überblick jedoch, der einen ganz bestimmten wissen-
schaftlichen Zweck verfolgt, dürfte sich hier in die Reihe meiner Erörterungen
zwanglos einfügen.
Es bereitet einige Schwierigkeit, aus der l)nnten Mannigfaltigkeit des Auf-
tretens und diT Dauer kartographischer Erscheinungsformen Hauptepochen hervor-
zidu'lxii und sie zeitlich zu umgrenzen: wie bei jeglicher Geschichtsgliederung können
auch hier keine scharfen Grenzen zwischen den einzelnen Zeitalisflniitlcii gezogen
werden. Mit dem Vorherrschen bestimmter Darstellungsarten des dilrmdi s ist es
wie mit den Leitfossilien in der historischen Geologie. In gewissen Zeitabschnitten
treten sie besonders häufig auf und herrschen vollständig, während ihre Anfänge in
ältere Perioden hineinreichen und sich ihr Ausklingen oft weit in jüngere Zeit hinein
verfolgen läßt. Nicht selten treten bedeutende Neuerscheinungen sporadisch auf,
deren Einfluß auf ihre Zeit schwer oder gar nicht nachweisbar ist.
229. Schwierigkeit der Geländedarstellung. (Allgemeines.) Daß das Gelände
dasjenige Glied der Kartenbestandteile ist, das zu allerletzt einwandfrei darzustellen
gelang, entspricht ganz der Logik von Tatsachen, die wir in der Geschichte Vor-
sehung und Entwicklung nennen. Der dritten Dimension im Kartenbild Herr zu
werden, daran haben Jahrtausende gearbeitet. Generationen um Generationen haben
sich bemüht, das Terrain den zweidimensionalen Gebilden der Karte als homogenes
Ghed einzufügen. Alles Mühen und alles Streben hat erst das 19. Jahrhundert mit
Erfolg gekrönt; und trotzdem gelingt es heute noch nicht jeder kartographischen
Neuerscheinung mit ihrem Geländebild den Forderungen der geographischen Wissen-
schaft zu genügen, weil es außerordentlich schwierig ist, die Fülle der Einzelgestal-
tungen als Ganzes zu verarbeiten und das Typische herauszuarbeiten. Das Generali-
sieren der Bodenerhebungen ist die schwierigste Arbeit des Kartographen (S. 331);
„an ihr scheitert", wie H. Wagner sagt, ,,die Mehrzahl unserer Kartenzeichner".
Wo sie in strengem Sinn geübt wird, da fördern die Werke der wissenschafthchen
Kartographen gerade dadurch, daß sie uns Übersichtskarten liefern, das Studium
der Länderkunde in hohem Maße, indem sie uns durch ihre Darstellung das Ver-
ständnis der zusammenhängenden Terrainformen, seien es Hochländer, Terrassen,
Niederungen, Becken oder Gebirge und einzelne Berge erst richtig vermitteln.^ Wie
die Worte Wagners durchblicken lassen, gehören zur guten Wiedergabe des Terrains
im kleinern Maßstab nicht bloß manuelle Fertigkeit, sondern auch tiefer gehende
geographische, vor allem morphologische Kenntnisse. Daß diese selbst hochstehenden
Völkern bei ihrer kartographischen Bestätigung fehlen können, habe ich an den
Terrainzeichnungen verschiedener Staaten nachzuweisen versucht (§ 30).
Die unendliche Schwierigkeit, die die Darstellung des Geländes Inetet, liegt
außer in der Generalisierung vor allem und zunächst in der Fixierung der dritten
Dimension. Solange es die Karte mit der Veranschaulichung flächenhafter Elemente
zu tun hat, kiinnen durch Zirkel und Maßstab (Ijineal) Größen und Tragen auf dem
1 J. Roger: Die Geländedarstellung auf Kaitcn. Kinc (■rit\vickIunf,'Hf;es(lii(litli(li('
Münc:hen 1908.
» H. Wagner: Jahrbuch der Geograpliie. !>. Aufl. Hannover u. J^eipziK 1912. S. II
Die Uranfännre der GfländedarstpUung bpi Kultur- und Naturvölkern.
401
Kartenblatt ppinlichst genau wiedergegeben werden; sobald jedoch die dritte
Dimension des Geländes dargestellt werden soll, versagen die gewöhnlichen Meß-
methoden und Meßmittel. Ich nehme zu Hilfslinien und Konstruktionen, zu Schatten-
und Farbentiinen meine Zuflucht, die der mathematischen Basis nicht entbehren
dürfen, weil das Gelände, wenn es nur einigermaßen der mathematischen Seite der
Situation nachkommen will, meßbare Werte aufweisen muß. Hier liegt der springende
Punkt jeder wissenschafthchen Terraindarstellung. Er wird uns im sechsten Teile
unserer Forschungen näher beschäftigen.
II. Die Uranfänge der Geländedarstellung bei Kultur- und Naturvölkern.
230. Die ältesten Kartendokiimente. Bei der Suche nach den ältesten Karten-
dokumenten klopfen wir auch an den Pforten Altägyptens und Altbabylons nicht
vergeblich an. Dazu gesellt sich noch Altchina, aus dem ein reicher, noch nicht
Bild 2. Nubische Goldminenkarte.
genügend gekannter Strom alter Kulturgaben fließt. Die Denkmäler Altmexikos
und der alten hochandinen Staaten reiclien nicht an das ehrwürdige Alter der vor-
genannten Reiche heran, ebenso nicht die kartographischen Erzeugnisse der Naturvölker.
Die älteste Landkarte der Welt, eme Situationsskizze der Goldminen in
Nubien, ist zugleich eine erste Gebirgskarte, die wir besitzen; sie stammt aus der
Zeit des berühmtesten Herrschers der ägyptischen Geschichte, Ramses II. (1300 bis
1230 V. Chr.) und wurde zuerst, von Lepsius veröffentlicht.* Die Berge sind auf der
Skizze in Profil, richtiger im Vertikalschnitt und von den Wegen aus links und rechts
umgeklappt gezeichnet (Bild 2). Das Kartenbild, das im Original mit realistischem
' R. Lepsius: Auswahl der wichtigsten Urkunden des äg>'ptischen Altertums. Leipzig 1842,
T. XXII. — Fr. Chabas: Les inscriptions dos mines d'or. Chalons g. S. Paris 1862, T. IL — Fr. J.
Lauth: Die liltesto Karte nubischer Goldrainen. Sitz.-B. der Münohener Akad. d. Wiss. 1870,
Eckort, Kartcuwluenusluift. I. 86
402 Die Landkarte und ihr Gelände.
Kolorit ausgestattet ist, hat man in seinen Grundlinien vielfach veröff entlicht. ^ Ein
gleichalteriges Dokument mit derselben Bergzeichnung liegt uns in einem zweiten
Papyrusplan vor, der der Turiner Sammlung angehört.^ Beide Situationspläne aus
der Zeit des großen Pharao sind aus praktischem Bedürfnis herausgewachsen. Man
dürfte sie bei der Herstellung größerer imd umfassenderer Karten, die auf Befehl
Eamses II. entworfen worden sind, verwandt haben. Brugsch zweifelt nicht an
dieser Möglichkeit*, obwohl später Ebers dazu neigt, der ägyptischen Kartographie
keine bedeutendere EoUe m der Geschichte der Geographie zuzuschreiben.*
Um die Aufhellung der Karte haben sich insonderheit A. Er man und H.Schäfer
bemüht. Ilire Erklärungen dürften im großen und ganzen das Eichtige treffen. Durch
eine (jebirgsgegend ziehen zwei Längstäler, LTl und L T 2 in Bild 2. Das eine ist
mit Gesti-üpp und GeröU bedeckt, wie es das Bild andeutet. Das Quertal QT ver-
bindet beide Längstäler und sendet in deren Eichtung den Paßweg P aus, der wie
auch LT 2 nach der Legende der Karte zum Meere führt. G und G sind Berge, in
denen man Gold findet, in den Bergen W und W wird Gold gewaschen; auf dem
Original erscheinen letztere in roter Farbe, wozu die Legende sagt, daß es der Natur-
farbe entspricht. Inmitten der Goldberglandschaft liegt der Teich T, durch Zick-
zackwasserlinien angedeutet, gespeist von dem artesischen Brunnen Br., der vom
König Seti I. erbohrt worden ist. Ihm zu Ehren wurde der Denkstein D (auf der
Karte in Frontalansicht gezeichnet) errichtet. Um den Teich herum hegt das dunkel
gemalte Kulturland K. Die eigentliche Verkehrsstraße ist das Tal LTl, das von
Gebüsch und Geröll gesäubert ist. Hier liegen am Fuße des Berges M die Wohnungen
der Arbeiter AW und am Berge T deren Tempel, im Grundriß auf dem im Aufriß
gezeichneten Berg dargestellt; die Türen des Tempels sind als kleine Vierecke aus-
geklappt.
Die Karte gibt H. Schäfer Veranlassung, sich über das Entstehen der ältesten
Landkarten zu äußern.'^ Er betrachtet dies von rein künstlerischem Standpunkt aus.
Nach ihm wird die Angleichung an das Nah und Fem im Eaume durch die Hand des
Zeichners von selbst herbeigeführt, da zur Darstellung gewisser Figuren sich die Hand
des Zeichners verschieden ausrecken muß, und so durch die Bewegung der Hand
gleichsam die Entfernmig nachgeschaffen wird. Schäfer weist hin auf die über-
raschende Ähnhchkeit ähnlicher Kartengebilde sowohl bei den Naturvölkern wie
bei den Ägyptern. Es ist damit ein ganz brauchbarer Gedanke zum Ausdruck ge-
bracht, indessen lassen sich nicht alle kartographischen Versuche der ältesten Zeit,
II mit T., S. 337ff. - R. Andree: Die Anfänge der Kartographie. Globus XXXI, 1877, S. 38. —
A. Erman: Ägypten imd äg3rptisches Leben im Altertum. Tübingen 1885, 11, S. 619. — G. Maspero:
Histoire ancienne des peuples de l'Orient classique. Paris 1894/00, II, S. 376. — H. Schäfer: Von
ägyptischer Kunst, besonders der Zeichenkunst. I. Leipzig 1919, S. 129. — Eine kurze Besprechung
(eine Bild) bei A. Wiedemann: Das alte Ägypten. Heidelberg 1920, S. 342, 365.
1 8. Anni. 1 S. 401, auch bei Andree: Ethnograph. Parallelen und Vergleiche, Stuttgart 1878;
femer bei Eugen Oberhummer: Der Stadtplan, seine Entwicklung und Bedeutung. Verh. des
XVI. Deutschen Geographentages zu Nürnberg 1907, S. 70.
* Fr. J. Lauth: Die Zweitälteste Landkarte nebst Gräberplänen. Sitz.-B. der Münchener Akad.
d. Wiss. 1871, I mit T., S. 190ff. — W. Spiegelberg; Zwei Beiträge zur Geschichte u. Topographie
der thebanischen Nekropohs, im Neuen Keich S. 7.
" H. K. Brugsch: Die Geographie des alten Ägyptens. Leipzig 1857, S. 39.
* G. Ebers: Ägyptische Studien und Verwandtes. Stuttgart u. Leipzig 1900, S. 254 ff.
' H. Schäfer, a. a. O., S. 128.
Die Uranfänge der Geländedarstellung bei Kultur- und Naturvölkern. 403
wenn man bei- ihnen auch einen Hinweis auf eine Art Vogelperspektive rundweg ab-
lehnen muß, nicht auf ein unbewußtes Abgleichen an räumliche Entfernungen zurück-
führen. Man denke nur an die stadtplanartigen Karten von Altbaliylon, Altehina
und Altmexiko.
Anschließend sei noch bemerkt, daß es heute nicht mehr als feststehend gilt,
daß die betreffenden Goldminen in Nubien liegen. Die eine Karte gibt jedenfalls
eine Gegend in der ostägyptischen Wüste, östhch von Koptos wieder, i Die Gegend
der andern Karte ist unbekannt. Neuerdings hat A. H. Gardiner nachzuweisen ver-
sucht, daß es sich bei den Bruchstücken übei'haupt um eine, nicht um zwei Karten
handelt.2
Altbybalon geht bis jetzt mit seinen kartographischen Dokumenten nicht
soweit wie Altägypten zurück. Aus dem 7. Jahrh. v. Chr. melden sich einige Bas-
reliefs, die die Berge in ähnüchem Vertikalschnitt und ähnlich links und rechts um-
geklappt wie die ägyptischen Papyruspläne zeigen. Die Berge sind bewaldet, die
Bäume wiederholen die J^age der Bergprofile, sind also auch links und rechts vom
Wege aus gesehen dargestellt. Bemerkenswert ist das Basrehef, das 1849 durch
Layard unter den Trümmern der assyrischen Königspaläste, im Kujundschick-
hügel inmitten des alten Ninive, aufgedeckt worden ist.^
231. Die Karten alter Kulturvölker und Karten von Naturvölkern. Die ältesten
Karten Chinas waren in Stein und Erz eingegraben. Die Berge darauf sind per-
spektivisch wiedergegeben. Aus der Zeit des halbsagenhaften Chinesen Jü, etwa
2200 v. Chr., wird von neun Bronzeurnen berichtet, deren jede eine eingeritzte Karte
mit Bergen und Flüssen der neun Provinzen Altchinas trug.* Das politische Staats-
bewußtsein des ostasiatischen Kulturvolkes mußte danach schon einen hohen Grad
erreicht haben, was weiter den Schluß zuläßt, daß die Karten auf altern Vorbildern
fußen.
Wie die Chinesen malten die Mongolen die Berge üi perspektivischer Ansicht.-'^
Zu den Japanern war die Kartographie durch die buddhistischen Mönche gebracht
worden. Auf altern japanischen Karten begegnet man gleichfalls dieser Art Berg-
zeichnung, allerdings künstlerisch gehoben und nicht selten recht wirkungsvoll. Die
Form des Fujiyama wurde dafür tonangebend. In zusammenhängender Zackenlinie
zeichnete 1795 ein Sklave die Berge auf der Karte des Königs von Ava in Siam.*
Die alten Mexikaner waren bedeutende Landmesser und Kartographen. In
perspektivischer Ansicht zeichneten sie die Berge auf ihren großmaßstabigen Karten,
die im eigenen (administrativen) Gebiet als Katasterkarten aufgenommen waren.
> A. Ermann, a. a. O., S. 619.
* A. H. Gardiner in Cairo scientific joumal VIII, S. 41f{.
' H. Layard: Discoveries at Nineveb and researcbes at Babylon. London 1853; deutach von
Zenker, Leipzig 1856. — Delitzsch: Babel und Bibel. Leipzig 1902. - .\bbildungcn der Basreliefs
befinden sich in vorgenannten Schriften wie auch bei G. Perrot et (li. Chipiez: Histoire de l'art
dans l'antiquit6. Paris 1882-1903.
* Richthofcn: China I. Berlin 1877, S. 368.
' Wenjukow in Gcoographical Magazine 1876, S. 127. — Die oi-ste und gruüto mongolische
Karte, allerdings schon unter chinesischem EinfiuD. ist die Darstellung des Aimak des Tuschctu-Chan,
im Gebiet der Flüsse Onhan u. Tola am Urga. Vgl. dazu Prschewalski: Reisen in der Mongolei,
.lena 1877, S. 54.
* Von Fr. Hamilton veröffoutlicbt in Kdinburgh Philosophical Joumal 1820.
26'
404 ^^'6 Landkarte und ihr Golände.
Von den aztekischen Karten ist uns eine Anzahl erhalten, da sie auf ßaumwollen-
zeug gemalt sind. Mit der kartographischen Fertigkeit der Mexikaner läßt sich die
der Inkas kaum messen. Von ihnen wissen wir, daß sie auf ihren Karten auch Berge
in der primitivsten Art (Seitenansicht) zu zeichnen verstanden.^
Abgesehen von den katasterartigen Plänen Altägyptens und AUmoxikos sind
die ältesten Karten nicht durch Messen und Berechnen, sondern durch Schätzen
entstanden. Das gleiche gilt von den kartographischen Gebilden der Natur-
völker; und man ist erstaunt, daß die große Abstraktion, die zum Anfertigen und
Verstehen eines Kartenbildes gehört, so geringen Schwierigkeiten begegnet. ^ Ebenso
hat man sich über die Gelehrigkeit der Wilden gewundert, sich auf fremden Karten
zurechtzufmden , wovon Eeisende, wie Hall, Irving Rosse, Robert Stein, Hoch-
stetter, Fritsch, und viele Missionsberichte Zeugnis geben.* Sand oder Asche, Stein,
Rinde, Holz, Leder, Papier waren das Material, dem kartographische Zeichnungen
anvertraut wurden; sie wurden mit Finger oder einem Stock, mit Holzkohle oder
Bärentalg hergestellt.* Perspektivischen Bergbildern begegnen wir bei den Natur-
völkern nicht, wohl aber kartographischen Gebilden, die wir Reliefkarten, besser
Reliefs bezeichnen können. Den Tuareg und den Fellata wird nachgerühmt, daß sie
ihre weitausgedehnten Gebiete im Sand ,,en relief" darzustellen vermögen. Ferner
gehören hierher die sog. „festen Stemsetzungen" auf der Insel Mer in der Torres-
straße. Reisende berichten von reliefartigen Karten in Sand und Stein bei den
Eskimos im Kotzebue-Sund^, bei den Rothäuten, Maori, Südseeinsulanern (auf den
Eatakinsebi). Die berühmte Karte des Tupaja von Tahiti, von der uns G. Forster
eine Kopie überliefert hat, ist unter europäischem Einfluß entstanden.«
232. Die arabische Kartographie. Am Schluß dieses Kapitels wende ich mich
nochmals einem Kulturvolk, den Arabern, zu, das mit seinen Karten etwas Be-
sonderes, für sich Abgeschlossenes bietet und nur in beschränktem Maße von
Einfluß auf seine Zeit war. Deshalb flechte ich hier bereits die arabische Karto-
graphie ein, obwohl sie zeitlich in das nachgenannte Kapitel gehört. Bei den be-
wimdemswerten Leistungen in der Astronomie erwartet man zunächst einen hohen
Stand der arabischen Kartographie. Trotz ihrer mathematischen Schulung und ihres
mathematischen Denkens wußten die Araber mit der dritten Dimension auf der
Karte nichts Rechtes anzufangen. Dies veranlaßte S. Günther zu dem Ausspruch:
„Den Arabern fehlte jeder Sinn für Kartographie".' Damit bestätigt er das Urteil,
das 0. Peschel über die Kartographie der Araber fällte. Über die Karten des Per-
sers Isstakhris, die aus dem 10. Jahrhundert stammten und von Ihn Hankai,
» R. Andreo: Ethnographische Parallelen und Vergleiche. Stuttgart 1878, S. 202-2(>t.
2 H. Schurtz: Urgeschichte der Kultur. Leipzig und Wien 1900, S. 6.34.
" Literatur luerüber vgl. bei R. Andree, a. a. O., insbesondere bei W. Dröber: Kartographie
bei den Naturvölkern. Deutsehe Geogr. Blätter XXVII, Bremen 1904, S. 29-46. Dieser Artikel ist
ein Auszug aus des Verfassers Dissertation. Erlangen 1903.
* G. Friederici: Die Schiffahrt der Indianer. Stuttgart 1907, S. 11.
* Die Eskimos haben ausgesprochenes topographisches Talent, worauf R. Andree (a. a. 0.,
S. 204) bei der Besprechung und Wiedergabe der Karte der Küstenlinie von Pikierlu bis Kap York
des Eskimogeographen Kallihorua, alias Erasraus York, hinweist.
* J. R. Forster: Observations made during a vojage round the world, 1778; deutsch von i
Sohn, 2. Aufl. Berlin 1783. I. 8. 442. Tujjaja« Karte ist bei R. Andree reproduziert, a. a. O., S.
' S. Günther in G. J. IX. Gotha 1883, S. 411.
Die UranfJingr der rjeländodarstcllutif,' bei Kultur- und Naturvölltfni. 405
dem geographischen Freund des Verfassers der Karten, mit überschwängiichem Lob
liedacht wurden, schreibt Peschel: „Seine Darstelhing erscheint uns abschreckend
roh und unbeholfen. Die Küsten sind mit geraden Strichen, die Binnenseen kreis-
rund dargestellt, so daß jenes gepriesene Meisterwerk (die Karte des Isstakhri von
Persien) etwa einem Entwürfe gleicht, wie ihn ein völlig ungeübter Zeichner mit der
Feder eihg auf das Papier trügt. Ungroßmütig wäre es daher, wollte man nach diesem
Muster die Kunst der darstellenden Erdkunde bei den Arabern beurteilen." ^
Zu einer andern Wertschätzung gelangt J. Röger^, gewiß durch den Münchner
Kunsthistoriker E. W. Bredt veranlaßt, der öfters und an verschiedenen Stellen
nachdrücklichst betont hat, die Gemälde und Zeichnungen und damit auch die Karten-
bilder des Mittelalters nicht mit moderner Blasiertheit zu betrachten und zu beur-
teilen, sondern sie im Geiste ihrer Zeit durch hebevolles Versenken in jene Zeit, da der
Künstler schuf, einzuschätzen. Eöger versucht das, indem er dem geometrischen
Element — denn bei den Bergzeichnungen auf den arabischen Karten werden grad-
linige, mehr noch krummlinige, regelmäßige und symmetrische Figuren verwandt —
Eechnung trägt und in das Wesen dieser ungewöhnUchen Darstellungsform ein-
zudringen sucht.
Die geometrischen Elemente der arabischen Karten sind das letzte Aufflackern
antiker Kunst; auch lassen sie orientaHsche Vorbilder erkennen. Da es den Arabern
durch ihre Lehre verboten war, Lebewesen nachzubilden, legten sie nunmehr Fleiß
auf die Ausbildung von pflanzhchen Motiven und auf die Omamentierung von Flächen
und Linien. Die geometrischen Elemente beherrschen in jeder Eichtung die Karten-
zeiclmung, was „sich bei der Vorhebe der Araber (mid vielleicht der Semiten über-
haupt) für geometrische Konstniktionen imd bei ihrer Lust am StiUsieren um so
leichter erklären lassen dürfte, als ihnen ja die geometrische Führung der Linien und
eine ebensolche Gestaltung der Flächen so zur zweiten Natm- geworden sein mußte,
daß sie alles, was in Linien und Flächen zur Darstellung kam, damit auch dem In-
halt der Karte, geometrisch-ornamental behandelten."^ Mit der Annahme der
Eögerschen Darlegung können wir uns manche Figur und Zeiclmung der arabischen
Karten l:)esser zurecht legen und staunen weniger über die fünfteihge Blüte der Berge
von Gur (Kuh-i-Baba ?) auf Isstakhris Karte von Sedjestan (Seistan?) um 950 n. Chr.'',
über das schwallienschwanzartige Gebilde des Komr- (Nilquellen-) Gebirges auf der
Karte des Ibn al Wardi vom Jahre 1349' oder über die aneinander gereihten gleich
großen Halbkreise und Bögen für die Gebirge auf vielen Karten Isstakhris.*
> O. Peschel: „Geschichte der Erdkunde". 2. Aufl. v. S. Rüge. München 1877, S. 145. —
Die Anmerkung Peschels „Wir warnen anderereeits vor den Karten, die J. Lelewel nach arabischen
(Jrtabestimmungen in seinem Atlas zusammengesetzt hat; denn es sind Erzeugnisse nicht der Araber,
sondern des polnischen Geographen" ist für die Benutzer des Atlas von Jx-Iewel beherzigenswert.
' J. Roger: Die Bergzeichnung auf den altern Karten. Ihr Verhältnis zur darstellenden Kirnst.
München 1910, S. 46 ff.
' .1. Rüger, a. a. O., K. 47.
* J. Lelewel: G<iograpIüe du Moyen Age. Atlas. Brüssel 1850, T. ,1.
' .1. Lelewel, a.a.O., T. 31.
' Roger niacht darauf aufmerksam, daß sieh auf einigen italienisehen .Seekarten des
]:>. Jahrb. symmetrisrh-geometrische. zum Teil Kartu.schon ahnliehe Fliiehenfip\iren für Borge vor-
finden, z. B. auf der von dem Venediger Giaeomo Giraldi 1420 gezeichneten l'ortulankarte in der
Markusbibliüthek in Venedig oder auf Karten der gleicbi'n Fundstelle im Atlas des .\ndrea Biancu
vom Jahre 14Sn mul auf Bian<o8 Seekarte vom Jahn- 144)S in der Ambrosiana zu Mailand. Wertvoll
406 ^i<^ Landkartf und ihr Gelände.
Mit den Karten des Arabers Edrisi, einer kreisförmigen Weltkarte „Tabula
Eütunda" aus dem Jahre 1154 und einer in 70 Blättern auf uns gekommenen vier-
eckigen Weltkarte „Tabula itineraria Edrisiana" in dem Asselin-Kodex^ verlassen
wir das rein arabische Gebiet der Kartographie und begegnen einem Mischtypus,
der sich vorzugsweise in der perspektivischen Ansicht und den gelappten Streifen
der Bergzeichnung mittelalterlicher Mönchskarten wiederspicgelt. Es stimmt, was
0. Peschcl über die beiden edrisianischen Karten sagt, sie sind nicht rein arabische
Werke, sondern wie Edrisis Gesamtwissen, eine hybride Mischung aus den Kennt-
nissen des Abendlandes und Morgenlandes.^
III. Das Tasten und Suchen nach einer Geländedarstellung
im Mittelalter.
233. Der Wert der mönchischen Kaiteubilder. Wie eine Welt für sich, ohne
greifbaren Zusammenhang mit den wissenschaftlichen und künstlerischen Errungen-
schaften der altern Zeit tritt uns das Mittelalter entgegen, beherrscht von einer
starren Mönchstheologie, die jeghchem Leben und Tun Maß und Norm vorschrieb.
Immerhin war innerhalb der gesetzten Normen das Leben mannigfaltig und auch
in seiner Art reich an Anregungen und Streben. Dies zu unterschätzen sind wir
Modernen nur allzu sehr geneigt. Selbst J. Roger, der sich eingehend in die karto-
graphischen Erzeugnisse jener Zeit vertieft hat, kommt zu dem harten Urteil, daß
die von der Mönchstheologie angestrebte Entfremdung zwischen Mönch und Natur
die Ursache ist, daß „in den Klosterzellen der Mönche, den einzigen Ursprungs-
stätten von Karten jener Zeit, Formen entstehen, die in nichts an das natürliche Bild
der Berge erinnern durften."* Ich kann diesem Ausspruch nur bedingt beipflichten
und neige mehr der Ansicht Bredts zu, wie sie dieser über die Entstehung der Berg-
formen auf Bildern imd Karten des Mittelalters niedergelegt hat.^ Er geht davon
aus, daß die Wiedergabe des Erdbodens wohl die allerschwerste zeichnerische Auf-
gabe war, die das Mittelalter zu lösen hatte. „Aber auch dieser Aufgabe wurde es
endlich Herr. Und es ist wirklich erfrischend, wenn wir im Geiste all diesen malenden
und meißelnden und zeichnenden Mönchen und Laien des Mittelalters zuschauen,
wie sie niui immer näher der Kunst kamen, wirklich Land, also Erde und Eaum und
Berge darzustellen .... Was lag näher, als daß der, der ein Stück Land darstellen
wollte, die Erde und den Fels ansah und zeichnete vmgefähr wie eine Scholle von
Ackerboden. Das sah ja jeder im Frühjahr und Herbst, wie beim Pflügen sich die
Erde umlegte zu Schollen und Würfeln. So kam man zu einem Symbol für Erde und
Land, das gar vielsagend war und allen verständlich. Und wie zweckmäßig war es
für diese Kartenvergleiche ist Theobald Fischers „Raccolta di mappemondi e carte nautiche del
XIII al XVI secolo" (10 Kartenwerke in 79 Blättern). Venedig 1881.— Auch Nordenskiölds Periplus
bietet Einiges.
1 N. Bi. Paris. Vgl. auch die loidhche Abbildung bei Lelewel, a. a. O., T. 11, 12.
» Peschcl-Ruge, a. a. O., S. 145.
' J. Roger, a. a. O., S. 79.
* E. W. Bredt: Deutsche Lande, deutsche Maler. Leipzig 1909, S. 22. — Vgl. von dems. Verf.
Wie die Künstler die Alpen dargestellt. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1906; femer: Die Alpen und ihre Maler.
Leipzig 1910.
Daa Tasten und Suchen nach einer GeländedarstcUung im Mittelalter. 407
für die Gestaltung. Eine solche Scholle das war das flacht Land. Eine Scholle mit
Eiefen das war der große Felsberg mit den scharfen Einschnitten. Oder man legte
im Bilde Schollen übereinander, wie Terrassen — so war Eaum geschaffen."
Bei der Betrachtung der mittelalterlichen Geländebilder auf Karten kommt
man, ermuntert durch die Worte Bredts zu der Überzeugung, daß es sich hierbei um
ein wichtiges Kapitel der Kunstgeschichte handelt. Von diesem Gesichtswinkel aus
hat zum ersten Male in der kartographischen Literatur J. Eöger ,,die Bergzeichnung
auf den altem Karten" eingehend behandelt.^ Auf Grund einer etwas weitschweifenden
Analyse der Bergformen auf den mittelalterhchen Karten stellt er eine Systematik
von Formen auf, wobei er Halbkreise, Halbbögen, Lappen, Blattformen, Zacken und
Zähne, Wellen- oder Schlangenlinien, Spiralen, Streifen oder Bänder und Flächen,
ferner Körperformen und grundrißartige Darstellungen mit allerhand Neben- und
Zwischenformen unterscheidet. Eine Menge Wiederholungen bleiben dabei nicht
ausgeschlossen. Von historisch-kartographischem Standpunkt aus vermiß ich das
Genetische in der Eögerschen Systematik der Bergformen. Wir werden später noch
sehen, wie sich die vielfältigen und vielgestaltigen Formen auf wenige Grundformen
zurückführen lassen.
234. Die Schollenform uud ihre Abwandlung auf den 3Iönchskartcu. Bei dem
Tasten und Suchen nach einer typischen Anschauungsform der Berge übernahm der
Kartenzeichner die Bergform der mittelalterhchen Maler, nicht selten waren Karten-
zeichner und Maler eine Person. Die Erdscholle, die oben mehr oder wem'ger glatt
war, wurde die Grundform der Berge. Je nachdem die Seitenwände gekehlt oder
stark gerieft waren, wurde die "N'orstellung von hohem Felsengebirge geweckt. Ver-
schiedene große Spalten imd Schluchten drangen in die Scholle hinein. Dazu eine
plastisch wirkende Schattiermig der Seitenwände und das malerische BUd des Ge-
ländes war fertig, wie z. B. der Unindius mons (Westteil des Kantabrischen Gebirges)
der römischen Ptolemäusausgabon von 1478 und 1490.^ Merkwürdigerweise findet
sich die Darstellung in Schollen- oder Stemplattenform noch einmal später wieder,
1676, auf einem Manuskript im Service Hydrographique zu Paris. ^ Darauf sind die
ganzen Länder, z. B. Spanien, als erhabene Steinplatten abgebildet, die wie frisch
abgebrochene Eisberge aus dem Meer emporragen. Für die Hervorhebimg von Inseln
und Halbinseln war dies keine seltene Darstellung.-* Tief eingerissene und zerspaltem'
hohe Felsplatten erbhcken wii- neben den oben gleichfalls abgeplatteten Kristall-
nadeln einzelner Berge auf der von Jomard als ,. Carte perspective italienne du
XV. siecle" benannten Karte.''
Die Einzelblöcke gewinnen auf vielen Karten an Höhe und gleichen abge-
' Das Schriftchen, auf das wir in unsern Anmerkungen schon einige Mal lüngewiesen haben,
zeichnet sich durch Sachkenntnis und fließenden Stil aus, die zahlreichen Abbildungen von Berg-
formen sind dankbar zu begrüßen.
" Vgl. hierzu die Abbildungen 142-145, 148-151, 157, 158, Kil und Uli' U-i J. Roger. .\uch
N'ordcnskiölds Fa'simile-Atlas, T. .3, ist heranzuziehen.
' Die Karte stammt von Beaulicu und heißt: Oc(^an Atiantique de l'Irlande au Congo et cötes
opposif-es d'Arai^rique entro 61° N et 19» Lal. S.
* Z. B. die Inseln Madeira und Seeland auf Karten in Honter» Kosmographie. Basel 1561.
Vgl. Nordenskiölds Faksiiuile-Atlas, S. 112, Abb. 72 und Periplus S. 117, Abb. .52.
' E. Kr. Jciinard: Les Monununts de In 0<''Ognii)hie. Paris 1862, Bl. 35. Mir stand das
Kxemplor der U.Bi. Göttingeu zur Verfügung.
408 t)'e Landkarte und ihr Gelände.
stumpften Pyramiden von unregelmäßigem Querschnitt. Dringen hie und da Schluchten
in diese Bergkörper hinein, werden die Berge plastischer und anschaulicher, wie ein-
zelne Gebirge auf Fra Mauros Weltkarte, 1457— 1459.^ Der Mantel des Pyramiden-
stumpfes värd auf einigen Karten durch regelmäßig abwechselnde Eillcn gekerbt
und gefurcht, so daß die Bergblöcke wie „Napfkuchen" aussehen; Eöger spricht von
,,muschelförmigen" Bergen. Mit ihnen hat der als Bearbeiter von Nie. la Cusas
Deutschlandkarte bekannte Henricus Martellus Germanus gegen Ende des
15. Jahrhunderts einige seiner Karten geschmückt. '•^ Diese Art Bergdarstellung fand
ich nochmals wieder, aber wesentlich verfeinert und plastisch herausgearbeiteter auf
einer Manuskriptkarte ,,Places fortes de l'Alsace" in der Pariser Nationalbibliothek,
allerdings einer spätem Zeit angehörend, 1674—1677. Selten sind die Schollen über-
einander gestapelt worden, so daß das Gelände terrassiert erscheint, wie die Assmirraei
montes (westliche Teile des Daurischen Gebirges) in der Ptolemäusausgabe von Bo-
logna aus dem Jahre 1482.* In freier Weise wird dies Bergmotiv auf einem floren
thiischen Manuskript des 15. Jahrhunderts behandelt, das den Ararat mit der Arche
Noahs abbildet.*
235. Die Grundformen der Gcländedarstelluug auf den Möuchskarten. Neben
der realistischen Bergdarstellung in Schollenform sind im Mittelalter Bergzeichnungen
versucht und geübt worden, deren viele zu Stenogrammen für Bergdarstellungen ge-
worden sind. Sie legen wie die Schollenform ein l)eredtes Zeugnis davon ab, daß man
die Natur nicht als etwas Totes "und Verabscheuenswertes hinnahm, sondern als eine
Fundstätte für viele zeichnerische Anregungen. Unter den Bergzeichnungen lassen
sich sechs Grundformen herausschälen, auf die sich alle übrigen Bergdarstellungen
ohne Schwierigkeit zurückführen lassen. Diese sind:
I. rfYYY^i n. /\AA/v^
Bogen-, Lappen-, Schuppenform Zahn-, Zackenform
in /^cxxxv IV. /x<vv»^
ineinandergeschobene Bogenform ineinandergeschobene Zackenform
V. /-\/\/\y^ VI. mTTT'y^
Wellenform Backzahn-(Erd8chollen-)form
Schon ein rein äußerlicher Vergleich führt dazu, auf die gegenseitige Verwandt-
schaft aufmerksam zu werden. Ohne weiteres erkennt man, daß III und V Abarten
von I sind und IV eine Abart von II. Zuletzt ist ein einziges Formenelement, die
Bogenform, die Basis aller anderer. Von ihr ist die Zackenform nur eine ornamentale
' In der Markusbibliothek zu Venedig.
^ Nordenskiöld: Periplus. S. 87b. — E. Oberhummer: Die ältesten Karten der West-
alpen. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1909, S. 3, Abb. 2; S. .5, Abb. .3. - Vgl. Aug. Wolkenhauer: Die älteste
Karte von Deutschland. Beil. z. Allg. Zeitg. 1905, Nr. 222. _ E. Wieser: in Geogr. Z. 1905, S. 646, 711.
■■' Auf der größten aller Portulankarten, der Seekarte de.s Bartolomeo Pareto aus Genua
vom J. 1455 [in der Vittorio-Emanuele-Bibliothek in Rom] findet sich eine ähnliche Gebirgszeichnung.
* Lit. u. BUd (Abb. 144) vgl. J. Roger, a. a. 0., S. 57.
l-)as lasti-ii uivl Such. 11 nach einer Geläiidcdarstelluiit; im Mittelalter. 409
Al.äiulenin.;. wie aucli die Wellenform und schließlich die Backzahnform. Die Furnien
ineinander zu verflechten oder zu verzopfen, ergaben gut verwendbare Spielarten.
Die Bogenformcn wurden in der Hauptsache übereinander geschichtet, so daß
jede folgende Eeihe in den Kerben der vorhergehenden Reihe saß, sie verminderten
sich nach oben hin, bis zuletzt eine einzebe Bogenform den Abschluß bildete. Viel-
fach werden sie farl)ig ausgemalt, und jeder Bogen erhält zudem bäum- und hlatt-
rippenähnhche Eiuzeichnungen. Die auf vier Jahrhunderte verteilten Abschriften
der Beatuskarte geben treffliche Beispiele für diese Bergzeichnungen. 1 Waren
erst derartige Etageuberge geschaffen, so war es nicht schwer, die ganze Fläche des
Berges mit Deckfarben auszumalen, so daß die ursprünglichen Ornamente innerhalb
der Zeichnung verloren gingen. Die ganze Bergform wurde nochmals mit einem
dickt'H Strich parallel zur Umrißlinie umrahmt. Zuletzt ging der Sinn für den eigent-
lichen Aufbau des Bergbildes verloren, und man zeichnete von vornherein mit mehr
oder minder flach ausgezogenen Bögen den Aufriß und wiederholte innerhalb des
Bildes mit ein oder mehreren parallelen Linien die Gestalt des Berges. Die Aufriß
fläche wurde schematisiert. Doch auch um-egehnäßige Linien, die vornehmlich in
der Richtung des Gefälles verlaufen, bedecken das Lmere; zuweilen werden sie so
geführt, daß die Berge ganz realistisch wirken und Zeichnungen von Einzelbergen
im 16. und 17. Jahrhmidert nichts nachgeben.^
Baute man die Formen nicht übereinander, sondern nebenemander auf, so
bevorzugte man mehr die Zacken- als die Bogenform, die bald längere bald küi^ere
Reihen bilden. Eine geringe Zutat war es, die Reihen unten mit einem Strich ab-
zugrenzen, damit sie etwas Streifen- oder Bandartiges erhalten. Farben und Schatten
tragen ein Übriges bei, um die Bergbilder in die Augen springen zu lassen. Edrisi
hatte auf einer Tabula rotunda vom Jahre 1154 lange Zahnreihen abgebüdet, die
profilartig wirken, wie die Gebirgszüge auf der Peutinger Tafel, wo sie auch 'ihre
harten Formen wie auf der Mosaikkarte von Madeba verioren haben. Einfache Zahn-
reihen entwarfen die Zeichner der Beatuskarte von St. Sever, der Beatuskarte von
Osma, der Palästina karte des heihgen Hieronyinus (um 1150). der Weltkarte des
Heinrich von Mainz u. a. m.
Die Reihenform wurde modifiziert und die einzeken Formenelemente ineinander
geschoben, daß sie wie aufeinanderUegende Schuppen oder wie ein Zopf oder ein Tau
aussehen. Ein weiteres Ergebnis dieser Verzopfung war die Wellenlinie. Das Welleu-
ornament bewegt sich in ziemlich regelmäßigen Linien; Abweichungen kommen vor,
wenn auch selten, sowohl in der Größe der Wellenköpfe wie in der Yielgliedrigkeit
des Wellenzuges. Die Streifen, die oben mit der Wellenhnie und unten mit der ab-
schließenden geraden Grundlinie versehen waren, schmückte man stilvoll aus. indem
inneriiall) des Streifens die Wellenlhiienkontur wiederholt oder die Wellentäler mit
kleinen Zacken oder Bögen verschönt wurden. Ob durch dieses Zierat die Wakhmg
angedeutet werden soll, läßt sich nicht sicher ermitteln. Die an- und ineinander
gereihten Berge erinnern an perspektivische Bilder der spätem Zeit, wie der Kaukasus
• Ich etBoht« e-s liier für nobensüchlioh, jedes Auftreteu irgendeiner Form mit einem Karteu-
beispiel zu belegen, und venvei.sr deshalb auf .T. Rogers ..Bcrgzeichnung" luul K. Miller.s ...\lteste
VWItkartcn". hauptsächlich Teil II. Nur wo es mir nötig erscheint, fülire ich Beispiele an.
= Z. B. die Rinzelberge auf einem Weltbild in Turin aus dem 12. Jalirhuudert (U-lewels .Vtla-s.
T. it) »der der Einzelberg im .S der Weltkaiie in einer Sallustlrnndsehrift aus dem If). .Uhrh. in Genf
(Lc-Iewels Atlas, T. Sf)).
410 '^''' Landkiutü und ihr Gelüiidr,
auf der EbstorftT Weltkarte (gegen Ende des 13. Jahrhunderts) oder die Gebirge auf
einer 'Weltkarte in einem Sallustnianuskript aus dem 15. .Jahrhundert in Genf.^ Die
Verzopfung der Gebirgsstränge wurde durch Farbe und Schatten auf manchen Karten
kräftig herausgeholt, so auf Marino Öanudos (Petrus Vescontes) Weltkarte vom
Jahre 1320 und dessen Palästinakarte vom Jahre 13'21. Wurden diu Gebirge dieser
Art nur in kurzer Ausdehnung wiedergegeben, sehen sie einem',, Weck" nicht unähnlich.
Die Backzahnform, die wir aus der Bogenformreihe entstanden erklären, ist
am vollkommensten abgebildet auf der Tabula Itineraria Edrisiana e Codice Pari-
sino Asseliniano. Bei dieser Geländedarstellimg (Grundform VI), auf der die ursprüng-
lichen Bogen oben ein- und auseinandergedrückt erscheinen, wird man an den Ver-
tikalschnitt von Erdschollen ermnert. Nun gibt es Bergformen, bei denen die Bögen
überhöht sind, womöglich an der Spitze noch umlagern und das Aussehen von phry-
gischen Mützen annehmen, wie die Alpen auf einer Karte (Sallustkarte) des 11. Jahr-
hunderts in der Leipziger Stadtbibliothek.'* Ähnliche Gebilde finden sich in dem
über diazographus der alten römischen Landmesser.' Wurden die überhöhten Formen
weiterhin noch malerisch imd schattenplastisch behandelt, wuchsen sie in die Berg-
gestalten hinein, die der WirkUchkeit näher als die andern mittelalterlichen Gelände-
bilder kamen. Das beste Bild dieser Art dürfte die Carte militaire du moyen
äge representant le theatre de la guerre ä l'epoque des premieres conquetes de la
PiepubHque de Venise en terre ferme in der Nationalbibliothek zu Paris zeigen.
Überbhcken wir die Geländedarstellungen des Mittelalters, kann man ihnen
eine gewisse Eeichhaltigkeit und Formenfülle nicht absprechen. Die Formen hatten
ihre Zeit, in der sie allein gültig waren; sie wurden erfunden, als die Reminiszenzen
an antike Geländebilder teilweise verloren gegangen waren, teilweise zur Einsicht
geführt hatten, daß hier bei den Alten nicht allzuviel zu holen war; sie mußten sich
ausleben imd überwunden werden, als der zeichnerische Griffel die Einzelform der
Natur zu meistern und geographische Objekte ihrer Grundrißform nach al)zubildcn
verstand. Dieser Umschwung wurde in der Renaissancezeit herbeigeführt.
1). Die OreländHdarstellun;;,^ von der Renaissance bis zur
Stui'iii- und Drangpcriode in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
I. Grund- und Aufriß der Geländedarstellung von der Renaissance
bis Ende des 18. Jahrhunderts.
'2'M'>. Der Ptolemäus als l'rtdolyp »Iit niodciiit'n Kartdgrapliii'. Minen langen
Zeitraum umfaßt die Terraindarstellung zwischen Renaissance und 19. Jahrhundert.
Die mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Ähnlichkeit der Bergsignatur gibt
den Karten von vier Jahrhunderten, vom 15. — IH. Jahrhundert einschließlich, ein
• Lelewel, a.a.O., T. 3.5.
^ .\bbild. s. Lelewel, a. a. O., T. 9.
■' Fr. Rudorff: Die Schriften der röiiiiHchcn Feldmesser. Berlin 1848 — 18.';2 (hauptsätlilich
T.24).
Grund- u. Aufriß der Geländedaretelluiig von der RenaissHuce bis Ende de» lä. .Jaluli. 411
einheitliches Gepräge. Doch sind nicht alle Darstellungen über einen Kanuu zu
scheren, und Entwicklungsmomente machen sich hier und da bemerkbar, die trotz
ihres schüchternen Auftretens eine eingehendere Untersuchung erheischen.
Die mit der Eenaissance bekannt gewordene Erneuerung des Ptolemäus
prägt der Kartographie auf Jahrhunderte hinaus das Gepräge auf, oder ist, wie
E. V. Nordenskiöld im Faksimileatlas (S. 8) sagt: „The prototype of modern carto-
graphy". Die Karte erhielt gegenüber den mittelalterüchen klösterUchen Erzeugnissen
neben gi-ößerm Betätigungsraum vor allem eine mathematische Basis (Gradnetz),
nördliche Orientienmg und astronomisch festgelegte Werte. Der gesamte Inhalt,
wurde nach ptolemäischen Vorschriften eingestellt. Ob jedoch die gesamte karto-
graphische Zeichensprache im letzten Grunde auf Ptolemäus beruht, wie LeleweP,
Nordenskiöld, Oberhummer- u. a. glauben, möcht ich sehr bezweifeln, da Ptolemäus
das chorographische Material zu seinen Werken in der Hauptsache seinem vor ihm
verstorbenen Zeitgenossen Marinus von Tyrus verdankt. Marinas hat verschiedene,
ständig verbesserte Karten herausgegeben. Die große Karte, die die letzte Um-
arbeitung seines Werkes krönen sollte, hat er selbst nicht zum Abschluß gebracht.
Vollendung und Ausbau hat er jungem Kräften überlassen; Ptolemäus wollte die
Karte vollenden.^ Offenbar ist Ptolemäus stark von Marinus beeinflußt worden imd
sicherUch auch bezüglich der Signaturensprache. Wie weit nun Ptolemäus selbst
die kartograpliische Zeichensprache erfimden hat, laßt sich nicht feststellen. Wie
dem auch sei, die gedruckten Ptolemäusausgaben des 15. Jahrhunderts schlugen das
morsche kartographische Gebäude des Mittelalters in Trümmer und erzeugten in
kurzer Zeit neues und triebreiches Lehen; denn mau begnügte sich nicht bloß mit
der Keproduktion der Ptolemäuskarten, sondern vermehrte sie durch allerhand
Sonderkarten, die sich in Aufbau und Charakter den ptolemäischen tunlichst an-
In den Ptolemäusausgaben werden die Berge im Auf- und Gnmdriß veran-
schaulicht, vor allem jedoch im Aufriß oder in der Seitenansicht, die für ihre imd
folgende Zeit zur Norm für die Terrainzeichner wird. Bei der .Vufrißform handelt
es sich entweder um nackte Profilansicht, durch einfachen Strich oder farbige Fläche
zum Ausdruck gebracht, oder um wirkungsvoll herausgearbeitete Bergformen, indem
die Profilansicht verschiedenartig koloriert, schraffiert und schattiert wird. Dadurch
* J. Lelewel: Geographie du iiioyen äge. Brüssel 1852. I. S. 125, 126.
* E. Oberhummer: Die Entstehung der Alpenkarten. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1901, S. 25.
' V'gl. die w-ichtigen Abschnitte über Marinus v. Tyrus und Ptolemäus in H. Berger: Gescliichte
der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen. 2. .\ufl. Leipzig 1903, 8. 582£f und <il6ff. Auch
Nordenskiölds Ausführungen über Ptolemäus würden wesentlich gewonnen haben, wenn das Bergersche
Buch bereits zu jener Zeit erschienen gewesen wäre, als Xordenskiöld seinen Faksimileatlas zi;saiumen-
stellte. Die 1. Auflage von Bergers wssenschaftlicher Erdkunde erschien Leipzig 1887--1S93. Die
Abhandlung ,,Die Grundlagen des Marinisch-Ptolomäischen Erdbildes" wurde erst am 7. Mai 1898
(kgl. Sachs. Ges. d. Wiss.) veröffentlicht. — Auch in den Seminarübungeu an der l'ni\-ersität Leipzig,
an denen ich teilnahm, lietonte Berger des öfteni die Abhängigkeit des Ptolemau.s von Marinus und
Hipparch.
* Vgl. die Straßburger Ausgabe des Ptolemäus vom Jahre 1513. die Martin WaldsoemUller
(VValtzemüller.Hylacomylus) und deswn Freund Matthäus Ringraann(Philcsius) besorgten. Den 27 Ptole-
mäuskarten, in Holzschnitt ausgeführt, wurde ein Supplemeutum von 20 neuen Karten Iwigcgeben,
die speziellere Landschaltsgebiete, wie das Elsaß u. a. ni., darstellten. — Man spricht auch von der
cixti-n (l.">07), zweiten (1513) und dritten Modemisienuig iles Ptolemäus. \gl. .los. v. Zahn: .Steier-
mark im Karteubilde der Zeiten vom 2. Jahrb. bis lÖOd. Graz 1895.
412 ' Die Landkarte und ihr Geliindo.
erhalt un die Formen Plastik und Leben; man spricht alsdann auch von einer per-
spektivischen Ansicht des Geländes. Es bekundet sich da eben die Art und Weise,
wie seit alters her jeder talentvolle Mensch, der mehr Künstler als Kartogra]ib ist, die
Bvrge gezeichnet, bzw. gemalt hat.^
Die von Nordenskiöld vollständig reproduzierte Ptolemäus ausgäbe von liom
aus dem Jahre 1490 ist der Nachdruck von den gleichen Kupferplatten der römischen
Ausgabe vom .Tahre 1478. Nordenskiöld hat sich durch die vollständige Wieder-
nabe der 27 Ptolemäuskarten große Verdienste erworben; und sem Faksimileatlas
l)leibt eine Studien- und Ubungsquelle ersten Ranges, ganz gleich, auf welches Gebiet
der wissenschafthchen Kartographie wir uns begeben. Auf die mannigfachen Berg-
foi-men, die bereits im Faksimileatlas auftreten, hat E. Hammer hingewiesen.*
237. Die ptolemäische Grundforiu der Geländedarstelhiug. Die ptolemäische
Aufrißforni. Auf den Blättern der Ptolemäusausgabe vom Jahre 1490 finden wir
hauptsächlich nur eine Bergform, die etwas an jene charakteristischen, sich allerdings
in der Natur einzehi präsentierenden Basalt- und Phonolithkuppen der Lausitzer
Bergwelt erinnert. Die Bergform, die ziemlich steilwandig imd oben abgerundet
erscheintj wird bald nebeneinander, bald hintereinander und gestaffelt gezeichnet,
so daß der Laie ein leidlich anschauliches Bild über die Ausbreitung der Gebirge
erhält. Bis in das 19. Jahrhundert hinein haben sich derartige Bergzeichnungen
erhalten.^
Die ptolemäische Grundform wurde für viele Kartenwerke maßgebend, so für
Karten von Mercator, in 8eb. Münsters Kosmographie, desgl. für die verschiedensten
Ptolemäusausgaben, beispielsweise für die Straßburger 1513; sie wurde im Laufe der
Zeit marmigfach variiert. Die steilwandige, abgerundete Kegelform artet zur Zucker-
hut-, Bienenkorb- und Sackform aus. In der IJlmer Ptolemäusausgabe von i486*
wie in der römischen von 1490 sehen wir bereits derartige Gebilde^, die auf Karten
anderer Verfasser sich breit imd auffällig machen.« Bei Ptolemäus treten die Berge
durchweg vergesellschaftet auf. Abgesehen von den bereits betrachteten mittelalter-
lichen Karten, die ich hier ausschUeße, wagte man erst später die Bergzeichnung
auseinanderzureißen und den Einzelberg entweder zerstreut über das Kartenblatt'
1 Sonto: A map of the world (J.E. Europe and Asia). With a map of the Sun Palace. Jap. 1808.
Üio Berge auf der Spezialkarte (der Palastkarte) sind mit der Feder in Seitenansicht gezeichnet [Br. M.
London]. — Perspektivisch gedacht und gemalt auf Schirtingleinwand sind die Berge des Planes von
Kiautachou, angefertigt von einem Chinesen 1904 [U.-Bi. Göttingen]. — Hierher gehören auch die
ältesten kartographischen Monumente, sofern sie das orographische Element berücksichtigt haben,
auch die Peutinger Tafel.
- E. Hammer: Die Fortsehritte der Kartenprojektionslehre, der Kartenzeichnimg usw. G. J.
1894, S. 49.
* So fand ich die Schweizer Berge gezeichnet im Brit. Museum auf der ,,Nouvelle carte g6o-
graphique des Postes d'Allemagne et des Provinces limitrophes". Homanns Erben, Nürnberg 1813. In
der Bibl. von J. Perthes, Gotha: „Allgemeine Weltkunde, oder geographische statistisch-historische
Übersichtsblätter aller Länder" von J. G. A. Galletti. Mit 20 General- und Spezialkart«n. Leipzig
bei Joh. Fr. Gleditsch 1807. Die Berge sind, auf den Karten durchweg in Hügelreihen dargestellt.
* Ein gut erhaltenes Exemplar fand ich in der Ratsbibliothek meiner He'mat Löbau i. Sachs.
5 Nordenskiöld: Faesimile-Atlas. T. XIV.
" Vgl. Weltkarte von Pierre Desoalliers 1546 (Nordenskiöld: Periplus. T. LT). — Tabula
modema Hispaniae. Rom 1552. [N. Bi. Paris.]
' J. C. Rhode: Orbis veteribus notus auspiciis aoademiae regiae scient. Berol. editus. Berlin
1772 [k. Bi. Dresden].
Grund- u. Aufriß der GrPländedarstellung von der Renaissance bis Ende des 18. Jahrh. 413
oder mehr oder minder regelmäßig nebeneinander gestellt darzustellen*, wobei der
Berg zumeist eine Spitzkegelfonn annimmt, dio ihr Extrem in der Form chinesischer
Strohhüte findet. ^ Eecht steif gezeichnete Hügel findet man noch bei Mercator.*
Auseinandergezerrt zeigen manche Karten die Berge.* Die Reihenform ist bei der
Vergesellschaftmig der Berge eine Hauptregel. Saubere Hügelreihen zieren die Karten-
bilder von BouUanger^, d'Anville*, Bonne', J. A. Ecker* u. a. m.
Die Bergzeichnung in Hügelform erinnert an Heuschober, Ameisen- und
Maulwurfshügel. Letztere Bezeichnungen für die beregte Geländedarstellung wird
seit langem in der Kartenliteratur gebraucht. Glänzende Xamen fmden wir unter
den Maulwurfs- und Heuschoberzeichnern, so Cusanus', Lafrerii", Mercator'*. Jau-
son*^, Blaeu**, Sanson**, J. C. Vischer*^, Gristoph Weigel'*, de l'Isle und Euache*',
Bonne**, Lichtenstein*' u. v. a. m.
Die Maulwurfshügel, die einzehi, reihenweise oder ineinandergeschoben ge-
zeichnet wurden, erhielten keine Gnindlinie oder Basis, auf der die Bergbänder des
' Vgl. J. C. Müller; Augustissimo Romanor. Iraperatori Josephe I. Hungariae Regi
Invictissimo Mappam hanc Regni Hungariae propitiis elementis fertilissLmi cum adjacentibus
regnis et provinciis nova et accuratiori forma ex optimis schedis collectam. a. 1709. [U.-Bi. Göttingen].
Das ganze Kartenbild ist fast regelmäßig mit gleich hohen Bergbildern bedeckt.
* Auf den in Originalfarben wiedergegebenen Karten des Georgio Calapoda 1552 in Xordcn-
skiölds Periplus, T. XXV und XXVI.
' G. Mercator: Der den Alten bekannte Erdkreis. Coloniae 1578. [k. Bi. Dresden.]
* Strubius: Der den Alten bekannte Erdkreis s. 1. 1664. [k. Bi. Dresden.]
^ Boullanger: Nördliche und südliche Halbkugel. Land- und Seehalbkugel. Paris 1760.
[k. Bi. Dresden].
' d'Anville: Orbis veteribiis notus auspiciis .... publici juris factus. Pari.s 1763. [k. Bi.
Dresden.]
' Robert Bona (Bonne): Der Erdkreis der Alten. Orbis antiqui mappa nova. Paris 1783.
[k. Bi. Dresden].
' J. A. Ecker: Die obere oder nördliche Halbkugel der Erde, auf den Horizont von Wien.
Stereograph i.sch entworfen. Wien 1800.
° Auf dem Münchencr Abdruck der Karte von Cusa, der ältesten modernen Karte von
Deutschland, sehen wir eine leichte Schraffur auf den Maulwurfshügeln, die auf den Weimarer lujd
Nürnberger Abdrucken fehlen. Vgl. Aug. Wolkenhauer: Über die ältesten Reisekarten von Deutsch-
land, aus dem Ende des lö. u. dem Anfang des 16. Jahrh. Deutsche Geogr. Blätter. XXXI. Bremen
1903, Heft 3 und 4.
'" Karten aus Lafreris Atlas 1570, z. B. Ägypten. Vgl. Noi^denskiölils Periplus S. l.Tt.
" Auf den meisten Karten G. Mercators. Daneben werden bei Mercator die Berge auch zu-
Haramen hängend gezeichnet, z. B. in dem Atlas von IK^O.
'■^ Guil. Jansonius: Nova totius terrarum orbis geographica ac bydrogiuphica tabula (in
Mercatorproj.). Amsterdam 1606. [k. Bi. Dresden.]
" Auf vielen Karten von G. Blaeu in Amsterdam, nach 1621.
'* X. Sanson: Alle Geographie der zwei Halbkugeln. Amstonlam, .\nfang des IS. Jahrh. —
Auf vielen andern Karten von Sanson.
" J. C. Vischer: Erdkarte. Verleger Petrus Schenk junior. 1. Hälfte des 18. Jahrh. [k. Bi.
Dresden.]
" Christoph Weigel: Orbis terranim voteribus cogniti typus ad meuteni vcterum geographorum
praesentttlur. Nürnberg g. a. Naoh 1714, nach Delislo gezeichnet, [k. Bi. Dresden.]
" Guil. de risle et Phil. Buacbe: Atlas gi^'ograpbique et univeracl. Paris 17S1.
" Bonne: Atlas von Frankreich. Pari» 1790. [Bi. der S»h-. Geogr. Paris.]
'" Allgemeine Karte der Österreichisoben Monarchie, ontw. u. gez. von J.M. Freih. v. LichtiMi.
stein; hg. von der Kosmographischoa Gesellschaft Wien 1795. (U.-Bi. Gottingeii.J
414
iid ihr Geläiidf
Ptolemäus ruhen. Auf spätem Ptolemäuskarten sind auch diese geschwunden. Durch
Öchattenschraffur verheh mau den Hügehi den gewünschten plastischen Aus-
druck. Die Berge rechts zu beschatten war gang und gäbe geworden. Die Licht-
quelle wurde wie heute links gelegt gedacht; auch war dies für das Zeichnen be-
quemer. Daneben treten linksseitige Beschattungen (Schatten auf der linken
Seite!) auf, wie bei H. Öchedel 14931, S. Münster 15402, Castaldi 15(543. Mr Spezial-
karteu wü-d manchmal ünksseitige Beschattung vorgezogen, wie auf Karten ver-
schiedener Ptolemäusausgaben*, in C. Türsts Beschreibung der Schweiz^, in W.La-
zius Typichorographici Austriae 1561«, im Großen Atlas über die Gantze Welt
von J. B. Homann 1725.' Selbst iimerhalb ein und desselben Kartenwerkes wechselt
die Beleuchtung. Auf den drei Teilen der Asienkarte von Jacobo Castaldi 1561 sind
die Berge auf dem ersten Teil rechtsseitig beschattet, auf dem zweiten und dritten
Teil hnksseitig. Ich vermute, daß drei verschiedene Kartenstecher das Gelände be-
arbeitet haben, um die Karte so schnell wie möglich zu veröf fenthchen ; selbst zwischen
zweitem mid drittem Teil kann man in der Strichlage und -ausführung Unterschiede
in der Fertigkeit der Stecher wahrnehmen.^
Neben der Schraffur diente, wie oben bereits angedeutet, die Farbe als Hilfs-
mittel, die Berge dem Beschauer hübsch und anschauhch vor Augen zu führen. Die
Holzschnitt- und Kupferstichkarten wurden farbig manuell weiter behandelt, so
z. B. in verschiedenen Ptolemäusausgaben. Auf der Ulmer Ptolemäusausgabe (1486) m
der Batsbibüothek zu Löbau i. S. sind die Berge mit einem mittlem Braun aus-
koloriert. Weiter sei in der Reihe zahkeicher Vertreter nur auf wenige hingewiesen:
Conrad Türst hatte seine Berge grün ausgemalt, Wolfgang Lazius graubraun, J. A. Co-
menius gelblichgrün mit besonderm braunen Schattenton.* Viele Manuskriptkarten
des 16. bis 18. Jahrhunderts geben glänzende Belege hierfür.
Die einfache Kontur der Berge, wie man sie nach Ptolemäus auf den Karten-
bildem wiedergab, wurde bald abgeändert. Einesteils entsprach dies dem Schön-
heitssinn, andemteils der Naturbeobachtung, daß sich nicht alle Berge in glatter
Silhouette repräsentieren. Der Linienzug des Profils wurde entweder zart gewellt,
1 Hartmann Schedels Karte von Deutschland in seiner „Nürnberger Chronik" 1493. Sie
ist wiederholt in seinem „Liber Cronicorum" 1496 und in seinem „Buech der Croniken" Augs-
burg 1500.
- Aus Seb. Münsters Kosmographie (Basel 1540): Der Erdkreis der Alten. „Ptolemaisch
general tafel / begreiffend die halbe kugel der weldt".
3 Giacomo di Castaldi: Karte von Afrika 1564. Vgl. "Nordenskiöld, Periplus. T. XLVI.
' So die Karte von Steiermark in der modernisierten Straßburger Ptolemäusausgabe 1522,
besorgt von dem Würzburger Chronisten Lorenz Fries, desgl. in der Straßburger Ausgabe von 1524,
bearbeiett von W. Pirkheimer, und in den spätem nach Pirkheimer genannten Ausgaben von
Lyon 1535 und Wien 1541.
=• Conrad Türsts Beschreibung, die dem Stadtrat von Bern gewidmet ist, enthält eine Karte,
die als erster Versuch einer SpeziaLkarte der Schweiz aufzufassen ist. [Pergamenthandschrift aus dem
15. Jahrh. in der k. k. Hofbibl. Wien.]
« Ist der erste Atlas der Deutsch-österreichischen Erblande in 11 Blättern, [k. k. Hofbibl.
Wien].
' /,. B. der Plan der Belagerung von Friedrichshall.
« Vgl. Nordenskiöld: Periplus. T. LIV, LV u. LVl.
» Moiaviae nova et post omnes priores accuratissima delineatio, auctore .1. A. Comenio; hg.
von Nicolaus Vischer s. a. [I'.-Bi. Göttingen.]
örund- u. Aufriß der Gcländedarstellung von der Renaissance bis Ende des 18. Jahrli. 415
wie boi G. ('astaldo^. Sanson-, Nie. de Fer', Hauer'», Bellin'', oder energisch aus-
gebogeu, daß die Berge zwei- und mehrgipfeiig orsclieinon, wie bei Mercator*, Jac.
Castaldi', ßlaeu", Pet. Apianus^, Danckwerthi**^ Strahlenberg^^ u. v. a. m. Island
insonderheit wird gern mit riesigen Bergen bedeckt, wie bei Bertelli*"'' und, vielleicht
durch ihn beeinflußt, bei Mercator.^*
Mit großer Liebe wird bei einzehien Bergen Modellierung und dementsprechend
Schraffierung behandelt, beispielsweise bei den Höhen auf der Moscoviakarte von
Heberstein^*, oder den Bergen an der Straße von Gibraltar. ^^
Regel ist, für jedes Kartenblatt ein imd denselben Duktus von Bergformen
dui-chzuführen. Ausnahmen, wo auf einem Blatt alle Gebirgsformen untereinander
gemischt sind, begegnen uns selten, wie auf der Palästinakarte von J.Ziegler^* oder
auf einem spätem Kartenbild von Chauchard.^" Auf der Weltkarte der Ptolemäus-
ausgabe des Bernardi Sylvani, Venedig 1511, sind die Berge so durcheinander ge-
schüttelt und geknetet, daß kaum eine richtige Form herauszuerkennen ist.^*
238. Die ptolemäische Orundrißform. Gegenüber der Aufrißform nimmt die
Grundrißform auf den Karten des 15., bzw. 16. bis 18. Jahrhimderts eine neben-
sächliche Stellung ein. Die grundrißartigen Darstellungen führen auf die Ptolemäen,
in Handschrift sowohl wie in Druck, zurück. Wie bereits bemerkt, zeigen die Ubner
von 1486 und die römische Ausgabe von 1790 die Berge in Bändern aufgereiht.
Zwischen die beiden Begrenzungslinien des Bandes wurden die Berge hineingezwängt,
was sich auf vielen Karten, z. B. auf der der Pyrenäenhalbinsel ^^, gut erkennen läßt.
' G. Gastaldo: Isola delia Sicilia. V'enetia 1545. [N. Bi. Paris.]
^ Sanson: Cartes particuiieres de la France. 2 Bde. Paris 1686. Auch unter dem Titel: France
EcclAsiast. [N. Bi. Paris.]
ä Nicolas de Fer: Östl. und westl. Halbkugel. Paris 1694. [k. Bi. Dresden.]
* D. A. Hauer (Norimbergae): Erdkarte nach Eratostbenes oder: Karte von dem bewohnten
Teil der Erde, .soweit er den Griechen bekannt, nach dem Eratosthcnos. s. a. {um 17S(l). [k. Bi.
I )resden.]
•'■ Bcllin: Erdkarte. Paris 1755. [k. Bi. Dresden]
" In Mercators Atlas 1595.
' Jac. Castaldi: Asienkarte 1561. In Nordenskiölds Periplus. T. Ll\'.
" Blaeu: Xovus Atlas. Am.sterdani 1635.
° Peter Apianu.sauf seiner herzförmigen Weltkarte 1530. In Xordenskiölds Periplus, T. XLIV.
'" Casparus Danckwerth: Orbis vetus cum origine magnanmi in eo gentium a fiUis et nepi>-
tibus Noe. Husum 1652. Aus Danckwerths Beschreibung von Schleswig und Holstein, [k. Bi.
Dresden.]
" Phillip Job. V. Stralilenberg: Karte von 2^ntral- und Nordasien 1730. In Nordenskiölds
Periplus, T. X_XXV1II.
'- Ferando Bertelli: Karte von Island 1566. Vgl. Nordenskiölds Periplus, S. 81.
" In Mercators Atlas 1595. Vgl. Nordenskiölds Periplus, S. 91.
'* Herberstein: Moscovia. Kupferstich von Hirschvogel 1.549. In Xordenskiölds Facsimilp-
Aatlas, S. 121.
" Das Mittelmeer vor der StraBe von (tibraltar. Ora maritima Giunodao et Barbariae, inter
angustias frcti et capo de Gate vel triam fiiivaruin. Amsterdami. s. a. 1. Hälfte de» 17. Jahrl).
[k. Bi. Dresden.]
'" Jacobus >Cieglers Quac intus cuntiueutur otc. Argentorati 1532. In Xordenskiölds Peri-
pluK, S. 151.
'" Chauchard: Carte de la partic soptentrionalo de l'Italie, 1791. [U.-Bi. Göttingen. |
'" Vgl. Nordenskiölds Facsimile-.AtIa«, T. XXX ITI.
'" \'gl. Nordenskiölds Facainiile-.-\tlii.s. T. III.
416 Di«" T-andkartp und ihr Gplänrlp.
Gewiß hat derjenige, der die Karte entwarf und zeichnete, mir die Bandform für die
Grebirge gewähH, die der Kartenstecher in Bergforraen umwandelte. Eine bewußte
Zeichnung der Gebirge im Grundriß kann man das nicht nennen, es ist nur mehr eine
Verlegenheitsbildung, eine sclmell hingeworfene Manuskriptmanier, die außerdem, um
die Gebirgsstränge anschaulich und kenntlich zu machen, die Bänder oder Streifen
mit Farben oder mit Punkten, Schraffen, dicken imd dünnen Strichen ausfüllte. Die
Gebirgsnamen wurden in das Band oder an das Band geschrieben.
In den gedruckten Ausgaben erscheinen die Bänder farblos. Die Farbe blieb
den Gebirgsbändern der Manuskriptkarten vorbehalten. Nachweisbar ist sie zum
ersten Male als schmutziges Grün auf einem der ältesten bisher bekannten Ptole-
mäuskodices aus dem Kloster Vatopedi auf dem Athos, um 1200^; damit sind die
Züge der Pyrenäen und Cevermen, des Kaukasus und Ararat unverkennbar hervor-
gehoben.- Auch späterhin begegnen uns ähnliche Gebirgsbänder in Grün und Braun.^
Auf der Handschriftkarte des Christ. Ensenius (Buondelmonte) in der Laurenziana-
bibliothek zu Florenz kann ich nicht wie Eöger* eine Zeichnung des Gebirgsgerippes
in Muschelform erkennen, ich sehe darin nichts mehr und nichts weniger als ein bloßes
..Hinmuschehi" zur Ausfüllung des Bandes.^
Xm- selten erscheinen die gedruckten Bänder ohne jegliche Einzeichnung, wie
auf der Weltkarte des Gregorius Reisch, Freiburg 1503.^ Dicke Striche durchziehen
die Gebirgsbänder auf einer handschrifthchen Karte „Tabula regionum septentrio-
nalium" einer Ptolemäusausgabe aus dem 15. Jahrhundert (etwa 1467) in der Zamoisky-
Bibliothek zu Warschau. '^ In ähnlicher Weise finden wir die Gebirgszeichnung auf der
ersten deutschen Ausgabe des Ptolemäus, zu Ulm 1482 gedruckt; nur daß die dicken
Striche noch von feineu Linien spitzwinkUg getroffen vmd teilweise geschnitten werden.
Mit Punkten ausgefüllt treten uns die Gebirgsbänder auf dem Globus von Schöner
1515 entgegen.* Eine weitere Abwechslung erhielten die Streifen dadurch, daß ihre
Eandlinien fein gezackt und der Zwischenraum eine Art Schattenschraffur erhielt,
so daß die Gebirge knorrigen Eichenästen ähneln, wie z. B. in der Introductio in
Ptolemei cosmographiam von Joaimes de Stobnicza, Krakau 1512.* Wiederholt
wurde diese Gebirgszeichnung neben der bei weitem häufiger angewandten Zucker-
hut- und Maulwmrfshügehnanier in den Straßburger Ptolemäusausgaben von 1513,
1520 und 1522; aber auch später finden wir sie auf den Ptolemäuskarten von Europa,
Asien und Afrika, Leiden 1535.^" Kleinere Gebirgsstücke erinnern an die Weckform,
vne auf einer Straßbiirger Ptolemäuskarte.ii
' V. Langlois hat Handschrift und Karten in Faksimile hg. unter „Geographie de Ptol6m6e".
Paris 1867.
- Die betreffenden ^Gebirge hat E. Oberhummer nach Ausschnitten der Athos-Handschrift
des Ptolemäus in Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1901, H. 22 und 23 wiedergegeben.
' Les Monuments de la G^ograplüe des Bibliotheques de Belgique. Carte de TEuropc 1480 bis
148.5. Karte in 8 Blättern. Text von Ch. Ruelens. Brüssel 1888 (V).
■* J. Roger: Die Bergzeichnung auf den altem Karten. München 'QIO. iS. (i.").
' Vgl. Nordenskiölds Periplus, T. XXXII.
'* Vgl. Nordenskiölds Facsimile-.\tlas, T. XXXI.
' Vgl. Nordenskiölds Facsimile-Atlas, T. XXX.
' Vgl. Nordenskiölds Facsimile-Atlas, S. 78 u. 79.
» Vgl. Nordenskiölds Facsimile-Atlas, T. XXXIV.
'" In der kgl. Hofbibl. m Dresden.
^' Generale Ptolemei, Generale der Erdkreis der Alten. Gezeichnet von M. Waldseeniüllcr,
8. a. et 1. Jedenfalls Strallbuig 1.5i:i. [U. Bi. Dresden.]
RegrifFlichc Scheidung <\p3 Geländes. 417
Die Hfigfonmn einzeln zu zeichnen war langwierig und langweilig; aber auch
das einfache Band mit Strichen und Schraffen wurde nicht anschaulich genug emp-
funden, es mußte, da es nicht bunt gedruckt werden konnte, im Druck deutlicher
hervortreten. Der Gedanke lag nicht fem, gleich der Schollenzeichnung mancher
mittelalterUchen Karten die Gebirgsbänder mit doppeltem Eand zu versehen und
diesen je nach der Lage der Lichtquelle mit Schattenschraffen zu schmücken. Das
war für den Stecher und Drucker ein ebenso einfaches wie bequemes Hilfsmittel, die
Gebirgsmassen zu veranschaulichen. So geschah es auf der 1478 und 1481 in Florenz
bei Francesco Berlinghieri gedruckten „Geographia" des Ptolemäus.^ Hauslab^,
Hammer* und nach ihm Eöger erblicken darin den ersten Versuch, die Berge im
Grundriß und zugleich plastisch erscheinen zu lassen*; ich sehe darin kein be-
WTißtes oder ausgesprochenes Moment kartographischer Darstellung, sondern nur
ein Surrogat für die umständhchere Gebirgsdarstellung im Aufriß.
Aus den mittelalterlichen Karten hat sich merkwürdigerweise die modelherte
Schollenform in dem Cantabrischen Gebirge auf die Karte von Spanien der römischen
Ptolemäusausgabe von 1490 hinübergerettet. ^ Ich vermute, daß dies mehr aus Ver-
sehen geschehen ist. Der Karten- bzw. Terrainstecher fing bei diesem Blatt links
oben an; kaum hatte er das Gebirge fertig, wurde ihm bedeutet, daß die Gebirge in
perspektivischen Bergformen zu bearbeiten sind. Nun war das Cantabrische Ge-
birge bereits fertig, es koimte von der Platte ohne Schaden des Ganzen nicht mehr
entfernt werden und so verbheb die mittelalterhche Gebirgsdarstellung als Unikum, das
ganz aus dem Rahmen der übrigen Gebirgszeichnmig der Ptolemäuskarten herausfällt.
Nochmals sei betont, daß die sogenannten grundrißartigen Gebirgsdarstellungen
der Ptolemäuskarten, und hier nur bei Übersichtskarten, ganz vereinzelt auftreten.
Sie sind auf die übrige Kartographie ihrer und der folgenden Zeit nicht von Einfluß
gewesen, da man das wenig Gesetzmäßige und wenig Überzeugende dieser Darstellung
erkannte und m ihnen wohl nur den kümmerlichen Rest der mittelalterUchen Karto-
graphie sah. Mit dem Aussterben der Ptolemäuskarten verschwinden auch sie, was
um 1600 herum geschah, wo sie durch neue große Atlanten ersetzt werden, von
Mercator, Ortelias, Hondius, Janson, Blaeu u. a. Erst mit der Schraffe, die bereits
als Schattenstrieh den aufrißartigen Darstellungen Plastik und Leben verlieh, war
die Möglichkeit geschaffen, die Berge im Grundriß wiederzugeben. Wie dieser große
Schritt der darstellenden Kartographie vor sich ging, und wie die einzelnen Berg-
formen an Bedeutung und Naturtreue gewinnen, damit beschäftigen sich die nach-
folgenden Untersuchungen, die zeitlich in der Hauptsache dem soeben behandelten
Abschnitt einzugliedern wären.
II. Begriffliche Scheidung des Geländes.
23A. Karten mit planloser Anliänfun;; der Gebirge. Die meisten Geländedar-
stellungen, die vor unserm Auge vorülierzogen. machen auf den ei-sten Anbhck den
Eindruck, als handle sichs um eine wirre Anhäufung perspektivisch gezeichneter
' Die ..(leograpliia" von Fr. Borlingkiori datiert die k. Bi. Dresden auf 1481, Xordenakiöld im
Fii.similo-..\tlas, S. Vi auf 1478. Vgl. liierselbst die Karten Berlingliieii.^ S. 1.1 u. T. XXVII f.
- .^Ltgeteilt bei K. Peucker: Hölunsclilchtcnkarten. 55. f. Verm. 1911, S. 19, .Amn. 2.
» E. Hammer im G. J. XVII, 1894, S. 49.
* J. Roger, a. a. ().. S. 71. 72. ■'■ Vul. X..r<l.n«kiolds Facsimile-Atla-s T. III.
Bokurt. KarlenwlsHcnflcliaft. I. -7
418 Die Landkarte und ihr Gelände.
Schabloiieuberge. Das stimmt sicher für die meistou, uiul doch gibt es oiiK^ Anzahl
Karten, die sich durch besondere Merkmale ihrer Terraindarstellungen aus der Masse
der übrigen emporheben. Verschiedene Karten dieser Art wurzeln noch im Mittel-
alter, die wichtigsten sind spätem Jahi-hunderten vorbehalten. Wegen der gene-
tischen Betrachtung können die altern Erzeugnisse nicht unbeachtet bleiben.
Unter dem Gesichtswinkel der begrifflichen Scheidung der Gebirge betrachte
ich folgende vier Kartengruppen: Karten mit planloser Anhäufung der Gebirge, mit
richtiger Lage der Gebirge, mit der Her\orhelninij qualitativer und quantitativer
Unterscheidungsmerkmale der Gebirge.
Auf den meisten Karten sind die Berge planlos über die Karte gestreut. In
Ermanglung besserer Kenntnisse waren die Bergsignaturen ein bequemes Füllmaterial
für Karten; man setzte die Berge nicht selten dahin, wo am meisten Platz auf der
Karte war. Hauptsächhch sind Afrika und Asien die Kontinente, die man mit hohen
Gebirgen ausrüstete, wobei auf manchen Karten Afrika Asien gegenüber bevorzugt
wurde. Verschiedene Ptolemäuskarten bringen für Asien zahlreiche Berge, für Afrika
jedoch die großem, z. B. in der Straßburger Ptolemäusausgabe vom Jahre 1513 das
Blatt ,,Hydrographia sive charta marina".i Die ähnhche Gebirgsdarstellung finden
wir auf der Weltkarte von Petrus Apianus aus dem Jahre 1520.^ Daß die Berge, auf
denen der Nil entspringt, sich der Gunst des Kartenzeichners vorzugsweise erfreuten,
ist allenthalben bekannt. Daneben gibt es eint' Menge Ausnahmen. Mächtige Berge
bedecken das sibirische Tiefland in der Ptolemäusausgabe des Bernardus Sylvanus,
Venedig 151P, oder durchziehen Zentralasien auf der Weltkarte des Benedetto Bor-
done, Vinegia 1528.* Auf der Erdkarte des Amadio d' Fries (Venedig 1662)^ finden
sieh in Europa kaum noch Berge, die Alpen sind nur angedeutet, wohl aber sind die
zahlreichen afrikanischen Berge viermal höher als die Alpen gezeichnet. Die Erdkarte,
die Matthias Quad seiner Descriptio Europae (Cöln 1596) beigegeben hat, bringt bei
Europa keinen Berg, für Asien emige im vorderindischen Anteil, dagegen auf Afrika
mächtige und zahlreiche Berge.*
Das Gefühl für die Wichtigkeit der Berge war bei manchen Kartenzeichnern
recht schwach entwickelt, ihnen kam es gar nicht darauf an. Berge da wegzulassen,
wo sie ihnen nicht in den Situationsplan hineinpaßten; selbst auf Karten, die. mehr
speziellen Charakter trugen, scheuten sie sich nicht, Berge nur dort hinzusetzen, wo
keine Orte einzutragen waren. Einen krassen Beleg dieser Art sah ich in der National-
bibhothek zu Paris auf einer Karte des 17. Jahrhunderts, die sich betitelt: Partie
de la Suisse et de la Franche Comte. Von derartigen Beispielen war sogar das 1 8. Jahr-
hundert noch nicht frei, wie die Karte von den „Grenzen der geographischen Kenntnisse
der Alten" bei Homanns Erben, Nürnberg 1761 beweist.^ Auf ihr treten die
* Vgl. Nordenskiölds Faosimile-Atlas, T. XXXV.
2 Vgl. Nordenskiölds Facsimile-Atlas, T. XXXVIil.
3 Vgl. Nordeaskiölds Facsimile-Atlas, T. XXXIII.
* Vgl. Bordenskiölds Facsimile-Atlas, T. XXXIX.
' Ob die Karte von Fries „Descrittione imiversale della terra ..." (ca. 1 : 24000000) bereits
1648 erscheinen ist, erscheint mir fraglich, [k. Bi. Dresden.]
* Matthias Quad: Typus orbis terranun ad imitationom universalis Gerliardi Mercatoris
(cuius secundum cam vetei-um quam . . .). Coloniae 1596.
' Die Karte ist betitelt: ParalleUsmus geographiae veteris et novae de finibus orbis veteruni
et recentionim, iuncta explicatione historico geographica, idiomate gerraanico conscripta. [k. Bi.
Dresden.]
HegrifFlichi' Scheidung' des Gpliindos. 419
Eurojias i-rst im (J auf, siiul dagegen reicülicli über die andern Kontinente verstreut;
sie würde in dieser Beziehung auch zu den ohen genannten Karten passen. Daneben
finden wir. ebenfalls in Nürnberg erschienen (um 1780), eine ,, Karte von dem be-
wohnten Teil der Erde, soweit sie den Griechen bekannt war, nach dem Eratosthenes"
von D. A. Hauer, worauf die Alpen mit mannigfach geformten und plastisch schat-
tierten Bergen dargestellt sind.
240. Karten mit richtiger Lage der Gebirge. Beginn der wissenschaftlichen Epoche
der Geographie. Bei der geringen Anzahl von astronomisch festgelegten Positionen
bedeutenderer Örtlichkeiten war es schwer, die richtige Lage der Gebirge, ihre Breite
und Erstreckung zu geben. Ihre Achsenrichtung ungefähr im Bilde widerzuspiegeln
war leichter als die Fläche, die sie bedecken. Selbst bei der primitivsten Gelände-
darstellung bemerkt man das Bemühen, der Lage einigermaßen Herr zu werden. Auf
der mit verschwenderischer Pracht in Zeichnung und Farbe ausgestatteten Kata-
lanischen Weltkarte vom Jahre 1375 zeigen die Alpen die scharfe Umbiegung der
Westalpen nach S und der Ostalpen gegen die Donau, im NW setzen sich Vogesen
und Schwarzwald an die Alpen an. Die Zeichnimg des Gebirges ist im ganzen etwas
nach N verschoben. Hingegen haben die Pyrenäen ihre richtige Lage, die allerdings
als Abschnürung der iberischen Halbinsel vom europäischen Rumpfe zwischen dem
Golf von Viscaya und dem Golf du Lion weniger schwierig im Kartenbild als mehr
binnenländische Gebirge zu fixieren waren.
Einen Fortschritt in der Auffassimg von Lage und Eichtung der bedeutendsten
Gebirgsketten bemerken wir auf der Weltkarte des Kamaldulensers Fra Mauro vom
Jahre 1457.^ Der gesamte Alpenbogen ist gut wiedergegeben, sowie seine Fort-
setzungen in den Balkan und den Apennin. Der Gebirgszug der Sudeten ist steif
und stark generahsiert. Die Ptolemäen bilden immer wieder eine Fvmdgrube für be-
merkenswerte Beispiele. Den lateinischen Ausgaben des Ptolemäus \viu-den früh-
zeitig Karten beigegeben, die bei aller Beachtung der mathematisch-astronomischen
Grundlage Umarbeitungen handschriftlich überUeferter Karten waren.^ West- und
Ostalpen, die auf Karten des Ptolemäus in der 1478 in Eom gedrackten Ausgabe
verzeichnet sind, werden der Lage nach leidlich wiedergegeben, ebenso der Apeimin,
der sich vom S der Westalpen ostwärts nach Italien hineinbiegt.^ Die Zeichnung
ist recht einfach, trotzdem ist die Virgation (Auseinanderstreben) der Ostalpen
kermtlich gemacht; der eine Strang endet am Quernero bei Fiume, der andere an der
Donau bei Wien. Die Karten, die als Supplementum den ursprüngüchen Ptolemäus-
karten beigegeben worden sind (Straßburger Ausgabe 1513), rücken die Boden-
erhebungen sieht üch besser an ihre richtige Stelle. Den Karten Mercators wird bereits
zu ihrer Zeit die ,,schickhche" Lage aller großem Gebirge Europas nachgerühmt,
nachdem sich Mercator der ihn im Anfang seiner Tätigkeit bedrückenden Fesseln
der kartographischen Bibel der Renaissance um die Mitte des ^^\. .lahrliunderts ent-
' Die Karte schjnückt seit 1810 den Wappenaaal im Dogenpalast zu Vcncilig. Das einzig braiu-b-
liare Faksimile befindet sich in Santarems „Atlas coni|x>s<S de niappeniondos .. .", Paris 1852 — 53.
[Von dem .\tlas befinden sich vollständige ExiMnplare in Qöttingen und Heidelberg.] Die Wie<ler-
gaho der Karte in Leiewels Atlas, T. 33, ist ungenügend.
' Vgl. die Anmerkung Oberhummer» über die Klänmg der ginlruckton baudsohriftlichen
Karten des Ptolemäus in X. D. d. u. Ö. A.-V. 1901, S. 23.
■■' Vgl. Nordenskiöld« Faesiniilr. Atlas. T. VI. VII. X.
420 Di« Landkarte und ihr Gelände.
wuiuleu imd mit der Herausgabe selbständiger Karteu, wie der Eurupae descriptio,
Duisburg 1554, oder der Nova et aucta orbis terrae descriptio ad usum navigantium
emendate accommodata, Duisburg 1569, eine neue Epoche der Geographie, das Zeit-
alter der wissenschaftlichen Geographie, heraufgeführt hatte. Die Karten
des 17. Jahrhunderts verbessern zusehends die Lage der Gebirge, bis das 18. Jahr-
hundert durch bessere Ausbildung der Meßmethoden und umfangreichere Messungen
die Mittel bietet, neben der richtigen Achsenerstreckung der Gebirge der Ausdehnung
des Areals, das sie bedecken, gerecht zu werden.
241. Qualitative Merkmale der Gcbirgsdarstellung. Beizeiten setzt die Mar-
kierung qualitativer Merkmale bei den Gebirgsdarstellungen ein, zunächst in rein
kulturgeschichtlichem Sinne. Die theologisch-kosmologischen Wahnvorstellungen
waren es, die Binzelbergen eine außergewöhnliche Bedeutung beimaßen, was auf der
Karte nicht minder zum Ausdruck kommen mußte. Auf der Peutinger Tafel ist der
Ölberg, Mons oliveti, durch Zinnoberrot kräftig hervorgehoben; kein anderer Berg
der Tafel erfreut sich gleicher Auszeichnung. Die Wahrnehmung bestärkte Elter in
der Ansicht, daß es sich bei der Peutinger Tafel um eine Reisekarte für Jerusalem-
und Eompilger des 13. Jahrhunderts handle, die jedoch auf einem römischen Original
des 4. Jahrhunderts fuße.i Auf der Beatuskarte von St. Sever aus dem 11. Jahr-
hundert wird eine ziemlich gleich hoch verlaufende Bergkette von dem Zacken des
Sinai überragt. In der Weltkarte der Turiner Handschrift aus dem 12. Jahrhundert
erscheint der Sinai inmitten des Bildes.^ Die Ebstorfer Weltkarte schmückt den-
selben Berg bei besonderer Größe innerhalb der Bergfläche. Auf der Portulankarte
des Conte Freducci ist der Sinai als einziger Berg auf der ganzen Karte durch be-
sondere Größe und Detaillierung hervorgehoben worden.' Andere Berge, die gleich-
falls die Phantasie des Volkes beschäftigten, erfuhren eine ähnliche Behandlung wie
die heihgen Berge. Die Säulen des Herkules und der Atlas sind die einzigen und zwar
zuckerhutförmigen Bezeichnungen auf der Weltkarte des Honorius von Autun aus dem
12. Jahrhundert.*
Das Mißverhältnis in den Größen der Berge erklärt sich nicht allein auf (irund
der mittelalterüchen religiösen Anschauungen, sondern auch daher, daß nur das
Einzelne gesehen wurde und entsprechend dem Interesse, das es erwecken sollte,
dargestellt wurde. ^ Somit wurden die Einzelberge zugunsten anderer hervorgehoben,
in der Hauptsache nach dem ideellen Ort, den ihnen die Kartenzeichner beilegten.
Wichtiger als diese qualitative Wertschätzung rein kulturhistorischer Art ist für uns
die qualitative Differenzierung der Gebirge, die von wirklicher Naturbeobachtung
zeugt. Sie konnte sich erst entwickeln, nachdem man sich nicht mehr mit dem ein-
zelnen Berg an sich beschäftigte, sondern mit den Bergen in ihrer Gesamtheit. Die
Gesamterscheinung des Terrains wurde für die Darstelhing maßgebend. Während
der Züricher Stadtarzt Conradi Türst (Tyrst) auf der zwischen 1495 und 1497 ent-
worfenen Landtafel der Schweiz, die seiner Schrift De situ confoederatorum de-
scriptio beilag, zwischen runden und spitzen Bergformen (Vertikalschnitten) zur
' Elter: Itinerarstudien. Bonn 1908, 8. 11.
= Lelewel: Atlas. Brüssel 1850, T. 9.
' Vgl. Nordenskiölds Periplus, T. XXII.
* In der kgl. Bibliothek zu Turin; S.Abb, bei Santarcm, Atlas* f.T. 14 und bei Lolcwol, Atlas, T.
'■ E. W. Bredt: Wie die Künstler die Alpn dargestellt. '/,. d. 1). n. Ö. A.-V. l!)0(i, S. fil.
Begrifflieho Schciduiifi des Geländes. 421
Kennzeichnung der niedern und lidlicni licr^c liin- und herschwankte*, versucht der
bayrische Geschichtsschreiber Johannes Turniair, nach seinem Geburtsort Abens-
berg Aventinus genannt^, auf seiner Karte des Herzogtums Bayern aus dem
Jahre 1523 die Berge naturaHstischer auszudrücken, indem er die sanften Formen
des Bayrischen Waldes und des Jura den schroffen Gebilden der Kalkalpen gegen-
überstellt; die Wandbrüche und Steilgehänge des Karwendeis und Wettersteins
treten deutlich hervor. Daneben wird die Gestalt verschiedener Kammauem und
Einzelberge kärglich und zweideutig nach Art des Landschaft Zeichners angedeutet.
War das Gebiet nicht allzu groß, das der Kartenzeichner und -maier darstellen
wollte, daim war schon eher die Möglichkeit gegeben, dem quahtativen Element der
Geländeformen Rechnung zu tragen. So finden wir- denn einige recht beachtenswerte
Leistungen aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts der aristokratisch regierten Städte-
republik Nüi-nberg. Auf den Nürnberger Waldkarten, wie der Wiltcarte vom
Jahre 1516', sowie auf andern dieser Zeit angehörigen Karten, z. B. auf der Image
situs civitatis Eotenburgensis Tuberinae cum territorio eidem subjecto, 1535*, er-
freut uns das halbperspektivische, malerisch und gut aufgefaßte Landschaftsbild,
das uns jene Gegenden leibhaftig vor Augen führt. Daß das Eotenburger Karten-
gemälde durch die Einzeichnung von Szenen aus dem ehemaligen Volksleben zugleich
den Charakter eines kulturhistorischen Gemäldezyklus annimmt, mag nebenbei be-
merkt sein.
Sind die Anfänge einer individuellen Bergformdarstellung recht kümmerlich,
geben sie doch ein erfreuliches Zeugnis davon, daß man für die orographische Aus-
stattung der Erdrinde mehr und mehr Sinn bekam.
Was bisher nur halb bewußt, gleichsam im Dämmerzustand geschah, ohne sich
Eechenschaft über die Einzelformcn wie deren Gesamtheit zu geben, wird mit einem
Male hebt und klar in der Bergdarstellung bei Philipp Apian. Auf der Karte von
Bayern, auf der großen Ausgabe (1563 in ca. 1 : 45000) sowohl wie auf der kleinern
(1568 in ca. 1 : 135000)''' hat Apian außer einem guten Formenbild ein naturwahres
Bild der meisten und wichtigsten Berge und Gebirge geschaffen. Mit wenigen Strichen,
die nicht bloß die Konturen der Berge wiederholen, sondern auch orographisch be-
dingte Linien im Berggelände hervorholen, weiß er die Berge zu kennzeichnen und
ihnen mit einigen Schattentönen ein naturaHstisches Gepräge zu geben, wie es die
' Brauclibare Ausscliixitto dieser Karte wie auch der nächsten Karten, die oben weiterhin er-
wähnt sind, enthalten Eug. Oberhuramers Abhandlungen in der Z. d. D. u. Ö. A.-V. über die „Ent-
stolmng der AljÄnkarten" (1901), „die ältesten Karton der Ostalpcn" (1907) und „die ältesten Karten
der Westalpen" (1909). Oberhunimers Arbeiten sind außerdem reich an brauchbaren Quellen-
nachwoiaen.
- E. Oberhummer: Betncrkungt-n zu Aventins Karte von Bayern. Sitz.-B. philos.-philol.
II. bist. KI. k. Bayr. Akad. d. Wiss. 1899, II. 3. - Aventins Karte von Bayern MÜXXIII. Im Auftrage
der Geogr. Ges. in München zur Feier ihres 30jährigen Bestehens herausgegeben und erläutert von
J. Hartniann. Mit einem Vonvort von E. Oberhummer. München 1899.
' Wiltcarte Nr. 2 v. Jahre 1516, transumpta im Jeiiner 1519 oder „Abriß über das .Vinpt
lAuff, Altdorf, Reicheneck und Haimburg die Wildbahn betreffend". Aquarellzeichnung auf l'erga-
ment. 84x94 cm. [GJerman. Mus.]
* W. Z. Imago »itas ci\itatis llotenburgensis Tuberinae cimi territorio eidcni subjecto. 1537.
Aquarellzeichnung mit teilweiser {ilnialen-i auf I^inwand. 161 x 161 cm. [Gennan. Mu,«.]
'' Bio Originalholzstöcke der „Bayrischen Ijiiultafcln'", wie die Karte von Phil. Apian auch
genannt wird, befinden sich im Bayrischen Nationalinusenm zu München. Wieder getlnickt sind die
24 Landlafeln in Augsburg 188Ü. Verlag des literarisch. InstiUita von M. Huttier.
422 1^'<' I>!tiicikiivtc iiiul ihr Gi'Uiudi'.
Pelsmassen des Untersberges und des Watzmaunes beweisen. Die Beigljilder der
Karte waren der Niederschlag eingehender Studien, die uns mit ihren landschaft-
hchen Skizzen, wie z. B. von der Kampenwand im S des Chiemsees oder den Tölzer
Bergen, noch erhahen sind.^ Neben dem Hochgebirge und seinem Vorgelände
schenkte Apian den Mittelgebirgs- und Kleinformen, selbst der morphologischen
Gestaltung der Flußufer erhöhte Aufmerksamkeit. So war und bheb er der erste
auf viele Jahrzehnte hinaus (bis ins 18. Jahrhundert), der das gesamte Gelände
eines Landes in den Kreis seiner Beobachtungen zog und ihm im Kartenbild einen
entsprechenden Ausdruck zu verleihen suchte. In Bayern diente die Apiansche Karte
allen folgenden Karten zur Grundlage, bis durch die Gründung des Topographischen
Bureaus in München Bayern an eine neue Aufnahme des Landes heranging. Auch
Sachsen würde im 16. Jahrhundert seine gute Karte gehabt haben, wenn Kurfürst
Joharm Friedrich von Sachsen nicht 1532 eine genaue Aufnahme seines Landes durch
Apian aus kriegstechnischen Gründen abgelehnt hätte.^
Um dem Gelände selbst in seinen Kleinformen gerecht zu werden, mußte ein
Kartenzeichner außer dem mathematischen und geographischem Wissen vor allem
die ausgezeichnete Beobachtungsgabe und unermüdliche Schaffenskraft eines Apians
besitzen. Der Folgezeit fehlten diese Männer. Nur in Spezialkarten begegnen wir
Anklängen an das Apiansche Muster, wie in der Karte Das Landt vnd Frl. Stifft
Berchtolsgaden mit den anstoßenden Grentzen vom Jahre 1628^, wo der kleine
und große Watzmann, der sich von den bewaldeten, abgerundeten Bergen des Königs-
sees abhebt, charakteristisch wiedergegeben ist; das malerische Bild hält zwischen
Karte und Panorama die Mitte. In die Eeihe dieser Karten gehört des Amtmanns
(Mathematikers, Ingenieurs und Glasmalers) Conrad Gyger (Geyger) prächtige und
malerische — nach R. Wolf im Maßstab 1 : 32000 entworfene — Karte des Kantons
Zürich vom Jahre 1667, auf der die Formen der Berge und Hügel, wie überhaupt die
einzelnen charakteristischen Gebirgseinschnitte der Natur gut abgelauscht sind.*
Zu der Naturwahrheit der Gyger sehen Karte hat sich die Karte des Erzherzogtums
Kärnten von Holzwurm aus dem Jahre 1636 nicht emporgeschwungen.^ Die Karte
hat die Größe unsrer Handatlantenkarten, aber mit einer Höhe der einzelnen Berge
(3—4 cm hoch), die kaum noch überboten werden kann. Vielleicht darf man als ein
Analogen zu Apians Karte, obwohl mit neuerer veränderter und verfeinerter Technik,
die 1774 erschienene große Karte Tirols Atlas Tyrolensis von Peter An ich (1723
bis 1766) und Blasius Hüber (1735 — ISl 4) heranziehen, wenigstens kann man auf
1 Vgl. T. 3 zu M. Gasser: Zur Technik der Apiansolien Karte von Bayern. Verli. des XVI. Deut-
schen Geographentages zu Nürnberg 1907.
^ Vgl. S. Rüge: Geschichte der sächsischen Kartographie im XVI. Jahrhundert. Kettl. Z. f.
wiss. Geogr. 1881, S. 91.
ä In der Lichtenstein-Bibliothek zu Wien war mii die Karte zu Gesicht gekommen. Von wem
sie, die einen Maßstab von rund 1 : 70000 hat, entworfen und gezeichnet ist, darüber lierrscht noch
Dunkel. Alle Erklärungen betreffend das „H. F." unter dem Maßstab der Karte sind nicht einwand-
frei. Vgl. auch E. Oberhummer: Die ältesten Karten der Ostalpen. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1907, S. 14.
■■ Eine gute photolithographische Reproduktion haben Hofer und Burger in Zürich hergestellt,
..Hans Konrad Gygers Züricher Kantonskarte 1667." 56 Bl. mit Übersicht und einer in den Farben
vollständigen Faksimilewiedergabe des Blattes 29 „Zürich" 1891.
' AigentUcher Abris, oder Landt Garten des Erzhörzogthumbs Khämdten. 1636 bereits von
J. Holzwurm (b) gefertigt, aber erst nach dem Brand von Klagenfurt. Die Karte wurde 1650 durch
H. S. Otto zu Guriiiz hg. [U.-Bi. Giittingen.]
BcgrilVIiclid Scheidunf; des Gpliiiides. 423
tliT Südliälfte der Karte, die von Hüber gezeichnet ist, bemerken, daß der Zeichner
sich eifrig bemüht, die Berge so naturtreu wie mögHch zu geben. Die Karte vereinigt
in genialer Weise mathematische Projektion und perspektivische Darstellung^; sie
ist von einer staunenswerten Genauigkeit und fand die Anerkennung Napoleons I.
und der bei der Invasion nach Tirol beteiligten Truppen, die sie ,,la carte des pay-
sans'", Bauernkarte, nannten. Das gleiche Bemühen wie bei Anich und Hüber, die
Berge darzustellen, bemerken wir auf der farbenprächtigen Karte von Mähren (1716)
des Johann Christoph Müller (1678 — 1721), des hervorragendsten Kartographen
Österreichs aus der ersten Hälfte des 1 H. Jahrhunderts ; er hatte auch die erste moderne
Karte von Ungarn geschaffen-, desgl. die lange Zeit maßgebende Spezialkarte von
Böhmen 1726; bei all diesen Karten hat eine flüchtige geometrische Aufnahme statt-
gefunden und das Terrain ist ä la vue eingezeichnet. ^
242, Quantitative Differenzierung der Bergformeu. Neben den orographisch
lu'dingten qualitativen Unterschieden geht die ([uantitative Differenzierung, die es
Icdiglicli mit der Hervorhebung bedeutenderer Berge und (lebirgc durch größere
Darstellungsformen zu tun hat, nebenher. Auf der bereits herangezogenen Ptolemäus-
karte der AVestalpen aus der 1478 in Rom gedruckten Ausgabe versuchte der Zeichner
die mächtigere Entfaltung der Gebii-ge in der Gegend des Montblanc anzudeuten.
In dem Supplementum zur Straßburger Ptolemäusausgabe, die 1513 Mart. Wald-
seemüller undMatth. Eingmann versorgten, findet sich die Tabula nova pro-
vinciae Eheni superioris; der Zeichner dieser Karte kamite das Elsaß aus eigener
Anschauung, was man an der Heraushebung des Hügelzuges des Kochersberges und
der Vogesen, die nach S zu an Höhe gewiimen, erkermt. Seb. Münster, G. Mercator
drückten bei aller schematischen Zeichnung der Bergprofile die relative Bedeutung
der Berge und Gebirgsmassen durch verschieden groß gewählte Formen aus.
Die Alpenkarten sind für Beispiele der quantitativen Unterscheidung eine er-
giebige Quelle. Aegidius Tschudi (1505—1572) hob auf der Karte der Schweiz
aus dem Jahre 1538 bzw. 1560 — die erste Ausgabe ist nicht mehr erhalten — die
Walliser Alpen durch große Bergsignaturen hervor; der St. Gotthard wird als größter
Berg der Alpen, .,Summae Alpes", anerkannt. Die Karte Tschudis hat vielen andern
Schweizer Karten zugrunde gelegen; sie erscheint reduziert in A. Ortelius' Theatrum
orbis terrarum", Antwerpen 1570 u. ö., in Seb. Münsters Kosmographie. 1544 u. ö.,
desgl. auf der Schweizer Karte des Ant. Salamanca mit nordwestlicher Orientierung.
Letzterer T'ypus wurde für die italienische Kartographie maßgebeutl (E. Obor-
liummer). Auch .Toh. Stumpf (Schwyzer Chronik 1548) und G. Mercator (Atlas
1,595 n. ().)■' zehrten von Tschvidis Schweizer Karte. Thomas Schöpf unterscheidet
' G. BaiK-alari: Studien über die östetTeichisth-ungarische Militärkartographie. S.A. aus
d. Organ der militär-wissenschaftl. Vereine. Wien 1894, S. 10.
' Vgl. Jos. Paldus: .Johann Christoph Müller. Kin Beitrag zur G<>.>M'hicht<> vaterländischer
Kartographie. Mitt. d. k. k. Kriegsarchivs. Dritte Folge. V. Wien 1907. S. 11, 29. — K. Peucker:
Der österreieliischc Topograph .loh. Chr. Müller (l(i7;i 1721) u. d. vaterliindische Kartogr. Mitt. d.
Geogr. Ges. in Wien 1908, S. 14»ff.
'■' Den Maßstab dieser Karte Iml H. Harll zu I: l:!7.')Ü0 iMinittcIt. Milt. d. k. k. niilitärgoogr,
Instituts. Wien 1884. S. 185.
* Vgl. H. Ferrand: Les cartes alpines del'.Ulas de Meivator. Greuoblo 1905. ^ Ferraud hat
sich eingehender mit der Geschichte der Kartographie der Wcstal^K-n lieschäftigt, unter seinen Publika-
tionen ist die wichtigste: Rssai d'hisloiic de la cartugiuphic alpine |H>ndant les X\'e. X\'lc. XN'lle et
XVIlIc si.VIcs". Bull, ilc la Soc. de Statist, etc. Wp. de llscrc Givuoble 190;!.
424 '^'"' I'andkiirto und ihr GeliindL'.
auf der Karte des Bemer Oberlandes (1577) avhv gut die Steilformeii von den niedrigem
abgerundeten Formen.! Augustin Hirschvogel zeichnet auf der Karte von Ober-
österreich aus dem Jahre 1542 den Traunstein (Braunstein mons altissimus) im Salz-
kammergut unverkennbar deuthch und groß, wesentlich besser als Wolfgang Lazius
(Laz) auf der Karte Österreichs vom Jahre 1562, die wohl mehr Berge bringt, aber
das Charakteristische der Berge nicht erfaßt hat, selbst nicht in der Umgebung von
Wien, die Lazius genauer kennen mußte. Daß er das Formenelement der Berg-
zeichnimg gar nicht beherrschte, bezeugt ferner seine Karte Tirols aus dem Jahre 1561.^
W. Ygl läßt in seiner Holzschnittkarte von Tirol vom Jahre 1604 die Ötztaler
Gletscherregion dominieren, gewiß durch den Eindruck beeinflußt, den der 1600 er-
folgte Ausbruch des Vernagtferners bei den Zeitgenossen hervorgerufen hatte.^ Die
gleiche Karte hebt den Monte Baldo am ,, Gardsee" besonders hervor. Auf Mathias
Burgklehners Karte von Tirol aus dem Jahre 1611 kann ich keine charakteristischen
Bergzeichnungen entdecken und stimme da mit Oberhummer überein, daß man,
entgegengesetzt der Meinung von Ed. Eichter, in den Bergen Burgklehners weniger
Natiu'treue als bei Ygl bemerkt.* Daß Ygls Karte kartographisch höher als die
prunkvolle von Burgklehner steht, erkennt auch Eichter an.^ Im zweiten Band der
Sanson sehen Kartensammlung in der Nationalbibliothek zu Paris befindet sich eine
Karte (Nr. 19) „Partie meridionale des Estats de Savoye" vom Jahre 1690, worauf
die Montblancgruppe gegenüber den niedrigen Bergen und Hügeln des übrigen Landes
durch Formengröße und -reichtum ausgezeichnet ist. Die Karte scheint auf der großen
Karte Savoyens von Tomaso Borgonio (1680) zu beruhen.* Die Borgonionischc
Karte gehört zu den Meisterwerken alter Kartographie, an die betreffs der Gelände-
darstelhmg die spätere Karte der Schweiz von J. J. Scheuchzer 1712 knajjp heran-
reicht. Es wurde üblich, die Schweizer Karten mit ausnahmsweise hohen Bergen aus-
zustatten.'' Dazu hatte die Schweiz selbst reichlich Vorbilder gegeben.
^ Th. Schöpf: Bematum urbis cum — agro et provinciis dolineatio chorogiaphica. Bern 1577,
9 Bl. Maßstab ca. 1 : 120000 (nach R. Wolf).
^ Näheres über Hirsch vogel und Lazius vgl ,, Wolfgang Lazius, Karten der österreichischen
Lande und des Königreichs Ungarn 1545—63", hg. v. E. Oberhummer u. Franz Wieser. Innsbruck 1906.
Mit 20 photolithogr. Tafehi.
^ Warmund Ygls Karte, im Maßstab von ca. 1:250000, ist die erste größere Karte von
Tyrol. [Exemplare davon in der Hofbibl. Wien, im Perdinandeum in Iimsbruck und in der Ü.-Bi.
Göttingen.]
* E. Oberhummer: Die ältesten Karten der Ostalpen. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1907, S. 11.
^ Eduard Richter hat einen guten Neudruck der Karte mit erläuterndem Text herausgegeben:
Mathias Burgklclincrs tirohsche Landtafeln 1608, 1611, 1620. Wien 1902. Richters Ausführangen
werden ergänzt imd teilweise berichtigt durch L. Rangger, s. Oberhummer (Anm. 4). In der Z. d.
D. u. Ö. A.-V. 1917 sind zwei Blätter aus Burgklehners „Tirolischen Landtateln" (Große Holzschnitt-
ausgabe von 1611, Bl. 10 und 11) reproduziert.
• Sie wurde 1672/77 ausgeführt imd erschien in Kupfer gestochen 1680 in Turin; die 15 Blätter
schwanken in dem Maßstab 1: 144000 bis 1: 166000. Abb. u. Lit. b. bei E. Oberhummer. Z. d. D. u.
Ö. A.-V. 1909, S. 15 u. 17.
' Folgende Karten aus der Göttinger Universitätsbibliothek wären hier anzuführen: Eine alte
Karte der Schweiz mit angrenzendem Stück von Tirol; s. auct., a. et 1. Darauf .3—5 cm hohe Berge,
wie auf der Karte „Ducatus CamioUae tabula geographia" von Grienfeld und Kaltschmidt.
Labaci (Laibach) 1744. Die Formen wechseln von flach gezogenen bis zu SteiUormen. — Carta degli
Stati di S. M. il Re di Sardegna contente il Piemonte, la Savoja, &c preaa da la Carta originale del
celebre Borgonio con ninlet aggiunte, e miglioramenti di Andre a Dury 1765. Die Berge er-
scheinen wie vom Luftfahrzeug aus gesehen, besonders auf dem Blatt, worauf die Pässe Grand
Dhs MoigeiidHiniiiiTii neuer Oeläiidertarstellungeii. 425
III. Das Morgendämmern neuer Geländedarstellungen.
24;J. Geläiidciuifnahiuc. Kavalier- und ^og;el|»e^spektive. Ni^ben der mehr oder
minder naturgetreuen Nachlfildung der Berge, die dem Anschauungsbedürfnis ihrer
Zeit vollständig genügte, vollzieht sich eine Neugestaltung der Geländedarstellung,
die von zwei verschiedenen Grujjpen von Kartenzeichnern im IG. bzw. 17. .Tahrhundert
ausgingen und sich im If-!. .Tahrhundert die Hand reichen, um ineinander aufzugehen
und das Fundament zu bilden, auf das sieh eine wissenschaftliche 'J'erraindarstellung
aufbauen konnte.
Der Aufnahme des Geländes durch Triangulierung imd andere Meßmethoden,
die im IG. Jahrhundert von Privaten, Beamten imd Gelehrten ausgeführt wurden,
bemächtigten sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts Offiziere, MiHtäringenieure,
zu denen sich später die Ingenieurgeographen gesellten. Gleichzeitig wurden von
ihnen die Aufnahmeverfahren weiterhin verbessert. Das Befestigimgswesen, das neue
Impulse von Italien, vorzüglich jedoch von Frankreich empfing, verlangte nach gut
vermessenen Plänen und Detailkarten. Der bloße Grundriß ergab noch kein karto-
graphisches Bild, und der Aufriß der üblichen mehr oder minder perspektivischen
Gebirgszeichnung verdeckte zu viele wichtige Teile des Festungsgeländes und dessen
weiterer Umgebung. So kam man auf die Idee, das Festungsgelände von einem er-
höhten Standpunkt aus abzubilden, gesehen vom „Kavalier", einem im Innern der
Festungsbastion den Hauptwall überragendem Werk, von dem aus das Gelände gut
überblickt werden kann. Die Kavalierperspektive (perspective cavahere) oder
Militärperspektive oder Halbperspektive ist eine Art geometrischer Projektion,
eine Parallelprojektion (unter 45"), bei der das Objekt über Eck angesehen wird —
daher das Auge schief über ihm gedacht — und es halb von der Seite, halb von oben
gezeichnet wird. Mit jedem Objekt wechselt der Standpunkt des Beschauers, aber
so, daß jedes die gleiche perspektivische Behandhmg erfährt. Alle Teile des Gegen-
standes werden in gleicher Sehweite dargestellt. ^ Davon unterscheidet sich die
eigentliche Perspektive, die alle Objekte nach ihrer verschiedenen Entfernung
oder nach dem wahren Sehwinkel zeichnet. Wurde der Gesichtspunkt hoch gelegt,
so führte dies zur Vogelperspektive, nach der gleichfalls viele Karten entworfen
wurden. Diese, wie alle eigentlichen perspektivischen Abbildungen rücken in ilirem
Wesen von den eigentlichen Karten ab und schwenken mehr in das Gebiet des Pano-
ramas und Landschaftsgemäldes hinüber, wie es beispielsweise bei dem prachtvoll
ausgeführten, allerdings dem 19. Jahrhundert schon angehörenden Delleskamps
malerischen Eehef des klassischen Bodens der Schweiz, Frankfurt a. M. 183t),
eraijfunden -nird.^ Die Gegend wird nur von einem Standpunkt aus gedacht dar-
8t. Bernard und Petit St, Bernard als kolossale Bergbilder gezeichnet sind. — Ähnlich gewaltig und
ma.ssig ist die perspektivische Bergansichtzeichnung auf einer Karte von Oberitalien, gestochen von
Jacobufl Stagnonus, Turin 1772. — Zu dienen Karten gehört auch die Schweizer Karte in dem
, .Großen Deutschen Atlas" aus dem Reillyschen Landkarten- und KunstwerkeverschleiB-Kontor.
Wien 1795. [k. Bibl. Berlin.]
1 .1. G. Lehmann: Darstellung einer neuen Theorie der Bezeichnung der .schiefen Flächen
im (Inindriß oder der Situationszeichnung der Berge. Leipzig 1799, S. 75.
- .Auf 9 Blattern sind in mühsamer Weise die Gegenden inn und zwischen Züricher u. Vier-
waldstätter Se<- bis Meiringen wHedergegeben, wie man sie, im Luftlmllim darillier hinfahrend, erblicken
würde. Das Werk tiefindct sich in der Bibliothek des Reichsixistftnites in B)>rlii\. Dellesknmp hat
uns auch vom Hhein ein ühnhches Keliefblld hint<]rlasscu.
426 '>''• r>'>u<lk:n-tc und ilir (i. liin.lf.
gestellt. Die Vogelperspektive wurde in iler Hauptsache auf Kartenbildern größern
Maßstabs angewandt, weniger auf kleinmaßstabigen Karten, wo sie zur einfachen
Schabionisierung des Terrains herabsank und sich in nichts von der alten Manier der
Bergzeichnung in Maulwurfs- oder Heuhaufen mit ^•erschiedenen großen Bergformen,
die sich bis ins 19. Jahrhundert hinein für chorographische Karten behauptete, unter-
schied. Bei den kleinen Maßstäben haben sich die Unterschiede von Halbperspektive
und die in Schablonen arbeitende Vogelperspektive ganz verwischt, die aber auch
in der Literatur für Karten großen Maßstabs von namhaften Geographen und Karto-
graphen untereinandergeworfen werden. In den meisten Fällen handelt es sich um
Kavalierperspektivc. wo von Vogelperspektive gesprochen wird.
244. Pläue und Karleu iu Kavalierperspektive. Die Kavalierperspektive wurde
]jei den Darstellungen von Belagerungen und Schlachten, von Festungen und topo-
graphischen Spezialkarten (zur Zeit des 30jährigen Krieges vorzugsweise) angewandt.
Mit ihrer Hilfe gelang es, anstatt der bisher üblichen Gebirgs formen, die trotz aller
Schattierung im Grunde genommen nur Profilschnitte waren, einen größern Teil der
Oberfläche der Erhebungen zu überblicken. Neben Landschaftsmalern brachten es
darm italienische und französische Ingenieuroffiziere zu großer Meisterschaft. Festungs-
und Stadtpläne wurden schon früh m Kavalierperspektive dargestellt, wie der Plan
von Venedig von Jacobo de Barbari aus dem Jahre 1500, der uns in meisterhaftem
Holzschnitt erhalten ist.^ Wahre Kabinettstücke dieser Pläne liefern das 17. und
18. Jahrhundert. Alle größern und bedeutendem Orte sind in dieser Weise dargestellt
worden. Berühmt ist der Daniel v. Hubersche Plan Wiens aus den Jahren 1769
bis 1774. Will man die Straßenzüge in der wahren Gestalt zeigen, wird die Stadt-
ansicht heute noch in Kavaherperspektive dargestellt. Auf Ortsplänen für das große
Publikum beschränkt sie sich zumeist auf die sehenswerten Baudenkmäler, die aus
dem Gnandrißplan hervorragen. Eine Ansicht in Vogelschau vermag nicht die wahre
Gestalt wiederzugeben, dagegen wirkt sie malerischer. All diese Gebilde werden kaum
noch oder überhaupt nicht mehr als Karten angesprochen, so daß man mit Berech-
tigung sagen karm, die Kavalierperspektive und die Vogelschau sind in der neuern
Kartographie ausgestorben; wohl aber haben sie ihre Lebensfähigkeit in der dar-
stellenden Geometrie bewiesen und finden da sogar in neuern Publikationen erhöhtere
Berücksichtigung als in altern.^
Ein erstes Kartenbild (Landschaft und Stadtplan) nach Kavalierperspektive
fand ich in der Privatbibliothek von Artaria u. Cie. in Wien in dem Atlas Venezia
presse Giov. Franc. Camoccio 1571 und 1572 (in 79 Blättern). Das Gelände zeigt
fast durchgängig noch die übhche Bergzeichnung; nur die beiden Kuppen von S. Ni-
cholo und S. Rocho sind wie die Häuser und die Wasserbastion der Stadt Chios
halb von oben gesehen dargestellt. Auf diese Weise wußte sich der Zeichner zu
helfen, die Bedeutung der beiden Berge hervorzuheben und zugleich die Wege voll-
ständig zu geben, die von der Stadt nach den beiden Kapellen hinaufführen, was
ihm bei der sonst üblichen Terraindarstellung, da sie rückwärtiges und tiefer ge-
legenes Gelände verdeckt, nicht möghch gewesen wäre.
1 K. V. Haradauer: Kartographische Seltenheiten aus Wiener Sammlungen. Verh. d. Deutsch.
Geographentages. IX. Wien 1891, S. 289.
2 G. Scheffers: Lehrbuch der darstellenden Geometrie. I. Berlin 1919, S. 135-140, 227.
D;is Morgfudüiiiiiieni iieuiT Geläudcdarstclluiigen. 427
]k-\ vick'ii Festungs- und Stadtplänen in Kavalierperspektive wird die Schraffe
bei seitlicher iieleuchtiuig als Schattenstrich für die Plastik des Terrains in aus-
giebigster Weise angewandt. Selbst beim Schlagschatten fehlt sie nicht, wie z. B. auf
der Ansicht von Salzburg^ des berähmten Kupferstechers Matthias Münster aus
Basel (1593-1651). 2
Umfangreichere (iiliicti' in llall)|i(isiiekti\i' ilarzustellen, gelang nur wenigen
Meistern am Ende des ](!. und 17. .lalirlumderts. iJie kartographischen Glanzleistungen
jener Zeit knüpfen sich in der Hauptsache an den Nürnberger P. Pfinzing, den
Allgäuer Kauch und den Schweizer Gyger. Sämthche drei waren mit den Auf-
nahmemethoden ihrer Zeit vertraut, die sie in dem Gelände ihrer engem Heimat er-
probten. Darum haben ihre Karten von vornherein einen Grad der Genauigkeit,
wie wir ihn bei sonstigen zeitgenössischen Erzeugnissen nicht wiederfinden. P. Pfin-
zing (1554 — 1599) wirkte zur Zeit der Nürnberger Hochrenaissance. Interessante
Zusammenhänge bestehen zwischen den kartographischen Leistungen und den archi-
tektonischen Meisterwerken jener Zeit. Auf Pfinzings Karte des Amtes Hersbruck^
sind die geographischen Objekte in Horizontalprojektion wiedergegeben, aber das
maimigfach bewegte Gelände in einer von Süden gesehenen Halbperspektive, wo-
durch ein plastisches Bild der Geländeformen geschaffen wd, das durch die Schraffe
erhöht wird, die einmal als Böschungs- und Schattenschraffe angewandt wird und
sodann zur Markierung der regelmäßigen Anordnung der Ackerfurchen. Die ersten
Anklänge der Eegional färben finden wir hier, demi hellgrün werden die Tal-
böden, braun die Bodenerhebungen und graulilau die Pelsen gemalt. Durch die ge-
samte geschmackvolle Aufmachimg der Karte und den reichen Inhalt steht die Karte
turmhoch über den meisten andern Spezialkarten ihrer Zeit. Mit dieser Karte er-
reichte die Nürnberger Kartographie im Zeitalter der Spätrenaissance ihren Höhe-
j)unkt, den zu überbieten der Feldmeßkunst und der Kunst des Kupferstichs in Ver-
bindung mit der Fertigkeit im Illuminieren erst ein halbes Jahrhundert später gelang.
Dem Pfinzing ebenbürtig war Joliann Andreas Eauch (nicht Eauh) aus
Wangen im AUgäu mit seiner Landtafel von Wangen, als Kartengemälde 1G17 be-
endet, in Kupferstich 1647 fertiggestellt, und mit seiner Landtafel von Lindau, die nach
dem 1628 fertiggestellten Kartenbild Bauchs gestochen worden ist. Der Maßstab
beider Karten ist nach der Ermittlung E. Hammers ungefähr 1 : 21 000. Obwohl
auf die Karte schon von K. Braun, Eeinwald und Eegelmann hingewiesen worden
ist, hat sie erst Hammer einem größern geographischen Kreis zugänglich gemacht',
und W'. Sensburg hat in neuerer Zeit das Dunkel über Bauch vollständig gelichtet.^
' Das Städtcl.ild lial K. OhciluinuiuT in d. /. d. D. u. O. A.-\\ liHII. S, 41 wicdergcgclu-ii.
- Das SchwcrgOH iiht der Kuiifersticlic in Müusteis „Topogiaplüa Helvftiac 1642 fHlcr
.,'l'opographia Havariac" 1644 liegt wcnicei- in den Karten als in den Stadtansieliten.
' P. Pfinzing (der .\ltere): Das Ampt Hersbnuk samt den darin liegenden .Jimpteni Koieliene<'k.
Engelthal u. Höllenstein. Nürnberg ITiOß. IAO x 142 cm. [Nürnberger Kreisarchiv.] Die Karte be-
steht aus 12 Blättern in ungef. 1 : 16/)00. Sie zeigt bezüglich der Gelftndezeiehnung dieselbe S<hraffen-
inanier, wie sie Pfinzing 1592 bei der Kupforsfichknrto des „Nürnberger Pflegeamtea Lichtenau" an-
gewandt hatte. [70x49 cm. CJerman. .\Iiis.| In drin Tfinzinger-ßuch ist eine kleinere Kupferstich-
kartc der ei-stgcnainitcn Karte eiitlialtiii.
' K. Hammer: Die Karten von Wangen und von Lindau aus der ersten H&lfte des 17.Jalirh.
(Jlol.us Hd. 7:!, 1898. S. 93-98. Mit 2 Abb.
■ Waldcniar Scnsbiirg; Die Kailc des .1. A. Hauch in München nebst Narhn.hfen üIht ihn
und seine andern toponraphiselieii Arlieilcn. Milt. d. liccgi. tJe.s. in München 1918. t^. 127 144.
42b ■>''■ I-anakarto und ihr (iolände.
hol oingehcuder Betrachtung beider Laiidtafeln finde ich, daß das Terrain auf
beiden bis jetzt kaum richtig beurteilt worden ist.^ Meiner Meinung nach zeigen sie
weder Vogelperspektive noch Grundrißdarstellung, sondern beide Karten sind ein-
heitUch nach halbperspektivischem Prinzip durchgearbeitet; denn bei der Grundriß-
darstellung müssen die Schraffen von der Talsohle aus mehr senkrecht und nicht
schräg nach der Höhe streben. Insbesondere zeigen die Köpfe der Hügelzüge auf-
fallend die halbperspektivische Behandlung. Ich glaube auch nicht, daß Eaucli die
Karten selbst nach seinen Originalgemälden gestochen hat, wozu er hii seinen an-
strengenden Vermessimgsarbeiten im Gelände kaum Zeit hatte; wolil al>ei- wurden
sie unter steter Aufsicht seinerseits in Kupfer gearbeitet. Wer die Stecher sind,
wissen wir nicht, die Karte von Wangen hat sichtlich einen andern Stecher wie die
von Lindau gehabt. Der Kupferstecher dieser Karte verfügte über eine feüiere Technik
als der andere, die sich mi Terrain sowohl wie im Baumschlag und Schriftduktus bekundet.
Die Schraffierimg beider Karten hat die Gelehrten schon verschiedentlich inter-
essiert, und man ist erstaunt, wie damals eine derartig schöne Schraffenkarte ge-
schaffen werden konnte. Deshalb ist Rauch von Hammer als ein ,, Großmeister der
topographischen Geländezeichnmig" bezeichnet worden.^ Gut, wollen wir es dabei
bewenden lassen; wenn aber gesagt wird, daß die Darstellung der Bodenformen im
17. Jahrhundert, ja bis Ende des 18. Jahrhunderts nicht übertroffen worden ist, so
ist damit zuviel behauptet. Für die schwäbische Kartographie mag es stimmen,
nicht aber für die außerschwäbische. Denn gegenüber den Karten von Bourcet
(Carte geometrique du Haut-Dauphine), von La Haye (Carte des environs de Eam-
bouillet et Saint-Hubert), von Berthier (Carte des environs de Versailles) u. a. aus
dem 18. Jahrhmidert verblassen die Karten von Rauch vollständig. Das soll aber
nicht seinen Ruhm schmälern; offenbar hat er mit außerordentlich großem Talent
das Gelände von Wangen und Lindau selbst aufgenommen und alsdann in Farbe ver-
anschaulicht. Die Schraffe war ihm weiter nichts als ein Übersetzimgsmittel der
Farbe in den Schwarzdruck des Kupferstiches, sie hatte den malerischen Effekt, den
das Terrain im Original zeigte, wiederzugeben. Mithin hat die Schraffe bei Rauch
nichts Ursprünghches und Bewußtes, sondern war mehr ein Notbehelf, allerdings
künstlerisch und kartogra])hisch mit Verständnis angewandt. Beide Karten Rauchs
stehen für sich als Unika da, die, was sehr bedauerlich ist, auf die Kartograjjhie
ihrer Zeit keinen Einfluß gehabt haben, trotzdem sie in verschiedenen Exemplaren
verbreitet gewesen zu sein scheinen.
Das andere berühmte Kartenwerk mit Halbperspektive ist von Conrad Gyger,
einem Zeitgenossen Rauchs. Gygers Landschaftstafel von Zürich vom Jahre 1620
kommt für uns weniger in Betracht als sein Meisterwerk Karte des Kantons Zürich
1664 bzw. 1667, an der er 38 Jahre gearbeitet haben soll.^ Man lobt an der Karte
> Vgl. J. Roger: Die Geländedareteilung auf Karten. Müik licn 1908, S. 21.
2 E. Hammer in G. J. XVn. Gotha 1894, S. 58.
" Dieses offenbar schönste Werk der altern schweizerischen Kartographie trägt den Titel:
„Einer Lobl. Statt Zürich eigenthümlicli zugehörige Graff- und Herrschaften, Stett, Land und Gebiett,
Sampt deroselben an.stossenden benachbarten 1-a.nden und gemeinen Landvogteien. Mit Bergen und
Talen, Hölzer und Waiden, Wasser, Strassen und Landmarchen. Alles nach geometrischer Anleitung
abgetragen, auf diese Plan gebracht und vollendet A. C'h. 1667 zu Nutz und Ehren diesem seinem
lieben Vaterland durch luitorsehriehenen Hans Conrad Geyger, Burger und Ambtmann im Kappeler-
liof Ix)l)l. Statt Zürich." — Vgl. K. C. Aiiirein: Die Kartograplüe der Schweiz auf der Landesausstel-
lung in Zürich. P. M. 1883, S. 362.
Das Morneiidämmern neuer rjeländi-darstelliingeii. 429
Gygeis dieselbe Genauigkeit der Grenzen, der i-'lußläufe und Distanzen wie au den
Karten von Pfinzing imd von Kauch. Bei Gyger haben wir es jedoch nicht mit einer
Schraffenzeichnvuig, sondern mit einer Terraindarstellimg in Tuschmanier bei südlich
einfallendem Licht zu tun. Daß man auf der Karte die Berge nach ihrer Individuaütät
gut erkennt, habe ich bereits hervorgehoben.^ Das Geländebild Gygers ist künst-
lerisch vollendet und vereinigt Schönheit mit mathematischer Genauigkeit, soweit
es die Hilfsmittel jener Zeit gestatteten. Daß daim und wann Karteubilder an Halb-
perspektive erinnern, wo mehr die Phantasie als die Autopsie den Griffel geführt, ist
für jene Zeiten, am Ausgang des 17. Jahrhimderts, keine seltene Erscheinung.^
245. Offizielle Karten iu Halbperspektive und deren Verklingen. Die ersten
großem öffentlichen Karten mit ausgesprochener Kavalierperspektive verweisen uns
nach Österreich imd Frankreich. Dort waren italienische und französische
Offiziere (Nicolotti, Emanueh, Audibert) vom Prinz Eugen ins Heer übemonamen
worden, die — in den beiden ersten Dezennien des 18. Jalirhunderts — ihren Karten
eine ausgezeichnete halbperspektivische Terraindarstellung gaben.* Ein wenig später
setzen die französischen Karten ein, zunächst La carte generale des Monts Pyrenees
von Eoussel aus dem Jahre 1730, deren Aufnahme 1718 von Roussel und La Blot-
tiere in Angriff genommen wurde. Als topographische Aufnahme, die sie sein wollte,
hat sie wenig Wert. Auch von der Gebirgsdarstellung hält Berthaut nicht viel.* Li
dieser Eichtimg brachte einen bedeutenden Fortschritt La carte geometrique du
Haut-Dauphine von Bourcet, die 1749—1754 aufgenommen und in demselben
Maßstabe wie die Karte von Cassini in 1 : 86400 (1 Linie für 100 Toisen) 1758 ver-
öffentlicht wvu-de. Die Kavalierperspektive existiert noch immer, aber gemildert,
weniger schräg als auf der Karte von Roussel; die Berge selbst werden durch lange
Schraffen auf der Schatten- und kurze auf der Lichtseite, die alle im Sinne des größten
Gefälles verlaufen, herausgearbeitet. Die Einzelbergform ist bei Bourcet verschwunden
imd macht einer kontinuierlichen, harmonisch wirkenden Gebirgsdarstellung Platz.
Hei ihrem Anblick spricht E. v. Sydow von einem ..originellen Kabinetts- und
Meisterstück für die Darstellung des Hochgebirges. Die halb perspektiviscli auf-
gefaßte Terrainzeichnung weiß noch nichts von dem Zwange Lehmannscher Manier,
aber sie versteht es, mit Kraft und Kühnheit die hohen Felsmauern aus der ebenen
l'apierfläche herauszutreiben, mit Klarheit und Bestimmtheit die Täler bis in die
finstersten Schluchten offen zu legen und hei brillant herausgearbeiteter Plastik des
Bildes der detaiUierten Situation und Selirift üluiall Schärfe und Deutlichkeit zu
verstatten". ^
' s. S. 422 u. Airni. 4 auf ders. S.
- Hierher gehört z. B. die Karte von .Ia{>an u. Korea dos Kosmofiraplion von \ono<lij!. Coro-
nelli, worauf die Berge in landschaftlicher Perspektive angegeben sind. Karte ist ca. IßiM) in Wne*!!);
erschienen.
' K. V. Haradauer: Entwicklung der Kartographie von Österreich-Ungarn mit bcsonder»-r
Berücksichtigung offizieller Kartenwerke. Verh. des IX. IX-utsch. Geographentages. Wien 1S91,
S. 269, 275.
* „Jettes Sans ensenible et sans enchainenient, absohuiient fansses et ideales, nui ne rendent
Iias l'aspect du terrain." Berthaut: Ia Carte de Frame. Paris I89S. I. S.S.
' K. V. Sydow: IVr kartograiihisrhe Standpunkt KiimiÄs am Schlüsse des Jahres IS-W.
I'. M. isr.o. S. 229.
