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Full text of "Die Königliche Albertus-Universität zu Königsberg i Pr. im neunzehnten Jahrhundert; zur Feier ihres 350jährigen Bestehens"

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Y\OVMQZ 


Q.  F.  F.  F.  Q.  S. 


REGIAE  ACADEMIAE  ALBERTINAE 

ANTE  HOS 

TRECENTOS  QVINQVAGINTA  ANNOS 

CONDITAE 

SACRA  SOLLEMNIA 

DIEBVS  XXVI  ET  XXVII  M.  IVLII  ÄNNI  MDCCCLXXXXIV 

PIE  CELEBRANDA 

INDICVNT 

RECTOR  ET  SENATVS.    ) 


INEST: 
Hf  PRÜTZ:    DIE  KOENIGLICHE  ALBERTÜS-UNIVERSITAET  ZU  KÜENIGSBERG  I.  PR. 
IM  NEUNZEHNTfJN  JAHRHUNDERT.  L  z- iJ  r    V-q-I '= 

REGIMONTII  PRVSSORVM 

EX  OFFICINA  HARTVNGIANA. 


0- 


K\  l 


^ 


Die 


Königliche  Albertus-Universität 


Königsberg  i.  Pr. 

im  neunzehnten  Jahrhundert. 


Zur 
Feier  ihres  350jalirigen  Bestehens 


Von 

Hans  Prutz, 

Dr.  phil.,   ordentlichem  öffentlichen  Professor  der  Geschichte. 


Vorwort. 


In  seiuer  Sitzung  vom  17.  Februar  1893  sprach  das  Generalconcil  den  Wunsch  aus, 
es  möchte  dem  Programm,  durch  welches  in  den  herkömmlichen  Formen  zur  feierlichen  Be- 
gehung des  350jährigen  Bestehens  der  Albertus-Universität  eingeladen,  wird,  eine  Geschichte 
der  Hochschule  im  19.  Jahrhundert  beigegeben  werden.  Es  Hess  sich  dabei  von  der  Absicht 
leiten,  dass  künftigen  Generationen  von  der  Entwickelung  der  Albertina  seit  der  Zeit,  da  sie 
durch  Kant  an  die  Spitze  des  geistigen  Lebens  in  Deutschland  gestellt  war,  eine  bessere 
Kenntniss  übermittelt  werden  möchte,  als  in  Folge  der  Sorglosigkeit  unserer  Vorgänger  von 
den  früheren  Perioden  auf  die  Gegenwart  gekommen  ist. 

Nach  Lage  der  Dinge  musste  der  Unterzeichnete  die  Erfüllung  dieses  Wunsches  als 
eine  ihm  auferlegte  Ehrenpflicht  ansehen,  so  wenig  er  sich  über  die  Schwierigkeiten  täuschen 
konnte,  die  damit  verbunden  waren,  und  so  sehr  er  zum  Voraus  überzeugt  sein  durfte,  es 
nicht  Allen  recht  zu  machen. 

Es  handelte  sich  dabei  nicht  bloss  um  die  Uugleichmässigkeit  und  Lückenhaftigkeit 
des  in  kurzer  Zeit  zu  bewältigenden  Materials.  Dass  es  ihm  auf  sein  Ansuchen  von  Seiten 
Sr.  Excellenz  des  Ministers  der  geistlichen,  Unterrichts-  und  Medicinal-Angelegenheiten,  Herrn 
Dr.  Bosse,  gestattet  wurde,  die  Acten  des  Königlichen  Curatoriums  zu  benutzen,  hat  nach  dieser 
Seite  hin  die  Arbeit  überhaupt  erst  möglich  gemacht,  wie  hier  mit  aufrichtigem  Danke  her- 
vorgehoben werden  mag. 

Weit  grösser  waren  die  inneren  Schwierigkeiten.  Denn  ohne  auf  Einzelnheiteu  einzu- 
gehen, die  bei  oberflächlicher  Betrachtung  eine  nur  locale  Bedeutung  zu  haben  scheinen,  Hess 
sich  doch  von  der  Fülle  und  der  Mannigfaltigkeit  der  in  dem  Leben  der  Albertina  zusammen- 
fliessenden  Beziehungen  ebenso  wenig  ein  einigermassen  vollständiges  Bild  geben  wie  von  den 
Wirkungen,  die  von  ihr  aus  in  weite  Ferne  geübt  worden  sind.  Und  doch  werden  Eigenart, 
Bedeutung  und  Verdienst  der  jubilirenden  Universität  nur  erkennbar,  wenn  wir  ihr  individuelles 
Leben  zu  den  Wandelungen  in  Beziehung  setzen,  welche  das  geistige,  sittliche  und  politische 
Dasein  der  Nation  im  Laufe  der  Zeiten  erfahren  hat. 


Die  geistige  Strömung  unserer  Tage  ist  den  Universitäten  im  Allgemeinen  nicht  eben 
günstig.  Yielleicht  trägt  aber  gerade  ein  Einblick  in  die  Eiuzelnheiten  des  akademischen 
Lebens  und  Strebens,  wie  er  hier  geboten  wird,  dazu  bei,  die  in  manchen  Kreisen  herrschenden 
Vorurtheile  zu  überwinden:  giebt  er  doch  auch  dem  Fernstehenden  Gelegenheit,  eine  Vor- 
stellung zu  gewinnen  von  der  Fülle  der  geistigen  und  sittlichen  Kraft,  der  hohen  Begeisterung 
und  der  entsagenden  Pflichttreue,  die  in  Generationen  von  Lehrenden  und  Lernenden  vorhanden 
sein  muss,  wenn  unsere  Hochschulen  irgend  ihren  Beruf  so  erfüllen  sollen,  wie  das  der 
Albertina  im  Rückblick  auf  die  seit  Kants  Tod  von  ihr  durchlebten  lieinahe  neunzig  Jahre 
wird  nachgerühmt  werden  dürfen. 

Möchte  der  Geist,  aus  dem  und  in  dem  ihr  das  gelungen,  auch  die  kommenden  Ge- 
nerationen ihrer  Lehrer  und  Hörer  erfüllen!  Dazu  durch  diesen  geschichtlichen  Rückblick 
etwas  beigetragen  zu  haben,  würde  der  schönste  Lohn  sein,  den  diese  Arbeit  irgend  zu 
erwarten  hat. 

Königsberg  i.  Fr.,  den  20.'Juni  1894. 

H.  Prutz. 


I.  Die  Albertus-Universität 

im 

Zeitalter  ihrer  Neubegründun^ 
1805— M. 


JMiclit  als  schmückende  Krönung  des  Gebäudes,  sondern  als  wesentliche  Bürgschaft 
für  die  Zukunft  der  Staatsschöpfung,  die  er  in  Noth  und  ßedränguiss  aller  Art  durch  die 
Verwandelung  des  Ordenslandes  in  ein  weltliches  Herzogthum  vollzogen  hatte,  enichtete 
Albrecht  von  Brandenburg  1544  die  Universität  zu  Königsberg. 

Weit  abgelegen  von  den  Centren,  in  denen  das  geistige  Leben  des  deutschen  Mutter- 
landes Richtung  und  Inhalt  zu  empfangen  pflegte,  hatte  Preussen  zu  wenig  Verlockendes  und 
war  zu  arm,  um  auch  in  der  Folge  die  Träger  der  für  Kirche  und  Schule,  für  Rechtspflege 
und  Verwaltung  unentbehrlichen  höheren  Bildung  aus  der  Ferne  zu  berufen  und  bei  sich 
heimisch  zu  machen  oder  alle  diejenigen,  welche  diesen  höheren  Berufsarten  nachzugehen  ge- 
neigt und  l)efähigt  waren,  zum  Studium  nach  den  älteren  deutschen  Hochschulen  zu  senden. 
Wie  sie  den  Abschluss  bildete  in  der  wohldurchdachten  Stufenfolge  von  ßildungsaustalteu. 
dui-ch  die  Herzog  Albrecht  in  unermüdlicher  Fürsorge  erst  für  die  Volksschule  und  dann  für 
die  zum  akademischen  Studium  vorbereitende  höhere  oder  Lateinschule  die  Erhaltung  seines 
Volkes  bei  der  evangelischen  Lehre  auf  die  Dauer  sicher  zu  stellen  strebte,  so  hat  die  Alber- 
tina den  besondern  Charakter,  der  ihr  dadurch  aufgeprägt  war,  auch  lange  Zeit  festgehalten  und 
in  den  bewährten  Formen  der  älteren,  allgemeinere  Zwecke  verfolgenden  Hochschulen  ein  im 
Wesentlichen  provinziell  beschränktes  Dasein  geführt,  mochte  sie  auch,  der  Erwartung  ihres 
Stifters  entsprechend,  in  Folge  ihrer  Lage  für  die  benachliarten  baltischen  Lande  hohe  Bedeu- 
tung erlangen  und  namentlich  von  dem  deutschen  Adel  Iviirlunds,  Tiivlands  und  Esthlands 
häufig  aufgesucht  werden. 

Auch  ist  sie  dank  der  verhältnissmässigen  Ruhe,  deren  sich  Preussen  erfreute,  wäh- 
i-end  die  Schrecken  des  grossen  Krieges  Deutschland  durchtosten,  weniger  von  der  geistigen 
Verwilderung  und  der  moralischen  Zuchtlosigkeit  betroffen  worden,  denen  die  meisten  ihrei' 
deutschen  Schwestern  damals  verfielen.  Ohne  von  Deutschland  besonders  nachhaltig  wirkende 
Anregung  zu  empfangen  oder  durch  eine  mehr  oder  minder  eigenartige  Weiterbildung  des 
ihr  von  dorther  Zugeführten  befruchtend  und  erweckend  auf  das  Mutterland  zurückzuwirken, 
hatte  sie  in  pflichttreuer  Hingebung  an  ihren  eng  umgrenzten  Beruf  mehr  als  zwei  Jahr- 
hunderte hindurch  eine  bei  aller  ünscheinbarkeit  verdienstliche  und  vielfach  segensreiche 
Wirksamkeit  entfaltet,  als  sie  mit  dem  Aufleuchten  des  hell  strahlenden  Sterns,  der  ihr  und 
von  ihr  aus  Deutschland  und  der  Welt  in  Immanuel  Kant  aufging,  in  kurzer  Zeit  an  die 
Spitze  einer  ebenso  tiefgehenden  wie  grossartigen  und  folgenreichen  geistigen  Bewegung  ge- 
stellt und  für  ein  Menschenalter  zu  einem  der  vorncdimsten  Centren  alles  höhei-en  geistigen 
Lebens  erholten  wurde. 


Es  ist  hier  nicht  der  Ort.  des  Näheren  auf  die  Bedeutung  einzugehen,  welche  Kants 
Lehre  wie  für  die  Philo.sophie,  so  für  die  Erweiterung  und  Vertiefung  des  geistigen  Lebens 
überhaupt  erlangt  hat,  oder  von  Neuem  den  stärkenden  und  stählenden  Einfluss  zu  schildern, 
den  sein  kategorischer  Imperativ  auf  die  besten  der  von  ihm  gebildeten  Zöglinge  der 
Albertina  und  durch  diese  dann  auf  die  Schicksale  des  preussischen  Staates  und  Volkes  und 
damit  auf  die  Zukunft  Deutschlands  ausgeübt  hat  —  hier  genügt  es,  an  das  zu  erinnern, 
was  die  Stiftung  Herzog  Albrechts  ihrem  ersten  grossen  und  zugleich  grössten  Lehrer  für 
ihre  Stellung  und  Bedeutung  überhaupt  zu  verdanken  hatte.  Gelöst  aus  den  engen  Schranken 
eines  bloss  auf  praktische  Zwecke  gerichteten  provinziellen  Daseins,  stellte  sie  nun  erst  ihre 
Wirksamkeit  in  den  Dienst  des  Idealen.  Daraus  aber  erwuchs  ihr  alsbald  wieder  eine  Fülle 
läuternder  und  erhebender,  vertiefender  und  begeisternder  Anregungen.  Auch  äusserlich 
wurde  das  erkennbar.  Das  weltentlegene  Königsberg  wurde  das  Ziel,  dem  hochstrebende 
Jünglinge  und  Männer  aus  allen  Theilen  Deutschlands  und  noch  von  weiterher  zuströmten, 
während  begeisterte  Jünger  des  ileisters  Lehre  bis  nach  England  hin  verkündigten.^)  Und 
so  blieb  das,  auch  noch  als  die  zunehmenden  Gebrechen  des  Alters  Kant  Ostern  1797 
nöthigten.  seine  Vorlesungen  einzustellen,  und  der  Sprecher  der  studentischen  Deputation,  die 
im  Juni  bei  ihm  erschien,  um  ihm  für  seine  bishei'ige  segensreiche  Lehrthätigkeit  zu  danken, 
durfte  mit  Recht  sagen,  Kant  bleibe,  auch  wenn  nicht  mehr  unmittelbar  wirkend,  doch  die 
höchste  Zierde  der  Universität. 

Der  AV eltruf,  den  Königsberg  damals  genoss,  beruhte  durchaus  in  der  Einen  Person 
des  grossen  Philosophen.  Stand  da  aber  nicht  zu  fürchten,  dass  mit  seinem  Hingange  auch 
die  Albertina  von  der  Höhe  wiederum  herabsinken  würde,  auf  die  sie  durch  ihn  erhoben 
worden  war?  Ein  Kant  war  unersetzbar:  so  bezeichnet  sein  Tod  am  12.  Februar  1804  einen 
epochemachenden  Abschnitt  in  der  Geschichte  der  Albertina.  Zudem  fiel  er  bereits  in  eine 
Zeit,  wo  auch  für  die  Wirksamkeit  der  Universitäten  ganz  andere  Bedingungen  massgebend 
zu  werden  begannen  als  diejenigen,  unter  denen  Kant  in  seinen  so  bescheidenen  Anfängen 
und  auch  noch  auf  der  Höhe  des  Ruhmes  gewirkt  hatte.  Denn  obgleich  auch  damals  noch 
an  die  Ausstattung  der  Universitäten  nicht  entfernt  die  Ansprüche  gemacht  wurden,  die  heute 
als  selbstverständlich  gelten,  und  daher  ihre  Erhaltung  mit  einem  kleinen  Bruchtheil  des 
heute  unerlässlichen  Aufwands  bestritten  werden  konnte,  bedeutete  es  doch  ein  bedenkliches 
Zurückbleiben  und  drohte  der  Albertina  die  Erfüllung  ihres  Berufs  unmöglich  zu  machen, 
dass  für  sie  seit  einem  vollen  Jahrhundert  eigentlich  nichts  geschehen  war:  standen  doch 
z.  B.  die  Gehälter  der  Professoren  noch  auf  dem  Satz,  der  1697  festgestellt  worden  war. 
Die  furchtbare  Heimsuchung  Ostpreussens  durch  Hungersnoth  und  Pest  im  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts, die  dadurch  für  Friedrich  Wilhelm  I.  gebotene  Verwendung  aller  irgend  verfüg- 
baren Mittel  auf  das  Eetablissement  des  Landes  und  dann  unter  Friedrich  dem  Grossen  die 
höchste  militärische  und  politische  Bedrängniss,  die  Ostpreussen  zeitweilig  aus  dem  Verbände 
des  preussischen  Staates  löste  und  seine  Ergebung  in  dieses  Schicksal  mit  der  .dauernden 
Ungnade  des  Königs  büssen    liess,    —    das    alles    macht    die    w^irthschaftliche  Noth    und    die 

']  Dr.  Nitscli    ein  Schüler  von  Kraus,  in  T.ondon:  s.  Kraus.   Vermischte  Schriften   VIII.  S.  ;15I   iV. 


(ruistldsc  Küniiu(M-liL-bkeil,  auch  der  Albertiua  begfciriicb,  üv.v  eiu  Manu  von  der  culbehnuigs- 
IVeudigen  Selbstlosigkeit  eiues  Cliristian  Jacob  Kraus  durch  das  harte  Wort  Ausdruck 
gab :  „Wer  sich  der  Königsberger  Universität  widmet,  legt  eiu  Gelübde  der  Armuth  ab." 

Das  galt  zunächst  von  den  äusseren  Verhältnissen.  Wie  es  mit  diesen  stand,  lässt 
mich  die  Schilderung  erkennen,  die  der  1814  nach  Königsberg  berufene  Karl  Friedrich 
Uurdach  entwirft.*)  „Das  Universitätsgebäude,"  so  berichtet  dieser,  ,, hatte  ganz  das  Aussehen 
eines  alten  armen  Klosters;  das  düstere  Senatszimmer  schloss  hinter  einer  Barriere,  vor  wel- 
cher die  Studenten  bei  Vernehmungen  oder  Stipendiatenprüfungen  standen,  einen  langen  Tisch 
eiu,  über  welchen  einige  Klingelschnüre,  mit  grossen  Muscheln  und  Stücken  Bernstein  ge- 
schmückt, herabhingen  und  hinter  welchem  die  Senatoren  auf  ungeheuer  breiten  und  hohen 
Lehnstühlen  sassen;  der  grosse  Hörsaal  war  lang,  niedrig,  dunkel,  von  eckigen  hölzernen 
Pfeilern  gestützt,^)  an  Wänden  und  Decke  mit  dunkelbraunem  Tafelwerke  und  alten,  geschwärz- 
ten Oelgemälden  von  Fürsten  bekleidet,  dicht  vor  dem  Katheder  mit  einer  Bari-iere  versehen, 
iiHiorhalb  welcher  bei  Promotionen  ausser  den  Opponenten  auch  Stadtpfeifer  sassen,  die  zum 
Anfange  und  Ende  des  Actus  auf  herzzerreissende  Weise  bliesen."  Und  mit  der  geistigen 
Ausstattung  sah  es  nicht  besser  aus.  „Die  Zahl  der  Lehrstühle,-'  so  berichtet  von  jener  Zeit 
Karl  Ernst  von  Baer,')  „war  nur  gering,  die  Universitätsbibliothek  sehr  arm.  Die  noch 
geltenden  Universitätsgesetze  waren  weit  über  ein  Jahrhundert  unverändert  gebliebeu  und 
hatten  einen  mittelalterlichen  Charakter.  So  war  den  jedesmaligen  Decanen  der  Facultäten 
aufgetragen,  darauf  zu  sehen,  dass  keine  Neuerungen  in  den  Dissertationen  vorkämen  („ne  quid 
novi  insit").  Der  Doctor  der  Medicin  musste  bei  der  Promotion  schwören,  keine  magischen 
Mittel  und  keine  nicht  genug  erprobten  anzuwenden." 

Dieser  Widerspruch  zwischen  dem  von  Kant  begründeten  Weltruf  Königsbergs  und 
der  uurühmlichen  Dürftigkeit  seines  Daseins  blieb  freilich  nicht  unbemerkt.  Insbesondere  eut- 
liüllte  der  damalige  Kanzler  der  Albertina  und  erste  Professor  der  juristischen  Facultät,  Dr. 
Daniel  Christoph  Reidenitz  (aus  Legitten  bei  Labiau,  1776  stud.  iur.,  d.  28.  März  1788 
Dr.  iur.  und  Privatdocent,  Juni  1789  aord.  und  1.  Sept.  1789  ord.  Prof.,  25.  Mai  1803  Kanzler 
und  Director,  Sommer  1803  zuerst  Rector,  dann  wieder  i.  J.  1807,  11,  13,  17,  21,  23  und  29, 
beging  1828  sein  .öOjähriges  Doctor  und  Docentenjubiläura,'')  in  einer  der  Regierung  einge- 
reichten Denkschrift  ausführlich  die  Mängel,  an  denen  die  Universität  krankte  und  die,  zu 
gross  und  tief,  um  durch  einen  Nothbehelf  gebessert  zu  werden,  nur  dui-ch  eine  weit  aus- 
holende und  tief  greifende  Neugestaltung  zu  beseitigen  sein  würden.  Und  das  freimüthige 
Wort  des  für  den  hohen  Beruf  der  Albertina  begeisterten,  dabei  sachkundigen  und  praktisch 
verständigen  Mannes  fand  bei  der  Regierung  günstige  Aufnahme  und  veranlasste  den  ersten 
Versuch  zu  einer  zeitgemässen  Neugestaltung  der  Königsberger  Universität,  der  freilich  gleich 
in  seinem  vielversprechenden  ersten  Stadium  gewaltsam  unterbrochen  werden  sollte. 

1)  C.  F.  ßurdacli,  Rückblick  auf  meiu  Leben  (Blicke  ins  Leben    VL  Leipzig  1848)  S.  280. 

2)  In  Folge  eines  1802  ausgeführten  Reparalurbaus  zur  Stützung  der  Einsturz  drohemlen  Decke. 

3)  C.  E.  V.  Baer,     Mein  Leben  iSt.  Petersburg  1885)  S.  ■■'.ät. 

4)  Vgl.  C'uratorial-Acten  A.  1211. 


I.   Der  erste  Versuch  zur  Reorganisation  der  Albertina  1805—6. 

Die  Reideiiitz'sclie  Denkscbrift  ,,Ueber  die  notbwendig  gewordene  Verbesse- 
rung unserer  Universität'")  empfieblt  sich  auch  heute  noch  durch  Weite  des  Blicks  und 
A^orurtheilslosigkeit  der  Auflassung:  insbesondere  hält  sie  mit  sicherem  praktischen  Tact  die 
richtige  Mitte  zwischen  dem,  was  für  eine  Universität  ihrem  Begriö"  nach  wünschenswerth  ge- 
nannt werden  muss,  und  dem,  was  angesichts  der  besonderen  Verhältnisse  Königsbergs  und 
der  Beschränktheit  der  verfügbaren  Mittel  billiger  Weise  gefordert  werden  konnte. 

Königsberg  ist,  so  wird  darin  zunächst  ausgeführt,  das  geistige  Centrum  für  Ost-  und 
NeuOstpreussen,  einen  grossen  Theil  von  Südpreussen  und  Westpreussen,  „eine  Gegend,  dem 
Umkreise  nach  die  weiteste  im  Pi-eussischen  Staat  und  welche  dem  grössten  Theil  nach  den 
Unterricht  am  meisten  bedarf."  Ein  weiterer  Verfall  der  Universität  würde  nicht  bloss  für  den 
gesammten  Stand  der  höheren  Bildung  in  diesen  Gebieten  auf  mindestens  ein  Menschenalter 
verhängnissvoll  werden,  sondern  dem  ganzen  Staate  zum  Nachtheil  gereichen.  Anzeichen  des 
Rückganges  aber  waren  reichlich  vorhanden.  Ostpreussen  freilich  war  „seiner  Lage  und  un- 
vordenklicher Gewohnheit  nach"  in  Bezug  auf  „die  Bildung  der  Officianten,  Prediger  und  Schul- 
lehrer lutherischer  Confession"  ausschliesslich  auf  Königsberg  angewiesen,  aber  die  wohlhabenden 
Elbinger  und  Danziger  schickten  schon  seit  längerer  Zeit  ihre  Söhne  zum  Studium  nach  Er- 
langen: „nur  die  Armen  haben  wir  hier."  Dagegen  ist  für  die  Beamten  Neu-Ost-  und  Süd- 
preussens,  die  meist  aus  Ost-  und  Westpreussen  dorthin  versetzt  sind,  wenn  sie  ihre  Söhne 
studireu  lassen  wollen,  überhaupt  keine  andere  Universität  als  Königsberg  erreichbar.  Dort- 
hin kommen  auch  immer  noch  von  Zeit  zu  Zeit  Studirende  tief  aus  dem  Innern  Russlands, 
bis  nach  der  Ukraine  hin,  weil  ihnen  in  Königsberg  Gelegenheit  geboten  ist,  sich  sowohl  im 
Deutschen  wie  im  Polnischen  zu  vervollkommnen.  Danach  darf  man,  so  urtheilt  Reidenitz, 
diese  Hochschule  um  so  weniger  verfallen  und  zur  Erfüllung  ihres  Berufs  unfähig  werden 
lassen,  als  die  grosse  Stadt  den  Studirenden  noch  eine  Menge  anderer  Bildungselemente  zu- 
gänglich macht,  die  anderswo  fehlen,  und  es  obendrein  an  keinem  andern  Orte  den  Armen 
so  leicht  wird,  sich  auch  ohne  Stipendien  durch  Unterricht  in  Künsten  und  Wissenschaften  zu 
erhalten:  kommen  deshalb  doch  selbst  aus  Schlesien  Studirende  zugewandert.-)  Aber  nicht 
blo.ss  für  jene  Zeit,  sondern  auch  für  unsere  Tage  noch  ist  ein  Wort  beherzigenswerth,  welches 
Reidenitz  in  diesem  Zusammenhange  über  das  Streben  äussert,  den  Zugang  zum  Studium  mög- 

li  Vgl    Universitäts-Acten  A.  11. 

2)  Audi  uoch  von  1805  an  bestätigt  dies  das  Album.  , 


licL.st  zu  besclu'äiikcii  und  uamentlicli  die  Unbemittelten  davon  lern  zu  halten.  „Wenn  di(! 
Aermeren  aus  Mangel  eines  nahen  Unterrichts  am  Studium  gehindert  werden,  so  stimmt 
das  zwar  mit  dem  jetzt  herrschenden  Princip,  als  wenn  zu  viel  die  Zeit  her  dem  Stu- 
dium sich  gewidmet  hätten,  überein:  aber  es  bleibt  dennoch  eine  falsche  und  dem 
Staat  schädliche  Ansicht.  Die  A,emter  des  Staats,  welche  mit  Studirten  besetzt  werden, 
sind  grösstentheils  der  Art,  dass  es  weit  vortheilhafter  dem  Ganzen  ist,  aus  vielen  den 
Besten  auswählen  zu  können,  wenn  auch  einige  als  überflüssig  dem  Staate  oder  vielmehr  den 
Jiirigen  zur  Last  fallen  sollten.  Es  ist  Zeit  und  Pflicht,  die  Lenker  der  Staaten  auf 
jenes  schädliche  Princip,  die  Studien  einschränken  zu  wollen,  aufmerksam  zu 
machen."  Soll  es  daher  nicht  so  weit  kommen,  dass  zur  Besetzung  der  Landesämter  nur 
untüchtige  und  schliesslich  überhaupt  nicht  genug  Leute  vorhanden  sind  und  dass  namentlich 
der  Nachwuchs  für  die  akademische  Lehrerschaft  gänzlich  fehlt,  so  muss  nach  Eeidenitz 
,,die  Universität  der  Art  eingerichtet  werden,  dass  sie  allen  Zwecken  einer  solchen  Lehr- 
anstalt, dem  Genus  und  Bedürfniss  des  Zeitalters  gemäss,  ein  Genüge  zu  leisten  fähig  ist." 
Andererseits  freilich  kann  auch  dieser'  zuverlässige  Beobachter  nicht  in  Abrede  stellen,  dass 
das  wissenschaftliche  Streben  in  Königsberg  zurückgegangen  ist:  doch  „darf  man  —  nach  ihm 
—  hierbei  die  Schuld  nicht  allein  auf  den  Mangel  an  Lust  zum"  Studiren  und  den  Hang  zum 
Vergnügen  schieben,  der  freilich  gross  genug  ist,  um  alle  Aufmerksamkeit '  dahin  zu  richten 
und  ihn  mit  Milde  zu  massigen",  sowie  es  nichts  thut,  wenn  die  eine  oder  die  andere  I)is- 
ciplin  ,,auch  einmal  gleichsam  ausser  Cours  kommt:  denn  sie  kann  dann  zum  Theil  durch 
zweckmässige  öffentliche  Vorlesungen,  zum  Theil  durch  den  collegialischera  Geist  der  belieb- 
testen Lehrer  in  den  übrigen  Wissenschaften  (durch  Empfehlung)  in  Gang  gebracht  werden,"  — 
„wenn  nur  Alles  auf  Einen  Punkt  hinarbeitet,  das  Ganze  zu  befördern,"  — 
„wenn  nur  überall  von  der  Maxime  ausgegangen  wird,  dass  das  Amt  nicht  dfss 
Lehrers,  sondern  der  Lehrer  des  Amtes  wegen  da  ist,  so  kann  es  nicht  fehlen." 
Indem  Eeidenitz  dann  endlich  die  verschiedenen  Zwecke  erörtert,  denen  eine  Universität 
dienen  soll,  empfiehlt  er  mit  Rücksicht  auf  die  besonderen  Verhältnisse  Königsbergs  nicht 
bloss  die  Errichtung  einer  Reihe  von  akademischen  Instituten,  ohne  welche  auch  diese  Univer- 
sität ihren  Beruf  nicht  würde  erfüllen  können,  sondern  auch  die  Anlegung  einer  Anzahl  von 
anderen  Bildungszweckeu  dienenden  Anstalten,  wie  einer  Handelsakademie,  einer  Navigations- 
sciuile  und  einer  Kunstschule;  ja,  im  Hinblick  auf  die  confessionellen  Verhältnisse  regt  er  die 
Errichtung  einer  katholisch-theologischen  Facultät  an  und  meint,  dass  auch  die  Verbindung 
einer  Ecole  militaire  mit  der  Universität  Nutzen  gewähren  würde. 

Der  Erfolg  dieser  Anregung  war  der  denkbar  erwünschteste.  Unter  dem  Lö.  Juni  1805 
erging  unter  lobender  Anerkennung  des  von  Reidenitz  bewiesenen  Eifers  ein  Königlicher 
Erlass,  der  im  Wesentlichen  folgendermassen  lautete: 

„Es  ist  Unserm  Obercuratorio  nicht  unbekannt,  dass  der  gegenwärtige  Zu- 
stand der  dortigen  LTniversität,  im  Ganzen  betrachtet,  nicht  von  der  Art  ist,  dass  die- 
selbe, der  redlichen  Bemühung  der  bei  derselben  angestellten  Docenten  ungeachtet, 
sämmtlichen  Zwecken  einer  höheren  gelehrten  Bildungsanstalt  auf  eine  vollkommen 
genügende  Art  entsprechen  kann. 


Oll  uud  was  Unsere  Höchste  Persou  bei  den  inanuigfaUigeu  auderweitigcu 
Hlaatsljedürfnissen  für  die  Universität  etwa  zu'tbuu  geneigt  und  im  Stande  sein  diirfto, 
muss  zur  Zeit  allerdings  noch  dahingestellt  bleiben.  Das  Obercuratoi-ium  wird  iu- 
•  dessen  nicht  unterlassen,  seinerseits  die  Wohlfahrt  der  Universität  zu  beachten  und 
auf  die  verbesserte  Einrichtung  derselben,  so  weit  die  Umstände  es  gestatten,  Eück- 
sicht  zu  nehmen. 

Ehe  jedoch  hierunter  etwas  geschehen  kann,  ist  zuvörderst  nöthig,  dass  die 
Universität  einen  detaillirten,  die  genaue  Schilderung  ihrer  gegenwärtigen  Lage  ent- 
haltenden Bericht  einsendet  und  zugleich  anzeigt,  wodurch  Euren  wahren  und  wesent- 
lichen Bedürfnissen  abzuhelfen  ist  und  wie  die  Universität  überhaupt  in  den  Zustand 
gesetzt  werden  kann,  um  die  möglichst  vollkommene  und  zweckmässige  Bildung  der 
derselben  anvertrauten  Jugend  in  Hinsicht  auf  deren  mannigfaltige  Bestimmung  zu  er- 
reichen." 

In  Folge  dieser  Aufi'orderung  fanden  nun  innerhalb  des  Lehrkörpers  der  Albertina 
eingehende,  hei  dem  damals  herrschenden  Brauch  schriftlichen  Votirens  langwierige  Verhand- 
lungen statt.  Zunächst  sprachen  in  den  einzelnen  Facultäten  sämmtliche  Mitglieder  ihre  Mei- 
nungen und  Wünsche  aus,  die' dann  in  dem  vom  Decan  redigirten  Facultätsbericht  zusammen- 
gefasst  wurden.  Obgleich  diese  Voten  manchen  für  Personen  und  Zustände  sehr  charakteri- 
stischen Zug  enthalten,  muss  es  hier  doch  genügen,  das  Gesammtergebniss  in  den  Hauptpunkten 
zu  skizziren,  wie  es  in  einem  auf  Grund  der  Facultätsgutachten  redigirten  Schlussbericht  des 
akademischen  Senats  an  den  König  zum  Ausdruck  kam.  Derselbe  datirt  vom  28.  August  1805 
und  ist  ausser  von  dem  derzeitigen Rector,  dem  Juristen  Heidemann,  unterzeichnet  von  den 
Professoren  Reidenitz,  J.  C.  Schulz,  Graef,  Eisner,  Wald  und  Poerschke. 

Zunächst  wird  darin  von  dem  Lehrerpersonal  gehandelt.  Es  bestanden  damals  au 
der  Albertina  au  Professuren  fünf  theologische  —  davon  eine  ohne  Gehalt  und  Emolumente  — , 
vier  jui-istische,  fünf  medicinische,  davon  zwei  zur  Zeit  in  der  Person  des  Professor  Metzger 
vereinigt  —  und  acht  philosophische,  nämlich  für  Logik  und  Metaphysik,  für  praktische  Philo- 
sophie, für  Mathematik,  für  Physik,  für  orientalische  Sprachen,  für  griechische  Sprache,  für 
Geschichte  und  Beredsamkeit  und  für  Dichtkunst.  Von  diesen  letzten  war  die  mathematische 
in  Folge  des  Todes  des  sie  mitverwaltenden  Hofpredigers  Schulz  dermalen  unbesetzt,  die  der 
orientalischen  Sprachen  wurde  von  dem  Professor  der  Theologie  Hasse  und  die  der  Ge- 
schichte und  Beredsamkeit  von  dem  Theologen  Wald  bekleidet.  Da  demnach  in  der  philo- 
sophischen Facultät  etliche  Professuren  fehlten,  in  den  oberen  Facultäten  aber  einige  erspart 
werden  konnten,  so  machte  der  Senat,  der  sich  auf  das  dringendste  Bedürfniss  beschränken 
wollte,  zunächst  den  Vorschlag,  die  Zahl  der  Professuren  in  den  drei  oberen  Facultäten  auf 
je  drei  zu  beschränken,  in  der  philosophischen  dagegen  entsprechend  zu  erhöhen.  Dazu  sollte 
die  Professur  der  orientalischen  Sprachen  eingehen  und  die  Vertretung  dieses  Fachs  dem  be- 
treffenden Theologen  zufallen,  dagegen  die  Professur  der  Chemie  von  der  medicinischen 
Facultät  getrennt  und  in  der  philosoDhischen  mit  der  der  Physik  und  der  Naturwissen- 
schaften verbunden  werden.  Ferner  wurde  vorgeschlagen,  die  Professur  für  speculative  Philo- 
sophie mit  der  für  praktische  und  die  für  lateinische  Sprache  mit  der  für  griechische  Sprache 


zu  vereinigen  und  für  die  zwei  so  in  Wegfall  kommenden  zwei  neue  Professuren  zu  errichten, 
nämlicli  für  Cameralwisseuschaft  und  für  Statistik. 

Diese  Vorscliläge  ents[)recben  durchaus  der  geistigen  Richtung  Jeuer  Zeit.  Denn 
während  der  biedere  Johann  Georg  Scheffner  (geb.  8.  August  1736;  gest.  16.  August  1820), 
seit  dem  Tode  Kants  neben  dem  Generalsuperintendenten  und  spätem  protestantischen  Erz- 
bischof Borowski  damals  der  Hauptvertreter  des  alten  Königsberg,  im  Rückblick  auf  seine 
eigene  Studienzeit  klagt,  dass  1752')  „Naturgeschichte.  Chemie,  Gewerbekunde,  Staatswirth- 
schaft  u.  s.  w.  auf  der  Albertina  böhmische  Dörfer  gewesen  seien",  war  im  Interesse  einer 
besseren  Vorbildung,  namentlich  der  für  das  Finanzfach  bestimmten  Beamten,  durch  König- 
liches Rescript  vom  29.  März  1794  die  Einführung  eines  cameralistischen  Cursus  verfügt 
worden.  Auch  hatte  sich  in  dem  Vertreter  der  praktischen  Philosophie,  Christian  Jacob 
Kraus  (geb.  27.  Juli  1733,  gest.  25.  August  1807)  vielleicht  dem  bedeutendsten  Schüler 
Kants,  aber  im  Gegensatz  zu  diesem  einem  Repräsentanten  des  realistisch-rationalen  Princips, 
—  insofern  er  sein  Augenmerk  auf  die  Aussenwelt  richtete  und  ihre  Erscheinungen  philo- 
sophisch zu  combiniren  strebte,^)  ein  ebenso  pflichttreuer  wie  hervorragend  begabter  und 
geistvoller  Vej-treter  dafür  gefunden,  mochte  man  seine  Thätigkeit  auch  insofern  streng 
genommen  nicht  der  Universität  zurechnen  können,  als  er  für  diese  ausserordentliche  Mühe- 
waltung nicht  aus  Universitätsfonds,  sondern  aus  der  ostpreussischen  Domänenkammer  honorirt 
wurde.  Die  vom  Senat-  empfohlene  Reform  durchzuführen  brauchte  man,  da  die  juristische 
Pacultät  bereits  thatsächlich  nur  drei  Professuren  enthielt,  bloss  in  der  theologischen  und 
medicinischen  das  Eingehen  der  entsprechenden  Stellen  mit  dem  Tod  ihrer  hochbetagteu  In- 
haber abzuwarten.  Kants  Nachfolger,  Wilhelm  Traugott  Krug  (geb.  22.  Juni  1770.  gest. 
12.  Janunr  1842),  dessen  Rintreffen  aus  Frankfurt  a.  0.  zum  Herbst  erwartet  wurde  sollte 
die  praktische  Philosophie  mit  der  speculativen  verbinden  und  Kraus  dann  ofßcieller  Ver- 
treter der  Cameralwissenschaften  werden.  Der  hochbejahrte  Professor  der  Physik  Karl 
Daniel  Reusch  (geb.  1735,  gest.  28.  August  1806)  sollte  pensionirt  werden  und  der  Pro- 
fessor der  Chemie  Karl  Gottfried  Hagen  aus  der  medicinischen  Facultät  in  die  philo- 
sophische übertreten  mit  dem  Lehrauftrag  für  Chemie,  Physik  und  Naturwissenschaften.  Der 
Theologe  Theophilus  -Wald  gab  die  von  ihm  mit  bekleidete  Professur  der  griechischen 
Sprache  auf,  so  dass  nur  die  Stellen  für  Mathematik,  für  klassische  Sprachen  und  für  Statistik 
neu  zu  besetzen  waren. 

Auch  die  finanzielle  Seite  der  vorgeschlagenen  Reform  erörtert  der  Senatsbericht. 
Damit  die  Professoren  ausschliesslich  ihrem  Amte  und  der  Wissenschaft  leben  können  und 
nicht  Nebenämter  anzunehmen  brauchen,  soll  jede  Stelle  mit  einem.  Gehalte  von  800  Thalern 
ausschliesslich  der  Natural-  und  anderen  Emolumente  dotirt  werden,  was  einen  Mehraufwand 
von  8400  Thalern  jährlich  nöthig  macht,  abgesehen  von  den  Zahlungen,  die  zur  Entschädigung 
der  einen  Theil  ihrer  bisherigen  Wirksamkeit  aufgebenden  Professoren  noch  einige  Zeit  zu 
leisten  waren.     Im  Zusammenhange  damit  wird  der  Wunsch  ausgesprochen  nach    „eiuer   Vei-- 


1)  J.  G.  Scheffner,  Mein  Lehen,  S. 

2)  .Toll.  Voigt,  Leben  iles  Ti-of.  Clir. 


iludeniDg  liiiisiclitlich  de.«  Kasseuweseiis";  um  die  unvriirdige  und  zeitraubende,  sachlicli  alier 
nie  völlig  geniigend^?  nebenamtliche  Versehinig  der  Ka.^sengescliäfte.  d.  i.  der  (^nä^tnr.  durch 
die  akademischen  Lehrer  zu  beseitigen.')  Man  nalim  dafür  die  Errichtung  einer  Ijesonderen 
,. Zahlungscommission''  in  Aussicht. 

Von  den  akademischen  Instituten  bediirfen  nach  dem  Urtheil  des  Senats  einige 
einer  gründlichen  Eeform.  Die  dabei  angeführten  Einzelheiten  eröffnen  einen  Blick  in  die 
trostlose  Dürftigkeit  des  damaligen  akademischen  Lebens  in  Königsberg.  In  Bezug  auf 
das  „Convictorium",  die  mit  einem  Capital  von  45000  Thalern  fundirte  Anstalt  zur 
Bespeisung  armer  Studirenden,  welche  in  den  dazu  angewiesenen  Räumen  des  Collegium 
Albertinum  von  einem  eigenen  Oekonomen  liewirthschaftet  wurde,  wird  geklagt  über  die 
durch  die  Theuerung  verschuldete  schlechte  Kost,  die  der  Oekonom  selbst  niclit  in  Abrede 
stellen  kann,  und  über  das  „schmutzige,  zerrissene  und  ekelhafte  Tischzeug":  die  mit  der 
Sorge  dafür  betraute  Wäscherin  erhielt  als  einzigen  Entgelt  freie  Wohmmg!  Deshalb  em- 
pfehlen schon  jetzt  einige  Stimmen,  man  möge  die  Anstalt  eingehen  lassen  und  nach  dem 
Vorbild  der  bewährten  Hallenser  Freitiscbordnung  die  zu  beköstigenden  Studirenden  gewissen 
fiastwirthen  zuweisen  und  an  diese  aus  der  Convictoriumkasse  entsprechende  Zahlung  leisten, 
da  solche  Unternehmer  ja  ein  Interesse  daran  haben,  ihre  Kunden  zu  befriedigen  und  dadurch 
neue  heranzuziehen. 

Noch  schwerere  Klagen  werden  gegen  das  ., Alumnat"  erhoben.  Zunächst  erfüllt  das 
die  stiftungsmässigen  freien  Wohnungen  enthaltende  Gollegiengebäude  seinen  Zweck  insofern 
nur  sehr  unvollkommen,  als  die  Zimmer  darin  zum  Theil  gar  nicht,  zum  Theil  nur  mit  un- 
verhältnissmässigem  Aufwand  erheizt  werden  können.  Ein  zweiter  üebelstand  ist  dns  Dasein 
der  „Collegienburschen"  ^ — d.  h.  „armer  Knaben  aus  Masuren,  welche,  um  einst  in  ihrem 
Vaterlande  Schullehrer  oder  Geistliche  zu  werden,  die  Schule  besuchten,  den  Studenten  zur 
Aufwartung  resp.  Erziehung  beigegeben  waren  und  mit  dem,  was  dieselben  von  den  Mahlzeiten 
im  Convicte  übrig  Hessen,  gespeist  wurden"  — .^)  Diese,  „welche  dereinst  selbst  Studenten 
werden,  müssen  gegenwärtig  den  Studenten  aufwai-ten  und  werden  daher  zu  den  niedrigsten 
Beschäftigungen  gebraucht.  Für  ihre  Ausbildung  und  moralische  Vervollkommnung  wird 
daher  hier  nicht  gesorgt.  Der  Schmutz,  den  sie  verbreiten,  das  Euiniren  der  Wohnungen 
durch  sie  und  ähnliche  Unordnungen  sind  durch  die  Erfahrungen  zu  sehr  bewiesen,  als  dass 
es  einer  weiteren  Ausführung  bedürfte."  Der  Senat  verlangt  deshalb  Entfernung  der  CoUegien- 
burschen  und  Ersetzung  derselben  durch  zwei  Aufwärter,  die  zugleich  den  nöthigen  Nacht- 
wachdienst übernehmen  sollen.  Ferner  wird  dringend  eine  Verbesserung  der  „Gefängnisse" 
verlangt:  der  bisher  dazu  dienende  Raum  im  Gollegiengebäude  ist  so  ungesund,  dass  man 
Niemanden  längere  Zeit  darin  lassen  kann,  während  durch  einen  einfachen  Erweiterungsbau 
leicht  drei  geeignete  Räumlichkeiten  hergestellt  werden  können.  Der  Bedarf  nach  Gelassen 
der  Art  muss  danach  in  jener  Zeit  ziemlich  beträchtlich  gewesen  sein,  und  noch   Jalire   lang 


1)  Die    ICassengescIiäfte    und    zugleicli    die    eines    Secretär.'s    versah    damals    der    aiisserord.    l'rnf.     de 
Mallieniatik  Gensiclien. 

2)  ßiirdacli,  a    a.  O.  I,  280-81. 


wurden  uaclits  arretirte  Studenten  einfacli  dem  Prorector  in  das  Haus  gebraclit,  der  sie 
entweder  freilassen  oder  bis  zum  andern  Morgen  in  seinem  Zimmer  belialtcu  musste:  noch 
1818  bemühte  man  sich  um  Abstellung  dieses  unbequemen  Brauches.') 

Verhältnissmässig  kurz  werden  endlich  die  Neuerungen  begründet,  welche  der  Senat 
für  eine  bessere  Pflege  der  Wissenschaft  durchgefüh)-t  zu  sehen  wünscht.  In  Betreff  der 
Bibliothek  soll  die  schon  früher  angeregte  Vereinigung  der  Schlossbibliothek  mit  der 
Wallenr'-«dtschen  vollzogen  werden.  Er  fordert  ferner  die  Anstellung  zweier  Bibliothekare 
und  eines  Adjuncfen  und  die  Beschaffung  eines  hesondern  und  zwar  heizbaren  Locals,  wozu 
nach  dem  Tode  des  greisen  Professor  Keusch  die  von  diesem  bisher  innegehabte  Wohnung 
des  ersten  Inspectors  des  Collegium  Albertinum  verfügbar  sein  würde.  Die  Mittel  zur  Ver- 
mehrung der  Bibliothek  sollen  beschafft  werden  durch  Verkauf  der  auszuscheidenden  Doubletten 
und  durch  Zuweisung  der  bisher  der  Schlossbibliothek  zufliessenden  Einkünfte.  Im  Interesse 
eines  gründlichen  medicinischen  Unterrichts  wird  die  Anlage  eines  botanischen  Gartens 
und  die  Errichtung  einer  klinischen  Anstalt  als  besonders  dringlich  hervorgehoben. 

„Und  nun,  Allergnädigster  König  und  Herr,"  —  so  schliesst  der  Senat  seinen 
Bericht  —  „wenden  wir  uns  zu  Ew.  Königlichen  Majestät  Gnade  und  flehen  um  Erhörung 
unserer  Bitte.  Nicht  unser  Privatvortheil,  das  Wohl  des  Landes,  welches  fast  ganz  von  dem 
Zustand  der  Universität  abhängt,  spricht  aus  uns,  und  dies  berechtigt  uns  zu  der  frohen  Aus- 
sicht, dass  Ew.  Königliche  Majestät  auch  unsere  Universität  nicht  gering  achten,  sondern  sie 
durch  landesväterliche  Unterstützung  in  den  Stand  setzen  werden,  den  Anforderungen,  welche 
man  mit  Recht  an  eine  höhere  Bildungsanstalt  macht,  zu  entspi'echen." 

Uebrigens  fügte  der  Senat  die  sämmtlichen  Gutachten  sowohl  der  Facultäten  als  auch 
der  einzelnen  Professoren  bei, .  „da  in  denselben  vielleicht  manches  Gute  enthalten  ist,  welches 
wir  im  Ganzen  etwa  von  einer  anderen  Seite  betrachteten."  Von  Interesse  ist  da  einmal 
die  Denkschrift  der  medicinischen  Facultät.  Mit  dem  Hinweis  auf  die  Kosten,  die 
den  Docenten  durch  die  Beschaffung  von  Präparaten  und  Instrumenten  erwachsen,  wird  die 
Forderung  einer  höheren  Besoldung  begründet.  Fast  dringender  noch  als  eines  botanischen 
Gartens  und  einer  klinischen  Anstalt  bedarf  der  medicinische  Unterricht  eines  anatomischen 
Theaters.  Was  man  damals  so  nannte,  hatte  174.5  Professor  Büttner  auf  Grund  einer  von 
ihm  schon  früher  der  Regierung  gemachten  Anerbietung  mit  einem  Aufwände  von  1075  Thalern 
auf  dem  Weidendamm  gebaut;  bei  seinem  Tode  1776  hatte  die  Universität  darauf  angetragen, 
das  Haus  einer  früheren  Zusage  gemäss  für  500  Thaler  und  die  von  Büttner  hiuterlassenen 
Präparate  für  den  gleichen  Preis  anzukaufen.  Ersteres  war  auch  geschehn,  letztere  aber 
waren,  weil  die  Erben  200  Thaler  forderten,  die  Regierung  aber  nur  170  Thaler  zahlen  wollte, 
nach  Berlin  verkauft  und  dort  der  Grundstock  der  grossen  Wallerschen  Sammlung  geworden. 
Auch  die  von  Büttners  Nachfolger,  Johann  Daniel  Metzger,  (geb.  7.  Februar  1730  zu 
Strassburg  i.  E.,  seit  1777  in  Königsberg)  beantragte  Anstellung  eines  Prosectoi'S  war  erst 
1795  erfolgt  durch  Ernennung  des  Dr.  Kelch.  Wie  es  aber  trotzdem  mit  dem  anatomischen 
Unterricht  stand,  spricht  der  Facultätsberieht  rückiialtlos  aus.    Das  Haus  „ist  jetzt  schon  dem 

1)  S.  48,  I,  Ibl.  132. 


10 

Einsturz  selir  nahe  und  über  wenige  Jahre  vielleicht  über  den  Haufen  gefallen.  Es  fehlen  die 
nothwendigsten  Präparate  zum  Unterricht  und  die  nothwendigsten  Geräthschafteu,  zu  deren 
Anschaffung  jährlich  500  Thaler  nöthig  sind.  Der  Aufwärter  erhält  ausser  freier  Wohnung 
von  jedem  Präparanten  1  Thaler,  kann  also,  da  die  Zahl  durchschnittlich  15  beträgt,  davon 
nicht  leben."  So  fand  es  1814  auch  noch  ßurdach  —  ,,ein  den  Einsturz  drohendes  Ge- 
bäude mit  zwei  alten  defecten  Skeletten  und  einer  zur  Uehung  im  ßandagireu  von  den 
Chirurgen  geschenkten  Puppe.''') 

Kümmerlich  genug,  ja  unwürdig,  selbst  an  dem  bescheideneu  ilaassstab  jener  Zeit  ge- 
messen, waren  also  die  Zustände  der  Albertina,  und  dennoch  fehlte  es  unter  den  Professoren 
nicht  an  solchen,  die  darin  ihr  volles  Genügen  fanden  und  von  den  geplanten  Neuerungen 
nichts  wissen  wollten,  ja  darin  wohl  gar  eine  Gefahr  für  die  Zukunft  der  Universität  sahen. 
Einen  solchen  lernen  wir  aus  den  dem  Senatsberichte  beigefügten  Einzelgutachten  in  dem  Pro- 
fessor der  Poesie  und  Beredsamkeit  kennen,  Karl  Ludwig  Poerschke,  (geb.  3.  Januar  1751 
zu  Molschnen  bei  Königsbei'g,  Zuhörer  und  später  Tischgenosse  Kants,  aber  auch  in  Halle 
und  Göttingen  gebildet,  seit  1795  ao.  Prof.  der  Philosophie,  seit  1803  ord.  der  Poesie).  Nach 
seiner  Ansicht  steht  es  mit  der  Universität  und  der  philosophischen  Facultät  im  Besonderen 
nicht  so  schlimm,  wie  man  nach  dem  Senatsberichte  meinen  möchte.  Wohl  fehle  es  liei  den  Studi- 
renden  an  Fleiss  und  Eifer,  so  dass  viele  angezeigte  A^'orlesungen  nicht  zu  Stande  kommen.  Als 
er  selbst  1768  zu  studiren  begonnen,  habe  Königsberg  mit  200  Studenten  mehr  als  dermalen 
für  eine  besonders  blühende  Universität  gegolten,  obgleich  die  allgemeinen  Studien  damals 
darnieder  gelegen  und  nur  Brodstudien  getrieben  worden  seien :  gerade  in  dieser  Hinsicht  sei  es 
viel  besser  geworden.  Auch  für  das  so  übel  geschilderte  Convictorium  tritt  Poerschke  ein:  „Wir 
müssen  uns  —  meint  er  —  vor  dem  unseligen  Niederreissen  alter  Gebäude,  we'che  ausgebessert 
länger  als  neue  stehen,  hüten :  die  guten  Baurisse  sind  eine  Gabe  Gottes,  die  er  selten  austheilt, 
und  die  neuen  Baumaterialien  sind  unerhört  theuer."  Weiter  polemisirt  er  gegen  die  vorgeschlagene 
Vermehrung  der  Professuren  in  seiner  Facultät:  daraus  entspringen  nur  Brodneid  und  Kabalen, 
die  anderswo  schon  zu  „Fischweiberauftritten"  geführt  hätten.  Auch  werde  es  schwierig  sein,  die 
geeigneten  Kräfte  zu  finden:  „Gelehrte  sind  allenthalben,  Männer  mit  Lehrtalent  höchst  selten: 
jene  sind  wohlfeil,  diese  behält  man  gern,  wenn  sie  übrigens  gute  Menschen  sind,  da  zurück,  wo 
ihr  Werth  schon  erkannt  wird."  Und  dann  schliesst  er  sein  Gutachten  mit  den  Worten :  „Wir 
seher  besseren  Zeiten  für  unsere  Universität  entgegen,  da  bei  unseren  Lehrern  ein  edler  Geist 
des  Friedens  eingekehrt  ist.  Dieser  erzeugt  wechselseitige  Achtung,  wodurch  die  Achtung  der 
Studireuden  gegen  ihre  Lehrer  befördert  wird.  Wir  werden  uns  mehr  in  die  Hand  arbeiten 
und  mehr  zu  Disciplinen  antreiben,  wodurch  nicht  der  blosse  Broderwerb,  sondern  auch 
der  veredelte  Mensch  überhaupt  gebildet  wird." 

Dass  aber  Poerschke  in  übergrosser  Pietät  für  die  Albertina  zu  günstig  urtheilte  und 
dass  Reidenitz  und  die  reformfreundliche  Mehrheit  das  Richtige  traf,  beweist  namentlich  ein 
Bericht,  den  um  dieselbe  Zeit  unabhängig  von  dem  ihm  unbekannt  gebliebenen  Vorgehen  des 
Senats    der    Landhofmeister   und  Curator  Hans  Jacob   von  Auerswald,    (geb.  1757,  gest. 

1)  Biirdach,  a.  a.  O.,  S.  282. 


11 

1833)  aus  Anlass  der  Ei'lediguug  der  matbematisclien  Professur  durch  deu  Tod  des  Hofpredigers 
Schulz  an  den  königlichen  Staats-  und  Justizminister,  auch  Chef  .des  geistliehen  Departements, 
Herrn  von  Massow,  erstattete  und  in  dem  er  sein  Verlangen  nach  Berufung  eines  besonders  tüch- 
tigen Mannes  begründet  durch  eine  eingehende  Schilderung  namentlich  von  dem  dermaligen  Zu- 
stande der  philosophischen  Facultät.')  „Die  Lehren  dieser  Pacultät  sind  es,"  wird  da  treifend  und 
in  Geltendmachung  eines  heute  leider  ziemlich  in  Vergessenheit  gerathenen  Standpunktes  aus- 
geführt —  „von  denen  die  studirende  Jugend  eigentlich  jene  Kenntniss  von  Sachen  und 
Menschen  und  jene  Uebung  und  Stärkung  der  Seelenkräfte  erhalten  soll,  ohne  welche  für  sie 
das  positive  Studium  der  Jurisprudenz  oder  der  Theologie  selten  mehr  als  todtes  und  ser- 
viles Gedächtnisswerk  sein  wird.  Und  nun  besteht  dermalen  die  philosophische  Facultät,  da 
Kants  Nachfolger  noch  nicht  angekommen,  Reusch  vom  Schlage  gerührt,  Hasse  auf  Urlaub 
verreiset  und  der  Hofprediger  Schulz  gestorben  ist,  aus  mehr  nicht  als  drei  ordentlichen  dienst- 
thuenden  Lehrern,  dem  Professor  der  praktischen  Philosophie  Kraus,  dem  Professor  der 
Dichtkunst  Poerschke  und  dem  Professor  der  griechischen  Litteratur,  Geschichte,  Be- 
redsamkeit und  Theologie  und  Inspector  Collegii  Pridericiani  und  Consistorialrath  Wald", 
der  bei  einer  solchen  Aemterhäufung  seine  akademischen  Pflichten  natürlich  nur  sehr  obenhin 
wahrnimmt.  „Dabei  ist  an  Privatlehrern  ein' solcher  Mangel,  dass  von  den  dreien,  die  dem 
Namen  nach  vorhanden  sind,  nur  etwa  der  Gensichen  in  Betracht  kommt."  So  findet  denn 
die  studirende  Jugend  in  Königsberg,  selbst  wenn  alle  angezeigten  Collegien  wirklich  gelesen 
werden,  nicht  die  für  sechs  Semester  ausreichende  Anregung  und  Beschäftigung  neben  ihrem 
Brodstudium.  Ganz  wie  Reidenitz  weist  auch  von  Auerswald  auf  den  Schaden  hin,  der 
für  weite  Lande  der  allgemeinen  Bildung  daraus  erwächst.  „Auf  dem  weiten  Raum  von 
Prankfurt  a.  0.  bis  Dorpat  ist  Königsberg  die  einzige  Universität.  Unsere  arme  Landesjugend 
hat  hier  nicht  wie  in  Deutschland  die  Bequemlichkeit,  was  sie  auf  ihrer  Universität  vermisst, 
auf  einer  anderen  in  der  Nähe  suchen  zu  können."  Die  Vorschläge  zur  Abhilfe,  welche 
von  Auerswald  an  diese  Kritik  knüpft,  treffen  im  Wesentlichen  mit  denen  des  Senates  zu- 
sammen, greifen  aber  in  zwei  wichtigen  Punkten  die  Sache  tiefer  und  energischer  an. 
Einmal  nämlich  empfiehlt  er,  die  Gehälter  wie  in  Göttingen  nicht  nach  Stellen  zu  reguliren, 
sondern  „nach  den  Männern  und  ihren  verschiedenen  Lehrverdiensten",  und  dann  sich  nicht 
mehr  zu  binden  an  die  vor  zwei  und  einem  halben  Jahrhundert  „bei  einem  ganz  andern 
Zustand  der  Wisssenschaften  und  ganz  anderen  Culturbedürfnissen  des  Publicums  gemachte 
Bintheilung  der  Lehrstühle."  Jedenfalls  war  auch  der  Curator  ein  eifriger  und  einsichtiger 
Vertreter  einer  zeitgemässen  Neugestaltung  der  Albertina. 

Aber  während  man  sich  in  Königsberg  mit  solchen  Entwürfen  trug  und  auch  das 
Obercuratorium  zu  Berlin  den  gemachten  Vorschlägen  mit  hilfbereitem  Wohlwollen  näher  trat, 
vollzog  sich  in  dem  Gange  der  europäischen  Politik  jene  Wendung,  welche  den  seit  zehn 
Jahren  in  verhängnissvoller  Neutralität  seitab  stehenden  preussischen  Staat  endlich  gegen 
Frankreich  die  Waffen  zu  ergreifen  nöthigte  und  alle  seine  Mittel  vollauf  in  Anspruch  nahm: 
für  die  Reform   der  Albertina  waren   solche   nun   nicht  mehr  vorhanden.     Unter   dem  2.  De- 

1)  Ciu-ator.  Act.  A.  48.  1. 


^2 

coiiiber  l.SOö  (>rgiug  eiu  Königlicher  Erl.iss  des  Inhalts:  „dass  die  gegenwärtigen  Zeituui.sliuide 
dem  Königlichen  Obercuratorio  nicht  erlaubten,  bei  des  Königs  Majestät  sich  um  die  Bewilligung 
eines  Quanti  zu  verwenden,  welches  zur  Eealisirung  derjenigen  Vorschläge  erforderlich  ist,  die 
bei  der  anzustellenden  näheren  und  genaueren  Prüfung  für  gut  und  zweckmässig  anerkannt 
werden  dürften."  Einzig  und  allein  die  in  Vorschlag  gebrachte  akademische  Zahlungs- 
Commission  sollte  sofort  ins  Leben  treten;  das  Reglement  für  sie  sollte  nach  dem  der  ent- 
si)recheuden  Anstalten  zu  Erlangen,  Frankfurt  a.  0.  und  Halle  hergestellt  werden. 

Schliesslich  aber  kam  es  nicht  einmal  dazu,  obgleich  die  Verhandlungen  darüber  sich 
bis  tief  in  das  Jahr  1806  hineinzogen.  Es  ging  nämlich  in  diesem  Punkt  die  Absicht  des 
^linisteriums  auf  etwas  ganz  Anderes,  als  Rector  und  Senat  gewünscht  hatten.  Während  diese 
nur  die  Schwierigkeiten  und  Nachtheile  hatten  beseitigen  wollen,  die  sich  für  die  akademischen 
Lehrer  bei  der  Einziehung  rückständiger  Honorare  ergaben,  sollte  die  A^on  der  Regierung  ge- 
plante Commission  nicht  bloss  auf  diesem  Gebiete  Ordnung  schaffen,  sondern  darüber  hinaus 
die  Studirenden  eigentlich  finanziell  überhaupt  unter  Curatel  stellen,  indem  alle  an  diese  ein- 
gehenden Gelder  an  sie  abgeliefert  und  durch  sie  zugleich  mit  den  unvermeidlichen  Schulden 
der  Studirenden  verwaltet  werden  sollten.  Schon  war  in  dem  Professor  der  Rechte  Dr.  August 
Wilhelm  Heidemann*)  ein  Director  dieser  akademischen  Zahlungscommission  ernannt,  für 
deren  Geschäftsbetrieb  von  ihm  ein  Reglement  entworfen  worden.  Wie  er  angiebt,  hatte  sich 
dieser  als  Rector  „um  die  detaillirten  Umstände  bei  manchem  verirrten  Jüngling  gekümmert 
und  gefunden,  dass  schlechte  Anwendung  des  Geldes  und  Schulden  der  erste  Grund  der  Verfalles 
manches  guten  Jünglings  wären" ;  auch  habe  er  thätig  durch  Ermahnungen  und  Kassenführung 
geholfen  und  oft  die  Freude  gehabt  gute  Folgen  zu  sehen.  Dieses  private  Verfahren  dachte 
er  nun  amtlich  und  in  grossem  Maassstabe  zu  organisiren.  Doch  stellte  er  zwei  Bedingungen, 
einmal,  dass  er  sich  die  Gehülfen  für  die  Geschäftsführung  frei  wählen  dürfte  und  nicht  aus 
den  Universitätsbeamten  zu  nehmen  brauchte,  und  dann  dass  er  das  Recht  erhielte,  gegen  un- 
botmässige  Studirende  auf  eigene  Hand  24  Stunden  Karzer  zu  verhängen.  Natüi-lich  konnte 
ihm  das  Ministerium  nur  die  erste  Forderung  zugestehen,  wie  es  denn  auch  die  Benutzung 
der  Commission  zur  Controle  der  Studirenden  dem  Belieben  der  Eltern  anheimstellen  wollte.^) 
Das  Reglement  wurde  jedoch  vom  Senat  sehr  energisch  angefochten,  der  das  Institut  durch 
seine  Autorität  decken  sollte,  während  er  keine  Einwirkung  darauf  besessen  und  eigentlich 
nur  das  dort  Verfügte  zu  expediren  gehabt  hätte.  Deshalb  lehnten  sämmtliche  übrigen  Sena- 
toren die  ihnen  zugedachte  Mitwirkung  einfach  ab.  Namentlich  machte  man  geltend,  dass 
diese  Einrichtung  der  Untergang  aller  akademischen  Freiheit  sein  würde.  So  blieb  denn  von 
dem  ganzen  Entwurf  schliesslich  nichts  weiter  übrig  als  der  Grundstock  der  noch  heute 
geltenden   Bestimmungen   über   die  Honorarstunduug.      Da    nun   die    Commission,   wie    sie  ur- 


1)  Geboren  30.  Juli  1772  zu  Stargard  in  Pommern,  studirte  seit  178'.»  in  Halle,  Dr.  jur.  1792,  Kammer- 
gericlitsreferendar  in  Berlin,  1,  Juni  1801  Assessor,  bewarb  sich  Ende  1801  um  die  durch  Schmalz'  Abgang  und 
das  Aufrücken  von  Reidenitz  und  v.  d.  Goltz  freigewordene  jüngste  juristische  Professur  in  Königsberg,  die  ihm 
9.  Februar  1802  übertragen  wurde  mit  einem  nur  aus  ein  paar  Emolumenten  bestehenden  Einkommen  von 
86  Thalern;  daneben  wurde  H.  bald  Eath  bei  der  ostpreussischen  Kegierung.    Curat.  B.  8. 

2)  Curator.  Commiss.  9.  I. 


13 

.sprünglicli  ^c^plaut  war,  die  Verwaltung  der  fi'ir  die  Studicenden  eiiigebciid(!ii  Gelder  zu 
liilireu,  ai^o  auch  zwischen  uöthigcn  und  entbehrlichen  Ausgaben  zu  unterscheiden  und 
demnach  jedem  einzelnen  Studirendeu  nach  seinen  Alitteln  die  von  ihm  zu  Vergnügungen 
gewünschten  Gelder  je  nachdem  zu  bewilligen  oder  zu  versagen  gehabt  hätte,  so  wäre  ihr  auf 
das  ger^ammte  studentische  Leben  eine  Einwirkung  eingeräumt  worden,  die  sich  jedem  Einfluss 
der  eigentlichen  akademischen  Behörden  entzogen  hätte.  Das  machte  der  Senat  besonders  da- 
gegen geltend,  und  was  er  dabei  von  den  einschlägigen  Verhältnissen  im  Einzelnen  anführt, 
ist  von  culturgeschichtlichem  Interesse,  da  es  uns  einen  Blick  thuu  lässt  in  die  Formen  des 
studentischen  Lebens  <äuf  der  Albertina  zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts. 

Getheilt  waren  die  Meinungen  über  die  Studentenbälle,  deren  allwiuterlich  sechs  bis 
acht  stattfanden,  von  ein  bis  zwei  angesehenen  Studenten  „entreprenirt".  Die  Mittel  dazu  wur- 
den durch  Subscription  oder  Pränumeration  von  den  Studenten  aufgebracht.  Die  Einladungen 
ergingen  natürlich  nur  an  diesen  genehme  Leute,  was  zu  allerlei  gesellschaftlicheuReibereien  Anlass 
gab,  besonders  wenn  nicht  Eingeladene  sich  doch  Zutritt  zu  verschaffen  wussten.  An  dieser 
Exclusivität  nahmen  Manche  Anstoss;  Andere  meinten,  diese  Veranstaltungen  seien  überflüssig, 
da  die  Studirenden  ohnehin  schon  Gelegenheit  genug  zu  derartigen  Vergniigungen  hätten; 
noch  Andere  missbilligten  den  Aufwand,  den  die  Studirenden  als  Wirthe  zu  machen  hätten.  In 
noch  höherem  Maasse  machte  man  dies  gegen  die  erst  neuerdings  üblich  gewordeneu  Masken- 
bälle geltend.  Die  gleichen  Bedenken  erhoben  sich  gegen  die  Studentencoucerte,  die  öflent- 
lichen  Aufzüge  und  pomphaften  Leichenbegängnisse.  Letztere  wei'den  gelegentlich  beschrieben. 
„Mit  verschiedenen  Chören  Musik  und  einer  grossen  Anzahl  von  Anführern,  Begleitern  und 
Adjutanten  in  schwarzem  Rock  mit  sonderbaren  blanken,  violetten  und  weissen  Bandeliereu 
und  Marschallstäben,  an  welchen  die  eherne  Statue  des  akademischen  Albertus  nebst  Welt- 
kugeln, Kränzen  und  Todtenköpfen  sich  hei'umtragen  lassen  muss,  wird  die  Leiche  vom 
Sterbehaus  abgeholt  und  nebst  dem  Leichengefolge,  den  vorgesetzten  Lehrern  der  Jugend 
und  anderen  angesehenen  ^Männern  der  Stadt  nicht  auf  dem  nächsten  Wege,  sondern  zur 
Schau  durch  die  Haui)tstrassen  der  grossen  Stadt  ein  paar  Stunden  lang  zu  Fuss  herumge- 
führt" —  was  am  meisten  Anlass  zum  Schuldenmachen  gieht.  „Ueberdem  hat  sich"  — 
heisst  es  in  dem  Senatsberichte  weiter  —  „seit  einigen  Jahren  eine  Näherin  gefunden,  welche 
den  Studenten  den  nöthigen  Apparat  von  Säbeln,  Pistolen,  Collets,  Uniformen,  Knallpeitschen, 
Stulpstiefeln,  Bandelieren,  Marschallstäben  in  Bereitschaft  hält,  die  indessen  gegenwärtig  von 
der  Polizei  in  Untersuchung  wegen  unbefugten  Trödelhandels  gezogen  und  deren  Entfernung 
aus  der  Stadt  aus  dem  Grunde  der  Sittenpolizei  der  einstimmige  Wunsch  des  Senates  ist. 
Zu  diesen  Vergnügungen  sind  nun  noch  in  letztem  Winter  die  Schlittenpartien  mit  Musik, 
die  bisher  nie  bei  irgend  einer  Klasse  der  Einwohner  gebräuchlich  gewesen,  gekommen." 
Wenn  der  Senat  nun  auch,  so  wird  schliesslich  ausgeführt,  diese  anstössigen  Vergnügungen 
bisher  nicht  verboten  habe,  so  werde  er  sie  doch  niemals  ausdrücklich  billigen,  was  ohne 
Rücksicht  auf  ihn  jene  Zahlungscommission  thun  würde,  wenn  sie  den  ihrer  Obhut  befohlenen 
Studirenden  die  zur  Theilnahme  nöthigen  Mittel  bewilligte. 

Jedenfalls  war  angesichts  des  bevorstehenden  Krieges  die  zeitgemässe  Erneuerung 
der  Albertina  aufgeschoben.      Selbst    die    von  allen  Seiten    als  dringend    geboten  anerkannte 


14 

Aui'ljessenmg  der  riof'e.ssoreiigebälter  liess  sich  jetzt  nicht  durchführen.  Noch  am  28.  August 
1806  gab  der  Curator  Landhofmeister  von  Aucrswald  auf  eine  erneute  VorsteUung  Heide- 
manns den  resignirten  Bescheid,  so  sehr  er  die  Klagen  über  die  ungenügende  Besoldung  der 
Professoren  als  berechtigt  anerkennen  müsse,  so  gestatte  doch  „die  jetzige  Lage  der  politi- 
schen Angelegenheiten  nicht,  auf  andere  als  nur  die  dringendst  nothwendigsten  Bewilligungen 
von  Zulagen  aus  königlichen  Kassen  anzutragen";  er  müsse  daher  „wiewohl  ungern,  einen  für 
die  Erfüllung  seines  Wunsches,  die  Lage  der  sämmtlichen  hiesigen  Professoren  verbessern  zu 
können,  günstigeren  Zeitpunkt  abwarten  und  diese  ersuchen,  sich  in  billiger  Erwägung  der 
Zeitumstände  bis  dahin  zu  beruhigen." 

Wo  sich  aber  irgend  die  Möglichkeit  bot,  einem  anerkannten  Bedürfniss  mit  massigem 
Aufwände  abzuhelfen,  wusste  von  Auerswald  selbst  in  jener  Zeit  die  nöthigeu  Mittel  aufzu- 
bringen. So  wurde  der  erste  Schritt  zur  Beschaffung  des  so  dringend  begehrten  botanischen 
Gartens  eben  damals  gethan.  Ausserhalb  der  Stadt,  am  Ende  des  Neuen  Rossgartens,  auf 
der  weiten  Umblick  über  das  Pregelthal  erschliessenden  Höhe  lag  der  halb  ländliche  Besitz 
des  in  der  Königsberger  Gesellschaft  hochangesehenen  Kriegs-  und  Domänenraths  a.  D.  Jo- 
hann Georg  Scheffner,  den  der  siebenzigjährige  Veteran  aus  dem  siebenjährigen  Kriege 
wegen  der  Schwierigkeit  der  Bewirthschaftung  zu  veräussern  wünschte.  Im  Sommer  1806 
bot  er  der  Regierung  die  üeberlassung  an,  indem  er  für  die  darauf  verwendeten  12000  Thaler 
eine  Rente  von  700  Thalern  gewährt  erhalten  wollte.  Am  20.  September  erfolgte  die 
königliche  Genehmigung,  und  gerade  in  den  Tagen  des  Zusammenbruchs  Preussens,  am 
25.  October,  wurde  der  Vertrag  geschlossen:  Scheöners  „auf  dem  Steindamm  am  Butterberg" 
gelegenes  Grundstück  mit  Wohnhaus,  Arbeiterwohnung,  Ställen  und  Garten  ging  in  den  Besitz 
der  Universität  über;  der  Staat  zahlte  dem  alten  Ehepaar  eine  Jahresrente  von  700  Thalern,  die 
nach  dem  Tode  eines  der  beiden  Gatten  auf  600  Thaler  herabgemindert  werden  sollte;  falls 
aber  beide  vor  Ablauf  des  fünften  Jahrs  nach  Vollzug  des  Vertrages  sterben  würden,  zahlte 
der  Staat  an  die  Schlossbibliothek  1000  Thaler  und  die  gleiche  Summe  an  den  botanischen 
Garten  zur  Anschaffung  botanischer  Werke.  Mit  der  Einrichtung  des  Grundstücks  für  seine 
neue  Bestimmung  hatte  es  freilich  zunächst  noch  gute  Wege:  was  inzwischen  geschehen  war, 
liess  Interessen  der  Art  zunächst  völlig  in  den  Hintergrund  treten. 

Auch  der  vom  Senat  entworfene  Reformplan  konnte  nun  nur  so  weit  ausgeführt 
werden,  als  er  besondere  Aufwendungen  nicht  erforderte.  Unter  dem  25.  November  1806 
machte  der  Curator  dem  Senate  eine  Königliche  Cabinetsordre  vom  16.  September  bekannt, 
wonach  der  dritte  Professor  der  theologischen  Facultät  Wald  auch  die  Vertretung  der  orien- 
talischen Sprachen  übernehmen,  dagegen  die  griechische,  oratorische  und  historische  Pro- 
fessur aufgeben,  die  bisher  von  dem  unlängst  verstorbenen  Hasse  bekleidete  Professur 
der  Pädagogik  aber  an  Poerschke  kommen  sollte,  der  zugleich  die  bisher  von  ihm  innege- 
habte Professur  der  Poesie  mit  der  der  Eloquenz  zu  einer  „Professur  der  schönen  Wissen- 
schaften" vereinigte,  aber  auch  über  deutsche  Sprache  und  Litteratur  zu  lesen  verpflichtet 
wurde.  Die  Wald  abgenommene  Professur  der  griechischen  Sprache  wurde  zu  einer  solchen 
der  klassischen  Litteratur  erweitert,  die  der  Geschichte    in    eine    solche    der  Geschichte 


15 

und  Statistik  umgewaiulelt.')  Die  iinauzielle  Beihilfe  freilich  beschräukte  sich  zur  Zeit  auf 
1500  Thaler,  aus  denen  die  Gehälter  des  Professors  der  klassischen  Litteratur  und  eines  au 
Stelle  des  am  16.  September  1804  verstorbenen  Johann  Daniel  Metzger  zu  berufenden 
Mediciners  aufgebessert  werden  sollten.^)  Ihre  Bewilligung  hatte  v.  Auerswald  trotz  der 
Ungunst  der  Zeit  durchgesetzt,  indem  er  rundheraus  erklärte  nicht  zu  wissen,  „was  aus  der 
hiesigen  studirenden  Jugend  bei  dem  grossen  Mangel  an  geschicktfm  und  Ileissigen  Lehrern 
in  mehreren  Fächern  werden  solle."  ^) 


II.  Anfänge  der  Inneren  und  äusseren  Erneuung  1807—8. 

Es  fehlt  uns  an  d&m  Material,  um  von  Stimmung  und  Haltung  der  Alljertina  bei  dem 
Hereinbruch  der  grossen  Katastrophe  ein  recht  anschauliches  Bild  zu  gewinnen.  Aber  sicherlich  war 
man  auch  hier  nicht  frei  von  der  verhängnissvollen  Selbsttäuschung,  mit  der  Regierung,  Heer 
und  Volk  in  diesen  Krieg  eintraten.  Wenn  die  Nachricht  von  der  erfolgten  Kriegserklärung 
(6.  October)  mit  lautem  Jubel  begrüsst  und  der  Beginn  des  Kampfes  am  21.  October  im 
Theater  mit  Absingung  eines  von  Max  von  Schenkendorf  gedichteten  Volksliedes  —  des 
ersten  Kriegsliedes  des  Dichters  —  gefeiert  wurde,*)  so  haben  dabei  die  Königsberger  Stu- 
denten gewiss  nicht  gefehlt.  Aber  wie  schnell  verflog  diese  Stimmung!  Fast  gleichzeitig  mit 
der  Schreckenskunde  von  der  Niederlage  und  dem  Zusammenbruch  des  Staats  traf  die  flüchtige 
königliche  Familie  ein.  Bange  Sorge  lastete  Ende  1806  mit  erdrückender  Schwere  auf  Hoch 
und  Niedrig.  Nur  am  Sylvesterabend  erregte  die  Meldung  von  dem  glücklichen  Gefecht  bei 
Fultusk  (26.  December)  lauten  Jubel.  König  und  Königin  zeigten  sich  vom  Balcon  des 
Schlosses  dem  jauchzenden  Volke,  und  im  Theater  erhob  sich  während  der  Vorstellung  ein 
Student  zu  einem  Pereat  auf  Napoleon.  Die  Polizei  erliess  eine  Warnungsanzeige  wegen 
dieses  Vorfalls,  „der  nicht  den  Beifall  des  gesitteten  und  mit  Ueberlegung  handelnden  Publi- 
cums  gefunden."  ^)  Die  einen  Moment  wieder  aufgelebte  Hoffnung  aber  wurde  bald  völlig  zu 
Nichte.  Am  3.  Januar  1807  floh  die  schwer  kranke  Königin  Luise  nach  Memel.  Auch  die 
ruhmreiche  Schlacht  bei  Eylau  (7.,  8.  Februar)  brachte  keine  Rettung.  Unmassen  Verwundeter 
und  Kranker  strömten  in  die  Stadt  zusammen.  Da  wurde  auch  die  durch  des  Professor 
Eeusch  Tod  zur  Zeit  frei  gewordene  Wohnung  des  ersten  Inspectors  des  Collegium  Albei-tinum 
mit  einem  russischen  Lazareth  belegt  und  dabei  grundlich  devastirt.  Bald  brach  unter  den 
dicht  dabei  wohnenden  Studenten  und  CoUegienburschen  das  Nerveniieber  aus.  Der  üble 
Geruch  machte  den  Convictspeisesaal,  wo  etwa  100  Personen  täglich  assen,  unbrauchbar. 
Aehnlich  ging  es  bei  steigender  Wärme  mit  den  Zimmern,  die  der  Kasse  und  dem  Senat  als 
Geschäftsräume  dienten,  und  dem  für  akademische  Feierlichkeiten  benutzten  grossen  Auditorium. 


1)  Theol.  Pac.  Act.  F.  2.  I. 

2)  Curat.  Act.  B.  58. 

3)  22.  Sept.  180G.     Curat.  Act.  A.  5:! 

4)  Hagen,  Max  v.  Sclienkendorf,  S.  50 

5)  Ebenilas.  S.  54. 


16 

Als  mau  endlicli  die  russiscben  Ki-aiiken  eutferut  hatte,  raussten  preussiscbe  aufgenommen 
werden,  selbst  die  Karzer  wurden  mit  solchen  helegt.')  Schliesslich  überlieferte  Napoleons 
Sieg  bei  Friedland  (14.  Juni)  die  Stadt  der  Gewalt  der  Franzosen,  die  am  16.  Juni  früh 
unter  Soult  einrückten.  Am  9.  Juli  wurde  der  Tilsiter  Friede  unterzeichnet,  in  den  Augen 
Vieler  das  Todesurtheil  des  preussischen  Staats.  Am  12.  Juli  folgte  der  Vertrag,  nach  dem 
die  Provinz  Preussen  in  den  Tagen  vom  21.  Juli  bis  zum  20.  August  von  den  Franzosen 
geräumt  wurde. 

Wie  sich  die  Albertina  —  Lehrer  und  Lernende  —  zu  diesen  Vorgängen  gestellt, 
wie  sie  innerlich  daran  theilgenommen  haben,  dadurch  beeinflusst  und  zur  Mitarbeit  an  der 
Lösung  der  nun  gestellten  grossen  Aufgal^en  bestimmt  worden  sind,  —  davon  gewinnen  wir 
wenigstens  kein  deutliches  Bild.  Wohl  aber  empfängt  man  den  Eindruck,  als  ob  im  Gegen- 
satz zu  Poerschkes  günstigerem  LTrtheiP)  die  früher  laut  gewordene  Klage  über  den  Rück- 
gang der  Universität  auch  in  Bezug  auf  den  an  ihr  herrschenden  Geist  nicht  unberechtigt 
gewesen  sei.  Wie  hätte  auch  die  Albertina  unberührt  bleiben  sollen  von  dem  Verfall,  der 
den  preussischen  Staat  seit  zwanzig  Jahren  unmerklich  einer  Katastrophe  entgegentrieb! 
Auch  sie  bedurfte  einer  inneren,  sittlichen  und  geistigen  Erneuung,  um  an  ihrer  Stelle  und 
in  ihrem  Berufe  mitzuwirken  an  dem  grossen  Werke  der  nationalen  Wiedergeburt.  Wie 
wenig  sie  dazu  dermalen  fähig  war,  bewies  die  Thatsache,  dass  Rector  und  Senat  es  nicht 
unter  ihrer  Würde  fanden,  den  Siegern  zu  schmeicheln.  Denn  was  konnte  der  französische 
Brigadegeneral  und  Lazarethinspector  Alexander  Lalance  aus  Metz  selbst  angesichts  der  An- 
forderungen, die  nach  der  Schlacht  bei  Friedland  die  Masse  der  in  und  bei  Königsberg  zu- 
sammenströmenden Verwundeten  und  Kranken  an  das  unzureichende  ärztliche  Personal  stellte, 
so  Ausserordentliches  geleistet  haben,  dass  die  fast  unerhörte  Ehrenerweisung  gerechtfertigt 
erschienen  wäre,  die  man  ihm  zu  Theil  werden  Hess,  indem  man  ihn  vierzehn  Tage  nach  dem 
Tilsiter  Frieden,  am  24.  Juli,  als  den  ersten  seit  130  Jahren  Ehren  halber  in  das  Album 
der  Universität  eintrug  und  so  unter  die  Bürger  der  Albertina  aufnahm?^)  Bezeichnend  ist 
auch  die  Thatsache,  dass  von  den  seit  längerer  Zeit  an  der  Albertina  wirkenden  Lehrern 
keiner  in  dem  Kreise  der  Männer  zu  finden  ist,  die  sich  zu  wetteifernder  Arbeit  an  dem 
Neubau  des  preussischen  Staates  mit  von  Auerswald,  von  Schrötter,  von  Schön  und  anderen 
um  den  Freiherrn  von  Stein  vereinigten,  auch  da  nicht,  als  der  Hof  Mitte  Januar  1808  von 
Memel  nach  Königsberg  zurückgekehrt  und  die  Universität  aus  anderem  Anlass  zu  ihm  in 
nähere  Beziehung  getreten  war.  Die  Träger  des  hohun  nationalen  Berufs,  den  gerade  diese 
Hochschule  in  jener  Zeit  zu  erfüllen  hatte,  wurden  neu  für  sie  gewonnene  Männer,  deren 
Eintritt  in  den  akademischen  Lehrkörper  zu  dessen  innerer  Erneuung  wesentlich  beitrug. 

Denn  der  Mann,  der  seit  dem  Tode  Kants  nicht  bloss  der  vornehmste  Vertreter 
Knutschen    Geistes,    sondern    auch    der    Hauptträger    des  Rufs    der  Albertina    gewesen    war, 

Ti  C'uiator.  C'ommiss.  A.  54.  I.  Bericht  vom  10.  März,  3.  Mai  u.  s.  w.  1807. 

2)  Vgl.  S.  10. 

>i)  Am  genannten  Tage  trug  der  Rector  Reidenitz  in  das  Album  ein :  Alexander  Lalance  Meten.«is 
Francogallicus  Diix  generalis  et  Praefectus  Brigadae  exercitiis  Imperialis  Francogallici  et  hospitii  militaris  In- 
spector  in  honorem  in.xcriptus. 


CLristian  Jacob  Kraus,  war  am  25.  August  1807  gestorben,  tief  betrauert  von  Allen,  die 
als  Schüler  oder  Freunde  mit  Staunen  erkannt  hatten,  wie  der  stille  und  unscheinbare  Ge- 
lehrte, der  der  Oeffentlichkeit  alle  Zeit  fern  geblieben  war  und  die  Grundlagen  seines  volks- 
wirthschaftlichen  Systems  in  der  Betrachtung  der  Gutswirthschaft  seines  Freundes  Hans  Jacob 
von  Auerswald  während  seiner  Ferienbesuche  zu  Faulen  gelegt  hatte,  in  überraschender 
Genialität  auch  für  die  grosse  Praxis  des  Staats-  und  Völkerlebens  tiefes  Verständniss  und 
selbst  den  T3eruf  zu  thatkräftigem  Mithandeln  entwickelte.  Was  hätte  „dieser  hervorragend 
scharfsichtige  Staatswirthschaftslehrer  und  -Kenner",  wie  ihn  sein  Freund  J.  G.  Scheffner 
nennt, ^)  in  jener  grossen  Krisis  dem  Vaterlande  leisten  können!  „Ein  vortrefflicher  Mensch, 
mit  sich  selbst  ganz  im  Reinen,  und  daher  auch  so  klar  in  Allem,  was  er  sagt",  würde 
Kraus  nach  Scheffners  Ansicht  durch  „seine  anspruchslose  Weisheit"  gewiss  „mancher 
schnellen  Unweisheit  vorgebeugt"  haben. ^)  Hatte  Kraus  doch  bereits  1802  die  Aufhebung 
der  Privatunterthänigkeit  gefordert')  und  in  der  Stille  seiner  Studirstube  180G  ebenso  prak- 
tisch wie  politisch  zutreffend  die  Mittel  zur  Bezahlung  der  französischen  Kriegsschuld  nach- 
zuweisen unternommen.*)  Von  Kant,  dem  er  später  weniger  nahe  gestanden  hatte,  als  „ein 
ganz  einziger  Mensch"  gerühmt,^)  wurde  er  ebenso  kurz  wie  ti'effend  gekennzeichnet  durch 
die  Inschrift,  mit  der  sein  „Hauptfreund",  der  Landhofmeister  und  Oberpräsident  von  Auers- 
wald, seinen  Grabstein  schmückte:  'Justus  et  sapiens  patriae  profuit.'  Aber  über  seinen  Tod 
hinaus  hat  dieser  merkwürdige  Mann  durch  die  von  ihm  gebildeten  Schüler  auf  die  Schicksale 
des  preussischen  Staates  unendlich  segensreich  eingewirkt,  indem  diese  die  von  ihm  im  Anschluss 
an  Adam  Smith  entwickelten  Lehren  in  der  Praxis  zu  siegreicher  Bethätigung  brachten. 
Nicht  nur  die  erste  staatswirthschaftliche  Schule  hatte  Kraus  zu  Königsberg  gebildet:  es  ist 
ihm  auch  vergönnt  gewesen,  durch  dieselbe  die  Staats-  und  volkswirthschaftliche  Entwicklung 
Preussens  in  der  Epoche  seiner  Wiedergeburt  zu  leiten.  Denn  auch  sein  unmittelbarer  Nach- 
folger, sein  Schüler  Johann  Gottfried  Hoffmann,  (geb.  19.  Juli  1765  zu  Breslau,  gest. 
12.  November  1847)  der  einst  mit  seinem  Freunde  Samuel  Gottlieb  Wald  nach  Königs- 
berg gezogen  war,  vertauschte  nach  kaum  einem  Jahre  die  Professur  der  praktischen  Philo- 
sophie und  Cameralwissenschaft  mit  der  Stellung  eines  Staatsraths  in  der  von  von  Schön  ge- 
leiteten Abtheilung  für  gewerbliche  Angelegenheiten,  um  1810  als  Professor  und  Director  des 
statistischen  Bureaus  nach  Berlin  zu  gehen.'') 