430 I^'"' l-andkiirte und ihr Geläiirle.
Zwischen dem Typ der Karte von Bourcet und ilcni von liouasel, insofern diu
Schraffe wie bei Bourcet behandelt wird, die Bergforni mein- wie bei Eoussel, steht
eine Karte, von Laienhänden gefertigt, die heute noch unsere größte Bewunderung
erregt. Es ist die bereits erwähnte Karte Atlas Tyrolensis 1774 von den beiden
Tiroler Bauern Anich und Hüber aufgenommen und gezeichnet; die 20 Blatt um-
fassende Karte hat den Maßstab von 1 : 103 800.^ Die schräge Beleuchtung ist konse-
quenter als bei Bourcet durchgeführt. Unstreitig ist sie eine der schönsten Karten
in perspektivischer Wiedergabe, von der behauptet wird, daß sie „mathematische Pro-
jektion und perspektivische Darstellung in genialer Weise miteinander vereinigt."^ Es
ist erstaunüch, was mit den damaligen Mitteln alles erreicht wurde. Hüber war für die
Terraindarstellung offenbar der Begabtere, was sich auf der herrlichen Handzeichnung
von Südtirol in 9 Blättern (ca. 1 : 102000) aus dem Jahre 1770 erweist.* Übrigens
ist „diese unter allen Tiroler Karten die erste, bei der das Streben obwaltet hat, die
einzelnen Terrainpartien möglichst der Natur nachzubilden."* Anich arbeitete bei
der Geländedarstellung mehr in den althergebrachten Zeichen, während der Hüber-
schen Zeichnung eine herbe, scharfe Charakteristik eigen ist; beide Unterschiede
lassen sich auf der 20. Blattkarte zvdschen Nord- und Südtirol noch erkennen, sind
aber durch die Kupferstecher Mansfeld gemildert und abgeschwächt worden. Wie
die Arbeiten von Anich und Hüber schon seinerzeit geschätzt wurden, zeigt die auf
1:140308 reduzierte Carte du Tyrol, d'apres Anich et Hueber, 6 Bl., Paris 1801.
24tt. Die SchattenschraHe. Von der Talschraffe zum Wasserscheidegebirge. Der
Schattenstrich, die Schraffe, spielt bei den Karten in Halbperspektive die wich-
tigste Rolle. Er ist der Bergzeichnung in Aufrißform entlehnt worden, wo er nicht
von gleicher Wichtigkeit ist, denn der Vertikalschnitt ist auch ohne Schraffe, die
hier mehr eine schmückende Begleiterscheinung als ein Wesensteil ist, verständlich.
Unabhängig davon hat sich auf Karten eine andere Schraffenart entwickelt. Auf
S. 368 sprach ich von der eigenartigen Schraffierung der Flußuferlinien. Das Un-
praktische und Unschöne der Plußuferschraffur mochte man beizeiten empfunden
haben, hat sie ja auch nicht viel Nachahmung gefunden; man löste die Schraffur von
der Uferlinie los imd setzte sie in gewisser Entfernung zum Flußlauf. Es entstehen
infolgedessen allerhand langgestreckte Talformen. Die ,,Flußuferschraffur" wird zur
„Talschraffur". Auf Höhen, die den Fluß begleiten, wird keine Rücksicht genommen.
Das ist das Eigentümhche dieser und bis jetzt, soweit ich die Literatur überbhcke,
noch nicht gewürdigten Eigentümlichkeit der Talschraffur. Sie wurde auch nicht
anders empfunden und geü))t, werden doch Berge direkt in sie hinein gezeichnet, wie
' Vgl. „Tyrolis sub felici regimine Maiiac Theiesiae Rom. Iinpoi-. Aug." Chorograjilüce Delineata
a Petro Anich et Blasio Hueber Colonis. . . aeri incisa v. J. E. Mansfeld, Wien 1774. [U.-Bi. Gott.]
^ J. Roger: Die Geländedartsellung auf Karten. Eine entwicklungsgeschichtliche Studie.
München 190S. S. 21.— Vgl. auch die Wiedergabe der Ötztaler Alpen nach Peter Anich 1774 in E. Ober-
hummers Abhandlung „Die Entstehung der Alpenkartcn" in Z. d. D. u. Ü. A.-V. 1901, S. 42.
^ Von den 9 Blättern ist cinBlatt verloren gegangen, die übrigen 8 befinden sich im k. k. Statt-
haltereiarchiv zu Innsbruck.
* Heinr. Hartl: Die Aufnahme von Tirol durch Peter Anich und Blasius Hueber, mit einem
Anhang: Beiträge zur Kartographie von Tirol. Mitt. d. k. k. militärgeogr. Instituts. Wien 1885, S. 137.
— Hartl bringt auf Beilage 10 eine photolithographische Reproduktion eines Stückes der Hueberschen
Zeichnung; die darüber gelegte Oleate zeigt denselben Terrainabschnitt aus der Spezialkalte der öster-
reichisch-ungarischen Monarchie in dem Maßstab der Zeichnung verkleinert.
Das Morgonrtiiiniiiprn npuer fTi'liinili-fliirsti'lhiiigin. 431
.die Karte Alsatia supcrior cf inferior, IIJ lalmlis (Kiiucata per Jac(|ucs Miehal,
1730 von M. Seutter in Augsburg (Maßstab etwa 1 : 120000) zeigt. ^
Kuckten bei parallel \erlaufenden Flüssen die Talscliraffenreihen weit von den
Flußläufen ab, mußten sich die beiden Eeihen schließlich begegnen. Damit entstand
ein neues Moment in der Geländedarstellung. Man sah mit einem Male, daß sich
zwischen den Flüssen langgestreckte Erhebungen dahinzogen, die Gewässer vonein-
ander trennten, auf denen die Wasserscheide verlaufen mußte. So hatte die Tal-
schraffur mit innerm Zwang zu der Annahme von Wasserscheidegebirgen geführt,
die in der Kartographie wie in der physikahschen Erdkimde des 18. bis Anfang des
19. Jahrhimderts eine Hauptrolle spielen.^ Man zeichnete die Talschraffen länger,
ließ sie nach beiden Seiten den Flüssen zu abfallen und verzichtete innerhalb des
Kartenbildes schUeßlich ganz und gar auf die Wiedergabe einzelner Berge. Diese
konnte man missen, gaben doch für damahge Zeiten die Wasserscheidegebirge schon
einen Anhalt, sich ein Bild von der landschaftlichen und orographischen Ausstattung
einer Gegend zu machen. Man war der morphologischen Erkenntnis des Erdfesten,
wemi nicht frei von großen Irrtümern, so doch ein^n Schritt näher gekommen. Der
große Interpret der neuen Theorie wurde Philipp Buache, dessen Carte phy-
sique de la terre aus dem Jahre 1752 (bzw. 1757) von ungemein großem Einfluß
auf seine Zeit w^urde. Nach richtiger Schlußfolge setzte Buache die Gebirge auf dem
Boden der Ozeane fort. „Ces mers sont naturellement partagees par les chaines
marines, qui continuent sous les eaux, et dont les isles sont les sonunets", heißt es
auf der Karte selbst.'
Eine weitere Folge der Theorie war, daß die Berge, von denen nach verschiedenen
Himmelsrichtungen Gewässer entströmten, für- die höchsten Erhebungen der Länder
und Kontinente gehalten und angesprochen wurden; der St. Gotthard galt als
höchster Berg Europas bis ins 18. Jahrhundert hinein, den Ruhm, ,,Siimmae Alpes"
zu sein (s. S. 423), trat er an den Tiths ab und bald darauf an den Montlilanc. Li
gleicher Weise galt das Fichtelgebirge für Deutschland als höchster Berg, für das
mittlere und nördliche Rußland die Waldaihöhe.
Man geht kaum fehl, wenn man die Wasserscheidegebirge als das Ergelmis ge-
li-hrter Abstraktionen, die vielleicht Karten zur Grmidlage hatten, auffaßt; an ihnen
konnten, ohne darauf Rücksicht genommen zu haben, die offiziellen Kartenwerke
nicht vorbeigehen. So war denn auch die erste große topographische Karte des
18. Jahrhunderts, die von Cassini de Thury, die an dem Wendepunkt einer neuen
l'jpoche der Kartographie steht, \ollständig von der Wasserscheidentheorie in der
• Kill Exemplar (i< r Karte befindet sieh z. U. i. d. Bi. d. Soci6t^ t^ograpliique in Paris.
^ V^gl. Friedrieh Schultz: Über den allgemeinen Zusammenhang der Höhen. Weimar 1803.
•■' Die Karten von Buache, vereint mit denen von de l'Islo, werden in Paris hei Dezauche 1761
(am 1. Aug.) heraUHgegeben in der „Geographie physique, politiquo et math^matique de» Etats et
Hoyaumes de l'Eurojx-.'- [Br. M. London.] - .V\if Buache fußte L. Denis . in de-sen „Kxpliealion de la
Mappemonde", Paris 17(i4, die Meergebirge und die durch sie abgetrennten Beeken eingehender er-
örtert werden. In krasser Weise hat er die B\wcliesche Theorie der Wasserseheidegebirge zum
.Vusdruck gebracht auf der „C'arte-Physiquo fie la France oii l'on voit la division nafun'lle de ee
lloyaume en plusieurs bassins formes par les chains de montagne.s dont le« princijMles inclinent les
terres vers les mcre et les autres, renferment les bassins occup6s par les flou%'es." Paris 1780.
Darauf sind die trennenden Gebirgsketten bis auf die Zwischenr&iune der Xebenflil.sse jvinlichst
ausgeführt. | Br. AI.] - Weiterhin fußt auf Buache der ,.\tlfts clementnire de gi^ographie phvsiqiie
.t |..,lilif|,„.. aiirirnnr r\ nuMlrrnc ■ vn„ K. Montelle et (!. I'. Chanlaire. Paris 1798. | Br. 'm.|
432 !)>'■ Landkart.^ und ilir Gelände.
lioläiidedarstellung beeinflußt. Wenn sie von ihr nicht in Eessehi geschlagen worden
wäre, würde vielleicht das Hügel- und Mittelgebirgsland, das einen sehr manierierten
Eindruck macht, besser verbildlicht worden sein. Einen Vorzug hatte die Darstellung
der unnatürUchen Breite der Talsohlen, daß die Situation klar bis ins engste Hoch-
gebirgstal hineingezeichnet werden konnte und Raum für mancherlei Eintragungen
verblieb. 1 Die Talschraffe wurde in itlinlicher AVeise wie in Frankreich auch in Eng-
land angewandt. 2
247. Die Gcläudeschraffe. Die erste Schraffeukarte. Da die Talschraffe ihr ur-
sprüngUches Wesen als Elußuferschraffe eingebüßt hatte, ergab sich mähUch von
selbst, sie als Geländeschraffe und -ausfüllsel zwischen den Flüssen zu benutzen.
Eine, zwei und mehr Schraffenreihen wurden hintereinander gelagert. Die
Schraffenkarte war geboren. Noch kaimte man kaum die schräge Beleuchtung
der Talschraffen, und so ergab es sich wie von selbst, daß die ersten Schraffenkarten,
die diesen Namen verdienen, mit wenigen Ausnahmen in senkrechter Beleuchtung,
besser gesagt: in gar keiner Beleuchtung oder mit ganz schwach angedeuteter links-
seitiger Beleuchtung gezeichnet sind. Die Scbraffen wurden reihenweise sauber
hintereinander gelegt, wie auf der Carte des Royaumes de Portugal et d' Algarve
(1770) von G. A. Rizzi-Zannoni.^ Das Vollkommenste hat er jedoch in der links-
seitig beleuchteten Schwungschraffe geleistet, wie es die Carta del littorale di NapoU
(Neapel 1794) bezeugt, die den Vesuv und die Kraterwand des Mte. di Somma so
wirkungsvoll plastisch herausgearbeitet hat, wie es modernen Karten kaum gelingt.
Die Talschraffe, wie sie Rizzi-Zannoni anwandte, geht jedoch weiter zurück,
werm sie auch nur vereinzelt gebraucht wurde, wie auf einer Karte vom Jahre 1730,
wo die Scbraffen ganz gut schon der Richtung des stärksten Gefälles folgen.* Die
primitivste Form der Talschraffe lediglich in wagerechter Lage verwandt, findet sich
auf einer Karte von P. Coronelli aus dem 17. Jahrhundert.^
Das 18. Jahrhundert ist reich an Beispielen der Art, wie Rizzi-Zannoni das
Gelände zeichnete, wenn auch größtenteils dessen zarte Ausführung nicht gelange
Die Schraffe war ausdruckslos, sie wirkte nur durch ihre Anhäufung und Anordnung.
Daß man ihr trotzdem Nachdruck zu verleihen wußte, um eine Plastik der (ielände-
formen zu erzielen, beweist die Schraffenkarte Provinzia Briscoia, die hei Ho-
mann in Nürnberg 1718 herauskam. Aus der Gradeinteilung der Karte hat J. Werner
einen Maßstab 1 : 244000 berechnet^; der ist offenbar zu klein, die Karte hat einen
mittlem Maßstab von etwa 1 : 200 000. Die Karte galt lange Zeit als die
' Man vgl. nur die unnatürlichen Talfonnen, die Talbecken und -tröge in dem Pelvouxmassiv-
ausschnitt der Karte in Berthauts tiistorischer Untersuchung über „La Carte de France 1760—1898".
Paris 1898. 1.
^ Vgl. Smith's New Map of the Inland Navigation o{ England and Wales. London, .30. Nov.
1801. [Br. M. London.]
" Ich fand diese Karte in der Society G6ographique in Paris als Nr. 14 in einem Atlas moderne
QU collection de cartes sur toutes les parties du globe terrestre par plusieurs auteurs. Paris 1760- 1772 ( ?).
Autoren sind: Boime, Denis, Janvier, Rizzi-Zannoni.
■* Carte particuliere du projet du canal de jonction des rivieres de Somme et d'Oise. Nov. 1730.
Grav6e par F. Baillieul. [Br. M. London.]
' Corso geografico del P. Coronelli. Venedig 1893. [Br. M. London.] In diesem Kartenwerke
kommt besonders in Betracht die Karte „Parte oocidentale delli Contomi di Parigi".
* Johannes Werner: Die Entwicklung der Kartographie Südbadens im 10. u. 17. Jahrli.
Abhdlfrn. ■/,. bad. l^nde.sk. Heft 1. Karlsruhe 1913, S. .58.
Dan Morf^riidiliiunri-ii iiciii-r (icliiiiJcil:irMtrlliiiigcii. 43'i
Schraffenkarte, bis dio Jickuimtgahc der Rauchscheii Karten von \\ angcii iukI J^indau
sie als Erst karte zu entwerten versuchte. Bei eingehendem Vergleiche dieser Karten
untereinander und mit andern gleichzeitigen muß ich feststellen, daß die Karte Pro-
vinzia Briscoia noch immer die erste Scliraffenkarte ist, wo die Schraffe be-
wvißt ein Darstellungsmittel des Geländes ist.^ Die Schraffe ist das Gelände, ist kein
Übersetzungsraittel eines farbigen Geländegemäldes. Zugleich ist die Karte die erste
Schraffenkarte, auf der das Gelände durchgängig, also einheitlich im Grundriß
wiedergegeben ist; der vom Gebirge eingenommene Raum entspricht genau den
natürlichen Verhältnissen.^
Die Halbperspektive hatte den Gesichtspunkt höher und höher gelegt, bis er
zuletzt senkrecht über dem Bild stand, die linksseitige Beleuchtung ist geblieben.
Dies ist das einzige, was die Breisgaukarte aus der Kavalierperspektive herüber-
gerettet hat. Wie H. Zondervan bei ihr eine „schräge Vogelschau" voraussetzen
kann^, bleilit mir unverständlich. Mit außerordentlichem Geschick sind Tälchen,
Schluchten und andere orographischen Kleinformen behandelt. Die Schraffen ver-
laufen in der Richtung des größten Gefälles. Wo die Schraffen nach dem Talboden,
der Ebene zu auseinanderstreben, vermeidet der Zeichner allzu weite Entfernungen
der Schraffen und schiebt kleine, kaum erkennbare Querschraffen ein, auch sonst
bedient er sich neben der geraden der fein gewundenen Schraffenlinie und läßt die
Schraffen sich nach den Talböden zu vielfach in Punkte verlieren. Füi' die Heraus-
arbeitung des Geländes bedient er sich nicht der bei den damaligen Kartenzeichnern
so sehr beliebten Schwungstriche, sondern legt von der Höhe nach der Tiefe oder
umgekehrt verschiedene Schraffenreihen hintereinander (also ganz Lehmannsches
Prinzip!). Von oben angefangen wurde erst eine kurze, feine Schraffenreilie angewandt,
um von der Höhe oder der breiten Kuppenoberfläche an zum Gefälle überzuleiten;
dann folgt eine kräftiger gezeichnete, mit engen^Schraffenzwischenräumen versehene
Reihe, um das größte Gefälle und den tiefsten Schatten zu markieren; daran schheßen
sich noch ein oder zwei leichter gezeichnete Schraffenreihen, in denen das Gefälle
zur Ebene ausklingt. Mithin finden wir auf dieser Karte bereits die Ansätze zu eioer
Böschungsschraffierung. Wie geschickt die Schraffenarten verwendet sind, be-
zeugt der ruhige und vornehme Gesamteindruck der Karte. Darin, daß sie etwas
manieriert fiu- unser heutiges Auge erscheint, erwächst ihr kein Vorwurf: steht sie
(loch selbst in dieser Bezeichnung turmhoch über modernenKarten, die uns verschiedene
Reisendi' aus ihrem Forschungsgebiet mitgebracht, bzw. später konstruiert haben.
Die Terraindarstellung der Karte Provincia Briscoia ist eine bedeutende Leistung
für ihre Zeit, und dem Kartographen, der sie, wie wir wissen, nach eigenen V(>r-
messungen und .\ufnahmen hergestellt hat, den wir jedoch mit Namen nicht kennen,
es war ein kaiserücher Ingenieur zu Ereiburg im Breisgau, gebührt nielu- als einem
andern die AuszeiclHiung eines „(Jroßnieisters der (ieländedarslellung".
24S. Hckannlc inid inilM'kaniiti> Scliriillciikarl h's IS. .lalnlnm(l(Tl>. Als
„epochemachend iiir dir Geschiclile der kartographisebeii 1 ),usteihmg- wird von
Iv. V. llaradauii- dir auf Hefehl des Prinzen l'iUgen ausgefülu-(e ä la vue-.Vufnahme
dos Temeser Banal r-- ans drin .lahrrlT'iH (1 : •2(;-2 000) gepriesen, weil sie „zum ersten-
I'cMch..l-Kiin,-: (!,..s,l,i,ht.- .1.1 KnlkiMKlo. L». Aufl. .Müiuli.Mi ISTT. S. Tdl. Ann.. 1.
J. Werner, h. ii. ().. «..'>!).
K. Zondervan: Allgomeiiir KailriikiiMil. . l/cipzi^' l'.tOI, S. ."il.
trt, KiirtPiiwtMCDHCliaft. I. >ti
434 "i'' l.Mii'lUiirt.i 1111(1 ihr Gflliiiar.
mal das Terrain in Grundrißmanier nach Hauptrücken, unter Annahme schiefer
Beleuchtung" darstelle.^ Daß dies nicht der erste Fall ist, wissen wir jetzt. Das
Terrain ist auch nicht in Schraffen ausgeführt, wohl aher auf dem 1744 erschienenen
Hackcnbergerschen Plane des Schlosses Schröckenstein, der gleichfalls in Grundriß-
manier aufgenommen ist.
Alles Manierierte und Massige, was <ler Honiaiinsclii'ii Karlr dis lircisgans noch
anhaftet, verschwindet in diskreter Weise auf euier Karte, d\o 40 .lahre sjiäter er-
schienen ist. Die Carte geographique et mineralogique de la route de Brest h Paris
(^t de Paris ä Tobolsk en Siberie, divisee en 9 feuilles par M. l'Abbe Chappe d'Aute-
rocho (Paris 1768) ist eine der besten Sehraffenkarton mit linksseitiger Be-
leuchtung, die das 18. Jahrhundert hervorgebracht hat. Sie war der Niederschlag
der Keise, die der Abbe Jean Chappe d'Auteroche, ein berühmter französischer
Astronom, im Auftrag der Akademie der Wissenschaften, deren Mitglied er war,
nach Tobolsk unternommen hatte, um den Venusdurchgang vom 5. Juni 1761 zu
lieobachten. Manche Blätter der Karte, wie beispielsweise Nr. VIII (I. Band), worauf
die Kama als Grenzfluß zwischen Europa und Asien bezeichnet wird, zeigt den Ural
in Schraffen so plastisch herausgearbeitet, daß er sich dem Papier zu entheben scheint.
Die Karte ist eine elegante, erstklassige Musterleistung damaUger Kartographie, der
etwas Gleichwertiges jener Periode nur schwer an die Seite zu stellen ist.^
Noch eines merkwürdigen Vorkommens von Sclirat'fenkarten aus den acht-
ziger Jahren des 18. Jahrhunderts sei gedaclit. In dem 49 Kartenseiten umfassenden
Atlas, den der Ingenieurhydrograph der Marine, Bonne, herausgab, bringt
Karte 38 Insel Jamaika in ca. 1 : 700000 und Karte 49 einzelne Antillen. Während
alle andern Kartenblätter das Gelände in der für Karten kleinem Maßstabes üblichen
Maulwurfshügelmanier zeigen, sehen wir auf beiden genannten Karten das Terrain
im Grundriß und durch zart gewellte, linksseitig beleuchtete Schraffen plastisch dar-
gestellt. Die Karten fallen ganz aus dem Kahmen des Atlas. Vielleicht haben diesen
Karten etwas ältere liereits in Scbraffenmanier ausgeführte Seekarten zugrunde
gelegen.^
249. Abirrungen der Schrall'cnzeichnung. Klares Gelände darzustellen, wie es
die Karte von Chappe d'Auteroche oder die Breisgaukarte oder die Karte von Eizzi-
Zannoni zeigen, gelang nicht jedem Kartenzeichner. Man griff immer wieder auf die
alte Methode der Talschraffen zurück und begnügte sich schon n)it ihrem ausgiebigen
Gebrauch füi' jedes Tal und Tälchen. Das Terrain wurde in einfacher Schraffen-
zeichnung dargestilK . die man Tannenzweigmanier nennen kann. Etwas Ab-
wechslung wurde tlaiiii erzielt, wenn die Schraffen, die die Schattenseite des Höhen-
zuges anzugeben hatten, kräftiger hervorgeholien wurden. Ein typisches Beispiel
dafür ist S. Schropps Weltkarte (Berlin 1801). Die Tannenzweigmanier findet sich
noch weit ins 19. Jahrhundert hinein.*
1 K. V. HaradauL-r, a. a. O., S. 270.
* Ein schönes Exemplar dieser Karte befindet sich im Britischen Museum.
' Bonne: Atlas de toutes les parties connues du globo terrestre, drpss6 pour Tonvragc de
Raynai: hisl., philos. et poht. des Etablissements et du commerce des Eurnpi^fns dans les dcux fndcs,
Analyse de 24 p. et 49 cartes grav6es par Dieu. Paris (1785).
* ■/.. B. auf einer Weltkarte des Weimarer Geogr. Instituts: Verglcicliiiulc (■bcrsiclit üln-i di(
Berge der Erde. Weimar 1824.
l)a^ Morgoiidämuieni niiiiT Ufl.'indetlHrsti-lliuifjiii. 435
Wurdon bei der Tannonzweigmanier die Schraffen länger ausgezogen, be-
zeichnet man sie als Raupenmanier (wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit den
Bärenspinnerraupen). Auf den uns bereits bekannten Karten mit Wasserscheide-
gebirgen tritt das Gebirge vielfach in Eaupenmanier auf; vielleicht ist es richtiger
zu sagen, daß die Darstellung der Wasserscheidegebirge der Eaupen- und Fuchs-
schwanzmanier direkt Vorschub geleistet hat. Die Schraffen wurden im Sinne
des größten Gefälles als gerade oder sich schlängelnde gezeichnet.^ Fiu' flüchtige
Skizzen gebraucht man noch heute die Eaupenmanier, da sie bequem zu handhaben
ist und ein 'J'errainl)ild schnell entstehen läßt. In gedruckten Kartenwerken war sie
von der Mitte des 18. Jahrhmiderts an länger als 100 Jahre im Gebrauch.^
Um gi'ößere Bildwirkung zu erzielen, wurden auf der Schattenseite des Teirains
die Schraffen teils mit stärkerm Druck*, teils in verschiedenen Lagen übereinander
(gekreuzt)* gezeichnet, in dem gleichen Sinne, wie wir es auf der Eauchschen Karte
von Lindau sehen. Die Methode der sich kreuzenden Schraffen %vurde selbst
noch von Lehmann angewandt und verlor sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhmiderts.
In schulmethodischer Beziehung wui-de sie später von Matzat wieder hervorgeholt,
der durch die verschieden dichte Kreuzschraffur niedrigere und höhere Gebirge auf
SchuUiandskizzen darstellte. Ferner verwandte man auf der Schattenseite gern große
Schraffenstriche, die, von der Höhe kommend, in elegantem Bogen oder Schwünge
in der Ebene auslaufen. Diese Schwungstriche scheinen zuerst am ausgiebigsten
von Merian für das Gelände auf seinen halbperspektivischen Stadt Inldern (Prospekten)
gebraucht zu sein.
•l'ti). Die crslt'ii Ankläiii;e wisseuschattlirher Behandlung: der G(>läiidpdarstellun£;
in Si'hrall'i'u und iu Tusi-iimanier. Als man im 18. Jahrhundert bei den Stadt-.
Festungs- und Umgebungsplänen wie auch Karten den Gesichtspunkt senkrecht
über die Bildfläche gerückt hatte, komiten alle Objekte im Grundriß dargestellt
werden. Das Pi-inzip der Kavalierperspektive, für jedes Olijekt gleichweit ent-
' Verecliiodene Karten des Verlags von Sim. Schiopp sind als solche mit Fuchsschwanz-
nianier anziispreehen, wie die „Oro-hydrogi-apliische Karte von Deutschland". Berlin 1823. — Aui
Karten, deren Hauptzweck ein anderer war, als das orographische Bild des Landes zu bieten, würfle
die leicht zu handhabende Raupen- und Puchsschwanzraanier gebraucht, lun das Gelände nur gan».
allgemein anzudeuten, z. B. auf der „Postkarte von Deutschland", v(m Christoph Ferabo, Nürnberg
1817. [k. Bibl. Berlin.]
- Berger: Cartes de,s differentes Operations faites pour determiner la figure de la terif. Berlin,
18. .Tahrh. Die mittlere der Kupferstichkarten ist recht anschaulich, [k. Bi. Dresden.]
' Belege dazu finden sich in jeder griißeni altern uiui öffentlichen Bibliothek. In der Uni-
versitiitabibliothek zu tWttingen gehören hierher: „Map of Hampshire, including the Isle of Wight.
Tsaac Taylor, 17.59. „Carte de la Moldavie", hg. von F, G. de Bawr, s. a.. lun 1780. „Karte vom
Deutachland in XVI Blatt nach des H. O. C. Biisching Eixlbcscjuribung und den l>esten Hilfsmitteln
entworfen" von D. F. Sotzmann. BerUn 1781).
* Carte topographique des villes de l^ondres et de VVestminster. du Hourg de Soiithwark, et
de leurs environs !ev6 tres exactement sur les lieu.v par loan Hocipie en 1741, et finis 174."). Piiblie
en 1746, Selon une acte de pnrloment. .-anderer Titel: An oxaet survey of the i ity's of litmdon West-
niin.ster y ßorougli of Southwark and the country near ten miles round begun in 1741 and endiil in
174") by John Koc(|ue land surwyor and engrau'd by Richard Purr. [U.-B'. liött.] — Vgl. auch die
kräftige und gut wirkende Kreuz-scliraffm- auf „Corte g6n(Srale d\i tli6ntre de la guerre en Italie et
dans les alpes" V. Bader Dalbe. An.«"'" IWpublioain (1708). (I'.-Bi. Götl.] Ohne jegliche Reg.>l-
miißigkeit gekreiizte Schraffen finden siih auf den Setkaricn von ,1. l>alrympli>. I/milon I7s:t.
[H. 11. St.-Bi, Mihichen.]
436 l>i'' l.iiiulküile u.mI ilii r.cliindc.
lernten Gesichtspunkt einzunehmen, war gebhelun. Auf die einseitige Beleuchtung
konnte man unter Umständen verzichten, da man erkannte, daß in der verschiedenen
Anwendung der Schraffenstärke bereits eine plastische Kraft stecke, die eine be-
sondere Schattentönung als überflüssig erscheinen läßt. Diese wichtige Erkenntnis,
die zu einer neuen Art von Terraindarstellungen führte, dokumentiert sich zum
erstenmal in den beiden herrlichen, bereits mehrfach zitierten französischen Karten
]ja Carte georaetrique des environs de Rambouillet et Saint-Hubert und La carte
topogi'aphiquc des environs de Versailles. Erstere wurde, wie wir wissen, von Ingenieur-
geographen aufgenommen und durch Wilhelm de la Haye 1764 in 1 : 43200 in Kupfer
gestochen. Das Terrain ist bis in seine Einzelheiten richtig erfaßt und dargestellt,
durch lange Schraffen (Schwungstriche), die an den steilsten Böschungen am kräf-
tigsten gezeichnet sind. Die senkrechte Beleuchtung ist konseciuent durchgeführt
wie bisher noch bei keiner andern französischen Karte. Die Ausführung des Lage-
planes erinnert an unsere gegenwärtigen guten toiKignipliisclien Karten; dadurch
hatte Frankreich eine anerkarmte Musterkarte, die al)ei lie/ii^liih des Terrains schon
wenige Jahre darauf durch die Versailler Karte, genauut „Carte des chasses du
roi", im Maßstab 1 : 28800, übertroffen wurde. Sie wurde in den Jahren 1764 bis
1773 aufgenommen und ist hauptsächlich das Werk des Obersten Bert hier. Die
Karte ist nicht bloß ein Meisterwerk der französischen, sondern der gesamten Karto-
graphie des 18. Jahrhunderts. Von ihr urteilt Berthaut: „C'est un veritable chef-
d'oeuvre de gravure, qui n'a jamais ete depasse depuis. . . . Le terrain, bien etudie,
est en hachures tres fines, formant des teintes en lumiere zenithale, graduees d'apr(S
les pentes, et se mariant tres heureusement avec les pointilles des cultures, qui donnent
ä l'ensemble un fond gris, sur lequel les routes se detachent en blanc."^
Die senkrechte Beleuchtung hatte auch die bekannteste französische Karte
des 18. Jahrhunderts La carte geometrique de la France von Cassini. Die Karte
wird uns noch einigemal beschäftigen. Nicht ganz so geschickt wie auf den vor-
erwähnten französischen Karten wurde die Schraffe ])ei der Cassinischen Karte an-
gewandt. Bei genauerm Hinsehen finden sich in der Schraffenzeichnung (infolge
der Jahre währenden Veröffentlichung) mancherlei Unterschiede; auf einigen Blättern
ist eine einfache Schraffe verwendet, auf andern Blättern löst sie sich mit feinen,
kaum erkennbaren Punktreihen ab, auf den Blättern, die das Pelvouxmassiv zum
Vorwurf haben und zum erstenmal moderne Felszeichnung aufweisen, sind die Schraffen
nur in feinen W^ellenlinien gezogen. Überall aber verflüchtigt sich die Schraffe nach
dem Talboden zu in Pvmkte und wird entsprechend dem Böschungswinkel dicker
oder dünner gezeichnet. Cassini de Thury empfahl in seinen ,, Instructions pour les
ingenieurs" denjenigen Topographen, die wenig Geschick hatten, gleich bei der Auf-
nahme das Gelände richtig in Strichen darzustellen, mit den Buchstaben F und D.
„qui designaient les ])entes fortes et douces", die Böschungsverhältnisse auseinander-
zuhalten. Roger macht darauf aufmerksam^, daß zur selben Zeit (1750) auch dem
österreichischen Ingenieurkorps zur Pfhcht gemacht wurde, die Böschungen in Tusche
laviert und dann in feinen gekreuzten Schwungstrichen darzustellen. Für Manuskript-
karten war es eine lieliebte Methode, bei senkrechter Beleuchtung die Böschungs-
» Berthaut: La carte de France 1750-1898. Paris 1898. I. S. i:57. - s. aucli oben S. 429.
^ J. Roger: ßie GeländedarstcUung, a. a. O.. ,S. 26, sich stützend auf Roskicvicz: Zur (Jc-
s(hi<:htf der Kartographie in Österreich. Mitl. d. (Icogr. Ges. Wien 187."!, 8.2.51, Anni.
Das MorgeudäiniiiPrii neuer Geiiindedarstellnngen. -137
Winkel und lu-i sehräj,'tr Beleuchtung die Schattenseite des Terrains durch lavierende
'l'uschtüue zum Ausdruck zu l)ringen und die steilsten Böschungen oder kräftigsten
Schatten durch eine darüber gelegte Scliraffur zu verstärken. Da diese Zeichnung
zu leicht in Effekthascherei ausartete und Unwahrheiten entgegentrieb, wurde vor
ihr ge warnt. 1 Daß die Österreicher bei Cassini vmd der französischen Schule gelernt
hatten, dafür zeugen viele Karten, die von österreichischen Offizieren auf dem rheini-
schen Kriegsschauplatz aufgenommen und gezeichnet worden waren. So erscheinen
auf der „Special Carte der Länder zwischen dem Rhein, der Mosel, Nahe und Saar
bis an das Yogesische Gebirge, Hunsruck und Westrich"^ die Schraffen in laugen,
strahligen Strichen; die Abfälle nach den Flüssen sind besonders gut herausgearbeitet.
Wirkungsvoll ist die Schraffenkarte , .Kriegs Theater der teutschen und franzoe-
sischen Ciraenzlanden z\vischen dem Khein und der Mosel"^; die Schraffen, die leicht
geschlängelt sind, verlieren sich nach oben zu in Punkte, wodurch eine gewisse Modu-
lation erzeugt wird.
251. Die Erfindung der Schichtlinie. Im IS. .liihrlmudert wurzelt das epoche-
machende Verfahren einer andern Darstellung, nämhch der in Schichtlinien, üit
den bisherigen Geländebildern hat sie nichts Gemeinsames und entwickelt sieh nur
kümmerhch neben der neuern Schraffenkarte im 18. .Tahrliundert, erhält aber mit
dieser fast gleichzeitig die wissenschaftliche Begründung.
Die SchichtUnienzeichnung mußte da erfunden werden, wo man zuerst den
Höhen- oder besser den Tiefenverhältnissen erhöhte Aufmerksamkeit schenkte. Das
war an der Wasserkante der Fall imd vorzugsweise dort, wo schiffbare Flüsse mündeten
und sich wichtige Umschlagplätze des Handels und Verkehrs gebildet hatten. Das
Strombild muß an jenen -wichtigen Stellen klar und sicher sein. Der Schiffverkehr
verlangt dies. Für die verschieden tief gehenden Schiffe war es notwendig, zu wissen,
wo sie ankern komiten. Darum mußten die Flußmündungskarten an der Meeres-
küste mit Lotungsangaben reich ausgestattet sein. Eine der bemerkenswertesten
wie auch seltensten Karten dieser Richtung ist die „Caarte van het Ije, vertoonende
des selfs diepte voor en omtrent Amsterdam door 't ys gepeylt in 1674. Gepeylt en
111» t' papier gebracht door Nicolaes van der Heyde". worauf fortlaufende l'eilungs-
reihen von Schellingwoude bis über Zaan angegeben sind. Eine ähnliche Karte mit
k(jntinuierlichen Reihen von Ziffern der Stromtiefen existiert aus dem Jahre 1660.'
Auf den Gedanken, die gleichen Ziffern durch Linien zu verbinden, kam zuerst,
soweit es sich bis jetzt nachweisen läßt, der niederländischt' Landmesser und Wasser-
' \'),''- Tielcke: Unterricht für die Offiziers, die sieh zu l'Vldingeiueurs bilden. Divsden ii.
Ixii>/.i>; 1709, ii.342 u. :{59.
- hl 4 Blättern h^. v. einem k. k. rngenieuroffizier. Mannheim 1706. [Kriegsaix'hiv in Wien.]
^ Herausgegeben von .T. L. C. Uheinwald, zusammengesetzt von dem Ijandme.tser 1*. De-
wiirat in Mannheim 179«. fKriegttaivhiv in Wien.] — Die „Charte der iJtnder am Khein von Cobleiiz
der Mosel und Lahne südl. bis Mannheim". 1:241300, Xürnbi^rg, Kunsthanillung .•Vdam <;<>tllieb
Sehneider und Weigels, 1801, ist weniger in der Sehraffenzeieluuuig gehnig«-n; wohl aU'r die sniitern
Kheingebietökarten, die schon weil ins 19. .lahrh. hineinragen und nicht mehr iisterriMchisehcn IV-
sprung» sind, wie „Das Ijind ZHisehen Rhein und Maas", 1:400000. von (len\ jmniBischen Major
('. V. Decker, 1828. und „Karte von dem mittlem Ilheingebiete ". 1 : 4801HX). von K. F. V. Hoft-
mann. Stuttgart 18.37. — [Die drei letztgenannt<>n Karton gleichfall» im Kriegsarrhiv in Wieü.l
« Wie mir der Ainsti^rdamcr rnivei-sitiitsbibliothckar V. C. Wieser am 11, Mai 1914 l.riefli.h
438 ''"■ l.;iii'lkni-tr luiil ilir (ii'läiuli'.
bauiiispi'ktor des Ehwulandes Nicolaus Samuel Cruquius (auch Kruikius).^
Die dem „Eapport van de Professoren 's Gravesande en Wittichius, cn van de Land-
nieeter Cruquius wegens haare gedaane inspectie van de Eivier de Marwede von Gor-
nighem af beneedewaarts, tn wegens de voorgeslange Middeln tot voorkooming van
inundatien" (Leiden, 8. July 1730) beigegebenen zv^ei Karten vom Flußbett der
Marwede — gemeinschaftliches Bett der Maas und des Waals vor der Mündung ins
Jleer — befinden sich im Original 'in der Universitätsbibliothek zu Amsterdam.^
Die Isübathen sind nach den Messungen beim Stande des Niedrigwassers im Juli
1729 konstruiert und von 5 zu 5 Fuß als ganze Linien und bei den niedrigen Tiefen
(bis höchstens 15 Fuß) zwischen den 5 Fuß-Intervallen von Fuß zu Fuß in punk-
tierten Linien ausgezogen. Von der Bedeutung der Schichtlinien heißt es im Bericht
(S. 2) selbst: ,,De Linien in de Eivier getrokken, met de getallen daar by genoteert,
wyzen overal de dieptens aan; zo dat door deze Kaarte de regte Constitutie van de
Eivier, zo als wy dezelve in de Maanden van Juni en Juli des voorledenen Jaars
hebben gevonden, in allen delen word aangewezen; zynde de Irregulierheden van
den grond zeer notabel, en, zo als klaar genoeg komt te blyken, zyn deze spruitende
uit de ongeHjke Ijreettens on irreguliere Figuur van het Bed der Eivier."
Der Darstellung in Schichtlinien kam der große Maßstab der Karte 1:10000
(1 : 10300) zustatten. Die Schichtlinien sind richtig konstruiert, nur wo sich die
gleichen Linien zweier benachl)arter Becken begegnen, zeigt sich noch einige Un-
geschicklichkeit in der kontmuierUchen Überleitung der entsprechenden Schichtlinien.
Keine Schiehtlinienkarte des 18. Jahrhimderts ist so sauber, verläßlich und auf
Grund zahlreicher Messungen wie die von Craquius ausgeführt worden. Möglich
ist, daß andere Hafen- und Seekarten, die noch in Archiven tief versteckt schlummern,
ähnliche Schichtlinienzeichnung aufweisen. Bekannter als die ausgezeichnete Karte
von Cruquius wurde die kleine unscheinbare Karte des Ärmelkanals von Ph. Buache
in dessen Kartensammlung Cartes et tables de la geographie physique ou naturelle
Paris 1757.' Die Karte, die der Akademie der Wissenschaften zum erstenmal
am 25. Mai 1737 imd sodann am 15. November 1752 vorgelegt wurde, galt lange
Zeit als die erste Schiehtlinienkarte. Auf ihr wird zunächst eine Schichtzone bis
10 Faden, sodann solche von 10 zu 10 Faden bis 79 Faden unterschieden. Die Iso-
l)athen selbst sind in feinen Punkten gezeichnet. Die Karte verfolgte den Zweck,
die seichte Bodenschwelle zwischen Dover und Calais zu veranschauUchen. Bei ihr hat
Buache die Idee weiter verfolgt, der ein Offizier der westindischen Kompagnie 1734
auf dem Plan de Flsle de Fernand de Noronha Ausdruck verliehen hatte; darauf
sind Schichtzonen von 9, 10-14, 15-19, 20-29, 30-39 Faden, die sich im NO
' Über Cruquius vgl. J. L. Lioka: Zur Geschichte der HorizontalUnien oder Isohypsen. Z. f.
Venncssungswesen 1880. S. 39, 41, 42.
^ Soviel mir bekannt ist, ist die Karte der Mei-wede bisher im Original noch nicht veröffentlicht
worden. In „La Topographie" von Bardin (Paris 1855) wird die „Carte de la Merwode 1729" gebracht;
diese Reproduktion ist jedoeli nach den Cruquiusschen Karten von dem Geomtitcr und Wasserbau-
inspektor des RlieinJandes, Melchior Bolstra, reduziert (ca. 1:20000) und gezeichnet.
' Die Isobathen von .30, 40 u. 60 Faden sind farbig koloriert, — Dieselbe Karte findet s. wieder
auf d. „Carte pliysique et profil du canal de la manche" in der „Explication de la mappcraondo" von
L. Denis (Paris 1764). Die Isobathen sind hier als Punktlinien gezogen. — Im Britischen Museum
fand ich eine Manuskriptkarte „Cai-te de Tembouchure du Rhone", worauf die Tiefen in Fuß an-
gegeben sind und die 2 Fußbegrenzung des einlaufenden Armee, also eine Isobathenlinie. Verfasser,
Ort und Zeit sind nicht zu ermitteln; vielleicht um 1750 entstanden.
Das Moif^undainmiTii neuer GeläuiledHistelliiiij,'«!!. 4:-J0
der lustl 22— 25 cm lang hinziehen, durch Pnnktbänder dargestellt. Buache muß
infolge dieser Anregung noch mehrere atlantische Inseln so dargesteUt haben; die
Karten scheinen verloren gegangen zu sein. In einer Bemerkung auf Tafel XVIII
der Kartensammlung von Buache. die die Lisel Ferd. Noronha bringt, heißt es, daß
die Kompagnie die Idee gut und außerordentlich nützlich für Geographie, Schiff-
fahrt und Geophysik findet.
252. Die ersten Terraiiikarten\ ersuche in Sohiehtliuien und die Sehwierifrkeil
ihrer HerstelluH!::. Olnvohl im Avertissement zu den Kartpn von Buache auf die
Wichtigkeit der Darstellung in Schichtlinien hingewiesen wird, liest man nirgends
eine Andeutung, daß Buache außer der Isobathen- auch eine Isohypsenzeichnung
im Auge gehabt habe. Das mag darin begründet sein, daß die Konstniktionselemcnto
zum Aufbau einer Isohypsenkarte durch andere technische Hilfsmittel wie bei der
Isobathenkarte geliefert werden. Hier wird gelotet, dort nivelhert. Jenes war leichter
wie dieses. Das Nivellement des Landes mußte erst reformiert werden und nicht
auf kleine Gebiete wie bisher beschränkt bleiben. Dafür war aber die erste Hälfte
des 18. Jahrhunderts noch nicht geschaffen, sonst wäre ein Vorschlag aus dem .Tahre
1749 des französischen Ingenieurs Millet de Mureau, das Gelände auf Grundlage
kotierter Profile nach parallel geführten vertikalen Schnitten darzustellen^ bei der
Akademie, obwohl er einiges Interesse erregt hatte, nicht unter den Tisch gefallen.'
Das gleiche Schicksal würde den ähnlichen Darlegungen über die Aufnahme des
Terrains in gleichabständigen Isohypsen durch ein großzügiges Nivellement von
Dufournis und Du Carla beschieden gewesen sem (1771), wenn sich nicht die
Ideen des letztem hauptsächlich der Ingenieurgeograph Dupain-Triel zu eigen
gemacht und dafüi- unermüdhch gearbeitet und geworben hätte.
Es ist nicht das erstemal, daß zwei Gelehrte ganz unabhängig voneinander,
ohne von den Arbeiten des andern etwas zu ahnen, noch beeinflußt zu werden, durch
ihre Untersuchungen zu gleichem Eesultat kommen. Dies war der Fall bei Du-
fournis und Du Carla. Das Ergebnis des erstem ist sogar noch einige Tage älter als
das von Du Carla.- Beide hatten in den achtziger Jahren ihre Vorschläge zu einer
neuen Methode des Nivellements ausgearbeitet. Während Dufournis seine Methode
an der Hand von wagerecht durchschnittenen Teilen eines Kegels (Kegelstunipfe)
exemplifizierte, gebrauchte Du Carla aufeinandergehäufte, im Durchmesser kleiner
werdende Zylinder. Fruchtbringend wirkte nur der Ciedanke von Du Carla, weil
er zugleich an einer fingierten Insel mit Schichtlinienaliständen von 10 zu 10 Toisen
veranschaulicht worden war. Die Insel w^ar ein gutes Lehrbeispiel, indem Du Carla
darauf hinwies, daß ein Meer mit wechselndem Spiegel die Insel in verschiedenen
Höhenlinien berühre, die untereinander parallel sind^, imd von denen eine genügend«
• A. M. Augoyat: AiK;r<,-u liistorique sur Ics fortifieation.-*, les injj^nieurä et sur lo coq» de geiiie
on France. 3 vol. Paris 1860-1864. II. p. 439 und 440. „Lc meine ingi^nieur prisenta ii la fin de l'anntV
1749 (13. Dez.) iino Memoire i»ur faciliter le.s nioyen.s do projeter dan» Uvs pays de nioiitagne«, avoc
le »eul »eeours du plan du terräin lev6 cxactcment . . . Par cot» niot« il ontcndait un plan sur le<iuel
seraient maniueH les tracea parallMes de profiln du torrain, aeeompagn^c» des eotes de uiveHenienl
«les lioint-s (|iii cn indiqiient les in6)ialit/>s."
- V'nl. .Vnin. 1 im Avertissoraent zu „M^>moire e.xpiientif de la >,6ograpliie |)ericetionu6e. jinr
ile nouvelle« m^thode.s de nivellenient« d'apn^s Du Carla .... i>ar ringenieiu-.gcographe Dupain-
Triel". 2. Aufl. Paris an XII (1804).
^ Du Carla hiitU- an die „.Stnvndlinien" erinnern können, vorauagt>)ietzt, daU man damals die.st-r
Krst'heinung sclum Intcre.tse entgegenbnwlite.
440 l>'f l.aiulk:iit,' iiiul ihr Goliinfl.'.
Auzalil die Insel in ihrer Konfiguration getreu abbilden wüidcn. Du (':irlii wul.Ui^
über die Arbeiten von Buache Bescheid, trotzdem beanspruclil i-r die rrioritäl der
Idee, das Land in Niveaulinien dargestellt zu haben. Seine Abhandlung wurtle 178'2
von Dupain-Triel (172'2— 1805) herausgegeben. Nach der gleichen Methode zeichnete
1799 Dupain-Triel eine Carte de la France oü Ton a essaye de donner la configuration
de son territoire, pour une nouvelle methode de nivellements.i Die Isohypsen sind
von 100 zu 100 m konstruiert, sie gewinnen nach der Höhe zu an Stärke. Unter der
Schichtlinie von 100 m sind die Isohypsen von 10 zu 10 m als punktierte Linien aus-
gezogen. Die Karte wurde mit braunem Kolorit herausgegeben, aber so, daß die
Farbe imierhalb eines Höhenintervalls jedesmal nach der tiefsten Schichtlinie zu
intensiver wird. Selbst Gebirgszüge in Schraffen ziehen sich noch durch die Karte
und etwas Schatten wird rechtsseitig gelegt, wie beim Khonetal und dem Montblanc-
massiv. Die ganze Karte ist noch roh und unbeholfen. Dupain-Triel mochte dies
selbst gefühlt haben und betrachtet sie nur als vorläufigen Versuch, als ,,ouvrage
specialement destine ä Instruction de la jeunesse"; also nur für den Unterricht der
Jugend sollte sie bestimmt sein. Nochmals erscheint die Karte, unkoloriert, als
Beilage zu der zweiten Ausgabe der Abhandlung Du Carlas, die Dupain-Triel 1804
herausgab: Methodes nouvelles de nivellements. Presentant des moyens exacts
et pratiques d'exprimer ensemble sur les plans et les cartes geographiques les dimensions
horizontables (!) et verticales des objets pour avoir la configuration precise du terrain,
mit dem Memoire explicatif de la geographie perfectioimee, par de nouvelles
methodes de nivellements, d'apres Du Carla.
Ohne auf Du Carla oder Dupain-Triel Bezug zu nehmen, hat der geniale General
Johann Baptiste Marie Meusnier (1754—1793) die Idee der Schichtlinien den Forti-
fikationsarbeiten dienstbar gemacht.
Die Anwendung der neuen Geländedarstellung blieb auf kleine Geljiete be-
schränkt, und die Ausfülirungen von Du Carla mid Dupain-Triel haben nicht die
Verbreitung, die sie verdient hätten, gefunden. Mag dies auch mit der Schwierigkeit
der damaligen Verkehrsmittel zusammenhängen, wie Licka vermutet^, das größte
Hemnmis bildete sicherlich die geringe Kenntnis von Höhenlagen und Höhen.
Obgleich uns das Altertum von trigonometrischen Messungen einer Anzahl
hoher Berge berichtet-'*, bestimmten im allgemeinen Phantasie und Sage die Berg-
höhen. Seit den Zeiten des Plinius, der die Höhe einiger Alpengipfei a>if 50000
römische Fuß (= 15 mal so groß wie der Montblanc) schätzte*, war es kaum besser
geworden, derm der gelehrte Jesuit Eiccioli* gab 1672 dem Mont Cenis die vierfache
Höhe des Montblanc imd dem Kaukasus eine Höhe von 10 deutschen Meilen. In
Seb. Münsters Kosmographie smd Gipfelhöhen von 2—3 und mehr deutschen Meilen
nichts Seltenes.
Im 18. Jahrhundert kam man einigermaßen zu richtigen Vorstellungen, wenn
auch die Wasserscheidegebirge das orographische Denken beeinflußten. Erst mußte
1 ErHchienen An. VIT (17!)'J). Ein gutes K.\('in])lar dieser Karte befindet sicli in der Uni-
versitätsbibliothek zu Göltingen.
- Licka, a. a. O., S. 48.
^ H. Berger: Geschichte der wiasenscliaflliilien Kidkunde der Grieclien. Leipzig 1903, S. 380.
* Daß die Alten vernünftigere Vorstellungen von Berghöhen hatten, darüber vgl. außer H. Ber-
r^er auch A. v. Humboldt: Kleinere Schriften. I. Stuttgart u. Tübingen 1853, S. 44.''), 446.
* Vgl. Peschel-Ruge, a. a. O., S. 62, Anm. 2.
Die kartugniphisclic Kcvulutiiiii mn Kiiilo dv» 18. tlaiirliuiidiitti. 441
(las Barometer sich als Höhenim'ßapparat erwiosen liaben, bevor auf eine vermehrte
Angabe von Höheuzahlen zu rechnen war. liu 17. Jahrhundert hatten Descartes
und Pascal die ei-sten Anregiuigen für die Entwicklung und den Gebrauch des Baro-
meters gegeben. Pascals Schwager Perier machte auf dem Puy de döme in Süd-
frankreich die ersten Versuche, mit dem Barometer die Höhe der Berge zu bestimmen.'
Außerdem fehlte es nicht an Versuchen im 17. Jahrhundert durch den Jesuiten Blan-
canus, mit dioptrischen Meßinstiumenten die Höhen zu bestimmen. Gegen Ende
des Jalirhunderts hatten Mariotte (1679) und Halley (IGiStJ) ihre barometrischen
Gesetze gefunden, so daß mit ihrer Berücksichtigung J. J. Scheuchzer 1705—1707
Höhen von Orten der Schweiz festzulegen versuchte. Zu einem wirkhchen Mel.)-
instrument wurde das Barometer mit der ersten vollständigen Barometerformel von
Laplaee (iSOö)'-, die den Hühenmessungen nun in der Folgezeit zugute kam.
0. Die Gelündedarstellung von Beginn dt'i- klassisclicn Zeit
bis zur Gegenwart.
I. Die kartographische Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts.
2ö3. Uli' säkulare »it'ilerkehr karti>!;ra|ihiM-h«>r l uiwälzuuut'ii. Seil der Jv-
naissance kann man alle hundert Jahre einen gewaltigen Fortschritt der Karto-
graphie feststellen. Die Eenaissance um löOO oder die Sturm- und Drangperiode
der Kartographie* schuf mit der Wiedi-rbelebung des Ptolemäus gegenüber den mittel-
alterlichen Kartengemälden das neue Kartenbild und die Spezialkarte. Um KiOO
stellte Mercator. der große Kartenrefoi-mator, die Kartographie auf wissenschaft-
lichere Grundlage als es durch Ptolemäus geschehen war, um 1700 wurde ilie Karto-
graphie durch Ortsbestinmnmgen vermittelst der Jupitertrabantentafeln (Jean Domi-
ni(|ue Cassini), durch die erste auf exakten Beobachtungen und kritischer Forschung
bi'ruhende Weltkarte (Jacques Cassini) und durch die praktische Anwendung der
Neumessungen wie auch der Picardschen Gradmessung im Xeptune Franeois rT'aris
1693) und in den Karten von Delisle jdanmäßig reformiert. Im 1800 begiimt ilie
kartographische Eevolution und gegen und nach 1900 die wissenschaftlich kritische
lOpoche und eine neue Zeit der Kartenaufnahme.
Merkwürdigerweise liat man den revolutionierenden Erscheinungen auf karto-
graphischem Gebiet um IHOO noch nicht die gebührende Aufmerksaudu'it gesclu'nkt.
vielleicht ist man sich ihrer nicht genügend bewußt geworden, weil unser Jahrhundert
noch dem vorhergehenden zu nahe steht oder unsere schuellebige Zeit sich so rasch
an das Gute der letzten Dezennien gewöhnt hat, daß es das Schwierige» des l'.nt-
• Vgl. Pesihol-Ruge, ii. a. C. S. (i8!l.
* .\iloh in Laplac'cs l>oriihiiitem Werk ..Tniil«' ilc iiu'-niiiiinio iiHc-te" niiMlcrjjcU-j:!. W . I'iiri^-
1 SOS. 8.2«:» -294. Vj;l. \V. Joidan: Maii.ll.uili der \Vnm-,s.sunp<kumlr. X. .Vufl. .Stuttn«it lilU.
S. 711.
•■' Vgl. Aug. VVdlkcnluuuT: |{fitta>;i' zur (uwliiilit»- dor Kiii-t<>gm]ihK' uml N'itudk di-s !.'>. bi;
17. Jahrh. Mitt. d. Gcogr. Gih. MüiuIhii. 1. IIKM. t>. Itil.
442 "'« I.iiiiilkarif und ihr Uoliindi'.
Stehens von heute Selb!^t^•el•ständlichem ganz vergessen hat. I nd iKkIi h;it tatsächüch
zu keiner Zeit die Kartographie mit so viel Altem aufgeräuuil und noch mehr Neuem
die Tüi'en geöffnet als um 1800, daß wir berechtigt sind, nicht bloß von einer Er-
neuerung und Verbesserimg der Karte, sondern geradezu von einer kartographischen
Umwälzung zu reden. Kein Zweig der Kartographie bli(>b von der Eevolution ver-
schont, selbst altberühmte kartograplnsche Institute, die trotz aller krampfhaften
Neuerungsversuche den Geist der neuen Zeit nicht verstanden, tauchen in die Ver-
senkung, wie die Homannische Anstalt in Nürnberg, ganz zu schweigen von Seutter
in Augsburg, Schreiber in Leipzig. Schenck in Amsterdam, Sanson, Tavernier in
Frankreich und iloll in Pjii<iland.
*2ö4. Die politischen und wisseiischafflii'lu'ii rrsacbeu der kartographischen Re-
vulution. Die Kartogra])hie folgt gern der jiolit Ischen Macht. Die Blüte des fran-
zösischen Königtums war zugleicli die Blüte der Kartograi)hie im 18. Jahrhundert.
Es will uns kaum als Zufall dünken, daß sich mit der französischen Eevolution fast
gleichzeitig die kartographische vollzieht, freilich nicht so katastrophal wie die poli-
tische, aber um so iimerlicher, gediegener und von lang dauernder Wirkung. Eine
ungeheure Fülle von triebfähigen Keimen wurde geschaffen, die das 19. Jahrhundert
zum Aufgehen und Wachsen brachte. In keiner Geschichtsepoche erfuhr das karto-
graphische Erbe der Vergangenheit einen solchen Umschwung und eine derartig
gewaltige Vermehrung als zur Zeit der kartographischen Eevolution. Zunächst waren
es eine ganze Menge vorbereitender Erscheinungen, die das Kommen einer karto-
gi-aphischen Eevolution begünstigten und die Zeit dafür reif machten.
Der gewaltige Aufschwung der Natur- und Geisteswissenschaften ging nicht
mibemerkt an Geographie und Kartographie vorüber. Der Traite de mecanique
Celeste, Paris 1799, von P. S. Laplace leitete alle Bewegungen der Erde und der
übrigen Planeten aus dem einfachen Grundsatz von der allgemeinen Körperschwere
her (Newton). Die Astronomen jener Zeit hatten ein großes Interesse, von möglichst
vielen Orten der Erde die geographischen Koordinaten und Meereshöhen zu bestimmen;
so förderten sie wie mit Hilfe neu errichteter Sternwarten^ die Grvmdlagen einer
exakten Kartographie.* K. Linne, A. Young, K. L. Willdenow und J. Senebier be-
gründeten die Pflanzengeographie und E. A. W. Zimmermann zeichnete 1783 die
erste tiergeographische Karte. Aber noch waren die Universitäten trotz Immanuel
Kant (1724-1804) und Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) keine rechten
Pflanzstätten der Geographie, und diese wie Kartographie waren auf die wissen-
schaftlichen Ergebnisse l)enacbbarter Disziyilincn angewiesen. Trotz der bändc-
1 So z. B. die Sternwarte auf dem Seeberg bei Gotha durch Fr. Xaver v. Zach (1754 — 1832).
^ In Frankreich hatte sich bereits während des 18. Jahrh. die genaue topographische Karte
auf Grundlage astronomisclier Ortsbestimmungen und geodätischer TrianguUerung entwickelt. In
Deutschland, wo die Kleinstaaten und rcichsstädtischen Republiken nicht die Mittel zu solchen kost-
spieligen Mappierungsarbcitcn aufbringen konnten, herrschte während des 18. Jahrli. eine wahre
Einöde in bezug auf astronomische Ortsljcstimmungen. Infolgedessen besit7,en wir aucli keine karto-
graphischen Leistungen aus jener Zeit, die auf die kommenden Jahrzehnte von Einfluß gewesen wären.
Dies Grundübel der deutschen Kartographie konnten auch Homanns Erben, zunächst Joh. Chri-
stoph Homann und sodann J. G. Ebersberger und Joh. Mich. Franz nicht beheben, was erst
den staatlichen Aufnahmen in der ersten Hälfte des 19. Jahrh. gelingen sollte. Man vgl. hierüber auch
meine Ausfühi-ungen über die Geschichte der Trianguliemngen, oben S. 258ff.
Die kartOf;rHi)lii.-iehe Rrvolutiuii -.im Eiiilf des 18. Jahilimiduits. 443
itiflicii ..Erdbeschreibung" gelang es Büsching nicht^, die Geographie volkstümlich
zu macheu, wohl aber hatte dies in Frankreich K. Maltebrun (1775—1826), ein Däne
von Geburt, aber völlig Pariser geworden, durch zahlreiche Schriften und Karten
fertig gebracht. Immer noch wurde die Geographie mehr durch die Kartograjthie
als die Kartographie durch die Geographie gefördert. Globus und Karte wurden
durch Watts*, Brion*, Bode'' u. a. für die Allgemeinheit zum Übungsfeld für eine
Menge astronomischer imd geographischer Aufgaben.
Seit der Entdeckung Amerikas und des Seewegs nach Ostindien ist keüi Jahr-
hundert so tätig an der Entschleierung des Weltbildes wie das 18. Jahrhimdert ge-
wesen. Die Cookschen Eeisen, besonders die zweite, deren naturwissenschaftlichen
Ergebnisse wir unserm großen Landsmann Joh. Eeinh. Forster verdanken, wiesen
die ,, Terra australis" in die ihr gebührenden Schranken zurück. Die Weltkarten wurden
nicht bloß richtiger, sondern auch unsem heutigen Erdübersichtskarten wesentlich
ähnlicher gezeichnet. Die mathematische Seite der Lehre von der Abbildung der
Erdoberfläche erfuhr eine gründliche Umgestaltung; die führenden Geister waren
.T. H. Lambert, L. Euler und J. L. Lagrange.
iiiö. Geheimhalten staatlicher Kartenwerke. l)it' staatliche l'hernahnie des
\ erniessiingswesens. Der topographischen Karte wurde neuer Inhalt und neues
Gewand verliehen. Von der Notwendigkeit guter topographischer Aufnahmen waren
die meisten europäischen Staaten überzeugt, einmal aus verwaltungstechnischen
Gründen (Steuererhebung) und sodarm wegen Maßnahmen der Landesverteidigung.
Der Siebenjährige Krieg hatte in Deutschland sowohl wie in Österreich das Bedürfnis
nach guten Karten geweckt. Die staathchen Aufnahmen wurden größtenteils geheim
gehalten, da die Machthaber Angst hatten, es könnte dem Feinde durch Kenntnis
der Festungen, Straßen, Pässe usw. ein Vorteil entstehen. ^ Darum wurden Berge
und Flüsse, besonders in den Grenzgebieten, ganz willkürlich versetzt.* Die Be-
fürchtungen waren nicht ganz unberechtigt. Selbst Städte trugen Sorge, daß ihr
genauer Stadtplan nicht bekannt würde. Wir wissen schon aus früherer Zeit, daß
die Vollendung von D. Speckeis „Ansicht der Befestigung von Straßburg" (um 15(55)
vom Bat der Stadt Straßburg unterbunden wurde, ,,da dadurch der Stadt Straßl)urg
Schaden entstehen könne". ^ Die Festungspläne gelniren heute noch in das Geheini-
1 II Teile l)atto Büs.hintr 1754 1792 herausgegeben, dii-s Werk wurde duivli andeix- Schuh-
»toller I«07 vollendet.
* J. Watts: The first prineiples of astronomy and geography explain'd by the use of glolx's
and niaps. 3. verb. Aufl. London 1736.
' Atlas du Si; Biion. Paris 1786. Mit „Table alphab6tique des logions, 6tat«, prorintes et
principaux lieux de la toire; avec les nuni6ro8 des cartea oü ila sont d6crits. Darin eine Menge Globuw-
auigabcn.
♦ J. E. Bode: Besehreibung und Gebrauch einer auf den Horizont von Berlin cntwurfcnen
neuen Weltehartc. Berlin und Stettin 1783. Darin ..Gebrauch der Weiteharten . . . dureh verschiedene
.•\ufgiibon gezeigt".
■■' König Fried rieh II. von l'reuUen hielt seine Kabinelt.skurte gelx'iin. - Aueli diu Publikatiiin
der verbesserten Cassinisehen Karte, dei-en to]Kigraphiselie Onnidlage im grollen und giiir/.en 17«!t
beendet war, wuitle bis zimi .Jahre 181.") hinaiwge.scholKMi, weil Napoleon eine derartig detaillierte
Karte als eine Kriegswaffe erachtete. — Die grollen militärisi'lien .Aufnahmen unter KaiMT Josejdi II.
waren nicht für die (iffentlichkeit bestimmt.
« Vgl. V. Zachs .Monatliche Correspondenz. IX. IHIM. .S. 4(X).
' K. Schott: Die KiilwicklunuMlerKartographiedes KU..-".-. Min .1 (i., f. Ki.lk 1. I\..l,.iual
weseu zu Straßburg i. K. I',M4. S. 141.
444 Hii; L;in(lkHi-l.- mid il.r (i.liindc.
gebiet der Kriegswissenschaft, wenn aucli die ruil.lcrn Anlagt-u infolge der Flieger-
aufkliinmg und Fliegerphotograi)liic nicht nidir in dem (liade wie einst geheim
gehahen werden ktinnen.
Die wirtschafthchen Fragen, die das Ende des Sielienjiihrigcn Krieges in Fhiß
gebracht hatte, erheischten eine Menge guter Karten, daß sich (üe meisten Kultur-
staaten gezwmigen sahen, gegen Ende des IS. oder Anfang des 19. Jahrhunderts
das Messen und Aufnehmen, wie auch viele topographische Karten frei zu geben.
Wie man zunächst zaghaft daran ging und sich sträubte, die genaue Kenntnis des
Landes weitern Kreisen zugänglich zu machen, beweist die von Schütz und Müller
1781—1787 ausgeführte Karte „Oberösterreichs"; sie beruhte auf einer guten Militär-
aufnahme der Jahre 1769—1772, aber das Terrain wurde nicht in Grundriß-, sondern
in perspektivischer Hügelmanier ausgeführt. ^ Dagegen vergleiche man die Gilde-
meister-Heinekensche Karte des Gebiets der Eeichs- und Hansestadt Bremen aus
dem Jahre 1798, die mit der Karte von Boluienberger (S.227) die ersten in Deutsch-
land sind, die auf einer wissenschaftlich durchgeführten Landesaufnahme beruhen.^
Als Merkwürdigkeit mag erwähnt sein, daß die Generalstabskarte von Schweden bis
1857 geheim gehalten worden ist. Die Originalaufnahmen in den Maßstäben 1 : 25000
bis 1 : 50000 der Öffentlichkeit zu übergeben, dieser Gedanke wurde erst 1866 in Belgien
befolgt; 1870 folgte die Schweiz mit der Yereiffentlicliungdes Siegfriedatlas, die einzelnen
deutschen Staaten schlössen sich an. Anririilentsclic Slaalcn hinken langsam hinter-
her. Frankreich hat nur wenige Originalaiifnahnien (Minutes) ni 1 : 4()()()n iiikI
1 : 20000 veröffentlicht.
Das Vermessungs- und Aufnahmewesen war 1763 in Österreich an den Gc^neral-
stab übergegangen, in Preußen erst 1816; bis dahin hatte das preußische statistische
Bureau die Aufnahmen geleitet. In Deutschland, Österreich und Italien war das
Kartenwesen seit alters her ein wichtiger Teil der Kriegswissenschaft. Wemi jedoch
gesagt wurde: ,,Der Soldat lernte zuerst gute Karten machen"*, ist das nur bedingt
richtig. Gewiß, der Soldat hat uns prächtige und genaue Karten geliefert, man denke
nur außer an die Ijci den guten französischen Karten genamiten französischen Offiziere,
ferner an den Grafen v. Schmettau* und dessen Vater, den Generalfeldzeugmeister,
ferner an den 2'i't'ußischen Ingenieur (wie damals die Bezeichnung in der T())in-
graphie war) Major Geyr, die Obristen v. Teni|ieni(if und \. l'l'au. den Major \. Manii-
> K. V. Haiaclaucr. a.a.O.. S. 274.
- Vgl. W. VVoIkciiliaiicr: Ein Jiibiliiuiu l.icMiis.licr Kaitc.giapliif. Wcscizeituiig vom :W. De-
zember 1898.
' So VV. Stav(!iihagen: Die geschichtliche Entwicklung des preußischen Militärkartenwesen».
G. Z. 1900. S.A. S. ö. - Dagegen hat sich schon E. Hammer gewandt in P. M. 1902. LB. 614.
S. 178. — s. auch oben S. 17, 226ff.
* Die Karten des Grafen v. Schmettau werden als Schraffenkarten öfters zitiert, indes artet
die Schraffe bei ilmi zu sehr- noch in Scliwungstrichen aus. Die berühmten Kartenwerke, die wir unter
Schmettaus Kamen kennen, sind: Topographisch Oeconomisch Militaerische Charte des Herzog-
thiuns Mecklenbuig- Schwerin und de.s Fürstenthums liatzeburg, auf Kosten u. Befehl Sr. Durch-
laucht des regierenden Herzogs von Mecklenburg-Schwerin aufgenohinen und Sr. Majestät dem König
von Preußen zugeeignet. IBTafehi. — Karte des Herzogthmns Mecklenburg mit seinen versch. Pro-
«nzen als des eigentl. Herzogthums Mecklenburg, der Fiirstenthümer Wenden, Schwerin, Ratzeburg,
der Grafschaft Schwerin, und der Herrschaften Rostock und Stargard, wie auch der Herrschaft Wismar,
des Schwedischen Pommern und der Insel Rügen, nebst einem Theile der angrenzenden Preussischen,
Hannöver'sehen, HoUsteini.schen und Lübeckischen Länder. Sr. Durchlaucht dem regierenden Herzog
Friedrich Franz von Mecklenburg- Schwerin zugeeignet. 1 Karte. Berlin u. Wien 1788 — 1794.
1)1,. kart,.f;iai.lM.scl... R^volntl.Hi an. Kiidr des IS. J^il.iliini.iprU. 44.')
stf'in, dio Lcutnnnts .Müller und Ilennort, den cluirsächsischcii Ingenieur Obrist
l'etri und den iMajor Aster, den jüinndverischen Ingenieur Hauptmann Hogreve
und den Ijeutnant Lasins, den russischen General Bauer u. a., die durch ihren Unter-
richt und ihr Beispiel viele Offiziere in der Tojjographie herangebildet haben, aber
die tonangebenden Kartenwerke um! kartographische Neuerungen und Anregungen
sind in der Hauptsache von jirivater. von gelehrter Seite ausgegangen. Für alle
staatlichen Aufnahmen wurde Cassinis Karte von Frankreich maßgel)end.
25«. Frankreichs Anstoß zur Staafstoi»<;2;raphi('. Deutsche Privattopograpliii-.
La carte geometrique de la France in 1 : 86400, zunächst ein rrivatunterneiiuien.
wurde von Cesar Francjois Cassini begonnen und von seinem Sohne .Taques Domi-
nique vollendet. Mit dem Frieden zu Aachen 1750 begannen die topographischen
Arbeiten zu der ersten großen französischen Karte, deren Umfang auf 180 Blätter
festgesetzt wurde. 1760 erschienen die ersten 50 Blätter, zunilchst Paris und Um-
gebung und ganz Nordfrankreich. 1793 waren die letzten Blätter der Bretagne unter
den Händen der Graveure; doch ehe diese vollständig der Öffentlichkeit übergeben
waren, wie auch die Blätter der Guyenne, kam das Jahr 1815 heran. Es mochte
dies mit dem Eedaktionswechsel der Karte zusammenhängen, denn Ende 1793 ging
das gesamte Kartenwerk infolge eines Antrags von General Calon an das Depot
de la guerre über.
Mit der Frankreichkarte von Cassini war die erste große moderne tüpograiibisclie
Karte geschaffen worden, wenn sie auch im Laufe der Jahre mancherlei Umwandlungen
durchgemacht liatte. Ihre Terraindarstellung ist bereits eingehender gewürdigt
worden (S. 436). Die mathematische Grundlage war gleichmäßig durchgeführt, ebenso
die Signaturgebung, zum erstenmal für so ein umfangreiches Werk. So wurde sie als
ein Monumentalwerk für die gesamte Kartographie epochemachend, und das Karten-
verständnis ist durch sie in höchstem Grade gefördert worden. Sie ist „für alle andern
fjänder als ein klassisches Vorbild anregend imd maßgebend gewesen".^
Die Karte von Cassini bildete in Frankreich die Grundlage einer großen Anzaiil
von Karten, die sich inn(>rhalb der Maßstäbe von 1 : 86400 und 1 : 864000 bewegten.
Die bekannteste unter ihnen ist die von Capitaine in 1:345600, also in vierfacher
Reduktion, während die in zehnfacher nur die einzige ist, die durch den Ivriegs-
minister publiziert worden ist. Eng an die Cassinische Karte und in gleichem Maß-
stabe schloß sich unter Ferraris Leitung die Aufnahme der österreichischen Nieder-
lande in den Jahren 1770—1774 an, die 1777 in 25 Blättern veröffentlicht wurde und
sich im Terrainiiild schon vorteilhaft von ihrem Vorbilde unterschied. Unter franzö-
sischem Einfluß steht die ausgezeichnete „Charte von Wirtemberg" in 1 : 86400 von
.1. G. F. l!..hnenbergrr. die dieser selbst trigonometrisch aufgenommen und in
SchraftVn gezeichnet hatte.- Auch der preußi.sche (len.ralstab schloß 1816 sein
Dreiecksnetz an die rheiniscli-französi.sche Messung an, und tüchtige Männer, wie
Müffling, Ötzel, Michaelis, Baeyer. Oesfeld, (ielhke, Berghaus und Aßmnnn führten
es rüstig bis in die Mitte Norddeut.schlands weiter.
Als das IH. Jahrhundert zur Neige ging, war die Grundrißzeichnung des
Terrains für die topographischen Karten der daTualigen Kulturländer Hegel geworden.
' E. V. Sy.l..«: Die KiiHoniupl.ie KuioiNls Ins /.lun .laliic 1S.-.7. 1". M. 1S.-.7, S. II.
- I)a.Mcrstr Mliitt <lis Kaiti'nwprkrsoi-scliion 1798. l':iii AiissdiniK ilrr Kaitr ist wi.><l.>rKOKclM>ii
lici \V. .liiKlan II. K. Slci)|)cs; Das di-iits.li,- Vi.imr.s,siiiius\v.'srii. 1. Sditln.irl ISSl'. S. 2(W.
446 >*i'' l.andkHi'tc und ilii- Ccländ.'.
Von Frankreich aus war dci- Anstoß zu einer modernen, großzügigen Staatstopo-
gi-apbie gegeben -worden. IJin und wieder finden sich noch einige Karten, die man
als Übergänge von der perspektivischen zur geometrischen Auffassung des Geländes,
zur Grundrißmanier in Schraffen bezeichnen kann, wie die von Baraga entworfene
Übersichtskarte von Krain 1778i und die von Heinbucher im Jahre 1798 gezeichnete
Karte von Cattaro und Umgebung. Selbst Graf v. Schmettau ist von dieser Über-
gangsphase nicht frei."^ Die Karten der mihtärischen Aufnahmezentralen sorgten
für die Verbreitung kartographischer Neuerungen ; die neue Terraindarstellung wurde
bald allgemein verstanden, der die private Kartenindustrie durch Karten meist kleinerer
Maßstäbe bedeutend Vorschub leistete. Um jene Zeit fingen Männer wie Heineken
(S. 444), Gilly, Eeymarm, Sotzmann und Oesfeld zu messen und zu zeichnen an.
Durch den Maßstab auf der Mitte zwischen topographischer Spezialkarte und
allgemeiner Übersicht stehend, melden sich zwei bedeutende private Kartenwerke,
deren eines heute noch bekannt und geschätzt, während das andere dem Vergessen
anheimgefallen ist. Letzteres geschah mit der Karte des kgl. preußischen Herzog-
tums Vor- und Hinterpommern in 1 : 175000, die Oberbaurat G. Gilly, der Lehrer
Schinkels, 1789 zu Berlin herausgegeben hatte. Sie war nur einem kleinern Gebiet
gewidmet, dagegen hatte sich die bekannte Eeymannsche Topograijhische Spezial-
karte von Mitteleviropa, kurzweg die „Eeymannsche Karte" genannt, in 1:200000
ein großes und weites Ziel gesetzt. 1806 wurden die ersten 6 Blätter: Wieck, Arkona,
Stralsund, Bergen, Demmin und Anklam veröffentlicht. Trotz der größten Schwierig-
keiten, mit denen das groß angelegte Kartenwerk von Anfang an zu kämpfen hatte,
hat es sein Schöpfer durch Ausdauer und Fleiß, dank auch seiner Stellung als In-
spekteur der kgl. Plankammer in Berlin fertiggebracht, der Karte die nötige Lebenskraft
und Anerkeimung zu erhalten. Als G. D. Eeymann 1832 aus dem Leben schied,
hatte er selbst 132 Sektionen der Karte herausgegeben. Die Fortsetzung übernahm
Oesfeld bis 1844, wo das Kartenwerk an die Firma Carl Flemming in Glogau über-
ging und durch Fr. Handtke weitergeführt wurde. Im Laufe der Zeit ist die Be-
arbeitung naturgemäß nicht gleichmäßig geblieben, hingegen die ganze Anlage und
Auffassung. Das Werk wuchs über die Leistungsfähigkeit einer Privatfirma hinaus
und konkurrierte zuletzt mit älinliclicii T'iitciiicljiiningen der kgl. preußisclien Landes-
aufnahme, so daß sich dicsr ( nlM'lildl.'i. Isy-j ilji' Knite zu übernehmen; sie fülirt von
nunab den Titel ,,Topograplii«c]n SpuzialkiirU; von iMitteleuropa im Maßstab 1 :200000".
Sie sollte das vollenden, was Eeymann geplant und ausgeführt, was aber die Kraft
eines Einzelnen überstiegen hatte. Hundert Jahre haben bis jetzt nicht gereicht, das
Werk in seinen geplanten 796 Blättern vollständig zu veröffentlichen.' Tri gleicJu-r
ausgezeichneter Axisführung, in Heliogravüre (früher in Kupferstich und Litbo-
^ Eine Übersichtskarte von Krain (Karte trägt keinen besondem Namen) von Fr. X. Baraga.
Labaci 1778. [U.-Bi. Gott.] Durch einzelne Bergbilder werden die Alpen bezeichnet und durch Schraffie-
rung die Vor- und Mittelgebirge.
" Topographisclic Karte einer Gegend in Bölimen, hg. 1794 durch F. W. C. Graf v. Sc h tuettau.
[U.-Bi. Gott.] — Hierher gehören noch zwei andere Karten der Göttinger Universitäts-Bihl. „fJartc
generale de l'empire d'Allomagnc", par Chaucliaifl. Paris s. a. und „Atlas national de Ih. France,
en Departements". Paris 1790-1806, in l:2r,'MMU.
' Leider hat sich die preußische LamlcsaufuahiiK^ jetzt dazu entschließen müssen, die Karte,
von der bisher .514 Blätter veröffentlicht wordim waren, eingehen zu lassen. Sie findet ihren Ersatz,
wie es im Jahresb. der I.andesaufnahnie, Berlin 1921, S. 58 heißt, in der Topograph. Ühersichtsk.
fies I),.ut-( li.n Hfi.hs 1 : 20000f), die allerdings nur das bisherige Reichsgebiet umfaßt.
Dir kailugiapliiHchc [{.■voliitioii :i.m KikI.' d,--^ IH. .)alnlmii<l.Mt<. .(47
graphie) ist bisher von keinem europäischen Staate ein Kartenwerk in Angriff ge-
nommen und auf ein gleich großes Gebiet der Erde ausgedehnt worden. Im N
reicht die Karte bis nach Christiansand, Wenorsliurg, Wenden, im S bis nach
Villeneuve, Mantua, Statina, im W bis nacli Worcester, Clierbourg, Bordeaux und
im 0 l)is nach Minsk, Tarnopol, Czernowitz. In der Terraindarstelhmg war die
Reymannsclie Karte die ghickhclie Erl)in all der Mühen und Plagen in dem Suchen
und Ansgestahen ciiiov guten Gcliindozcifliiuiiig in Schraffi'ii während des 1S. .Tuhr-
hiUKJrrts.
i'u. IHo wissciischallliclK' Itoiirihiilun!; der lljiisomctric iiiiil der SclMallVii-
ilaistolluna. J)as Enfsteiicii wissonschaltlichcr und wirJsflial'tlicher Sonderkarten
sowie der Touristenkartc. Am Ende des IS. Jahrhunderts werden neue Methoden
der Ihihcnuicssung erfunden und durch A. v. Humboldt die Hypsometrie begründet.
Dadurcli wurde der Höhenzahl besondere Aufmerksamkeit geschenkt und damit
zugleich auch ihrer Wiedergabe auf dem Kartenbild, sei es in der nackten Aufzeichnung
der gewonnenen Höhenziffer oder in der Verarbeitung zum Isohypsen bild. In der
Hauptsache gehören die wichtigsten und folgenschwersten Arbeiten dieser Art dem
kommenden Jahrhundert an. weshalb sie im folgenden Ka])itel (Gegenstand der Unter-
suchung sind.
Das Ende des ]S. .laliriiunderts sollte der Sclu-affeudarsteliuiig nocli ihre ..wissen-
schaftliche'" Jiegriuulung durch J. G. Lehmann l)escheren. wie auch die Erstlinge
iiochbedeutsamer Schraffenkarten, zu denen gleichfalls Lehmann sein Bestes durch
seine Aufnahmesektionen in den verschiedensten sächsischen Gebieten beigesteuert
hatte. Aus dem Anfange des neuen Jahrhunderts meldet sich bereits eine größere
Anzahl von Schraffenkarten der damals wichtigsten Kulturländer; Deutschland.
Österreich, Frankreich und England.
Wieweit Adrian v. Riedl von den theoretiselien Erörterungen über die Gebirgs-
darstellung seinerzeit beeinflußt wurde, läßt sich schwer kontrollieren. Wenn sein
Hauptverdienst darin hegt, das bayrische Straßen- mid Flußnetz wesentlich ver-
vollkonmmet zu haben, hat er doch auch die Schraffe zu handhaben verstanden.
Sein Geographischer Conspect der Baierischen und Oberpfälzischen Chausseen
(München 1805) gibt ein schönes Beispiel dafür, weniger sein Eeise-Atlas von Bayern
(München 1796 ff., verbesserte Auflage München 1834— 1S35) und sein Strom-Atlas
(Müncben 180H — 1808), worauf die Schraffenzeichnung öfters manieriert erscheint.
Immerhin bedeuten Kiedls Kartenwerke einen sichtbaren Fortschritt in der
ijayrischen Kartographie, seliist wenn sie nach Oberhuinnu'rs und anderer Urteile für
das Al])engel)iet wenig Ni'ues ergeben.' l'^^r gebraucht die Schi'affe zur Veransobau-
lichung und Wiedergabe der Bodenforiueii in ähidicber Weise, wie es bereits ITtü» auf
Fabris Mihtärkarte von Hölunen gescliali.
Außer an der Terrainzeichiumg hatte das Is. .laiuhundert an der (irundiegung
einer sichern Situation gearbeitet. Die meisten der noch jetzt geltenden karto-
graphischen Syiulude sind im 1s. Jahrlnuidert geschaffen wordi'U. Die vi'rsc-hiedenen
< E. <)l>oi'l>uiiuiu'i: Olx'i <li<' Kiilwirkliiii); iiikI die .Viif^alieii der bayrisclu-n Uiidoskiiiulr.
.\ltl>ayri8cli(- Monat«.schrift. 1809, S. 1 ff . I>ir Kiit\vi<I<liiH(; di-r .\l|H>iikiirton im 1!>. .Iiihrli.
'/.. rl. I). u. Ct. A..V. 1!K)2, S. ;13. - Hoinr. Lutz: Zur Uwlii.lUe der K<irt.i)jrftliliie iu Bnvoni. .taliroH.
Uor. d. (JiHijjr. (!.-M. iu MiiiuluMi für 1«S(1, S. 74ff. - ("li. «rubor: l)it> lftudrsk\u>dliilu> Krfonx'huiiir
.Mlluiverns im It;.. 17. mul IH. .Iiilnli. l''.>rH.liuui;eu /.. de.ilMl,. biiidesk. IS'.U. S. Uff.
448 " l"»''' Liiii.lk:irto uiul ilii- «fliiiKlf.
wissenschaftlichen und wirtschafthchen Bedürfnisse hatten bereits Sonderkarten
wachrufen lassen. Die geologische Karte war entstanden, die meteorologische,
die Wirtschaftskarte, besondere Wege- und Postkarten. Noch eine andere
Art lieisekarten, die Touristenkarte, war entstanden. Die Werke von Scheuchzer,
de Saussure, de la Borde, Ebel trugen dazu bei, einen gewaltigen Strom von Natur-
forschern, Naturfreunden und andern Eeisenden nach der Schweiz zu lenken. Für
diese Eeisebedürfnisse wurden besondere Karten herausgegeben, wie die von W. Haas
in Basel (1785), von H. Keller in Zürich (1813) u. a. m.
Mit dem Anfang des 19.' Jahrhunderts war der große Umschwung in der Karto-
gra])hie im großen ganzen vollendet. Von der lienaissance an gerechnet unterscheiden
sich keine Karten so auffälhg von denen der vorangehenden Jahrhunderte als die
des 19. Jahrhunderts von ihren Vorgängern, ganz gleich, ob sich dies auf die äußere
Ausfülirung oder die innerliche Korrektheit und Konstruktion bezieht. Am Ende
des 18. imd Anfang des 19. Jahrhunderts war wie mit einem Male das Eis karto-
graphischer Schüchternheit gebrochen und die Fesseln jahrhundertlanger Vor-
eingenommenheiten gesprengt. Ein neues kartographisches Leben erblühte, ein
neues Schaffen und Wirken, in dem wir heute noch inmitten stehen.
II. Die Lehrjahre in den neuen Geländedarstellungen
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
iöS. lHo kartoi;ra|»liis(h<' Metropole Paris. Die IlypsoniPtrie. Noch wirbeln
Klares und Inklares, Gegorenes vmd Ungegorenes in der Auffassung und Darstellung
des Geländes im Anfang des 19. Jahrhimderts durcheinander. Doch langsam und
sicher bricht sich das Gute Bahn, unterstützt durch die neu einsetzenden Terrain-
aufnahmen. Aber fast ein halbeT5 Jahrhundert dauert es, bis sich bestimmte An-
schauungen und Arbeitsrichtungen herauskristallisieren, die späterhin den einzelnen
Staaten und irmerhalb dieser wiederum besondern Schulen oder Arbeitsstätten ihre
Eigenart und Stärke verleihen.
Das Schwergewicht kartograjihischer Arlieit lag zu Anfang des Jahrhunderts
noch in Paris. Die Kartographie im ,, Depot de la guerre" während der Periode der
Eevolution, des Konsulats »nd des Kaiserreichs ist für fremde Kartenwerke von
größter Bedeutung geworden. Die Seinestadt, die fast hundert Jahre in der Karto-
graphie tonangebend war, wurde entthront, als Alexander v. Humboldt von Paris
nach Berlin übersiedelte.
Auch A. V. Humboldt war ein Kind seiner Zeit; er wie seine Zeif genossen krankten
noch an der Übersteilung der Berghängei, indessen lehrte er den Aufbau des Geländes
besser, als wie es bisher geschah, verstehen, indem er, -vsae wir wissen, die
Hypsometrie oder vergleichende Höhenkunde, nach der die Gipfel-, Kamm-
und Paßhöhen der Gebirge ermittelt wurden, begründete. Die ITulicnznlil wurde
durch ihn für die Geographie ein lebendiges, schaffendes Element.
' So lu'i den Vulkanen aus (h'n Korilillcrcn von (^uitn und .Mexiko im „Atlas der kleinem Schrif-
ten". Stuttgart u. Tübingen 1853. Die Gehänge des Cotopaxi haben eine durchschnittliche Neigung
von .50—5.5". — Selbst Kofistka hat auf seinen Tatrabildern und J. Payer bei der Ansicht der
Kimigsspitze von O (dem Eisseeimß) aus etwas überhöht; s. P. M. Erg.-H. 12. 186.3, und 18. 1867.
Die r^ehrjahrc in den neiu-u Gt'lHiidrdarstrlluiigi'ii iu iUt ersten Hiilftf de^ 19. Jahrh. 449
Der französische Ingenieur Millet de Mureau scheint der erste gewesen zu sein,
der seit 1784 auf seinen Fortifikationsplänen jedem nivelüerten Punkte die ihm zu-
gehörige Höhenzahl oder Kote beischrieb (s. S. 489). In gleichem Sinne verwandte
1761 de Eoquepiquet die Höhenzahl. Ebenso wichtig sind die Höhenzahlen bei Kanal-
bauten, und auf Kanalkarten stellen sie sich bei Zeiten ein, wie auf Smith's New
map of the inland navigation of England and Wales, London 1801, worauf sich
ausführliche Angaben in Fuß bis zur Höhe von 1768 Fuß befinden.^
Das Bedürfnis, sich von der Höhe und Verteilung der Berge eine Anschauung
zu machen, führte zur Zeichnung jener Kartogramme, richtig als ,,Höhentableaus",
fälschhch als „Höhenkarten"^ bezeichnet, die bereits im 18. .Jahrhundert auftauchen,
sich jedoch erst in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts breit machen.
An ihrer Konstruktion beteiligten sich außer Pasumot und A. v. Humboldt vor
allem G. Schmidt', W. A. Miltenberg*, Brandes^, Perrot^, Ad. Stieler', Hulley^,
Desjardins*, Mechel^" u. a. m., auch Goethe.
259. Das Höhenbild. Pasumot war wohl der erste, der 1783 auf den Gedanken
kam, die bekannten Berghöhen zusammenzustellen und in einem kleinen gestochenen
Blatte „Tableau comparativ" zu veröffentlichen^!; er zählte 83 Höhen auf (40 in den
Alpen, 28 in Frankreich imd 15 in Amerika). A. v. Humboldt kennt 1807 nur 121
gemessene Gipfel. Hulley veranschaulicht auf seinem Tableau 76 bestimmte Punkte,
auf der Weimarer Karte von 1820 werden 187 Höhen angegeben. Desjardins bringt
311, Bromme 1851 363 Höhen. Man darf sich nicht vorstellen, daß die Höhenbilder
alle vermessenen Höhen ihrer Zeit brachten: es waren nur die bekanntesten und auf-
fälligsten, denn schon Miltenbergs Sammlung, Frankfurt 1815, enthielt mit Inbegriff
der widersprechenden, imsichern oder ganz verwerfhchen gegen 3000 Hohen. Um
\aele Höhen auf einem Bilde zu veranschauüchen, erforderte es \ael Geschick, meistens
artete die Zeichnung in ein Zusammenkleistern von langen und spitzen eiszapfen-
artigen Gebilden aus, deren einzehie Spitzen numeriert waren. Die Bilder des Weimar-
schen Instituts und Mechels sind derartige Monstra. Selbst das Bild von Ad. Stieler
aus dem Jahre 1821 bringt unglaubhche Bergformen im Profil'-, wenn sich der den-
' Original ini Britischen Museum, London.
- Beispielsweise die „Höhen-Cbarte oder bildlich vergleichende Uebersicht der bedeutendsten
Berge in Europa, .■^sien, Afrika, Amerika u. den Südseeländem". Weimar. Geographisches Institut.
1820 (1824). Vgl. auch oben S. 450.
' G. Schmidt: Handbuch der Xaturlehre. Gießen 1813, S. 672 -67t).
* W. A. Miltenberg: Die Höhen der Erde. Frankfurt 1815.
' Brandes in Gehlers physikalischem Wörterbuch 1829.
* Perrot: Tableau comparativ des hauteurs des principales montagnes et lieux remarquable
du globe etc. Paris 1826.
' Stielers Handatlas. Gotha 1831. Blatt 10.
* T. Hulley: A view of the principal mountains throuphout the world, sbewing their com-
I>arative heights. London 1817.
» Constant. Desjardins: Vergleichendes Tableau der bedeutendsten Höhen der Erde. 4. Aufl.
München 1855. l.(?)Aufl. daselbst 1830.
"• Chr. de Mechel: Tableau des hauteurs principales du globe (ondi^ sur los niessures Ics plus
exactr«. Berlin 1866.
" In Roziers „Obss. sur la physique", Sept. 1783.
'2 Ist Blatt 10 in Stielers Handatlas, Ausg. in 83 Karten, (Jotlia 184S. Die Xachtriige auf der
Höhentafel gehen bis 1847.
Kckprl , KartvnwirMnscIiafl. I. '.29
450 l^i'' LMiidkaitc und ilii- (Jdiii.ac.
kendü Geograph iiiul Karl ot,'iaph auch darin ausspriclit, dlv ilulitii nach der geo-
graphischen Lage zu ordnen, „mit Andeutung des Zusammenhanges und der Ent-
fernung vom Auge". Besser sind die einzelnen vergleichenden Höhenbilder, wie sie
zahh-eich in Ad. Stielers Schulatlas für alle Teile der Erde vorhanden sind.^
Ähnlich sind diejenigen, die Tr. Bromme zu den europäischen Ländern und den Kon-
tinenten im Atlas zu Alex. v. Humboldts Kosmos bringt.^
Der Anschauungswert, der den Höhenbildern beiwohnen soll, ist mehr als
fraglich. Vielleicht mochten sie ihrer Zeit genügen, uns muten sie mehr abschreckend
an. Die Farbe mußte hin und wieder nachhelfen, namentlich wenn es galt, die Höhe
der verschiedenen Kontinente auseinanderzuhalten, oder den Bergen, die profil-
artig gezeichnet waren, mehr Plastik zu verleihen.
Dankbarer waren die Höhentafeln, die engere Gebiete umschlossen. In Sachsen
halben sich K. H. Stützner mit der Höhenkarte vom Königreich Sachsen^, worauf
"204 Berghöhen gezeichnet sind, und J. K. F. Troramer für das gleiche Gebiet mit
Höhenangeben von 234 Ortschaften und 272 Bergen* einen Namen gemacht.^ Für
Trommer lag ein ausgezeichnetes Muster vor in der „Übersichtskarte der vorzüg-
lichsten Höhen- und Talpunkte des Königreichs Sachsen über dem Meeresspiegel
nach Pariser Fußen, geordnet nach ihren geographischen Längen", welches Höhen-
tableau der Topographisch-orographischen Spezialkarte des Königreichs Sachsen
in 1 : 157281 von Otto Andree (Dresden 1851) eingefügt war. Ähnhche Höhen-
abbildungen, halb Profil, halb perspektivische Ansicht, wiederholen sich in größern
und kleinern Atlanten^ bis in die achtziger Jahre. Wir begegnen ihnen heute
noch, wenn es sich darum handelt, die Höhen von Pflanzengrenzen, Schneegrenzen
oder Gletscherenden zu veranschaulichen, z. B. in Heinr. Berghaus' Physika-
lischem Atlas (Gotha 1892) und in den entsprechenden außerdeutschen Atlanten
und Einzelkarten. Bei dem Bilde über die Höhe der Schneegrenzen' wird bei Berg-
liaus wohlweislich hinzugesetzt, daß sich Höhe und Länge wie 200 : 1 verhalten.
260. Das Profil und seine Bedeutung. (Das Blockdiagramm.) Mit der Wieder-
gabe der Höhen wurde die Karte Meßzwecken zugänghcher. Zunächst waren dazu
noch Hilfskonstruktionen nötig, von denen eine der wichtigsten das Profil oder der
Vertikalschnitt (Längsschnitt) ist der durch die Kartenebene gelegt gedacht
wird. Die genannten Franzosen Mureau und Eoquepiquet hatten bei ihren Forti-
fikationsplänen auf die Bedeutung der Profile hingewiesen. Es kann uns nicht
wundern, daß sich mit den ersten Höhenschichten die ersten Profile einstellen.
Ph. Buache bringt auf seinem Kärtchen des Ärmelkanals 1752 ein Piofil der Kanal-
> Mir liegt z. B. die 38. vermelirte u. verbesserte Aufl. vor. Gotha 1858.
" Stuttgart 1851; auf den Tafeln 22-30.
" K. H. Stützner: Höhenkarte vom Königreich Sachsen. Buchholz u. Ix'ipzig (18.50).
' J. K. r. Trommer: Höhenkarte (von Sachsen), enthaltend die Höhen nach Pariser Fuß von
2.34 Ortschaften u. 272 Bergen. L<'ipzig 18.57.
' Beide Tableaus sind nach gleichem Schema gearbeitet; sie sind mit wagerechten Linien be-
deckt, die die stufenweise Höhenangabe der Berge (und Ortschaften) von 100 zu 100 Pariser Fuß über
d. Nordsee markieren, und mit senkrechten Linien, den Längenminuten.
' z. B. F. G. E. Greßler: Die Erde, ihr Kleid, ihre Rinde und ihr Inneres durch Karten und
Zeichnimgen zur Anschauung gebracht. 7. Aufl. I^angensalza 1864.
' H. Berghaus: Physikalischer Atlas. Abtlg. Geologie. Unter Mitwirkung von K. v. Zil tcl
bearbeitet. T. 6.
Di.' r.olirjaliiL- in den iwiioii G<-l;iiidudarstolluiig.Mi in <loi- cisfoii lliilft.- d.-s l'J. J;ihrli. 451
/uue, Diipaiii-Trii'l IT'Jl das erste Hohiiiprul'il uÜils J^audes auf Giuud der Sebicht-
linienkarte von Frankreich.^
Wie man die ersten Schichtlinienkarten in ihrem Wert für die geographische
Wissenschaft noch nicht zu würdigen wußte, so auch nicht die Profile. Erst mußte
ein A. v. Humboldt seine Höhenprofile, womit er seine hypsometrischen Erörterungen
veranschaulichte, gezeichnet haben, bis es wie Schuppen von den Augen fiel, welche
Bedeutung das Profil für die Beurteilung des orographischen Aufbaus eines Landes
oder Erdteils hatte. Berühmt wurde Humbolds Profil du chemin d'Acapulco ä
Mexico, et de Mexico ä Veracruz-, entworfen nach barometrischen und trigono-
metrischen Messungen 1804 im Maßstab der Entfernungen zu dem der Höhen wie
1 : 23,66.
Humboldts Vorgehen hatte nacheifernd gewirkt, und fleißig werden Längs-
schnitte durch Kontinente und einzelne Länder gelegt. J. Emslie betont nachdrück-
lichst bei seinen Kontinentprofilen, daß sie nach den Plänen von Humboldt und
Bitter entworfen seien.' Der in der ersten Hälfte des Jahrhunderts einsetzende
Eisenbahnbau erforderte für die Trassierung der Strecke eine genauere Profilauf-
nahme. Die erste lange Strecke, von Leipzig nach Dresden, sehen wir profiliert in
K. Sohrs ,, Handatlas der neuern Erdbeschreibung."* G. Hanser stattete seinen
,, Atlas der neuesten Erdkunde"* reich mit Profilen aus. Die Vertikalschnitte werden
gern auf erdphysikalischen Karten als ganz allgemein orientierende, schematische
Zeichnungen, die den Gegensatz von Hoch- und Tiefland illustrieren soUen, gebracht;
zugleich dienen sie zur- Einführung in das Verständnis der Geländezeichnung. Als
Schema tische Zeichnung gebraucht sie auch H. Wagner in den Profilen für die Kon-
tinente in seinem „Methodischen Schulatlas". Im großen und ganzen sind heute
die Profile von geographischen Karten imd Atlanten geschwiuiden, und man hat
die Profilskizze vorzugsweise in den Unterricht der Schulen und Hochschulen ver-
wiesen.
So lehrreich das Profil sein kann, so vorsichtig muß man in seinem Gebrauch
sein. Die Überhöhung kann schließlich den Anschauungswert zunichte machen.
Olme Überhöhung ist in den meisten Fällen nicht auszukommen. Abgesehen davon,
daß man das Maß der Überhöhung stets einwandfrei zu bezeichnen hat, ist darauf
zu achten, das Profil nicht über zu weite Gebiete auszudehnen, und daran zu denken,
daß manche Bodenformen, z. B. die Alpen, wenig Überhöhung vertragen. Sie wirken
für sicli allein abgebildet im Vertikalschnitt schon günstig. Die Vulkanberge der
Inseln sind ein beliebtes Sujet für Profilzeichnungen*, bei denen man ohne Über-
höhung auskommen kann. Bei Mittelgebirgen sollte tunlichst über das Verhältnis
1 Wiedergegeben in O. Peschels „Geschichte der Enikundc'". '2. .\nfl., hg. von S. Rüge.
München 1877. S. 700.
* Tableau physiquc de la nouvelle-Cäpagno. Beilage zum IV. Bande de.s „Essai politique sur
le royaume do la nouvelle-cs{>agne". Paris 1827.
' J. Einslic: Übcrsichtsprofile oder das UeHef der Kontinente und deren Erhebung über dem
.Meeresspiegel. Nach dorn Plane von Humboldt und Ritter. Schw. Hall. 4 Tafeln, s. a. — Dasselbe:
A series of geognostic profiles illustrating the rclief o( tho continent» of their wrtical clevation ahove
tlic sea Icvcl, oii tho plan of HwMil)oldl and Hittcr. l>ondon 18.'»:).
* (iiogau u. Leipzig 1844.
•'• Hcgensburg 1847.
" /. B. bei M. van Ciirnbce c.n \V. l'\ Vüfteeg: Allgoniecne Atlas van Nedorlandsch ludie.
(ioudii 1870.
•Ja*
452 Die Landkarte und ihr Gelänilc
von Länge zur Höhe in 1:5 nicht hinausgegangen werden. Das „Profil durcli den
höchsten Bücken des Thüringer Waldgehirges und durch dessen Fuß auf der Nord-
seite" von A. W. Fils^ erinnert bei der zehnfachen Überhöhung an alpine Formen
anstatt an die gewellten des deutschen Mittelgebirges.
Die falsche Wirkung der überhöhten Profile zeigte 1821 bereits Adolf Stieler an
seiner Höhentafel im Handatlas^, die zugleich als Profil aufzufassen ist. Er macht
nachdi-ückhch darauf aufmerksam, es nicht zu übersehen und sich nicht verleiten zu
lassen, „eine wirkliche, naturgemäße Abbildung der Bergansichten hier zu suchen".
Das Profil der Schweizer Alpen gibt er in zwölffacher Überhöhung und sodann in
einer zweiten Abbildung, worauf die Höhen im richtigen Verhältnis der Entfernungen
erscheinen. 0. Peschel befaßt sich mit den irrig wirkenden Profilen in den Neuen
Problemen der vergleichenden Erdkunde an einem Vertikalschnitt (Peschel spricht
von Querschnitt) durch die größte Breite des atlantischen Tales von Guinea bis nach
Mexiko. In der ersten Ausgabe von Heinr. Berghaus' Physikalischem Atlas (Gotha
1845) wirken die zwanzigfach überhöhten Profile der Plateaus von Costa Eica und
Guatemala lächerlich.' Ein schönes Lehrbeispiel gibt H. Wagner im Profil durch
den Pik v. Teneriffa von N nach S in zwanzigfacher und in fünffacher Ülserhöhung
und sodann die Längen und Höhen im richtigen (gleichen) Verhältnis.*
Für die physische Erdkunde wie die Kartographie gleich wichtig sind Ferdinand
Linggs Erdprofile, zunächst das der Zone 31 "—65« n. Br. durch Europa in 1 : 1 000000
(München 1886) und sodann das Profil durch Deutschland und die Alpen in 1 : 500000
(München 1887). Beide haben für die Längen und die Höhen gleichen Maßstab. Natur-
gemäß erstrecken sie sich sehr lang nach einer Eichtung hin, ist doch das erst genannte
3,66 m und das zweite 2 m lang. Vorzüglich ergänzt werden diese Profile durch die
Konstruktion des Meridianquadranten auf dessen Sehne in 1 : 10000000 (München 1893).
Auf dem Gebiete der Geologie hat das Profil nach wie vor seine uneingeschränkte
Bedeutung. In altem Kartenwerken muß es sogar die bis dahin noch kaum ge-
zeichnete geologische Karte ersetzen, z. B. PI. 29 und 30 in dem Atlas complet du
precis de la geographie universelle von Malte Brun.^ In der Geologie spielt zuletzt
die Überhöhung nicht die EoUe wie in der Geographie ; kommt es hier auf die Silhouette
an, so dort mehr auf die umrahmte Fläche.
Da ich später auf das Profil nicht mehr zu sprechen komme, sei hier noch einer
neuem Profildarstellung gedacht, die gleichfalls der Kartenerkenntnis Vorschub leistet
und unter dem Namen Blockdiagramm bekannt geworden ist. Es ist eine Ver-
quickung von Profil und Seitenansicht aus der Kavalierperspektive. Im Vordergrund
erkennt man im Vertikalschnitt den innem Bau des Landes und rückwärts sich an-
schheßend und höher werdend das Landschaftsbild, um auf diese Weise die Ab-
hängigkeit der Bodenformen vom innern Bau zu demonstrieren. W. M. Davis hat
für das Blockdiagramm, dessen Anfänge wir schon bei 0. Peschel u. a. sehen*, viel
1 A. W. Fils in P. M. 1856. T. 8.
- In der Ausgabe von 1831. Die Höhentafel selbst stammt aus d. .1. 1S21.
» Auf Blatt 10 der 3. Abteiig. des Atlas. Geologie.
* Sydow -Wagners Methodischer Schulatlas. Gotha 1897, Karte Nr. 41.
^ Verbesserte Auflage von .1. J. N. Huot. Paris 1837.
* O. Peschel: Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde. 4. Aufl. Leipzij^ IH83. T. II,
Fig. 30, Fig. 3i.
Die Lehrjahre in den iicupu Geländcdaratelluiigeii in der ersteu Hälfte des 19. Jahrh. 453
Propaganda gemacht.^ Unstreitig ist Davis ein Meister des Blockdiagramms. Neuere
Forscher wenden es, wenn auch sparsam an, wie E. de Martonne^ S. Passarge' u. a.
2«I. Die Landesaufiiahnieii und ihr Besilznehmcn der Schichtliniendarstellung.
Die hyiisometrischen Arbeiten gewannen zunächst nur in Europa Form und Inhalt
durch die Nivellements und topographischen Arbeiten der wichtigsten Länder. Die
europäischen Staaten wetteiferten, schon bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine
topographische Gesamtaufnahme zu besitzen.
Infolge der Unzulänglichkeit der Karte von Cassini gab Napoleon I. zuerst dem
Gedanken Ausdruck, sie durch eine neue zu ersetzen. Dieser Anregung folgte 1808
der Ingenieurgeograph Bonne mit dem Plan für die Arbeiten der Neu Vermessung.
In der Kommission von 1817 brachte der berühmte Astronom Laplace den Antrag
ein, die neue Karte in 1 : 10000 aufzunehmen und in 1 : 50000 zu veröffentlichen.
Wegen pekuniärer und zeitlicher Schwierigkeiten ließ man den Plan fallen und setzte
im Dekret von 1824 fest, die Originalaufnahmen .,Minutes" in 1 : 40000 und 1 : 20000
(im NO des Eeichs) herzustellen und in 1 : 80000 herauszugeben. 273 Blätter waren
vorgesehen, deren Herstellung von 1818—1878 gedauert hat.*
* Vgl. W. M. Davis und G. Braun: Grundziigc der Physiogeograpbie. Leipzig u. Berlin 191 L —
W. M. Davis: Die erklärende Beschreibung der Landformen. Deutseh von A. Ruh 1. Leipzig u. Berlin
1912. — Ders.: Atlas for practical esercises in physical geography. Boston, New York, Chicago,
London, s. a.
* E. de Martonne: Traite de geographie physique. Paris 1909.
' S. Passarge: Die Grundlagen der Landschaf tskunde. Bd. I. Beschreibende Landschafts-
kunde. Hamburg 1919. — Bei Passarge allerdings nicht in der starren schematischen Auffassung,
sondern wesentlich gemildert, z. B. die Abb. S. 41. — Vgl. auch die Abbildgn. in III. Hambiirg 1920,
S. 15, 279, .-596.
* Reiche Lit. -Angaben über die außerdeutsehen Landesaufnahmen finden sich in W. Staven-
hagen: Skizze der Entwicklung und deo Standes des Kartenwesens des außerdeutschen Europa.
P. M. Erg.-H. 148. Gotha 1904. Dies Werk, wie überhaupt die Arbeiten von Stavenhagen sind mit
größter Vorsicht zu gebrauchen, da sie sich nicht als verläßlich erweisen und die kartographischen
Fragen mehr journalistisch als forschungstechnisch behandeln. Ganz abgesehen von solchen Fehlem,
daß er z. B. S. 304 bei der „Carta topografica del Regno d'Italia" in 1 : 100000 den Charakter der Grad-
abteilungsKarte verkennt und irrige Angaben über die Blattgrößc macht (vgl. E. Oberhummer,
Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1905, S. 64), sind ihm doch recht fatale Felder beim schwedischen Kartenwerk
unterlaufen, wo er ,,härom" = „hieiüber" als Familiennamen gelesen (S. 237), desg. „fort" = .,Verfa.sscr"
(författeren). Natürlich erscheint der Herr „förf" auch im Personenregister (S. 370). Sven Lönborg
hat deshalb Stavenhagen im ,,Ymer", Z. der schwed. anthiopolog. u. geograph. Ges. Stockholm 1904,
Heft 4 böse mitgenommen. Ülu-igens hat Stavenhagen in dieser feblerhaftou Wiedergabe von Ver-
fa.'isomainen einen berühmten Vorgänger in C. Gottschling, der in dem „Versuch der Historie der
Land-Charten 1711" aus der Widmung einer englischen Karte „this mapp is humbly dcdicated"
einen Verfertiger der I^ndkarle mit Namen „Is humble" macht; denn auf S. 64 lesen wir: „Von den
Engländern wird Is humble gerühmt; es sind aber seine Chartt-n in Teutschland sehr rar, und ich
habe nur die Particular-Cliarte von Bremen von ihm gesehen." — H. Wagner warnt nachdrücklich
vor W. Stavenhagen, Lehrb. d. Geographie, 9. Aufl. Hannover u. Leipzig 1912, S. 14, .\iuii. 18. —
Gut u. kurz orientierten die „Notizen über die außerpreußischen Vemiessungs- und Knrtierungs-
arbeiten" in Br. Schulze: Das militärische Aufnehmen. Leipzig u. Berlin 1903, S. 255ff. und in den
Mit. des k. k. inil.-geogr. Inst. Wien 1908, XXVI 1. „Die milit^irisch wichtigsten Kartenwerke der
europäischen Staaten" von Vinzenz Haardt von Hartenthurn. — Über die deutschen Landes-
vermessungen vgl. W. Jordan: Hnndbuch der Vcimessungskunde. II. Bearbeitet von C. Rein-
hortz, 8. Aufl. von O. Eggort. Stuttgart 19H, S. 9211f. - Vgl. auch den Artikel „Unde.s-
aufnahme" in den verschiedenen Konversationslexika, z. B. ist er sehr gut in Meyers Konv.-lxwikoii
zusammengestellt.
In England war man sich lange Zeit unklar über "die Maßstäbe bei iln- Auf-
nahme, ob in 1 : 10560 oder in noch größern Maßstäben, die der einheitlichen Kiiitc
von Großbritannien und Irland, der ,, General Map" oder „Ordnance Map" in 1 : 03300
(1 Zoll = 1 engl. Meile) als Grundlage dienen sollten.
Die Organisation der gesamten Landesaufnahme wird als ,, Ordnance Öurvey"
zusammengefaßt, mit der Zentralstelle in Southampton. Für die Erkenntnis der
Naturverhältnisse Großbritanniens und Irlands in der Mitte des 19. Jahrhunderts
gebührt dem Ordnance Survey großer Dank. Für die Kolonien, mit Ausnahme von
Vorderindien, wo ein eigner Vermessungsdienst besteht, entsendet er eigene Aufnahme-
expeditionen, und in neuester Zeit hat er auch die Herausgabe, wenigstens die Ober-
aufsicht über die Weltkarte 1 : 1000000 übernommen (s. S. 112).
Um es gleich hier mit zu erwähnen, haben die Vereinigten Staaten erst 187'J
angefangen, ihr Land aufzunehmen. Die Originalaufnahme des United States Geo-
logical Survey findet statt in den am dichtesten bevölkerten nordöstlichen Staaten
entweder in 1 : 62500, in den Südstaaten und am Mississippi in 1 : 125000, auch so in
niederkalifornischen Gebieten, jedoch in den spärlich angebauten Gegenden der Kor-
dilleren in 1 : 250000, mit Schichthnien, deren Abstand je nach dem Maßstab und den
Erhebungen 10, 20, 40, 100 oder 200 Fuß beträgt. Unter amerikanischer Leitung
steht teilweise seit 1907 die Landesaufnahme in China.i
Während man in den deutschen Staaten (Preußen, Sachsen), den Niederlanden
die Originalaufnahmen, die „Meßstichblätter" in 1 : 25000 und in Dänemark, Spanien,
Ik'lgien (.,leves originaux") in 1 : 20000 ausführte, arbeitete man in der Schweiz und
später in Italien mit Aufnahmen in 1 : 25 000 und für das Hochgebirge in 1 : 50 000.^
Norwegen, wo 1828 die neue planmäßig!» Landesaufnahme begann, schreibt für stark
angebaute Gegenden 1 : 20000 vor, für mittelkultivierte 1 : 50000 und für die über
der Bewachsuugsgrenzc^ liegenden sowie unkultivierte Gel)iete 1 : 100000 vor. In
Schweden arbeitet man mit 1 : 20000 und 1 : 100000. Die Schichthnienabstände
wechseln für die einzelnen Staaten je nach Maßstab und charakteristischen Boden-
erhebungen. Das Grundmaß für die Äquidistaiiz ist 5 und 10 m; für die Niederlande
ist es aus natürlichen Gründen nur 1 m.
In Württemberg liegen der Karte 1:25000 die Höhenkurvenflurkarten in
1 :2500 zugrunde. Unverzeihhcherweise liilden nicht überall die Flur- und Kataster-
karten das Urmaterial zum Aufbau der Generalstabs- und verwandten Karten in
1 : 20000 bis 1 : 75000, z. B. in Österreich, Frankreich, Preußen usw. Da ist man —
was eigentlich ein verkehrter Weg ist — von den kleinmaßstabigen Karten allmählich
zu den großmaßstabigen vorgedrungen. Die bayrischen „Positionsblätter" in 1 : 50000
beruhen auf den Aufnahmen in 1 : 5000 (Katasteraufnahmen) und 1 : 25 000 ; letztere
Originalaufnahmen wurden erst später als „Positionsblätter" in 1 : 25000 heraus-
gegeben. Sie entsprechen den ,, Originalaufnahmen" Österreichs, wo man mit 1 : 28800
für die alten Kronlandskarten in 1 -.144000 und in 1 : 25000 für die neue Spezial-
karte in 1 : 75 000 arbeitete. Nach Frankreich war Österreich-Ungarn das erste größere
1 1910 waren von der Nankinger Gegend 16 Blätter in 1:25000 fertig, aber noch nicht ver-
öffentlicht, und von der Provinz Klang- Su am Yangtzekiang ein Areal von 8000 qkin auf Blättern
in 1:20000.
2 Von den italienii-chen Originalaufnahmen „levate di campagna" 1:50000 bilden vier, darum
„quadrati", ein Blatt der f'arta topografica in 1 : 100000, während dazu von der Aufnahme in 1:25000
entsprechend IG Blätter „tavolcttc" erforderlidi .sind.
Die Lplirjahrc in den neuen rieländedaistelluiigiii in der ersten Hälft«- des 19. Jahrh. 455
Land, wo 1806 die Aufnalinie der gesamten Monarchie nach einheitlichem Plane an-
geordnet wurde (durch Kaiser Franz I.). Auf der Karte des lombardisch-venetia-
nischen Königreichs in 42 Blättern 1833-38 in 1 : 86400 von dem k. k. Militärgeo-
graphischen Institut herausgegeben, machte sich der französische Einfluß geltend.
Was aber dieses Institut, das sich heute in seiner Verkleinerung Militärgeographisches
Institut bezeichnet, für die Kartograjjhie der Länder des ehemaligen Kaiserreichs
Üsterreich-Ungam. Norditahens und der Balkanstaaten geleistet hat, das nur einiger-
maßen genügend zu würdigen, würde mich über den Rahmen meiner Untersuchungen
hinausführen.! Das steht fest, daß viele von den heutigen Staaten es aus eigner In-
telligenz und Initiative nicht soweit gebracht hätten, und daß ihre Kartographie noch
lange von den ruhmreichen Daten und Taten des k. k. Militärgeographischen Instituts
zehren wird. A. Petermami hat nicht zuviel behauptet, wenn er schon zu seiner
Zeit das Wiener Institut die ,,hohe Schule für Kartentechnik" nannte.^
In manchen Staaten, wie in Norwegen, Schweden, Rußland (und Spanien)
waren die speziellen topographischen Grandlagen mühevoll und schwierig zu be-
schaffen, sie schritten weniger schnell vorwärts als die orographisch begünstigten
imd politisch eng umschlossern Länder. Aber selbst hier währten die Aufnahmen
eine geraume Zeit und eine noch längere ihre Veröffentlichung. Welch lange Zeit
allein die Herausgabe der Carte de France und der General Map in England
beanspruchte, haben wir oben hervorgehoben. Die Herstellung des nach Aulitschccks
Grundsätzen bearbeiteten Topographischen Atlas vom Königreiche Bayern in
1:50000 (112 Blatt) dauerte von 1812-67, des Topographischen Atlas des König-
reichs Württemberg gleichen Maßstabes (55 Blatt) von 1821—51, des Topo-
graphischen Atlas des Königsreichs Sachsen oder der sog. Oberreitschen Karte* in
1 : 57600 (22 Blatt) von 1836-60.
Mit der trigonometrischen und topographischen Aufnahme des Landes ver-
band sich eme rege kartographische Tätigkeit. Eine tüchtige Arbeit wurde geleistet,
im Felde sowohl wie am Zeichentisch. Laplace machte am 14. Oktober 1816 der
Kammer den Vorschlag, in Schichtlinien eine neue Karte von Frankreich in 1 : 10000
herauszugeben; sicher war ihm die Isohypsenkarte von Haxo und den französischen
Genieoffizieren bekannt.* Bei der neuen Karte sollten wenigstens 25 gemessene
Höhcnpunkte auf 1 Quadratlieu entfallen.* An den wenigen und zeitraubenden
Nivellements und der Kostspieligkeit scheiterte schheßlich das Unternehmen; demi
1 Man vgl. das ausgezeichnete Werk von Vinzenz Haardt von Hartenthurn: Die Tätig-
keit des k. k. Militärgeographischen In.stituts in den letzten 2ö Jahren (1881 bis Ende 1905). Wien
1905.
- A. Peterniann: Die Sonne im Dienste der CJeogrsphie u. Kartographie. P. M. 1878. S. J(.>5.
' Genannt iiaeh Oberreit, dem damaligen Direktor der königUeh siielisisehen Plankammer.
* Der Ciencral Haxo hotte 1801 als jüngerer Offizier den Plan von lUieca d'.-Vnfo in h.'iOO als
Sclüchtlinienkarte entworfen. Bekannter war die .•Vufnahnie von Corfu in Sc-hiehtUnien in 1:2000 der
französischen Genieoffiziere ans d. J. 1812 geworden. — Die französische Methode, Kestiingspläne
in Isohypsen darzustellen, wurde 1820 von Franz von Hauslab in der Österreich, k. k. Ingenieurs-
aka<lemie eingeführt. Kurz darauf fand die Idee der Schicht«>nkarto bei Winkler von BrUckon-
brand in der For8tlcliran.stalt zu Mariabnuui bei Wien .anklang und dessen Tntkraft ist es zu danken,
die erete gröUere S<hichtenauf nähme in Österreich, des Tiergartens im Wiener Walde, auxgeführt zu
haben. Vgl. auch Winkler» Werk: Theorotisch-piuktiscbe Anleitimg zur Sitiiationszeichnung.
Wien 1824.
' Vgl. A. Steinhau'c r: Beiträge zur Gesch. der Entstehung u. .Ausbildg. der Ni\Taukur\Tu,
sowohl See- als Landkarten. Mit. d. Gcogr. Ges. H. Wien 1858, S. 59.
45ü l'iß I/Aiulkiirte uud ilir GreliUiclc.
bis 1833 wurden nicht mehr imd nicht weniger als vier Karten hergestellt, darunter
in 1 : 10000 die Blätter Paris, Beauvois, Melun. Währenddessen hatten andere Staaten
die Idee aufgegriffen, die Aufnahmekarten in Höhenschichten darzustellen und ge-
gebenenfalls zu veröffentlichen. Zunächst waren es Hannover (1829), Baden (1833)
und Kurhessen (1840). Die äquidistanten Niveaulinien wurden meistens in den Inter-
vallen von 50 zu 50 Fuß konstruiert, auf der Niveaukarte des Kurfürstentums
Hessen von 60 zu 60 rheinischen Fuß = 18,83 m, also nicht 50 Fuß, wie 0. Peschel
angibt.^ 1846 begami, insonderheit auf Betreiben von Morozowicz Preußen mit
Niveaulinienkarten, zunächst nur in den westlichen Gebieten wegen der Anschlüsse
an Frankreich und Belgien; letzteres folgte 1848 mit Isohypsenkarten, 1849 Neapel
und 1850 Dänemark und Schottland. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
wird die Schichtliniendarstellung zum Axiom sämtlicher staatlicher Auf-
nahmen, ganz gleich, ob die Karten als reine Niveaulinien- oder als vollständig
ausgeführte Schraffenkarten veröffenthcht werden.
An die altem Isohypsenkarten darf man nicht den Maßstab wie an die neuern
legen. Dort sehen wir wohl mit Geschick die äquidistanten Horizontalen gezogen,
aber zu deren vollkommener Anordnung fehlten noch ausgedehnte Nivellements und
Höhenbestimmungen. So ist auf diesen Karten auch die Wiedergabe der gemessenen
Höhen äußerst späilich, ja man drängt sie zu Tabellen, die man der Karte beigibt,
oder auf dem Titelblatt zusammen, wie bei der Oberreitschen Karte von Sachsen.^
262. Von der Schichtlinieukarte zur Ilöhcnschichtkarte. Die praktische Aus-
nutzung des von Dupain-Trielschen Gedankens, d. h. die Zeichnung einer Höhenschichten-
karte eines umfassendem Gebietes im Maßstab der chorographischen Karten scheiterte
an dem Mangel an Höhenmessungen. Die Höhenzahlen zur Darstellung von Schicht-
linien eines gi'oßen Gebietes, und zwar von Europa mit Ausschluß des östhchen Teils
im Maßstab 1 :66540003, im Jahre 1824 angewandt zu haben, ist das Verdienst der
Dänen J. H. Bredstorff und O.N.Olsen, angeregt durch ein Preisausschreiben der
Geographischen Gesellschaft zu Paris vom Jahre 1823, wiederholt 1825 und 1826.*
Der Preis blieb jedesmal ungewonnen; die Ursache war wieder die geringe Anzahl
von Höhenmessungen. Die Karte von Bredstorff und Olsen diente wesenthch als
Vorbild zur Karte von Europas Hauptgebirgssystemen (1842) in Berghaus' Physi-
kaUschem Atlas^, mit dem Unterschied jedoch, daß die Gebirgszüge in der südöst-
Uchen Halbinsel nach Boue's und die der Insel Sardinien nach Marmara's Beob-
achtungen und Messungen berichtigt worden sind. Die von 1000 zu 1000 Pariser Fuß
entfernten Niveaukurven sind durch ununterbrochene Kurven dargestellt, die da-
zwischen liegenden 500 Fu ßkurven durch gestrichelte Linien. Unsichere Bestimmungen
in den Niveaukurven werden durch unterbrochene Linien gekennzeichnet. In dem
1 O. Peschel: Gesclüchte der Erdkunde. 2. Aufl., hg. von S. Rüge. München 1877, S. 705.
^ Die Orts- und barometrischen Höbenbestimmungen -sind darauf in Pariser- und Dresdener
Fuß ausgedrückt.
3 Der Maßstab ist 1:6654 000, nicht 654000, wie W. S.tavenhagen in P. M., Erg.-H. 148,
Gotha 1904, S. b und W. Wolkenhauer in Deutsch. Geogr. BI., Bremen 1916, S. 126, angeben.
■* Esquisse orographique de l'Europe 1824; corrig6e et consid6rablement augment^e par Olsen,
1830. Hierzu schrieb Olsen in Koj)enhagen 1833: Commentaire ä l'esquisse orographique de l'Europe. —
Die Karte ist nur in Schichtlinien dargc^te'lt. [Kricgjarchiv Wien.]
' Heinr. Berghau.-: Physikalischer Atlas. In 93 Karten. Gotha 18.38- 1848. 2. Aufl. 1852,
3. Aufl. 1893.
Dil- Lehrjahre in fleii neuen Oeländrdarstclluugpn in der erstrn Hälfte des 19. Jalirh. 457
gleichen Jahre 1830, als Olsen die verbesserte hypsometrische Karte herausgab,
brachte Papen seine Höhenlinienkarte des Harzes auf den Markt. Auf Papens Topo-
graphischem Atlas des Königreichs Haimove.r und Herzogtums Braunschweig in
1 : 100000, Hannover 1832—1847^, erschienen die Niveauünien im Verein mit einer
reichen Anzahl von Höhenzahlen. Dadurch zeichnete sich das Kartenwerk
auf (las vorteilhafteste von mehreren Kartenwerken gleichen Maßstabes aus und
\vurdc schon seinerzeit als eine geographische Quelle zum Studium der Oberflächen-
gestaltimg Hannovers gepriesen.
Noch war die Schichtlinienkarte farblos. Da kolorierte 1835 Carl af l'ur-
sell auf seiner Karte der südhchen Teile von Schweden und Norwegen in 1 : 500000,
nachdem sie ihm als reine Schichtlinienkarte zu nackt ausgesehen hatte^, die Schichten
bis 300 Fuß grün, bis 800 rot, bis 2000 gelb, was darüber lag, bUeb weiß.* Auch Papen
war durch die bloße Schichtlinienkarte nicht befriedigt worden, sie gab ihm noch
kein Bild des (leländes, vor allem zeigte sie auf den ersten Anbhck nicht die Zusammen-
hänge und gleich hohen Stufen. Die Bedeutung der mühsam erworbenen Höhenzahlen
kam in der nackten Schichtlinienkarte zu wenig ziu: Geltung. So kam er auf die Idee,
für die einzelnen Schichten Farbe anzuwenden. Das Fazit war die Höhenschichten-
karte von Zentraleuropa in 1:1000000. Ihre Herausgabe war in 12 Blättern ge-
jilant, deren erstes 1853 in Frankfurt a. M. erscliien.* Sechzehn Farben wurden an-
gewandt, für die fünf untem Stufen leichtere und die obcrn gesättigtere Töne. Wenn
darauf Bedacht genommen sein soll, daß benachbarte Farben einigermaßen kon-
trastieren, muß doch gesagt werden, daß sie wahllos aneinander gereiht worden sind.
Diese Überdeutlichkeit wurde zur „Harlekinade", um einen Ausdruck Fr. v. Hauslabs
zu gebrauchen, aus Terrainbildern wurden bunte schematische Darstellungen; es
fehlte eben das System im Aufbau der Farbenreihe. Beim ersten Anbhck der Papen-
schen Karte dürfte man zunächst kaum auf eine bloße Terrainkarte schheßen, so
scheinbar geologisch mutet sie einen an. Was Wunder, daß die Karte in einer großen
staathchen Bibliothek unter die geologischen Karten eingereiht ist! Die Papensche
Karte ist ein Unikum; sie ^vurde bekannt, besprochen und belobt, aber nicht nach-
geahmt wegen des ungewohnten Aussehens und der mit dem Farbendruck, der damals
noch nicht auf der Höhe .stand, verliundenon llersdlliuigskustcn ; hat sie ja selbst ihr
eigenes Ende nicht erlelit.
2«3. Die Erstliuge der IlöhensehiehlkarU'U. Das Lorbeerreis, das H. Wagner
für litrniann Berghaus gepflückt hat'', indem er besonders anerkennend hervorhebt,
daß Berghaus 1857 noch vor dem Erscheinen der Pa penschen Karte von Mitteleuropa
eine solche für den Stielerschen Atlas geschaffen habe, was das Denkmal eines be-
deutenden Geistes sei, wollen wir nicht zerpflücken, trotzdem jedoch nicht unerwälint
• Der Atlas umfaßt 67 Blätter.
- Die schwedische Oripinalausgabe „Karta ufver .Sicdra Uelen af Svcrige oeli Xorri^jr", iStock-
holin 1815 — 1826, ist keine Höhenschichtenkarte, da sie nur die Fjelds grtin koloriert. [Handkolorit
auf dem Exemplar im Kriegsarchiv Wien.] — Die Berliner Ausgabe von 1835, s. ol>en, erscliien bei
Itoden. Interessant ist, daß sich in dem Begleitwort zur Karte das ei-s(o Beispiel einer Berechnung
der von den Schichten eingenommenen Areale findet.
' Vgl. A. .Steinhauser, a.a.O., S. 71, 72.
' Die Karte stand unter der Redaktion von /Vng. Ravenstein. Nur 0 Hlnlti r des Werkes sind
i'ischienen.
^ H. Wagner: Hermann Berghaiis. 1'. M. 1891, 8. 11.
458 l>'e r,andk;iitr und ihr Gelände.
lassen, daß Berf^haus gar wohl Vorgänger hatte und sie unbedingt kennen mußte.
War doch die oben erwähnte Karte von Forsell als farbige Schichtenkarte 1885 in
Berlin im Buchhandel erschienen.^ C. W. Gylden hatte 1850 die kartographische
Welt mit der Höjd-Karta öfver Finland in 1:1120000 mit zehn bunten Höhen-
schichten überrascht^, und C. E. Wolff hatte auf seinen Karten ,, Massenerhebung
des deutschen Bodens von der Donau bis zur Ostsee, von der Maas bis zur Weichsel",
„Massenerhebung in den Alpen und im Jura"^, beide Karten in 1 : 1000000, Berlin
1846, und auf seinen andern Höhenschichtenkarten von Coblenz 1854 und vom Kyff-
häusergebirge 1855 ähnliche grelle und kontrastierende Farben (Handkolorit) ge-
braucht, wie sie fast zur selben Zeit Papen auf seiner klassischen Höhenschichten-
karte vdu Zentraleuropa durch Druck zur Veröffentlichung brachte.
Die Idee von Papen wirkte geläutert fruchtbringend in den Arbeiten von
Fr. V. Ha US lab und A. Steinhauser, auf die ich später eingehender zu sprechen
komme. In der Farbentönung des Kartenbildes hat Papen noch andere Vorgänger
als die oben genannten gehabt. 1804 bereits versuchte August Zeune die Boden-
erhebungen auf Erdkarten durch Farben auszudrücken.* Ihm folgte zwei Jahre
später C. Eitter nach mit einer Eeihe von Karten, deren erste ,,über die Hauptgebirge
in Europa, ihren Zusammenhang und ihre Vorgebirge" aufklären will.^ Zu diesem
Zweck wird eine dunkelbraune Färbung für die Niederungen gewählt, aus denen sich
heller und heller werdend die Gebirge emporheben. Nach diesem ersten Anklingen
der Eegionalfarben im 19. Jahrhundert* vergehen noch ein paar Dezennien, bevor
E. v. Sydow als junger Kartograph 1838 die Eeihe der 24 projektierten Karten, die
den ,, Wandatlas über alle Teile der Erde" bilden sollten', mit „Asia" eröffnete, der
ein Jahr später bereits die , .Wandkarte von Europa" folgte. Die Karten sollten eine
„treue Abspiegelung der charakteristischen Formen (der Erdoberfläche) wieder-
erkennen lassen", demnach, wie er selbst ausführt, die sterilen Plateaus, die seereichen
Gebirgsstufen, die einfachen Terrassen, Eand- oder Kettengebirge, steilumgrenzte
Tiefebenen, niedere Felsplatten, wilde Talspalten oder flache muldenförmige Ein-
senkungen u. dgl.m. Das waren die großen geographischen Gesichtspunkte, die
bis dahin noch von keinem Kartographen ausgesprochen worden waren und durch
die Sydow bei seiner Kartenherstellung geleitet wurde.
' Über ältere Schichtlinien- und Schichtenkarten, de.sgl. über ältere Werke und Schriften über
Horizontalschichten bringt A. Steinhauser eine interessante und nützliche Zusammenstellung in
P. M. 1863, S. 390, 391.
2 Der Titel der Karte ist schwedisch und fimiisch, die Schichten in engliseh-mssischen l'"uß.
Dunkelblau 0-100', hellblau bis 200', dunkelgrün bis 300', hellgrün bis 400', dunkelbraun bis 500',
hellbraun bis 600', dunkelrot bis 700', hellrot bis 800', gelb bis 900', weiß bis 1000'. In dieser Skala
liegt, wie auch A. Steinhauser anerkennt, im allgemeinen und besondem das Gesetz: Je höher, desto
lichter.
" Die Karte in 8 bunten Schichten. Vgl. auch K. Pcueker: HöhenschichteiLkartcn. Z. f. Venu.
1911, S. 21.
* A. Steinhauser befand sich im Irrtum, als er schrieb, daß Zeune seine Schichtenkarte der
Erde erst 1830 in der „Gea" herausgegeben habe. Aber darin hat er recht, daß weder Ritters noch
Zeunes Karten als Höhenschichtenkarten anzusprechen sind. A. Steinhäuser, a. a. O., S. 71.
^ C. Ritter: Sechs Karten von Europa mit erklärendem Text. Schnepfenthal 1804 — 1806.