Im  Uebrigen  ist  es,  wie  bemerkt,  bezeichnend,  dass  als  Vertreter  des  sich  regenden 
nationalen  Sinnes  in  den  akademischen  Kreisen  ausschliesslich  neu  berufene  Männer  genannt 
werden  können.  An  ihrer  Spitze  steht  kein  Geringerer  als  Johann  Gottlieb  Fichte.  Aus 
seiner  Jenenser  Professur  verdrängt,  lebte  er  seit  1799  in  Berlin  und  hatte  dort  im  Winter 
1804/5  durch  seine  Vorlesungen  über  die  Grundzüge   des  gegenwärtigen  Zeitalters,   in  denen 


1)  A.  a.  0.  S.  248. 

2)  Bbendas.  S.  279. 

o)  Kraus,  Vermischte  Scbriften  VIH  S.  417. 

4)  Ebendas.  11,  S.  49  H'. 

5)  Ebendas.  VIII,  S.  1%.     Vgl.  üiier  Kraus  aucli   Pci-lz,  Leben  Steins  11,  S.  13. 
G)  Allg.  Deutsche  Biograpliie  XII,  S.  598  ff. 


18 

sich  der  religiöse  Charakter  und  reformatorische  Trieb  seiner  Weltbetrachtung  in  grossen 
Umrissen  ausprägte,  auf  weite  Kreise  einen  mächtigen  Eindruck  hervorgebracht.  ßeyme 
und  Altenstein  bestimmten  Hardenberg,  ihn  an  die  unlängst  preussisch  gewordene  Uni- 
versität Erlangen  zu  berufen.  Dort  sollte  er  im  Sommer,  im  Winter  in  Berlin  lesen. 
Aber  bereits  nachdem  er  ersterer  Verpflichtung  im  Sommer  1805  genügt  hatte,  bat  Fichte 
ihm  für  das  nächste  Etatsjahr  die  Concentration  seiner  Tliätigkeit  auf  Berlin  zu  ge- 
statten, was  denn  auch  geschah.*)  Von  der  Erlaubniss  Gebrauch  zu  machen  wurde  Fichte 
jedoch  durch  den  Ausbruch  des  Krieges  im  Herbst  1806  gehindert.  Bei  der  Annäherung  der 
siegreichen  Franzosen  verliess  er  Berlin,  hielt  sich  erst  einige  Zeit  in  Stargard  in  Pommern 
auf  und  folgte  dann  dem  Zuge  der  preussischen  Flüchtlinge  nach  Königsberg.  Nicht  bloss 
im  Hinblick  auf  die  geplante  Eeorganisation  der  Universität,  sondern  auch  als  einen  tapfern 
Vorkämpfer  der  preussischen  und  der  deutschen  Sache  hiess  man  Fichte"  dort  aufrichtig  will- 
kommen. Von  vielen  Seiten  bestürmte  man  ihn,  zu  lesen:  er  wies  darauf  hin,  dass  die  Uni- 
versität gegen  unbefugtes  Lesen  Einspruch  erheben  würde,  fürchtete  auch,  das  von  ihm  ge- 
forderte Honorar  würde  hier  zu  hoch  gefunden  werden,  wollte  aber  dennoch  gratis  ein  allge- 
meines Colleg  für  die  Studirenden  halten.  Doch  wurden  diese  Schwierigkeiten  schnell  er- 
ledigt; namentlich  Nicolovius,  den  Fichte  in  Königsberg  kennen  gelernt  hatte  und  mit  dem 
er  oft  in  Gesellschaft  des  Ministers  von  Schrötter,  Schefl'ners  und  Hufelands  zusammentraf,  be- 
trieb seine  Anstellung  an  der  Albertina,'^)  und  unter  dem  20.  December  1806  wurde  „der 
hier  anwesende  Professor  Fichte  aus  Erlangen"  mit  seinem  bisherigen  Gehalt  von  800  Thalern 
„von  jetzt  bis  zu  hergestellter  Ruhe  an  der  hiesigen  Universität  als  ordentlicher  Professor  der 
Philosophie'-  bestellt  „und  ihm  zugleich  die  Censur  der  hiesigen  Zeitungen  aufgetragen,  des- 
halb ihm  zur  Pflicht  gemacht  worden,  dahin  zu  sehen,  dass  die  Kachrichten  von  den  Kriegs-  und 
anderen  öffentlichen  Begebenheiten  nicht  in  einem  verführerischen,  den  Patriotismus  nieder- 
schlagenden Ton  erzählt,  gegenseitig  alle  Anlässe,  um  den  Muth  der  Unterthanen  zu  beleben, 
gehörig  genutzt  werden."  Es  scheint,  als  ob  diese  ungewöhnliche  Bestimmung  der  dem  Censor 
unter  anderen  obliegenden  Pflichten  veranlasst  war  durch  den  im  Beginn  des  Krieges  von 
Fichte  ausgesprochenen  Wunsch,  unter  irgend  einer  Form  die  Armee  begleiten  zu  dürfen, 
um  in  der  Nähe  des  Hauptquartiers  und  den  Ereignissen  nahe  durch  Rede  und  Schrift  be- 
geisternd einwirken  zu  können,  —  einen  Wunsch,  den  der  König  mit  Dank  für  das  Aner- 
bieten durch  Beyme  hatte  ablehnen  lassen.^)  Das  Censoramt  begann  Fichte  sofort  zu  üben, 
musste  sich  aber  seine  Stellung  darin  erst  erkämpfen.  Der  bisherige  Censor  nämlich,  Polizei- 
director  Criminalrath  Brand,  weigerte  sich,  nachdem  man  ihm  die  Censur  der  Königsberger 
Zeitung  abgenommen  hatte,  die  der  zugehörigen  Intelligenzblätter  weiter  zu  üben,  da  er  bei 
dem  im  Wesentlichen  gleichen  Inhalt  beider  Veröffentlichungen  leicht  mit  Fichte  in  Wider- 
spruch gerathen  könnte;  auch  dass  er  die  mit  der  Zeitungscensur  verbundene  Einnahme  ein- 
gebüsst  hatte  und  das  ihm  noch  Obliegende  ohne  jeden  Entgelt  thun  sollte,  fand  er  unbillig 
imd  forderte  deshalb  am  24.  December,    auch    davon  befreit  zu  werden.     Die  Regierung  ver- 

1)  Dies  und  das  Folgende  nach  den  Acten  des  Königl.    Universitäts-Curatoriums    zu  JIönigsI)eig  B.  ö3. 

2)  Vgl.  J.  H.  Fichte,  Fichtes  Leben  und  litterarischer  ßrief(rechsel.  I.  S.  .570—74. 

3)  Ebendas.     S.  363—66. 


19 

fügte  d(!mgemäss.  Dagegen  erhob  nun  aber  Fichte  energischen  Widci-spnicli.  (ücich  am 
25.  December  richtete  er  an  den  Geheimen  Finanzrath  und  Kammerpräsidenten  Herrn 
von  Auerswald  folgendes  charakteristische  Schreiben. 

Hochwohlgebohrener  Herr! 

Höchstzuverehrender  Herr  Geheimer  Finanzrath! 
Ich  wünschte  nicht  vor  Eur  Hochwohlgebohren  inconsequent  oder  unnach- 
giebig zu  erscheinen,  und  dadurch  Ihre  Achtung  oder  Ihr  Wohlwollen  zu  verlieren. 
Anstatt  demnach  über  Eur  Hochwohlgebohren  gestrigen  Antrag  kategorisch  zu  er- 
klären, ersuche  ich  Dieselben  durch  diesen  Privatbrief  um  eine  mündliche  Unterredung 
über  ihn,  ob  es  mir  etwa  möglich  seyn  möchte,  die  obwaltende  Differenz  ohne  Weite- 
rungen zu  heben;  welche  Differenz  sich  lediglich  zu  gründen  scheint  auf  die  Nicbt- 
bekanntschaft  des  bisherigen  Censors  mit  der  Tendenz  der  erlassenen  Königlichen 
Verfügung,  auch  desselben  Nichtbeachtung,  dass  vor  der  Occupation  Berlins  von  dem 
Feinde  die  dortigen  Zeitungen,  aus  denen  die  hiesigen  zusammengetragen  werden, 
schon  die  dortige  politische  Censur  (welche  auch  dort,  sowie  zu  Erlangen  u.  s.  w. 
von  der  policeylichen  ganz  getrennt  war)  passirt  hatten,  dagegen  seit  dieser  Zeit 
jene  Zeitungen  unter  den  insidiösen  Einflüssen  des  Feindes  stehen;  und  dass  allein 
in  dieser  Beziehung  eine  Aenderung  gemacht,  alles  übrige  aber  bleiben  sollte,  wie 
es  bisher  war;  welches  letztere,  als  die  autentische  Erklärung  der  erlassenen  Ver- 
fügung, mir  bei  der  Uebernahme  jenes  Geschäfts  ausdrücklich  bekannt  gemacht 
worden. 

Ich  kann  nichts  übernehmen,  wozu  mir  die  nöthigen  Notizen  und  sogar  die 
Mittel,  sie  zu  erwerben,  fehlen;  und  ich  würde,  falls  ich  mit  dem  ersteren  zugleich 
das  letztere  zu  übernehmen  geglaubt  hätte,  den  ganzen  Antrag,  zu  dem  ich  mich 
keineswegs  selber  angeboten,  von  der  Hand  gewiesen  haben. 

Ihrem  gütigen  Wohlwollen  mich  empfehlend  und  mit  unbegrenzter  Hoch- 
achtung verharrend 

Eur  Hochwohlgebohren 

gehorsamster 

Fichte. 
V.  H. 
den  2.5.  December  180(3. 

Die  Unterredung  mit  von  Auerswald  erledigte  die  Sache  augenscheinlich  nach 
Fichtes  Wunsch:  noch  am  26.  December  erhielt  Polizeidirector  Brand  die  Weisung,  sowohl  die 
Intelligeuzblätter  als  auch  die  Zeitungsavertissements  entweder  selbst  oder  durch  einen  Be- 
amten der  Polizeidirection  zu  censiren,  denn  Professor  ,, Fichte  kann  dies  nicht  thun,  weil  ihm 
die  das  Censui-wesen  betreffenden  Gesetzesbestimmungen  und  Vorschriften  nicht  bekannt  sind." 
Auch  Fichtes  akademische  Wirksamkeit  begann  mit  einem  für  den  Mann  und  die  Verhält- 
nisse charakteristischen  Conflict. 

Vom  5.  Januar  1807  an  las  Fichte  über  Wissenschaftslehre,  Nachmittags  von  4  bis  5 

3* 


iu  dem  Aiiditoriuin  des  Oberbofpredigers  und  Professors  der  Theologie  Wedeke.')  Selbst 
in  jenen  Tagen,  wo  so  ganz  andere  Sorgen  schwer  auf  Alle  drückten,  war  das  ein  Ereigniss 
und  verursachte  weit  über  die  akademischen  Kreise  hinaus  lebhafte  Bewegung.  Und  Fichte 
verstand  es  Freund  und  Feind  zu  imponiren.  Denn  auch  die  Gegner  seiner  Lehre,  die 
,,Krugianer"  und  „Jacobianer"  und  andere  „Aner",  strömten  ihm  zu,  um  Opposition  zu  machen, 
sobald  ihrem  Meister  zu  nahe  getreten  würde.  Ein  Augenzeuge  entwirft  ein  anschauliches 
Bild  von  dem  Sturm,  den  Fichtes  erste  Vorlesung  entfesselte.^)  , .Fichte  erschien  und  impo- 
uirte  uns  allen  durch  sein  raarkirtes,  tüchtiges,  geistiges  Gesicht  mit  dem  festen  muthvollen 
Blick;  vor  sich  hätte  er  einen  Tisch  stehen,  darauf  zwei  Lichter.  Todtenstille  herrschte, 
man  konnte  jeden  Athemzug  hören.  Fichte  putzte  das  erste  Licht  aus,  steckte  es  wieder  an, 
dann  machte  er  es  mit  dem  zweiten  ebenso,  lehnto  sich  mit  beiden  Händen  auf  den  Tisch 
und  schaute  sich,  gleich  wie  ein  Magier  stumm  und  still,  wohl  zehn  Minuten  in  der  Gesell- 
schaft um,  als  wolle  er  die  geheimsten  Gedanken  derselben  erforschen.  Dann  begann  er 
ungefähr  Folgendes  zu  sagen:  „Meine  Herren!  Wollen  Sie  das,  was  ich  sagen  werde,  ver- 
stehen, wollen  Sie  mit  Nutzen  meine  Vorträge  anhören,  so  müssen  Sie  die  Ueberzeugung 
haben,  dass  Sie  noch  garnichts  wissen;  von  Erschaffung  der  Welt  bis  auf  Plato  war  die  Erde 
und  deren  Bewohner  im  Dunkeln;  von  Plato  bis  Kant  desgleichen;  von  Kant  bis  jetzt  ebenso, 
daher  — ".  Nun  fingen  sich  die  ,,Aner"  an  zu  rühren,  und  ein  furchtbares  Scharren  mit  den 
Füssen,  Husten,  Eäuspern  liess  sich  vernehmen.  Fichte  schwieg,  sah  in  den  Lärm  und 
Tumult  ruhig,  aber  mit  funkelndem  Auge  hinein.  Als  sich  derselbe  gelegt,  machte  er  das- 
selbe Manöver  mit  dem  Ausputzen  und  Anstecken  der  Lichter  und  begann  mit  einer  be- 
wunderungswürdigen Ruhe  und  mit  Ernst:  „Meine  Herren!  Ich  habe  geglaubt,  meine  Vor- 
lesungen vor  einer  Versammlung  von  Menschen  zu  halten:  sollte  ich  mich  darin  getäuscht 
haben?  Was  unterscheidet  den  Menschen  vom  Thiere?  Der  Mensch  kann  seine  Gedanken, 
Ideen  in  Worten  ausdrucken,  die  man  versteht;  das  Thier,  der  Elephant,  der  Ochse  und  der 
Esel  kann  das  nicht,  daher  stampft  er  mit  den  Füssen,  brüllt  in  unarticulirten  Tönen,  kurz, 
er  benimmt  sich  unverständig."  (Sehr  kleine  Pause.)  „Ich  habe  gesagt,  dass  wir  nichts 
wissen,  weil  von  Erschaffung  der  Welt  bis  auf  Plato,  von  Plato  bis  Kant,  bis  jetzt  Alles  im 
Dunkeln  getappt  hat  und  darin  noch  fort  beharrt."  So  fuhr  nun  Fichte  in  seinen  Vorlesungen 
fort:  kein  Laut,  keine  Störung  fiel  ferner  vor.  —  In  der  Nacht  wurden  ihm  allerdings  die 
Fenster  eingeworfen ;  doch  ward  dieses  Ereigniss  ihm  erst  des  Morgens  erzählt,  da  die  Steine 
in  die  Fenster  der  Professorin  Poerschke  —  (bei  diesem  ihm  befreundeten  CoUegen  wohnte 
Fichte)  —  flogen,  in  ein  Zimmer,  wo  dieselbe  krank  darnieder  lag.  Dann  kam  noch  eine 
dumme  Frage  in  den  Zeitungen,  an  Fichte  gerichtet,  der  in  einer  seiner  Vorlesungen  vom 
,,Tod  in  der  Wurzel"  gesprochen,  welches  im  Zusammenhang  sehr  scharfe  Anwendung  auf 
die  Jugend  finden  konnte:  „Was  ist  der  Tod  in  der  Wurzel?"  Die  Frage  wurde  einfach  und 
ti'effend  beantwortet  mit:  „Der  Frager!"'  Und  somit  war  die  Ruhe  für  die  Zeit  dieser 
genialen,    geistreichen  Vorträge    hergestellt. "■*)     Besondere  Befriedigung    konnten    seine  Voi-- 

1)  Anzeige  in  der  Königl.  Preuss.  Staats-,  Kriegs-  und  Fricdenszeitung  1807.     Januar  1. 

2)  Dorow,  Erlebtes  (1790-  1827),  HI,  S.  21  f. 

3)  Sie  endeten  den  23.  März  und  waren  von  30  Zuhörern  belegt. 


21 

Ipsuugeu  Ficlite  unter  diesen  Uiustäiiden  kaum  gewäLircii.  Er  war  überhaupt  von  deu  Konigä- 
berger  Verliältnissen  wenig  erbaut,  zumal  ilim  auch  iiiiaiiziell(3  Sorgen  nicht  fern  blieben, 
trotz  der  von  ihm  scbliesslich  durchgesetzten  kleineu  Gehaltsverbesserung.^)  „Die  Zumuthung, 
die  Collegia  bezahlen  zu  sollen,"  schrieb  er  seiner  Frau  (11.  Apri  11807),^)  „ist  hier  eine  uner- 
hörte Neuerung  gegen  alles  Herkommen  und  die  akademische  Freiheit  und  wird  mit  Fenster- 
einwerfen und  Periiren  erwidert."  Dazu  litt  er,  namentlich  anfangs,  unter  dem  Klima  mit 
der  in  jenem  Winter  warmen,  feuchten,  stets  nebligen  Temperatur.^)  Endlich  fühlte  er  sich 
vereinsamt.  Nur  des  ihm  von  früher  her  bekannten  Süvern,  der  zum  Sommer  1807  sein 
Amt  antrat,  konnte  er  sich  rein  freuen.*)  Und  zu  alledem  nun  die  Sorge  um  das  dem  Unter- 
gang geweihte  Preussen!  Einsiedlerisch  lebend,  zog  er  sich  ganz  in  seine  Philosophie  zurück. 
Im  Sommer  1807  las  er  keines  der  angezeigten  Collegien,'')  sondern  vertiefte  sich  ganz  in  das 
Studium  Pestalozzis,  dessen  Methode  in  dem  auf  J.  G.  Scheflfners  Betreiben  zur  Neugestal- 
tung des  preussischen  Volksschulwesens  nach  Königsberg  berufenen  Württembergischen  Schul- 
rath  Carl  August  Zeller  (geb.  1774)  einen  eifrigen  Vertreter  fand  und  auch  in  den 
Hofkreisen  grosses  Interesse  erregte.  Fichte  meinte  in  Pestalozzi  „das  wahre  Heilmittel  für  die 
kranke  Menschheit"  gefunden  zu  haben.  Dass  er  dem  Kreise  alsbald  nahe  trat,  der  auf  die 
nationale  Wiedergeburt  hinarbeitete,  ist  selbstverständlich :  er  betheiligte  sich  an  der  Zeitschrift 
,,Vesta",  die  der  enthusiastische  Ferdinand  Freiherr  von  Schrötter,  der  Sohn  des  preussischen 
Provinzialministers,  und  Max  von  Schenkendorf  herausgaben,  um  „die  allgemeine  Aufmerk- 
samkeit von  dem  unabänderlichen  Elend,  welches  die  Kriege  begleitet,  abzuziehen  und  dem 
Vaterlande  die  Erliabeuheit  und  Ruhe,  die  einem  grossen  Volke  geziemt,  mitzuerhalten", 
wie  derjenige  thun  soll,  „der  nicht  unmittelbar  für  den  Staat  streitet".  Gleich  das  erste 
Heft  brachte  (S.  17  —  81)  von  Fichte  einen  Aulsatz  „Ueber  Macchiavell  als  Schriftsteller  und 
Stellen  aus  seinen  Schriften",  worin  u.  A.  bezeichnender  Weise  ein  Auszug  mitgetiieilt  wird 
aus  dem  Aufruf  zur  Befreiung  Italiens  von  den  Barbai"en  und  in  der  Form  von  Erläuterungen 
dazu  manche  scharfe  Bemerkung  über  die  Zeitverhältnisse  mit  unterläuft.  Auch  die  weiter 
mitgetheilte  Schilderung  Macchiavells  von  den  Franzosen  und  den  Deutschen  seiner  Zeit  ver- 
folgt eine  praktisch  politische  Tendenz.  Zu  dem  zweiten  Heft  steuerte  er  „Dantes  irdisches 
Paradies"  bei,  eine  theils  metrische,  theils  prosaische  Wiedergabe  vom  28.  Gesang  des  Pur- 
gatorio.")  Als  aber  das  Schicksal  Preussens  sich  zu  erfüllen  schien  und  der  Einmarsch  der 
Franzosen  zu  erwarten  stand,  verliess  Ficht(!  am  13.  Juni  auf  des  getreuen  Nicolovius  Pferd 
Königsberg    und   ging    über  Memel    nach  Kopenhagen.      Als    unmittelbar    nach    dem  Tilsitcr 


1)  A.  a.  O.  8.  071!. 

2)  S.  380. 

3)  S.  578. 

■i)  S.  376.     380. 

5)  Publice:  Artem  audiendi,  legendi,  dicendi  explicabit,  oxemplo  monstrabit,  cxercitalitmibus  juvare 
sludebit  Phil.  Prof.  ord.  des.  Fichte.  —  Privatim :  Doclrinam  de  principiis  (die  Wissenschaflslehre)  judicio 
adultioribus  offert  privatissime.  Auf  erstere  geht  odenbav  die  Bemerkung  in  dem  Brief  an  seine  Frau  a  a  0. 
S.  376:  Ebenso  habe  ich  ein  !,'anz  vortreffliches  Thema  zu  öflenllichen  Vorlesungen  nach  Art  der  Berlinischen 
gefunden. 

6;  Vgl.  a.  a    O.  .S.  388. 


22 

Frieden    die  Arbeit    au    der  Erueuennig  Preussens    begann,    gehörte    er    der  Albertina  nicht 
mehr  an. 

Aber  andere  traten  in  die  freigewordene  Stelle,  in  erster  Linie  der  neue  Professor 
der  klassischen  Litteratur  Johann  Wilhelm  Süvern,')  welcher,  aus  Aulass  der  theilweiseu 
Neugestaltung  der  Albertina  bereits  im  October  1806  ernannt,  seine  Thätigkeit  mit  dem 
Sommersemester  1807  begann.  Neben  den  Vorlesungen  über  Homer,  Sophokles  und  Piaton, 
nach  ihm  „die  drei  Urquellen  höherer  Bildung",  über  griechische  Intteraturgeschichte, 
römische  Alterthümer  und  lateinischen  Stil  hielt  er  im  Wintersemester  1807/8  auch  solche 
über  die  politische  Geschichte  Europas  seit  Karl  dem  Grossen,  welche  zahlreiche  Zuhörer 
fanden.  Er  wiederholte  sie  zudem  „vor  einem  in  jeder  Hinsicht  bedeutenden  Kreise  von 
Männern  und  Frauen".  Sie  waren  von  ausgesprochen  politischem  Geiste  durchweht  und 
sollten  aus  der  Betrachtung  von  Deutsehlands  Vergangenheit  neuen  Muth  und  neue  Hoffnung 
für  dessen  Zukunft  erwecken,  indem  sie  überzeugend  darlegten,  „wie  nach  dem  Tilsiter  Frie-' 
den,  als  für  Verzagte  nichts  mehr  zu  hoffen  war,  durch  den  Abschluss  das  Thor  der  Hoff- 
nung erst  für  die  geöffnet  wurde,  die  nicht  die  Besinnung  verloren  hatten."  „Hier  vernahm 
man,  dass  der  „Zwingherr"  dem  Volke  Ruhe  und  Frieden  geben  wollte,  —  Ruhe  und  Frieden 
soU  es  haben,  aber  die  Ruhe  der  Todten  im  Grabe."  In  diesem  Sinne  wünschte  Süvern, 
diese  „Stunden  zu  Stunden  religiöser  Erbauung  zu  machen,  so  dass  von  der  ruhigen,  durch 
keinen  Wechsel  und  Wirbel  der  Zeit  getrübten  Heiterkeit  jenes  ewigen  Geistes  ein  Strahl 
sich  ergösse  und  festen  Glauben  an  ihn  und  Stärke  in  ihm  ein  Jeglicher  von  hinnen  nehme." 
Das  war  eine  Betrachtung  der  deutscheu  Geschichte  in  dem  Geist,  wie  er  um  dieselbe  Zeit 
in  Berlin  durch  Fichtes  Reden  an  die  deutsche  Nation  zum  Ausdruck  kam.  Die  edle,  von 
sittlichem  Ernst  erfüllte  Persönlichkeit  Süverns  gab  diesen  Vorträgen  eine  besondere  Weihe 
und  liess  sie  selbst  über  den  Kreis  des  Herren  und  Damen  hinaus  wirken,  die  ihnen  an- 
dächtig lauschten.  Dass  die  Königin  Luise  selbst  unter  Süverns  Zuhöreriunen  gewesen,  ist 
freilich  nicht  richtig.*)  Wohl  aber  trug  der  eifrige  J.  G.  Schaffner,  der  in  seiner  natur- 
wüchsigen Art  über  den  auch  von  ihm  hochverehrten  Süvern  nichts  Besseres  zu  sagen 
wusste  als:  „Er  ist  eine  Natur  von  Mensch,  dem  die  Gelehrsamkeit  keinen  nachtheiligen 
Dämpfer  auf  den  Menschenverstand  setzen  konnte,"  der  Königin  stückweise  Süverns  Vor- 
lesungshefte zu  und  freute  sich,  dass  sie  nicht  bloss  bei  dieser  erlauchten  Leserin  rückhalt- 
losen Beifall  fanden,  sondern  durch  sie  auch  noch  weiter  in  den  Kreisen  des  königlichen 
Hauses  und  Hofes  verbreitet  wurden.  Die  edle  Prinzessin  Wilhelm,  der  Königin  Schwägerin, 
schi'ieb  davon  noch  Ende  des  Jahres  1810  begeistert  an  Stein  und  rühmte  Süvern  als  einen 
„äusserst  achtungswerthen  Mann,  wegen  seiner  seltenen  Geisteskräfte  und  Kenntnisse,  wegen 
seines  reinen,  edlen  Charakters."  Von  einem  Druck  dieser  Vorlesungeu  konnte  damals  natür- 
lich nicht  die  Rede  sein:  ein  ziemlich  unschuldiges  Fragment  daraus  über  Karl  den  Grossen 
erschien  erst  1810  in  Fouque's  Museum   und    die    besonders   charakteristische  Einleitung  gar 

1)  Geb.  den  3  Jannar  1775  zu  Lemgo,  in  Halle  Scliüler  F.  A  AVolfs,  1800  Diicctor  des  Gymnasiums 
in  Thiirn  und  1803  in  Blbing  wo  er  sicli  als  Organisator  glänzend  bewährte.  Vgl.  Passow,  Zur  Erinnerung 
an  Job    Wilh.  Süvern.     Thorn  1860. 

2)  AVie  Hagen,  M.  v.  Scheukeudorf.  S.  58.  meint 


23 

erst  1814  in  Luden's  Nemesis.')  Kleinere  Beiti-äge,  poetische  Uebersetzungen  aus  dem 
Griechischen  und  eigene  Versuche  aber  brachte  auch  von  Süveru  die  „Vesta".^)  Die  um  die 
Königin  geschaarte  Gruppe  der  energischen  Patrioten  hätte  es  am  lif^bsten  gesehen,  wenn 
Süvern  zum  Erzielier  des  Kronprinzen  ernanut  worden  wäi'c,  um  den  nach  ihrer  Ansicht 
dieser  Aufgabe  nicht  gewachsenen  Delbrück  zu  ersetzen.  Tapfer  trat  Süveru  im  Herbst  1808 
auch  in  die  politischen  Kämpfe  ein:  mit  ScJianihorst,  Gneisenau,  Nicolovius,  Schön  und  Grol- 
mann  richtete  er  eine  Denkschrift  an  das  Ministerium,  worin  es  beschworen  wurde  aiiszu- 
liarren  und  den  die  Zahlung  der  Kriegscontribution  ordnenden  unheilvollen  Vertrag  mit 
Frankreich  nicht  abzuschliesseu,  sondern  „das  Volk  und  seine  berufenen  Vertreter  zu  be- 
fragen." Am  27.  October  und  am  11.  November  brachten  die  Köuigsbefger  Zeitung  von 
ihm  Gedichte  zu  Ehren  des  eben  abgetretenen  Stein.  Bald  darnach  erreichte  die  kurze, 
aber  höchst  bedeutende  akademische  Wirksamkeit  Süverns  ihr  Ende:  mit  dem  1.  Januar  1809 
trat  er,  wozu  noch  Stein  die  Einleitung  getroffen  liatte,  als  Staatsrath  in  die  Unterrichtsab- 
theilung  des  Ministeriums  des  Innern. 

Neben  Süvern  wirkte  an  der  Albertina  damals  in  ähnlich(im  Sinn  ein  Bruder  des 
Erziehers  des  Kronprinzen,  Regierungsrath  Johann  Friedrich  Ferdinand  Delbrück  (gel». 
12.  April  1772,  gest.  25.  Januar  1848  als  Professor  der  schönen  Litteratur  und  Philosophie  zu 
Bonn),  der  dem  Prinzen  August  und  der  Prinzessin  Charlotte,  nachmaligen  Kaiserin  von  Eussland, 
Unterricht  gab  und  (7.  October  1809)  zum  ausserordentlichen  Professor  der  Theorie,  Kritik 
und  Litteratur  der  schönen  Künste  ernannt  wurde.  Er  hielt  vor  einem  ähnlichen  Kreise 
wie  Süvern  öffentliche  ästhetische  Vorlesungen,  in  dcsnen  er  Wiederbelebung  des  gesunkenen 
Geistes  erstrebte.^)  Auch  dem  Kronprinzen  nnd  einer  Anzahl  demselben  zugesellter  gleich- 
alteriger  junger  Leute  hielt  Delbrück  Vorträge,  und  dazu  wurde  auch  alsbald  Carl  Dietricli 
Hüllmann*)  herangezogen,  mit  die  bedeutendste  der  damals  für  die  Albertina  gewonnenen 
Kräfte,  der  im  August  1808  als  Professor  der  Geschichte  und  Statistik  dorthin  kam,  in 
kurzer  Zeit  eine  sehr  angesehene  nnd  einflussreiche  Stellung  gewann  und  durch  die  Tüchtig- 
keit seines  patriotischen  Strebens  namentlich  auch  mit  dem  Landhofmeister  von  Auerswaid 
zu  aufrichtiger  Freundschaft  zusammengeführt  wurde.-') 

Uebrigeus  behauptet  der  ehrliche,  aber  auch  gern  als  Lobredner  der  guten  alten 
Zeit  eifernde  J.  G.  Scheffner,'')  die  Jahre  1807 — 8  hätten  auf  die  „Sittengestalt"  in 
Königsberg  doch  auch  nachtheilig  eingewirkt,  insofern  der  dui'ch  die  Anwesenheit  des  Hofes 
veranlasste  Aufenthalt  so  vieler  tlieils  müssiger,  theils  nicht  zu  sein-  lieschäftigter  wolilhabender 


.    1)  I,  S.  429  ff. 

2)  I,  S.  115  ff.    II,  S.  SO. 

3)  E.  M.  Arndt,  Meine  Wanderungen  und  AVandelungen  mit  dem  Prhr.  v.  Stein,  S.  153.  Als  einen 
unbequemen  Gegner  in  der  wissenschaftlichen  Deputation  schildert  ihn  Herbart  Ziller,  Herbartreliquien,  S.  202. 

4)  Geb.  10.  September  1765  zu  Erdeborn  bei  Eisleben,  in  Halle  gebildet,  dann  in  verschiedenen  öffent- 
lichen und  privaten  Lehrstellen  thätig,  1795  Privatdocent,  1797  aord.  und  1807  ord.  Professor  der  Geschichte  in 
Frankfurt  a.  0. 

5)  Vgl.  J.  (t.  Scheffner,  Mein  Leben,  S.  304. 

(ij  Vgl.  die  warm  anerkennende  Schilderung  des  litferarisch  herzlich  iMibedeulciiden.  im  Verkehr  aber 
vurtrefflichen   Mannes  Ijci    K.  M.  Arndt,   Wanderungen   und   Wniideiungen,  S.   152  f. 


2£ 

odei'  woblbezalilter  Meuschen,  die  auch  in  Zeiten  der  Noth  immer  noch  anders  zu  leben  pflegen 
als  die  Bürger  von  Städten,  die  nickt  Residenzen  sind,  und  das  von  diesen  ausgehende 
Beispiel  vermöge  seiner  Neuheit  und  Ungewöhnlichkeit  gi-ossen  Eindruck  gemacht  und  in 
ähnlicher  Weise  zur  Lockerung  der  Sitte  beigetragen  haben,  wie  ein  halbes  Jahrhundert 
früher  der  lange  Aufenthalt  des  russischen  Heeres. ')  War  das  wirklich  der  Fall,  so  dürfte 
die  Rücksicht  darauf  auch  bei  der  Entstehung  des  sogenannten  „Tugendbundes"  nicht  ganz 
ohne  Einfluss  gewesen  sein,  dem  einige  akademische  Lehrer  als  Stifter  und  Leiter  augehörten, 
wenn  er  auch  der  Universität  im  Ganzen  fremd  blieb  und  jedenfalls  die  pi-aktisch-politische 
Bedeutung  nicht  besass,  die  ihm  seine  Gegner  nachmals  andichteten.  Der  eigentliche  Schöpfer 
der  am  16.  April  1808  entstandenen  „Gesellschaft  zur  üebung  öffentlicher  Tugenden",  auch 
als  „Sittlich-wissenschaftlicher  Verein"  bezeichnet,  war  Dr.  Hans  Friedrich  Gottlieb 
Lehmann  (geb.  20.  September  1763  zu  Reetz  in  der  Neuinark,  in  Halle  und  Königsbei'g  ge- 
bildet), seit  1800  aord.  Professor  der  Philosophie  und  seit  1802  Direktor  der  (1811  in  eine 
Bürgerschule  verwandelten)  Kneiphöfischen  Kathedralschule  (gest.  1821).  Eine  bedeutende 
Rolle  spielte  darin  neben  ihm  Kants  Nachfolger  Wilhelm  Traugott  Krug,^)  der  das  wichtige 
Amt  eines  Censors  bekleidete,  aber  jjereits  1809  in  Folge  seiner  Berufung  nach  Leipzig  aus- 
schied.") Unter  den  Genossen  jener  Vereinigung  finden  wir  von  akademisclien  Lehrern  noch 
den  Juristen  Professor  Friedrich  Julius  von  der  Goltz,  einen  Mann,  der,  obgleich  durch 
völlige  Blindheit  eigentlich  von  jedem  Amte  ausgeschlossen,  ohne  irgend  welches  wissenschaft- 
liche Verdienst,  dennoch  durch  Gunst  und  Familieneinfluss  an  der  Albertina  versorgt  worden 
war.  Unabhängig  von  diesem  Kreise  wie  überhaupt  geneigt  seine  eigenen  Wege  zu  gehen, 
wirkte  in  dem  gleichen  Sinne  der  jugendfrische  und  thatkräftige  Professor  der  Rechte 
Dr.  August  Wilhelm  Heidemann,*)  eine  reichbegabte,  zu  vielseitiger  Thätigkeit  im  öffent- 
lichen Leben  berufene  Natur,  auch  an  der  Universität  und  bei  deren  Neugestaltung  befähigt 
eine  hervorragende  Rolle  zu  spielen,  ihr  aber  bald  danach  entzogen  durch  die  ehrenvolle  Be- 
rufung an  die  Spitze  der  neuen  städtischen  Selbstverwaltung  in  Königsberg. 

Ohne  dass  also  die  Universität  an  der  nach  dem  Tilsiter  Frieden  begonnenen  inneren 
Erneuung  Preussens  einen  hervorragenden  Antheil  gehabt  hätte,  ist  sie  doch  nicht  ganz  seitab 
geblieben,  sondern  hat  durch  Wort  und  That  einzelner  ihrer  Glieder  bewiesen,  dasf  der  Geist 
der  neuen  Zeit  auch  in  ihr  sich  regte.  Bei  der  Beurtheiluug  dieser  Verhältnisse  darf 
man  billiger  Weise  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  seit  der  Entlassung  Steins  die  Regierung 
ängstlich  bemüht  war,. Alles  zu  vermeiden,  was  dem  Gewalthaber  irgend  Anstoss  geben  und 
den  erwünschten  Vorwand  zu  neuen  Repressivmaassregeln  bieten  konnte.  Auch  die  Universität 
und  vornehmlich  die  philosophische  Facultät  bekam  das  gelegentlich  unliebsam  zu  fühlen  aus 
Anlass  einiger  Conflicte,  in  die  sie  vermöge  der  ihr  obliegenden  Censur  neuer  Druckschriften 
gerioth.     Weil  diese  nicht  streng  genug  gehandhabt  sein  sollte,  war  bereits  im  Juni  1807  die 

1)  Scheflner  a.  a.  O.  S.  G9— 70. 

2)  Geb.  22.  Juni  1770  zu  ItadLs  bei  Wittenberg,  dort,  in  Jena  uml  Oöttingeu  gebilib't,  Privatilncent  in 
Witt.-nlx'ig,  1801  Professor  in  Frankfurt  a.  O.,  seit  Herbst  1.S05  in    l\(inigsberg,  gest.  1,S4j  zu   Leipzig. 

3)  Lebmann,  Der  'J'ugendbuntl.     Berlin  1867. 

4)  \'gl.  S.  12. 


25 

„Morgenzeitmig".  die  sich  sciiarfe  Ausdriicke  gegen  die  Frauzoseu  und  ihren  Kaiser  erlaubt, 
hatte,  unter  die  Mitcensur  des  Polizeipräsidenten  gestellt  worden.  Eine  Beschwerde  der 
Facultät  gegen  diesen  Eingriff'  in  ihre  statutenmässigen  Rechte')  wurde  abgewiesen  im  Hin- 
blick auf  die  „unruhigen  Zeitumstände"  und  etliche  in  dem  Blatt  erschienene  Artikel  „den 
Status  publicus"  betreffend.^)  Und  schon  im  December  1807  erging  eine  neue  Mahnung  zu 
strengerer  Handhabung  der  Censur  aus  Anlass  eines  in  der  „Vesta"  erschienenen  Artikels 
„Aphorismen",  „in  welchem  einige  Leser  unangenehme  Behauptungen  wider  eine  grosse  Macht 
entdeckt  haben  wollen."  Nach  solchen  Vorgängen  konnte  die  bald  erfolgende  Unterdrückung 
der  „Vesta"^)  freilich  nicht  überraschen.  Auch  als  später  Hüllmann  das  undankbare  Amt 
eines  Censors  übernommen  hatte,  gab  es  ähnliche  Conflicte.  Unter  dem  6.  April  1809  rügte 
das  Departement  der  auswärtigen  Angelegenheiten  einen  von  der  Censur  durchgelassenen 
Artikel  des  „Volksfreundes",  damals  des  Organs  des  sogenannten  Tugendbundes,  worin  „sehr 
unschickliche  Aeusserungen  z.  B.  über  das  Agonisiren  der  heiligen  Bruderliebe  u.  s.  w.  vor- 
kommen, die  auswärtigen  Mächten  anstössig  werden  können  — ."  Deshalb  legte  Hüllmann 
das  bisher  unter  der  Autorität  des  Akademischen  Senates  geübte  Censoramt  nieder;  dem 
letzteren  aber  entzog  die  Regierung  die  betreffenden  Befugnisse  für  alle  politischen  Schriften 
und  alle  in  den  Königsberger  Zeitschriften  erscheinenden  politischen  Artikel,  insbesondere 
aber  für  den  „Volksfreund"  und  die  „Morgenzeitung".*) 

In  Hoffnung  auf  eine  bessere  Zukunft  zogen  sich  unter  solchen  Umständen  die 
edelsten  Männer  auf  die  pietätvolle  Pflege  einer  grossen  Vergangenheit  zurück.  Dass  diese 
vornehmlich  Kants  Andenken  galt,  ist  wohl  begreiflich.  Sie  fand  einen  Mittelpunkt  in  der 
Stoa  Kantiana,  die  der  unermüdliche  J.  G.  Scheffner  zur  Aufnahme  des  Grabes  und 
einer  von  Schadow  angefertigten  Büste  des  grossen  Philosophen  herrichten  Hess:  am  22.  April 
1810  wurde  sie  in  Gegenwart  der  Spitzen  der  Behörden  und  des  von  dem  derzeitigen  Pro- 
rector,  dem  Mediciner  Remer,  geführten  Senats  nach  einer  Rede  Herbarts  in  dem  Auditorium 
maximum  eingeweiht.^) 


III.  Das  Kronprinzliche  Rectorat  und  der  Beginn  des  Ausbaues  der  Albertus- 
Universität  1808—12. 

Erst  Mitte  Januar  1808  hatte  der  Hof  das  ihm  schmerzlich  lieb  gewordene  Memel 
verlassen,  wo,  wie  Friedrich  Wilhelm  III.  beim  Abschied  sagte,  die  Vorsehung  ihn  und  seine 
Familie  eine  Freistätte  hatte  linden  lassen,  bis  der  Friede  dem  Blutvergiessen  ein  Ziel 
setzte,  und  war  nach  Königsberg  zurückgekehrt,  um  dort  während  des  Winters  im  Schlosse 
zu  residiren,   den  Sommer  aber  auf  dem  Hufengut  des  Regierungsrathes  Busolt   zuzubringen, 

1)  Acten  der  philosophischen  Facultät  A.  12.  I. 

2)  Dabei  erfahren  wir,  dass  die  (Jensurgebülir  2  ggr.  =  1  Achtehalber,  d.  h.  25  Pf.  betrug. 

3)  Die  P  ertz,  Leben  Steins  II,  S.  141  doch  sehr  mit  Unrecht  als  eine  „schlechte  Wochenschrift"  qiialificirt. 

4)  ßescript  vom  20.  April  1809.     Phil.  Fac.  A.  12.   t. 

5)  Scheffner  a.  a.  0.  S.  SOG— 8.     Vergl.    die  Anekdote   über   die  Entstehung   der   Büste  ebd.  S.  2(14  N. 

4 


oinst  dem  Eigentlium  Theodor  Gottlieb  von  Hippels,  das  dieser  durch  Anlegung  eines  -eng- 
lischen Gartens"  verschönt  hatte.^)  Am  17.  Januar  begrüssten  der  Rector  Eeidenitz  und 
die  Professoren  Consistorialrath  D.  Graef  und  Dr.  Krug  den  König  im  Namen  der  üui- 
vei-sität  und  baten  ihn,  die  „Feier  der  preussischen  Königskrone"  am  nächsten  Tage  mit 
seiner  Gegenwart  zu  beehren.  Auch  an  den  Kronprinzen  und  die  übrigen  Prinzen  des  König- 
lichen Hauses  richtete  man  das  gleiche  Ersuchen.  Thatsächlich  erschienen  denn  auch  Ki-on- 
prinz  Friedrich  Wilhelm  und  sein  damals  kaum  elfjähriger  Bruder  Prinz  Wilhelm  —  nach- 
mals Kaiser  Wilhelm  I.  —  mit  Prinz  Fi-iedrich  zu  dem  Festacte,  bei  dem  in  Anwesenheit 
der  Spitzen  der  Militär-  und  Civilbehörden  Po^rschke  als  Professor  der  Beredsamkeit  in 
deutscher  Sprache  über  das  Thema  ..Nur  im  Vaterlande  ist  es  gut"  handelte  und  schliesslich 
nach  dem  akademischen  Brauche  der  Zeit  ein  von  ihm  verfasstes  Gedicht  vertheilen  Hess, 
dessen  Schlussstrophe  mit  ihrer  hohlen  Phraseologie  wohl  sehr  unbeabsichtigter  und  unbo- 
wusster  Weise  prophetisch  wurde: 

..Yerherrlicht  in  der  Königskrone, 

Dem  Kranze  der  Unsterblichkeit, 

Bist  du,  mein  Vaterland,  auf  deinem  ew'gen  Throne 

Der  Menschheit  Heiligstem  geweiht. 