Spätere Aiiflagen 1813, 1830. Das Werkchen gelangte zu einem solchen Ansehen, daß es 1829 in Paris
von Denaix als „Atlas physique de l'Europe" nochmals herausgegeben wnrdp.
« Vgl. auch P. I'finzinf-H Karte oben S. 4i7.
' Gotha bei Justus Perthes, 1838-1847.
Die Lclirjahre in den iieurn Gi'ländfdiirstclliiiigcii in der ersten Hüllte dea 11). Jiilirh. 459
ll(»4. Die (icburt der geo^raphisi-h und antbropuj^cugraphisch beding;teii Regioual-
l'arbi'u. Ein möglichst naturwahres Bild der Bodenplastik darzustellen, warE. v. Sy-
dows Hauptziel, und der Buntdruck mußte zur Erreichung dieses Zieles helfen. Die
Flüsse zeichnete Sydow blau, die Gebirge braun und das Tiefland grün. Damit war die
nachmals so berühmte Eegionalfarbe, das Tieflandgrün, in die Karten ein-
geführt. Nach den gleichen Prinzipien gab Sydow 1842 in Gotha die erste aus 11 Karten
bestehende Abteilung des Methodischen Handatlas für das wissenschaftliche Studium
der Erdkunde heraus. ^ A. Steinhauser behauptet^, daß E. v. Sydow zu der einen
grün gefärbten Stufe durch die braune Färbung des Hochlandes in dem Schulatlas
von Th. V. Liechtenstern angeregt worden sei, welcher Atlas allerdings 2 Jahre früher,
Berlin 1836, als Sydows berühmte Karte Asia erschienen war. Ich vermute, daß
Sydow eher die Anregung zu seinem Tieflandgrün von dem Tälergrün älterer Militär-
karten, die nur militärischen Kreisen zugänghch waren, empfangen hatte.
Die Geographen- und Schulwelt nahm mit Begeisterung die Werke E. v. Sydows
auf. In dem Entstehen und Drängen, Formen und Umformen geographischer Be-
griffe und Methoden in der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Sydowschen
Kartenwerke ein Leitstern. Wir köimen uns aus voller Überzeugung den Worten
anschließen, mit denen der Große Generalstab in Berlin seinen Nachruf auf E. v. Sy-
dow beschließt: ,,Ünd wer irgendeinem Zweige menschlichen Schaffens so tief das
eigene Wesen eingeflößt hat, wie Emil von Sydow der deutschen Kartographie, von
dem darf man wohl sagen, daß sein Geist unter den Menschen für immer lebendig
bleibt."' Über die Karte von Asien schrieb C. Bitter am 24. Januar 1839 an den
jungen Sydow: „Die Karte macht durch die Zweckmäßigkeit ihrer ganzen Anordnung,
durch die einfache großartigere Haltung ihrer Hauptteile, durch die Befreiung vom
Ballast der Namengebung und durch die muntere, passende, farbige Darstellung
gleich Ijeim ersten Anblick einen angenehmen Eindruck, mehr von einem \virklichen
Naturbilde, als von einer bloßen Papierfläche. . . . Dem erweckten Lehrer Mird sie
ein treffliches Hilfsmittel zur Erweckung der Schüler sein; es sind Hunderte von
Verhältnissen höherer Art, die durch eine geistigere Interpretation dieser Karte Lit-
vorgebracht werden können."^
Ein wohlweiser Schritt Sydows war, daß er zunächst mit einer Eegionalfarbe
anfing; das Publikum mußte sich erst an die bunten Kartenbilder gewöhnen. Das
Kartenbild mit dem Tieflandgrün und der braunen Gebirgsschraffenzeichnung wirkte
einfacher und sachlicher als das komplizierte, buntscheckige Farbi'iikonzert eines
Papens mid anderer Zeitgenossen Sydows. Aber nicht bloß in der Anwendung der
einen oder einiger wenigen Farben liegt der Grund, we.^hall) Sydows kartographische
Erzeugnisse den buntfarbigen anderer Autoren seiner Zeit den Bang abliefen, sondern
auch in dem wissenschaftlichen Moment, das sich in ihnen sichtUch. handgreifhch
offenbart, nämlich üi dem hypsügrai>hischen Abschluß von charakteristischen Massen-
erhebungen, die zugleich für die wirtschaftende Menschheit von größter Bedeutung
sind.
Noch einfach(>r in der Farbengeiiung ging Sydow in seinem Schulatlas 1847
' Die zweite Abteilung zei-fiti in /.»ei Hülftcn zu je zehn Karten. 1844 lag der Atlas komplett vnr.
- A. Steinhäuser, a. a. ü., S. 'i4.
^ Oberst Kniil v. Sydow. Kin Nachruf. (Je<)jrTn])hi8cli-.st«ti»tiselie Abteihinp de.-) (iroÜon Conoml.
.Stabes. Berlin IST.'». S. 24.
* Vgl. KestMclirift „Justu.s Perthes in Uutlia 1785- -1885'-, S. ÖU.
4g0 L)i'" Laiulküite und ihr Gelände.
vor^, indem er das Braun der Gebirgsschraffe gleich zur Darstellung des Tief- und
Hügellandes benutzte. Das Tiefland von 0—300 Fuß Höhe zeichnet sich durch
gleichmäßige engste Flächenschraffienmg aus, das Übergangs-, also das Flach- und
Hügelland zwischen 300 und 500— 000 Fuß Höhe durch weitläufige und demnach
heller erscheinende Flächenschraffierung; alle Erhebungen des Bodens von mehr als
600 Fuß Höhe erscheinen weiß (im Sinne der Eegionalfarben). Die Abfälle der Berge
und Gebirgslandschaften sind je nach Steilheit und Höhe durch stärkere oder feinere,
durch dichte oder weniger dichte Bergstriche bezeichnet, ganz wie es auf den übrigen
Karten Sydows üblich war. In dem alten Stielerschen „Schulatlas über alle Teile
der Erde" erscheint unter allen Karten nur eine, die Gebirgskarte von Deutsch-
land, mit dem Sydowschen Tieflandgrün. ^ Daß diese Farbengebung auch ander-
weit in der Kartographie Anklang fand, zeigt der Atlas zu Alex. v. Humboldts Kos-
mos (S. 450), in dem sämtliche Karten (Tafel 22—30), die die Ländc^r und Erdteile
in physischer Bezeichnung illustrieren, das Tieflandgrün aufweisen.
Das Sydowsche Grün und Braun beherrschen heute noch die meisten deutschen
Schulatlanten, schon zu Sydows Zeiten nachgeahmt von Adami, Ewald, Groß,
Völter u. a.; wenn sie auch m verschiedene Nuancen zerlegt sind, so daß auf den
Karten fünf bis sieben und acht Farben erscheinen, sind sie doch im Grunde ge-
nommen über Sydow kaum hinausgekommen.
265. Die Suprematie der Schraffe. Die eine Farbe, selbst wenn sie durch Schraf-
fierung in zwei Nuancen, für das Tiefland und das Hügelland, zerlegt war, konnte
kein wahres Bild der Geländeformen geben, wenn nicht die Schraffe in ausgiebigster
Weise zu Hilfe genommen wurde. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts be-
herrscht die Schraffe vollständig die Geländedarstellung, ja das ganze geographisch-
kartographische Denken, Fühlen und Schaffen. Was Lehmann gelehrt hatte, schlug
langsam und sicher Wurzel und wurde insonderheit in der deutschen kartographischen
Schule verständnisvoll und treu gepflegt und glänzend weiter entwickelt.
Bei der Betrachtung der geschichthchen Entwicklung der Schraffenzeichnung
und der Beurteilung ihres Wertes hat man streng zwischen topographischen und
chorographischen Karten zu unterscheiden. Auch bei der Schraffenzeichnung spielt
der Maßstab eine große Rolle. Infolge des großen Maßstabs konnten die Original-
aufnahmen der Landesaufnahmen schneller mit den Schwierigkeiten der Schraffen-
darstellung fertig werden als die Karten kleiner Maßstäbe. Einwandfreie Schraffuren
darf man indessen auch bei den offiziellen Karten damahger Zeit nicht voraussetzen.
Die Gesetze, wie sie teils von Lehmann, teils von Franzosen für den Lauf, die Länge,
die Stärke und gegenseitige Entfernung der Schraffen aufgestellt worden waren, sind
noch nicht in Fleisch und Blut der Kartenzeichner ühergegangen. Ausnahmen gibt
es ja immer. Der erste Eindruck ist nicht selten ein günstiger, jedoch bei genauerm
Hinschauen merkt man, daß das durch die Schraffe veranschaulichte Gelände nicht
genügend dem entspricht, was man von einem Nachbilden wirklicher Verhältnisse
fordern muß. Zur höchstmöglichen Vcrvollkonunnuiig der Schraffe hatte der Kupfer-
stich sein Bestes beigetragen.
1 In 36 Karten, Gotha, I. Lieferung 1847. Vollendet erschien der Atlas 1849.
2 Die „Fluß- und Bergkarte von Deutschland und den angrenzenden Ländern" von A. Stieler,
1820, erschien in vermehrter Auflage 1855 durch A. Petermann; die Schraffen des Geländes werden
außer durch das Tieflandgrün noch durch eine zweite Regionalfarbe, das „Braun" der Gebirgsland-
schaften unterstützt.
Die Lfilirjahrc- in dm npiu-n GrlSnd('flarsti'lliiii^'..n in (l.r .rstcn Hlilftr iIpj* 10. Jahrh. 461
In Priiißeu, England, Fraukreich und Österreich fand die Ijclinianusclie Art
der Geländedarstellung auf offiziellen Karten günstigen Boden, der insonderheit
durch die Schrift von C. A. Becker: Das Aufnehmen mit dem Meßtisch im Sinne
der Lehmannschen Lehrart, Dresden 1829, wirkungsvoll befruchtet wurde.^ In
Sachsen, wo die wissenschaftliche Schraffe geschaffen worden war, fand sie die erste
Pflege und Anwendung in einer großen offiziellen Karte, imd zwar auf der üi den
Jahren 1780—1825 entstandenen Ingenieurkarte in 1 : 12000, deren jedes Blatt eine
Quadratmeile umfaßt, daher der Name ,,Meilen'"f-blätter). Die Geländeformen unter-
lagen nicht mehr der Willkür des Topographen, sondern waren nun einem zwangs-
läufigen und zweckmäßigen System unterworfen. Damit war die strenge senkrechte
Beleuchtung in das Kartenbild eingesetzt und durch die dichtere oder losere Schraffen-
lage wurde der Böschungsgrad des Geländes bestimmt. Auf Grundlage der ,, Meilen'",
die in drei handgezeichneten Exemplaren hergestellt worden waren^. wurde ein auf
den Maßstab 1:57600 zurückgeführter Atlas wähi-end der .Jahre 1819—1860 her-
gestellt, der Topographische Atlas des Königreichs Sachsen*, der, wie bereits hervor-
gehoben \STirde, als Oberreitscher Atlas oder Oberreitsche Karte bekaimter ist, be-
nannt nach dem Herausgeber, dem Generalmajor und Direktor der Mihtärplan-
kammer Jakob Andreas Herrmarm Oberreit (f 1856). In dem Atlas haben wir bis
auf den heutigen Tag eine der besten kartographischen Arbeiten nach Lehmannscher
Manier zu erblicken. Ziemlich zu gleicher Zeit erschien in bandhcherm Fonnat im
Maßstabe 1:157281* nach gleichen Prinzipien wie der Oberreitsche Atlas und den
Quellen der Militär- und Finanzkammer bearbeitet und fast von ähnhcher Schön-
heit und Akkuratesse die Topographisch-orographische Spezialkarte des Königreichs
Sachsen von dem sächsischen Ingenieur-Oberleutnant Otto Andree. Dresden 1851
(s. S. 450).
Auf der Karte des Herzogtums Salzburg^, mit der Österreich 1810 anfing,
das Lehmannsche Schraffensystem auf der ersten topographischen (Spezial-)Karte
Österreichs in 1 : 144000 anzuwenden, ist das Hügelland gut und wirkungsvoll ge-
zeichnet, doch beim Hochgebirge hat die Zeichnung in der Grundrißform der Ge-
birgsstöcke und -ketten etwas Blatt- und Flechtenartiges. Ähnlich sind andere vom
k. k. österreichischen Generalquartiermoisterstabe herausgegebene Karten. In spätem
' Damit hatte Becker eigentlich nur eine verbes-soitc Neuauflage der Lehmannschen Schrift
„.Anleitung ■/.. vorteilhaften u. zweckmäßigen (iebrauche des Meßtisches"', Dresden 1812, geliefert.
Desgl. »ar er mit G. H. Fischer, Prot. a. d. kgl. -sächs. Ritterakademie, beteiligt an der sehr ver-
besserten und vermehrten 4. Aufl. des Lehmamischen Werkes „Die Lehre der Situation-Zeichnung
oder Anweisung zum richtigen Erkennen und genauen Abbilden der Erd-Oberfläche, in Charten und
Plänen", Dresden und Lieipzig 1828.
- Das eine Exemplar, das Handexemplar des Königs, war 181.T nach Berlin in die Plaiikamnicr
gewandert und die beiden andern sind ein wertvoller Schatz in den Bibliotheken der siich.sischen Landes-
aufnahme und des Bergamtes zu Fi-eiberg. Vgl. Bcschorner: Ge.schichto der .sachs. Kartographie
im Grundriß. Leipzig I0O7, S. 19, 20.
' Der Atlas ersclüen in 22 Sektionen. 70 x 79 cm. Es war ein außerordentliches \-erdienstliches
Unternehmen, daß der sächsische Verein f. Volkskunde einen Xeudnick der Karte \-emnlaßte (s.
oben S. :U1 Anm. 2).
* Das eigenartige Verjüngungaverhältnis erklärt sich daher, daß eine geographische Meile
( = 13106,787 Dresdener Ellen = 3806,9 1. ■"> Toisen - 1970,08 Rheinld, Ruthen) auf 2 Dresdener Zoll
rduziert wurde, was den Maßstab 1: l.')7281 ergab.
■' Von dem k. k. österreichischen Generalquart iermei.sterstabe 1806 1807 aufgenommen.
gcdniikt ISIO.
462 I>i<' I-!>i'i1Uartt' iiml il.i- üeliinde.
Aiisgabou tlioaer Karten vi'iscliwiudet das Blattartigu und genauere, ruhig und natürlicli
wirkende Formen erfreuen das Auge, so in der Karte der gefürsteten Grafschaft
Tirol nebst Vorarlberg vom Jahre 1823. Am Iciclilcstcn waren nach der Schraffen-
manier die weichen Formen der Mittelgebirge luiaiis/.uail)eiten, wie die Spezial-
karte des Königreichs Böhmen illustriert. ^ Meist irhuft liLliandelt und durchgeführt
ist die Schraffe auf der Administrativ- und Generalkarte des Königreichs Ungarn. ^
•2(i(i. Schräge uud senkrechte Beleuchtung der Schraffeukarte oder i'ranzösisehe
und deutsche .Methode. Bereits am Anfang des Jahrhunderts verstehen die Franzosen
die iSchraffe mit einer Virtuosität zu handhaben, die fast alles bis dahin in Schraffen
Ausgefüln-te in Schatten stellt, freilich kam es ihnen oft weniger auf eine korrekte
Lage der Schraffe im Terrain (als Gefällslinie) als vielmehr auf den Effekt an.^ Diesen
wußte man durch die schräge Beleuchtmig zu steigern und die Schraffe war kein Aus-
drucksmittel des Böschungswmkels, sondern wie in alter Weise ein mannigfach vari-
ierter Schattenstrich. Es wurde übhch, von dieser Schraffendarstellung in schräger
Beleuchtung als von der französischen Manier zu sprechen. In Frankreich hin-
wiederum sprach man von Karten in senkrechter Beleuchtung als von solchen in
deutscher Manier (methode allemande), die ja schematischer als die französischen
waren, dafür aber weit gründlicher.* Die senkrechte und schräge Beleuchtungsmanier
stand sich in Frankreich bald schroff gegenüber und führte zu einem langjährigen,
heftigen Gedankenaustausch, der zuletzt auch Deutschland nicht unberührt ließ.
Ich nehme später Gelegenheit, auf diesen Streit näher einzugehen.
Trotz der fanatischen Verteidigung der schrägen Beleuchtung gab es in Frank-
reich genugsam einsichtige Kreise, die den \vissenschaftlichen Wert der senkrechten
Beleuchtung zu schätzen wußten, und es war nicht bloßer Zufall, daß die Carte de
France in 1 : 80000 in senkrechter Beleuchtung ausgeführt wurde, desgl. die Karten in
1 : 100000, die im Depot de la guerre für den Dienst des Kaisers entworfen worden
waren. Als ein glänzendes Zeugnis für die Kleinarbeit m der Geländedarstellung
bei senkrechter Beleuchtung und die Eeinheit und Präzision des Stiches gilt La
carte du champ de bataille de Dresde 1 : 30000.^ Selbst auf Karten kiemern Maß-
stabes wurde die Schraffe geschickt angewendet, wie auf den Karten von A. Berthier
und von A. H. Brue.^ Gleichzeitig wurden in Frankreich wirkungsvolle Karten mit
schräger Beleuchtung geschaffen; eine von ihnen, die berühmte Karte von Corsika
sollte, wie ich später nachweisen werde, auf Karten ähnlichen Genres von großer
Bedeutung werden.
' Astronomisch-trigonometrisch veimessen, topographisch aufgenommen, reduziert, gezeichnet
u. gestochen v. d. k. k. Mil.-geogr. Inst. 1:144000, Wien 1847 — 1860.
^ Ausgeführt u. hg. durch d. k. k. Mil.-geogr. Inst. 1:288000. Wien 1858.
'■' Eine unter vielen ist die „Carte topographique de la Maire de Stolberg, Departement de la
Roer, dedi6e ä la chambre consultative des fabrique, manufactures, arts et metiers etablie ä Stolberg
sur les Cantons d'Eschweiler, Düren, Froizheim, Gremünd et Montjoie". Dress6e en 1811 par Jean
Adam Peltzer, dessinö par .1. G. Meigen et grav6 par Wm. Breitenstein ä Düsseldorf, ca. 1:20000.
(Privatbesitz.)
" Vgl. auch K. Peucker: Schattenplastik u. Farbenplastik. Wien 1898, S. 30.
'" Berthaut: La carte de France. I. Paris 1898. Ein Teil der Karte wird hier wiedergegeben,
jedoch hat die Reproduktion gegenüber dem Original bereits gelitten.
" Alex. Berthier: Carte de l'empire Fran^ois". An XII (1804). — A. H. Brno: Ciiiic pliynifiue
administrative, et routiere de la France. Paris 1818. [Beide Karten in U.-Bi. (inH.\
Die Lehrjalirc in den neuen Gellindedaistellungcn in der ersten Hälfte des 19. Jalirti. 4t;;{
\ un l'raukreich uiul Östcnnich bueiiifhiUt, liriiigt Itiilii'ii 1840 eiuc vorzügliche
Kurte in feinen kurzen Schraffen zur Veröffentlichung^; durch seitliche Beleuchtung^
ist die Plastik des Geländes gut herausg(^lioIt und die Scealpen waren bis dahin
nirgendwo schöner dargestellt.
In der Schweiz tritt uns um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert ein Atlas
entgegen, herausgegeben von Mej'er und Weiß^, der zum erstenmal das Hochgebirge
annähernd naturwahr in Grundrißmanier mit Hilfe der Schraffen in senkrechter Be-
leuchtung darstellt. Letztere ist zwar nicht ganz konsequent durchgeführt und macht
hei der schrägen Beleuchtung dann und wami im Hochgebirge erhebliche Anleihen.
In Deutschland verweisen uns die offiziellen Karten mit Hochgebirgsdarstellung
nach Bayern. Aus der Zeit, da noch französische Ingenieurgeographen in Bayern
wirkten, entstanden Karten in 1 : 100000 von Bayern, Soube (Schwaben) und dem
linken Rheinufer, sämtlich mit senkrecht beleuchteter Schraffenmanier. Die Carte
de la Baviere' erinnert beim ersten Anbhck in der Geländedarstellung an die altern
Blätter des Topographischen Atlas von Bayern, auch an die der preußischen
(deutschen) Generalstabskarte 1 : 100000, nur die Waldzeichnung ist ausführlicher
als auf der französischen Karte. Mit großer Sorgfalt ausgeführt, erscheint die
Schraffierung bei senkrechter Beleuchtung im Topographischen Atlas vom Königreiche
Bayern in 1:50000, desgl. auf der Karte von Südwestdeutschland in 1:250000.'«
267. Die langsame Vervollkommnung der Schraffen auf topographischen und
chorographlschen Karten. Die Blätter der offiziellen Kartenwerke bieten iimerhalb
iler langen Erscheinungsfrist (40 — 50 Jahre und länger) Gelegenheit, sich von der
allmählichen Vervollkommnung der Schraffenzeichnung zu überzeugen. Nicht offi-
zielle Karten bieten gleichfalls lehrreiche Beispiele für diese Schraffenentwickhmg.
beispielsweise der Atlas von Südwestdeutschland und dem Alpenlande von J. E. WörP,
femer die Karten vom südlichen Norwegen von L. Erichsen 1785 und von
P. Munch 1845*; dort (bei Erichsen) gelang es nicht, die Schraffe hart an die
Steilwand heranzusetzen, hier dagegen sind die steilwandigen Fjordtäler dnreii die
' „C^rtfl, degli Stati dl siia Maest&fSarda in Terraferma" opeiu del Real Corpo di Stato Maggioro
Cenerale, 1840. 6 Bl.-Karte. lirambilla del., A. Lecocq scidpsit. [L'.-Bi. Gott.]
- Der Aarauer Industrielle Johann Rudolt Meyer hat die Herausgabe des ..Atlas Suisse"
v<-ranl»ßt und finanziert; aufgenommen und gezeichnet hat ihn J. H. Weiß 1786 — 1802 in 1 : 1 1.")200.
I(i. Bl. .\arau.
^ Ihre Herstellung bcgami 1807 in Paris. Einen Teil dieser Karte bildete E. Oberhuninier
al) auf T. 1 der Alixnkarten i. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1902.
■' Der ,,'roixjgraphi.sclic Atlas von Bayern", 1 : 50000, lag 1867 in erster .Auflage fertig vor.
Die erste .\usgabe dei „Karte von SüdwestdeutBehland" 1:2.50000. 1849 18.5,'?. enthielt nur l."> das
Kiinigreich Bayern umfas,sende ßliitter. Si>iiter ist der .Atlas bis .Metz erweitert worden u. uiufaUt
2.5 Blattnummern, hergestellt 1856 1868. Die Neuauflagen dieser Kartenwerke haben manche Wr-
iinderungen erfahren. Der „Topographische Atlas" erscheint seit 1906 in braimen, senkrecht Ix-Ieuch-
teten Schraffen, und die „Karte von Süd Westdeutschland" ist zu einer „Höhenschichtenkarte von
Bayern" gewoi-den, in der neuesten Ausführung auch seit 1906. .Vusschnitte aus diesen altem unil
jungem bayrischen Karten sind dem Wcrkchen „Die Tütigkeil des bayr. To|K)gniphi8chen Bureaus
in den letzten 10 Jahren" von (Icneralmajor Heller, München 1908, beigeheftet.
' Erschien in 1 : 200000 zu 48 Bl. Imm Herder in Freiburg 1843. Bezüglich der Beleuchtung läOl
die Tcrrainzeichnung nirgends eine konsequente Diirehfühmng erkemien.
" Det sydiiche Norge, von L. Erichsen 1785. Karl over ilet sydiige Norge 1:700000 von
r. Miinili, Cbrisliiwm IH45. | Heide Karten in l'.Bi. füilt.]
464 •*''• l.andkaite, und ihr Gelände.
Schraffen gut gekemizeicLinet. Auf englischer Seite treten uns innerhalb des ersten
halben 19. Jahrhunderts keine bemerkenswerten Schraffenkarten entgegen. ' Die
Schraffen wurden in der alten Eaupenmanier weiter gezeichnet.^
Nach den ersten großem Publikationen von A. Arrowsmith (1750—1824) mußte
man mehr erwarten. Wohl läßt er sich auf seinen Karten von Asien, Afrika, Amerika
von der perspektivischen Ansicht der Berge in dachförmiger Anordnung und dem-
entsprechender Bebra ff ur leiten, indessen hat er recht hübsch auf seiner großen
Deutschlandkarte 2 das Gelände ausführlicher in Schraffen behandelt, wenn auch
manchmal das Eaupenartige in der ganzen Anlage durchschlägt. Auf seiner Karte
von England und Wales^ scheint er sich zu einem Meister der Schraffe durchgearbeitet
zu haben; sie erscheint nicht mehr in der langweiligen Fuchsschwanzmanier, Leben
vmd Bewegung stecken in der Geländedarstellung. Leider ist er im Atlas of ancient
geographie, London 1829*, wieder in die alte Eaupenmanier verfallen. Auf der einen
Karte dieses Atlas erstrecken sich die Alpen als einziger Gebirgsstrang quer durch
Europa, auf den andern Karten kriechen vereinzelte Eaupen über das Kartenblatt.
Eine solche Eückfälhgkeit Arrowsmiths hat der Entwicklung der engHschen Karto-
graphie, insonderheit der Geländedarstellung auf Jahrzehnte hinaus geschadet.
Mit den letztgenaimten norwegischen und englischen Karten sind wir in das Ge-
biet der chorographischen Karten hinübergeführt worden. Dabei kann an einem Karten-
werk nicht vorübergegangen werden, das an der Grenze zwischen topographischer
und chorographischer Karte steht, nämlich an J. G. Mayers Atlas der Alpenländer'^,
nicht zu verwechseln mit der S. 463 erwähnten Schweizer Karte von Meyer. Während
eines langen, kartographischem Schaffen gewidmeten Lebens war J. G. Mayer mit
der Gebirgsnatur der Alpenwelt innig vertraut geworden. Bei seinem sonstigen
Zeichentalent war die Vorbedingung für eine gute Alpenkarte gegeben. Die Schraffen-
zeichnung, von NW und N beleuchtet, ist sauber xind penibel. Wie im Laufe der Jahr-
zehnte sich das Urteil über die Geländedarstellimg ändert bzw. läutert, dafür gibt
gerade das Mayersche Kartenwerk ein lehrreiches Beispiel. In den gleichsam zur
Einführung dienenden Worten „Zur neuesten Kartographie der Alpenländer" heißt
es*, daß bei der Karte die „möglichst plastische, übersichtliche, auch bei anhaltendem
Anblick dem Auge wohltuende Haltung des Terrains zu rühmen ist." Von einer dem
Auge woliltuenden Wirkung köimen wir heute nicht mehr reden, im Gegenteil, die
Betrachtung des Bildes ist für das Auge höchst anstrengend.' Die Schraffen sind zu
klein, zu gleichmäßig, zu wenig moduliert, und das Urteil E. v. Sydows wird hin-
fällig, wenn er sagt, daß in der Darstellung des Hochgebirges sich „ein praktisches
Genie bewährt" ,,denn so mächtig wie uns das Felslabyrinth der Alpen mit
seinen Eiszinnen aucli entgegentritt, so charakteristisch ist es doch in seinen ver-
' Vgl. den Atlas „Geographica! Cyclopaedia", Edinburgh; hg. von J. Thomson 1834.
* Maps of the physikal divisions of Germany. London 1812. [Br. M. London.] ■
^ Map of the hills, rivers, canals and principal roads, of England and Wales. London 1815.
[Br. M. London 1 Exemplar, auch in der U.-Bi. Gott.]
* 1 Exemplar dieses Atlas i. d. Bib'. von J. Perthes, Gotha.
^ J. G. Mayers Atlas der Alpenländer: Schweiz, Savoyen, Piemont, Südbayem, Tirol, Salz-
burg, Erzherzogtum Österreich, Steiermark, lUyrien, Oberitalien usw., 9 Bl. in 1:450000. Gotha
1858 ff.
* P. M. 1858, S. 308.
' Vgl. den als Probe mitgeteilten Kartenausschnitt (Gebiet des Genfer Sees) auf T. 12 in P. M.
Die Lehrjahre iu den neuen Geländedarstellungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrli. 465
schiedenen Teilen abgestuft. "i Hier ist ihm offenbar die Begeisterung für das Werk
des Verlages, für den er auch arbeitete, mit dem Blick fürs Wesentliche durchgegangen.
Das Felsenlabyrinth der Alpen ist viel zu „fitzlich'" (kleinlich) dargestellt, die groß-
zügige, in der Seele des Kartographen verarbeitete Behandlung des Geländes fehlt,
die verschiedenen Abstufungen kommen durchaus nicht zur wünschenswerten Ver-
anschauhchung. Doch wollen wir dem Urteil Sydows insofern gerecht werden, indem
wir zugeben, daß es für seine Zeit, die noch nicht wie die heutige durch gute (lelände-
bilder verwöhnt ist, am Platze .«sein mochte.
Die Aljienkarte von Mayer ist zugleich ein treffender Beleg für die Schwierigkeit,
auf Karten kleinem Maßstabes einer harmonischen und die großen orographischen
Zusammenhänge widerspiegelnden Schraffenzeichnung Meister zu werden, was über-
dies auch Hand- und andern Altas- wie einzelnen chorographischen Karten in der
ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts nie recht gelungen ist. Wie unermüdhch
haben Heinr. Berghaus, Adolf Stieler u.a. gearbeitet, bevor sie ein halbwegs be-
friedigendes Terrainbild gewonnen hatten. Wie ungeschickt und grob ist die Schraffen-
zeichnung auf Stielers Karte von Tirol und Vorarlberg^, wie nur wenig verbessert in
seinem Handatlas*, mehr jedoch auf der Karte von Deutschland, die er mit dem
Hauptmann von Stülpnagel und J. C. Bär* zusammen bei J. Perthes in Gotha 183G
herausgal)-^, deren jede Neuauflage auch in der Terrainzeichnung einen Fortschritt
bedeutete.
Gefällig und sinngemäß wird die Scliraffe gezeichnet, aber da, wo keine genauen
(irundlagen vorhanden waren, fällt man immer wieder in die alte Raupenschraffen-
manier zurück. Wie ungeschickt die Schraffen behandelt wurden, zeigt die Spezial-
karte von dem Thüringer Waldgebirge von C. F. Weiland, Weimar 1834, wo runde
imd länghche Schraffenhaufen kurzerhand aneinander gefügt sind. In Reichardi
orbis terrarum antiquus*, einem durch seine Gebirgsdarstellung unter ähnlichen zeit-
genössischen Publikationen auffallenden Atlas, sind die Schraffen lang gezogen, klar
1 E. V. fJydow i. P. M. 1860. S. 46:?.
- In Nürnberg ei'schienen. [U.-Bi. üött.]
■' Handatlas über alle Teile der Erde, nach dem neuesten Zustande, und über das Weltgelände,
nebst einem geogr. Texte. Hg. u. gemein.schaftl. mit C. G. Reichard bearbeitet von .\d. Stielcr.
Gotiia. I. Lieferung 1817. Der j\tlas sollte 50 Blätter enthalten, wurde jedoch im Laute des Erscheinens
erweitert u. 18.31 mit 75 Blättern abgeschlossen. — Die 9. von Gnmd aus neu bearbeitete und neu
gestoehenc Aufl. von Stielers Handatlas erschien (!otha 1905, die 10. ei-scheint seit 1920 unter der
Redaktion von H. Haack.
* Joseph Christoph Bär, ein IVndant zu Aniili und lliilici-, ist der Sohn einfacher Bauern:
er kam als Bursche in Sticler» Haus, wo man sein Zeichentalcnl entdeiktc untl er die rechte Hand
Stielers wurde, nach dessen eigenem Ausspruch „sein treuer Gehilfe, ohne dessen prüfendes A\ige fast
keine Zeichnung dem Grabstichel, keine Platte der Presse übergeben wurde". Ganz besonders ver-
ilienstlieh waren Bars geodätische byj)soMietrische .\rbeiten für das Herzogtum Gotha und den
Thüringer Wald.
" „Karte von Deutschland, dem Kiiiiigreich der Nii-derlandc, dem Königreich Belgien, der
S<'hweiz und den angrenzenden iJindern bis Paris, Lyon, Turin, .Mailand, Venedig, Ofen, Königsberg"
in 25 Hl. Entwoif. u. hg. von Adolf Stieler, Gotha 1 829 - 1 8:Ui. Der Maßstab 1 :740(KK) ge,stattete
eine für die damalige Zeit halbwegs befriedigende Behandhmg des Terrains und eine gewisse tojKi-
graphische Vollständigkeit. Ein dazu vorgesehenes ausführliches I<e|HTt<irium kam nie zur .Ausführung.
•Neuauflagen dieser Karte liegen vor aus den Jahren 1855, 18(i(!.
" Hg. V. 1). Campen in Nürnberg ISIS IS27.
Eokort, KnrlcM»la'..Mucliofl. I. SO
466 Die Landkarte und ihr Geliiiido.
lind scharf gestochen, meist von NW und N beleuchtet, doch auch Aon S und ().
l'ber die wahren Höhenverhältnisse war man sich noch nicht klar, auf dir Dcutsch-
landkarte sind Thüringer- und Frankenwald viel mächtiger als das Erz- und das
Kiesengebirge herausgearbeitet, Eußland ist ganz und gar mit langen, flach wirkenden
hichraffen bedeckt, daß es einer mit Eisnadeln übersäten Glasscheibe nicht unähnlich
sieht. Immerhin hat der Atlas für alle Karten die Schraffierung folgerichtig durch-
geführt. Einen Vorgänger darin erblicken wir in der Geograjjhie moderne par
J. Pinke r ton ls()4.i Schottland ist in diesem Atlas besonders gehmgen. Überall
jedoch lilieli bei der Schraffendarstellung vielerlei zu wünschen übrig, selbst auf den
Karten und Atlanten, die Stieler und Sydow herausgegeben hatten. Wie noch
heutigestags waren die Schulkarten der Tummelplatz aller mögliclien und uuniug-
lichen Schraffen- und Geländedarstellungsmanieren.^
268. Erste Versuche der Verbindung- von Sehichtlinienkarte mit .Schiai'fenkarte.
Der Gedanke, Höhenkurvenkarte mit Schraffenkarte zu verbinden, gehörte für die
ersten Karten großen Maßstabes, den Originalaufnahmen und danach reduzierten
Generalkarten, in das Bereich des kaum Eealisierbaren. Von der Bedeutung der
SchichtHnien war man nur insofern überzeugt, als sie einen guten Anhalt für die Kon-
struktion der Schraffen darboten, auf der ausgeführten Schraffenkarte jedoch keinen
Zweck mehr hatten. Darum verschwanden sie darauf. Ihr Verlauf ist noch wahr-
zunehmen und festzustellen, wo die Schraffen der einzelnen Böschungsintervalle an-
einanderstoßen; denn man trug bei der Herstellung dafür Sorge, daß die Schraffen
eines Böschungsstückes (Böschungszone) auf die Zwischenräume der Schraffen der
über- oder unterhegenden Böschungszonen aufstießen, daß also auch in der Gefälls-
richtung Schraffe, Zwischenraum, Schraffe, Zwischenraum usw. aufeinander folgten.
Wo dies nicht angängig war, verfuhr man so, daß die Schichtlinien auf der Druckplatte
weggeschabt oder -gestochen wnirden; und ein feiner, kaum wahrnehmbarer Zwischen-
raum auf dem Kartenblatt erzählt nunmehr als dünne weiße Linie von dem frühern
Dasein der Schichtlinie. In den Principes du figure du terrain, Paris 1827, empfiehlt
L. Puissant die Vereinigung von äquidistanten Niveaukurven mit einer durch den
Maßstab der Karte und den Charakter des darzustellenden Terrains bedingten
Schraffierung. Ein Versuch dieser Art liegt vor in der Karte von Bredstorff und
Olsen, wie sie uns in Heinr. Berghaus' Physikalischem Atlas entgegentritt (S. 456).
Die Schraffe ist noch schüchtern als überall gleichmäßig feine Linie angewandt, die
nur iii ihrer Zusammendrängung auf das stärkere Gefälle hindeutet. Die ähnliche
Karte erblicken wir wieder in A. K. Johnstons Physical Atlas, Edinburgh und
London 1850.»
' Traduite de l'anglais par C. A. Walckcnaor. Rovuos et coirigies par J. N. Buarho. Paris.
An XII (1804). [X. Bi.] - Ob das englische Original hereits in gleiclier Weise in .Sliraffen ausgeführt
ist, konnte ich nicht feststellen.
" Von besondenn didaktischen Zweck geleitet sind die Schraffen bei iil)ertriebcner linksseitiger
Beleuchtung dargestellt in F. W. von Freisauffs Ektyix)graphischeni Schulatlas für Blinde. Wien
1848 ( ?). — Ders. Atlas erscheint 18.')7 in Washington als „New style of topographical drawing, derived
from latc expcriments with the photograph and daguerreotype, froni moiintain modeis".
" Die Ausgaljc von 1854 war mir zur Hand.
Die Moiaterjfthrc in der Geliiudedarstrlkiiit: von der Mitte des 19. Jahrli. bis zur Gegenwart. 467
ill. Die Meisterjahre in der Geländedarstellung von der Mitte
des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart.
269. Neue Einflüsse der («eographie und Tojtoj^iupliiL' aul die Karto^rupiiie.
Was in der cr.ston Hälfte des Jahrhunderts Wurzel geschlagen hatte, sollte in der
zweiten herrliche lilüten treil)en und glänzende Früchte bringen; was tastend ge-
sucht und empfunden wurde, sollte klar und bewußt werden; was der Kartograph
von guten Kartenbildern ersehnte, das wurde zur Wahrheit und Tatsache. Stellen
sich dann und wann vereinzelte Eückschläge ein^ sind sie keine absonderlichen Er-
scheinungen im Laufe einer großen Entwicklung.sgeschichte.
Das von Jahr zu Jahr innigere Zusammenarbeiten von Geographie und Karto-
graphie belebte letztere aufs vorteilhafteste, daß sie von ihrer Seite aus wiederum
von Einfluß auf die Geographie wurde; und ungeahnte Arbeitsmöglichkeiten für
beide eröffneten sich. Geologische, orographische und geomori^hologische Studien
weiteten dem Kartographen den Bhck und das Verständnis fürs Gelände und be-
fähigten ihn schließlich zu einem intuitiven Schaffen, das sich in der Harmonie und
dem gesetzmäßigen, weil natürlichsten Aufbau des Geländebildes äußerte. Von der
„Eitzlichkeit", wie ich das frühere kleinliche Schaffen nenne (S. 465), schwang er sich zur
großzügigen Auffassung imd dieser entsprechenden neuen Geländedarstellmig empor.
Die Morjjhologie galj das Leitmotiv für die Vertonung der natürlichen Verhältnisse
zu einem dreidimensional wirkenden Geländel)ild auf zweidimensionaler Fläche.
Die Aufnahmemethoden, insonderheit die Hilfsmittel dazu haben sich verbesser)
und vermehrt. Schwer zugängliche Gelände werden photogrammetrisch und stereo-
photogrammctrisch teils vom Erdboden aus, teils aus der Luft erfaßt. Beide Auf-
nahmemethoden beschleunigen zuletzt die Herstellung neuern Kartenmaterials. Noch
sind die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit nicht festgestellt; ungeahnte Persiudvtiven
der Betätigung haben sie dem Vermessungs- und Kartenwesen eröffnet.
270. Krlindunii neuer kartographischer Reproduktionsmethoden. Aber auch der
Griffel war im Jjaufe der Zeit williger und geschickter geworden. Der Erfolg der i)csten
Kartenwerke liängt letzten Endes Aon der Kunst des Stechers und Reproduzenten
ab." Dazu gesellen sich die Erfindungen der graphischen Künste, die eine früher
kaum geträumte mannigfaltige, farbenprächtige und schnelle Reproduktion der
Karten gestatten. Den altehrwürdigen Kupferstich oder die (.'halkographie loste
' /. B. die IStU vim d.r naiKtlic li(i\ » )l)ei-steuerl)ehörde liemusgogcbeno „ToiJograpliisclu'
Karte von Item und der Conianii, ' in 1:80000, Sl B. inkl. Titelblatt. ^ Die feinen, etwa.s pi^flainnilon
Borgschraffen sind hier vielfaeli falHeh gestellt.
' Es ist ein dankbarer Brauch, daß auf guten Kartenwerken iiltern wie jungem Dalinns der
.Stecher mit verzeichnet ist. .\uf seine Arbeit kommt gar viel an, er muU duich eignes Studium (!e-
staltungskraft besitzen, damit sein Scliaffen die erw1in.sclite Wiedergabe des Termins garantiert. 0\Ue
Kupferstecher luiil Lithographen für Karten werden heute immer wieder in amtliclien und großen
l)rivaten Karteninstituten gesucht. — Jx'ider verlieren auch viele originale durch die UepriKluktion
an Schönheit imd Plastik, wie z. B. die aasgezeichnete Karte von .\. Philippson. Wer dos Manu-
skript gesehen hat, ist erstaimt, wie durch die Sehummenmg der gednickten Karten das (iebirge gleich-
sam eingesunken ei-scheint. Die Kepwduktionen erreichen selten das Original. S«-Ibsf die Heliogravün-
kann das Original nidit ersetzen, wie meine Karrenfeldkarte des Oottesaekerplateaus (Wi.ss. Erg.-Hefte
z. Z. d. I). u. <'i. A.V. I. ."t. lieft Innsbruck H»()L») zeigt; die Weichheiten u. l<Vinheit4'n meiner ManiLskril>t-
karte sind durch die liclicif;rapliisclie l'i ■pr(.did<tion ganz vcrli>ii-n. desgl. die Niveaukurven.
30*
468 1^'e l-andkarte und ihr Gelände.
zum größten Teile die junge Lithographie ab, wenn sie auch nicht ganz das zu leisten ver-
mag, was der Kupferstich leistet ; ihm verdanken wir bis jetzt die schönsten und umfang-
reichsten Werke der Kartographie. Der Stahlstich hat sich eigentlich nur inEngland und
Frankreich kartographische Freunde erworben.! A. Sennefelder, der Erfinder der Litho-
graphie, war 1817 nach Wien berufen worden; die ersten lithograi)hischen Karten
und andere Skizzen erschienen 1826—1839. Die Blüte der Lithographie setzt später
ein, und die kartographischen Meisterwerke der Lithographie erschienen erst im
letzten Viertel des Jahrhunderts, vor allem haben sich die Atlanten und die Schulhand-
und Schulwandkarten der lithographischen Kunst bemächtigt. Die Chromolitho-
gra])hie vermittelt einen üppigen Farbenreichtum, der außer der Geländedarstellung
der Wiedergabe kultureller Erscheinungen zugute kommt. Hier meldet sich die be-
riihmte Topographische Karte von Java in 1 : 100000.^ Mit dieser Karte huldigt die
neueste kartographische Periode der Polychromie, von deren Leistung noch viel zu
erwarten ist, besonders bei Karten, deren Terrain nach Peuckerschen Prinzipien dar-
gestellt wird.
1856 begimit mit der Photograi>hie ein neuer Entwicklungsabschnitt in der
Kartograjihie, sowohl bei der Reduktion wie bei der Herstellung von Kopien und von
Druckplatten auf Zink oder Aluminium. Letztere Verfahren sind erst jungem Datums.
Die große Genauigkeit ist ein entschiedener Vorzug der Reproduktionsphotographie,
die sich auch im letzten Weltkriege unvergängliche Lorbeeren gejjflückt hat. Ferner
lernte man in der Heliogra^ iire ein neues Verfahren zur Vervielfältigung der Karten.^
Haben Lichtdruck und Heliogravüre auf dem Gebiete der vervielfältigenden Kunst
Kupferstich und Lithographie beinah aus dem Sattel gehoben, finden letztere immer
noch eine Pflegestätte in der Kartographie. Viele amtliche Kartenwerke können
liis beute ohne sie, insbesondere ohne Lithographie noch nicht auskommen.
:J71. Die Gebirgszeichming wird zum Wesensteil der Karte. Neue topographische
Karlenwerke. Die Gebirgszeichnung wächst inniger in das Kartenljild hinein und
wird so zu einem Wesensteil und bleibt nicht mehr akzessorischer Bestandteil der
Karte. Nivellements, trigonometrische und topogi-aphische Aufnahmen haben zahl-
reiche Höhenpunkte geschaffen, die der sichern Linienführung der Niveaukarten
genügend Anhaltspunkte geben. Infolgedessen bringt man den Schichtlinienkarten
mehr und mehr Vertrauen entgegen. Doch sind es immerhin noch beschränkte Ge-
biete der Erde, wo man der sichern Linienführung trauen kann. Die Herausforderung
der norwegischen Natur zur Pflege des hypsometrischen Aufbaus der Karte, der in
den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einsetzte, wird erklärlich.
Österreich hatte erst 1860 genug Koten, um an eine hypsometrische Terraindarstellung
herantreten zu können; endlich wurde zur Tatsache, was Hauslalj 30 Jahre früher
1 Die vom Ordnance Survoy licrausgegebenc „General map of England" in 1:6.3360 ist teil-
weise in Stahlstich reproduziert. — In Frankreich Karten in Atlas von Vivien de St. Martin.
- Topographische kaarten der vormalige residentien Bagelen, Japara, Krawang, Probolinggo
en Tegal, en van de residentien ßantara, Besoeki, Cheribon, Djokjakarta, Kediri, Madioen, Pasoercean,
Pekalongan, Preanger-Regentsehappen, Rembang, Soerabaja en Soerakarta. 1 : 100000. 1877 — 1910. —
Die Karte, bekannt unter dem Titel „Residentiekaartcn van Java", wurde in der tojwgrapliischen
Anstalt zu s'Gravenhage hergestellt.
" Vgl. Aug. Petermann: Die Sonne im Dienste <ler Geoi.'ra])bio und KartograjOiie. P. M. 1878,
S. 20.Hf. u. T. XU.
Dil- Meisterjahre in der Geläudcdaratellung von der Mitte des 19. Jahrli. bi8 zur Gegenwart. 469
erstrebt hatte. Für Rußland ist es erst 1905 gelungen, eine Isohypsenkarte des ge-
samten Eeichs, und zwar nur in kleinem Maßstab herauszugeben.^
Die moderne Landesaufnahme setzt in vielen Staaten erst in der zweiten Hälfte
des 19. .Jahrhunderts ein (s. S. 456). Fast überbieten sich die Kulturstaaten innerhallj
und außerhalb Europas in der Herstellung guter Originalkarten und machen sie tun-
lichst der Öffentlichkeit zugänglich. Lithographie und andere Eeproduktionsverfahren
erlauben eine schnelle imd preiswerte Kartenherstellung. Wenn auch die
Feinheit und Weichheit des alten Kupferstichs verloren gehen, wird doch das,
A\orauf es ankommt, zufriedenstellend veranschauhcht. Wegen der ungemein mülie-
vollen Arbeit der Üchraffenzeichnung läßt man diese auf den Drucken fort, ja man
zeichnet sie kaum noch. Trotzdem gibt es daneben ausgezeichnete Schraffenkarten,
wie fast sämthche Kartenwerke Österreich-Ungarns, insonderheit die Spezialkarte
der österreichisch-ungarischen Monarchie und anschließender Gebiete in 1:75000,
ein Kartenwerk, das berühmt geworden ist durch die schnelle Herstellung in nicht
mehr als 16 Jahren, 1873—1888, eine hervorragende Leistung, die bis dahin nicht
ihresgleichen in der Geschichte der Landesaufnahme der gesamten Erde findet; der
kurze Zeitraum der Herstellung bedingte die gleichmäßige, einheitliche Ausführung,
wodurch sich die Karte vor andern, nicht einmal gleich großen Flächem-aum um-
fassenden Kartenwerken vorteilhaft abhebt.^ Wo die Karte auf topographisch schwach er-
schlossenes Gelände, wie in den Balkanstaaten hinüberreicht (s. S. 475), wird man über ihre
Fehlerhaftigkeit nicht so erstaunt sein wie E. de Martonne.' Daß die preußische
Topographie so vorzügliche Leistungen in Schraffenkarten brachte, ist ein Haupt-
verdienst von J. Aug. Kaupert (1822—1899), dem „stillen Gehilfen Moltkes" in der
Kartenabteilung im Kriege 1870/71. Dem englischen Kartenwerke in 1 : 63360 ist
durch den ürdnance Survej' Office manche wertvolle Schraffenkarte beigesteuert
worden, z. B. das Blatt ,,Isle of Man" mit dem prächtig ausgeführten Steilabfall in
der Bulgham Bai oder das Blatt ,,Brough under Stainmore (Aiston)", dessen Terrain
an die besten Alpenkarten erinnert. Topographische Karten, die sich nicht mit der
Wiedergabe von allerhand Geländeformen abinühen müssen, können das Schwergewicht
ihrer Darstellung mehr auf die Wiedergabe kultureller Elemente legen, wie die nieder-
ländischen und dänischen Karten, jene mehr wie diese.
Überall suchte mau sich über den Wert der verschiedenen Geländedarstellungen
klar zu werden. Für vergleichende Betrachtungen waren die Aufnahmen kleiner
Landgebiete wie geschaffen. So sehen wir auf der Pariser Ausstellung 1867^ die Topo-
graphische Karte der Hohenzollernschen Lande in 1 : 50000 in folgenden vier Aus-
führungen vertreten: Straßenkarte ohne Terrain; Terrainkarte schön schraffiert,
ohne Isohypsen; Höhenkurvenkarte ohne Schraffur und ohne Färbung: Höiien-
kurvenkarte mit Schraffierung kombiniert (die Kur\(ii mt. das Terrain gräulich).
' Die Karte hat J. v. .Schokalskij /.um Verfasser und ist dfin .Artikel KuUliind in «Irr russisihen
-Vusgalif des Broekhausseljeii Konvei-sationslexikon» beigegeben.
' L. Iniann: Die S|>ezlalkttrte der österr.-ungar. Monaivliie I:7:)lHH). :.'. erwiitcrte .Vufl.
Wien H. a.
' K. de Martonne: Le K-tc toiKipmpliicuu' de« «iiijvies de Ciaiiri rt (.ialcesrii. H. Sih'. ingineriloi
M iiidiistriaHilor de mine. IV. Bukare.st litOO.
' R. Lorenz: Die kartographiaehcn Daretellungen auf dir l'iiriser .\us.stolhini.' IS»>T. 1'. M.
ISC.T. s. :t7l.
470 J^ic LMndkaitf uiul ilir Goliiiidc.
272. Die lopostraphischon Übersichtskarten oder die Gciieralstabskarfcn. Ni Iku
(liT yorge der staatlichen topographischen Bureaus für eine gediegene Nenaufuahnu'
tritt überall das Bestreben zutage, außer den Karten im Maßstabe der Aufnahme-
blätter solche zu besitzen, die bei großer Handlichkeit einen schnellen Überblick
über das Gelände gewähren und doch im Maßstabe so gehalten sind, daß sie jede
wichtigere Terrainunebenheit noch klar und deutlich zur Darstellung bringen, also
Karten, die in der Hauptsache bestimmt waren, militärischen Maßnahmen zu dienen.
Sie bewegen sich in den Maßstäben 1:75000 bis 1:500000, bevorzugen jedoch
1:100000 und 1:200000, bzw. 1:300000. Es sind dies die topographischen
Übersichtskarten oder Generalstabskarten, fälschlich auch ,, Generalkarten"
genannt, nicht zu verwechseln mit den eigentlichen Generalkarten oder allgemeinen
Übersichtskarten (s. S. 300).
Die Anfänge der topograpliisebcii l'Iiei-siclitskiirU'n rciclicu l>is /.iiiii Anfang
des 19. Jahrhunderts zm'ück, siehe La Carte ile i'ranee in 1 : büOüO. Zu ihrer vollen
Entwicklung gelangen sie erst nach 1850 und gegen Schluß des Jahrhunderts. Der
französischen Karte kommt im Maßstab nahe die österreichische Spezialkartc in
1:75000. Eür die Generalstabskarten hat man den Maßstab 1:100000 als den
geeignetsten erkannt. Dankenswert ist, daß diese Karten nicht, wie sonst üblich, bei
den Aufnahmesektionen an der Grenze aufhören, sondern weit über diese in fremde
Staatsgebiete hineinragen. Die preußische Generalstabskarte in 1 : 100000 wurde
1878 auf das ganze Eeichsgebiet, also auch auf Bayern, Sachsen und Württem-
berg, ausgedehnt. Außer in Deutschland finden wir den gleichen Maßstab in Italien,
Schweden, Norwegen, Dänemark und Portugal und auf altern französischen Karten.^
Wie bereits angedeutet, hatte Napoleon I. die Anregung zu der Karte 1:100000
gegeben, die das Gebiet zwischen Ehein und Dwina, Tirol und Baltischem Meer,
im ganzen 80000 licucs carrecs, umfassen solid'. Wälirend des unglücklichen Eeld-
zugs nach Kußlaml ist die Kartr. die sciidn auf i-l'> ülafter angewachsen war, ver-
loren gegangen. \\"as da\ün übrig geblieben ist, kennen wir in den Karten von
Bayern, Schwaben und linksrheinischem Gebiet (S. 463). Dem genannten Maßstab
nähern sich die russische Drei Werst-Karte oder die MilitärgeograiJiische Karte
des europäischen Rußlands in 1 : 126000 und die in England seit 1902 erscheinende
Two miles to one inch map oder Map of England in 1:126720. Die andern
Länder begnügen sich für ihre Generalstabskarten mit solchen in den Maßstäben
1 : 200 000, wie die Niederlande, Rumänien und Griechenland ; die Generalstabs-
karte der Schweiz, hier „Generalkarte" genannt, in 1 : 250000 ist die reduzierte
Dufourkarte, hat auch ganz deren Terraindarstellung. Die entsprechende Karte
der Türkei ist die Karte der europäischen Türkei in 1 : 210000, die in neuerer Zeit
durch die österreichische Generalkarte in 1 : 200000, die sich über den Eahmen der
europäischen Türkei ausdehnt, verdrängt worden ist. (Vgl. auch Tab. S. 313, Anm.2.)
Für das Gelände der Generalstabskarten wird in der Hauptsache die Schraffen-
darstellung gewählt, um sich schnell ül)er die Erhebungen, Pässe, Schluchten und
Täler zu orientieren. Bei den Maßstäben 1 : 200000 und kleiner überwiegt heut-
zutage die Geländedarstellung in Isohypsen von nic-lif zu großen Abständen, denn
1 Die heutige Karte von Frankreich in 1:100000 ist keine Generalstabskarte, sondern eine
Karte, die wirtschaftlichen und administrativen Zwecken dient, auch vom Ministerc de l'intörieur
von 1881 an herausgegeben wird. Das Terrain ist mehr Kebensache und erscheint deshalb nur in
wenigen Blättern mit leichter grauer Schummerung bei schräger Beleuchtung.
Die Meisterjahre in der Gcläiifiedarstclluug vou der Mitte drs 19. Julirli. bis zur Gegenwart. 47 1
die Xiveaukurven sind leichter zu zeichnen und können bei einer gewi.ssen Anhiiufun«,'
eine genügende Übersicht über die charakteristischen Geläudeformen gewährleisten.
Auch bei den Generalstabskarten in 1 : 100000 treten zuweilen Schichthnien
auf. Weil die für die deutsche Generalstabskarte vorgeschriebene Schraffenskala
bis 45*' auf den bayrischen Sektionen wegen allzu dunkler Schraffierung nicht em-
gehalten werden kann, werden auf die.sen Blättern noch die Isohypsen im Abstand
von 100 m und in der Buntdruckausgabe solche von 50 m eingedruckt. ^ Im Jahre
1918 gab der deutsche Generalslab auf (irund der Aufnahmen im Felde und andern
Kartenmaterials für das franzosische und Ijelgische Kriegsgelände eine Niveaukurven-
karte in 1 : 100000 heraus, worauf die Schichtlinien braun gedruckt waren. Die
Karte, deren Herausgabe vorderhand schlummert, versprach eine ausgezeichnete
Leistung zu werden. England hatte im Hinblick auf einen Krieg mit Deutschland
schon 1910 und folgende Jahre eine geheime Generalstabskarte von Belgien in 1 : 100000
in bramien Schichtlinien, die 10 m = 32,8 engl. Fuß voneinander entfernt verlaufen,
bearbeitet. Itahen besitzt von seiner Generalstabskarte^ drei Ausgaben, eine in
Schwarzdruck mit Schraffierung', sodann mit Höhenschichtlinien (50 m-Schicht-
linien) ohne Schraffierung und ohne Schummerung* imd zuletzt eine Farbenausgabo
mit Schummerung^ ; letztere ist die neueste Karte und vertritt den gegenwärtigen
Typus der italienischen Kriegskarte. Schweden und Norwegen haben bis 600 mul
700 m Höhe die kultivierbaren Gegenden in Schraffen, darüber hinaus das kultur-
lose Land in Schweden in Schichthnien, in Norwegen in brauner Schummerung
mit Schichtlinien von 30 m Abstand (früher 100 norweg. Fuß = 31,4 m). In Por-
tugal zeigen nur einzehie Blätter Schraffen, die meisten dagegen zart gedruckte
Schichtlinien von 25 m Abstand. Der Abstand der Schichtlinien auf der ilap of
England, die geschummert ist, beträgt 100 engl. Fuß (= 30,5 m) und der auf der
russischen Drei Werst-Karte 2 Saschen (= 4,36 m), aber hier nur auf den neuern
Blättern überdruckt; die ganze Karte ist in Schraffen angelegt.
iTi. Die Alponkarten, das frroßc Studicnleld der Geläiidodarstellunt!;on. \\\r
die (ielänilc<larstflluug studieren will, der greife nach den Karten der Al[)euwelt.
Die Alpenkart cn der \crschiedenen Zeiten und der einzelnen an den Alpen be-
teiligten Länder geben Imchwichtige Aufschlüsse über die Entwicklung der Gelände-
darstellung. Herrliche, farl)enpräehtige Werke treten uns aus der neuern Zeit ent-
gegen, gediegene einfarl)ige aus älterer Zeit. Zu allerhand Studien haben sie längst
Anreiz gegeben, und wir besitzen darüber schon eine ansehnliche Literatur. Alle
an den Alpen partizipierenden Staaten beschäftigen sich praktisch wie auch theo-
retisch mit den Alpenkarten. L. Obermair gab in der Zeitschrift des Deutschon
und österreichisclH'ii Ali>envereins (IHSI, 1HH4, 1892, 1895) Zusannnensleilungen
' Vgl. A. Heller: Die Her«tellunn der Kurten im toixjgmplii.selun Huiviiu des k. H. luneral-
stabcs, München 1901.
-■ Carta topografiea del Kegno dltnlia l;l(KI(KK>.
' Kdizione in nero eon tiattepgio.
' Edizionc eon le curvc di liliello, Menza ti-atteggio c nenza sfuino, a) Blätter ganz in Siliwaiv.-
driiek „tutto in nci-o"', l>) in Si'hwarzdruek mit blau gedruckten Gcwätwcni „in nero eon le aeijue in
azzurro".
' Edizione {»liei-omo a Hfumo. — Vgl. den Katalog des Institute* zu Florenz: l'ubblieaziuiii dell"
l.stituto Geografieo Militare. Firenze 10i;i. Xeb«t den ÜbennielitMblättent finden »ich darin Karten-
iiusscliiiitte und Angaben (ibei die Hei-stellung der Kurten. Kine branebban- K'irtenmiLstersjimmlung!
472 I^'p I-i!iiulkai-te und ihr GcliiinU'.
Über die wichtigsten Alpenkartcn. In der gleichen Zeitschrift brachte Eng. Ober-
hummer eine Anzahl historisch-kartogi-aphischer Artikel: „Die Entstehung der
Alpenkarten" 1901, „Die ältesten Karten der Ostalpen" 1907, „Die ältesten Karten
der Westalpen" 1909, und vier über ,,Die Entwicklung der Alpenkarten im 19. Jahr-
hundert", die von Baj^ern 1902, Österreich 1903, Schweiz 1904. Frankreich und Italien
1905. Fast gleichzeitig eröffnete A. Penck in Hettners Geographischer Zeitschrift
eine Reihe von Einzelstudien (1S99— 1903), die gesammelt 1904 in Leipzig unter dem
Titel „Neue Karten und Eeliefs der Alpen" erschienen. Während Oberhummer das
Hauptgewicht in seinen Ausführungen auf geschichtliche Fakta und die Wiedergabe
guter Kartenproben nach den Originalen legt, haben die Penckschen Erörterungen
ihren Wert in der Kritik und in dem Streben, naeli leitenden Gesichtspunkten in
der Geländedarstellung vorzudringen; es sind eben Studien ülier Geländedarstellung,
wie Penck selber sagt (s. weiter § 326).
274. Die Schweiz, das klassische Land der Gebirgsdarslolhing. Die Diifoiirkarte.
Das Alpenland katexochen, die Schweiz, ist das klassische Land der Gebirgs-
darstellung. Keine Karte dieses Landes ist ähnlich lierühnit geworden wie die
Dufourkarte (genaimt nach dem Chef der Aufnahmen (1. H. Dufour) oder wie
sie amtlich heißt: Topographische Karte der Schweiz, vermessen und herausgegeben
auf Befehl der eidgenössischen Behörden in 1 : lOOOOO.^ An ihr hatten von 1842
bis 1865 die besten Topographen, Kartographen und Stecher der Schweiz gearbeitet.
Für die schräge Beleuchtung bilden die Alpen immer ein dankbares Objekt; aber
so auffälhg und scharf und verhältnismäßig gleich gut behandelt wie auf der Dufour-
karte hatte diese Beleuchtungsart bisher noch auf keiner Schraffenkarte zu dem
Beschauer gesprochen. Darum hatte die Dufourkarte wie noch keine andere Karte
zuvor so einstimmig den Beifall und die Bewunderung der lierufensten Kartenkritiker
gefunden. Selbst E. v. Sydow, ein strenger Anhänger der senkrechten Beleuchtung,
konnte nicht umhin, dem schweizerischen Kartenwerke seine Anerkennung zu zollen
und spricht von einem ,, Meisterwerk der Kartographie"^, von einem ,, Meisterwerk
topographischer Wissenschaft, Ausdauer und Kunst".* Man merkt ihm jedoch in
seiner ganzen Ausführung an, daß ihm das Lob nicht so recht vom Herzen fließt.
Dagegen ruft Aug. Petermann in heller Begeisterung aus: ,,Es gibt keine Karte, die
eine genaue Aufnahme mit meisterhafter, naturgemäßer Zeichnimg und schönem,
geschmackvollem Stich in so hohem Grade vereinigte als sie. Sie vereinigt alle diese
Vorzüge in so ausgezeichneter Weise, in einem so harmonischen Ganzen, und gibt
i Vgl. „Die schweizerische Landesvermessung" 1832-1864. Geschichte der Dufourkarte;
hg. V. Eidg. topograph. Bureau. Bern 1896. Mit Kartenaussehnitten. Bearbeitet von J. H. Graf,
L. Held u. M. Rosenmund. (Jetzt heißt das Eidg. topogr. Bureau „Abteilung für Landestopographic
des Schweizer Militärdepartements" mit dem Sitz in Bern.) — Rudolf Wolf: Geschichte der Ver-
messungen in der Schweiz. Zürich 1879. — Ein kurzes Expos6 über die Dufourkarte gibt Eug. Ober-
hummer i. d. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1904, S. 20-25. — Von der Dufourkarte erschien 187.3 eine Re-
duktion „Generalkarte der Schweiz" in 1:2.50000, eine 4 Blattkarte, die in der Schweizer Armee als
allgemeine Kriegskarte gilt. — Wem ein Blatt der Dufourkarte nicht zur Hand ist, kann zur Not einen
Einblick in ihr Wesen aus der Karte der St. Gotthardbahn gewinnen, die in .3 Blättern mit Zugnmdc-
legung der Dufourkarte in 1 : 100000 in P. M., Erg.-H. 65, T. 1, 2 u. 3. 1881 der Arbeit von H. A. Ber-
lepsch über die Giotthardbahn beigegeben ist.
2 E. V. Sydow i. P. M. 1863, S. 479.
» E. V. Sydow i. P. M. 1865, S. 467.
Die Meistirjahre in der Geliiudcdarstellun<; vou der Mitte des 19. Jalirli. bis zur Gejrenwart. 473
ein so naturwahres Bild der imposanten Alpemiatur. daß wir sie unbedingt als die
vorzüglichste Karte der Welt ansehen."^ Mit dieser Lob- und Preissagung war Peter-
mann zu weit gegangen. Sicher ist, daß sich in der Dufourkarte nichts Abgehacktes,
Hölzernes und Unklares in der Geländedarstellung, ^\-ie es bis dahin noch auf andern
renommierten topographischen Kartenwerken anzutreffen war, bemerkbar macht,
daß auf den ersten AnbUck alle Gebirgsteile harmonisch, auch die Juraformen — diese
als Mittelgebirgsformen in Lehmannscher Schraffenmanier! — ineinandergreifen
und ein wohltuendes, charakteristisches und effektvolles Bild erzeugen. Mit ebieni
Wort: Die Karte ist eine reife Arbeit für ihre Zeit. Im einzelnen wird man wie fast
an allen Kartenwerken mäkeln, aber auch im ganzen hat die Dufourkarte ihre Mängel,
die einmal in dem ungenügenden Aufnahmematerial liegen, das für melirere Kan-
tone verwendet worden ist-, und ein andermal auf das Schuldkonto der schrägen
Beleuchtung zu buchen sind. Darüber später mehr.
Bevor Dufour sich für die Geländedarstellung in schräger Beleuchtung ent-
schied, ließ er, wie wir aus der Geschichte der Karte wissen, 1841—1844 durch die
Ingenieure Wolfsberger, Betemps und Stryenski vier Blätter in 1 : 50000 aufnehmen
mul mit Schraffen und schräger Beleuchtung zeichnen. Von diesen vier Modell-
Idättem' urteilt E. Oberhummer, daß sie ,,zu dem Schönsten gehören, was in topo-
grai)hischer Zeichnung geleistet worden ist", und sie „sind für die künstlerische Ge-
staltung der Dufourkarte maßgebend geAvorden imd ihnen verdankt dieselbe ihre
hohe Bedeutung in der Entwicklung moderner Geländedarstellung".* Abgesehen
davon, daß Dufour in bereits vorhandenen großmaßstabigen Kantonkarten^ manch
gutes Vorbild vorfand, dürfte doch auf ihn die ältere Karte der Schweiz von Meyer-
Weiß, auf alle Fälle die blendende La carte topographique de l'ile de Corse, die
1770—1791 vom französischen Ingenieurgeographenkorps aufgenommen, aber 1824
erst in vier Blatt in 1 : 100000 veröffentlicht wurde, von großem Einfluß gewesen
sein. Wir wissen, daß Dufour diese Karte sehr wohl kannte. Schraffen und Be-
leuchtung sind auf der Korsikakarte in ganz ähnlicher Weise wie bei Dufour behandelt
und bringen beide einen ähnhchen plastischen Effekt hervor. Die Gratzeichnung,
die bei Dufour besser gelungen ist, erinnert mehr an J. E. S. Raymonds Karte der
Alpen aus dem Jahre 1820.6
Durch die scharfe Kontrastierung von Licht- und Schattenseiten leitete Du-
four den modernen Typus der Schweizer Karten ein. tler vollwertig uns erst in den
Karten in ,, Schweizer Manier" entgegentritt. Die Dufoursche Manier ist eine Ge-
ländedarstellung, die sich bequem auf Karten kleinen Maßstabs übertragen läßt.
' .\ug. Petermann in dem anonym erschienenen Artikel „Die Schweiz". P. M. 1864, S. 4:{S.
- H. Siegfried: Geograph, u. cosraograph- Karten u. .\pparate. Rerioht. Internat. VVelt-
uii!u<tell. 1878 in Paris. Zürich 1879, S. 13. — Vgl. ferner F. Becker: Die schweizerische Kartogmpliic
i. J. 1914. Wesen u. .-Xiifgaben einer I.andesaufnahme. Krauenfeld 1915, S. 22ff.
' Hauptsächlicli warrn es die zwei von .1. Ch. Wolfsberger gezeidinctcn Bliitlor. die als .Mii.<tcr
bildcr für die Schweizer Kartographie gelten.
« E. Oberhunimer i. Z. d. D. n. (). .\.-V. UM«4. S. 23.
* Vgl. .\iim. 1, S. 472, Geschichte der Dufourkarte. S. Iti7- UUi.
• Carte topographique inilitaire des A\\>c>t coinpn-nant Ic l'ic^niont. In Savuyc, le Coniti^ de .Niet-,
le Vallais, le Dnch^ de Genes, le Milanois. et [lartie des 6tat8 liniifroplic,-. 12 Hl. i'aris 182(t. Davnn
cr.-ichicn noch 1860 eine Ncuaiiflagr mit vcrvollstfindigtcr Slmüi-iiangal r.
474 Di« Landkarte; iiiul ilir fTi'liindc.
So wurde dir Dufuurkartc das iL'Uclitfiidc Vorl'ild /. 1!. für C. Yu-cls Karte der Sclnvi'iz
1 : 025000.1
'27.'). Der Sicgfriedatlas (Sicglriedkarlc) iiiitl sein Kiiillull. AVas Duliair in der
fertigen Karte verschmähte, ^vird in dem Hauptwerk der schweizerischen Karto-
graphie, dem Toi)ographischen Atlas der Schweiz^ in 1 : 25000 und 1 : 50000 fürs Hoch-
gebirge, der von 1S(5H, bez. 1870 an veröffenthcht w'ird, zur Hauptsache der Gelände-
darstellung, nämlich die Wiedergabe der Niveaukurven. Sie werden in rdl braunen
Linien in Abständen von 10 zu 10 ni auf den Blättern in 1 : 25000 und \i>n :iü zu
30 m in 1:50000 gezogen; auf den erstem sind die 100 m-Linien, bei den andern
die 300-m-Linien gestrichelt, stellenweise wird die 5 m-Kurve interpoliert. Die
Karte verzichtet bei ihrem nackten Isohypsengerippe auf die plastische Wirkung
der Dufourkarte. Die an den steilen Böschungen zusammengedrängten Schicht-
linien sind ein schwacher Ersatz für die räumliche Wirkung der schräg beleuchteten
Schraffen der Dufourkarte. Leben und Bewegung bringt in das Kartenbild lediglich
die ausführliche Felszeichnung. Dadurch und durch die peinliche Akkuratesse der
Gesamtzeichnung wird das Schweizer Kartenwerk, das nach seinem großen Förderer,
dem Obersten H. Siegfried, Siegfriedatlas, auch Siegfriedkarte genannt wird,
gleichfalls zu einem Meisterwerk der Topographie und Kartographie.
Mir kommt es bei meinen Erörterungen weniger darauf an, alle Kartenwerke,
die als „Meisterwerke der Kartographie" (diese Bezeichnung ist mit der Zeit recht
wohlfeil geworden) bezeichnet sind, vor das Forum meiner Untersuchung zu ziehen,
als vielmehr zu untersuchen, wie groß der Einfluß der Kartenwerke und Pjinzel-
karten auf ihre Zeit, d. h. auf die Kartographie, Geographie und zuletzt auch auf
die Kultur gewesen ist.
Die Siegfriedkarte ist von den Bergsteigern außerordentlich geschätzt; sie hat
wesentlich zur Förderung des Alpinismus beigetragen. Für die Kartographie des
eignen Landes wie des ganzen Alpengebiets wurde sie tonangebend, bei weitem
mehr als die Dufourkarte; ihre Geländedarstellung ist mit großem Geschick auch
auf die \\estali)en übertragen worden. Die Zeitschrift des Deutschen und Öster-
reichischen Alpenvereiiis wurde ein Hort der wertvollen Karten, die L. Aegerter
in der Manier des SiiL'tri((lall;is in 1 : 25000 entwarf und weiter entwickelte.* Unter
ihnen sei die Karte der Brentugruppe 1908 hervorgehoben, ein herrliches Kartenwerk,
das in seiner rotbraunen, dem Terrain so treu wie möglich angepaßten Isohypsenführung
wie in seiner })ackenden, lebenswahren Felszeichnung seinesgleichen sucht. Daß noch
1918 und 1920 die lierrlichen Karten der Gesäuselierge und des Brennergel )ietes
^ Die Lerrliclie Karte C. Vogels erschien 1869 zum erstenmal als T. 1.3 in P. M. zu R. Studer:
Die Schweizer Alpen u. ihre orographische Gruppierung. — Sie bildete einen wertvollen Bestandteil
des Kart<?nmaterials in Sticlers Handatlas, und zwar als Nr. 16 in der Ausg. v. J. 1894, also der letzten
Ausg. von Stielcrs Handatlas, die noch die Gebirge in Schwarz der Situationspia ttc brachte. Ich speziell
stelle gerade dieses Blatt über das entsprechende in der neuen Buntdruckausgabe des Atlas, das weit
geringere plastische Wirkung hat.
2 Toiwgraphischcr Atlas der Schweiz im Maßstab der Originalaufnahmen nach dem Bundes-
gesetz vom 18. Dez. 1868 vom eidgenössischen Stabsbureau veröffentlicht. 591 Bl.
^ Es sind folgende Karten in 1:25000: Langkofel- u. Sellagruppe 1904, Mannolatagi-uppe 1905,
Allgäuerund Lechtaler Alpen, westl. Teil, 1906, östl. Teil 1907, Ankogel-Hochahnspitzgruppo (1:50000)
1909, Lechtaler Alpen 1911, Heiterwald u. Muttekopfgebiet 1912, Arlberggebiet 1913, Dachsteingruppe
1915, Kaisergebirge 1917, Gesäuseberge 1918, Bronncrgcbict (1:50000) 1920.
Die Mcisterjalirc iu der Gfliindedarstcllung von der Mitte dfs 19. Jalirh. bis zur Gf{;cnwart. 475
herausgegeben WTirden, ist ein beredtes Zeugnis von dem unermüdlichen Kunstschaffen
Aegerters wie dem unerschütterhehen Bestreben des Deutschen und Österreichischen
Alpenvereins, seinen Mitgliedern nur Bestes zu bieten.
Die Siegfriedkarte hatte die Ansicht über die Notwendigkeit der Schichthnien
im Kartenbild bedeutend gefördert. Allmählich bequemte sich die großmaßstabige
Schraffenkarte dazu, ihr altes Hilfskonstruktionsmittel, die Schichtlinie, sichtbar
auf dem Kartenbild zu belassen. Die österreichische Spezialkarte in 1:75000 ist
die erste große topographische Karte, bei der das senkrecht beleuchtete Karti-nbild
mit feinen Isohypsen bedeckt ist, die, gleichfalls in Schwarz, im Abstand von 100 ni,
in flacherm Gelände auch von 50 m, eingetragen sind. Ausgenommen sind die
Blätter, die über die alte Monarchiegieuze hinaus montenegrinisches, serbisches untl
rumänisches Gebiet umfassen, für das kein genügendes Material zu einer sichern
Schraffengebung, da diese im (ielände bereits geschaffen wird, vorlag. Man be-
gnügte sich mit den SchichtHnien und dem Schraffenersatz, der Schummerung.
Die Bemühungen Y. v. Streffleurs'. die Schraffen ganz zu beseitigen imd sie nur
durch Schichtlinien zu ersetzen, gelang nicht in Österreich. In andern Ländern war
man dazu übergegangen, die Aufnahmen nur in Schichtlinien darzustellen und die
entsprechenden Originale auch nur mit Schichtlinien zu veröffentlichen.
Mit der Siegfriedkarte -woirde keineswegs die Bedeutung der Isohypsen für
die Geländedarstellung der alpinen Gebiete inauguriert. Für die Schicht linien-
zeichnung hatte in der Hauptsache schon Joh. Melch. Ziegler gewirkt, der 18ö(>
seinen Hypsometrischen Atlas in Winterthur herausgab und 1866 die Hypso-
metrische Karte der Schweiz in 1 : 380000. Es lag in seiner wissenschafthchen
Natur, bei der Beleuchtimg des Geländes, sobald er sich der Schraffen bediente, dem
Lehmannschen Prinzip zu huldigen. Nur wo es galt, den Masseneffekt hervorzuheben,
ging er leise zur schrägen Beleuchtimg über. Das Studium des morphologischen
und geologischen Elements bei der Terraindarstellung war ihm die Vorbedingung
zu einer guten Karte, zu der Kofistka später noch das kulturgeographische hinzu-
gesellte.
Aus der Schule Zieglers ging der vortrefflichi' Budulf Leuzinger lu'rvor'-.
der sich 186C mit einem ziemlich reifen Erzeugnis, der Karte Ober-Wallis, Berner
Alpen und Simplongebirge in 1 : 200000 in Petermamis geographischen Mitteilungen
einführte.^ Die Alpengrate treten schärfer, nicht so weich und unruhig wie auf
frühern Aljjenkarten in Schraffen hervor. Am glänzendsten bewährte sich sein
'i'alent bei der Herstellung reliefartiger Karten, auf die ich später zu sprechen konunc
und bei der Mitarbeit am Siegfriedatlas; demi die von ihm lithographierten Blätter
waren in der Charakteristik von bisher noch nie iTreichter Vollendung, und ihnen
verdankt die Schweizer Kartographie einen großen Teil ihres Kiifes im Ausland.*
27fi. Die Fplszrirhming. EiiifhiB nouer Aufnahincniethodpn auf die (Ji'birus-
zeichininjr. Die Geländedarstellung der Dufourkarte wurde auf Karten kleim ii
' Val. V. Stnffl.in: Der pnenwartiKo Staiidpmikt dir Hirnzrlclimmn in Kart.n u. IMaurii.
(Kstcii. inilit. Ztitschr. III. ISli", S. 117.
- L. Hol.l: KartoKrapli K. Ix-ii/.iM^'<i. Jahrb. d. S. .\..(l. .XXXl. 18!)-.;0fl. S. 2%.
^ 1'. M. ISfifi. T. 11.
' \'n\. K. ('. Aniri-iii.H Bericht über die Karto^-rapliii' ilci Sthwi-iziTisi'lu'n LiiiuU'saUiwti-lUiiig
Ziuith I88;t. Züriih IS.S4, .S. 14.
476 '^'C l-audkaite uml ihr Gelämlo.
Maßstabs nachgeahmt, wenn zunächst auch nicht mit der Eleganz und Präzision
des Vorbildes. Es kostete viel Arbeit, den Zeichnungen kleinen Maßstabs den scharfen
Grat des Eelsrückens zu verleihen.^ Gegen Ende der sechziger Jahre verschwindet
das Unruhige der Schraffur wie das Weiche und Verschwommene in der Behandlung
der Gipfel und Bergrücken. Die Zeichnung der Siegfriedkarte eignete sich weniger
zur Nachahmung. Deshalb ist sie lediglich für Karten gleichen oder ähnlichen Maß-
stabs von Bedeutung gewesen. Der Grund liegt weniger in der, Isohypsen- als viel-
mehr in der Eels Zeichnung, die ihre Aufgabe nur in Karten großen Maßstabs be-
friedigend lösen kann. Ihre Güte ist zugleich ein Wertmesser für die Alpenkarten.
Darum beschäftigte sich Penck ausführlicher mit der Felszeichnung. Es ist ein
interessantes Kapitel, die Felsdarstellung von der schematischen Zeichnung bei Cas-
sini bis zu den modernen Alpenkarten im Si(",L;fi'i''dailas, von Simon, von Aegerh-r u. a..
die sich durch die minutiöseste Felscllal■,lkt(^i^lik aii>zriclinen, zu verfol.uM^n: hier
dürfte es mich zu weit füliren. Durch die gute i''i'lsz(ic)inung wird die Gebirgskarte
zu einem reich detaillierten Landschaftsbild. ^ Aus ihm kann man unter Umständen
auf die geologische Zusammensetzung der betreffenden Felspartien schließen.' Eud.
Leuzinger war ein Meister der Felszeichnung, er hat nicht weniger als auf
IIB Blättern des Siegfriedatlas das Felsgelände gestochen.* Die gewissenhafte Fels-
darstellung auf den Schweizer Karten ist zu einem guten Teil, wie l)ereits angedeutet,
auf den Einfluß Zie^lers zurückzuführen.
Wie in ein umfangreiches Kartenbild diu F(dspartien hineiuzusetzen sind, zeigt
zum erstenmale die Dufourkarte. Terrainformen, wie sie Gletscher und Felsen auf-
weisen, lassen sich nicht in das Lehmannsche Prinzip hineinpressen, sie müssen in-
ilividiiill behandelt werden. Trotzdem müssen sie sich in das Gesamtkartenlnld
haruiuiiiscli einfügen und keinen unruhigen und unnatürlichen Eindruck hervor-
rufen.-'^ Etwas linksseitige Beleuchtung ist kein Fehler bei der Felsdarstellung.
Ferner darf diese aus dem gesamten Terrainbilde nicht herausplatzen, sondern muß
sich bei aller scharfen Charakteristik harmonisch der übrigen Geländedarstellung
anpassen. Nur da, wo Felsen sporadisch auftreten, werden sie auffällig im Karten-
bilde hervortreten, wie z. B. die Gabbrosteinbrüche im Radautale auf dem Blatt
Bad Harzburg der Topographischen Landeskarte des Herzogtums Braunschweig
in 1 : 10000. Die neuesten gelungenen Versuche von Felsdarstellungen im Karten-
bilde bieten uns Karten der Sächsischen Schweiz (s. S. 93).
Die Felszeichnung ist noch nicht am Ende ihrer Leistung angekomnicn. In
dem Streben nach weiterer Vervollkommnung wird ihr die Fliegerphotograiiliie den
Weg weisen (S. 2S()). Das gilt insonderheit bei der scliwierigsten Felszeichnung,
1 Vgl. Karte der Ortk'S- und Adamellognipi)e. Zu Dr. Loiciit// Reise. l:4r)0000. P.M.
IS6.5, T. 2.
- Unter altem Karten mit ausgezeichneter Fclszcichnung vgl. Karte der Terglougru])!» in
1:28800 bei V. Streffleur: Der Terglou in Oberkrain, eine topograph. -historische Skizze. Österr.
Milit.-Z. 1860. I. S. 266-283. Die Karte ist angefertigt nacli der Originalzeichnung des Obersten
Weiß und durch den Ingenieur Möring in Lithographie ausgeführt.
3 A. Penck: Ali^nkarten. Leipzig 1904, S. 11. - Vgl. auch H. Siegfried, a. a. O., S. 20.
* Der ausgezeichnete, harmonisch wirkende Felsstich auf der wundervollen Montblanc-Karte
1896 von X. Imfeid war eine der letzten Arbeiten Leuzingers.
^ Wie z. B. auf Th. Trautweins Karte vom „Kaisergebirge" in 1 :.'"iOOOÜ (H. l'cttcrs), trotzdem
dazu 2 Reliefs von ('. Babenstuber und Winkler benutzt wurden.
Die Meisterjahre in der Geliindodarstellung von der Mitte des 19. .lalirh. bis znr Gegenwart. 477
bei der kartographischen Darstellung eines Karre nfeldes. Ein Karrenfeld kann
ebensowenig wie geneigte Felsplatten^ durch Schraffen oder Schichtlinien richtig
wiedergegeben werden. Mein Versuch einer Karrenkarte des Gottesackerplateaus
zwischen Hobeni Ifen und Obem Gottesackerwänden^ in 1 : 7500 ist noch nicht
wiederholt worden. Selbst Karten, die das Eigenartige eines Karrenfeldes bei einem
Maßstabe von 1:25000 wohl berücksichtigen könnten, wie die Karten des Kaiser-
gebirges, der Dachsteingruppe von L. Aegerter, versagen in der Darstellung, und nur
der unruhige Verlauf der Isohypsen zeigt an, daß dort an der Überfläche etwas nicht
in Ordnung ist. Da hat selbst Blatt 400 (Linthtal) des Siegfriedatlas in 1 : 50000.
das Fr. Becker mit größter Sorgfalt aufgenommen hat, eine l)essere Veranschau-
lichung des Karrenphänomens gegeben.^ Für eme das Karrengelände in genügender
Weise charakterisierende Darstellung ist ein Maßstab in 1 : 10000 gerade noch ge-
nügend, ein größerer ist stets vorzuziehen. Meine Karte von damals kann nicht
mehr den Ansprüchen genügen, die ich heute an eine derartige Karte stelle. In der
Art und Weise der Zeichnung der Felsen, Platten, Löcher und Risse dürfte sich wenig
ändern, wohl aber in der Präzision der Aufnahme. Die Instrumente, die mir bei
der Aufnahme zur Verfügung standen, waren für das verwickelte, abwechslimgs-
reiche Terrain zu primitiv.* Wenn schließlich jedes Terrain eine besondere Auf-
nahmemethode erscheischt, muß hier die Regel gelten: Je komplizierter die Gelände-
form, desto feiner die Aufnahmemethode. Wie schnell würde nach dem heutigen
stereophotogrammetrischen Aufnahmeverfahren das Gotte.sackerplateau mit Basis-
linien auf dem Hohen Ifen und hart am Südfuß der Gottesackerwände kartographisch
gut festgehalten werden können, dazu noch einige senkrechte Fliegerbildaufnahmen,
und eine Karte müßte entstehen, wie sie genauer, schöner und schneller von keinem
altern topographischen Aufnahmeverfahren zuwege gebracht worden ist.
Die photogrammetrischen und stereophotogrammetrischen Aufnahmemethoden.
die in der Alpenwelt viele Erfolge errungen haben, sind hauptsächlich von Deutschen,
cinselilicßlich Österreichern, gefördert worden. Marksteine dieser Aufnahmen sind
die Spezialkarte der Zugspitze in 1 : 10000 des Topographischen Bureaus in München
1892 und die Karte des Vernagtgletschers 1 : 10000 von S. Finsterwalder ISHT.''
Über letztere Karte kann ich heute noch mein Urteil von 1902* aufrecht erhalten,
daß sie eine kartographische Arbeit sei, die in bezug auf Peinhchkeit der Ausführung
und auf Genauigkeit der Aufnahmen ihresgleichen in der gesamten aljiinen Karten-
literatur sucht.' Mit ihr rückt die Gletscherdarstellung in eine neue Phase, die kleinsten
(Hetscherdetails werden wiedergegeben. Auf altern Karten erschien der (iletscher
mehr oder minder als etwas Ausgefallenes, er konnte sich nicht recht in das Gelände-
' Vgl. die Plattenszencrie am Passo del Grostc^ auf AegertCT-s Kiiilc der HrentngMipix' i. d. /. il.
I). 11. ("). .A.-V. 1008 II. den dazugehörigen Text S. 82.
- M. Eckert: Das Gottcsackerplateau, ein Karrenfeld im .Mlgäii. Wis«. Krg. Hefte zur '/.. d.
I). u. (■■). .A.V. I. :{. Heft. Innsbniek 1902. Mt Karte.
' .M. Eekert, a. a. O.. S. 57, .58.
' M. Kekert, a. a. O., «.59.
' S. Finsterwalder: Der V'ernagtfemer. Seine Oosehielite 11. seine Vernies.sung i. d. .In. I.>*SS
u. IS>S!). Dazu ein Anhang: A. Bliinieke u. H. Hess: Die Naehine.>i.sungen am Vemnglfenui. \Vis.H.
Krg.-Hefto z. Z. d. D. u. Ü. A.-V. T. 1. Heft. MUnehen 1897.
• M. Eekert. a.a.O.. .S. 57.
' Vgl. über Vinsterwalder in diiii Teile „Kartenaufnnhine". .^. 208, Ainii. ."l, S. 279.
478 Die Laiulkai-tc und ihr Gelände.
bild liineinschmiegen.i Die Dufourkarte hatte darin erfreuliclien Wandel geschaffen.
Nachdem auf den Alpenkarten die Schichtlinien ihren Einzug gehalten hatten, dauerte
es noch einige Zeit, bis die Einsicht, daß die Niveaukurven auch auf die (Hetscher
gehören, sich durchgerungen hatte.^ Selbstverständlich kommen luerhei in der
Hauptsache großmaßstabige Karten in Betracht.*
An der photogrammetrischen Aufnahme der Spezialkärte der Zugspitze hatte
S. Finsterwalder wesentlich Anteil. Der Maßstab 1 : 10000 erlaubte eine detaillierte,
kräftige und wirkungsvolle Felszeichnung, über die sich Niveaukurven in Dunkel-
braun als geschlossene und über die Ferner als gerissene Linien hinziehen.
277. Dit' Scliralfe in ihrer höchsten Entwiekhing' als Böschungsschrafl'e, Schatten-
schrafl'e und alls;enieine Gebirgsschrafl'e. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahr-
hunderts erhält die Schraffe ihre höchste Entwicklung, erst jetzt findet sie
(auf chorographischen Karten) ihre richtigen Meister. Nach drei Eichtungen hin
hat sie sich entwickelt, auf großmaßstabigen Karten als Böschungsschraffe bei
senkrechter und als Schattenschraffe bei schräger Beleuchtung und auf choro-
graphischen Karten als bloße Gelnrgsschraffe sowohl bei senkrechter wie bei
verschieden schräger Beleuchtung.
Auf Einzelkarten ist die Böschungsschraffe schon in der ersten Hälfte des Jahr-
hunderts gut gezeichnet worden, so auf Lehmannschen und verwandten Karten.
Honderobjekte, die eine gewisse Wichtigkeit und Bedeutung haben, wie auserwählte
Städte und Berge, bilden gern den Vorwurf zu Karten, bei denen die Schraffe das
Hauptdarstellungsmittel ist. Schöne Schraffenkarten dieser Art sind der Topo-
graphische Plan der Staedte Athen von Aug. Praxel 1836*, die Kaart van het Eiland
Java von C. W. M. van de Velde 1843, die Ätnakarte von Sartorius v. Walters-
hausen^, ganz besonders aber der 1874 von Joh. Aug. Kaupert gezeichnete Plan
des königlichen Schlosses Wilhelmshöhe bei Cassel nebst Umgebung in 1 : 6000.*
Berühmter noch als diese Karte Kauperts sind seine mit E. Curtius herausgegebene
Karten von Attika', gleichfalls ein Meisterwerk in der Terrainschraffierung.
Glänzende Schraffenkarten in senkrechter Beleuchtung sind die oben genannten
' Sehr gut läßt sich dies z. B. an den Alpenkarten von J. Pay e r in P. M. Erg.-Meften beobachten.
Ergh. 17, 1865: Adamello-Presanella-Alpen 1:56000; Ergh. 18, 1867: Suldengebiet 1:48000;
Ergh. 23, 1868: Die westl. Ortleralpen 1:36000; Ergh. 27, 1869: Die siidl. Oitlcralpen I:. 56000;
Ergh. .'il, 1872: Martcller-Alpenkomplex 1:56000. — Auf den ersten Karten erscheinen die Gletscher
■wie etwas Fremdes im Gelände, auf der Karte des Martellor- Alpenkomplexes sind sie ein Weaensteil
der Geländedarstellung. Merkwürdigerweise <^i-\n\i < l Ix rli uiiimer und Penck an diesen Alpenkarten,
die für ihre Zeit ganz respektable LeistuiiL" n vvan n, mit Stillst liweigen vorüber, wie auch an der hypso-
metrischen Karte der Oberlechtaler Alpen, 1 ; ha I i l<c >iiU(t teil. Sil vrettagruppe in 1:200000 V.A.Wal ten-
berger. P. M. Ergh. 40, T. 1. Ciotha 1875.
- Wo dies nicht der Fall ist, können die Schichtlinien sogar störend wirken, wie auf der L. Ra ven-
steinschen „Karte der Schweizer Alpen in 2 Blättern" in 1:250000, Frankfurt a. M. 1897; da treten
die Gletschergebiete der Benier und Walliscr Alpen mächtig hervor und die zwisclicn din (ilctsclicrn
zerstreut liegenden Höhenschichtenkleckse stören nur.
" Wie ich schon an anderer Stelle andeutete (S. 364, Anm. 5), fehlt uns noch eine Gcscliiilite
der Gletscherdarstellung.
* 1 Exemplar i. U.-Bi. Gott.
=> 12 Blätter in 1:30000. [In d. U.-Bi. (iött. eine Originalphotogiaphie der Karle.]
« Kauperts Karte in P. M. 1875, T. 2.
' Berlin 1881-1894 in 1:25000, nur die Karte von Athen in 1:12.500.
Die Meistorjahre in d<T GeiändedarstelluDg von der Mitte des 19. Jahrh. bis zur Gegenwart. 479
Alpenkarten von J. Payer, dessen sauber gezeichnete Originale, die bei J. Perthes
in Gotha aufbewahrt werden, das Herz jedes Kartographen und Kartenkundigen
erfreuen. J. Payer ist aus der amtlichen österreichischen Schraffenschule hervor-
gegangen; und hier bei dem k. k. Miütärgeographischen Institut muß der anklopfen,
der schöne, ausdrucksvolle und jioinlichst ausgeführte Originalschraffcnkarten kennen
und schätzen lernen will.^
Deutschland und Österreich haben aus der Ijehmannschen Schraffengeljung
herausgeholt, was nur irgendwie möglich war, beide haben den wissenschaftlichen
Charakter der Tonung, wie ich die Darstelhmg des Geländes in Böschungsschraffen
nennen will, gemäß den mechanischen Hilfsmitteln der Darstellung zu bewahren
und auszubilden versucht. Die Dufourkarte war bei der Hochgebirgsdarstellung
be■w^lßt vom Lehmannschen System abgesehen und hatte die Hchraffe wie auf den
alten Karten mit Jlaulwurfshügelmanier oder in Kavalierperspektive lediglich als
Schattenstrich behandelt. Der gewünschte Effekt bei schräger Beleuchtung
wurde bei dem Maßstab 1 : 100000 vollkommen erreicht. Eine gleiche AVirkung
bei größerm Maßstabe, wie in 1 : 25000, dürfte kaum erreicht werden, es sei denn,
daß die Karte reines Landschaftsbild wird. Im großen ganzen ist die Schraffen-
zeichnung bei schräger Beleuchtung für Karten sehr großen Maßstabs, auch für
Mittelgebirgsformen auf großmaßstabigen Karten, nicht zu empfehlen, hat doch
Dufour schon auf seiner Karte bei dem Jura die senkrechte Beleuchtung nach lieh-
mann angewandt. Jene eignet sich indessen vorzüglich für Karten kleinern Maß-
stabes, wo es nicht mehr darauf ankommt, Böschungen und absolute Höhen Verhältnisse
zu kennzeichnen, sondern bloß die großen Zusammenhänge der Gebirgsformen und
deren Verteilung über das Land. Die schräg beleuchtete Schraffe hat sich darum
mit viel Geschick in das Gebiet der chorographischen Karten, vorzüglich der Hand-,
Atlas- und Schulkarten, eingeführt. Wie ich schon andeutete, ge.^ichah dies nicht
mit einem Jlale. Zwei bis drei Generationen haben seit Anfang des Jahrhunderts daran
gearbeitet, die Schraffe ordentlich und siimgemäß in die Landkarte hinehizusetzcn.
Dieses Kunst- imd Meisterstück ist nicht den amtlichen Kartenanstalten gelungen,
sondern der privaten Kartenindustrie, und hier wiederum fast ausschließlich der
deut.schen.
Bei der chorographischen Karte, der Landkarte schlechthin, ist das Terniiii
zu generalisieren, also Gattmig und Charakter der Geliirge sollen dargestellt werden-;
(lies verstand man bei den Landesaufnahmen weder in Berlin und Wien noch in Florenz.
Paris und London (Southanipton) richtig. In Österreich hatte man ja den Versuch
mit den Kronlandsschulkarten in 1 : 750000 gemacht, indessen waren es bloße
.\us.schnitte aus der Übersichtskarte von Mitteleuroi)a.' Es fehlt eben das richtige
(ieneralisieren für den Zweck der Scluden, und die senkrechte Beleuchtung allein
ist nicht erfolgreich genug, (ianz anders ist die Terrainbeleuchtung auf den Karten.
' Im S«>pt. 191,1 zeigt«- mir Olx-retleutnant Vogel vom k. k. Milit«rgpographis<hen Institut
oiiio Reihe von Originalaufnalimen, die als Meistorworko der Terrainkunst anzuspn-ehen sii\(l. sie wan-n
von .selten sfhömT AiLsIührung und Akkunvtesse, man bemerkte insoiiderlieif , daß gi-oOt-s (iewiclit
auf die genaue .\norflnuiig der Sehraffen gelegt war. Vgl, auch .Aiiin. I, S. 47S.
» Vgl. über da» (ieneralisieren der (ieliindefomien s. obi-n S. XU, 4(H).
=> In Iw'rfKXlO. hg. V. k, k, .Milit.-gcnigr. Inst. Wien 1882-1886. Vgl. auoh „Sohidhandkarte
lies Kr7.her7.optiuns ÖsKneieh ol> der Knns und de« Herzogtums Salzburg" in 1 :7.'>0(MK) vim K. Sehober.
Wi.ii ISS!». Heil. IX zu den Mitt. d. k. k. Milit.geogr. Inst. Wien 188il.
480 D'*" I'andkai-te und ihr GelUndo.
die C. Yogel bei J. Perthes in (iotha gezeichnet hatte, imter denen die Alpenkarten
in Stielers Handatlas und die Karte des Deutschen Reiches in 1 : 500000 bis heute
noch keine Eivalen gefunden haben. Neben der Perthesschen Schule entwickelte
sich selbständig E. Debes, ein Schüler Petermanns.^ Vor allem gelang ihm das
wirkungsvolle Schraffenbild auf der Schulkarte. Muster in der Schraffenbehandlung
sind auch verscliiedene Atlaskarten in Debes' Handatlas. Von diesem hat wiederum
Andrees Handatlas profitiert. An die drei Handatlanten von Stieler, Debes und
Andree können in der (iebirgsdarstellung die andern deutschen Handatlanten (Sohr-
Berghaus-Bludau, Spamer, H. Kiepert), geschweige die des Auslandes nicht heran.
H. Kieperts Stärke liegt in der Namengebung der Karten (S. 65), nicht in der
Geländedarstellung, das zeigt schon sein Compendiöser allgemeiner Atlas der Erde
und des Himmels, Weimar 1850; auf der Neuausgabe seines Handatlas, Berlin
1893—1895, ist es kaum besser geworden. Vorzügliche Schraffenkarten gibt E. Debes
in den vielen Baedekerkarten, die bei Wagner & Debes gezeichnet und gedruckt
werden. Darimter finden sich wahre Perlen kartographischer Darstellung, z. B. die
Canonkarte im Nordamerika-Baedeker- und viele Alpenkarten. Bei der fuchsigroten
Wiedergal)e des Geländes verschwinden vielfach dessen Feinheiten. Nicht ohne Grund
baute gerade S. Passarge seine „Anleitung zum Kartenlesen" auf l^acdcktrkartrn auf.^
278. Die gesouderte Tcrrainplatte. Ein weiterer Fortschritt in der Terrain-
darstellung auf tojiographischen und chorographischen Karten ging vor sich in der
Trennung von Situations- und Torrainzeichnung, bzw. Situation«- und Terrain-
druckplatte. Die Überlastung der Situation mit allerhand wünschenswerten Ein-
tragungen, die dadurch bedingte Beeinträchtigung des Geländebildes und die ver-
feinerten Methoden des Buntdruckes führten dazu, das Terrain von der Situations-
platte loszureißen und in besonderer Farbe, zumeist braun oder grau, zu drucken,
wenn auch dadurch der plastische Effekt etwas einbüßte, aber die Situation hatte
gewonnen. Zieglers Karte der Schweiz, Winterthur 1852, war eine der ersten
Karten, die die Situation schwarz und das Gelände in graubraunen Schraffen aus-
führte.* E.V. Sydow war kein Freund davon, Terrain und Situation zu trennen,
weil man da nicht Gelegenheit habe, ,,sich mit Eintragung der Wald-, Wein- und
Wiesensignaturen nach den Bergschraffen zu richten und ihr vielfaches Durchkreuzen
zu vermeiden, und umgekehrt kann man die breitern Wege, feinern Signaturen,
Namen usw. beim spätem Gravieren der Bergschniffin aussparen und möglichst
schonen. Diese Vorteile zur Erzielung eines harmoiii-rlnii l'.il.lcs gehen bei der ge-
trennten Bearl)eifnng der Terrainplatte verloren, und wollte luan die angedeuteten
Übelstände durch Ijcllcrii Far))('nton vermeiden, so würde Aviuder der plastische Ein-
' M. Eckert: Der Einfluß von Ernst Dcbos auf die deutsche Karto<;raphic. (üolnis. XCni.
lildS, Xr. lö.
- Zufällig ist mir bekannt, daß diese ausgezeichnete Karte von O. Winkel beartieitet worden ist.
■■' S. Passarge: Die Grundlagen der Landschaftskunde f. Beschreibende Landschaftskunde.
Hamburg 1919, S. 172-204.
* Das gleiche Prinzip hat Ziegler auf seiner Wandkarte der Schweiz in 1:200000, Winterthur
18.58, durchgeführt. Vgl. darüber E. v. Sydow in P. M. 1859, S. 250. — K. Peucker behandelt diese
Karte unter dem Prinzip der stetigen Steigerung der Farhenreihen, u. zwar im Anschhiß an die echten
Höhen.schichtenkarten von Fr. v. Hauslab. Bei Zii'i;lcr liaiulcit es sicli um Isoliyiiscnliiiitcii in V'ri-
quickung mit der Schraffendarstellung.
Die Miüsterjalirr iu c1<t (Jeliindedarstclluug von dir Mitte des 10. Jiiluli. bis zur Gefjenwart. 481
druck nachteilig geschwächt." i Nach seiner Ansicht kann man nur bei topographisclien
Karten^ und Schulkarten in kleinem Maßstabe durch Vereinigung verschiedenfarbiger
Platten eine glückliche Harmonie erzielen. Das Zusammenwirken der farbig ge-
druckten Terrainplatte mit der schwarzen Situation und Schrift im Maßstabe der
Spezial- und Atlaskarten entsprach keineswegs seinen Erwartungen, trotzdem ihm
schon gut geliuigene Versuche zur Hand waren^, und was würde er sagen, wenn er
den heutigen Stieler sähe! Gewiß würde er seine Meinung ändern, denn von den
Jalirfii ;ui, da er wirkte, bis zur Gegenwart hat die Kartogi-aphie nicht stillgestanden
und hat Aufgaben zu bewältigen gelernt, die früher als kaum zu lösen galten. Neuer-
dings wird es auch bei den Generalstabskarten Eegel, das Geländebild für sich allein
farbig zu drucken. Deutschland hat schon einen großen Teil seiner Karte in 1 : 100000
in dieser Weise durchgeführt. Die wissenschaftüch wertvolle Karte des euro-
päischen. Rußlands in 1:2000000 von E. Petri und J. de Schokalskij* bringt die
Situation schwarz und das Gelände in zarten braunen Schraffen. Auf der Carta
d'Italia del Touring Club Itahano in 1:250000 erscheint die Schraffierung rot-
braun mit braun eingedruckten Isohypsen. Gegen Ende des Jahrhunderts hat sich
auf amtlichen Schichtlinienkarten der braime oder rotbraune Druck für die Iso-
hypsen eingestellt.''
279. Die Entwicklung; der Schummerun!;. Zur Hei-stellimg guter Schraffen-
karten gehört viel Geschick. Fleiß und Zeit. Infolgedessen sind ihre Herstellungs-
kosten entsprechend hoch. Als ein leidliches Surrogat für die Schraffe hi schräger
Beleuchtung hat sich die Schummerung erwiesen. Geschummert wurde bereits
auf den ältesten' Manuskriptkarten*, aber ein gedruckter Schraffenersatz konnte
sich erst im 19. Jahrhundert, als der Lithographiedruck aufkam, entwickeln.'' Die
' E. V. Sydow in P. M. 1870, S. 177.
- Hier dachte Sydow vielleicht an Jul. Payeis „üiiginalkarte der westl. ürtleralpen" in
1 :36000. P. M. Ergh. 23. Gotha 1868. Schiuöen u. Felszeichnung sinti \virkungsvoll in Braun aus-
geführt, die Situation in Schwarz.
»z.B. R. Grundemann: Natel und das Zululand. 1:1500000. P. M. 1867, T. 8. Es ist die
erste Karte in P. M., deren Terrain in braunen Schraffen erscheint. - Aus dem gleichen Jahre stammt
die bemerkenswerte „Karte des Harzgebirges" in 1:100000, Hannover ISO", die Foi-stmeister Au-
hagen i. Auftr. d. k. preuß. Berg- und Forstamtes zu Clausthal ausgeführt hatte. Die Bodenhöhen
werden durch rot gedruckte Niveaukurven von 100 Par. Fuß Äquidistanz ausgedrückt.
* „Carte de la Hussie d'Europe", tin^c du giund atlas de Marcks, commencee par M. le pro-
fesseur E. Petri et acliev^e et rMigie par M. J. de Schokalskij, President de la sittion de la g^ti-
graphie physique de la soci^te im])6riale russe de geograpliie, chef du service hyiwomitrique au
ministt^re des voies et Communications etc. St. Petersbourg 1905. 16 Bl. in 1:2000000. Hergestellt
in der geogi-aph. Anstalt von A. Marcks in St. Petersbiu-g.
* z. B. auf der „Tojwgraph. Karte von Bayern" in 1 :25000, auf der von 1883 an die Schichtlinien
rotbraun gedruckt wurden; bald unterblieb dieser Druck und wurde erst 1894 wieder aufgenonnncii.
Ebenso erscheinen in Kotbrauii die Soliichtlinien auf der Neuausgabc (seit 1908) des „Tojiogr. .Atlas
V. Bayern" in 1 :.50000 uikI auf „Höhenschichtenkarte v. Bayern" in 1 :2Ö0000. Die ,,Toix>gniphi.sclie
Übereichtakarte des Deutschen Reiches ' 1:200000, 196 Bl., .seit 1899 im Erscheinen mit braunen
Isohypsen. -- „Carte du nivcllcmcnt g6neialo de la France" figuro par des courl)es d'altitude de 100 en
l(K) nuHrcs 1:800000. 1878. 6 Bl. Die Isohypsen oi-scheinen als zarte rotbraune Linien. — Fast
alle kartenhorstellende u. -druckende Kulturliinder liefern Beispiele mit farbigen Isohyiwen.
' Schon auf ilcii P(i)lciniiuskaitcn cHniicrl manche (iebir^sdarstellung etwas an Schumnicnnie
(§ •-':!«).
■ Die Schab- und .\tzmanier war für ilii' Vcrvielfiiltiguiin von Karton mit Gelundetlarstellung
wenig geeignet.
Eckert, Knrtcii«lucii9cli*n, I. :t I
482 »!«■ r,:uiak!iite und ihr Gelliiwle.
ersten geschummerten Terrainpartien finden wir nach 1820 in Hauslabs Untersuchungen
,,über die Anwendung der Lithographie für die Situationszeichnung". ^ Wann sie
sich zum erstenmal im Druck einstellt, konnte icli nicht genau ermitteln, vielleicht
auf C. Desjardins hydrographischer Karfr in cksscii Geographisch-historischem
Atlas, Wien 183G, 1H38, auf der das Gebirge in brauner Schunnnerung wiedergegeben
ist. Noch zeigt die Schummerung ein schüchternes Auftreten, was sie aber in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts verliert. Die Methoden des Farlien drucks waren
besser und vielseitiger geworden. In Petermaims geograiiliischen Mitteilungen erscheint
1872, Taf. 1, zum erstenmal eine Schummeningskarte in der Originalkarte der Central-
Türkei nach den Aufnahmen von Ferd. v. Hochstetter.^ Als leichtes und bequemes Hilfs-
mittel zur Geländedarstellung wurde seit jener Zeit die Schummerung immer beliebter.''
Die Schummerung hat sich in weitestgehendem Maße der Isohypsenkarten be-
mächtigt. Da man die Unzulänglichkeit dieser Karten bezüglich der Plastik er-
kannte und da höchstens die Häufung von Schichtlinien in steilwandigen Gebirgs-
gegenden einen plastischen Effekt erzeugt^, hatte man in der Schummerung ein die
Plastik leidlich veranschaulichendes Hilfsmittel gefunden. Auf der tJbersichts-
l<arte von Attika in 1 : lOOOOO von ,T. A. Kaupert erfreuen uns die Höhenschicht-
linien in lichtem Braim und das Terrain in senkrecht l)eleuchteter Schum-
merung. Dadurch wird die Karte ein Muster ihrer Art. Sonst l)evorzugt man die
schräge Beleuchtung und gibt jedem (iebirgszuge je nach dessen Hauptiisti-eckiniL,'
eine nördliche oder nordwestliche Belichtung, wofür viele amthche Kartenwerke
instruktive Belege geben. Die Carte de France in 1:200000, 1883-1895, bringt
braune Isohypsen mit graubrauner Schummerung (ä l'estompe). Daß die italienische
Kriegskarte in 1 : 100000 isohypsisch und geschummert erscheint, darüber vgl. man
S. 471. Die Übersichtskarte des Königreichs Italien und der angrenzenden Länder
in 1 : 500000 und die überaus brauchbare italienische Automobil- und Touristen-
karte" in 1 : 250000 sind geschummerte Karten, jedoch ohne Isohypsen.'^ Mit brauner
bzw. grauer Schummerung bei sonstiger Isohypsenzeichnung melden sich die General-
karte von Altserbien imd Mazedonien in 1 : 250000 von A. .J. Derok*, die ökono-
mischen Karten Schwedens^, die topographischen Norwegens 8, die
' Fr. V. Hauslab erörterte bereits 1826 die Vor- und Nachteile der Schraffierung nnd Schunime-
ning in einem Bericht „Über das Verfaliien hei der Lithographierung ciri- (Jebirge in den Straßen-
karten der österreichischen Monarchie".
- Vgl. femer Br. Hassenstein: Die (Irupix^ des Adai-Chui li im /entralen Kaukasus. Nadi
topograph. Skizzen u. photogr. Aufnahmen von Moriz v. D6chy in 1:100000. Ausgezeichnete
Schummeningskarte in Braun; wenig manieriert, wie es leicht bei derartigen Karten der Fall ist.
' Eine ältere schöne Kaite dieser Art ist z. B. die ,, Originalkarte von Sawrieffs Aufnahme des
Bin-Cöl-Dagh" 1874. P. M. 1877, T. 20. - Auch Br. Hassensteins „Atlas von Japan"^ 1:1000000,
Gotha 1885/87, wäre hier zu nennen, wie die „Karte vom Fürstentum Lippe'" in 1:80000, 1887.
* ■/.. B. bei den nonvegisehen offiziellen Karten, oder der Carta topografica della Sieilia in
1 : 100000. 48 Bl.
^ „Carta corografica del Regne d'Italia e delle regioni adiacenti" 1:500000. .35 Bl. Florenz
1889—1893. - „Carta dltalia speziale per Automobilisti, Ciclisti. Touristi" 1:2Ö00(K). XT Bl.; untci
I>eitung von G. Marieni 1907 begonnen iiii lstit\itr d Arti grafiche in Hergauui.
* Erscheint in Belgrad seit 1904.
' „Rikets ekonomiska Kartverk" 1 ;500()0 u. 1;1()U0(K). begann 1860 zu erscheinen.
» „Topografisk Kart over kongeriget Norge", 1 : 100000, .340 Bl., seit 1869. - „Generalkart
over det sydlige Xorge" 1 : 400000. 18 Bl. seit 1868. — Beide Karten hatten früher graue, später grau-
braune Schummerung.
Die Mcisterjalire iu der (ieliiiidcilaratellung von der Mitte des 19. Jahrli. bis zur Gegenwart. 483
Militärkarte^ uiul die aiiitliclun Karten von England und Schottland kleinern
Maß.stabs.2
Die Österreicher haben ilire Karten in öchraffen bzw. in Schraffen und Schicht -
linien; au.snahmsweise erscheint die zweite Ausgabe der Übersichtskarte von Europa
in 1 : TöOOOO mit farbigen Schichtlinien (in öOO-m-Abstand) und geschummertem
Terrain. Die Landesaufnahme in Berlin war bisher kein Freund der Schinnmerung.
Selbst bei der Topographischen Ibersichtskarte des Deutscheu lieiches in 1 : -200 000,
mit dem Terrain in braunen Schichthnien, wurde auf die Schunnnerung verzichtet,
weil man i)efürchtete, daß bei dem kleinen Maßstab und dem 20-m-Isohypsenabstand
das Kartenl)ild in den bergigem Teilen nicht deutlich genug zum Ausdruck käme.
Dagegen haben die Bayern auf den Neuausgaben der Topographischen Karte in
1 : 25000 und des Topographischen Atlas in 1 : 50000 einen in schräger Beleuchtung
ausgeführten Schummerton. Daß die kartographischen Privatanstalten sich dieses
Darstellungsmittels in weitestgehendem Maße bedienen, bedarf keiner besondem Hervor-
hel)ung.' Im Weltkriege wurde auf deutscher Seite in verschiedenen Armeegebieten,
so in dem der Somme und in benachl)arten Gebieten, eine neu aufgebaute Schicht-
linienkarte in 1 : 50000 mit Schummerung gebraucht. Da wo es ruhigere Zeiten an
der Front gal), wagte man sich sogar an die Herstellung von Schichtlinienkarten
in 1:10000 mit ScliuniiinTuiig. wie im Aisur-Donin.isc^'rbirt im WvMvn des Ar-
gonuerwüldcs.
2S0. lUf Eiitwickliiug dos Farhenkolorits. Ein weiteres Ersatzmittel für die
Schraffe bietet das Farbenkolorit, das gegenüber der Schummerung mehr an
geographischem Boden gewimit, indem es gleich hohe Regionen einheitlich durch
gleichen Ton zusammenfaßt, also leicht faßl)ar macht, und die Höhen direkt zum
Ausdruck bringt, allerdings unterstützt durch das Isohypsengerippe. Bei den
Regionalfarl)en liegt ein allgemeiner, große Regionen als Tiefland, Hügelland,
Bergland, Mittel- und Hochgebirge chrakterisierender Höhenwert zugrunde. Das
Sydowsch(> Tieflandgrün, mit dem in der Regel die Stufe von 0—200 bzw. 250 be-
zeichnet wird, behen'scht nach wie vor das Schulkartenbild* und ist auf ihm sozusagen
..i'l)i(lemisch"' geworden, wie sich A. Steinhauser bereits 1S5S ausdrückte.* Aber
auch auf speziell wissenschaftlichen Karten wird es gern gebraucht, weil es die An-
schaulichkeit eines Geländebildes mit einem Schlage hebt, wie auf Br. Hassensteins
.\tlas von Japan oder auf K. Peuckers Originalkarte der Insel Zante."
Mit dem an eine bestimmte Höhe gebundenen Tieflandgrün darf das Täler-
grün nicht verwechselt werden, mit dem Täler mid Ebenen ohne Rücksicht auf ihre
Höhenlage bedeckt werden. Die Übersichtskarte von dem Großherzogtum Baden
in 1 : 200000 ist ein Schichtlinienkarte, die nur die ebenen Teile in grünem Flächen-
tone bringt. Während auf der hypsometrischen .\usgai)e der lix-rsiehtskarte von
' „Caitr niilitair«- de la »(•lj!i<iu<--. l:l(iOO(Kl. fi Hl. I«H4: siwtotv Aufl. I.S!12. ISiM. I!K»I us«.
- „.Map of England' odi-i die „2 niik» t« 1 inch map" in 1 : 12ti72(». sfit l!H)2. „Map oi Knglnud
id .Scotin- oder die „4 niiles to 1 ineb map" in 1:253440, seit l«98.
' Vgl. u. V. a. die ..Topogi-apliisrlio Skizze ilen Kleinrn-Karn-Kuj und <les lta.t.Hik.Kid" in I :,'iU(K>l»
>ii Sven Hcdin. P.M. 189.''., T. (i.
* Vgl. über Sydow» Itegionalfarbon S. 4."i!>. 4110.
■ A. .Steinhaus,-!-, a. n. <»., S. 74.
'■ Im hliHiiKMi. I>. M. ISiU. T. 12.
81«
484 '■*''' Ii!iuilk:ii-t<' und ihr (leliimlc.
Europa^ in 1 : 750000 die Talsohlen und die Talebenen bis 150 m in lichtem, dar-
über hinaus in dunklerm Grün erscheinen, fällt diese Unterscheidung leider auf den
andern ähnhch bearbeiteten österreichischen Karten weg, unter denen die Öster-
reich-ungarische Monarchie mit dem Okkupationsgebiete Bosnien und der Herze-
gowina in 1:900000, Wien 1888, genamit sei.^ Die großen Poljen (Glamocka-,
Jjivansko-, Du\no-rolje) kommen in dem grünen Kolorit ausgezeichnet zur Geltung.
Was dem Tälergrüu zur Bezeichnung der Höhenstufen an Wert abgeht, gewinnt es
auf anderer Seite als Veranschauliclunigsniittel der orographischen Cihederung. Von
militärischer Seite aus hat man dies l)osonders zu schätzen gewußt, wie eben die öster-
reichischen Karten zeigen. Aber auch im letzten Kriege hat sich das Tälergrün vor-
züglich bewährt, wo bei den für die einzelnen deutschen Armeen bestimmten, auf
Grundlage der französischen Karte 1 : 80000 entstandenen Kartenzusammendrucken
alle Täler und Tälchen mit Grün überdruckt wurden.^ Bei manchen Armeen wurden
sogar auf diesen Zusammendrucken noch die Berge und Bergrücken durcli Braun
hervorgehoben.
Im allgemeinen unterscheidet man Kegionalfarbe und farbige Hölien-
schichten, obwohl bei Lichte besehen beides dasselbe ist. Indessen hat man sich
im Laufe der Zeit gewöhnt, von Eegionalfarben zu sprechen, wenn großformige Ge-
ländetypen farbig zusammengefaßt und das Terrain (d. h. die Böschungsverhältnisse
ganz allgemein ausgedrückt) noch besonders in Schraffen oder Schummerung aus-
geführt erscheint. Die Farbe dieser Sondergebirgszeichnnng ist schwarz, meisten-
teils jedoch braun, grau oder auch violett, wie z. B. die Geläudeschraffierung auf
der Hydrogra])hischen Karte von Niederland.'
2^*1. IMc llölicnscliiclitkarlcu der jirivalcn iiiul staatlitheii Kar((>Kiai»hi»'. Eiiu
schier heillose Gedankenlosigkeit herrscht in der Verwechslung von Höhenschicht-
karten mit Höhenlinienkarten. Für jene Kartenarten sagt man am besten
Höhenschichtkarten („Höhenschichtenkarten" klingt etwas schwerfällig) und für
diese Schichtlinienkarten (Isobyj^senkarten). Mit beiden ist wiederum nicht die
Höhenkarte zu verwechseln, die die gemessenen Höhen im Kartenbild (mit Zahlen)
wiedergibt (s. S. 449). Die Schicht hat etwas Flächenhaftes an sich, die Isohypsen
sind ideale Linien mit mehr oder minder realistischer Unterlage. Sie bilden das Ge-
rippe für die Höhenschichtkarte, ilire einzelnen Abstände (in der Grundrißprojektion)
werden sodann von ]<'arben in verschiedener Intensität oder Nuance ausgefüllt, wo-
durch die so kenntlich gemachte Schicht zunächst flächenhaft wirkt. Ist die An-
ordnung der Intensität einer Farbe oder vieler Farben derart, daß ein plastisches
Bild entsteht, dann -wird die Wirkung der Schichten in cor])ore dreidimensional.
^ Sie erscheint seit 1908 als Ersatz der altem „Hypsometrischen Übersichtskarte de« giößten
Teiles der österreicliisch-ungarischen Monarchie" in 1:750000, die die gleiche Scheidung in Giiin der
Talsohlen und Talebenen bei 150 m zeigte.
^ Vgl. weiter das „Orohydrographische Tableau der Karpathcn" in 1:750000 und „IJer euro-
imische Orient" in 1:1200000 (1887). Sämtüche hier und oljen genannten ostciiciclüsclion Karten
sind hergestellt im k. k. Miiit.-geogr. Inst, in Wien.
" Das Grün für Talungen und Ebenen ist auf Militärkarten seither beliebt gewesen. Wii' finden
es unter anderm angewandt in dem 5 bändigen Kartenwerke dir. v. Wredes: „Krieges-Carte
Scldesiens", 1747 — 1755, angefertigt auf Befehl Friedrichs des Großen.
' „Waterstaatskart van Xederland" in 1:50000. 1865 — 1892. Sie wird ständig evident ge-
halten.
Dil- Mi-isterjahri' in der Gcliinili'darHtpliuiig von der Mitte des l'.i. Jiilirli. hi» zur Gi-giiiwHrt. 4h5
Die Hölicnscbielilkaitcii sind iler Tunjmclplatz aller möglichen Farben, unter
ilciicii jedoch das Braun dominiert, gleichsam ein Anklang an die natürliche Boden-
fiirbung. Man muß bei du- Behandlung mit einer Farbe eine gewisse InteusitiUsfolge
des Farbtons beachten, liei mehreren Farben eine gewisse Harmonie oder Logik in
der Farbenfolge. 1
Mehl- als die offizielle hat sich die Privatkartogi-aphie mit der Herstellung von
Höhenschichtkarten, selbst großmaßstabigen^, befaßt, wenn auch einige amtliche
Institute recht respektable Leistungen auf diesem Gebiet aufzuweisen haben. Die
amtlichen Kartenanstalten von Deutschland (Bayern und Württemberg ausgenommen)
und die von Frankreich', England, Spanien, Portugal und einigen andern Ländern
haben die Schichtkarte noch nicht in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen. Bei
den offiziellen Höhenschichtkarten handelt es sich in der Hauptsache um topo-
graphische Übersichtskarten, also um Karten, die den Originalaufnahmen gegen-
über eine wesenthclie Eeduktion erfahren haben. Eine einzige großmaßstahige Karte
liegt in der Waterstaatskaart van Nedcriand in 1:50000 vor. worauf <lie Stufe
0— 10 m in (Irün und die folgenden lO-ni-lnIrrvalle bis 100 ni in Braun erscheinen;
das Land über 100 m ist in Weiß ausgespart. Das Nachbarland Belgien gab 1888
eine beachtenswerte Höhenschichtkarte heraus mit Höhenkurven von 20 zu 20 m,
die von 100 zu 100 m mit einem Farl)ton zusammengefaßt wx'rden.''
Die amtlichen Karten bevorzugen das Braun als Schichtstufen, inid zwar in
der Art, daß nach der Höhe zu die Stufen intensiver und dimkler in iler Tönung
werden, z. B. auf den österreichischen Karten (s. § 370), auf der Höhenschichtkarte
von Bayern in 1 : 250 000^ und der Gewässer- und Höhenkarte des Königreichs
Württemberg in 1:600000, sodann auf der Hypsometrischen Übersichtskarte
des Königreichs Italien und der angrenzenden Gegenden«, der Höhenkarte des
nördlichen Schwedens tind Höhenkarte des südlichen und miltlern Schwedens.'
liußland meldet sich mit einer altern Karte, der Orogra]iliisciien Karte \om (lomcr-
' Vgl. folgenden Teil, wie aueli den „Zur Logik der Karte'".
- /. B. die chromolithographische Höhen.schiehtkarte in 1 T80000, die der .\rbeit beigelieftel
ist von A. W. I'ils: Baronieterhöheumessimgen von dem Kreise Schleusingen im kgl. Keg.-Bez.
Krfurt, au.sgeführt i. d. Jahre 1859- 1862. Suhl 1862.
' Die in den 80er Jahren erschienene „Carte hypsonictii(|iic de la l'rance" ii\ 1:800000, be-
arbeitet von H. Pigeonneau u. F. Drivet, ist keine offiz. Karte u. wurde von dem N'erlago von
l'',ugdne ßelin in Paris veröffentlicht.
* Carte de la Belgique. fnstitut cartographi((ue militairc. Briucelles 1888. Indiquant les zone.s
hypsometriques et aecentuant le relief des plateaux, 6 feiulles in 1 : 1600(X). Diese Karte setzt die 18S0
veröffentlichte „Carte hyp»om(Strique de la Belgiiiue" auf neue Basis. Die angewandte Farlx-nskalii
.soll in Verbindung mit dtimien Wa.ssersclieidelinien die Terrainformen für geologische n. landwirt-
schaftliche Karten besser venverlbar machen u. flir diese Zwtx'ke innerhalb der einzelnen Höhen-
zonen neue Gesichtspunkte hei-vorrufon.
' Die ältere .'\usgabe der Karte erinnerte in der bimten Farbengebung an die Papensehe Karte,
.leim von 200 :!0()m ist hellgelb, bis 400ni dunkelgelb, bis 500m rosa, bis 600m hcllgra\i, bis TOOni
grün, bis DIK) m dunkelgrau, bis 1200 m braun, bis 1600 m violett, bis 2000 m karminrot, bis 2501» m
dunkelbraun inid bis 3000 m blau koloriert.
" „Carta eorografica ipsometriea del IVgno d'Italia e delle regioni adiacenti" in 1:500000.
Den Anfang dazu machte die hypsomctri.sclie (und gcologi.sehe) Karle der \Vestaljx>n „Alpi oceidenlali.
Schizzü ipsoraetrico o stradale" (und „Si'hizzo geologico") in I:.5001K10 von C. Porro.
' „Höjdkarte öfver norra Sverige" in 1 :600000, 1895/06, mit 20 Parl)entönen von 100 zu 100 m.
,.Höj<lkarta öfver södra och inellersta Sverige" in It.lOOOOO, 1886 87. mit Farbentönen von lOt» /n
100 schwel. Fuß 29,7 m.
486 Dio Landkarte iiml ilir (Jeläiuic.
m^imiit Podolien in! : S40üüüi und mit zwfi xu'uen Karten, mit der Hypsometrischen
Karte des westlichen Eußlands in 1:1680000 und der Hypsometrischen Karte
des europäischen Rußlands südlich von 60" N in 1: '2520000. Ixidc Karten von
A. V. Tillo bearbeitet. Die vom Geologischen Survey lu nius^fj^'eliene Relief
map der Vereinigten Staaten ist in acht Stufen aufgebaut . \ ou Hellbraun über
Rotbraun nach Dunkelrotbraun. Das Braun erfährt hier und da einige Nuancierungen,
indem man es auf den untersten Stufen in Gelb oder Grün und den obersten in Rot
oder Rosa auslaufen läßt, wie auf der bayrischen, österreichischen (1 : 750000),
russischen (1 : 1680000) und schwedischen (Nordschweden) Karte; auf letzterer geht
zuletzt das Rotbraun in Grau über. Bei der italienischen Karte setzt an das Dunkel-
braun bei 2800 m ein blauer Ton für die Stufen bis 3600 m an. Die höchsten Stufen
enden zumeist in Weiß, wie bei den italienischen, russischen, schwedischen, nieder-
ländischen und österreichischen Karten. Letztere fangen sogar auf der untersten
Stufe mit Weiß an. In Schwarz begegnet uns die höchste Stufe auf der russischen
Karte in 1:2520000. Auf der niederländischen Karte wird im Gegensatze zu den
andern oben genannten Karten die Farbe nach der Tiefe zu immer dunkler getönt,
bleibt aber für kulturelle Einzeichnungen noch transparent genug.
282. Das llerauseutwiekeln der Farbonplastik. Die Leipziger Schule. Vor-
stehende Erörterungen lassen bereits durchbhcken, daß die Earbenskala uncT die
Tonfolge einzelner Farben so gewählt sind, daß eine Art Plastik, eine Farbenplastik
erzeugt wird, im Gegensatz zur Lehmannschen Böschungsplastik und der Schatten-
plastik der Dufourkarte. In der plastischen Wirkung farbiger Höhenschichten liegt
trotz der gemeinsamen Unterlage ein Unterschied zwischen Höhenschichtkolorit
und Regionalfarben, denen im allgemeinen, um mit K. Peucker zu sprechen, eine
aplastische Tendenz eigen ist.^ Nur wenige Karten gibt es, denen es gelungen ist,
mit Regionalfarben zugleich eine plastische Wirkung zu erzielen. Der erste der-
artige, kaum gekarmte Versuch ist in Streffleurs Karte von Niederösterreich
zu erblicken.' Die Ackerbauregion erscheint darauf von 1—100 Klafter weiß,
von 100-200 Klafter hchtbraun punktiert, von 200-300 Klafter lichtbraun voll,
die Waldregion von 300—500 Klafter lichtgrün ]iunl<ticrt. von 500—700 Klafter
lichtgrün voll und die Alpenregion von 700—900 Klailcr lilan |)unktiert uiid von
<J00— 1000 m blau voll. Zur Unterscheidung der ausgeführten drei Regionen sind
die Schichtlinien in der Ackerbauregion braun, in der Waldregion grün und in der
Alpenregion rot ausgezogen. Femer gebührt der Huhenschichtkarte Mitteleuropas
von Vogel und Deutsch eine besondere Hervorhebung.* Sie arbeitet mit ver-
schiedenen braunen Tönen, die mit der Höhe des Terrains an Intensität gewinnen;
1 Die Karte ist 1864 vom kaiserl. niss. topograph. Kartenbureau herausgegeben. Ein ge-
schmackvoll abgestuftes Schichtenkolorit zeichnet die Karte aus, die das Terrain zw. 300 ii. 1000 Fuß
in 7 äquidistante Höhenschichten güedert und, den dortigen Verhältnissen angemessen, das Terrain
zw. 1000 u. 1.500 Puß zu.sammcnfaßt.
■■" K. Peucker: Schattenpla.stik u. Farlxiipla.stik. Wien 1898, 8.26.
' V. V. Streffleur: Karte von Xicderösterreich. In dem Werke: Etlinographie des öster-
reichischen Kaiserstaates. Wien 1856. f.
* C.Vogel u.O. Deutsch: Höhen.schichten-Wandkarte von Mitteleuropa. Leipzig 1861; mit
Erläuteningen unter dem Titel: Mitteleuropa orographisch, hypsometrisch u. hydrographisch dar-
gestellt von Otto Deutsch. Leipzig 1862. Diese Karte auf Wachstuch schheßt sich den früher er-
schienenen von Europa u. den beiden Hemisphären an.
Dir Meisterjahre in der (ieläiidcdiirstelluiig von der Mitte drs 19. Jalirh. bis zur Gegenwait. 4iS7
0-300 Fuß gilt .lern Fladi- uml Tiefland. 300-1000 Fuß den Hii-jiilläiKli-m und
niedrigen Plateauhildungtn, 1000— •2200 Fuß den ^littelgebirgen und Hochebenen.
•2200—4000 Fuß den Gebirgen und Gebirgsländem und über 4000 Fuß dem Hocb-
oder Alpengebirge und der Eegion des ewigen Schnees. Schon zu ihrer Zeit ging
ihre Bedeutung weit über die einer Scbuhvandkarte hinau.s, und man bezeichnete ?ie für
andere geograjihische Zwecke als die beste existierende Schichtenkarte. ^
Die gesetzmäßig angeordnete Farbenfolge zur Erzeugung einer Höhenplastik
wird uns später eingehender beschäftigen. Hier sei nur erwähnt, daß die Höhen-
plastik drei Pflegstätten, in der Schweiz, in Österreich luid Sachsen, und neuerdings
eine vierte in Großbritannien gefunden hat. Im allgemeinen wurde der Grundsatz
,,je höher desto dunkler" befolgt, der aus der Schraffenkarte ,,je steiler desto dunkler" "
resultierte und der von Fr. v. Hauslab mit großem Nachdruck geltend gemacht wurde,
im Gegensatz zu E. v. Sydow. dessen Prinzip lautete: ...le tiefer desto dunkler."
Doch davon später mehr.
Die ersten gelungenen Höhenschiehtkarten in der Schweiz gehen auf J. M. Zieglers
Hypsometrischen Atlas, 1856, zurück. Aus der Steiermark präsentiert sich eine
Kart^, die sich durch ihr abgestuftes Kolorit, vom hellsten bis zum dunkelsten Braun,
auszeichnet; es ist die Hypsometrische Karte von Steiermark in 1:411000 von
Th. v.Zollikoffer und .T. Gobanz.^ Das Terrain über GOOOFuß bleibt unkoloriert.
In ähnlicher ^^■eise hat Henry Lauge in dem seinerzeit berühmten Spezialatlas
von Sachsen^ die Höbenscbichtkarte Sachsens behandelt. Er arbeitet in drei
VoUtöneu und nimmt außerdem braune, schräg liegende, verschieden starke Schraffen
zur Bezeichnung der einzelnen Stufen zu Hilfe. Einfache, gleichlaufende, mit der
Höhe der Schichten stärker werdende braune Striche sehen wir auf den Schulkarten
von Sachsen imd Thüringen von Süßmilch-Hörnig, 18G0. und sich unter spitzen
Winkeln .schneidende Striche auf den Karten von Europa und Deutschland in Meyers
Handatlas, 18()3. Von dem ,, unangenehmen, schlechten Eindruck" dieser Karte
si)richt iiereits Fr. v. Hauslab. < Daß er selbst schon 1S-2S und 18^2'J echte Höhen-
schiehtkarten gezeichnet bat. wissen wir von A. Steiubaiiser"', sie sind jedoch nii'
veröffentlicht worden.