Du  strahlest  unter  ihren  Rettern! 

Ist  Recht  und  Freiheit  von  den  Göttern 

Geboren,  gründet  sich  ihr  Reich  auf  Wissenschaft, 

So  gehst  du  segnender  aus  Wettern 

Hervor  in  neuer  Jugendkraft.'-' 

Noch  an  demselben  Tage  fassto  der  akademische  Senat  den  Beschluss,  bei  dem  Könige 
die  Erlaubniss  nachzusuchen,  dem  Kronprinzen  die  Würde  eines  immerwährenden  Rectors  der 
Albertina  anzutragen,   nachdem   vorläufige   Rücksprache  mit   dem  Curator  von  Auerswald  und 
dem    „Prinzenhofmeister"  Delbrück    die    Gewähr    einer   günstigen    Aufnahme    gegeben    hatte. 
Darauf  erging  unter  dem  24.  Januar  1808  folgende  Königliche  Antwort:^) 
„Würdige,  Wohlgelahrte,  besonders  Liebe  Getreue! 
Die    von    Euch    nach    Eurer    Eingabe   vom    18.   d.   M.    geschehene  Wahl    des 
Kronprinzen  Liel)den  zu  der  Würde  eines  beständigen  Rector  magnificus  der  hiesigen 
Universität    kann   bey    dem    noch    jugendlichen    Alter    des    Prinzen,  jetzt   wohl    noch 
keinen  wesentlichen  Erfolg  haben.     Inzwischen  will  Ich   solche   doch,    um    der    guten 
Absicht    willen,    die  Ich    mit  Dank   erkenne,   genehmigen    und  Euch    daher    ei'lauben, 
diese  Würde  dem  Kronpi-inzen  anzutragen.     Ich  wünsche   aufrichtig,   dass  daraus  für 
die  Universität  alle  die  guten  Folgen  entstehen  mögen,    die   dieselbe  sich  davon  ver- 
spricht, und  verbleibe  Euer  gnädiger  König 

Friedrich  Wilhelm." 
In  dem  Schreiben,  das  der  Senat   darauf  an    den  Kronprinzen  richtete,    erinnerte  er 


1)  Schefiher,  a.  a.  0.  S.  287 

2)  UniT.-Acten  R.  4. 


_    27 

an  die  l'rüberen  t'iirstliclieu  Rectoreu  der  Albertiiia.  Herzog  Albrecbt  Friedrich,  der  1667, 
und  Herzog  Christian  zu  Braunschweig-Lüueburg,  der  1681,  und  namentlich  au  König  Fried- 
rich Wilhelm  I.,  der  als  Kroupriuz  von  1701  bis  1713  diese  Würde  iuue  gehabt  hatte,  eine 
der  Wissenschaft  erwiesene  Ehre,  „durch  die  der  Zweck  derselben,  die  Menschen  glücklicher, 
weiser  und  besser  zu  machen,  gefördert  worden  sei."  In  einem  Schreiben  vom  3.  Februar  1808 
nahm  der  Kronprinz  das  ihm  angebotene  Eectorat  an.     Dasselbe  lautete: 

,, Meine  Herreu  Rector,  Cauzler,  Director  und  Senatoren;  der  Inhalt  Ihres 
Schreibens  vom  27.  v.  M.,  wodurch  Sie  mit  Allerhöchster  Genehmiguug  des  Königs, 
meines  Herrn  Vaters,  die  Würde  eines  immerwährenden  Rectoris  magnificentissimi 
der  hiesigen  Universität  mir  haben  antragen  wollen,  ist  mir  durch  den  verbliebenen 
Eindruck  der  akademischen  Feyer  des  Krönuugsfestes,  welcher  ich  beywohnte,  ver- 
ständlich gewoi'den;  und  obgleich  die  Bedeutung  dieser  Würde  selbst,  wie  sie  mir 
von  andern  beschrieben  wird,  weit  über  mein  Wissen  und  mein  Alter  geht:  so  hat 
doch  der  Gedanke,  auch  hierdurch  au  die  Reihe  einiger  meiner  Ahnherrn,  mich  näher 
anzuschliessen,  etwas  so  Einladendes  für  mich,  dass  ich  mit  dankbarer  Annahme 
Ihrer  Wahl  voll  Lernbegierde  in  ein  Verhältniss  mit  Ihnen  trete,  welches  mich  in  die 
Fusstapfen  Albrechts  und  Friedrich  Wilhelms  1.  führt,  zumal  an  dem  Orte,  wo  jener 
Fürsten  Nahmen  und  Verdienst  aus  so  vielen  Denkmälern  zu  mir  spricht.  Ich  wünsche, 
dass  diese  meine  Verbindung  mit  der  Universität  für  dieselbe  so  nützlich  werden 
möge,  als  ich  sie  für  mich  nützlich  zu  machen  bemüht  sein  will;  und  so  empfehle  ich 
der  gnädigsten  Obhut  des  Höchsten  Ihre  Bemühungen  für  Wahrheit  und  Recht,  wie 
auch  mein  eigenes  sehnliches  Verlangen,  dass  der  Geist  des  Braudenburgischen  Hauses, 
welchem  beydes  heilig  ist,  segnend  auf  mir  ruhen  möge.     Ich  verbleibe 

Ihr 

wohlgeneigter 

Friedrich  Wilhelm. 
Darauf   wurde    der   Kronprinz    am    10.  Februar    immatriculirt,    indem   er  sich  eigen- 
händig  in    das  Album    eintrug:    Ego   Fridericus  Guilielmus,   Monarchiae  Prussiae  Heres    etc. 
Ein   Anschlag  that  der  Universität  die  ihr  widerfahrene  Ehre  kund.     Am  6.  März  fand  die 
feierliche  Proclamiruug  des  neuen  Rectors  statt,  die  der  Prorector  einleitete  durch  eine  Rede 
über  die  unbedingte  Pflicht    der  Unterthanen    zum   Gehorsam.     Eine  Deputation  des   Senats 
überbrachte  dem  Kronprinzen  die  Insignien   seiner  Würde,   und   als    die  ersten   unter    seinem 
Rectorat  aufgenommenen  akademischen  Bürger  trug  dieser  mit  eigener  Hand  in  das  Album  ein: 
Fridericus  Guilielmus  Ludovicus,  frater  carissimus. 
Fridericus  Guilielmus  Ludovicus,  cognatus  carissimus. 
Praktischen  W^erth  konnte  die  enge  Verbindung  zwischen  dem  Erben  der  preussischen 
Krone  und  der  Albertina    zunächst  nicht    erlangen.     Die  Jugend    des  Prinzen,    die  Rückkehr 
des  Hofes  nach  Berlin   und  die  Grösse   der  Entfernung  zusammen  mit  der  Schwierigkeit  der 
Zeit  Verhältnisse  erklären    das    zur  Genüge.     Anfang    des  Jahres  1810    machte    der    fürstliche 
Rector  der  Universität   für   das  Auditorium   maximuni   sein  Bild   zum   Geschenk:    es    ist  das- 
selbe, das  heute  im  Scualssaale    hängt.     In    einem    von    dem  Fhilologen   l!lrfurdl    verlusstcu 

1* 


28 

lateinischen  Schreiben  wurde  in  dem  damals  üblichen  rhetorischen  Ton  dafür  gedankt.  Weiter- 
hin aber  beschränkte  sich  der  Verkehr  zwischen  der  Albertina  und  ihrem  Eector  darauf, 
dass  erstere  diesem  regelmässig  zu  seinem  Geburtstage  glück  wünschend  nahte,  Anfangs  in 
lateinischen,  seit  1812  in  deutschen  Schreiben,  die  seit  1814  regelmässig  Lob  eck  als  Professor 
der  Eloquenz  verfasste,  und  dass  sie  darauf  die  in  der  Fassung  immer  nur  wenig  variirten 
üblichen  Dankschreil)en  empfing. 

Man  tritt  dem  Verhältniss,  das  durch  jenen  feierlichen  akademischen  Act  zwischen 
dem  Erben  der  preussischen  Krone  und  der  Albertina  begründet  Avar,  sicherlicli  nicht  zu 
nahe  durch  die  Vermuthung,  der  Senat  sei  bei  Anbahnung  desselben  von  dem  Wunsche 
erfüllt  gewesen,  der  Universität  zugleich  mit  der  besonderen  Theilnahme  des  Königlichen 
Hauses  auch  eine  besonders  kräftige  Förderung  von  Seiten  der  Staatsregierung  zu  sichern.  Einer 
solchen  l»edurfte  dieselbe  damals  mehr  denn  je,  schon  in  Bezug  auf  die  äusseren  Bedingungen  ihres 
Daseins.  In  ihrem  Hause,  dem  CoUegium  Albertinum,  war  das  Lazareth  in  der  Inspector- 
wohnung^)  bis  zum  Januar  1807  geblieben,  andere  Theile  hatten  zur  Casernirung  französischer 
Truppen  dienen  müssen.  Erstere  befand  sich  schliesslich  in  einem  Zustand  völliger  Ver- 
wüstung, als  im  Frühjahr  1808  der  neue  Jnspector,  der  Professor  der  Statistik  Hoffmann, 
seinen  Einzug  hielt:  ohne  Oefen  und  Fenster,  die  Thüren  ohne  Schlösser  u.  s.  w.,  und  ab- 
gesehen davon,  dass  die  zur  Reparatur  nöthigen  Materialien  damals  theils  garnicht,  theils 
nur  um  hohe  Preise  zu  beschallen  waren,  entspann  sich  auch  noch  ein  langer  Streit  darüber, 
wer  denn  eigentlich  die  Kosten  der  Herstellung  zu  tragen  verpflichtet  sei.^)  Und  ähnlich 
sah  es  auch  innerlich  in  der  Universität  selbst  aus.  Nur  ausserordentliche  Maassregalu  der 
Eegierung  konnten  da  helfen.  Wirklich  kam  diese  denn  auch  sehr  bald  zurück  auf  die 
Reorganisationspläne  von  1805,  die  der  Krieg  durchkreuzt  hatte,  und  bereits  am  21.  No- 
vember 1808  eröflnete  der  Curator  von  Auerswald  im  Namen  des  Obercuratoriums  dem 
Senate,  dass  neben  der  verfügten  Untersuchung  der  vorhandenen  Universitätsfonds  auch  die 
Ausmittelung  der  erforderlichen  neuen  beabsichtigt  sei:  um  dafür  einen  generellen  Plan  ent- 
werfen und  allen  nothwendigen  Bedürfnissen  der  Univei'sität  abhelfen  zu  können,  wolle  man 
zunächst  eine  Revision  aller  Theile  derselben  vorgenommen  sehen.  Demgemäss  soll  in  den 
einzelnen  Facultäten  die  Zahl  der  erforderlichen  öfleutlichen  Lehrstellen  ermittelt  und  normirt, 
sowie  auch  der  an  Gehältern  dafür  nöthige  Aufwand  festgestellt  werden.  Die  etwa  binder- 
lichen Besiimmungen  der  Statuten  sollen  durch  deren  Revision  beseitigt  werden,  und  „ein 
nach  den  jetzigen  Umständen  und  dem  Stande  der  Gelehrsamkeit  überhaupt  und  in  den 
preussischen  Staaten  besonders  abzuänderndes  Statut  entworfen  werden,  worauf  dann  das 
obige  Bedürfniss  der  Professoren  und  der  erforderliche  Zuschuss  zu  gründen  sind."  Diese 
Untersuchung  hat  sich  zu  erstrecken  auf  alle  „Hilfs-  und  Lehranstalten",  wobei  festzuhalten 
ist,  dass  die  Einrichtung  eines  botanischen  Gartens  und  eines  klinischen  Instituts  bereits 
eingeleitet,  „wegen  Anlegung  eines  Observatorii"  aber,  „eines  chemischen  und  physikalischen 
Cabinets"  und  eines  „philologisch-pädagogischen  Seminars"  gleichzeitig  besonders  verfügt  ist.') 


1)  Vgl.  oben  S.  15. 

2)  Curat.  A.  54.  I. 
■i)  Curat.  A.  48.  I. 


So  ktmicn  die  läiigfit.  gewiinHchten,  durch  deu  Krieg  scIuMuliar  in  iiuerreicbbare  Ferne 
gerückten  Eeformoii  auch  hier  gerade  in  der  trübsten  Zeit  des  preussischeii  Staates  in  Gang. 
Was  damals  durch  die  gleichzeitig  eingeleitete  Errichtung  einer  Universität  zu  Berlin  für  den 
ganzen  Staat  geleistet  wurde,  fand  in  der  kraftvollen  Förderung  der  lange  vernachlässigten 
Albertina  für  das  Königreich  Preussen  sein  provinzielles  Seitenstück.  Mit  freudigem  Erstaunen 
sah  der  greise  J.  G.  Scheffner  dem  zu:  „Sonderbar  ist  es  doch,"  bemerkt  er  in  seinen 
Tagebuchaufzeichnungen,  „dass  in  den  preussischen  ünglücksjahreu  mehr  für  die  Wissenschaften 
gethan  und  auf  sie  verwendet  wird,  als  in  jenen  Zeiten  geschah,  in  denen  die  Monarchie 
sich  unter  Friedrich  11.  so  wohl  befand  und  für  den  Nähr-  und  Wehrstand  reichlich  gesorgt 
wurde.  Sollte  die  jetzige  Ausgabewillfährigkeit  aus  einer  verborgen  liegenden  Ahnung  ent- 
springen, dass  es  unmöglich  sei,  sich  aus  dem  Sinken  der  physischen  und  politischen  Kräfte 
auf  einem  andern  Wege  zu  retten  als  auf  der  wissenschaftlichen  Culturbahn?"') 

Wie  bei  dem  Reorganisationsversuch  von  1805/6  stellten  auch  diesmal  auf  Grund  der 
von  sämmtlichen  Professoren  abgegebenen  Einzelgutachten  die  Facultäteu  ihre  Bedürfnisse 
und  Wünsche  zusammen,  woraus  dann  der  Senat  einen  einheitlichen  Bericht  redigirte.  Auch 
hi(!rbei  sonderten  sich  die  tiefer  greifenden  Neuerungen  abgeneigten  Anhänger  der  bestehenden 
Ordnung  scharf  von  den  noch  in  der  Minderheit  befindlichen  Vorkämpfern  einer  gründlicheren 
Verjüngung  der  Albertina.  Unter  den  letzteren  tritt  besonders  der  Jurist  August  Wilhelm 
Heidemann^)  hervor,  ein  jugendfrischer,  thatkräftiger  Mann,  der  hohen  idealen  Sinn  mit 
ungewöhnlicher  Begabung  für  die  Praxis  verband,  dabei  ein  selbstständiger  und  origineller 
Denker,  der  seinen  eigenen  Weg  zu  gehen  gewöhnt  war  und  auch  in  völliger  Vereinsamung 
seine  Meinung  tapfer  vertrat.  Sein  vom  28.  December  1808  datirtes  Gutachten')  lässt  recht 
deutlich  erkennen,  wie  auch  in  dem  Universitätswesen  damals  Altes  und  Neues  mit  einander 
rangen  und  die  modernen  Anschauungen  und  Forderungen  sich  gegen  die  mittelalterliche 
Befangenheit  erhoben,  und  eröffnet  zudem  durch  manche  Einzelnheiten  einen  lehrreichen  Ein- 
blick in  gewisse  culturgeschichtliche  Verhältnisse. 

Nach  Heidemann  ist  die  Universität  einmal  ein  Institut  zur  Verbreitung  gelehrter 
Kenntnisse,  dann  ein  solches  zur  höheren  Erziehung  und  Bildung  junger  Staatsbürger.  In 
erster  Eigenschaft  bedarf  sie  einer  gehörigen  Zahl  von  tüchtigen  akademischen  Lehrern,  die 
womöglich  nicht  bloss  als  Gelehrte  und  Schriftsteller,  sondern  auch  durch  die  Gabe  des  Vor- 
trags ausgezeichnet  sein  sollen.  Da  nun  die  Regierung  in  Bezug  auf  deu  zweiten  Punkt  sich 
ein  richtiges  ürtheil  doch  nicht  mit  Sicherheit  bilden  kann  und  daher  Missgriffeu  ausgesetzt 
ist,  wenn  sie  die  Ernennungen  ganz  allein  zu  vollziehen  hat,  so  empfiehlt  Heidemann,  bei 
Vacanzeu  den  Facultäteu  ein  Vorschlagsrecht  einzuräumen,  so  dass  sie  etwa  drei  Candidaten 
nennen.  Für  den  Nachwuchs  au  akademischen  Lehrern  ist  durch  Privatdocenten  zu  sorgen, 
aus  denen  die  bewährteren  von  den  Facultäten  zu  Adjuncten  zu  bestellen  und  entsprechend 
zu  besolden  sind.  Unerlässlich  soll  für  beide  der  rite  erworbene  Doctorgrad  und  eine  Probe- 
vorlesung  sein.     Letztere    schlägt   Heidemanu    vor    so    einzurichten,    dass    die  Facultät    dem 

1)  Scheffner  a.  a.  O.  S.  418. 

2)  Vgl.  oben  S.  12. 

3)  Univ.-Acten  A.  11. 


30 

Caiididatcn  eine  Stunde  vorher  ein  Tbema  stellt,  das  natürlich  nicht  zu  schwer  sein  darf,  und 
derselbe  nach  kurzer  Vorbereitung  darüber  wie  vor  Studenten  zu  sprechen  hat.  Auf  gelehrtes 
Prunken  kommt  es  dabei  nicht  an;  Ablesen  ist  nicht  zu  dulden.  Die  herkömmliche  Theilung 
der  Pacultäten  will  Heidemann  beibehalten,  aber  einmal  die  cameralistische  Professur-  der 
juristischen  Facultät  zugewiesen  und  dann  die  Professuren  der  Mathematik,  Physik,  Chemie, 
Mineralogie,  Botanik  u.  s.  w.  zu  einer  neuen  „physikalischen"  Facultät  zusammengefasst 
sehen.  „Der  bunte  Eock,  den  die  philosophische  Facultät  jetzt  hat,"  bemerkt  ei-,  „würde  sich 
verlieren  und  die  physikalische  Facultät  würde  mit  einem  grossem  Gewichte,  welches  ihr 
wohl  gebührt,  auftreten."  Weiter  fordert  Heidemanu  die  Einhaltung  einer  derartigen  Ordnung 
in  der  Folge  der  Vorlesungen,  dass  jeder  Studirende,  in  welchem  Semester  auch  er  sein 
Studium  beginnt,  von  Anfang  an  einen  geordneten  Studiengang  verfolgen  kann:  die  grund- 
legenden Vorlesungen  sollen  daher  allsemesterlich  gehalten  werden.  Auch  bei  Ansetzung  der 
Vorlesungsstunden  will  er  Collisionen  vermieden  sehen  und  verlangt  gleichzeitigen  Anfang 
und  Schluss  der  Vorlesungen  durch  alle  Docenten.  Er  empfiehlt  die  Peststellung  bestimmter 
Studienpläne,  durch  welche  den  künftigen  Staatsdieneru  die  Beschäftigung  mit  gewissen  Disci- 
pliuen  vorgeschrieben  wird.  Damit  alle  Lehrer  sich  ganz  ihrem  Amte  widmen,  verlangt  er 
bessere  Besoldung,  pünktliche  Einziehung  der  Honorare  und  Vermeidung  aller  Nebenämter. 
Um  den  Fleiss  der  Studirenden  durch  fortdauernde  Controle  zu  steigern,  wünscht  er  regel- 
mässige Prüfungen,  denen  sich  namentlich  die  Stipendiaten  zu  unterziehen  haben.  Auch 
erscheint  es  ihm  erwägenswerth,  ob  nicht  die  Prüfungen  der  Auscultatoren  für  den  Justizdienst, 
der  Referendare  für  das  Verwaltungsfach  und  der  Theologen  für  die  venia  concionandi  statt 
der  meist  zu  milden  Landescollegien  und  Consistorien  den  betreflenden  Facultäten  aufzuti-ageu 
seien.  Ohne  Reifezeugniss  endlich  soll  überhaupt  Niemand  mehr  zum  Studium  zugelassen, 
den  Prüfungscommissionen  aber  ebenfalls  grössere  Strenge  zur  Pflicht  gemacht  werden. 

Der  zweite  Theil  der  Heidemannschen  Denkschrift,  der  die  Universität  als  „ein  In- 
stitut zur  höheren  Erziehung  und  Bildung  junger  Staatsbürger"  betrachtet,  eröffnet  uns  einen 
nicht  eben  erfreulichen  Blick  in  gewisse  Verhältnisse  des  akademischen  Lebens  jener  Zeit 
und  lässt  erkennen,  Avie  auch  da  eine  tiefgreifende  innere  Erneuung  dringend  noth  that. 
Lautet  doch  Heidemanns  erste  Forderung:  ,,Die  Studirenden  müssen  im  bürgerlichen  Leben 
mit  niehrerem  Anstände  behandelt  werden,"  nicht  ..als  Schulknaben  oder  Personen  gemeinen 
Standes".  „Wie  man  sie  bisher  behandelt  hat,  das  beweisen  die  ürtheile  der  Justizbehörde  in 
Militärinjurien.  Als  geringfügige  Kleinigkeit  wird  es  angesehen,  wenn  ein  Officier  den  bür- 
gerlichen Studenten  Er  nennt,  ja,  wenn  er  ihn  schlägt,  wird  nicht  viel  daraus  gemacht.  In 
meiner  Gegenwart  hat  einst  ein  Referent  einen  Studenten  und  einen  Musketier  für  Personen 
gleichen  Standes  betrachtet.  Der  Staat  selbst  entrirte  in  diese  Idee  und  erliess  das  fameuse 
Prügeledict  vom  Jahr  1798.^)  Welchen  Geist  soll  der  akademische  Lehrer  bei  den  Studenten 
rege  machen,  wenn  diese  herabwürdigend,  ja  entehrend  behandelt  wei'den?  Wie  soll  man  von 

1)  Gemeint  Ist  die  „Verordnung  wegen  Verhütung  der  die  öffentliche  Ruhe  störenden 
Excesse  der  Studirenden  auf  sämmtlichen  Akademien  in  den  Königlichen  Staaten"  (Curat.  Act. 
Commiss.  1  T.  vom  23.  Juli  1798  (Berlin,  bei  Georg  Decker.  Kgl.  Geh.  Oberhoflnichdrucker)  —  welche,  nicht 
bloss  der  l'ulizei  gogeu  die  Sludireudeu  völlig  freie  Ilaiid  gab,  souderu  zur  Warnuug  und  um  Kxemiicl  statuircii  zu 


31 

den  Studircuden  Pflioliteii  des  jungen  ^rannes  fordern,  wenn  sie  sicli  als  Knaben  betrachtet 
sehen?  Die  Erfahrung  zeigt  es,  dass  junge  Menschen  das  nicht  ertragen,  imd  deshalb  nehmen 
sie  sich  doppelt,  was  mau  ihnen  zur  Ungebühr  im  gehörigen  Grade  verweigert,  und  werden 
Renommisten.  Sobald  wir  die  Studenten  als  junge  Männer  von  Bildung  ehren,  werden  wir 
sie  auch  leicht  zu  den  Pflichten  dieses  Standes  führen."  Dazu  hielt  Heidemann  nun  beson- 
ders für  nöthig,  dass  mit  studentischen  Vergehungen,  soweit  sie  nicht  geradezu  peinlicher 
Natur  sind,  nicht  die  Justizbehörden  befasst,  sondern  dass  alle  Disciplinarsachen  Rector  und 
Senat  überlassen  werden.  „Die  Disciplin  muss  vom  Rector  und  vollem  Senat  verwaltet  und 
muss  vorzüglich  rasch  behandelt  werden,  daher  auch  so  wenig  wie  möglich  schriftlich  ver- 
fasst  werden  muss:  kleine  Sachen  macht  der  Rector  allein  ab,  wichtigere  in  Gemeinschaft 
mit  dem  Senat,  der  den  Studirenden  gegenüber  die  Rechte  und  Pflichten  eines  Erziehers 
seinen  Pflegebefohlenen  gegenüber  hat."  Bei  Besprechung  des  Schuldenmachens  der  Studi- 
renden kommt  Heidemann  zurück  auf  die  schon  früher  von  ihm  mit  so  wenig  Glück  befüi-- 
wortete  akademische  Zahlungscommission.*)  Endlich  erörtert  er  auch  noch,  wie  die  körperliche 
und  sittliche  Ausbildung  der  Studirenden  gefördert  werden  kann  durch  Errichtung  eines  aka- 
demischen Fechtbodens,  durch  Anlage  einer  Schwimm-  und  Badeanstalt  und  durch  die  Sorge 
für  fleissige  Benutzung  der  in  Königsberg  reichlich  gebotenen  Gelegenheit  zum  Tanzen  und 
Reiten.  Namentlich  weist  er  auch  hin  auf  den  bildenden  Werth  der  Vergnügungen.  „Da 
soll  alles  Kostspielige,  z.  B.  grosse  Umzüge  mit  Uniformen,"  und  „alles  Unwürdige,  z.  B.  Com- 
merse",  vermieden,  dagegen  „Bälle  und  Concerte  durch  die  bisher  im  Allgemeinen  nicht  übliche 
Theilnahme  der  Pi-ofessoren  daran  begünstigt  und  gehoben  werden."  Dabei  erzählt  Heide- 
mann: „Als  ich  nach  Königsberg  kam  (1802),  sah  ich  auf  den  Studentenbällen  die  Studenten 
mitten  im  Tanzsaale  aus  dem  Halse  der  Bouteillen  Bier  trinken  und  dei'gleichen  Unsittlich- 
keiten  begehen,  und  doch  fand  ich  Professoren  dort.  Ich  erklärte  den  Studenten,  dass  ich 
so  nicht  wiederkommen  würde,  und  verlängte  Aenderung.'-  Der  Erfolg  war  der  gewünschte, 
und  in  ähnlicher  Weise  habe  er,  so  berichtet  Heidemann,  durch  freundliche  Vorstellungen 
manche  bisher  übliche  Extravaganz  in  der  Kleidung  beseitigt,  z.  B.  die  grossen  Hüte  und  die 
gewaltigen  Stiefeln. 

Mit  solchen  Ansichten  und  Wünschen  stand  Heidemann  nun  freilich  damals  ziemlich 
allein,  wenigstens  in  dem  engen  Kreise  der  die  Universität  als  solche  eigentlich  repräsenti- 
renden  Senatoren,  die  allem  entgegen  waren,  was  ihre  bevorrechtete  Stellung  und  ihren  maass- 
gebenden  Einfluss  beeinträchtigen  konnte.  Hier  lag  auch  das  vornehmste  Hinderniss  für  eine 
wissenschaftliche  Erneuung  der  Universität,  und  es  war  ein  Glück,  dass  ihr  in  von  Auers- 
wald  ein  Curator  beigeordnet  war,  der  in  diesen  Dingen  unbefangenen  Blick  und  eigenes 
Urtheil  hatte  und  seine  wohlbegründete  Meinung  auch  den  oberen  Instanzen  gegenüber  er- 
folgreich geltend  zu  machen  wusste.  So  nur  wurde  es  möglich,  dass  der  Zuschuss  von 
17  000  Thalern  jährlich,  welcher  1809  der  Universität  gewährt  wurde,  zweckmässige  Verwen- 

können,  wörtlich  bestimmt:  ,,Bey  groben,  die  öÖ'entllche  Sicherheit  stöhrenden Excessen  soll  in  keinem  Talle 
auf  Geldbusse  oder  Relegation,  sondern  jederzeit  auf  Gefängniss  oder  körperliche  Züchtigung  er-' 
kannt  werden." 

1)  Vgl.  oben  S.  12. 


32 

düng  fand  und  entsprechenden  Nutzen  stiftete.  Auf  von  Auerswalds  sachkundigem  Rath  berulit 
der  Entwurf,  den  im  Ministerium  des  Innern  die  Section  für  den  öffentlichen  Unterricht  dem 
König  für  die  Verwendung  jenes  für  die  damalige  Zeit  hohen  Betrages  am  21.  Juni  vorlegte 
und  der  genehmigt  und  durchgeführt  wurde.')  „Die  theologische  Facultät,"  heisst  es  darin, 
„ist  in  einem  sehr  unvollkommeuen  Zustand  und  bedarf  einer  radicalen  Verbesserung.  Die 
Professoren  Graef  und  Wedeke  sind,  wenn  sie  auch  nicht  allen  Anforderungen  Genüge 
leisten,  sittlich  achtungswerthe  und  mit  ihrem  Amte  es  ehrlich  und  ernst  meinende  Männer. 
Dagegen  füllt  Hennig  weder  als  Theologe  noch  als  Lehrer  seinen  Platz  aus,  kann  überdies 
der  Universität  noch  lange  zur  Last  fallen."  Er  werde  sich,  so  meint  man,  gern  mit  500 
Thalern  pensioniren  lassen.  Die  nöthigen  Neuberufungen  machen  Schwierigkeiten,  da  in 
Preussen  tüchtige  Theologen  dermalen  nicht  vorhanden  sind.  Beinahe  ebenso  übel  wie  die 
theologische  ist  die  juristische  Facultät  daran;  doch  ist  zu  hoffen,  dass,  wenn  Professor  von 
der  Goltz,  der  nur  seiner  Blindheit  wegen  eine  Professur  bekommen  hat,  pensionirt  wird, 
die  Berufung  von  zwei  tüchtigen  neuen  Lehrern  zu  ermöglichen  sein  wird.  Die  medicinische 
Facultät,  von  der  der  Curator  noch  zu  Beginn  des  Jahres  1808  offen  bekannt  hatte,  sie  sei 
„fortdauernd  in  der  tram-igsten  Verfassung  und  eigentlich  ohne  Lehrer,  da  Dr.  Kelch  ein  sehr 
schwaches  Subject  ist,"*)  ist ,, zur  Zeit  gut  besetzt,  doch  fehlt  ihr  noch  ein  Professor  für  Chirurgie  und 
Accouchement."  In  der  philosophischen  ist  noch  die  Professur  für  Geographie  und  Statistik  zu  be- 
setzen und  dann  die  für  Astronomie  und  Mathematik.  In  Aussicht  genommen  ist  ferner  die  Er- 
richtung eines  theologischen,  eines  philologischen  und  eines  pädagogischen  Seminars,  welche  einen 
besondern  Aufwand  nicht  erfordern.  Demnächst  handelt  es  sich  um  ein  klinisches  Institut,  das 
anatomische  Theater  und  die  Sternwarte.  Im  Uebrigen  wurde  der  jährliche  Zuschuss  von 
17  000  Thalern  zum  Theil  auch  zu  der  dringend  nöthigen  Aufbesserung  der  Gehälter  verwendet. 
Was  so  im  Jahr  1809  für  die  Reorganisation  der  Albertina  gethan  wurde,  knüpft 
demnach  durchweg  an  das  1805  entworfene  Programm  an.  So  erfolgte  im  Juni  1809  die 
Auflösung  des  Convictoriums,  indem  die  Bespeisung  von  72  armen  Studirenden  in  kleineren 
Gruppen  an  zuverlässige  Wirthe  vergeben  wurde.  Finanziell  beruhte  die  neue  Ordnung  auf 
einem  Capital  von  45000  Thalern  und  jährlich  zu  liefernden  1800  Scheffeln  Roggen.  Auch 
die  Einrichtung  des  botanischen  Gartens  auf  dem  Scheffnerschen  Grundstück  machte  nun 
Fortschritte:  schon  im  März  1809  waren  dazu  14000  Thaler  angewiesen;  doch  brauchte  man 
im  Ganzen  18719  Thaler.  Die  Leitung  hatte  der  aus  der  medicinischen  Facultät  in  die  phi- 
losophische übergetretene  Professor  der  Naturwissenschaften  Hagen,  bis  im  Herbst  1809  in  der 
Person  von  August  Friedrich  Schweigger,  der  etliche  Jahre  zu  Paris  am  Jardin  des  plautes 
gearbeitet  hatte,  ein  besonderer  Vertreter  der  Botanik  berufen  wurde.  Mit  viel  bescheideneren 
]ilitteln  musste  sich  das  neue  medicinische  Klinikum  begnügen,  für  das  mit  einem  Aufwand 
von  800-Thalern  drei  Zimmer  im  Löbenichtschen  Hospital  mit  18  Betten  eingerichtet  wurden.*) 
Zur  Leitung  wurde  Professor  Wilhelm  Remer*)  aus  Helmstädt  berufen. 


1)  Curator.-Acten  A.  48.  I. 

2)  Curator.-Act.  B.  5.3  I.  Bericht  vom  24.  Februar  1808. 
y)  Univ.-Acten.  M.  19. 

4)  Geb.  0.  Juli  1775,  seit  1799  aorfl.  Prof   der  Philosophie  uml  Medicin,    1S03  Director   das  Iclini.sche 


33 

Nauieiitlicli  aber  der  Lehrköi-per  erfuhr  eine  wesentliche  VcrjÜDgung.  Zum  Nachfolger 
Sil  VC  ms  in  der  Professur  für  die  alte  klassische  Littoratur  wurde,  nachdem  August  Böckli 
in  Heidelberg  abgelehnt  hatte,  Karl  August  Gottlieb  Erfurdt  (geb.  11.  Decembcr  1780 
in  Zörliig.  in  Wittenberg  und  Leipzig  unter  G.  Hermann  gebildet)  berufen,  bisher  Conrector 
am  Gymnasium  zu  Merseburg.  Der  Philosoph  Krug,  der  im  Herbst  1808  einen  Ruf  nach 
Leipzig  angenommen  hatte,  erhielt  in  Johanu  Friedrich  Herbart')  einen  ihm  weit  über- 
legenen Nachl'olger,  der  würdig  an  die  gi'ossen  Traditionen  der  Kant'schen  Zeit  anknüpfte. 
Die  neue  Professur  der  Geogi-iphie  und  Statistik  erhielt  1810  Adam  Christian  Gaspari.^) 
In  der  theologischen  Facultät  wurden  die  Privatdocenteu,  Garnison-  und  Festungsprediger 
Ludwig  Jedemin  ßhesa  (geb.  1777  zu  Karvvaiten,  einem  bald  versandeten  Dorf  auf  der 
Kurischen  Nehrung)  und  Reusch  zu  ausserordentlichen  Professoren  ernannt;  ersterer  über- 
nalini  die  Leitung  des  litthauischen  Seminars.  Wegen  der  Gewinnung  tüchtiger  Männer  für 
dia  beiden  ordentlichen  theologischen  Professuren  hatte  man  sich  mit  dem  Oberhofprediger 
D.  Reinhard  in  Dresden  in  Verbindung  gesetzt,  den  selbst  nach  Königsberg  zu  ziehen  trotz 
der  ihm  gemachten  glänzenden  Anerbietungen  nicht  gelang.*)  Nach  dem  Tode  Georg  Ernst 
•Sigismund  Hcnnigs  (gest.  23.  September  1809)  kam  1810  Johann  Friedrich  Krause 
(geb.  1770  zu  Reichenbach  in  Obersachsen,  seit  1801  Domprediger  zu  Naumburg)  als  Pfarrer 
im  Löbenicht,  Consistorialrath  und  ord.  Professor  der  Theologie  an  die  Albertina,  naciidem  zu 
Ende  des  Jahres  1809  Johann  Severiu  Vater*)  aus  Halle  berufen  war,  der  sich  um  die  Ver- 
waltung der  nun  auch  auskömmlicher  dotirten  Bibliothek  (sie  erhielt  1810  eine  ausserordentliche 
Beihilfe  von  2000  Thlr.)  verdient  machte  und  durch  seine  Arbeiten  über  die  Sprache  der 
alten  Preusseu  und  allerlei  polyglotte  Versuche  einen  Namen  gewann.  Nimmt  man  hinzu, 
dass  in  derselben  Zeit  auch  die  Errichtung  von  Seminarien  eingeleitet  wurde  und  zwar 
eines  theologischen,  für  das,  als  es  1812  ins  Leben  trat,  ausdrücklich  bestimmt  wurde,  dass 
es  nur  zur  Pflege  gelehrter  Studien,  nicht  aber  für  dogmatische  und  homiletische  Uebungen 
dienen  sollte,  eines  philologischen,  mit  desseu  Leitung  zuerst  Süvern  betraut  war,  und 
endlich  eines  pädagogischen,  aus  dem  Herbart  eine  weithin  reformatorisch  wirkende 
Musteranstalt  zu  machen  hoifte,  dass  ferner  in  Verbindung  mit  dieser  besseren  Organisation 
des  Studienbetriebes  die  Mittel  bereit  gestellt  wurden,  um  alljährlich  akademische  Preis- 
aufgaben ausschreiben  und  prämiiren  zu  können,  für  die  ebenfalls  von  allen  praktischen 
Interessen  abgesehen  werden  und  ausschliesslich  Gegenstände  gelehrter  Natur  zulässig  sein 
sollten  —  eine  Institution,  die  seit  1812  in  regelmässige  Uebung  kam  — ,  und  erwägt  man 
endlich,  dass  mit  allen  diesen  beträchtliche  Mittel  erfordernden  Neuerungen  eine  für  jene  Zeit 

•In.stituts  und  1804  ord.  Professor  der  Medicin  zu  Helmstädt,  wo  sein  Vater  Julius  August  R.  (t  1803),  der  bekannte 
Verfasser  verdienstlicher  Lehr-  und   llandbüclier,  seit  1787  Professor  der  Geschichte  war 

1)  Geboren  am  4.  Mai  1776  in  Oldenburg,  in  Jena  Zuhiirer  Schillers  und  Fichtes  und  während  seines 
Hofmeistertimms  in  Bern  mit  Pestalozzis  Methode  bekannt  geworden. 

2)  Geboren  1752  zu  Schleusingen,  1795  aord.  Professor  der  l'ldlosophie  in  Jena.  17;i7  Professor  am 
Gymnasium  zu  Oldenburg,  1803  Professor  der  Geschichte,  Geographie  und  Statistik  in   Dorpiit. 

3)  Scheffner  an  Stein,  s.  Pertz,  Leben  Steins  II,  d.  417  18. 

4)  Geb.  27.  Mai  1771  in  Altenburg,  in  Jena  und  Halle  gebildol,  dort  PI»,  un.l  uord.  Prof,  l.S();)_20 
in   I\'i)nig.sberg.  dann  in  Halle,  f  Iti.  Miirz  182Ü. 


■   34 

bedeutende  ErhöhuDg  der  meisten  Gehälter  verbunden  war,  so  wird  man  von  der  höchsten 
Achtung  erfüllt  vor  einer  Regierung,  die  in  so  schwerer  Bedrängniss,  wie  sie  damals  auf  dem 
preussischen  Staate  lastete,  für  diese  idealen,  keinen  unmittelbaren  Nutzen  abwerfenden  Zwecke 
mit  solcher  Freigebigkeit  eintrat.  Angesichts  der  furchtbaren  finanziellen  Belastung  Preussens 
durch  die  französische  Kriegsschuld  war  es  wahrlich  kein  Geringes,  dass  der  Etat  der  Alber- 
tina für  1810/11  auf  rund  34000  Thaler  in  Einnahme  und  Ausgabe  gestiegen  war,  wozu 
noch  3714  Scheffel  Roggen  an  Naturalbezügen  kamen.  Davon  entfielen  an  Gehalt  auf  die 
theologische  Facultät  rund  4400  Thlr.,  die  juristische  3090,  die  medicinische  3748  und  die 
philosophische  10340  Thlr. 

So  fehlte  es  denn  auch  nicht  ganz  an  Leuten,  welche  meinten,  die  Regierung  thue 
des  Guten  zu  viel,  und  selbst  der  alte  Scheffner,  der  seine  Albertina  wahrlich  gehegt  und 
gepflegt  sehen  wollte,  äusserte  sich  in  einem  Schreiben  an  den  Freiherrn  von  Stein  den 
27.  Februar  1810:  „Die  Nachrichten  von  den  zur  Aufnahme  der  Wissenschaft  gemachten  Aus- 
gaben sind  nicht  übertrieben,  und  Ew.  Excellenz  Wunsche,  quod  felix  faustumque  sit,  stimme 
ich  herzlich  bei,  ob  ich  gleich  glaube,  dass  vor  der  Hand  manche  Summe  zu  grösseren  Noth- 
Ijehelfungen  hätte  verwandt  werden  .-jollen.  —  Besondere  Lehrer  der  Statistik  und  Astronomie 
liätte  man  wohl  ersparen  können.'")  In  letzterem  Punkte  urtheilte  der  alte  Herr  freilich 
selbst  bald  anders  und  stimmte  denjenigen  rückhaltlos  bei,  die  in  der  Berufung  Friedrich 
Wilhelm  Bessels  (geb.  22.  Juli  1748  zu  Minden),  der  am  8.  Januar  1810  zum  Professor 
der  Asti'onomie  ernannt  wurde,  einen  der  stolzesten  Ruhmestitel  der  Albertina  erblickten.  Die 
für  Bessel  gebaute  und  von  ihm  geleitete  Sternwarte  genoss  bald  eines  Weltrufs  und  hat  in 
der  Entwicklung  der  Astronomie  und  Mathematik  und  damit  in  der  der  Naturwissenschaften 
überhaupt  eine  geradezu  epochemachende  Rolle  gespielt. 

„Kann  denn  der  preussische  Staat  noch  Sternwarten  bauen!''  soll  Napoleon  erstaunt 
ausgerufen  haben,  als  er  hörte,  dass  man  dort  noch  zu  dergleichen  Mittel  übrig  habe.-)  Der 
früher  gehegte  Plan,  das  astronomische  Observatorium  auf  dem  Schlossthurm  einzurichten,  war 
als  unausführbar  aufgegeben;  jetzt  hatte  man  den  dem  im  Entstehen  begi'iffenen  Botani- 
schen Garten  benachbarten  Windmühlenberg  gekauft,  der,  damals  noch  ausserhalb  der  Sphäre 
des  städtischen  Dunstkreises  gelegen,  mit  einem  völlig  unbehinderten  Umblick  allen  Ansprüchen 
genügte.  Dort  wurde  am  24.  Mai  1811  der  Grundstein  zu  dem  Bau  gelegt.  Die  ihm  ein- 
gefügte Kapsel  enthielt  nach  J.  G.  Scheffners  Bericht  ausser  einer  kui-zen  Notiz  über  den 
..jetzigen  Wisr^enscliaftszustand  in  Königsberg"  noch  einige  echt  Schefl^uersche  ,,Versleiu" : 

„Zur  Zeit,  da  jeder  Stand-  und  Messpunkt  auf  der  Erde 

Verrückt  war,  da  sprach  unser  Friederich, 

Der  Recht  und  Wahrheit  liebt:  „Es  werde 

Die  Sternwart'  hier  gebaut,  damit  der  Preusse  sich 

Am  Himmel  in  das  Laufen  aller  Sterne, 

Ohn'  sich  zu  irren,  finden  lerne. 


1)  Pertz,  Lehen  Steins  TF,  S.  417/18. 

2)  C   K.  v.  Baers  Leben,  S.  SOG. 


35 

Denn  so  hing'  Bcssels  hier  den  Horizont  beschaucu, 
Kanu  man  ganz  dreu.-it  den  Sternen  trauen,"') 

Aber  die  vom  König  zum  Bau  angewiesenen  8000  Thir.  waren  bereits  im  Juli  ver- 
brauclit,  und  die  Beschaffung  weiterer  Mittel  schien  kaum  möglich,  so  dass  Bessel  bereits 
daran  dachte,  einen  damals  an  ihn  ergehenden  Euf  als  Director  der  Sternwarte  in  Mannheim 
anzunehmen.  Doch  fand  sich  glücklich  noch  Hilfe,  indem  eine  Summe  von  4000  Thlr.  baar 
augewiesen  und  der  Credit  der  Königlichen  Kassen  erfolgreich  in  Anspruch  genommen  wurde. 
Mit  einem  Gesammtaufwaud  von  28000  Thalern  \\Tirde  der  Bau  im  Herbst  1812  vollendet  und 
ein  Jahr  später  von  Bessel  bezogen.  Eine  stattliche  Reihe  von  grundlegenden  Arbeiten  und 
l)ahnbrechenden  Entdeckungen  hat  dort  ihren  Ursprung  genommen,  und  der  schlichte  Kuppelbau 
auf  dem  Windmühlenberge  ist  eine  vou  den  Stützen  und  Zierden  der  astronomischen  Wissen- 
schaft geworden. 

Nach  einer  anderen  Richtung  aber  stellten  sich  Bessel  unerwartete  und  nicht  so 
leicht  überwindliche  Schwierigkeiten  entgegen.  Da  er  in  Folge  seines  eigenartigen  Bildungs- 
ganges kein  regelrechtes  akademisches  Studium  durchgemacht  hatte  und  auch  nicht  rite  Ma- 
gister und  Doctor  geworden  war,  so  wurde  ihm  von  Seiten  seiner  au  den  alten  Formen  haf- 
tenden Collegen,  die  zudem  den  Wortlaut  der  Statuten  für  sich  hatten,  die  Aufnahme  in  die 
Facultät  verweigert.  Eine  Anregung  des  Cui-ators,  die  Facultät  möchte  die  Schwierigkeit  da- 
durch lösen,  dass  sie  Bessel  ihrerseits  den  Doctorgrad  verlieh,  blieb  erfolglos;  der  von  anderer 
Seite  gewüuschte  Königliche  Dispens  hätte  einen  Eingriff  iu  die  Statuten  enthalten,  und  es 
blieb  schliesslich  nichts  übrig  als  eine  Vertagung  des  Conflictes,  indem  Bessel  unter  dem 
17.  April  1812  vou  allen  Facultäts-  und  Senatsgeschäften  dispensirt  wurde. 

Auch  sonst  hatte  die  Reorganisation  der  Universität  in  ihren  Lehrkörper  gewisse 
Gegensätze  getragen,  die  das  Gedeihen  des  Ganzen  zu  gefährden  drohten.  Es  entstand  eine 
Spaltung  z\vischen  „alten"  und  ,, neuen"  Professoren.*)  Letztere  waren  die  Träger-  des  er- 
neuten und  freudig  erstarkenden  geistigen  und  sittlichen  Lebens  der  Universität.  Das 
Heft  aber  und  in  allen  allgemeinen  Fragen  die  Entscheidung  hatten  die  Ersteren  in  Händen, 
da  allein  sie  im  Senat  sassen  und  zu  den  akademischen  Aemtern  gelangten.  Im  Gegensatz 
nämlich  zu  der  ursprünglichen  Ordnung,  nach  der  alle  Ordinarien  dem  Senate  angehört  hatten, 
liestand  dieser  nur  aus  den  beiden  ältesten  Professoren  der  di-ei  oberen  Facultäten  und  den 
vier  ältesten  der  philosophischen  Facultät:  mit  Ausnahme  des  Mediciners  Rem  er  waren  im 
Sommer  1811  die  neu  bei-ufenen  Professoren  von  der  Theilnahme  an  den  Senatsgeschäftcu 
und  der  gerade  in  solchen  Uebergaugszeiten  besonders  wichtigen  Selbstregierung  der  Uni- 
versität daher  ausgeschlossen  und  nicht  bloss  äusserlich  beuachtheiligt,   sondern  auch  um   die 


1)  Ebendas.  S.  417. 

2)  Vgl.  Herbarts  Schilderung  dieser  Verhältnisse  bei  Ziller,  Herbartreliquien,  S.  203,  wo  neben 
dem  Gegensatz  zwischen  „alten  und  neuen  Professoren"  auch  die  durch  die  schlechten  Besoldungen  verschuldete 
Belastung  vieler  Professoren  mit  Nebenämtern  als  ein  Haupthinderniss  wirklich  wissenschaftlicher  Thätigkeit 
gerügt  wird.  Schliesslich  heisst  es:  „Die  Studenten  müssen  erst  lernen  fleissig  sein,  die  Handwerker  müssen 
allesammt  wenigstens  30  versäumte  .Jahre  nachholen,  so  weit  sind  sie  zurück,  und  die  alten  Weiber  in  dieser 
grossen  Stadt  müssen  sich  das  Klatschen  abgewöhnen." 

5* 


36 

Möglichkeit  gebracht,  dio  von  ihncu  vertretene  Richtung  im  Interesse  des  Ganzen  im  Krciisc 
der  Collegen  geltend  zu  machen.  Daraus  ergab  sich  ein  schliesslich  unerträglich(!S  Ver- 
bältniss,  welches  Eemer,  der  einzige  Senator  unter  den  neu  Berufeneu,  bei  der  vorgesetzten 
Behörde  zur  Sprache  brachte,  nachdem  es  aus  Anlass  eines  Disciplinarfalls,  in  dem  der  Senat 
sich  der  Mehrzahl  der  von  ihm  ausgeschlossenen  Collegen  schroff  entgegengestellt  hatte,  zu  einem 
heftigen  Conflict  gekommen  war.  Schon  wegen  ihres  höhern  Gehalts  waren  die  „neuen" 
Professoren  „für  die  alten  ein  Gegenstand  unangenehmer  Betrachtung".  Obenein  waren  die 
meisten  von  ihnen  ..Ausländer",  keine  Ostpreussen.  „Sie  brachten  neue  Meinungen,  fremde 
Ansichten,  hier  nicht  gewöhnlich  gewesene  Lehrmethoden  mit,  Messen  ihr  Missfallen  an 
manchen  hier  eingewurzelten,  veralteten  und  dem  jetzigen  Zeitalter  unangemessenen  Ge- 
bräuchen, zum  Theil  vielleicht  nicht  ganz  schonend,  laut  werden  und  wollten  Aenderungen 
entstehen  sehen,  die  man  hier  nicht  liebte."'  Diese  ganze  Gruppe  aber,  recht  eigentlich 
berufen  die  Trägerin  für  die  Zukunft  der  Universität  zu  werden,  konnte  officiell  in  Uni- 
versitätsangelegenheiten gar  nicht  zu  Wort  kommen,  da  ausser  Eemer  von  ihr  Niemand  im 
Senat  sass,  der  damals  auch  noch  bei  den.  Vorschlägen  für  Berufungen  die  entscheidende 
Stimme  hatte:  Vater,  Krause,  Herbart,  Schweigger,  Gaspari  u.  s.  w.,  —  sie  alle 
waren  ohne  jeden  Einfluss.  Der  Antrag,  mit  dem  Remer  seine  Denkschrift  über  diese 
Missstände  schloss,  ging  dahin,  dass  alle  Ordinarien  im  Senat  sitzen  sollten.')  Der  Curator 
von  Auerswald  stimmte  vorbehaltlos  bei.  Daraufhin  erging  am  28.  Mai  1811  eine  könig- 
liche Cabiuetsordre  des  Inhalts,  der  König  finde  es  unbillig  und  der  Würde  der  Professoren 
nicht  angemessen  und  Streit  zu  erzeugen  geeignet,  dass  von  den  drei  oberen  Facultäten  nur 
die  beiden  ältesten,  von  der  philosophischen  nur  die  vier  ältesten  Professoren  wirkliche 
Mitglieder  des  Senats,  d.  h.  die  betreffenden  Einkünfte  zu  ziehen  berechtigt,  im  Besitz  vollen 
Stimmrechts  und  zur  Bekleidung  des  Rectorats  befähigt  seien,  und  bestimmte  deshalb,  „dass 
künftig  alle  Herren  Professores  ordinarii  der  hiesigen  Universität  zugleich  Mitglieder  des  König- 
lichen Akademischen  Senats  mit  vollem  Stimmrecht  in  allen  vor  den  Königlichen  Akademischen 
Senat  gehörenden  Angelegenheiten  und  mit  den  Ansprüchen  auf  die  Verwaltung  des  Rectorats 
sowie  auf  die  mit  demselben  verknüpften  Emolumente,  welche  durch  die  Statuten  und  Gesetze 
der  Universität  allen  wirklichen  Senatoren  ertheilt  werden,  seyn,  die  perpetuirlichen  Emolu- 
mente der  Mitgliedschaft  des  Senats  aber  nach  wie  vor  nur  mit  den  Stellen,  woran  sie  bisher 
gebunden  gewesen  sind,  verknüpft  bleiben  sollen"  —  eine  Bestimmung,  die  heute  noch  in 
dem  Institute  des  Seniorats  fortlebt.  Die  Neuerung  sollte  sofort  eingeführt  werden;  alle 
freiwilligen  Verzichte  auf  die  den  einzelnen  daraus  erwachsenden  Rechte  wurden  für  un- 
zulässig und  ungiltig  erklärt,  dem  entsprechend  aber  auch  jeder  Professor  verpflichtet,  an 
den  Geschäften  der  so  erweiterten  Körperschaft  gebührenden  Antheil  zu  nehmen,  „schon  um 
des  Beispiels  und  der  gemeinsamen  guten  Sache  willen."-) 


1)  Curator.-Aet.  A.  48.  I. 

2)  Ebendas.  Phil.  Fac.  A.  1.  II.  Üniv.-Act.,  S.  8. 


IV.  Die  Zeit  der  Knechtschaft  und  der  Erhebung.    1811—17. 

Auch  die  Albertiua  und  ihre  Argcbörigcu  trugen  schwer  an  den  Lasten,  welche  die 
Jahre  der  Erniedrigung  Preussen  auferlegten.  Insbesondere  empfanden  die  älteren  Glieder 
des  Lelirkörpers  schmerzlich  den  Wegfall  manches  Privilegiums  und  mancher  bequemen 
Bevorzugung  vor  den  übrigen  Staatsbürgern,  den  die  neue  Gesetzgebung  für  sie  zur  Folge 
hatte.  Es  fehlte  daher  auch  hier  nicht  an  Unzufriedenen,  und  mit  Hartnäckigkeit  haben 
Manche  die  den  Universitätslehrern  ehemals  zustehenden  jExemtionen  gegen  die  staatlichen 
und  städtischen  Autoritäten  zu  vertheidigen  gesucht.  Mit  der  Stadt  stritt  man  um  das  Ver- 
hältniss  zwischen  dem  neuen  städtischen  und  dem  alten  akademischen  Bürgerrecht,  eine  Frage, 
die  für  die  bürgerliche  Stellung  gewisser  höherer  Handwerker  und  Künstler  Bedeutung 
■liatte.  Unerachtet  nämlich  wiederholter  polizeilicher  Anfechtung  nahm  der  Akademische 
Senat  nach  wie  vor  das  Recht  in  Anspruch,  auf  Grund  des  Privilegs  von  1.557,  nach  dem  die 
Akademie  auch  bestimmt  war,  „alle  löblichen  und  freien  Künste  zu  unterhalten  und  aus- 
zubreiten", auch  solche  Personen  zu  immatriculiren,  welche  diese  betrieben,  ohne  dass  sie 
Lehrer  oder  Lernende  waren.  Buchdrucker,  Uhrmacher,  Mechaniker,  Maler,  Kupferstecher 
u.  a.  m.  waren  daraufhin  in  die  Zahl  der  akademischen  Büi-ger  aufgenommen,  und  der  Wider- 
spruch der  betreffenden  Zünfte  dagegen  war  erfolglos  geblieben.  Durch  die  Städteordnung  waren 
dafür  nun  ganz  andere  Bedingungen  geschaffen  worden,  und  der  Magistrat  fasste  die  von  dem 
Akademischen  Senat  geübte  Praxis  als  einen  Eingriff  in  die  städtischen  Rechte  auf,  insofern 
derartige;  Gewerbe  nur  auf  Grund  des  städtischen,  nicht  aber  des  akademischen  Bürgerrechtes 
betrieben  werden  durften.  Dagegen  behauptete  der  Senat,  die  von  ihm  dem  alten  Brauche 
gemäss  immatriculirten  Personen,  für  „deren  Beschäftigung  eine  wissenschaftliche  oder 
Kunstbildung  vorausgesetzt  wird,  —  aufgezählt  werden  als  solche  lutherische  Prediger 
und  Schullehrer,  Doctoren  jeder  Art,  Künstler,  z.  ß.  Maler,  Bildhauer,  Instrumentenmacher 
und  Mechaniker,  Medicinapotheker,  Buchhändler,  Lesebibliothekare  und  Antiquare,  —  seien 
dem  städtischen  Bürgerrecht  nicht  unterworfen,  sondern  als  Universitätsangehörige  in  Rück- 
sicht auf  die  Stadt  nur  Schutzverwandte;  nur  die  ehemals  eben  dahin  gerechneten  Buch- 
drucker und  Buchbinder  will  er  als  Gewerbetreibende  im  Sinne  der  Städteordnung  gelten 
lassen.  Im  Gegensatz  dazu  behauptete  der  Magistrat,  dass  Alle,  die  ein  städtisches  Gewerbe 
treiben  wollten,  auch  das  städtische  Bürgerrecht  nachsuchen  müssen,  also  auch  die  vom  Senat 
so  genannten  Künstler,  die  sich  zu  ihrer  Arbeit  fremder  Hilfe  bedienen  und  Gesellen  halten.') 
Thatsächlich  kam  denn  auch  die  nach  Ausweis  des  Albums  bisher  ganz  gewöhnliche  Imma- 
triculation  von  Buchdruckern,  Malern,  Buchhändlern,  Instrumentenmachern,  namentlich  Orgel- 
bauern, Mechanikern  u.  s.  w.*)  ziemlich  ausser  LTebung,  und  bei  der  bald  danach  beginnenden 
Vorbereitung  zu  einer  Neufassung  der  Statuten  wurden  die  Grenzen  der  Immatriculations- 
fähigkeit  so  eng  gezogen,  dass  jener  alte  Brauch  endgiltig  wegfiel. 

Aber  auch  die  ehemaligen  persönlichen  Privilegien  der  Professoren  fielen  der  neuen 
Zeit  vielfach  zum  Opfer,  mochte  man  sie  auch  noch  so   hartnäckig   gegen  die  Ansprüche  der 

1)  Curator.A.  41.  I. 

2)  ü.  A.  auch  ein  pugiÜRrius,  Scbreibefederverfertigcr,  ein  Juwelier  aus  Worms  {WS.  1807/0),  ein  artis 
sculptoriae  in  aere  cultor. 


38 

atädtisuLen  ßcliörde  zu  vertlieidigcii  .sueluni.  An  der  Spitze  der  letzteren  stand  der  (VriLere 
Professor  der  Beeilte,  August  Wilhelm  Heidemann,  als  erster  Oberbürgermeister  von 
Königsberg,  der  in  Folge  seiner  Erwälilung  zu  diesem  Amte  seine  akademisclie  Stellung  im 
Herbst  1810  hatte  aufgeben  müssen,  ein  ebenso  begeisterter  wie  einflussreicher  Vertreter  der 
neuen  Ordnung,  dem  leider  nur  eine  vcrhältuissmässig  kurze  Wii-ksamkeit  beschieden  war. 
Es  scheint,  als  ob  man  es  in  akademischen  Kreisen  besonders  unangenehm  empfunden  hätte, 
bei  diesen  Differenzen  einen  ehemab'gen  Collegen  als  Gegner  vor  sich  zu  haben,  zumal  dieser 
mit  seiner  rückhaltlosen  Hingabe  an  die  Wohlfahrt  des  Ganzen  kein  Bedenken  trug,  den 
dieser  hinderliehen  Sonderrechten  der  Einzelnen  mit  aller  Energie  entgegenzutreten:  blieb 
ihm  doch  auch  nichts  arideres  übrig,  wenn  er  irgend  den  von  der  harten  Zeit  an  die  Bürger- 
schaft gestellten  Ansprüchen  gerecht  werden  wollte. 

Ihren  Höhepunkt  erreichten  zugleich  mit  den  Leiden  der  Provinz  und  der  Hauptstadt 
die  der  Universität  und  ihrer  Glieder  bei  dem  Ausbruch  des  russischen  Krieges  und  dem 
Durchmarsch  der  grossen  Armee.  Keine  der  Freiheiten  stand  den  akademischen  Lehrern  mehr 
schützend  zur  Seite,  die  ihnen  früher  in  solchen  Zeiten  einige  Erleichterung  verschafl't  hatten. 
Die  massenhafte  Einquartierung  brachte  ihnen  nicht  bloss  persönliches  Unbehagen  und  Störungen 
aller  Art,  sondern  machte  ihnen  gelegentlich  selbst  die  Erfüllung  ihrer  Amtspflichten  unmöglich, 
da  auch  die  akademischen  Zwecken  dienenden  Gebäude  und  Eäumlichkeiten  mit  Truppen 
belegt  oder  sonst  den  Bedürfnissen  des  ostwärts  strömenden  Riesenheeres  dienstbar  gemacht 
wurden.  Fast  ausser  Staude  ihrem  Berufe  nachzukommen,  sehen  wir  Prorector  und  Senat 
sich  abmühen  in  fruchtlosem  Ringen  und  Handeln  mit  den  königlichen  und  städtischen  Be- 
hörden und  dann  mit  den  französischen  militärischen  Autoritäten,  zu  denen  sie  immer  von 
Neuem  demüthige  Bittgänge  antreten.  Durch  die  traurige-  Geschichte  jener  Tage,  wo  noch 
Niemand  ahnte,  wie  nahe  bereits  die  Stunde  der  Erlösung  war,  mit  den  trostlosen  Bildern  von 
dem  völligen  Ruin  einer  schon  zum  Tode  erschöpften  Provinz,  wo  der  Handel  ertödtet,  der 
Ackerbau  vernichtet,  der  Viehstand  verschwunden,  die  Bevölkerung  au  den  Bettelstab  gebracht 
war,  zieht  sich,  all  das  Elend  im  Kleinen  wiederholend,  die  Geschichte  von  den  besonderen 
Leiden  der  Albertina  und  ihrer  Lehi-er,  die  von  dem  allgemeinen  Elend  ihr  reich  gemessenes 
Theil  zu  tragen  hatten. 

Obgleich  nämlich  in  Folge  einer  von  Prorector  und  Senat  eingereichten  Vorstellung 
vom  5.  April  1812  die  Militärdeputatiou  der  ostpreussischen  Regierung  durch  einen  Erlass 
vom  16.  desselben  Monats  anerkannt  hatte,  „dass  die  Natural-Eiuquartierung,  wenn  sie  den 
Professoren  auferlegt  würde,  mehr  Belästigung  und  Störung  in  ihren  Berufsgeschäften  als  den 
übrigen  Stadteinwohnern  verursachen  müsse,  zumal  sie  keine  öffentlichen  Hörsäle  zu  ihren 
Vorlesungen  wie  auf  anderen  Universitäten  haben,  sondern  ihre  eigenen  Zimmer  dazu  be- 
nutzen müssten;  es  sei  daher  höchst  billig,  dass  sowohl  die  Auditorien  als  auch  die  zu  ihren 
Vorbereitungen  und  wissenschaftlichen  Forschungen  bestimmten  Zimmer  von  der  Einquartierung 
frei  blieben  und  nicht  in  Rechnung  gestellt  würden",^)  —  machte  doch  die  Masse  der  unter- 
zubringenden Truppen   die  Durchführung  dieses  Priucips  unmöglich.      Wie  bei  s])äteren  Ver- 


1)  Univ.-Act.  E.  3 :  Kescript  vom  25.  November  1812, 


m 

handlungen  über  diese  Frage  festgestellt  wurde,  hat  z.  ß.  der  Mathematiker  Wrede  von 
Anfang  Juni  bis  Ende  October  dauernd  fünf  bis  sieben  Mann  in  Quartier  gehabt;  der 
Theologe  Vater  musste  auf  drei  Stuben  zeitweilig  einen  Gencu'al^mit  einem  Adjutanten  und 
acht  Dienern  aufnehmen;  Gaspari  Latte  53  Tage  hindurch  fünf  Manu  und  zwischendurch  vier 
Offiziere  bei  sich,  die  vollständig  verpflegt  werden  mussten  ;  der  jüngere  Hagen  hat  in  zwei 
Zimmern  allmählich  125  Mann,  der  Mediciner  Rem  er  für  acht  Zimmer  565,  Eisner  für 
sechs  Stuben  636  und  Wald  gar  769  Mann  Einquartierung  gehabt!  Und  damit  waren  bei  der 
Zuchtlosigkeit  mancher  Regimenter,  besonders  der  rheinbündischen,  noch  andere  Gefahren  ver- 
bunden. Nach  dieser  Seite  ist  charakteristisch,  dass  Herbart  seine  auf  den  9.  Juni  fest- 
gesetzte Autrittsdisputation,  die  damals  üblicher  Weise  den  ganzen  Tag  hätte  dauern  müssen, 
auf  den  Vormittag  beschränken  zu  dürfen  bat,  „da  man  sich  zur  Zeit  nicht  von  Hause  lange 
entfernen  kann."  Obenein  erfolgte  in  jenen  ersten  Junitagen  die  von  der  Stadt  eingehobene 
Zwangsanleihe,  zu  der  jeder  auf  Grund  der  von  ihm  gemachten  Angaben  über  sein  Vermögen 
mit  einem  entsprechenden  Beitrage  herangezogen  wurde.  Erst  auf  wiederholte  dringende 
Reclamationen  verfügte  von  Auerswald  am  22.  Juni  1812,  dass  die  Professoren  und  Officiauten 
der  Universität  zu  der  Zwangsanleihe  nicht  herangezogen  werden  dürften.*) 

Auch  die  Universität  als  Ganzes  hatte  schwer  zu  leiden.  Ihr  bescheidenes  Heim,  das 
alte,  winkelige  und  baufällige  Collegium  Albertiuum  nächst  dem  Dom,  das  damals  dem  Professor 
der  Geschichte  Hü  11  mann  als  Inspector  unterstand  und  ausser  dessen  Amtswohnung  eine 
grössere  Anzahl  von  Studentenzimmern  und  ein  paar  Auditorien  enthielt,  wurde  unter  Zu- 
stimmung des  Polizeipräsidenten  Herrn  von  Stein  von  dem  rücksichtslosen  Aufseher  des  Ver- 
pflegungswesens (Commissaire  ordonnateur)  der  grossen  Armee,  Thomas,  für  seine  Zwecke  in 
Anspruch  genommen.  Bald  begnügte  sich  derselbe  nicht  mehr  mit  der  Herrichtung  der  ehe- 
mals dem  Oekonomen  des  aufgelösten  Convictoriums^)  angewiesenen  Keller  und  Ställe  zu 
Magazinen,  sondern  verlangte  dazu  auch  die  Auditorien.  Obenein  bedrohten  die  dort  auf- 
gehäuften Vorräthe  bei  dem  leichtsinnigen  Umgehen  der  Franzosen  mit  Licht  und  Feuer  das 
Gebäude,  das  nicht  einmal  ein  ordentliches  Dach  hatte,  eigentlich  dauernd  mit  der  Gefahr 
eines  verheerenden  Brandes.  Diese  wuchs  noch,  als  ein  Theil  des  ungeheuren  Wagenparks, 
den  der  Magistrat  zur  Leistung  des  gebotenen  Vorspanns  für  die  französischen  Proviant- 
colonnen  zusammenbrachte  und  der  bei  der  begreiflichen  Neigung  der  dazu  gepressteu 
Bauern  und  Fuhrleute  zu  heimlicher  Flucht  schnell  wieder  zusammenzuschwinden  drohte,  in 
dem  Hofe  des  Albertinums  consiguirt  wurde  und  dort  nun  des  Nachts  gar  Lagerfeuer  brannten. 
Nicht  bloss  die  Gewölbe,  in  denen  altem  Brauch  gemäss  die  Professoren  bestattet  waren, 
wurden  den  profansten  Zwecken  dienstbar  gemacht:  selbst  die  Stoa  Kantiana  Nvurde  entweiht 
und  musste  als  Wagenremise  dienen.*) 

Da  die  Behörden,  um  Schlimmeres  abzuwenden,  die  französischen  Forderungen  möglichst 
zu  befriedigen  strebten,  so  blieben  sowohl  die  Proteste  und  Beschwerden  des  unermüdlichen 
Hüllmann,  als    auch    die  Voi'stellungen    des    Akademischen    Senats    im    Wesentlichen    ohne 

1)  Cnrator.  B.  821. 

2)  Vgl.  oben  S.  «  \i.  .32. 

3)  Univ.-Acten  V.  3. 


40 

Wirkimg.  Daher  bescbloss  der  Letztere  endlich,  sich  unmittelbar  an  die  höchste  französische 
Autorität  zu  T\enden  und  von  ihr  Schutz  für  die  Universität  und  ihre  Institute  zu  erbitten. 
Am  8.  Juni  erschienen  der  Prorector  Wald,  der  Mathematiker  Wrede  und  der  Botaniker 
Öchweigger,  ein  weitgereister  und  sprachenkundiger  Mann,  den  man  daher  auch  zum  Wort- 
führer bestimmt  hatte,  vor  dem  Marschall  Macdonakl,  Herzog  von  Tarent,  dem  Befehlshaber 
di's  zehnten  Armeecorps,  dem  auch  die  preussischen  Hilfstruppen  ■  zugetheilt  waren.  Von 
Macdonalds  vielgerühmter  Milde  und  Eechtlichkeit  hoffte-  man  am  ehesten  billige  Rücksicht 
auf  die  Interessen  der  Hochschule.  Auch  war  der  Empfa.ng  ein  freundlicher:  gern  werde  er, 
so  erklärte  der  Herzog,  was  an  ihm  sei,  für  die  Universität  und  ihre  Institute  thun,  auch 
wenn  die  Zeit  es  irgend  erlaubte,  letztere  in  Augenschein  nehmen.  Er  fragte  des  Weiteren 
namentlich  nach  der  juristischen  Facultät,  ob  es  für  ganz  Preussen  ein  einheitliches  Eecht 
gäbe  oder  ob  jede  Provinz  ihr  besonderes  Recht  hätte,  ob  viel  processirt  würde.  Danu 
erkundigte  er  sich  nach  dem  botanischen  Garten,  nach  dem  anatomischen  Theater  und  dessen 
Beschaffenheit  im  Vergleich  mit  dem  ihm  bekannten  Berliner,  nach  der  Zahl  der  Studenten 
und  ob  es  eine  besondere  Anstalt  zur  Heranbildung  von  Professoren  gäbe,  und  eutliess  die 
Deputation  endlich  mit  der  erneuten  Zusage  der  Schonung  für  die  Universität.  Natürlich  aber 
l)lieb  alles  beim  Alten. 

Inzwischen  kam  am  Abend  des  1'2.  Juni  der  Kaiser  der  Franzosen  selbst  iu  Königs- 
berg an.  Er  hatte  eigentlich  in  dem  einst  von  der  königlichen  Familie  bewohnten  Land- 
haus im  Busolt'schen  Garten')  absteigen  wollen,  fand  es  aber  zu  unscheinbar  und  nahm  im 
Schlosse  Quartier.  Zu  dem  auf  den  Vormittag  des  13.  Juni  angesetzten  Empfang  der  Civil- 
behörden  war  auch  die  Universität  befohlen.  Ihre  Vertreter  kamen  zu  spät.  Da  man  aber 
den  Kaiser  ebenso  wenig  warten  lassen,  wie  durch  das  Bekenntniss  der  ünpünktlichkeit  zu 
einem  leicht  verhängnissvollen  Wuthausbruch  reizen  durfte,  so  trat  der  allein  rechtzeitig  er- 
schienene Professor  Rem  er  zugleich  mit  der  eben  in  den  Audieuzsaal  berufenen  Geistlich- 
keit ein  und  stellte,  um  seiner  Collegen  Ausbleiben  zu  verbergen,  auf  des  Kaisers  Frage  die 
geistlichen  Herren  als  angebliche  Professoren  der  Universität  vor.  Dann  musste  er  auch  die 
Fragen  beantworten,  die  Napoleon  in  der  bei  ihm  in  solchen  Fällen  üblichen  Weise  an  ihn 
richtete.  Sie  betrafen  die  Zahl  der  Facultäten,  die  verhältnissmässig  grosse  Zahl  der  philoso- 
phischen Professoren,  dann  die  akademischen  Hilfsanstalten,  namentlich  das  anatomische 
Theater  \md  die  Sternwarte.  Dann  wollte  der  Kaiser  wissen,  aus  welchen  Kassen  die  Bedürf- 
nisse der  Universität  bestritten  würden,  welches  der  Satz  der  CoUegienhonorare  wäre,  ob  es 
unter  den  Professoren  berühmte  Aerzte  und  ob  es  auch  katholische  und  calvinistische  Pro- 
fessoren gäbe.^)  Die  Universität,  die  er  durch  eine  absonderliche  Fügung  ganz  allein  vertrat, 
dem  besondern  Schutz  des  Kaisers  zu  empfehlen  fand  Remer  gar  keine  Gelegenheit. 

Als  Napoleon  dann  in  der  Morgenfrühe  des  16.  Juni  Königsberg  in  der  Richtung 
nach  Wehlau  und  Gumbinnen  verliess,  lag  die  höchste  Autorität  bei  Davoust,  dem  Herzog  von 
Auerstädt  und  Fürsten  von  Eckmühl,  bekanntlich  einem  Mann  ganz  anderen  Schlages  als  der 
menschenfreundliche  und  rechtschaffene  Macdonald.     Dennoch  versuchte  man  auch  bei  ihm,  der 


1)  Vgl   S.  25-26. 

2)  Unir.-Act.  V.  3. 


__^1 

Universität  einige  Schonung  auszuwirkc^ii.  Der  Empfang  der  von  Scliweigger  geführten  Depu- 
tation des  Senats  verlief  freilich  wenig  ermuthigend.  Davoust  ahmte  bei  solchen  Gelegenheiten 
deu  polternden  und  drohenden  Ton  seines  Herrn  und  Meisters  nach.  Auf  Schweiggers  Ansprache, 
die  der  Hoffnung  Ausdruck  gab,  er  werde  der  Universität  die  ungestörte  Fortführung  ihrer 
Thätigkeit  ermöglichen,  erwiderte  er,  es  sei  ja  hinreichend  bekannt,  wie  bereitwillig  die  Fran- 
zosen und  namentlich  ihr  Kaiser  die  Wissenschaften  förderten,  Störungen  ihnen  fern  hielten 
und  sogar  eifrige  Lehrer  belohnten;  bekannt  sei  aber  auch,  dass  es  unter  den  akademischen 
Lehrern  in  Deutschland  viele  revolutionäre  Köpfe  gäbe,  die  ihren  Einfluss  missbrauchten,  um 
Unzufriedenheit  zu  erregen :  solche  bestrafe  der  Kaiser  auf  das  Nachdrücklichste  trotz  seiner 
natürlichen  Milde,  weil  er  streng  darauf  halte,  dass  ein  jeder  ausschliesslich  in  dem  ihm  an- 
gewieseneö  Wirkungskreise  verbleibe.  Auf  Schweiggers  schüchterne  Bemerkung,  dass  es 
solche  Professoren  in  Königsberg  sicherlich  nicht  gebe,  fuhr  der  Marschall  in  echt  napo- 
leonischer Weise  heraus:  „Ah  Monsieur,  je  le  sais!",  und  wandte  sich  dann  einlenkend  an 
den  Rector  Wald  mit  der  Bemerkung,  seine  Worte  hätten  nicht  die  Mitglieder  der  hiesigen, 
obenein  ja  eben  erst  reorganisirten  Universität  gemeint,  sondern  seien  ganz  im  Allgemeinen 
gesprochen  gewesen.  Indem  er  die  Universität  schliesslich  seines  Schutzes  versicherte, 
machte  Davoust  der  Audienz' ein  Ende. 

Gebessert  wurde  natürlich  nichts,  und  schon  am  18.  Juni  traten  die  Professoren 
Vater,  und  Poerschke  mit  dem  eben  aus  Leipzig  berufenen  Juristen  Beck  einen  neuen 
Bittgang  an  zu  dem  neu  ernannten  Generalgouverneur  von  Preussen  und  Lithauen  diesseits 
der  Weichsel,  dem  Generallieutenant  Grafen  Dirk  von  Hogendorp,  einem  Niederländer  von 
Geburt,  der  zusammen  mit  seinem  Jüngern  Bruder  Gysbert  Carl  von  Hogendorp  in'  jungen 
Jahren  in  der  preussischen  Armee  gedient,,  damals  längere  Zeit  in  Königsberg  in  Garnison 
gelegen  und  Kants  Vorlesungen  besucht  hatte,  um  dann  später  niederländischer  Gesandter  in 
Petersburg  und  Gouverneur  der  Ostküste  von  Java  und  weiterhin  unter  König  Ludwig  Na- 
poleon Ki-iegsminister  (1806),  Gesandter  in  Berlin  (1809)  und  Madrid  (1810)  zu  werden,  seit 
Anfang  des  Jahres  1811  aber  dem  von  ihm  schwärmerisch  verehrten  Franzosenkaiser  selbst 
als  Generallieutenant  und  Generaladjutant  diente.^)  Bei  ihm,  einem  Mann  von  Bildung  und 
feinen  Formen,  fand  man  eine  bessere  Aufnahme.  Auf  die  von  Poerschke  vorgetragene 
Bitte,  der  Universität  seinen  Schutz  und  die  zu  ihren  Arbeiten  nöthige  Ruhe  zu  gewähren, 
erwiderte  er  leutselig,  wenn  er  das  thue,  so  erfülle  er  ja  nur  des  Kaisers  Absichten,  und 
versprach,  sich  mit  den  einschlägigen  Verhältnissen  bekannt  zu  machen  und  alles  nach  Wunsch 
der  Universität  zu  ordnen.  Als  er  im  Verlauf  des  Gesprächs  nach  dem  Nachfolger  Kants 
fragte,  bemerkte  Poerschke,  er  erinnere  sich  Se.  Excellenz  vor  33  Jahren  in  Kants  Audi- 
torium gesehen  zu  haben,  und  der  Graf  erwiderte  darauf,  immer  noch  gedenke  er  jener  Zeit 
mit  besonderem  Vergnügen,  auch  habe  er  aus  Kants  Vorlesungen  für  sein  ganzes  Leben 
Nutzen  gehabt.^) 

Aber  auch    diesen    schönen  Worten    folgte   die  crhotVtf;    Besserung    in   der    Lage    der 

1)  Schmidt,  Ostpiciisscns  Scliicksale  im  .laliit»  IKl-J.  (Is'ilDigshori;  1825.)  Vgl.  Zeitgonogscii,  I.  Buch. 
Bd.  IV,  S.  164. 

2j  V.  S. 


Albertinn  nicht.  Deun  die  zum  Schutz  des  Collegium  Albertinum  aufgestellte  Wache 
reichte  dazu  nicht  aus;  die  Räumung  des  Gebäudes  war  nicht  durchzusetzen  und  der  vielge- 
plagte Hü  11  mann  hatte  Tag  und  Nacht  zu  thun,  um  nur  nothdürftig  für  dessen  Sicherheit 
zu  sorgen.  Als  daher  nach  mehr  als  einem  Monat  Graf  Hogendorp  vom  Kaiser  als  General- 
gouverneur nach  Wilna  berufen  wurde,  gingen  Wald,  Beck,  Schweigger  und  Hagen  noch- 
mals zu  ihm,  um  ihn  vor  der  Abreise  zu  „becomplimontiren"  und  den  zu  seinem  Nachfolger 
ernannten  Divisionsgeneral  Grafen  Loison  zu  begrüssen.  Denn  die  jetzt  durchmarschirenden 
Nachschübe  trieben  es  fast  noch  ärger  als  die  früher  erschienenen  Franzosen,  indem  sie  nicht 
bloss  Quartiere  verlangten,  sondern  auch  Essen  und  Trinken,  sich  in  den  Auditorien  häuslich 
einrichteten  und  auch  sonst  allerlei  Störung  verursachten.')  Die  Deputation  bekam  wiederum 
die  gewöhnlichen  vertröstenden  Redensarten  zu  hören  von  dem  Kaiser  als  dem  Beschützer 
der  Wissenschaften;  doch  wurde  auch'  die  Räumung  des  Albertinums  zugesagt  und  dem  bös- 
willigen Chef  ordonnateur  Thomas  sofort  die  entsprechende  Weisung  gegeben;  die  Professoren 
selbst  hoffte  man  nun  von  der  Einquartierungslast  befreit  ,zu  sehen,  da  man  hörte,  Loison 
habe  ihre  Collegen  in  Münster  derselben  glücklich  entzogen. 

In  der  Hauptsache  aber  blieb  Alles  beim  Alten.  In  dieser  wachsenden  Bedrängniss 
dachte  man  daran,  sich  eines  noch  höher  gestellten  Beschützers  zu  versichern.  Der  Senat 
gab  bei  der  juristischen  Facultät  die  Anregung,  den  Minister,  ötaatssecretär  Grafen  Daru 
Ehren  halber  zum  Doctor  zu  creiren  und  so  für  die  Universität  dieses  mächtigen  Mannes 
Gewogenheit  zu  gewinnen.  Schon  1807  hatte  man  der  philosophischen  Facultät  die  gleiche 
Zumuthuug  gestellt:  doch  war  die  Sache  damals  verschleppt  worden  und  aufgegeben,  als 
eine  andere  philosophische  Facultät  mit  der  gleichen  Huldigung  zuvorkam.  Freilich  war 
Pierre  Anto.ine  Bruno  Graf  Daru  (geb.  1767)  ein  Mann  von  Bildung  und  wissenschaftlichem 
Interesse  und  hatte  sich  in  dem  wüsten  Treiben  seines  militärisch-diplomatischen  Handwerks 
Sinn  für  höhere  geistige  Bestrebungen  und  Achtung  vor  der  Gelehrsamkeit  bewahrt,  ja  sogar 
noch  die  Zeit  abgemüssigt,  selbst  in  nicht  unverächtlicher  Weise  litterarisch  thätig  zu  sein. 
Als  „sehr  gelehrter  und  eleganter  Jurist"  in  hervorragender  Weise  an  der  Redaction  des 
Code  Napoleon  betheiligt,  hatte  er  sich  auch  als  Gescbichtschreiber  Venedigs  einen  Namen 
gemacht.  Welche  Erinnerungen  aber  knüpften  sich  sonst  an  ihn,  den  Meister  in  den  Künsten 
der  Bedrückung,  der  seines  Herrn  geheimste  Absichten  errathend  und  als  ein  vollendeter 
Rechenkünstler  verwirklichend,  Preussen  bis  auf  das  Mark  ausgesogen  und  unter  den 
trügerischen  Formen  strengen  Kriegsrechts  für  alle  Zeiten  zu  Grunde  zu  richten  getrachtet 
hatte!  Wohl  war  Daru  auf  Steins  Veranlassung  am  3.  August  1808  zusammen  mit  F.  A.  Wolf 
und  Wilhelm  von  Humboldt  als  Membre  de  Tlnstitut  und  Uebersetzer  des  Horaz  von  der 
Berliner  Akademie  zum  Ehrenmitglied  gewählt  worden  r^)  trotzdem  wirft  die  für  Daru  ge- 
wünschte und  beschlossene  Ehrenpi-omotion,  namentlich  durch  die  sie  begleitenden  Umstände, 
ein  absonderliches  Licht  nicht  bloss  auf  den  politischen  Takt,  sondern  auch  auf  die  patriotische 
Gesinnung  der  Köuigsberger  Professoren  und  lässt  erkennen,  dass  die  geistige  und  sittliche 
Wiedergeburt    der    Albertina    damals   noch   nicht    weit    gediehen   war.      Es    tritt    dabei    ein 

1)  Ebendas.     Beschwerde  vom  l'.t.  Juli.  1812.  E.  3. 
2;  Pertz,  Leben  Steins.  II,  S.  106. 


uiivviirdigcH  Werben  iiiu  die  IJuiist  der  iremdcu  Maclitlialnn-  zu  Tage,  das  aiigcsiclits  d(!r 
Lage  des  Vaterlandes  niclit  eutscliuldigt  wird  durch  die  Bedrängniss  der  Universität  und 
ihrer  Lehrer. 

Unter  der  Hand  versicherte  mau  sich  des  Beifalls  des  französischen  Gouvernements, 
suchte  auch  den  akademischen  Act  der  Ehrenpromotion  selbst  möglichst  pomphaft  zu  ge- 
stalten. Einige  Studireude  sollten  dabei  als  Chapeaux  d'honneur  die  Gäste  empfangen, 
andere  als  Marschälle  die  Ordnung  aufrecht  erhalteu.  Natürlich  trug  man  Sorge,  dass  die 
Katzenmusik  unterlassen  wurde,  mit  der  damals  den  neu  promovirten  Doctor  seine  Commili- 
tonen  zu  necken  pflegten.  Man  scheint  aber  eine  Demonstration  von  dieser  Seite  gefürchtet 
zu  haben,  und  ein  patriotisches  Glückwunschgedicht  namens  der  Studentenschaft  an  den  König, 
das  bald  danach  am  3.  August  in  der  Königsberger  Staatszeitung  erschien,*)  lässt  vermuthen, 
dass  da  andere  Gesinnungen  herrschten.  Das  erklärt  auch  die  umständlichen  Verhandlungen  über 
den  Promotionsact  im  Senat  und  die  mehrfache  Aenderung  des  Programms.  In  der  zunächst 
dem  Prorector  zugedachten  Eede  sollte  die  Sache  „bloss  historisch"  behandelt,  wohl  aber 
,,des  7.  Juli  —  des  Jahrestages  des  Tilsiter  Friedens  mit  Russland  —  und  anderer  für  den 
französischen  Kaiser  denkwürdiger  Tage"  Erwähnung  gethau  werden.  Aber  ein  solcher  feier- 
licher Act  wurde  von  einigen  Senatoren  als  etwas  bei  Ehrenpromotionen  nicht  Herkömmliches 
bekämpft,  in  der  Sorge,  „der  Eindruck  der  ganzen  Verhandlung  dürfte  vielleicht  nicht  überall 
aus  dem  richtigen  Gesichtspunct  angesehen  werden."  Andere  riethen,  „den  Promotionsact  so 
pomphaft  zu  machen,  als  es  bei  den  jetzigen  Umständen  immer  sein  kann,  weil  die  Franzosen 
unter  ihrem  gegenwärtigen  Kaiser  an  Glanz  gewöhnt  sind."  Der  befürchtete  Anstoss  werde 
vermieden,  wenn  ,,in  der  Einleitungsrede  des  Kaisers  Napoleon  nicht  als  Siegers  bei  Lodi, 
Marengo,  Wagram  u.  s.  w.,  sondern  bloss  als  Beschützers  der  Wissenschaften  und  als  un- 
vergesslichen  Gesetzgebers  der  Franzosen  gedacht  würde."  Aber  nur  Herbart  hatte  den 
Muth,  überhaupt  gegen  jeden  besonderen  Act  zu  stimmen  und  jede  Art  von  Betheiligung  der 
Studirenden  daran  zu  verwerfen.  „Der  Eindruck,"  meinte  er,  „lässt  sich  nur  zu  gut  voraus- 
sehen, ganz  abgesehen  davon,  dass  die  zur  Verfügung  stehenden  Mittel  nicht  von  fern  hin- 
reichen, um  nach  französischem  Maassstab  das  Schickliche  zu  erreichen."  Doch  blieb  es  bei 
dem  von  der  Mehrheit  gewünschten  festlichen  Act.  Der  mit  Herbart  dagegen  votireude  Decan 
der  juristischen  Facultät,  Reidenitz,  fügte  sich,  lehnte  aber  jede  persönliche  Betheiligung 
ab.  Ueber  den  Verlauf  berichtete  die  Königsberger  Staatszeitung  vom  24.  Juli  im  Anschluss 
an  die  Meldung,  dass  die  juristische  Facultät  am  18.  d.  Mts.  den  Minister,  Staatssecretär 
Grafen  Daru,  ., ebenso  berühmt  durch  vielseitige  wissenschaftliche  Bildung  als  durch  seinen 
öffentlichen  Charakter"  honoris  causa  zum  Doctor  der  Rechte  creirt  habe,  folgendermassen:  „In 
einer  feierlichen  und  zahlreichen  Versammlung  der  Universität,  die  zur  Verherrlichung  dieses 
Vorganges  im  Auditorium  maximum  stattfand,  hielt  der  Professor  jur.  Dr.  Beck,  den  der 
Senat  damit  beauftragt  hatte,  eine  lateinische  Rede,  worin  er  von  dem  Einfluss  und  der 
richtigen  Anwendung  alterthümlicher  und  herkömmlicher  Einrichtungen  handelte.''  Eingeladen 
hatte  derselbe  durch  ein  Programm.  ,, welches  über  die   bei   Bntwerfung  einer  neueren    Civil- 

1)  Köuigsberger  Staatszeitung,  lbl2,  Ö.  877. 