Delitschs Karten waren vorzugswi'ise Schul- und Wandkarten (s. oben), von
denen einige mehrere Auflagen erlebten.* Eine richtige Studien- und Handkarte
von Westdeutschland in zehn Stufen, darunter neun in Hraun, hatte er IStJti heraus-
gegeben.' Die gute und praktisch auch ausgefidirtc Ulee von 0. Deutsch, stumme
' So in P. M. 1862, LB.. S. l-)7.
- Hp. V. (1. Direktion des (ieopr.-MoiUanisclien W-ivins für St«"iemiark zu tiraz 1864.
■' „Henry lAnges Atla.s von Saelisen". Ein gcograplii»cli-])hysikaliscli-stÄtisliselies tieinälde
des KiinigreicIiH Sachsen, 12 Karton. Leii>zi); 1860. V. .\. Bro<.-kliau.s' (.'wjrr.-artist. .Anstalt.
* Franz v. Hauslab: ÜIkm- die <;ra|)hisehen .\ii.sfiilinin>tsnietli<Hlen von Höhonsehiebten-
karten. S.A. Mit. d. (Jeogr. Oes. (VIII. S. .lOff). Wien 1864. S. .-.. I"ür die UohandUmp der Sehiehten
mit einer Farbe dureh Striehe .sildii);! er folgende Abstufungen vor: 1. weiß, 2. feinere entfemteiv
IJnien, ;J. stärkere, dichtere, 4. rechtwinklig gekreuzte, .">. darüber eine schiefe dritte Ijige von oIhmi
ix-cht» nach lirdis unten, 6. eine dritte Lage von links oU'ii nach n-cht» luiten. 7. vier Strichlagen, die
sich unter 45" kreuzen, 8. voller Ton.
" A. Steinhauser, a.a.O., S. 73.
" /. B. die „Wandkarte de« Kiinigniehs Sach.sen- in 1 : 144t)(H). Uipzig 18«0, in ;t. .Vufl.
' Sie ist Karte III in seiner Habilitationsschrift ..Kartographische Darstrlhmg der B«-v«ilkenmgs.
dichtigkeit von Wist<lciit*ichland auf Crund hy|iKonietri»eher und gi-ogtnphiseher Verhiiltnisw".
U-ipzig 186<i.
488 '>'•■ I.Hii'ikii'i«' "11(1 ilii- (U-liiiidc.
Höhenschicht Wandkarten der Kontinente uiul Dculsclilaiids auf Waelistucli ucdnickt
als Untemditskarten zu benutzen, auf di'Ucu sich mit Kreide gut zeicliiieii iiil.ll,
hatte leider keine Naeheiferung gefiuiden.i
Da in Leipzig zuerst die braunen Höhenschichten folgerichtig ausgebildet worden
sind, bin ich nicht abgeneigt, von einer besondern Leipziger Schule zu sprechen.
Sie hat kaum auf ein gi-ößeres Gebiet der Kartographie Einfluß erlangt, wenn man
nicht verwandte Seiten in den offiziellen und inoffiziellen Höhenschichtkaiten von
Österreich und Bayern erbhcken will.
Daß man selbst in den Kinderjahren der Huhenschichtkarten schon daran
dachte, mit den einfachsten Mitteln plastische Wirkung und Einblick in die Kon-
figuration des Terrams zu erzielen, beweist die lediglich in schwarzen Tönen der
Situationsplatte ausgeführte Karte von Finnland, die uns in einem der ersten Bände
von Petermanns geographischen Mitteilungen begegnet. -
Das Grän für^die tiefern und das Braun für die höhern Stufen des Geländes
bleiben bei aller Variation des Farbtons die meist gepflegten und gebrauchten Farben-
skalen in der Herstellung von Höhenschichtkarten. Unter der großen Anzahl der
hierhergehörigen Karten seien besonders hervorgehoben als ältere ausgezeichnete
Karten die der Zillertaler Alpen von C. v. Sonklar^, sodann als neuere die schöne
Pelopomieskarte von A. Philippson*, die Pinzgaukarte von W. Schjerning^, die nicht
minder gut ausgeführte Karte Italiens von G. Cora.^
283. Die Wiener Schule. In Österreich entwickelte sich eine selbständige Schule
der Höhenschichtdarstellung, die Wiener Schule genannt wird und durch
Fr. V. Hauslab begründet wurde. In Schrift' und Karte hat er für sein
System, das eine strengere gesetzmäßige Farbenfolge beachtete, gekämpft. Voll-
wertig wurde es in die Kartographie durch die Mitwirkung von Anton Steinhauser
eingeführt*, dessen Hauptwerk, die sechsblättrige Hypsometrische Wandkarte von
Mitteleuropa m 1 : 1500000, Wien 1877, noch heute aufrichtige Bewunderung ver-
dient. Hauslab verwendete entweder eine Farbe (braun), die nach dem Prinzip
„je höher desto dunkler" in verschiedene HelHgkeitsgrade zerlegt wurde, oder mehrere
Farben, die von Weiß beginnend über Gelb, Braun, Grün, Grünbraun, Dunkelgrün-
^ Noch in meiner Studien- und Assistentenzeit an der I^eipziger Universität waren solche Kalten
von Deutsch, der an der Leipziger Universität Geographie nebenamtlieh dozierte, vorhanden; sie
wurden in den Seminarübungen von Fr. Ratze 1 und mir öfter« gebraucht. — Eine Art Wieder-
ei-weckung erfuhren die Wachstuchdecken in den sog. „Stainmtisch-Wachstuchdecken" im letzten
.lahrzehnt des vergangenen .Jahrhunderts. Man sah sie oft auf besondern Tischen (Stammtischen)
(Ici- Wirtshäuser, wo sie somit das nächstgelegene geogr. Auskunftsmittel 1 ei Gesprächen waren.
2 Höhenschichtenkarte von Finnland. Nach dem Kartenwerk xon C. W. Gylden. 1:2700000.
P. M. 1859, T. 5. — 9 Geländestufen sind durch verschieden dichte wagerechte schwarze Linien bis
zimi Vollschwarz dargestellt.
» C. V. Sonklar: Karte der Zillerthaler Alpen. P. M. Ergli. 32, T. .3. IS72.
' A. Philippson: Topographische und hypsometrische Karte des Peloiwnncs. I::{00(Ml().
Berlin 1891.
s W. Schjerning: Höhenschichtenkarte des Pinzgaus. 1 :2.ö000(). Beil. 10 zu Forsch. ■/..
deutsch. Landes- u. Volkskunde. Stuttgart 1897.
" G. Cora: Carla altimetrica e batometrica dell' Italia. 1 ;200()(XJ. - Die Italiener haben, wie
auch aus S. 471 hervorgeht, eine große Vorliebe für derartige Kartendarstellungen.
' Fr. v. Hauslab: Über die graphischen Ausführungsmethoden usw., a. a. O.
' A. Steinhauser: Beiträge zur Geschichte usw., a. a. O.
I>ir McLsti rjaliic in der f4.'lüii(l.-(l;(rstflliiii- vini ilcr iMill.' des Ut. Jahili. hi» zur Geg.-iiwiiit. 480
Ipiaiiii lici Vii)l((t iiidotcii. iiiul die in iliror Intensität gleichfiills dem vorerwähnten
Prinzip iiitspracluii. Die von Hauslab aufgestellte Farbenfolge blieb trotz kleiner
Abänderungen durch Steinhauser im wesentlichen bestehen.^ A. Steinhauser hat
nach Hauslalt-cher Farbtnskala auch mit V. v. Streffleur eine Eeihe von Schichten-
karten der österreichisch-ungarischen Länder, Wien 1865—1876, herausgegeben.
Diese wie die andern Karten Steinhausers waren in der Hauptsache Schulkarten,
ebenso wie die Höhenschichtkarten von V. Haardt v. Hartenthurn und J. Cha-
vanne.2 Sie vermochten ebensowenig wie die Höhenschichtkarten von 0. Deutsch
das schulkartographische Feld zu erobern. Die Arbeiten eines Stieler, E. v. Sydow,
H. Wagner standen zu wuchtig und fest begründet, als daß sie durch andere Schul-
kartenwerke aus dem Sattel gehoben werden konnten; vielleicht verstanden sie durch
die schlichte wissenschaftliche Einfachheit auch mehr den Geschmack des PubUkums
der Zeit zu treffen als die })untfarbigen Karten eines Hauslab und seiner Schule
(vgl. S. 45(1).
284. Die EdiiilturaiT Schule, In dm verschiedenen Ländern, in denen die Karten-
industrie eine Pflegstätte gefunden hatte, hat man Höhenschichtkarten entworfen.
Neben den offiziellen Karten wuchsen die kleininaßstabigen der privaten Firmen
manchmal wie Pilze empor, um so schnell wie diese auch wieder zu vergehen. Unter
den französischen, belgischen, schwedischen Höhenschichtkarten finden wir einige
gute Leistungen. In neuerer Zeit hat nirgendwo die Herstellung von Höhenschicht-
karten eine gleich große Entwicklung und Pflege gefunden wie in Großbritannien,
aber nur füi- Karten des eigenen Landes. Das Zentrum der britischen Höhenschicht-
kartenherstellung ist Edinburg, weshalb ich von einer Edinburger Schule spreche.
Die Arbeiten aus dem Geographischen Institut des John Bartholomew in
Edinburg ragen sichtlich aus ähnlichen englischen Werken, die nicht unter die schlech-
testen zu rechnen sind^, heraus. Bartholomew verwendet außer Grün für die Tief-
landstufe bis 500 Fuß ein wirkungsvoll abgestuftes Brami bis 4000 Fuß. Darüber
liegende Geländeteile bleiben weiß. Das Braun erscheint in vier Nuancen auf der
Orographischen Karte von Schottland.* Auf den Sonderkarten von Schottland.
lOngland und Wales, den sog. Bartholomewschen ,,Half-inch-to-mile"-Karten (also
in 1 : 126720), die auf Grundlage der Aufnahmen des Ordnance Survey beruhen,
zerlegt Bartholomew das Tieflandgrün in zwei Stufen und das Gebirgsbraun in drei-
zehn Stufen zu je 250 Fuß.'' Das Prinzip der Farbengebung entsjjricht vollständig
den Karten, die wir oben hinlänglich erörtert haben. Auch das umgekehrte Prinzip.
' fit) auf A. Steinhausers „Vei-sucli einer hyiwonietrisehen Übersielitskarte von Niinli-r-
Österreich", Wien 1872, auf der die Farben nach Hauslab in dieser Weise aufeinander folgen: Hell-
t^elb, gesättigt grün, rötlich-gelb, bräunhch-grtin, grün, dunkelgrün, violett und blau.
' Von J. Chavanne kennen wir auch gut ausgeführte Handkarten, z. B. die „Hyijsonietriselic
Karte von Afrika" 1 :200()0000. In d. Mit. d. Geogr. Ges. Wien 1881. Die Karte ist aiLsgefülirt in der
kartogr. Anstalt von G. Freytag, Wien.
^ Vgl. „A progressive coui-se of coniixiiutive geography on (he loiuentrie systeni", von 1'. II.
IVEtrange. London 1906.
* „Orogi-aphical map of Scotland" l.y John Bartholomew. In I : (i.»:«««) oder 10 mlles t..
an inch. — Von ilun ist auch eine „Quartor-ineh to mile" map of Iivland hg. worden. — l>ie.se und oln-n
genannt«» Karten sind als vorzügliche Tonristonkarten goschiit7t.
' Mir liegt z. B. „Central IVrlhsliive". Bl. 11.' .1er mii.ii B.'ihe vor.
4'M) Di'- I.:iiiilkar(c im.l ihi- (ifläiulu.
je tiefer tlesto dunkler, ist von ilim L;rli'j,'i'ii1 lieh licfol^f worden.' Diese iilleni Karten
des Instituts^ waren eigenllicli nur Vorarbeiten und Wisiieli-. die iiiren Aliscidulj
fanden und gekrönt wurden in dem Kartenwerke 'l'lie Survey-Atlas of Pingland and
Wales, herausgegeben von .1. (;. i5artliolonie\v. Edinhurgli 19ÜS.'' Wenn der Heraus-
geber im Vorworte den Atlas als unübertroffen liinst(>llt, ist dies keine nationale
t'bertreibung, wie ich schon hervorhob (S. 89), sondern tatsächlich liegt uns hier eine
großartige, glänzende Leistung \or, mit der sich vorderhand nach Auffassung, Umfang
und Darstellungsmethode kein kartographisches Werk anderer Länder messen kann.
Auf der ersten Karte des Atlas, der Bathy-orographical map of England and
Wales, verwendet er Dunkelgrün und Hellgrün bis 500 Fuß, sodann Heilrot bis lOüO ni,
Duidielrot (mit kleinem Schimmer ins Lila) bis 15UÜ m, HeUila bis 2000, Dunkellila
bis 8000 und übei- 3000 Fuß Schwarz. Nach den kulturgeographischen Karten folgen
im Atlas die orographischen Spezialkarten von England imd Wales, die in der von
15ai-tholomew sonst geübten l-'arbentönung wiedergegeben werden. Nach dieser
l'arbenskala entwickeln sich erst die vier grünen Tieflandstufen bis 400 Fuß*, sodann
zehn braune Gebirgsstufen bis über 2500 Fuß. Alle Höhenschichtkarten von Bar-
tliük)me\v, im Atlas .sowohl wie in den Einzelverötfenthchungen, sind gefälHg in der
Farl)haltung, klar und deutlieb liis ins einzelnste. Schließlich mag noch lobend an-
erkannt werden, daß sämtliche Hühenschichten von fein punktierten Linien haar-
scharf umrandet werden, ein Beweis für das Gewissenhafte und Saubere der Karten-
arbeit und des Kartendruckes. Den Namenstich zu loben, hatte ich früher gleichfalls
(ielegenheit (S. 341).
•2S5. Die llochbildkailcii. Oie ScJMveizci- Kclielkartcii oder dl« Kard'ii in Sclivvtizt'r
.•»laiiier. Wegen ihrer i)lastisclien Wirkung werden die gut angelegten Hdlienscbicht-
karten fälschlicherweise ,, Reliefkarten" genannt; sie haben höchstens ,, reliefartige"
Wirkung. Bei der Bezeichnung Reliefkarte herrscht eine größere Konfusion als
bei den Höhenschichtkarten. Man hat streng zu unterscheiden zwischen lieliefs
oder Hochbildern, Reliefkarten oder Hochbildkarten und relief- oder
Injchbildartigen Karten. Das Hochbild ist keine Karte, sondern nur ein Modell.
Die Hochbildkarten sind einmal die wirklichen Hochbildkartcri. das sind Karten,
in denen das Geländebild hineingepreßt bzw. hinein.L'e^lan/,1 wird, so daß sie erhaben
erscheinen, und sodann die gewölmliclien Hochbildkarten, die das kartographische
bzw. photographisclu- Aiibild di s Reliefs, das unter einem bestinnnten Lichteinfall-
winkel photogra]ihierf ist, zeigen. Da erstere Kartt-n mehr in Spielerei ausarteten''
' So auf der „Uathy-orofiraplikal map uf tlu- Britisli [slcs and siuoiindin<; scas" in ..iScottisli
Gcogi-aphical Magazine" 1887,
' Vgl. „Phj'sical map of the Uritish Isles" in „Bartholomew s Gazcttcr of the British Isles".
' The Survey Atlas of England and Wales". By J. G. Bartholomew. Drawn, engraved,
printcd and published at the Edinburgh Geographical Institute under the patronage of the Royal
Geograpliical Society 1903. A series of 84 plates of maps and plans with descri))tive text, illustrating
the topography, physiography, geology, climate, and the politieal and commercial features of the
countn-.
* Daß hier die Tieflandstufe nur bis 400 Fuß geführt ist, dagegen auf der ersten Karte bis 500 Fuß,
empfindet der Engländer nicht weiter als Fehler; in Deutschland würde man dies sofort beanstanden.
' Unter den Kartenwerken mit Reliefprägung, die nur in m IiuIum i iMulisclier Hinsicht eine Rolle
gespielt haben, seien genannt G. VVoldermann: Plastischer Si Iml m I,, I,. i|,/iu 1878; E. I^hlenhuth:
Reliefatlas füimethod. Unten-, i. d. Geogr., Heilbronn 1872; M. Kunz: Ki-pi-titionsatlas üb. alle Teile
Die MeistiTJiilire in der Geliiiidcdiiistullung von der Mitt( di-8 l'J. Julnli. bis zur (icfrpnwjirt. 4".ll
und höchstens für den Blindenuiitciiic lit wirtvoll sind, verstehen wir unter lielief-
karten hier ledighch die zweite Art. iHochliildartige Karten sind alle die Karten,
die ähnlich den Hochbildkarten eine plastische \\'irkung durch Farije oder Schum-
merung erzielen, ohne jedoch auf ein wirkliches lielief zurückzugreifen.
Die erste Karte, die als hochhildartige Karte anzusprechen ist, die mithin so
gezeichnet ist, als ob ihr ein jihotugraphisches Hoehbild zugrunde gelegen hätte, ist
eine Karte von Frankreich aus dem Jahre 1782, die den tüchtigen Kanal- General-
direktor (iauthey zum Verfasser hat.^ Für ihre Zeit war die Karte eine glänzende
Leistung; die kleinern tieländeformen auf ihr gehen schon in eine Art Schummerung über.
Nach hochbildartiger Wirkung strebten seit Jahrhunderten die Karten der Alpen-
läntler. vorzugsweise der Schweiz. Die Dufourkarte hatte den Heißhunger nach
plastisch wirkenden Karten noch nicht gestillt. Die richtigen Mittel, all dem Streben
und Mühen den gewünschten kartographischen Ausdruck zu verleihen, erstanilen
erst im Vielfarbendruck. Eine neue Kartenart wurde geboren, die für die Schweiz
besonders charakteristisch ist und als Schweizer Ke lief karten oder Karten in
Schweizer Manier Weltruf erlangt hat. Es sind die hochbildartigen Karten, an
denen in offiziellen und privaten Kartenanstalten- — in der Schweiz ist die Trennung
der amtlichen von der Privatkartographie nicht so scharf wie anderwärts — mit
gleicher Ausdauer und Begeisterung gearbeitet wurde.
Das Charakteristische der Karten in Schweizer Manier ist nelicu der ]ilastisch
wirkenden farbigen Höhendarstellung die deutliche Wiedergabe der Niveaulinien.
Die Lösung des Proldems dieses Kartendruckes hat mehrere Jahrzehnte gedauert.
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts beschäftigte man sich in Frankreich damit. Trotz
des großartigen Werkes La topographie enseignee par des plans-reliefs et des dessins
von Bardin, Paris 1855, wollte es lange Zeit nicht glücken, in die Kurvenkarte Farben-
töne einwandfrei htneinzudrucken. Selbst in den neunziger Jahren scheinen die
Reproduktionen noch nicht den Tntentionen tles Originals zu entsju-echen. wie wir
bei den Karten des französischen Alix'uklubs feststellen müssen: denn die Schum-
merung läßt sehr zu wünschen ül)rig. und wo die Schatten etwas (hud<el werden, ver-
schwinden die Schichtlinien und mit ihnen die Geläudekleinformen. Brillierte eine
Karte mit ihren Relieftönen, dann fehlte sicher das geometrische Gerippe.*
Der Schweizer Kartographie war es vorbehalten, die Schwierigkeiten zu über-
winden, die sich dem klaren und wirkungsvollen Zusanmiendrucke von (ieländefarben
mit Niveaulinien entgegenstemmten. Wohl hatte um 1850 schon der Oberst Ol i vier
Zschokkein Aarau an dem Problem herumstudiert und war in seinen Versuchen von
den ersten karfograiJiischen Autoritäten seiner Zeit, dem tieneral Dufour und dem
Ingenieur Job. Wild, dem Direktor der Kaiitonvermessung in Zürich, ernnniterl
d. Eixlo i. I'vclirfiMJiijunK. CiisMd s. ii. ^ Nim d.ni WnUkiniiimisi li.ii .\lluMiinuiit 1!. l.ili mann laiinor
N'ütiz u. bezeichnet den Gedanken dieses Atlas« als „an sich nicht iilnl". \orlosini>.'en iil). HiKsniittil
II. Metli. des geogr. l'nterr. Halle a. S. 1894, S. 4.5.
' Carte des ehaines de montagne-s de lu France, des scs priiiciimU-s rivii le«. et des princi|»u\
canuiix de navigation, faits, oii i\ faire, dans ce royanme. S. .S|(t. 1782. [Hr. .M. Umdon.]
- Beriihnite «chwei/.er Privatanstalten sind: W\irster. Itandegger & Co. in Wintertlnii :
H. Kiimmerly & Frey in Bern. — Vgl. auch „Die Kartographia WinttUhnr' . vormals Toimgraphischc
AnsUlt Winterthur, J. Schlunipf. Winteithiir liKHl.
' Wie hei der in di-ii neunziger .Tahrcii in (il gemalten ..('arte de la Martinique" in 1 :4(»tM)(» \<>n
.1. Cautier. Ausgestellt und hcwumlcrl aul .Icr \Vclt«us.M. Ilung in Paris IW<9.
492 '»''■ l-MMilUartr uihI ilir fiiaäiiilc.
worden', indessen waren erst Leuzinger und Vr. .I>(>eker dri- l.osung des rniMeuis
näher gekommen. Die Leuzingersche Eeliefkarte der Schweiz in 1 : 500 UDO ist die
erste mit Kurven, mithin die erste in „Schweizer Manier". Leider lasten die kräftige
Schrift und Situation zu schwer auf der Geländedarstellung. Becker arbeitete von
vornherein in größern Maßstäben und kam zu günstigem Ergebnissen. Zvinächst
war es die Karte des Kantons Glarus in 1 : 50000, die 1888 auf Grundlage der Ziegler-
schen Karte neu bearbeitet worden war.^ In gleicher Weise war die Rehef karte der
Albiskette in 1 : 25000 behandelt worden.^ Damit wurde eine neue schöpferische
Ära auf dem Gebiete der Kartographie eröffnet; mit der topographischen Zeichnung
wurde ein landschaftliches Kolorit verbunden. Becker hatte die Forderung auf-
gestellt, daß die zur Terraindarstellung dienenden Farbentöne nicht willkürlich aus-
gewählt, sondern dem natürlichen Landschaftsbild entnommen sein müßten. Seine
lieiden Karten verwenden dementsprechend ein stumpfes Grün in mannigfaltigen
Abstufungen des Helhgkeitgrades. Wohl ist dadurch ein ganz hübscher plastischer
Effekt erreicht worden, jedoch wirken die grünen Farbtöne nichts weniger als
natürlich. Dagegen kommt Randegger einer natürlichen Frische schon mehr ent-
gegen, indem er auf seinen Karten von St. Gallen und Appenzell vom Jahre 1890
und des Kantons Thurgau üchtere, d. h. mehr gelbliche und bräunliche Farbtöne
verwendet. An der weitern Ausgestaltung und Vervollkommnung der Schweizer
Eeüef karten arbeitete außer Becker vor allem Hermann Kümmerly. Beide im
Verein haben das geschaffen, was in der Schweiz seit länger als einem halben Jahr-
hundert erstrebt worden war: eine naturgemäße, farbenprächtige, in ilircm hypso-
metrischen Gefüge durchsichtige Karte der Schweiz.
Sämtliche Bestrebungen und Versuche nach plastisch wirkenden Karten gipfelten
in der auf Veranlassung des Departements des Innern im Topographischen Bureau
angefertigten Schulwandkarte der Schweiz in 1 : 200000, von Fr. Becker und
Kümmerly bearbeitet und in der kartographischen Anstalt von H. Kümmerly
und Frey in Bern technisch ausgeführt und gedruckt (1901). Man geht kaum fehl,
werm man sie als die (bis jetzt) gelungenste und farbenprächtigste aller plastisch
wirkenden Wandkarten hinstellt. Darüber liegen übereinstimmende Urteile der ver-
schiedensten Länder vor. Li diesem Meisterwerk kartographischer Farbenplastik
ist die reliefartige Wirkung ohne Anwendung von dunkeln Farben erzielt worden.
Das Schwarz ist der Schrift und dem Gerippe vorbehalten. In frischen lebhaften
Farben, die an das Spektrum eriimem und unter denen die rötlichen vorherrschen,
tritt uns das Hochgebirge entgegen; nach tiefer gelegenen Geländeteilen geht das
Gelb in Grün über, das bei 500 m dem Graublau der Talsohlen weicht. Ein zarter
blauvioletter Ton hegt über die Täler gebreitet, daß sie wie in feinem Hauche nieder-
getaucht erscheinen, als ob wir sie aus großer Ferne sähen. Das ganze Farbenspiel
ist der Landschaftsmalerei abgelauscht. In der Tat nähert sich die Karte einem
reahstischen Landschaftsgemälde. Das beabsichtigten auch ihre Bearbeiter, unter
denen Becker in großer Bescheidenheit dem Lochmann das größte Verdienst bei-
mißt.* Indes ist Becker doch der Spiritus rector des Kartenwerkes; er hatte zur
' Fr. Becker: Die schweizerische Kai-tographie. Frauenfeld 1890, S. 26 — 3(».
^ Gedruckt und verlegt bei Wüstet, Randegger & Oie. in Winterthur.
' Gedruckt und verlegt bei Hofer & Burger in Züri(^h.
* Fr. Becker: Die schweizerische Kartographie i. J. 1914. Lande.saviHHtplluiig iu JJcni. Wewii
u. Aufg. einer Landesaufnahme. S.-A. aus Schweiz. Z. f. Artilleiie u. Genie. Frauenfeld 1915, S. 34.
Die Meisteijjiliro In d<r (icliinditdiiistclluiig von ilor Mitte d.s 19. Jiilirli. bia zur ficgeiiwiirt. 493
Beurteilung der Karte eine Magd und ein fünfjähriges Kind herbeigezogen, und wenn
sie verstanden, was die Karte darstellen sollte, dann fand er es für die Karte richtig.^
So ist die Karte so recht eine Volkskarte geworden, was auch ihre Herausgeber
beabsichtigten. Das Gelände der Schweizer Karte ist außerdem noch mit Schicht-
linien im Abstand von 100 m, in flachem Gelände von 50 m überzogen, womit einer
gewissen wissenschaftlichen Anforderung Genüge geleistet wird. Wie sich auf der
Dufourkarte die Mittelgebirgsformen des Jura vom übrigen Kartenbilde merkwürdig
imterscheiden und reumütig zur Lehmaimschen Schraffcnnianier übe-rgegangen sind,
so hat auch der Zeichner der Schweizer Wandkarte mit der Darstellung der gleichen
Formen zu kämpfen, damit sie neben dem Hochgebirge nur einigermaßen reputier-
lich erscheinen. In Anlehnung an die Schweizer Karte erschien im gleichen Verlage
lue Schulwandkarte des Kantons Bem.^ Nur das Grün der Ebenen ist satter und
die Eelieftöne Orange und Violett sind ausschließhch für die höhern Erhebungs-
formen aufgespart. In ähnlicher Ausführung reiht sich die Kümmerlykarte von
Vorarlberg in 1 : 75000 an.
Entwicklungsgeschichthch würden sich an die Höhenschiehtkarten und die
hochbildartigen Schweizer Karten die farbenplastischen von K. Peucker anschließen.
Doch stehen diese selbst noch am Anfang ihrer eignen Entwicklung und haben
wissenschaftlich neue Bahnen betreten, darum sollen sie bei den wissenschaftliclien
(imndlagen der Geländedarstellnngen eingehender gewürdigt werden.
280. Die wahren llochbihlkarten und die Pseudohochbildkarten. Die Schweizer
Wandkarte hat eine derartig gute plastische Wirkimg, daß man zu glauben versucht
ist, ein Hochbild hätte der Bearbeitung zugi-imde gelegen, wie es z. B. reichlich himdert
Jahre fmher bei dem Atlas Suisse von Meyer und Weiß^ der Fall gewesen ist, dem
das Eehef von Joachim Eugen Müller vorlag. Indessen setzen die eigenthchen Relief-
karten erst nach 1850 ein, nachdem die Photographic ihre Dienste der Kartographie
zur Verfügung gestellt hatte. Dabei fanden die nach schräg beleuchteten Modellen
hergestellten Karten warme Vertreter, unter andern F. Chauvin. F. W. v. Egloff-
.-«tein, J. G. Lüddc* u. a. m. Gegen sie, zunächst gegen Egloffstein, wendet sich
E. v. Sydow.* 1864 kam Mittermaier in Darmstadt mit einer Karte von Madeira
in 1 : 197485 heraus. Die Karte ist nach einem Modelle gefertigt, das auf guten Karten-
quellen beruht; der Höhenmaßstab wurde IVain^l vergrößert und das Modell bei
schrägem Lichteinfall ])hüt()gra])hiert. Damit glaubte Mittermaii>r ein neues System
der (ieländedarsh'Uung cnlacht zu halx'ii, was ihm jedoch schon !•<. v. Syduw ver-
wies.* Fast zu gk'icher Zeit kommt tialton mit seinen sti-rcoskopischen Karten-
bildern auf den Markt, das sind jihotograijhische Koi)ien von IJeliefs. die durch das
Stereoskop zu betrachten sind, lun den vollen plastischen Effekt wiederzugeben."
' Nach einem Gespriklic /.«isclien Bccki-r und H. Hab.niilit (Gotlia). worülH-r mir lotztotvi
fM-rsönlich berichtete.
- Vgl. G. Stucki: Die neiie Schulwandkarte des Kanton.s Bern. Kin Bo«leit\v(>rt. Boni I90.t.
' J)er Atlas erschien 1786-1802, s. S. 40:».
' .1. G. Lüdde: Die Sonne im DiiMinte der Kartoumiiliic. Neue .\uspilx- licarlM-itet von
l'i. Matthcs. Weimar IS74.
'- K. V. Sydow i. P. M. 1858, S. 127.
0 E. V. Sydow i. 1'. M. 1864. S. 47,5.
' Tn P. M. 1865, S. 198 winl auf den sehr bodinK'ten wiMscn-srliaftl. \\>-,< .1...I , l....... K-dimM..
I'.iaui'libarkeit gegenülier andern Karlen hinj-ewiesen.
494 l'ie LMiwiküite uii.l ilii- Gelände.
Die Modelle, die sich über große Gebiete ausdehnen, sind schwer zu photo-
graphieren; nur partienweise kann der Eeproduktionsprozeß vorgenommen werden,
weil die Lichtquelle zu nahe steht und zu verschiedene Bchattenlängen und Inten-
sitäten vermieden werden müssen. Die Karten werden alsdann handschriftlich er-
gänzt i, was zuletzt dazu führte, das ganze Modell als gedacht anzusehen. Wir haben
die Pseudoreliefkarten, die auf den ersten Anblick vortäuschen, als seien sie nach
einem Modell gefertigt, die aber weiter nichts anderes sind als auf grauem Grund
11 la Hochbild getuschte KartenbiliUi-, die durch verschiedenartige Methoden ver-
vielfältigt werden können. In uuNcrdicntcr Weise hat sich das Pseudohochbild der
Schulkartographie in ausgedehntem Maße bemächtigt. In öachsen z. B. hatte eine
Zeitlang die sog. reine Eeliefmethode nach M. Kuhnert die Schulkartographie in
Fesseln geschlagen. Die ersten Karten dieser Art, für die das Gelände in Gips dar-
gestellt und von links oben beleuchtet gedacht wird, waren miserabel*'^, und E. v. Sydow
hätte, wenn er noch gelebt hätte, sie gewiß in Grund und Boden verdammt. Mit der
Zeit haben sie sich aus dem Unfertigen herausgearbeitet und sind im Unterrichte recht
brauchbar geworden.' Weil das menschliche Auge und Auffassungsvermögen nicht
imstande sind, die Fülle der Tatsachen, die in ein Kartenbild hineingearbeitet sind,
mit einem Male zu erfassen, und nur einzelnes zunächst festzuhalten vermögen, bringen
die Pseudohochbildkarten eben nur Einzelnes und Typisches auffällig zur Darstellung,
was auf diese Weise leichter im Gedächtnis haften bleibt. Aber von dem Einfachem
muß zu dem Komphziertern vorgeschritten werden; und das Auge muß zuletzt an
bessere und wissenschaftlich gehaltvollere Kartenbilder gewöhnt werden. Das sollte
nicht übersehen werden. Jeder Schulunterricht, ganz gleich auf welcher Stufe, müßte
mit einer guten Kenntnis der wichtigsten topographischen Karten abschließen.
Nach diesem didaktischen Exkurs kehren wir zur Hochbildkarte zurück. Die
vollkommensten ihrer Art oder die wahren Hochl)ildkarten sind die, die direkt nach
dem Hochbildmodell hergestellt sind. Im letzten Kriege wurden solche Hochbild-
karten in großer Anzahl gebraucht. Die ReUefs, die für die einzelnen Armeefronten
in 1 : 25 000 angefertigt worden waren , wurden abschnittweise etwa in der Größe
eines Meßtischblattes photographiert und in reduziertem Maßstabe, 1:3.5000, nach
dem Lichtbildverfahren rejjroduziert. Da die obern Kommandostellen im Stellungs-
kriege nicht hinreichend mit Hochbildern versehen werden konnten, waren die Hoch-
lüldkarten ein wertvoller und begehrter Ersatz: sie wurden auch an niedere Kommando-
stellen verteilt.
'^ Dazu gehören viele Karten in Spameis Handatlas. — Die ersten Anfänge solcher Karten
reichen in die 70er und 8()er Jahre des verg. .Jahrh. zurück. Über sie war E. v. Sydow nicht ent-
zückt. 1860 (P. M. S. 477) noch hatte er soviel v. d. Photographie f. d. Kartographie erwartet, und
1872 (P. Ä!., 8. .309) fühlte er sich bitter enttäuscht, daß von der Photographie und ihrem Studium
kein besonders günstiger Einfluß auf die kartographische Darstellungskunst ausgegangen ist.
- Ich denke hierbei an die ersten Heimatkarten diesei' Art und die Karte von Sachsen. Die
erstem erhoben sich kaum über das Aussehen eines mit Beulen beschlagenen Bleches.
" So liaben also auch die Kuhnertschcn Karten ihr Gutes. Daß ihnen später, um ihnen einen
gewi8.sen wissenschaftlichen Nimbus zu verleihen, die H. Wiegelache Schummerungsskala aufoktroyiert
wurde, war ebensowenig nötig wie ihre rein äußerliche Veiknüpfung mit dem Namen G. Leipoldt.
Daß die Methode nichts Neues bot, geht aus obigem hervor, nach dem viele als Vorläufer Kuhnerts
gelten können, auch die Schulkarten von Kühn u. Pei p. Es liatte sich seiner Zeit in schulgeographi-
schen Kreisen ein größerer Streit über den Wert und Unwert der Kuhnertsehen Karten, die großen
Absatz ins Ausland haben, erhoben; auf ihn einzugehen, lohnt sich hier nicht. Kuhnerts größtei- (Jegner
ist H.Harms; vgl. dessen „schuli)iidagogische Grundsätze", Braunsihweig u. I^ipzig 1899, S. 6.
Dir Mcistcijalirc in der (iclilmliil.iistelluiig vnii der Mitte dt'M 10. .):ilirli. bi.s zur G(>geinvart. 495
287. Das Iloohbild oder das Relief. Trotz einzelner Vorzüge (bequem, leicht,
handlich) l)leibt die JHoclihildkarte ein mangelhafter Ersatz des Hochbildes. Das
Relief, oliwohl ein naturähnliches, verkleinertes Abbild eines Landgebietes, ist keine
Karte mehr, der lediglich die Ausdehnung der Fläche zur Verwendung steht : es rechnet
als Modell mit den Ausdehnungsverhältnissen des Raumes. Wir lialti'ii nielit viel
von der Raumtreue des Reliefs.' Vielleicht ließe sich beim Hochliildc die llaiimtrciic
im Verhältnisse des Maßstabs rechtfertigen, wenn keüie t'licrlinliung des Modells
\orkänie. Außerdem müßte l)ei größerer Ausdehnung der Krünumnig der Erdober-
fläche Rechnung getragen werden, wie es allerdings in vereinzelten Fällen auch ge-
schehen ist. 2 Das Hochbild ist liiir notwendige Ergänzung der Karte, bzw. der
.Maßnahmen und Mittel, die in das Kartniverständnis einführen, zumal die Darstellung
der steilsten Formen in der Karte licute noeii i^in Prol)leiH ist, dessen \()llkünnnene
Lösung immer noch aussteht.^
Die ersten Reliefs weisen uns in das J^aiul. in dem gleichsam die Natur aus sich
heraus zu einer Modellierung der Berge hindrängte.* Wir hiiren, daß Ludwig Pfyffer
die Schweiz in Wachs 1766— 1 785 modelliert hat. Fast zur gleichen Zeit hatte
.1. E. Müller aus Engelberg sein Schweizer Hochbild geschaffen. Seitdem sind
die Alpenländer die bevorzugten Herstellungs- und Pflegestätten des Hochl)ildes
geblieben, besonders gefördert dureli A. Heim, X. Ilfeld und S. Simon. ^ Aber auch
von vielen Mittelgebirgsgegendcn und ausländischen Gebieten (Niederländisch-West-
und -Ostindien!) besitzen wir Hochbilder. Doch geht ihre Erörterung über die Grenzen
meiner Untersuchung hinaus, und ich verweise auf Ausführungen, die genügend über
das Relief orientieren.^ Erfreulicherweise schließen die kart()gra])hischen Berichte
im tieograiihischen .Tahrbuche die Hochbilder mit ein.
Wie ich bei der Betrachtung der Profile und Höhentableaus wegen der Über-
höhungen ziu' Vorsicht gemahnt habe, muß ich hier vor den überhöhten Hochbildern
entschieden warnen. Im Reichspostmuseum zu Berlin befindet sich eine Relief-
karte von Mitteleuropa im Längemaß l:lö()()()00 und im Höhenmaß 1 : 100000.
Heinrich A\alger hat, wie es auf dem. Modell heißt, nach den Generalstabskarten der
betreffendt'n Länder das Bild durch 10000 gemessene Punkte festgestellt und model-
iiert. Es ist aber keine Karte, sondt-rn tatsäcblicli ein llcicbbild und gibt di^n schlagenden
' Vgl. über die Raumtreue das, was idi oben S. 500 ausgeführt babe.
- Vm den Mängeln bei der AiLsdehnung der Hoehbilder abzuhelfen, hat der Italiener (". Pomba
„gebogene Reliefbildor" herausgegeben. - Vgl. hierzu K. Peueker: Studien an Pennesis Atlante
Scolastico. Mit. d. (Jeogr. (!es. Wien ISO!». Heft 7 u. S: di-s._'l. Zur U.ntogi-. Dni-stribing d. :f. niniension.
ti. Z. 1901. S. 24.
■■' Vgl. E. Hammers Ho/.ensi„„ üIkt .\. l'.n.lis „Neu.. Kaitn, und K.-li.fs dei .\l|H-n ■ in P. M.
inoö, LB. S. 29, :k».
* General headsfor a natural liistoi y nf a count i-cy. gieat i>r small. imi>aited In Hob. Boyle:
in den Philosophical transaktions Vol. 1 f.ir .\. 1666, .\o. III. Darin lesen wir auf S. 1S6 ISO.
ilali die Insel .-^ntibe-als Relief In einer Breite von « Kuß naehgebildet woitlen sei.
' Vgl. «Schweizerisehe Landesausstelhmg Ziirioh 1«83. Berieht über Cirup])e .Ifi. Kartographie
von K. ('. .•Km rein. In Verbindg. ni. d. Kelief- u. il. Katast erwesen der Sehweiz. .S|x>7.iallx>riohto von
.A. Heim u. .1. Kebstein. Zürieh 1884. I'. Meeker: Die Sehweizeii.tehe Kartogmphie an d. Welt-
ausstell. in I'aris 1889 u. ihre neuen Ziele. Kiaueufeld I89(», S. :Wff.
" Vgl. H. Lehmann: Vorle.sgn. a.a.O.. S. ;{2ff. - K. Peueker: Neue Beitriige zur Syste-
matik der (ieotechnologie. Kin Uiindbliek üb. d. IJelief« U.Wandkarten usw. -Mit. d. OJeogr. Ges. in
Wien 19(W, Heft 7 u. 8. - \. Penek: Neue Karten u. Reliefs der .\lpen. Ix>i(v.itf 1904. S. 93ff. .»der
I. i;. ■/.. 1904, S. 2(>fl II. S. 9.-)ff.
496 '>'<' l-:nulk;xi-tc uii.l ilir (Jt-laml.-,
Beweis, daß ein instinktives Bild nicht über zu große Gebiete ausgedehnt werden
darf, wenn es bei den dabei nicht zu umgehenden Überhöhungen, im vorhegenden
Falle einer 15 fachen, nicht lächerlich wirken und die ganze aufgewandte Zeit und
Mülie illusorisch machen soll. So komite es nicht ausbleiben, daß auf diesem Hoclibild
die Höhen der Alpen wie Kristallnadeln aneinander gedrängt in die Höhe starren und die
deiitschen Mittelgebirge zu steilen Alpengipfeln emporgewachsen sind.
Jlit Eecht betont H. Haack, daß die Wirkung des Eeliefs in der Größe di'S
Maßstabs liegt.i Über einen Maßstab 1 : 500000 sollte man kaum hinausgehen.
Über den Wert des Hochbildes will ich mich nicht ins einzelne verlieren und
nur das hervorheben, daß er teils theoretischer, teils jiraktischer Natur ist. ,,L'utilite
des reUefs est beaucoup plus grande qu'on ne serait tout d'abord encliu ä le penser",
mit diesen Worten beginnt am VII. Internationalen Geographenkongreß zu Berlin
1899 Claparede seine Mitteilungen über eine neue Reliefkonstruktion von C.Perron.^
Bekanntlich ist das gute Hochbild ein vorzügliches Unterrichtsmittel. Aus der Karte
entstanden, ist es eins der besten Hilfsmittel, das zwar Atlas und Wandkarte nie
ersetzen wird, aber geeignet ist, hinwiederum in das Karten Verständnis einzuführen.
So vereint es theoretischen mit praktischem Nutzen. Letztern hat es kaum jemals
besser dokumentiert als im Weltkriege. Der lange Stellungskrieg hatte das Bedürfnis
nach Hochbildern wachgerufen. Die einzelnen obem Heerführer an der Westfront ver-
langten danach ; aber selbst bis zur Division und Brigade hinab machte man sich daran,
ReHefs auf Grund der neuaufgenommenen Karten in 1 : 25000 und 1 : 10000 zu kon-
struieren. Die den Armeen zugeteilten Vermessungsabteilungen nahmen die Her-
stellung in die Hand; bei manchen Abteilungen war eine besondere Gruppe von ge-
schickten Mamischaften bloß mit diesen Arbeiten beschäftigt. Viele Glanzleistungen
waren auf diesem Gebiete zu verzeichnen, Hochbilder von 4—6 m Länge und 2—3 m
Höhe wurden geschaffen, diese großen meist in der Art der Treppen- oder Stufen-
reliefs, die kleinen in Plastilina, mehr noch in Gußmasse, von denen viele in kurzer
Zeit hergestellt ^v•urden. Die Hochbilder wurden in solcher Menge begehrt, daß sich
die Landesaufnahme (der stellvertretende Generalstab) in Berlin entschloß, nach
einem neuen Verfahren, das Wenschow erfunden hat, die Herstellung von Reliefs
in Meßtischblattgröße und -maßstab im großen zu betreiben. Schon waren die ersten
Versuche dieser Art an der Front, als der Krirg zu l'^nde ging.-''
288. Das Rundbild oder das Panorama. Anschheßend an das Relief sei noch
der vertikalen Abbildung des Geländes gedacht, wie sie sich im Rundbild oder
Panorama repräsentiert, das gleichfalls geeignet ist, in die Kartenkenntnis mit
einzuführen, wenn auch nicht in dem hohen Maße wie das Relief; denn das Relief
kann unter Tniständen Hunderte von Landschafts- und Rundbildern ersetzen. Gleich
1 H. Haaek: Wenschow.s Pvclicfkarteu. ü. A. 1921, S. 13.
* C. Perron hat sich auch dadurch einen Namen in der französischen üartographie gemacht,
daß er die Kartenausrü.stung der letzten 16 Bde. von Elis6e Reclus' „Nouvelle Geographie Uni-
verselle" versorgte.
' Die Herstell, dieser Art Hochbilder ist weiter verbessert worden, u. ganz vorzügliche typische
P.eliefs sind bereits angefertigt worden, die die Firma „Kartographische ReliefgeseUschaft" in München
in den Handel bringt. — Vgl. aucli H. Haack, a. a. O., S. 11-13, wo ein Einblick in das neue Ver-
fahren und dessen Bedeutung gegeben wird. — Allgemein verständUch geschildert fand ich Wenschows
Verfahren in der Deutschen Zeitung für Spanien (R«vista Alemana de Espafia). VI. Nr. 115. 10. April
1921, Hanelona.
Uie Mfistcijaliri- in dci- Ccliiiidedaistelluiig vm\ der Mitti- des 19. Jalirli. bis zur Gpgfuwiirt. -197
dem Hochhild ist das Kuudbild in den Alpengebieten zur hohen Entwicklung gelangt .
( )hne Karte und Eundhild können wir uns heute den „Baedeker" der Schweiz nicht mehr
denken. Das erste Panorama verweist uns nach der Schweiz; es ist die Alpenansicht,
die der Genfer Micheli du Crest im Gefängnis zu Aarburg entworfen und 1755 heraus-
gegeben hatte. Escher v. der Linth, Studer und Heiur. Keller haben das neuere
Panorama in der Schweiz begri'mdet. Ein Schüler des erstem, Albert Heim, hat
in dem Geologisch-topographischen Panorama vom Säntis ein klassisches Beispiel
gegeben, und Xaver Imfeid rückte bei seinem Panorama vom Monte Posa uutl
TitUs das Zeichnerisch-Malerische in den Vordergrund. Heim und Imfeid stehen
einzigartig da, insofern sie nicht bloß das Bild nach der Natur zeichneten, sondern
auch selbst auf dem Steine reproduzierten. Li der Verbindung beider Eichtungen.
wie sie in Heim und Imfeid vertreten sind, wird das Panorama das höchste erreichen. *
Ein ausgezeichneter Formensinn muß durch einen ausgeprägten Farbensinn ergänzt
werden. Diesen vollendeten Grad suchen die von H. Haack herausgegebenen Geo-
graphischen Längs- und Rundbhcke mit Kartenergänzungeu zu erreichen, vorzugs-
weise das prächtige Bild Monte Eosa — Matterhorn, das einen llundblick in die
Gletscherwelt vom Gornergrat gewährt. ^
' In den ziisamiiienfassenden Überblicken über „die Fortschritte der Kartenprojektionslelire
iiijw." im Geogr. Jahrbucli w-ird bei dem AI)schnitt „Reliefs" auch der „Panoramen" gedacht, wora\if
ich hier ganz besonders hinweisen w-ill.
- Gemalt von M. Zeno Diemev ii. m. einen Begleitwort vetseheu von E. Enzeusperger.
Verlag von J. Perthes in Gotha.
Teil VI.
Die wisseuschaftliclieu Grundlagen
der (jelilndedarstellung".
(Morpho^raphie III. Teil.)
A. Ein[uliruii,<>- in die Theorie dei' (Tcländedjirstellun^-.
I. Die morphographische Deduktion.
iSi\. IHc nioiphographischi' Dodiiktioii im allseuiciiHui. Ikr iMuriiliogiaphu- wich-
tigste, Aut'galie ist die Untersuchung und Jicscliri^ilunig der (leländedarstellungen
oder Terrainzeichnungen. Nach kriegst(i|iiiuiii|ihischem Gebrauch setzen wir Gelände
gleich Terrain, was auch durch die Ycrdcutschiuig gerechtfertigt ist, obwohl nach
der bisherigen Gepflogenheit mit dem Ausdrucke „Geländezeichniuig" etwas mehr als
mit ,, Terrainzeichnung" gesagt wird, insofern diese es ledigUch mit der Zeichnung
von Bergformen und Verwandtem zu tun hat, jene dagegen es außerdem noch mit
der zeichnerischen Wiedergabe der Bodenbedeckung, wie Wald, Wiese, Weinberg usw.^
Will man nun schon einen für das Wesen der (4eländodarstollung unerhebhchen Unter-
schied aufrecht erhalten, dann soll der Bezeiclniuug ..(m landezeichnung" ihr umfang-
reicher Begriff belassen bleiben, doch ,,Gel;iudi(laisiiHiing'" werden wir fürderhin
gleichbedeutend mit ,, Terrainzeichnung" gebrauchen.
Hatte man schon das Wort Morphographie gefunden, so fehlte indessen noch
das morphographische Lehrgebäude. Einzelne Bausteine dazu sind wohl geliefert
worden, wie von H. Wagner u.a., doch an den Bau selbst wagte sich keiner heran.
Erst K. Peucker faßte den Mut, der Materie in ihrer Gesamtheit Herr zu werden.
Das muß ihm die geographische wie kartographische Wissenschaft Dank wissen.^
Wird man auch nicht allen seinen Ausführungen, die vielfach noch in die Sturm-
und Drangperiode seines Schaffens zurückreichen, IjeipfJichten, muß man unstreitig
seine außerordenthchen Verdienste anerkennen, die er sich um die Erkenntnis und
Darstellung der dritten Dimension auf Karten und die Zielsetzung einer theoretischen
Kartographie erworben hat.
Außer in der Schattenplaslik und Earbenplastik hat L'eucker die Theorie
der Geländedarstellung in drei Alihandlungen zu begründen versucht: Zur karto-
> Vgl. E. Hammer i. G. J. XXIV. 1901/02, 8.4.3.
= Unter flcn bodeutendern Kartographen liat dies am liicklialtloscstcn II. TI:
i. P. M. 1901, LB. cm, S. 149, 1.50.
I>i<' ini)i'plio^'ni|>hl8<'lii' DHiliiktimi. 499
graphischen Darstellung der dritten Dimension; Drei Thesen zum Ausbau der
theoretischen Kartograpliie und Neue Beiträge zur Systematik der Geotechnologie.'
An diesen geistreichen Schriften darf kein Kartentheoretiker und -praktiker vorüber-
gehen. Nach eingehendem Studium wird man sie nie aus der Hand legen, ohne be-
deutende Anregungen daraus geschöpft zu haben. Aus ihnen inTiius entwickeln wir
auch die Grundzüge einer deduktiven Morphographie .
290. Die thporetisrhc Karto;,'ra|)hii' auf neuen Grundlagen nach Peucker.
Nachdem es Karl Peucker gehmgen war, für viele, dem wissen.schaftlich durch-
gebildeten Kartographen teilweise bekannte Erfahrungen und Begriffe neue imd
oft recht treffende Bezeichnungen zu finden, gab er ihnen den richtigen Platz
im System der theoretischen Kartographie. Darunter versteht er ,,die Lehre
von der in geometrisch-optischem Sinne naturtreuen Darstellung des geographischen
Raumes und der Erscheinungen in ihm in objektiven, das ist (nach allen jeweils
wesentlichen Merkmalen) eindeutig anschaulichen und meßbaren Bildern". Der
Wortlaut läßt erkennen, daß der Verfasser nicht das Ganze der kartographischen
Wissenschaft im Auge hat, sondern ledighch die theoretische Ausgestaltung der Ge-
ländedarstellung, es ist ein erster Versuch einer strengem Definition der Kartographie
in ihrem Teile als „darstellende Technik oder Geotechnik" und das Ergebnis aus
frühern Erörterungen über die Begriffe ,,Anschauhchkeit'" und .,Meßbarkeit"^ die
scharf auseinandergehalten werden, was bis dahin in der beschreibenden und theo-
retisierenden Kartographie nicht der Fall war. Zur Klarlegung beider Begriffe wird
eine topographische Karte herangezogen, in der, wie Peucker sagt, die zwei Dimen-
sionen der mathematischen Erdoberfläche innerhalb des geographischen Zusammen-
hangs in vollkommener Treue vor uns liegen. Die Treue besteht darin, daß man be-
hebige Strecken nach ihrer gegenseitigen Lage imd Länge unmittelbar mit den Augen
abschätzen (subjektives Augenmaß) oder mit dem Maßstab genau abmessen kami
(objektives Zahlenmaß). Mithin sind die beiden Dimensionen imierhalb ihres geo-
graphischen Zusammenhangs ebensowohl anschaulich wie meßbar.
Die gleiche Anschaulichkeit und die gleiche Meßbarkeit, die der zweidimensio-
nalen Kartenfläche eigentümlich sind, werden nun durch l'eucker zu einem Postulat
der kartographischen Darstellung di-r tlritten Dimension erliol)en. Daß es nicht mit
Hilfe der Schichtlinien zu erfüllen ist, die nichts anderes wie die Spuren, die sie hinter-
lassen haben, also weiter nichts wie ,,Spurhnien der Höhen" sind, ist leicht einzusehen,
wohl aber mit Hilfe der Farben. Denn durch deren sinnri'iche Aufeinanderfolge und
gesetzmäßige Abwandlung wird ein plastischer Eindruck erzielt, der, je luichdem
optische und physiologische Gesetze befolgt sind, nicht bloß anschaulich, sondern
gleichfalls höhenabschätzbar ist. Ich sage mit Fleiß .,al>schätzbar" und nicht ., meß-
bar". Wird der Bi'griff des „Meßbaren" an das genaue (al)solute) Maß eines Maß-
8tal)S angeknüpft, ist dies schlechterdings liei di>r Imhenplrtstischen Darstellung nielil
' Die beiden oi-sten Abliandlimnon K. Peuckcrs «ind in der G. '/.. 1901 \\. 1002 etsihiemMi
und nind außer der „Schatten- u. Farlx-nplastik" die iKHieutendern, die dritte i. d. Mit. d. G<><ipr. Ges.
Wirn 19(4. RrRÜnzt wird inanehe in den.Mtlmndiiingen auftretende PiiiblemstelliiM»; diin'li die ..Sliidieii
.IM l'crincHis Atlante soolaxtieo- i. Mit. d. (J.fijjr. Oe.-.. Wien IKl«) u. IIKX).
- K. PeiK-ker: ScliattenplaHtik ii. Farbenplastik. Wien 18!t8, S. 41f. IV karlov-mpli.
iMislolln. dc.| (Intl. I)inicnHi..n. C Z. 1001. S. :14. X'..
32 •
500 Di«' wiBSinschiiftliclieii CTinndliigiMi der (TiliindiMlarstpllung.
möglich. Ich kann wohl, wie wir später noch sehen werden, nach Peuckers farben-
l)lastischem System Höhenstufen bis auf 100 m genau festlegen bzw. wieder abmessen,
indessen eine Kote tatsächhch und ohne weiteres abzumessen oder abzulesen, ist aus-
geschlossen. Man muß sich aber auch hier, wo neue Begriffe und Anschaumigswerte
geschaffen sind, daran gewöhnen, nun nicht mit dem Denkprozeß aufzuhören, sondern
logisch weifer zu schUeßen, selbsi auf die Gefahr hin, daß man dieses und jenes als
Baustein zur Theorie verwerfen muß. Es bleibt immerhin noch genug des Neuen und
(iuten in Peuckers Darlegungen.
Lediglich die nicht überhöhten Eeliefs günstiger Darstellungsbereit-he (Alpen)
sind anschaulich wie meßbar, und direkt meßbar nur bei Profilschnitten. Die Karte
vermag dies nicht, selbst beim besten Willen und trotz aller krampfhaften An-
strengungen, die Höhen ins Auge springen zu lassen. Wollen wir doch dies ohne Um-
scliweife restlos anerkennen! Der Wert der Karte wird dadurch keineswegs herab-
gedrückt. Fällt die Höhe nicht mit einer Schichtlinie zusammen oder ist sie nicht
von Haus aus beziffert, dann ist sie lediglich abschätzbar, im gewissen Sinne im
farbenplastischen Kartenbilde auch maßanschaulich und berechenbar. Aber es dürfte
immer ein prekäres Unternehmen bleiben, iimerhalb der Farbenschichten, wenn nicht
Schichtlinien Hilfsdienste leisten, Koten zu berechnen. Dem Abschätzen hingegen
stehen weniger Hindernisse im Wege, nur darf seine Bedeutung bei den fiirbeii-
plastischen Karten nicht überschätzt werden.
In der Definition der theoretischen Kartographie scheint auf die „naturtreue Dm-
stellung" ein Hauptgewicht gelegt worden zu sein. Gegen den Ausdruck ,, naturtreu"
habe ich mich bereits an anderer Stelle ausgesprochen (S. 16). Selbst unter der Sonne
der ,,Als-ob"-Philosophie kann man der Naturtreue kein gastliches Heim in der Karto-
graj)hie geben. Der Begriff „treu" deckt sich mit „gleich". In der Geographie so-
wohl wie in der Kartographie wird er fälschlich mit dem Begriff „älmlich" als gleich-
wertig erachtet. Der Ausdruck „naturtreue Darstellung" hat Peucker dazu verführt,
seine adaptiv-perspektive und spektral-adaptive Farbenplastik als „raumtreu" zu
bezeichnen. Damit ist die Geographie mit einem Schlagwort bereichert worden, das
wie so viele andere keine Daseinsberechtigung hat. Durch seine Kürze und gewisse
Andeutung eines bedeutungsvollen Inhalts hat es sich in die geographische Termi-
nologie eingeschmeichelt, ohne das geographische Gewissen aufgerüttelt zu haben.
Eaumtreu ist unter Umständen nur das Hochbild, wie wir S. 495 nachgewiesen haben.
Was dieses leistet, kann, wie oben angedeutet wurde, die Karte nimmermehr leisten.
^^'ir woUen uns doch darin nichts vormachen. Den heißen Bemühungen K. Peuckers,
die wissenschaftüche Darstellungslehre des Geländes von der „Resignation auf die
reine Geometrie" zu befreien, die vollste Anerkennung, aber was de facto ins Karten-
bild nicht hineingetragen werden kann, ist auch nicht herauszuholen; und so bleibt
m. M. nach die Aufforderung, daß die exakte Wissenschaft zur „raumtreuen" Dar-
stellung fortschreiten muß, illusorisch. Durch das Peuckersche System wird die dritte
Dimension optisch angedeutet, im gewissen Sinne ist sie da optisch bestimmbar,
nicht aber — was die Hauptsache wäre — geodätisch (geometrisch) abmeßbar, wie
wir oben bereits durchblicken heßen. Um es nochmals zusammenzufassen: Peuckers
farbenplastische Karten sind nicht „raumtreu", wohl aber ,,raumabschätzbar" oder
kurz ,, raumschätzbar" und ferner „raumveranscliaiilicliiud" oder kurz ,,raum-
anschauUch". Schließlich sei noch bemerkt, dalJ ilie X.iliirtreue und desgleichen die
llnunitreui' Miif Karten auch desliallj nie erreielit weiden kann, weil in den Karten-
Die iiiorphugiaphisclii' Di-duktinu. j()l
bildern noch vielzu\ iel Konvention steckt, über die wir uns niciit «infach hinweg-
setzen dürfen. 1
291. Die GeländedaiNtelhiugMirl und ihre nialhcniatlNcIn' Forniulicrun::. Am
Schkiß seiner Ahhandhmg zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension
versucht Peucker den einzelnen Geländedarstellungsarten eine schärfere inatheniatisclie
FormuUerung zu geben und sie dadurch einwandfrei voneinander kenntlich zu machen.
Er geht von den Koordinaten der Fläche und des Baumes au.s, die er in den Funk-
tionen / (a-, i/) und / {x, y, z) weiter verwertet (j = Breite, ij = Länge und z = Hohej.
Im HinbUck auf das Geländebild der Karte will er die dritte, den Raum bestimmende
Achse meßbar und optisch anschaulich darstellen.
Für die Isohypsenkarte (Meßtischblatt) benutzt er die Darstellung
(1) .'/ = /(^..'/)+^-
Der Ausdruck 2/00 liedeutet, wie groß auch die Hoiien in der Natur seui nuigen,
nichts anders als 0. 00 = unbestimmt. Wenn mm / (j-, ij) das Gelände (g) in die
Ebene projizierte sowohl optisch, d. h. anschaulich für das Augenmaß, wie geometrisch,
d. h. meßbar darstellt, muß gleichfalls z diese beiden Eigenschaften haben, wie Peucker
es auch will. Durch die Formulierung wird freilich zum Ausdruck gebracht, daß die
Schichtlinienkarten die Höhen nicht optisch anschauüch wiedergeben, dagegen wird
durch sie nicht gesagt, daß man auf ihnen die Höhen messen kann.
Für die Schraffendarstellung lautet die Formel:
C-i) c, = i[x,y,^).
Dadurch soll gesagt werden, daß die drei Achsen wohl ansehaulieh benutzt, dagegen
die Höhen z im Gegensatz zu a- und y nicht meßbar sind.
Durch Verbindung der beiden vorstehenden Darstellungsartcn kuMinil L'eucker zu
Die Hohe z soll wohl mel.'>bar, aber nicht gleich .c und y anschaulich sein. Keinesfall>
drückt die Formel aus, da(j die Hohen meßbar sind, denn :/oo ist =0 für alle Höhen :.
Es läßt sich weder mathematisch noch symbolisch rechtfertigen, daß «ler .\us-
druck c/oo außerhalb der Klammer =0 ist. imierhalb derselben aiier einiMi Grad der
Meßbarkeit bedeutet.
'•») !/ = / (^. !/) + --•
Damit soll das Wesen der reinen (farbenplastischen) UolicnsehieliteiiUarliM eharak-
(erisii'rl werden. In diesen Kurten sind wohl alle drei Dimensionen kartogra[iiiisch
gegeben, aber nach Peuckers Ausführung ist keine der Hezieiiung zwisclien s inul //
gleichstehende Relation zwischen ~ und s, y hergestellt. Nach der l''ormel sind die
Hohen geometrisch wie optiscii gegeben, aber die Höhe r wini isoliert von ilem ül>rigen
Gelände dargestellt.
Als Gleichung für eine, wnm mimii so sagen soll, ideale Geliindedar^tclliMig findel
Peucker
(5) II - / (J. .V, -).
!10:t. I.li. •-T.e. S. 77.
502 J^io wissensoliat'tliclutn (JniiidUijicii der Gfliiiidi'dnratcllunp.
WO also .1-, y, : als .ulcicliwcrtige ßaumkoonlinalcii i rschciinn, d. li. was die Anschau-
lichkeit sowohl wie die Meßbarkeit betrifft. Jii der Erfüllung dieser l*'ormc4 erblickt
er die vollkouimne mul abgeschlossne dreidimensionale Geländedarstellung und glaubt
sie, wenn er es auch nicht direkt sagt, in seiner spektral-adaptiven Farbenplastik er-
füllt zu haben.
Formel (5) ist lediglich ein Ideal für eine Karte, das von keiner Geländedarstellung
erreicht wird, wohl aber, wie ich des öftern schon andeutete, von dem nicht über-
höhten Eelief, an dessen Profilen die Höhen direkt abgemessen, also in bezug auf die
Koordinaten a- und y ganz gleichwertige Messungen vorgenommen werden können.
Wo man die Peuckerschen Formuherungen auch anpackt, versagen sie mathe-
matisch, zwangsläufig auch in den Erweiterungen und Ergänzungen, die sie in den
„drei Thesen zum Ausbau der theoretischen Kartographie" gefunden haben. Schon
wollte ich versuchen, ihnen mehr eine symbolische Bedeutung beizumessen. Aber
dann bliehe immerhin unverständlich, wie man ein und derselben Variabein einen
doppelten Sinn, einen geometrischen sowohl wie einen optisch-anschauhchen geben
kann. Denn wenn schon diese Forderung durchgeführt werden muß, benötigt man
dazu zwei Gleichungen. Mit drei D(iiipelul(icliun«eii kann man zum Ausdruck bringen,
ob die Höhen der einzelnen Geländcdarstclliini^cn nieühar (m) und anschaulich (a) sind.
Für die Schichthnienkarte winden die (iliie.liimgen lauten:
I j; = / (a-, ;(/, a/oo) anschaulich := ü, also nicht anschaulich,
^ ' I g = f [x,y, vi) meßbar.
Für die Schraffenkarte :
(II) ' ^^^ ^^' ^' ^^Z^^™^ '"^^* meßbar,
1 fi = f (x, y,a) anschaulich.
Für die Verbindung von Schichtlinien- mit Schraffenkarte:
(III) ' ■' ^ fioc,y.m) meßbar,
I r/ = / (,;■, //. «) anschauhch.
Die Farbe ist hierbei als ein fünftes, und zwar als ein liuhenaljschätzbares
Element beim Geländeauf l)au der Karte noch nicht berücksichtigt. Für sie müßte
schon ein weiteres Glied in die Formel eingeführt werden, entweder in einer selb-
ständigen Gleichung:
g = / (a-. y> ■'') '
[wo s = schätzbar bedeutet, d. h. höhenabschätzbar in farl.ciiplastischem Sinne],
die sich als dritte Gleichung zu den beiden andern inil m und n gesellt, oder, da s
optisch dem II verwandt ist, als Ei-weiterung einer bestehenden Formel:
g = f{x,y,a,s).
Dieser Formel entspricht eine farbenpkstische HöhendarstelliinL( uiil Schichl liniin
und Schattenwirkung. Erst hierm kommt das Vollkommne und der IidIh- (irad der
Entwicklung der (leländedarstellungsmethoden, wie er in Peuckers System erreicht
wird, zum Ausdruck. Doch wie gesagt, sind vorstehende Formeln symbolischer Natur,
lediglich ein Mittel, um in brauchliarer mathematischer Form die Eigenart der Ge-
ländedarstellungen kurz zu |iräzisier<']i und sie darum besser ansoinnnderhalten y.ii
können.
Die iiiorph()f;ni|iliis('lir, Diriuktioii. f)(J3
20'J. GclüiiiUMlarslulliiii^' und Plastik. Die (leläiulcdarstelluiig, sofern sie rauni-
vciaiiscliauliclieiKl wirken soll, iiiiil.i eine gewisse Plastik besitzen. Für ilie clioni-
gniphischeii Kaiteiiliilder und die topographischen Übersichtskarten ist unbedingt
die Plastik oder die k(ir]M rliclir oder, allgemeiner ausgedrückt, die effektvolle Wirkung
nicht zu unterschätzen. .Ahm kennt imd schätzt die Plastik und hat über sie eben-
soviel (iutes wie Üi)erflüssiges geschrieben: ülier iin- Wesen jedoch ist man sich immer
noch nicht einig. Vielerlei Anschauungen und Begriffe werden da durcheinander ge-
schüttelt, ohne daß die Kompetenz der einzehien sorgfältig begrenzt wird.
Bei der Plastik muß zunächst ein Körper da sein, denn nur ein solcher läßt
sich plastisch abbilden. Angenommen, der Körper besäße keine Formen, dann wäre
es eo ipso nicht möglich, ihn plastisch darzustellen. Infolgedessen wird Körper mit
Körperformen oder kurzweg Formen identisch gebraucht. Eine weitere Folge ist.
daß, wenn ich etwas plastisch wiedergeben will. Formen vorhanden sehi müssen, und
daß es mithin im Grunde genommen gar keinen Smn hat, von einer besondern „For-
menplastik" in der Kartographie zu sprechen, geschweige deim von einer ,, Formen-
plastik der schrägen Beleuchtung". Jede Kartenplastik ist Formenplastik.
Auf topographischem Gebiet wird man am besten zwischen zeichnerischer
und wissenschaftlicher Plastik unterscheiden; demi nur durch die Manier und
die Darstellungsmittel werden die Unterschiede geschaffen, nicht durch die Form,
die in jedem Falle die gleiche bleibt. Schon die mittelalterlichen Kartengebilde geben
treffHche Zeugnisse für die zeichnerische Plastik, mehr noch die, die seit der
Renaissance den Kartenniarkt eroberten. Die Berge und die Hügel erscheinen darauf
in Vertikalansicht und werden durch mehr oder minder kräftig geführte Schatten-
striche plastisch hervorgehoben. Diese Art der Geländedarstellung starb vor etwa
einem Jahrhundert aus. Vielen jener Gebilde muß man sogar eine künstlerische
Plastik nachrühmen, da sie in ihrer Wirkung weit über den Eahnien einer einfachen
Geländemanier, die in gleichmäßig aneinander gereihten Bergformeu bestantl. hinaus-
ragen. Ganz scharf sind übi-igens auch heute noch nicht die Grenzen zwischen zeich-
nerischer und künstlerischer Plastik zu ziehen. Nach dem jetzigen Stande der karto-
gra])hischen Geländedarstellung muß man als reine zeichnerische Plastik die an-
sprechen, die durch Scliarung von Höhenlinien enlstaiulen ist.
Die kiuistlerisrhe Plastik kann man unter I iiiständen als eine Ai>art der
/eichnerisciien auffassen. Bei der schrägen Beleuchtung schwimmt sie so recht in
ihrem Fahrwasser. Es hat nicht an Versuchen gefehlt, dieser Plastik eine streng
wissenschaftliche Basis zu geben. In der Theorie ist nur einer leidlich ausgefallen.
doch auch er bat in der AusIVibrnng versagt. un<l bii keiner Geländedarstelluug ist
in praxi der w isMii-cball liclii' llinlergrund so verwischt worden als gerade bei der
schrägen Beleuchtung. Damit wird ihr kein Vorwurf gemacht. Auch hier zeigt sich
wieder, daß man von einer Sache nicht das fordern kann, was nicht in ihrem Wesen
liegt. Für gewisse veranschaulichende Zwecke ist die plastische Wirkung schräg be-
leucht(>ter Karten trotz aller i'anwände, die gegen sie von mancher wisseii.sciiaft lieben
Seite erhoben woiden sind, unentbehrlich und wird aucii in Zukunft nicht entbehrt
werden können. Selbst aus der wissenschaftlichen l'lastik leuchtet ein b'unken künst-
lerischen Köimens. Darum sind atich Sätze, wie der von V. Wessely: ,,Die Pla.stik als
Mitt(>l der Terraindarsteilung bietet nur sdieinbar groß.' Vorteile"», direkt von der Hund
' V. WcHKcly: J)ic Kttrto(jiiikj)liif. II.Tc>il. Jlii- Hciu/i-icliiuinn in Karton ii. Pliim-ii. Un-ini i
hiu.M 11. I^iiizig (lilOS). S. 45.
504 l>if wissenschaftliil.c'u (JniiulUi-oii lUr (icliindcilMi-stcllHng.
ZU weisen. Erfahrungsgemäß ahmt der Künstler, der am besten den anatomischen
Bau des Körpers versteht, die Natur in seinem Kunstgebilde am sichersten nach;
so wird auch der künstlerisch schaffende Kartograph, der die Gesetze des Aufbaues
und der Oberflächtngestaltung der Erde kennt, die besten plastischen Darstellungen
liefern. Also mit bloßem Kunstgefühl und reiner Intuition ist es in der Kartographie
nicht getan.
Die künstlerische Tlastik bedient sich entweder eines Eaibtuni'S oder iiiehrerer.
Dieser eine Farbton findet seinen Ausdruck entweder in Schraffen, Schummerung
oder Tuschton. Zu den ersten größern Karten, die sich eines einzigen Farbtons
(der Schraffen) liedienten, gehört die Dufourkarte. In der Schweiz hat sich seit Jahren
ein besonderer Nährboden für das kartographische Kunstschaffen gebildet. Ins-
besondere ist die künstlerische Farbenplastik zu einer Höhe geführt w^orden, die hart
an die Darstellung reiner Naturgemälde grenzt.
Zur wissenschaftlichen Plastik gehören Böschungsplastik und Farben-
plastik. Gegen die erstere Bezeichnung wird man einwenden, daß sie nicht gut ge-
wählt ist, weil bei ihr die Differenzierung durch ein Farbelement und nicht durch
die Methode oder Darstellungsmittel herbeigeführt wird. Doch das ist nur scheinbar.
Sie müßte ja auch richtiger k 1 i n o ni e t r i s c li e P 1 a s t i k heißen. Indessen geben wir uns
mit der üblichen Bezeichnung zufrieden, da unter ihr absolut nichts Falsches zu ver-
stehen ist. Sie wurde durch J. G. Lehmann in ein wissenschaftliches System gebracht
und ist seitdem kaum nennenswert verbessert worden. Der plastische Effekt geht
auf die Schraffe zurück; er kami auch durch eine Farbe erzeugt werden. Ausdrücklich
sei hervorgehoben, daß hier bloß die Plastik vor dem Forum der Erörterung steht
und nicht die Wiedergabe bestimmter Höhen.
Im Gegensatz zur künstlerischen Plastik, die von Haus aus subjektiver Natur
ist, soll die wissenschaftliche möglichst objektiv sein. Mit der „Farbenplastik" ist
infolgedessen auch nicht die ,, buntfarbige" Plastik der Schweizer Karten zu verwechseln.
Diese beruht auf einer Farbensymphonie, die der Natur direkt abgelauscht ist. Die
Far>)en vermischen sich und fheßen bei unbestimmten Grenzen ineinander über. Bei
der Farbenplastik liegt der Effekt in der gesetzlich geregelten Aneinanderreihung
von Farben, deren Eaumwirkung optisch und pln^siologisch untersucht und erprobt
wird. Neuerdings hat die Farbenlehre ganz hervorragende l<'ortscliritte zu verzeichnen.
Bevor viele unter ihnen für die Anwendung in der Kartographie reif werden, bedarf
es noeli niiiiielieilei ^'el■s^K■lle iiiul Erwägungen. Bis jetzt haben wir in der spektral-
adaptiven l'arlieiiplast ik K. l'euckers den bestgelungenen Versuch zu erblicken.
II. Die morphographische Induktion.
l'Xi. I>ii' lecliiiiseh-morph«lo|;isch(' (iclüiidelehre. Einz«llormeu, Gegenüber der
niorph()gra])hischeu Deduktion Ijeschäftigt sich die Induktion einmal mit den einzelnen
Formen und Formelementen und sodann iiii( der Kinreihung dieser Formen in ein
kartographisches Lehrgebäude. Deshalb sclieideii wir die technisch-morphologische
Geländelehre von der reinen Geländelehre aus, die es hi der Hauptsache mit
der Untersuchung der wissenschaftlichen Grundlagen der einzelnen Geländedar-
stellungen zu tun hat.
Die technisch-morphologische GeläiidckiiiKle IkiI sich in zwei Eichtungen ent-
wickelt, nach der rein technischen und der ineiu- iiio)])hologischen Seite. Jene empfängt
Die uiorpliogi-Hphiärhe hidukliuii. 505
iliiT Anrfgungcii und Arbeitsrichtungeii mehr aus dein Gebiete der Toiiugraiihie uud
Ciiudäsie und diese mehr aus dem der (ieographie. An die Vereinigung beider
Richtungen hat man noch nicht gedacht, obwohl auch da wertvolle und klärende
Gesichtspunkte gewonnen werden wiüden. Hat der (ieograph das theoretische Denken
voraus, so der Topograph die längere Autopsie, infolge der ständigen Beschäftigung
mit den Geländeformen. Manche nicht ganz einwandfreien Begriffe der neuem Morpho-
logie würden verschwinden oder auf ihr richtiges Maß zurückgeschraubt werden, wenn
man die Formen unter ., topographischer Brille" lietrachtet hätte.
Eben weil die Analyse der Geländeformen auf der Karte eine genaue Kenntnis
der Einzelfoi-men voraussetzt, ist die teclmisch-morphologische Geländelehre nicht
bloß ein wichtiges Kapitel der Geländeaufnahme, sondern auch der Morphologie wie
der Kartographie selbst. Mit der äußern Form der Geländedarstellung, der Orographie,
beschäftigt man sich seit einem Jahrhundert, aber erst der neuern Zeit gelang es, mit
einzelneu termini technici ein genetisches Element zu verbinden, dank der morpho-
logischen Forschungen verschiedener Geographen. Em ganzes Gebäude der technisch-
morphologischen Geländelehre aufzubauen, würde mich weit über den Rahmen der
hier bezweckten Forschungen und Grmidlagen hinausführen; es kami sich nur darum
handehi, auf einige typische Beispiele hinzuweisen, auf einige Formeneleniente. die
in der Morphologie selten oder nicht genügend gewürdigt sind.^
Die Entstehung der Scheitelfoi-men (Kuppe, Rücken, Platte [Plateau]) muß
besser als bisher entwickelt werden und sich im Kartenbild klar auslösen. Selbst-
redend werden Karten in Maßstäben vorausgesetzt, die die morphologischen Klein-
formen wiederzugeben gestatten. Also haben wir es da fast ausschließlich mit topo-
graphischen Karten zu tun. Morphologischen Großfonnen können auch die choro-
graphischen Karten gerecht werden. In morphologischen Untersuchungen vermisse
ich weiterhin die Unterscheidung von Längen- und Quersattel. Nicht übergangen
sei, daß mit A. Philippson die bessere Hervorhebung der Quellgebietc und Wasser-
scheidelinien in die topographisch-kartographischen Kreise eingedrungen ist.
Mit der Darlegung der Formen des Abhanges sieht es in den niorjihologi.sclien
L'ntersuchungen meistens recht ärmlich aus. obwohl sie kartügrajjhisch als fast voll-
ständig geklärt gelten kömien. Zu soldu'u Formen rechnen die Abhangsriicken.
Rasten (Rückenabsätze), Absätze, Rückfallkuppen. Nasen. Rippen, schiefe Steile.
Geländestufen. Damit bezeichnen wir die verschiedenen konvexen Formen des Ab-
hangs, denen die konkaven gegenüberstehen, also Mulden, Rinnen, Verschneid ungen.
Wasserrisse, Rachehi, Gruben, Löcher luul Trichter.
Wie der Scheitel und der Alihang bietet der unlere Teil des Berges, der Berg-
fuß, verschiedene Seiten der Betrachtung dar. Schon die FuBIinie. d. i. die (irenz-
iinie mit der Basis, auf der er aufsteht, bietet ein besonderes Feld der Betnichlung.
Unilaufl)erge uud Inselberge haben eine andere Genesis als massigere Erhebungen
und müssen dementsprechend im Karteiiiiild be.sonders behandelt werden. Beim
Bergfuß unterscheidet man Rideaus (Vorhänge). Ravins. Muren. Schwemm- oder
Schutikegel.
Mehr als für di" eiii/elneu Bergformelenunte hat die Kartographie aus der
i»isherigen Betracht img moriiliolugischi'r Talformen gewomun. Freilich mit dem
• Zn obigen Au.-*fUhninnen vgl. Fr. Hartni-r: Haiiil- und Lphrlnu'li der niptloni ticudäaiü.
ForigeHctzt von .1. Wastlor. nmgcftrlioitot viin EH. Holelal. 10. .\u(l. 11. Wion 1910. narntclluiii:
der Vcrlikftlaufimlinie S. 300 3.17.
506 l^i« wissnisi'lial'tlifhcn «irundliigcn der Grläiiilcil;iis(elhii){;.
Erosionszyklus iiimI xcrwandteu Betrachtungsweisfii \(iii W. M. l)a\is ist iiiclits
anzufangen. Duirii die übertriebene Betonung des iiuautitativm Faktors der Zeil
gegenüber der qualitativen Verschiedenheit der Oberfliiclienerscheinungeii crliiilt die
ganze Auffassung von Davis und seinen Anhängern, wie A. Hettner sagt, „etwas
Leeres und Schematisches; die Fülle der Erscheinungen im Landschaftsbild geht
verloren."! Für die amerikanischen Darbietungen bilden einen reichen Ersatz die
deutschen Forschimgen und Arbeiten, wie sie mit Peschel, Eütimeyer, Kichthofen
einsetzten und durch Philippson, Passarge, Hettner, Supan, Sapper. Joh. Walther u. a.
gefördert worden sind. Nur der bessern Anwendung oder umfangreichem Verwertung
mori)hologischer Begriffe in der Kartographie bedarf es noch, obwohl auch da bereits
gute Ansätze nicht zu verkeimen sind. Daß hinwiederum gewisse Rückwirkungen
auf die Morphologie stattfinden werden, erscheint mir nicht ausgeschlossen; denn
l)ei dieser kommt beispielsweise, soweit ich in der betreffenden Literatur Umschau
halte, nirgends zum Ausdruck, wieweit die begrenzenden Talwände Verschneidungen
bilden, wie es mit dem Vorkommen konkaver und konvexer Talsohlen und deren
Ursachen steht u. a.m. Mehr noch als die Morphologie oder die Lehre von der Ober-
flächengestaltung der Erde Gewinn von der Topographie und Kartographie hat,
werden umgekehrt diese von jener haben, insonderheit dort die Formen schon viel
systematischer und eingehender nach den verschiedensten Gesichtspunkten behandelt
worden sind, am ausführlichsten bis jetzt in dem System der Oberflächenformen, den
Formenkreisen und Sammelfoi-men von S. Passarge. ^
294. Die Geripplinieu. An die Kenntnis der Einzelformeu reiht sich das Studium
der Geripplinien. Dem gewandten Topographen sind sie in Fleisch und Blut über-
gegangen, nicht jedoch dem Geographen, dem sie noch fernliegen, obwohl auf ihre
Berücksichtigung — allerdings sporadisch — schon hingewiesen wurde.* Die Geripp-
linien umfassen drei Linienarten: Höhenlinien, Tallinien und FaUinien. Die Höhen-
linien oder Wasserscheider, von mir auch Gipfel- oder Höhenripplinien ge-
nannt, verbinden die höchsten Punkte der aneinander gereihten Höhen, die ja meistens
vergesellschaftet vorkommen. Sie ergeben in der Horizontalprojektion, also im
Grundriß, die genaue Lage der Höhen auf der Karte, in der Vertikalprojektion, also
im Profil, den welligen Verlauf der Höhenlinie (die Silhouette des Gebirges). Die
Kamm- und die Rückenlinien sind ganz dasselbe wie die Höhenlinien. Von ihnen
aus fließt das Wasser ab, darum die Bezeichnung „Wasserscheider". Das von (\vu\
Wasserscheider nach beiden Seiten (links und rechts zur Linienrichtung) abrinnende
Wasser fließt in den Talhnien zusanmien, wo es gleichsam gesammelt wird. Deshalb
wird die Bezeichnung Wassersammler erklärlich; ich selbst habe sie im Geographi-
schen Praktikum Talripplinien genannt. Bei ihnen wird man je nach der Weitung
der Talsohle von Binnen-, Mulden- und Tallinien sprechen. Von der richtigen Lage
der Gipfel- und Talripplinien hängt der gesamte Aufbau des Geländebildes ab. Wasser-
scheider und Wassersamnder werden durch die Tallinien verbunden, die durch das
Wasser bezeichnet und gezeichnet werden, das dem Gesetz der Schwere folgend vom
Wasserscheider zum Wassersamniler fließt. Charakteristisch für sie ist, daß sie sieh
' A. Hettner; Du- Davissche Lclirc in der Morphologie des Festlande.s. G. A. 1921, S. 6.
^ S. PaHsarge: Die Grundlagen der Ivandschaftskunde. HI. Die Obertlächengestaltnng der
Krde. Hamburg 1920, S. 468ff.
^ O. Krümme! u. M. Eckert: Geographisches Piaktikuni. Leipzig 1908, S. 2.').
Dil' mor]ihipgraphisclif Iixiiiktion. 5U7
iiiif ilcii Scliit'htliiiiiii mitcr nrlitcm Winlvd sclmcidni. In (l<r aimTikaiiisflicii
iluri)iiul(jgif fiiuku wir den Ausdruck ,,f;illiiK-," der iiu Deut.sclicu uliuc weiteres mit
..Fall-Linie" übersetzt worden ist', aber durchaus etwas anderes bedeutet als das
deutsche Wort ..Fallinie', insofern die „fall-line'" die Linie ist, die die Stromschuelleu
an den verschiedenen größern Flüssen verbindet und die obere Grenze der Schiifahrl
bildet. Um jegliche Konfusion zu vermeiden, muß es im Deutschen unbedingt ,,Wasser-
fallinie" oder sonst ähnlich heißen, nur nicht „Fallinie" allein. Zudem gebührt die
Priorität der Wortbildung^ „Fallinie" der deutschen topographisch-kartographischen
Wissenschaft .
Außer den drei Hauptgeripplhiien unterscheiden wir noch die Yerschneidungs-
uiid die Transversal- oder Schräglinien. Bei den erstem wechseln die Formen,
ein Böschungswechsel tritt ein, bei den andern wird die stetige oder gleichsinnige Ab-
dachung nur kurz unterbrochen. Die Transversalhnien köimen sich schräg über die
Abdachung hinziehen oder parallel zur Basis der Erhebung oder senkrecht zur Basis-
richtung verlaufen.
In das Kapitel der GerippUnien kann man die Untersuchung über die Schicht-
linien mit aufnehmen, weil im Grunde genommen der Verlauf der Fallinien ohne
Isohypsen kaum denkbar, geschweige konstruierbar ist. Und setze ich die Fallinie =
Schraffe. dann werden die Schichtlinien erst recht unentbehrlich. Das eigentliche
Feld der Untersuchung über die Schichtlinien gehört der reinen Geländelehre an.
Hier handelt es sich in der Hauptsache um den Verlauf der Schichtlinien. So wird
man darauf achten, daß sich bei Yerschneidimgen die Schichtlinien unter spitzem
Winkel schneiden, bei den Mulden dagegen bilden sie Kurven, die gegen die Höhe
ausgebogen sind. Bei den Binnen ist die Spitze der Schicht linienwinkel gegen die
Höhe gerichtet. Bei dem Wasserriß werden die Schichtlinien Bruchstellen aufweisen,
bei den Kacheln hinwiederum sind sie nur verbogen usw.
Das Studium der Geländeformen ist. wie wir oben schon andeuteten, mit der
Morphologie eng verknüpft. Diese bildet zum Erkeimen der Formen den besten W'eg.
Hinwiederum wird manche Betrachtungsweise, die für die Topographie notwendig
ist, für die Morphologie ohne Belang sein. Immerhin werden beide aus dem gegen-
seitigen Verständnis Nutzen ziehen. Wer beide richtig versteht, wird sich schon bei
der Kartenaufnahme, selbst bei eiligen Feldarbeiten, \or groben Fehlem schützen
und sofort sein Auge auf die Hauj)tsache zu richten wissen: denn selbst bei eingehendem
topogra])hischen Arbeiten soll nicht alles MögUche aufgenommen werden, sondern
nur das, worauf es ankommt, was eben zur Charakteristik des Geländes unumgängliib
notwendig i,«t.
•J!t."». hie iciiic (•t'lüiidfh'hrf. Bei der ninen (lilii lulelehre entfernen wir uns
Mielir und mehr von der Morphologie; d. li. deren Ergebnisse, soweit sie für den Aufbavi
einer Karte in Frage kommen, werden stillschweigend vorausgesetzt. Die reine
{Jeländelehre untersucht die Art und Weise, wie das Gelände zur Anschauung gebraclil
wird, die Mittel, die dazu gebraucht werden, die iniithematiselieii Voraus.setzungen.
dir als Hiclitscluiiir für dm (lelämleaufbau dienen, inid schließlich das Ergebnis, zu
' \V. M. l)avi> II, (;. Kniuii: Ciruiul/.Ugi- der IMiystuincogropliio. L(>ip2i)( ii. B<>rliit IHM. S. ll.'l.
\V. M. I)ii\ i«: l»ie I iUIüm-imIc HcsdirtilmiiL' <l«r Ijiiidfomirn. Dpiitwh tM<«rlH<ilrt vcui A. RUIil.
lA-ip/.it! u. Koilin KtiL'. S. lMo. IMI.
508 I^''' wissoiischaftlichfii ünindlagtn der Gclilndedaratclluiig.
dem die einzelnen Darstellungeu führen; kurz und gut: sie analysiert die wissenschaft-
lichen Grundlagen. Am zweckmäßigsten ist es, von dem dem Auge sich darbietenden
Mittel der Geländedarstellimg auszugehen und daran die nötigen Erörterungen und
Folgerungen zu knüpfen. Die vier Mittel smd Schraffe, Punkt, Schichtlinie und Farhe.
Die Schraffe tritt teils als BöseliunL'sx-liiatfe auf, als welche sie der sichtbare
Vertreter der Fallinie ist, teils als Schattiii^cln.i ll( . ;iU welche sie ledigUch der Plastik des
Terrains dient. Dort hat sie eme eminent wif^seiit-cliaftliche und geländeaufbauende, hier
eine ästhetische und geländeveranschaulichende Bedeutung. An die Schraffe knüpfen
sich die ersten großen Meinungsverschiedenheiten über den Wert der senkrechten
und der schrägen Beleuchtung. Von Neigung zu Neigung, regionalweise und stetig
ändert sie ihre Form. Sogar eine farbige Abwandlung muß sie sich gefallen lassen.
Aber selbst ihr wissenschaftlicher Unterbau gerät ins Schwanken, sobald man
bei ihr der Befolgung der wahren physikalischen Beleuchtungsgesetze nachforscht.
Diese Gesetze hinwiederum vermag der Punkt viel besser zu befolgen. Seiner Ein-
führung als Geländedarstellungsmittel müssen erst die Wege geebnet werden. Die
Wirkung der Schraffe und des Punktes spricht sich zunächst in einem Flächenton
aus. Die schwierige Herstellung dieser Art des Flächentones gibt den Hinweis, sie
durch andere, leichter zu handhabende Mittel zu ersetzen. Unter den Surrogaten hat
die Schummerung die größte Beth^itung erlangt. Sie bildet den Üliergang zum
reinen Farbenton.
Neben und mit der Schraffe hat sich die Isohypse oder Schichtlinie ent-
wickelt, die sich allmählich zum Korrektiv und wichtigsten Element der Gelände-
darstellung ausgewachsen hat. Obwohl sie nur eine ideale Linie ist, hat sie infolge
der realen Werte, die sie repräsentiert, direkten Einfluß auf die VeranschauHchung
der Geländeformen. Mit der Schraffe, diese als Fallinie betrachtet, führt sie zur
Konstruktion des Böschungsdreiecks imd ohne sie zu der des Profildreiecks. Den
andern Geländedarstellungen gegenüber haben die Schichtlinien den großen Vorzug,
die Bestimmung der Höhe von Punkten zu ermöghchen.
Das Bestreben, den Schichtlinienkarten mehr Leben und Anschauungslcraft zu geben,
hat dazu geführt, die Intervalle zwischen den Scliichthnien mit Schratten oder Farbe
auszufüllen. Hier reichen sich Schratten- und Schichtlinienkarte die Hand. Bei der
Anwendung der Farbe kolhdierten von vornherein zwei Prinzipien: je höher desto
dunkler und je höher desto lichter. Eine Einigung zwischen beiden feindlichen Lagern
kam erst zustande, als man sich auf die wissenschaftlichen (irundlagen besann und
je nach Zweck und Zielsetzung dem einen oder dem andern Prinzip den Vorzug gab.
Je höher oder je steiler desto dunkler ist sozusagen die glatte Übersetzung der
Böschungsschraffe in der Farbe, während das andere Prinzip : je höher desto lichter
oder leuchtender, durch die neuem Ergebnisse der Farbenlehre genährt wird und in der
spektral-adaptiven Farbenplastik einen vorläufigen Abschluß gefunden zu lia.bcn
scheint .
Während man fi'üher streng darauf achtete, nur eine Art der Geländedarstellung
für eine Karte maßgebend sein zu lassen, hat man alhnähUch (durch die Entwicklung
des Farbendiucks veranlaßt und gefördert) diesen Standpunkt verlassen imd sieht
besonders in geographischen und militärischen Kreisen in der Kombination ver-
schiedener Darstellungsmittel das Ideal einer Geländedarstellung. Selbstredend müssen
die Mittel auch irgendwie zusammenpassen oder je nach der Rolle, die sie bei dem
neu aufzubauenden Kartenbilde spielen sollen, in ihrer Wirkung abgestimmt werden.
.1. (;. Luliiiiami iiiiil sein Systftii. fiOfl
])ic Schichtlinien als neutrales Vcranschauiichungsmittel vertragen sich mit sänit-
Jiclibu andern Durstelluugsniitteln, also mit der Schraffe und dem Punkte sowohl wie
mit der Schummerung und der Farhenschicht. Aber auch hier wie fast überall in
der Kartographie sind Maßstab und Zweckbestimmung die ausschlaggebend« 'U
Faktoifii für die Anwendung dieser odiT jeiui- l\(inibiii:ilioii noh (leländedai-slellungen.
I». l)ie Br»s('liuugssclii-;tf1('.
I. J. G. Lehmann und sein System.
290. Die >'(»rliiiif»'r licliuiaiins. Von einer Kartograi>liie im moilernen Sinne,
d. L. von einer wisseuscbaftlicheu Kartographie reden wir erst seit jener Zeit, die \vir
als die „kartograjihische Revolution am Ende des 18. Jabrlnmderts" bezeichneten.
Die Karte bekam damals ihre innere matbematische Festigkeit, und zwar absolut neu
nach der Seite der Geländedarstellung. Die dritte Dimension Melt ihren Einzug in das
Kartenl)ild. Schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts begimien die Untersuchungen
und Vorschläge, dem Gelände durch die Schraffe gerecht zu werden. An der Lösung
des Problems haben sich Deutsche und Franzosen in gleicher Weise bemüht, bis
schließhch der Erfolg den erstem verbheb. Darüber war man sich längst emig, daß
die Berge ,,in der Situation sowohl aufzunehmen als zu zeichnen das Schwerste" bei
der Kartenherstellung sei.^ Älmlich wie Tielke urteilt der Rezensent der Geschichte
des Feldzuges der Preußen im „Mihtärischen Journal" (1778, S. 278): „Alles übrige
in der Zeichenkunst ist Symbol und leicht, nur die Zeichnung der Berge allein ist
Schwierigkeiten unterworfen, so wie sie auch das Wichtigste in den Bissen ist, denn
davon hängt doch alles, was zur Stellungskunst gehört, vorzüglich ab, folghch kommt
es dabei erstaunhch viel für eine gute Ausdrucksmethode der Berge an."
Die zu ihrer Zeit über das Maß des Gewöhnhchen hinausgehende Karte des Herzog-
tums Meckleidjurg-Schwerin2 des Grafen v. Schmettau bringt in der Erklärung
zur Karte eine weitläufige Belehrung über die Bezeichnungsart der Berge auf topo-
graphischen Karten, die darin gipfelt, daß die Bergstriche mit der Höhe der Berge
dicker gezeichnet werden sollen. Wie hier, so wurde schon auf Militärschulen, be-
sonders in Sachsen nach dem Grundsatz ...b> höher desto dvmkler" .schraffiert.
Bevor dieser Grundsatz in Fleisch mid Blut bei den Kartenzeichnern über-
gegangen war, sehen wir noch eine Anzahl Versuche, die je nach der Absicht der Ver-
fasser eine mancherlei abgeänderte G(>birgsdarstellung verfolgen, aber schließlich
in das gleiche Falirwasser, die dunkelste Schattierung tunlichst den iiöchsten Er-
bebungen, bzw. steilsten Bosclnmgen vor/,\il)ehalten. einmünden. Wiebeking,
' Tielke: Unteiiiilit für ilie Uffi/.ifif, die sieh zu l'Vliliiij;.'nieuis l.ilil.-n. Divstleu ii. ly-ip/ii;
I7ß9, §748.
'' Graf V. Schmettau: T»|)OKiii|)lii.Mih OekouomiHeli .Milit«riHelie Clmrle des ll<T7,oj;tliuiiis
MecklenhtiiK Srliweriii luid des Vüi-sU-utliuiiis lUUebiirg. 1:50000. Borliii ITHIl. Cuil.- .Iicn.
-iipliiriue cl niiliUiiv .lii .liulie de Meekleiili..iu«Sii^litz. 1 ::WiHX). H<TliM ITSii
510 Hie wi:*s.'ns(li:it(li.li,Mi GniiKlIiiKon der (!.«liiiwl.'<i:iist."lliini;-.
Hogreve, L.Müller, die Franzosm Martiiicl und (iraf d'H^rouvillei sind an dem Ausbau
des Schraffensystems tätig; bald waren rs nnr die höchsten Erhebungen, bald nur
die Böschungen und ihre Gangbarkeit, die der (rrgensfand kartngra]ilHSpher Unter-
suchungen und Darstellungen wurden.
Ob man Kreuzschraffen oder stärkere oder langgezogene Schratten für die höchsten
Erhebungen, bzw. für große Böschungen verwandte, alle litten sie daran, daß sie die
Unterschiede der Höhen niclit klar bezeichneten. Hayne sagte 1782: ,,Eine weite
N'erlängenang der Striche zeigt an, daß die Höhe hoch sei ... . Ob sie höher als eine
nebenliegende steile Höhe sei, ist in der Zeichnung sehr schwer zu beurteilen, weil man
das Sanftansteigende oder die Steile sehen, aber nicht den Unterschied ihrer Höhe
wahrnehmen kann."^ Der Ausspruch ist insofern wichtig, als er deutlich sagt, daß
durch die Schraffur die Böschungsverhältnisse, wenngleich ganz allgemein, zum
Ausdruck gebracht wurden, und daß man den l^lindruck gewisser Gradation auch
empfand. Wiebeking, der kurpfälzische Wasserhaunieister, hat dies an einer Kuppe
erläutert, die erst allmählich, dann stärker abfällt und zuletzt sanft ausläuft; die
Striche müßten dementsprechend am Anfang fein, dann stärker und endlich schwach
gezeichnet werden.' Er hatte außerdem noch ganz vernünftigen Ansichten Aus-
druck verliehen; wenn er aber ausführte, daß, um die Berge zu zeichnen, Urteils-
kraft, Augenmaß, Haltung, Harmonie, (lefühl zur Wahrheit und Kunstgefühl zu-
sammenwirken müssen, war die Bergzeichnung doch mehr auf eine Gefühlsbasis
gestellt, und die praktische Verwertung ging leer aus. Mit solchen zu allgemeinen
Anweisungen konnten sich militärische und andere Aufnehmer nicht genügen lassen.
Die Entwicklung der Kartographie und des Kriegswesens drängte von sich aus gegen
Ende des 18. .Jahrhunderts dahin, durch genauere Karten den kriegerischen Opera-
tionen mehr als bisher zu helfen und Methoden und Mittel zu ersinnen, damit die
Bewegungen der einzelnen Truppengattungen erleichtert würden; denn der Krieg
nahm bereits größere und verwickeitere Formen an. Es erschien eine Anzahl neuer
Methoden der Geländeaufnahmen, verbunden mit Vorschlägen zu neuen und wissen-
schaftlichen Geländedarstellungen auf topographischen Karten, Von militärischer
Seite aus wurde 1783 in Göttingen eine ,, Anleitung zur Aufnahme von einem Offizier"
veröffentlicht, ein Werk, das wohl ein Jahr später wie das gleich noch zu nennende
von L, Müller erschien, indessen diesem sachlich voranzustellen ist. In ihm wird vor-
geschlagen, die Unebenheiten durch Licht und Schatten in parallel gelegten Strichen,
die Höhe durch deren Länge und die Neigung durch deren Stärke zum Ausdruck zu
liringen. Absätze sollen durch kleme Berge markiert und die Böschungsgrade auf
dem Kamme der Berge angesetzt werden. Die Bewegungsmöglichkeit der Infanterie,
Kavallerie, der leichten und schweren Geschütze ist in vier Gradationen zu geben.
Ein klares zeichnerisches Prinzip, das sich überall gleich gut und mit gleichem Erfolg
anwenden läßt, ist durch die Göttingensche Anleitung nicht gegeben. Da war es der
in Friedrich des Großen Diensten stehende Ihgenieurmajor Ludwig Müller, der
durch verschiedene, zeitlich getrennte Vorschläge versuchte, die Sache zu meistern.
Die Bemerkung des großen Königs, die Stellen im Gelände, die für Kriegsoperationen
1 Berthaut: Les ing^nieura geogiaplios militaircs. J826 1831. Paris 1902. I. S. 47; über
Martine] S. 414, 425.
' Hayne: Deutliche und ausführliche Anweisung, wie man das niilitärischo Aiilricliiiicn nacli
dum Augenmaß ohne Lehnneister erlernen könne, Berlin 1782. § 366.
" 0. F, Wiebeking: Über topograph, Karten. Mülheim a. Jlli, 1792, S, 5.
.1 «. Lehiimim iiikI «(iiii System. r,|j
nicht tauglich sind, auf den Karten duich Kleckse zu hezeichnen, hatte ihm das Leit-
motiv gegeben, die stärkere Schraffe für die größere Steilheit zu verwenden und
damit die Böschungsverhältnisse anf der Karte ausdrucksvoller und bestimmter als
bisher zu bezeichnen. 1782 hatte Müller sein System fertig», das er ui seinem Werk
über die 'l'errainiehro 1800 wenig verbessert neu herausgab. Er unterscheidet Erd-
und Eelsengradationen; von militärischem Standjinnkt aus waren nui- die erstem
von "Wichtigkeit, für die er eine nach Winkelgrößen geordnete Abstufung ,, Dossierimg'"
gab. Er nennt emen Abhang von mehr als 24facher Anlage (Dossiening) oder (j Zoll
Steigung auf 1 Euthe unmerklich und zeichnete ihn weiß,
liei •24fncher 'Dossierung sanft: iv'm gerissene Striche,
., 12 .. .. flach: fein zusammenhängende Striche,
(■( ., .. prall: stärkere Striche,
3 .. .. stark: stärkere Striche, mit darüberlieg. feinen Strichen,
■2 .. .. steil: stark abgesetzte Striche,
., 1 .. ..(45«) jäh: dicke abgesetzte Striche.
Die (lariilicrgchcnden Feisengradationci) wunlt-ii von Müller sc-liroff. senk-
recht und hohl (überhängend) benannt uml diircli (liekc :iligcsitzff Stridu' mit feinen,
starken und dicken Ouei'strichen bezeichnet.
Das Müllersche System ist das erste, das nach \\ iiikelgrußen und dem (irundsatze
,,je steiler desto dunkler" abstuft. „Mit der Aufstellung dieses Prinzips streifte die
Böschungsschraffierung", wie K. Peucker sagt. ..sozusagen die Kinderschuhe ab.
hat sich die Manier vor dem schwankenden l'xuleii des künstlexischen Gefühles hin-
weg auf die (vom kartographischen Stan(l]nuikte) Imliere Stufe eines bewußt be-
folgten Prinzips erhoben."^ Daß es sehierzeit Anerkennung und Berücksichtigimg
in MiUtärscimlen fand, ist leicht erklärlich, und trotzdem war es Willkürlichkeiten
ausgesetzt, denn jeder Zeichner konnte sich, ohne die Müllersche Skala zu verletzen,
eine eigne Tonfolge anlegen, da die Stärke, die den einzehien Tonstufen zu geben
war, nicht klar und eindeutig fonnuliert wai-.
Dieser Mangel wurde durch den sächsischen Major J. G. Lehmann glücklich
l)ehoben. Unabhängig von Müller entwickelte Lehmann seine Lehre; er ging von ilem
Prinzip ,,.le höher desto dunkler" oder richtiger gesagt: ...Je steiler desto dunkler"
aus, das zu seiner Zeit schon gang und gäbe und nicht erst von Müller geschaffen
worden war. Zuerst veröffentlichte Hauptmann Backenberg die Lehmannsche
Manier, indem er selbst darauf aufmerksam macht, daß die Idee, die Sciu-affen nacli
einem bestinmiten System zu zeichnen, von seinem Schüler liflimann herstamme.-'
Wie Müller legte Lehmann das Schwergewicht auf die i'',rdgradationen, die Eelsen-
gradaticmen spielten für ihn gar keine Rolle. Während Müller bei den ersten (inida-
tionen nur sechs Stufen bestimmt, führt Lehmann liis zur Neigung von 45' neun
gleichmäßig abgegrenzte Stufen ein. deren Wesen und Bech-ulung wir an der Hand
der Lehmannschen DaHegiingeii iiäiier kennen lernen wollen.
' L. Müller: Vor>ichrift<^ii zu iiiilitnriH<'lu<n l'liin- und Kart<>nwichnuii(iPn. rot.-Mliim I7S2.
- K. Peucker: ScliatU^nplastik u. Farbeiiplastik. Wien 1S9S. S. .12.
' UaikciilxMj;: Ix'hrlmch der KrieijHwijwenHrlmften. tilr che ({odilrfniiwe der ehurfUrHtlieli-
sii< liHUrlwii lliU<'i'iikadi-ini<'. Dresden I7t)7. II. S. tl-t .
512 I^i«' wisseiiscliaftliclun (Grundlagen der (icliimiiMlarstcUnng.
297. Das liehinamiselip Syslem und seine wissenschaftliche Voraussetzung.
])or SchraffpiularsliUunf,' ein l)rauehbaros und ■wissenschaftliches Lehrgebäude ge-
schaffen zu haben, ist das unvergängliche Verdienst des sächsischen Majors Johann
Georg Lehmann (17G5— 1811). Sein berühmtes Werk „Darstellung einerneuen
Theorie der Bezeichnung der schiefen Flächen im Grundriß oder der Situations-
zeichuung der Berge" erschien mit drei Tafeln ausgestattet 1799 üi Leipzig, nachdem
das Manuskript dazu dem Verleger bereits im August 1796 überlassen wurde, da es
zur OsteiTaesse 1797 herauskommen sollte. Ei-weitert und verbessert erschien Leh-
manns Terrainlehre ein Jahr nach seinem Tode, 1812 „Anweisung zum richtigen
Erkennen und genauen Abbilden der Erdoberfläche, in topographischen Karten und
Situations-Planen." 1 G. A. Fischer hatte die Ausgabe besorgt. Er gemeinsam mit
K. A. Becker hal)en sich der spätem Auflagen angenommen, miter denen die vierte
vom Jahre 1828 stark verbessert und vermehrt imter dem Titel erschien: „Die Lehre
der Situations-Zeichnung oder Anweisung zum richtigen Erkemien imd genauen Ab-
1 lüden der Erd-Oberfläche in Charten imd Planen. "^
Die Literatur über Lehmann, d. h. über seine Theorie, ist zu emem ansehnlichen
P>erg angeschwollen. Noch heute wird er bei jeder möglichen und unmogUchen
Gelegenheit herangezogen, ohne daß man sich die Mülie gebe, auf seme Originalbe-
richte zuriickzugehen ; und doch muß man sie studieren, wenn man Lehmann richtig
verstehen und einschätzen will.
Lehmaim war ein glänzender Topograph, wie es nur wenige gegeben hat, und ein
feiner und scharfer Beobachter. Sein ganzes Wirken und Streben wurde von dem
Grundsatz geleitet, die Natur wahr darzustellen. Als ein erster beschäftigte er sich
mit der Entstehimgsgeschichte der Berge (s. S. 212). Durch eisernen Fleiß und be-
wundernswerte Energie war er vom Müllerknappen zum Major und Oberaufseher der
IvOnigUchen Plankammer in Dresden emporgestiegen; unentwegt ging er trotz vieler
(iegner seinem Ziel entgegen, ein möghchst naturwahres Bild des Gebirgsaufbaus
in der Karte wiederzugeben. Die Gebirge bildete er in Modellen nach, durchschnitt
sie mit Horizontalen, setzte die Striche der Situationszeichnung, wie die Tropfen auf
schiefer Fläche herabriimen, nach dem Gesetz der Schwere, senkrecht an jene an,
und gab ihnen dadurch sichere Lage. Er schuf, wie bereits G. A. Fischer ausführte,
die Basis zu einem haltbaren Bau, indem er alles Willkürliche verschmähte imd so
die Manier zur Wissenschaft veredelte.
An der Hand der Lehmannschen Ausführungen und Abbildungen und der
Fischerschen Erläuterungen wollen vnr uns zmiächst einen Einblick in den Bau des
Systems verschaffen. Lehmaim geht von der Überzeugung aus, daß in der Topo-
graphie ledighch eine senkrechte Beleuchtung der Erdoberfläche angenommen werden
kann; denn nur bei der vertikalen Beleuchtung läßt sich die Größe des Neigungs-
winkels der schiefen Fläche aus der Stärke der Beleuchtung ermessen. An einer
Abbildung fßild 3) weist er nach, daß die Stärke der senkrechten Beleuchtimg, also
1 Mit sieben Kupfertafeln. — Als Anhang oder 2. Teil erscheint: Anleitung zum vorteilhaften
und zweckmäßigen Gebrauche des .Meßtisches, aus einer Reihe praktischer Erfahrungen hergeleitet
u. entworfen von J. G. Lehmann. Herausgegeben u. ra. einigen erläuternden Anmerk. versehen
von G. Aug. Pischcr. Mit 4 Kupfertafeln. Dresden 1812.
- Herausgegeben u. in. Erläuterungen versehen von K. A. Becker (kgl. sächs. Major) u. G. A.
Fischer(Profe8sorand.kgl. Sachs. Ritteiakademie). 2 Teile. Mit 25 Kupfertafehi. 4. sehr verbesserte
u. vermehrte Aufl. Dresden u. I^eipzig 1828. — Dazu besonders: Pläne zur 4. Aufl. der Lehre der Situa-
tionszeichnung von J. 0. Lehmann. 25 Blätter. Dresden u. Leipzig 1831.
J. G. Lehmann und sein System. 5J3
die Menge des Lichtes, das auf die schiefe Ebene fäUt, sich l,ei verschieden großen
Winkehi („Flächenwinkehi") wie die Kosinus dieser Winkel verhaUen. In Bild 3 ist
m c = bd und ec==fg;vic^ cos a und e c = cos /i; i; r/ empfängt dasselbe Quantum
Licht wie b c und f g wie / c. Infolgedessen verhalten sich die Beleuchtungen beider
Flächen wie bd:fg,d. h. wie cos a : cos ß, oder wie die Kosinus der Neigungswinkel.
In Bild 3 empfängt ac als Fläche (0" Neigimg) das
volle Licht, die vertikale cihj (90" Neigimg) kein Licht,
ist mithin in volles Schwarz getaucht. Die Kosinus der
willkürlich angenommenen Neigungswinkel a und ß.
also mc und e c, oder was dasselbe ist, bd und/;/
bringen das VerhäUnis der Beleuchtung zum Ausdruck.
Dagegen drücken a m und a e den Mangel an der vollen
Beleuchtung aus oder den Anteil an Schwarz, wodurch
jede Neigung bezeichnet werden muß. In der altern
Mathematik bezeichnete man am und ge als Sinus
versus der Neigungswinkel a und ß, und fonnuHerte
in Kücksicht 'darauf den Satz : Bei den verschiedenen
Neigungen der Flächen verhält sich der Anteil des
Schwarzen zum Anteil des Weißen wie der Sinus versus
des Neige- (Neigimgs-) Winkels zu dem Kosinus
desselben. Heute sagen wir für Sinus versus am = r
(1— cosa) und wenn r = l, alsdann «m = l— cos« imd für « e = 1 - cos /}.
Infolge von Naturlieobachtungen (geologisch-orographischer Art) und mili-
tärischen Erwägungen ging Lehmann davon ab, die schwarzen und weißen Anteile
auf den verschieden geneigten Flächen von 0-90" zu bestimmen. In dem tiebiet.
das er topographisch erschlossen und aufgenommen hat, also in Sachsen mit semen
Mittelgebirgen, hatte er beobachtet, daß die Flächen mit Neigungen von über 45»
unzugänglich waren und nur zerrissene Felsen zeigten, die „für niemandes Geschäft
ein wichtiges Interesse" hatten. Auch für mihtärische Bewegungen kamen solche
Flächen nicht mehr in Betracht. Hingegen war .es ein dringendes Bedürfnis, alle
zwischen O» und 45« geneigte Flächen in der Zeichnung genau imd deutlich erkennen
zu lassen, d. h. die Grade ihrer Beleuchtung so viel als möglich unterscheidbar und
tlamit kenntlich zu machen. Eine weitere Folge dieser Erwägungen war. daß Lehmann
die horizontale Ebene mit vollem Licht, nämlich weiß, die schiefe Fläche von 45» mit
vollem Schatten, also vollkommen schwarz bezeichnete. Dadurch war das ursprimg-
liche Veriiältnis des Schwarzen zum Weißen ins Schwanken gekommen; ganz richtig
folgert Lehmann, daß bei der Bezeichiuing der Extreme von 0» und 450 ,|i,. /wischen"
fälle oder Grade mit einer Mischung bezeichnet werden, „in der sich der Anttil des
Schwarzen zum Anteil des Weißen verhält, wie der Sinus vi-rsus des <loppelten ge-
gebenen Winkels zum KosiuHS dieses doppelten Winkels." Mithin wendet Lehmann
bereits die Überhaltung an, im voHiegenden Fall.- also .'ine doppelte Tberhaltung
der Büschungsformen, bzw. der Schatten.
Bild
em durch und dureii
eben gekennzeichnet«
298. Abänderung der wissenschaltliehen Grundlage. Als
l)raktischer Mensch' erkannte Lehmann zunächst, daß dies
' Die prakti.«chc Seite Lehmanns w.iU K. v. Sydow in einem Brief vom 2".. .Vpi
A. Steinhauser bes. hervor/.uheln-n. Mit. .1. (leogr. Ues. in Wien. 1888. S. 70.
Kckcrt, Karlenwlnaiucbart. I. !)H
514
Die w
haftli
n\ (irundlagoii clor Gelanili'ilarstflhing.
Verhältnis von Weiß und Schwarz tTir dii' Ausüluing- und den (tehraiieh zu schwierig
sei, und sodann, daß für die steilern Abdachungen zu große UnterschieiU' und für
die flachen zu geringe zur Darstellung kamen. Gerade die von 0—10" geneigten
Flächen verlangen mehr Unterschiede, da sie auf der Erdoberfläche häufiger auf-
treten und für die Kultur der Menschheit wichtiger sind als die von 20"— 45" geneigten.
Lehmann gelit nun weiter dem Gedanken nach, ob es nicht zweckmäßiger sei, das
Verhältnis des Schwarzen zum Weißen auf die Sinus der Flächenwinkel zu gründen,
die für die flachen Winkel mehr Unterscheidung geben als die steilern. Doch kam
er auch hier zu keinem befriedigenden Endergebnis; denn gerade das leicht Faßliche
und das leicht Anwendbare sollte sein System auszeichnen. Darum stellte er kurz
entschlossen folgenden Satz auf: „Die Stärke der Beleuchtung verhält sich umgekehrt
wie die Größe der Flächenbeleuchtung selber", oder was dasselbe im Hinblick auf
sein System ist: „Die Menge des Schwarzen zur Menge des Weißen verhält sich wie
der gegebene Winkel zu seinem Erfüllungswinkel (wir sagen heute ,, Ergänzungs-
winkel") auf 45"." Beispielsweise verhält sich bei einem Flächenwinkel von 2" das
Schwarz zu Weiß wie 2 : (45 — 2) = 43 oder 1 : 21, und umgekehrt bei 43" wie 21 : 1
oder 43 : 2 = (45 - 2) : 2.
Zu dem Satz über das Verhältnis von Weiß zu Schwarz bei geneigten Flächen
gelangte Lehmann weniger durch das physikalische Gesetz der Beleuchtung geneigter
Flächen als vielmehr durch ein anderes der
Physik, das katoptrische der einfallenden und
zurüclcgeworfenen Ijichtstrahlen. Er nahm eine
glatte Kugeloberfläche an, die von senkrechten
parallel verlaufenden Lichtstnahlen getroffen
wird. Li Bild 4 seien a-, y, z, s die senkrecht
einfallenden Lichtstrahlen. Punkt a erscheint
dem in perpentikularer Richtung darüber be-
findlichen Auge am hellsten, weil der auf diesen
Punkt fallende Strahl in gerade Eichtung in
sich selbst zurückkehrt. Die in h, c . . . n auf-
fallenden Lichtstrahlen werden unter gleichem
Einfallswinkel in schiefer Richtung zurück-
geworfen. Je mehr dieser Einfallwinkel zu-
nimmt, um so schräger erscheinen die be-
leuchteten Punkte dem Auge , bei einem Ein-
fallwinkel von 45" wird der Strahl in horizon-
taler Pichtungw.s reflektiert, d. h. Punkt« erscheint mibelichtet und muß, für
den Zweck der Situationszeichnung betrachtet, mit vollem Schwarz gezeichnet
werden.
Aus vorstehenden Erörterungen ist ohne weitt-res zu schließen, daß sich
das Schwarz zum Weiß auf geneigten Flächen verhält wie die Refraktions-
winkel der Lichtstrahlen zu ihrer Ergänzung zu 90", oder was das gleiche ist:
wie die doppelten Neigewinkel der Ebenen zu ihren Ergänzungswinkeln, zu 90",
oder wie der Neige winkel selbst zur Ergänzung von 45"; denn es ist: ■^aob =
■^yhk = 4= fe b y', und (\a^yblc = Va -4= ?/ ^ ?/'> ^^^- folglich -^aoh =-- Va V ^ ])'•
Mithin sind 2^aob= -^y b y', el)enso 2 -^ « o c = ^ ,■■ c :' und schlieL'.lich
2 ^ a 0 M = '^.s n .s'.
Bild -i.
J. G. Lplimami und sein System.
515
M'/.t man für den 4= « o ft = 5", -^ a 0 c = 10° und so fort las -^1 0 h = 45"
\'crhältius zwischen
Neigung der
Hefraktioas-
Ergänzungs-
Kefraktions- und
Fläche
winkel
winkel zu 90»
Ergänzungswinkel oder
zw. Schatten u. Licht
0"
0»
90»
0:9
5"
10»
80»
1:8
10»
20"
70»
2:7
15»
30»
60"
3:6
20"
40»
50»
4:5
25»
50"
40»
5:4
:}0"
60«
30"
0:3
n5»
70"
2(1"
7:2
40»
80"
10»
8:1
45"
90"
0"
0:0
Wird nun oino Fläche gleichförmig mit gleichlangen und gleichstarken Feder-
strichen belegt, muß sich die Menge des Schwarz zur Menge des Weiß verhalten wie
die Breite des schwarzen Striches zur Breite des nebenliegenden Zwischenraums.
Nach vorstehender Tabelle läßt sich der Anteil an Schwarz innerhalb eines bestimmten
Raumes einer Böschungsfläche leicht l)estimmen. Da durch die Menge der Striche
ein gewisser Grad der Dunkelheit ausgedrückt wird, das Geländebild also ein
gemischtes oder getuschtes Aussehen erhalten soll, müssen die Striche so fein sein,
daß das Auge sie in einiger Entfernung nicht mehr zu unterscheiden vermag. Hin-
wiederum müssen sie, um ihr Verhältnis doch zu erkennen, so stark sein, daß man
bei kürzerer Gesichtsweite, in der das gesunde Auge am schärfsten unterscheidet,
ihr Breitenverhältnis noch so deutlich erkennen und schätzen kann, als es d(T Zweck
der Zeichnung erfordert.
299. Lohnianns Lchrsiitzo. Dio Schii-hllinip ho! Lphinanii. (berall, wo wir bei
Lehmann hinleuchten, haben wir die Empfindung, daß er sehi Sj-stem liis ins Kleinste
durchdacht und erprobt hat. Es kristallisiert in zwei Lehrsätzen, deren einen wir
kennen gelernt haben mid der mit Lehmannschen Worten nochmals wiederholt sei:
Bei jed(>r, dnreii Striche a ngrdeu t et tn , zwischen 0" bis 45" liegenden
Neigung einer l'',li<iic vcrliiilt sieb di.' Menge des Weißen wie der ge-
gebene Neigungswinkel zu seinem J'jinfall winkel zu 45". Sein zweites
Theorem lautet: Die Lage der Striche muß allezeit rechtwinklig uut der
Horizontalen stehen. Viele vermuteten, daß Lehmann die Horizontale Itereits
angewendet habe, aber in sein Werk selbst haben sie nicht hineingeschaut. In der
Tat hat er das Wesen der Horizontalen gekannt wie kaum ein anderer seiner Zeit.
Deshalb lassen wir ihn gleich seliist zu Worte konnnen: „Eine um einen freistehenden
Berg gelegte Horizontallinie trifft mit ihrem Endpunkt wieder in dem Anfangspunkt
zusammen, und eine Linie mithin, die rechtwinklig durch die Bii.schungsstriciie
gelegt wird, ist eine Horizontale, und muß dann aueii diese Eigenschaften nach der
Zeichnung haben; sie ist die DiirciisebnillsliMie einer durch den Berg gelegten Hori-
zontalebene. iiiil der schiefen AußeMfiiicbe des Berges; alle solche Durchschnitts-
516 Die wisscnseluiftliclicn Gniiidlagen der Geliiiulcdarstellung.
ebenen sind miteinander parallel, und zwei um den lii-r^ f;c/op;('iic Ildrizontalcn
haben in allen Punkten gleiche senkrechte Entfernungen voneinander, aber die
Horizont aleutfernungen dieser Punkte können sehr verschieden sein." Zuletzt sagt
er noch: „Alle um einen Berg gezogene Horizontalen geben zugleich die Lage der
Büschungsstriche an, da sie rechtwinklig durch jene liegen, und die Lage dieser
Büscluingsstriche läßt sich um so leichter bestimmen, je mehr der Horizontalen ge-
zogen werden."! In dem fertigen Kartenbilde ließ er die Hfihenlinien nicht erscheinen,
weil ihre genaue Lage infolge der seinerzeit nocli ermanf^dndcn Holicnbcstiinniungcii
mehr oder minder imaginär war. Für ihn war die Horizontallinie lediglicli ein reines
Kar ten kons truktionselement. Die Geländeneigungen konnten mit dem Qua-
dranten genügend sicher ermittelt werden, um aber den Ijauf der Horizontalen zu
erkennen, bedurfte es eines eingehenden Studiums der Formen an Ort und Stelle.
Das Auge mußte außerordentlich scharf beobachten. Nach ihm konnte das Krokieren
nicht sorgfältig und gewissenhaft genug sein. Das war auf die Ausbildung der damahgen
Topographen von größtem Einfluß, und wir wissen, daß aus seiner Schule ganz vor-
zügliche Topographen hervorgegangen sind. Er stellte ferner den Grundsatz auf,
daß nur da, wo das Land im Grundriß aufgenommen ist, die Geländeformen riclitig
nach Ausdehnung und Lage dargestellt werden können. Schheßlich legte er auf di'n
Entwurf der Geri})phnien, die unbedingt zum Grundriß gehören, großes Gewicht.^
300. Lehtnaiiii im Urteil seiner Zeltgenossen uud Nachfolger. Lehmann hatte
den Barm des Herumtappens nach einer brauchbaren Geländedarstellung gebrochen
und wurde einer der Begründer der modernen Geländedarstellung, weil er, wie Peucker
so schön und treffend gesagt hat, ,,die Bergstriche in das mathematische Gerüst der
dritten Dimension einfügte und sie mit kräftig ordnendem Ruck streng senkrecht
zu den Horizontallinien stellte.''^ Bei vielen seiner Zeitgenossen hatte Lehmann Ver-
ständnis gefunden, doch ist auch seine Theorie bei Lebzeiten sowohl wie nach seinem
Tode teils widerwillig anerkannt*, teils heftig angefeindet worden^, und trotzdem hat
sie ihre Lebensfähigkeit bis auf unsere Tage bewiesen, eben weil sich in ihr ein wahres,
leichtverständliches, wissenschaftliches Lebensprinzip offenbart. Sie indentifizierte
den Wechsel der Böschungen kartographisch „mit einem ziffernmäßig bestimmten
' J. G. Lehmann: Darstellg. einer neuen Theorie der Bezeichnung der schiefen Flächen im
Gnmdriß oder der Situationszeichnung der Berge. Leipzig 1799, S. 87, 88.
- All diesen letzten Punkten legte auch Br. Schulze bei der Würdigung Lclunanns grolJo
Bedeutung bei. Vgl. sein Werk: Das militärische Aufnehmen. Berlin u. I>eipzig 1903, S. I7.'i.
^ K. Peucker: Farbenplastik u. Schattenplastik. Wien 1898, 8.33.
' Dem Aufsatze C. Hödlmoser „Über Terraindarstellung in Karten", Mit. d. niil.-geogr.
Tnst. Wien 1898, entnehme ich, daß unter andern Meinert in seinem 1800 erschienenen Lehrbuche
dei- Kriegswissenschaften schreibt, daß er „für seine Person dieser vollständigen Theorie ganz und
gar nicht ergeben sei, aber doch wünsche, alle Situationspläne wären nach derselben ausgearbeitet
oder würden in der Folge danach entworfen."
' Noch ehe J. G. Lehmann seine Theorie der weitem Öffentlichkeit preisgab, waren ilim bereits
Gegner erwachsen, so in dem preuß. Obersten von Le Coq, der in den Allg. Geogr. Ephemeriden,
Sept. 1798, die Unanwendbarkeit der Lehmannsclien Zeichenlehre nachzuweisen versuchte. Sclilimnier
gegen L<'hmann benahm sich ein Offizier des sächs. Ingenieurkorps im Berliner Militärischen W'oclieii-
lilatt, indem er hervorhob, Lehmann habe erst die sächs. Zeichenmanier erlernt, um sie aU sein er-
.sonncncs Werk herauszugeben. Dabei ist ein Kriteriiun der sächs. Manier jener Zeit die Kreuzschraffur!
Vgl. J. G. Ixhmann: Die Lehre der Situationszeichnung. 4. Aufl. 1828, S. XV der Einleitung. —
Ausführlichcrc Mitteilungen und Urteile über Lelunanns Methode finden sich z. B. in verschiedenen
Jahrgängen der „Österreichischen milit.-Zcitschriff, Wien 1823, 1826, 1833.
J. G. Li;liiiiiinu und sein System. 517
Wechsel des Vcrhiiltiiisses der Scliraffenbreite zur Breite des weißen Zwischenraumes."
In ihrer mathematischen Bestimmtheit Hegt eine veranschaulichende Kraft, die man
bis dahin nicht kannte und vergeblich gesucht hatte. Normen und Regeln werden ge-
geben, wie die Schraffe auszusehen und zu liegen hat, wie dadurch ein der Natur ent-
sprechendes und i)lastisches Kartenbild jederzeit ohne das bisherige Leitseil der karto-
graphischen Darstellung, die persönliche Geschmacksrichtung, geschaffen wird. Ent-
sprechend der gesamten Konstniktioii einer Karte lernten die Menschen abstrakter
und kartographischer denken und das tieländebild nicht bloß nach dem Gefühl auf-
fassen und beurteilen.
Selbst Chauvin, der kein ]<reund der Lehmamischen Methode war, mußte
zugeben, daß Lehmann der erste war, der ein vollständiges, logisch entwickeltes und
man kann nicht anders sagen, auch geistreiches System aufstellte und daß die un-
endliche Einfachheit seiner Theorie, die in der Tat in demselben Maße verständUch
und bündig wie ihre Anwendung schwierig ist, ihr viele Gönner verschafft hat, aber
auch, weil ihr „keine rationelle, praktische oder wenigstens den Anforderungen
einigermaßen entsprechende Methode entgegengestellt worden isf'i, was eben für
tlamals schlechterdings unmöglich war. Nach obigen Ausführungen wird auch Peter-
manns Urteil hinfällig, daß die Böschungsschraffen in Ijezug auf exakte Nutzanwendung
nur imaginären .Wert besitzen, und auch in der mit größter Sorgfalt gezeichneten
topographischen Karte nur dazu dienen können, die Neigungsverhältnisse im all-
gemeinen zu veranschaulichen. 2 Merkwürdigerweise pflichtet Oberhummer diesem
Urteile bei.' Bei aller Hochachtung vor Petermann scheint dieser sich in die Kenntnis
des Wesens der Lehmannschen Böschungsschraffe nicht allzu tief hineingewagt zu
haben, und man muß sich wundern, daß er über das Urteil eines so gewiegten Karten-
kenners und Kartogi-aphen, wie E. v. Sydows, hinw^egsieht, das verschiedentlich
schon in Petermanns geographischen Mitteilungen zum Ausdruck gekommen war,
.selbst in dem Jahrgang, wo sich Petermann gegen Lehmann geäußert hatte, und in
dem Sydow hervorhebt, daß es sich bei der kartographischen Geländedarstellung
nicht darum handle, das Ansehen einer Landschaft bei dieser oder jener Beleuchtung
kenni'n zu lernen, sondern vielmehr darum, nach Lehmanns Prinzipien das Modell
der Geländeformen in den wahrt'n Verhältnissen zu erfahren.* Bedeutimgsvoller ist
das Werturteil, das er über Lehmann in seinem klassischen Aufsatz Drei Karten-
klip))en niedergelegt hat: ,,Wer die Ijehmannschen Grundsätze kennt, wie er durch
Annahme senkrechter Beleuchtung jede Täuschung ))eseitigt und durch scharf zu
bestimmende dunklen» oder hellere Abtönung den Neigungsgrad der Bodenflächeu
Ijezeichnet, der wird zugestehen, daß damit ein großer Schritt vorwärts erfolgt und
für die Theorie im allgemeinen wenig mehr zu wünschen übrig blieb. W'er aber auch
die Schwierigkeit einer richtigen Terrainzeichnung a la Lehmann und ihre große
]"jmi)findlichkeit für zweifellos richtige Auffassung l)ei lun- geringer .\bweichung von
der Theorie kennt, dem wird es eiiil( iiehdii, daß is bei geographischen Kard'u'' nur
' F. Chauvin: l)a.s ]ioi>!/.c-klimn iuti..iull cnlwuk.lt. Ik-rlin ISM. S.S. 0. 10.
- A. Pctrimann: Die Schweiz. P.M. 18««, S.A'M.
' E»fi. Olx'rliunimor: Die Knlwickluii); der Ali>«-nkart<-n im 1'.'. ,Iiihrli. Z. il. 1>. u. (). .\.-V,
IniiHbiiuk 1904. S. 24.
* K. V. Sydo«: Der k(iit<>Knil)h. Slamlimiikt Kun>)«.M i. d. .lahnti IStU ii. IMH. 1". .M. IStM.
S. 47«.
' Dafür miarix wir jetzt „elioii>gia|iliisilie" Karten, >. S. Til.
518 Die wissenschaftlichen Grumllageii der fteläniledai'i-tellung.
auf ciiH' gauz allgemeine Gelteiuhuachung der Hauptgrundsätze ankommen kann
und daß selbst bei speziellem Entwürfen mancherlei Modifikationen zulässig sind,
ohne das Prinzip selbst in seiner Klarheit und Wahrheit zu erschüttern. Beine Ein-
fachheit ist so gi-oß. daß man es jedem unbefangenen Kinde in einer Viertelstunde
I>egreiflich machen kann, und seine Konstruktion ist so fest und regelrecht, daß t'S
jede ^>rbessel•ung und jeden soliden Anbau verträgt, ohne an seiner ursprünglichen
Zweckmäßigkeit zu verlieren." ^ Im Gegensatz dazu urteilte später G. Bancalari,
daß die Lehmannsche Methode ,, nicht sinnlich auf den weniger Vorgebildeten
wirkt" (sic!).2
Als ein feiner kritischer Kopf war sich E. v. Sydow trotz aller Anerlcennung
des Lehmaimschen Systems auch seiner Mängel be^vußt; rückhaltlos legt er sie dar:
„Ebenso schwierig als es Lehmannschen Bergschraffen wird, in kleinen Maßstäben
die Plastik sanft geböschter und niedriger positiver Terrainformen auszudrücken,
ebenso selten glückt ihnen die Wiedergabe flacher Ausspülung der negativen Formen,
die leichte Auskehlung der Hohlformen, wie wir sie namentlich an den Mulden sehen,
welche zu beiden Seiten einer Einsattlung hinabziehen, denn nur zu leicht stoßen
die Striche so scharf gegeneinander, daß sie eher streng markierte Einknickungen
andeuten als flott ausgehöhlte S])ülungen".3 In dieser llichtung hat die größte
Schwierigkeit eine Dolinenkarte zu überwinden. Ich selbst habe versucht, auf Grund-
lage der Umgebungskarte von Triest in 1 : 14400 des k. k. Militärgeographischen
Instituts in Wien eine Dolinenlandschaft des Karstes in 1 : 20000 zu bearbeiten.*
Auf dem Original in 1 : 1 4 400 lassen sich bei der senkrechten Beleuchtung der Dolinen-
wände die Vertiefungen von den Erhebungen außerordcnthch schwer, vielfach gar
nicht luiterscheiden. Ich half mir dadurch, daß ich den obern Band und die mehr
oder minder breite Bodenfläche der schüssel- oder trichterförmigen Vertiefungen,
die teils durch Einsturz, teils durch Erosion entstanden sind, mit einem Schicht-
linienzug umgrenzte. Auf diese Weise wird einigermaßen die Anschauung von Hohl-
formcn, die ein Plateau blatternarbig durchsetzen, erweckt.^
301. Die tiberhaltung der Schraffe. In der Praxis wich Lehmann, wie wir oben
sahen, von der strengen mathematischen Basis ab, nämlich das Verhältnis der
Zwischenräume zur Strichstärke nach dem von Cosinus und Sinus versus des Ein-
fallswinkels zu bestimmen. Demi nach solchem Verhältnis zu zeichnen, war für den
Menschen rein unmöglich, wie auch E. v. Sydow in einem Brief an A. Steinhauser
'■ E. V. Sydow: Drei Kartenklipixjn. Geokartographisclic Betrachtung. Geograph. Jahrb.,
hg. V. E. Böhm. I. Gotha 1866, S. .351, 3.52. — Wiedergedruckt in O. Krümmel: Ausgewählte Stücke
aus d. Klassikern der Geographie. Erste Reihe. Kiel u. Leipzig 1904, S. 164, 16.5.