44 

gesetzgebung  und  besonders  bei  der  Annahme  eines  fremden  Gesetzbuches  zu  befolgenden 
Grundsätze  handelte."  Mit  einem  vom  Prorector  und  Senat  unterzeichneten  lateinischen 
Glückwunschschreiben,  dessen  hochtrabende  Phraseologie  doch  nicht  ausreichte,  den  unwürdig 
schmeichelnden  Ton  zu  verhüllen,  wurde  das  Diplom  unter  Vermittelung  des  französischen 
Gouvernements  durch  den  zur  Armee  gehenden  Generalconsul  Lesseps  Daru  nachgeschickt.  Vom 
9.  September  —  zwei  Tage  nach  der  mörderischen  Schlacht  bei  ßorodino  —  aus  Mosaisk 
datirt  Darus  Dankschreiben  für  die  unverdiente  Ehre,  die  einem  Manne  erwiesen  sei,  „dont 
tout  le  merite  —  si  c'en  est  un  —  est  de  faii"e  profession  d'aimer  les  lettres  et  qui  apprecie 
infiniment  l'houneur  d'appartenir  a  uue  sociäte  justement  celebre  oü  se  distinguent  tant  d'hommes 
aussi  eminents  par  leurs  vastes  connaissances  quo  par  leurs  talents."  Einen  besondern  Dank 
lüchtete  Daru  noch  an  Beck  „moins  pour  tout  ce  que  la  politcsse  lui  a  fait  dire  que  pour 
le  plaisir  que  m'a  fait  la  lecture  de  son  beau  discours." 

Aber  noch  vor  dem  Einlaufen  dieses  Dankschreibens  hatte  die  Ehrenpromotion  Darus 
für  die  Universität  und  die  an  dem  Acte  zunächst  Betheiligten  ein  unliebsames  Nachspiel  be- 
kommen, dessen  Anlass,  vorher  gar  nicht  ofliciell  zur  Sprache  gebracht,  sondern  wohl  auf 
privater,  mündlicher  Verabredung  beruhend,  auf  die  Gesinnungen,  die  einen  Theil  des  Lehr- 
körpers erfüllten,  ein  überraschendes  Licht  fallen  liess.  Mit  einer  Zuschrift  vom  8.  September 
übersandte  der  Curator  von  Auerswald  dem  Senat  ein  Schreiben  des  Departements  des 
Cultus  und  öffentlichen  Unterrichts  im  Ministerium  des  Innern  vom  28.  August  1812,  welches 
Auskunft  darüber  verlangt,  weshalb  in  dem  für  Daru  ausgefertigten  Diplome  nicht  nur  die 
herkömmliche  Eingangsformel  („Q.  D.  B.  V.  Auspiciis  sapientissimis  felicissimisque  serenissimi 
et  potentissimi  Principis  ac  Domiui  Priderici  Guilelmi  III,  Regis  Borussorum  etc.,  Regis  et 
Domini  nostri  longe  clementissimi")  durch  eine  ganz  ungewöhnliche  („Auctoritate  cum  anti- 
quissimis  Europae  litterarum  universitatibus  tum  Albertinae  ab  illustrissimis  principibus  con- 
cessa,  ab  augustis  Regibus  imprimisque  Friderico  Guilelmo  III.  etc.  confirmata")  ersetzt,  son- 
dern auch  der  Name  Friedrich  Wilhelms  III.  sowohl  wie  der  des  als  Rector  aufgeführten  Kron- 
prinzen ohne  jeden  Zusatz  genannt  sei,  d.  h.  unter  Weglassung  des  Königlichen  und  Kronprinz- 
lichen Titels  von  Preussen,  beinahe  so,  als  ob  es  einen  preussischen  Staat,  einen  König  und 
einen  Erben  desselben  überhaupt  nicht  mehr  gäbe.  Angesichts  dieser  Thatsache  wollte  das 
Departement  wissen,  ob  die  Diplome  der  juristischen  Facultät  oder  vielleicht  gar  überhaupt 
die  Königsberger  Diplome  so  gefasst  wären,  und  dann,  wenn  dies  nicht  der  Fall,  wer  diesem 
eine  solche  Fassung  gegeben  und  was  ihn  dazu  bestimmt  habe.  Charakteristisch  nicht  bloss 
für  den  Mann,  sondern  auch  für  gewisse  damals  noch  vorhandene  Strömungen  ist  die  Art, 
wie  der  Verfasser  des  Diploms,  der  unlängst  erst  von  Leipzig  nach  Königsberg  berufene 
Professor  Beck,')  der  von  ihm  begangenen  Tactlosigkeit  alles  Anstössige  und  Bedenkliche  zu 
nehmen  suchte.  „Ich  glaubte  zu  fühlen,"  sagt  er  in  seinem  Rechtfertigungsschreiben  an  Pro- 
rector und  Senat,  „dass  auf  einen  ungewöhnlichen  Fall  die  gewöhnliche  Form  nicht  füglich  an- 
wendbar sei,  sogar  dass  es  vielleicht  schicklich  war,  Se.  Königliche  Majestät  und  Se.  König- 
liche Hoheit    bei    dem  Vorfall   ganz  wegzulassen.      Ew.  H.  H.  billigten    diese  Ansicht  nicht. 


1)  S.  41.  42. 


45 

uml  HO  riilirte  icli  So.  Königliche  Majestät  —  für  doii  wir  Ja  alle  wolil  ghHdic  Gcfiilili;  aiicli 
ohne  den  besonderen  Titel  bogen,  der  sich  hier  ohnehin  schon  ans  der  Wirkung  ergab  — 
als  unsern  Beherrscher,  als  den  Schützer  und  Beförderer  der  akademischen  Freiheit,  So. 
Königliche  Hoheit  aber  in  dem  nächsten  Verhältnisse  zur  Universität,  als  Rector  Magniflcen- 
tissimus  auf"  Ausser  „in  dem  Ungewöhnlichen  der  ganzen  Sache"  will  Beck  die  Gründe  zu 
zu  der  von  ihm  beliebton  Aenderung  entnommen  haben  auch  dem  Beispiel  anderer  Uni- 
versitäten: Eingang  und  Anordnung  des  angefochtenen  Diploms  seien  genau  demjenigen  nach- 
gebildet, das  die  Helmstädter  Universität  1808  dem  Bruder  Darus,  dem  Grafen  Martial  Daru 
und  Johannes  von  Müller  verliehen  hätte.  Durch  die  ungewöhnliche  Eingangsformel  habe  er 
„lediglich  das  Verhältniss  der  Reihenfolge  der  Regeuten  von  der  Stiftung  der  Universität 
bis  auf  Se.  Königliche  Majestät  bezeichnen  wollen."  Nach  seinen  Leipziger  Erfahrungen  habe 
er  eine  solche  Abweichung  um  so  weniger  für  bedenklich  gehalten,  je  weniger  er  „bei  dei- 
bekannten  Liberalität  der  Königlich  preussischen  Regierung  in  dem  bloss  Gewöhnlichen  etwas 
Unabänderliches  erblickte." 

Die  Regierung  urtheilto  anders.  Auf  Becks  gewundene  Erklärung  l'ür  die  ungewöhn- 
liche Eingangsformel  einzugehen,  erschien  ihr  unnütz,  obgleich  die  Wendung  von  der  „Auctoritas 
Caesarea",  auf  der  die  Privilegien  der  Universität  beruhen  sollten,  „des  möglichen  Miss- 
verständnisses wegen  gerade  in  diesem  Falle  hätte  vermieden  werden  sollen."  Die  ITir  Weg- 
lassung des  Königliclum  und  des  Kronprinzlichen  Titels  vorgebrachten  Gründe  seien  eher  ge- 
eignet den  Vorgang  in  ein  noch  ungünstigeres  Licht  zu  stellen  als  zu  entschuldigen.  „Das 
Departement  wenigstens,  hiess  es  da,  kann  sich  keinen  zu  billigenden  Grund  denken,  warum 
man  sich  Sr.  Majestät  und  Sr.  Königlichen  Hoheit  Namen  zu  nennen  hier  hätte  scheuen 
sollen  oder  durch  den  jetzt  ergriffenen  Ausweg  aus  irgend  einer  Verlegenheit  zu  ziehen 
nöthig  gehabt  hätte.  Der  Lapidarstyl  —  auf  den  sich  Beck  u.  A.  berufen  hatte  —  ent- 
schuldigt hierin  nichts,  da  er  auch  auf  die  anderen  auf  diesem  Diplom  vorkommenden  Titel  niclit 
Einfluss  gehabt  hat,  und  gerade  dieser  wegen  ist  es  höchst  auflallend,  dass  der  Senat  in 
diesem  Fall  eine  Abweichung  von  der  herkömmlichen  Formel  gestattet  hat,  wo  sie  am 
wenigsten  hätte  stattfinden  sollen.  Die  Sache  betrifft  nicht  eine  blosse  Form,  sondern  ein 
diplomatisches  Versehen,  welches  das  Departement,  wenn  es  in  seine  Gründe  nicht  weiter 
eindringen  will,  seiner  Pflicht  gemäss  nicht  ungerügt  lassen  darf  und  dessen  Missbilligung  es 
dem  Senat,  unter  dessen  Autorität  es  begangen  worden,  mehr  als  dem  Professor  Beck,  der 
als  ein  Neuling  im  Preussischen  Staat  zu  entschuldigen  ist,  hierdurch  zu  erkennen  giebt." 
Schliesslich  werden  der  Senat  und  durch  ihn  die  Facultäten  angewiesen  sich  in  den  Diplomen 
hinfort  strengstens  an  die  herkömmliche  Formol  zu  halten,  da  sonst  nicht  bloss  ein  Neudruck 
der  betreffenden  Diplome  verfügt,  sondern  aucli  dem  Schuldigen  eine  strenge  Rüge  ertheilt 
werden  würde. 

Der  Vorfall  ist  charakteristisch.  Er  zeigt,  wie  entsittlichend  der  Cultus  der  fran- 
zösischen Sieger  auf  Männer  und  auf  Kreise  wirkte,  von  denen  man  nach  ihrer  Bildung  und 
Stellung  hätte  annehmen  sollen,  dass  sie  wenigstens  zu  schweigen  gelernt  und  ein  Gefühl 
dafür  gehabt  hätten,  was  sie  in-  solchen  Zeiten  als  Lehrer  der  akademischen  Jugend  zu  thun 
und  zu  lassen  hatten.     Selbst  wenn  man  die  dem  verrufenen  Peiniger  Preussens  dargebrachte 


_  46 

Huldigniig  bloss  aus  wissouacLal'tliclieu  Gründen  herleiten  wollte,  bleibt  es  doch  ein  seltener 
Beweis  unpatriotischer  Gesinnung  oder  sträflicher  Gedankenlosigkeit,  in  einem  derartigen 
Actenstück  vor  aller  Welt  das  Dasein  des  preussischen  Staats  durch  Auslassung  des  seinem 
König  und  dessen  Erben  gebührenden  Titels  gleichsam  in  Frage  zu  stellen.  Dass  Beck  untei' 
dem  Einfluss  seiner  sächsischen  Erinnerungen  so  handelte,  ist  zur  Noth  begreiflich:  dass  die 
iibrigen  Professoren  so  etwas  geschehen  Hessen,  beweist  jedenfalls,  dass  die  an  der  Albertina 
1807/8  eingeleitete  Erneuerung  bisher  mehr  äusserlich  als  innerlich  gewesen  war  und  in  der 
Hauptsache  erst  nocii  geleistet  werden  sollte.  Wenn  aber  Beck  sich  seit  diesem  Zwischenfall 
in  Königsberg  unbehaglich  fühlte,  so  kann  das  nicht  wunder  nehmen.  Weihnachten  1812  erbat 
und  erhielt  er  einen  14tägigen  Urlaub  zu  einer  Reise  nach  Sachsen.  Ohne,  wie  ihm  für 
diesen  Fall  aufgegeben  war,  Nachurlaub  zu  erbitten,  blieb  er  weg;  sein  Gehalt  wurde  gesperrt: 
erst  nach  längerer  Zeit  sandte  er  sein  Entlassungsgesuch  ein,  um  als  Regierungsräth  in 
Sachsen-Meiningensche  Dienste  zu  treten.')  Daru  aber  hat  die  ihm  unter  so  eigenthümlichen 
Umständen  von  der  Albertina  erwiesene  Ehre  nicht  vergessen,  und  1819  übersandte  er  der 
Universität  mit  einem  vom  24.  Juli  datirten  Schreiben  ein  Exemplar  seiner  Geschichte 
Venedigs,  wofür  Prorector  und  Senat  ihm  unter  dem  28.  August  in  einem  von  Lobeck 
redigirten  lateinischen  Schreiben  ihren  Dank  abstatteten. 

■Ob  man  Daru  zum  Ehrendoctor  gemacht  haben  würde,  wenn  man  hätte  ahnen  können, 
welche  Katastrophe  noch  kein  halbes  Jahr  später  von  der  grossen  Armee  nur  elende  Trümmer 
nach  Königsberg  zurückgelangen  lassen  würde?  Was  als  ein  unsicheres,  kaum  glaubliches 
Gerücht  umgelaufen  war,  erwies  sich  mit  dem  Beginn  des  neuen  Jahres  als  Wirklichkeit  und 
erweckte  plötzlich  längst  begrabene  Hoffnungen.  Am  Abend  des  4.  Januar  1813  sah  man 
von  der  Stadt  aus  den  Horizont  geröthet  von  den  Feuern  der  nahen  russischen  Bivouacs. 
Immer  eiliger  wurde  der  Rückzug  der  noch  in  der  Stadt  gebliebenen  französischen  Heeres- 
theile.  Hier  und  da  drohte  die  Erregung  des  Volks  Raub  und  Gewalt  gegen  die  mit  der 
Fortschaffung  der  Proviantvorräthe  u.  s.  w.  beschäftigten  Nachzügler.^)  Schon  in  der  nächsten 
Nacht  rückten  die  ersten  Russen  ein,  und  am  folgenden  Tage  zog  das  Corps  des  Generals 
Grafen  Wittgenstein  zur  Verfolgung  der  fliehenden  Franzosen  durch  die  Stadt.  Der  Befehls- 
haber wurde  Abends  bei  seinem  Erscheinen  im  Theater  jubelnd  begrüsst,  doch  vereitelte  sein 
eiliger  Aufbruch  den  Empfang  der  Professoren  Hüllmann  und  Vater,  die  ihn  im  Namen 
der  Universität  bewillkommnen  sollten.^)  Der  zum  Gouverneur  von  Königsberg  bestellte 
General  Graf  von  Sievers  bewilligte  allen  akademischen  Gebäuden  Sicherheitsposten.  Am 
8.  Januar  rückte  York  ein:  in  feierlichem  Zuge  begrüssten  ihn  die  Studenten  der  Albertina, 
an  ihrer  Spitze  als  Sprecher  der  älteste  Sohn  des  Curators  von  Auerswald,  Hans  von  Auers- 
wald,  der  nachmals  (17.  September  1848)  sein  Leben  unter  den  Händen  des  Frankfurter 
Pöbels  beschliessen  sollte.  Sein  jüngerer  Bruder,  Rudolf  von  Auerswald,  1807/8  der  Spiel- 
gefährte und  seitdem    der    vertraute  Freund    des  Prinzen  Wilhelm    und    zur  Zeit    der    neuen 


1)  Univ.-Acten  B.  33. 

2)  Schmidt  a.  a.  O.  S.  260-61. 

3)  V.  3. 


47 

Aera  Minister,  hatte  unter  York  bereits  den  russischen  Peldzug  mitgemacht.  Am  21.  Januar 
kam  der  Freiherr  von  Stein  in  Königsberg  an. 

An  dem  unvergesslich  Grossen,  was  in  den  nächsten  Tagen  und  Wochen  geschah, 
hat  die  Albertina  einen  unmittelbaren  Antheil  nicht  gehabt:  denn  August  Wilhelm  Heide- 
mann  gehörte  ihrem  Lehrkörper  seit  October  1810  nicht  mehr  an.')  Als  einer  der  Be- 
gründer der  ostpreussischen  Landschaft  eng  verwachsen  mit  der  Provinz,  als  Oberbürger- 
meister hochangesehen  in  den  bürgerlichen  Kreisen,  einflussreich  bei  dem  gemeinen  Mann, 
auf  den  er  dui'ch  die  Herausgabe  des  „Bür.gerblattes"  patriotisch  erweckend  wirkte,  schloss 
er  sich  begeistert  dem  Vorgehen  der  preussischen  Stände  an  und  erwarb  sich  als  Secretär 
der  von  dem  Landtage  ernannten  Generalcommission  für  die  Errichtung  der  Landwehr  in  rast- 
loser Thätigkeit  die  grössten  Verdienste,  auf  Kosten  freilich  seiner  zarten  Gesundheit:  die 
Folge  war  ein  frühzeitiger  Tod,  den  auch  er  „für  König  und  Vaterland"  (15.  November  1813) 
starb.  Auf  dem  alten  Löbenichtschen  Kii'chhof,  heute  in  den  Anlagen  vor  dem  Königsthor, 
ist  sein  mit  einem  Denkmal  geschmücktes  Gi"ab.^)  Ein  Abglanz  seines  Ruhmes  fällt  auch  auf 
die  Albertina,  der  er  einst  angehöi-t  hatte.  Von  seinem  Geiste  aber  war  selbst  in  jenen 
grossen  Tagen  bei  seinen  ehemaligen  Collegen  nur  wenig  zu  spüren. 

Nur  zum  Theil  erklärt  sich  das  aus  der  Weltfremdheit  des  damaligen  Gelehrtenthums. 
Audi  war  mau  unzufrieden  mit  der  neuen  Ordnung  der  Dinge,  der  so  manches  alte  Vorrecht 
zum  Opfer  gefallen  war.^)  Manche  mochten  Stein  nicht  recht  trauen  und  fürchteten,  er  suche 
Preussen  an  Russland  zu  bringen.  So  fand  denn  auch  der  Prorector,  der  Theologe  Graf, 
keinen  Beifall,  als  er  auf  Veranlassung  Heidemanns  im  Kreise  der  Universität  eine  Samm- 
lung veranstalten  wollte,  deren  Ertrag  zur  Ausrüstung  der  Landwehr,  namentlich  zur  Be- 
schaffung der  Pferde  für  die  dem  König  zur  Verfügung  zu  stellenden  Escadrons  freiwilliger 
Reiter  verwendet  werden  sollte.  Herbart  schlug  vor,  die  Beisteuer  zu  diesem  besonderen 
Zweck  abzulehnen  und  sich  auf  die  Ausstattung  der  ins  Feld  ziehenden  Studirenden  zu  be- 
schränken, indem  man  gemeinsam  das  zu  ihrer  Einkleidung  nöthige  Tuch  einkaufte. 

Anders  stellte  sich  die  studirende  Jugend  zu  dem  nationalen  Befreiungskampfe. 
Audi  hier  eilten  viele  sich  den  Streitern  für  das  Vaterland  einreihen  zu  lassen.  Aus  späteren 
Angaben  entnehmen  wir,  dass  die  meisten  bei  den  Jägerabtheilungen  eintraten,  welche  bei 
dem  Ostpreussischen  Infanterie-Regiment,  dem  Ostpreussischen  Grenadierbataillon,  dem  Leib- 
füsilier- und  dem  Pommerscheu  Leibgrenadierbataillon  und  bei  den  Regimentern  der  Lithauischen 
Dragoner,  der  Leibhusaren  und  der  Nationalhusaren  gebildet  wurden.  Als  Genossen  der 
Lützower  Freischaar  werden  nachmals  Eduard  Viktor  Stern,  stud.  theol.  aus  Sensburg, 
und  Ernst  Ludwig  Sembeck,  stud.  jur.  aus  Rastenburg,  genannt.  Wie  viele  von  den 
Studirenden  der  Albertina  damals  überhaupt  dem  Rufe  des  Vaterlandes  folgten,  ist  nicht 
mit  Sicherheit  zu  ermitteln;')  noch  weniger  lassen  sich  alle  Namen  der  damals  Eingetretenen 

1)  S.  24.  2il  tX.  :!8. 

2)  Altpreuss.  Monat.s.schria  T,  S.  .380.  570. 

3)  Vgl.  S.  37. 

4)  Aus  den  Angabon  Iwi  ^HaI•tlIng)  A  kailemisclics  I'Iri  nncru  ngsliuch  l'iir  die,  welche  in  den 
. Fahlen  17.S7  bis  1817  die  Kiinigsberger  Universililt    bezogen    haben  (Kiinigsbei-g  1825),    ergeben    sich  4(j  als  frei- 


48 

zusanimenbriugeii.  Vod  dem  Geiste  aber,  welcher  damals  in  der  Albertiiia  emporflammte, 
geben  die  Reden  ein  schönes  Zeugniss,  in  denen  Lob  eck  als  Professor  der  Eloquenz  bei 
den  akademischen  Feierlichkeiten  auf  die  grossen  Zeitereignisse  Bezug  nahm,  erst  in  düsterer 
Sorge,  dann  in  freudiger  Hoffnung,  froh  des  Aufschwunges,  den  Kunst  und  Wissenschaft  nacli 
gewonnenem  Frieden  nehmen  werden.  Denn  Napoleon  ist  auch  ihm  besonders  als  Unter- 
drücker des  freien  wissenschaftlichen  Geistes  verhasst. ')  Den  aus  dem  Felde  heimkehrenden 
Studirenden  bereitete  man  nach  dem  ersten  Pariser  Frieden  einen  feierlichen  Empfang  in 
dem  grossen  akademischen  Hörsaal.  Auch  fanden  sie  bei  der  Vei-gebung  der  Stipendien 
besondere  Berücksichtigung:  nur  erwiesen  sich  die  dazu  verfügbaren  Mittel  unter  solchen 
Umständen  als  unzureichend,  da  u.  A.  in  Folge  der  Kriegswirren  die  Zinsen  von  Stiftungs- 
geldei'n  im  Betrage  von  14  000  Thlrn.  nicht  eingegangen  waren.  Die  ausserordentliche  Bei- 
hilfe, welche  die  Regierung  bewilligte,  diente  für  manchen  Empfänger  dazu,  sich  1815  von 
Neuem  zum  Kampfe  auszurüsten.^)  Als  dann  durch  diesen  die  wider  Erwarten  erneute 
Gefahr  endgiltig  beseitigt,  als,  um  mit  Lobeck  zu  reden,  „der  finstere  Alastor  ins  klanglos 
dumpfe  Höllenreich  der  Nacht"  hinabgesunken  und  Friede  und  Ordnung  wiederhergestellt 
waren,  da  veranstaltete  der  Prorector  Burdach  am  18.  Januar  1818  ein  Festmahl,  zu  dem 
44  Studirende,  welche  im  Felde  gestanden  hatten,  als  Gäste  geladen  waren.^)  Auch  be- 
willigte die  Regierung  noch  1258  Thlr.,  die  über  die  stiftungsmässigen  Beneficien  hinaus  zur 
Unterstützung  von  im  Ganzen  53  zur  Universität  zurückgekehrten  Combattanten  verwendet 
wurden.  Aus  den  dabei  zusammengestellten  Listen  ersehen  wir,  dass  von  Königsberger  Stu- 
direnden als  freiwillige  Jäger  mitgemacht  hatten  die  Feldzüge  1813/14  34,  von  1815  28  und 
sowohl  die  von  1813/14  wie  die  von   1815  15,  davon  4  als  Officiere.*) 

Unmittelbar  nach  dem  Frieden  nahm  die  Regierung  auch  die  Reorganisation  der  Al- 
bertina wieder  auf,  bemüht  dui-ch  verdoppelte  Freigebigkeit  nachzuholen,  was  ihr  im  Drange 
der  Nothjahre  zu  thun  unmöglicli  gewesen  war.  Bereits  am  6.  März  1816  verkündete  eine 
königliche  Cabinetsordre  Proi-ector  und  Senat  die  Bewilligung  eines  neuen  Zuschusses  von 
12000  Thaler  jährlich.  Zugleich  kam  man  auf  die  Revision  der  Statuten  zurück,  ohne 
die  eine  gründliche  Erneuerung  nicht  durchführbar  war.  Die  theilweise  Aenderung  derselben 
von  1811  hatte  nämlich  nicht  den  erwarteten  Erfolg  gehabt;  namentlich  hatte  sich  die  Auf- 
nahme aller  Ordinarien  in  den  Senat  nicht  bewährt.  Der  Curator  sah  sich  (24.  October  1816) 
zu  einer  nachdrücklichen  Beschwerde  über  die  schlechte  Geschäftsführung  des  Senats  genöthigt: 
das  Personal  desselben  sei  jetzt  zu  gross,  von  den  Mitgliedern  seien  viele  unpraktisch,  andere 
launenhaft  und  nur  bestrebt,  um  jeden  Preis  ihre  Meinung  durchzusetzen.  Die  Folge  seien 
Anträge  der  wunderlichsten  Art,  deren  Zustandekommen  bei  der  Verständigkeit  aller  einzelnen 

willig  eingetreteu,  13  als  gefallen.  Das  Eiserne  Kreuz  2.  Klasse  erwarben  damals  3,  einer  (Ernst  Theodor  Boretius, 
nachmals  Stadt-  und  Landrichter  iu  Krotoschin)  den  russ.  Annenorden  4.  Kl.  und  den  Ehrendegen  für  Tapfer- 
keit. Wenn  daselbst  S.  2G0  die  Gesammtzahl  der  ehemals  der  Albertina  Angehörigen,  die  1813 — 15  als  Frei- 
willige focliten,  auf  über  500  geschätzt  wird,  so  entzieht  sich  das  jeder  Controle,  scheint  aber  stark  übertrieben. 

1)  Lehner  dt,  Auswahl  aus  Lobecks  akademisclien  Beden  (Berlin  1865)  S.  44 — 45. 

•2)  Curator.  A.  84.  SemUsbericht  27.  Dec.  1814  und  Minist.-Erl.  9.  Febr.   1815. 

3)  Burdach,  a.  a.  Ü.  S. 

i)  B.  22. 


Professoren  kaum  begreiflich  sei.  Ueber  die  geringiügigsten  Dinge  entspinnen  sich  endlose 
Discussionen;  Separatvoten  ergingen  in  Menge;  keine  Sitzung  verlaufe  ohne  Gezänk  und  oft 
komme  es  zu  höchst  unschicklichen  Ausbrüchen  der  die  einzelnen  Mitglieder  trennenden  feind- 
lichen Gesinnungen.  In  Folge  dessen  bleiben  selbst  die  friedfertigsten  schliesslich  aus  Wider- 
willen den  Sitzungen  fern.  Der  Curator  machte  daher  den  Vorschlag,  wieder  zu  der  vor  1811 
bestandenen  Einrichtung  zurückzukehren,  mit  der  Aenderung,  dass  nur  in  zwei  Fällen  alle 
Ordinarien  am  Senat  theilnehmen  sollen,  nämlich  bei  wichtigen  Disciplinarfällen  und  bei  der 
Vertheilung  der  Beneficien.  Auch  machte  der  Curator  kein  Hehl  daraus,  wie  er  diese  Gele- 
genheit benutzt  zu  sehen  wünsche,  ,,den  zu  mancherlei  Aergerniss  Anlass  gebenden  Professor 
von  der  Goltz"')  aus  dem  Senat  zu  entfernen,  „zumal  er  bloss  durch  Begünstigung  und 
Rücksicht  auf  seine  Familie  ehemals  zum  Professor  und  Aufseher  eines  Instituts  für  Studirende 
gemacht  worden  ist,  ob  er  gleich  stockblind  ist  und  auch  sonst  weder  der  Universität  noch 
dem  Senat  den  geringsten  Nutzen  schafft."  Zur  Revision  der  Statuten  ernannte  das  Mini- 
sterium diesmal  eine  besondere  Commission,  welcher  zur  Benutzung  bei  ihrer  Arbeit  die  Sta- 
tuten der  Berliner  Universität  und  später  auch  die  von  Bonn  mitgetheilt  wurden.  Auch  die 
Facultäten  sollten  ihre  Statuten  revidiren  und  sowohl  wegen  ihrer  zeitgemässen  Neufassung 
als  auch  wegen  der  sonst  etwa  vorhandenen  Bedürfnisse  das  Nöthige  beantragen.  Denn  die  Regie- 
rung wollte  diesmal  ganze  Arbeit  thun:  ihr  Ziel  war,  wie  sie  im  Lauf  der  sehr  langsam  fort- 
schreitenden Berathungen  am  16.  Februar  1818  durch  von  Auerswald  erklären  Hess,  „die  mög- 
lichste Vervollkommnung  der  wissenschaftlichen  Ausstattung  der  Universität",  in  der  Weise, 
„dass  es  in  einer  Reihe  von  Jahren  keiner  neuen  laufenden  Zuschüsse  zu  ihrer  Unterhaltung 
bedürfte."  Dabei  hatte  sie  namentlich  die  Lehrzweckeu  dienenden  Sammlungen  im  Auge,  und 
sie  verlaugte  Auskunft  über  deren  Zustand  und  die  Beschaffenheit  der  zu  ihrer  Aufbewahrung 
dienenden  Räumlichkeiten,  besonders  über  die  Mineraliensammlung,  welche  die  Universität 
unlängst  aus  Schlesien  erhalten  hatte,  und  das  zu  ihrer  angemessenen  Aufstellung  erforderliche 
Local,  wollte  auch  wissen,  was  sonst  noch  an  neuen  Sammlungen  und  Anstalten  wüuscheus- 
werth  erschiene.^)  Sie  war  dabei  bereit  zu  grossen  Aufwendungen,  sobald  ihr  nur  ein  klares, 
allseitig  angenommenes  Programm  vorgelegt  würde. 

Gerade  das  aber  hatte  seine  Schwierigkeiten.  Denn  wenn  auch  in  Betreff  einzelner 
als  unentbehrlich  oder  als  besonders  wünscheuswerth  bezeichneter  neuer  Institute  in  den  Facul- 
täten und  innerhalb  der  philosophischen  in  deren  verschiedeneu  Gruppen  Einigkeit  herrscht  — 
die  Theologen  z.  B.  wünschten  (19.  März  1818)  die  Errichtung  eines  Predigeraeminars  und 
die  Anstellung  von  Lectoren  für  das  lithauische  und  polnische  Seminar  — ^)  so  machte  sich  doch 
in  Bezug  auf  die  für  die  Gesammtorganisatiou  grundlegenden  Fragen  auch  jetzt  grosse  Mannig- 
faltigkeit der  Meinungen  geltend  und  steigerte  sich  in  einzelnen  Punkten  bis  zu  uuausgleich- 
bareu  principielleu  Gegensätzen.  Eine  besondere  Stellung  nahm  in  dieser  Hinsicht  Herbart 
ein.  Dass  er  die  verschiedenen  Professuren  der  philosophischen  Pacultät  nach  Lehrfächern 
gesondert  und  benannt,  dass  er  die  Facultät  für  die  Vollständigkeit    des  Unterrichts    verant- 

1)  Vgl.  S.  24. 

2)  V.  6. 

3)  Acten  der  theol,  Facultät  U.  1.  I. 


50 

wortlich  gemacht,  dafür  aber  im  Anschluss  au  das  Berliner  Statut  ihr  das  Recht  eingeräumt 
sehen  wollte,  ihre  Ergänzung  zu  verlangen,  war  gewiss  ebenso  richtig,  wie  seine  Forderung, 
dass  die  Doctorwürde  nur  auf  Grund  einer  schriftlichen  Arbeit  und  mündlichen  Prüfung  sollte 
erworben  werden  können.  Ob  er  aber  Recht  hatte,  der  alten  deutschen  Poesie  und  den  histo- 
rischen Hülfswissensehafteu  die  Bedeutung  besonderer  Lehrfächer  zu  bestreiteu,  und  ob  nicht 
vielmehr  die  von  ihm  statt  derselben  geforderte  allgemeine  Litteraturgeschichte  und  Eucy- 
klopädie  der  Wissenschaften')  in  dieser  Hinsicht  anzufechten  waren,  konnte  damals  schliesslich 
eine  oilene  Frage  bleiben,  über  die  es  nicht  zu  schroffen  Conflicten  zu  kommen  brauchte. 
Wenn  Herbart  dennoch  mit  der  Staiutencommission  in  solche  gerieth  und  sich  schliesslich 
grollend  zurückzog,  so  lag  der  Änlass  dazu  auf  einem  andern  Gebiet,  wo  bei  Herbarts  prin- 
cipieller  Schärfe  ein  Ausgleich  nicht  möglich  war.  Nach  allem  nämlich,  was  uns  von  ihm  an 
Aeusserungen  zu  allgemeinen  Fragen  des  akademischen  Lebens  und  Lernens  in  den  Acten 
begeguet,  ist  Herbart  augenscheinlich  kein  Freund  der  gewöhnlich  sogenannten  akademischen 
Freiheit  gewesen,  auch  der  richtig  beschränkten  nicht,  und  wenn  die  Universität  nach  den 
von  ihm  verfochtenen  Principieu  eingerichtet  worden  wäre,  so  würde  sie  bald  einem  grossen 
Seminar  geglichen  haben  und  würden  namenilich  die  Studirenden  der  philosophischen  Di- 
sciplinen  mit  Repetitorien,  praktischen  Hebungen  und  regelmässigen  Prüfungen  nach  Schulart 
für  ihren  künftigen  Beruf  eingeübt  worden  sein.  Auch  in  der  Statutencommission  scheinen 
sich  Herbarts  Vorschläge  in  dieser  Richtung  bewegt  zu  haben,  die  doch  das  akademische 
Lehren  und  Lernen,  wie  es  in  Deutschland  geschichtlich  geworden  und  auf  dem  Boden  des 
Herkommens  sachlich  allein  berechtigt  war  und  allein  berechtigt  ist,  zu  Grunde  zu  richten 
drohten.  So  stiess  Herbart  denn  auch  bei  seinen  CoUegen  auf  einstimmigen  und  entschiedenen 
Widerspruch  und  erbat  und  erhielt  in  Folge  dessen  von  der  vorgesetzten  Behörde  seine  Ent- 
lassung aus  der  Commission.  Von  den  ursprünglichen  Mitgliedern  derselben  war  Hüllmann 
in  Folge  seiner  Berufung  nach  Bonn  ausgeschieden,  der  Mediciner  Eisner  dui-ch  Krankheit 
an  der  Ausübung  seiner  Functionen  behindert.  So  traten  der  Jurist  Dirks  en  und  der  als 
Nachfolger  des  Anatomen  Kelch  von  Dorpat  berufene  Burdach  ein,  welch  letzterer  schnell 
eine  angesehene  und  einflussreiche  Stellung  gewonnen  hatte  und  der  Führer  der  akademischen 
Reformpartei  wurde. 

Besonders  heftig  entbrannte  der  Kampf  zwischen  dieser  und  den  Anhängern  des 
Alten  über  die  damals  zuerst  angeregte  Frage  nach  einer  Verlegung  des  üniversitätsgebäudes 
oder  eigentlich  nach  dem  Bau  eines  solchen.  Denn  nicht  bloss  seine  Entlegenheit,  sondern 
auch  seine  Beschränktheit  und  namentlich  sein  baufälliger  Zustand  Hessen  das  alte  Albertinum 
in  mehr  als  einer  Hinsicht  als  ungenügend  erscheinen,  während  die  übliche  Benutzung  theils 
eio-ener,  theils  gemietheter  Auditorien,  die  weit  aus  einander  lagen,  für  Professoren  und  Stu- 
dirende  mancherlei  Unbequemlichkeiten  mit  sich  brachte.  Gegen  den  vorgeschlagenen  Aus- 
bau des  Albertinums  aber  wurde  mit  Recht  eingewandt,  dass  der  Aufwand  zu  dem  Ergebniss 
in  gar  keinem  Verhältuiss  stehen  würde.  Auch  war  man  darin  einig,  dass  in  Bezug  auf  ihr 
Haus  die  Albertina  schlechter  daran  sei  als  irgend  eine   andere    preussische  Universität.     So 


1)  üutachtea  vom  30.  Mai  1818. 


51 

wurde  der  Gedanke  an  einen  Neubau  nahe  gelegt,  der  freilich  nur  ausführbar  schien,  wenn 
die  alte  historisclie  Stätte  in  dem  engen  Kneiphof  aufgegeben  wurde.  Und  gerade  hierüber 
prallten  die  Meinungen  heftigst  zusammen.  Während  Herbart  in  den  Senatsbericht  den 
Satz  aufgenommen  sehen  wollte,  „die  Verlegung  des  üniversitätsgebäudes  an  einen  andern 
Ort  sei  eine  Sache  von  absoluter  Nothwendigkeit,  wenn  für  die  Universität  gründlich  gesorgt 
werden  solle",  sprachen  sich  andere  ebenso  entschieden  dagegen  aus,  und  der  ältere  Hagen 
wies  den  Gedanken  eines  Neubaues  am  Ende  des  Steindammes  nahe  dem  Wall  mit  Entrüstung 
zurück  als  „nicht  vereinbar  mit  der  Ehre  der  Universität".  Die  gegen  den  Neubau  geltend 
gemachten  finanziellen  Bedenken  veranlassten  von  anderer  Seite  den  Vorschlag,  die  alten 
akademischen  Baulichkeiten  im  Kneiphof,  einer  Geschäftsgegend,  wo  Grund  und  Boden  gesucht 
seien,  zu  verkaufen  und  so  die  nöthigen  Mittel  zu  beschaffen.  Diesen  Gedanken  brandmarkten 
die  Anhänger  des  Alten  fast  wie  ein  Attentat  an  dem  Heiligsten:  seine  Vertreter  zieh  man 
schnöder  Pietätlosigkeit.  Gegen  diesen  Standpunkt  bemerkte  Burda ch  mit  treffendem  Witz, 
20000  Thaler  für  einen  doch  nur  Flickwerk  ergebenden  Umbau  des  Albertinums  aufzu- 
wenden, sei  verkehrt:  „Die  wahre  Pietät  gegen  Männer,  die  Grosses  und  Herrliches  leisteten, 
besteht  darin,  dass  wir  ihren  Sinn  in  unserer  Zeit,  also  auch  im  Grossen  und  nach  den  Be- 
dürfnissen unserer  Zeit,  zu  verwirklichen  streben  und  das  zufällige  Materielle,  das  von  jenen 
Männern  auf  uns  gekommen  ist,  wegwerfen,  sobald  es  störend  eingreift  in  jenes  Streben.  Un- 
schädlich ist  es,  wenn  wir  die  Filzdecke  des  Kopfes,  aus  welchem  die  Kritik  der  reinen  Ver- 
nunft hervorging,  aufbewahren.  Sclaven  des  Vorurtheils,  glebae  ascripti,  sind  wir,  wenn  wir 
die  Erde  und  Steine  zu  verlassen  nicht  wagen,  wo  einst  Albert  seine  Stiftung  eri'ichtete,  un- 
geachtet die  Zeit  andere  Eäume  heischt.  Ich  appellire  an  Alberts  Schatten:  er  wird  selbst 
wollen,  dass  seine  Stiftung  mit  der  Zeit  fortschreite.  Es  wäre  wohl  eine  Verirrung  der 
Pietät,  wenn  wir  den  zerrissenen  Rectormantel  mit  neuen  Lappen  ausflicken  wollten.  Kaiser 
Franz  ist  gewiss  ein  redlicher  Christ,  aber  in  seinem  Reiche  ist  manches  Gebäude  heiliger 
Stiftung,  Kloster  und  Kirche,  an  Privatleute  verkauft  oder  in  Kasernen,  Magazine  oder  dergl. 
verwandelt  worden."')  Doch  drang  Burdach  mit  solchen  Darlegungen  um  so  weniger  durch, 
als  die  dagegen  geltend  gemachten  Bedenken  auch  von  dem  Curator  getheilt  wurden.  Im 
Uebrigen  war  dieser  vortreffliche  Mann  unermüdlich  thätig  für  das  Wohl  der  Albertina,  und 
es  kann  nicht  zweifelhaft  sein,  dass  seine  eingehenden  und  sachkundigen,  ebenso  einsichtigen 
wie  verständnissvollen  Berichte  der  Sache  derselben  von  dem  höchsten  Nutzen  gewesen  sind.  Mit 
grösster  Freigebigkeit  sollte  das  lange  Zeit  Versäumte  jetzt  nachgeholt  werden  durch  Vermeh- 
rung der  Professuren,  Verbesserung  der  Gehälter,  Erweiterung  der  bestehenden  und  Anlegung 
neuer  Institute.  Am  30.  Juni  benachrichtigte  eine  Königliche  Cabinetsordre  die  Universität,  dass 
zu  ihrer  „Vervollständigung"  ein  neuer  jährlicher  Zuschuss  von  12000  Thalern  bewilligt  sei.^) 
In  Aussicht  gestellt  wurden  ferner  ca.  12000  Thaler  zum  Ausbau  des  Albertinums  und 
15000  Thaler  für  das  zu  errichtende  zoologische  Museum  (10000  Thaler  für  den  Bau  und  5000 
Thaler  zur  ersten  Einrichtung).  Ausserdem  kam  man  jetzt  unter  dem  Einfluss  der  mit  der  Restau- 


1)  V.  6. 

2)  Curator.-Act.  A.  48.  III. 


52 

ration  erstarkenden  katholikenfreundlichen  Richtung  zurück  auf  den  schon  früher  erörterten,  auch 
von  Eeidenitz  berührten')  Plan  zur  Erweiterung  der  Älbertina  durch  Hinzufügung  einer  katholi- 
schen theologischen  Facultät,  die  auch  der  Curator  von  Auerswald  nachdrücklich  befürwortete 
unter  Hinweis  einmal  auf  die  Nothwendigkeit  einer  besseren  Bildung  für  den  katholischen  Clerus 
der  ProAänz  und  dann  auf  die  davon  zu  erwartende  Hebung  der  Frequenz  von  Königsberg.^)  In  dem 
Erlass  betreuend  die  Gewährung  eines  weiteren  jährlichen  Zuschusses  von  12000  Thalern 
sprach  der  König  zugleich  seine  Genehmigung  dazu  aus,  „dass  eine  katholisch-theologische 
Facultät  für  das  Bedürfniss  von  Preussen,  zwar  vorerst  in  Braunsberg  errichtet,  deren  künf- 
tige Vereinigung  mit  der  Universität  zu  Königsberg  aber  im  Auge  behalten  und,  sobald  es 
die  Verhältnisse  gestatten,  zur  Ausführung  gebracht  werde."  Diese  Absicht  musste  doch 
einigermassen  befremden  angesichts  des  ausgesprochen  protestantischen  Charakters  der  Alber- 
tina, die  ihr  Stifter  auf  dem  Boden  der  Reformation  und  zu  ihrem  Schutze  errichtet  hatte, 
und  im  Hinblick  auf  das  schöne  Aufwogen  des  protestantischen  Geistes,  von  dem  auch  in 
Königsberg  die  Begehung  der  dritten  Säcularfeier  der  Reformation  im  Herbst  1817  begleitet 
gewesen  war.  Unter  den  bei  dieser  Gelegenheit  vollzogenen  Ehrenpromotionen  fand  beson- 
deren Beifall  die  Ertheilung  der  philosophischen  Doctorwürde  an  den  unermüdlichen,  hoch- 
verdienten Curator  Oberpräsidenten  von  Auerswald,  an  den  mit  Königsberger  Menschen 
und  Dingen  seit  zwei  Menschenaltern  so  eng  verwachsenen  warmherzigen  greisen  Domänen- 
und  Kriegsrath  J.  G.  Scheffner  und  an  den  Oberlandesgerichtsrath  Friccius,  den  Frei- 
willigen von  1806  und  1813,  den  Führer  des  Köuigsberger  Landwehrbataillons. 