2 G. Bancalari: Studien über d. österr.-ung. Mil.-Kartographie. S.-A. Organ der miiitiir-
wisscnschaftl. Vereine. Wien 1894, S. 69.
3 E. V. Sydow: Der kartograph. Standpunkt Europas i. d. J. 1862 und 1863. 1'. M. 186,'5, S. 476.
* M. Eckert: Die Verwitterungsfoimcn i. d. Alpen, insbes. i. d. Kalkalpen. Z. d. L. u. Ö. A.-V.
1905, S. 31.
* Dem Deutsch, u. Österr. Alpenverein hatte ich danaals, a. a. O., S. 32, nahegelegt, die Aufnahme
eines charakteristischen Karst- bzw. Dolinengcbietes zu veranlassen. Bis jetzt ist man dieser Auf-
forderung noch nicht nachgekommen. Ich verkenne durchaus niclit die Schwierigkeit der Aufnalmie
einer solchen Karte, die der einer Karrenkarte fast gleichkommt. Ereilich muß sich der Kartograph
in dem Dolinengebiet seine Zc'wh-nvmg erwandert haben; dadurch kann nur die gewünschte Anschaulich-
keit des Kartenbildes gewonnen werden.
J. G. Li.'liiManii uml sein Syslcm, 519
lu'toiiti", indem er auf das ivclmeiischc Ergebnis von Schwarz zu Weiß nach der ur-
sprünglichen Lehmannschen Formel hinwies.^ In seiner herühmten „Farben- und
Schattenplastik" hat Pouckcr später die Berechnungen wieder aufgenommen^, jedoch
auf Grund der endgültigen Lehmannschen Skala von Schwarz zu Weiß, wodurch er
nachzuweisen sucht, daß Lehmann durch seine Schraffen das Geiändebiid gleichsam
reliefartig überhöht hat, drei- bis fünffach, freilich nicht in dem realen Sinn des Reliefs,
sondern mehr einer Illusion, einer Bihhvirkung plastischer Formen. Da Lehmann
ja die rein mathematische Reihe beim Verhältnis von Licht zu Schatten verlassen
hatte, ist es auch leicht einzusehen, daß bei der Überhöhung oder der Überhaltung
der Schatten der Überhöhungsquotient ein schwankender ist.^ Interessant ist die
Tatsache, daß 1854 schon Chauvin auf die Überhaltung bei Lehmann aufmerksam
gemacht hat, indem er dessen Theorie zergliedert und darauf hinweist, daß durch diu
Einführung von Schwarz Ijei einer Böschung von 45" die Gebirgskarten mehr %vie
dojipelt so dunkel erscheinen als sie naturgemäß sein sollten.'' Die Überhaltung
scheint auch A. Penck dazu geführt zu lialnii, xon der Lehmannschen Böschungs-
schraffe als von „konventioneller Manier'' zu rcdi'u. die das „geographisch Wesent-
liche in dem objektiven Geländebilde nach dem ganzen Gewichte seiner Wesent-
lichkeit mit dem ganzen Aufgebote ihrer optischen Ausdrucksfähigkeit zur An-
schauung bringt und damit die Geländeveranschaulichung in gleiches Niveau rückt
wie die Verdickung der Flußläufe, die auf Übersichtskarten notwendig wird, wie die
Übertreibung der Straßenbreiten auf Militärkarten".''
302. Die Stärke uud Schwiicho der Schraffe. la dir Aliliaiuliung l l)er Tcrrain-
darstellung in Karten schreiltt C. Hödlmoser: ,,Dic Schraffierung vermag jeden
Grad der Abdacliung, wie auch die Fomi im ganzen und einzelnen auszudrücken miil
jede Terraingestaltimg in ihren charakteristischen Merkmalen wiederzugeben."*
Das ist ganz im Sinne von Lehmann geschrieben, dürfte jedoch nach neuem L^nter-
suchungen nicht mehr in so strikter Form ausgedrückt werden. Man muß nach der
Gesamtwirkung des Kartenbildes fragen; um den plastischen Effekt zu erzielen, der
zuletzt jeder Terrainkarte eigen sein soll, ist die Schraffierung nicht für jeden Grad der
Abdachung geeignet. Lehmann war ein Kind der sächsischen Lande, in dem sich eine
reiche Mannigfaltigkeit morphologischer Mittelgebirgsformen zeigt. Die von der Natur
gegebenen Studii'nol)jekte waren für Lehmann das Erzgebirge mit seinen breiten
Rücken, die sächsische Schweiz mit ihren Plateaus und die Lausitz mit ihren ver-
eüizelten Basalt- und Phonolithkegeln. An iimen erprobte er sein System, auf sie
hat er es zugeschnitten. Hier hat es auch seine beste und prächtigste kartographische
Wiedergabe in dem Oberreitschen topographischen Atlas von Sachsen gefunden. In
Erwägung dieser Tatsachen und ähnlicher Erscheinungen ist der Ausspruch Peuckers.
daß die Kartographie vom Flachland ausgegangen sei', cum gruno salis aufzufassen.
' Brief ans Gotlia vom LT». April In.")«. Jlit. d. ti»t)(.'i. Gen. in Wii-a 1888, S. "S.
- K. Pcuc-kcr, a. a. ()., S. .16, H7. \'pl. divsclbst auch die I'wfilc zur Vcrgloii'liung d. plastiM'hcii
V;iiul]iiiks von Darstollpn. m. vcrtikal.r HoltMuhtiin);, Fig. 2. ;i u. 4.
' K. Pcucker, a. a. ()., S. :!().
' V. Chauvin, a.a.O., S. 14.
^ A. Penck: Neue Karton u. Hchefs der AIix>m. Ixii./.i« 11)04. S. 80.
• AUt. d. k. k. mil.-googr. Inst. XVII. Wien 1898, y. 220.
' K. Pcucker. a.a.O., .S. :«).
520 Di'' wissi'iisehaftliclu'n Gruiull:if;('n ilcr Goliiiulcdarstcllung.
selbst wenn nicht in Abrede gestellt wird, daß die geringsten Erhebungen im Flach-
land noch durch Schraffen zu veranschaulichen sind.^
Anders ist es liei der Wiedergabe alpiner Formen. Mit der kurzen Skala von
Lehmann sind die Alpen nicht so plastisch wie die sächsischen Berglande zu veran-
schaulichen. Deshalb verlängerte man bereits in Bayern und Österreich die Lehmannsche
Skala, dort ließ man bei 60"* Neigmig, hier bei 77" (80") völhges Schwarz eintreten.
Durcli Lehmann bekam die Schraffe mathematischen und geographischen Wert.
Einmal ist sie die Projektion des Profilschnittes und andermal die Gefällslinie, d. i. die
kürzeste Verbindung zwischen zwei Schichtlinien; mithin war für ihn bereits die
Schraffe das mathematische Korrelat der Schiclitlinien. Schneiden wir eine Schraffen-
partie aus einem Geländestück heraus, dürfte es schwer halten, wenn gewisse Anhalts-
punkte fehlen, zu bestimmen, was oben und was unten ist. Daraus schließt K. Peucker,
daß die Schraffe keine Gefällsrichtung angibt, sondern lediglich ihre Projektion auf
der Ebene. 2 Die Schraffe gibt doch etwas mehr, sie bezeichnet außerdem die Lage,
in der das Gefälle statthat, nur ist sie wie jede Linie zweideutig, was Peucker gleichfalls
nicht verkennt. Dieser Mangel an Eindeutigkeit, kam für Lehmann nicht in Betracht,
da er es in der Hauptsache mit einem an Böschungen wechselreichen Gelände zu tun
hatte. In den Alpen hingegen drücken sich die Gegensätze weniger in den Böschungen
als in Hoch und Tief aus. Ausgedehnte Gehängeabschnitte treten daselbst unter stark
geneigtem gleichen oder nahezu gleichen Böschungswinkel auf. Dann ergeben die
Schraffen auf weite Erstreckung von oben nach unten oder umgekehrt ein gleich-
mäßiges dunkles Bild. Gleichmäßige zusammenhängende Färbung für verschiedene
Höhenlagen schließt jedoch die Plastik aus. Darum dürfen wir uns nicht wundem,
daß auf offiziellen österreichischen Karten die Alpengebiete flach wirken oder der
gewünschten Plastik verlustig gegangen sind. Gewiß wird man ihnen ein Minimum
von plastischer Wirkung nicht absprechen, aber der Beschauer der Karten will mehr
sehen, will hohe und niedere Berge mit einem Blick umfassen. Das kaim nur ge-
schehen, werm die Gegensätze von Hoch und Tief anders, d. h. besser herausgearbeitet
sind. Jede Terraingattung muß eben, wie wir oben Hödlmoser sprechen heßen, in
ihren charakteristischen Merkmalen wiedergegeben werden, und das vermag bei den
alpinen Formen die Lehmannsche Methode nicht. Das hatte auch bereits Chauvin
erkannt, daß die Lehmannsche Darstellung im ungewissen zwischen Hoch und Tief
lasse.* Ihre Böschungsplastik räumt das Feld der Schattenplastik, die jedoch nicht
mehr mit dem strengen mathematischen Gewaiidc; der Schraffe zu (uii hat. Doch
darüber später noch Ausführhcheres.
Für die Zeichnung in den einzelnen topographischen Maßstäben gab Lehmann
Vorlegeblätter, die sich jahrzehntelang in topographischen Bureaus erhalten haben,
heraus. Insonderheit gibt das erste einen anschaulichen Beweis, wie klar und sicher
er seine Schraffenskala zu bestimmen wußte. Je 1 Zoll (= 2,G cm) wird in neun gleiche
Teile zerlegt, und das Schwarz füllt je nach dem Grad der Neigung em und mehrere
Teile aus. In der zweiten Eeihe wird das Schwarz in eine Anzahl starke Striche auf-
gelöst, die sich mit der großem Neigung stetig vermehren und in der dritten Eeihe
1 Dafür gibt die „Topograph. Karte der l'ingegond von Lei])zig" in 25000, hergestellt bei
Giesecke u. Devrient in Leipzig, ein ausgezeiehncte» Beispiel.
= K. Peucker, a. a. O., S. 40.
' F. Chauvin, a. a. O., S. 32.
J. G. Lebinanu und sein System. 52 1
in fine Simime feiner Striche, deren Anzahl {(iO Striclie) bei 5" Neigung die gleiche
ist wie bei 40" Neigung, nur an Stärke haben sie zugenommen. Da die weißen Zwischen-
räume auf ein Minimum herabgemindert sind, graphisch vielfach nicht darstellbar,
faßt Lehmann bereits melirere Schattenstriche bei großem Neigungen zusammen.
Die zeichnerische MögUchkeit einer großem Anzahl von Strichen für einen be-
stimmten Eaum hat die Kartographen später noch öfters beschäftigt und ver-
schiedene Zeichenvor;<chriften aufstellen lassen.
303. Die Sehraffeii als GroBkreisschnitte. Eine originelle Erklänuig.>wei.se der
Lehmamischen Schraffen tritt uns in Peuckcrs Neuen Beiträgen zur Systematik
der Geotechnologi»' entgegen. ^ Sie hatte seinerzeit zu harten Kritiken Anlaß gegeben.
Zunächst wollen wir Peucker selbst so ausfülirlich wie möglich zu Worte kommen
lassen^, bevor wir uns dazu äußern. Er geht davon aus, daß die Geländeforuien mit
der sphärischen Erdform zusammen ein untreimbares Ganze bilden, was man sich
bei einer eingehenden Würdigung des Lehmannschen Systems stets vor Augen halten
muß. Da aber Lehmann zu der etwas tiefem und umfassendem Analyse seiner eignen
Darstellungsmethode nicht durchgedrungen ist, versucht sie nun nachträglich Peucker
zu geben, nachdem er sie damit einleitet, daß mau Lehmann heute nur als den Er-
finder einer guten Schablone ansieht, die alles Nachdenken erübrigt, oder ihm die
Urheberschaft der Schablone verübelt oder in ihr schließlich doch eine gewisse exakte
Gmndlage erkennen muß, was in unbequemem Widerspruch zu der vorgefaßten
Meinung verschiedener Kartenpraktiker und -kritiker steht, nach der die Gelände-
darstellung keine exakte Behandlimg vertrage.
,, Lehmann legte den Bildelementen seiner Böschungen die Gefällslinien zu-
grunde; diese verlaufen in Yertikalebenen, lassen sich also als Schnittlinien von
Großkreisebenen auffassen. Nun sind bekannthch auch die Meridiane Schnittlüiien
von Großkreisebenen; die geometrische Natur der Schraffen ist also identisch mit
derjenigen der Meridiane.
Er zog die Schraffen normal zu den Horizontalen aus. Nun verlaufen die Meri-
diane normal zu den Breitenkreisen und diese ordnen sich dem allgemeinen Begrilfe
der Kleinkreise unter, sind als Schnitte von Kleinkreisebenen zu denken. Klein-
kreise sind (iebilde, die an der Kugel alle Systeme von Großkreisen, innerhalb eines
jeden untereinandir parallel, senkrecht schneiden. Die zu den Großkreisschnitten
nonnal (senkrecht) verlaufenden Horizontalen oder Isohypsen lassen sich also eben-
falls als Schnitte von Kleinkreisebenen auffassen. (Man muß hier zwischen den Iso-
hypsen selber und den von ihnen begrenzten Schichtflächen unterscheiden. Nur jene
lassen sich als Schnitte von Kleinkreisebenen auffassen; diese sind unabhängig hier-
von konzentrische Niveauflächen. Die Isohypsen aber sind gleichzeitig Kleinkreis-
scluiitte und Niveauflächengrenzen, weil die Gefällslinien zu beiden normal ver-
laufen.)
Die Geländedarstelliuig in Schichtlinien und Schraffen hat mit der Dai-stellung
der sphärischen Form ein und dieselbe geometri.sche Grundlage, das Lanibert-Tissotsche
System der normalen und schiefachsigeii Groß- und KKinkr.isr.
' K. Pouckor: Neue Bcifrüge zur Synteinatik iler licoti^lim-logie. Km Humll-Iu k iili. «1.
Uelicfs u. Wandkarten der Wiener Aiisstelliinj; neuer U-hr- u. Ansi tmuunjfsniiHel (l!Ui;t). S.-.\. Mit.
d. Ge..gr. Ges. i. Wien 1004. Heft 7 u. 8.
- K. Peueker, a.a.O., S. :)8-41 i:tlt5-3lflj.
522 I^i'' wisscnsebaftliohcu Gniiullageu der Geliiiuleilarstcllung.
\\ Clin laaii «icli eriiuierl , daß die Küsteiilmie dea Laude« in einer Isohypse vor-
läuft, die Flüsse dagegen in Gefällslinien, so sieht man zugleich auch die wesentlichen
Teile des Gerippes der Karte in jener großen Einheitlichkeit aufgehen.
Die gesamte Darstellung der sphärisch-topographischen Erdform läßt sich auf
zwei Grundgebilde der projektiven Geometrie zurückführen: auf die Ebenen der
Großkreise und die jedes Bündel derselben senkrecht durchsehneidenden Klein-
kreisebenen.
Die Achsen der darstellenden Teile der ganzen Mannigfaltigkeit dieser um den
ICrdmittelpunkt sich anordnenden normal- und schiefachsigen Ebenensysteme sind
die (normale) Erdachse — für die sphärische Horizontalform — und die schiefen
Achsen jener einfach definierbaren stereometrischen Formen, d. h. zumeist Kegel,
aus deren Teilen sich für die geometrische Darstellung das Gelände zusammensetzt.
Jede in sich homogen dargestellte Böschung bildet die orthogonale Projektion eines
Kegelmantels auf die Niveaufläche, wobei die Darstellung erfolgt durch die Schnitt-
linien jener Scharen von Kleinki'eisebenen, die sie im Sinne von Ijeitlinien an Kegel-
mänteln schneiden. Wir haben also in den Linien einer topographischen Karte mit
Isohypsen und Lehmannschen Schraffen eine Mannigfaltigkeit schiefachsiger und
ineinander eingreifender Systeme von Groß- mid Kiemkreisschnitten in die Erdform
vor uns ; mid wenn das einzelne normale System, das im Gradnetz einer geographischen
Karte vorhegt, als am Eumpfe der Erde ausgezogen, in großräumiger oder makro-
graphischer Ausbildung besteht, läßt sich die Ausbildung des Systems an den Gliedern
der Erdform als kleinräumig oder mikrographisch bezeichnen."
Auf vorstehende Erörterungen gestützt, schließt Peuckcr \uii Krümmungs-
halbmessern der Schnittkurven von Längen- und Breitenkreisen der Erde auf solche
von Karten, wobei die Schnittkurven von Isohypsenelementen und Schraffen ge-
bildet werden. ,,Die Krümmungsradien selbst liegen den Schraffen zugrande, sind
aber selten bis zum Zentrum bzw. dem Hauptpmikte (Pol) des Systems ausgezogen.
Die nächstbenachbarten Böschungen kommen immer wieder durch Systeme zur Dar-
stellung, deren Achsen am Urbilde eine andere Eaumlage haben, und so unterbrechen
sich ihre Bilder gegenseitig. Nur Gipfelpunkte erscheinen durch Hauptpunkte dar-
gestellt.
Jedes von diesen Grundrißbildern einer Böschung entspricht, zum geschlossenen
Kreise ergänzt, dem Netzentwurfe einer Polarkarte in orthographischer Projektion
auf die Äquatorebene. Nur haben die Großkreisschnitte am Gelände nicht den Sinn
exakter Grundlagen für die Messung (etwa des Azimuts der Auslage), wie an der
Sphäre. Die zu ihnen normal verlaufenden Kleinkreiskurven genügen bei ihrer Klein-
räumigkeit durchaus zur Darstellung der Lage der Böschung in ihrer Projektion auf
die Bildebene. Es ist also nicht nötig, jene Hauptkreisschnitte in gleichen Winkel-
abständen um die zugehörige Achse auszuziehen wie am Polarnetz; so wird also die,
Art' und Weise ihrer Anwendung, ja (wenn es einmal auf andere Vorzüge der Dar-
stellung in Großkreisschnitten, d. i. Schraffen, nicht ankommt) die ganze Fläche
zwischen den Höhenlinien für die Darstellung der Eaumlage der Böschung frei."
Die Grundgedanken der Peuckerschen Analyse gipfehi in dem Vergleich zwischen
Gradnetz der Erde und Schraffe mit zugehöriger Isohypse. Im weitern Verlauf der
Erörterungen werden sie noch mannigfach variiert, schheßlich leiten sie zu Peuckers
Lieblingsthema, zur Farbenplastik, über. Unwillkürlich wird man sich fragen: Trägt
Peuckers Auffassung zur Klärung oder Förderung des Schraffenproblems wesentlich
J. (i. Lehrnnun tiod soin System. 523
lifi".' Kaum. Gewiß liat er Neues hinzugebracht und das gauze Problem V(»n einer
ganz eigenartigen Seite aus zu beleuchten versucht, aber er hat viel zu viel hinehi-
get ragen, was von Haus aus nicht drinnen lag, was ihr Urheber auch gar nicht be-
absichtigte; war Lehmann doch, wie Peucker selbst anerkennt, nichts mehr und nicht
weniger als der wenig gelehrte, nur eben mit selbständiger Auffassung begabte mihtär-
wissenschaftliche Autodidakt. ^
Nachdem in Peucker die Beziehimg der Lehmann.-^chen Schraffe zum Gradnetz
der Erde einmal aufgetaucht war, kann man sich vorstellen, daß es für ihn verlockend
war, den Vergleich weiter auszuspiimen und ihn in das verschiedenste Licht zu setzen ;
und hat man sich erst in seine Denkweise eingelebt, erscheint vieles gar nicht so dunkel
imd unklar, wie einige Kritiker meinen. Auch habe ich nicht, wie E. Hammer^ und
auf diesen gestützt H. Haack', den „Eindruck des Spiels mit Worten" gehabt, sondern
den der logischen konsequenten Durchführung seiner Überzeugung, d. i. seines ihm
imn einmal eingefallenen Vergleichs luid seiner kartographischen Lehrabsicht. Be-
züghch des ersten dieser letztgenannten Pimkte mußte er in der Unterlassiuig Leh-
manns, das Bild der Böschimgen zu einem exakten Böschungsbild zu ergänzen,
einen Hauptfehler sehen, der aus dem Mangel an Schärfe in dessen Auffassung des
eignen Darstellungssystems hersorging. Weiter führte ihn die analytische Betrachtung
zum Gebrauche der Vertikalprojektion im Simie der Höhendarstellung im Grimdriß.
Die ..Vertikalprojektion" faßt er im optischen Sinn auf. ..Die Horizontalprojekt iou
des Profils gewährt (in den Isohypsen) das Zirkelmaß, seme Vertikalprojektion das
Augenmaß seiner Winkel. Das Augenmaß der Winkel liegt in einer andern Ebene,
es ist völlig getremit vom Zirkelmaß."* Hammer erbUckt in der Peuckerscheu Auf-
fassung eine Willkür in der Abäudenmg feststehender geometrischer Begriffe. Da-
gegen will ich sie Heber in die Frage kleiden: Werden sich die neuen Bezeichmmgen
Peuckers iü der Kartographie einbürgern? L'nd mit Haack möchte ich bezweifeln,
daß sie jemals im Gebiet der Geländedarstelluug gangbare ^lünze werden. Aus-
drückhch will ich bemerken, daß dies den Peuckei-schen Ausführungen gegenüber
kein Vorwurf sein soll; ich weiß, daß sie aus dem Entwickhmgsgange der wissenschaft-
lichen Veröffenthchungen Peuckers heraus verstanden sem wollen. Das bringt uns
zur Erörterung dts andern oben angedeuteten Punktes.
Von dem heihgen Ernst beseelt, der Kartographie, insbesondere der Gelände-
darstellung ein Wissenschaft Hches Gebäude zu errichten (S. 3), war er der Meinung,
dies auch äußerhch durch die Fonn (Wortbildung) und Schreibweise (Stil) zu doku-
mentieren, dabei vielfach außer acht lasseitd. daß Einfachheit und Knappheil in der
Begel klarer und wissenschaftlicher sind als tote volltönende Worte und geschraubte
Sätze. Wie umständlich drückt er z. B. aus, daß durch das Verhältnis von Schwarz
zu Weiß bei der Schraffendarstellung die Winkel der geneigten Flächen ausgedrückt
werden sollen; Peucker schreibt: ,,Die durch die Nichtbenutzung der Großkreissehnilte
zur Messung von Azimuten freigew Drdene .Anordnung derselben viTwendete Lehmann
' K. Poutkcr, a. ft. 0., S. ;t9 [.'JITJ. — Bt-im Studiiun dor Pcuckorsclu-ii .Viutfülininp-ii firl
mir unwillkürlk-li der Vergleich mit verMcliicdenen Faustintorpreten ein. Wa.s da alles aui. Imm-iIii-.s
Kaust herausgeholt und wie da alles zerkleinert, zerfasert und zerzerrt wird, ist ersta\inlieh; wenn Goethe
jedoch an all dieses hätte denken miussen. wäit> er vor lauter Denken zu keinem Diehten gekommen.
- E. Hammer i. P. M. 190,5. LB. 262. S. 87.
^ H. Haack i. V.. J. X.XIX. Ifl0<i 07. S. 379.
» K. Peucker. n. n. O., !<. 75 [391J.
524 Ui« wisseiiprhaftliohpii Grundlageii dir fieläiuk'darstolhing.
weiter im Dienste der llaumluge (der Bösebungen), indem er ihre Bündel paarweise
schwarz und weiß auszog; er vermochte so durch das gegenseitige Flächen Verhältnis
dieser trapezförmigen Elemente des absolut Dunkeln und Hellen die Schatten werte,
also die Neigung der Kurvenflächen im Baume mathematisch genau zu regulieren. "^
Ge-ftäß klingt es ganz schön, wenn es heißt : „Indem er (Lehmann) durch seine Schraffen-
schattierung die Böschungen in denselben Vertikalebenen auszog, in denen sich ihr
Profil in der Natur selber auszieht, gab er seiner Darstellung im tiefern Sinne den
Charakter der Natürlichkeit, als es je bei bloßer Nachahmung eines natürlichen Scheins
geschehen kann", aber immerhin erfordert der Satz ein reichhches Maß Überlegung
für die einfache Tatsache, daß die Lehmannsche Schraffe die von der Natur gegebene
Gefällslinie wiederspiegelt imd die Horizontalprojektion des Böschungs^\•inkels ist.
Wenige Jahre später hat Peucker diese Periode wissenschaftlicher Darstellung über-
wunden und mehr und mehr den Boden kurzer und prägnanter und damit klarerer
Ausdrucksweise gewonnen, wie seine Abhandlung über die Höhenschichtkarten
beweist. Nicht verkannt sei, daß sich seine altern Untersuchungen durch den herz-
erfrischenden Hauch, der durch sie weht, von vei-wandten Arbeiten anderer Autoren
\ürteilhaft auszeichnen. Aber auch seinen "frühern Urteilen über Lehmann stimmen
wir gern liei. "Wie treffend hat er in seiner Untersuchung über <lie kartographische
Darstellung der dritten Dimension Lehmanns Böschungsplastik skizziert, wobei
er zu dem Schluß kommt, daß Lehmann das erste strenge System kartographischer
VeranschauUchung oder ,, optischer Plastik" geschaffen hat.^
II. Die Nachfolger Lehmanns.
304. Die deutschen Nachfolger Lehmanns. Müfflings Maiiier. Die feine detaillierte
Schraffur und ihre Maße erfordern zu ihrer Ausführung eine gewandte Technik. Wenn
nicht der zu jener Zeit in Blüte stehende Kupferstich über manche Schwierigkeit hinweg-
geholfen hätte, \\-urden uns wohl heute recht wenige Karten erfreuen, die damals und
später in Lehmannscher Methode ausgeführt worden sind. Die beste kartographische
Arbeit in Lehmannscher Art ist der von J. A. H. Oberreit 1819—1860 herausgegebene
Topographische Atlas des Königreichs Sachsen, 22 Sektionen in 1 : 57600 (s. S. 461).'
Auf die schwere Anwendbarkeit der Lehmannschen Skala hatte Meinert als ein
erster hingewiesen. Noch mehr fiel ins Gewicht, was Chauvin*, E. Fischer^ gegen
sie geltend machten, daß es nach ihr so gut wie ausgeschlossen sei, selbst bei
angenommenen richtigen Schraffentönen, die Böschungswinkel und die Höhenunter-
schiede richtig abzulesen. Um diesem Mangel abzuhelfen, griff man zu Schraffen von
verschiedener konventioneller Form. Unter Festhaltung der geometrischen Grund-
lage der einzelnen Stufen wurde die Gestalt der Striche verschieden gezeichnet, als
pimktierte, geschlängelte und abwechselnd dicke und dünne Striche. Mit dem Namen
des preußischen Generals von Müffling \\ard seit 1821 in der offiziellen Kartographie
1 K. Peucker, a. a. 0., S. 43 [321].
2 K. Peucker i. G. Z. 1901, S. 30.
3 Auch E. V. Sydow spendet diesem Karteuwerke größtes Lob im P. M. 1863, S. 476. — Mir
bereitet die Karte, von der ich einen bes. guten Origiiialabzug besitze, immer wieder Freude u. Genuß,
80 oft ich sie nur betrachte. Die Karte dürfte in keiner öffentl. u. privat. Kartensammlung fehlen.
* F. Chauvin, a. a. O., S. 5-15.
* E. Fischer: Der kartograph. Standpunkt der Schweiz. München 1870. (Vortrag, gehalt. i.
einer Sitzg. des Architekten- u. Ingenieurvereins zu München, 1869.) S. 39.
Dir Nachfolger Lehmanns. 525
Deutschlands eine derartige Schraffenskala belegt. Ihrer hat sich jedoch das preußisclu*
Ingenieurkorps nie bedient, auch stammt sie nicht von Müffling her und ist aus den
fäkalen von Lehmann. Schienert, Schneider imd v. Humbert zusammengesetzt.*
Ebenso hat sich ihre Erfindung durch den hessischen Forstmeister Chr. Bechstatt
als unrichtig erwiesen. ^ Aus Schönheitsrücksichten wurden die Foimen schwach
markiert, trotzdem ergaben sie für die imtem Stufen ein unrabiges Bild, und man
kehrte d(>shalb später bei der Herausgabe der Karte 1 : 100000 fast ganz zu Lehmann
zurück. Nur die fein gestrichelten Stufen des Flachlandes, die man noch um eine
Stufe für 1" Neigung vermehrt hatte, erinnern etwas an Müffling. Dieser wollte
übrigens die nach ihm bcnaimte Manier nur für Karten großen Maßstabes angewandt
wissen*, alle Karten in kleinerm Maßstabe als 1 : 50000 wären nach Lehmann zu
zeichnen. Nicht imerwähnt sei, daß die Müfflingsche Manier in E. v. Sydow einen
warmen Verteidiger gefimden hatte.* Daß die Bayern das Schwarz bei 60" und die
Österreicher nach 77" eintreten lassen, ist bereits ei-wähnt worden. Natürlich bleibt
dann das Lehmannsche Verhältnis von Schwarz zu Weiß «":(45 — h)" nicht be-
stehen und ist entsprechend in n" : (60 — h)° ^"^^l n":(80 — n)" umgewandelt.^ All
diese und ähnliche Skalen unterscheiden sich in ihrem Hauptgedanken nicht von
1 W. Stavenhagen: Die geschichtliche Entwicklung des preußischen Militärkartenwesens.
(1. Z. 1900. S. .504, 505. Die Formen der Müffling sehen Soliraffen (i. J. 1821): bis 5" gestrichelt, bis
10° abwechselnd glatt u. gestrichelt, bis 15° glatt, bis 20° glatt u. geschlängelt abwechselnd, bis 25»
2 glatte, 1 geschlängelter Strich.
* K. Peucker: Zur kartogr. Darstellung der dritten DimcrLsion. G. Z. 1901, S. 41, Anni.
Wie Stavenhagen, a. a. O., S. 449, zu der Bemerkung kommt, daß diu-ch Eckhardt die von Bech-
st;»tt (!) herrührende .Manier in die Wissenschaft eingeführt sei, ist mir nicht erklärlich.
' Aber auch da hat man sich nicht streng an die Vorschriften gehalten. — Eine wirkungsvolle
lireußi.-schc Schraffenkarte jener Zeit ist: Das Land zw. Rhein u. Maas, von C. v. Decker, Major i.
k. preuß. Generalstabe. 1824. 1 :4000W. [k. k. Kriegs-Archiv, Wien.]
kartograph. Standpimkt Europas i. d. J. 1862-1863. P. M. 186.3, S. 476.
zu Weiß einiger Bergstrichskalen:
Stolische Skala Stollsche Skala
(isterreich für 1:1000 für 1:100
8:72 l;<i 1:12
i:{:67 2:.-. 2:11
18:62 3:4 3: 10
2:{:.57 4:3 4: !•
28:52 5:2 .".: S
33:47 6:1 6: 7
.38:42 7:',. 7: 6
43:37 X:\, S: ,".
48:32 !>:'/, !': •*
.-.3:27 U': 3
.-,8:22 11:2
63:17 12: I
68:12
E. v. Sydow
: Derkar
Verhältnis
von Sei
Bayern
5»
1:11
10»
2:10
15»
3: 9
20»
4: 8
25»
5: 7
30"
6: 6
35»
7: 5
40"
8: 4
4.-."
!): 9
SO»
In praxi wurden liei der Aufnalune nach der Vorschrift de» k. k. niil.-peograpli. In.stitut8 lM>i
den Östenfiehcrn die von 5 zu 5° ausgedrückten Ton- und Gnulationsuntcrsdiietlf nur bis iTt« weiter-
geführt, wo das Verhältnis von Siliwarz zu Weiß wie 3:2 ist; alle Flnchrn üIht 4.'>'' Neigung wenlon.
wie jene mit 45» schraffiert, damit dii.s Bild ni( ht »llzii dunkel »iixi.
526 Die wisscnscliaftüelien Gnmdlageii der Geläiidedarstellung.
ilonon Lehmanns und kunncn auf den Namen einer selbständigen Manier keinen
Anspnicli eihel)en.i
;{0r». Lt'timanns System liir Katastcrkartoii. Meil<\vürdig sind die Yersuche, das
Verliiiltnis von Schwarz zu Weiß den größten, den Katastermaßstiilien anzupassen.
Sie gehen auf Ab. Stoll zurück.^ Von der Lehmannscheii Gradation von 5" zu 5"
wagt er sich nicht zu entfernen, aber um so mehr von dem Verhältnisse von Weiß zu
Schwarz. Letzteres hat er für eine Karte, auf der 1000 Ruten = 1 Zoll sind, und
für eine solche, auf der 100 Ruten = 1 Zoll sind, neu bestimmt.* Ungeachtet des Maß-
verhältnisses von 5" und 45" erscheint ihm bei der ersten Karte das Verhältnis von
Weiß zu Schwarz doch brauchbar, „weil in solchen Zeichnungen die Horizontal-
entfeniungen der Punkte nicht mehr so genau angegeben werden können, daher
Neigungen von 30 und 45 Graden nicht unmerklich ineinander überfließen, und es bei
diesen Zeichnungen vorzüglich auf den Totaleffekt abgesehen ist, da man, was über
30" ist, nach dem Augenmaß verstärken kann."* Bei dem Plane von 100 Ruten = 1 Zoll
will er mit seiner Skala die Darstellung der verschiedenen Details, wie die verschiedenen
Falten, Risse, Abstürze, die oft mehr als 45" messen, ermöglichen.^
Soweit mir die Literatur bekannt ist, scheint die Stollsche Auffassung keine
nachhaltige Wirkung gehabt zu haben. Mir sind keine Kataster nach seiner Methode
bekannt. Immerhin sind die Stollschen Untersuchungen insofern bemerkenswert, als
sie die ersten mit sein dürften, die das Höhenkataster anstrebten.
30fi. RUekschliiU vom Sehwarz-Weißverhältnis auf Neigungsgrad. Bestimmung
von Sirichlänge und Strichstärke. Strichanzahl. Wohin wir auch blicken, überall
lugt das Leiimamische Grundprinziii hervor, und mehr und mehr kommen wir zur
Überzeugung, daß keine Manier so gründhch geprüft und nach allen Seiten beleuchtet
und durchleuchtet worden ist wie die Lehmannsche. Schließt man aus der Böschungs-
noigiing auf das Verhältnis von Weiß und Schwarz, muß man umgekehrt von diesem
Verhältnis auf den Grad der Neigung schließen köimen. Diesen Fall hat meines
Wissens nach nur Wenz zum Gegenstand einer Erörterung gemacht. ^ Er betrachtet
die Gradationsreihen bis 45" und 60". Den Grad der Neigung findet man, wenn man
den Anteil an Schwarz bei der Reihe bis 45" mit 45 multiphziert und bei der Reihe
bis 60" mit 60. Das Produkt wird sodann durch die Anzahl der Stufen, also 9 bzw. 12,
oder was dasselbe ist, durch die Summe der beiden Verhältniszahlen dividiert. Bei-
spielsweise sei bei der 45"-Reihe das Verhältnis 8 : 6, dann ist der Böschungswinkel
•^^^=15", wobei der Divisor 9 aus der Summe 3 + 6 besteht. Beim Verhältnis
6 : 3 ist der Böschungswinkel -^^ = 30". In der 60"-Reihe ist bei dem Verhältnis
3 : 9 der Böschungswinkel ~~ = 15«, bei 9:3 = ^ = 45".
Für die Bestimmung der Strichlänge und Strichstärke hat Lelnnatni wohl Vor-
k'geblätter hinterlassen, indes keine bestimmten mathematischen NOrsolirilten. Die
' F. Chauvin, a. a. O., S. 11.
- Eb. Stoll: Vorschriften zum Situationszoicbncn. Stiitlfiart u. TiilHiii,'cii l.Hll>.
» E. Stoll, a.a.O., S. 2.3, 24.
* E. Stoll, a.a.O., S. 2.3.
' Vgl. die beiden Stollschen Skalen in Aniii. r,, S. r,2r,.
•= C!. Wenz: Die Tlieoiie dos Landkarten- ii. Plan/.eiclinens. Miinehen 1S71, S. 1.'
Die Nachfolfipr Lehmanns.
527
Strichlänge ist das, was am allerwenigsten mathematisch festgelegt zu werden braucht,
wenn man davon ausgeht, daß die Schraffe die kürzeste Verbindung zweier Schicht-
linien ist. Dann richtet sich die Strichlänge automatisch nach der horizontalen
Schieb tlinienentfemung und dem Maßstabe der Karte. Müßten bei großem Maßstab
für kleine Geländewellen und Unebenheiten ungewöhnUch lange Schraffen gezogen
werden, kann man sich stets durch Interpolieren von Hilfsschichtlinien helfen. Mit
der Strichlänge beschäftigte sich 1801 bereits v. Bieberstein^, ohne zu einem
brauchbaren Ergebnisse zu kommen. 1S20 bringt C.Louis zum Vorschlag, die Schraffe
jeweils gleich der Entfernung zweier Schichtlinien zu machen.- Dagegen hat H. v. Pleh we
in seinem Leitfaden für den theoretischen Unterricht im Planzeichnen, Berlin 1840,
einen guten und viel betreteneu Weg gefunden. Nach ihm verhalten sich die Strich-
längen bei unveränderlicher Schichthöhe füi- die Hauptgradationen von
5" : 10» : 15» : -20» : 25» : 30» : 35» : 40» : 45» wie
1 :V. : Vs :V4 = Vs : Vv = V« : Vio = Vir
Demnach ist die Strichlänge bei 5» 1 1 mal so groß wie bei 45». Nehmen wir nun
eine Schichthöhe von 20 m an und setzen sie gleich der Böschung von 45» als steilster
(senkrechter) Geländeform, so ist die Strichlänge bei 5» = 11 . 20 m = 220 m, bei
10»= -'2^° m = 110m usw.»
Da auf dem Meßstichblatte 1 : 25 000 1 km =40 mm ist, beträgt die Strichlänge
bei 5» Neigimg 8,9 mm, bei 10» = 4,4 mm, bei 20» = 2,2 mm. Die entsprechenden
1 Marschall v. Biberstein: Vorschriften zur militärischen Situationszciclmnng. Berlin ISOl.
- Carl Louis: Anleitung zur Situationsbergzeichnung, s. a. et 1. (München 1820).
Böschung
Strichliinge x
Schichtlinienabstantl
.Strichlänge
in m
;-)»
11-20
220
10"
11-20
2
110
1.-,"
•11-20
71
20"
11-20
4
:,:,
2.-."
11-20
II
:to"
11-20
:;,
3.V'
11-20
s
40"
11-20
10
■:■:
4-.»
11-20
II
L'IP
Böschung Strichlänge X Strichlänge
Scliichtlinienabstnnd in ni
.'■)" 12-20 = 240
12-20
12-20
.•}
12-20
12-20
12-20
C
12-20
10
12-20
"TT
12-20
~~V2
528 D'P wiissciisehaftlielion Gnuullagcn der OeUindodarstollung.
Größen würden auf der Karte 1:100000 = 2,2; 1,1; 0,7 mm betragen. An dieser
Norm hat man im großen und ganzen bei den topographischen Karten festgehalten.
Hie und da kleine Abweichungen verschlagen weiter nicht. Aus der Tabelle (Anm. 8,
8. 527) geht liervor, daß bei 40" Neigung die Strichlänge 0,22 mm betrtlgt. 0,2 mm
ist das Maß der Striche, das graphisch noch gehandhabt werden kann. Das muß
gleichfalls b6>i andern Skalen gelten. Wird die Skala auf 60" verlängert, wird sich die
Strichlänge vorhalten bei unveränderter Sfrichliülie (z. B. 20 m) für dii' ITanpt-
neigungen ^■on
.5 » : 10« : 1 r," : 200 . 25" : 30" : 35" : 40" : 45" : 50" : 55" : 60» wie
1 . 1/ . 1 / . 1/ . ]/ . 1/ . 1/ . 1,' . 1/ . 1/ .1/ .1/
J • 1-2 ■ h- U ■ Ih • /6 • /7 ■ /8- /9 • iw In- In-
Aus dem zweiten Teile der Ta])elle wird man erkennen, daß für die Strichlünge bei der
längern Skala ein kommensurableres Verhältnis als bei der kürzern herausspringt.
Selbstverständlich ändert sich die Strichlänge bei andern Isohypsenabständen, was
hier weiter auszuführen als überflüssig erachtet wird.
Gleich der Strichlänge ist die Strichstärke und damit die Strichanzahl
auf ein gegebenes Flächenstück von dem Maßstab abhängig. Die graduelle Verdunklung
der geneigten Flächen wird sowohl durch die Strichanzahl wie durch die Strichstärke
verursacht. In beiden Fällen ist das Wichtigste die Auseinanderstellung der Striche.
Bei den topographischen Karten hat sich das Prinzip entwickelt : Je kleiner der Maß-
stab, je größer die Anzahl der Striche, weil bei den kleinern Maßstäben die Schraffierung
über die kleinern Formen genau Auskunft geben muß.^ Ohne Frage würden weit
auseinander gestellte Striche bei kleinen Maßstäben die Genauigkeit der Gelände-
darstellung beeinträchtigen.^ Das muß jedoch in gleichem Maße auch für großmaß-
stabige Karten gelten. Zur Durchführung der Schraffierung besteht z. B. in der öster-
reichischen Vorschrift für Militärkarten eine Maximal- und Minimalschraffenskala.
Bei der erstem kommen 13 und bei der letztern 20 Schraffen auf 1 cm Schichtlinien-
länge; jene wird bei ausgedehnten, wenig gegliederten Bodenforraen angewandt, diese
bei reich detailliertem Gelände.
307. Verlauf der Striche. Zuletzt ist der Verlauf der Striche zum Gegenstande
genauerer Untersuchungen geworden. An dem Grundsatze, daß 'sie die Schichtlinien
senkrecht zu verljinden haben, ist nirgends gerüttelt worden. Da sie den Lauf der
Wassertropfen markieren, hat sie v. Eüdgisch Wasserstriche genannt. ^ Doch ist
er mit ihrem geraden Verlaufe nicht einverstanden. ImHinbhck auf die Lehmannsche
Manier führt er aus, daß sie wohl das Bild einer fast künstlerischen Plastik gewährt,
indessen ein sehr geübtes Auge dazu gehöre, aus dem Unterschiede des Schwarzen
zum Weißen die Böschung bis auf Grade genau ablesen zu können. Deshalb bedauert
er, daß die Müfflingsche Skala so wenig Anklang gefunden habe. Er versucht nun
> V. Rüdgisch: Die Bergzeichnung auf Plänen. Ein Lehibehelf. Metz 1874, S. 2.').
- Die alte preußische Vorschrift sagt: Auf die Länge eines Dezimalzolls (= 3,77 cm) kommen
bei einem Maßstab von
1: J2.50O 30 Striche (18 Striche auf 1 cm, neue Vorschrift)
1 : 2r)0ü0 no Striche (20 Striche auf 1 cm, neue Vorschrift)
I: äüOOO f)() Striche (26 Strinho auf 1 om, neue Vorschrift)
I: 80000 (alle Aufnahiuc) 80 Striclic
1:100000 100 Sti-iclic (:)4 Striche a\if I cm, neue Vorschrift)
" V. 1' üilgiKch , a. a. (>., S. 24.
Dil- üc'iscliungsschraflV bei dfii I'VaiiziiHfii. 520
auf andere Weise das Eätsel zu lösen, indem er leicht gekrümmte Schraffen je nach
dem Verlauf der Schichthnien einführt. Sind die Horizontalen gerade und parallel, sinil
auch die Schraffen oder Wasserstriche gerade und parallel (1). bei geraden und nicht
parallelen Horizontalen sind die Schraffen krumm imd parallel (2), bei krummen und
parallelen Horizontalen sind die Schraffen gerade vuul parallel (3), und sind schließlich
die Horizontalen krumm und nicht parallel, ist dies auch bei den Wasserstrichen der
Fall (4).i Er nennt diese vier Möglichkeiten die Gesetze für die Gestalt und Richtung
der ßergstriche. Außer auf seinen Kartenskizzen scheinen sie nirgendwo zur An-
wendung gekommen zu sein.
Bei der Lagerung der Schraffen sieht man darauf, jede der untern nahezu unter
dem Zwischenraum je zweier Schraffen der obern Eeihe zu stellen. Sie stehen, wie
es technisch heißt, voll auf Fug. Dadurch wird der Verlauf der Höhenlinien, falls
diese selbst nicht im fertigen Kartenbild erscheinen, markiert. In Frankreich wurden
früher Schraffenkarten hergestellt, die einen minimalen Zwischenraum zwischen den
Schraffenreihen aussparten, um so den Verlauf der Schichtlinien anzudeuten (S. 530j.
Später ist man von diesem Verfahren abgekommen.
IM. Die Böschungsschraffe bei den Franzosen.
;{0S. lit'hnianiis Einlliiü auf thc Fran/oM'ii. Aus der Vita Lehmaims wissen
wir, was auch in .seinen Schriften bezeugt wird, daß Napoleon in den Besitz
eines Exemplars der noch imgedruckten Grundzüge Lehmanns gelangt war, die
er ,,in französische Sprache übersetzen ließ und belobte". Damit wird die An-
nahme hinfällig, der Penck huldigt, daß man in Frankreich die von Lehmami aus-
gesprochenen Prinzipien nicht kamite.^ Ältere Kartographen und Wissenschaftler,
die den Lehmannschen Zeiten bedeutend näher standen als wir. sprechen von dem
Einfluß des Lehmannschen S3'stems auf l'Vankreich. so Chauvin'. Michaelis.^ Ihnen
dürfte darum ein maßgebendes Urteil einzuräumen sein. Ferner ist nicht richtig,
was Penck hervorhebt, daß sich in den Protokollen und Denkschriften, die Berthaut
in seinem monumentalen Werke über die Entwicklung der Carte de France mitteilt
oder abdruckt, nicht der leiseste Hinweis auf die ..Lehmamische Skala" befindet.
Man lese nur bei Berthaut die Entgegnung von General Baron Berge auf Puissants
Angriff gegen die senkrechte Beleuchtung der ]\Ietzer Kriegsschule'-, worin es h.ißt :
33221 ■ ji^ ' '^[^mi^
- .\. Penck: Xcue Karton u. Reliefs der Alix>ii. .Studien üIkm- iJelündedaratellunn. l>>i|nif! IJKM,
S. 5.3, rA. — Wenn Penck .S. öl liervorhebt. daU Beitbaut« Werk ilio franz. tJ«tA<htcn aua dem An-
fang des 19. Jahrh. w'ie<ler zutage gefördert hat. .so ist das nur unter gewisser Einschränkiuig richtig.
Beim tiefem Kindringen in die zeitgenössische u. s|)(it<'re Ijitci-atur iM-gegnet man auch der R'rilck-
sic'htigung jener Gutachten und Anstchauungcn in deutschen Veröffentlichungen: man vgl. lM<isiiicU.
weise die !^<'hriften von K. -Michaelis, da» Berliner Militär-Wochenblatt u.a.m.
■' F. Chauvin: Das BiTgzeichneii rationell behandelt. Berlin IS.'Vt, S. 7.
' K.Michaelis: (^Ix-r die Darstellung des Ho<hgelHrges. B«'rlin 1S4.'>. .Auf .*<. 2:« w»gt Micha«-Iis
daß die französische Kommission von IH2H „dunh ihre Boschlüjwe, die .schon früher in DiMitM-hland.
imter dem Xamen der Lehmaiuiscben, lM'kannl<'n CJrundsnl/.e mit geringen .\hÄndening»>n für die
uroße Karte von Fi-ankreicb (1:8000«) adoptierte".
■ Berthaut: Iji carte de Frame. Ktu.le histori.|"c. 1. Paris ISdS. >;. 2()|ff.
530 l)i<^ wisseusrlwiftliclu'ii üriiiullageii d.T (i.^liiii.lclaistellimj;.
,, Könnte man Puissant nicht umgekehrt die Carte des chasses vorlialten, die nach
den Grundsätzen bearbeitet ist, die er bekämpft ? Wird er sie mit der gleichen Strenge
behandehi wie die Karten der Deutschen?" Lediglich der Name „Lehmann"
findet sich nicht dokumentiert. Bekannt aber war sicher sein Werk, das, bevor es
gedruckt vorlag, ui verschiedenen anonymen Exemplaren verbreitet gewesen ist
und 1796 bereits druckfertig war (s. S. 51>2). Vor der Drucklegung waren die Grund-
ziigc des Systems mit Lehmanns Genehmigung bereits von Hauptmann Backenberg
litiui Unterrichte der Kriegsschule zu Dresden und in Veröffentlichungen benutzt
wordfii. Notwendigerweise muß man aus allem schließen, daß die Franzosen schon
vor isOO das Lehmannsche System kannten und daß sie auch mit dessen Art ver-
traut sein mußten, die Schraffe als GefäUslinie aufzufassen und sie senkrecht zu den
Schiclitlinien zu stellen, was in der Lehre von Dupuis de Torcy und Brisson als etwas
Neues hingestellt wird. Ebenso natürlich erscheint es mir, daß die hohem fran-
zösischen Offiziere, die sich mit der Geländedarstellung befaßten, nicht direkt das
deutsche System, die „Methode allemande", adoptierten, sondern bei stillschweigender
Anerkennung desselben doch ihrerseits etwas Selbständiges leisten wollten. Während
aber Ijehmann bei der Darstellung des Geländes in Schraffen die Sache richtig am
Schöpfe erfaßt hatte, indem die Schraffe direkt zum Ausdrucke der Neigung wird,
quälen sich die Franzosen unermüdhch ab, die Schraffen in Beziehung zu den Schicht-
linien zu bringen, die bei Lehmann lediglich als Konstruktionselement benutzt wurden.^
Infolgedessen gelangten die Franzosen zu keinem richtigen Ergebnis, ob sie nun einzehi
oder in Kommissionen an die Lösung des Problems herantraten. Dazu kamen die
Kontroversen zwischen den Vertretern der senkrechten und schrägen Beleuchtung.
Ganz gleich, ob man von der Böschung oder der Schichtlinie ausging, auf jeden Fall
konnte eine wissenschaftliche und sichere Schraffendarstellung nur auf dem Boden
der Annahme einer senkrechten Beleuchtung gedeihen.
Bei der endgültigen französischen Karte 1 : 80000 erscheinen die Schichthnien
ebensowenig wie auf den deutschen offiziellen Karten.^ Jedoch achtete man in Frank-
reich etwas mehr darauf, daß durch die Enden der Schraffen die Isohypsen deutlich
gekermzeichnet wurden, wie z. B. bei einem Teil der Minutes 1 : 20000, was man
dadurch erzielte, daß die untere Schraffe nicht in die Verlängerung der obern fiel.
Dieser Gesichtspunkt wie auch der, mit einem dünnen weißen Streifen den Verlauf
fler Isohypse, nachdem sie entfernt ist, zu markieren, sind in den Kommissionen
wohl erwogen worden. Der Vorschlag jedoch von General d'Hautpoult zur Ersichthch-
machung der zwischen den Kurven gelegenen Geländestreifen, die Schraffen nur
senkrecht auf die obere Schichtlinie zu stellen und sie ausgokeilt nach unten verlaufen
zu lassen, hatte keine Anhänger gefunden.^
:$Oil. IHc s<'ll)Ntän(li;;cii Aiisiifzt' zu einer BöschuugsschraHe. Das Abstand- oder
\ ierti'lgesetz. 1S02 wurde in Paris eine besondere Kommission ans Gliedern der
* Darum ist nach Penck die J^hmannHclie Darstellung im wesentlichen eine klinonietrisolic
mifl die französische im wesentlichen eine hypsometrische. Vgl. A. Penck, a. a. O., S. .53.
* Im Anfange des Weltkriegs sind mir englische Karten,' besonders aus der Gegend von Mau-
Ijfmge, zu Gesicht gekommen, die in mattem Druck die französische Schraffenkarte in J : 80000 wieder-
gaVKin und darüber in bräunlichem Druck das alte französische Original-Iso>iypsengcrip])P, «las zum
Aufbau der Schraffenkai-te gedient hat.
^ Memorial, s. Anm. 8, IV. S. 380.
Di.. H;is.lmi.Kss..|,iulVr 1,,-i ,1,.„ Franzo»...!. 5:^1
verschiedensten Staatsdienste, wie des Kriegs-, See-, Berg- und Forstwesens, des
Straßen- und Kanalbaus, der Statistik, zusammengesetzt und behufs der Vervoll-
kommnung der Kartographie beauftragt, „die in Karten, Plänen und topographischen
Zeichnungen gebräuchlichen Zeichen zu vereinfachen und übereinstimmend zu machen".
Die Schraffe wurde von ihr als Gefällslinie bezeichnet und sollte dementsprechend
behandelt werden. Nichtsdestoweniger entschied man sich für die schräge Beleuchtung.
Dagegen drang 1807 die Ecole de l'Artillerie et du Genie in Metz beim Ministerium
mit der senkrechten Beleuchtung für die Schraffenbehandlung durch, und ihre In-
struktion von 1817 wurde maßgeliend für die Karte 1 : 80000, wesenthch gefördert
durch Oberst Bonne vom Kriegsdepot, seinerzeit in Deutschland durch seine Tätig-
keit bei der Einrichtung des bayrischen topographischen Bureaus bekannt. ^ Als
1818 die Schule des Großen Generalstabs organisiert wurde, sagte man sicii von den
Vorschriften von 1802 gänzUch los. 1826 wurde vom fi-anzösischen Kriegsminister
Marquis de Clermont-Tonnerre eine Kommission eingesetzt, die beauftragt war,
„die Mängel in der Behandlung der neuen topographischen Karte von Frankreich
(1 : 80000) zu beseitigen, deshalb die verschiedenen zur geometrischen und physischen
Darstellung des Terrains angewandten oder proponierten Methoden zu prüfen und
darunter diejenige auszuwählen, die den Vorzug der allgemeinen Aufnahme ver-
diene".^ Zunächst wurde der Grundsatz formuliert: Der Zwischenraum der Öchraffen,
die senkrecht auf den Schichtlinien zu stehen haben, steht im umgekehrten Ver-
hältnis zur Steilheit der Gehänge.^ Diese allgemeine Bestimmung hätte für eine
plastische Herausarbeitung des Geländebildes schon genügen, können. Allein die
Kommission ging weiter und schrieb für die Zwischenräume der Schraffen voneinander
ein imabänderliches Maß vor, das der Ingenieurgeograph Benoit ausgedacht hatte
und seit längerer Zeit an der Generalstabschule und an der Schule von St. Cyr aus-
probiert worden war.* Nach ihm muß der Zwischenraum zwischen zwei benach-
barten Schraffen gleich einem Viertel der Länge der Schraffen sein, oder was auf
dasselbe hinauskommt, dem Viertel der Kotangente des Böschungswinkels. Wird
dieser mit u bezeichnet, dann ist die Horizontalentfernung der Schichtlinien, also
die Schraffe = cot u, wenn der Vertikalabstand der Scliichtlinien (in der Natur) = 1
ist. Der Zwischenraum z = '/^ Schraffe = 1/4 cot u.
Dies sog. „Abstand- oder Viertelgesetz" (la loi du (iui\rt) faßte den Gegenstand
viel zu starr und mechanisch auf. Die Praxis konnte ihm streng nur folgen, wenn
die lienachbarten Schichthnien parallel und gerade waren. Häufiger jedoch sind
si(^ gekrümmt und ihre korrespondierenden Segmente nicht gleich lang. Sollen diese
senkrecht verbunden werden und die Schraffen daliei gleich stark bleiben, müssen
die Zwischenräume nicht bloß untereinander verschieden groß, sondern jeder au sich
schon verschieden gestaltet sein. Deshalb brachte das Viert(>lgeset/. den Zusatz:
' Vsjl. K. XiMuc-iitliPi-: Das prsto .lalirli. des to|)nirmpli. Riiroims dos k. baycr. (!on<'mI«tnl>s.
München 1!KX), .S. 4ff.
- I)io Verhandlung; dieser Koniini»,Mion. die liis zum Jahro 182« fortgesetzt wurden, sind im
III., IV. u. V. Bande der neuen Au»natK> (1829) de« M^-morial du D(^i)öt g/uieral de la «iierro um.itand-
lieh mitgeteilt.
' Mi-morial, a. «. O., V. S. 480-482.
* Berthaut, a. a. O., S. 143. — B<<rthaut.H Work bietet zUKloi'h eine «uto Auswahl von Kartoii-
aUMfMhnitteu der vorsehiedenen Üriginalaufnahmen (Minutes) in 1:10000. 1 :200t»0 und l:40(MX) bo-
iiil>ci(etiMi Kurten.
84«
532 '>'!' wiKsi'iisclml'ilii'licii (iniiuUiiyen der (jcllliulcdarstflliui';-.
Wenn die Schraffen zwischen zwei Kurven merklich divergieren, sollen die von ihnen
begi-enzten Zwischenräume auf einer Linie gemessen werden, die auf der Mitte einer
Schraffe senkrecht steht. Damit ist aber den Übelständen des Gesetzes, das, wie
auch Michaehs 1845 schon urteilte^, nur durch den Schein einer größern Darstellungs-
schärfe leicht für sich einnehmen konnte, noch immer nicht vollständig abgeholfen.
Die «jicringen Böschungen wurden leidlich dargestellt, weniger die steilen, was die
cibofftc Plastik beeinträchtigte. Man mußte das Gesetz noch weiter einschränken,
was indes ein ganz anderes Prinzip der Darstellung voraussetzte. Hatte der hori-
zontale Isohypsenabstand 2 mm erreicht, so waren von da al) die Schraffen pro-
))ortional der Steilheit des Geländes zu verstärken. Mit dieser Zusatzbestimmung
war man zu dem mehr ästhetischen Moment der ursprünglichen Festsetzung zurück-
gekehrt, gewissermaßen gegen den Willen der Kommission.
310. Schraffenskalcn von Boune und Ilossard. Resümee. Mit dem verbesserten
Yiertelgesetz war man nicht zufrieden gestellt, weil mit der Schattierung oder Ab-
fönung, die im Qiiadrat der Böschung zunahm, die steilern Böschungen viel zu dunkel
wurden, und in keinem mathematischen, d. h. organischen Zusammenhang mit den
flachern Neigungen standen. Oberst Bonne entwarf deshall) 1828 eine Skala, nach der
jede Schattierung wie der Sinus des Neigungswinkels wachsen sollte, der Sinus von
100" bezeichnete das absolute Schwarz. ^ Doch auch diese Skala hatte nicht den ge-
wünschten Effekt, und Bonne schlägt eine andere Skala vor, nach der das Schwarz
gegenüber dem Weiß ^/^ des Sinus der Neigung betragen soU.^ Durch die neuern
Skalen wurde das Bild der Berge weniger dunkelfarbig, das der sanftem Böschungen
verlor dagegen an Ausdruck. Die Praxis hielt mit den Neuanforderungen nur teil-
weise Schritt. Viele der zu jener Zeit ausgearbeiteten und veröffentlichten Sektionen
der Karte 1 : 80000, wie Strasbourg, Lauterbourg, Nancy, Abbeville, Rheims u. a. m.
wurden damals schon als geschmacklos bezeichnet.* Die Höhen lassen in ihrem
meist übertriebenen Schwarz wenig von dem Geländedetail erkennen und die un-
gelenken großen und weitläufigen Schraffen der niedern Geländestufen streben wie
Spinnenfüße auseinander.
Endhch wurde 1853 die Skala von Bonne durch die des Majors Hossard er-
setzt*, die wenigstens den Vorteil hatte, fast gleichmäßig für die Ebenen, die Mittel-
gebirge und Hochgebirge zu passen. Bei Lichte beselien, ist sie ein aus allerlei Er-
fahrungen zusammengesetztes Flickwerk, das aber in seiner Gesamtwirkung nicht
schlecht war und sich wesentlich Lehmann genähert hatte. Nach Hossard wird die
Hdlie zur Basis als Tangente des Neigimgswinkels in Beziehung gesetzt, ist mithin
uiciits anderes als der andere Ausdruck für die Kotangente des alten Viertelgesetzes.
Die Schattierung ist proi^ortional der Neigung und hat den Wert des Winkels, den
sie reju-äsentiert, multipliziert mit 1,5. Ist die Neigung 1/i, so die Schattierung
s = 1/6 (1,5) = 1,5 tg «. Für die (4röße des Zwischenraums (2) der Schraffen stellt
die Formel auf: z = Yh/m + n. m und /( sind zwei Konstante, die durch
1 E. Michaeli«, a. a. O., S. 19.
' Praktischcrweise ließen die Franzosen das volle Schwarz bei .W" Neigung, entsprechend dem
I.<-hmaimschen Prinzip, eintreten. Sie rechneten den Viertelkreis zu 100", also neue Teilung.
' Berthaut, a. a. O., 11. Paris 1899, S. ^0.
* E. Michaelis, a. a. 0., S. 23.
» P.erthaut, a. a. O. IT. Paris 1899, S. .'51.
Diu Zukiiiift der SiliiaHc. 533
(lif Erfaliruiig gewonnen sind, w* = 9 und n = 0,1G mm. Mithin ist z ■— ^bß +
U,1H mm.
Als Eesümce über die französische Schraffendarstellung bei senkrechter ]>(•-
Iciiclitung muß ich folgendes feststellen, daß die Franzo.sen wissenschaftlich Brauch-
bares nicht geliefert haben. Trotz aller Bemühungen war es ihnen nicht gelungen, das
deutsche oder Lehmannsche System zu ersetzen oder gar zu übertreffen. Die gesamten
Skalen, die im Laufe eines halben Jahrhunderts entstanden, sind die notdürftige
Verquickung allerhand Erfahrungssätze mit mathematischen Kunstgriffen, die von
dem praktischen Kartenstecher nur insoweit beachtet wurden, als durch sie ein stetiger
Fortschritt in der Abtönung der Geländeneiguugen auf der Karte nicht beeinträchtigt
wurde. Mit innerm Takt wurde das Bichtige mehr herausgefühlt als nacli wissen-
schafthcher Methode gestaltet. Darum sehen wir in der Schraffendarstellung der
Sektionen der Karte 1 : 80000, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts
erschienen, ein hinreichend einheitliches Bild, das bei dem Maßstab und dem Um-
fang der Karte befiiinligen muß, auch nicht der plastischen Wirkung entliehrt^, die
allerdings bei den Alpensektionen mit auf Kosten der schrägen Beleuchtung zurück-
zuführen ist. Wenn man liedenkt, wieviel an den Schraffenskalen innerhalb des
Werdegangs der Karte herumgedoktert worden ist, huiß man bloß staunen, was
für ein brauchbares und vielfach auch schönes Ergebnis erzielt wurde. Daß die Karte
heutigen .\nforderungen nicht mehr genügt, das verschlägt nicht. Km-z gesagt liegt
der Fehler des ganzen Systems darin, daß man von vornherein nicht vorurteilsfrei
auf das Lehmannsche Prinzip aufbaute, daß mau nicht wie Lehmami von dem physi-
kalischen Gesetz der Beleuchtung schräggestellter Flächen ausging und sein Heil
in einem Kompromiß zwischen den Erfalu^ngen der Offiziere bei der Aufnahme und
den Erfahrungen bei der Eeduktion in 1 : 80000 und lieim Kartenstich gesucht hat.
IV. Die Zukunft der Schraffe.
:!ll. Dir /iikuiill (It'i uisNt'iix'lialllicIu-n SihrallV. l.vhniaHii ilci khiNsikiM iIit
(u>läiultMiur>tclluug. Die deutsdie Kartographie mul Wissenschaft hat das Wesen
der Seliraffc richtig erfaßt und ihr einen mathematischen Halt gegeben, der es er-
iiiipglicbt — dii' notwendige Fertigkeit vorausgesetzt — . sie ohne geringstt's subjektives
Hinzutun immer wieder an jeder Stelle gesetz- und gleichmäßig anzuwenden.
Deutsche, einschließlich Österreicher, haben es verstanden, die umfangreichsten und
bedeutendsten Schraffenkartenwerke herauszugeben. Ihnen reihen sich dii' Franzosen,
' Der mouuineiiUilc ChanikU-r dür fraiizi'»». CiCiicmlsUibskarte kain »o tt>cl>t ziun .Aiisdnirk.
als man dii- 264 Blätter Ijci (k-r \VVltaiw.Mt<-llimn 7.» Paris 187H zu i-iiicm Tahleau (12 x 12', s ■") '•"■
sjiiiimengeset/.l hatte. H. Siegfried beiiplitct dandM-i (tfeograph. u. cosiuograpli. Karton u. .V|i|«rat<\
Ziiriili 187!>. S. 8): „Man glaubte damals, diu in »onkrtH-htor Bolcuclitung ausgeführten Blätter weH<n
III der Ziwamraonstellung keinen Kffekt niaclien. Eh war jedm'li andci-s; die dunkeln Töne der Kr-
licbungen und die hellem der Ebenen ließen ein aiLsgesimK'henes Heliefbild des Tandes ent-stchen.
Die Keiuitnis der einzelnen Bliilter des .\tlas lieli nicht ahnen, daß die Znsjinunens.-1/.uiig ein wie aus
einem <iuB entstandenes, in allei\ Teilen übereinstinunendes Bikl liefern würde. Die Irsaihen diews
Krfolges liegen einesteils in der Bewundejtmg de» Bosehauers, der weiß, weleh kiilns-nalc .VrtHMtonuMige
liier in einem Werke zusamnu-ngedriingt ist. uml andemteils in der vom .\nfang bis zum Ende dureh-
irefuhrten Konsequenz stnnger (inindsiitze, welehe der Phantasie und den [lerwinliehen Meinungen
lind Liebhabereien keinen Spieli-aiun gestattete."
534 l>ie wisfciisi-liaftliclicM (ininilliiiiCM dci- Geliiiidcduratrlhiii!;-.
Italiener, Belgier, Engländer, Schweden, Norweger und Eussen an, unlcr ilnnii nur
die Franzosen sich zu einem eignen Schraffensystem durchzuringen suclidn, wiiliirinl
die andern ganz in deutschem Fahrwasser segeln.
Auf die Einwände, die man der Lehmaimschen Scluaffe gegenühti- erhoben
hat, will ich nicht noch einmal eingehen, da ich sie als genügend berücksichtigt er-
achte. Ich spreche hier mehr von allgemein wissenschaftlichem und kulturhisto-
rischem Standpimkte, und allein über die Bosch ungsschraffe, derm als Schatten-
schraffe mid Darstellungsmittel für irreguläre Formen, wie Brüche, Spalten, Felsen,
wird die Schraffe so lange gebraucht werden, wie noch ein Mensch Karten zeichnet.
Ähnliche Gedanken, wie ich hier entwickle, hat J. J. Pauliny in seinem Memoire
über eine neue Situationspläne- mid Landkarten-Darstellungsmethode^ in weit
schärferer Weise zum Ausdruck gebracht: „Allenthalben hat man sich des Schraf-
fiorens schon entledigt. Die Tage der Schraffen sind gezählt. Diese überaus lang-
atmige, mühsame, kostspiehge, fast könnte man sagen, undankbare Arbeit (längst
schon von Fachmännern ersten Eanges als eine Versündigung an der menschlichen
Arbeitskraft gescholten), steht nicht im Einklänge mit den allgemein raschem Be-
wegungen des Fortschrittes der Gegenwart und ihren gegen früher weit höher ge-
stellten, praktischen Anforderungen der Neuzeit auf allen Gebieten der Kunst und
Wissenschaft, des Gewerbes und der Industrie. "^
Die wissenschaftliche Schraffe, wie sie Lehmann inauguriert hatte, ist ein Kind
ihrer Zeit, also auch mit all den Tugenden und Untugenden dieser Zeit behaftet. Aus
militärischem Geist geboren, stirbt sie mit ihm, d. h. mit der Periode, wo das Militär
das offizielle Karten wesen nicht mehr ausschließhch beherrscht. In diese Epoche
sind wir jetzt eingetreten. Schon um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts klagten
selbst mihtärkartographische Schriftsteller und Praktiker, wie Streffleur, Chauvin
u. a. darüber, daß die Schraffe ihre Macht ledighch durch die Bevorzugung von
militärischer Seite erlangt habe. Sicher ist, daß sie als Böschungsschraffe durchaus
militärwissenschaftüchen Geist atmet. Auf den von mihtärischen Auspizien her-
gestellten Kartenwerken hat sie ihre größten Triumphe gefeiert. Andere Zeiten,
andere Anforderungen! Nur ein sehr reicher Staat könnte sich heute den Imxus
gestatten, eine großmaßstabige Karte eines weiten Gebietes in Schraffen heraus-
zugeben. Die Zeit ist zu kostbar geworden, als mit dem Stich eines solchen Werkes
Jahrzehnte zu verplempern. Gesetzt, Zeit wäre noch genügend vorhanden, so sind
doch jetzt wahrlich andere Darstellungs- und Eeproduktionsmethoden entstanden,
die die Gewähr für ein besseres und wissenschaftlicheres Kartenbild geben als die
liohmaimschen Schraffen.
Selbst in ihrer ,, Wissenschaftlichkeit" birgt die Böschungsschraffe einen Todes-
keim. Auf der einen Seite entwickelt Lehmann das physikalische Gesetz von der
Abtönung schräg gestellter Flächen, und auf der andern verwirft er es im Nu und
bringt eine Skala, deren Verhältnis von Schwarz zu Weiß ganz in arithmetischer
Progression gegeben wird. Ich kann mir nicht denken, daß er aus reiner Liebe zu
einem einfachen Aufbau der Schwai-zweißreihe die arithmetische Progression ge-
1 J. J. Pauli ay: Streffleurs ÖHteneich. Militäi-Z. IV. Wien 1895, S. 66ff.
- Nach dicHen Ausfühiiuigen müßte man erwarten, daß Pauliny die Lehmannsche Bosch ungs-
schraffe in Gnuid und Boden verdamme; indessen lesen wir auf S. 84 der eben zitierten Schrift, daß
die Schraffierung ,, prägnant, scliarf aiisgedmckt, bestimmt mid markant" ist. Also auch er steht
ti-otz seiner neuen Geländcdarstellungsmethode nocli im Banne der Lehmannscncn Schraffen.
BöscliUDg-MsclinirtV und Sfliatteiist-hrafl«-. 535
wählt habe, viehiiihr vermute ich, daß er in der Schraffe, Nvie er sie nun einmal als
Böschungsschraffe anwenden mußte, doch nicht ganz das geeignete Mittel sah, der
Interpret der wirklichen Abtönung schräger Flächen zu sein. Sie war ihm sicher
zu spröde imd zu wenig abwandluugsfähig im Sinne des physikalischen Gesetzes der
Lichtabtönung. Tatsächlich hat die Schraffe von Natur aus etwas Starres und Sprödes,
zuweilen selbst Derbes an sich, was sie auch innerhalb des Lehmannschen Systems
nicht verleugnet und diesem darum einen einseitigen starren Charakter verleiht.
Dieser verschafft sich so lange Geltung, bis eine Summe überzeugender Tatsachen
ihn gefügig machen oder als verbraucht der Historie anheim geben.i
Es war gänzlich ausgeschlossen, daß Lehmann etwas von einer heutigen Ent-
wicklung der Kartographie ahnen konnte, war doch zu seiner Zeit noch nicht einmal
der Steindnick erfunden. Allmählich reifen die neuem Verfahren heran, die bei
geringem! Kräfte- und Zeitverbrauch wirkungsvollere und wissenschaftlichere Bilder
erzielen. Nicht katastrophal geht die Entwicklung vom gestrigen Guten zum heutigen
Bessern vor sich. Wenn das gute Alte zuletzt auch ganz im Neuen untertaucht, war
doch sein Dasein berechtigt. Das wollen wir auch dem Lelimannschen Systeme gegen-
über festhalten; denn Lehmann hatte als ein Erster das Beste, was seine Zeit leisten
koimte, für die wissenschaftlieh kartographische Darstellung des Geländes heraus-
geholt, und xmgeschmälert muß ihm der Euhm bleiben, daß er am Schlu.sse des 18.
und am Anfange des 19. Jahrhunderts die moderne, vielen praktischen Bedürfnissen
gerecht werdende Geländedarstellung, die weit über hundert Jahre hinaus die offizielle
Kartographie beherrschte, begründet hat. Unter den Klassikern der Geländedarstellung
nimmt er den ersten Platz ein. Seine Widersacher mußten verstummen, die andern
haben recht behalten, und so gilt ganz und gar für Lehmann auch der Ausspruch
aus Marcellinus' Leben des Thucydides: ö yün roiV üoifTroig tTtaivovfuvoi xui
xtxpifiii'jjv /"io^av f.ußf'iv ((vuyituirrov iU rov dtira /noiov xixrtiXui r'i,v Tini,v.
('. I>ie Schattenschralle.
I. Böschungsschraffe und SchattenschrafTe.
:!1-J. I»a> Wt'M'ii (In ItilMluiii^iNNciirallc iiinl >.li:i(li-iis.lirallc. Dif Sehatteu-
schrufff hat an sich kein wissenschaftliches Gepräge, sie ist mehr künstlerischer,
ästhetischer und allgemeiner darstellender Natur. Sie ist ein Darstellungsmittel,
(las, der Natur abgelauscht, auf die (ieländefomien der Karte übertragen, d. h. üImt
die Gehindeformen nach einer l>estimmtin Hig<l ausgestreut wird, um diese Formen
schnell und nachdrücklich zu veranschaulichen. Total ist sie von der Böschungs-
schraffe vei-schieden. Diese ist aus der Natur heraus konstmiert, mathematisch
bestimmt und repräsentiert Gel&ndctatsachen, hat in eminenten» Simie etwas Kör|H'r-
haftes, jene dagegen etwas Schenu-nhaftos. das ständig wechselnd und im»(ional ist.
Beide sind von Hause aus so weseiisimgleicli, daß man sie eigentlich gar nicht mit-
emander vergleichen darf. Weil dies bisher nicht erfaßt wurde, finden wir die länger
' An anderer St.llc halte icli da» Hild d«>» alti-lirwUrdinon .Vristokraton Iflr dir Sclimflrnkartc
i.ht, s. s. w.
536 nie wisson.-^fliuftllrlin. (;iMii(ll;.f;rn a.r (J.läMcInlMr.stclhing.
als eiii Jahrbundeit währeiule Konfusion beider Begriffe, die unglückseligerweise
das Wort „Schraffe" und das Ausdrucksmittel die „Linie" oder den „Strich" gemein-
sam haben. Die r>ci-.(liuii^'>>[liraffe kann nur schwer durch ein anderes mathematisch
gleich- oder hüherwi n i^i> d. Lildc ersetzt werden, wie wir später noch sehen werden,
dagegen die SchattenMliral'fe als Schattengehilde weit hesser noch durch Schummerung
oder einen sonstigen Farbenton, der geeignet ist, Geländeseiten gegensätzlich zu
bezeichnen. Die Böschungsschraffe ist ein Formenelement, die Schattenschraffe
ein Farhenelement. Hätte man nur einigermaßen an all diese Wesensunterschiede
gedacht, würde es vielen wie Schujjpen von den Augen gefallen sein, und manche
Kontroverse wegen der Berechtigung schiefer oder senkrechter Beleuchtung wäre
unterblieben.
In der Schattenschraffe, die schon auf niitfelaiferlichen Kartenbildern zu l)e(>b-
achten ist, hatte sich ein malerisches Darstellungsmittel, hauptsächUch seit der Be-
naissance in die Karte eingenistet, dessen Lebensfähigkeit selbst keine Einbuße erlitt,
als Ende des 18. Jahrhunderts die Berge mit energischem Griff aus ihrer vertikalen
Projektion in die horizontale umgelegt wurden. Durch die Schattenschraffe wird
zunächst belichtete und unbelichtete Seite in Gegensatz gebracht. Je länger und
kräftiger sie gehalten wird, je mehr wird der Eindruck des Großen, des Hohen er-
weckt. Somit geben ganz allgemein ausgedrückt die Schatten einen Anhalt, sich
eine Vorstellung von der Größe und Hohe der Geländeformen zu machen. Befindet
sich das Auge des Beschauers senkrecht über einem hohen Berge, ist dessen Höhe
nicht abzuschätzen. Allein der wechsehide Schatten gibt einen Fingerzeig, sich ein
ungefähres Bild von der Hohe zu machen. Würde der Berg keinen Schatten werfen,
käme seine Höhe absolut nicht zur Geltung, wie sich jeder aufmerksame Beobachter
im Flugzeuge schon bei geringern Höhen überzeugen kann. In dem ewigen Wechsel
des Schattens sucht die Schattenschraffe ein Augenblicksbild festzuhalten; leider
ist dieses nicht der Natur entnommen, weshalb der einseitig beleuchteten Karte
größtenteils etwas Gemachtes, Eingebildetes und Vorgetäuschtes anhaftet. Diese
Mängel werden etwas behoben, wenn die Karte auf Grundlage eines gut modellierten,
schräg l)eleuchteten EeUefs bearbeitet wird. Ist dies jedoch nicht mehrfach ülur-
höht, geht der gewünschte Effekt in die Brüche; und der Schlagschatten ist eine
unangenehme Beigabe, da durch ihn (und teilweise durch den Eigenschatteu) haupt-
sächhch das Gelände verdimkelt wird, das das wirtschaftlich wertvollste ist. In
der Erkeimtnis dieser Tatsache erschemen die meisten einseitig beleuchteten Karten
ohne Schlagschatten. 1 Wieder eine große Unwahrheit. Angedeutet sei hier, da es
später noch ausführlicher zu erörtern ist, daß ein Eelief je nach der Hinanelsrichtung,
\on der es beleuchtet ist, ganz verschiedendeutig ist.
;il3. Das Aflsehauuiigsbedürfnis des menschlichen Oeistes. Die Arten der Be-
leuehfuiij!;. Die entschiedene Beliel)theit der schräg beleuchteten Karte beim großen
I'uhlikum liegt in dem Anschauungsbedürfnis des raenschhchen Geistes und in dessen
Unvermögen, einen Komplex verschiedener Vorstellungs-, bzw. Wahmehmungs-
ursachen mit einem Male zu überbUcken und aufzunehmen. Darauf beruht, wie
icli gelegentlich schon durchblicken ließ, das Täuschungsprinzip sinnHcher Wahr-
nehmungen, das in der schräg beleuchteten Karte zum Guten ausgenutzt ist, freilich
• Unter di-n Karton, die fithlagschatteii hriiijicn, ist die ]Vlont))la,nc-Kartc in I:ö0000 von
Imfeid berühmt geworden, Paris 1896, von Lcuzingcr in 9 Farben reproduziert.
liöschuiigssfhratle mitl ScIiattciutcbraUi;. 5;j7
auf touiistisclu'n und schulpäclagogischeii Kartt-n vielfacli ülxitrklicii, uiul ilaiin
leider auf Kosten des wissenschaftlichen Fundaments. ^
Die schräg beleuchtete Karte hat das der senkrecht beleuchteten gegenüber
\oraus, daß der Schatten wirkUch ein Teil der Lichtverhältnisse der Natur ist und
dadurch den Schein eines konkreten Daseins erhält, dagegen existiert die senkrechte
IJeleuchtung unserer Gebirgswelt gar nicht, höchstens in den Tropen, aber da auch
nur auf schmaler Zone. Zuletzt ist die senkrechte Beleuchtung der Böschungs-
schraffeukarte gar keine Beleuchtung, sondern lediglich eine von militärteclmischeni
Standpunkt aus geleitete Konstruktion des Effekts senkrecht beleuchtet angenommener
schräger Flächen nach bestimmter mathematisch fixierter Schablone, die den wirk-
lichen Beleuchtiingsgesetzen, deren Skala für wenig gebösclites Gelände minimale
Abstufimgen vorsieht, nur in den gröbsten Zügen nachkommt. Trotz dieses Mangels
kami man der Böschungsschraffe nicht vorwerfen. l)loße Fiktion zu sein, welcher Vor-
wurf hinwiederum der schräg beleuchteten Karte nicht ei-spart bleibt, insofern die
Lichtciuelle verschieden geneigt und von verschiedener Richtung aus angenommen
wird, und zwar meist so, wie es weniger der Natur als vielmehr der Zimmerbeleuchlung
entspricht. Ich luiterscheide der Einfachheit halber senkrechte Beleuchtung
oder Oberlicht, im Winkel von 90" zu dieser die Seitenbeleuchtung oder Seiten-
licht imd im Sjüelranm zwischen 0—90" die schräge oder schiefe Beleuchtung
oder Schräglicht. 2 An der Hand eines Modells kaim im Laboratorium die schräge
und Seitenbeleuchtung veranschauhcht werden, niemals die senkrechte unserer Karten,
eben weil sie keine wirkliche Beleuchtung ist.
Nicht mierwähnt sei, daß es in ganz besondern Fällen möghch ist, der Schatten-
schraffe auch mathematisch beizukommeu. doch lohnt die darauf verwandte Mühe
nicht, und kartographische Regeln, ähnUch wie bei der Böschungsschraffe. fest-
zulegen, ist ausgeschlossen. Femer läßt sich aus dieser wie von den Niveaulinien
zu jener überleiten, nicht aber umgekehrt. Die Bosch imgsschraffe bewahrt ihr Ver-
hältnis von Schwarz zu Weiß imierhalb paralleler Niveaulinit'n. ganz gleich, ob diese
gerade oder in Kurven verlaufen; letztiTer \'erlauf ist Regel und in bewegtem Terrain
bald konkav, bald konvex, welchi-m A\'echselspiel die Schattenschraffe mit vei-schiedeuer
Intensität nachkommt, je nach Höhe mul Richtung der fiktiven Lichtquelle.
314. Kein kousequeutcs SehrUsrlicht. Ein nicht wegzudisputierender Vorzug
der Bo.-icliungsscbraffe ist, daß sie überall und jederzeit unter gleichen Voraussetzungen
immer wieder gleichmäßig angewandt werden kann, während die Anwendung
der Schattenschraffe, wenn sie auch in der Gesamtheit einen scheinbar regelmäßigen
l'iindnick gewährt, doch unregelmäßig gescliieht. Bei streng angenommenem NW-
lanfall der Lichtstrahlen bemerken wir z. B., daß Bergstöcke, deren beide Häng--
in der Richtung der schrägen Lichtstrahlen liegen und also gar kein Ijicht bzw. keinen
Schatten emiifaiigiii können, dennoch auf der einen Seite stark belichtet und auf
der andern stark bischattet sind, damit die plastische Wirkiuig (also künstlich!) d.n
andern, der Licht(|uelle gegenül)er günstiger liegenden (iehänge nicht golurt winl.
So sieht derjenige, der wirklich sehen will, auf den meisten schräg belichteten Karliii
ein Sammelsurium erlogener Tlastiken. Ja, um Gelände, das in schräger Beleuchtung
weniger günstig wirkt, darzusti-llen. wird auf denselben Karten zur senkrechten Me-
' Wie in j) 2Ht) aii.sfUlirlitlu-r cntwirkolt wordt'ii i»[.
' Für schiefe Brlcuititung wird vicIfiK'li fiilsc'lilirluTHri!<c Seil«'iilM-li-iii.l'tuiig g««liricben.
538 Hie wissenschaftliclirn (iniiifllancii fli r (ii'liindcdaistelluny.
k'uchtung die Zuflucht genommen. So sind die meisten derartigen KmUii nicht
in einer Manier, sondern in Mischmanier dargestellt.^ Nur gelegentlich werdm
von der Kritik all diese t'helstände berührt. Bei vielen derartigen Kartengehilden
ist es zuletzt auch schade, sie unter feine, kritische Sonde zu nehmen. Es ist nur
bedauerlich, daß auf diese Weise das Gesetz von den Hemmungen des psychischen
Mechanismus (s. oben) füi- Nichtkenner, d. h. in diesem Falle für Laien und Kinder,
in schamloser Weise ausgebeutet wird. Gerade das Mundus vult decipi, ergo de-
cipiatur sollte hier peinlichst vermieden werden. Immerhin springt doch das Gute
aus diesen Betrachtungen heraus, eine erfreuliche Zukunftsperspektive offenbart
zu sehen, daß 'die Aufgaben der Kartographie, insonderheit der Scbnlkartographie,
noch lange nicht erschöpft sind.
315. Die Auweuduugsbereiche von Böschungs- imd Schattenschraffc. Trotz
aller Mängel, die der schrägen Beleuchtung anhaften, wird sie einen dauernden Platz
in der darstellenden Kartographie behaupten, ganz gleich, ob man ihr ein wissen-
schaftliches Mäntelchen umhängt oder nicht. Die Behebt ungsgesetze zeigen und
lehren, daß da, wo Schatten mit dem grellsten Licht zusammenstoßen, sie am dunkelsten
wirken. Wo viel Licht, da viel Schatten, sagt nicht umsonst der Volksumnd. Be-
kannthch sind in jeder Landschaft die Schattenwirkungen in der Nähe stärker als
in der Feme, wo Licht und Schatten zuletzt Grau in Grau ineinander überfließen.
Auf die horizontal projizierten Gebirge übertragen, werden die Teile den stärksten
Schatten erhalten, die dem darüber gedachten Beobachter am nächsten zu liegen
scheinen; die beleuchtete Bergseite wird ihm „je höher desto heller" erscheinen und
die andere ,,je höher desto dunkler" (gleichsam eine Verquickung der beiden Prin-
zipien der Höhenschichtendarstellung). Die Böschungsschraffe befolgt nur ein Prinzip
klar imd scharf: ,,Je steiler desto dunkler." Im Grat stoßen beide Bergseiten scharf
zusammen. Darum hier der größte Gegensatz und damit die größte Wirkxmg. In
den Ketten der Alpen haben wir in der Hauptsache scharfgratige Berge vor uns,
xmd selbst da, wo sich von Natur aus die Seiten weniger nach der Höhe zu schärfen
oder in Felsen auskeilen, werden die Kämme bei der Verjüngung der Karte als scharf-
gratig dargestellt. Darum ist es natürhch, ja kartographisch zweckmäßig, diese
Bergformen in schräger Beleuchtung wiederzugeben, um so die Anschauungskraft
des Bildes zu erhöhen. Gerade in der Veranschaulichung der Höhe Hegt der Vorzug
dieser Geländedarstellungsart gegenüber der reinen Schraffenkarte. So Vorzügliches
die Böschungsschraffe bis 45" Neigung bei den wechselreichen Formen von Plateaus
und Gebirgsrückexi im Mittelgebirge leistet, so verhert sie bei Neigungen des Hoch-
gebirges, die über 45" hinausgehen, mählich an plastischer Kraft, wie auch bei lang-
anhaltenden Böschungen. Darum wird man bei der Anwendung beider Arten immer
von Fall zu Fall zu entscheiden haben; ja, es würde geradezu töricht sein, nicht das
Mittel zu wählen, was am besten seinen Zweck erfüllt. So wird auch hier die Zweck-
bestimmung und der Maßstab (letzterer erst an zweiter Stelle) das Ausschlaggebende.
Eigentlich ist das eine Binsenweisheit, aber man glaubt nicht, wie oft sie schon gesagt^
' Nur in dieser Verbindung darf man von ,, gemischter Manier" oder kurzweg „Mischmanier"
sprechen, nicht etwa bei der Verbindung von Schraffen mit Isohypsen, wie wir in J. Rogers „Gelände-
darstelhmg auf Karten', München 1908, S. 103 lesen.
- So unter andern vonEug. Oberhummer in seinem Vortrag über (jebirgskarten, Vll. Intern.
Geogr.- Kongreß, Berlin 1899. II. Berlin 1901, S. 96.
H<iK('llUII).'8iil'lllMll'l' UllJ ScIulttollHcIlliltVl'. 53<l
und wiederholt worden ist und trotzdem immer wieder vergessen wird. Verfehlt wäre es
aber, die seimige Beleuchtung einzig und allein fiir die Alpenkarten in Pacht zu nehmen
und der senkrecht beleuchteten Hochgebirgskarte jegliche Plastik abzusprechen;
auch A. Penck nimmt in seinen Studien zur GelündedarstoUung des öftern Gelegen-
heit, auf die plastiFcho ^^'irkung senkrecht belenchteter Alpenkarten hinzuweisen.'
316. l>a>s Aerhällnis der Bösehunsts- und Schatteuschralfe zur Schichtlinie. Die
Schattenschraffe will das (ielände malrn, geht auf einen großem Benutzerkreis au.s,
die Böschungsscliraffe will es zunächst bloß militärtechnisch, aber auch wissenschaft-
lich erfassen, und ist in der Kegel auf eine kleinere, ausgewählte Schar von Benutzern
beschränkt. Das Manko, der Wissenschaft bar zu sein, sucht die schräge Beleuchtung
durch ein Hilfsmittel, die Schichtlinie, zu ersetzen, was sie aus einem ganz andern
Gebiet entnimmt, das mit ihrem Wesen absolut nichts zu tun hat. Dagegen gehört
die Schichthnie zum Wesen der Böschungsschraffenkarte, und ob sie darauf sichtbar
gezeichnet oder unterdrückt wird, ist in diesem Falle gleich. Weil die Schichtlinien
vorzugsweise Konstruktionsclemente der Böschungsscliraffe sind, war man sich am
Anfang ihrer Entstehung noch nicht darüber einig, ob man sie im Kartenbild belassen
sollte oder nicht. I'ür Lehmann war ihr Weglassen klar, da sie zu seiner Zeit
der sichern Stütze durch Höhenkoten entbehrten, für- die Franzosen, denen das
Wesen der Schichtlmien schon mehr aufgegangen war, war die komVünierte Manier
ein Gegenstand der Auseinandersetzung zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als man
sich mit den Präliminarien zu der Carte de France in 1 : 80000 befaßte. Gegen sie
machte Hauptmarm de Lostende geltend, daß sie unnatürlich sei, weil sie den Ein-
ilruck erwecke, als ob das Gelände in Stufenböschungen zerlegt sei.* Ein Vei-sucb
in der Verknüpfung beider Methoden lag bereits vor in den Karten zu Vacani's Storiu
delle Campagne e degU assedi dcgl' Italiani in Ispagna dal 1808 a 1813. Die Karten
wurden zu ihrer Zeit zu hart und zu allgemein beurteilt.^
Noch einige Dezennien mußten vergehen, bis man zur Einsicht kam, daß die
'J'erraindarst eilung in Schraffen mit senkrechter Beleuchtung, verbunden mit äqui-
distanten Schichtlinien, das Verfahren ist, das, wo immer es die Umstände erlauben
es anztiwenden, als das vorzüglichste, weil richtigste und verständlichste ist.* Dieser
Meinung ('. Vogels wird heute noch jeder Kartml^undige beijiflichten. Daß in der
kombinicrlcn ManitT das lde;il einer (Icliindedarstiilung zu erblicken is(, dürfte wohl
' z.B. S. 40 u. 41 (Neue Karten u. Reliefs der AliK-ii). wo Penek auf die iiusg«>zeiilmeteii
SfKzittlkarten der zentralen Zillcrthalcr Gebiigagiuppo und der \'onedigergrui)ix' in 1:50000 ru reden
kommt. Beide Karten »ind als Beilagen z. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1882 \i. 1883 erschienen. - Hierbei
erinnere ich auch an eine ältere sihöne Karte mit .schwarzen Shmffcn bei senkn-ehter IVIeuchtuug,
dieKantonskartcSt. Gallen mit Ai)iKn7.cll in 1 :250(¥».die J. M. Zii^'lcr IS.->2- ISSöin 10 Hl. her»usg»l).
' M6morial. a. a. <>., IV. S. :t7(i.
•' Mi^^ninrial. a.a.O.. III. S. 44ii. 441. Kin glciclur 'Iwlcl findet sich in der Bibliotlic<|U('
universelle de Uonevc. .April 182»: ...Mais nnus li\i (i\ Vacani) i-ei)iMclier<in« d'avoir emi>lo>»i ä la fnis
dans ses plans, les courbes horizontales et les liadiurt-s ]K>ur ivpivcnter le terinin; il cn rfsulte um-
cs[KVe de treillis qui produit l'effet le plus d^sagriSablc. ind(S|KMulamenl do la confusion nu'il jette PUr
("ut !<• dessin". G. H. 1). Auch in Deutschland wurden diese Verquickungen verdanunt, wie r. H.
auf din noi-wegisehen Ämterkarten von Kamm und Munthe.
' iS<> ('. Vogel bei der Bespn-> hung der ,Milit.irli.i>ognv|ihischen Karte der Insel Sizilien. M Bl.
in 1:100000. 1'. M. 1880, S. 23:!.
540 H'i' wissfiisrliat'tlielii'n CTi-unrlhiucii ilcr (JclkiKledarstillung.
zuerst in Deutschland eingesehen worden sein, und zwar um 1850 durch F. Chauvin.^
Kurz nach ihm liören wir von E. v. Sydow, daß die Vereinigung von gleichaliständigcn
Höhenschichtlinien mit einer in strichen oder Tuschtönen ausgedrückten Darstellung
der Bodenformen das Vollkommenste bleibt.- Er ist voller Zuversicht, daß es nun nicht
schwer fallen werde, die „Vorschriften für die ISituationszeichenkunst diesem Ideale an-
zubequemen". Gleichzeitig gab A. W. Pils seine Karte des Thüringer Waldes heraus',
mit sauber ausgeführten Schraffen und roten Schichtlinien von 100 zu 100 Pariser Fuß.
Die Mitte des vergangenen Jahrhunderts war eine rege Zeit für- Versuche der
Anwendung der verschiedensten Methoden; überall, in Deutschland und Österreich
sowohl wie in Italien, England und Eußland, pulste ein frisches, kartographisches
Leben. Lciilrr hatten all die verheißungsvollen Anfänge, wie sie besonders in Deutsch-
land und Östernich vorlagen, wenig Einfluß auf die Folgezeit gehabt. So mußte
späterhin manches wieder neu erfunden, oder von iVnfang an wieder begonnen werden,
um sich in der Kartographie wie in dem Benutzerkreis dauerndere Geltung zu ver-
^(■liaffrn. Viel hatte zu diesem Umschwung und Aufschwung der Meinungen die
unisterliaft ausgeführte Schraffenkarte mit Schichtlinien des Schlosses Wilhelms-
hi.iie hei Cassel in 1 : «OOO von Kaupert l)eig(tragrii.'
In größerm Umfange wurde die kombinieilc ^laniiT \(]iy,ii^s\vcisc in di'n Ijändn'n
verwendet, die mehr oder weniger an den Alpen partizipieren. Mehr nocii als die
senkrecht beleuchtete Karte hatte sich die schräg beleuchtete der Schichtlinien be-
mächtigt. Obwohl auch dadurch nicht der üble Eindruck gemildert wird, daß die
beschattete Seite steiler als die dem Licht ausgesetzte erscheint, so wird doch wenigstens
jetzt die schräg beleuchtete Karte für touristische, technische und wissenschaftliche
Zwecke liiaiuliliar. Ohne Schichtlinien dient sie mehr allgemeinen, ästljetischen
und ]ia<l;iL'ii;ji,(lirii Zwecken. Sie aber in ihrer Ausrüstung mit der Schiclillinie illier
die B^tecllUl)^'.-^^clu•affenkarte stellen zu wollen, ließe die Voraussetzung und das Zitl
der einen wie der andern total verkennen. Darum sollte fürderhin die kartographische
wie geographische Wissenschaft den Gegensatz zwischen schräg beleuchteter und
senkrecht beleuchteter Karte nicht mehr kennen, sondern nur die Erscheinungs-
formen zweier eigener Methoden, deren eine auf die Unterschiede der Böschungen
und deren andere auf den Gegensatz von Hoch und Tief hinzielt. Auch K. Peucker
vermeidet tunlichst den Ausdruck „senkrechte Beleuchtung", wenn es sich um Fälle
der Beleuchtung in Lehmamischer Manier handelt. Wenn im folgenden trotzdem
die Bezeichnung gebraucht wird, ist das nur eine Konzession an den Leser, um ihm
mit Hilfe gangbarer Bogriffe die Materie leichter verständlich zu machen.
IL Senkrechte und schräge Beleuchtung.
;]I7. Mvr Kampl um die senkrechte und schräge Beleuchtung, Im-scmuIcis auf
frauzösischer Seite. Auf dem Hoden iler Sehraffe ist der Kamiif zwischen senkrecjilei'
1 F. Chauvin: Die DaiHtclhiiin dci- Bi'ine in KarU'ii ii. Pliuu'U, mit bes. Puick.Hicht auf dio
Anwendbarkeit im Felde. Berlin 1852. - Das Bergzeicknen rationell entwickelt. Berlin If<54, 8. :!(>H.
- E. V. Sydow: Der kartograph. Standpunkt Europas am Schhisse des Jahres 1858. 1'. M.
1859, S. 228.
=> A. W. Pils: Die Centralgnippe des Thürinf^ei Waldes. Nach Pnistkaitcn u. cificneM Mes-
sungen entworfen. 1:60000. P. M. 18.59, Taf. 10.
* P. M. 1875, Taf. 2.
Si'ukrcclilf iiiiit Mclirfige Bpleiiclitiiiif;. 541
und schräger Beleuchtung entstanden und hat sich von da aus auf andere Darstellungs-
manieren übertragen. Noch heute ist er nicht ausgetobt und zittert außer in rein
wissenschaftlichen auch in pädagogischen geographischen Pul)Hkationen nach. Nach
dem, was ich oben ausführte, sollte sich eine Behandlung der Frage nach der Nutz-
anwendung der einen oder der andern Beleuchtung erübrigen, wenn ich nicht fürchten
müßte, daß man mir eine auffäUige Lücke in der Beiiandlung meiner Materie vorwerfen
würde, wenn ich nicht namhafte Theoretiker wie Praktiker auch in diesem Punkte
hätte zu Worte kommen lassen. Das Problem ist tatsächlich ad nauseam us(iue be-
handelt worden, ohne daß in neuerer Zeit viele positive Ergebnisse gezeitigt worden wären.
Während man in den maßgebenden Kreisen Deutschlands und Österreichs den
l'ortschritt und das Klare in der Lehmannschen Methode sofort erkaimt hatte und
die Böschungsschraffe von Anfang des 19. Jahrhunderts ab mehr oder minder kon-
sequent anwandte, focht man in Frankreich, bevor man an den Stich der Karte
1 : 80000 herantrat, erst einen nutzlosen Streit aus, ob die Darstellung in der lumierc
obhque oder lumiere zenithale zu geben sei. Trotz der nahezu drei .Jahrzehnte währen-
den Debatte ist man zu keiner Einigiuig gekommen, bis man endhch, als 182S mit
dem Stich der Karte begonnen wurde, kurz entschlossen der senkrechten Beleuchtung
das Feld einräumte. Berthaut hat in seinem hier liereits öfters zitierten Werke üijer
die Carte de France an der Hand der Dokumente \md Sonderpublikationen ausfüln--
licher über den Streit der Meinungen berichtet, und Roger gründet darauf wiederum
einen langem deutschen Bericht i, so daß ich auf diesen besonders hinweisen und
mich hier ausführlicherer Einzelheiten enthalten kann.
In den französischen Berichten aus dem Anfang des vergangenen Jahrhunderts
ist von allgemeinem Gesichtspunkte aus betrachtet eigenthch alles Bemerkenswerte
über senkrechte und schräge Beleuchtung gesagt worden-, so daß viele spätere Pubh-
kationen des In- und Auslandes über denselben Gegenstand nichts weiter als bloße
Wiederholungen erscheinen; gegenüber den temperamentvollen und leidenschaft-
lich abgefaßten Aufsätzen der Franzosen erweisen sie sich zumeist flau und matt.
Sowohl Einzelpersonen wie ganze Kommissionen sind in Frankreich an dem Streit
über den Vorzug der senkrechten oder der schrägen Beleuchtung beteiligt, meist
wird diunit die Frage verquickt nach der Wiedergabe der Isohypsen auf dem fertigen
Kartenbild. Bedeutende Vertreter der Militärgeographie und -topographie haben
sich an den Erörterangen beteihgt, wie die Generäle Haxo*, Berge, die Obersten
l'uis,sant*, Bonne^, sodann der (.'hef des topographischen Bureaus des Ministeriums
der auswärtigen Aiigelegeiibeiten ("hnstieu de ja Cioix«. ferner (i. Mnnrice'. Der
' .1. H.iKL-r: Die Oliiiuledamtclluii^; auf Kiuteii. Müiuliin IWS, S. it4ff.
* E. Hammer sagt in «1er Beaprechung über Bertliaut« „La t'arto de France" (1*. M. 189».
LB. 659, B. 1.59), daß die GutaehUn von Bonne n. von Pnis.sant «Ihm- dir zenitale und schiefe Bcleucli
tung lieute so lesenswert sind wie vor SO .lahi-en.
" Memoire siir le figuiV' du tcrmin <lans li\s cart«s to]>.>);mi>liiqucs |wr Ic (»-ncinl H. (Haxo).
Paris 18L'2.
* L. Puissant: ()l)servation8 sur Ics diverses manicrivs d'cxprinier Ic ri'licf du termin dans
les cartes tojwgi-aplüques. Paris 1818. - Princiiies du figiiii^ du terrain. Paris 1S27.
■' Bonne: Sui)plcinent au.x lonsiderations sur l'cniploi de la lumiere et des ..nihres jjour ex
primer Ic relief du tcrrain dans les cartes t<>iK.graplii(iucs. Paris 1818.
" Clircsticn de la C:roix: Observations critiques sur la mode ilecIninM le n-lief du terrain
\tn,r des rayons de lumii^i-e [wirtant du 7>nitli. Paris 1818.
' <!. Mauii( c i. Bil)li..|l..'fiue universelle. lH2n. S irnres et arl-.. X.MI. S 178.
542 I>i'' \vis«eii.scliMflli.'liiM (!iuiidla.n.-n der Oliiu.lctlai-st.-lluiig.
Streit schlug seine Wellen bis nach Deutschland hinüber.i Die Hauptvertreter der
senkrechten Beleuchtung waren Berge und Bonne und die Anführer des Chors der
Widersacher Puissant imd Chrestien de la Croix, bis sich zuletzt der Disput
zwischen Bonne und Puissant zuspitzte und in zwei Denkschriften einer Sonder-
kommission des Depot de la Guerre 1817 niedergelegt wurde. Indessen war noch
keine Euhe zwischen den Lagern eingetreten und noch ein Jahrzehnt, sollten die Ge-
müter erregt bleiben. Als man 1827 in den Kommissionsbeschlüssen auf den Stand-
punkt gekommen war, die Beleuchtungsfrage bei Karten jeglichen Maßstabes aus-
zuschalten und das Gelände lediglich in Schichtlinien wiederzugeben, wurde ent-
gegen diesem Beschlüsse die Bonnesche Schraffeiiskala bei dem Stich der Karten
eingeführt.
318. Die franzöäischou Hauptverticter der sciikrechleii Beleuchtuug. Berge
ging von dem Gedanken aus, daß man, wenn man sich schon über den Wegfall der
Schlagschatten einig ist, die Lichtquelle so hoch zu rücken hat, daß sie senkrecht
über den Bergen steht; nur in dieser Stellung ist jeder Schlagschatten ausgeschlossen.
Die senkrechte Beleuchtung gibt die wünschenswerte Einheitlichkeit der Darstellung
und unmittelbar die Abtünungsfolge für die Neigiuig der Hänge, die zur Horizontalen
in Beziehung gesetzt werden. Mitlün vermittelt die Tonabstufung eine genaue Vor-
stellung vom Gefälle, „während bei der schrägen Beleuchtung die Töne nur die Neigung
angeben, die die einzelnen Flächen mit der veränderhchen und willkürlichen Richtung
des Lichteinfalls bilden, eine Neigung, die zum natürlichen Gefälle der Flächen in
keiner Beziehung mehr steht imd hinsichtlich der tatsächhchen Bodengestaltung
nur zu Irrtümern führt, statt davon eine unmittelbare Vorstellung zu geben". Bonne
suchte nach neuen brauchbaren Skalen für die senkrechte Beleuchtung und führte
ins Feld, daß ihm die schräge Beleuchtung weiter nichts als ein Bild gäbe, womit
der Liebhaber wohl sein Kabinett ausschmücken könne, das aber nicht für prak-
tische und mihtärische Zwecke tauge. Was nütze ihm, wenn der Sitz von Eis und
Schnee auf der Karte besonders plastisch herausgearbeitet sei, wo doch kein Mensch
wohne, keine Kanäle und Straßen gebaut würden und keine Armee manövrieren
könne. In den spätem Kommissionsberichten will Bonne dem Puissant etwas ent-
gegenkommen, indem er zugibt, daß die schräge Beleuchtuug die Massen und die
senkrechte die Kleinformen besser zur Geltung bringe. Würde jedoch schräge Be-
leuchtung angewandt, dürfe man sich keinesfalls vom Gefühl und Geschmack leiten
lassen, sondern müsse auch da nach einer bestimmten Tonskala arbeiten, damit Einheit-
lichkeit in die Arbeit komme und die verschiedenen Kartensektionen im Aussehen
nicht differieren. Hören wir hier nicht Töne der spätem Wiechelschen Schummerungs-
skala khngen? Weiter räumt Bonne der Luftperspektive einen gewissen Einfluß
auf die Abwandlungsfähigkeit der Abtöimng der Böschungen ein. Trotz dieser Kon-
zession bleibt er doch bei der senkrechten Beleuchtung, die er mit den folgenden
vier Punkten begründet:
„Von dem Grundsatz ausgehend, daß die Schattenstärke in dem einen und
dem andern System wenigstens armähemd bestimmt werden muß, wird die Lösung
des Problems sehr vereinfacht, wenn die Richtung des Lichtstrahls einen rechten
Winkel mit der Horizontalebene ausmacht.
Berliner MilitaiWc» l.enl.l.att 1826, Xr. 498; 1827, Nr. .MC.
Sj-iikri'clitr 1111(1 sclirät;!' KpleutOidiii^. .",4:',
Nachdem man den Ausdruck der öchattenstärke (l'intensitö de la teinte) durcii
die Neigung der Ebene mit Beziehung auf die Horizontalebene festgestellt hat, kann
das Problem auch umgekehrt werden und bis zu einem gewissen Grade die Böschung
durch die Kenntnis der Schattenstärke (durch das Verhältnis von Weiß zu Schwarz)
angeben. Bei der schrägen Lichtannalune dagegen gestaltet sich die Umkehnmg
konipUziert und ist trotzdem nicht zu gebrauchen.
Die Schattenstärko. die die gleichen (iesetze wie die Niveaukurven liefolgen
muß, wird in der Annahme der senkrechten Beleuchtung einen natürliebtn Malislal«
für den Höhenausdruck liefern.
In der Annahme, daß das Gelände Böschungen nur bis 50" bieten kaim, werden
all die verschiedenen Neigungen der durch den schrägen Lichtstrahl beleuchteten
]"'lächen zwischen 0 und 100" enthalten sein. Bei der andern Hypothese hingegen
werden unter den gleichen Bedingungen diese Neigungen immer zwischen 0 und 50"
liegen, d. h. man würde im letztem Falle doppelt soviel Mittel in der Anwendung
der Schattenskala zur Erzielung desselben Effektes haben, oder man könnte die Zahl
der Schattentöne um die Hälfte reduzieren vom Weiß bis zum Vollschwarz (Farben-
maximum = maximum de couleur), was sodann die Hälfte desjenigen wäre, das
man im andern System anwenden müßte."i
319. Französische Gesuer. Fraii/öslsclie Vit ticr ßeleiichtuns;. Im Naini'n des
Ingenieurgeographenkorps sucht I'uis.-iant zunächst die Ausfühnmgen von Bonne
zu entkräften, indem er ein Prinzip bekämpft, wie er sagt, daß seiner Meinung nacli
für allgemeine topographische Karten ganz ungeeignet, höchstens für gewisse Spezial-
pläne zulässig sei. Er hält es für unpraktisch und zu schwierig, die Schraffentöne
im Verhältnis der Neigimgswinkel zu regeln und mit den zumeist sehr veränderUchen
Kulturenbezeichnungen in den Intervallen zwischen den Schichtlinien in Einklang
zu bringen; auch bieten sie unter sich keine genügenden Anhaltspunkte für eine
genaue Abschätzung der Böschungen. In Eücksicht darauf vermögen im Grunde
genommen kaum Spezialpläne diesen Anfordeningen nachzukommen, geschweige
denn die umfassenden topographischen Karten, die durch den Wechsel von Licht
und Schatten hauptsächhch die Hauptformen, masses principales, vor Augen führen
sollen, aber auch die kleineu Einzelheiten, accidents particuUers, nicht vernachlässigen.
Einzig und allein die schräge Beleuchtung bietet das geeignete Mittel, das Relief der
Natur nachzuahmen, und dom Publikum, für das die topogmphische Karte ein un-
entbehrhches und gern benutztes Orientierungsmittel sein soll, konnne es gar nicht
darauf an, über die Böschungen belehrt zu werden, sondern vor allem durch den
Wechsel von Licht und Schatten einen wirkungsvollen Überblick und Eindruck
von der Verteilimg der Berg- und Talformen, Becken und Aushöhlungen zu erhalten:
und dieser Effekt wird durch kein.> Bindung an geometrische Begeh) erzielt. Darum
verwirft Puissant die Tonskala sowohl für die senkrecht wie schräg beleuchteti>n
Böschungen. Von der Luftperspektive, die doch seiner Methode nalie liegen nmßte.
will er nichts wissen. Dagegen rang er sich später im (iegensatz zu seinen Kommissions-
mitgliedern zu tler i lierzeugung durch, daß mau l>ei der Anwendung von dieser oder
jener Beleuchtung naeii den .\laßstäl>en und von Fall zu Fall zu entscheiden habe.
Im großen und ganzen nuiü inan sagen, daß die elegante, auf Eff.Mit hinzielende
ll..rlliaiil. iv. .1. f>. I. S. 22s.
544 Die wissouscliaftliclien Giiindla;;eii ilcr (!el!Ui(l(<ilarsti-llung.
schräge Beleuchtung mehr dem Franzosen hegt als die strenge, gleichsam in spanische
Stiefel geschnürte senkrechte Beleuchtung der deutschen Schule. Daß die Ansichten
der letztern schließlich den Sieg errangen, dafür waren rein raiUtärische Gesichts-
punkte maßgebend, aus Ijiehe zum Prinzip hat man es sicher nicht getan. Wo es
ging, wie bei den Alpensektionon, atrnolo man i-rloiclitert auf, von dem streng geo-
metrischen Prinzip abweifbcn und l<ini>ilcnscliin. d. li. :il( fraiizrisisi-licn Forderungen
mehr genügen zu l<onnen.
:{20. IMc Alpen, das liünstiiistc AnwciKliinsslK'icich der Schaltciisclinili'c. IHc
i>iil'oiii'karte. Die Alpen sind der gcoinclrisclien Ausdruckswuise der B()scliiing<'n
ans liereits dargelegten Gründen nicht besonders günstig, aber, wie wir wissen, sind
sie auch in dieser Beziehung zu meistern. Den alpinen Karten drang sich wie von
selbst die schiefe Beleuchtung auf. Und sehen wir die Alpenkarten der frühern Jahr-
hunderte an, nehmen wir wahr, daß von dem Prinzip der schrägen Beleuchtung
weidhch Gebrauch gemacht worden war.
Nach verschiedenen Proben, dieDufour für die Beleuchtung der von ihm heraus-
zugebenden Schweizer Karte herstellen ließ, entschied er sich für die schräge^, nach-
dem er sie in Frankreich bereits in der Wirkung des Maßstabes 1 : 100000 an der
berühmten Vierblattkarte der Insel Korsika kemien und schätzen gelernt hatte
(8. 473). Analog den Lehmannschen Karten wurde bei dem Aufbau der Karte ein
Sehichtliniengerippe geschaffen, das jetzt wegen der großem Anzahl von Höhen-
koten leichter als zu Lehmanns Zeiten zu konstruieren war.^ Der Dufourkarte waren
die Niveaukurven eben nur Hilfskonstruktionselemente, wie es in der Instruktion
für die Aufnahme selbst heißt: „Obschon die Kurven keinen andern Zweck haben,
als die Eichtmig der Schraffen anzugeben, die später gemacht werden, ist es trotz-
dem nötig, viel Sorgfalt auf ihre Bestimmung zu verwenden"; und an anderer Stelle:
„Es ist sich mehr an die Hauptformen zu halten. Man soll das, was man die Manier
nennt, den eigentlichen Charakter der Berge, zum Ausdruck zu bringen suchen. Die
kleinen, irregulären Formen, wie Felsen, Eavins, Brüche, Moränen sind durch Schraffen
zu bezeichnen. Die Niveaulinien dienen eigentlich nur zur Basis für die später (im
Zimmer) auszuführende Schraffierung. Man kann die Niveaulinien in großen Partien
nach dem Augenmaß ziehen." Ist das nicht ganz in Lehmannschem Sinne gesprochen?
Ganz wie bei Lehmann verschwinden im fertigen Kartenbild die Schichtlinien. Wir
wissen ferner, daß Dufour bewußt das Lehmannsche Prinzip senkrechter Beleuchtung
für die Darstelhmg des Jura und hügeliger Geländeteile anwandte. Also selbst bei
der Dufourkarte hat Lehmami mit Pate gestanden. Dufour gebraucht für die Dar-
stellung des Hochgebirges die Schraffen im Sinne einer künstlerischen Farben Wirkung,
also ganz ah Schattenton. Die Böschungswinkel können auf iiu- kaum, zum min-
desten nicht ausreichend bestimmt werden; das macht sie für militärisch(^ Zwecke
ungeeignet, was selbst von den Schweizern eingestanden wird.
In der 'einseitigen Beleuchtung hat Dufour seine großen Vorgänger gehabt
(s. S. 473). Mithin ist er durchaus nicht der erste, der sie für eine plastisch wirkende
Schraffenkarte gleichmäßig durchführte und, um mit A. Penck zu reden, die ein-
zelnen Formentypen in das rechte Licht stellte. Darum ist es keineswegs angebracht.
G. H. Dufour: Instruction sur le dessin des reconnaissances militaires. Geneve 1828.
Daß aber auch in dieser Beziehung hei der Dufourkarte noch manches mangelhaft war,
val. S. JT.-i. r>4.-).
Senkr«!elite und »cliriige IJclciiclituiif;. 545
von einer „Dufourbeleuchtung" zu sprocbüii, wie Penck es tut.* Audi würde mit
einem solchen Terminus technicus zu wenig Generelles ausgedrückt. Dufour liat
eben einen besondern Geländebeleuchtungstypus weder geschaffen noch ausgebildet.-
321. Die .Mäu$>;p| der Dufourkartc. Viele Kartentheoretiker wissen, daß sich
in der (ieländedarstellung der l)ufouik;irte kein ehiheithches Gesetz, nach dem sie
aufge])aut ist. erkeimen läßt.^* Im allgemeinen ist eine 45''-Xeigimg des Lichteinfalls
liei XW-Ricbtung angenommen, trotzdem erschienen die senkrecht von den Licht-
strahlen getroffenen Hänge nicht im hellsten Licht, dagegen ebene Geländeteile wi-iL'..
bei denen man einen Ton erwarten sollte. Der Schweizer Y. Becker hat die Wider-
sprüche der Dufourkarte, die die unruhige Wirkung hervorbringen, scharf beleuchtet,
als er über die auf der Weltausstellung in Paris 1889 ausgestellten Schweizer Karten
_ berichtete.'' Die Dufourkarte kann kein vollendetes Eeliefbild bieten, ,,da sie nicht
danach Ijearbeitet ist. Solange die Talflächen so hell gelassen sind — man mußte
das zum Teil, um das viele Situationsdetail deutlich anbringen zu küimen — und
infolge der angewendeten schiefen Beleuchtung auch che höchsten Partien scharfes
Licht haben, zu den vielen Schneeflächen, welche sich dort außerdem finden, solangi'
wird die Karte kein ruhiges Bild geben können. Infolge des Widerspruchs, daß die
höchsten und tiefsten Partien gleich behandelt sind, kommt das Bild nicht zur Ruhe,
die tiefen Partien treten — als hell —immer zu sehr herauf, anstatt hinunter zu gehen:
die Berge stehen immer im Leeren, sie bauen sich nicht auf aus einem festen, sicht-
baren Boden, sie ruhen nicht auf einem Boden, — wie kann denn das Bild dabei seihst
ruhig werden?" Weiter ist die Dufourkarte einer gründhchen Analyse von Chr. von
Steeb unterzogen worden^, die sich auf verschiedene Beispiele, so aus der Gegend
von Panix, Näfels, Biasca und dem Leistbachtale, stützt; ihm gelingt der Nachweis,
daß trotz der Höhenkoten Terrainprofile nach der Karte einigermaßen verläßlich
zu konstruieren so gut wie ausgeschlossen ist, da immer erst die Art der Beleuchtung
für den betreffenden Geländeteil der Zeichnung untersucht werden muß, was präzise
zu bestimmen jedoch unmöghch ist.
Wie die Lehmannsche Böschungsschraffe ist die Dufoursche Schattenschraffe aus
ihrer Zeit heraus zu erklären, während aber jene von größtem Eüifluß auf die topo-
graphischen Karten ihrer und der Folgezeit geworden ist , kann man dieser einen derartigen
Einfluß nicht einräumen. ^lit der Dufourkarte erschien mid verschwand di(>se An
Schraffe auf topographischen Karten großen Stils. Auf aljunen Si)ezialkarten ersciieint
sie noch dann und wann: aber auch da ist sie im Aussterben begriffen. Nur in Karten
kleinern Maßstabes, wo die schräge Beleuchtung ihre volle Berechtigung hat, kbt
sie weiter, wie heute noch in der Vogelschen Karte von Deutschland in 1 : äüOtKHI.
die sich in der neuern Ausgalie aucii ülier die Schweiz erstreckt. Dazu gehören al>er
' .\. Penck: .Neue Kaiton u. Kelit-f der Mpcn. I^iMpzip 1904. S. ST.
= l'nd Pcnck sagt selbst, a. a. (>., S. 68, 6«: „Die (M-liindcdarstflluiij! luif Karton ir-t rin
praklisclies Problem, das nicht naoli Solilanwiirton 7.u boliandoln ist."
' Chr. V. Steeb: Terraindarstellung mit »ohiofer Bolonohtung. Mit. d. k. k. mil.googr. Inst.
XVI. ISlte. Wien 1897, S. 58.
* F. Becker: Die schweizerische Kartographie an iler \Voltau.s.slollnng in Paris 1889 u. ihn-
reuen Ziele. Fraucnfeld I8H(». S. 1 1 , iL». - .Man vgl. auch das, wa-s B«>oker »phtor tllH<r die Möglichkeit
der Umarbeitung dieernegiort der Dufourkarte sagt. Die schwoizerisclie Kartographie i. .1. 19M;
Wesen u. Aufgaben der Ijindosaufnaluiie. Fmueiifcld l«ir>. S. 2,1.
■■■ Chr. V. Steeb. a.a.O.. S. ,')K-OU.
Eckert, KarlvuwiuvhHchart. I. 8&
546 Die wissenscliftftlicheii Gmndlageu der GiOäiidrilarstelluiig.
fiowiegteste Meister des Schraffenstichs, wie wir sie von den topographischen Karten
Frankreichs, der Schweiz, Österreichs und Deutschlands^ her kennen und von den
chorogi-aphischen Karten der Perthcsschen Anstalt zu Gotha; auch in den karto-
grajjhischen Anstalten von Wagner & Debes und von Velhagen & Klasing, beide in
Leipzig, begegnen wir ihnen. Indes führen uns die Karten dieser Institute bereits
in ein Gel)iet hinüber, das gleich einer nähern Betrachtung unterzogen werden soll.
^'ordenl möchte ich bloß noch auf die Ansichten über schräge und senkrechte Be-
leuchtung bedeutender Vertreter der geographischen und niiUtärischen Wissenschaft
hinweisen, wobei das Problem mehr allgemein behandelt wird, zumeist ohne Büclv-
siclit auf die Giländedarstellung in Scbraffen, Schummerung oder Farlic.
322. Deutsche Haiiptvertretcr der schrägen Beleuchtung. Fast zur selben Zeit,
als man in Frankreich durch die Bemühungen Hossards sich glücklich zur böschungs-
treuen Karte durchgerungen hatte, beschäftigte sich in Deutschland Chauvin mit
der Untersuchung der Fehler der Lehmaimschen Darstellungsweise und brachte neue
Vorschläge zur Einführung der schrägen Beleuchtung.^ Die Schichtlinien sind ihm
die Voraussetzung jeder topographischen Karte ohne Rücksicht auf die Beleuchtung.
Einer seiner Hauptsätze lautet: ,,Beim Bergzeichnen ist die Anwendung von Licht
und Schatten, und zwar unter Annahme einer schrägen und nach Gesetzen der natür-
Hchen Beleuchtung notwendig." Was sind aber Gesetze der natürlichen Beleuchtung?
Ein Einfallen der Lichtstrahlen auf der Horizontalebene in 30", wobei die Projektion
der Lichtstrahlen gegen den Kartenrand unter 45" zu erfolgen hat, — also eine genaue
NW-Beleuchtung. ,,Der Winkel von 30" bezeichnet die Grenze der Praktikabilität
der Truppen, weil steilere Hänge nur durch einzelne Menschen erklettert werden."
Mithin ist auch ihm ein mihtärischer Standpunkt maßgeliend. Es sclieint mehr als
gewagt, den Böschungswinkel nach Chauvinscher Theorie nüt dem Winkel des Licht-
einfalls direkt in Beziehung zu setzen; voll beleuchtete F'lächen kann man dann nur
bei Böschungen von 60" Neigung erhalten, und diese sind außerordentlich selten,
besonders in Mittelgebirgsregionen. Chauvin sieht von dem Schlagschatten ab, weil
er nach seiner Ansicht da, wo er sich zeigt, an und für sich nicht wesentlich beiträgt,
die Unebenheiten dis di Lind > Ik ix.iifr.fi n zu liisscu, und in betreff der Darstellung
aller übrigen Situal mii l'^ ji n-i.uMlr kiiuc uioI'miv Gleichmäßigkeit herbeiführt. Er
glaubt, mit seiner vuu ihm \ <jiy;c.-.chlagL'nLii sclirayuu Beleuchtung die feinsten Modu-
lationen der Geländeformen in prägnantester Weise und in einer 1)is ilahin ungeahnten
^'ollkorIlmenheit veranschauhchen zu können.
In acht Punkten faßt Chauvin die Vorteile seiner Bergzeichnenmethode zu-
sammen', deren Grundgedanken oben bereits wiedergegeben wurden, und die daran
kranken, weder den Unterschied von Böschungswinkel und Lichteinfallswinkel noch
das Wesen der Böschungsschraffe und der Schichtlinien ordentHch erfaßt zu haben.
Immerhin waren seine Darlegimgen für ihre Zeit sehr 1 «'achtenswert, l)ilden sie docli
' Von den altern Karten in 8cliraffcniiianior nacli Lehmann Hellen liegein will ieli hier ganz
absehen, aber doch an spätere mit gleieher Gesetzmäßigkeit behandelte aus H. Petters Anstalt
in Hildburghausen, jetzt in Stuttgart, erinnern, wozu z. B. verschiedene Alpenkarten gehören.
Die Firma Giesecke u. Devrient in Leipzig ist gleichfalls berühmt durcli den Stich topo-
graphischer Karten.
^ F. Chauvin: Das Bergzeichnen rationell entwickelt. JScrlin IS.M.
3 Fr. Chauvin, a. a. O., S. .52-57.
Seukrechte und schräge Beleuchtung. 547
den Auftakt zur mathematischen Lösung schräK beleuchteter Flächen, die später
(lurcli Wiechel erfolgte.
Während Chauvin zu einem neuen System schräger Beleuchtung vorzudringen
sucht, gefällt sich JJancalari darin, an der Hand der offizieUen Karten Österreich-
Ungarns, hauptsächlich der Spezialkarte 1 : 75000 nachzuweisen, daß die Lehmann-
sche :\Ianier hei der Schraffenzeichnung nicht streng befolgt sei und keinen plastisch.-n
Effekt habe.i Ihm ist die Dufourkarte da.s Non plus ultra einer schonen und
militärisch praktischen Karte, obwohl er wissen mußte, daß das Schweizer Mihtär
die Karte für den Gel)rauch ablehnte, und daß sie ohne Übung im Plan- und Karten-
lesen durchaus nicht so sinnfällig war, wie er begeistert schreibt. Die mihtärische
und wissenschaftliche Abneigung der Dufourkarte gegenüber aber damit zu erklären,
daß „verhaltener Enthusiasmus und etwas viel Neid aus dem Urteil kartographischer
Eachleute" herausleuchte, heißt dieses Urteil zugunsten eines einseitigen, vorein-
genommenen Standpunktes umwerten. So sehr ich Bancalaris kartographische
Studien und deren Bedeutung insbesondere für- die offizielle österreichische Karto-
graphie bewerte, so kann man von Seiten der kartographischen Wissenschaft sich
mit seinen Ausführungen über schräge und senkrechte Beleuchtung nicht einverstanden
iTklären, selbst wenn er die mit seiner Ansicht sympathisierenden Äußerungen des
I'raktikers Simon zu Hilfe nimmt. Sein Urteil über die „schiefe Beleuchtung" ist
und bleibt „schief".
Mit großem Nachdruck betont Bancalari wiederholt, daß die Lehmannsche
Tonabstufung „keinem Natureiudruck wirklich entspricht". Das will sie nur in
l)ezug auf Böschungsverhältni.sse ; und wenn er bestimmt glaubt, daß allein mit
Hilfe der schiefen Beleuchtimg ein „streng charakteristisches Abbild der Natur" ge-
schaffen wird, irrt er. Wenn er sich ferner zu der Behauptung aufschwingt, daß der
Mangel an Schichtlinien auf der Dufourkarte ein Vorzug sei, kann man das auf un-
genügende Kemitnis des wissenschaftlichen und praktischen Wertes der Schicht-
linien anrechnen. Dann wird .sein Satz verständlich: „Die Schichtlinien tragen zur
Überladung der Spezialkarte in 1 : 75000 noch wesenthch bei"; und darauf sind sie
bekanntlich so zart, daß man sie vielfach kaum sieht! Hätte er sich klar und deut-
lich ausgesprochen, daß die Verwendung der Schrägbeleuchtimg für die Terrain-
darstellung für Karten kleinern Maßstabes, etwa von 1 : 50000 angefangen, eine
Forderung der Zweckmäßigkeit und des (leschmacks sein soll. ai>er nur auf Grundlage
des Isohypsengerippes, dann könnte man mit ihm gehen, imd Chr. v. Steeb hätte
weniger Anlaß gehabt, sich gegen Bancalari zu wenden. Viele wollen natürlich auch
von einer derartigen Kombination nichts wissen. AUehi im Weltkriege haben wir
die Erfahrung gemacht, daß sich Schichtlinienkarfen in 1 : 50000 mit einer leiciit
gehaltenen schrägen Schunnnerung wohl l)ewährten und sie den schummerungs-
freien Karten vorgezogt'U wurden. Während verhältnismäßig ruhiger Zeiten an der
Fron! iiai)e icli scll)st Sehichtiinirnkarlen in 1 : 10000 etwas links.seitig beleuchtet
schunuiiern lassen, wodurch ich der Trujjpe chien außerordentlichen Dienst erwies.
7,11 sdlelien Ausführungen war jedoch meistens keine Zeit vorhanden. Also, wo es
sieh um schnelle Übersicht d-s (ieländes an Ort und Stelle handelt, ist eine seitliche
nielil ;iMtdrinj,'lichr llrlicbhmg der Sclii,.htlini..nknrte am l'lalze. Mit H. IIa beniebl
' (i. Uiviicalari: Stuclicii iihor <l. ünlcrr.-iuijjnr. .Mililiiikintiinmplur. S. .\. au» tl. Oiniin ilor
inilitar\visM,iis,lmf(l. \'.i>iiir. Wim IH(M. S. «1>((.
548 l">i<' wisspiiseliaftlichcn Griiiidlagen dar 0('llin(l(>(lavHtellinig.
stimme ich \oilkommpn übercin. tlaß es behufs miUtärischer Arlx'ifcn, für Aufmarsch
und Stellung der Truppen von größter Wichtigkeit ist, aus der topographischen Spezial-
karte nicht nur die Böschungswinkel nobst absoluter und relativer HoIk* eines jeden
lieliebigen Punktes ablesen zu können, sondern zugleich ein vollkommen klares und
iU)ersichtliches Bild der J^odenplastik vor Augen zu haben, ,,daß man auf den ersten
Blick und solange man die Karte braucht, Höhen und Tiefen, Streicliung der Rücken
und AJjhänge usw. ohne Abstraktion oder Kombination erkennt".^
Was Simon hinsichtlich der Bevorzugung der schrägen Beleuchtung vorbringt,
ist wenig stichhaltig.^ Zunächst eifert er gegen die, die allein der senkrechten Be-
leuchtung eine wissenschaftliche Grundlage zuschreiben. Daß auch er das Wesen
der Büschungsschraffe und Schattenschraffe nicht auseinander zu halten weiß, be-
weist seine Behauptung, daß die vertikale Beleuchtung so gut wie irgendeine andere
unter bestimmter mathematischer Voraussetzung gewählte Beleuchtung nur ein
bestimmter Fall der unendlich vielen Beleuchtungsarten sei. Weiter sagt er: „So-
bald wir irgendeinen andern bestimmten Beleuchtungswinkel definitiv wählen und
alles systematisch für diesen behandeln, so haben wir genau so gut eine mathematisch
korrekte Lichtstudie, als ol) wir Vertikalbeleuchtung gewählt hätten. Nur ist die
Supposition eine andere." Gewiß ist diese eine andere, aber in ganz anderm Sinne,
wie Simon meint. Vergeblich suchen wir nach seiner mathematisch korrekten Licht-
studie. Er verzichtet selbst darauf, denn in einem Atemzuge fährt er fort: „Der Ton
ist rein künstlerische Beigabe und seine Durchführung ausschließlich Sache des
natürlichen Taktes und des ästhetischen Formensinnes." Also hie Rhodus, hie salta!
Zum Glück hat er für seine Karten die Terrainformeii dnicii die Höhenkurven mathe-
matisch festgelegt.
323. Deutsche (iegner der schrägen Beleuchtung'. J5ancalaris ,, kartographische
Studien" hatten 1896 Chr. v. Steebs Abhandlung in den Mitteilungen des k. k.
MiUtärgeographischen Instituts über „Terraindarstellung mit schiefer Beleuchtung"
ausgelöst, worin einmal die amtlichen österreichischen Karten nach verschiedenen
Seiten verteidigt werden und sodann die schiefe Beleuchtung für solche Karten ab-
gewiesen wird. Mehr noch erbhcke ich das Verdienst der Steebschen Arbeit darin,
daß er sich bemüht hat, das Beleuchtungsproblem praktisch zu fördern. Ein Modell
des Hochschobergebiets in 1 : 75000, im S des (rroßglockners, beleuchtete er schief
von NW, XO und SW. Zu den drei phototypischen Aufnahmen gesellt sich der ent-
sprechende Alischnitt aus der Spezialkarte 1 : 75000. Beim Vergleich der drei photo-
graphischen Aufnahmen ist man ebenso erstaunt über die plastische und packende
Wirkung der Terrainformen wie man ebenso erschreckt wird von der Vieldeutigkeit
der Formen.' Was auf dem einen Bilde teils stark hervor-, teils ausdruckslos zurück-
tritt, hat auf dem andern die entgegengesetzte Wirkung, daß viele Geländeformen
nur schwer zu identifizieren sind. Den fanatischen Verteidigern der schrägen Be-
leuchtung des Geländes sollten bei diesen Eeliefbildern wirklich die Augen aufgehen.
Im Hinblick auf diese Bilder gehngt Steeb der Nachweis, daß die übliche Schräg-
beleuchtung eine einseitige Darstellung gibt und das Urteil danach vollkommen
H. Habcnicht in d. Entgogniuig aul K. Kammer, i". M. IH9K, S. (JG.
S. Sinieii: Alpine Plaudereien eines Kartographen. Z. d. I). u. Ö. A.-V. IH(«. S. :Wf., :W7.
Vgl. anili K. Hammer: Terraindarstellung mit scliicfi'r Beleuchtung. P. TVI. I8!t7, S. 174.