So  öffnete  sich  vor  der  Albertina  eine  freundliche  und  im  Vergleich  mit  der  ärm- 
lichen Vergangenheit  fast  glänzende  Zukunft,  für  die  man  namentlich  auch  die  Hebung  der 
tief  gesunkenen  Frequenz  erhoffte.  Dass  man  diese  durch  Zeitungsartikel  befördern  zu 
können  glaubte  und  von  der  Regierung  die  Anweisung  von  Mitteln  zu  einer  derartigen  Press- 
agitation erbat,  erscheint  freilich  als  eine  wunderliche  Befangenheit,  über  die  man  heute  zu 
lächein  geneigt  ist.  Aber  noch  waren  alle  diese  Entwürfe  nicht  verwirklicht,  als  über  die 
preussischen  und  deutschen  Universitäten  jene  Katastrophe  hereinbrach,  die  dem  eben 
erhofften  fröhlichen  Gedeihen  gleich  wieder  Halt  gebot  und  eine  traurige  Aera  der  Unfreiheit 
und  des  Verkümmerns  heraufführte. 


V.  Unter  dem  Druck  der  Karlsbader  Beschlüsse.    1818—24. 

Es  ist  bekannt,  wie  sehr  der  Fortgang  der  deutschen  Eutwickelung  die  Hoffnungen 
enttäuschte,  die  der  Befreiungskampf  für  die  nationale  Einigung  und  die  politische  Ver- 
jüngung des  Vaterlandes  erweckt  hatte;  bekannt,  wie  in  den  Kreisen  der  Studirenden,  die 
als  ernste  Männer  aus  dem  Kampf  heimgekehrt  waren,^)  eine  nationale  Reform  des  deutschen 


1)  S.  5. 

2    Bericht  vom  IG.  Nov.  181ö.  Curator.  A.  03. 

3)  Den  segensreichen,  veredelnden  Binfluss  des  Krieges  auf  die  Studirenden    hebt  auch   Herbart    her- 
For  Ziller,  Herbartreliquien,  S.  207. 


53 

studentlsL-heu  Lebens  erstrebt  wurde,  die  zur  Bildung  der  ßurscheuschafteu  führte;  bekannt 
endlich,  wie  auch  da  nicht  fehlender  jugendlicher  Uebereifer  und  unklarer  Thatendrang  sich 
bei  dem  studentischen  Reformationsfest  auf  der  Wartburg  im  October  1817  in  Demonstrationen 
äusserten,  denen  anfechtbare  Worte  wohlmeinender  akademischer  Lehrer  und  ein  darüber  ent- 
brannter heftiger  Federkrieg  unverdiente  Bedeutung  verschafl'ten.  König  Friedrich  Wilhelm  IIL 
nahm  daran  schweren  Anstoss.  Er  befahl  eine  Umfrage  bei  den  preussischen  Universitäten 
nach  der  Theilnahme  der  Studirenden  an  dem  Wartburgfest:  sie  ergab,  dass  von  Königsberg 
Niemand  dabei  gewesen  war.  Das  trug  der  Albertina  am  30.  November  1817  ein  königliches 
Lob  ein  wegen  des  sie  erfüllenden  „guten"  Geistes,')  während  bereits  am  7.  December  der 
Unterrichtsminister  von  Altenstein  die  strenge  Weisung  erhielt,  sofort  alle  studentischen 
Verbindungen  bei  Strafe  der  Relegation  zu  verbieten.  Diejenigen  Universitäten,  wo  „der  Geist 
der  Zügellosigkeit"  nicht  zu  vertilgen  sein  würde,  erklärte  der  König,  sei  er  entschlossen  aufzu- 
heben. Das  Ueble  war  nur,  dass  man  dem  Geiste  der  Zügellosigkeit  bereits  in  unschuldigen 
patriotischen  Bethätigungen  der  von  nationalem  Sinn  erfüllten  Jugend  zu  begegnen  wähnte. 
Und  au  solchen  fehlte  es  auch  in  Königsberg  nicht.  Ihr  Schauplatz  war  die  Höhe  des 
Galtgarben  mit  ihrem  weiten  Ausblick  auf  die  Hügel  und  Wälder  des  meerumrauschten 
Samland,  wo  der  enthusiastische  alte  J.  G.  Scheffner  inmitten  von  parkartigen  Anlagen 
zur  Erinnerung  an  die  Grossthaten  des  Befreiungskrieges  unter  Anbringung  entsprechender 
Inschriften  ein  weithin  sichtbares  eisernes  Kreuz  aufzurichten  beschlossen  hatte.  Den  18.  Juni 
1818  hatte  die  akademische  Jugend  mit  etlichen  Professoren  „herrlich  und  froh"  bei  dem 
einstweilen  dort  aufgestellten  hölzernen  Kreuz  gefeiert.^)  Als  am  27.  September  die  Stätte 
feierlich  geweiht  wurde,  hielt  der  unlängst  von  Greifswald  nach  Königsberg  berufene  Jurist 
Christian  Friedrich  Mühlenbruch  die  Festrede.^)  Der  Zorn  der  Regierung  galt  zunächst 
freilich  mehr  den  Professoren,  bei  denen  sie  ähnliche  Ansichten  voraussetzte,  wie  sie  in  dem 
Streit  um  das  Wartburgfest  Oken,  Fries,  Luden  u.  A.  geäussert  hatten.  Ein  Erlass  vom 
21.  August  1818  wies  dieselben  deshalb  darauf  hin,  dass  sie  „nicht  bloss  zu  Lehi-ern,  sondern 
auch  zu  Leitern  der  studirenden  Jugend"  berufen  seien.  „Sie  vornehmlich,"  hiess  es, ,, werden 
es  zu  verantworten  haben,  wenn  die  durch  die  grossen  Begebenheiten  unserer  Tage  auf- 
gereizte akademische  Jugend,  die  bei  aufmerksamer  und  weiser  Leitung  im  Fortgang  der 
Zeit  dem  anwachsenden  Geschlechte  Ehre  und  dem  Vaterlande  Segen  bringen  kann,  bei 
Mangel  solcher  Leitung  beiden  verderblich  wird  und  die  Staatsgewalt  durch  wilden  Ausbruch 
nöthigt,  sie  zu  vernichten."  Inzwischen  constituirte  sich  im  October  1818  in  Jena  die 
allgemeine  deutsche  Burschenschaft,  eine  freie  Vereinigung  der  gesammten  deutschen  Burschen- 
schaft zu  einem  Ganzen,  „gegründet  auf  das  Verhältniss  der  deutschen  Jugend  zur  werdenden 
Einheit  des  deutschen  Vaterlandes."  Fast  gleichzeitig  aber  tagte  der  Aachener  Congress: 
Dort    überreichte    der    Bojar   Stourdza   dem    als    Hort    der   europäischen    Ordnung   geltenden 

1)  Schweigger  in  dem   Protest  gegen    den    Erlass    vom    19.    Nov    1819,  JB.  ß3.     Vgl.    v.    'I'reilschke, 
Deutsche  Geschichte  11,  S.  431. 

2)  Scheffner,    Nachlieferung   zu    meinem    I;eben,    S.   43.     Hartungsche    Zeitung    1818,    S.    75.     Vgl. 
G.  Krause,  Das  Landwehrkreuz  auf  dem  Rlnauer  Berge  bei  Galtgarben  in  der  Altpr.  Monatssohr.  Bd.  2G,  S.  583  fl'. 

3)  Hartungsche  Ztg.  1818,  Nr.  118  (11.  October). 


54 

Czaren  seine  „Denkschrift  über  den  gegenwärtigen  Zustand  Deutsclilands",  welche  die  burschen- 
schaftliche Bewegung  als  revolutionär  und  auf  den  Einheitsstaat  gerichtet  darstellte  und 
strenge  Maassregeln  gegen  die  Universitäten  forderte:  „diese  gothischen  Trümmer",  diese 
„Staaten  im  Staate"  sollten  ihrer  alten  Verfassung  beraubt,  die  Studenten  einfach  als  minder- 
jährige Bürger  behandelt  und  zum  Einhalten  fester  Lehrcurse  gezwungen  werden."^) 

Je  mehr  König  Friedrich  Wilhelm  III.  schon  durch  das  Wartburgfest  verstimmt  war, 
um  so  tiefern  Eindruck  machte  diese  neue  Denunciation,  mochten  auch  seine  Minister  ganz 
richtig  urtheilen,  Stourdza  rede  wie  der  Blinde  von  den  Farben.  Aber  auch  jetzt  noch  hielt 
er  sich  zunächst  an  die  Professoren,  die  das  Uebel  verschuldet  haben  und  ihm  daher  auch 
abhelfen  sollten.  Am  16.  Januar  1819  erging  ein  Ministerialdecret,  welches  den  Inhalt  einer 
königlichen  Cabinetsordre  dahin  wiederholte,  „dass  Sie  (des  Königs  Majestät)  nicht  gemeynt  seyen 
freye  Discussion  zu  beschränken,  aber  keinen  Lehrer  auf  den  preussischeu  Universitäten  dulden 
könnten,  der  solche  Grundsätze  aufstellte"  und  „solche  unschickliche  und  unnütze  Dinge 
vortragen  würde,  wie  eine  neulich  erschienene  politische  Schrift  eines  öffentlichen  Lehrers 
—  gemeint  ist  Oken  —  enthielte,  die  besonders  einem  Lehrer  der  Jugend  übel  anstehen 
und  auf  diese  nachtheilig  wirken"  —  und  ferner,  „dass  Se.  Majestät  ihm  (dem  Minister  von 
Altenstein)  zur  Pflicht  gemacht  habe,  darüber  zu  wachen,  dass  solche  Aeusserungen  künftig 
abseiten  auf  preussischen  LTniversitäten  angestellter  Lehrer  nicht  weiter  stattfinden;"  andern- 
falls habe  er  dem  König  sofort  Anzeige  zu  macheu.  Im  Anschluss  daran  wurden  die  Professoren 
belehrt,  „dass  sie  die  Absicht  Sr.  Majestät  und  die  Würde  ihres  Berufs  und  des  ihnen 
anvertrauten  Lehramts  dadurch  am  sichersten  behaupten,  dass  sie  den  nichtigen  Schriftstellern 
des  Tages  sich  nicht  gleich  stellen,  sondern  durch  streng  gelehrte  Forschungen  und  wissen- 
schaftlichen mündlichen  und  schriftlichen  Vortrag  tiefe  Einsicht  und  ernste  Gesinnung  darthun 
und  verbreiten,  die  Wissenschaft  wahrhaft  fördern  und  ihre  Zuhörer  in  gründliches  Studium 
der  Philosophie,  der  Geschichte,  der  Rechte  und  aller  die  Politik  begründenden  Wissenschaften 
fühi-en,  dadurch  aber  durch  Lehre  und  Beispiel  zu  Männern  bilden,  die,  entfernt  von  der 
aus  seichtem  Wissen  entstehenden  Anmassung,  als  gereifte  Eathgeber  an  der  Verwaltung  des 
Staates  Antheil  zu  erlangen  verdienen,  die  Entwicklung  ihrer  Zeit  zu  erkennen  und  in  die 
Leitung  derselben  weise  einzugreifen  vermögen."^) 

Viel  Schlimmeres  aber,  als  man  damals  irgend  befürchten  mochte,  brach  bald  danach 
über  die  Universitäten  herein.  Am  23.  März  1819  wurde  August  von  Kotzebue  zu  Mannheim 
von  dem  Burschenschafter  Karl  Sand  ermordet.  Wie  wir  heute  die-  Genesis  dieser  blutigen 
That  übersehen,  wird  Niemand  das  Recht  und  die  Pflicht  der  Regierung  anzweifeln,  gegen  die 
Quelle  solcher  Verirrungen  einzuschreiten :  aber  weder  was  dazu  geschah,  noch  wie  es  geschah, 
wird  dadurch  gerechtfertigt.  Auch  über  die  Albertina  kam  die  Heimsuchung,  welche  demnächst 
die  ganze  Zukunft  der  deutschen  Universitäten  in  Frage  stellen  sollte. 

Die  That  Sands  machte  gerade  in  Königsberg  besondern  Bindruck.  War  ihr  Opfer 
doch  dort  wohlbekannt  und  hatte  von  früher  her  manche  persönliche  Verbindung,  freilich 
ohne    sich,    wie    es  scheint,  besonderer  Achtung  zu  erfreuen.      Schon   1806/7  hatte  Kotzebue 

1)  V.  Treitschke  II,  S.  485. 

2)  Curat.  S.  58. 


55 

längere  Zeit  iu  Königsberg  zugebracht,  mit  arcbivalischeu  Studien  für  seine  Ge'scbichte 
Preussens  beschäftigt,  bei  denen  ihm  der  trotz  seiner  Blindheit  unermüdlich  betriebsame 
und  unternehmungslustige  Ludwig  von  Baczko  (geboren  1756  zu  Lyck  als  Sohn  eines  in 
preussische  Dienste  getretenen  österreichischen  Ofticiers  katholischen  Bekenntnisses  und  un- 
garischer Abkunft,  zum  Juristen  bestimmt,  aber  seit  1777  völlig  erblindet  und  dadurch  zu 
allerhand,  namentlich  litterarischem  Erwerbe  genöthigt)  zur  Hand  gegangen  sein  will,')  dann 
1809/10^)  zu  gleichem  Zweck,  hatte  aber  in  den  litterarischen  Kreis,  der  sich  unter  dem 
Namen  des  „Blumenkranzes  des  Baltischen  Meeres"  unter  Theilnahme  des  Philologen  Erfurdt 
und  Ellendts,  zeitweise  auch  Delbrücks,  um  Max  von  Schenkendorf  gebildet  hatte,  keine 
Aufnahme  gefunden.  Die  akademische  Jugend  war  ihm  schon  damals  feind,  und  als  er  einst 
auf  der  Durchreise  Abends  das  Theater  besuchte,  wo  man  seinen  „Carolus  Magnus"  gab, 
schlugen  die  Studenten  mit  Knütteln  an  seine  Loge,  zwangen  ihn  das  Haus  zu  verlassen  und 
pfiffen  das  Stück  aus.^)  Das  ging  nun  freilich  nicht  mehr  an,  als  er  Ende  des  Jahres  1813 
als  russischer  Generalconsul  für  die  preussischen  Häfen  nach  Königsberg  zurückkehrte,  ob- 
gleich die  Eolle,  die  er,  von  dem  kleinen  Angely  als  seinem  nie  fehlenden  Adlatus  unter- 
stützt, aus  eigener  Machtvollkommenheit  als  Theatertyrann  und  gefürchteter  Kunstkritiker, 
nicht  minder  aber  auch  als  unerschöpflich  fruchtbarer  Verfasser  von  Komödien  und  Operu- 
texten,  von  Prologen  und  Theaterreden  und  endlich  als  freundlicher  Beschützer  leichtlebiger 
Theaterschönheiten  spielte,  nicht  gerade  geeignet  war,  ihm  grössere  Achtung  zu  ge- 
winnen.*) Doch  fehlte  es  ihm  auch  in  akademischen  Kreisen  nicht  an  Verkehr.  Zu  Burdach 
z.  B.  unterhielt  er  freundschaftliche  Beziehungen;  auch  war  er  Mitglied  der  Deutschen  Ge- 
sellschaft. Am  1.  Juli  1815  wurde  ihm  von  der  philosophischen  Pacultät  „ob  praeclara  cum 
in  rem  litterariam  tum  praecipue  in  antiquam  Prussiae  historiam  merita"  Ehren  halber  die 
Doctorwürde  verliehen.  Begreiflich  genug  also,  dass  die  Kunde  von  Kotzebues  blutigem 
Ende,  das  doch  zu  dem,  was  er  Deutschland  gegenüber  etwa  verschuldet  hatte,  in  keinem 
Verhältniss  stand,'')  in  Königsberg  besonders  tiefen  Eindruck  machte  und  einen  lebhaften 
Meinungsaustausch  veranlasste.  Wie  man  urtheilte,  lässt  des  alten  J.  G.  Scheffner  Tagebuch 
erkennen.  „Um  Herrn  von  Kotzebue,"  so  äusserte  sich  dieser  damals,^)  „ist  es  nicht  schade, 
und  Gottlob,  dass  er  nicht  aufleben  kann,  weil  er  in  letzterm  Fall  sich  seines  wohl  nicht  er- 
warteten Martyrthums  freuen  und  dann  seine  Rabenfeder  noch  mehr  gegen  Pressfreiheit,  Volks- 
repräsentation, Magnetismus,  Universitätswesen  u.  b.  w.  schärfen  würde,  indem  er  nicht  so- 
wohl der  Sache  wegen  als  aus  einem  Drange  hässlicher  Persönlichkeit  hasst."  Und  in  klarer 
Einsicht  in  die  Verhältnisse  fährt  Scheffner  fort:  „Einen  Nutzen  dieser  Ermordung  sehe  ich 
nicht  ab,  wohl  aber  manche  schlimme  Folge  .  .  .  wird  es  doch  nicht  an  Endorschen  Be- 
schwörern fehlen,   die  seinen  Geist   vor    die  Augen  schwachseliger  Säule    zaubern    und    diese 


1)  V.  Baczko,  Aus  meinem  Leben  II,  S    112. 

2j  Scheffner,  Mein  Leben,  S.  224/25. 

3)  Lewald,  Ein  Menschenleben  (Leipzig.  1844)  I,  C>.  295. 

4)  Ebendas. 

5)  Vgl.  V.  Treitschke  II,  S.  433-35. 

(!)  Scheffner,  Nachlieferung  zu  meinem  Leben,  S.  77. 


56 

werden  glauben  machen,  Sauls  Geist  sei  ausgegossen  über  alle  Studenten  von  dem  Wart- 
burgschen  Verbrennen  der  Kamptzscben  Schriften  .  .  .  Und  können  aus  solcher  Furcht 
nicht  grosse  Uebel  für  Deutschlands  Hochschulen  entstehen  und  letztere  zu  britischen  Schul- 
zwingern herabsetzen?"  In  studentischen  Kreisen  urtheilte  man  gewiss  noch  schärfer:  dafür 
hatte  die  Art  gesorgt,  wie  Luden  den  Ermordeten  als  einen  Feind  alles  deutschen  Wesens  an 
den  Pranger  gestellt  hatte.  Namentlich  die  Burschenschaft,  die  seit  Jahresfrist  auch  in 
Königsberg  festen  Fuss  gefiisst  hatte  und  die  tüchtigsten  Elemente  der  Studentenschaft,  u.  A. 
die  von  Dönholf,  von  Auerswald  u.  a.  enthielt,  empfand  es  wie  eine  Herausforderung,  dass 
man  im  Theater  am  2.  Mai  für  Kotzebue  eine  Todtenfeier  veranstaltete.  Das  in  solchen 
Fällen  ehemals  Gewöhnliche  geschah  denn  auch  diesmal:  zwar  „nicht  durch  einen  eigentlichen 
Tumult",  sondern  „durch  laute  Aeusserungen  seines  Missfallens",  so  sagt  der  amtliche  Bericht 
des  Polizeipräsidenten,  „veranlasste  das  Publicum  die  Polizeibehörde,  die  Einstellung  der 
Todtenfeier  zu  verfügen,  um  einer  Ruhestörung  vorzubeugen,  worauf  der  übrige  Theil  der 
theatralischen  Darstellung  ungestört  seinen  Gang  nahm."  Uebrigens  nahmen,  wie  ausdrücklich 
bezeugt  wird,  nicht  bloss  Studenten,  sondern  auch  andere  Zuschauer  Theil  ,,an  den  lauten 
Aeusserungen  des  Missfallens,  welchen  jede  directe  Beziehung  auf  Herrn  von  Kotzebue  fehlte 
und  die  ebenso  gut  auf  den  Dichter  der  Todtenfeier  als  auf  das  sie  darstellende  Personal  be- 
zogen werden  konnten."*)  An  sich  nach  alledem  höchst  harmlos,  entbehrte  dieser  kleine 
Theaterscandal  sicherlich  jedes  politischen  Charakters  und  richtete  sich  in  keiner  Weise  gegen 
die  Regierung.  Eine  derartige  Tendenz  war  auch  der  Burschenschaft  als  solcher  fremd:  in 
der  Königsberger  finden  wir  keine  Spur  von  den  sonst  in  einzelnen  Kreisen  derselben  vor- 
gekommenen Verirruugen,  und  Carl  Ernst  von  Baer,-)  der  jene  Zeiten  als  ein  aufmerk- 
samer Beobachter  mit  der  Albertina  durchlebte,  hat  gewiss  Recht  mit  der  Bemerkung:  „Das 
Streben  nach  vorwärts  war  in  dieser  Zeit  auch  nicht  ein  Streben  gegen  die  Regierung.  Als 
daher  die  Verfolgung  der  demagogischen  Umtriebe  ausbrach,  glaubte  kein  Mensch  in 
Königsberg,  dass  sie  eine  reelle  Veranlassung  hätte,  und  hier  wenigstens  wurde  erst  die  Vor- 
stellung von  seditiösen  Bestrebungen  hierdurch  verbreitet." 

Das  alsbald  entwickelte  System  polizeilicher  Präventiv-  und  Aufsichtsmaassregeln 
konnte  allerdings  nur  erbitternd  wirken.  Dass  der  Besuch  Jenas  den  preussischen  Staats- 
angehörigen verboten  (28.  April)  und  der  Senat  angewiesen  wurde,  auf  die  von  dorther 
kommenden  Studirenden  ein  wachsames  Auge  zu  haben,  war  begreiflich.  Aber  bereits  am 
4.  Mai  1819  erging  ein  Ministerialerlass,  der  dem  Senat  aufgab,  allmonatlich  über  alles  das- 
jenige Bericht  zu  erstatten,  was  in  disciplinarischer  Hinsicht  Merkwürdiges  auf  der  Universität 
vorgefallen  ist,  oder  sofern  erhebliche  Excesse  vorfallen,  davon  augenblicklich  Anzeige  zu 
machen.^)  Ein  Disciplinarfall  nun,  der,  ganz  unabhängig  von  diesen  Vorgängen,  eben  damals 
in  Königsberg  schwebte,  wurde  unter  dem  Einfiuss  dieser  Strömung  der  Ausgangspunkt  für  eine 
umständliche  und  weitverzweigte  Untersuchung,  mit  der  die  Maassregelung  der  Burschenschaft 
und    die    Verfolgung    der    ihr   schuldgegebenen    demagogischen    Umtriebe    auch    auf  der  Al- 

1)  Bericht  des  Prorectors  Dirksen  D.  19. 

2)  C.  B.  von  Baer,  Leben,  S.  337/38. 

3)  D.  19  I, 


57 

bertina  ihren  Einzug  hielten.  Die  Einzelnheiten  des  Vorganges  sind  ebenso  unerfreulich  wie 
charakteristisch,  denn  sie  ofl'enbaren,  was  für  unsaubere  Mächte  sich  damals  um  des  eigenen 
Vortheils  willen  in  den  Dienst  der  Reaction  stellten,  und  von  was  für  Leuten  in  Folge  dessen 
das  Schicksal  des  begabtesten  Jünglings  gelegentlich  abhängen  konnte.  Wenn  es  dennoch 
hier  nicht  zu  solchen  Conflicten  kam  wie  anderwärts,  so  war  das  zum  guten  Theil  das  Ver- 
dienst der  ebenso  maassvollen  und  umsichtigen  wie  energischen  und  würdigen  Haltung  des 
Senats  zwischen  den  um  geringer  Verirrung  willen  auf  das  Aergste  verdächtigten  Studi- 
renden  und  dem  gefährlichen  Uebereifer  der  Behörden. 

Das  unerlaubte  nächtliche  Ausbleiben  eines  der  Alumnen  des  Albertinums  Hess  dessen 
Inspector  Johannes  Voigt  bei  der  dieserhalb  angestellten  Nachfrage  die  Verbindung  des 
Schuldigen  mit  einer  als  „Madame  Eggert"  bezeichneten  Frau  von  leichter  Sitte  in  Erfahrung 
bringen;  weiter  ergab  sich  das  Bestehen  eines  Verhältnisses  zwischen  derselben  übel  be- 
rufenen Person,  die  nebenher  auch  als  „Kartenlegerin  und  Wahrsagerin"  ihr  Wesen 
trieb,  und  einem  älteren  Studirenden  der  Medicin,  Namens  Dieffenbach,  keinem  Andern 
als  dem  nachmals  als  Arzt  und  Chirurg  gefeierten  Johann  Friedrich  Dieffenbach 
(geb.  am  1.  Februar  1794  zu  Königsberg  als  Sohn  eines  Lehrers  am  Friedrichscolleg), 
der  nach  dem  frühen  Tode  des  Vaters  seine  Jugend  in  Rostock,  der  Heimath  der 
Mutter,  verlebt,  seit  1812  dort  und  in  Greifswald  Theologie  studirt,  dann  als  Freiwilliger  bei 
den  reitenden  Jägern  die  Befreiungskriege  mitgemacht  und  nach  der  Heimkehr  1816  in  seiner 
Vaterstadt  Medicin  zu  studiren  begonnen  hatte,  bald  von  seinen  Lehrern  wegen  seines  Fleisses 
und  Talents  bemerkt  und  durch  die  Gewinnung  eines  Accessit  bei  den  akademischen  Preis- 
aufgaben besonders  empfohlen.  Natürlich  vei'suchte  Voigt  den  Jüngling  zur  Lösung  dieses 
anstössigen  Verhältnisses  zu  bestimmen,  das  für  ihn  um  so  verhängnissvoller  zu  werden  drohte, 
als  „Madame  Eggert"  trotz  ihres  notorisch  lüderlichen  Lebenswandels  ihn  als  Vater  eines 
Kindes  in  Anspruch  nahm.  In  rührseligen,  von  geheuchelter  Leidenschaft  erfüllten  Briefen 
beschwor  die  Eggert  Voigt,  nicht  ihr  Lebensglück  zu  vei-nichten,  spielte  die  Tugendhafte,  die 
von  dem  Geliebten  ihres  Herzens  nicht  lassen  könnte,  berief  sich  darauf,  dass  sie  der  Diener- 
schaft der  Königin  Luise  angehört  habe,  einige  Jahre  im  Gefolge  von  deren  schönen  leicht- 
lebigen Schwester  Friederike  gewesen  sei,  die  in  erster  Ehe  mit  dem  Prinzen  Ludwig  von 
Preussen  und  in  zweiter  mit  dem  Fürsten  von  Solms-Braunfels  verheirathet  gewesen  und  dann 
dem  Herzog  von  Cumberland,  nachmaligen  König  Ernst  August  von  Hannover,  die  Hand 
reichte.  Auf  Voigts  Anzeige  hin  leitete  der  Senat  gegen  Dieffenbach  ein  Disciplinarverfahreu 
wegen  ünsittHchkeit  und  Unfleisses  ein,  das  zunächst  zur  Einziehung  der  ihm  bisher  zu- 
fliessenden  Beneficien  führte.  Im  Verlaufe  desselben  Hess  die  Eggert,  die  sich  nach  dem 
Zeugniss  des  Senats  als  eine  „höchst  listige  und  boshafte  Person"  enthüllte  und  „gänzHche 
Entäusserung  aller  weiblichen  Scham"  offenbarte,  verlauten,  sie  habe  durch  Dieffenbach 
Kenntniss  von  dem  Bestehen  einer  Burschenschaft  in  Königsbei-g,  von  deren  Verbindung  mit 
anderen  Burschenschaften  und  den  von  ihr  geplanten  verbrecherischen  Unternehmungen.  Des 
Weiteren  theilte  sie  mit,  Dieffenbach  und  der  Studirende  der  Rechte  Lucas,  der  inzwischen 
als  Auscultator  an  das  Oberlandesgericht  zu  Marienwerder  gekommen  war,  hätten  im  Frühjahr 
1818  in  Jena  an  der  Constituirung  der  allgemeinen  deutschen  Burschenschaft  theilgenommen, 

8 


58 

also  auch  an  der  angeblich  dort  erfolgten  Lossagung  der  Burschenschaft  von  der  bürgerlichen 
Obrigkeit  und  den  dort  geschmiedeten  verrätherischen  Anschlägen  gegen  das  Leben  des 
Kaisers  von  Russland  und  seiner  Vertreter  in  Deutschland,  und  hätten  dann  heimgekehrt  in 
Königsberg  auf  Grund  der  in  Jena  vereinbarten  19  Artikel  eine  Burschenschaft  gegründet 
unter  Dieffenbach  als  Senior:  die  Constitution  derselben  habe  sie  für  Dieffenbach  mehrfach 
abgeschrieben;  auch  sei  in  der  ihr  zu  Gesicht  gekommenen  Correspondenz  Sand  erwähnt 
gewesen.  Ja,  die  Person  wollte  den  damals  durch  Königsberg  reisenden  Kaiser  von  Russ- 
land in  einem  anonymen  Briefe  vor  der  ihm  drohenden  Gefahr  gewarnt  haben. 

Was  von  Unbefangenen  gleich  anfangs  vermuthet  worden  War,  dass  es  sich  um  einen 
niedrigen  Racheact  handelte,  bei  dem  eine  höchst  geriebene  Person  ihr  zufällig  bekannt  ge- 
wordene verfängliche  Thatsachen  mit  damals  umlaufenden  abenteuerlichen  Gerüchten  verwegen 
zu  einem  auf  das  Verderben  ihres  Opfers  berechneten  Lügengewebe  verknüpfte,  bestätigte 
vollauf  die  von  dem  Senate  angestellte  Untersuchung.  Unter  Ausscheidung  der  von  der  Eggert 
sonst  noch  gegen  Dieffenbach  erhobenen  schweren  Anklagen  —  wegen  mehrfacher  Schwänge- 
rung und  Verbrechens  gegen  das  keimende  Leben,  die  man  dem  zuständigen  Gerichte 
überwies,  indem  man  gleichzeitig  die  Einleitung  des  Verfahrens  gegen  die  Denunciantin  be- 
antragte, —  stellte  der  Senat  auf  Grund  eingehender  Verhöre  aller  Betheiligten  und  Kennt- 
nissnahme  von  den  betreffenden  Papieren  fest,  dass  auf  der  Albertina  allerdings  eine  Burschen- 
schaft bestehe,  dass  Versammlungen  gehalten  und  mit  auswärtigen  Burschenschaften  correspon- 
dirt  wai",  dass  eine  Burschenkasse  existire  und  die  Versammlung  eine  Art  von  Gerichtsbarkeit 
über  die  Streitigkeiten  der  Studirenden  geübt  habe,  dass  aber  sträfliche  Zwecke  und  geheime 
Abzeichen  sich  den  Theilnehmern  an  der  Verbindung  nicht  nachweisen  Hessen.')  Auch  dass 
Dieffenbach  und  Lucas  nach  Jena  geschickt  und  die  Stifter  der  Burschenschaft  waren,  wurde 
nicht  in  Abrede  gestellt.  AU'  das  wai",  wie  der  Senat  in  seinem  Bericht  an  den  Curator 
von  Auerswald  zugab,  ohne  Frage  unerlaubt,  aber  erklärlich  und  entschuldbar  aus  „der  Auf- 
regung der  Gemüther  durch  die  seit  sechs  Jahren  stattgehabten  politischen  Ereignisse". 
„Damals  versuchte  man,"  bemerkte  der  von  dem  Prorector  Dirksen  verfasste  Bericht  treffend, 
„von  allen  Seiten  auf  die  Studirenden  zu  wirken  und  auch  sie  von  der  Idee  zu  durchdringen, 
dass  alle  Deutschen  als  ein  einziges  Volk  sich  betrachten  müssen,  wovon  der  Plan  der  Stu- 
direnden zu  einer  allgemeinen  Verbindung  unter  sich,  welche  der  Spaltung  in  Orden  und 
Landsmannschaften  entgegenvvii-ken  sollte,  eine  natürliche  Folge  war.  Hat  nun  die  Burschen- 
schaft ihren  Ursprung  einer  Idee  zu  verdanken,  deren  Verbreitung  Deutschland  seine  Errettung 
schuldig  ist,  rührt  ihre  erste  Einrichtung  von  solchen  Individuen  her,  welche  an  der  Befreiung 
Deutschlands  rühmlichen  Antheil  genommen  haben,  und  zählt  sie  unter  üu-en  Vorstehern,  was 
hier  bis  jetzt  notorisch  der  Fall  war,  Jünglinge,  welche  durch  Fleiss,  Talente  und  Sitten  sich 
vor  allen  Anderen  rühmlich  auszeichnen,  so  hat  sie  an  sich  schon  gerechte  Ansprüche  auf 
schonende  Behandlung."  Eine  Störung  der  Ruhe  Deutschlands  durch  die  Burschenschaft 
erklärt  der  Senat  für  ausgeschlossen:  woher  sollte  sie  wohl  die  Mittel  dazu  nehmen?  Höchstens 
sei  zu  fürchten,    dass    sie    einem    oder  dem  andern  Studirenden  -ein  Vehikel  des  Unfleisses" 


1)  Senat  an  den  Curator  den  24.  Juni  1819,  Curator.  Commias.  18. 


59 

würde.  Ueberhaupt  sei  an  der  hier  und  da  zu  Tage  tretenden  Verwirrung  nur  die  verkehrte 
Behandlung  Schuld,  welche  die  Sache  in  den  Zeitungen  erfahren  habe:  dadurch  erst  sei  den 
Studenten  ein  „nie  geahntes  Gefühl  der  Wichtigkeit"  eingeflösst  und  der  Burschenschaft  eine 
ihr  gar  nicht  zukommende  Anziehungskraft  verliehen.  Von  diesen  durchaus  treffenden  Er- 
wägungen aus  empfahl  der  Senat  dem  Curator,  die  Burschenschaft  „als  eine  gleichgiltige  und 
rechtlich  nicht  existirende  Sache  äusserlich  zu  behandeln"  und  damit  folgende  Maassregeln  zu 
verbinden:  das  Verbot  jeder  Verbindung  mit  auswärtigen  Burschenschaften  und  jeder  Art 
von  angemasster  Gerichtsbarkeit  über  die  übrigen  Studirenden;  Verantwortlichkeit  der  Vor- 
steher für  jede  Unordnung  oder  Ausschreitung;  strenge  Controle  der  mit  Beneficien  aus- 
gestatteten Burschenschafter  rücksichtlich  ihres  Pleisses.  Nur  mit  dem  letzten  Theile  dieser 
Vorschläge  war  der  Curator  nicht  einverstanden,  da  er  mittelbar  eine  Anerkennung  der 
Burschenschaft  enthielte:  er  empfahl,   die  Entscheidung  des  Ministeriums  einzuholen  (9.  Juli). 

Demgemäss  wurde  verfahren.  Obgleich  er  dabei  blieb,  dass  die  von  ihm  eingesehenen 
Papiere  nichts  Compromittirendes  enthielten  und  insbesondere  das  vorgelegte  Protokoll  der 
Jenenser  Verhandlungen  jeden  Schein  einer  politischen  Tendenz  der  Burschenvereine  zerstörte, 
meinte  der  Senat  nun  doch,  „er  dürfe  sich  nicht  getrauen,  in  dieser  Sache  irgend  ein  Urtheil 
abzufassen  oder  irgend  eine  weitere  Maassregel  zu  ergreifen,  da  dieselbe  so  sehr  in  die  Staats- 
verhältnisse eingreife,  und  gebe  daher  mit  Einreichung  der  Acten  die  weitere  Verfügung  den 
hohen  und  höchsten  Behörden  anheim."^)  Jn  Berlin  dachte  man  nun  aber  ganz  anders  als  der 
milde  und  vorurtheilelose  von  Auerswald.  Strengste  Untersuchung  wurde  angeordnet,  und 
an  den  Curator  erging  die  Mahnung,  „durch  Wachsamkeit  über  das  Benehmen  der  Professoren 
und  Studenten  in  aller  Hinsicht  Nachtheil  von  der  seiner  Obsorge  anvertrauten  Anstalt  ab- 
zuwenden." 

Damit  trat  die  Sache  auch  für  Königsberg  in  ein  neues  Stadium.  Die  Polizei  nahm 
sich  ihrer  an:  Beschlagnahme  der  Briefe  und  Papiere  der  verdächtigen  Studirenden  unter 
Erbrechung  ihrer  Schränke  und  Koffer,  Beaufsichtigung  und  Abfangen  ihrer  Correspondenz 
und  ähnliche  Maassregeln  sollten  die  Beweise  für  die  hochverrätberischen  Umtriebe  der 
Königsberger  Burschenschaft  erbringen.  Die  Untersuchung  zog  immer  weitere  Kreise.  Selbst 
akademische  Lehrer  wurden  in  sie  verstrickt.  Unter  den  Papieren  des  Auscultators  Lucas 
(geb.  1796  zu  Petrikau,  1815  mit  im  Felde),  die  in  Mai-ienwerder  mit  Beschlag  belegt  wur- 
den, fand  sich  ein  Brief  des  gleichfalls  der  Burschenschaft  angehörigen  Studiosus  Eduard 
Friedrich  Heinel,^)  worin  dieser  dem  Freunde  von  einem  Besuche  bei  Johannes  Voigt  und 
von  dessen  erster  Vorlesung  über  preussische  Geschichte  berichtete.  Der  Vorgang  ist  zu 
charakteristisch  für  die  ganze  Zeit,  um  nicht  erwähnt  zu  werden.  Am  19.  März  1819  hatte 
Heinel  an  Lucas  geschrieben:  „Dienstag  war  ich  bei  Voigt,  ihm  meinen  Gruss  von  Gabler 
und  Dir  zu  bringen  und  mich  zugleich  zu  seinem  Collegium  zu  melden.  Er  war  äusserst 
freundlich,  erkundigte  sich  viel  nach  Dir,  lässt  Dich  um  Verzeihung  bitten,  dass  er  Dir  noch 
nicht  geschrieben.  Darauf  kam  er  von  selbst  auf  Sand  und  konnte  nicht  müde  werden,  dessen 
That  zu  loben.     Wie  er  sie  lobte,  Dir  zu  schreiben  würde  zu  viel  Zeit  fortnehmen.     Er  schloss 

1)  D.  20.  T. 

2)  Altpreuss.  Monatsschrift  II.  S.  354-72. 


60 

damit:  „Gottlob,  es  giebt  doch  hier  noch  Burschea;  hätte  ich  nur  von  der  Sache  (im  Theater)') 
gewusst,  und  wenn  es  mich  10  Thaler  gekostet  hätte,  so  wäre  ich  dagewesen  u.  s.  w.  Am 
Donnerstag  begann  er  vor  einer  sehr  zahlreichen  Versammlung  seine  Preussische  Geschichte. 
Er  hielt  eine  Rede  zur  Einleitung  in  Bezug  auf  Sand  und  Kotzebue,  die  uns  Alle  begeisterte." 
Wer  das  liest,  wird  dem  von  solchen  Extravaganzen  sein  Leben  lang  weit  entfernten  Johannes 
Voigt  das  Bedenklichste  zutrauen.  Die  von  dem  Ministerium  angeordnete  Untersuchung  ergab, 
dass  die  durch  die  Maassregelu  der  Regierung  gleichsam  überreizten  Studirenden  gelegentlich 
die  einfachsten  sachlichen  Darlegungen  mit  der  für  sie  Alle  augenblicklich  im  Centrum 
des  Interesses  stehenden  Angelegenheit  in  Verbindung  brachten  und  dadurch  sich  selbst  und 
Andere  noch  mehr  aufregten  und  irre  leiteten.  Auf  Grund  der  Vernehmung  der  in  jener 
Vorlesung  anwesenden  Studirenden  und  der  Aussagen  Voigts  selbst,  der  obenein  das  Concept 
der  incriminirten  Rede  einreichte,  berichtete  der  Curator  (6.  September).  Voigt  sei  „nicht  im 
mindesten  gravirt":  „an  Sand  ist  gar  nicht  gedacht,  seine  Tliat  nirgends  gelobt,  und  was 
über  Kotzebue  angedeutet  wird,  bezieht  sich  nur  auf  dessen  schriftstellerische  Arbeiten." 
Was  Heinel  an  Lucas  geschrieben,  beruhe  demnach  ,, entweder  auf  dessen  Missverstand  oder 
einem  durch  die  Rede  nicht  erweckten,  sondern  dahin  hinübergetragenen  Anreihen  fremd- 
artiger Geg-enstände."  Voigt  hatte  nämlich,  wie  auch  früher  schon  an  einer  anderen  Stelle 
im  Druck,  Kotzebues  preussische  Geschichte  gründlich  recensirt  und  ihre  wissenschaftliche 
Werthlosigkeit  an  den  Pranger  gestellt.^) 

Damit  aber  war  doch  nur  wenig  gewonnen.  Am  2.  September  verfügte  das  Ministerium 
die  unverzügliche  Auflösung  der  Königsberger  Burschenschaft  und  wies  den  Senat  an,  „deren 
Vorsteher  und  Mitglieder  zur  Verantwortung  zu  ziehen  und,  wie  solches  geschehen,  schleunigst 
zu  berichten."  Am  11.  September  erfolgte  die  Bekanntmachung  am  schwarzen  Brett;  das 
Gleiche  geschah  mit  dem  Verbot  der  Theilnahme  an  einem  für  den  October  nach  Berlin  aus- 
geschriebenen Burschenschaftstage  unter  Androhung  schwerer  Strafe.  Was  an  weiteren  Maass- 
nahmen  gegen  die  Universitäten  im  Werke  war,  scheint  dem  preussischen  Unterrichtsministerium 
selbst  damals  noch  nicht  bekannt,  wohl  aber  bereits  der  Gegenstand  seiner  ernsten  Sorge 
gewesen  zu  sein.  Denn  es  erklärte  am  Schlüsse  des  betreffenden  Erlasses,  „dass  nur  ein  in 
aller  Hinsicht  gesetzmässiges  und  vorsichtiges  Verfahren  der  akademischen  Behörden  und 
Lehrer  und  die  Handhabung  einer  ernsten  Disciplin  über  die  Studirenden  grosses  Unheil  für 
die  Universitäten  zu  verhüten  im  Stande  sein  werde." 

Es  geschah  wohl  im  Hinblick  auf  diese  auch  von  ihm  getheilte  Befürchtung,  dass 
der  wohlwollende  Curator  der  Albertina  gleichzeitig  an  die  persönliche  Einwirkung  der  aka- 
demischen Lehrer  auf  die  Studirenden  appellirte,  um  letztere  durch  den  ernsten  Hinweis  auf 
die  den  Hochschulen  überhaupt  drohenden  Gefahren  zu  williger  Fügsamkeit  zu  bestimmen. 
Handelte  es  sich  dabei  doch  wesentlich  um  die  Vermeidung  von  Aeusserlichkeiten,  die,  bisher 
unangefochten,  nun  plötzlich  anstössig  waren,  wie  die  altdeutsche  Tracht  u.  a.  m.  Ob  auch 
das  Bild  des  Stifters  der  Königsberger  Universität,  der  Albertus,  dahin  zu  rechnen  sei,  blieb 
zunächst  unentschieden.     Mit  der  Burschenschaft    hatte    er   ursprünglich    nichts  zu  thun,  viel- 

1)  Vgl.  oben  S.  5<i. 