Scnkiiclite und Hclirägi- HcUuclitung. 549
lioeinflußt. Zuglcicli sind die Ecliefbildcr eine glänzende Illustration zu seinen beiden
Ausgangssätzen, daß bei der schiefen Beleuchtung die Gradationen nicht deutlich
erkennbar ausgedrückt werden, und daß das Gesamtbild der Formen verschiedene
Deutung zuläßt. Er erhärtete dies noch durch Vorführung verschiedener Beispiele,
unter denen die Uufourkarte wie l)ei Bancalari eine EoUe spielt; ihre Bedeutung
wird durch Steeb, da sie für Profilkonstruktionen keine sichern Bauelemente liefert,
sichthch erschüttert. Werden Isophyjjsenkarten schräg beleuchtet, ist er schon
einigermaßen zufrieden gestellt, weil man auf (Grundlage der Schichtlinien und nach
Abstrahieren von der Schraffierung die Gradationsverhältnisse ,, trotz der schiefen
Beleuchtung" beurteilen kann. Bei der Darstellung der Hohlfornien der Verkarstung
macht er der schrägen Beleuchtung eine weitere Konzession, um die negativen Formen
finden zu lassen und zwar durch rote Farbe, die den nordwestlichen Teil einer Doline
oder Trügform bedecken soll, die bereits durch schwarze Schraffen kennthch gemacht ist.'
Mir wie aus der Seele gesprochen, betont v. Steeb, daß eine Karte mit Zenit-
beleuchtung ebensowenig wie jene mit schräger Beleuchtung einem Xatureindruck ent-
spricht. Selten wird man Gelegenheit haben, einige Quadratkilometer Tjand in der
Natur mit einem Male zu überbUcken, und die Karte umfaßt meistens Hunderte von
Quadratkilometern, die man allenfalls im Fhigzeug zu überbhcken vermag. Dabei
macht man die merkwürdige Wahrnehmung, was ich Steeb nur bestätigt' (S. -iH-l).
daß ansehnliche Gebirge schon bei 1000 m Höhe ihre Plastik verlieren. Steeb führt
als Beispiel den Wiener Wald an, dessen relative Höhe über Wien rund 7üü m beträgt.
Bei Flugzeughöhen von 2000 m und höher sind derartige Geliirge kaum noch als
Bodenerhebungen zu erkennen, wenn nicht ein günstiger Schatten etwas Aufschluß
gibt; im Gegenteil, man hat den Eindruck, über einer schalenförmigen Vertiefung
zu schweben, deren tiefster Punkt unter dem Flugzeug liegt. Das ist also der ganze
Effekt bei zwei und mehr Kilometer Höhe, und da wird von Xaturtreue geschrieben,
und die (jemüter erhitzen sich über naturwahre Beleuchtung, die es ja für Karten
gar nicht gibt! Die Beobachtung aus dem Flugzeug schlägt hier der kartogra])hischen
Induktion ins Gesicht, denn die ohne Flugzeug in der Natur beobachteten Einzel-
fälle geben in ihrer Gesamtheit noch lange nicht ein naturwahres Bild.
:(-4. Sonrsaiufs Ali\\ä;icn ilci \or- und Natlilriii' mmi (Mut- mimI Nt'luii:;lii'lit.
In L'eteruianns grograpbischen Mitteilungen Is'.tT weist E. Hammer ausfitlirlieiier
auf ilit! kartographischen Untersuchungen v. Steebs hin, wobei er die senkrechte
Beleuchtung kräftig unterstreicht, was weiterhin die Veranlassung ist, daß H. Habe-
niclit im selben Jahrgang der Mitteilungen das \\'()rt zu beiden Beleuchtungsarten
ergreift.* In je fünf Punkten beleuchtet er das Ober- wie das Schräglicht. Indes
führt er weder hier noch da neue Gesichtspunkte ins Feld. Dadurch, daß er die schiefe
Beleuchtung an Karten mit möglichst eng liegenden äipiidistanten Horizuntalen
bindet, wird jede Gegenlienierkung überflüs.sig. .\n seiner Stelle wäre ich jedocli
nicht auf einen eing<"hen(len Vergleich des Terrains mit einem nuMischlichen Gesicht
eingegangen. Gewiß kann ich das mensehlielie .Vntlitz, soweit es mir liekaniil ist.
> Chr. V. .Sttu>b: Die KiirgskurUii. Mitt. li. k. k. mil.nro^r. In-I. X.\. l!t(Hi. S. U."., Ut;.
Dazu Taf. 10.
' H. Haljpniohl: Kiii Wort xiii TcrmindanttfllunK mit Miliiefrr llvlriiclitiiiix. 1*. M. 18HT.
S. 187. - Bomorkuiiprn zu Hammer: Noch riii Wort zur „Tcrraiiulanttolhmn m. «hiof. BcU'lii'htuii|t.'
I'. M. 18'.>S, S. 6(i.
550 I"»»" wisgcnsiliaftlich<n Gniiidl:igcii dci- (,;i'liiiiflr(l:irs(.'nniij,'.
bei der verschiedensten Beleuchtung identifizieren, nicht al)cr ein Landschaftsbild,
das mir erst durch eine einseitig beleuchtete Karte bekannt wird. Nur wenn man
das Landschaftsbild auf Touren und Studienreisen kennen gelernt hat oder sich durch
vielen Gebrauch an ein bestimmtes Kartenbild gewöhnt hat, wird man es bei ver-
schiedener Beleuchtung wiederzuerkennen vermögen. Es ist ein groller Irrtum,
weim Habenicht glaubt, nur die schräge Beleuchtung halte Kegel und Trichter aus-
einander; ist das Bild nordwestlich beleuchtet und wird umgedreht, d. h. NW mit
ÖW vertauscht, vertauschen auch Kegel und Trichter ihre Eolle. Li eingehendem
gewissenhaften Kartenkritiken finden wir verschiedene Hinweise, daß selbst bei
sciiräger Beleuchtung verschiedene feinere Geländeformen nicht deutlich zum Aus-
druck kommen, daß mithin auch hier das Schräglicht versagt. i Vielleicht hätten
Habenichts Ausführungen über schräge und senkrechte Beleuchtung mehr gewonnen,
wenn schärfer zwischen topographischen und chorogra]>hischen Karten unterschieden
worden wäre. Die plastische, wirkungsvolle Hervorhebung der Schattenseiten in der
Geländedarstellung des neuen Stielers durch den Aufdruck eines blaugrauen Schatten-
tons auf die schon an sich durch ihre Stärke den Schatten betonenden Schraffen,
erscheint mir als keine so wichtige Neuerung, wie sie hingestellt wird.^ Sie ist schon
verschiedenenorts angewandt worden, ohne ihr ein besonderes Schwergewicht bei-
zumessen.^
Daß Hammer, dem wir auf den verschiedensten Gebieten der theoretischen
und praktischen Kartographie viele Amregungen verdanken, auch das Problem der
schrägen und senkrechten Beleuchtung scharf ins Auge fassen würde*, ist leicht zu
denken. Er geht als Geodät wie kaum anders zu erwarten von den Schichtlinien
aus, die den geometrischen Grundriß der Karte geben. Im Verein mit dem Gewässer-
und Straßennetz verlangt der Grundriß von jedem Betrachter bereits eine starke
Abstraktion. Das ist ein Moment in der Erörterung, das von vielen übersehen wird.
Die schräge Beleuchtung ist ein kümmerliches Hilfsmittel für das Verständnis der
Geländeformen und für die mehr geeignet, die weniger mit den Karten vertraut sind.
In seinen weitem Erörterungen hält Hammer die schräg beleuchteten Karten mit
Höhenhnien klar auseinander. Nach ihm ist das Schräglicht für Schichtlinienkarten
in 1 : 20000 bis 1 : 100000 überflüssig. Daß es jedoch nicht ganz unwichtig auch bei
diesen Maßstäben sein kann, habe ich bereits nachgewiesen und begründet (S. 547).
• Beispielsweise das Xatrontal auf Scbweinfurtlis Karte in Z. d. Ges. f, Erdk. Beilin 1898,
Taf. 1. - Vgl, dazu E. Hamer in G. J. XXIV, 1901/02. S. 46.
2 H. Habenicht: Die Tenaindaistellung im „Neuen Stielei". P.M. 1903, Ö. 32.
3 Ich hatte diesen blauen Schattenton als Überdruck auf die Geländezeichnung schon 1897/98
in den ersten Auflagen meines kleinen Methodischen Schulatlas gebraucht, ließ ihn aber später, da
ich das Gelände in lichtem Farben hielt, wegfallen. — Auf der Buntdnickausgabe der Karte des
Deutschen lleiches 1:100000, Ausgabe 1901 (Bayern), sehen wir die braunen Schraffen mit einem
zarten grauen, auf manchen Sektionen graublauen Schatt«nton überdeckt. — Vgl. Habenicht-
Salzmann: Geländekarte vom Seeberg bei Gotha, 1:12500. In einer neuen Terrainmanier von
H, Habenicht, gezeichnet von Hubert Salzmann. Gotha 1901. Dazu Pcuckers Besprechg, in d,
Vierteljahi-sheften f, d. Gcogr. Unterricht, I, 1902, S. 174, 175. In dem Begleitwort zur Karte des
Sceberges heißt es, daß „die neue Terrainmanier eine Verbindung der äquidistanten Horizontalen
mit der in senkrechter Beleuchtung gedachten braunen Schummeioing und einem bläulichen Schattenton
mit aus SW kommendem Lichte ist." Diese Gesamtverbindung allerdings ist neu,
^ K, Hammer: Terraindarstellung mit schiefer Beleuchtung, P. M, 1897, S. 174, 175, - Noch
ein Wort zur „Terraindarstellunp mit schiefer Beleuchtung", P. M, 1898, S, 64-66. - Darstellung
der Bodenformen im G, J, XX. 1897/98, S, 449-453; sodann G, .1, XXIV. 1901/02, S, 43-47.
Scnkrpclitc und schräge Heicuchtuiif;. 55]
Etwas anderes ist es, ob man wissenschaftliche Studien auf die Scliiehtlinienkarto
gründet und technische wirtschaftliche Aufschlüsse von ihr verlangt, dann fort mit
dem Ballast der schrägen Beleuchtung. Für wissenschaftlichen und technischen
Gebrauch sind selbst senkrecht lieleuchtete topographische Karten ohne Schicht-
linien bei weitem leis(ung.5fähiger als schräg lieleuchtete. Für Karten in kleinen
Maßstäben mit Schichtlinien dürfen die Höhenzahlen der Isohypsen nicht fehlen,
sonst sinken sie zu bloßen Formhnien herab. ^ Dann kann es vorkommen, daß
sich diese so häufen, daß sie als sog. Horizontalscliraffen wirken und ihre Ab-
stände für unbewaffnete Augen kaum noch auseinander bzw. abzuschätzen sind.'^
Hei den schräg beleuchteten Karten ohne Höhenlinien ist eine richtige Vor-
stellung der wirkhchen speziellen Formen ohne Benutzung der Höhenzahlen nicht
möglich und erfordert selbst mit der Benutzung solcher Zahlen viel größere Arbeit
als das senkrecht beleuchtete Geländebild. Um das Streichen einzebier Gebirge, das
auf der Erde nach jeder Himmelsrichtung erfolgt, in das richtige Licht zu setzen,
muß die schräge Beleuchtung zu Kunstgriffen ihre Zuflucht nehmen, was bei Ober-
licht niemals nötig ist. Die Formen immer ins richtige Licht zu setzen, ruft bei dem
Kartenkundigen vielfach einen unangenehmen Eindruck hervor, worauf schon
C. Vogel hingewiesen hatte.* Die .senkrechte Beleuchtung „hält vielmehr an einfachen
geometrischen Gesetzen fest, indem sie die Karte, ihrer Grundrißsituation entspreclieniL
in erster Linie als eine geometrische, der Willkür so viel als mögUch zu entrückende
Darstellung, nur in zweiter Linie als eine künstlerische ansieht."-* Demnach
verdient, wie Hanmier weiter schließt, die zenitale Beleuchtung der Geländeformen
vor der schiefen fast immer den Vorzug, auch im Hochgebirge. Er weist auf die Karte
des Deutschen Reiches hin, die an Klarheit, Richtigkeit. Eleganz der Geländedar-
stellung als senkrecht beleuchtete Schraffenkarte in 1 : 100000 den höchsten An-
forderungen entspricht und dmch die reichhch eingeschriebenen Höhenzahlen viel-
seitigen Zwecken vollständig genügt : im allgemeinen ist sie auch weniger dazu her-
gestellt, um darauf die erforderlichen Neigungsmessung(>n vorzunehmen. Als Hammer
auf die Karte des Deutschen Reiches hinwies, war die Buntdruckausgabe der bayrischen
Gebirgsblätter noch nicht erschienen. Vielleicht hätte er beim Anblick dieser Karten
sein Lirteil etwas modifiziert.
'iiö. Die .Vnsi-haulichkeit der Tourisfciikart<>. Hammer weist feiner die all-
gemein verbreitete Ansicht zurück, die Tonristenkarten infolge ihrer schrägen
Beleuchtung für alle Zwt'cke ,, anschaulicher" zu erklären.'' Hat man z. B. in Baden
eine bilUge Touristenkarte einzelner viel benutzter Blätter der Hühenhnienkarte
1 : '25000 mit Schummerung in schiefer Beleuchtung herausgegeben, kommt doch
für den Techniker, Forstmann, (Jeologen, Topographen und Geographen allein die
, .normale Au.sgabe" in schmucklosem Scliichtliniengewand in Betracht. Leider hat
Hammer nur allzu recht, wenn er sich darülier aufhält, ilaß die Toniistenkarten ,,/.uni
' K. Hammer, a. ii. O., G. .J. X.MV. .S. 4«.
- Wie fs ■/.. B. bei vielen j{pbirpi)H'n Stellen (lerToi>ii>imi)lii»»lien OlH>rxiilit«karlf ilr« IV'iitwIieii
Koiilies in 1:200(X)0 der Fall ih».
^ ('. Vogel bei einer Besprefluing der ,,('artft <lri Diiitonil dl 'roriiin' in IHtHUXH» itu.-< dini
rstitut« iarU)(jrafieo in llom von (!. K. FritZHche. I'. M. ISS4. S. 42s.
' K. Hammer i. V. M. ISOH. S. 65.
■ K. Hammer I. O. .]. XXIV. l!Ml|/tL'. S. 4:i.
552 ^>'i' "issrnei-liiiftlioliiMi f!rmKlliigen <\vr Gcl;iiirtc(l:iist(lluii-.
größten Teil die Schuld au dw scLicfiu Inleiiclitiiug tragen, in dif das topograiiliischo
Wesen vielfach gerückt wird".
Anschließend daian mocht ich lietunen, daß das, was in den letzten Dezennien
manchmal unter dtin Aushängeschild „Touristenkarte" angepriesen wurde, höchst
bedenklich ist : denn \ iele unter diesen Produkten dienen mehr der Eeklame als einer
wahren Touristik. Die Bezeichnung Touristenkarte dient alsdann dazu, die Un-
wissenschaftlichkeit der Karte zu verschleiern. Gewiß ist, daß die rasch anwachsende
Touristik direkt verständliche und leicht lesbare Karten verlangt, wozu Karten mit
schräger Beleuchtung und Schichtlinien hervorragend geeignet sind.^ Hier begegnet
sich die Touristenkarte mit den Forderungen der militärischen Karte. Sorgfältig
gearbeitete Touristenkarten kleinern Maßstabs können nur ausnahmsweise auf Höhen-
linien \-erzichten, wenn es sich um die erste schnelle Orientierung handelt, wie die
meisten Baedekerkarten. Was für Touristen am zweckmäßigsten erscheint, ist nicht
immer leicht zu entscheiden; der Deutsche und Österreichische Alpenverein und der
Schweizer Alpenklub stellen an- die Kartenkenntnis ihrer Mitglieder schon erhöhte
Anforderungen; dann ist es fraglich, ob manche dieser Karten mit der Bezeichnung
Touristenkarte richtig bewertet sind. Auch in anderer Beziehung haben die Touristen-
karten ihr „Wenn" und ihr „Aber". Soll mit der Bezeichnung Touristenkarte
auf ein allgemeines oder besonderes geistiges Niveau der Kartenbenutzer hingezielt
werden? Nach dem, was wir oben ausführten, scheint es nahezu der Fall zu sein.
Nun finden wir unter der Schar der Touristen alle möglichen Stufen der Bildung ver-
treten, von dem der Karte kaum kundigen Laien angefangen bis hinauf zu dem
geologisch, geographisch, kartographisch wissenschaftlich durchgebildeten Gelehrten.
Doch was kümmert diesen zuletzt die sog. Touristenkarte. Wo er es haben kann,
greift er zu den Originalen der Landesaufnahme, wie in der Schweiz zur Siegfriedkarte;
und die Aufnahmesektionen sind großenteils ohne Schunmiernng, höchstens in senk-
i-eehten Schraffen, wie liei der österreichischen Aufnahme 1 : '2.5 000.-
;$'2«. Die schräge und senkrechte Beleuchtung in Peuckschen Studien. Am Schluß
seines ausführlichen Keferates über neue Alpenkarten kommt A. Penck gleichfalls
auf die schräge und senkrechte Beleuchtung zu sprechen-^* Ganz gleich, ob man mit
ihm übereinstimmt oder nicht, gibt er bei dem von ihm befolgten eklektischen Ver-
fahren, also bei geschickter Verarbeitung bekannter Tatsachen der Geländedarstellung
imd dem Studium der neuen alpinen Karten verschiedene Anregungen und Erfahrungs-
sätze, die, wie ich leider feststellen muß, von vielen nicht recht verstanden und deshalb
auch nicht auf die theoretische und praktische Kartographie von Einfluß geworden
>iud. wie er vielleicht selbst erhofft hat. Man ließ sie in der Hauptsache links liegen.
Hier können sie nicht übergangen werden. Auf seine Ausführungen üliei- die
1 Vgl. C. Koppe: Die neuere Entwickig. der Landes- u. Touristenkart^n. J^rometheus 1898,
S. 497, 519, 536.
• Eine köstliche Illustration zu dem oben Gesagten gibt Eufr. Oberhummer in seinem Vor-
trag über Hochgebirgskarten, im II. Bd. des VII. Internat. Gcogra])h.-Kongr(s>(- . Ünlin Midi, wo
es S. 97 heißt: „Beckers so überaus wirksame Karte des Kantons Glaius (iniolj' li - h.i-iii Be-
leuchtung der Schweizer Kartenmanier) mag ein kaum zu übertreffendes Ansi lianunv iriill( I sein,
während ich offen gestehe, daß ich hei einer Besteigung des Gliirniscii lieher die Blätter des Si<'gfried-
atlas mit mir führe."
» A. Penck, a. a. O., 8. 68ff.
Seiikiecliti' iiiirl nchrii{;i' Helc-\iclituiig. 553
Dicht ("inöglichkoit der Seliichflinicnführung bei den verschiedenen Maßstäben gehe
ich später noch ein. Da er es vor allem mit Hochgel )irgskarten zu tun hat, kommt
er auf einen alten Vorwurf den senkrecht beleuchteten Hchraffen karten gegenüber
zu sprechen, daß es schwierig bei dieser Beleuchtung sei, die Grate kenntlich zu machen,
insofern eine lichte Firstfläche zwischen die dunkel schattierten Gehänge eingeschoben
wird. Diese kann sehr schmal und wenig auffällig sein, aber auch einen wulstigen
Eindruck hervorrufen. ' Weil nun auch die schräge Beleuchtung, um wirksam zu sein,
die Objekte nicht in gleicher Richtung beleuchtet, schließt Penck. daß beide Be-
leuchtungsarten für das Hochgebirge zu Willkürliehkeiten greifen. Indessen ist die
Willkürlichkeit (Folgewidrigkeit = Inkonsequenz) ni. E. nach doch l)loß auf selten
der schrägen Beleuchtung, bei der senkrechten ist der ,, Fehler der Fälschung des
Grundrisses"^ lediglich eine Sache der technischen Möglich- oder Unmöglichkeit.
Bei den A'orteilen der senkrechten Beleuchtung fügt er außer zu den bekaiuiten 'i'at-
sachen noch hinzu, daß sie in der Veninschaulichung der Talformeii der andern Be-
leuchtung überlegen sei.
Nachdem Penck sich über die iiraktisclu- \'erweudbarkeit der srukn'chtiii und
schrägen Beleuchtung ausgesprochen hat, geht er zur Erörterung der theoretischen
Richtigkeit der nach ihnen durchgeführten Schattierung über und hebt hervor, da
die Gesetze der schrägen Beleuchtung in der Piaxis doch nicht befolgt werden und
die schräg beleuchteten Karten somit reich an Willkürliehkeiten sind, sie sich sehr
weit von den Regeln der darstellenden (ieonietrie entfernen. .Jedoch noch mehr ist
dies nach ihm bei der senkrechten Beleuchtung der Fall, weil sie nicht die i)hysi-
kalischen Gesetze der Beleuchtung von Körpern befolgt. \A'ie wir wissen, gelang i's
Lehmann noch nicht, die spröden und harten Schraffen den physikalischen Beleuch-
tungsgesetzen, obwohl sie ihm klar waren, anzupassen, weshalb er ein Schema wählte,
was jenen Gesetzen allenfalls entsprach und ihm militärisch brauchbare Werte schuf.
So hat Penck auch ganz recht, wenn er sagt: ,,In den meisten Werken, die auf Leh-
inannschen Prinzipien lieruhen, wird die Schattierung nicht zum Sinus des Neigungs-
winkels, sondern zu diesem selbst in Beziehung gebracht."' Darum muß ei>en, wie
ich des öftern i)etont halie, das Lehniannsche System nicht vom Stnndj)unkt der
Beleuchtung, sondern von dem der Bö.schung aus, al.<o klinometrisch betrachtet
werden, was zuletzt in der Bezeichnung „Böschungsplastik" zum Ausdruck kommt.
Lehmanns Skala ist wie all- und altbekannt nur ein Schema, das je nach Bedürfnis
verlängert und verkürzt werden kann. Daß dadurch die ,, optische Vergleichbarkeil
der einzelnen Kartenwerke verloren geht, was für den Geluaueh von größter Be-
deutung ist" nehme ich weniger tragisch, da es sich dabei nur tun Karten der (iren/.-
gebiete handeln kann, und sich beim Vergleich doch mehr der Duktus der Schraffen-
behandlung kundgibt als die Befolgung des Verhält nis.ses von Schwarz zu Weiß, wenn
zuletzt auch, was nicht verkannt sei, das eine das Korrelat d»'s andern ist. Trolz
allem erkeinit Penck die oft für \ iele Zwecke wichtige IJuschungsIreue an. inilhin
' l'iMiik ]u;il)l liii'rfür veiwIiiciU'iic KinU'iilK'isiiick'; a.a.O., S. 7."i.
- Oicsc Bezeichnung PonikH IxiiU-l K. v. Konicr für Heine drei Kinwiinile negen die Htwi Uuiii:i«-
Ml hiiiffe uns. Ka erilbrigt sich, hier auf Homer einzugehen. Wenn er «'inen dritten Kinwand gleich
ao Iteginnt: ..Die sogenannte Sehraffen|>la«tik giht keine .VnweiHungen ülHr ilie Richtung de.s (Je-
fälles", dann wollen wii ihn ruhig hei diesem «Jhiuhen lassen. Vgl. S. .'»(»8 der Mit. il. Ceogr. «Jos. in
Wien 1005t.
» A. Penck. a.a.O., 8.78.
554
Die wissenscliaftliflien Gruiull:ieTii der Gpliiiide(lnrstelhni(i.
praktisch venvertbare Ergebnisse. Pon Zwiespalt, clor zwiselien j)h_vsikalischeni
Gesetz und i)raktischer Verwertung der Lehmannschen Skala klafft, sucht er in
folgender AVeise zu überbrücken: ,,Man könnte sich über ihre theoretische Unzu-
länglichkeit vielleicht dadurch hinwegsetzen, daß man sie als eine konventionelle Manier
bezeichnet, welche das geographisch Wesentliche in dem objektiven (leländehilde nach
dem ganzen Gewichte seiner AWsentlichkeit mit dem ganzen AufL'tlioir ilnvr optischen
Ausdrucksfähigkeit zur Anschauung bringt und damit die (i(l;inde\eranseliaulichung
in gleiches Niveau rückt wie die Verdickung der Flußläufe, die auf Übersichtskarten
notwendig wird, wie die Übertreibung der Straßenbreiten auf Militärkarten. "^ Penck
hat ähnlichen Gedanken mehrmals Ausdruck verliehen und die ojitische Wirkung
der Lehmannschen Skala mathematisch imd graphisch dargelegt. Mit Pencks Worten
wird also das angedeutet, was wir das Überhalten der Böschungsplastik nennen.
Einen Augenblick schien es Penck, als ob mit Annahme diffuser Beleuchtung
die Lehmannsche Schattierung zu erklären sei, kam aber bald davon wieder ab, da
sie auf Böschungstreue verzichtet und noch schwächere Abstufungen als die senk-
rechte Beleuchtimg bewirkt. Er vertieft sich mehr in das physikalische Gesetz der
Ijichtabstufuugen schräg lagernder Flächen und vergleicht an der Hand einer Tabelle-
die darauf gegründete Helligkeitsskala mit den Schattierungen von Lehmann, auf
der bayrischen Karte und auf Grund von Scharung der Isohypsen. Da mit 1 der
höchste Grad der Sättigung des Schattens, also Schwarz bezeichnet wird, ist es auf-
fälhg, daß bei der Schattengebung durch die Isohypsen für CO" einen Wert von 1,732,
also rund P/^ eingesetzt wird. Aber schwärzer als schwarz kann auch kartograj)hisch
kein Hang gezeichnet werden.
;{27. Die zt'ulripefali* Bek'uclitiing. Die Betrachtung der Eosengartengruppe bei
Bozen im Abendsomienschein hat Penck auf den Gedanken gebracht, von einer Seiten-
beleuchtung oder zentripetalen Beleuchtung zu sprechen.* Er glaubt dadurch
einen gut gangbaren Weg zur Erklärung des Lehmannschen wie überhaupt jeglichen
Beleuchtungssystems gefunden zu haben. Ich bezweifle das. Ohne den ganzen wissen-
schaftlichen Apparat Pencks in Bewegung zu setzen, kann man sich die Pencksche
zentripetale Beleuchtung kurz deuten: Bei der Lehmaimschen Manier denkt man sich
die Lichtquelle in unendlicher Entfernung senkrecht über dem Gebirge, so daß die
Lichtstrahlen parallel verlaufen, und bei der zentripetalen zur Seite des Gebirges
(gleichsam um i'O" umgekippt, von der Senkrechten in die Horizontale), womit ein
' A. Penck, a. a. 0., S.
2 A. Penck, a. a. 0., S.
80.
81:
Böschungen
0.
5« j 10» } 15» 1 20« 25» 1 30° | 45»
60»
Helligkeit bei d. horizontalen
Seitcnbeleuchtung
Schatt. nach Lehmann
Schatt. der bayr. Karten
.Schattierung durch Isohypsen
» A. Penck, a.a.O., S.
81. >
0,087 0,174
0,111 0,222
0.083 0,167
0,087 j 0,176
Vai-mn Penck
0,259
0,333
0,250
0,268
,zontrip
0,342 0,423 0,500
0,444 0,.'555 0,666
0,333 0,416 O,.50O
0,346 j 0,466 0,577
Btal" schreibt, ist mir
0,707
1,000
0,750
1,000
nicht g<
0,866
1,000
1,732
mz ver-
standlich, wo die deutsche Bezeichnung „Seitcnbeleuchtung" viel mehr und Besseres sagt. „Zentri-
petal" gehört auch zu den Schlagwörtern (S. 16), gegen die Front gemacht werden muß. Im vor-
liegenden Fall ist es soj-ar unlogisch gebraucht. Höchstens könnte man von pcdaler Belcuditung
sprechen.
SpnkrcL-hte und schrägi' Bclnulitung. 555
rein terrestrischer Standpunkt eingenommen wird. Die steilen Flächen erscheinen
deshalb helle, die weniger steilen dunkel, ganz so wie es die horizontale Abendsonnen-
beleuchtung im Hochgeliirgc erkennen läßt. Die zentripetale Seitenbeleuchtung
, .zeigt uns das Gelände vom menschlichen Standpunkte aus, und darin liegt unsers
Erachtens der Grund für die allgemeine Anwendbarkeit der Lehmannschen Schraffen-
skala, daß sie uns das Gelände von solchem Standpunkte aus veranschauUcht."^ Ich
bin sicher, daß diesen Satz kein einziger Kenner und Kartograph der Lehmannschen
Schraffen unterschreiben wird. Was heißt überhaupt ..vom menschlichen Standpunkt
aus"? Ist es vielleicht kein men.^chlicher Standpunkt, wenn ich vom Flugzeug aus
das Gelände überblicke? Penck hat gar nicht daran gedacht, daß beim Oberlicht
das Gelände ganz, bei SchrägUcht größtenteils ganz und beim Seitenlicht nur ein-
seitig erblickt wird: um da zu einem Kartenbild zu gelangen, muß die Licht(iuelle
in den 360 Graden des Kreises bewegt werden; mit der Sonne in der Hand spaziert
man um das Gebirge herum. Femer hat Penck dabei die geometrische Darstellung
des Gebirges im Grundriß außer acht gelassen; denn was nutzt es mir, wenn die steil
geneigten Böschungen besser beleuchtet werden, geometrisch gerecht kann ich sie
sowieso nicht darstellen^; und die von Natur aus wenig geneigten Flächen bekämen
eine unnatürhche Böschungswirkung. Wenn sich Penck nur eine kleine Kartenskizze
in zentripetaler Beleuchtung hergestellt hätte, würde er von ihrer naturwahren
plastischen Wirkung wohl kaum entzückt gewesen sein und erfahren haben, wie ohn-
mächtig die Karten selbst mit ihren besten Darstellungsmitteln sein kömien.
Hält man nun den Effekt der seitlichen Beleuchtung kartographisch fest, wird
er zunächst den übUchen Kartenliildern gegenüber einen falschen Eindruck erwecken,
den man aber für die Anschauung in einen richtigen umdenken kaim, wenn man
sich auf schwarzem Untergrund den Schatten in weißen Strichen oder Punkten dar-
gestellt denkt, also ganz wie beim Zeichnen auf der Wandtafel, wo man den Schatten
durch weiße Kreidestriche auf schwarzer Grundfläche darstellt. Daraus folgert Penck
weiter, daß die Schraffen oder Punkte direkt als Symbole der Beleuchtung anzunehmen
sind. Dann ist die ..Schattierung nicht als Symbol des Liclitmangels. sondern direkt
der Beleuchtung anzusehen"'; und man kann mit ihm ül)ereinstinimen, daß durch
diese Annahme, die ich sogleich noch anders präzisieren werde, eine ganze Eeilu' von
Schwierigkeiten beseitigt werden können, die der theoretischen Interpretierung der
liisher üblichen Beleuchtungsmethoden nach Lehmann und Dufour entstanden, uml
daß die Schattenplastik alsdann zur ..Lichtplastik'" wird. Penck ist da, d. h. mit der
Entwicklung und Bezeichnung von Lichtplastik zu dem gleichen Ergebnis gekonmien,
wie ich es 1H07/9K licreits bekundet hatte.' Entschieden geht man zu weit, wenn
die Schweizer Belicfkarten als lichtplastisch bezeichnet werden: dann wird «br Aus-
' A. Penck, a.a.O., S. »2.
- E. Hammer macht i. G. J. XXIV, löül/02. S. 47. auf die Kiillo aiifmcrknam, wo die «.irmul-
riUdarstellunp und damit die Gcliindcdarstellung versagt, wie l>ei dem StufenauflMui eines Gebirges
oder bei einer Platcaulandschaft, wo man luir mit farbigen Höhenschichten einen Ausweg findet,
z. B. auf der Karte des Rilagebirg«-« in Bulgarien von Cvijic ('l. d. Ges. f. Krdk. Bcrhn 1898, Taf. 8)
oder die Karte des ohcni Xilgebietes von E. de Martonne (Z. d. Ges. f. Enik.. Berhn 1897. Tftf. 8).
' Mit K. Peucker habe ich mich über die „Lichtplftstik" in jenen Zeiten sdiriftlich verständigt,
Penck nahm damals dann und wann bei seinen Keisen nach und durch lx>ij>7,ig an den Sitzungen des
..CJcographischcn .\bends". einer V'crcinigimg von I^eiiwiper (^igmj)hen, teil, wo ich einigemal die
tJnindlinicn meines Punktsystems für (iclündedarstelhuig zum \'ortrag gebracht hatte.
556 üio wisscniäehaftliclien Oruiiiilagrn dci- GclHiKledarstrllmig.
druck Lichtplastik auf ein ganz anderes Gebiet, von dem der Schalten- bzw.
Bösclningsplastik auf das der Farbenplastik verschoben.
Aber warum die Deutung einer Beleuchtung an den Haaren herbeiziehen, da
sich viel praktikablere Wege zeigen? Man kann ja die Lehniannsche Böschungs-
schraffe direkt als !5yml)ol der Belichtung auffassen und dann bei Einhaltung d(>r
wahren Beleuchtungsgesetze den Unterschied zur Lehmannschen Skala tVstsI eilen.
So kommt man auf schnellorm und direktem Weg zu dem gleichen Eesultal wie auf
dem Umweg der zentriiietaUn l'.eleuchlung. Diese außerdem für die schräge Be-
leuchtung als nützhch zu empfehlen, halte ich wegen ihrer umständlichen rechnerischen
Festlegung für die Praxis viel zu schwierig. Ferner denkt Penck daran, bei der schrägen
Beleuchtung die dunkeln Schatten ausgiebig für die im Eigenschatten liegenden
Partien zu verwenden. Bisher galten aber die aufgelichteten Partien im Schatten
der Gehänge — eine Erscheinung, die der Natur direkt abgelauscht ist, die auch ihre
beleuchtungstechnische Erklärung findet — als ein Vorzug der schrägen Beleuchtung.
Die Striche und Punkte, die als Symbole der Beleuchtung dienen, sucht Penck
dem siimlichen Empfinden nahe zu bringen, indem er für ihre Kennzeichnung eine
in die Augen springende rötliche Färbung vorschlägt. Weiter empfiehlt er für Karten,
deren Gelände nur in einem besondern Farbton veranschaulicht werden soll, diesen
nicht mehr wie bisher, um die Schatten anzudeuten, grau oder jjraun, sondern rötlich
zu bringen. Geeignete rötliche Färbung zeigen beispielsweise die Baedekerkarten.
Die im Druck fuchsrot ausgefallenen Baedekerkarten können ästhetisch nicht voll
befriedigen. Die Farbe wurde ledighch gewählt, damit die schwarze Schrift- und
Situationsplatte um so mehr hervortrete. Wer schwarze Abzüge dieser Karten in der
Hand gehabt hat, wird bedauern, daß sie, die durch ihre vortreffliche Schattenplastik
hervorstechen, im Eeisehandbuch selbst nicht erscheinen.
Interessant ist Pencks Bemerkung über die Brauchbarkeit bzw. Benutzung
von Karten in schräger und senkrechter Beleuchtung. ,,Es ist aber nicht zu leugnen,
daß das Wandern im Hochgebirge an der Hand der Dufourkarte weit schwieriger ist
als mit einer lehmannisch beleuchteten österreichischen oder deutschen Karte, wie
sehr die letztem auch an plastischer Wirkung hinter der Dufourkarte zurückstehen.
Bei einer solchen Sachlage halten wir die Schnf lienmu nach Lehmann (und nach
zentripetaler Seitenbeleuchtung)^ für die ricIifi.M ( .. liiidcilarstellung auf Spezial-
karten, die zm- Orientierung im Gelände und nieht liluli zur Orientierung über das
Gelände dienen sollen."^ Diesem Gedanken, wenn auch nicht so prägnant ausgedräckt,
begegnen wir bereits in den ,, Studien über die Spezialkarte der österreichisch-ungarischen
Monarchie", von Ed. Eichter^, worin er sagt, daß er kein Anhänger des reinen Iso-
hypsensystems ist wie es die neuen Blätter des eidgenössischen Stabsbureaus durch-
führen, ,,da dies die rasche Orientierung in einem fremden Gebiet zu sehr erschwert".
Auch verteidigt er nicht die einseitige Beleuchtung der Dufourkarte und neuern
Karten des Schweizer Alpenklubs, ihm hegt das Ideal in einer Verbesserung der senk-
recht beleuchteten Schraffeidiartc, wie sie in der Spezialkarte 1 : 75000 vorliegt.
' Diese Woi(e Pencks iiabe ich eingeklammert, da die zentripetale BeleucUtung zuf Erkenntnis
des Ganzen tatsächlich überflüssig ist.
^ A. Penck, a. a. O., >S. 85. Gibt da Penck nicht einer ähnlichen Erfahrung schriftlichen Aus-
druck, wie E. Oberhummer, s. Anm. 2, S. 5.52.
^ Ed. Richter: Studien üb. d. Spezialkarte der österr.-ungar. Monarchie 1:75000. Beiträge
zur Geschichte u. Geographie der Alpen. III. Z. d. D. u. Ö. A.-V. 1877.
Seiikrc'clite und Hctiriigc Br'lciU'litmi';. 557
Mit Penck l)pselili('ßon wir die Roiho (lorjcniK<'ii. die sich eingehender mit der
Kritik und Harlcgung von schräger und senkrechter Beleuchtung befaßt haben.
Viele Theoretiker und Praktiker verhalten sich rein referierend über beide Beleuch-
tungen, ohne eine bestimmte Stellung zu einer von beiden zu nehmen, wieH. Wagner*,
H. Haack.2 Referierend ist auch nur W. Wolkenhauers Aufsatz über „die karto-
graphische Darstellung der senkrechten Gliederung der Erdoberfläche" 3, worin er
Meinung gegen Meinung der einzelnen Autoren ausspielt, selbst aber keine eigene
Ansicht zum Ausdruck bringt. Eingehender über Wesen und Anwendung von senk-
rechter und schräger Beleuchtimg berichtet M. Groll in seiner Kartenkunde'' und
A. B lud au im Leitfaden der Kartenentwurf slehre."'
32S. Die seiikrechle Beleuehtiing als Axiom des Uissoiischaftlers. Uns verbleiben
noch die Ansichten mid Aussprüche einiger maßgebender Männer, an die wir nicht
stillschweigend vorübergehen möchten. Von Wichtigkeit o'rachten wir die Beurteilung
beider Beleuchtungsarten von A.Heim, dem man als Geologen und großen Porträ-
tisten seiner Heimat (Säntispanorama usw.) ein unbefangenes Urteil zutrauen kann.
Die Montblanc-Karte von Imfeid erkcnint er als ein Meisterwerk an; nach ihm ist sie
gar „in Bezeichnung auf Klarheit und individuelle Charakteristik der Berge und Täler,
besonders der Felsen, des Felsschuttes, der Firnfelder, Gletscher und Steilgehänge
das überhaupt Vorzüglichste, was jemals in kartograi)hiacher Gel)irgsdarstellung
erreicht worden ist."« Dies Lob hält ihn jedoch nicht ab, sich rückhaltlos zur senk-
rechten Beleuchtung zu bekennen. Darüber hat er einen bemerkenswerten Brief an
Chr. V. Steeb geschrieben', worin er ausführhcher darlegt, daß es bei Karten kleinern
Maßstabes (1:1000000 und darunter) fast gleichgültig ist, welche Beleuchtung man
anwende, weil darauf mehr in Betracht komme, zu zeigen, wo Bergmassen sind und
wo keine. Angesichts der prächtigen Karten in Stielers Handatlas, die auf C. Vogel
zurückführen und in einem Maßstab 1:1500000 (Deutschland. Österreich-Ungarn,
Frankreich, Italien. Spanien und Portugal) entworfen sind, muß man die Grenze
schon auf 1 : IV2 Milhon hinaufrücken: denn man ist erstaunt, was füi- kleine Boden-
formen ein geschickter und wissenschaftlich durchgi'bildeter Kartograph noch zu
veranschaulichen vermag. Heim fährt sodann fort : ..Sobald der Maßstab größer wird,
ist die Frage wichtiger. Man mag dann die scliii^fc Beleuchtung ausführen wie man
wiU, sie wird stets zeigen, daß sie erstens für den Gesamteffekt aus der Entfernung
günstig, zweitens für das nähere Studium und die Verwendung der Karte im Ein-
zebien schli-cht ist. .Te größer aber der Maßstab, desto wichtiger wird die Verwendung
der Einzelforni. desto großer werden die Unaimelnnlici)keiten der schiefen Beleuchtung.
Stets er.scheint der schattige Abhang steiler als er ist, stets .'rscheint der belichtete
flacher als er ist. - Ich bin also lici gn.Brrm Maßslabe ganz nur für Vertikal-
i)eleuchtung."
> H. WaRnci : Lehrbucli, a. n. (>., S. 245-247.
ä H. Haa. k i. f!. .T. XXVI. I90.1/04, S. 307: XXIN. HHMi 07. S. :tSO. :1S1 : XXMII. Htm
S. 18:!.
' \V. WolU.nl.iiii.i i. DcutMilir Hundwliau f. Uoogr. u. StMixtik. HI. 1S,S0. S. 1 10.
' M. (m-.II: K.uln.kund... II. Horlin u. IxMp/.iK 1012, S. .Tl .T-".. M. ,
■■' A. Bludau: l.ritfttiU-n .In- Kail.n.-ntvuiMiliiv von K. /..i-iMit/. 2. .A.ill. von .A. Hl.uliui. 11
IHp/.i« 1908. S. 48-52, 57.
« Xaoh K. Haminrr zitinl in C. .1. XX. (iotlm 1S07'0S, S. 4,50.
" eilt. V. St.cl.. .1. a. »).. Wi.-n IS!»;. S. lil. H2,
558 üie wissensclmftliolicii (Srumilageu ilei- Gclämlciiarstollung.
Don gleichen Ansichten huldigte F. v. Eichthofen. In seinem Führer für For-
schungsreiseude lesen wir^, nachdem er sich zunächst über die Zeichnung der Gebirge
(Eichthofen schreilit „seitliche", wir sagen heute dafür „schräge" Beleuchtung) aus-
gesprochen hat, ..sie" (die „schräge" Beleuchtung) zeigt besonders im Hochgebirge
die Verzweigungen der Kämme und Eücken mit großer Schärfe und gewährt dem
Laien das anschaulichste Bild. Diese Methode ist zwar bei der Anfertigung von Ge-
birgskarton der Schweiz, welche mit Eecht als Meisterwerke bewundert werden,
lienutzt worden, ist aber nicht zu empfehlen, weil sie der Eichtigkeit entbehrt; denn
auf der beleuchteten Seite treten die Wechsel in der Neigung der (iehänge bis zur
Unkennthchkeit zurück, und auch auf der Schattenseite zeichnen sie sich nicht hin-
längUch, weil schon zu schwach geneigte Gehänge den Schattenton erhalten müssen.
Diejenigen Methoden, welche von der senkrechten Beleuchtung ausgehen, sollten bei
Karten, welche auf wissenschaftlichen Charakter Anspruch machen, allein angewendet
werden."
Mit E. V. Drygalski will ich die Eeihe der Vertreter der senkrechten Beleuchtung
schließen, der ich aus dem In- und Ausland noch eine große Anzahl beifügen könnte,
es jedoch unterlasse, da nirgendwo ein wirklich neuer, in die Augen springender Punkt
der Behandlung wahrzunehmen ist. In dem Werke der deutschen Südpolarexpedition
heißt es bei der kartographischen Darstellung des Gaußljerges : „Die Böschungen
des Berges und seiner Umgebung sind bei streng senkrecht gedachter Belmiehtung
in Schummermanier dargestellt. Eine Darstellung unter schräger Beleuchtung der
Gehänge verbot sich von selbst, da die Schatten dann irreführende Bilder auf den
Stufen ergeben hätten."^ Die plastische Wirkimg dieses Einzelberges war infolge
seiner Oberflächenbeschaffenheit nicht so leicht herauszuarbeiten, da die Eismassen
des Gaußberges nicht in die Felsen eingelagert erscheinen, wie die Gletscher der Alpen,
sondern aufgelagert und den gleichen Formenabstufungen unterworfen wie die Felsen
selbst. Es wurde deshalb für die Felshänge eine das gedämpfte Graublau des Eises
nicht aufhebende bräunliche Schummerung gewählt.^ Beide Farbtöne sind den
Böschungen angepaßt. Auf diese Weise macht die Böschungszeichnung ganz den
Eindruck des Geschlossenen, Einheitlichen imd Unabhängigen von dem Material,
ob Eis oder Fels. Kaum besser und harmonischer konnte ein plastisches Kartenbikl
des Gaußberges gewormen werden.
Überblicken wir alles, was bedeutende Forscher und Gelehrte über den Vorzug
der schrägen oder der senkrechten Beleuchtung gesagt haben, entscheiden sie sich
fast ohne Ausnahme für die letztere. Da muß doch etwas in und an dieser Beleuch-
tungsart sein, was ihr ohne Widerstreit eine Bedeutung verleiht. Offenbar hängt
dies auch damit zusammen, daß der Wissenschaftler mehr abstrakter anzuschauen
und zu denken vermag als der Laie und ihm die Karte eine Deduktionsquelle neuer
Begriffe und neuer wissenschaftlicher Ergebnisse ist. So wird uns die Eeihe der Ur-
teile, von den unnatürlich scln-äg beleuchteten Schulkarten angefangen bis liinauf
durch allr Sehnt ( icniH,i.'cii biiidurcli v.n den sciikivcbf bcleiifldcfoi t()])()gra.phiscben
' F. V. Hiclithofen: Führer f. Forschungsreisemle. Berlin 1886, S. 57, 58.
- DeutHche SüdpolarexpediUon 1901- 190.3. 11. Heft I. E. v. Drygalski: Dei üaulibcrg.
Seine Kartierung u. seine Formen. Berlin 1 906. — Taf . I enthält die Karte des Gaußberges, die M. 0 lo 1 1
nach den Aufnahmen von E. v. Drygalski und H. Gazert konstruiert hat.
' Ursprünglich eine violette Färbung, die noch besser zu dem Eisblau gepaßt hätte; a. a. O.,
S.25.
Vom Liclitfiiifall im bcsomlriu. 559
Karten und den nackten Schichtlinienkarten, psychologisch und zugleich didaktisch
und wissenschaftlich praktisch erklärbar. Es ist darum nichts Wunderbares und
Unnatürhches, wenn der Schulmann für die untersten Stufen des Unterrichts an den
schräg beleuchteten Karten festhält^, der Taktiker an der senkrecht Ijeleuchteten
Karte und der wissenschafthche Geograj)!! und Geolog, ebenso der Geodät an der
bloßen Schichtlinienkarte; schon 1854 sagte Chauvin, daß die Geodäten bei der Hori-
zontak'u jede Schattierung für überflüssig halten.^ Wo es aiier das Anschauungs-
bedürfnis des Kartenbenutzers erheischt, wird man gern den Karten den Vorzug
geben, die beide Beleuchtungsmethoden geschickt miteinander zu verbinden wissen,
wie es durchaus von neuem Praktikern gut geheißen und befolgt wird, so von C. Vogel,
Habenicht, Haack u. a.. und vor längerer Zeit bereits von Chauvin und Ziegler.
III. Vom Lichteinfall im besondern.
32!). Der dckliiialdt' Lichleiiifail. l]eim TJchtiinfall liat man zwei Richtungen
zu berücksiciitigen, eine deklinable und eine inklinable. In der Hauptsache handelt
es sich um die erstere, die im Sinne der Windrose vor sich gelit. Zum Gegenstand
eingehender Untersuchung hat sie 1890 F. Becker gemacht.* Er wirft zunächst die
l'^rage auf, ob es denn notwendig sei, an der NW-Beleuchtung, die für unsere Gegenden
niemals vorkommt, festzuhalten. „Wir fühlen das Störende dieses Umstandes, wenn
wir eine Gebirgsgruppe, bei welcher wir die Nordseite als wesentlich dunkler und meist
im Schatten liegend kennen, im Bilde als von der Sonne beschienen darstellen müssen,
während die in ^\'irklichkeit so sonnige Südseite in einen grauen melancholischen
Schatten gelegt wird." Der Gebrauch auf der NW -Beleuchtung hat sieh auf dem
Zeichentisch bei einseitigem, von links fallendem Licht entwickelt, wodurch die
Zeichenfläche der günstigsten Beleuchtmig ausgesetzt ist. Würden wir das Licht
von irgendeiner Seite im Zimmer wirken lassen, überall hätte man mit Schwierigkeiten
zu kämpfen. „Wollten wir erreichen, daß die in Wirklichkeit mehr beschatteten
Nordwestseiten auch im Bilde in den Schatten kommen, so müßten wir das mi all-
gemeinen nach N orientierte Kurvenbild umkehren. Dadurch kommen wir aber in
einen andern Widerspruch; entweder müssen wir die Karten nicht mehr nach N orien-
tieren oder dann die nach N orientierte, aber von rceiits unten bi'leuclitete Karte beim
Betraciiten in falsches Licht setzen." Es wird an dir Wirkung (l(>s l'ositi\ s und Nf^ati\s
einer photogra pilischen Aufnahme erinnert.
Heckers Meinung nach würde die Frage des Lichtehifalls auf natürliche Art gelost,
wenn wir die Karten anstatt nach N nach S orientieren, weil das zugleich das Natur-
gemäßeste sei; denn luicli dem Stand der Somie. die im ncmllichen Himmel stellt.
' Bi'soiuieix l)oimiki-ii moilit ich, iluü mii diu p)i(ltt)j;oj;i.si Wii Ik-strebiuigen dieser Art iiiolit
fremd sind. Hingegen liabc ich aucli Lelirer kennen gelernt, die auf Kehofkarte und sogar auf die ein-
seitig boleuchtote Heimatkartc beim Interricht venr.icLteten. Mit ihren .Sehük-m haben sie sieh die
Heimatkartc erwandert und erzeichnet, und siehe da, mit einem Male war den Sihilleni auch das Vor-
stiindni» für topographische und wissenschaftlich gehaltvoliei-u Karten als es die üblich sehnig l)eleuch-
teten waren, aufgegangen. Auch im geographischen l'nterricht wenlen den S.liiileni viel zu viel Hilfs
mittel, oft sinnvoll konstriüerte. in die Haii.l i;<'i;<'beii : anstatt ilic SObstrindigkeit zvi fordeni. winl
nur die Denkfaulheit gestärkt.
* F. Chauvin, a. a. O., S. :U.
' F. Becker: Die schweiwrische Kartographie its«. Fmuenfeld 1S!H». S. 11> l':t.
560 r»'«" wisseiiscliaftlidien (!niiidliii;ön iloi- Gelämled;iistelluiig.
orientieren wir uns am Tage, wenn auch der Nord polarstem in der Nacht einen be-
quemern Orientierungspunkt bietet. Er verhehlt sich nicht, daß eine Änderung in
der gewohnten Orientierung gleich bedeuten würde einer Eevolution im Karten-
wesen, da in der gesamten kartographisch schaffenden Welt übereinstimmend die
nördliche Orientierung Tnimpf ist. Einstweilen muß noch der herrschenden Mode
gehuldigt werden, aber es sollte doch angefangen werden, auf der Spezialkarte sich
von der gewohnten Sklaverei zu omanziiiieren. Schon die Schule müßte Wert darauf
legen, Karten in umgekehrter Lage zu lesen, damit sonst gute Landeskenner auch eine
Gegend wieder erkeimen, wenn sie ilmen in verkehrter Orientierung vorgelegt wird. Auf
eine Erfahrung weist Becker hin, die gleichfalls ich während des Weltkrieges zu machen
öfter Gelegenheit hatte, insofern Kartenbenutzer die Karte fortwährend herumdrehen
oder dem Terrain entsprechend falsch orientiert halten mußten, , .einfach, weil sie
nicht gewohnt sind, die doch so deutliche Schrift auch in umgekehrter Lage zu lesen.
Man sollte doch meinen, mit unendlich kleiner Mühe wäre das zu erreichen. Wie viele
andere theoretische Geschichten bringen wir unsern Schülern mit der größten Mühe
bt'i, während wir nie von ihnen verlangen, die Kartenschrift in umgekehrter Lage
lesen zu können." Hierzu dürfte wohl mancher Schulmann die Stirne rmizeln. Alles
in allem gesagt, soll nach Becker einfach der Grundsatz gelten, das Objekt, wenn
man nicht gezwungen ist, in einem allgemeinen Eahmen zu Ideiben, in der Eichtung
zu beleuchten, die die naturgemäße ist, und danach die Orientierung richten. Da-
durch hofft er, daß die Karten allgemein verständhcher und lienutzbarer würden.^
;J30. Südliehc BeJeui'htuug iiud Oriontierung. Ein anderer Schweizer, A.Heim,
legt sich für eine südliche Beleuchtung und Orientierung ganz geharnischt ins Zeug.
Auf semer Ballonfahrt über die Alpen^ hatte er sich von der Unnatürlichkeit der Be-
leuchtung der Alpenkarten zm- Genüge überzeugt, was auch wieder in dem oben er-
wähnten Brief an Chr. v. Steeb zum Ausdruck kommt: „Wenn nun die Vertreter
der schiefen Beleuchtung nicht zu bekehren sind, dami sollen sie wenigstens eine
schiefe Beleuchtung anwenden, welche nicht der Wirkhchkeit entgegensteht, sondern
in der Tat vorkommt. Es ist eine traurige Verknöcherung mancher Topographen,
wenn sie stets NW-Licht nehmen. Ich behaupte, es ist ganz falsch, wemi wir in der
Karte den Abhang in schiefem Schatten sehen, an welchem wir und alle Geographen-
schüler in Sonnenglut geschmachtet haben und denjenigen in Sonnenglanz, wo wir im
kühlen Schatten geruht. Es ist falsch, wenn die Karte den Anhang mit Schatten-
vegetation und Wald in die Soime stellt, und denjenigen, der mit sonnebedürftigen
Kulturen und Diirforn Ix'sctzt ist. in den Sehntten.^ Das ganze Vegetationskleid,
' Hofer und Burger haben nach dem Entwui-f von Becker eine Reliefkarte der Albiskette
liergestellt, worauf einer natürlichen Beleuchtung mit von N abweichender Orientierung Rechnung
getragen wird. — Hierzu gehört auch die Reliefkarte der Zentralschweiz von X. Imfeid, hg. vom
Verein zur Förderg. des Fremdenverkehrs am Vierwaldstätter See u. Umgebung. — Becker selbst hat
seine Kart« „Die oberitalienischen .Seen und ihr Exkursionsgebiet" in 1 : 1.50000 (Wint«rthur) von S
und SO beleuchtet.
- A. Heim: Fahrt der Wega über .^l]x?n und Jura. Basel 19(M).
■' M. Eckert: Grundriß der Handelsgeographic. I. Leipzig 1905, S. 3U. Hier weise ich auf
ein besondere drastisches Beispiel hin. Auf der Sonnenseite des Rhonetales zwischen Martigny wohnen
34000, auf der Schattenseite 20000 Menschen. Auf dem sonnigen Ufer sind die Bewohner nicht nur
zahlreicher, sondern auch wohlhabender und gebildeter und mischen sich nicht gern mit der Bevölke-
rung des Schatt«nufer8. Xach der Schattengebung unserer schräg von XW beleuchteten Karten (z. B.
Vuin Liohti'infall im hcsonderii. 561
die Besiedelung, die Berieselung, alles kommt in Widerspruch mit der Karte, wenn
wir auf der Nordhalbkugel NW-Beleuchtimg anwenden. — In Summe sage ich also:
Der objektiven Darstellung der Bergformen entspricht am besten und ist wissen-
schaftüeh am besten zu gebrauchen die Yertikalbeleuchtung. Will man durchaus
schiefe Beleuchtung, ist es einzig richtig, eine Richtung der Beleuchtung zu wählen,
welche der Natur nicht widerspricht, also für die Nordhalbkugel SW-, S- oder SO-
Beleuchtung."
Die Ansichten von Becker und Heim kehren bei E. Hammer erweitert wieder,
indem er außer anderm noch die „Sormnerhalden" und „Winterhalden'" ^ hervorhebt.
Jene werden auf unsem Karten mit dichten Schattenmassen überlagert und diese
bei dem übüchen N^^-Lichteinfall grell erleuchtet. Mit besonderm Nachdruck weist
er in der Kontroverse mit Habenicht auf die Vorteile der südhchen Beleuchtung hin.
Dieser bedeutende Vertreter der Praxis macht geltend, daß sich in der praktischen
Kartographie die Beleuchtung und Orientierung nach dem Stande der Sonne zu
richten nicht empfehlen würde, ,,denn dann müßten beide auf der Süderdhälfte
wechseln, unter dem Äquator aber dürfte nur Morgen- und Abendbeleuchtung gelten."*
Aber wie schnell Habenicht seine Ansicht geändert hat, zeigt die schöne Geländekarte
vom Seeberg bei Gotha, die zirka vier Jahre später erschien als er das Vorhergehende
geschrieben hatte; und sie erscheint in der naturgemäßen SW-Beleuchtung.^
Schroff wendet sich E. Brückner gegen die Anhänger des Systemwechsels
der üblichen Beleuchtung.* Er betont, daß gerade ein sehr wesenthcher Teil der
malerischen Wirkung der ..Wandkarte der Schweiz" zweifellos auf der schrägen Be-
leuchtung aus NW beruht. „Diese Beleuchtung aus NW ist für Karten fraglos die
einzig richtige". Er kann es nicht einsehen, daß die Beleuchtung von SW eine natur-
gemäßere sein soll, weü auf einer derartig beleuchteten Karte doch „die Verteilung
der Schatten auf der Karte in schärfsten Widerspruch mit der Verteilung von Licht
und Schatten im Zimmer tritt". Unstreitig leidet, wie er sagt, die Schattenplastik
durch solcherlei Verfahren, von dessen Wirkung man sich am besten überzeugen kann,
wenn die Wandkarte mit S nach N aufgehängt wird: soweit ist und bleibt eben die
Zimmerbeleuchtung für die Schreibenden oder Zeichnenden die einzig richtige Be-
leuchtung. ,,Aus diesem Grund wird die Beleuchtung der Karten aus NW stets bei-
behalten werden müssen."
In der „Schattenplastik und Farbenplastik" hält Peucker die Zimmerbeleuchtung
für Karten kleinem Maßstabes angebracht*, da auf solchen Karten die Wirkungen
von Sonnen- und Schattenseite nicht ersichthch sind. In seinen spätem Studien
weist er das handgerechte Eensteriicht als die ..einzige richtige Beleuchtung", wie
Brückner sagt, zurück*, weil die Geographen in der Beleuchtungsart, die gegen das
naturgemäße Abbild der Sonnen- und Schattenseite der Gebirge verstößt, selbst wemi
auf der Schweizer Karte in Stielere Handatlas) mUOte es gerade umgekehrt der Fall sein. Je tiefer wir
in die Bes edelungs- und Kulturgeographie eindringen, merken wir immer deutlicher, wie unhaltbar
und unlogisch die nordwestliche Beleuchtung ist.
' E. Hammer i. P. M. 1898, S. 95.
« H. Habenicht i. P. M. 1897, S. 187.
' s. /.w.iten Teil von .\nm. :t auf S. .J.'iO.
* E. u. A. Brückner: Zur Frage der Farbenplastik i. d. Kartographie. Mit. d. (Jeogr. tii-s.
in Wien 1909, S. 193, 194.
^ K. Peucker: Schattenplastik u. Farbenplastik. Wien 1898, S. 71.
• K. Peucker: Höhensrhichlenkarten. 7.. f. V.mi. 1911, S. f*.
Kckrrt, K*rtcnwU.ii-nwh*ft. I. ■
562 Die wisseiischaftliclipn Grundlagen der Geliindediirstolluiif;.
^if technisch go rechtfertigt ist, einen Widerspruch sehen. Darum muß in Kartiui, auf
denen die Anschaulichkeit der Sonnen- und Winterseite gefordert wird, eine Beleuchtung
aus SW angenommen werden. Femer wird die Forderung Peuckers, für die schräge
l^eleuchtung „Somiseitbeleuchtung" zu sagen, verständlich. Doch alle Schwierig-
keiten sind nach ihm behoben, werm man das Gelände auf General- und Spezialkarten
in irgendeiner vielstufigen farbenplastischen Skala darstellt. Beim Anblicke dieser
Kartenbilder „kommt man ja von vornherein nie in Zweifel, was oben oder unten
sei, wie an so vielen Schweizer Karten, außerdem wird man solche Karten meist nur
im Freien praktisch benutzen. Man hat also völlig freie Hand, dem Höhenbild das
naturgemäße Schattenbild einzufügen an Stelle des inhaltlich wertlosen Zimmer-
schattens". Das hat Peucker durch seine beigegebene Alpenkarte in 1 : 200000 be-
wiesen, auf der das Gelände von S und SW her beleuchtet erscheint. Ein grauer
Schatten kriecht an den Nordgehängen entlang, aber so zart und unauffälHg, daß er
die Farbstufen nicht im geringsten stört, sondern im Gegenteil hebt. Auf diese Weise
wird tatsächlich ein naturgemäß beleuchtetes Geländebild geschaffen, das auch
ästhetisch einwandfi-ei ist.
331. Der inklinablc Lichteinfall. Das Prol)lem des lichteinfalls im Inklinations-
sinne hat in neuerer Zeit Hammer erörtert, nachdem es früher schon von Chauvin
angeschnitten worden war, der sich für einen Lichteinfall von 30" entschieden hatte
(S. 546). Meist wird die Neigung des Lichtstrahles zur Horizontalen zu 45" gedacht.
Hammer denkt an das Azimut des Untergangspunktes der Soime^, das im Jahres-
mittel auf der Nordhalbkugel 90" beträgt, womit der W-Punkt bezeichnet wird. „Und
an solche Mittelwerte hält sich das Volk. Ist deshalb die Forderung: Lichteinfall aus S,
aus der mittlem Sonnenmittagshöhe! bei uns (50" Breite) also aus der Höhe 40" für
die hoch belobte schiefe Beleuchtung, die der Natur näher bringen soll, natm'gemäß
oder nicht?" In Kücksicht auf die vorwiegende Sommerbenutzung der Karten kann
man die Höhe zu 45—50" annehmen, natürlich von S aus betrachtet. Auf solche Art
kommt man ja einer naturgemäßen Beleuchtung etwas nahe, obwohl es sich auch
hierbei nur um wenige Stunden eines Phänomens handelt, dagegen beim NW-Einfall
um keine einzige Sekunde im Jahre, wo die Beleuchtung mit der Natur allenfalls —
denn um große Räume in ostwestlicher Erstreckung darf es sich dabei auch nicht
handeln — übereinstimmt. Zuletzt macht Harnmer noch darauf aufmerksam, daß
sich der von der Natur gegebene Lichteinfallwinkel auf der Wanderung nach N wie
nach S ändert. Für Norwegen würde dieser Winkel etwa 30" betragen, für Italien,
Spanien, Griechenland höher wie bei uns.
Um gleich bei letztem Ausführungen stehen zu bleiben, muß ich bemerken,
daß es untunlich wäre, die Höhe der Lichtquelle mit der Breite zu ändern; für alle
Karten der Nordhalbkugel muß gleiche Höhe des Lichteinfalls Vorschrift sein. In
der Hammerschen Gedankenfolge würde man beim Überschreiten des Wendekreises
schließlich zu einer Höhe der Lichtquelle gelangen, die jeden Schatten des Geländes
ausschließt. Auch Avürde durch die Änderung dieses Einfallswinkels, was verschiedene
iiitensive Schatten der beschatteten Gehänge hervorrief, selbst wenn gleiche Böschungen
vorlägen, — von der verschiedenen Länge der Schlagschatten sei ganz aligesehen,
obwohl sie beim Wechsel der Höhe der Licbtriuelle unbedingt ))erücksicb.tigf werden
' E. Hammer i. P. M. 189S, 8. r,r,, m.
Vom Lichtciiifall im bcsoridern. 5(53
müßten — , eine ganz falsche Vorstellung von der Höhe der Geburge hervorgerufen;
der Hohe Atlas z. B. würde niedriger erscheinen als die isländischen Gebirge, obwohl
er noch einmal so hoch wie diese ist. Also ein Wechsel der Lichthöhe ist unbedingt
auszuschheßen.
Der Zwiesjialt zwischen N- und S-Belichtung macht es uns jetzt auch erklärhch,
warum der Wissenschaftler bei seinem Studium vorzugsweise zur nackten Schicht-
linienkarte greift. Auf ihr kann ihm keine nach Effekt haschende Kunst die Natür-
Hchkeit verderben, denn in der topographischen, nackten hypsometrischen Karte
erblickt er das Endziel der Veinen, von allem Persönlichen, d. h. Willkürlichen be-
freiten Darstellung der Natur.
332, Die naturgemäße Belichtung; und ihre Zukunft. Früher erschien mir die
Brücknersche strenge Auffassung der NW-Belichtung als die einzig richtige und kon-
sequente. Auch Haack mochte von gleichen Gedanken beseelt sein, als er schrieb,
daß „selbst Heims Philippika gegen diese Lichtquelle (von NW) ohne Wirkung zu
bleiben schehit."i Und dennoch bin ich durch Peuckers Erörterung und Karten andern
Sinnes geworden. Er hat einen Weg der Kartenentwicklung gezeigt, der zuletzt nicht
bloß den Tomristen, den Flugzeugführern und Luftfahrern, sondern auch den wissen-
schaftlichen Geographen befriedigen kann. Bei seinen Karten ist es nicht notwendig,
auf eine andere als die jetzt überall eingebürgerte Orientierimg zu verzichten. An
anderer Stelle habe ich die Gründe dargelegt, die gegen eine südüche Orientierung
sprechen (S. 227). Bei seiner farbenplastischen Darstellung ist der Schatten nur eine
Beigabe, wenn auch manchmal eine recht unangenehme. Aber auf diesen Karten ist
es ja ganz gleich, aus welcher Eichtung der Schatten hineingemalt oder -konstruiert
wird, und warum sollte man da nicht zu der sinn- und naturgemcäßen aus S greifen?
Die Beleuchtung aus SW oder SO sollte man nicht so streng betonen, es genügt voll-
ständig, wenn gesagt wird, das Licht fällt von S ein, da selbst der gewissenhafteste
Kartograph sein Objekt immer derart behchten wird, wie es ihm am wirkungsvollsten
im Gesamtbild erscheint, d. h. er wird es harmonisch in die gesamte Gebirgsgliederung
einpassen; denn Harmonie ist Ordnung!
Es erscheint mir zweifellos, daß die Kartographie in spätem Jahrzehnten ein-
mal dahin steuern wird, die naturgemäße Beleuchtung für alle Karten einzu-
führen. Nicht zu verkennen ist, daß sich vorderhand große Schwierigkeiten der Ein-
führung entgegenstemmen; und eine gewisse Schwerfälhgkeit gegenüber Neuem,
selbst wenn es besser ist, haftet auch der technischen Kartographie an. Es ist das
Beharrungsvermögen staatHcher wie privater Eiiiriclitinigen. Freilich ist das Um-
denken leichter und schneller als das Umwandeln kartographischer Werke. Neue
Kräfte müssen dazu erst herangezogen werden. Es haben auch einige Menschenalter
dazu gehört, bevor die Schraffe richtig gezeichnet und richtig ins Kartenbild, besonders
bei kleinmaßstabigen Karten, gesetzt wurde. Vielleicht werden dereinst internationale
Verehibarungen getroffen werden, die für Karten der Nordhalbkugel die südliche
und für solche der Südhalbkugel die nördliche Beleuchtung vorschreiben.
Wiu-de man dann eine Spezialkarte aus weniger bekannten Gebieten zur Hand nehmen,
wüßte man schon ungefäiir. wo sie eiiizureiiicn ist. Das wäre eine daiikliare Aufgabe
inu'b für dir Wiltl<Mrtciikoiifi'renzi'ii bez. iMlcniiitioii.tli'n (n'ograpbi'iikougresse ge-
' H. Haack i. (;. .1. .\\\I. (i.idi.i l!)(i:t (M. S 101.
564 Diö wissenschaftliclion Griiiidlagpn der (Teländediii-stolluiig.
Wesen, aber zu solcli großzügigen Gedanken hatten sie sicli noch nicht aufzuraffen
vermocht. Würde man in Zukunft eine derartige Sclieithmg von Karten der Nord-
und Südhemis})häre herbeiführen, so wäre auf keinen Fall eine Änderung der
Orientierung herbeizuführen. Wenn füi- die südhch beleuchteten Karten der Nord-
halbkugel eine südhche Orientierung gewünscht wird, dann müßte für die Karten
der Südhalbkugel eine nördliche Orientierung gefordert werden, mithin wie es für
sie jetzt schon gepflegt wii-d. Die südliche Orientierung würde eme heillose Kon-
fusion anstiften, was einen weitem Gnmd ergibt, es bei der jetzt üblichen Orien-
tierung auch für alle Kartenwerke der Zukunft zu belassen.
D. Allgemeine Geländescliraffe und SchraffeiKM-satz.
I. Die allgemeine Geländeschraffe.
333. Unterschied zwischen Böschuns;s- und allgemeiner Geländeschralfe. Im
Interesse einer klaren Beurteilmig über Wesen und Wert der Schraffen ist es zu
empfehlen, zwischen Böschungsschraffe und allgemeiner Geländeschraffe
zu unterscheiden. Die eine ist das Bauelement bei sogenannter senkrechter Beleuchtung,
die andere ist ledighch Symbol des Geländes. Wird erstere in der Hauptsache für
topographische Karten gebraucht, so letztere sowohl als Schattendarstellungsmittel
für gi-oß- und kleinmaßstabige Karten wie als allgemeines Symbol des Geländes klein-
maßstabiger Karten ohne Eücksicht auf irgendwelche Beleuchtung. Die Funktionen
der Böschungsschraffe sind demnach ganz anderer Art als die der allgemeinen Ge-
ländeschraffe. Die Arbeitsweise der einen ist durch mathematische Gesetze zwangs-
läufig, der Subjektivität möghchst weit entrückt, die der andern bewegt sich auf
freiem Bahnen und unterliegt subjektiven Einflüssen, die sich im Können und Kennen
des Kartenzeichners beurkunden. Das will H. Wagner mit den Worten andeuten,
wenn er sagt, „daß es sich hier um eine wirkhch darstellende Kunst handelt"^, und
ich füge hinzu: die jedoch von wissenschaftlichen Grundsätzen geleitet werden soll.
Sehr gut sagt aucli C. Vogel, „daß die Schraffenmanier nicht so ohne weiteres als
eine schematische Arlieit, sondern als eine auf w'issenschafthcher Grundlage beruhende
graphische Kunstleistung aufgefaßt und geübt werden muß, soll nicht ein im Be-
lieben jeden Zeichners oder Stechers liegende, aber dem allgemeinen Verständnis nicht
zusagendes Terrainbild zum Vorschein kommen."^
334. Die Geländeschraffe und ihr wissenschalflicher lliiitercrund. Durch die
allgemeine Geländcschraffe wml nicht mehr der Grad der Neigung im Gelände aus-
gedrückt ; mithin ist es ein vergebliches Bemühen, den Grad der Neigungen aus solchen
Kartenbildem entziffern zu wollen. Nicht jedes ausdrucksvolle Kartenbild hält der
wissenschafthchen Kritik bis ms einzelnste stand. Doch gibt es zahlreiche klein-
maßstabige Kartenwerke, die immer noch gewissen mathematischen Formeln genügen;
H. Wagner: Lehrbuch, a. a. O., S. 247.
C. Vogel: Die Terraindarstelhing auf Landkaittn mittels Scluaffiening. P. M. 189.'!, S. 148.
Dir allgcinrinr Goliiiideschraffe. 565
sind diese tjanz und gar ausgeschlossen, müssen die Geländeformen nach großen
geologischen und morphologischen Gesichtspimkten zusanmiengefaßt und zu typischen
Zügen, die auf die Entstehung dieser Formen Rückschlüsse erlauben, verallgemeinert
werden. So erscheint die Gruppenbildung von Geländeformen als eine der wichtigsten
kartographischen Aufgabe, wenn nicht die wichtigste des Geländezeichners. Für
diese zusammenfassende und verallgemeinernde Tätigkeit (Generalisierung!) bietet
zweifellos die 'hypsometrische Karte, d. h. die Höhenschichtenkarte die beste Grund-
lage, die sich erst anzulegen ein gewissenhafter Kartograph nie unterlassen wird.
Bei den Karten in den Übergangsmaßstäben von topographischer zu choro-
graphischer Karte wird man tunhchst die mathematische Basis für die Scluraffen-
darstellung noch benutzen. C. Vogel hatte für seine Deutschlandkart ein 1 : 500000
40 Striche auf 1 cm vorgeschrieben, ausgehend von der Durchschnitt sböschimg von
18—25°, wo das Weiß zu Schwarz in gleichem Verhältnis steht. Für die gleichen
Böschimgen bei dem Maßstab 1 : 1500000, in dem verschiedene Karten Europas im
großen Stieler auf C. Vogel zurückführen, werden 48—50 Striche auf 1 cm empfohlen.^
Man übersehe nicht, daß die Vogelsche Bestimmung nur eine allgemeine Direktive
für den Stecher gibt. Je nach Bedarf ist bei stärker gegliederten Formen ober bei
Kleinformen die Strichzahl zu vermehren, denn die denkbar engste Schraffierungs-
skala ist selbst im Flach- und Hügelland noch anwendbar und ausdrucksvoll, sofern
nur der einheithche Charakter bewahrt Ijleibt.*
Die Schraffe der kleinen Maßstäbe von 1 : 2000000 ab erfüllen ihren Zweck
in der Veranschaulichung der großen allgemeinen Züge der Gebirgsgruppen und
Massenerhebungen. Diese Aufgabe der allgemeinen Geländeschraffe hat E. v. Eomer
in seinen „kritischen Bemerkungen zur Frage der Terraindarstellung" nicht klar er-
faßt'; desgleichen läßt seine Darlegung vom Wesen der Schraffe zu wünschen übrig.
Schon einer seiner einleitenden Sätze, daß „die Schraffendarstellung mit senkrechter
Beleuchtung zu mihtärischen Zwecken erfunden sei, ja zu denselben Zwecken der
Theorie zuwider optisch überhalten", bezeugt, daß er weder die Lehmannsche
Schraffe noch die Peuekersche Theorie^ richtig auffaßt. Was er gegen die Lehmannsche
Schraffe und deren Bevorzugung durchs Mihtär vorgebracht hat, natürheh sehr ein-
seitig und unvollkommen, ist von Chr. v. Steeb widerlegt worden.* Uns interessiert
hier mehr das, was er der allgemeinen Geländeschraffe vorwirft, wobei er einige Karten
aus Stielers Handatlas zerpflückt. Auch weiß er die Boschungsschraffe von der all-
gemeinen Geländeschraffe nicht scharf auseinander zu halten, denn was er jener zur
Last schreibt, geht meistens auf Schuld dieser.
„Bei geographischen Karten in kleinem! Maßstabe spielt die Höhe eine größere
Bolle als die Steile." Dieser Ausspruch von Hauslab ist zum eisernen Bestand karto-
graphischen Glaubens und Darstellens geworden. Ihn zu realisieren fällt der Schraffe
außerordentUch schwer, vielfach versagt sie hier ganz. Immerhin muß man aner-
kennen, daß sie auf die Heraushebung der großen, charakteristischen Züge des Ge-
» C. Vogel, a.a.O., S. 149.
- Schöne Beispiele dieser Art gibt iimh ilcr „.Vtlas univorHol do g^ograpliio" von M. Vi\ im di-
Saint-Mftrtin u. Fr. Schrador.
> E. V. Romer i. d. Mit. d. tieogr. Ge». in Wien 1909, Heft 10 u. U.S. 507 .MS.
* K. Peuckcr: .Sibattenpla-stik u. Farbenplastik. Wien 1K98. Ü. 3«.
* Chr. V. Steeb: Norh cinninl ..Kritische Bemerkungen r.iir Fmge der TorrBindarntellung".
Mit. d. tieogr. Ges. Wien 1910, S. 89-94.
566 L>'e wissensclKiftlichcii Grundlagen (icr GeländidarstcUuiig.
ländes hinarbeitet und die Massenerhebungen auch nach ihrer Höhe etwas veran-
schaulicht, freilich nicht in dem Sinne Eomers, als ob sie die „absolute Höhe" hervor-
heben -wolle.! Als H. Habenicht das Bild der Andenkette entwarf, wußte er gar wohl,
wie er die Schraffe zu handhaben habe und was er ihrer Wirkung zumuten könne.
Er stellte den steihvandigen Anstieg bei Antofagasta nicht so stark in Schraffen dar,
um sich deren größern Effekt für die relativ höhern Gebiete der Innern Andenketten
aufzubewahren. Das sind Erscheinungsformen der Geländegeneralisierung, die für
Karten wie in den Stielerkarten für Südamerika in 1 : 7500000 und kleinern Maß-
stabes viel Takt und eingehender geographischer Vorstudien bedarf. Infolge mannig-
faltigster Erwägungen wird es vorkommen, daß, trotzdem das Schraffenbild aus einem
hypsometrischen Urbild herausentwickelt wird, manche Geländepartie etwas schwächer
im Schraffenton erscheinen, als es ihnen nach Höhe und Böschung zukäme; es darf
eben nicht das große Ganze aus den Augen verloren werden. Daß es hinwiederum
außerordentlich schwierig ist, das hypsometrische Gerippe auf Grundlage der Schraffen-
atlaskarte zurückzukonstruieren, ist eine allgemein bekaimte Tatsache. Desgleichen
führt die Profilkonstruktion nach dem Schraffenbilde der Atlas-, Schul- und Wand-
karten zu mangelhaften Bildern, die den Kenner durchaus nicht in Erstaunen setzen.
Aber daraus der allgemeinen Geländeschraffe einen Strick drehen, heißt eben, wie
ich immer wieder betonen muß, ihr Wesen und ihre Bedeutung verkeimen. Ein ge-
wisser Grad Konventionalismus wird diesen Karten stets eigen sein. Selbst ein
gewisser Duktus der einzelnen Kartenbearbeiter und -firmen wird sich bei der Dar-
stellung der allgemeinen Geländeschraffe nicht verkennen lassen, besonders in Schul-
atlanten, wo man z. B. genau die Schraffenzeichnung von Debes von der von
Ijüddecke unterscheiden kami. Romer geht entschieden zu weit, wenn er in dem
uniuugänghchen Maß von Konventionalismus eine Vergewaltigung der exakten theo-
retischen Begriffe der Schraffe imd der Schichtlinien erblickt.
335. Die Inhomogenität der Karten einheitlicher Kartenwerke. Mit manchen An-
sichten Eomers wird man sich einverstanden erklären müssen. Wenn auf Karten von
Asien in 1:7500000 in Stielers Handatlas die Berge der Kirgisensteppe, die bis
1336 m emporragen, also von ähnlicher Höhe wie der südhche Ural sind, ziemlich
detailliert erscheinen, dann müssen sie auf einerÜbersichtskarte von Asien in 1 : 30000000
wenigstens angedeutet werden, so ähnlich wie auf den entsprechenden Karten in
Debes' Neuem Handatlas. Sicher ist das Versehen auf den allgewohnten Begriff
„Steppe" = ,, Ebene" zurückzuführen. Auf einen Punkt hätte hierbei Eomer hin-
weisen köimen, nämhch wie diese Übersichtskarten entstanden sind. Mancher Fehler
wird da seine Erklärung finden. Vielfach war es und ist es üblich, erst die Übersichts-
karte mit ihrem Geländebild darzubieten und später die dazu gehörigen Spezialkarten.
Die Übersichtskarte soll das (generalisierte) Ergebnis der Spezialkarten sein. Dies
Prinzip, das bei topographischen Karten als etwas Selbstverständliches gilt, müssen
die Kartographen der Atlasblätter mehr als bisher befolgen.'^ Ich gebe zu, daß man
diese nicht regelmäßigen Erscheinungen mit aus der Entwicklungsgeschichte des be-
1 E. V. Romer, a. a. 0., S. 515.
* Daß dies nicht befolgt wird, sieht man bei den Lieferungsausgaben der Handatlanten (in
total umgearbeiteten Neuauflagen); gewöhnlich wird die allgemeine Übersichtskarte eines Erdteils in
einer der ersten Lieferungen gebracht, während die Spezialkarten, eben weil sie noch in Arbeit sind,
viel später erscheinen.
Die iiUgcini'ini' fiolündcschi-HtV«;. 567
tiiffenckii Karteiiwcrketi trkläivu muB. Bei den guten Handatlanten nimmt man
auch wahr, daß sie von Auflage zu Auflage streben, gerade in Hinsicht auf die Gelände-
darstellung ihre Karten homogener zu gestalten, selbst wenn sie von verschiedenen
hitechern ausgeführt sind.
Mit der Inhomogenität hängen ferner die verschiedenen Angaben ein und der-
selben Höhe auf verschiedenen Kartenblättern zusammen, die Eomer mit Reclit rügt.
Unter den mir vorliegenden großen Atlanten, die noch vor dem Weltkriege erschienen,
macht bezügUch konsequenter Geländedarstellung der Handatalas von Debes den
günstigsten Eindruck, was ohne Zweifel damit zusammenhängt, daß bei der Be-
arbeitung der Karten nicht zu vielerlei Kräfte tätig waren. ^ Der Stielersche Atlas
zeichnet sich durch die vielen Höhenzahlen aus, die den Schraffen beigeschrieben
sind, gemäß der alten Behauptung Aug. Petcnnanns: „Erst durch die Höhenzahlen,
die immittelbar in die Karte aufgenommen werden, wird jede, auch die beste Terrain-
zeichnung vollständig und erhält in ähnlicher Weise eine feste Grundlage und Kon-
trolle, wie eine Karte im ganzen durch die Gradnetzlinien." ^ Die Höhenzahlen sind
aber nicht bloß ein unzertrennlicher Begleiter der Schraffenkarte, sondern auch der
Schichthnien ; erscheinen diese ohne Zahlen, dann sinken sie zu bloßen Formlinien
herab.
336. Die iinobjekfive und iiiipxakte Schraffe. Die ,, unobjektive mid miexakte
Schraffe" gibt Eomer Veranlassung, sie mit der Schichtlinie zu vergleichen und beider
Bedeutung für die Gewiimung der mittlem Tiefe der Ozeane, bzw. der mittlem Höhe
der Kontinente abzuwägen. Jlit dem stetigen Anwachsen des hypsometrischen
Materials wird sich das Ergebnis jedesmal nach einer Reihe von Jahren verändern,
d. h. verfeinern. Auf die ihm seinerzeit vorliegenden Ergebnisse gestützt, stellt er
eine mittlere Veränderlichkeit der Berechnung der Festlandshöhen auf 6,7Vo ^^^^•
den absoluten Unterschied 21 "/o (hei Australien), dagegen bei den Meerestiefen ein
Mittel von 4,3% und den absoluten Unterschied zu 147(,. ,,Mag man diese Zahlen
zu interpretieren versuchen wie man will, es lileibt die Tatsache bestehen, daß unsere
morphometrischen Schätzungen eine Iniualie zweimal so große Veränderlichkeit bei
den Höhen des Landes als bei den Meerestiefen aufweisen. Diese Erscheinung muß
man in erster Linie auf die Bedeutungslosigkeit der Lidividualität in der Zeichnung
von Niveaulinien im Gegensatze zu der Schraffendarstellung zurückfülu'en."^ Doch
liegt der Unterschied noch auf anderni (ii>biet, das gar nicht berührt worden ist. Da
•sich die Höhenmessungen viel mehr häufen als die Tiefenmessungen, müßte dies zu-
nächst für Romer sprechen. Doch wenn man sich überlegt, daß durch die verhältnis-
mäßig wenigen Messungen, die den Meeresboden mit Ausnahme verkehrsreicher Küsten-
gebiete bedecken und jährlich neu gewonnen werden, das Bild im großen und ganzen
stabil bleibt, dagegen auf tlem Lande infolge der jährlich sich bedeutend mehrenden
Höhenkoten die Voraussetzung für die Berechnung der mittlem Hohe eine mobilere
i.st, wird man den größern Ausschlag im Mittel der Festlandshöhe t>rklärlich finden.
Weiter ist zu bedenken, ilaß das Tiefenbild des Meeresbodens in der heutigen Darstellung
• Für die luiüereiiropäiaihon, also die Hchwicrigeni G<>biett< in der Haiiptsaolic H. Fischer ".
P. Elfi-rt.
2 A. PcUMiuami: Die K.irtr dor l.ritisclu-n Iiim-1ii. V. M. 1SI12. S. MÖ. - Vgl, muh
üIksii s. :\r,-2.
» E. V, Römer, a, a. U., Ö, iüiH.
568 Di*' wissciiscliaftliclii'ii Grundlagen der Gcländcdarstelhinj;.
unserer Handatlanten klar und einfach daliegt, dagegen im Schraffenbild der Kon-
tinente uns keine stumme Karte entgegentritt, sondern mit allerhand Tatsachen des
Verkehrs, der Siedelung und Kultur und mit Namen überdeckt ist. Doch daß auch
da einmal größere Klarheit und Übersichtlichkeit geschaffen und andere Kartenbilder
unsere Atlanten erfüllen werden, ist nur eine Frage der Zeit (s. den Schluß von
Band I).
II. Die bunte SchrafTe.
337. Die Si'braffe im Bunt- und Sehwarzdruck. Nach drei Eichtuugeu hin ist
die bunte Schraffe in der Kartographie aufgetreten. Als man den Farbendruck besser
handhaben lernte und den Karteninhalt im Laufe der Jahre immer mehr belastete,
trennte man die Geländedarstellung von dem Lageplan. Die besondere Terrain-
platte hielt ihren Einzug in die kartographische Eeproduktionswerkstätte, zunächst
in die Privatanstalten, und sodaim in die offiziellen Institute. Braun und Eotbraun
sind die bevorzugten Farbtöne für den Geländedruck, seltener tritt ein grauer oder
grauvioletter Ton auf. In dieser bunten Schraffe hegt kein wissenschafthches, sondern
ein praktisches Moment, wie aus meinen frühern Erörterungen hervorgeht (S. 480), wie
wir auch der Verteidigimg des Braundrucks durch H. Habenicht^ und H. Haack^
entnehmen. Auch C. Scherrer bekennt sich wegen der größern Klarheit des Bildes
imd der Lesbarkeit der Schrift zm- braunen Farbe, obwohl der Schwarzdruck die
stark hervortretenden Abfälle besser veranschauUcht.' Dagegen ist Chr. v. Steeb
ein strenger Vertreter des Schwarzdruckes bei der Geländedarstellung.* Die Farben-
karten vergleicht er mit Büchern, in denen das Wichtigste durch Unterstreichen be-
zeichnet wurde; jedoch darf nicht zuviel unterstrichen werden, sonst hebt man gar
nichts hervor.
338. Die wissenschaftlich bunte Schraü'e. Bein wissenschaftlich tritt die bimte
Schraffe bei Gehne auf, die er für seine Methode der morphologischen Kartenzeichnung
weidUch ausnutzte. Ihm diente eine Höhensschichtkarte als Grundlage, worauf die
Böschungen, soll richtiger heißen die Hänge, in Schraffen verschiedenfarbig wieder-
gegeben werden, so daß jede Farbe emen morphologisch gleichwertigen Schichten-
komplex vertritt. Um die formengebende Tektonik der Faltengebiete abzulesen, wird
außerdem noch auf das Alter der Schichten Kücksicht genommen. Nach diesem
Prinzip erscheint auf der geomorphologischen Karte der Umgebung von Thale im
Harz in 1 : 50000 die obere Kreide in grünen Schraffen, die untere in blaugrünen,
der Keuper in gelbbraunem Ton, der Muschelkalk in grauem, der Buntsandstein in
Zinnoberrot, der Zechstein in Blau, das Paläozoikum in Dunkelbraun und der Granit
in Violett, der Kontakthof des Granits selbst in dunkelrotbraunen Schraffen. Wie-
weit diese bunte morphologische Schraffe sich die Wissenschaft erobern wird, imter-
hegt nur Mutmaßvmgen, da man bis jetzt, wie ich ausführhcher dargelegt habe, noch
keine einheithche kartographische Darstellung morphologischer Phänomene gefunden
hat (s. S. 100).
1 H. Habenicht: Die Terraindarstellung im „Neuen Stieler". P. M. 1903, S. 32.
= H. Haack i. G. J. 1903/04, S. 399.
=> C. Scherreri.d.Besprechg.d. Karte des Deutschen Reiches 1:100000. P. M. 1901. LS. 665,
S. 16.5.
« Chr. V. Steeb: Die Kriegskarten. Mit. d. k. k. mil.-geogr. Inst. XX. 1900. Wien 1901, S. 146.
Die buiitr ScliiatVc. egg
339. Die buuffarbige allgemeine Schraffenkarte. Ein ganz eigenartiger und
interessanter Versuch einer farbigen Schraffenkarte liegt in der Karte des Rigis in
1 : 125000 von E. Friedrich vor.i An dem gleichen Objekte, das ich einige Jahre
zuvor zum \onMirfe meines Punktsystems gemacht hatte, erprobt Friedrich sein
neues Geländedarstellungsverfahren. In seiner Leipziger Habihtationsschrift kommt
er bloß nebenbei auf die Terraindarstellung zu sprechen^, deren Heil er in der Ver-
emigung von Böschungsschraffe mit Höhenveranschauüchung erblickt, d. h. in einer
wu-klichen Verschmelzimg beider und nicht in dem Über.inanderdnick von Böschungs-
schraffen- und farbiger Höhenschichtendarstellung. Das Mittel glaubt er darin ge-
funden zu haben, der Böschungsschraffe die Eigenschaft zu geben, daß sie zugleich
höhenveranschauhchend wirkt, was dadurch geschieht, daß man die Schraffe in der
Farbe der Höheuschicht gibt, in der sie verläuft. Friedrich sagt deutlich, daß auf
diese Weise Böschung und Höhenlage zugleich meßbar und anschaulich werden.
In der Zeitschrift „Globus" bringt er nun das dieser Theorie entsprechende Karten-
bild des Eigis.
In %ier Punkten stellt Friedrich die Vorzüge zusammen, die sein System gegen-
über emem Zusammendruck von Schraffenbild mit Höhenschichtkarte besitzt.
Ihm schweben aber da melir die Eegionalfarbscliichten und Schraffen der Schul- und
verwandten Karten vor, ohne daran zu denken, daß sie weder reine Höhenschichten
(un strengen Sinne des Wortes) noch reine Bosch ungsschraffen zeigen.
Der erste Vorzug soll nach ihm darin bestehen, daß die Kämme, Talsohlen,
Plateaus, also die horizontalen Flächen, da sie weiß bleiben, besser zur Geltung
kommen als bei den Höhenschichttönen. Dem ist gleich entgegenzuhalten, daß
das, was als Vorzug hervorgehoben wird, gerade der Nachteil jeder senkrecht, auch
schräg beleuchteten Schraffenkarte ist, insofern ebene Geländeflächen, ganz gleich
m welcher Höhe, immer im gleichen Farbton, also weiß, erscheinen; welcher Fehler
einer Höhenschichtkarte von Natur aus nicht anhaften kann.
Ein weiterer Vorzug soll darin bestehen, daß auf dem weißen Untergrund die
Schraffe in der gegebenen Stärke hervortreten kann, wohingegen sie beinrFlächi^n-
kolorit diese Kraft einbüßt, besonders auf dmikeln Tönen. Doch wieweit ich auch
auf guten Karten Umschau halte, muß ich feststeUen, daß sachkundige Kartographen
die Eegionalfarben nicht so dunkel halten, daß dadurch die Stärke der Schraffe be-
einträchtigt würde. Unter Umständen kann die dunUe Schraffe und der diuikle
Farbton gewollt sein, um dadurch eine größere Plastik des Budes zu erzielen. Ferner
sollen die Schraffen auf hellerm Untergrund steiler und auf dunklerm. also auf den
obersten Stufen, flacher wirken. Das hat wohl bis jetzt noch kein Kartenkundiger
aufgestochen. Die steile oder weniger steile Böschung wird vorzugsweise durch die
Entfernung der Schraffen untereinander, durch ihre Länge und Stärke ausgedrückt.
Die Unterstützung dieses Effektes durch die Farbe ist zu minimal, als daß man ihr
bis jetzt größere Aufmerksamkeit gezollt hätte. Friedrichs Ausführung wird lüir nur
erklärlich, wenn ich annehme, daß er sich damals noch nicht in das Wesen der
Böschungsschraffe hineingearbeitet hatte. Man sieht das aus der Karte selbst; ob-
• E. Friodriciu Karte des Kigi. Ein Beitrag zur Tormimiaretellunp. Globu». lUustr. Z. f
Lander- u. Völkerkunde. LXXXTF. 1902, S. 109, 110. Dazu 1 Kartcntafel.
= E. Friedrich: Die .Viivveudung <ler kartograpkisrli.n Darstollunpqnittol auf wirtsohafto-
LTonraplüschi-n KaH.-n. H.il.ilitationH.solinf( I^-ipzi»: 1901. -- Kh ist «elir /u iMilam-rn. daU Friedrich
seine ausge/eicliueleri karten« i.ss.nsrliaftlidim Slndien lüehl fortgesetzt hat
57U "ic wissenschaftliclii'ii Griiiidlageii der (irlänilodarstulluiig.
wohl sie bei dem Maßstab 1 : 125000 die Böschung im Simie Lehmanns hätte zum
Ausdruck bringen können, behandelt sie die Schraffe bloß als Schatten- und allgemeine
Geländeschraffe. Aber dadurch, daß Steilabhänge auf niedern Stufen hell erscheinen,
dagegen auf höhern Stufen, selbst wenn sie nicht so steil sind, dunkel und dadurch
wesentlich steiler, wird ein falscher Eindruck erzeugt. Man sehe sich nur auf der
Eigikarte den Steilabfall des Vitznauer Stockes gen Gersau an. Übrigens sieht
Friedrich späterhin diesen Mangel des Verfahrens selbst ein, daß die gleichen Terrain-
striche in den verschiedenen Farben verschieden intensiv wirken, d. h. verschiedenen
Büschungscharakter besitzen.
Es ist großenteils richtig, was als dritter Vorzug hingestellt wird, daß auf weißem
Untergrund die Farbe der Schraffe reiner bleibt als auf farbigem. Das ist indessen
nebensächlich, und eine etwaige Kollision weiß die heutige Farbentechnik so ge-
schickt zu vermeiden, daß wir kaum ein Beispiel des Gegenteils auf unsern guten
Atlas- und Schulkarten anzuführen vermögen; und wird das Schraffenbild schwarz
gedruckt, leidet die Schraffe durch das farbige Schichtenbild keineswegs, wie es
Kofistka schon vor länger als einem halben Jahrhundert bewiesen hat (s. weiter unten).
Als letzter Vorzug wird das Gleichgewicht hervorgehoben, das zwischen Böschung
und Höhe in dem Friedrichschen System besteht, aber bei einer mechanischen Ver-
einigung von Schraffen und Höhenschichtkarte bedenklich leidet, insofern die
Höhenlage der Böschung der Schraffe gegenüber zu sehr dominiert. Eichtig wird
hierbei betont, daß die Höhenschichtendarstellung das Terrain in Stufen abgesetzt
erscheinen läßt, welchen Mangel wett zu machen selbst der Schraffe nicht ganz ge-
lingt. Indessen ist das Gleichgewicht auf der Eigikarte nur scheinbar, was sich schon
aus den Tatsachen erklären läßt, die ich oben anführte. Wann kann ein Gleichgewichts-
zustand eintreten? Sicher da nur, wenn man es mit gleichwertigen, gleichwägbaren
Massen oder Begriffen zu tun hat. Nun ist die Böschung etwas ganz anderes als die
Höhe. Bei germger Höhe kommen starke Böschungen vor, bei größerer Höhe sanfte
Böschungen, wo ist nun da das entscheidende Moment, da beide im Gleichgewicht
sind ? Es ist denkbar, daß man für den optischen Eindruck, den farbige Höhenschicht
und farbige Schraffe hervorrufen, eine Art Gleichgevdcht feststellen kann. Das er-
scheint mir jedoch als ein Problem, das auch in den nächsten Dezennien noch nicht
als spruchreif erklärt werden wird. Ich finde im Gegenteil, daß die Eigikarte recht
unruhig wirkt, was bei einem Gleichgewicht nicht der Fall sein dürfte. Würden die
Schraffen darauf samt und sonders in Grau gedruckt sein und darüber ein Höhen-
schichtengewand in den Nuancen der vorUegenden Karte gestülpt, jedoch ohne deren
klobige Umgrenzungsschichtlinien, dürfte ein wesentlich ruhigeres und plastischeres
Bild entstehen.
Ganz abgesehen von der technischen Schwierigkeit der Herstellung eines solchen
Kartenbildes, auf die bereits H. Haack hinwies^, dürfte ein derartiges Geländebild
kaum zur Nacheiferung reizen, was es bis jetzt auch nicht getan hat. Als Schraffen-
instruktionsbild hat es großen Wert, weil es zeigt, wie es eben nicht gemacht werden
soU. In diesem Punkte bin ich mit K. Peucker gleicher Meinung^, obwohl ich nicht
in Abrede stellen will, daß, wie gleichfalls E. Hammer sagt*, für bestimmte Zwecke
H. Haaok i. G. A. 1902, S. 152. Desgl. i. G. J. XXVI. 1903, S. 399.
K. Peucker i. Vierteljahrsh. f. d. geogr. Unterr. I. 1902, S. 296.
E. Hammer i. P. M. 1903. LB. 258, S. 78.
Der Sehraffenersatz. 571
durch das Friedriclischo Verfahren doch etwas Brauchbares geschaffen werden kann;
und in dieser Anregung für die kartographische Darstellung anderer geographischer
und veiTvandter Objekte erblicke ich einen Vorzug des Systems.
Die Geländedarstellung auf Spezialkarten und Übersichtskarten, auf die Friedrich
hinweist, laß ich aus dem Spiele. Er denkt aber an einen Gebrauch bei geologischen
Karten, zieht aber diesen Vorschlag wegen der schier unüberwindlichen Schwierigkeiten
gleich wieder zurück. Und trotzdem scheint es mir, daß hier ein gangbarer Weg ge-
fimden werden dürfte. In der oben erwähnten Harzkarte von Gehne glaube ich ganz
entfernt Anklänge an das Friedrichsche System zu erblicken. Man darf sich nur nicht
so auf den Standpunkt der meßbaren Böschungsschraffe versteifen, sondern einfach
\ün der allgemeinen Geländeschraffe sprechen, dann klingt das ganze Verfahren anders
und wird akzeptabler. Bei pflanzengeographischen Darstellungen größerer Erhebungen
kann man sich gleichfalls die Anwendung der Friedricbschen Schraffen vorstellen.
Mir ist nicht bekannt, daß nach dieser Eichtung hin Versuche vorliegen. Es wäre
beispielsweise das Kartenbild von Kofistka, wo dieser auf einer Schraffenkarte durch
farbige, gut transparente Höhenschichten die Höhe von Pflanzemegionen veran-
schaulicht, in Friedrichs System zu übersetzen. Man ist bei der Darstellung solcher
Naturerscheinungen bis jetzt auf halbem Wege stehen geblieben, und dankbar wäre
es zu begrüßen, wenn weitere derartige Versuche gewagt würden. i
III. Der Schraffenersatz.
340. Der Schraffenersatz im allgemeinen. Der Ersatz der Schraffe tritt mis in
der Schummenmg und in der Wisch-, Lavier-, Tusch-, Halbton- oder Ver-
wischungsmanicr entgegen. Das Verfahren besteht im allgemeinen darin, daß
man mittels Wischers (Estampe), Tuschpinsels, Farbstiftes oder Kreide die geneigten
Flächen ihrem Böschungswinkel oder noch häufiger der Lage ihrer Licht- imd Schatten-
seite gemäß bald heller, bald dunkler abtönt.^ All die Surrogate haben gemeinsam,
direkt als Farbton zu wirken. Den Effekt, den die Schraffe mehr von Ferne sehen
läßt, geben sie auch dem nahen Gesicht, was dadurch ermöglicht wird, daß sie das
nbmeßbare und abwägbare Verhältnis von weißem zu schwarzem Kaum, wie es auf
der Schraffenkarte stattfindet, aufheben und den Farbenwert, den dieses Verhältnis
für eine entsprechende Böschung besitzt, in unzählige Punkte und Strichelchen auf-
lösen, die für das unbewaffnete menschliche Auge nicht mehr als solche erkannt, sondern
nur als eine geschlossene, einheitliche Farbfläche empfunden werden. Lifolgedessen
erscheint es nicht ausgeschlossen, daß die Schummerung — ich gebrauche diesen Aus-
druck gleich als Sammelbegriff für alle Schraffensurrogate — einen mathematischen
Böschungs-, d. h. Anschauungswert empfangen kann. Die Versuche, das Problem
zu lösen, sind bisher immer gescheitert, bis auf einen, lier vor einem halben Jahrhundert
von H. Wiechel angestellt worden ist.
Zweifellos ist es sehr schwierig, den einzelnen Tonstufen der Sciiummerung
einen mathematischen Wert zu geben. Besitzen sie iim nicht, dann ist ihre Anwendung
weiter nichts als eine mehr oder minder künstlerisch geleitete Betätigung des Karto-
» C. Kofistka: TtMiuin- u. Holionkaitr dn llolicii Tatia in d.-ii Z-nti-alkarpatlion in 1 : 1(10000.
Erg..H. 12. Gotha 1864.
- O. Kiüuimcl II. M. Eckert: Ueogmphi.silies riaktikiini. Ixijtzig UI08. S. JH.
572 Hie wissonscliaftliclirn (Jntnillagcu der fJdliiiifii'diirstcllunir.
graphcn. Freilich geben es viele Kartographen nicht gt-ni zu uiicl manche unter
ihnen, die der schrägen Beleuchtung huldigen, fasehi von deren wissenschaftlicher
Grundlage, ohne mit ihren Opera je den Beweis für den mathematischen Aufbau
der Böschungstüne angetreten zu haben. Gerade hier wird soviel den Laien vor-
gemacht, we:m nicht gar die betreffenden Kartographen — sie gehören Gott sei Dank
nicht großen Instituten an — sich selbst etwas vormachen und an ihren Unsinn glauben.
Erst nachdem es H, Wiechel gelungen war, der schrägen Beleuchtung ein wissen-
schaftliches Heim zu geben, war der Bann wohl innerlich gebrochen, d. h, man war
beruhigt, sich nun endUch mit einer Theorie für die schräge Beleuchtung schmücken
zu können^; aber nicht äußerhch, denn bis jetzt ist mit Ausnahme von Wiechels
Karten selbst keine andere Karte konsequent nach dessen Theorie ausgeführt worden
und meistens wird in der alten bekannten und ach! so bequemen Weise fortgewurstelt,
341. >Viechels System der schrägen Beleuchtung (in Schummerung). H, Wiechel
ist zu seinen Ausführungen durch L, Burmester angeregt worden^, besonders auch
durch dessen Atlas zur Theorie und Darstellung der Beleuchtung gesetzmäßig ge-
stalteter Flächen, Die auf Taf. VI des Atlas dargestellten Figuren zur Berechnung des
Logarithmoides mußten anreizen, Burmesters Theorie der Isophoten- (Linien gleicher
Helhgkeit) Zeichnvmg auf die nicht gesetzmäßig verlaufenden Flächen d(>r ülioraus
mannigfaltigen Erdoberfläche zu übertragen. Die Grundzüge des wisscnscliaftlichen
Geländes, das Wiechel für die schräge Beleuchtung aufgerichtet hat, sind kurz folgende,*
Zunächst wird eine strenge, konsequent durchgeführte schräge Beleuchtung voraus-
gesetzt. Infolgedessen dürfen beispielsweise die Ebenen und ähnUche Oberflächen-
erscheinungen nicht weiß, wie auf den meisten schräg beleuchteten Karten, erscheinen;
auf den senkrecht beleuchteten sind die weißen Ebenen selbstverständUch. Mit Hilfe
der konsequenten schrägen Beleuchtung wird nun für jede geneigte Fläche, richtiger
für jeden Punkt einer geneigten Fläche, der HelHgkeitsgrad berechnet, indem man
zunächst den Neigungswinkel der Fläche zur Horizontalen mit dem einfallenden
Lichtstrahl in Beziehung setzt. Der Winkel, den der Lichtstrahl (L) mit der Senk-
rechten oder sogenaimten Flächennormalen (F), die senkrecht auf der Böschungs-
fläche steht, bildet, ist der Einfallwinkel ,,e". Der Winkel zwischen F und T', also
1 8. S. 494, Amn. 3.
- L. Burmester: Theorie u. Darstellung der Beleuchtung gesetzmäßig gestalteter Flächen.
Mit einem Atlas von 14 Tafeln. Leipzig 1871. — Wichtige Werke auf dem Gebiete der Beleuchtungs-
kunde sind außerdem J. Egie: Abhandlung üb. das Schattieren der Oberflächen regelmäßiger Körpei-.
Stuttgart 1855; Franz Tilscher: Die Lehre von den geometrischen Beleuchtungskonatruktionen.
Wien 1862; C. Rieß: Schattierungskunde. Stuttgart 1871. Wesenthch neuem Datums ist Ad. Göller:
Lehrbuch der Schattenkonstruktion u. Beleuchtungskunde. Stuttgart 1895. Das Buch von Göller
ist einfacher und verständlicher als das von Burmester und behandelt die Schattenkonstruktionen
selbständig, sowohl mit der für das praktische Schaffen genügenden Vollständigkeit als mit der wün-
schenswerten Entwicklung des Schwierigem aus seinen einfachen Grundlagen. Wäre GöUers Werk
fast gleichzeitig mit dem von Burmester erschienen, hätte sicherlich Wiechels Theorie an Einfachheit
und Verständlichkeit gewonnen.
3 H. Wiechel: Theorie u. Darstellung der Beleuchtung von nicht gesetzmäßig gebildeten
Flächen mit Rücksicht auf die Bergzeichnung. Mit 3 Tafeln. Civilingenieur, XXIV. Heft 4 u. 5.
Freiberg u. Leipzig 1878. — Inhaltlich gut wiedergegeben bei K. Zöppritz: Leitfaden der Karten-
entwurfslehre. Leipzig 1884. S. 146ff. mit Tafel. In der 2. Aufl., die A. Bludau versorgt hat, im
11. Teil. Leipzig 1908, S. 58ff. Mit der gleichen Tafel wie i. d. 1. Aufl.
Der SchnitrpiiersBtz. 573
dir Virtikaleii, die die Hölie di-r Neigunj;, die A(|uidistauz. auyiht, wird uiit h und
der zwischen V und L mit a bezeichnet.
Femer wird angenommen, daß die drei Kichtungen Flächennormale (F), Licht-
strahl (L) mid Vertikale (F) sich im Mittelpmikt einer Kugel mit r = 1 schneiden,
also ein Dreikant bilden, dessen Kanten in den Punkten F, L und V die Kugelober-
fläche durchstoßen. Verbindet man die Punkte durch Großkreise, erhält man das
zu dem Dreikant zugehörige sphärische Dreieck. In ihm ist der Winkel a, der durch
die Vertikalebenen gebildet wird, die durch F V und L V gelegt sind, ein wichtiger
Bestandteil zur Gewinnung der Helligkeitsstufe. Er heißt Stellungswinkel ; kommt
das Licht von NW, wird er rechts herum im Sinne des Uhrzeigers von 0— 360" gezählt.
Als sphärischer Winkel unterliegt er den Grundformeln des sphärischen Dreiecks,
wie sie sich unmittelbar aus der Koordinatentransformation ergeben', deren Kosiuus-
formel lautet:
cos e = cos a ■ cos 5 + sin o • sin ö • cos a.
Ist a = 45°, dann ist
1 vT
cos a = sin a = — =^ = -^ = 0,707.
|/2 2
Da die HeUigkeit H einer Fläche proportional dem Kosinus des Einfallswinkels
ist. also ihm gleich. H = cos e, gesetzt werden kann, ist
]/'2 • sin e = cos J -|- sin ft • cos a
oder
H — 0,707 (cos 6 + sin 6 • cos o),
womit zum Ausdruck kommt, daß die Helligkeit von der Böschung h und der Orien-
tierung der Fläche, also dem Stellungswinkel a abhängig ist.
Die vorstehende Gleichung dient dazu, die Linien gleicher Helligkeit, die Iso-
photen, zu bestimmen, oder, was im Grunde genommen dasselbe heißt, den Helligkeits-
maßstab zu konstruieren, welches Verfahren Wiechel an der Hand der letzten Gleichung
ausführlicher beschreibt. Man zeichnet zunächst die beiden Extremwerte (sin e
= \\) der Kurven konstanter Helligkeit und die Kurve, für die sin e = l/]/2 wird.
Femer werden zwei Kurven konstanten Stellungswinkels und eine Kurve konstanten
Böschungswinkels eingezeichnet.
Unter Anwendung der Konstruktionsregolii kami der Helligkeitsmaßstab immer
nur für eine gewisse Schichthuhe unmittelbar verwendet werden.- Wird der Maß-
stab bei geringem Böschungswinkel zu groß, muß man eben geringere Schichtlinien-
abstände wählen. Liegen die eingezeichneten Kurven konstanter HeUigkeit bei
flachen Böschungen zu weit voneinander, schaltet man noch einige Kurven ein;
beispielsweise zwschen 0,5 und 0,6 die Kurven 0,52; 0,54; 0,56; 0,58. In dem stän-
digen Wechsel des Verfahrens liegt die Achillesverse, wo das System verwundbar
ist, denn eigentlich können danach nur beschränkte Zonenstücke des Geländes nach
dem Helligkeitsgrad festgelegt werden, nicht aber ausgedehntere Geländeflächen,
es sei demi, daß diese als glatte, eliene Flächen konseipienfe Lage zur Lichtquelle
' E. Hammer: Lehr- u. Hanfll)iirli der eljenen u. sphuri.sclion Tripoiiomotrie. 4. .\u(l. Stutt-
»rart 1916, S. 443.
' H. Wiechol j,eht auch aul den von Burmester aufgestellten Bcgrilf der „I«ophengen" ein.
'I. s. Linien gleicher s(heinl)ar('r Beleuolitunpiinten.Hität oder n'eielier Helligkeit (cos f lo» 6 = eon.st.).
il.K-h mißt er ihm »riter keine lledeutimg in iler Hestinnniin^; de« HelligUeitsmaß>tiil>e!< seiner Kurten Kei.
574 Dil' wissenschartliclii'ii Giuiidliigeii der fJrl<äudfd;iistclluiig.
bcwabreii, was jrdoch in der Natur iiiclit Eegel ist. Kurz gesagt: Das gesamte System
leidet daran, daß bei ihm der Stellungs^vinkel o eine wichtigere Eolle als der Böschungs-
winkel h spielt.
342. Schräge Beleuchtung uud Wellenloim der Böschung in Beziehung zu Wiechels
System. Bei der schrägen Beleuchtung muß man unterscheiden die natürüche Neigung
des Geländes, die Neigung des Lichtstrahles mid die Geländeänderimg quer zur Böschung.
Der DeutHchkeit halber will ich letztere als die Wellenform der Böschung be-
zeichnen, nicht zu verwechseln mit der Wellenform des Geländes. Die Böschungs-
weUenform lernt man am besten auf einer Wanderung in gleicher Höhe eines Gebirgs-
abhanges keimen, bald ist man auf der konvexen, bald auf der konkaven Seite der
Welle. Ideal gedacht, würde man eine Isohypse abgehen. Die Fläche ist mithin
weiter nichts als der gewellte Geländestreifen innerhalb zweier Isohypsen. Bei der
sogenannten senkrechten Beleuchtung ist die Wellenform leicht zu erfassen, da sie
in den Gefällinien von dem Oberhcht eindeutig erfaßt wird. Darum ist auch in dieser
Beziehung, an die bis jetzt noch nie gedacht worden ist, die senkrechte Beleuchtung
der schrägen und der seithchen oder wagerechten (pedalen) gegenüber so gewaltig
überlegen.
Sein System hat Wiechel an Katasterkarten uud topographischen Karten
erprobt. Zunächst hat er es an einer Übungsfläche (Katasterkarte) in 1 : 2500 auf-
gebaut. Die Skala war dann leicht auf das Meßtischblatt zu übertragen. Die seiner
Abhandlung beigegebenen Karten umfassen einen Ausschnitt aus dem Blatte Eoch-
htz der Topographischen Spezialkarte des Königreichs Sachsen in 1 : 25000 und
Keduktionen davon auf 1 : 100000 und 1 : 200000. Morphologisch ist das Gelände
auf dem Kartenausschnitt nach dem neuen System rücht gut erfaßt, es erscheint
blasig aufgetrieben, wie Ausbeulungen in einer Blech- oder Kupferplatte. Welch
unendhche Schwierigkeiten aber treten für emen selbständigen Entwurf ein, der
beispielsweise, wenn keine Katasterunterlagen vorhanden sind, in 1 : 100000 oder
1 : 500 000 ausgeführt werden soll. Das Gelände der chorographischen Karten nach
Wiechel nur einigermaßen korrekt zu behandeln, ist ganz ausgeschlossen.^ Daß die
Geländedarstellung nach seinem System trotz der beigegebenen „Grundlinien zu
einer Bergzeichenschule in Seitenüchtmanier" zeitraubend und umständlich ist,
gesteht er selbst ein, und angesichts dieser Umstände weist er jedoch darauf hin,
„daß es beim Abtuschen einer Zeichnung durchaus nicht darauf ankommt, einer
gewissen Stelle mathematisch genau die nach den gemachten Voraussetzungen vor-
handene HeUigkeit zu geben, etwa mit ähnlicher Schärfe, mit welcher die Schicht-
linien die absolute Höhenlage erkennen lassen; vielmehr ist es völhg hinreichend,
wenn der Charakter der Helhgkeitsverteilung auf den einzehien Formen richtig wieder-
gegeben wird und außerdem die Gesamthaltung eine gleichmäßige, zusammengestimmte
ist". 2 Werm das also das ganze Ergebnis trotz der vielen Mühen ist, dann kann man
1 S. 364 seiner Ausführungen sagt Wiechel: „In den Karten kleinem Maßstabes tritt natur-
gemäß an die Stelle der Schattierung der Einzelformen das Höhenschiohtenkolorit für die
von den Hauptschichtlinien eingeschlossenen Höhenzonen unter Verzicht auf das Detail der Berg-
formen''. Was er hier unter Höhenschichtenkolorit meint, ist nicht ganz klar; landläufig müßte es
dahin gedeutet werden, daß dann nach seinem Systeme nichts mehr dargestellt werden könnte; und
doch haben sich die neuern Schräglichtkartographen bei den Karten kleinsk-n Maßstabes und Wand-
karten auf Wiechel berufen (natürhch ohne ihn verstanden zu haben!).
- H. Wiechel, a. a. O., S. 356.
Der Schrart'enersatz
575
auf \k\ i'iufacherui \\ fgt' zu di m
wie folgende Betrachtung lehrt.
^kiiliciiFffcktt'. (1. h. zu dem gleicheu Ziele gelangen,
343. Richtlinien zur einfachem Auffassung und zur Forlentwicklunir des \Viechpi-
schen Systems. Bild 5 zeigt den Lichteinfall von 45". Mithin einiifängt die Böschung,
%J
die 45" geneigt ist, das volle Licht; sie erscheint
die vom Zentrum 0 ausgehen, bezeichnen die B
dem schrägen Licht erfaßt und be-
leuchtet werden. Von der Böschung
45" angefangen — wir wollen sie
Hauptböschung nennen — , sehen
wir abwärts solche von 40", 30",
20" und 10" angegeben. Unter 0"
treten uns noch Böschungen bis
40" (bzw. 45") entgegen, die noch
vom Lichtstrahl getroffen werden.
Es sind die Böschungen des dem
Lichteinfall abgewendeten, des rück-
wärtigen Geländes. Von derHaupt-
böschung an bis zu Ende der rück-
wärtigen Böschungen bei 45", wo
das volle Schwarz emsetzt, nimmt
das Licht entsprechend dem physi-
kalischen Belichtungsgesetz ab. Eine
gleichwertige Abnahme in umge-
kehrter Rieht mig findet von der
Hauptböschung nach oben zu statt,
sie könnte sich gleichfalls bis 45", wo
\vieder das Schwarz beginnt, fort-
setzen, wenn ihr nicht die steilsten B()schungen bis
würden. Die Belichtung einer Böschung von 40" isi
der von 60" usw. bis zur Ebene, d
ton wie die Wand von 90" hat
ein weiß. Die einzelnen Strahlen,
schungen von 10 zu 10", di'- von
)0", die Wände, ein Halt gebieten
gleich der \on 50", von 30" gleich
die gleiche Beleuchtung, bzw. den gleichen Schatten-
Diese Doppelsimiigkeit der Beleuchtung, die m Wiechels
System nicht klar hervorleuchtet, ist auch eine Schwäche der schrägen Beleuchtung,
die indessen nicht auffällig wahrnehmbar ist, weil auf der Erde nur wenige Gebiete
Neigungen von 50" und darüber aufweisen. Meist sind es steile Felsen, die schon
sowieso einer eigenen Darstellungsmanier unterliegen. Anbei sei bemerkt, daß sich
die eben entwickelte Manier von Wiechel ebenso für die Schraffen wie für die
Schummerung eignet.
Ein Vorzug der schrägen Beleuchtung ist darin zu erlilicken, daß die Abwandlungs-
seite der Ijchtskala von O — ltO" ganz so wie sie dem physikalischen Lichtgesetz ent-
spricht, angewandt werden kann, ohne Einschränkung auf Böschungen, die touristisch
oder miütärisch nicht mehr gangbar oder bezwingliar sind. Von den rückwärtigen
Böschungen liegen die mit einem Neigungswinkel von 45—90" vollständig im Schatten,
Much ein Nachteil, auf den bei schräger Beleuchtung nicht genügend hingewiesen wird.
Um sich eine genaue Vorstellung von den Wiechelschen Isopholen und Schatten-
skaiin zu inachi'u, ist es schon gut, seine Skala /nr iiiind zu nehmen, die der Karten-
576 Uie wisscuschiit'tliclipii (JnindlMf^i'ii der Geländidarstclluni^.
i'ntwurfslchre von Zöppritz beigegeben ist. Das volle Licht wird mit 1, das volle
Schwarz mit 0 bezeichnet. Zehn Helligkeitsstufen werden unterschieden: 0,1; 0,2;
0,3 bis 1. Der Übergang von 0,9 zu 1, also zum vollen Weiß, ist zu auffällig und ent-
spricht nicht den Übergängen auf weniger geneigten Flächen der wirklichen Beleuchtung.
Wer sagt mir außerdem, daß z. B. Grau zwischen 0,6—0,7 auch wirklich der grau»
Ton für die entsprechende Neigung und Orientierung ist. Mithin ist der Farl)ton
vieldeutig, was wiederum ein Nachteil der Schummerungsskala ist. Die Schatten-
töne sind rechnerisch wohl zu bestimmen, nicht aber genau in der Qualität, wie die
neuere physiologische Optik sagt.^ Zu einer brauchbaren Schummerungsskala kann
man nötigenfalls auf mechanischem oder experimentellem Wege gelangen. Damit
begeben wir uns in das Laboratorium des Physikers. Nicht ausgeschlossen erscheint,
daß mit Hufe des Eotationsapparates von Zimmermann die Töne für die einzelnen
Hauptneigungen, 5", 10", 15** usw. bestimmt werden können. Vielleicht führt zu
einem noch bessern Erfolge der „Schattenkasten", dessen einfache Konstruktion
E.Hering bereits angegeben und der von W. Ostwald bei seinen Untersuchungen
über die Harmonie der Farben benutzt wurde^; mit ihm kaim eine weiße Fläche
unter verschiedenen Winkeln beleuchtet und die einzelnen Stufenwerte in der Schat-
tierung festgelegt werden. Speziell für Geländebeleuchtungszwecke ist das Ver-
fahren noch nicht angewandt worden, doch bin ich sicher, daß für die praktische
Kartographie endlich einmal ein brauchbares Ergebnis herausspringen wird, nachdem
um die Jahreswende 1914/15 W. Ostwald ein plausibles und praktisches Verfahren
der Weiß- Schwarzmessung gefunden hat.* Es gibt noch einige Verfahren, die ex-
perimenteU gewonnen, aber nicht erprobt wurden, wie z. B. das von Chr. Wiener.*
In eingehender Weise beschäftigt er sich damit, wie die Helligkeiten, die an einem
Gegenstand nach irgendeiner Einheit bestimmt sind, auf dem Bilde durch Tusch-
lagen, die mit dem Pinsel aufgetragen werden, nachzuahmen sind. Durch die ver-
schiedenen Versuche stellte sich heraus, daß die notwendige Anzahl von Tuschlagen
nicht mit dem reziproken Werte der Helligkeit, sondern mit dem Logarithmus dieses
Wertes im Verhältnis steht. Wiener gibt im Anschluß daran eine Beschreibung und
Anleitung zum Verfahren des Tuschens. Man muß sich wundern, daß das Verfahren
nicht längst schon einmal für die Kartographie ausprobiert wurde; jetzt jedoch, da
Ostwald mit seinen Forschungsergebnissen in der Farbenlehre obenan steht, dürfte
OS sich kaum noch lohnen.
344. Schattenplastik und Formcu|tlastik. Die Schumraorung hat bei senkrechter
Beleuchtung mehr den Charakter einer mehrfach abgestuften Farbe, ähnelt also dem
der Böschungsschraffe, bei schräger Beleuchtung den Charakter eines Schattentons,
der sich mehr in der Angabe der Gegensätze von Hoch und Tief der Böschung aus-
prägt. Im Schattenton ist die Schummerung ganz in ihrem Element. Sie bewirkt
eine Plastik des Geländes, die als „Schattenplastik" bekannt ist. Das ist keine
„Formenplastik", wie A. Bludau u.a. annehmen^; dann wäre auch die Böschungs-
1 W. E. Pauli u. H. Pauli: Physiologische Optik. Jena 1918, S. 20.
2 W. Ostwald: Die Harmonie der l'arben. Leipzig 1918, S. 29ff.
' W. Ostwald: PhysLkahsche Farbenlehre. Leipzig 1919, S. 190{f. — Vgl. auch Mathematische
Farbenlehre. Leipzig 1918, S. 62ff.
" Chr. Wiener: Lehrbuch der darstellenden Geometrie. 1. I^^ipzig 1884, 8.408-41^.
■' K. Zöppritz-A. Bludau, a. a. O., S. 60.
Dir Sclii;ilVcnersatz. 577
})las(ik eine l'uniiciiplastik. i'Viriiicn müssen aber iiiimiT vorausgesetzt werden, wenn
es sich übi^rluiupL um Plastik handeln soll (8. 5U3j. Diese Formen können nun auf
verschiedene Art und Weise plastisch dargestellt werden, infolgedessen werden diese
verschiedenen Darstellungsmanieren ihren Sondernamen empfangen. Takt, Ge-
schick, vereint mit Keimtnis der Geländeformen sind die Voraussetzungen für eine
schattenplastische Darstellung des Geländes, besonders in Schummerung bei schräger
Beleuchtung. Wir begegnen ims hier mit der Ansicht bedeutender Kartenpraktiker,
wie C. Vogel, H. Habenicht u. a. und begeben uns hierbei auf ein Gebiet, das sich
trotz aller Mühen nicht dazu eignet, die Geländedarstellung „von Takt und zeich-
nerischer Anlage unabhängig zu machen und sie in feste Regeln zu bannen", wie es
K. Peuckers Bestreben ist.i
Die Schummerung ist der große Konkurrent der Schattenschraffe, wenn nicht
gar das Verderben der Schattenschraffe. Sie erfordert beim Gebrauch bei weitem
nicht die Fertigkeit und Zeitdauer wie die Schraffe. Ihre Anwendung ist wesenthch
leichter und bequemer.^ Doch ist ihr Anwendungsbereich erst erblüht, als es Mode
wurde, das Gelände gesondert zu behandeln und mit besonderer Platte zu drucken.
Nach dieser Richtung hni wird die Schummerung als ein Hilfsmittel bei der Aus-
führung großer Kartenwerke auch von militärischer Seite aus angesprochen.^
345. Schummerunj; uud Schichtliuie. Wie wir wissen, fällt es selbst bei der
sorgfältigsten Darstellung der Schraffe schwer, die Böschungen nach ihrem Neigungs-
werte ablesbar zu gestalten. Bedeutend schwieriger ist dies für die Schummerung.
Theoretisch ist es moghch, praktisch kaum. Der Schummerung fehlt der Charakter
der Selbständigkeit, die die Schraffe zweifellos besitzt. In gleicher Weise wird jedoch
von beiden die Schichtenlinie willkommen geheißen. Während sie aber für die Schraffen-
karte wünschenswert erscheint, wird sie zum Postulat für die Schummerungskarte.
Das hatte klar zuerst F. Chauvin erkannt.* Seine Untersuchungen aus der Mitte
des vergangenen Jahrhunderts gründen sich in der Hauptsache auf die Schichtlinien-
karte, deren Geländeformen durch schräge Beleuchtung plastisch herauszuarbeiten
sind. In drei Hauptsätzen begründete er sein Verfahren, dessen erster die Horizon-
talen und dessen zweiter die Anwendung von Licht und Schatten fordert. Der dritte
geht auf die Ausführung der Manier selbst ein und hebt hervor, daß die Schatten
beim Bergzeichnen vermittelst der schwarzen chinesisciieu Tusclie oder seliwarzen
Kreide und im Stich in Aquatinta anzugeben sind.
Später hat man die Methoden und Manieren der Sciuimnu'rung noch bes.ser
ausgebaut (besondere Terraindruckplatte, s. oben) und dadurch ihren Auwendimgs-
bereich außerordentlich vergrößert. Bei den Plänen zum Generalstabswerk über
den Krieg 1870/71 empfand man besonders in militärischen Kreisen die Verbindung
' Diesen Punkt hat K. Pouekor eiiii};omal cinRehond cröiteit, bes. in den Drei Thesen 7.\ini
Aushau der theoretisehen Kartographie. C!. Z. 1902, S. 205 ff. - V;;!. ferner H. Haheuiclil: Die
'!'<•. raindarHU-llung im Neuen Stielcr. P. M. 1903, S. 32. - H. Haaek in O. J. XWI. 19a3 04, S. 397.
- Die Sehinnniorungsmaiiier ist tatsächlich nicht Hchwerig /.u gebrauchen uiui von allen Torrain-
ilaistcllungsraanieifn am leichtesten zu erlernen.
^ Vgl. B. Schulze: Das militJirisehe Aufnehmen. Leipzig u. Berlin 1903. S. 199. Ferner
('. Hüdlmosor: Über Terraindaintollung in Karten. Mit. d. k. k. mil.-geogr. Inst. XVII. Wien 1897,
S. 325.
* F. Chauvin: Das Bergzei.hneii rationell cnl« ickiil. Mcrhn ISrA. S. 30ff.
L V k i< r t , Kurtouwliitooacbafl 1 . ^ ■
578 Die wissenschaftliclicii Gnindlagoii ilin- Gpläudcdai-stellunfj;.
der Wischmanier mit der ÖcLichtlinienzeichnuug als eiueu sehr guten, bequemen
und billigen Ersatz für die Bergstriche. Und daß sich im letzten großen Kriege die
geschummerten Isohypsenkarten großen Maßstabes bewährt haben, habe ich bereits
mit besonderm Nachdrucke hervorgehoben. Die echte oder wahre Isohypsen-
Schummerungsmanier, die auf wissenschaftlichen Karten mehr unter senkrechter
als schräger Beleuchtung angewendet wird^, ist nicht mit der Formlinien- Schum-
merungsmanier zu verwechseln, wobei einer geschummerten Karte Linien, die keinen
Isohypsenwert haben, zugrunde liegen, wie beispielsweise bei vielen deutschen Kolonial-
karten, die Sprigade und Moisel herausgegeben haben. Indessen muß man wohl
verstehen, daß die Unterschiedlichkeit in dem verschiedenen Werte der Schicht-
hnien beruht und keineswegs in der Schummerimg, die für beide Methoden der Kurven-
darstellung gleich gut und gleich schlecht ist. Den plastischen Effekt bei schräg
beleuchteten Karten durch einen grauen Papierton erhöhen zu wollen, hat sich nicht
bewährt, wie die Karten des Ötztales und Stubais von S. Simon lehren^, deren vier
Sektionen im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts einzelnen Jahrgängen
de^ Deutschen und Österreichischen Alpenvereins beigegeben wurden.
E, Elemente einer neuen Geländedarstellung (Eckerts Punktsystem).
I. Zur Genesis des Punktsystems.
346. Vorbegriffe und Vorbemerkungen. Schraffe und Schummerung haben
beide ihre Vorteile und Nachteile. Die Schraffe hat der Schummerung gegenüber
das wissenschaftliche Moment voraus, das sich auf das in eine mathematische Formel
gebrachte Verhältnis von Weiß zu Schwarz begründet. Die Schummerung hin-
wiederum läßt sich bedeutend leichter als die Schraffe handhaben, auch gibt sie den
Geländeformen nicht das harte und stufenmäßige Aussehen, wodurch jenen unter
Umständen ein natürlicher Zug verloren geht. Das Dilemma, das zwischen Schraffe
und Schummerung besteht, führte mich vor nahezu einem Vierteljahrhundert auf
den Gedanken, eine Darstellungsmanier zu ersinnen, die die Vorteile beider Manieren
mit tunhchster Vermeidung ihrer Nachteile vereinige. Mit der Schraffe an sich war
nicht viel anzufangen. In der Form der Bösehungsschraffe und der Schattenschraffe
hat man bereits aus ihr herausgeholt, was irgendwie herauszudestiüieren ist. Ledig-
lich das Gesetz der Anwendung der Bösehungsschraffe koimte ein Leitstern für eine
weitere Entwicklung werden. Die Schummerung, die wiederum kein Gesetz (im
mathematischen Sirme!) befolgt, gab aber das Darstellungsmittel, den Punkt, in
die Hand. Bekanntlich ist die Schummerung eine in unzählige, dem unbewaffneten
Auge im allgemeinen nicht mehr wahrnehmbare Punkte aufgelöste Ton- oder Farb-
fläche. Aus diesem mehr gesetzlosen als mehr technischen Zusammenhang löste ich
den Punkt heraus und gab ihm ein der Bösehungsschraffe ähnelndes Anwendungsgesetz.
• Vgl. das über die „Gaußberg"-Karte Ausgeführte, S. 558.
' Auf ein ähnliches Ergebnis läuft K. Peuckers Kritik über die gleichen Kaiten hinaus; vgl.
Geographischer Jahresbericht über Österreich. II. 1895. Wien 1898, S. 130.
Zur Genesis des Puukttiystems. 579
Die Darstellung in Ltlimannscbou Böscbungsschrnffen faßten wir als reine
Konstruktionsaufgabe auf, wobei man, wie bemerkt, eigentlich von senkrechter Be-
leuchtung nicht reden darf. Nur in Anbetracht des allgemeinen Sprachgebrauchs der
Bezeichnung , .senkrechte Beleuchtung" haben wir ihr eine Konzession in unsem
Erörterungen bisher eingeräumt. Indessen dürfte es doch angebracht erscheinen,
ihr einen vollwertigen Platz zu geben, sobald es nur gelingt, Wege zu finden und zu
bahnen, die das pbj-sische Gesetz der senkrechten Beleuchtung anzuwenden erlauben.
Den Punkt kann ich ebensogut als Symbol des Lichtes bzw. Lichtstrahls wie
als Symbol des Schattens bzw. Lichtmangels auffassen. Nichts bindert mich, ebenso
mit der Schraffe zu verfahren. Indessen hat von Haus aus der Punkt als Durch-
schnitt oder senkrechte Projektion des Lichtstrahls oder Lichtbüschels mehr in der
Betrachtung als Lichtsyrabol für sich voraus als die Schraffe. Wir zeichnen nun die
Punkte gemeinbin schwarz, was zimächst widersinnig zum Wesen des Lichtstrahls
erscheint. Indessen sei an die schwarze Tafel erinnert, worauf wir weiße Punkte
und Striche zeichnen, und niemandem fällt es ein, sich über die Lichtwidrigkeit oder
das Aufnehmen falscher Vorstellungen aufzuregen. Darum dürfte es ebenfalls nicht
schwer fallen, den wahren Sinn des Lichtpunktes als Symbol des Lichtstrahls zu er-
fassen, auch wenn er im schwarzen Gewand uns entgegentritt. Umgekehrt kann
man dasselbe von dem ,,Schattenbüscbel" sagen; seine Projektion als Punkt ist das
Symbol des Lichtmangels.
Nachdem J. H. Lambert 1760 in seiner ,, Photometria, sive de mensura et
gradibus luminis, colororum et umbrae (Augustae Vindelicorum)" die physikalischen
Grundlagen der neuem Schatten- und Beleuchtungslehre geschaffen hatte, fehlte
es nicht an verschiedenen Versuchen, sie in einigen Punkten zu verbessern. Aber
trotz heißer Bemühungen in den letzten Dezennien ist man über Lambert kaum
wesenthch hinausgekommen. Insbesondere hat L. Burmester die Theorie und
Darstellung der Beleuchtung gesetzmäßig gestalteter Flächen (Leipzig 1871) zu
fördern gesucht. Wir bezeichnen den Einfallwinkel des Lichtes, d. i. der Winkel
des einfallenden Lichtstrahls mit der geneigten Flüche oder der Flächeimormale
als e; bei senkrechter Beleuchtung ist er gleich dem Böschungswhikel 9". Die Be-
leuchtungsstärke oder Lichtintensität sei mit J bezeichnet; unter ihr verstehen wir
die Menge der Lichtstrahlen, die auf die Flächeneinheit der beleuchteten Fläche fällt.
Nach dem physikabschen Beleucbtungsgesetz ist
J = L cos e.
L ist die Lichtmenge, die in einem Parallellichtbüschel von einem senkrechten
Querschnitt gleich der Flächeneinheit erhalten ist.' Im Grunde genommen ist dies
nichts anderes, als wenn wir sagen würden, L ist gleicii der Liclif stärke ilor Licht-
quelle; wir bezeichnen sie mit 1.
Da <^ « = -^ qp, L = 1 und J — L cos e, ist J = L cos 9p = cos y ; d. li. mit
andern Worten: Die Beleuchtungsstärke eines Flächeuelements ist mit
der Stärke der Lichtquelle und mit dem Kosinus des Einfallwinkels
oder Böschungswinkels proportional. Je nacbdeiu der Kosinus großer oder
kleiner wird, nimmt die Beleuchtungsstärke zu oiler ab, was wir in folgendem Gesetze
ausdrücken:
Obige RrkliiitiiiR ist wiidergegebcn nach Chr. Wiener: Ix-lirlmeh iler ilni^tolKn.len C!i><i.
I. Leipzig 1884. S. :!!tl.
580 Hif wiss.nscliaftliclion Grundliigon An- OcläiHlfclaiMtelluiif;.
Die Beleuchtungsstärke odtT Inlciisitüt ditr Beleuchtung nimmt
hei senkrechter Beleuchtung zu und ab proportional dem Kosinus
des Einfallwinkels der Lichtstrahlen oder des Neigungswinkels der
beleuchteten Fläche (des Flächenelements). ^ Man vergleiche hierzu die zweite
Kolumne in Tab. I. Die dritte Kolumne hinwiederum zeigt, daß die Schatten-
.starke S in res^iprokem Verhältnis zur Beleuchtungsstärke zu- und ab-
nimmt.
S = L — L cos (p = 1 — cos cp .
Bei der Anwendung der Beleuchtungsgesetze nehme ich die Oberfläche des
Erdkörpers bzw. das Gelände als eine vollkommen rauhe und matte Ebene an, d. h.
als eine Oberfläche, die keine Spiegelung zeigt und in allen ihren Sehrichtungen gleich
hell erscheint. Auf die Helligkeit im besondern habe ich kein Gewicht gelegt, da
ich sie für vorliegenden Fall, in dem Bewußtsein, keine Fehler in der Auffassung
und^Berechnung zu begehen, mit der Intensität gleichgesetzt habe. „Unter der
Helligkeit eines Oberflächenelements / eines Körpers verstehen wir die Menge des
von / auf die Netzhaut des Auges gesendeten Lichtes, geteilt durch die Größe der
Fläche des Netzhautbildes von /."^ Will man die HelHgkeit eines Körpers so getreu
wie mögUch darstellen, verfährt man am vorteilhaftesten nach Lamberts Gesetz,
nach dem die Helligkeit H = fr cos e ist, worin k eine Konstante ist. Folglich ist
H =^ cos £ oder in Eücksicht auf unsere Berechnungen = cos cp. Chr. Wiener weist
nach, daß Lambert mit diesem Gesetz der Wahrheit am nächsten kommt und nicht
etwa Burmester mit seinen Isophengen, d. i. den Linien gleicher scheinbarer Be-
leuchtungsintensität oder gleicher Helle (s. S. 573), deren H = Je cos e cos a ist, worin
a der Ausfallwinkel des Lichtstrahls bedeutet.
347. Das mathematische und technische Gerüst der Punktdarstellung. Bei dem
Lehmannschen und verwandten Systemen wird die Lichtintensität proportional dem
Neigungswinkel der beleuchteten Fläche angenommen, während sie in Wirklichkeit,
wie wir oben sahen, proportional dem Kosinus des Neigungswinkels ist. Dies Be-
ieuchtungsgesetz sucht nun vorliegendes System so weit wie möglich zu befolgen und
so die Aufgabe einer richtigen Terraindarstellung zu lösen, die darin besteht, die
naturgemäße Grundlage der Geländezeichnung festzulegen und von hier aus die
Geländedarstellungstheorie über die Brücke eines ziffernmäßig-mechanischen Systems
hinweg mit einem denkbaren Minimum subjektiven Hinzutuns in die Praxis über-
zuführen. Es ist also weiter nichts als das Problem, das jede neuere und wissenschaft-
liche Geländedarstellungstheorie zu lösen sucht, jede natürlich auf eigenem Wege
mit Hilfe besonderer Mittel, wie z. B. K. Peuckers spektral-adaptive Farbenplastik.
Nach der dritten Kolumne auf Tab. I beträgt bei 5" die Schattenstärke S —
0,00381, abgerundet 0,004. Li die Kartentechnik umgesetzt heißt das: Von 1000
gleichgroßen Flächen liegen vier Flächen im intensivsten Schatten, also in Schwarz.
Die Flächen des üatensivsten Schattens 0,004, 0,015, 0,034 usw. bis 1,000 setze ich
gleich dem Inhalt einer Kreisfläche, d. h. im Sinne des vorliegenden Systems gleich
dem Inhalt eines Punktes.
Vgl. L. Burmester, a.a.O., S.S.
Chr. Wiener, a. a. O., S. ."592.
/^
^r^^
m
., i
Zur ftc'iicsis (los Puiiktsysti'iiiR
581
T
abeile I.
Einfall-,
Bösehungswiiktl
1
J a
Liubtintensitiit Schattenstärke
J = Lc0S(f^ , S = L - Lrn-^,1
J = <!08<p(L= 1) S- ] . .- ,
Punktradius in nun
(&■ = 1 = 1 qcm)
' = 1/1
0"
1,00000 ' O.IKKMK)
0,000
5"
0,99619
0,00381
0,348
10"
0,98481
0,01519
0,695
15"
0,96593
0,03403
1,044
20"
0,93969
0,06031
1,370
•25"
0,90631
0,09369
1 ,725
:!()"
0,86603
0,13396
2,00
:fr."
0,81915
0,18075
2,40
40"
0,76604
0,23386
2,73
45"
0,70711
0,29289
3,05
50"
0,64279
0,35721
3,36
55"
0,57358
0.42642
3,68
(10"
0,50000 ( 1,50001 (
3,98
(iö"
0,42262
0,57738
4,28
70"
0,34202
0,65798
4,56
75"
0,25882
0,74118
4,86
80»
0,17356
0.82635
5,122 = 52 ^ 1142
85»
0,08716
0,91284
5,39- = 5= + 2,02*
90"
0,00000
1,00000
5,63''{= 5»+ 2,58-)
Um das gesamte System weiter simifällig vor Augen zu führen,
wähle ich als stete Projektions- oder Einheitsfläche jedweder Böschung
zunächst den Quadratzentimeter. In je 1 qcm konstruiert man r-7t,
r-^7i,r^n usw. Kolumne 4 in Tab. I gibt die berechneten Radien für
die zu konstruierenden Tunkte, wie es Bild 6 zeigt. ^
Die Kreispunktflächen bei 80", 85° und 90" ragen über den Umriß
eines Quadrat Zentimeters hinaus, denn nur 5* tt berührt die Quadratseiten.
Will man aber einheitHch den Quadratzentimeter beibehalten, zerlegt
man bei 80" S.IS^tt in 52 + 1,142, bei 85» 5,392.-t in 52-1-2,022 und
bei 90» 5,682 ;„ 52 + 2,582.
setzt und ' " für 85»; die Mitte des Quadratzentimeters selbst
füllt 52.-T aus, wie wir in 1) von Bild 6 sehen. 2 Hierin liegt bereits ein
Hinweis auf jene Kombinations- und Modulalionsfiiliigkeit der Punkte,
die oben schon angedeutet wurde ; denn um nicht zu dicke Punkte zu er-
halten, kann man mit der Ijinführung von Nebenpunkten schon
bei niedrigen P.oschungswinkehi bcginnrn. selbstverständlich mit Mei-
behaltung der wahren Beleuchtungsvcrliältnissc (mithin ein idinlicbts
Prinzip wie bei der Sclwaffenzeiclmung).
' Nach meiner Hand/eiohnung i)hi<tof;ni| hisch um '/, verklciiierl.
"- Die ZcrlcKunp des Punkte« hei 90° Bösihunn in 5« ( 2,5S' wird ni<ht weiter
beachtet und auaReführt. da die kleinen Punkte «ehon «» uroB sind, dalJ »io die Peri-
pherie des groUiMi Punktes niihl nu4ii hcriihivii. .sonilerii iliiii hluvi hen »Unlen.
•
582 D'f wissenschaftlielion Grundlagen der Gtländodurstcllnng.
In der foinorn Kartentechnik arbeitet man mit Quadratzentimetern gewöhnlich
in der Weise, daß man eine Vielheit von Zeichen und Signaturen in das Maß eines
Quadrat Zentimeters einspannt. Für eine einzehie Signatur selbst ist er gemeinhin
zu groß, der man darum eine kleinere Maßeinheit, den Quadratniillimeter, zugrunde
legt. Die Übertragung vom Quadratzentimeter auf den Quadratmillimeter ist nicht
schwer. Eechnerisch werden die Eadien der Punkte innerhalb der Quadratzenti-
meter nur mit 10 dividiert. Die Punkte für die Böschungswinkel 5" und 10" sind
allerdings winzig mit ihrem Durchmesser von 0,07 und 0,14 mm, aber immei'hin
manuell noch darstellbar.
Vergleicht man die Werte der Eadien, Kolumue 4, Tab. I, miteinander, erkennt
man., daß sie fast in arithmetischem Verhältnis wachsen. Danach müßte die Schatten-
stärke mit dem Quadrate der Böschungswinkel zunehmen. In Wirklichkeit nimmt
sie zu mit 2 sin* 9r/2, worin 9? der Böschungswinkel ist. Zeichnet man die quadratische
Kui've zu der Kosinuskurve hinzu, so zeigt das Bild 7, daß sie sich tatsächlich ziem-
a-Schruffen
mich Lf/imuiM
b-PüJÜtte
ruuJi der-
iiaturQemaßen
lieh eng an die Kosinuskurve anschmiegt, auf jeden Fall liedeutend näher als die
gerade Linie, mit der die Zunahme der Schattenstärke nach Lehmanns System ge-
kennzeichnet sei. Man vergleiche nur Eeihe a mit Eeihe h in Bild 8. Man kaim
also, von den kleinen Abweichungen abgeselien, die im schHmmsten Falle 18,657o
betragen, während nach der Lehmannschen Manier eine Abweichung bis ISSS^/o
eintritt (s. weiter unten), als mechanischen Weg zur Auffindung der Größe der Punkte
folgendes Gesetz aufstellen:
Berechne den Durchmesser des größten Punktes und errichte
darüber als Basis ein gleichschenkliges Dreieck und teile die Seite
in 90 Teile für die Gradteilung (in 45 Teile für die 2''-Teilung, in 18 für die 5«-,
in 9 für die 10° Teilung). Die Parallelen zur Basis ergeben die Durchmesser
der entsprechenden Punkte.
In Bild 9 ist ein solches Dreieck dargestellt. Die Höhe kann Ijeliebig sein.
Abnorme Höhen verbieten sich von selbst. Man muß nur darauf achten, daß die
l>urchmesser der größten Punkte so weit voneinander entfernt sind, daß die Peri-
Zur Genesis des Punktsystems.
583
pherien der Punkte sich nicht teilweise überdecken. Das geschieht schon dann, wenn
man, den Flächeninhalt eines Punktes gleich einem Quadratzentimeter vorausgesetzt,
die Entfernung der Durchmesser etwa zu 12 mm annimmt.
Will man sich aber streng an die natürhchen Verhältnisse halten, muß man
sich nach der berechneten Tabelle richten. Für Zwischenwerte kann man genügend
genau arithmetisch mterpolieren. Es muß dann jedoch jeder Radius entsprechend
dem Einheitsmaßstab reduziert werden.
Tabel
II.
<p
Sehattenstärkc
"i
EinfaU-,
Böschungs-
berechn. nach d.
Formel S.= o<f-;
Schattenstärke,
die die gerade
s- s„
S- Si
100. Y'
100.^-^
'S
winkel
hi)
Linie liefert
0»
0,00000
0,00000
0,00000
-0,00000
5»
0,0031
0,05555
0,00071
- 0,05174
18,5
1360
10«
0,0124
0,11111
0,00279
- 0,09592
18,5
632
15»
0,0278
0,16666
0,00623
- 0,13263
18,5
398
20»
0,0495
0,22222
0,01081
- 0,16191
18
267
25»
0,0772
0,27777
0,01649
i - 0,18408
17,5
196,5
30»
0,111
0,33333
0,02297
- 0,19936
17
149
35»
0,151
0,38888
0,02975
0,20813
16,5
115
40»
0,197
0,44444
0,03686
0,21058
15,5
90
45»
0,250
0,49999
0,04289
- 0,20710
14,5
71
50»
0,310
0,55555
0,04721
0,19834
13
55,5
55»
0,375
0,61111
0,05142
- 0,18469
12
45.5
60»
0,445
0,66666
0,05500
0,16666
11
34
65"
0,522
0,72222
0,05538
- 0,14484
9,5
25
70»
0,605
0,77777
0,05298
-0,11979
8
18
75»
0,695
0,83333
0,04618
0,09115
6
12.5
80»
0,790
0,88888
0,03635
^ 0,06253
4,5
7.5
85»
0,893
0,94444
0,01984
0,03160
2
3.5
90»
1,000
1,00000
0,00000
0,00000
0
0
Tab. I zeigt in Kolumne 3 die wirkUche Schattenstärke <S nach der Kosinus-
linie, Tab. II in Kolumne '2 die Schattenstärke S^ nach der Quadratkiuve (Dreiecks-
konstruktion!) und Kolumne 8 die Schattenstärke S, nach der geraden Linie oder
dem Lehmannsclien System. Kolumne 4 und 5 zeigen die Differenzen von der wirk-
lichen Schattenstärke einmal zu der Quadratkurve und ein andermal zur geraden
Linie. Die beiden letzten Kolumnen geben an, um wieviel Prozent «S,, und ^, von ^
verschieden sind. Für <S', ist das Maximum lS,(J57o, für S, dagegen ISSSO/o (s. oben).
Das Wesen des Punkt.systems dürfte entschieden klarer werden, wenn man
den Vergleich mit dem Lehraannschen System noch weiter führt. Wir wissen, naoii
letzterra tritt das volle Schwarz bei einem Böschungswinkel von 45" ein. Wollen wir
nach unserm System das volle Schwarz, also Schattenstärke 1 bei 4ri" erhalten, gelten
die Punkte des BiUlcs 9 für die halben zugehörigi-n Winkel (siehe (li(> Angi\beu an
der rechten Seite des Bildes). Dii> Fehler werden, absolut giuiommen. dabei ver-
vierfacht. pn.|Mirlii.iiiii jeili.eh bleilnii sie die.selben. Dadurch wird das vorhergehende
584
Pio wissnischaftliclirn Oiiiiirtlaerii der Goliindodiirstrlluiie
Verhältnis der Schatlenskala nicht gestört, und das Kartenbild behält den natur-
wahren Ausdruck, der also mit den wirklichen Beleuchtungsverhältnissen harmoniert.
Wie bedeutend der Unterschied zwischen meinem und Lehmanns System ist,
zeigt außer den beiden letzten Kolumnen ^■on Tab. II ein Vergleich der Reihen a
und h im Bild 8. Bei dem Vergleichen drängt sich beinahe die Frage auf: Ist Leh-
mamis System überhaupt als wissenschaftlich zu bezeichnen? Im Grunde genommen
müßten wir eine negierende Antwort geben; denn es ist lediglich Manier, ohne wissen-
schaftlichen Fundus. Doch wollen wir Lehmann das Verdienst nicht beeinträchtigen,
das schon groß wäre, wemi er selbst weiter nichts geleistet hätte, als die Betrachtung
und Theorie der wissenschaftlichen Geländedarstellung in Fluß gebracht zu haben.
Weil die Punkte nach 45", selbst bei einer Einheitsfläche eines Quadratmilli-
meters, bereits sehr groß sind, wird man dafür Sorge tragen, die dicken Punkte bei-
zeiten in Hauptpunkt und Nebenpunkte oder in eine entsprechende Vielheit von
Punkten aufzulösen. So wird man durch das Auflösen der Hauptpunkte zu dem
Bestimmen der Dichtigkeit der Punkte innerhalb eines gegebenen Flächenstückos
geführt. Dem Gesetz dafür kann man folgenden Wortlaut geben:
Das ,,w"-fache des kleinsten Punktes ergibt die Dichtigkeit der
Punkte innerhalb einer jeden gleichgroßen Fläche. S/P = n, worin S =
Schattenstärke, P = kleinster Punkt ist, der als Maßeinheit bei den Dichtebestim-
mungen gilt.
Beispiel: Der Punkt sei 0,02 quan groll, (li(^ Sciiattenstärkü z. B. Iiei 35« = 0,()0.
S 0,60
Tabelle III.
Dichtigkeitsskala (Schattenstärke 1 bei 45"
<p
S
nach der
Dichtigkeit ^= ^
8„
nach der
s
Dichtigkeit n = —
Kosinus-
1. für
2. für
Quadrat-
1. für
2. für
kurve
P= 0,0152 qcm
P= 0,603 qcm
kurve
/>= 0,0124 qcm
P= 0,0495 qcm
5«
0,0162
1
1/2
0,0124
1
Vj
10»
0,0603
4
1
0,0495
4
1
lö»
0,134
9
2
0,111
9
2
20»
0,234
15
4
0,197
16
4
25»
0,357
24
6
0,310
25
6
30«
0,500
33
SV,
0,445
36
9
35»
0,658
43
0,605
49
12
40«
0,826
54
14
0,790
64
16
45«
1,000
66
17
1,000
81
20
Die vollständige Dichtigkeitsreihe zeigt Tab. III für die genaue Piechnung und
für die annähernde ]\Iethode.
Bei 40° 54 oder (!4 Punkte auf 1 qmm darzustellen (s. Kolumne 3 und G in
Tab. III) begegnet technischen Schwierigkeiten, die zu umgehen sind, wenn man
erst den Punkt von 10° ab als Dichtigkeitsjmnkt gelten läßt. Dies würde dann ein
Dichtigkeitsverhältnis ergeben, wie es in Kolumnen 4 und 7 der Tab. III dargestellt
ist, wonach also auf 1 fimm bei 40° Böschung 14 bzw. 16 Punkte entfallen würden.
Pimktsysti'in iiml srini- Alincnduiitc. 3^5
II. Das Punktsystem und seine Anwendung.
348. Vorteile uud Nachteile des Punktsystems und seine praktische Anwendung.
Wie ich in der Einleitung zu dem neuen System hervorhoh, will das Punktsystem
die Vorteile der Schraffenmethode mit der Schummerung verbinden. Wieweit dies
gelungen ist, darüber dürfte man ein endgültiges Urteil noch kaum fällen können,
da noch zu wenig Erfahrungen in diesem System vorliegen, und eine Erprobung erst
von anderer Seite und in längerer Zeit erfolgen muß.
Die Schraffe ist teils markig und derb, teils spröde und ungelenk; der Punkt
hingegen ist gefügiger, geschmeidig und elastisch. Oder mit andern Worten: Der
Punkt ist modellierungs- und modulationsfähiger. Man wird für viele Darstellungen
die Schraffe nicht entbehren können, aber bei senkrechter Beleuchtung versagt sie
nicht selten zur Veranschaulichung sanfter geböschten Geländes, nur bei großmaß-
stabigen Karten vermag sie in diesen Fällen bekanntlich als Symbol der Böschung etwas
zu leisten. E. Hammer betont besonders, daß für den sanften Anstieg einer wenig
modellierten Hochfläche durch Schraffen überhaupt kein Ausdruck möglich ist^;
und einige .Jahrzehnte früher sagte E. v. Sydow: „Flache Terrainwellen, leicht
gruppierte und sanft gerundete Formen erhalten alsdann so wenig feine, weit von-
einander stehende und oft langgezogene divergierende Striche, einzelnen weitläufigen
Strahlen und Stemfiguren gleichend, daß man nicht mehr imstande ist, den Zu-
sammenhang solcher sanfter Terrainformen aufzufassen, die Bergschraffe verliert
nachgerade ihre Bedeutung."^ Von theoretischem und praktischem Gesichtspunkte
aus hat wohl kaum jemand die^ Schraffe kürzer imd besser beurteilt als Sydow. Im
Anschluß an die eben zitierten Worte fährt er fort: „Ebenso schwierig als es Leh-
mannschen Bergschraffen wird, in kleinen Maßstäben die Plastik sanft geböschter
und niedriger positiver Terrainformen auszudrücken, ebenso selten glückt ihnen
die Wiedergabe flacher Ausspülung der negativen Formen, die leichte Auskehlung
der Hohlformen, wie wir sie namentlich an den Mulden sehen, welche zu beiden Seiten
einer Einsattelung hinabziehen, denn nur zu leicht stoßen die Striche so scharf gegen-
einander, daß sie eher streng markierte Einknickungen andeuten als flach ausgehöhlte
Spülungen." Hier das richtige Bild zu geben ist kaum ein anderes Darstellungsmittel
geeigneter als der Punkt.
Weiter hat der Punkt der Schraffe gegenüber den Vorzug, daß er sich wesent-
lich liächter als die Schraffe anwenden läßt. Gewiß erfordert auch er eine längere
Zeit der Übung und großes Geschick, indessen liegt darin schon eine Erleichterung,
daß seine Anordnung nicht in dem strengen Sinne zur Hilfslinie (Isohypse) zu er-
folgen hat wie bei der Schraffe, wo die senkrechte Stellung zu den Schichtlinien un-
gemein viel Sorgfalt und Geschicklichkeit erfordert. Weiterhin denke man daran,
daß das klassische Schraffenbild erst nach Generationen den Kartenzeichnern ge-
lang, und heute noch kann man dem Kampf mit der Schraffe auf vereinzelten, selbst
offiziellen Kartenblättern nachspüren. Die Böschungsschraffe hingegen hat den
'großen Vorzug dem Punkt voraus, daß sie durch ihre gesamte Lage, durch ihren Anfang
mid ihr Endo den Verlauf der Schichtlinien markiert. Daß dabei durch die Schraffi-
' E. Hammer i. G. J. XXIV. 1901/02, S. 44.
^ E. V. Sydows: Der kurtoKiapliiwIio Stanilpiiiikl iOiiroiNi- i. il. .laliixii \H&2
lHO:i, S. 47().
586 Die wis8ciisfhaftliohen Grundlagen der Geländediirstellung.
das Geländebild in Stufen, wie früher bereits hervorgehoben, zerlegt wird, läßt sich
nicht in Abrede stellen. Durch die Elastizität des Punktsystems ist es möglich, die
Stufen vollkommen auszugleichen, d. h. daß da, wo im Gelände keine vorhanden
sind, sie auch nicht auf der Karte erscheinen. Daß sich die Isoliypsen sichtbar auf
dem Schraffenbild zeigen, ist nicht notwendig, wohl aber erwünscht, da man durch
die Verbindung beider die Schraffenkarte erst als vollkommen anerkemit. Das Iso-
hypsengerippe gehört gleichfalls zum Aufbau der punktierten Karte, doch amal-
gamieren sich dem betrachtenden Auge Punkt und Schichtlinie nicht so leicht, wie
Schraffe und Schichtlinie als verwandte Linienelemente; darum muß auf der erstem
das Schichtliniengerippe diskret zurücktreten, eventuell in anderer Farbe als die
Punkte erscheinen.
Eine nach dem Punktsystem hergestellte Karte wirkt aus der Ferne ähnlich
wie eine geschummerte, man könnte sie deshalb ganz allgemein als eine Art Schum-
merungskarte bezeichnen, deren Punkte nicht wie bei der wahren Schummerungs-
karte gesetzlos und ledighch durch den zeichnerischen Takt auf- und nebeneinander
gehäuft, sondern gesetzlich nach wissenschaftlichen Prinzipien aneinander gereiht
sind. Darin besteht der große Unterschied zwischen beiden Systemen, der sich weiter
in der Handhabung ausspricht, die für die Schummerung außerordentlich leicht ist,
bei dem Punktsystem dagegen größere Fertigkeit und tiefere topographische Kenntnis
voraussetzt. Die Weichheit und Modulationsfähigkeit der Schummerung ist bei
dem Punktsystem nicht verloren gegangen, nur gesetzlich geregelt ; und darum erweckt
die punktierte Karte schon von vornherein mehr Vertrauen als die geschummerte.
Kein anderes System kommt dem Pimktiersystem in der Kombinationsfähigkeit
nahe. Praktiker wie Theoretiker wissen, daß theoretisch die schärfsten Gesetze und
Kegebi aufgestellt werden, um einer Geländedarstellung einen wissenschaftlichen
Halt und Gehalt zu geben, die aber praktisch nicht selten nur teilweise erfüllt werden
körmen, weil ihre Übersetzung in die Praxis wegen der Grenzen des zeichnerischen
Köimens nicht vollkommen durchgeführt werden kann. Daran ist oft nicht gedacht
worden, als z. B. in dieser Richtung dem Lehmannschen System gegenüber Unvoll-
kommenheiten, ja schwere Fehler vorgeworfen worden sind. Und trotzdem ist der
Geograph mit vielen derartigen Karten zufrieden, wenn sie ihm nur durch die Gelände-
darstellung die natürlichen Verhältnisse richtig wiederspiegeln; naturgetreu wieder-
zugeben ist ein Ding der Unmöghchkeit. Ausnahmsweise wird an die Untersuchung
des Verhältnisses von Schwarz zu Weiß auf den einzelnen Geländestufen heran-
geschritten. So entschuldigen Mittel und Zweck die Praxis, wenn sie der Theorie
nicht buchstäbhch und mathematisch getreu zu folgen vermag.
Nach einer Theorie alle Geländeformen der Erde gleich gut zu erfassen und
darzustellen, ist ein Ding der Unmöghchkeit; man wird, wenn von der reinen Schicht-
ünienkarte abgesehen wird, immer zur Kombination verschiedener Theorien seine
Zuflucht nehmen. Nur bei Gelände von gleichem morphologischen Charakter auf
nicht zu großer Erstreckung läßt sich allenfalls mit einem System auskommen, und
zwar auf großmaßstabigen topographischen Karten, auf kleinmaßstabigon schon
weniger gut. Das Punktsystem dagegen gestattet bei derselben Theorie zu l)l(>iben,
jedoch mit verschiedenen Graden der Überhaltung.
Nehmen wir die richtige Schattenstärke S = 1 — cos (p an, so ist in der stetigen
i'blge bis 90» bei 60" die Hälfte der Lichtintensität erreicht, 0,5000 = V2> wenn volle
Das Punktsystem und seine Anwendung. 587
Intensität = 1 ist.* In der 2-Grad-Teilung, s. Bild 9, ist die Schattenintensität.
also Schwarz, bei 45" erreicht. Um nun die geringen Neigungen besser als wie nacli
der Befolgung der Skala der wahren Lichtintensität zum Ausdruck zu bringen, wird
man seine Zuflucht zur Überhaltung des Lichtwertes der geringem Böschungen
nehmen. Die 2-Grad-Teilung eignet sich für eine weitere Bearbeitung ganz gut
(s. auch Tab. III). Bei 25" Böschung kann man noch die gleiche Schattenstärke
wie bei 30" annehmen (ein Unterschied kann trotzdem bestehen bleiben und durch
Punktanzahl und Punktgröße veranschaulicht werden), was etwa einer P/a dachen
Überhaltung gleich käme. Der Böschung von 20" gebe ich eine zweifache, der von
15" eine dreifache, der von 10" eine vier- bis fünffache und der von 5" eine zehnfache
Überhaltung. Eine besondere Skala ist nach diesen Überhaltungen leicht anzufertigen.
Auf diese Weise kann man fortfahren, um Böschungen von ^/g" und V«" noch zu
verdeutUchen.
In dem skizzierten Verfahren hegt weniger ein Systemwechsel als vielmehr eine
stetig wachsende Überhaltung vor. Fast bei jedem System werden die Werte für
die geringen Böschungen übertrieben. Theoretisch ist das Punktsystem nicht darauf
angewiesen, zu Notbrücken zu greifen, jedoch praktisch, da die feinsten Punkte nur
mikroskopisch dargestellt werden könnten. Durch die Überhaltung erhalten die
geringern Böschungen Werte größerer Böschungen, wie bei den Eeliefs, die überhöht
sind. Das ist offenbar ein Fehler des Systems, der auch jedem andern eigen ist. Das
wissenschaftliche Gewand der wahren Beleuchtung wird abgestreift und der Punkt
wird zum reinen Konstruktionselement, wie es die Schraffe von Haus aus ist. Dies
alles gibt einen Hinweis, wie mannigfach sich das Punktsystem erweitem und variieren
läßt, ein großer Vorzug andern Systemen gegenüber, und daß es schließhch jede
Geländeform, mit Ausnahme der Felsen, meistern kann, sofem sie nur von dem Licht-
strahl getroffen wird. Durch ihre besondere Zeiclmung heben sich die Felsen vor-
züglich auf einer punktierten Karte ab, besser' als auf einer scliraffierten.
In gleicher Weise wie die Schraffe läßt sich der Punkt bei der schrägen Be-
leuchtung anwenden, mit all den Vorzügen, die er der Schraffe gegenüber voraus
hat. Auf diesem Gebiet nähert er sich der Schummerung mehr als die Schraffe, was
sicherUch in dem nahem Verwandtschaftsgrad zwischen beiden seine Ursache hat.
Für eine wissenschaftliche Anwendung bei schräger Beleuchtung sind die gleichen
Kegeln maßgebend, die bereits auf S. 575 entwickelt wurden. Der Vorzug der schrägen
Beleuchtung gegenüber der senkrechten besteht darin, daß ich bei ihr nicht zu Über-
lialtungen gezwungen bin und daß infolgedessen ein wissenschaftliches Bild erzeugt
werden kann, was mit Hilfe der Schraffe ausgeschlossen ist.
In der schrägen Beleuchtung erblicke ich ein Mittel, die Ebenen, wenn wir von
Farben absehen, auch kartographisch zu verdeutlichen. Bekanntlich sind schräg
beleuchtete Karten ein Sammelprodukt verschiedener Beleuchtungsquellen, unter
denen die senkrechte für geringere Erhebungen keine unbedeutende Eolle spielt.
Waraui sollte nicht einmal die senkrecht l)eleuchtete Karte sich eines Vorteils der
schräg beleuchteten bedienen? Dem Schraffeiisystem ist es nicht möglich, wohl
aber dem Punktsystem. Gesetzt den Fall, das Licht gehl von einem Lichti)unkt aus
und bricht nordwestUch unter 45" Neigung ein, so empfängt die Ebene des Tieflandes
mehr Licht als die des Hochlandes, weil hier die Strahlen merklich .schräger auffallen.
' Nach K. Pcuokor könnto man versucht .xcin, diese Auffälligkeit auch mit dem Umdnetr.
der Eitle in \urliindung zu Illingen, du der (10. I'amllel Imll. s.. lang wie der A.iiml.ii ist.
Ö88 r)i<" wissoiitfchiiltüclicn GrundUigni der ricliindcdarsti'lluiif;.
Bei der Annahme paralleler Strahlen empfangen beide Ebenen gleiches licht. Die
Licht- bzw. Schattenwerte der ebenen Flächen löst man in kleine Punkte auf; so
winzig, daß sie eben graphisch noch darstellbar sind. Dadurch, daß eine gleich-
mäßige feine Punkt Verteilung stattfuidet, wird der Charakter der Ebene auf der
Karte gut wiedergegeben, und durch die verschiedene Punktdichte, etwa, daß die
höher gelegene Ebene etwas dichter mit Punkten bedeckt wird, kann die Höhen-
lage der Ebenen bezeichnet werden. In ähnlicher Weise lassen sich Becken, Wannen,
Poljen, Dolinen und verwandte Gebilde durch Punkte gut veranschauHchen, selbst
Formen, die bisher sich hartnäckig der Darstellimg durch Kurve und Schraffe wider-
setzen, wie die schwach geneigten Felsplatten am Grostepasse in der Brentagruppe.^
Das Punktsystem für großmaßstabige topographische Karten anzuwenden,
ist nicht zu empfehlen. Die darauf verwendete Mühe dürfte sich nur in wenigen
Einzelfällen lohnen, ganz so wie bei den Schraffenkarten. Doch auf Karten in den
Maßstäben von 1 : 100000 an und kleiner läßt sich der Punkt schon verwenden, des-
gleichen auf Schulkarten. Auf diesem Gebiet hatte ich 1898 die ersten Karten nach
dem Pimktsystem veröffentlicht; es geschah in dem kleinen Schulkartenwerke „Neuer
methodischer Schulatlas". E. Hammer, der in seinen ,, Berichten über die Fort-
schritte der Kartenprojektionslehre, der Kartenzeichnung und der Kartenmessung"
im Geographischen Jahrbuche auf Volksschulatlanten nie zu reden kam, widmete
dem Atlas einige Worte ^, weil in ihm ,,für die Darstellung der Gebirge und Gebirgs-
gUeder eine Pimktiermanier angewandt ist, durch die sich manches ausdrücken läßt
imd die zum Teil gar nicht übel vrirkt"; die wissenschafthche Grundlage dazu konnte
er nicht wissen, doch schien er sie zu ahnen.*
^ Daß diese Platten durch Schraffen undKui-ven nicht darstellbai sind, darüber vgl. L. Aege rte r :
Begleitworte zur Karte der Brentagruppe. Z. d. Ö. A.-V. 1908, S. 82. - Vgl. oben S. 477.
2 E. Hammer i. G. J. XXIV. Gotha 1901/02, S. 49.
^ Vielleicht war es ein Fehler, daß ich nicht bereits vor Jahren mit der Bekanntgabe der wissen-
schaftlichen Grundlage des Punktsystems ans TagesUcht trat; indessen hatte ich mir vorgenommen,
sie im Rahmen einer großem Veröffentlichung zu geben, um ihre Nachteile und Vorteile besser ab-
wägen zu können. Die Grundzüge des Systems, wie sie oben gegeben, sind im wesentUchen dieselben,
wie ich sie 1897 bereits entworfen hatte. Meine Begleitworte zum Atlas sind seinerzeit, wie E. Hammer
im G. J. XXIV, 1901/02, S. 49, ganz richtig hervorhob, als „Kriegserklärung" aufgefaßt worden. Wer
den großenteils jämmerlichen Zustand der damaUgen Volksschulatlanten kannte, von denen mehr als
30 in Deutschland gebraucht wurden, mußte meinen Ausführungen beistimmen, wie es auch zumeist
geschehen war. Aber auch die wenigen guten kartographischen Institute fühlten sich getroffen, was
ich durchaus nicht beabsichtigt hatte, und so wurde ein großer Eeldzug gegen das kleine Werk er-
öffnet, der ein längeres gerichtliches Verfahren nach sich zog, das schheßhch beim Reichsgericht mit
dem Urteilsspruch vom 25. ,Sept. 1903 (D. 1.562/03. XI 2.572. St. A. II 440/98) endete, in dem es u. a.
heißt, „daß nach den Feststellungen des Urteils objektiv der Tatbestand des Nachdrucks nicht vor-
liegt, weil mit Rücksicht auf die in den Urteilsgründen hervorgehobenen Momente die in Frage kommen-
den Landkarten als neue und selbständige, eigenartige Schöpfungen sich darstellen, womit
ausgesprochen ist, daß sie tatsächlich das Produkt seiner (des Autors) geistigen Arbeit sind.
Auch ein partieller Nachdruck ist nicht für ei-wiesen erachtet." Da man meinem System absolut nicht
anders beizukommen verstand, verdächtigte man die rmrisse einiger Karten des kleinen Volksschul-
atlas als Plagiate, obwohl auch hier Originalarbeit, nicht von mir, sondern von den betreffenden Karten-
zeichnern vorlag. Das muß ich allerdings hcutigestags sagen, wären es Kartographen von Fach ge-
wesen, so wäre in den Umrissen tatsächlich etwas Besseres geleistet worden. Doch mein damaUger
Verleger, der das System zum Patent angen.eldet hatte, wollte wegen des Gcheimhaltcns des Vcifahrens
keine Kartographen von Fach und ließ die Karten nach meinen Ideen von Lithogi-aplien, die mir seiner-
zeit als Kartographen vorgestellt wurden, bearbeiten. Das Patent war in DeutKchland, Fiankreich,
Das l'iiiiktsv.sleni und seine Anwendung. 589
Die physikalisclifQ Karten im Neuen methodischen tichulatUiü sind mir als
ein Versuch der neuen (ieläudedarstellung zu betrachten, der schon besser in der
völlig neu bearbeiteten Aus<^'abe geglückt ist, die kurz vor dem Weltkriege beendet
\vurde und in verschiedenen Auflagen bereits vorhegt. Im Grunde genommen ist
der Versuch nichts anderes als die Übersetzung der Schraffeukarten mit den übüchen.
mehr oder weniger abgeänderten Regionalfarben der zumeist übüchen Schulatlanten.
In jener ersten Zeit des Entstehens des Punktsystems entstand auch die hier
als einzige Kartenbeilage wiedergegebene Karte des Vierwaldstätter Sees in
1 : 150000. um sie mit einer gleich großen Karte in Schraffenmanier vergleichen
zu können, wählte ich die Karte desselben Sees in Brockhaus' Konversations-
lexikon, das für Vergleichszwecke jedem leicht zur Verfügung steht; nur im S
und N wurde das Kartenblatt auf Grund schweizerischen Kartenmaterials etwa«
erweitert. Um recht packend zu veranschauhchen, was das Puuktiersystem gegen-
über der Schraffe leistet, wurde das Schraffenterrain der Karte von Brockhaus direkt
in die Pmiktiermanier übersetzt. ^ AuffälUg ist auf den ersten Bück, daß die Plastik
der Formen bedeutend mehr als bei der Schraffenkarte aus dem Karteublatt heraus-
springt, was auch der Fall sein würde, wenn die Punkte in braimer Farbe wie die
Schraffen in der Brockhausschen Karte gedruckt wären. Ich selbst enthalte mich
jeglichen weitern Urteils über das Kartenbild; doch diejenigen, denen ich es schon
vor längerer Zeit und jetzt wieder imterbreitet habe, sagten anstandslos, ohne gefragt
der Schweiz und andern Ländern erteilt worden. Der deutsche Patentanspruch (Patentschrift Xr. 110973.
Kl. 42. Instrumente. 9. Febr. 1898) lautete: „Herstellungsverfahren für Landkarten mittels topo-
graphischer Farbendruckplatten, dadurch gekennzeichnet, daß die Gebirge in einer dem Stich ähn-
lichen Punktmanier sofort auf die Schwarzdruckplatte mit den übrigen Kartenzeichen übertragen
werden."" Das Patent verlangte einen besondem Xamen für dieses Verfahren, das ich „isophoto-
stigmatische Manier"" benannte. Ich legte weder auf diese Bezeichnung noch auf die pekuniäre Aus-
beutung des Patentes Wert, obwohl mir damals eine glänzende Stellung in einem großen kartographischen
Institut angeboten worden war; mir war es lediglich eine Kraftprobe für die Durchsetzung des Xeuen
und Bcsondern meiner Uebirgsdarstellung. Auf gegnerischer Seite witterte man ein großes Konkurrenz-
imtemeluneu; wurden mir doch selbst von dieser Seite, wo man einen guten Absatz findenden Volks-
schulatlas schon vorher angekauft hatte, schwere Gelder angeboten, um den Atlas eingehen zu lassen.
Bei all diesen Kämpfen und Widerwärtigkeiten gab mir eine Äußerung in einer der %-ielen glänzenden Be-
sprechungen des Atlas, niimUch die von K. Peucker in den Vierteljahrsheften für den geograph. Unter-
richt. II. 1903, S. 2ü7, zu denken, die etwa dies ausdrücken wollte, daß der Atlas ein Beweis sei, daß
die darstellende Seite der Geographie (also die Kartographie) in Universitätakreisen gegenüber ihrer
schriftUch darstellenden Seite geringe Achtung genießt, „der Studierende wird über das Kartenwesen
nicht unterrichtet (cum grano saus zu verstehen) und so lernt er eben das Wesen kartographischer
Arbeit nicht kennen." Das reizte mich, der ich damals Assistent an der Universität Leipzig war, ganz
besonders an, über kartographische Probleme weiter nachzudenken mid die Kartographie teilweise
selbst praktisch kennen zu lernen und auszuüben, was mir nicht sdiwer fiel, da ich von Jugend an gern
zeiclmete. Der .\tlas war unterdessen in den tätigen Verlag von H. Schrocdel in Halle a. S. über-
gegangen. Innerhalb zwei bis vier Jahren hatten sich viele Volkssrhulatlanten, st>lbst auch die nam-
hafter Verlage, naih den in meinem Atlas zum Ausdruck gebrachten methodischen Xeuenmgen. die
vereinzelt auch von pädagogischer Seite aus bekämpft worden waren, umgestellt. Natürlich legte ich
von .\uflage zu .Auflage des .Atlas die bessernde Hand an, jedoch die Gestalt, wie ich sie von vornherein
wünschte und erstrebt hatte, erlüolt der .Atlas erst mit der Bearbeitung, die kurz vor dem Krieg l)C-
uudet war (jetzt liegt bereits die 70. Auflage vor), und worin sämtliche Karten von .\nfang big Ende
von mir entworfen und großenteils von mir auch selbst gezeichnet wurden, und tüchtige Kartogiuphen
für eine gute Reproduktion der Karten Sorge trugen.
• Bei der Herstellung der Karte war mir der Kartograph W. Graupner (Firma Oiuupner i^
Komor in Leipzig) sehr behilflich, wofür ihm an dieser Stelle mein bosi>ndcrer Dank ausgesprochen sei.
590 Die wisseiischiiftlichcii Gruudlagen dfr Geländedarstellung.
zu seiu, daß das Punktsystem wesentlich besser und anschaulicher als die Schraffcn-
manier oder die Schummerung wirke. Bei der Beurteilung ist ferner zu berücksich-
tigen, daß die Karte nicht gestochen, sondern lediglich auf gutem Zeichenkarton
gezeichnet worden ist. Man merkt der Karte noch den wenig feineu Strich der Situation
und das Klobige der Sclirift gegenüber der Brockhausschen Vorlage an. Das Karten-
blatt ist nach Fertigstellung photographisch auf Stein übertragen worden. Diese
Methode entspricht ganz der, die ich im Kriege bei der Eeproduktion von topographi-
schen, im Felde aufgenommenen Karten in 1 : 25000 und 1 : 10000 anwenden heß:
Saubere Originalzeichnung in Originalgröße auf Papier mid photographische Über-
tragung auf Aluminium- oder Zinkplatte. Würde nun eine derartige Karte wie der
Vierwaldstätter See von Haus aus im größern Maßstabe entworfen, hätte man weniger
mit der Schwierigkeit der klaren Punktanlage zu kämpfen. Bei der photograpbischen
Eeduktion rücken alsdann die Punkte aufeinander und erzeugen ein schönes, klares
und plastisches Bild. Wünschenswert ist, daß von berufener kartographischer Seite
aus neue Versuche in dem Punktsystem, auch ohne Beeinflussung meinerseits, an-
gestellt würden; dann würde man erst ein endgültiges Urteil über den Wert und die
Brauchbarkeit der neuen Manier fällen können. Ich selbst hätte gern meine Aus-
führungen durch illustrierte Beispiele nach den verschiedensten Eichtungen hin be-
reichert, aber die gegenwärtigen obwaltenden mißlichen Verhältnisse zwingen bekannt-
lich zu einem Minimum des beizugebenden Bildmaterials.
Fern hegt mir der Gedanke, in meiner Geländedarstellung nun die „allein richtige"
erbhcken zu wollen. Ich betrachte sie nur als einen Fortschritt in dem Entwicklungs-
gang der Methoden der Geländedarstellung. Man wird sie bloß von Fall zu Fall ge-
brauchen. Das wird man ihr nicht absprechen können, daß sie für sich allein richtig
und anschauUch wirkt, daß sie auf einer wissenschafthch sicherern Basis als die ihr
verwandten Darstellungen in Schraffen und Schummenuig steht, und daß sie letztere
beiden in der Kombuiations- und Modulationsfähigkeit übertrifft. Außerordenthch
gut verträgt sie sich mit dem Höhenschichtenkolorit. Handproben berechtigen zu
den schönsten Hoffnungen. In der Verquickung mit der Peuckerschen Farbenplastik
wirkt das Geländebild hervorragend plastisch, wo das punktierte Gelände, um nicht
die Farben zu erdrücken, in einem diskreten Grau, Braun oder Neutraltintenton zu
halten ist.
349. Die bisherige Anwendung des Punktes in der Kartographie. Anhangweise
zu meinem Punktsystem sei noch der verschiedenen Anwendung des Punktes in der
Kartographie in Kürze gedacht. Die Punktsignatur ist nichts Neues auf den Karten,
ist sie doch so alt wie die Karte selbst, derm auf der sogenannten nubischen Gold-
minenkarte aus der Zeit König Eamses' II. werden Punkte angewendet, um Geröll
und Gestrüpp anzudeuten (s. S. 401). Im Laufe der Zeit hat der Punkt in der Haupt-
sache dreierlei Anwendungsbereiche gefunden, einmal als Signatur für geographische
Objekte, sodann für kultur- und naturhistorische Erscheinungen und drittens für
die VeranschauUchung von Bodenunebenheiten.
Nichts lag wohl logisch näher als die Sandflächen, d. h. den Sand durch Punkte
darzustellen. So erscheint deim der Punkt schon auf den ältesten Seekarten, um
die Sandbänke anzudeuten. Desgleichen ist es seit längerer Zeit üblich, die Wüsten
in Punkten wiederzugeben (S. 370). Durch gelbe und braune Farbe erhalten die
Wüstenpunkte ein realistisches Gepräge, wie wir es auf vielen Karten der neuern Hand-
Das Punktsystem nnd seinr Anwendung. 591
und Schulatlanten wahrnehmen. Von der Darstellung des Sandes der Wüsten durch
Punkte ist es zu der des Gerölls von Schotterterrassen und Schutthalton nicht weit,
wie wir beispielsweise auf Karten von A. Waltenberger^, A. Hettner^ u. a. sehen.
Durch die Punktiermethode erzeugt K. Leuzinger' auf seiner Karte OberwaUis,
Bemer Alpen und Simplongebirge bei den Gletschern den Eindruck einer natiu--
gemäßen Wölbung und des natürhchen Aufgehens in die morphologische Gestaltung
des Gebirges.
Von den neuern Verfahren, den Farbton durch Raster in Punkte aufzulösen,
will ich ganz schweigen. In älterer Zeit, wo man noch keinen Farbendruck kannte,
bot der Punkt in seinem mehr oder minder dicht gedrängten Auftreten ein Ersatz-
mittel für verschiedene Farbtöne. In der ersten Ausgabe von Heinr. Berghaus'
Physikalischem Atlas, Gotha 1845, sehen wir die Punkte noch reichhch angewandt,
um die Landflächen gegenüber den Meerflächen zu kennzeichnen. Eine leichte Punktur
überzieht gleichmäßig das Landinnere, nach der Küste zu verdichtet sie sich und hebt
das Land plastisch (wulstig) aus der Papierfläcbe heraus.
Der Pimkt ist großenteils ein Verlegeuheitsmittel bti der kartographischen
Veranschaunüchung kultur- und naturhistorischer Tatsachen. Da dieses Darstellungs-
bereich außerhalb des Eahmens der Geländedarstellung liegt, seien nur einige kurze
Hinweise gestattet. Einzelne, etwas kräftig gehaltene Punkte bedeuten auf der Karte
von Frankreich in 1 : 80000 Einzelbäume. Auf verschiedenen Karten des bereits
genannten Physikahschen Atlas von Berghaus finden wir einige Anwendungen des
Pimktes, wie sie heute nicht mehr gepflegt werden. So sind auf der Erdkarte der
vulkanischen Erscheinungen die Erdbebengebiete in Punkten besonders markiert*;
je dichter die Punkte, desto intensiver sind die Erderschütterungen jener Regionen.
Nach ähnlichem Prinzip wurde der Punkt auf der Regenkarte von Europa verwendet.*
Je dunkler die Punktierimg, desto bedeutender ist die Regenmenge. Der gleiche
Effekt ist auf der „byetographischt-n Karte der Erde" wiederholt.* Ich fand die
gleiche Art der Darstellung auf der Hyetographic or rain map of the world in einer
altem Ausgabe von Johnstons Physikalischem Atlas (Edinburgh und London 1850).
Johnston wendet die Punktur auch bei den Karten der Tierverbreitung an, Berg-
haus dagegen die Linienschraffur.
Seit alters her ist der Punkt ein guter Gehilfe der Schraffe, besonders da, wo
sie sich allmählich nach der Ebene zu verflüchtigt, was vielfach in ein Auflösen in
feine und feinste Punkte vor sich geht. Sowohl bei der Schattenschraffe wie bei der
Böschungsschraffe finden wir diese Verwendung des Punktes. Auf der Carte topo-
graphique de la France in 1 : 80000 wie auf der Topographischen Karte des Deutschen
Reiches m 1 : 100000 klingen die Schraffen der sanftesten Böschungen in kurzen
Strichelchen und Punkten aus; auf der erstem werden Punktreihen auch gebraucht,
um die Schraffen zu trennen, so ähnhch wie für die 10®- Böschungen der Müffling-
' A. Waltenberger: Hypsometrische Karte der Oberlpclithnler Alpen, Rhiitikoiiketto und
Silvrettogruppe. 1:200000. P.M. Ergh. 1875, Taf. 1.
' A. Hettner: Karte von den Ileisen in den Colmnbianischcn Anden in den Jahren 1882 bis
1884. 1:800000. P. M. 1888. Taf. 7.
^ R. Leu/inger: Oberwallis, Bemer Alpen u. Simplongebirge. l:2000tX). 1'. M. 1866. Taf. 11.
♦ Hein. Berghaus: PhysikaUseher Atlas. Gotlia 1845. 3. Abteilung Oe<ilogie. Taf. 7. be-
arbeitet 1839.
' H. Berghaus, a. a. O., 1. Abteiig. Meteorologie. Taf. 10. bearbeitet 1841. 1849.
• H. Berghau.s. a. a. O.. Taf. 9. 1841. 1849.
592 l^'i' wissonschaftliclu'M Gnmilliigfii der Cicliiiiilcilurstclliing.
bcbeu Öclii-affeuiiiami'r (hier eigentlich winzig kleine Strichelcheu). Nicht selten
werden bestimmte orographische Formen in Punkten veranschaulicht, wie Talböden
oder Becken.^ In dem berühmten Hypsometrischen Atlas von J. M. Ziegler, Winter-
thur 1856, sehen wir mit Punkten die größern ozeanischen Becken ausgefüllt. Aug.
Petei-mann wandte die Punktierung für ozeanische Bodenformen auf der Karte von
den britischen Insehi und dem umliegenden Meere an^, weil sie ihm als die einzige
Manier erschien, „die das Detail der Seebodenzeichnung in allen Abdachungsstufen
deuthch zur Anschauung bringt, dabei das Totalbild der großen Plateaubildung un-
beeinträchtigt und ungestört läßt und die Schrift einschließlich der vielen Tiefenzahlen
nicht uideserhch macht, wie es durch Schraffiertöne der Fall sein würde". ^ Die
interessante Karte hat keine Nachahmer gefunden, da die blaue Farbe sich bald der
ozeanischen Tiefendarstellung bemächtigte.
F. Die Schichtlinio und die H(»heiiscliiohtk;irte.
I. Die Schichtlinie an sich.
350. Namen und Wescu der Schichtliuieu. Das wichtigste Bauelement in der
Geländedarstellung ist die Schichtlinie. Für sie hat man im Lauf eines Jahrhunderts
allerhand Namen erfunden. Französischen Ursprungs ist die Bezeichnung Hori-
zontalkurven, courbes horizontales, die bereits Ende des 18. Jahrhunderts in die
Kartenwissenschaft eingeführt ist. Man gebrauchte sie mihtärischerseits bei der Auf-
nahme des Festungsgeländes, wobei nur kleine Terrainstrecken, bei der die Krümmung
der Erde keine EoUe spielte, hypsometrisch festgelegt wurden. Deshalb der Name
Horizontalkurven, die auf Terrainschnitte zurückgehen, die durch Horizontalebenen
erzeugt sind. Die andern Bezeichnungen sind wesentlich später entstanden, wie
Höhenkurven, Höhenlinien, Schichtlinien, Linien gleicher Höhe usw.
Ganz ausgestorben ist die Bezeichnung Isope den -Kurven, die im vertikalen Sinne
immer um eine gleiche Anzahl Füße voneinander abstehen.* Gang und gäbe ist der
Ausdruck Isohypsen-Kurven, deren Punkte sämtlich in gleicher Höhe liegen, ge-
worden, nachdem Sonklar und Ziegler für dessen Verbreitung gesorgt hatten. Von
General J. J. Baeyer wurde Niveaukurven vorgeschlagen, E. Fischers^ und meiner
Meinung nach der passendste, weil logischste Ausdruck, demi die Karten mit solchen
Linien umfassen meistens große Gebiete, wobei die doppelte Krümmung der Erd-
oberfläche nicht unberücksichtigt bleiben darf, und es paßt der Ausdruck Niveau
dann besser als horizontal, auch verlaufen die Linien parallel zum Niveau des Wassers.
' z. B. auf Catena del Ruwcnzori. Sohizzo eseguito sui rilievi della Spedizionc di S. A. R. il
TJiK-a degli Abruzzi. 1:30000. BoUettino della Societa Geografica Italiana. Febr. 1907.
- In der 27. Lieferung der Ausg. von Stielers Handatlas, Gotha 1864.
^ A. Petermann: Die Spezialtopographie des Seebodens tun Nordwesteuropa. P. M. 1864,
S. 1 8. Hier hebt Peteimann auch hervor, daß diese Punktiennanier für den Stecher eine höchst mühe-
volle und langwierige Arbeit bot.
* Das „Isopeden-Relief" von Lößl; s. E. Hammer: Über die Bestrebungen der neuem Landes-
topographie. P. M. 1907, S. 99.
' E. Fischer: über äquidistantc Niveaukurven. Aarau 1869, S*6.
Die Schichtlinie ai. sich. 593
Ifal) die 'rt'nuiiiolo^'ii- für ilie Iiypsometrische Linie so reich ist. will mir iiiciit
ul.s Zufall dünki'ii. Es steckt darin ein reichliches Maß der Wertschätzung^ ihr gegenüber
und das Streben, mit jeder neuen Bezeichnung ihr gesapites We.sen so viel wie möglich
mit einem Wort zu umfassen, denn nicht oft deckt sich Namen und Wesen so auf-
fallend wie in vorliegendem Geländebauelement. Außerordentlich schwer hält es,
sich auf einen einzelnen Ausdruck festzulegen, da eigentlich kaum ein einziger ein
Mißverständnis aufkommen läßt und jeder schon durch den Wortsinn ein eindeutig
definierter Begriff ist. Am liebsten gebrauche ich die Bezeichnung Schichtlinie,
da sich weiter daran ,, Schichtlinienkarten" und ,,Hühenschichtkarten"" sehr gut an-
schließen. Daß es sich bei der Geländedarstellung nur um parallel zur Erdkrümmung
verlaufende Schichthnien und Schichten handelt, bedarf keiner weitern Erläuterung.
Mithin ist eine Venvechslung mit den geologischen Schichten ausgeschlossen und des
weitern mit den Streichlinien und geologischen Grenzlinien. E. Hammer, P. Kahle'
gebrauchen vorzugsweise Höhenlinie. Höhenlinie wird in der physischen Geographie
für Aufrißerscheinungen gebraucht. Auch in der Pflanzen- und Tiergeographie spricht
man von Höhenlinien, bzw. Höhengrenzen. Einen merkwürdigen Vorschlag macht
E. Kohlschütter, ,,für alle Linien, die mit mehr oder weniger Armäherung Punkte
gleicher Höhe verbinden oder Schichten aus dem Gelände herausschneiden sollen,
also Höhenlinien, Isohypsen, Gefällinien, BöschungsHnien und ähnliche ganz all-
gemein Schichtlinien zu sagen. "^ Gelegenthch eines Vortrags über Kolonialkarto-
grajihie habe ich dies schon zurückgewiesen.' So sind, um nur eins herauszugreifen,
die Gefällinien stets solche Linien, die in der llichtung des stärksten Gefälles ver-
laufen, also von oben nach unten; es sind eben Fallmien und nimmermehr Schichtlinien.
Ob unter dem Plural ,, Schichtlinien", ,, Isohypsen" zugleich die Aquidistauz
der Linien zu verstehen ist, erscheint nicht immer klar, wemi es auch von vielen
als sicher vorausgesetzt wird. Auf jciUn Fall ist es kein Fehler, wemi die Gleich -
abständigkeit besonders betont, bzw. in iler Legende bekundet wird, demi wir
werden sehen, daß es genug ls()hy[iseid\arten gibt, die keine Aipüdistanz der Schicht-
linien bewahren.
Das We.si'u der Schichtlinie wird noch besser iTfuüt, wenn wir sie in (iegen.satz
zur Schraffe und verwandten Darstellungsmitteln bringen. Schraffe, Schummerung
und Punkt können ästhetisch und anschaulich vollkommen befriedigen, nicht jedoch
wissenschaftlich, hinwiederum die Schichtlinie wohl wissenschafthch, nicht aber
ästhetisch-anschaulich. Um anschaulich und ästhetisch zu wirken, mußten die erst-
genannten Darstellungsmittel eine lange Zeit der Entwicklung durchlaufen und dazu
verschiedene Methoden und Manieren erfinden und erproben, wol)ei auch eine wissen-
schafthche Anreicherung nicht leer ausging, dagegen war die Schichtlinie von vornherein
der graphische Ausdruck eines wissenseiiaftlichen Prinzips, das nur ein Übriges voll-
bringt, wenn es sinnliche und ])lastische Wirkung erstrebt. Es brauchte nicht nach
einer |)aist(lluiigsf(inii /u ringen, sie war in der i;inie gegeben.
' P. Kahle begrüiulot vom );coK>)?i!<chcii Slaii(l|>mikt luis ilio Bczcichiuinp „Höhenlinie".
Vgl. (!. A. I!»2(>, 8.220, Amii.
- K. Kohl.schüttcr: Triangulation und .Mcßtischiiufnahnic ilct l'kinjjajjcbirgc.s .stiwic all-
j;<Micinc Homcrkuni^cn über koloniale toiKJUiuphische Karten. Mit. aus il. Deut.wh. Sehut7,^!el>iet. XXI.
Herlii. 1<)08. S. Klil.
' .M. Kckert: Die «leut.sche Kolonialkartographie. \crhamllirii. des Deutsch. Kolonialkoncrosses
l!H(l. Berlin Uli», S. 4:t.
Kckurt, KurteuirlMonscliari. I. '"^
094 Hie \vis.-<enscliat'tlii'lion Gnincila{;cu ilcr GcliiiKlodiii-strlluns.
:{.")I. Foriiiliiiioii. Die liöliciilinie is( nii-lil die Ucjiriiscntautiii riiics absoluten,
suiuliTü mir t'iiifs niittlmi Höhenwertes, f,'cliiiulen aus mehr oder mind(>r zahlreich
bestimmten Hühenkoten. Daran wird gew'üinilicli nicht gedacht, wenn man sie kurz-
weg als Kurve, die gleiche Höhen verbindet, definiert. ^ Von der Anzahl der gemessenen
Höhenwerte wird die Genauigkeit der {Schichtlinien und in weiterer Folge die Genauigkeit
der Karte alihängen (s. weiter unten). Es müssen eben, wie A. Petermann schon 1864
sagte-, den Isohypsen ,,vür allem sehr viele und genaue Höhenmessungen zugrunde
hegen, wenn sie nicht bloße jihantastische und irreführende und nutzlose Linien sein
sollen". Läßt sich der Linienzug nicht einigermaßen zahlenmäßig festlegen, verdient
er nicht (lie Bezeichnung Isohypse oder Schicht liiiir: er wiederholt ganz allgemein
die J'\)rnu'n des Geländes, wobei er sich weniger auf lluhcnnahlen als auf Autopsie
stützt. Zuweilen ist diese Geländedarstellun;^' zur nimi) Manier bei umfangreichen
Kartenwerken ausgeartet. Trotzdem verniai; sie ilwas Gutes zu leisten, wie wir an
den deutschen Kolonialkarten von Paul Siaigadc und Max Moisel sehen, die aller-
dings wegen ihres härtern Charakters F. Hahn als ,, Berliner Typus" im Gegensatz
zu dem dem Auge wohltuendem ,, Gothaer Typus" bringt. ^
Erfreulich ist, daß neuere Eeiscudc bei der Bezeichrmng der horizontalen Jjinien
ihrer Karten recht vorsichtig geworden sind. K. Öapper spricht auf seiner Höhen-
schichtenkarte von Neuhannover und der von Süd- und Nordneuraecklenburg*
von dem ungefäliren Verlauf und dem vermuteten ungefähren Verlauf der Höhen-
kurven. Auf der Höhenschiclitenkarte der Gajo- und Atlasländer von W. Volz steht
an der dünnen Linie ,, approximative Höhenlinie" und an der dickern „keine Isohypse".^
Für alle diese nach der Natur skizzierten oder nachträglich an der Hand spärhcher
Höheiiiiufnahmen konstruierten Höhenlinien, die man als Pseudoisohypsen auf-
fassen kami, gebrauchen wir heute den Aus(h\ick Furnilinien. Früher hatte ich
vorgeschlagen, dafür ,, Geländekurven" zu suli n'', \\:is auch auf verschiedenen deutschen
Kolonialkarten, die P. Sprigade und M. Mi.i^ I In i,iii~L,'egeben hatten, befolgt wurde.'
Indessen bin ich auf den von mir auch gebiaucliteu Ausdruck ,, Formlinien" zurück-
gekommen*, zumal ich darin durch E. Hammer bestärkt wurde, der mir schrieb
(20. Januar 1911), daß er selbst schon seit Jahren die Bezeichnung „Formlinie" ge-
1 Über HölR-iikiiivcn, die diivkl in der Ntitur aul'^'ciic.mmen wuidcii, v^l. oIh'Ii S. 2:!0.
- A. Pcti-nnann; Neue Karte v. d. britiseh. Inifeln und dem uinliegenden Meeic. P. M. 1804,
S. 17.
■' 1-". Halm; I. d. HesiMechuiig des „Großen Deutsehen Koloniaiatla»-' in P. W. l'Jü2. LJ5. 303,
S. 'J3. — Vgl. weiter meine Ausführungen über die deutsche Koloniaikartographie, S. 247, 248.
■' K. Sapper: Höhenschichtenkarte von Neuhannover. 1:100000. Höhenschichtenkarte von
Süd- und Xordneumecklenburg, 1:200000. Mit. aus d. deutschen Schutzgebieten. Ergh. 3. Berlin
1020.
■'■ \V. Vol/,: Karte der (Jajo- und Allasländcr. 1:400000. Beilage zu Xurdsiuiiatra. II. BerUn
1012.
0 M. Kckcrt, a. a. O., S. 4:>. O. Krünimcl und .\I. Eckert: Geograpliisches Praktikum.
U'ipzig 1908, S. 29.
' Auf der Karte von Kanieiiin, I :30000ü, die .M. .Moii^cl herausgegeben hat, heißt es: Terrain-
darstellung in Gelandekurven, nicht Isoliypscn. Auch auf andern Karten lehrt dicH' Bemerkung
wieder.
* 0. KrUmmel und M. Eckert, a. a. O., S. 39. - Auch ist die kür/.eic Bezeichnungsweise
„Formlinic" der längern „Formenlinie" vorzuziehen, die man verschiedentlich angewendet findet,
BobeiFr. Jäger, derauf seiner Karte vom Hochland der Riesenkrater in Deutsch-Ostafrika, 1:150000,
schreibt: ,, Gelände in Formenlinien, Formenlinicn schematiseh angegeben."
Die ScliiL-litlini.' an sich. 595
brauclu-, uiul der Ausdruck „üeliindckurvy" zu leicht mit der oigi-iitlicliuii Geländc-
kurve oder Höhciikurvi' verwechselt werden könne. In wesentlich anderm Sinne
wird die Bezeichnung „Formlinie" in der niedem Geodäsie gebraucht (Wiener Schule),
unter der man die Kurven versteht, in denen sich zwei benachbarte Flächenteile der
topographischen Fläclu', die im Kaume verschieden gerichtet und geneigt sind,
schneiden.^ Gewiß sind diese Linii'n für die Bodenform charakteristisch, aber sie als
Formenlinien zu bezeichnen ist durchaus nicht zu empfehlen; ich nenne sie Trans-
versallinien oder Schräg- bzw. Querlinien. Den Ausdrücken Schätzungsisohypse
von Kohlschütter oder Gefühlsisohypse, unter andern von C. Uhlig, K. Peucker ge-
braucht, kann ich keinen Geschmack abgewinnen. F'ormlinie bleibt immer noch die
bessere Bezeichnung, wenn man sich auch nicht ganz des tiefühls erwehren kann,
ilaß damit auch Aufrißelemente der Geländedarstellung bezeichnet werden köimen.
Das mochte auch A. von Böhm empfunden haben, als er sich gegen den Ausdruck
Formlinie wandte-, tler ganz in unserm Simie in der Pbysiogeographie von W. W.
Davis und G. Braun wiederkehrt.* v. Böhm will lediglich die Bezeichnung Isohypsen
gelten lassen, denn auch die sog. Forndinien sollen jedenfalls Isohypsen darstellen;
darum ist es nicht gut, auf Grmid einer uiidefiuierbariii Genauigkeitsgrenze be-
grifflich zu unterscheiden.
In Böhms Ausführung steckt zweifellos ein richtiger Kern. Des^enungt.'achtet
verdienen diejenigen Linii'n, die auf der untersten Stufe der Entwicklung der Iso-
hypsen stellen, i'inen Ijesondern Namen. Nun ist es richtig, daß zwischen den Form-
linien und den Isohypsen nur ein gradueller Unterschied besteht, da ja der ideale
Isohypsenbegriff nur auf sehr großmaßstabigen Karten verwirklicht werden kann,
nicht aber auf den meisten Karten, die als Isohypsenkarten gelten, verwirklich! ist.
Immerhin ist bei aller Verwandtschaft der Unterschied zwischen Formlinie und Schicht-
linie so groß, daß t'r von dem Geographen wirklich empfmiden wird und di'shalli eine
besondere sprachhche Differenzierung erheischt. Allerdings uKichte ich wiegen der
undefinierbaren Genauigkeitsgrenze der Isohypsen auf chorographischen Karlen und
topographischen Übersichtskarten nicht empfehlen, weiter noch i)egrifflich zu diffe-
renzieren, so wie es Kohlschütter getan hat. Er unterscheidet zwischen wahren,
genäherten und Schätzungsisohypsen. Unter den genäherten versteht er diejenigi-n.
,,die auf der Karte zwischen einer großen Anzahl wirklich eingemessener Höhenpunkle
oder durch die Aufsuchung von Punkten gleicher Höhe im Gelände und ihrer Kar-
tierung entstehen, während der Anblick des Geländes selbst bei ihm- Konstruktion
i'in vielfach nicht unwichtiges, aber doch sekundäres Hilfsmittel ist." Unter ileii
Begriff der genähi-rten Isohypse fallen eigentlich sämtliche Isohypsen, wie wir sie
bisher in der Geographie und Kartographie zu beneimen gewohnt sind: jeder Sacii-
verständige weiß, daß der Genauigkeitsgrad nur als ein genäherter iiezeicluiel werden
kann, oder wie ganz richtig die Franzosen auf ihri'n Plan directeur in 1 : 'iOlMU)
schreiben: Les courbes de niveau n'ont (|u'une valeur approximative. Auf den
deutschen ( ojiogra pliischen Karten ist es nicht Brauch geworden, den api>ro.\i-
mativen Wert der Isohypsen liesonders zu lietonen. Man weiU. ilaß es mit
l.r ni.'diTii (Md.lii.sic; (oitufM't/.t \. .1. Wnsl I.T. iim-
Wi.n litllt. S, ULM.
nm l.folpnd.n Wrikcs (.\l.ii.. :i) i. l". M. Wm. \.U. II.
iigr (In I'hy-i"i.'ii>Knil>liii'. lii'i|>/.ij! ii. H»'rlin 1!U1, S. JVl.
3S*
«Fr,
irboiU't 1
, Hartix
,on K.l.
rv: Man
1. 1(1.
L.'lii'l>
ge«
l>ol.'2a
Aufl.
•! A.
V. n<,Uu
1 l>.'i (l<'i
It< ^.pi
.(■Iniiii;
S.
15.x
' W.
M. Das
isiiikI (
;. I{ra
Uli: llr
596 I-*ic wissciiscluit'tlichen Grundlay:eii der Geliimli'drtrsU'lluug.
wenigen Ausnahuii'n (s. S. 23ü) keine wahren Isohypsen gibt, wozu das Negative
besonders betonen? Nach dem heutigen Stand der erdkundHchen hyjjsometrischen
Forschung ist das ,,Walir" noch reichüch relativ, weshalb schon am besten ist. es
vorderhand ganz wegzulassen, da es selbst als Epitheton ornans wenig Wert hat.
II. Zur Kritik der Schichtlinien.
352. Die Schiehtlinieu kleiumaßstabiger Karten. (Geographische Kritik.) Emp-
fehlenswert ist es, zwischen geographischer und geodätischer Kritik der
Schichtlinien zu unterscheiden. Letztere hat es mit der Genauigkeit der Schicht-
linie auf topometrischen Karten, also auf Karten in katasterähnhchen Maßstäben
zu tun, und wir haben sie, da sie für Geographie und Kartographie auch von Be-
deutung ist, zum mindesten allmählich an Bedeutung gewinnen soll, bereits einer
eingehenden Würdigung unterzogen (s. S. 231 ff.)- Auf den topographischen Karten
kleinern Maßstabes und auf chorographischen Karten hat die Isohypsenuntersuchung
besondere Wege und Methoden eingeschlagen, so daß wir berechtigt sind, von einer
geographischen Kritik zu sprechen. Sie wird uns auch noch in den folgenden
Kapiteln beschäftigen. Das Schwergewicht legt die geographische Kritik, wir können
bald sagen: geographische Methode, darauf, zu untersuchen, wieweit der Linienzug
der Isohypse auf Grundlage verschiedener Höhenmessungen als richtig anzusehen
ist, wieweit es der Schichtlinie möghch ist, sowohl den allgemeinen Aufbau wie die
Sonderformen des Geländes zu erfassen und wiederzugeben, in welchem Intervall die
Schichtlinien aufeinanderfolgen und welches die zuträgliche Äquidistanz bei einem
gegebenen Terrain und einem gegebenen Maßstab ist und damit zusammenhängend, bis
zu welcher Dichte die einzelnen Schichtlinien zusammengeschart werden können.
Daran schließt sich die Untersuchung über die Möglichkeit des Beitrags der Schicht-
linie zur Plastik des Geländes.
353. Schichtlinieukarteu erster und zweiter Ordnung. Für die großmaßstabigen
Karten hat man Gesetze aufzustellen versucht, die den Lauf der Linie als den Mittel-
wert aus einer Reihe von Höhenzahlen festlegen. Die Schichtlinien auf den choro-
graphischen Karten sind nur teilweise so entstanden. Wo für unbekanntere Gegenden
wenige Höhenzahlen vorhanden sind, wird es dennoch versucht, mit ihrer Hilfe ein
hypsometrisches Bild zu erzielen. Es ist das gleiche Verfahren, wie es uns in der ersten
Schichtlinienkarte Europas von Bredstorff und Olsen aus dem Jahre 1824 vorliegt.
Diese so geschaffenen Karten sind durchaus Originalarbeiten erster Ordnung. Solche
zweiter Ordnung sind die Schichtlinienkarten, die durch Generalisierung vorhandener
Schichtlinienkarten größern Maßstabes in solche kleinern Maßstabs überführt werden.
Das ist eine fast gleich schwere Arbeit und erfordert einen Geographen, der die Karten-
technik versteht, oder einen geographisch gut durchgeljildeten Kartographen. Darum
spreche ich von einer Originalarbeit zweiter Ordnung (s. S. 23). Bei den choro-
graphischen Schichtlinienkarten liegen uns jetzt zumeist Originalarbeiten zweiter
Ordnung vor, bei deren Erstellung noch der Schwierigkeit der Bearbeitung des
zumeist verschiedenartigen Schichtlinienmaterials gedacht sein mag. Die geplante
Weltkarte in 1 : 1000000 zeigt das Gelände in Schichtlinien. Das, was ich bis jetzt
von dieser Karte kenne, hat bei mir noch nicht den Eindruck einer guten Isohypsen-
bearbeitung erweckt (s. S. 111).
Zur Kritik dir Soliiehtlinieii. 597
354. Das Genaiiigkcitsmaß bei cliorographisphon .Srhirhtlinieukarlpii. Besonders
schwierig ist es, für die Schichtlinie der chorographisehen Karte das Maß zu begrenzen,
wo es heißt: jetzt ist sie im großen und ganzen als genau anzusprechen. Das wird
sich ebenso nach dem Maßstab wie nach dem Stand unserer Kenntnis irgendeiner
(legend richten. Freilich kann man der Genauigkeit auch hier mathematisch zu
Leibe rücken und sagen, daß die Linie genau festgelegt ist, wenn ein Linienelement
von gegeliener Länge durch /(-Punkte bestimmt ist. In Anlehnung an die Berechnung
der durchschnittlichen Entfernung der Nachbarpunkte (vgl. Tab. auf S. 232) könnte
man die Eeihe fortsetzen liis zu kleinen Maßstäl)en. Entfällt z. B. 1 Höhenpunkt
auf 1 qkm, ist die durchschniftlicbi' I'^ntfernung der Punkte im Maßstab 1 : 25000 =
40 mm, in 1 : 100000 = 10 nun, in 1:1 000000 = 1 nmi. Würden bei dem letztern
Maßstabe 4 Punkte auf 1 qkm entfallen, wären sie durchschnittlich Vs Di"^ entfernt,
also graphisch noch gut darstellbar. Das würde die gleiche mittlere Entfernung sein,
die die Punkte in 1 : 2000000 hätten, wenn 1 Punkt auf 1 qkm käme.
Würden wir praktische Kartographen fragen, ob ihnen mit solchen mathematischen
Eegeln gedient ist, bin ich sicher, daß sie ,,nein!" antworten. Denn für den Aufbau
vieler derartiger Karten fehlen manchmal auf zehn und mehr C^uadratkilometer ein-
wandfreie Höhenmarken und trotzdem wird ein hypsometrisches Bild geschaffen,
das uns die Massenerscheinungen der orographischen Gestaltung gut veranschaulicht
und zu tiefen Studien anregt. Hier geben eben gute geographische Kenntnisse,
mancherlei Erfahrungen bei der Geländeaufnahme, auf Studienreisen und in der
Studierstul)e und die Intuition den sichern Weg der Geländedarstellung. Noch weniger
würde es sich lohnen, die Höhengrenzfehler und die Lagegrenzfehler zu liestimmen,
wie wir es für die großmaßstabigen Karten angegelien haben (vgl. Tab. auf S. 23.5).
Gewiß hindert nichts, diese Art Berechnung auch für kleinere Maßstäbe durchzu-
führen; aber was wird mit ihnen gewonnen? Nichts! In Spitzfindigkeiten würden
sie ausarten und die praktische Kartographie ging leer aus. Wir folgen E. Hammer
ganz gern, wenn er sagt, ,,daß im allgemeinen die Höhenlinien um so mehr an Wirk-
lichkeit einbüßen, je kleiner der ^Maßstab dei Karte wird'".^ Man kann ilnn aber nur
))edingt folgen, wemi er hervorhebt, daß für Übersichtskarten in 1 : 500000 ..die
Höhenlinien meist nicht mehr viel nützen"; doch fügt er gleichsam sich selbst ver-
bessernd hinzu, „wenn nicht etwa die Darstellung der Höheiischichten der einzige
oder hauptsächliche Zweck der Karte ist". Auch erscheint mir die Wahl der Schicht-
linien für die Geländedarstellung auf der Übersichtskarte des Deutschen Reiches in
1 : 200000 nicht so unglücklich, wie er annimmt.
L. Aegerter, dessen Schichtlinien wir auf seinen .Mpenkarten Ijewundern sowohl
in der Zeichnung wie in der Brauchltarkeit im Gelände, spricht außer von ilen trigono-
metrisch gewonnenen nöheni)unkten von untergeordneten Höhenbestimmungen. die
dazu dienen, das Terrain in Höhenschichten darzustellen. Mit Hilfe des Hi>chen-
schiebers löst er Ijequem und rasch die Rechnung auf graphische Art. ..Hat man (auf
diese Weise) eine genügende Anzahl solch(>r Terrainpunkte fixiert, so zieht man nacii
Naturbeobachtung die Linien, welche den Charakter d(^s T(>rrains bestinnnen. Es ist
meines Erachtens eine verfehlte I\Ianier, wenn, wi(> es leider noch bei den öster-
n>ichischen Präzisionsaufnahmen geschieht, die Höhenlinien, die das l'harakteristische
der Landsciiaft ausdiiickcn solliii. iist im Bunan diiicb einfache Interpolation
598 I^ie wissonsfliut'tlicben (Ji-uiuiliigrn der Geläiuli'diirstcllunf;'.
zwisclien den Höheupunkten hindurch gezogen werden. Mögen diese Punkte noch
so dicht beieinander stehen, es bleiben noch Tausende von Möghchkeiten^, eine Linie
dazwischen zu ziehen, die scheinbar der mathematischen Wahrheit entspricht, in
\Virkhclikeit aber von einem feinern Gefühl im Vergleiche mit der Natur als falsch
erkannt wird."^ In dieser Eichtung habe ich bereits mein Einvernehmen mit Aegerter
betont (S. 238). Die Kleinformen, die unter Umständen sehr charakteristisch für
eine Landschaft sind, können am l)esten nach der Natur entworfen werden. Die reine
Zimmerarbeit übergeht zu leicht die kleinen Furchen und Risse, die Vorsprünge und
Ecken, die kartographisch zunächst belanglos erscheinen, morphologisch jedoch von
großer l^cdoutung sind.
355. Das fopograpbische Unvcrniösen der Schiehtliuie; ihre uinuiliir;ieniäße Dar-
stellung. Das muß auch an dieser Stelle Itetont werden, daß es der Schichtlinie nicht
immer möglich ist, jeder Geländeform gerecht zu werden. Das Unvermögen liegt teils
in der Linie an sich und teils in der Linienführung begründet; denn es ist ausgeschlossen,
daß sie jähe Abstürze, scharfe Risse darzustellen vermag; und nur zu oft nehmen wir
wahr, daß einer harmonischen Linienführung zuliebe mehr auf die äußere schöne Form
als auf die innere herlje Wahrheit der Natur geachtet wurde. Zuweilen kommt es
^■or, daß Isohypsen und auch Formlinien zu schematisch gezogen sind, daß man mit
Recht bezweifelt, in ihnen eine Widerspiegelung der natürlichen Verhältnisse zu
erblicken; nichts mehr als eine rohe Wiedergabe der Massenerhebungen findet statt. ^
Gesellt sich dazu ein Höhenschichtenkolorit, erscheint elien die ganze Terraindar-
stellmig als ein bequemes Mittel, ein großes Kartenblatt zu füllen. Wir wollen damit
die Freude manchen Autoren an ihren Werken nicht vergällen. Leider versäumt aber
die Ivi-itik im Anblick der gut reproduzierten Karte oder im Hinblick auf einen in der
Wissenschaft wohlkhngenden Namen den richtigen Standpunkt einzunehmen. Ge-
wöhnhch sind es eben nur ,, Gefühlsurteile", wie E. Hammer ganz richtig sagt*, wenn
nicht gar voreingenommene und i)arteiisch gefärbte. Denn wir erfahren im allgemeinen
durch sie nichts über die Genauigkeit der Zeichnung, wohl al>er über den mehr oder
minder „plastischen Eindruck" der Geländedarstellung und alhnfalls noch etwas
über die Lesbarkeit der Karte, über den Innern Gehalt schweigt man sich völlig aus.
Kritik und bessere Kenntnis der geographischen Verhältnisse haben endlich
l)ewirkt, daß dem Isohypsenzug eine sicherere und naturgemäßere Führung als vor
.lahrzehnten gegeljen wurde. Zieglers Wirken scheint nach dieser Richtung hin doch
nicht ganz fruchtlos gewesen zu sein (s. S. 214). Von Natur aus scheinen die Fran-
zosen vorzugsweise begabt, den Schichtlinien einen besonders schönen Schwung zu
verleihen, allerdings oft bedenkhch auf Kosten der Wahrheit. Die Linie artet nicht
selten, und das nicht liloß bei den Franzosen, sondern auch liei allen andern isohypscn-
' Hier hat Aegerter den Mund etwas voll genommen, wenn es auch Tatsaclie ist, daß zwei
veisehiedene Zeiehner zwischen gleiclion Höhekoten Schichtlinien von erheblieh voneinander ab-
weichender Gestalt konstniiercn können, worauf übrigens schon H. Barth in seiner „Theorie der
J?ezeichnung in Verbindung mit Geognosie", Stuttgart 1853, hingewiesen und auch an einem Beispiel
nachgewiesen hat.
= L. Aegerter: Begleitworte zur Karte der Brentagruppe. Z. d. I). u. 0. A.-V. 1908, S 82.
' ■/. B. K. Sapper: Karte von Westsalvator und v. Süd- und Wcsiguatcniala. -- Karte der
Izako -Vulkane. Beide Karten in P.M. 1904. Taf. 14 n. I."..
* K. Hammer, a. a. O., S. 99.
Vaw Kritik der Scliiclitliiiifn. 599
zeichnenden Völkern, in eine Manier aus, die Bofjen an Bogen reilil und die wir al>
„Jjeljerwurstmanier" geißeln. ^^ An der Form des Lsoliypsenzuges erkennt man die
Tüchtigkeit und das gediegene geographische Wissen des Kartenzeichners. Gerade
die Schichtlinien sind geeignet, die hauptsächlichsten Erosionsformen, wie Tal-
einschnitte, Taltrüge und die verschiedensten jungem und altern Erscheinungsformen
in der Verebnung der Erdoberfläche zu charakterisieren. Das gehört zu den ersten
und wichtigsten Anforderungen an jede topographische Schichtlinienzeichnung, und
nicht die Harmonie der Isohypsen untereinander und die hierdurcli bedingte Kon-
formität. wie B. Schulze* und mit ihm die meisten Tojjographen meinen, (iewiß ist
die Bedeutung der Harmonie und Konformität der Scliichtlinien gar nicht zu leugnen,
und in ihrem Wesen als vergesellschaftete Linien liedingt, aber die Anähniichung
darf nicht auf Kosten der Wissenschaftlichkeit gesdiehen.
Daß die Schicht linienzüge in ihrer harmonischen Anordnung auch ästhetisch
l>efriedigen. ist wiederum ein sekundäres Moment ihrer Bedeutung. Aber auch hierbei
darf die Wiedergabe der charakteristischen Formen des Geländes nicht vernachlässigt
werden. So kann man beispielsweise in einem Kartenterrain nur beschränkt nind-
bogige Isohypsenlinien ziehen. Vor längerer Zeit Jiabe ich selbst versucht, bei einem
solchen Gelände, wie es das Gottesackerplateau in der Ifengruppe im Allgäu darstellt,
durch eine zackige Schichtlinienführung das Karrengebiet gegenül)er dem benach-
liarten Gelände herauszuheben.' Doch sei bei neuern Karten mit knittrigen und un-
ruhigen Schichtlinien recht zur Vorsicht gemahnt, da sie leicht den Eindruck großer
Genauigkeit vorzutäuschen geeignet sind.* Ganz verfehlt ist ein zittriger Linienzug.^
356. Schichtliiiienabstand und Böschungswinkel. Die Schichtlinie hat an sich
wenig Selbständiges. Als Einzellinie geht sie ül>er die Bedeutung einer bloßen Höhen-
grenze kaum hinaus mid als Individuum per se wird sie von den Kartograi)hen nur
in besondern Fällen angesprochen imd dementsprechend in der Sonderführung be-
handelt." Doch ist sie in der Hauptsache vergesellschaftet, zusammengeschart zu
denken; verschwistert mit andern Schichtlinien erhält sie Wesen und höhere Be-
deutung. In der Vergesellschaftung oder Scharung wird sie einmal zu einem Form-
element und sodann zu einem Maß für die Böschungswinkel. Eine weitere Folge ist,
daß man von der Projektion der Schichtlinien in die Horizontalebene als von dem
geometrischen (irundriß des Geländes spricht; dann müssen aber auch die Schicht-
linien immer genauer in ilirem Verlauf werden. Und hier ist das Mittel gegeben,
alluiiililieh eini' au l'lianlasie reine Cielände/.eielinung zu erhalten.
' Vgl. O. Krümmol u. .M. FIckert, a. a. O., S. 2.5, 2ß. — Rfispiclc für die Lebcrwiirstmanicr
Kiht es in Hülle und Fülle; scIbHt IVtermann» geop-apliisohe Mitteilimgen liefern Beispiele hieryu. wie
/.. B. A. PeU-nnanns Karte (P.M. 1873. Taf. 3) 7.u Livingtones Reisen in Innerafrika ISfiti 72 nn.l
Sliinleys Heise /.um Tanganjika 1871 72, nebst f^liersieht der Hiihenverliiiltnisi-o in 1 :."iOtt(1(KK>.
- Br. Sehulze: Die militSriai-lien .\ufnalimen. I^ipzig inid Berlin I110.S. S. ISI.
^ M. Eckert : Karte der Ifengrupi«'. Itr.OOOO. Das Coltesmk.Mliiatrnu. Wiss. Krg. Hefte d. Z.
d. 1). u. Ö. A.-V. Innsbruck I!)(t2. S. :;.
' K. Hammer, a.a.O.. S. !t!t.
•■' Hierher ;;ehiMt /,. M. K. (; 1 1 ssi n L-r: Ti.fcnk.u (.■ des \V<iß(nM-.s in Kiirntlien. P. M. 1S'.12.
Taf. 12.
« So vorzugsweise auf großinaUstubigeii Kaitcii. l:2.'>0tHM) und gniUei. wo (>s sich um genaue
geologische Aufnahmen oder \\n\ die Aufnahme von Hiihenlinien auf twhnischeii Karten (für Verkehrs-
anlagen. Stadtenveiternngen usw.) handelt. Vgl. P. Kahle: Betrachtungen 7.u Hdhenlinienkarten.
O. A. 1920, S. 22.">.
600 Hii' wissonscliaftlicluMi OruiidUiofii der GeländodarftoUims.
Der Böscliungswinkol ist nur von Kartenknndigen und im Kartenlesen sehr
Bewanderten aus dem Schichtlinienbild schnell zu lesen. In der Eegel l)edarf es dazu
der Berechnung des Profildreiecks, das auf Grundlage der Schichtlinien, die in gleichen
Höhenabständen einander folgen, gewonnen wird. Die Höhenabstände oder die Ver-
tiknlentfernung der IsoJij-psen ist die Schichthöhe h, also die eine Kathete des Dreiecks,
und die Entfernung der Schichtlinien im Grundriß oder im horizontalen Sinne (mit
dem Zirkel im Simie des Schraffenverlaufs gemessen) die andere Kathete a. Wrnu 7'
der Boschungswinkel ist, dann sind
A^-tgy, /,=«tg9., "=TgV ""'^
^=^ctg,F, n = h.ctg<f: ''=etj^-
/( ist eme gleichbleibende Größe, die von vornherein normiert wird, entweder
zu 5, 10, 20, 25, 50 m oder in sonst einem Maße. Wir sprechen alsdann von derÄqui-
distanz der Schichtlinien. Innerhalb der festgelegten Äquidistanz sind a und 99
veränderliche Größen. Beide stehen in reziprokem Verhältnis zueinander: Je kleiner
a wird, um so größer wird Winkel cp und umgekehrt. Die verschiedenen Entfernungen n,
also a, O;,, a^, a^ usw. verhalten sich zueinander wie die Kotangenten der Neigungs-
winkel 95 (s. obige Formeln). Mit diesen mathematischen Formeln und Ableitungen
werden Fragen über die Gestaltung des Geländes, wie Höhe, Lage, Form, Ausdehnung
und Lage der Neigungswinkel erschöpfend und genau beantwortet. Immerhin ist das
l'^^ntnehmen der Neigungswinkel aus der Schichtlinienkarte etwas innständlieh. Die
zwischen den Schichtlinien gezogene Schraffe leistet in dieser Hinsirlil Imsx ic Dii nslc,
da bei ihr noch das Verhältnis von Weiß zu Schwarz die Ansch.iining unicrstützt,
was schon seinerzeit E. v. Sydow mit den Worten zum Ausdruck brachte: „Du Carla
liefert das zwar schmucklose, aber scharf bestimmte Gerippe, Lehmann das Gewand
zur Erleichtenmg des schnellern Auffassens der Form"^; oder wie wenige Jahre
später V. Eüdgisch: ,,Die Bergstrichmanier gibt die Formverhältnisse sehr deutlich
und schnell verständlich; die Höhenverhältnisse sind nicht von vornherein zu er-
kennen; die Böschungsverhältnisse sind genau zu erkennen. Die Horizontalmanier
gibt die Formverhältnisse nicht auf den ersten BHck verständlich; die Böschungen
sind nicht unmittelbar zu erkennen, aber mittelbar aufs genaueste; die Höhenver-
hältnisse lassen sich genau erkennen." ^ Die gleiche Melodie kehrt in den verschiedensten
Varianten auch heute wieder.* Dem Übelstand der Schichtlinienkarte zu begegnen,
hat dazu geführt, nach der Formel tg (p = h/a den Böschungsmaßstab zu kon-
struieren und der Karte beizugeben. Wo er fehlt, läßt er sich jeder Zeit sonder Müho
neu entwerfen.* Nicht jeder dürfte wohl S. Simon beistimmen, der in seinen Alpinen
Plaudereien^ ausführt: „Da wir für Distanzen ein ungleich viel besseres Schätzungs-
vemiögen haben als für Töne, so ist es viel rationeller, die jeweilige Knr\endista,nz
als Böschungsmaßstab zu benutzen, als den Schraffenton."
' E. V. Sydow: Drei Kaitcnklippcn. (i. J. T. Gotha 186f., S. .X'-4.
- V. Rüdgiscli: Die Bergzeichnung auf Plänen. Metz 1874, S. 38.
^ Vgl. K. Peucker: Schattenplastik und Farbenplastik. Wien 1898, S. .'i.
■* Seine Anfertigung •»■ird in verschiedenen Schriften behandelt; klar und gut ■/.. B. bei Hr.
Schulze: Das militärische Aufnehmen. Leipzig und Berlin 190.3, S. 176-178. Vgl. aui li H. Kcrp:
Die erdkundlichen Raumvorstellungen. Berlin 1899, S. 27 "0.
•■ S. Simon i. Z. d. D. u. Ü. A.-V. 189.3, S. .•58.5.
Zur Kritik der Schiclitlinien.
601
357. Die Äquidislanz der Sehichllinien auf Ilochgebirgskarten. Die Entfernung,
insbesondere die Aquidistanz, ist von ;mßeronleiitlicii( r \\icli(if,'keit für das gesamte
Kartenbild. Mit ibr liescbäftigte sich A. Penck ausführlicher, um gewisse Leitlinien
für die Kritik der Hochgebirgskarten zu finden, was ihm für seinen Zweck ganz gut
gelungen ist.i Ich selbst habe das Problem mathematisch allseitiger angefaßt und
dabei Eichthnien für alle Arten Geländekarten g(>funden. Doch bleiben wir zunächst
bei Penck stehen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß Penck durch Peuckers
Ausführungen wesentlich angeregt wurde, wenn es auch in seinen Darlegungen nicht
so direkt zum Ausdruck kommt. K. Peucker hatte ähnliche Gedanken früher gebraclit.
In vorliegendem Falle eriimere ich an seine Ausfühning über die Schichtlinie als
Schattenelement, als oi)tisch wirkendes Darstellungsmittel.- „Schon die Linie als
solche ist ein geometrisch-optisches Dai-stellungsmittel." Penck geht nun von der
bekannten praktischen Erfahrung aus, daß 3—4 Isohypsen innerhalb einer 1 mm-
Entfernmag gezeichnet werden können. Im Maßstab -y^ ist 1 mm = — j^ ™.
Bei einer Böschung von 60", die im Hochgebirge nicht selten auftritt, i>t 1 mm =
,,„,„- m . tg 60" = ——„ -l/S m. Werden 3 oder 4 Schichtünien auf 1 mm an-
lUUU 1000 '
genommen, ist der vorstehende Wert mit 3 bzw. 4 zu dividieren, und man cihält
• 5,77 und .^r^ • 4,33. Mit Hilfe dieser Wi'rte, wobei Penck 5,77 auf ö und
4,33 auf 4 abrundet, wird für einzehie Maßstäl)e die Minimaläquidistanz einer Hoch-
gebirgskarte berechnet, ., falls man Böschungen von 60" gerade noch darstellen und
solche von 45° l)e(iuem lesbar machen will". Um dies genau festzustellen und
besser zu veranschaulichen, muß man schon die Keihe für 45" Neigung noch hin-
zufügen; ich gebe im folgenden die genauem Werte:
Maßstab
1
1
25000
löööö
1
1
1
1
1
1
10000
75000
80000
100000
200000
500000
1000000
Böschung8-f60»
Winkel 145»
4.3
10,8
21,7
32,5
34,6
•43,3
86,6
216
433
:!,;{
8,3
16,6
25
26,6
.13,3
66,6
166,6
333,3
Mittelwert
3,8
9,6
19,2
28,7
30,6
38,3
76,6
191
383
Abgerundeter 1
Mittelwert \
4
10
20
30
32
40
80
200
400
Im großen ganzen läßt sich erkennen, dal.l die Penck.-icben Werte, die in drr
letzten Zahlenreihe wiedergegeben sind, gut abgerundet erscheinen bis auf den Maß-
stai) 1 :H000ü, wo es 30 statt 32 beißen muß (l)ei 1:75000 alsdann -is). Doch mi(
der Wiedergabe einer einzigen Beihe, die sich auf die Böschung tUl" bezieht, wie es
also Penck getan hat, wird eine Hochgebirgskarte in Schichtlinien nicht (erschöpfend
beliandelt, die W(>rfe von 45" und 30" Neigung müssen unbedingt mit in Perechnung
und iM-örterung gebraclit werden.
:tr>S. IMe VeniaclilüssipiUKswerte der Gleicliuhstiiiidi!;keit |<ileicheiitferinin!;). i>i<
Berechnung des kleinst nmgliehen Isoiix pscnabslandes lial Xeignngswinkeb llnh.'.
' .V. Penck: Xouc Karton und Holicf« der Aljion. r^eipzig HHM. S. 70 72.
- V(.|. K. Pcuckor: Scliattpnpla.xtik und Farbonplastik. Wien IKim. .S. .Iff. Divi
.u di'i llicMctisilirn Knilo^rmpliir. C 7.. 1002. S 147. US.
602
Die wisscnscli:iftliL-licn Grundliigcu der Geläinlediu-stelluiifj
1
20
25
Äquidistanz
Maßstab
1 1;
Das Verhältnis 20: 10: f.: 2:1
1
20 10 1 5 1 2 1 1 1
25 j 12,5 1 6,25 ; 2,5 , 1,25 ' .50 25 | 12,5 5 2.5
1 !
in Millimeter: |
in Millimeter:
in Millimeter:
,„:.,„
60» f 1.16 !
40» 2 >
■M)" .'$.44
ir,< 7,46
0,58
1
0,29
0.5
0,2
■ 1
0,18
0,38
1,44
2,5
4,33
9,.33
0,72
0,36
0,18
0,25
0,22
2,89
5
8,66
18,7
-
-
0J29
0,25
1 .
00" 0,46
45» 0,8
30» 1,38
15» 3
0.23
0,2
0,35
0,3
r
1,73
3,73
0,2.9
0,2.5
0,17
1,16
2
-
0,29
0,2
0,
0,
18
',8
25000
■ 3,46
0,19 7,46
1
^SOÖÖÖ"
60»
45»
30»
1.5»
0,2.3
0,4
0,69
1,49
0,2
0,17
0,29
0,50
0,87
1,87
0,25
0,22
0,19
|;o,58
1,73
3,73
0,29
0,25
—
-
0,17
19
1
60»
45»
30«
15»
0,27
0,47
1
0,24
0,25
0.1!)
0.33
0,58
1,24
0,29
0,31
0,.39
0,66
1,16
|! 2,49
0,19
0,33
0,2.9
0,25
75000
1
60»
45»
30«
15»
0,25
0,44
0,93
0,22
—
0,23
0,18
0,31
0.54
1.17
o'.27
0,29
0,36
0,62
1,08
2,33
0,18
0,31
0,27
0,23
80000
1
60»
45«
30»
15»
0,35
0,75
0,18
0,1!)
0.2.5
0,43
0,93
0,22
0,23
0,29
\: 0,50
0,86
i 1,87
0,25
0,22
—
0,10
100000
1
Tooooo
60»
45»
30»
15"
O.IS
0,37
0.10
\0ß2
0,47
0,23
ij
' 0,25
0,43
0,94
0,22
0,23
1
^oooo"
60»
45»
30»
15"
1 ■
0,25
;
'0,31
0,62
0,31
1
500000
60»
45»
30»
15»
i '.
• 0,17
0,37
0,19
1
60»
45«
30«'
15»
II .
1000000
603
der StrcckentPile (So
iraffcn)
in M.'t.T:
100
50
2r. Kl
r.o
2(»
Kl
41 Ml
200
lUO 40
2o
in
Ulli,,..!.,:
u,
MiIIImh'
,-,:
in Millimeter:
5,77
~ _
_
i\-uj 1 1 ..-,.-,
_
_
23,1
_
10
_
- 2(t
_
_
40
_
17.3
-
-
-
- :!4,(i
_
_
69,3
_
37,:$
-
-
- 74.(1
-
-
149,3
2,32
_
0.23
4.f>4
0,23
1 9,28
_.
4
—
_
_
03 «
_
_
_.
16
_
_
_.
_
6,9
-
-
—
0,34 13.K
_
_
_.
27,7
_
_
_
_.
14,9
-
-
-
- , 29.8 , -
-
-
-
5,97
-
-
-
-
1,16
_
039
. !! M. i -
_
033
4,64
_
_
_
033
2
-
-
03
4
-
03
8
-
3,46
-
-
-
0,lfi f.,92
-
0,34
13,84
_
7,46
-
-
0,3M 14,(1
_
~
-
29,8
-
0,77
_
0,10
l.r.4
0,3H
■
3,08
- i 0..31
1,32
-
ö..3.i
2.(U
-
030
5,28
--
O.20
2,32
_
0.23
4.()4
_
-
033
9,28
-
4,98
-
-
0.2.5 9,9.-,
-
-
-
19,90
0,72
_
0,18
1.44 _
0,1/1
2,89
039
1,27
_
0..31
2, .50 -
_
0,25
5
_
_
—
035
2.16
-
-
0,22
4..3:?
_
_
0.22
8.66
^-
-
-
4.67
-
-
-
0,24 9.:!:?
1S,7
0.58
030
1.1 f.
0,2'.)
2.:{2
_
_ 0.;.'.;
_
1
-
0,25
■
2
-
03
4
-
03
1.73
-
-
0,17
:!.4f.
-
0,18 6,92
-
0,34
3,73
-
-
-
0,19 .7,46
-
-
0,-38 14,92
-
039
'
0.58 0.2.9
1,16
_
0.2!)
0,50
0,25
1
0.2.5
2
_
-
03
0,86
_
0,22
.
1 .7:!
_
0,17
3.46
_
_
—
OJS
1,87
-
-
0,11)
:!.::!
-
0.19
7.46
-
-
-
0,3S
0,1!)
().:«» 0.7.';
0.77
_
0,19
0,%3
.
O.tiC, ii.:i:s
1.32
_
0.:i:',
0..58
030
■
l.Hl
039
2.32
1.24
0,S1
•
2.49
-
0.2.5
4.98
033 •
0,46
033
030
0.4 03
0.8
II.-:
0.34
0.17
n.r.9
0.17
I.3S
". .'/
0.7.-.
II. in
l.l!)
II.::
.'.'.IS
0.20
tt.4
03
.
II. i:
O.M 0.17
(1.69
0.17
(i.:i7
O.IU
(1.7:.
11. fi
1 .-(".t
-
0,37
604 Die wissenschaftlichen (! rundlagen der Gteländedarstellung.
Äquidistanz und horizontale Entfernung der Schichtlinien (die Schraffe) oder einen
Teil dieser Entfernung zu berücksichtigen; d. h. mit andern Worten kurz gesagt, die
l^erechnimg läuft auf die Vernachlässigungswerte der Gleichabständigkeit hinaus.
Infolgedessen ist es empfehlenswert, anstatt von einer Anzahl kleinster Entfernungen
von der kleinsten Entfernung direkt auszugehen, die der Zeichner oder Stecher noch
deutlich zum Ausdruck zu l>ringen vermag. Es ist die von mir schon wiederholt
herangezogene Größe von 0,2 mm, d. h. hei 0,2 mm Entfernung konnten in einem
]Milhmeterzwischenraum zweier Hauptisohypsen, wollen wir einmal sagen, höchstens
4 Schichtlinien ganz haardümi gezeichnet werden, was mithin den Penckschen
4 Schichtlinien entsprechen mirde. Diese äußerste Grenze, die — um es schon hier
zu sagen — in der Pra.xis schwer, vielfach auch gar nicht befolgt wird, muß sich
jedoch mathematisch klar in der Berechnung widerspiegeln. Mit Berücksichtigung
all der maßgebenden Faktoren habe ich die Tabelle S. 602, 603 berechnet, die inter-
essante Schlüsse auf die Mmimaläquidistanzen und deren Anwendung gestattet.
Am Kopf zeigt sie verschiedene Äquidistanzen wie 20, 25, 50, 100, 200 und 400 m
für die einzelnen Maßstäbe, die in der ersten Kolumne verzeichnet sind. Die zweite
Eeihe bringt ein gebräuchliches Verhältnis von Entfernungen, auch für Höhen-
distanzen zum Ausdruck; es bleibt mit den Maßen 20:10:5:2:1 bei allen
Äquidistanzen gleich, wird also beispielsweise l)ei der 100 metrigen Äquidistanz mit
100:50:25:10:5 verzeichnet. Wie groß nun diese einzelnen Entfernungen in den
verschiedenen Maßstäben bei den Neigungswinkeln 60», 45«, 30» und IS» in Milh-
meter gezeichnet werden müssen, ergeben die folgenden Querreihen. Die Punkte in
ihnen bedeuten, daß hier keine brauchbaren Werte mehr aufgestellt werden können.
Striche dagegen, daß hier Werte stehen müssen, die aber, um das Zahlenbild nicht zu
überladen, weggelassen wurden; sie können aus der noch da- und vorstehenden Zahl
durch Teilung leicht ergänzt werden. Am Ende der entwickelten Eeihen habe ich
die Schlußwerte innerhalb der graphisch darstellbaren Zwischenräume von 0,2—0,4 mm
gegeben, wobei 0,17, 0,18 und 0,19 mm praktisch = 0,2 mm zu setzen ist.
An der Hand der vorstehenden Tabelle könnte man ein Langes und Breites über
den Aufljau und das Wesen der Isohypsenkarten schreiben. Doch wollen wir uns hier
lieschränken. Vertieft man sich nur einigermaßen in die Tabelle, merkt man, daß sich
selbst bei den verschiedenen Maßstäben eine Verwandtschaft der Zahlenfolge durch
gewisse Wiederholungen ausspricht. Greifen wir eine Zahl heraus, z. B. 0,29 mm bei
60" Neigung in 1 : lOOOO mid bei 20 m Äquidistanz, so heißt das, bei 20-m Gleich-
entfemung der Schichtlinien kann man liei einem Neigungswinkel von 60" noch eine
Entfernung von 5 m mit 0,3 mm ausdrücken, bei 45" mit 0,5, bei 30" mit 0,0 H) und
bei 150 mit 1,9 (2) mm. Man vergleiche dazu die entsprechenden Größen bei den
Schichthnienintervallen von 25, 50, 100 m usw.
Nehmen wir ein anderes Beispiel vor, so den Maßstab 1 : 50000. Schauen wir
auf die Kolumne mit der 200-m-Distanz, erkennen wir, daß mit 0,23 mm noch eine
Entfernung von 20 m bei einer Neigung von 60" dargestellt werden kann, mit 0,2 mm
eine Entfernung von 10 m bei einer Neigung von 45". Letztere Entfernung ist bei
einer Neigung mit 0,84 mm schon wesenthch besser zu verdeuthchen und bei 15 sogar
mit 0,7 mm, welche Zahl ich aus dem 200-m-Wert 14,9 mm sofort ableiten kann, in
der Tabelle jedoch nicht wiedergegeben ist, weil sie als Schlußwert der Eeihe, 0.7 nim.
größer als 0,4 ist und also nur mit einem Strich angedeutet ist (s. oben).
Bei dem Maßstab 1 : 100000 sehen wir, daß die Eeihe bei 60" Neigung für die
/,iir Ki-itik rliT Scliiclitliiiini. 6(J5
•2ü-m- und •25-m-(ileiclu'utf(.'ruung Punkte aufweist, womit demimcli gesagt ist, daß es
Werte sind, die kleiner als 0,2 mm, also graphisch bedeutungslos sind. Erst bei
der Ätjuidistanz von 50 m kann eine gleich große Entfernung bei einer Neigung von
60" mit 0,3 mm erfaßt werden.
Ein Vorzug der Tabelle ist, daß sie sich selbst kontrolliert, einmal innerhalb
ein und desselben Maßstabs, hisofern die Werte der folgenden .iquidistanzeu gewöhnlich
die doppelten der vorhergehenden sind, und sodann innerhalb der Maßstäbe unter-
einander. Man muß dieselben Größen, die man z. B. beim Maßstab 1:25000 mit
25-m-Gleichentfernuug abHest, wiederfinden bei dem Maßstab 1 : 50000 mit 50-m-
Gleichentfernung, weiter beim Maßstab 1:100000 mit 100-m- und bei 1:200000
mit 200-m- Gleichentfernung. Im Maßstab 1 : 100000 entspricht die letzte Reihe mit
der Gleichentfernung 400 m gleich der vorletzten des Maßstabs 1 : 500000 mit 200-m-
und der ersten Reihe in 1 : 50000 mit 20-m- Gleichentfernung. Das Hundertfache
der eben genannten Werte, also 28,1, 40, 6!3,3, 149,3 muß in unserer Tal)elle als letzte
Reihe des Maßstabs 1 : 10000 zu finden sein.
In reichem Maße läßt sich die Tabelle ausnutzen. Da die Werte 0,2 und 0,23,
selbst 0,25 mm in der graphischen Wiedergabe außerordentliche Penibilität erheischen,
besonders, da feinste gleichmäßige Zwischenräume beachtet werden müssen, wird
der Kartograph lieber zu den großem Werten von 0,3 mm mid höher greifen. Für
diese bequemem W'erte kann der Kartograph noch größte Gesetzmäßigkeit befolgen.
Ohne Schwierigkeiten lassen sich die Werte für andere Gleichentfernungen üi den
dargebotenen Reihen einschalten. So werden 40 m in der Natur bei einer 40- m- Gleich-
entfernung auf der Karte in 1 : 10000 mit 2,32 mm (1,16 . 2) dargestellt, in 1 : 50000
1,16
2
0,58 mm, in 1 : 50000 mit 0.85 mm, in 1 : 75000 mit 0,24 mm
mit 0,46 nun, in 1 : 75000 mit 0.8 1 = '^^ ; 80m in der Natur bei einer 30-m-Gleich-
entfernung auf der Karte, in 1:10000 mit -^'^^^ • 8 = 1.74 mm . ni 1:80000 mit
359. Hill:«'ii der t,'C'(»f;ra|ihischeii Kritik an Schichlliiiieukarten. Nicht bloß der
Kartenj)raxis will die Tabelle dienen, sondern Norzugsweise auch der Kartenkritik,
um ein sicherer Führer bei der Beantwortung der Fragen zu sein, ob die Schichtlinien
einzelner Kartenwerke gerade noch dazu ausreichen, die steilsten Böschungen wieder-
zugeben und wie weit sich die Schichthniendarstellung, sofern sie noch auf genaue
Maße Wert legt, für die einzelnen Maßstäbe eignet. Bei dem verständigen .\nbHck der
Tabelle fällt es einem wie Schuppen von den .\ugen, was E. Hammer damit meint.
wenn er sagt, daß auf einer Übersichtskarte in 1 : 500000 die Höhenlinien meist nicht
viel mehr nützen. i Die Tabelle läßt einwandfrei erkemien, daß bei einem derartigen
Maüstab fia- das Hochgebirge (von 450—60'' Böschung) die Schichtlinien schon 200 m
voneinander iiiffenit .sein müssen, wenn sie bei 60" gerade noch grapliisch dai-stellliar
sein wollen, iiei 45", 80" und 15" ist die Darstellung schon leichter möglich. Für die
letztere Neigung ist noch die Darstellung von 50 m Entfernungen möglich, dann hört
die Kunst auf oder - sie beginnt erst. Mit einem Wort, die Karte kami nach Wissen-
schaft licluii Hegeln (ecbniscli nicht gut bearbeitet werden. Kiwas anderes ist es.
wemi die Karte in 1 1 (ili-nsc li ic h t en dargestellt werden soll.
Auf iler ■r..i.o-ra|.liiselieii l iMisieiitskart.' des Deutschen Reiches in 1 : 2lM)000.
die l>ekannllirii in Seiiiclil liiiien (lar.u'eslelll ist. lassen sicli interessante rntersuchungen
' !•:. llanniui: (•liei die M.Mli.liiiiijjni .I.t nnun l.iiii<lrsl..|«.>:i»!)lnr. P.M. IWC. S. l(Kt.
60B Dil' wisseuschaftlicheu Gniiulhigcn der Gelandcdarstclluiig.
anstellen, inwieweit die Karte den wirklichen Böscliungsverhältnisscn gerecht wird,
^lit 0,2 nun und darüber lassen sich auf ihr die Gleichentfernungen bis hinab zu 20 m
Entfernung ausdrücken, aber nur bis zu einer Neigung von 30". Mit dieser Neigung
läßt sich im allgemeinen für eine Karte von Deutschland schon auskommen. Bei
größern Neigungen ist man zu größern Gleichentfernungen, wie 50 m, gezwungen.
(jO^-Neigungen, die auf diu siidlicheni Eandblättern, im Alpengebiet, vorkommen,
verlangen bereits ein Inttrxali \ uu 100 m. Untersucht man auf dieser Grundlage die
Karte 1 : 200000, ist man erstaunt, wie sie trotz di'r meisterhaften Ausführung doch
zu wünschen übrig läßt.
Ferner beweist die Tabelle ganz evident, daß die grundrißt n in • Datstclliuig
mittels Schichtlinien nur für Karten großen Maßstabs möglich ist. Dmn iitsjuvclimd
ist eine weitere Folgerung nach der DarstellungsmögHchkeit von Hochgthirgc, Mittel-
gebirge und Flachland in Schichtlinien bei verschiedenen Maßstäben und Aquidistanzen.
Viele charakteristische Züge der Oberflächengestaltung werden ledighch durch sich
gegenseitig eng anschmiegende Isohypsen veranschaulicht. A. Penck sagt: ,,Wenn
ein solcher (kleinster Vertikalabstand der Schichtlinien) von 30 m noch dem Hoch-
gebirgsgelände gerecht wird, was nach dem Siegfriedatlas angenommen werden kaim, so
ist der Maßstab von 1 : 75 000 der kleinste einer einheitlichen Schichtenkarte der ganzen
Alpen. "1 Das stimmt ganz leidlich mit meiner Tabelle überein, die für den Maßstab
mathematisch genau eine Entfernung von 25 m bestimmt, was in praxi zu den 30 m
keinen ausschlaggebenden Unterschied bildet (25 m in 1 : 75000 = 0,2 mm, 30 m =
0,23 mm). Die Tabelle sagt weiter, daß man das gleiche Ziel nötigenfalls auch mit
dem Maßstab 1 : 80000 erreichen kann. Für eine einheitliche Hochgebirgskarte in
1 : 100000 käme eine Gleichentfernung von 50 m in Frage, wenn man nicht schon
eine solche von 40 m annehmen will, die nach Interpolation in unserer Tabelle einen
Betrag von 0,23 mm bei 60° Neigung erhalten würde. Man kann diesen Betrag auch
durch Eüekschluß aus der 400-m- Gleichentfernung des Maßstabes 1 : 500000 ge-
winnen. Maßstall und Terraingestaltung sind maßgebend für den gleichmäßigen
Isohypsenabstand. Im allgemeinen geht man bei sehr großmaßstabigen Karten, wie
bei Eisenbahnplänen in 1 : 1000, über eine Aquidistanz von 1 m nicht hinab. ^ Ebenso
logisch wie wirkungsvoll ist es, wenn z. B. die Gleichentfernungen der Schichthnien
auf die Seetiefen übertragen werden.^
3(i0. Gleichentfernung und Steigung und Neigungswinkel. Die Gleichentfernung
der Schichtlinien spielt eine Kolle bei der Ableitung von Steigung und Neigungs-
winkel irgendeiner Bodenstelle. Die Steigung ist 1 : n, wobei man n für eine auf der
Karte abgemessene Entfernung dadurch gewinnt, daß man sie oder, was dasselbe
ist, ihre Projektion oder wagerechte Grundstrecke <j mit dem Höhenunterschied /*
(an der höchsten Stelle, dem iMidpunkt) dividiert. Ist z. B. auf einer Karte im Maß-
1 A. Penck, a.a.O., S. 71.
- Aufsehen erregte in den 70er Jahren des vergangenen Jahrb. ein Blatt der Karte von Belgien
in 1 :20(X)0, dessen Geländezeichnung in Niveaukurven von 1 m Aquidistanz und in 6 Farben photo-
lithographisch ausgeführt worden war. E. v. Sydow erklärte es „ziemlich einzig in seiner Art" und
als „den gegenwärtigen Hohenpunkt topographisch-kartographischer Kunst". P. M. 1865, S. 4i55. —
In den Niederlanden geht man unter 1 m Aquidistanz.
» Auf der Karte des Schillingsees in Ostpreußen, 1:50000 (P. M. 1903, Taf. 6) und des Okull-
und Kortsees im Kreise Alienstein, 1 :25000 (P. M. 1903, Taf. 23), hat G. Braun Isohypsen und Iso-
bathen in 5 m Abstand gezeichnet.
irlltfillll
lll;,' dir S(
Irvkt' (j zu
].30
ni ali-
C. llltrrv
alle h, ,1
anii ist ^ =
150
^120
= ],'2ü
nur -20 i
11. dann ist
die Steigung 1
: 57,5.
iiacli (1
IT lurnicl
tg f = h/g.
. De
nmach
' '^ 150 '
- :}H73«. ^1'
fs zweiten
20
150 '
- 72' 0
' '3
In der
Praxis macht man es
sich
SO he-
Zur Kritik der Sihiilitliiiicii. (J07
stall l:2:)(l(iO mit •iOim-tiigrr ^eineidlina
gegriffen worden und erstreckt sie sich idie
und die Steigung 1 : 1,25. Ist h im ganzei
Der Neigungswinkel 9; seihst wird gefundei
hetriigt der Neigungswinkel des ersten lieisp
mid des dritten -^ = JJ^Vs' <"''''' '""<' 1 '
quem wie möghch. So hat man sich liei der Berechnung der Steigung von Straßen,
Wegen, Eisenbahnen, Wasserläufen, wo es sich in der Hauptsache um mäßige Neigungs-
winkel handelt, für den gewühnlichin Gebrauch allerhand Näherungsformeln zurecht
gelegt, die sich jedoch nicht für Bergabhänge eignen. Um die Aufstellung und den
Gebrauch solcher Näherungswerte hat sich P. Kahle verdient gemacht', deren Stärke
zwar mehr für Überschlagsrechnungen bei technischen Yorerhebungen besteht als
für kartographische Erwägungen. Indessen lassen sie sich auch ^■onseiten des Geo-
graphen mit einigem Nutzen bei Wanderungen gebrauchen.
Nachdem man die Scheu überwunden hatte, offizielle Karten in Schichtlinien
lnrausziigeben^, machte man die Erfahrung, daß mit einem vorgeschriebenen Iso-
hypseuintervall ein ausgedehntes Land mit reichem Formenwechsel nicht gleichmäßig
darzustellen ist. Schon in der französischen Instruktion vom 15. März 1851 heißt
es: „Wenn die Abhänge zu steil sind, um Kurven von 10 zu 10 m zu ziehen, was oft
im Hochgebirge der Fall sein wird, soll man die Kurven von 40 zu 40 ni ausziehen"
(für Minutes 1 : 40 000). ^ Eine feste Eegel dafür bestand nicht, obwohl man sich damals
wie auch sjiäter wohl bewußt war, daß es von fundamentaler Wichtigkeit ist, die
Kurvenäciuidistanz richtig zu wählen.* Auf die gleichen Erfahrungen l)lickten die
Schichtlinienkarten, die wir der chorographischen (iruppe zuweisen. Hier war man
in dem Wechsel des Intervalls nie engherzig, verfolgte auch selten ein wissenschaftliches
Prinzip und ließ sich lediglich von der allgemeinen Regel leiten, je hoher das Gebirge,
um so größer der Sprung der Schichtlinienentfernung. Einmal verdoppelte man die
senkrechten Abstände, z. B. 100 m, 200 m, 500 m, 1000 m, 2000 m. oder man heß
sie mehr progressiv wachsen, 100, 200, 300. 500, 700, 1000. 1500. 2000, 3000. 4000.
Doch allzu leicht litten viele Karten, ganz gleich, ob sietüi)ograiihiscli oder cluuographiscli
waren, an embarras de richesse. el)en weil das Auseinanderhalten der Schichtlhiien
bei den gegebenen Maßstälien unnmutlieli war.^ Freilieh wurde auch viel nach Ge-
' P. Kahle: Botracbtuiigeii 7,11 Hohfiisiliiclitcnkartoii. (!. A. 11*20. S. 1.").".. l.jC.
- Unter den Mitj;liecleni der französischen Kommission von 1S27. die sieli mit der EinfiÜiriin^'
der schrägen oder .senkrecliten Belcuehttinp bei der Karte 1 : 80000 beselinftigte, winde auch die Frage
gestreift, ob es nieht besser sei, die Karte bloß in Horizontalkurvcn herauszugeben. Dagegen uitu-hte
Oberst Bonne geltend, daß man dadurch nur einer Bevolution in der Toixigraphie Vorseluib leiste
und sich ganz und gar isoliere, rla man sowieso schon im Begriff stehe, sich von den Nachbarstjiateii
zu trennen, indem man die sclirii>.'i' Bcjcuilitiing licilnlmllc und sie giinz allein duivhfiiliivn wolle.
Memorial V, S. 462.
" Berthaut: La carte de France. I. l'aris 18!l«, S. ;t2Sff.
* S. Simon: Alpine l'laudeirien. 'A. d. 1). u. ('). A.-V. ISO:!. S. :i«.l.
' Siehe Wieser bei der Bespi-echnng der V(m .1. S. tJerster herausgogetieiicn Hundkarli' \(iii
Vorarlberg und angi-enzenden (lebieten in 1:175(H)0. Bregenz. s. a. (ieogr. .fahiv.sberichl \ib. (istci.
reich. I. 1894. Wien 1897, S. 9(i. .Vuf der nach der Mitte des vergangenen .lahrh. hg. S|)eziBlkarte
von Dänemark in 1:80000 waren die 10 FulJschichtlinien mit dem Kulturgeripre schwarz gednickt
wonlen. Die Karte gibt ein libeisiclitliclics Hild weder di's Cicländes noch des Kulturnival.'«.
608 Di*" wissenschaftlichen (iruudlagcii der GeliindcdarstoUung.
scbmack und Voreingenommenheit kritisiert. Daß z. B. die Schichtlinien nur Ül)er-
ladung der Spezialkarte 1 : 75000 wesenthch beitragen, wie G. Bancalari meint^,
habe ich bereits zurückgewiesen (s. S. 547). Das Unregelmäßige, bzw. das Inäqui-
distante der Schichtlinienentfernung spielt die Hauptrolle bei den Höhenschicht-
karten, wo es auch noch ausführlicher berücksichtigt werden soll.
3(11. Bezilleruiij; und ^'raphiNchc Differenzierung der Schichtlinien. Während die
Karten an Überfluß von Signaturen und Namen leiden kömien, ist bezüglich der
Zahlen an den Schichtlinien noch keine Klage über zu reiche Fülle laut geworden. Ohne
Zahl ist die Schichtlinie ein Wesen ohne Seele. Die Zahl gibt ihr Leben und Wert.
Kurz und gut: Ohne Höhenzahl keine Schichtlinie. Hinwiederum muß man sagen:
JJ)ie Isohypse ist der graphische Dolmetsch einer an sich abstrakten Zahl und verleiht
dieser erst Anschauungskraft. 1868 bereits sagte V. v. Streffleur, daß die Schicht-
linienkarten „ohne eingetragene Höhenkoten keinen andern Wert als die alten Karten
mit senkrechten Schraffen ohne Koten haben, die heutzutage niemanden mehr be-
friedigen kömien. "2 Darum soll man mit dem Einschreiben von Zahlen in um! an die
Isohypsen, besonders an den Kartenrändern nicht allzu sjiarsam sein. Gerade auf den
offiziellen Karten, nicht bloß des In-, sondern auch des Auslainlis, könnten die ein-
zehien Linienzüge öfter mit der ihnen zukommenden Zahl unterbrochen werden.*
Für Karten, die Gelände nicht wesentlich über 1000 m hoch veranschaulichen, ist
es nicht ungeschickt, wie auf der Harzkarte in 1 : 50000^, die 100-m-Schichtlinien
mit Funkten zu unterbrechen, wodurch die verschiedenen 100 m ausgedrückt werden,
z. B. 300 m • • • , 900 m . Nun ist dieses
Verfahren ja ganz gut, und 10 — 15 Punkte lassen sich allenfalls noch überblicken,
geht es aber auf die 20 und mehr Punkte, daim ist mit dem Auszählen der Punkte gar
nichts gewonnen, jjloß Zeit und Baum verschwendet, und eine Zahl tut viel besser
ihre Schuldigkeit als ein Punkt.
Werden die 100-m- Intervalle noch in verschiedene Gleichentfernungen zerlegt,
wie in 10 zu 10 m oder 20 zu 20 m oder 25 zu 25 m, zeichnet man bestimmte, ge-
wöhnlich die 100 metrigen, mit Druck oder Signatur besonders aus. Man unterschied
auf diese Weise bereits vor Jahren Haupt- und Zwischenschichthnien.'' In Punkten
und Strichen hat man die Mittel in der Hand, die Schichtlinien noch weiterhin unter-
schiedlich zu gestalten, d. h. sie anschaulicher dem Beschauer zu repräsentieren. Ein
Muster dieser Art stellen die Schichtlinien auf der Topographischen Landeskarte
des Herzogtums Braunschweig im Maßstab 1 : 10000 dar; auf ihr zeigen sich die
100 m-Schichthnieu als stark gestrichelte Linien , die 50 m- Schichtlinien
1 G. Bancalari: Studien üb. d. östeireicliisch-ungarische Militärkartügiaphic. 8.-A. aus d.
Organ der militärwiss. Vereine. Wien 1894, S. 31.
- V. V. Streffleur: 77 gegenwärtig noch in Anwendung stehende Mittel zur Ausführung der
Bergzeichnung. Ein Bericht üb. d. diesfälligen auf d. Pariser Weltausstellung 1867 exponierten Ar-
beiten. S.-A. aus der österreichischen militärischen Zeitschrift. I. Wien 1868, S. 29.
' Innerhalb eines Meßtischblattes 1:25000 ist es wegen des Mangels an bezifferten Isohypsen
oft recht schwer, die Höhen zu bestimmen. Hier haben die deutschen Meßtischblätter viel nach-
zuholen.
* Zitiert bei P. Kahle: Betrachtungen zu Höhenlinienkarten. G. A. 1920, S. 154.
^ Beispiele dieser Art bringt Bardin: La topographie. Metz 1859. — Auch die 1867 auf der
Pariser Weltausstellung zu sehende Originalzeichnung eines Blattes von England des ,,Ordnancc
Survej' of Great Britain" in 1:10.'560 zeigte die 100-FußschichtIinien in verschiedener Dicke.
Die farbige Scliiehtliiiie und die Pscudoköipcrliclikcit der Schiclitrniio. ßOO
als fein gestrichelte Linien — und die dazwischen liegenden 25 in-Schiciit-
linien als Strich-Punkt-Sdich-Puidvt .
III. Die farbige Schichtlinie und die Pseudokörperlichkeit der Schichtlinie.
;U>2. Die Realität der Schichlliiiic. Die l'arhise Sehielitiiiiie. Kaiuu ein zweites
Kartenelement von der Bedeutung der Schichtlinie ist so ideell gewonnen und ideell
zu denken wie die Schichtlinie; repräsentiert sie tatsächlich doch nur eine Linie, die
nirgends in der Natur vorkommt. Mithin ist ihr Dasein auf der Karte durchaus ein
gemachtes, ein künstliches, wenn auch schon mehr als eine l)loße Fiktion. Daran muß
festgehalten werden, wenn man das Wesen dieser gesamten Linienscharung richtig
würdigen will.i Will man unbedingt der Isohypse eine Eealität zuerkennen, was meist
aus dem Vergleich mit der Schralfe resultiert, mag (immer wieder) daran erinnert sein,
daß die Böschungssehraffe wirkliche Flächenelemente versinnbildlicht, dagegen die
Schichtlinie das Gelände in Stufen zerschneidet, wie sie der Natur nicht entsprechen.
Daß die Schichtlinien als mehr oder minder ideelles Element empfunden w-urden,
das wie das Gerüst eines Hauses zum Aufbau des Geländebildes notwendig ist, aber
nach Fertigstellung des Baus zu verschwinden hat, lehren uns die Erstlinge wissen-
schaftlicher Schraffenkarten, in Deutschland sowohl wie in Frankreich und andern
Ländern. Das war am Anfang des 19. Jahrhunderts der Fall; in der Mitte des Jahr-
hunderts beschäftigte man sich schon mehr mit dem Gedanken, die Schichtlinien als
Geländegerippe auf der Karte stehen zu lassen. Doch bewahrte man das richtige
Empfinden, daß sie gegenüber den Gebirgsschraffen ein besonderes eigenartiges Element
sind; man zeichnete sie farbig. E. Fischer empfahl, sie in rotbrauner Färbimg, terra
di sienna, zu bringen^, damit sie „von den die Situation darstellenden Linien unter-
schieden werden können und etwas hervortreten; schwarz gehaltene Niveaukurven
erfüllen ihren Zweck nur unvollkommen."^ Auch hat die schwarze Isohypsenlinie
zu wiederholten Malen zu Verwechslungen mit Flußläufen oder Wegstrecken Ver-
anlassung gegeben. Durch Farbe schied man sogar Haupt- von Neben- oder
Zwischenschichtlinien, indem man jene rot und dick und diese zart und schwarz
zeichnete oder auch umgekehrt.* Die Schichtlinien der offiziellen Karten des In- und
Auslandes erscheinen heute zumeist in mehr oder weniger rotbrauner Farbe. Selbst
auf den großmaßstabigen Karten; die während des Kriegs von Freund und Feind
1 Bei diesen Betrachtungen will ich gar nicht so weit gehen wie K. Peucker, der aus der „Dis-
kordanz, zwischen dem reinen Gedanken und seinem sinnlichen Ausdruck" schließt, „daß nicht einmal
eine UnvoUkommenlieit eine vollkommene Unvollkommenheit sein kann. Der schärfste Xfathematiker
vermag keine echte Linie zu ziehen, es haftet ihr immer etwas Ungeometrisehes an: ihre Dicke"; s.
Drei Thesen z. Ausbau der theoretischen Kartographie. G. Z. 1902, S. 147.
^ E. Fischer: Über äquidistante Niveaukurven. Aarau 1860, S. 17.
' In den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Karte des Kantons Zürich 1 :.JO(HKI
mit 40-ni- Schichten wegen der roten Schichtlinien berülimt gewoitlen. Isohyjisen von mtbraiiner
Farbe imd 100 Fuß (ileichcntfemung zeigte die SiK>zialknrte von Kurhe.Msen, 1 :2r>00(). Die Karte von
Hohcnzollern, 1:.50000, erschien auch in einer Ausgabe mit ix)tbraunen St'hichtlinien.
•• Die Carte do ßelgique 1:400(X) war mit dicken schwarzen Haupt.scliiehtlinien und feinen
roten Zwischenscliichtlinicn in .5 ni-Absland herausgegeben woixlcn, in den fiOcr Jahren; zur sell>en
Zeil die Karte „I^a France" von Calnielet mit dicken roten Ilaiiptschichtlinien und feinen schwarzen
Zwisdiensehichtlinien.
lOfkcrt , KartenwiMousclinft. I. ''■'
610 Die wisseuschaftlielieu Grundlairen der Geliindcdarstellung.
im Ivi-iegsgelände aufgenommen und hergestellt -wurden, zog man wegen der Über-
sichtlichkeit die farbigen Schichtlinien den schwarzen vor, trotzdem sie eine Mehr-
belastung der Arbeit (besondere Geliindojilatte in Druck) der einzelnen Vermessungs-
abteilungen bedeuteten.
Mit Hilfe der farbigen Schichtlinien kann man alle Teile des Cieländcs, sell)st
Felsen, Gletscher und Seeböden, mit Schichtlinien überspannen. ^ Wendet man dagegen
schwarze Schichtlinien im Felsterrain an, wie ich es beispielsweise auf der Karte des
Gottesackerplateaus versucht habe^, ertrinkt die Schichtlinie im Gewirr der Karten-
zeichen und hat dann wenig Nutzen. Gerade die Geographen dringen neuerdings
darauf, daß es im Feldgelände besonders nötig ist, „das feste Gerippe der Schicht-
linien zu bewahren, da sie allein über H(ilie und Steilheit des Geländes Auskunft
geben können."^
363. Plastik der SebichflinieiularsfolIiiHg. Ein gewisser plastischer Effekt der
durch die Zusammenscharung von Schichtlinien bewirkten Schattierung kann Gebirgs-
karten nicht versagt bleiben, wie auch A. Penck zugibt, nicht jedoch K. Peucker.*
Das würde eine Art senkrechter Beleuchtung sein ; sie aber im Sinne der Lehmannschen
Schraffur liöschimgsplastisch zu begründen, wie es Penck getan hat^, halte ich für
gekünstelt, weil dadurch das Wesen der Schichthnie völlig verschoben wird, und m. E.
soll man nicht in sie hineinzwängen, was in ihr nicht liegt oder ihr von Natur aus nicht
zukommt. Übrigens gelangt Penck schließlich selbst zu der Einsicht, daß man doch
zur Schattierung greifen muß, wenn man die volle Form des Geländes (über dem
Gerippe der Schichthnien) zur Darstellung bringen will. An der Betrachtung über
den plastischen Effekt gescharter Schichtlinien tragen unter anderm die Karten des
Siegfriedatlas in 1 : 25000 und 1 : 50000 ein gut Teil Schuld. Ein plastischer Effekt
läßt sich auf vielen der Atlasblätter nicht in Abrede stellen, wobei jedoch nicht über-
sehen werden darf, daß er tiefer in dem stark sjjrechenden Gegensatz von Vertikalen
(schwarze Felszeichnung in Vertikalansicht) und Horizontalen (braunen Schicht-
linien) als in der reinen Schichtlinienzeichnung begründet ist.
Nicht selten begegnet man dem Ausdruck Horizontalschraffierung für die
Isohypsen, wenn sie in kleinen Abständen zusammengeschart erscheinen, vielfach
mit der Absicht, dadurch plastisch zu wirken. Nichts ist verkehrter wie diese Be-
zeichnung. Ganz abgesehen von der Unnatürlichkeit der Wirkung einer Schattierung
in Horizontalen* hat das ganze Verfahren absolut nichts mit einer Schraffur zu tun.
Die Schichtlinien und die ihnen verwandten Formlinien sind, wie schon A. Petermann
^ Wie es z. B. auf don Karten des Siegfriedatlas geschehen ist. Weil hier die Seebödcn in
Schichtlinien dargestellt waren, war es nicht notig, besondere Seeatlanten herauszugeben wie für die
Seen des deutschen, österreichischen, französischen und italienischen Alpenteils.
^ M. Eckert: Das Gottesackerplateau. Ein Karrcnfeld im Allgäu. Wiss. Erg.-Hefte z. Z. d.
D. u. Ö. A.-V. I. 3. Heft, Innsbruck 1902.
ä A. Penck, a. a. O., S. 72.
* K. Peucker: Sehattcnplastik und Farbenplastik. Wien 1898, 8. 6 ff. — Später spricht er
allerdings von einer „anschaulichen Wirkung dicsei' ungewollten Schattenplastik" bei einer Isohypsen-
karte aus dem Siegfriedatlas i. Drei Thesen zum Ausbau der theoretischen Kartogiaphic. G. Z. 1902,
S. 147.
« A. Penck, a. a. O., S. 7.3, 74.
^ y<^\. K. Peucker: Zur kartographischen Darstellung der dritten Dimension. G. Z. 1901 , S. 29.
Die farbige Siliichtliiiio und die Pseudoköipcriiehlieit der Schichtlinie. 611
vor .Talirzclnilrii saj^'d'. zusaiimiciiliäii^'CKlr in sicli zurücklaufende Linien, also end-
lose Kurveiiliuieii, daf^ej^eu die Sei iraf teil 'J'eilstüeke einer geraden oder gebogenen
Linie (Schwungstriche), also Linien mit Anfang und Kmle. i''iS giht indes eine Art
von Horizontalschraffur, wenn man so sagen darf, die nelien wenig geschlossenen,
kreisfi'irmigen Linien Bruchstücke von Isohypsen benutzt; mir ist bis jetzt außer in
r.ruclistiieken von Geländeaufnahmen nur eine derartige mmatürlich wirkende Ge-
ländedarstellung begegnet^, die in folgender Weise ausgeführt ist:
Noch mehr wird von dem wahren Wesen der Schichtlinie abgerückt, wenn man
die ideelle, nur eben gerade sichtbar gemachte Linie in ihrem Habitus verändert und
ihr somit Wirkhchkeitswert aufzuoktroyieren sucht. Nach dieser Richtung liegt ein
älterer bemerkenswerter Versuch von Fr. Keil in der ürographisch-physikalischen
Karte des Großglockners und seiner Umgebung in 1 : 100000 vor.* Die braunen
Schichtlinien sind von 100 zu 100 Wiener Klafter gezogen^ also in l^eträchtlich großen
Abständen. Da die Schichtlinien nicht dicht genug für eine Hochgebirgskarte waren,
und es somit an der gewünschten Wirkung fehlen ließen, half sich Keil dadurch, daß
er sie nach den hohem Lagen zu mehr und mehr verstärkte.
Frühzeitig setzt ein anderer Versuch ein, die Niveaukurven an Avu steilen
Partien kräftig wiederzugeben und sie nach den sanfter geneigten Flächen in feinere
Linien übergehen zu lassen. Diese Idee, wenn auch nicht mit Konsequenz, so doch in
einem gewissen Grade von Schönheit durchgeführt, finden wir in der Karte von
E.Michaelis: Carta della Eepublica e Cantone del Tieino e de suoi Contonii Lombardi,
1 : 400000 aus dem Jahre 1847.^ Streng konsequent befolgt, begegnet uns die Idee
weiter in den Geländezeichnungen auf den Plänen zu Ed. v. Todlebens Werk über
die Belagerung von Seliastopol.'' \'. v. Streffleur^ l)ezeichnet dieses Werk als „welt-
berühmt", besonders in Hinsiclit auf die Karten, und wer spricht heute noch davon?
T^nd docli wäre es undankliar vonseiten des Kartenwissenschaftlei-s, dieser Karten
nicht mehr zu gedenken. Die Ibersichtspläne bringen allerdings keine Höhenangaben,
und man ist versucht, die Höhenlinien darauf nur als Formlinien zu betrachten, in-
dessen geben die Pläne größern Maßstabs Aufschluß, wo jede Kurve beziffert ist.
und das Bild im großen ganzen auch ästhetischer wirkt. Die Todlebenschen Karten
WHirden zu ihrer Zeit als bedeutende Originalwerke betrachtet und geachtet. Das
trifft jedoch nicht ganz zu, da Teile davon Kopien aus dem französischen Atlas „La
' A. Petermann: Xoiic Kaite von den britischen Inseln und dem undiegenden Min^r. P. M.
1864, S. 17.
* So auf der Karte von Ed. Naumann: Geologieal Survey of Ja|)an l:4tX)00(>. Tokio 1SS4.
■• P.M. 1860, T. 4. Die Karte selbst rührt nielit von A. Peterniann lier. wie v. Streffleur
annimmt, a. a. O., t>. 29.
♦ 1 Wiener Klafter = 6 Fuß l.^iUI ni.
^ Über Darstcllimgen mit versliiikten Xiveaukur\en vor IS.Il) v^l. A. Steinhauser: lU-i-
tiar;c zur CJesehichto der Niveaukarlen. Mit. d. lieogr. (Jos. in Wien 1858, S. 67. - Clier die ühnliehen
Darstellungen auf der Pariser Weltausstellung 1889 von Kandejjper und auf der .-Vusütellung des
liilein. Geographentages zu Bern von A. Prinzl (Wiener Hand'/.eiehnung). Vgl. K. Peueker: S-hatten-
plaslik und Farbennlostik. Wien 1S98, 8.65.
« Kd. v. Todleben: Die Verteidigung von SebastoiK)!. •_' Hde. mit .Mlas. St. Petersburg 1864.
" V. V. Streffleur. a. a. <»., S. '.'S.
612 Di«" wissenseliaftlichen Grundlagen der Geliindedarstellung.
guerre de la Crimee" vom Jahre 1859 sind, welchen Atlas der Schweizer Eandegger,
als er noch in Paris weilte, gestochen hatte. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich
annehme, daß Eandegger durch die oben genannte Karte von Michaelis lieeinflußt
worden war, denn letzterer war zu jener Zeit in der Schweiz wohl lickannf. liosonders
durch seine Aargauer Karte. ^
364. Die beleuchtete Schichtlinie (nach photographischer Aufnahme). Ein weiterer
Versuch, den Schichtlinien im Kartenl)ild mehr Realität zu verleihen, ist die jjhoto-
graphische Eejiroduktion von Stufen- bzw. Schichtenreliefs. Auch an dieses Ver-
fahren schritt man schon früh heran. V. v. Streffleur sj^richt davon, daß er es 1858
angewandt habe.^ Fast ein Dezennium später versuchte Bardin von dem Mont Dome
in der Auvergne ein körperlich wirkendes Bild in 1 : 80000 mit Schichtlinien auf photo-
graphischem Weg hervorzubringen, indem er zunächst ein Eehef in Stufen, ä gradin,
ausführte und unter schiefer Beleuchtung photographierte. Indessen waren diese
Versuche keine Glanzleistungen. War den Karten auch eine gewisse Wirkung nicht
abzusprechen, so traten die Schichtlinien doch nur auf der Schattenseite als schmale
dimklere Streifen in der gewünschten Weise hervor, nicht aber auf der behchteten
Seite als hellere. Dazu mußten von dem Negativ besondere Eeproduktions- (Druck-)
Platten hergestellt und die Schichtlinien darauf auf der belichteten Seite nachgearbeitet
werden, was man damals noch nicht verstand. Besser schon ist der Versuch, der uns
auf der photographischen Abbildung eines Schichtenreliefs der Gegend von Stolpen
in Sachsen in 1 : 50 000 aus dem Jahr 1 885 entgegentritt, herausgegeben von C. K ö p c k e .^
Das Kartenbild erscheint auf tonigem Untergrund. Die Schichten sind schräg von N
l)elichtet. Auf der Schattenseite erscheinen die Schichthnien intensiv schwarz, auf
der Lichtseite in haarfeinen Linien, unterstützt durch einen feinen weißen Streifen,
der vielfach auch nur allein sichtbar ist. Daraus erkennt man, daß die Platte bereits
nachgearbeitet worden ist, damit sich die weißen Schichtlinien gut von dem bräunlich
tonigen Untergrund abheben. Als man das Lichtdruckverfahren mehr beherrschte,
fielen die Versuche besser aus und man erzielte prächtige Hochliildkarten, wie es auch
im letzten großen Kriege auf deutscher Seite an verschiedenen Heeresfronten der
Fall war. Da die EeHefs sehr begehrt waren, die Nachfrage jedoch in keiner Weise
befriedigt werden koimte, half man sich mit dem soeben besprochenen Verfahren und
stellte in Lichtdruckanstalten im Frontbereich wie in der Heimat eine größere Anzahl
Rehefkarten her (s. § 286), die unter günstigstem Sonnenhcht l)ei schräger Be-
leuchtung aufgenommen worden waren. Diese Hochbildkarten mit scharfen,
schwarzen Schichtlinien im Schatten und hellen, sich vorteilhaft von grautonigem
Untergrimd abhebenden Isohypsen auf der Lichtseite (auch auf der Platte nach-
gearbeitet), erfreuten sich, wie schon bemerkt, größter Beliebtheit bei der Truppe, ins-
' E. Michaelis war ein ebenso gewandter wie wissenschaftlich durchgebildeter Kartograph,
der die Kartographie zu seiner Zeit nicht bloß praktisch, sondern auch theoretisch zu fördern verstand.
Nach der Lehmannschen Manier hat er mehrere zu A. v. Humboldts „Atlas de TAmferique" gehörige
Karten ausgeführt. In der Schweiz wandte er sich später der Schichtliiiienmanier zu.
2 V. V. Streffleur, a. a. O., S. 29.
^ C. Kopeke: Über Reliefs und Reliefphotogramme. Der CiviUngcnieur. Leipzig 1885, S. 2
und 3. Hierzu T. 1. In dem Begleitwort zur Karte heißt es, daß es sich lohnen dürfte, da das nach-
träghche Eintragen von Schatten in eine Schichthnienkarte, etwa nach H. Wiechels Annäherungs-
verfahren, zwar denkbar aber mindestens schwierig sei, ähnliche Karten für Touristen und namentlich
auch für Schüler in größerer Zahl herzustellen.
Die farbige Schiehtlinie und ilir PsoudokürpcrliclikiMt der Schichtlinie. ßl.'j
bt'souclere bei der Artillerie. Dessenungeachtet muß man daran festhalten, daß sie
nur ein magerer Notbehelf waren. Weder konnten die Karten das Hochbild er-
setzen, noch waren sie als hervorragende Schichtlinienkarten anzusprechen, die einzebien
Geländestufen und Massenerhebungen platzten zu abgehackt aus dem Gesamtbild heraus.
3«ö. Die beleuchtete Schichtlinie (nach K(iiistruktioii). Paiilinys .Manier. Was
das photographierte Stufi-nreiief bot. konnte man in fast ähnhcher ^^ eise von vorn-
herein manuell nachahmen, und zwar — ohne ein wirkliches Eelief zur Seite zu haben —
auf der reinen Schichtlinienkarte. Man brauchte sich bloß die Schichtlinien in
ihrer Lage schräg beleuchtet zu denken und sie auf der beUchteten Seite heller und auf
der beschatteten dunkler zu zeichnen, wie es C. A. Eckstein wohl als ein erster vor
mehr als einem Menschenalter ausgeführt, aber nicht weiter praktisch verwertet
hatte.^ Sodann hören wir von dem Versuch von E. Guillemin, der auf einer Schichten-
karte mit , .hypsometrischen Farben" die Isohypsen an der behchteten Seite weiß
ausgespart und auf der beschatteten schwarz ausgezogen hat.- Als kartographische
Xeuentdeckung imd modern frisiert erscheint die gleiche Methode 1898 in AA'ieu auf
J. J. Paulinys Karte vom Schneeberg, Eaxalpe und Semmering, 1:37500, nach-
dem die nötigen Erklärimgen dazu bereits in einer drei Jahre altern Abhandlung
gegeben worden waren.'
Wie ich bei der Erörterung der Wiechelscheu Theorie hervorhob, muß man bei
der Geländedarstellimg in schräger Beleuchtmig dreierlei auseinanderhalten, die
Böschung, den Lichteinfall und die Geländeänderung quer zur Böschung, also den
Verlauf der Schichtlinie. Was Wiechel mit Hilfe der Beleuchtungsformeln von Bur-
meiter unter schwierigsten Verhältnissen gelingt, glaubt Pauliny im Handumdrehen
gefunden, bzw. entdeckt zu haben; denn daß sich andere vor ihm mit dem gleichen
Problem und ähnhchen Kartendarstellungeu beschäftigt haljen. hat er merkwürdiger-
weise vollständig übersehen.*
Eür Paulinys Manier ist Voraussetzung ein toniger L'ntergruml, wie ihn i)ei-
spielsweise schon C. Kopeke gewählt hatte. Für Karten im Maßstab von weniger
als 1 : 50000 wird ein graues, eintöniges Easterzeichenpapier gefordert mid für solche
von mehr als 1:50000 ein glattes, eintöniges, graues Zeichenpapier. Er emjifindet
es geradezu als eine Wohltat^, daß das blendende Weiß der übhchen Kartenbilder,
das auf das Sehen ermüdend wirkt, einen praktischen Ersatz in dem milden Silbergrau
findet. Das ist Geschmackssache; ich für mein Teil ziehe mir die Karten auf weißem
Untergrund denen auf farbigem vor.*
' Die Proben sollen nach H. Zondc ivan , der sie cingotiohon hatte, wie es in .-icinoi .Vllgenieiiien
Kartenkunde, Leipzig 1901, S. 140, Anin.2, heißt, von überrasehonder Wirkung gewesen sein. Eikstein
war Direktor des topographischen Bureaus in Haag.
2 Vgl. E. Hammer i. G. J. XIV, Gotha 1894, S. 78.
^ J. J. Pauliny: Memoire üb. eine Situationspläne- und Landkartendai-stelhing.'niethiHle.
•Slreffleurs österreichische militärische Z. Wien 1895. S. 66-87.
* Seine Entdecke rfreude hat ihn auch den Griffel zu breit führen lassen, denn die ganze Ma-
terie hätte in dem Zehntel des Unifanges der Abhandlung bequem Platz gefunden.
» J. .1. Pauliny, a.a.O. S. 70.
" Nach Paulinys Loblied des grauen Untergrundes wäre zu empfehlen, erst einmal samtliche
Bücher auf silbergrauem Papier zu drucken, weil gerade bei den jetzigen Büchern „das Weiß aus im-
zähligen Lücken und verschiedenartigen Zwischenräumen gn-ll hervorleuchtet". Dann würden sicher-
lich die Bücher wesentUch besser zu lesen sein!?
f,14 Die wit!si'nschaftliclifii Gruu(llai;eu ilei- Gelilndediirstelhiug.
Die wt'itcn-e Erörterung schließt an die Isohypsen an. Gut ist der Gedanke, daß
bei der schrägen Beleuclitung auch die Abstufung des Lichtes quer zur Böschung
berücksichtigt werden muß, em Umstand, der bei dem HchrägHcht nur zu leicht ül)er-
sehen wird. Die Regeln, die er über die Verteilung von Licht und Schatten in Beziehung
zum grauen Untergrund aufstellt, gewonnen an Licht- und Schattenverteilung der
einzelnen Isohypse, sollen gleicherweise maßgebend sem für die Schummerung,
Schraffierung und Lavierung. Doch da letztere kartographische Manieren das Karten-
bild verundeutlichen, wie er selbst sagt, hält er sich bei seinen Ausführungen haupt-
sächlich an die hypsometrische Terrainzeichnung. Er denkt sich nun die Isohypsen
von der Seite beleuchtet und glaubt, damit etwas Neues gefunden zu haben. Die
Lichtquelle versetzt er direkt nach W und läßt dit> Stralilen unter 45" auf das Gelände
einfallen.
Nehmen wir beispielsweise einen kreisförmigen Schichtenverlauf an, kann ich
diesen Kreis im Grundriß durch eine Senkrechte und Wagerechte, durch den Mittel-
punkt gezogen, in vier Quadranten teilen. Die beiden westhchen, der Lichtquelle
zugekehrten, werden mit weißer Tusche, die beiden östlichen mit schwarzer oder
dunkler Farbe gezeichnet. Ein jeder Quadrant wird weiter in drei gleiche Teile zer-
legt, also 8x30". Nehmen wir den nordwesthchen Quadranten vor, so beginnt man
mit der Weißverteilung in der Mitte und schreitet nach N fort, zunächst bis 30".
Innerhalb dieses Eaumes „wird die Isohypse mit einer weißen oder hellfarbigen Linie
dem Maßstab entsprechend kräftig ausgezogen." Was heißt hier „dem Maßstab ent-
sprechend"? Etwa bei großem Maßstabe recht dicke Linien und bei kleinem recht
dünne"? Pauhny gibt darauf keine Antwort, auch seine Karte nicht. Von 30—60"
wird die Schichtlinie nicht so kräftig ausgezogen und von 60—90" löste sie sich in
zarte Punkte auf. Wie der nordwestliche Quadrant wird der südwestliche behandelt.
Ganz entsprechend dieser Lichtgebung ist die Behandlung der Schichtlinie mit dunkler
Farbe auf den entgegengesetzten, den östlichen Quadranten, die im Schatten liegen.
Bildet die Isohypse ein Quadrat, dessen vier rechte Winkel genau nach N, 0,
S und W gerichtet sind, dann werden die NW- und SW- Seite weiß und die NO- und
SO-Seite dunkel dargestellt, und Hegt dieses Quadrat so, daß die vier Seiten direkt
nach N, 0, S und W zeigen, dami werden die W-Seite als weißer Strich, die N- und
S-Seite als punktierte Linien und die O-Scilc iils dunkle Linie gezeichnet.
Bei der Übertragung der Schicht iiuitniiicthode auf die Böschungen, die in
Schraffierung, Schummerung oder Lavierung erscheinen sollen (schräge Beleuchtung
vorausgesetzt), wird zunächst ein Anleihe bei dem verpönten Lehmann gemacht.
I'auliny fußt auf dem Lehmamischen Gesetz, daß sich die Stärke der Striche oder
Schraffen zu den leeren Zwischenräumen wie der Böschungswinkel zum Ergänzungs-
winkel von 45" verhält. Wie Lehmann berücksichtigt er auch nur Böschungen von
5—45", obwohl er weiß, daß man in den Alpenländern zu einer Verlängerung der
Skala nach oben hin gezwungen war. Aber das Lehmannsche Abstufungsschema
wird ihm zum Leitmotiv für die Abstufung der Isohypsenfarbe (Isohypse gleich-
bedeutend der entsprechenden Böschungszone), also eine Abstufung des Lichtver-
liältnisses quer zur' Böschung. Bei einer Böschung von 5" sind nach Lehmann 8 Ge-
ländeteile weiß und 1 Teil schwarz, l)ei Pauliny für die Isohypsenzeichnung 8 Teile
grau und 1 Teil weiß, bzw. auf der Schattenseite der Isohypse 8 Teile grau und 1 Teil
schwarz oder dunkelfarbig. Das ist ein wesenthcher Unterschied zwischen beiden
Methoden. Pauliny muß die graue Grundfläche als Ton mit einstellen und entfernt
Die farbige Scli
sich
dailurt-li, da vv ilicsc
mag,
in weit hülu'rni (!r
litliiiii- unil die I'scudoköriieiliehkeit der Schiclitlinic.
Ton iiitdil luatlienKiliscb und phy.sikaliscb zu crfas
Ic von der natürlichen Beleuchtung als Lehmann.
615
366. Die einlathcie Euhvickliinis; der Pauliuysehcn Jlelhodc. Die Fehler dieser
Methode uud der danach ausgeführten Karten. Die gesamte Paulinysche Methode
läßt sich am besten an einer Skizze entwickehi; sie zu geben, hat Pauliny versäumt.
Bild 10 sei der NW- Quadrant einer kreisförmigen Isohypse (oder eines kreisrunden
stumpfen Kegels, zwischen dessen beiden höchstgelegenen Schichtlinien durchweg
eine Böschung von 40" anzunehmen ist). Der Quadrant wird von 5 zu 5" eingeteilt;
das sind die Böschungen des Geländes in horizontalem Sinne oder die Neigungen,
die im Bild 10 die einzelnen Abschnitte des Yiertelkreises zur Senkrechten WD haben,
die in 0" auf der Linie WC errichtet ist. Wir wollen der Einfachheit halber hier von
„Isohypsenböschung" sprechen.
Bild tO.
Bei einer Böschung des Geländes von 45" erhält die Isohypsenböscluuig von
0—5« volii>s Weiß, die von 5—15" erhalten 8 Teile weiß und 1 Teil grau, die von
15— -250 7 Teile weiß und 2 Teile grau. Das gleiche Verhältnis hat statt bei dem SW-
Quadranten. Was für beide Quadranten im Verhältnis von Weiß zu Grau gilt, ent-
spricht auf der Schattenseite das Verhältnis von Schwarz zu Grau, also ganz ähnlich,
wie es schon oben l)ei der einzelnen Isohypse entwickelt wurde. In Beziehung hierauf
spricht Pauliny von einer Doppelskala. Hat das Schema auch anscheinend Methode.
so hat es doch keinen Sinn; z. B. sind bei einer 25 gradigen Böschung Weiß und Grau
von 0—45*' Isohypsenböschmig in ilem Verhältnis von 5 : 4 verti^ilt, dagegen die andern
Isohypsenböschungsabschnitte bleil)en bei dem gleichen Vi-rhäitnis wie sie es bei 45»
Böschung aufweisen; fünf Abschnilti^ wechseln stetig ihr Verhältnis und fünf müssen
sich mit einem lj(>gnügen. Dies Mißverhältnis kehrt in ähnlicher krasser Weise bei
allen Ijiisehungcn wieder.'
|{,i I'
lulicsZci
)l)cii lifil3<Mi 0 bisSö" uml
616 Die wissenschaftlichen Grundlagen der üeländcdarstolhmg.
Daß bei geringiTer JJuscliung die Liclitiiitensitäl eine geringere ist, kouinit aucli
bei Paulinys Methoile zum Ausdruck. Nur über das Ausmaß dieser Abnahme war
man sich nicht klar und hat zu einem Schematismus seine Zuflucht genommen, der die
natürlichen Beleuchtungsgesetze in keiner Weise respektiert; wir wissen, daß selbst
deren Beachtung zu keiner befriedigenden Lösung führt, wie die Wiechelschen Unter-
suchungen erwiesen haben. Bei schräger Beleuchtung kann das Schwarz- Weiß-
verhältnis nur mühsam von Zone zu Zone berechnet werden. In seiner Schatten-
uud Farbenplastik hat K. Peucker bereits die Schattierungen von Pauhny mit dem
natürlichen Beleuchtungsgesetz, wie es Wiechel entwickelt hat, in Verbindung ge-
bracht und die Unterschiede zwischen beiden bei einer Böschung von 45" untersucht,
wobei er unter anderm zu dem Ergebnis kommt, daß bei einer Isohypsenböschung
von 5—15" Pauliny die Böschung bereits so stark schattiert hat, wie sie einem Böschungs-
winkel von 27*' entspricht; der Fehler beträgt hier ITOVo--' Man könnte diese Fehler-
berechnungen leicht auf die verschiedenen Böschungen ausdehnen, was praktisch
jedoch kaum Zweck hätte, weil dadurch keine neuen Gesichtspunkte für eine bessere
Darstellung gewoimen würden. Überall, in welcher Eiclitung man auch der Methode
von Pauliny auf den Leib rückt, erweist sich, daß der Weg, der für ihre Begründung
eingeschlagen wurde, ein verfehlter war; die wahren Beleuchtungsgesetze dürfen auf
keinen Fall umgangen werden.
Vielleicht hatte Pauliny selbst kein rechtes Vertrauen zu seiner Methode, denn
in seiner Karte hat er uns bloß ein Schichtlinien- und kein Schichtflächenbild gegeben.
Die Karte vom Schneeberg, Eaxalpe und Semmering in 1 : 37500 erschien in 4 Blättern,
und zwar in einer vierfarbigen und einer achtfarbigen Ausgabe. Am klarsten springt
seine Methode ins Gesicht bei der ersten, worauf die Situation schwarz, das Gewässer
blau imd die Schichtlinien weiß und dunkelbraun erscheinen. Die Arbeit ist akkurat
und sauber ausgeführt und kartographisch gut durchdacht. Die gesamte Schichthnicn-
führung zeigt den routinierten und geographisch gut durchgebildeten Kartographen.
Aber die Kartenj^lastik, um die so viel Wesens gemacht wurde, ist „matt und schal,
ohne Kraft und Seele". ^ Die Schuld trägt zweifellos zum gut Teil das gleichmäßige
Grau des Papiertons, das die Modulation in den Schatten und mithin die t'bersicbt-
hchkeit der Höhenabstufungen verhindert.' Die 100 m-Schichthnien sind stark her-
vorgehoben, im übrigen ganz so behandelt wie die Zwischenisohypsen; die Wirkung
der Karte geht in der Hauptsache auf die 100m -Schichtlinien zurück, die andern
Schichtlinien treten schwach hervor. Betrachtet man die Karte bei schräger Haltung
aus einiger Entfernung, dreht sich der Effekt des Bildes um, die beleuchteten Seiten
erscheinen als die Ostgehänge und die im Schatten liegenden als die Westgehänge,
eben eine Folge des Unvermögens der Zeichinuig, Hühenalistufuugcn zu veranschau-
lichen.
Die achtfarbige Ausgabe der Karte wirkt plastischer, was indessen nicht auf
den Schichtlinien beruht, sondern an der geschickten Handhabung der Kultursignaturen.
Der Wald, der in der Hauptsache die Berge deckt, erscheint auf der Lichtseite in
feinen hellgrauen Bingeln, auf der Schattenseite in dunkelgrünen Ringeln. Dadurch
1 K. Peucker: Schattenplastik und Faibcnplastik. Wien 1898, S. 08, Anm.
^ Es sind dies Worte von Pauliny, die er aber andern und nicht seinen Karten gegenüber
gebraucht; a. a. 0., S. 8.3.
3 Dies auch von H. Habenieht erkannt. P. M. 189!», IM. 98, S. 25.
Dil; fiii-bige Scliiclitliiiic und die I'seuiluköi-pcrliclik.il dor Scliiclitliiii.'. (J17
wird die i)la.stisclu' Wirkunt^ außi-rurtk'utlich gi^stärkt. WVnn nun l'auliny du- Klar-
heit und EuIr' in seinen Kartenbildem betont, so ma^ dies allenfalls für die vierfarbif^e
Karte gelten, nicht aber für die achtfarbige, denn gerade der ständige Wechsel in
der Färbung der Signaturen filr ein und densellien Gegenstand hat ein unruhiges
Aussehen des Kartenbildes zur Folge. Und ^venn Pauliny glaubt, daß durch seine
Methode ein bis in die kleinsten Details naturgetreues j)lastisches Bild der Erdober-
fläche gewonnen und durch die strenge Beobachtung der Begehi eine erwünschte
Cileichheit und Richtigkeit der Kartenblätter erlangt wird, was größtenteils bei den
bisherigen Kartenwerken zu wünschen übrig läßt^, irrt er und verwechselt Ursache
mit Wirkung, denn die v(mi ihm beanspruchten Vorzüge seiner Karten liegen nicht
in seiner Jh'tbode, soiulrrn im Wesen jeder Schichtlinienkarte. In seiner Entdecker-
freude fand er niciit das richtige Maß der Einschätzung des Wertes seiner Methode,
wie auch folgende Worte bezeugen: „Dil' Höhe dieser Linie (Isi)h}-j)se) aus dem flachen
Vapier heraustretend zu zeichnen, das ist also das Ziel und der Hauptzweck dieser
'J'hcDric: jedoch soll dies nur geschehen auf dem Weg mathematischer Genauigkeit
und unter Ausschluß jeder, noch so sehr durch ihre Schönheit bestehenden zwang-
losen Malerei, welche schließlich des gänzlichen Mangels der Perspektive auf einem
Plane oder einer Karte absolut wertlos sein müßte. Der graue Mittelton wirkt auf
die Zeichnung mildernd; aus ihm heraus entwickelt sich nach der Dopjielskala das
plastische Terrainbild, mächtig und massig, klar und deutlich, trotz der kleinsten
Details in demsellxu.''^ Das alles sind lediglich schone Worte, die mehr versprachen
als sie hielten.
Wie ein Meteor leuchtend ging seinerzeit die Methode Paulinj-s am kurtograiihi.schen
Himmel auf, um so schnell wie möglich auch wieder zu versinken. Bei ihrem Auf-
leuchten von Urteilslosen bewundert und mit Beifall beklatscht', von den Verständigen
und Sachkennern aber, wie von H. Habenicht, K. Peucker, E. Hammer-*, abgelehnt,
ist sie wie kaum eine andere Geländedarstellungsmethode auffällig schnell der Historie
überwiesen worden. Daß mit ihr tatsächlich nicht viel anzufangen ist, beweist am
glänzendsten, daß sich niemand durch sie zur Nachahmung angereizt fühlte. Selbst
Pauliny ist über seine Haxalpenkarte nicht hinausgekommen. Die Jlethode hat ver-
sagt, was meines Erachtens nach ebensosehr an ihrem verfi>hlten mathematischen
Aufbau liegt wie an der Verkennung des Wesens der Isohypse, die eben nur ein Liniou-
ülement ist, dem man nichts Flächenhaftes andichten soll.
^ J. J. Pauliny, a. a. Ü., S. 81. — Man vgl. damit z.B. die um jcno Zoit auch i'nt«taiiili-iH-
auügczciclincto Karte des Scmmering, 1 :25000, bi-arb. von C. Frey tag in Wien. Diese Karte siliiit/.e
ich bei weitem liöher aLs die von Pauliny.
- J. J. Pauliny, a. a. O., S. 82.
» So schreibt beispielsweise A. E. Sei bc vi in liii ...MiUmdik des Lntei iKlit.-^ m der i;tH)gmi)hie",
Wien 18iHt, S. 18, Anm.: ,,Dcr Kartograph J. .1. Pauliny in Wien hat in jüngster Zeit S|K»zialkarten
nach einer ganz neuen, von ihm erfundenen Art der Sihiehtonzeichnung heniusgegeluii, weiche ein
außerordentlich plastisches Bild darbieten. Sollte es gelingen, die.se neue Methode auch für
die kleinen Maßstäbe für die Schulkarten zu venvenden, so würde damit die Sihwierigkeit lies Karten-
lescns mit einem Schlage verschwinden." — O ."«ancta sini])licitas!
* IC. Hammers ausführlicbere Bespmliurig über Panlinys Methode in 1". M. IS'.Mi. 1,H. 2.".. S. 7.
Die wisscnschaflliclicu Gniiuila;;i'ii ilrr (irlämlcdarstclliui};.
IV. Der wissenschaftliche Aufbau der Höhenschichtkarten.
307. Die Isohypsen und ihr Zwisehennuini. Allr \iisik1ic, den Scliichtlinicn
außfi- einem ideellen Wort noch einen realen im Inteivsse der (nliindex eranschaulichung
zu verleiben, sind mehr oder minder gescheitert. Nicht die Schichtlinie, sondern der
Zwischenraum zwischen den Schichtlinien ist das Feld, auf dem sich Schattengebung
und Farbe austummeln können. Das Linienelement wird für plastische Zwecke durch
das Flächenelement ausgelöst, was dem logischen Aufbau des Geländebildes voll-
kommen entspricht, und der Zwischenraum büßt kein Jota seines Wesens ein, wenn
er als Fläche verschiedenartig in der Tonfärbung behandelt wird.
Bei der Schattierung oder Tönung der Zwischenräume, ganz gleich, nach welchem
Prinzip dabei verfahren wird, ist es notwendig, den Zwischenraum nach seiner Breite
zu bestimmen, ganz gleich, ob es sich um topographische oder chorographische Karten
handelt. 1 Vorzüglich sind es die letzten, die gern schichtfarbig dargestellt werden.
Für Karten kleinern Maßstabs ist, wie wir in den vorhergehenden Kapiteln zur üenügo
nachgewiesen haben, die Wiedergabe ihrer Schichtlinien bzw. Schichtlinienzwischen-
räume in dem ihnen zukommenden Maßstab ausgeschlossen, womit nichts anderes
gesagt ist, als daß die Böschungen nicht mehr genau aus der Zusammenhäufung der
Schichtlinien zu ermittehi sind. Dies beabsichtigt ja auch gar nicht die Höhenschicht-
karte, die in der Hauptsache andere Zwecke verfolgt, nämlich die Veranschaulichung
der Höhe oder der Huhonlasr' der Massenerhebungen. Die Schichtlinien, die sich auf
den Höhenschichtkaiini zeit;i n, sind teils reine Scheidungslinien für verschiedene
Farben oder für verschiedenr Stufen ein und derselben Farbe, teils sind sie Trennungs-
linien für größere gemeinsame orographische oder auch bio- und kulturgeographischo
Tatsachen. Immer bleiben sie jedoch die unveränderte wissenschafthche Basis der
Karte.
Als reine Trennungslinien können die Schichflinien in glciclien oder ungleichen
Abständen einander folgen. Die ungleichen Abstände sind entweder ganz regellos
oder progressiv wachsend. Unzählig sind die J>eis|iiele. die für all die AVistandsver-
hältnisse angeführt werden können. Selten werden dabei wissenschaftliche l'rhi-
zipien befolgt, und man erkennt, daß mehr praktischen Erfahrungen nachgegangen
wird. Soweit es der Maßstab gestattet, wählt man möglichst gleichgroße Stufen, im
Flachland selbstverständhch engere Stufen, z. B. 25 zu '^5 ni (liliKlau)^, in den Mittel-
gebirgen höhere Stufen, 50 zu 50 m (Keil)^ oder 100 zu 11)0 m fßehrmann)* und in
1 ÜbcT die Srliichtlinifiicntfcinung auf effizicllcn Kailcii. .s. S. 604, 005.
- A. Bludau: Hohen.schkhtenkarte dor picußisclieu Sfeiijjlattc und des wcstinciißi-scüoii
AiitcilsdcTPommerschen Seenplatte, 1:500000. P. M. Ergh. 110, 1894. Auf der Karte sind 15 Höhen-
stufen zu je 25 m gezeichnet, mit 2 grünen wird begonnen, dann folgen 2 gelbe, 6 braune, 3 neutral-
tintenfarbige u. 2 graue Stufen.
■■' H. Keil: Höhenschichtenkarte des Thüringenvaldes. 1:100000. Eisenach 1895 und 1896.
Darauf 18 Höhenstufen zu je 50 m, von 100—1000 m. Die Stufen von 100—350 m sind grün, 350 bis
400 m weiß, die übrigen braun, nach der Höhe für jede Stufe dunkler abgetönt.
* W. Behrmann: Isohypsenkarte des Harzes. 1 :400000. T. 3 in Forschungen zur dcutscbcn
Landes- und Volkskunde. XX. Heft 2, Stuttgart 1913. 100-200 m hellblau, 200-390 m hellgiiiii,
bis 400 m gelb, bis .'»00 m braun, bis 600 m rötlich, bis 700 m hellrot, bis SOO m rot, bis 900 ni rot an-
gedunkelt, bis 1000 m dunkelrot, bis 1142 m rot, sehr dunkel.
Der wisscusehaftlichc Aufbau ilcr Hölu'iischiilitkartcn. 61 'J
den aljiimn Kc^'ionfn noch höhere Stufen, 200 zu 200 ni (Peucker)^ oder 250 zu 250 ni
und 500 zu 500 m (Schjerning).''^ Unregelmäßige Stufenhöhen treten (iott sei Dank
selten auf, wie z. B. auf Brackebuschs argentinischer Karte.^ Dali die Stufen nach
der Höhe progressiv wachsen, wie von 100 auf 500 ni, ist eine beliebige Manier. Ein
Musterbeispiel dieser Art ist die Höhenschichtkarte vcn Bayern in 1:250000.*
Nicht so ausgeprägt ist das Progressive auf der hypsometrischen Übersichtskarte
des größten Teiles der österreichisch -ungarischen Monarchie in 1:750000, dagegen
in bedeutendem Jlaße in fast allen Kartenproben, die der Herausgabe einer ein-
heitlichen Luftschifferkarte galten. Moedebeck, seinerzeit Präsident der Inter-
nationalen Kommission für Luftschifferkarten, ging von der Tatsache aus, daß die
meteorologischen Stationen in ihren Veröffenthchungen die Windstärke in verschiedenen
Höhenstufeu geben, was sieh in der Luftschifferkarte widerspiegeln muß (vgl. S. 290
u. 2«)1).5
Die Bedeutung der Gleichahslufigkeit wird meist übersehen und \on der Kritik
zu leicht genommen. Unstreitig haben die gleichen Intervalle großen Wert. Die Aus-
dehnung der einzehien gleich hohen Geländepartien werden viel leichter überblickt
und in ihrer Ausdehnung und Bedeutung für den orographischen Aufbau des Terrains
besser gegenseitig abgewogen als bei inäquidistanten Schichtlinien. Die Abstände
jirogressiv wachsen zu lassen, ist mehr oder minder ein Notbehelf, entstanden, lun
einmal die Parbenfolge nicht ziivielghedrig werden zu lassen und sodann bei den noch
Aielfach ermangehiden Höhenkoten die Zuflucht nicht zu vielen Interpolationen
nehmen zu müssen. Selten werden mit den w^achsenden Zwischenräumen wissen-
schaftHche Momente verbunden. Wo dies aber der Fall ist, werden wir zu den Begional-
farben Sydows hinübergeführt.
368. Die Regionaüarbeii. Bvi der Klassifizierung der Berge nach ihrer Hube
kommt A. \. Humboldt auf eine Idee, die sich in der Folge nicht verwirklicht hat;
er wollte tlem Gedächtnis dienen, das er mit zu großen Zahlen nicht belasten wollte.
Im Hinblick darauf .sagt er: „So sollte man — wie ich glaube — für ganz kleine Er-
höhungen (eine Knospe, eine Warze) nur ilas Millimeter, für eine etwas gn'ißere,
z. B. für einen Maulwurfshaufen, das Zentimeter, für einen Tumulus (Grabhügel)
das Dezimeter, für die natürlichen Hügel das Meter, für t'inen Berg mittk^rer Höhe
das Dekameter, für einen Berg erstt'r Gnißi' das Hektometer anwenden."^ Humboldt
trug hierbei viel zu wenig den psychologischen Gesetzen Bechnung, denn die ver-
' K. Peuckors Körte des Doloniitengobictes in seiner Arbeit über die „Uöheusebichteii.
kiirten". .Stuttgart 1910. »
- VV. Sebjerning: Höhenschiehtonkarte des Pinzgaus. I::2y00ü0. Forechgii. zur deut-sch.
Jjiiides- u. Volkskunde. X. 2. Heft. Beilage U>. Stuttgart 1897.
^ L. Braekebusrli: Hoheii-schiihteiikartc des noiiiwe.stlielien Teils der argent inisehen Kepublik.
l::il)00(K)0. V. M. 189:t, T. 10. 100 2(H»Mi hcllgell). bis .500 m gelb kriifllg, bis 1000 ni liollgrün.
bis 1500 m dunkelgrün, bis 24(K) m licllblau, bis ÜOOO ni dunki-lblau, bis 41HH» in wii'.'rig liellbniun,
bis 4500 m liellbraun, bis .5000 m hellrot, bis .■m(H) m dunkelmt, bis 7(HK) ni weiU.
* Höhensehiehtenkarte von Bayern. 1:250000. AiLsgabe lOlKl. .•«00-400 n\ dunkelgrün,
bis noOm hellgrün, bis fiOO m hellgelb, bis 81X) ni mittelgelb, bis lOOt) ni briiunlieligelb. bis 12»Ht m
hellbraini, bis 1.500 ni mittelbmun, bis 2000 m braun, bis 2.500 m dunkelbraun, bis UOOO in n>«.
i Moedebeek: Die Luff.schifferkarte des Deutschen Luflsehiffervei Landes. V. M. MKUt.
S. 26. (Kartogm|.hiseher Monatsbrrielit S. 5((.)
• Aus ..Brief« eehsel v. Humboldts mit Heimi.h Hergliaus'-. 2. Ausg. I. .bna ISIÜ». S. 222.
Vgl. aueh Annales des seienees naturelles. .\lll. I.s2s. S. IJO.
620 Wif wissciisi-liuftlichen Grundlagen ilcr Gclamli'darsti'llung.
scbiedeuou Erhebungen der Erdrinde nach Meter, Dekameter und Hektunieler zu
rubrizieren, beißt drei Höbenbezeichnungssysteme einführen, die stets zu Unklar-
heiten und YerAvechslungen geführt hätten; es lassen sich leichter drei Höhenzahlen
nach einem Sj'stem als drei nach drei Systemen merken und auseinanderhalten.
Immerhin schimmert durch die Humboldtschen Ausführungen der Gedanke durch,
die Geländeformen nach ihrer Höhe zusammenzufassen und zu charakterisieren. Er
wollte gewissermaßen durch die Zahl ersetzen, was späterbin den Eegionalfarben
besser gelang. Darum erschien es mir auch notwendig, Humboldts Verdienst bei der
Untersuchung der wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung nicht zu
übergeben.
Anklänge an die Hcgionalfarbeii finden wir schon vor E. v. Sydow; indessen
sind sie erst durch sein Wirken zu eiin-ni unveräußerhchen Bestandteil der Schul-
karten geworden. Bei 200 m etwa werden die Tiefland formen zusammengefaßt, bis
500 m die Hügelländer, bis 2000 m die Hochgebirgsformen. Von andern werden
die charakteristischen Formen der Massenerhebungen etwas anders zusammengefaßt;
im großen ganzen jedoch entfernen sie sich nicht wesentlich von den hier ziffermäßig
angegebenen Grenzen. Grün wurde dem Tiefland gegeben, Braun den Gebirgsformen ;
in dieser Earbenwahl der einzelnen Regionen begegnet uns ein logisches, natürliches
Prinzip, weshalb die liegionalfarben auch großen Anklang und allgemeine Verbreitung
fanden. HauptsächHch haben sie mit mehr oder minder geringer Abänderung das
schulkartographische Feld erobert. Vor E. v. Sydow dienten die Atlanten, insbesondere
die Schulatlanten ledigHch der pohtischen Geographie. Mit dem Sydowscheh Schul-
atlas wurden mit einem Male die natürlichen geographischen Grundlagen in den
Vordergrund gestellt, allerdings schon vor E. v. Sydow durch C. Ritter angeregt.
Es ist ja erklärlich, daß derjenige Atlas, der in einer so wesentbchen oder geradezu
in der wesentlichsten Hinsicht zuerst den richtigsten Weg einschlägt, sich diesem
großen Verdienst entsprechend in der Gunst des geographischen Publikums fest-
setzt, und daß andere spätere Atlanten ihm auf längere Zeit hin nur schwer Konkurrenz
bereiten konnten, selbst wenn sie in diesem oder jenem Punkt besser waren.
Die Eegionalfarben noch weiter zu vertiefen und mit ihnen ein bio- und luühn-
geographisches Moment verknüpft zu haben, ist in der Hauptsache nur zwi'i Autoren
gelungen, C. Kol'istka und V. v. Streffleur. Die Arbeiten beider haben wir bereits
zur Genüge kennen gelernt. Die berühmte Karte der Tatra von KoHstka habe ich
dort, wo es galt, künftige kartenwissenschaftliche Richtlinien festzustellen, eingehender
gewürdigt (S. 101), und Streffleurs vorzüghcher „Karten von Niederösterreich" habe
ich bei der geschichtlichen Entwicklung der Hohenschichtkarten in gebührender
Weise gedacht. Daß selbst auch staatliche Hohenschichtkarten Ijei der Zusammen-
fassung von Stufen durch embeithche Farben Kulturzonen im Auge hatten, habe ich
bei der österreichisch-ungarischen hypsometrischen Karte in 1:750000 und der
italienischen in 1 : 500000 nachgewiesen. Nach diesen erfreulichen Ansätzen von
KoHstka, Streffleur n. a. ist man um so erstaunter, daß sie keine Nachfolger ge-
funden haben, zumal die Höben des Reliefs der Erde an klimatisch-, kultur- und bio-
geographischer Bedeutung gegenüber den nordsüdlichen Verbreitungsgrenzen kul-
tureller Erscheinungen mit einem „mehrtausendfachen Gewicht" in die Wagschale
fallen. 1 Vielleicht hatte man um die Wende des Jahrhunderts wichtigere karto-
K. Peucker: Die kartogiaphische üaistellung der dritten Dimension.
G. Z. 1901, S. 25.
Her wissenschaftliche Aufbau dfr Höhenschichtkarten. (J21
fjraphische Probleme zu lösen, die die wisseoschafflich verfeinerte Regionalkarte in den
Hintergrund drängten, vielleicht müssen noch mehr Tatsachen gewonnen werden, umeinen
allseitigem Auf hau dieser Kartenart zu beleben und zu befruchten ; wie es sich auch ver-
haltenmag, jedenfalls befindet sich diese Kartendarstellung noch in einem embryonalen
Zustand: auch wollen wir nicht verkennen, daß es sich dabei in der Hauptsache um
Sonderuntei-suchungen imd Sonderkarten handelt.
369. Die reine Hühensrhirhtkartp und ihre ersten wissenschaftlichen Festsetzungen.
Die Leere der Scliichtlinienkarten wird teils als ein Vorzug teils als ein Nachteil be-
trachtet; als ein Vorzug, wenn es sich um weitere wissenschaftliche und technische
Studien, als ein Nachteil, wenn es sich um veranschaulichende und didaktische Zwecke
handelt. Für das große Publikum lösen sie nicht selten das Gefühl des Unfertigen aus.
obwohl das Unfertige heute, wo wir schon mehr als früher an den Anblick und Ge-
brauch der Isohypsenkarten gewöhnt sind, weniger empfunden wird. K. Peucker
wird zum großen Interpret dieses Gefühls, wenn er sagt: ..Die reinen Isohypsenkarten
sind seelenlose Bilder des Geländes".^ Pur ihre Zeit wohl begründete Klagen über
das Unzureichende imd Unzulängliche der äquidistanten Höhenkurven hören wir
aus dem Munde E. v. Sydows, indem er von der Voraussetzung ausgeht, daß mit
der Genauigkeit der Darstellung vertikaler Verhältnisse eine schnell zu erfassende
Übersicht der Bodenplastik vereint werden muß. Nach seinen Folgerungen ist das
Vollkommenste eine Vereinigung der Angabe der Schichtlinien mit einer in Strichen
oder Tuschtönen ausgedrückten Darstellung der Bodenform.- Von dem Wirrwarr der
Farbengebung auf den Höhenschichtkarten seiner Zeit ist er nicht entzückt, und er
nift aus, daß es nachgerade Zeit würde, für die Farbenskala des Höhenschichten-
kolorits zu übereinstimmenden Gnmdsätzen zu kommen.' Bei der Betracht img einer
Höhenschichtenkarte von C. Kolist ka* kommt er zu dem Ergebnis, daß durch ein
sinnreich gewähltes Kolorit nicht allein das hj-psometrisehe Element z\i voller Geltung
gelangen, sondern auch ein plastischer Eindruck erzielt werden kann.^ Sydows großes
Verdienst lag mit darin, immer wieder die Betrachtung der Höhenschichtkarten
gefordert zu haben. Das war für die damalige Zeit nicht leicht, imd in einem Brief
an A. Steinhauser*, in dem er sich für Papens Höhenschicht karte erwärmt, lesen
wir: „Die ganze Höhenschichtendarstellung hat überhaupt noch wenig Freumle.
weil wenig Verstehende. Wir dürfen also nicht ablassen zu i)redigen. etwas Ideibf
doch sitzen!" Bezüglich der Farbenintensität und Farbenfolge vertrat er iiekanntlich
das Prinzip: Je tiefer desto dunkler. Sellistverständlich durften die Niederungen nicht
zu dunkel, sondern mußten noch genügend durchscheinend sein, die darunter befind-
liche Situation in voller Deutlichkeit durchblicken zu lassen.
' K. Pourkrr: Drei Thesen z. Ausbau der theoretisilien Kartopmjihie. C. '/.. Iit02. .*<. 147.
= E. V. Sydow bei der kritiseli. Bcleuehtunp der Karte von .1. Huvenne: Cart« to|io);raiilii.nie
it In (»sonietrique de Bruxelles et ses enviitins. 1:20000. Hril.vel lS.'i8. P.M. IS-W. S. iiS.
^ E. V. Sydows Ausspnieh wurde vemiilaUt diinli .1. M. Ziepler» Hyi>s.mietrische Karte
der Sihweiz. 1:380(HK). Winterthur 1860.
« (". KofiHtka: Höhensehichtenkatto von Mahren u. ()lien<ehlesien. nach den im Auflrac diti
Werner-Vereins au-speführten sowie nach anilern Hi.henmessuniien rntw.>ifen u. pereiehiict I ('••"'"'
Briinn 18«:i.
' E, V. Sydow i. P. M. 180:1. S. -172.
• Hrief vom 10. .Tiinner 1S9.''.. \p'. Mi<- d. p-opr. Ce-;. Wiiii ISSS. S. SC.
622 l^ie wissenschaftlichen GniiuUngcn der GoliindiMlarstellung.
Die Wurzeln des Sydowschen Prinzips glaulit man in den ^\orten „die Tiefen
dunkel, die Höhen, wie bei jeder erhabenen Arbeit, hell gehalten", zu erkennen, die
uns in der Erläuterung zu den Kärtchen „Europa" von C. Ritter entgegentreten
(1S04). Im Hinblick darauf spricht S. Marthe von dem ,, Versuch, aus dem uns
wie eingehüllt in das Nebelgrau der Morgenröte, das Bild der jetzigen Höhenschichten-
karte entgegenschimnirif ."' l'ci diu NiiMlcii-indcni fand SyddW gute l'elcgc für seine
Anschauung.-
370. Dip Grunilsälzc der ^Viciicr Schuk'.' Gegensätzlicli zu Sydciw entwickelte
sich der (Irundsatz: Je hdlicr drslo (luid<ler; entstanden in Aulcliiiiuig an die senk-
recht beleuchtete Schraffenkarte : .Ic steiler desto dunkler. Und da die Erhebungen
mit der Höhe in der Regel steilei- werden, war die begriffliche Übertragung der Steil-
heit auf die Höhe nichts Absonderliches. ])er Hauptvertreter des zweiten Prinzips
war zu Sydows Zeiten Fr. v. Hauslab. Er w^ar auch derjenige, der zuerst dem Pro-
blem der Farbengebung auf Höhenschichtkarten wissenschaftlich näher trat, und
seine 1S64 niedergelegten, aber von ihm schon längst befolgten Grundsätze sind folgende :
..Trotz der Verschiedenheit der Farben muß als Totaleindruck eine Stufenleiter,
je höher, desto dunkler, hervorgebracht werden.
Die Farben müssen deutlich unterscheid bar, milereinander imverweebselbar
und bestinmit verschieden benennbar gewählt werden.
Ihre Reihenfolge muß so geordnet werden, daß zwar deiinicli unlerscbeidbare,
aber nicht grell entgegengesetzte oder abstechende Farljcn nebeni-inunder zu stellen
kommen, weil sonst die zur Einheit unumgänglich nötige Harmonie zerrissen wird
und ein Eindruck von körperhchen Massen nicht hervorgebracht werden kann; kurz,
die l'arlien müssen, wenn auch verschieden, doch zu einem Ganzen assimihert sein.
Man soll erkennen können: Erstens die plastische Hauptform, zweitens, was
lu)her, was tiefer ist, und drittens, wie hoch ein Punkt ist."^
Durch diese Grundsätze wurde er auch zum Anreger dei- J''inliiiipliislik.'' Nacli
mancherlei Versuchen war es Hauslab gelungen, die Schichtlinien zur unniittelliaren
Veranschauhchung der Höhenverhältnisse auszuwerten. Seine Ideen fielen auf frucht-
baren Boden und wurden verwirklicht durch V. v. Streffleur, C. KoHstka, vor allem
jedoch durch Anton Steinhauser, dessen Hauptwerk, die sechsblättrige Hypso-
metrige Wandkarte von Mitteleuropa in 1 : 1500000, Wien 1877, noch heute als eine
in ihrer Art unübertroffene Höhenschichf karte gilt. In Wien hatte sich zu jener Zeit
eine besondere Pflegestätte der Hobenscbicbtkarten, noch heute als „Wiener Schule'"
bekannt, entwickelt. Ihre in der Tat guten und heißen Bemühungen waren nicht
so zur Geltung gekommen, wie sie es verdienten. Die Ursachen dieser Erscheinung
habe ich aufzuhellen gesucht (S. 459). In ausführlicherer Weise geschah es durch
K. Peucker.6 i^t es nicht ein eigentümlieber Zufall, daß auch iieiite b<'i der Unter-
' S. Marthe in seiner Gedenkrede auf C. llittcr i. Z. d. (Jes. f. Erdk". HerUn 187!», S. 378.
^ So z. B. die vom topographischen Bureau des Kriegsminist<'riums herausgegebene „Hoogte-
kaart van Nedcrland" 1:600000. P. M. 1872, S. 265.
» Vgl. hierzu § 283.
* Fr. V. Hauslab: Über die graphischen Ausfiihningsmethodcn von Höhenschichtkarten.
S.-A. aas d. Mit. d. Geogr. Ges. Wien 1864, S. 5, 6.
' K. Pcucker: Neue Bemerkungen zur Theorie u. Geschichte des Karlcnliildcs. (i. Z. li)OS,
s. nor,.
" K. Pcucker: Schattenpiastik und Farbenplastik. Wien 1898, S. 2ff.
Der wisscnschaftliclie Aufbau der Hühenschichtkartcn. 623
suchung moderner Höhenscbichtkarten unsere Blicke wieder nach Wien gericliltt
sind? Seit Jahrzehnten in Wien kartographisch praktisch arlieitend und gleichfalls un-
ermüdlich wissenschaftlich arbeitend und aufklärt'nd, hat K. Peucker es unter-
nommen, die Farben der Hühenplastik durch ein strenges Gesetz zu regeln, daß sie
nicht mehr der schwankenden Willkür des individuellen Geschmacks anheimfallen.
Seine Verdienste sind so bedeutend, daß ich ihnen das Schlußkapitel meiner l'nter-
suchungen über die wissenschaftlichen Grundlagen der Geländedarstellung gewidmet
habe; denn die farl)enplastisclien Geländedarstelluiigen stehen auch heute trotz aller
widrigen Zeitläufte nnstnitit' mit im Mitt(l|innktc k:ntof_'r;ipliiscb.n Dniki-ns und
Schaffens.
371. Die (inindsätze der Lpipzifjer Schuh'.' Die Zahl derjenigen, die .sich mit den
theoretischen Prinzipien der Farlienfolge auf Höhenscbichtkarten befaßt haben, ist
klein und mit dem ol)en Vorgetragenen ])einahe erschöpft, dagegen zahlreich sind die
praktischen Versuche, in denen sich hin und wieder eme gewisse Gesetzmäßigkeit
der Parbenskala erkennen läßt. Die ersten umfassendem Höhenscbichtkarten eifern
darin, ein recht buntscheckiges Bild zu geben; die Farben harmonieren keines-
wegs, schreiende und das Auge beleidigende Gegensätze zerreißen das Kartenbild
im allgemeinen wie im besondern. Eine natürliche Eeaktion war nun die Karte mit
steigender Intensität einer einzigen Farbe. Braun war der von Natur gegebene Farb-
ton, der oft mit großem Geschick angewandt wurde, wie durch H. Lange, be-
sonders jedoch durch O. Deutsch, der den Hauptakzent bewußt auf den Ausdruck
der Höhenverhältnisse legte. Fr. v. Hauslab hob schon seinerzeit hervor, daß die
Weltkarten von C. Vogel und 0. Deutsch, Leipzig 1855, die ersten sind, die eine
Farbenreihe konsequent, ganz in seinem Sinne gesteigert haben.
In der Hauptsache dominiert bei den Karten von Delitsch das Hauslabsche
Prinzip: je höher, desto dunkler, weil es sich vor allem sehr praktisch envies. insofern
die höher gelegenen Geländepartien als die unzugänglichem, kultur- und siedlungs-
ärmem weniger Situafionszeichen erfordern als die tiefern mid darum dii' Vi'nliinkelung
besser als die tiefer gelegenen vertragen.
Eine merkwürdige Manier bildet sich in dieser Richtung aus, den Kulminafions-
jmnkten des Landes eine widernatürliche isolierte Stellung zu geben. 0. Delitsch
ließ das Braun der Stufen, bei denen er als erster schon eine gi'ößere Anzahl von Voll-
tönen verwandte, nach seiner konsequenten Manier in Schwarz für die höchsten Er-
hebungen enden. Das empfindet man immer noch als natürlich. Hingegen sie weiß
auszusparen, wie es oft geschieht-, nachdem der Farbton mit wachsender Intensität
bis zum Gipfel hinangeführt worden ist, kann weder wissenschaftlich noch ästhetisch
befriedigen. Absurd ist die Hervorhebung der höchsten Gijifel mit Grim, wie es die
Karte von Chile von A. Petermann zeigt, nachdem für die einzelnen Stufen iiennts
gelbe, braune, rote und violette Farbtöne verwendet worden sind.' Und doch ist die
besondere Hervorhebung der Kidminationspunkte nicht ganz von der Hand zu wei.sen,
wenn es sich um iuslinuntc Zwecke handelt. Hin bedeutender bayrischer General.
1 Vl'1. (Imnit § 2H2.
- So^ar auf offi/.iclli'ii Kaiton. wio auf der „Hyiwoiuptriselu'ii Clx'rxicIUttkarto ilo» prüülon
Teiles der östcrreicIiiscli-unRaiisolifn Monai-cliic". 1 :7.">0(H10.
■■• S. Petiiii\aun: Karle vi>n «'liile. N'a( h der T.niu1eMaii(na1unr in l:WO()00 n-durieif nu(
1 :l. -.00000. V. M. IKTfi. T. :!.
624 I^ie wisspnscliaftlicheii Grundlagen der Geländedarstellung.
V. H., forderte als Armeechef im letzten Kriege von mir lediglich die Hervorhebung
der höchsten Erhebungen und Kämme, alles andere sei für seine Zwecke nebensächlich.
So kam ich auf die Idee, auf der Schichtenkarte 1 : 25000 die höchsten Berge und
Eücken mit Schraffen zu bedecken und auf der Schraffenkarte 1 : 80000 die höchsten
Erhebungen durch Braundruck hervorzuheben.
Die Manier der Leipziger Schule wurde überall nachgeahmt, so daß ihr Ur-
sprung mit der Zeit ganz verwischt worden ist. Heute gilt sie in Leipzig für aus-
gestorben.
Versuche, die die Farbenreihen auf dem gleichen Karteiiliilde zw'ei- oder mehrmol
wiederholen, haben keinen Anklang gefunden; denn die darauf unvermeidliche Wieder-
kehr des Zusammenstoßens heller Abtönungen mit dunkeln Anlagen erzeugt zwar
eine grelle Unterscheidung der Eegionen, jedoch ein treppenartiws Ansehen von wenig
naturwahrer Wirkung, worauf E. v. Sydow schon vor .laluvn anliuerksam gemacht
hatte. Neben diesen mehr ausgefallenen Bildern einer llülu-npiastik durch Farben
gibt es kleinere ganz hübsche Versuche, besonders auf schulkartographischem Ge-
biefi, die jedoch keine größere Bedeutung haben und darum von mir übergangen
werden, in dem Bewußtsein, dadurch die vorliegenden wissenschafthchen Erörterungen
nicht beeinträchtigt zu haben.
372. Die Oruudsälze der Edinburger Schule.^ SchließHch sei noch einer feinen
mustergültigen Schichtkartendarstellung gedacht, die auf englischem Boden ent-
standen ist und dort, entsprechend dem konservativen Sinne des Engländers, weiter
gepflegt wird. Der Führer dieser Eichtung ist J. 6. Bartholomew in Edinburg.
Während seiner Lehr- imd Wanderjahre hat er auch die deutsche Kartographie
gründlich kennen gelernt. Einer sinngemäßen Farbenfolge brachte er beizeiten großes
Interesse entgegen, und seine Karten beruhen auf vielen Versuchen, wie er mir gegen-
über bei Gelegenheit meines Besuches in seinem kartographischen Institut in Edin-
burg versicherte. Vor allem verteidigte er das Lila, das er für die höchsten Erhebungen
mit Ausnahme der Gipfel, die schwarz erscheinen, anwandte. Auf jeden Fall macht
das Lila nicht den Eindruck, als ob es das Gebirge in seinen höchsten Erhebungen
wieder einsinken lasse. Übrigens tritt Lila oder Violett nicht auf den Karten von
Bartholomew zum ersten Male auf. Wir sehen es für die höchsten Stufen angewendet
auf den ersten Karten, die nach dem Hauslabschen System von A. Steinhauser heraus-
gegeben worden sind^, ferner auf den Karten von B. Domaim'*, H. Haljenicht und
C. Peips, H. Eauff« u. a. m.
1 Ich denke hierbei insbesondere an die schulkartogiapliischen Werke von H. Harms.
= Vgl. hiermit § 284.
3 z. B. die „Erdkarte mit Horizontalschichten nach dem System des F. Z. M. Hauslali". \'erlag
von Artaria u. Cie. in Wien. Ähnlich die , .Karte von Mittel- u. Südeuropa".
* Die von B. Domann bearbeitete ,, Karte v. A. Regeis Reisen in Central-Asien 1870 — 187il,
sowie der Routen v. Kuropatkin, 1876-1877, und Przcwalsky, 1877". 1:3000000 i. V. M. 187!t,
T. 20.
•^ Die von H. Habenieht und C. Peip bearbeitete Karte „Reduktion topogiaphiseher Auf-
nahmen im SW der Vereinigten Staaten unter Wheeler u. Hayden 1869—1876". 1:3700000 i.
P.M. 1881, T. 9.
• H. Rauf f: Höhenschichtenkarte der Eifel. 1:200000. Bonn s. a. Hier scheint die Höhen-
schichtenfärbung Bartholomews Pate gestanden zu haben, die Farbengebung ist ganz wie hei Bartholo-
mew, nicht aber der saubere Dnick. der uns hei letztenn ei-freut.
Farbenplastisches nnd malerisches Höhenbild. 625
Daß Bartholomew auch ein großer Meister in der Abänderung eines Farben-
tones, besonders des braunen ist, hat er auf vielen schönen Karten bewiesen.
Das Einzige, was an seinen Karten zu tadebi ist und weniger an ihm ab an der ge-
samten englischen Sitte bzw. Unsitte liegt, ist die Wiedergabe der Schichthöhen nach
Fuß und nicht im internationalen Maß des Meters, wodurch ein unmittelbarer Ver-
gleich des Geländes mit dem der Festlandskarten vereitelt \sird. Trotz dieser Mängel
sind wir berechtigt, infolge der Eigenart des Höhenschichtkolorits auf den Karten
bei Bartholomew, wie wir auf S. 489 betonten, von einer besondern „Edinburger
Schule" zu .sprechen, die in Zukunft gewiß auch noch Schule machen wird.
373. Das Ilöhenschichfenkolorit in Yerquiekung mit andern Geländedarstellungs-
arten. Das Höhenschichtenkolorit verträgt sich, sobald die Farben transparent genug
erscheinen, mit jeder andern einfarbigen Geländedarstellung, ganz gleich, ob diese
in Schraffen, Schummerung oder Punktmanier schwarz, grau, graublau oder dunkel-
violett gedruckt ist. Wenn letztere Manieren mehr auf die VerdeutHchung der
Böschungen ausgehen und erstere mehr auf die Höhenveranschauhchung, drängt
sich von selbst der Gedanke auf, beide zu vereinen.
An einigen Versuchen dieser Art hat es nicht gefehlt; sie sind ziemhch alt
größtenteils vergessen imd erwarten eine Auferstehungsfeier zu größerm Glänze.
Die „Fluß- imd Bergkarte von Deutsehland und den angrenzenden Ländern", die
Adolf Stieler 1820 entworfen und gezeichnet hatte, erscheint in neuer vennehi-ter
Auflage durch A. Petermaim 1855; über eine Schraffenkarte zieht sich ein Höhen-
schichtenkolorit in Hellgrün, Hellbraun und Dimkelbraun. Hierher gehören auch die
Karten von Koiistka, die wir bereits einige Male bei unsern Erörterungen heran-
ziehen mußten. Wie sich grade hier weitere Entwncklungsmöghchkeiten der Karto-
graphie eröffnen, habe ich an einigen Stellen nachdrückhchst betont (S. 101 u. 57Ö).
G. K. Peuckers Farbenplastik.
I. Farbenplastisches und malerisches Höhenbild.
374. E. Peueker, der Begründer einer neuen .4ra in der Kartographie. In der
zweiten Hälfte des 19. .Jahrhunderts schienen die Bestrebungen zur HersteUung
guter Höhenschichtkarten allmählich einzuschlummern, denn nach den erfreu-
lichen Ansätzen von Papen, v. Sydow, Dehtsch, Hauslab, Steinhauser sind keine
merkhchen Fortschritte wahrzunehmen, bis erst wieder die Schweizer Karten die
Aufmerksamkeit auf das Problem lenkten und K. Peueker in Wien die Höhen-
schichtkarten zum Gegenstand eingehender fortgesetzter Studien machte, gestützt auf
die farbentheoretischen Untersuchungen von W. v. Goethe, Frauenhofer, H. Hilmholtz.
A. v. Wouwermann, A. Schopenhauer, W. Wundt, E. Brücke, Hering, Einthoven.
Peuckers theoretisch- und praktisch-kartographische Arbeiten bedeuten den
Anfang einer neuen Ära in der Kartographie.* In verschiedenen Schriften
» Mich wundert, daß H. Wagner die Bedeutung Peuckers nicht besser erkannt und gewürdigt
hat, denn aus den Worten, die Wagner dem Peuoker»ohen System in seinem Lehrbuch der Oogmphie
(1912, S. 260) widmet, geht eigentlich weiter nichts hervor.
F.cki.rt, K«rt*nwlji.oD«ch»fl I. ••"
626 r)ii- wisseusehsftliohm (irundlagpii der f;eliin<1<rlarsti^lliing.
lial er seine UnltTSUchungcn über die HöhentJcLichteiularstellunt^ tiiiler Jiunutziuig
der optischen Kaumwerte der Farben niedergelegt.^ Im Zusarumenhaiig historischer
und sachlicher Entwicklung veröffentUchte Peueker 1898 seine Aufsehen erregenden
kartographischen Studien unter dem Titel „Schattenplastik und Farbenplastik".
Viele Punkte darin wurden noch mißverstanden und schief gedeutet, so daß Peueker
in der Folgezeit nähere Erläuterungen, Eichtigstellungen und Aufklärungen geben
mußte. Scharf geschUffen und ki'istallisiert entwickelt er nochmals seine Theorie
in der Abhandlung über die „Höhenschichtenkarten'" in der Zeitschrift für Ver-
messungswesen, Stuttgart 1911; sie erhält dadurch noch besondern Wert, daß ihr
eine Karte beigegeben ist, die Peueker selbst als den ersten vollständigen Ver-
such einer gesetzmäßigen Farbenplastik bezeichnet. Für und wider Peueker
hat sich bereits eine ansehnliche Literatur entwickelt, in der wir Namen wie Haack^,
Habenicht^, Große*, Rothaug^, Clemenz^, Gasser', Stucki"*, Penck", J3rückneri",
Hammer^i, H. Vvagner^^, Becker^^, Ivirchhoff^*, ßögeri* begegnen. Peim Über-
blick dieser Literatur muß man sagen, daß dort, wo Einwände erhoben werden, diese
' K. Peueker: Schattenplastik und Farbenplastik. Beiträge zur Geschichte und Theorie
der Geländedarstellung (Kartograph. Studien I.) Wien 1898. — Studien an Pennesis Atlante scolastico.
Mit. d. Geogi-. Ges. Wien 1899 u. 1900. - Über optisclie Plastik in der Kartographie. G. A. 1900. -
Zur kartographischen Darstellung der 3. Dimension. G. Z. 1901, S. 22ff. — Drei Thesen zum Ausbau
der theoret. Kartographie. G. Z. 1902, S. 65 ff., U5ff., 204ff . - Offener Brief an Haack. G. A. 1903. -
Neue Beiträge zur Systematik der Gcotechnologie. Mit.d. Geogr. Ges. Wien 1904, Heft 7, 8, 9, 10. —
Physiograplük, Entwurf einer einheitlichen Abbildungslehre der uns umgebenden Welt. Mit. d. Geogr.
Ges. Wien 1907. Heft 12. — Neue Bemerkungen zur Theorie u. Geschichte des Kartenbildes. G. Z.
1908, S. 297 ff. - Luftschiffahrtskarten. G. Z. 1908, S. 614ff. - Verfahren zur Herstellung farbcn-
plastischer Darstellungen, insbes. Karten (Flugkarten). Österreich. Patentschrift Kr. 48671. Kl. 42c.
Wien 1911. — Die internationale Luftsclüfferkarte. G. Z. 1911, S. 529ff. — Höhenschichtenkarten.
Studien und Kritiken zur Lösung des Flugkartenproblems. Z. f. Verm. 1911, S. 17ff., 37ff., 6.5ff.,
H.5ff. — Dies. Abhandig. in gleichem Verlage (Stuttgart bei K. Wittwer) als Sonderschrift erschienen.
- Der Farbenraum. In Natur u. Kultur, hg. von Fr. J. Völler, München 1920. — • Vgl. auch die
„Begleitwortc zu Kartenausschnitten" in der Kartograplii schon Zeitschrift, deren Heraus-
geber K. Peuckert seit 1921 ist.
- H. Haack i. G. A. 1901, S. 19; 1902, S. 1 !.''>, i:iO, 1481f. G. J. XXIX. l'.(0(i,07, S. 378ff.
» H. Habenicht i. G. A. 1902, S. 67.
* Margarete Große: Die raumtreue Karte. S.-A. aus d. Vereinsniitteilungon 1913/14 der
natui-wiss. Ges. Isis in Meißen. -- Altes und Neues über Geländedarstellung auf Schulkarten. S.-A.
d. Allg. Deutsch. L<-hrnrz. 1913, Nr. 1.5/H). - Luftfahrerkarten f. d. Al]ien. Mit. d. D. u. 0. A.-V.
1912, 1913.
' J. G. Kothaug: Über die Farbenwirkung i. unsem Landkarten. ^lil. il. D. ii. <), .A.-V. 1912.
" Br. C'lemenz: Das VoLksinteresse an d. Karte; s. a., s. 1.
' M. Gasser: Eine Flugkartenstudie. Würzburg 1909, S.S.
* G . Stucki: Ein Rückblick auf die Entwicklung der schweizer. Kartographie. Bein 1906, S. II.
» A. Penck: Neue Karten und Reliefs der Alpen. Leipzig 1904, S. 89, 90.
1» E. Brückner i. Mit. d. Geogr. Ges. in Wien. 1909, S. 186ff.
" E. Hammer i. G. J. XXIV. 1901/02, S. 48, 49. Audi an andcni StcHon kommt Hammer
iuif Peueker zu sprechen.
'^ H. Wagner: I.«hrbuch der Geographie. 9. Aufl. Hanno\cr u. Leipzig 1012, S. 24.5, 249,
250, 281 .
^' F. Becker: Die schweizerinche Kartograplüe i. J. 1914. Landesausstellung in Bern. Wesen
und Aufgaben einer Landesaufnahme. S.-A. aus Schweiz. Z. f. Artillerie >ind Genie. Fraucnfeld 191.5.
" A. Kirchhof fs Besprechung von ..Schattenplastik und l'.Trbenplastik " in Z. f. Gyninasial-
wesen 1901.
'•• J. Roger: Die Geländedarstellung auf Karten. München 1908, S. 'J(t.
Farbonpliistischrs und malehHches Höhenhild. (527
(iüch im großen ganzen untergeordneter Natur sind, und daß man das Neue und
Fortschrittliche der Peuckorschen Methode anerkeimt, vielfach auch K^rn anerkennt.
375. Begriff der Farbenplastik. Die adaptiv-perspektivische Farbenplastik. Be-
griff und Name der Farbcnplastik als neues kartographisches Darstellungsprinzip
hat Peucker 1898 in der oben erwähnten Schrift Schattenplastik und Farbenplastik
geschaffen. A'on vornherein hatte er die drei Elemente einer Farbe, nämhch Farbton,
Schwarzgehalt und Weißgehalt, richtig erfaßt. Infolge der hervorspringenden und
zurücksinkenden Eigenschaften haben die Farben verschiedene Eaumwerte,
auf deren mathematische und eindeutige Fi.Kierung Peucker seine eingehenden Unter-
suchungen richtete. Um Peucker zu verstehen, muß man sich stets vor Augen halten,
daß die Karte gleichsam ein Landschaftsbild ist, das wir von oben betrachten, die
Gipfel liegen dem betrachtenden Auge näher als die Täler. Soll das Gelände farben-
plastisch dargestellt werden, müssen die Höhen in hervorspringenden und die
Talungen in zurücksinkenden Farben erscheinen. In der gesetzmäßigen Anordnung
der Kaumwerte der Farben zur Erzeugung des plastischen Effekts liegt der Angel-
punkt der Peuckerschen Theorie. Der Eaumwert der Farben ist bedingt durch
deren Helligkeitsgrad, Sättigungsgrad und Größe des Brechungswinkels. Infolge-
dessen werden in der reichen Mannigfaltigkeit der Farben von Peucker drei Reihen
mit stetiger Abwandlung unterschieden: die Helligkeitsreihe, die Sättigungs-
reihe und das Spektrum.^
Die Helligkeitsreihe geht allmählich aus dem farblos Dunkehi zum farblos
Hellen über; man kann sie deshalb auch als Schwarz-Weiß-Reihe bezeichnen.
Schon bei dieser Reihe kann man die Raumtiefe und eine Steigerung derselben wahr-
nehmen. BUckt das Auge ins Dunkel, erweitert sich die Pupille und verengt sich
allmähhch (Anpassung oder Adaption der Iris) bei abgestuften Helligkeitsgraden
nach dem Hellen zu. Außerdem vnrd mit der Steigerung des HelHgkeitsgrades das
Objekt schärfer im Umiüß und in Einzelheiten erfaßt, d. h. auf die Karte angewandt,
bei der großem Helle treten Situation und Geländeform schärfer in den Vordergrund.
Beim Blick ins Weite weitet sich gleichfalls die Pupille, beim Nahsehen verengt
sie sich. Wir haben den gleichen Effekt beim Anschauen von nahen und fernen Flachen
wie von hellen mul dunkeln. ,, Mithin besitzen wir in den farblosen Helligkeitsstufen",
wie Peucker sagt, ,,eine Koordinatenreiho von Bildwerten der Raumtiefe normal zur
Bildebene." Das ist nach ihm die adaptive Plastik, die sicli in dem Grundsatz
ausprägt: Je höher desto heller.
Auf die adaptive Plastik allein eine Höhenplastik zu gründen, wäre verfehlt.
Wohl ist sie ein mitbestimmender Faktor beim .\ufbau eines plastischen Gelände-
bildes. So ist nach ihr schon die dunkelste Stufe ausgeschlossen, die sich über Tief-
land und Täler breiten und jegliche Situation verschlucken würde. Höchstens bis
zum Grau kann die Abstufung erfolgen. Daß in der Peuckerschen höheni»lastischen
Helligkeitsreihe gegenüber der böschungsplasti.schen, wie sie durch J. G. Lehmann
begründet worden ist, ein großer Unterschied besteht, bedarf keiner längern Aus-
einandersetzung. Dort geht ein mehr unbewußtes Erfassen der Höiienstufen vor
sich, hier ein bewußtes der Böschungen, dort ein optisch-pliysiologischer .Vbwicklungs-
prozeß, hier ein wissenschaftlich konstruierter, der die Beljehtunn nalier und f»>rner
Flüchen unter gleiche Gesetze stellt.
' K. I'ciick.i: Hrtli.'nMlii.lit<-nk.vitrii. /. f. VVin.. 1011. !>,««,
628 Die wiaseusehaftliehen GniiirDagfii der fteländedarstfUmip.
Die Sättigungsreiho wird aus jeder reinen Einzelfarbe entwickelt. Diese
wird entsättigt, indem man ihr so lange farbloses Weiß zusetzt, bis sie entfärbt ist.
Satt ist der Farbeton, wenn er in seiner Eigenart nicht mehr gesteigert werden kann,
wenn z. B. Eot nicht röter gemalt oder gedacht werden kann, Grün nicht grüner, C4elb
nicht gelber usw. Die Abstufung durch farlJoses Weiß mit zunehmendem Quantum
ist die Abstufiuig vom Satten, Farbkräftigen zum Matten, Farbschwachen und zuletzt
zum Farlilosen. Es ist die gleiche Erscheinung, die wir in der Jjandschaft wahr-
nehmen. In der Nähe erscheint uns alles in saftigen, satten Farben (sofern sie zu
den einzelnen Objekten gehören), die jedoch mit der Entfernung ihre Leuchtkraft
einbüßen, da die Luftschichten dicker und dicker werden und sich ein mit der Ferne
verdichtender, bläuHch-weißer Schleier zwischen Auge und Objekt einschiebt. So
werden die Farben der Landschaft für das Auge nach den Gesetzen der Luftperspektivo
abgewandelt, d. h. abgestuft. Da wir das Kartenbild von oben gedacht sehen, hegen
die höchsten Geländeteile unserm Auge am nächsten, sind mithin die farbensattesten.
Werden nun die einzelnen Höhenstufen von der Tiefe nach der Höhe zu in stufen-
weise steigender Sättigung angelegt, dann wird der Grundsatz befolgt: Je höher
desto farbensatter.
376. Das malerische Ilöhenbild der Schweizer im Gegensatz zu dem wissenschaft-
lich eindeutigen HöheubihI Peuckers. In einigen Karten des In- vmd Auslandes, ins-
besondere auf Schulwandkarten, kann man schwache Anklänge an die Luftperspektive
feststellen, nirgends indessen so klar und bewußt wie auf den Reliefkarten der Schweiz.
Das Studieren und Probieren geeigneter Darstellungssysteme in Luftperspektive
hat die Schweizer Kartographie jahrzehntelang beschäftigt. H. Siegfried be-
zeichnet 1879 als wünschenswert, daß Methoden gefunden und bezeichnet werden
könnten, um an der Hand fester Eegeln reliefartige Höhenschichtenkarten her-
zustellen.^ Durch rastlose Tätigkeit auf diesem kartographischen Gebiete kommt
F. Becker diesem Wunsche bereits nahe. Er gibt ähnhchen Gedanken Ausdruck,
wie wir sie später bei Peucker wissenschaftlich vertiefter vorfinden. Beherrscht
werden Beckers Darlegungen durch die Annahme der schrägen Beleuchtung. Wir
hören zunächst von einem To talton, der von unten nach oben abgestuft werden
muß, und von einem Schattenton mit umgekehrter Stärkeskala. Durch die ver-
schiedene Tönung erreicht man den Eindruck, daß die Gebirge sich aus einem wirklich
sichtbaren Boden erheben und in den höchsten Partien die stärksten Kontraste
zwischen Licht und Schatten entstehen. Dadurch erwecken diese den Eindruck
der größten Nähe gegenüber einem über den Bergen befindhchen Beschauer. „Je
näher wir ims einem einseitig beleuchteten Körper befinden, desto schärfer beob-
achten wir die Trennung von Licht und Schatten, desto genauer erkennen wir wegen
dieser Trennung die einzelnen Details; je weiter wir uns dagegen von dem Objekt
entfernen, desto mehr verschwinden uns die Details und erkennen wir nur noch die
Gesamtformen. Umgekehrt, je schärfer wir in einem Bilde wegen grellen Beleuchtungs-
kontrasten die Details erkennen, desto näher erscheint uns der dargestellte Gegen-
stand; in dem Maße, wie die Details verschwinden und gegen die großen Formen
zurücktreten, tritt auch der Gegenstand zurück. Wir müssen daher in der Berg-
' H. Siegfried: Oeogr. und cosiiiofjiapiiisclic Karti'U und Apjiaratc. -Boriohl. Tiitcin. Welt-
ausstellg. 1878 i. Paris. Ziiricli 1879, ,S. 19.
Zur KuiiinwirkiiDK der Karbi-u. 829
zeicluiuiig in iKii liüliini, uns näher gelegenen Partien die Beleucbtung:>kontraste
steigern, in di'U tiefern, ferner gelegenen aber mildern. "^ Zuerst ist dieses hier an-
gestrebte System auf der Schweizer Karte von Leuzinger angewendet worden; au
seiner VervoUkonunnung haben Becker, Wuster, Randegger, Imfeid, Kümmerly
gearbeitet. Es sind die Karten in Schweizer Manier, die trotz ihrer Farben-
fülle das Isohypsengerippe durchblicken lassen, was ebenso charakteristisch für sie
wie die Farbe ist, aber in Besprechungen und Beurteilungen der Schweizennanier-
karten größtenteils übersehen wird; und farbige Schweizer Karten, denen die Höhen-
schichtlinien fehlen, sind eben keine Karten in Schweizer Manier.
In fast ähnlicher Weise väe Becker drang Kümmerly in das Wesen der Schweizer
Manier eüi. Er hatte sich eingehender mit Kunstmalern besprochen, dauernd die
Landschaftsfarben im Hochgebirge studiert und sich in das Verhalten der Farben
zueinander und ihre physiologische Wirkung vertieft. Die neuen Ideen, zu denen
er kam, verdichteten sich zur Stellung des Problems: „Einmal müssen die im natür-
lichen Landschaftsbildc in erster Linie maßgebenden Farbentöne auch auf der Karte
als dominierende auftreten, und sodaim müssen sie so kombiniert und nuanciert
werden, daß sie sich gegenseitig fördern, d. h. physiologisch die stärkste Wirkung
tun."^ Dies könnte ebensogut Peucker gesagt haben. Und doch ist ein gewaltiger
Unterschied zwischen der Peuckerschen und Schweizer Manier, wie letztere sich jetzt
in den berühmten Schulwandkarten der Schweiz und des Kantons Bern, beide, wie
auch die herrliche Karte von Vorarlberg in 1 : 75 000 in der Hauptsache von Küm-
merly bearbeitet, darbietet. Die Schweizer Manier zielt auf das malerische, die
Peuckersche auf das wissenschaftlich eindeutige Höhenbild, jene läßt sich nur
in alpinem und verwandtem Gelände meisterhaft gebrauchen, diese für jegliches
Gelände, jene wirkt lediglich bei schräger Beleuchtung und kann zur Raumorientierung
die Isohypsen nicht entbehren, diese wirkt bei jeder Beleuchtung, indem sie die Farben
iin sich perspektivisch wirken läßt, und bedarf nicht der Isohypsen als wissenschaft-
lichen Notbehelf zur Veranscluiulicliung der dritlcn Dimension.
II. Zur Raumwirkung der Farben.
;177. Farben ohne rauiucrhehciKle Wirkung;. (Kalte und warme Farben.) ImIucm
wir zu Peucker zurück. Sein (Irundsalz: .Ir farlx'iisatfer desto hoher, kann nicht
für jede Farbi' auf der tarbenplastiscbcn Karte angewendcl werden. Es gibt eine
Anzahl Farben, die durch Sättigung nicht an Helligkeit und Leuchtkraft (Intensität)
gewinnen, sondern auffallend dmdad werden und infolgedessen keine raumerhebende
Wirkung haben.' Dazu gehören Violett, Blau und bis zu einem gewissen (irade
auch Grün. Es sind die kalten Farben im Gegensatze zu den warmen, den gelben,
orangen und roten Tönen, die bei genügender Sättigung am kräftigsten und licht-
stärksten wirken. H. Habenicht kommt auf den Gegensatz von kalten und warmen
• F. Bockor: Die schweiMrische Kartonrapliie an clor WcItftusaU'llg. i. PnrW 1S8!> und il>n>
neuen Ziele. Frauenfeid 1890. S. It). Neuere HeBfn^biuigen auf dem Gel.ict der Kart.igmphie.
Jahrb. d. S. A. C. XXIV.
= O. Stückli. a. a. ü.. S. II.
' Onethe: l'arhenlehi-e T. 7,S(t: ..Wir wir den hohen llinunel, die fernen \i<r\!C blau sehen.
.-«) scheint eine blaue Fliiehe auch vor uuh zvnürkzuweii hin. '
63U l^'e wipseiiscliaftlicheu Giundlageii ilcr GcliiiKlodarstelluiig.
Farben zu sprechen, aber nicht in meinem öhme.i In „kalt" und „warm" erblickt
Peucker „rein ästhetische Bezeichnungen, die mit der Plastik als solcher absolut nichts
zu schaffen haben". ^ Dem kaim man entgegenhalten, daß sich in dem Gegensatz
neben dem ästhetischen ein nicht zu unterschätzendes psychologisches Moment offen-
bart, dessen indirekter Beitrag zur Farbenplastik nicht ganz von der Hand zu weisen
ist. Auf den physiologisch begründeten Gegensatz von kalten und warmen Farben
ist Peucker nicht eingegangen. Vielleicht fand er darin kein mathematisches Kalkül
für seine Höhenplastik. Beim Grün kann man geteilter Meinung sein. In der Spektral-
reihe steht es zwischen Blau und Gelb, und in der Praxis ergibt es sich als Misch-
farbe der beiden Nachbarfarben. Je nachdem eine von den Nachbarinnen vorherrscht,
neigt das Grün mehr zur kalten oder zur warmen Farbenreihe. Ein stark ins Gelb
schlagendes Grün wird mit der Sättigung tatsächlich heller und intensiver, was man
von einem mit Blau gesättigten Grün nicht behaupten kann, das durchaus dunkel wirkt.
Durch die Sättigung der kalten Farben entsteht ein scheinbarer Widerstreit
zwischen der Helligkeits- und Sättigungsreihe. Denken wir an Preußischblau. Dadurch,
daß es gesättigt wird, entwickelt es sich nach dem zweiten Grundsatz, weil es jedoch
dunkler wird, fällt es nach dem ersten. Mithin ist das Bild nicht mehr eindeutig und
ein Widerstreit der optischen Eindrücke liegt vor. Jetzt wird uns erklärlich, warum
sich in der Kartographie die beiden Prinzipien „Je ihöher desto dunkler" und „Je
höher desto heller" gegenüberstehen. Beide sind eben zugleich richtig und falsch,
was auch Peucker hervorhebt.
Die exakte Kartographie muß aber von vornherein jeden Widerstreit der Ein-
drücke auszuschalten trachten. Der hypsographische Farbenwert darf nie schwankend,
muß entweder positiv oder negativ sein. Wenn man die warmen Farben positiv und
die kalten negativ bezeichnet, hat man einen Schlüssel zur Farbenwahl. Peucker
lehnt sich beim Ausscheiden des Blau an die Naturfarben an und betont, was auch
logischerseits nicht zu beanstanden ist, daß das Blau die Naturfarbe des Wassers
sei. Wird das Blau des Wassers bis zum tiefsten Dunkel gesättigt, gerät das Augen-
maß in der höhenplastischen Deutung durchaus nicht ins Schwanken, ,,weil der
Eindruck einer in die Tiefe gehenden Verdunklung über den einer emporsteigenden
Sättigung ein entschiedenes Übergewicht erhält durch die Wiedergabe eines lebendigen
Natureindrucks". Schon die Naturbeobachtung am Meeresstrand lehrt, daß mit
der Tiefe des Wassers das Dunkle der Wasserfläche gewinnt. Das Blau auf der Karte
wird demnach ganz in dem Sinne angewandt: Je tiefer desto dunkler und
satter, womit die exakte Maßanschaulichkeit der Tiefen Verhältnisse eines Sees oder
Ozeans gesichert ist. Daß trotz einwandfreier Naturbeobachtung sich gegenteilige
Meinungen Geltung zu schaffen suchen, ist in der Wissenschaft wie Kartographie
nichts Neues. So machte bei der farbigen (blauen) Wiedergabe der Tiefenverhältnisse
der Meere und Seen A. Scobel bei der Herausgabe der vierten Auflage von Andrees
Handatlas (1898) das Prinzip geltend: Je tiefer desto heller. Es sollte mit dem
dunkeln Kolorit der Schelffläche das Eelief des Landes gehoben werden. Später
ist man auf Andrees Atlaskarten wieder zum naturgemäßen und logischen Kolorit
zurückgekehrt.
1 H. Habenicht in P. M. 1901. LB. 607; s. auch G. J. XXVI. 1903/04, S. 397.
- K. Peucker: Drei Thesen zvasa Ausbau der theoretischen Kartographie. G. Z. 1902. S. 214,
1.
Zur Haiiiiiwirkuiig der FKrbcii, H31
Werdeu spezifisch helle uml leuchtende (intensivej Farben gewählt, w-ie Gelb,
Orange, Eot und Zwischen färben dieser Eeihe, so wird bei ihrer Sättigung nie die
Empfindung des Dunkelwerdens aufkommen, und die Plastik der Sättigungsreihe
wird eindeutig sein. Natürlich muß man sich hüten, bis zu vollsatter Schwere vor-
zugehen oder bei der Entsättigung einer Farbe bis zum schwärzlichen Grau vorzu-
dringen. Wird die Xaturwirkung, die Luftperspektive, berücksichtigt, bilden Natur-
farbe und Intensität eine gute Richtschnur oder, nm mit Peucker zu reden, ein
Sicheningsmittel der Sättigungsplastik.
378. Die spektral-tiilaptive Farbeiireihe. Die rauinbildpiideii Eigenhcfaafteii
der Spektralfarbeu. Die Plastik, die mit Berücksichtigung der Helligkeifs- wie der
Sättiguiigsreihe auf Karten erzeugt wird, nennt Peucker die adaptiv-perspek-
tivische Farbenplastik. Nach ihr lassen sich brauchbare Farbenreihen, die
einen plastischen Effekt erzielen wollen, zusammenstellen. Kann mau nur mit wenigen
Farbplatten arbeiten, d. h. drucken, so wird man es bei der adaptiv-perspektivischen
Farbenreihe bewenden lassen. Brauchen jedoch die Druckkosten für ein Kartenwerk
nicht gescheut zu werden und soll die Maßanschaulichkeit des Geländes,
worunter Peucker die MögUchkeit versteht, die Höhen mit einem Blick genau gegen-
einander abzuschätzen, augenfälliger werden, muß man noch eine dritte Farben-
reihe mit stetiger Abwandlung zu Hilfe nehmen, nämlich das Spektrum.
Aus der Farbenlehre ist bekannt, daß das Spektrum die Gesamtheit der reinen
Farben in ihrer natürlichen Reihenfolge gibt: Violett, Blau, Grün, Gelb, Orange und
Eot und umgekehrt. Nur Purpur ist nicht in der Eeihe vertreten; es entsteht, wenn
auch prismatisch nicht in voller Sättigung, aus der Mischung der beiden Endfarben
des Spektrums, des Violetts und Karmins. Die natürliche Anordnung wird durcii
die ungleiche Größe der spezifischen Brechungsmnkel einer jeden Spektralfarbe
verursacht. Eine weitere Folge ist, daß sich die Farben auf der Netzhaut des nor-
malen Auges immer in bestinunter Eeihenfolge nebeneinander ordnen, aber auch
hintereinander in die Eaiuntiefen hinein. Von Violett nach Eot springen die
Farben vor und in umgekehrter Folge sinken sie em. Die tii'fere Erklärung dieses
Phänomens liegt im symmetrischen Bau und dem stereoskopisclien Sehen unserer
Augen. 1
Neuere, in der Hauptsache von J. G. Kothaug bearbeitete Karten der karto-
graphischen Anstalt G. Freytag & Bemdt in Wien, deren ausgezeichnete alpine
Karten den Mitgliedern des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins wohl
bekannt sind, nähern sich dem Bestreben bedenklich, das Terrain in Spektralfarben
mit Zimmerbeleuchtung nach der einseitigen und nicht kartographischen Auffassung
E. Brückners aufzubauen. Der blaue Eandhimmel mildert durchaus nicht den alten
Fehler der unnatürlichen Buntheit, wie sie sich besonders kraß in der Karte des
Herzogtums Salzburg bekundet.^ Es schien, als ob der Geograph E. Brückner
und der Mediziner A. Brückner die Bedeutung Peuckers um die Farbenplastik der
Karten zu erschüttern versuchten, mid zwar mit Hilfe der physiologischen Unter-
suchungen von Einthoven über Stereoskopie durch Farbendifferonz.» Wie
1 K. Peucker: Höheiisrhichteukarten, a. a. 0., S. 72, "H.
2 Die Karte Rothaugs i. Kartogr. 'l. Wien 19i;i. T. 1.
•' KiiitlioviMi: .StoreoHkopie ilurrli Farliondifforen/,. CiriifeN .\ivliiv (. l)plitli»liiu>K.gi<-. IS>*Ö.
Vl)t :( S. 21 1 ff. K. I'.Mi.kci Imlte sicli U'i seinen FftrlHnllii'orien iiuf V.. Hi üike („Die PliyRiologie
632 Die wissenschaftlichen Gnmdlagen der Geläudedarstellung.
nicht audei-s zu erwarten, war der Versuch mißlungen.^ Die beideu Brückner
haben offenbar Analyse und Sjrnthese verwechselt. Die raumbildenden Eigenschaften
der reinen Spektralfarben sind ,,weit entfernt, zur Synthese eines exakt farbenplastischen
Kartenbildes auszureichen"; und in der physiologischen Analyse der raumbildenden
Eigenschaften der Farben ist noch lauge nicht das letzte Wort gesprochen. Die Aus-
führungen der beiden Brückner haben keine positiven Beiträge zum Aufbau des farben-
plastischen Kartenbildes geliefert; dessenungeachtet ist nicht zu verkennen, daß
Peucker durch sie veranlaßt wurde, sein Problem schärfer zu formuüeren und seine
Theorie so abzurunden, daß sie Andersdenkenden und -wollenden weniger Angriffs-
punkte gewährt. Das schUchte Eesultat der Brücloier-Peuckerschen Kontroverse
für- die wissenschaftliche Kartographie ist, daß sich trotz Brückner die kartographische
Farbenplastik an den Namen Peucker anknüpft. Ein weiteres Ergebnis ist die Tat-
sache, daß eine Höhenschichtenmalerei in reinen Spektralfarben noch keine farben-
plastische Karte ist. Die beiden Brückner legen das Schwergewicht auf das bin-
okulare Tiefensehen. Dazu möchte ich noch bemerken, daß es in jüngster Zeit mit
Hilfe der Perspektive und Schattenverteilung gelungen ist, vollkommene Tiefen-
eindrücke zu bewirken, daß man auch bei monokularer Betrachtung von Bildern
körperUch wie bei stereoskopischen Bildern zu sehen vermag.^
Gleich der reinen Helligkeitsreihe und Sättigungsreihe gibt das Spektrum für
sich allein kein einwandfreies plastisches Bild. Auch steht die Spektrah-eihe mit
den erstgenannten Eeihen nicht in vollem Einklang. Eine strenge Befolgung der
vollen spektralen Farben hat wohl auf kultur- und naturhistorischen Karten Sinn,
vne später noch nachgewiesen wird, bei der Geländedarstellung jedoch wirkt sie un-
natürhch und ist außerdem nicht immer des normalen plastischen Effekts sicher.
Für die Darstellung des Geländes verwendet Peucker Grün, Gelb, Orange imd
Kot. Aus der spektralen Eeihe sind Blau und Violett ausgeschieden, weil Blau, wie
wir oben sahen, als Naturfarbe anderweitige Verwendung findet und Violett keinen
Farbstoff auffindet, der seinen Brechungsexponenten besitzt; denn das Violett, das
durch Farbstoffe erzeugt wird und aus einer Mischung von Eot und Blau besteht,
entsendet nur blaue oder rote Strahlen, nicht aber die langen Strahlen des Spektral-
violetts. Das Eot gehört der höchsten Stufe an. Von da ab werden die reinen Spektral-
der Farben") gestützt. Einthoven hatte einen Vorgänger in Hering; vgl. Ed. und A. Brückner:
Zur Frage der FarbenplastLk i. d. Kartographie. Mit. d. Geogi-. Ges. Wien 1909, S. 187, Anm. 2.
1 Die Bmcknerschen Ergebnisse eines Vortrages, der am 8. März 1907 während einer Sitzung
des Vereins der Geographen an der Universität Wien gehalten wurde, gipfelten gewisseimaßen in der
Forderung: Die kartographische Farbenplastik fortab nicht mehr mit dem Namen Peucker, sondern
mit dem Namen der Hinweiser auf Einthoven und Hering, also Brückner zu verknüpfen ! Ein Referat
über diesen Vortrag wurde ins Geogr. Journal XXIX, 1907, S. 680, 681 unter dem Titel ,,Stereoscopic
tolouring of maps" hereingebracht, worin E. Brückners Verdienste um die Farbenplastik auf stereo-
skopischer Grundlage ganz besonders gewürdigt werden. Eigenartig empfinde ich, daß in dem Referat
mit den von Peucker geprägten Ausdrücken, wie „Schattenplastik", ,, Farbenplastik" usw. operiert
wird, ohne Peucker selbst zu er^vähnen und dessen Verdienste. Auch die Bezeichnung ,, Wiener Schule"
ist nichts Neues und tritt uns schon bei Peucker entgegen, aber noch früher bei Bancalari im Organ
der miütärwissenschaftl. Vereine, Wien 1894, weiter in den Mit. d. k. k. milit.-geogr. Instituts, z. B.
XVI, 1896, S. 52. — Nicht unerwähnt sei, daß sich E. Brückner mit „Reliefkarten" bereits 1893 i.
J. B. der Geogr. Ges. zu Bern beschäftigt hat.
- So mit der sog. Verantlinse, deren Brennweite in einem besondem Verhältnis zu dem optischen
System des Auges steht. Vgl. W. E. Pauli und R. Pauli: Physiologische Optik. Dargestellt für
Naturwissenschaftler. Jena 1918, S. 86.
Zur Kauiiiwirkuug der Farben. ggS
farbeu mit Orau getrübt, bis sie durch matte bcbattiermigeu liiuclurch uiituu iu uiucm
durchsichtigen Grau enden ; oder von unten mit einem blaugrünlichen Grau angefangen
geht es über Graugrün, Grün, Gelbgrün und grüngelbliche Stufen zu den mittlem
Höhen in lichtbräunlichem Gelb und von da über Orangegelb, Gelborange, Orange,
Eotorange, Orangerot zum Eot. Diese Skala geht einerseits auf die Ungleichheit
der Brechungsexponenten der Spektralfarben zurück und andererseits auf die Un-
gleichheit der Pupillenweite gegenüber den lichtschwachen und lichtstarken Flächen,
weshalb sie Peucker als die spektral-adaptive Farben reihe bezeichnet.
Sie ist die logische Folge aus Peuckers färben- und kartentechnischen Untersuchungen
und durchaus nicht eine „zu sehr ins Extreme getriebene Farlienskala", als welche
sie F. Becker bezeichnet. ^
In der Vereinigung der drei Grundprinzipien hat Peucker das geeignete Mittel
gefunden, den farbenplastischen Forderungen für Karten voll und ganz zu genügen.
In jeder farbigen Empfindung läßt sich der Best einer Spektralfarbe, die den Farb-
ton bedingt, nachweisen, desgleichen ein Anteil an Schwarz, also aus der ersten Eeihe
farbiger Abwandlung, und ein Auteil an Weiß, demnach aus der zweiten Beihu; mit
andern Worten gesagt, jede Pigmentfarbenfläche ist aufzufassen als der Rest des
Sonnenspektnims, der von dem Stoff der Farbe nicht absorbiert, wohl aber reflektiert
wird, wobei Schwarz die volle Absorption, Weiß die volle Reflexion darstellt. Die
Abstufungen der einzelnen Farbentöne dürfen nicht sprungweise vorgenonnnen
werden, sondern harmonisch nach bestimmten Gesetzen, während für andere farbige
GeländedarsteUimgcn die Luftperspektive (Schweizer Manier) oder die Naturbeob-
achtung (E. v. Sydows Regioualfarben) lediglich Leitmotive sind. Da jede Pigment-
farbe aus drei Komponenten: Spektralfarbe, Weiß und Schwarz in bestimmten
Anteilen besteht, kam es Peucker zunächst darauf an, diese Anteile genauer zu be-
stimmen und sodann einen Weg zu finden, der sie in den wissenschaftlich geleiteten
Farbendruck überfülirt. Bereits leuchtet auf diesem Wege der Name A. v. Hübl,
dessen Methode der Untersuchung stoffhcher Grund- und (Raster-) Mischfarben
den einwandfreien Drei- bzw. Vierfarbendruck bezwn'ckt.^ Dabei wäre das Abstufungs-
gesetz von E. H. Weber als Konstruktionsgesetz zu berücksichtigen, nach dem sicii
die Unterschiedsempfindung nur dann gleich bleibt, wenn die l'nterschiede propor-
tional den absoluten Größen der Reize wachsen.''
Sprechen wir von der raumbildenden Wirkung der Farben, müssen wir mit
Peucker direkt von einem Farbenraum sprechen, der selbstverständlich nur ein
Teil des Gesichtsraumes ist, der sich uns in Formen und Farben darbietet. Das
Körperlich sehen geht nicht allzuweil, für das menschliche Auge kaum über einen
halben Kilometer hinaus. Es wird in die Raumtiefe hinein durch das Häumlichsehen
abgelöst, was vorzugsweise durch die Farben unterstützt wird. ..Das Körperlichsehen
ist ein (ireifon mit der Hand, dem Auge übertragen zur l>weiterung des Tastraumes,
das l^äumlichsehen ein Begehen mit dem Auge, um den Bewegimgsraimi immer gegen-
» F. Becker: Die schweizeriwlie Kartograpliii- i. J. UU4. I-niuU-i«au.H.Mtplliin(j in Born. Wearn
II. .Aufgaben einer Ijmdesaufnahnir. S.A. Schweiz. Z. f. Artillerie ii. Genie. Fraiienfelil H>I.">. S. 6.
« A. V. Hübl: Die Dreifarbt>nphotographie. 1807; 2. Aufl. 1002. i. <1. Ennklopädie d. Photo-
graphie. H. 26. Halle a. S.
' K. Peurk.i: Hillirnscliicht.nkail.n. ». ... O.. S. 7(1. SC, V«l. femer K. H. Web.i.
Über (Ion Hmmisinn. In B<r. d. sneliM. Os. d. VVi»8.; MiHli.-pliy,-.. Kl. .lalirg. 1862. S. 8f>-l»H.
634 I>it' wisscus.'liaftliclimi (4nindlaf;fii dn- (■iolaniliMl,i,-Ht(;lhM.j;.
wärtig zu haben, beides um im Einklang mit der Erfahrung zu l^leiben."' Was
die Natur durch Farben räumlich zum Ausdruck bringt, ist der natürliche l<'arben-
raum. Wird dieser durch stoffliche Farben, die immer bestimmten Gesetzen folgen
werden, nachgedildet, sprechen wir von künstlichem Earbenraum. Ihn hat zum
ersten Mal K. Peucker gesetzmäßig ins Geländebild übertragen, mit ihm wird es
zuletzt auch jedes andere Gelände-Farbensystem zu tun haben, wenn es auf natür-
liche Wirkung hinarbeiten will.
III. Die farbenplastischen Karten und ihre Zukunft.
;]79. Peiickers larbeuplastische Karten. Nachdem Tuucker .seinu Theorie ge-
nügend fundiert hatte, ging er an ihre jn-aktische Verwirklichung. Zunächst waren
es Karten in seinem Handelsschulatlas^, dessen zweite Auflage (1899) als der Anfang
der neuen Karten zu betrachten ist. Mit jeder Neuauflage sind die Karten verbessert
und der Theorie gerechter geworden.
Das erste gelungene sijektraladaptiv-plastische Kartenbild bat Peucker 1910
in der Karte der Dolomiten östlich von Bozen in 1 : 200000 gegeben'. Damit hat
er endlich den W'unsch unserer großen Kartenkritiker, wie Hammer*, Haack^, erfüllt,
au Kartenbeispielen seine Theorie erhärtet zu sehen. Fünfzehn Farbentöne zeigt
das Kartenbild, das ein gutes Studienobjekt des Peuckerschen Systems ist, denn
das gleiche Blatt zeigt außer dem größten Teil einer fertigen Karte auch Teile der
Karte ohne Schrift, Teile ohne Schattierung und solche ohne Schichtlinien. Nur
ein Teil hätte noch vor Augen geführt werden sollen, nämlich ohne Schattierung
und ohne Schichthnien, dann wäre sofort in die Augen gespnuigen, daß die Farbe
lediglich über die Höhe als solche und nicht über die Natur der einzelnen Landschafts-
teile und den Charakter der Gehänge orientiert, wohl aber mit Hilfe der Isohypsen
oder der Schummerung, an deren Stelle eine leichte Schraffur oder Punktur gleich
gut zu verwenden gewesen wäre. Um es einmal drastisch auszudrücken, bildet die
Schummerung den Kleiderstock, woran das farbige Kleid aufgehängt ist, das
•sonst etwas in sich zusammengesunken erscheinen würde; denn die farbenplastische
Wirkung bleibt wohl bestehen, aber der sinnfäUige Eindruck der einzelnen Gelände-
formen, die Ziseüerung der charakteristischen Linien kommt erst durch die Schummerung
oder ihren Ersatz als Schattenton* oder durch den Isohypsenzug voll zur Geltung.
Noch besser ist es, wie es Peucker selbst schon getan hat, Isohypsen mit einer Art
Schummerung anzuwenden. Auch theoretisch hatte er bereits empfohlen, die schatten-
plastische Darstellung mit einer farbenplastischen der Höhen zu verbinden, weil
1 K. Peucker: Der Farbenraum, a. a. O., S.-A. S. 7.
- Erschienen in dem Verlage von Artaria und Cic. in Wien.
ä Die Karte ist hergestellt in d. k. k. milit.-geogr. Inst, in Wien. Sie erscheint als Beilage zu
der Arbeit über „Höhenschichtenkarten", a. a. ()., femer zur österreichischen Patentschrift Nr. 48671,
Kl. 42c. Wien 1911.
* E. Hammer: In G. J. XXIW 1901/02, S. 49; i. P. M. 1903, LB. 256, S. 77; i. P. M. 1905.
LB. 282, S. 97.
5 H. Haack i. G. Ä. 1901, S. 51; i. G. J. XXVI. 1903/04, S. 397.
'■ H. Habenieht hebt bei Gelegenheit der Besprechung über O.Brunns Karte der deutsch,
u. osterreich. Alpenländer in 1:600000, P. M. 1905, LB., S. 28, hervor: „Eine wirkhche Plastik der
Pormen können Höbenschicht«nkaiten ohne Schatten nicht gcl)cn, besonders nicht im Hochgebirge."
1)H' fiii-hciiplHHlisicIic-ii Kiutf 1 iliiw /ukiiiiU. Q35
dadurch jede optische Entataltuug oder VerebnuiiK ausgeschlossen isl.^ Wie prächtig
hebt sich infolge der Vereinigung der Eosengarten hervor, desgleichen der Latemar.
Vemel, die Pta. Tasca, Pta. Vallacia. Im Vergleich mit andern farbenplasti.schen
Darstellungen muß man anerkennend hervorheljen, daß, trotzdem die farbigen Hohen-
stufen allmählich ineinander übergehen, sie sich deutlich voneinander unterscheiden.
Dadurch vermittelt die Karte nicht bloß sofort eine Anschauung der Höhe, sondern
ermöglicht im Nu mit Hilfe der Skala, die absolute und relative Höhe jeder Schicht
annähernd genau zu bestimmen. Die vorUegende Karte bietet eine Höhenmaß-
anschaulichkeit bis zu 1 mm, da 200 m im Maßstab 1 : 200000 =^ 1 mm sind. Selbst
wenn die Maßanschaulichkeit bis auf 100 m und weniger gesteigert wird, wolle man
nicht übersehen, daß im Hintergrund immer die bezifferte Isohypse lauert, die den
Eaumwert der Farbe umklammert, denn dieser ist per se kein zahlenmäßiger Höhen-
wert eigen, da ich nicht sagen kann, diese oder jene Farbe hat den Eaumwert, 200
oder 300 m (Zwischenraum) auszufüllen. Durch die Farbe in bestimmter Eeihenfolge
wird demnach nur die ungefähre, keine absolute Höhenlage eines bestimmten Punktes
gegeben. Der gewünschte Höhenpunkt ist wohl abschätzhar, aber nicht meßbar.
Für eine Kartengruppe, die vor dem Kriege bedeutende Geister bewegte, hatte
das Peuckersche System bereits eine Eolle gespielt, für die Luftfahrerkarte. Ver-
schiedene Kartenproben haben die Brauchbarkeit des Systems gegenüber andern
glänzend bezeugt. Da sie nicht im Buchhandel erschienen sind, haben wir liier kaum
Veranlassung, ihrer eingehender zu gedenken. Nur auf das italienische Probekarten-
blatt Turin in 1 : 250000 sei hingewiesen. In verschiedenen Fach- und imdem Zeit-
schriften^ hat man die Plastik der Karte gepriesen, die nicht übertrieben wirkt und
vorzüghch der Orientierung diene, da mit einem ersten Blick der Aufbau des Ge-
ländes zu überschauen sei. Daß ich die Herausgabc von Luftfahrerkarten, wie sie
seinerzeit geplant war, heute für überwunden betrachte, habe ich an anderer Stelle
nachgewiesen (S. 105, 288ff.). Außerdem hat es das Peuckersche System gar nicht
nötig, der Anerkennung für ein Sonderkartengebiet nachzujagen, da sein Wert viel
allgemeinerer Natur ist und auf viel gi'ößerm kartographischen Felde liegt als auf
dem einer Luftfahrerkarte. ^
380. Vorschläge zur \cibcsseruiig lurlii'iipiastischer S\s(i'im'. Da das farben-
plastische System erst am Anfang semer Leistungsfähigkeit steht, dürften verschiedene
Vorschläge zu seiner weitem Verbesserung willkommen sein. Mir im besonder«
gefällt bei der gesamten Farbenskala der graublaue Tieflandton nicht. In liebirgs-
gegenden, wie auf der Peuckerschen Karte der Dolomiten, kann man sich den grauen,
wenig transparenten Ton allenfalls noch gefallen lassen, aber für Darstellungen aus
dem norddeutschen Tieflande wäre er verfehlt. Die Niederungen und Talbödeu sind
bekannthch mit wenigen Ausnahmen die Gebiete, die am dichtesten besiedelt und
bevölkert sind, die am wege- und verkehrsreichsten sind und die die fruchtbarsten
Acker mid Gärten besitzen. Die Anreicherung mit Kullurwerlen von der Hohe nach
der Tiefe zu steht in gewissem Sinne diametral entgegengesetzt zur Farhenplastik
des Geländes. Dieser Gegensatz muß notwendiger^veise lierabgemindert werden.
' K. PoiK-küi-: Di-ci Thesen /.um Ausbiiu der theotvt. Kartographie, li. /. 1902, S. 146.
« 7j. B. aiirh in „den Orcnzboton" 1913. S. 17».
■■' J. Frisrhnuf macht in seinen Ileitrügen zur Ijuuli'muifnnhnip ih« . liOipiifc; ii. Itorlin 191
4», Hilf einige m-iiori' Kmlen in l'euelccr« Muiüei iiiifnierk-.niii.
636 t)ip wisseuseliaftliL-heu Giiiudlagrn der Ocläudeclarstelluus;.
da es nicht angeht, daß der farbenplastischen Theorie zuliebe die Tieflandgebiete
in Grau gehüllt werden. E. v. Sydow hatte einer richtigen Empfindung zum Aus-
druck verhelfen, als er für das Tiefland den grünen Farbton einführte, der sich als
Natm-- und Kulturfarbe wohl niemals wieder aus der Karte verdrängen lassen wird.
Die Weltkartenkonferenz hatte nicht um-echt, für die Farbengebung der untersten
Geländestufen grüne Farben festzusetzen. Darum kann man nur der Peuckerschen
Skala empfehlen, sie auch mit Grün beginnen zu lassen, etwa mit einem durchsichtigen,
stumpfen Blaugiün. Trotz des Unterdrückens des graublauen Tieflandtones hätte
die Skala keine Einbuße an Kraft und Wirkimg, im Gegenteil, das ganze Karten-
bild gewinnt an Deutlichkeit und Eindeutigkeit. Das Graublau der Talungen ver-
schmilzt in einiger Entfernung gesehen oder bei Lampenhcht nur zu leicht mit dem
graublauen Ton der Schummerimg und steile Gehänge erscheinen als Teile von Tälern
und verbreitern ins Unnatürliche das Tal; so erscheint z. B. auf der Dolomitenkarte
das Etschtal auf Kosten der Gehänge um die Hälfte zu breit.
Die Einwände, die man dem Peuckerschen System gegenüber erhoben hat imd
erheben kann, sind bei Lichte besehen gering und für die Erschütterung der Innern
Festigkeit des Lehrgebäudes belanglos; mit Leichtigkeit lassen sich auftretende Mängel
imd Zweifel beheben. Urteilt man auf Grund tiefer Kartenkenntnis und vorurteils-
frei über das System, muß man ehi-Hch imd offen sagen: Ihm gehört die Zukunft,
hier wird der Kartographie ein weiter gangbarer mid ersprießhcher Weg gezeigt.
In ihm und dui-ch es wird zum erstenmal nach farbentheoretischen, logischen und
psychologischen Grundsätzen eine Höhenplastik entwickelt, wie wir sie bis dahin
noch nicht besaßen. Die ausgezeichnete Schweizer Manier läßt sich eben nur auf
die Schweiz, nicht aber auf anders geartetes Gelände, wie das deutsche Mittelgebirge,
anwenden. Das Peuckersche System paßt, wie oben erörtert, für jede
Geländeform, eben weil es die Farben der Höhenplastik durch em strenges Gesetz
regelt und nicht der schwankenden WiUküi- des individuellen Geschmacks anheim-
stellt. Das ist wohl sein größter Vorzug, und ich erblicke darin für die Zukunft ein
Mittel, das Kartenmaterial in bezug auf die Höhendarstellung zu vereinheitHchen.
In dem Peuckerschen System, wie es jetzt vorliegt, erblicke ich noch keinen
Abschluß der farbigen GeländedarsteUung, sondern für die Gegenwart ein Mittel
zur Vervollkommnung und Vereinheitlichung der Höhenschichtkarten. Tatsächlich
ist es noch entwicklungsfähig. Auch nach der physiologischen und psychologischen
Seite bedarf es tieferer Begründung, wobei an C. Stumpfs Werk Über den psycho-
logischen Ursprung der Kaumvorstellung, Leipzig 1873, anzuknüpfen wäre, das bis
heute noch die beste Bearbeitung der raumtheoretischen Fragen ist. Aber auch
hier begegnet man von vornherein großen Sch^vierigkeiten. Je nachdem die Er-
örterung empiiistisch, gestützt auf Helmholtz, Wundt, Bain, Douder oder Volkmann,
oder nativistisch in Anlehnung an Johann Müller, Panum, Hermg, Stumpf u. a.
ist, erhält die Psychologie der Eaum Wahrnehmung des Auges ein veränderhches
Aussehen.^ Vor allem smd die neuen luid bedeutenden Forschimgsergebnisse in
der Farbenlehre von Wiih. Ostwald nicht zu übersehen^; von ihnen erwarte ich
' St. Witasek: Psychologie der Raumwahinehiuuag des Auges. Heidelberg 1910, S. 5.
- W. Ost-svald: Die Har/iHiiif d. r Farben. Leipzjg 1918. — Der Farbenatlas. Leipzig 1918.
(Ein Markstein deutscher Wis-i 11-. hili und Kultur!) — Die FaT-lienlehre. I. Mathematische, II. physi-
kalische, in. chemische. IV. |ili\ -i..|.i_]M In u.V. psvchologisflie Farbenlehre. Von diesem Werk sind
1. Leipzig 1918, II. 1919 erschienen.
Die farbi-nplastischeii Karten und ihre Zukunft. 637
künftig viele und wertvolle Bereicherungen der kartographischen Zeichnung und
Darstellungsmittel, also nicht allein auf dem Gebiet der Geländedarstellung. Das
Problem der farbenplastischen Geländedarstellung rückt durch die neuem Theorien
in der Farbenlehre in ein neues Stadium, und vielerlei Fragen werden in Zukunft noch
aufgerollt werden, die sich jetzt kaum im Keim ihrer Entwicklung zeigen. Zunächst
dürften sie sich in die Fragen zuspitzen: Ist das spektral-adaptive System das einzige
farbenplastische? Haben andere Farbenskalen nicht gleiche oder ähnliche plastische
Wirkimg und damit Daseinsberechtigung?
381. Die weitere Anwendung der Farbeuplastik auf topographischen und ehoro-
graphisehen Karten. Die Vereinheitlichung müßte auf topographischen Karten
anders als auf chorographischen gehandhabt werden. Bei der Erweiterung des
Systems der farbenplastischen Darstellvmg denkt Peucker an Landschaftskarten
großen Maßstabs. 1 : 200000 bis 1 : 10000, mit dem vollen Gewände der Kulturen.
Für den Maßstab 1 : 200000 hat er bereits selbst ein brauchbares Beispiel gegeben.
Für die Maßstäbe 1 : 100000 und 1 : 50000 dürfte in Zukunft das System nicht ver-
nachlässigt werden, insonderheit für den erstem Maßstab. Dagegen bezweifle ich.
daß das Peuckersche System auf Karten von der Größe des deutschen Meßtisch-
blattes Verwendung finden wild, geschweige denn auf Karten in 1 : 10000. Für
den gewöhnhchen Gebrauch jedenfalls nicht, da schon mit der schlichten Schicht-
linieukarte dem vielseitigen Zweck genügt wird. Die farbenplastische Symphonie
würde nur die Herstellung der Karte verteuern, ohne ihr Gebrauchsbereich wesent-
lich zu vergrößern. Für Studienzwecke wäre ja eine farbenplastische Karte in 1 : 25000
ein willkommenes Objekt, doch kann man sich auch ohne sie genügen lassen. Da-
gegen wird sie als militärische Karte eine ganz hervorragende Stellung erlangen.
Sie ist die Militärkarte der Zukunft. Schon während des Weltkriegs hatte sich
das Bedürfnis nach solchen Karten sowohl bei der Heeresführung wie bei der Truppe
(Artillerie) eingestellt und einzelne Armeen hatten sich farbenplastische Höhen-
schichtkarten in 1:25000 selbst angefertigt. Aber der Zusammenschluß dieser
Kartenwerke mit den Nachbarn klaffte, aus leicht begreiflichen Gründen, da nur
das orographische Bild jedes einzelnen Armeebereiches als Grundlage für den Schichten-
aufbau diente. Auf Grundlage des Peuckerschen Systems — wenn es nur genügend
bekannt gewesen wäre — hätte man eine Vereinheitlichung jener Kartenwerke er-
zielen können. Die Bedeutimg der farbenplastischeu Karten für die Kriegsführung
wird uns in dem Teil über Kriegskartographie noch eingehender beschäftigen.
Für die topographischen Karten dürfte sich jedes messende und durch Auf-
nahme betätigende Land die Intersalle der Peuckerschen Skala innerhalb des j^piei-
raums seiner Höhenmarktn zurechtlegen; auf chomgraphischen Karten müßten die
Intervalle und deren Färbung intemational vt-reinbart werden, zu der die Weltkarte
in 1:1000000, wenn sie von kompetenten kartographischen Sachverständigen be-
raten worden wäre», eine erste, mit allseitigem Dank begrüßte Veranlassung hätte
sein können.
» Es bleibt eine lieschäniende Tatsache, daß zu den intei nationalen Weltkartenkünfcrenrcn
in London u. Pari» aicht derartige Fachleute und WüsscnfM-haltler, wie H. Wagner, E. Hanimei.
H. Haack, K. Peucker, .1. Frischauf, hinr.ugcEogen worden sind, von denen j«-<ler allein in
praktisch-karto^traphisclicn Dingen nxhr verstnn.l iils alle Konfen-nztednclimer zusammen.
638 Hit' wisaenschaftliolien (Jniudlagf'M dpi- Qi'ländpdiirBtellung.
382. Peuckers System und die künftige Umgestaltung der Handatlanten. Peuckers
System ^^^rd sicher von großem Einfluß auf die künftige Umgestaltvmg der Hand-
atlanten sein. In Schulatlanten, wie in der gesamten Schulkartographie, merkt
man bereits den erfrischenden Hauch Peuckerscher Gedanken, wobei es noch gar
nicht nötig ist, 'von einer auffäUigen Amiäherung an Peucker zu sprechen, wemi die
höhern Geländeteüe mit einem zarten Eot überdeckt sind, wie l>ei H. Habenicht^,
bei Debes, lürchhoff und Kropatschek^, bei Haack^, bei Kothaug*, bei Bludau^, bei
meinem Neuen Methodischen Schulatlas.* Auch früher wurden die roten Töne für
die höchsten Erhebungen bereits gewählt, wie von J. M. Ziegler', Fr. Simony, J. und
M. Tschamler.* Viel wichtiger erscheint mir die Geländedarstellung in den Hand-
atlanten. Man soll doch nicht glauben, als ob mit den schönen Atlanten von Stieler,
Debes, Andree, Schrader usw. das Vollkommenste auf kartographischem Gebiet
erreicht worden sei. Sie bedeuten nur einen zeitweiligen Höchststand in der Ent-
wicklung, in keiner Weise einen Abschluß. Der Handatlas der Zukimft zeigt sicher
ein ganz anderes Gesicht wie der heutige. Vielleicht kommt dann auch einmal der
Geograph auf seine Eechmmg. Das physikaUsche Bild der Atlanten läßt, wenn
Nvir es auf Herz und Nieren prüfen, sehr zu wünschen übrig.* Das Geländebild er-
hebt sich selten über das Niveau allgemeiner Geländeveranschaulichung. Beim
tiefen wissenschaftHchen Studium versagen die Geländebilder, wenn nicht einige
dürftige Höhenzahlen der Vorstellung zu Hilfe kämen. Damit soll den genannten
prächtigen Kartenwerken kein Vorwurf entstehen; sie können jetzt eben das noch
nicht leisten, was die geographische Wissenschaft fordert, weil der größte Teil unserer
Erdoberfläche hypsographisch noch unerschlossen ist. Auch läßt sich das Neue
nicht plötzlich an die Stelle des Alten setzen. Zunächst müssen Übergänge geschaffen
werden, ganz abgesehen davon, daß technische und pekuniäre Gründe auch ein Wort
mitzusprechen haben. Wird es dereinst möglich sein, Karten im Maßstab 1 : 1 000 000
und kleiner hypsometrisch sicher zu erfassen, wird sich der Farbenplastik ein
Feld der Betätigung für Atlaskarten erschließen.
■^ H. Habenicht: Atlas zur Heimatkunde des Deutschen Reiches. Gotha 1887. Hier wird
für die hohem Erhebungen ein rötliches Braun venvendet. Die höchsten Gebirgsteile selbst sind weiß
ausgespart. Wenn aber Habenicht in seinem Aufsatz „Das malerische Element in der Kartographie"
Z. f. Schulgeogr. 190.3, S. 283 — 285, behauptet, daß er die Peuckersche Theorie mit wenig Worten
und durch die Tat lange vor Peucker aufgestellt habe, ist dies ein naiver Optimismus, den wir Habe-
nicht in Anbetracht seiner sonstigen Leistimgen und Verdienste zugute rechnen woOen.
2 Auf den Debesschen Schulatlanten wird für die höchsten Erhebungen gleichfalls ein rötliches
Braun genommen.
' H. Haack bedeckt die höhern Gebirgsschichten mit roter Farbe; so auf seinen physikaUschen
Schulwandkarten, wie auch auf den Karten seines Oberstufenatlas für höhere Lehranstalten. Gotha,
bei J. Perthes.
^ G. Rothaug auf Schulwandkarten und Schulkarten im Verlage von G. Freytag & Bemdt
in Wien.
^ A. Bludau in der Neuaufla.ge von Sohr-Berghaus' Handatlas. Glogau 1902ff.
" M. Eckert: Neuer methodischer Scbulatlas. Halle a. S. bei H. Schroedel. (Die neue Tönung
von Aufl. 63 ab.)
' J. M. Ziegler: Hypsometrische Karte der Schweiz 1:380000. Winterthur 1866.
* Üb. Fr. Simony n. J. u. M. Tschamler vgl. K. Peucker: Neue Beiträge zur Systematik
der Geotechnologie. Mit. d. Gteogr. Ges. Wien 1904, S. 301, Anm.
• Man lese nur E. v. Romers „Kritische Bemerkungen zur Fiage dei Tenaindaretclhing"
nadi. Mit. d. Geogr. Ges. Wien 1909, S. .W-ff.
Die farbiMiplasHschpn Karti-n und ihre /.iikunft. RSn
Es ist auch möglich, daß iu Zukunft eine Spaltung in dt-n Atlanten eintreten wird,
daß die eine Art den Zeitungslesern dient, wit^ heutigentags größtenteils, die andere
dem Geographen. Denn da wollen wii- uns doch nichts vormachen, viele unserer
modernen Atlanten taugen zum Studium kaum noch, sie sind infolge der Überfülle
von Ortsnamen, Verkehrswegen und politischen Grenzfarben lediglich zu einem
Auskuuftsmittel des Zeitvmgslesers geworden, sind aber kaum noch eine Quelle des
Studiums, was ursprünglich (zur Zeit der Entstehung des Stieler) die vornehmst«-
Aufgabe des Atlas war. Für den Geographen und geographisch gebildeten Laien
muß das Terrain eine, wenn nicht die Hauptsache in der Karte sein und bleiben.
Nach dieser Eicht img sehen wir ja schon erfreuliche Ansätze in der physischen Karte
von Europa in Debes" Handatlas^, ferner in den physischen Erdteilen der
neuen Auflage von Sohr-Berghaus' Handatlas, die unter der Herausgabe von A. Bludau
ein wirklich fortschrittliches Kartenwerk zu werden versprach, leider aber nicht
vollendet wurde- und ganz besonders in den physikaUschen Übersichtskarten von
Frankreich und den Erdteilen (außer Australien! in der Neuauflage des
Atlas universel de geographie von Yivien de Saint-Martin und F. Schrader.'
Ein unversiegbarer Born geogi'aphischer Deduktionen wird geschaffen sein, wenn
ein Handatlas dui-chweg in farbenplastischen Karten erscheint, deren Höhen-
stufen, mindestens zwanzig an der Zahl, durch den gesamten Atlas hin-
durch gleiche Maße besitzen, auch gleiche Farben für die gleich hoch gelegenen Schichten.
Der im Werden begriffene Grande Atlante Internationale des Tourmg Club Italiano
scheint auch iu dieser Beziehung den bisherigen besten Atlanten den Rang abzulaufen,
denn die Karten der einzelnen Erdteile sind als Höhenschichtenkarten gedacht.
Mit der farbenplastischeu Darstellung verbinden sich verschiedene Vorteile,
die heute noch kaum zu übersehen sind. So schmiegt sich ein feines poHtisches Eand-
kolorit organisch dem farbenplastischen Kartenbild ein. Es darf nicht so dick und
plump wie auf vielen Handatlaskarten auftreten. Weiter hat die Erfahrung bereits
gelehrt, daß eine Karte mit chromatischer Unterlage eine inhaltUche Bereichenmg
erfahren und von dem trübenden Eindruck der Beschriftung entlastet werden kann.
Tatsächlich erweckt die farbenplastische Karte den Eindi'uck, als ob sie auffallend weniger
dicht beschrieben sei als die mit weißer Bildebene. Daß die Schrift sodann, wie
Peucker meint, angenehmer als auf der weißen Folie zu lesen sei, will ich dahmgestelK
sein lassen. Wie auf einer Glasplatte eingi-aviert , scheint die Schrift nUrr d« in riiuin-
lichen Geländebilde zu schweben.
' Nur das Braun der Höhen ist zu stumpf; füi- die Erhebungen von iilwi 20(X) ni ihm li oin Rot-
braun überzudrucken, würde der Karte ziun größten Vorteile gereichen.
- Die Herausgabe war in 30 Liefeningen geplant, deren erste 1902 erschien. Nach der 10. Liefe-
rung geriet das Werk ins Stocken.
■' Atlas universol de geographie. Nouvello Mition. SO Kiirt<-n in 26 I.i.-fiMuneen. Paris,
Hasohottf .<• Cio. (soll 1921 komplett vorliegen).
640 Nachtvag.
Nachtrag.
S. 66. Auf die „natürlichen Landkarten", die auch unter den Begriff „er-
habene Karten", bez. ,,Eehefs" fallen, ist schon im 18. .Jahrhundert aufmerksam
gemacht worden. Auf S. 280 in J. G. Krünitz' Ökonomisch-technologischer Enzyklo-
pädie (Berlin 1793, 60. Teil) lesen wir: „Es lassen sich auch erhabene Karten an-
fertigen. Man kann nämlich eine Provinz, welche nicht gar zu groß ist, in einem
Zimmer oder Garten, gleichsam als in einem Modell, also vorstellen, daß alle Er-
höhungen, Erniedrigungen, Berge, Täler, Städte usw. also darauf erhaben und er-
niedriget werden, wie sich solche in der Tat befinden."
S. 79. Kartenkuriosa. Daß sich die Ansichtspostkarten zuweilen des Karten-
bildes bedienen, erscheint uns heute schon weniger merkwürdig als die Verwendung
des Kartenbildes für Notgeld. Auf einem Gutschein (0,50 M.) des Kreises Monschau
von 1921 ist der Kreis von Monschau, ein Teil des Kreises von Aachen imd be-
sonders das von den Belgiern beanspruchte und eingenommene deutsche Gebiet dar-
gestellt. Dies Karten-Notgeld dürfte zu den echten Kartenkuriosa gerechnet werden.
S. 253. Das Muster einer geographischen Aufnahme für ein kleineres Gebiet
hat .J. Bartsch in der Karte „Die Moränenlandschaft der Schneegruben" 1:10000
gegeben. Die Karte ist 1880 mit E. Dorn aufgenommen und in dem Buche von
Bartsch : Die Gletscher der Vorzeit in den Karpathen und den Mittelgebirgen Deutsch-
lands (Breslau 1882. Text S. 58—60) veröffentlicht worden; sie erscheint mit einem
Nachtrage 1893 als Beilage Nr. 5 in J. Bartsch: Die Vergletscherung des Eiesen-
gebirges (Forschgn. z. Deutsch. Landesk. VIII. 2. Stuttgart 1894). Die Aufnahme
in dem Blocklabyrinth und der Waldbedeckung des Schneegrubengebietes war von
Ungeheuern Schwierigkeiten begleitet. Die Basis, mit emem guten Stahlbandmaß
wiederholt gemessen (7K,'22 m), lag am obern Bande der Großen Schneegrube und
wurde diiekt angeknüpft an den trigonometrischen Höhenpunkt des Hohen Bades
(1506 m). Das bis in eine Entfernung von 2300 m und etwa 980 m Höhe ausgreifende
Dreiecksnetz 1. Ordnung wurde mit dem Theodolit aufgenommen, kleine Dreiecke
in schwierigerem Gelände mit einem leichter tragbaren Meteoroskop. Viele einzelne
Höhepunkte wurden auch barometrisch gewonnen. Mit Hilfe dieser zahlreichen,
mühselig gewonnenen Fixpunkte gelang es Bartsch, ein klares Kartenbild in Schicht-
linien von 10 m- Gleichentfernung zu geben. Interessant ist die verbesserte Ausgabe
der Karte (1893) auch dadurch, daß der Hochwald und das Knieholz durch besondere
Signaturen unterschieden werden, jener diu:ch die übliche Tannenbaumsignatur und
dieses diurch Eiugelpaare, ähnUch wie der Laubwald dargestellt wird (s. S. 374).
S. 449. Das Hochbild von Goethe führt den Titel: Höhen der Alten und
Neuen Welt bildUch vergÜchen von Herrn G. E. von Goethe. Es ist beigegeben den
Allgemeinen Geographischen Ephemeriden (XLI. Bd., I. Stück). Das „colorierte
Tableau" (53,5 X 33,5) ist in einem Sonderabdruck erschienen; dazu sind 2 Seiten
mit Text gegeben (Weimar, im Verlage des Landes-Industrie-Comptoirs, 1818). Das
Ganze ist Herrn Alexander von Humboldt gewidmet. Der Text besteht aus einem
kurzen Vorwort von Bertuch und einem ,, Schreiben des Herrn G. E. von Goethe
an den Herausgeber". Weimar, 8. April 1813.
X u
UniversityofToroHto
Library
DO NOT
REMOVE
THE
CARD
FROM
THIS
POCKET
Acme Library Card Pocket
LOW E-MARTIN CO. UMIT»