2)  Curat.  Commiss.  18.     Univ.  D.  20. 


61 

mehr  hatte  der  Wunsch,  dic^  zwischen  ihnen  bestehende  Gemeinschaft  auch  äusserlich  kennt- 
lich zu  machen,  die  Studireudeu  nach  den  Befreiungskriegen  zur  Annahme  entsprechender 
Abzeichen  geführt.  Als  solches  dienten  erst  zwei  Litzen  in  Form  eines  Eichenblattes,  dann 
hatten  Ostern  1817  etwa  60  Studirende  das  in  Metall  ausgeprägte  Bild  Herzog  Albrechts, 
wie  es  damals  auf  den  Lectionskatalogen  dargestellt  wurde,  angenommen.  Wohl  aber  hatte 
sich  ein  Kreis  von  Studirenden,  welche  der  Burschenschaft  angehörten,  das  Recht  angemasst, 
den  Anderen  schriftlich  die  Brlaubniss  zur  Anlegung  und  zum  Tragen  des  Albertus  zu  er- 
theilen  und  denen,  welche  sie  nicht  nachgesucht  hatten,  das  Abzeichen  abzunehmen.')  Des- 
halb wurde  schliesslich  auch  das  Tragen  des  Albertus  bei  Strafe  des  Verlustes  der  Bene- 
ficien  verboten.^)  Andererseits  erschien  dem  Uebereifer  einzelner  Professoren  die  vom 
Curator  gewünschte  unvermerkte  persönliche  Einwirkung  der  akademischen  Lehrer  auf  die 
Studirenden  als  nicht  genügend.  Der  Erlass  vom  2.  September,  so  wünschte  man,  sollte  in 
den  Collegien  vom  Catheder  herab  mitgetheilt  und  eingehend  erläutert  werden  unter  ein- 
dringlicher Vermahnung  zu  gewissenhaftester  Nachachtung.  Besonders  Herbart  wollte  das: 
„Das  einzig  Wirksame  in  dem  gegenwärtigen  Falle,"  so  meinte  er,  „ist,  dass  man  den  Stu- 
denten die  Gefahr  zeige,  worin  die  Universitäten  schweben.  Die  ernste  Sprache  des  hohen 
J\Iinisteriums  am  Ende  des  Rescripts,  die  wir  uns  nicht  erlauben  dürfen  leicht  zu  nehmen, 
diese  muss  zu  den  Studenten  durchdringen." 

Nun  ergab  aber  die  vom  Senat  angestellte  neue  Untersuchung  gegen  die  Burschen- 
schaft nichts  Compromittirendes.  Von  einer  Bestrafung  der  Vorsteher  und  Mitglieder,  so  erklärte 
der  von  dem  Prorector  Dirksen  verfasste  Bericht  des  Senats  an  den  Curator  vom  30.  Sep- 
tember,^) könne  demnach  nicht  die  Rede  sein,  zumal  zu  der  Burschenschaft  die  meisten  und 
befähigtesten  Studirenden  gehörten  und  namentlich  die  Vorsteher  fast  durchweg  Leute  von  her- 
vorragenden Gaben  und  untadelhaftem  Wandel  seien;  es  werde  daher  genügen,  dass  die  Be- 
treffenden sich  schriftlich  verpflichteten,  in  Zukunft  keiner  Verbindung  mehr  beizutreten. 
Selbst  diejenigen  Senatoren,  welche,  wie  Herbart,  die  Burschenschaft  für  den  von  ihnen  be- 
merkten Unfleiss  verantwortlich  machten,  mussten  anerkennen,  nach  den  vorgelegten  Docu- 
menten  sei  der  Zweck  der  aufgelösten  Verbindung  ein  lobenswerther  gewesen,  und  auch  die 
von  ihr  erstrebte  Beseitigung  der  Orden  und  Landsmannschaften  sei  zu  wünschen.  Nur 
Reidenitz  glaubte  ernstlich  an  das  Vorhandensein  einer  geheimen  Verbindung,  deren  Abzeichen 
der  Albertus  sein  sollte,  und  wollte,  voll  Sorge  für  den  Ruf  der  Universität,  zur  Auskundung 
derselben  die  Polizei  zu  Hilfe  rufen.  Das  jedoch  lehnte  des  abwesenden  Prorectors  Schweigger 
Vertreter  Dirksen  mit  grösster  Entschiedenheit  ab:  ,,Von  einer  geheimen  Verbindung,"  so 
schrieb  er  den  13.  November  1819,  „unter  den  Studirenden  sind  keine  Zeichen  vorhanden. 
Commercirt  ist  und  Studentenzeichen  hat  es  gegeben,  so  lange  die  Universitäten  existiren. 
Die  akademische  Behörde  ist  keine  Inquisition,  und  wir  wollen  nicht  auf  den  ehrenvollen 
Titel  Verzicht  leisten,  die  Väter  der  studirenden  Jugend  zu  heissen,  indem  wir  das  in  uns 
gesetzte  Vertrauen  des  besseren  Theils  derselben  zerstören.     Ich  muss   deshalb  als   Stellver- 


1)  Acten  des  Universiläts-Gerichts. 

2)  B.  63.  16.  November  und  4.  December  1819. 

3)  D.  20.  Curat.  Commiss.  18.  I. 


treter  des  Herrn  Prorectors  gegen  eine  solche  Anzeige  protestiren  und  nelime  die  daraus 
entstehenden  Folgen  auf  mich.  Was  im  Publicum  für  Gerüchte  über  Verbindungen  unter 
Studirenden  existiren,  kann  uns  nicht  zur  Richtschnur  dienen,  und  wenn  man  in  Berlin  in- 
quirirt  und  exequirt,  so  kann  uns  dies  nicht  veranlassen  nach  dem  blossen  Schein  zu  richten. 
Der  Euf  der  Universität  kann  nur  dann  in  Gefahr  kommen,  wenn  dieselbe  ohne  hinreichenden 
Grund  das  Gerücht  einer  Conspiration  verbreitet  dn.  wo  nur  unbesonnene  Streiche  Einzelner 
eine  Rüge  verdienen."*) 

Aber  selbst  die  schlimmsten  Befürchtungen,  welche  man  für  die  Zukunft  der  Univer- 
sitäten irgend  hatte  hegen  können,  wurden  weit  übertroffen  durch  das,  was  gleich  danach 
geschah.  Schon  hatten  die  Karlsbader  Conferenzen  die  Ketten  geschmiedet,  in  die  mit  Pro- 
fessoren und  Studirenden  zugleich  das  wissenschaftliche  und  das  geistige  Leben  der  Nation 
geschlagen  werden  sollten,  und  ein  dies  ater  in  der  deutschen  Geschichte  wurde  jener  20.  Sep- 
tember 1819,  an  dem  unter  augenfälliger  Verletzung  der  für  die  Verhandlungen  des  Bundes- 
tages maassgebenden  Bestimmungen  das  in  Karlsbad  Verabredete  in  Frankfurt  angenommen 
wurde.  Am  18.  November  1819  erging  die  darauf  beruhende  ..Instruction  für  die  ausser- 
ordentlichen Regieningsbevollmächtigteu"  zugleich  luit  dem  „Reglement  für  die  künftige  Ver- 
waltung der  akademischen  Disciplin  und  Polizeigewalt  bei  den  Universitäten",  und  beide 
wurden  alsbald  auch  auf  die  nicht  zum  Gebiete  des  Deutschen  Bundes  gehörige  Provinz 
Preussen  und  auf  die  Universität  Königsberg  ausgedehnt.  Ebenfalls  am  18.  November  wurde 
der  Oberpräsident  von  Auerswald  seines  Amtes  als  Curator  unter  Bezeugung  der  König- 
lichen Zufriedenheit  ,,über  die  bisherige  Führung  dieser  Parthie"  enthoben  und  der  Regie- 
rungschefpräsident Baumann  zum  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  bei  der 
Albertina  ernannt.  Am  24.  November  verabschiedete  sich  von  Auerswald  von  dem  Senate 
mit  Worten  des  Dankes  für  das  Vertrauen,  das  man  ihm.  bewiesen,  und  für  die  Bereitwillig- 
keit, mit  der  man  seinen  Wünschen  entgegengekommen.  In  herzlicher  Weise  dankte  der 
Senat  am  30.  November  dem  Scheidenden  für  die  segensreiche  Thätigkeit,  die  er  „als 
kräftiger  Vermittler  des  Gesammtinteresses  aller,  denen  das  Gedeihen  wissenschaftlicher  Bil- 
dung am  Herzen  liegt",  für  die  Albertina  entfaltet  hatte,  indem  er  zugleich  die  Hoffnung 
aussprach,  er  werde  gemäss  einem  selbst  in  der  königlichen  Cabinetsordre  über  seine  Ent- 
lassung ausgesprochenen  Wunsch,  „bei  der  neuen  Verwaltung  der  Curatorialangelegenheiten 
durch  heilsame  Rathschläge  dem  Wohl  der  Hochschule  förderlich  werden."^) 

Die  Stellung  des  neuernannten  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten,  der 
berufen  war,  „die  Ordnung  zu  überwachen,  den  Geist  der  Lehrer  zu  beobachten"  und  ihm 
,,eine  heilsame  Richtung  zu  geben",^)  konnte  nur  eine  schwierige  und  peinliche  sein.  Ent- 
hielt doch  das  Princip,  das  er  vertreten  sollte,  um  mit  Heinrich  von  Treitschke  zu  reden, 
..eine  rohe  Beleidigung  der  deutschen  Universitäten",*)  welche  diesen  energische  Abwehr  zur 
Pflicht  machte.     So  dachte  und  handelte   man    denn    auch    in  Königsberg.      „Hätte    ich,"    so 


1)  üniv.  Gerichts-Act. 

2)  B.  63. 

3)  V.  Treitschke  II,  S.  561. 

4)  Ebendas. 


schrieb  damals  der  ehrliche  J.  G.  Scheffner  in  sein  Tagebuch,')  „wie  mancher  russische 
Fürst  Millionen  wegzuschenken,  ich  würde  die  Professoren  in  Jena,  Heidelberg,  Bonn  u.  s.  w. 
über  ihre  Einnahmen  entschädigen,  um  sie  zu  plötzlicher  allgemeiner  Niederlegung  ihrer 
Lehrämter  zu  bewegen  —  es  sollte  doch  wohl  wirken,  denn  HohenschuUehrer  in  solcher 
Quantität  lassen  sich  gewiss  schwerer  ersetzen  als  ein  übermässig"  hochbezahlter  Minister." 

Wohl  war  namentlich  der  Cultusminister  von  Altenstein  redlich  bemüht,  bei  Aus- 
führung der  Karlsbader  Beschlüsse  die  preussischen  Universitäten  vor  Schädigung  ihres 
Wesens  möglichst  zu  bewahren.  Auf  der  abschüssigen  Bahn,  die  man  betrat,  war  ein  Halt 
um  so  schwieriger,  als  bei  König  Friedrich  Wilhelm  IH.  pei"Sönlich  tiefe  Verstimmung  und 
ernstes  Misstrauen  gegen  die  Universitäten  Platz  gegriffen  hatten.  Sie  galt  es  zunächst  zu 
beschwichtigen.  Daher  forderte  v.  Altensteiu  bei  Mittheilung  der  Ernennung  des  Präsidenten 
Baumann  zum  ausserordentlichen  Eegierungsbevollmächtigten  die  Universität  auf,  „sich  dieser 
Maassregel  mit  Vertrauen  hinzugeben  und  von  ihrer  Seite  alles  aufzubieten,  damit  der  Zweck 
leicht,  vollständig  und  sicher  erreicht  werde."  ,,Es  muss,"  sagte  er,  „der  Universität  selbst 
daran  gelegen  sein,  alles  von  ihr  entfernt  zu  halten  und  aus  ihrer  Mitte  zu  entfernen,  was 
mit  ihrem  Wesen  der  Beförderung  wahrer  Wissenschaft  unvereinbarlich  ist,  was  sie  gegen  die 
Gefahr  von  Störungen  und  Verwickelungen  in  Verhältnisse  schützt,  die  früher  oder  später 
nur  nachtheilig  sein  können,  und  ihr  die  Verfolgung  ihres  grossen  wichtigen  Zwecks  sichert." 
Das  werde  um  so  leichter  geschehen,  als  zu  dem  neuen  Amte  ein  Mann  berufen  sei,  ,, dessen 
Charakter,  Einsicht  und  Sinn  für  Wissenschaft  und  gute  Bildung  der  Jugend  es  verbürgen, 
dass  er  seinerseits  alles  zu  erspriesslichem  Zusammenwirken  thuu  werde."  Aber  wenn  der 
Minister  so  augenscheinlich  bemüht  ist,  der  neuen  Ordnung  einigermaassen  ihren  Stachel  zu 
nehmen,  so  war  er  sich  doch  auch  bewusst,  mit  dem  ganz  persönlichen  Willen  des  Königs 
rechnen  zu  müssen.  Er  schliesst  daher  mit  der  Versicherung,  „auch  ferner  werde  er  der 
Universität  wahres  Beste  mit  treuer  Sorgfalt  zu  befördern  suchen,  zugleich  aber  auch  mit 
unnachsichtlicher  Strenge  darauf  halten,  dass  der  Allerhöchste  Wille  Sr.  Majestät  des  Königs 
auf  das  Punktlichste  erfüllt  werde." 

Wünschten  nun  Prorector  und  Senat  auch  mit  den  Trägern  des  neuen  Systems,  dem 
Präsidenten  Baumann  und  dem  Universitätsrichter  Justizcommissarius  Grube,  ein  gutes  Ver- 
hältniss  und  wollten  sie  namentlich  den  letztern  die  Kränkung  nicht  entgelten  lassen,  die  sie 
in  der  Errichtung  gerade  dieses  neuen  Amtes  sahen,^)  so  hielten  sie  sich  doch  auch  für  ver- 
pflichtet gegen  diejenigen  Verfügungen  Verwahrung  einzulegen,  in  denen  sie  eine  Schädigung 
ihrer  Ehre  sahen.  Dass  nach  Titel  II  der  Instruction  der  ausserordentliche  Regierungsbevoll- 
mächtigte auch  die  Vorträge  der  akademischen  Lehrer  und  deren  Einfluss  auf  die  akademische 
Jugend  beaufsichtigen,  dass  nach  Titel  III,  §  5  jedes  von  der  Universität  ausgestellte 
öffentliche  Zeugniss  erst  durch  seine  Unterschrift  Gültigkeit  erlangen,  dass  er  nach  Titel  II, 
§  ß  den  Berathungen  des  Senats  und  der  Facultäten  beizuwohnen  berechtigt  sein  und  dass 
alle  Beneficienverleihungen  seiner  Bestätigung  unterliegen  sollten,  dann  weiter,  dass  der 
Universitätsrichter   nicht   unter   dem  Senat   stehen   und  letzterer    in  Disciplinarsachen  hinfort 

1)  J.  G.  Scheffner,  NachlieTerung  zu  meinem  Leben,  S.  108/9. 

2)  Schweiggei  an  Grube  1820.     Febr.  i».  —  B.  63. 


64 

uur  ein  berathendes  Votum  haben  sollte  —  das  waren  die  Punkte,  durch  die  man  sich  be- 
sonders beschwert  fühlte  und  gegen  die  man  Verwahrung  einlegen  zu  müssen  meinte,  freilich 
„weniger  in  der  Ueberzeugung  des  Gelingens,  als  um  ein  Zeichen  seines  verletzten  Ehrgefühls 
von  sich  zu  geben"  und  in  der  Erwartung,  dass  auch  die  anderen  preussischen  Universitäten 
so  handeln  würden.  War  man  sich  doch  bewusst,  „weder  im  Einzelnen  noch  im  Ganzen 
Anlass  gegeben  zu  haben,  an  seinem  edelsten  Gute,  seiner  Ehre,  angegriffen  zu  werden."  Die 
Anregung  zu  diesem  Schritt  gab  der  Viceprorector  Dirksen:  mit  einer  Ausnahme  fand  sie 
allgemeinen  Beifall,  und  die  aus  diesem  Anlass  abgegebenen  Voten  der  einzelnen  Professoren 
enthalten  manchen  für  die  damals  herrschende  Stimmung  charakteristischen  Zug.  Angesichts 
der  gegen  die  Universitäten  erhobenen  Anschuldigungen  verlangte  der  Theologe  Wald,  „dass 
die  Strafwürdigkeit  strenger  untersucht,  die  Revolutionäre  nachdrücklich  bestraft,  den 
loyalen  Beamten  aber  ihre  dadurch  gekränkte  Ehre  hergestellt  werde."  Der  Mediciner 
Eisner  d.  j.  bezeichnet  die  eben  verhängte  Maassregel,  „wie  sie  in  geheimen  Ministerial- 
berathungen  verabredet"  und  von  der  Bundesversammlung  sanctionirt  worden,  als  „eine  welt- 
historische Begebenheit,  die  von  der  Nachwelt  nach  Zweck  und  Folgen  wird  beurtheilt 
werden;"  die  gegenwärtig  davon  Getroffenen  aber  haben  nach  seiner  Meinung  zu  handeln: 
,, Unsere  Universität,  oder  genauer  der  Stand  ihrer  Lehrer,  darf  in  dem  Bewusstsein  ihrer 
Schuldlosigkeit  sich  wohl  mit  Ehrerbietung,  aber  auch  mit  Ereimuth  äussern  in  Ansehung  der 
über  sie  verhängten  Maassregel  einer  correctionell-polizeilichen  Aufsicht,  wenn  deren  Herbes 
gleich  durch  die  Persönlichkeit  des  Aufsehers  gemildert  wird."  Den  die  äusserlichen  Ver- 
hältnisse der  Universität  betreffenden  Bestimmungen  über  die  Gerichtsbarkeit,  die  Aufsicht 
über  die  Studirenden  und  die  Beneficien  u.  s.  w.  habe  man  sich  zu  fügen,  dagegen  gelte  es 
„feierlichst  zu  protestiren  gegen  jede  Beschränkung  des  eigentlichen  Universitätslebens,  der 
akademischen  Lehrfreibeit  und  alles  dessen,  was  auf  das  Facultätswesen  Bezug  hat.'")  Der 
so  entstandene  Bericht  des  Senats  vom  20.  December  1819,  dem  allein  der  Stipendiencurator 
und  Kanzler  Reidenitz,  der  den  für  Preussen  als  Gesetz  publicirten  Bundestagsbeschlüssen 
schlechtweg  Gehorsam  geleistet  sehen  wollte,  nicht  beistimmte,  schloss  mit  dem  Antrage:  „In 
innigem  Bewusstsein,  dass  die  Pflichtwidrigkeiten,  welche  als  Grund  obiger  Maassregeln  an- 
gegeben sind,  keinem  der  hiesigen  Lehrer  zur  Last  fallen,  in  freudiger  Erinnerung,  dass 
unsere  Anhänglichkeit  an  Se.  Majestät  den  König  bei  mehreren  Gelegenheiten  anerkannt 
wurde,  und  in  Erwägung,  dass  die  Beschlüsse  der  Hohen  Bundesversammlung  Beschränkung 
der  hiesigen  Universität  —  (da  die  Provinz  Preussen  ja  nicht  zum  Bundesgebiet  gehört)  — 
nicht  zur  nothwendigen  Folge  haben,  auch  auf  die  Universität  Greifswald  nicht  ausgedehnt 
wurden,  wagen  wir  die  ganz  gehorsamste  Bitte:  dass  Ew.  Excellenz  und  Ein  Hochverordnetes 
Ministerium  bei  Sr.  Majestät  dem  König  und  dem  erlauchten  Rector  unserer  Universität, 
Sr.  Königlichen  Hoheit  dem  Kronprinzen,  sich  dahin  verwende,  dass  wenigstens  die  hiesige 
Universität  Erleichterung  in  denjenigen  Punkten  erhalte,  durch  welche  nie  in  den  Augen  der 
Studenten  und  des  Publicum«  gravirt  erscheint." 

Das  Ministerium  beantwortete   diese  Eingabe  bereits   unter  dem   10.  Januar  1820  in 

1)  B.  83. 


65 

einem  ausführlichen  Scliveibeu,  aus  welchem  wenigstens  die  Absicht  erkennbar  wurde,  den 
Universitäten  iu  Betreff  ihres  wissenschaftlichen  Lebens  so  viel  Freiheit  zu  gestatten,  als 
sich  bei  milder  Anwendung  der  Bundesgesetze  irgend  ermöglichen  liess,  während  in  Sachen 
der  Disciplin  und  Aufsicht  eine  Milderung  ausgeschlossen  blieb.  Dass  Greifswald  nicht  unter 
das  neue  Recht  gestellt  worden,  sollte  dessen  dermaliger  trostloser  Verfall  rechtfertigen,  in 
Folge  dessen  es  überhaupt  kaum  noch  als  Universität  in  Betracht  käme;  Königsberg  ebenso 
auszunehmen,  hätte  die  übrigen  preussischen  Universitäten  empfindlich  kränken  geheisseu. 
Auf  die  einzelnen  Beschwerden  eingehend  bemerkt  von  Altenstein  dann,  die  Verpflichtung 
des  Regierungsbevollmächtigten  zur  Kenntnissnahme  auch  von  den  Vorträgen  der  akademi- 
schen Lehrer  sei  doch  nur  „das  zuverlässigste  Mittel,  um  diese  gegen  ungegründete  Beschul- 
digungen dem  Staatswohl  nachtheiliger  Lehren  zu  rechtfertigen  und  auf  das  Glimpflichste  vor 
wirklichen  Verirrungen,  wenn  wider  Erwarten  Gründe  zu  deren  Besol'gniss  eintreten  sollten, 
zu  warnen."  Die  Mitunterschrift  der  akademischen  Zeugnisse,  die  Mitwii-kung  bei  der  Bene- 
ficienverleihuug  und  die  Theilnahme  an  den  Berathungen  des  Senats  seien  weit  entfernt, 
Misstrauen  gegen  die  Professoren  zu  beweisen,  nur  bestimmt,  die  auf  andere  Weise  nicht  wohl 
erreichbare  Verbindung  zwischen  dem  akademischen  Senat  und  der  Polizeibehörde  herzu- 
stellen und  Uebereinstimmiing  in  beider  Verfahren  zu  bringen.  Die  erbetene  Verwendung  für 
eine  theilweise  Exemtion  der  Albertina  von  den  neuen  Bestimmungen  wurde  abgelehnt  als 
niclit  hinreichend  begründet  und  aussichtslos.  Charakteristisch  für  den  damaligen  Standpunkt 
der  Regierung  ist  der  Schluss  des  Rescripts,  welcher  die  getroffenen  Maassregeln  im  All- 
gemeinen zu  begründen  sucht.  „Es  genügte  nicht,"  heisst  es  da,  „dass  die  Universitäten  nichts 
verschuldeten:  die  unvermerkt  zu  einem  grossen  Uebel  sich  verbindende  Tendenz  der 
Studireuden  über  die  Grenzen  ihres  Berufs  hinaus  zu  schweifen,  sich  mit  allgemeinen  An- 
gelegenheiten, statt  mit  ihrer  wissenschaftlichen  Ausbildung  zu  beschäftigen,  sich  in  Ver- 
bindungen dazu  vorzubereiten,  diesen  Verbindungen  einen  Zusammenhang  auf  allen  Uni- 
versitäten zu  geben,  wenn  auch  nicht  angenommen  wird,  dass  mehr  von  solchen  verschuldet 
wurde,"  musste  „nothwendig  ihren  Standpunkt  ganz  verrücken,  sie  zerstreuen  und  veran- 
lassen, sich  mit  Vernachlässigung  ihres  eigentlichen  Berufs  unreifen  Ideen  hinzugeben, 
die,  indem  sie  solche  mit  dem  Dünkel  höherer  Bildung  erfüllten,  ihre  wahre  Bildung  und  die 
Erlangung  höherer  Reife  für  ihr  ganzes  Leben  störten.  "Wenn  die  Universität  solches  richtig 
erwägt  und  würdigt,  so  wird  sie  darauf  geführt  werden,  das  Wohlthätige  wahrer  Sicherheit 
für  ihren  Hauptzweck  anzuerkennen.  Es  wird  sicii  solche  bemühen,  so  viel  möglich,  Vortheil 
davon  zu  ziehen  und  durch  ein  richtiges  und  lebendiges  Auffassen  des  Wesentlichen  den 
Zweck  so  zu  befördern,  dass  sie  dadurch  auf  die  ausgezeichnetste  Art  bethätigt,  wie  wenig 
sie  einer  der  Vorwürfe,  welche  den  Universitäten  im  Allgemeinen  gemacht  werden,  trelTe."^) 
Unter  solchen  Umständen  sah  der  Senat  von  jedem  weiteren  Schritte  ab:  hatte  er 
doch  Mühe,  sich  der  rapide  anwachsenden  Zumuthungen  zu  erwehren,  die  rücksichtlich  seiner 
Beihülfe  zur  Durchführung  der  neuen  correctionell-polizeilicheu  Aufsicht  an  ihn  gestellt  wurden. 
Konnte  er  sich  dieser  nicht  immer  nach  Wunsch  entziehen,  so  war  er  doch  nicht  ohne  Erfolg 


bemüht,  zu  beschwichtigen  und  zu  begütigen  und  namentlich  die  Studirenden  von  einem  Wider- 
stände zurückzuhalten,  der  leicht  verhängnissvoll  werden  konnte.  In  einigen  Punkten  drang 
er  auch  schliesslich  durch:  als  der  Regierungsbevollmächtigte  nicht  bloss  die  Abgangszeugnisse 
der  Studirenden,  sondern  alle  akademischen  Zeugnisse  durch  seine  Mitunterschrift  erst  zu  le- 
galisiren  beanspruchte,  erklärte  der  Senat,  bis  zum  Austrage  der  Sache  in  seinem  Sinne 
Zeugnisse  überhaupt  nicht  auszustellen,  und  erzwang  so  auch  einen  annehmbaren  Compromiss. 
Auch  das  alte  Recht  der  Studirenden,  sich  zu  gesellschaftlichen  Verbänden  zusammenzuthun, 
fand  an  ihm  einen  tapfern,  freilich  zunächst  nicht  glücklichen  Vertheidiger.  Denn  wenn  das 
Ministerium  auch  in  einem  Erlass  an  den  Regierungsbevollmächtigten  vom  20.  December  1819') 
anerkannte,  dass  der  Wissenschaft  und  Kunst  aufrichtig  gewidmete  Gesellschaften  und  Ver- 
bindungen unter  den  Studirenden  zu  jeder  anderen  Zeit  unbedenklich  seien,  so  meinte  es  doch, 
„in  einer  Zeit,  die  sich  von  der  ausserordentlichen  Aufregung,  worin  sie  alle  Gemüther  und 
die  der  Jugend  vornehmlich  versetzt  hat,  noch  nicht  wieder  zur  Ruhe  setzen  kann,  in  einer 
Zeit,  die  in  einer  unverkennbaren  Krisis  der  Grundsätze  und  Ansichten  über  die  wichtigsten 
praktischen  Angelegenlieiten  des  Lebens  begriffen  ist,  sei  es  misslich,  das  noch  unreife,  jedem 
Eindruck  oliene  Alter  der  Studirenden  der  Neigung  zu  gesellschaftlicher  Vereinigung  in  dem 
Maasse  zu  überlassen,  als  sonst  wohl  geschehen  könnte."  Unter  den  obwaltenden  Umständen 
müsse  man  von  der  akademischen  Jugend  verlangen,  dass  sie  auch  den  Schein  wahre:  dem- 
gemäss  wurde  der  Senat  angewiesen,  bis  zum  Erlass  eines  neuen  Gesetzes  über  die  Ver- 
bindungen der  Studirenden  auf  den  Universitäten  zu  keiner  derartigen  Gesellschaft,  unter 
welchem  Titel  und  zu  welchem  Zwecke  sie  auch  errichtet  werden  und  bestehen  solle,  seine 
Autorisation  zu  ertheilen,  ohne  zuvor  durch  den  Regierungsbevollmächtigten  an  das  Ministerium 
berichtet  und  dessen  Genehmigung  eingeholt  zu  haben.  Diesem  Verbot  gegenüber  suchte  der 
Senat  wenigstens  den  fünf  oder  sechs  wissenschaftlichen  und  litterarischen  Vereinen,  die  unter 
den  Studirenden  bestanden,  die  Möglichkeit  ferneren  Daseins  zu  retten.  Waren  daran  doch 
selbst  Professoren  betheiligt:  namentlich  hatte  sich  im  Winter  1818/19  unter  bestimmender 
Mitwirkung  ßurdachs  imter  dem  Namen  der  ,, Akademischen  Müsse"  eine  Gesellschaft  von 
Professoren  und  Studenten  gebildet,  in  der  kleine  Aufsätze  vorgelesen  wurden  und  musikalische 
Unteriialtung  stattfand.  Obgleich  die  Erneuerung  gewünscht  wurde,  liess  man  die  Sache  jetzt 
doch  auf  sich  beruhen,  zum  Theil  auch  in  Rücksicht  auf  die  Mittellosigkeit  der  Studirenden. 
Die  kleineren  litterarischen  Cirkel  aufzulösen,  weigerte  sich  der  Senat  jedoch,  indem  er  den 
20.  Januar  1820^)  erklärte:  „Wollten  wir  jene  Cirkel,  von  deren  Existenz  wir  durch  Studirende 
selbst,  welche  daran  theilnehmen,  die  erste  Kunde  erhielten,  und  die  als  strafbare  Verbindung 
zu  betrachten  wir  noch  nicht  den  geringsten  Grund  haben,  durch  ein  Decret  aufheben,  so 
würde  das  Vertrauen  der  Studirenden  zu  ihren  Lehi-ern  sehr  gefährdet  sein  und  dadurch  der 
Einfluss,  den  sie  auf  die  Führung  der  Studirenden  haben  können."  Man  werde  deshalb  das 
von  der  Regierung  Gewollte  durch  private  Einwirkung  zu  erreichen  versuchen:  „Es  erschien 
uns  am  zweckmässigsten,  einzelne  auserwählte  Studenten  durch  freundschaftlichen  Rath  zu  be- 


1)  Ourator.  Acten  Commis 

2)  Ebendas. 


67 

wegen,  auf  Aufhebung  aller  A^ereine  selbst  hinzuwirken  und  sie  zu  überführen,  dass  nur  durch 
ein  völlig  ruhiges  A^erhalten  und  Vermeidung  eines  jeden  Scheines,  als  beabsichtigten  sie 
etwas  den  bestehenden  Verordnungen  entgegen  Laufendes,  die  hiesige  Universität  von  dem 
Vorwurf  gereinigt  werden  kann,  welcher  dui'ch  die  Ausdehnung  der  Beschlüsse  der  Bundes- 
versammlung auf  Königsberg  angedeutet  wird."  Auch  versprachen  etliche  der  so  angegangenen 
Studirenden  in  diesem  Sinne  zu  wirken.  Weshalb  er  diesen  Weg  gewählt  hatte,  Hess  der 
Senat  auch  nicht  zweifelhaft.  ,, Wir  würden  fürchten,"  bemerkte  er  treffend,  „durch  gerichtliche 
Untersuchung  einer  allem  Anschein  nach  gleichgültigen  Verbindung  das  Gefühl  politischer 
Bedeutsamkeit  zu  erhöhen,  welches  in  der  neueren  Zeit  in  Studenten  angeregt  wird."  Er 
hütete  sich,  durch  das  ihm  zugemuthete  Verfahren  eine  Gährung  zu  erzeugen,  „welche  einzelnen 
Leuten  iu  Berlin  als  ein  Symptom  revolutionärer  Gesinnung  erscheint."  Eine  Erregung  der 
Gemüther  bei  den  Studirenden  der  Albertina  habe  erst  begonnen  auf  die  Kunde  von  der 
Einleitung  der  Untersuchung  wegen  des  Wartburgfestes  und  sei  dann  genähi't  durch  die 
Wichtigkeit,  mit  der  man  seitdem  in  den  Zeitungen  von  Handlungen  der  Studenten  zu  sprechen 
angefangen  habe.  Wirksamer  als  alle  Repressivmaassregeln  wäre  es  gewesen,  wenn  man  den 
vom  Senat  empfohlenen  Weg  eingeschlagen  hätte:  ,, Scheinbare  Gleichgültigkeit  hierüber  und 
Vertrauen  bei  übrigens  genauer  Beobachtung  und  rasche,  ernste  Bestrafung  der  Vergehen 
sind  die  Mittel,  durch  welche  wir  die  wohlwollenden  Absichten  der  vorgesetzten  Behörden  am 
besten  zu  befördern  glauben." 

Es  war  das  Verhängniss  der  deutschen  Jugend  und  der  deutschen  Universitäten,  dass 
diese  ruhige  und  sachliche,  pädagogisch  und  politisch  allein  richtige  Auffassung  hier  so  wenig 
wie  anderswo  durchdrang.  Indem  man  um  der  Verirrungen  willen,  deren  einige  überspannte 
Köpfe  sich  schuldig  gemacht,  fast  die  ganze  studirende  Jugend  Deutschlands  als  revolutionär 
verschrie,  impfte  man  ihr  erst  einen  Krankheitsstofl'  ein,  der  ihr  bisher  fremd  gewesen  war. 
Mit  Recht  spottete  der  biedere  J.  G.  Scheffner  über  ,,die  Untersuchung  der  demagogischen 
Umtriebe  von  Kindern  und  Jünglingen,  die  eben  daraus  lernen,  dass  die  Regierungen  sich  vor 
ihren  wahrlich  kindischen  Unternehmungen  fürchten,"  und  sieht  das  Unheil  namentlich  darin, 
dass  „aus  dem  Glauben  an  die  eigene  Wichtigkeit  nur  zu  oft  eine  Verwegenheit  entsteht,  an 
die  man  ohne  jene  vielleicht  nicht  gedacht  hat."')  Genau  das  Gegentheil  von  dem,  was  sie 
erstrebte,  bewirkte  die  Regierung  mit  der  Vorschrift,  dass  alle  von  Studirenden  irgendwo 
öffentlich  zu  haltenden  Reden  zuvor  die  Censur  des  Prorectors  passirt  haben  müssten  (1819, 
27.  December  und  20.  Januar  1820),  durch  die  möglichste  Verhinderung  aller  Reisen  von  Stu- 
direnden durch  die  ärgsten  Passchicanen  (12.  März  1820),  durch  die  förmliche  Verfehmung  der 
an  der  Burschenschaft  betheiligt  Gewesenen,  die  man  nirgends  zur  Portsetzung  ihrer  Studien 
zuliess  und,  wenn  sie  minder  compromittirt  waren,  doch  unter  peinlicher  Polizeiaufsicht  hielt 
und  auf  den  geringsten  Verdacht  hin  auszuweisen  drohte.  Dass  unter  diesen  Umständen  auch 
die  akademischen  Lehrer  tief  verstimmt  und  hoffnungslos  entmuthigt  waren,  dass  sie  mit  wach- 
sendem Groll  von  den  ehemals  so  reichlich  vorhandenen  Bedingungen  zu  erspriesslichem  Wirken 
eine  nach  der  anderen  zu  Grunde  gerichtet  sahen,   kann   wahrlich   nicht   wundernehmen.     Ob- 


1)  Scheffner,  Nachlieferung.     S.  123-24. 


gleich  die  Älbertina  noch  lauge  nicht  zu  den  am  schwersten  getroffenen  Universitäten  gehörte, 
grifl'  auch  hier  diese  Stimmung  immer  mehr  und  mehr  um  sich.  Ihr  gab  der  ältere  Eisner 
Ausdruck,  indem  er  am  7.  April  1820  —  zwölf  Tage  vor  seinem  Tode  —  in  dem  Protokollbuch  der 
medicinischen  Facultät  den  Ablauf  seines  Decanats  mit  den  Worten  verzeichnet:  „His  peractis 
imminutam  et  oppressam  universitatum  dignitatem  lugens  munus  decani  depono."')  Schärfer 
noch  äusserte  sich  der  Botaniker  Schweigger,  der  in  diesem  verhängnissvollen  Winterseme- 
ster 1819/20  Prorector  gewesen  war,  bei  Niederlegung  seines  Amts:  „Ich  schlage  vor,  dass, 
so  lange  die  Cabinetsordre  vom  18.  November  1819  in  Kraft  ist,  wir  keine  Feierlichkeiten 
bei  Uebergabe  des  Prorectorats  veranstalten.  Die  Formel,  welche  gebraucht  wird,  ist  zu  einer 
Zeit  geschrieben,  wo  die  Universität  weder  Misstrauen  noch  Beschränkung  ihres  Rechts  erfuhr, 
jetzt  könnte  sie  bloss  das  Gefühl  erlittener  unverdienter  Kränkung  bei  den  Professoren  er- 
neuern, und  dem  Zuhörer  müsste  die  Scene  höchst  lächerlich  sein."  Indem  er  das  ..zum  Secre- 
tariat  herabgewürdigte  Amt  des  Prorectors"  niederlegte,  sprach  Schweigger  den  Wunsch  aus, 
„dass  die  Albertina  in  ihre  alten,  wohlerworbenen  Rechte  bald  wieder  eingesetzt  werde." 

Diese  Hoffnung  wurde  nun  freilich  gründlichst  zu  Schanden.  Auf  der  abschüssigen 
Bahn,  die  mit  den  Karlsbader  Beschlüssen  betreten  war,  war  so  leicht  kein  Stillstand  möglich, 
und  selbst  wo  die  Regierung  die  redliche  Absicht  hatte,  an  den  guten  alten  Traditionen  fest- 
zuhalten und  den  Bundesbestimmungen  eine  möglichst  milde  Deutung  zu  geben,  w  urde  das  un- 
möglich gemacht  durch  die  fortschreitende  Steigerung  und  Verschärfung  des  neuen  Polizei- 
systems. Dabei  hatte  in  Königsberg  die  Untersuchung  gegen  die  Bui-schenschaft,  obenan 
Dieffenbach.  nichts  Compromittirendes  ergeben,  und  auch,  die  sonst  gegen  Dieffeubach  er- 
hobeneu schweren  Auschuldiguugen  waren  als  ein  niederträchtiges  Lügengewebe  erkannt  und 
so  ganz  in  sich  zerfallen,  dass  man  dem  Angeklagten  Ostern  1820  erlaubte,  sich  zur  Fort- 
setzung seiner  Studien  nach  Bonn  zu  begeben,  gegen  das  Versprechen,  sich  einer  etwaigen 
neuen  Vorladung  alsbald  zu  stellen.  Neun  Jahre  später  gehörte  der  in  Königsberg  so  übel 
Behandelte  als  Autor  der  plastischen  Chirurgie  zu  den  hoffnungsvollsten  Zierden  seiner  Wissen- 
schaft. Sein  Leidensgefährte  Christian  Theodor  Ludwig  Lucas^)  hatte  zwar  an  dem 
Oberpräsidenten  von  Schön  einen  Beschützer  gefundeu,  der  ihn  zur  Aufnahme  der  Bücher- 
bestände der  ehemaligeu  westpreussisehen  Klöster  verwandte,  dennoch  gab  er  die  für  ihn  nun 
aussichtslose  juristische  Laufbahn  auf  und  widmete  sich,  unter  Polizeiaufsicht  gestellt  und  bei 
dem  geringsten  Anstoss  mit  Ausweisung  bedroht,  in  Königsberg  geschichtlichen  und  litterar- 
geschichtlichen  Studien,  um  nachher  in  das  Schulamt  einzutreten.^)  Aber  obgleich  so  keinem 
ihrer  Glieder  ein  Verschulden  nachgewiesen  war,  blieb  die  Studentenschaft  der  Albertina  der 
Gegenstand  nimmer  ruhenden  Misstrauens,  kleinlicher  Polizeiaufsicht  und  schliesslich  geradezu 
demoi-alisirender  Bevormundung,  eines  Systems,  das  den  Einzelnen  schutzlos  der  Willkür  des 
ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  preisgab.   Denn  eine  öffentliche  Erörterung  dieser 


1)  Burdach,  a.  a.  O.     S.  307. 

2)  Vgl.  S.  57. 

3)  D.  20.  Curator.  Cominiss.  7.  1,    Curatorialbericht  20.  Juni,  Minist-Erl.  13.  Juli  1820.     Folizeibericht 
März  lö21. 


69 

Verhältnisse  war  natürlich  völlig  ausgeschlossen,   da   alle  Notizen   über  die  Universitäten   und 
den  Geist  der  Studirendeu  erst  die  Censur  passiren  mussten.') 

Dass  man  erst  den  bald  wieder  auftauchenden  „Albertus"  verbot  und  gar  sein  Tragen 
den  Benificiaten  „als  Ungehorsam  gegen  die  Befehle  der  akademischen  Obrigkeit  anrechnete" 
und  mit  Verlust  der  Benificien  ahndete,^)  um  hinterher  die  Grundlosigkeit  dieser  Bestimmung 
einzusehen  und  das  Abzeichen  stillschweigend  freizugeben  unter  der  Voraussetzung,  dass  es 
nicht  mit  Emblemen  combinirt  erschiene,  die  auf  eine  Vei'bindung  der  Universitäten  unter 
einander  oder  auf  die  Burschenschaft  Bezug  hätten,^)  Hess  doch  erkennen,  dass  auch  bei  dem 
Königsberger  Eegierungsbevollmächtigten  die  Sorge  vorhanden  war,  man  möchte  durch  ein  zu 
starkes  Betonen  wertloser  Kleinigkeiten  die  gereizte  akademische  Jugend  erst  recht  in  die 
Opposition  treiben.  Daher  dachte  man  durch  allmähliche  Einschränkung  missliebige  aka- 
demische Bräuche  unvermerkt  ausser  Uebung  zu  bringen,  so  z.  B.  namentlich  die  herkömm- 
lichen Bälle  und  Concerte  der  Studirendeu,  welche  diesen  freilich  besonders  Anlass  gaben,  sich 
als  eine  grosse  Gemeinschaft  zu  fühlen  und  als  solche  aufzutreten:  ,, Werden  dergleichen  Lustbar- 
keiten anfänglich  seltener  gestattet  —  so  rechnete  man  • —  so  wird  es  nach  und  nach  möglich 
werden,  eine  oder  die  andere  wieder  ganz  abzustellen  oder  doch  nur  in  einer  veränderten 
Gestalt,  durch  welche  die  jetzt  bemerkten  Nachtheile  vermieden  werden,  zu  erhalten."*)  Für 
irgendwelche,  auch  die  unschuldigste  patriotische  Bethätigung  der  Jugend  blieb  unter  solchen 
Umständen  natürlich  kein  Raum,  und  wo  sie  versucht  wurde,  gab  sie  nur  Anlass  zu  unliebsamen 
Erörterungen  und  verstimmenden  Ermahnungen,  die  weit  über  die  akademischen  Kreise  hinaus  ent- 
muthigend  und  erkältend  wirkten.  So  geschah  es  damals  hier  namentlich  mit  dem  Galtgarbenfeste, 
zu  dem  sich  die  Studirendeu  mit  einem  Theile  ihrer  Lehrer  und  der  Bürgerschaft  am  Jahrestage 
der  Schlacht  bei  Belle-AUiance  zu  vereinigen  pflegten  auf  dem  höchsten  Punkt  des  Samlands, 
den  der  warmherzige  J.  G.  Scheffner  dazu  würdig  hergerichtet  hatte.'')  Der  alte  Herr  freute 
sich  „wahrzunehmen,  wie  ein  grosser  Theil  der  hiesigen  akademischen  Jugend  sich  durch  die 
aria  cattiva  der  Zeitereignisse  nicht  abhalten  Hess,  das  Andenken  der  für  Preussen  so  höchst 
rühmlichen  und  nützlichen  Schlacht  bei  Schönbund  (Belle-AIliance)  am  18.  Juni  mit  Gesang, 
Reden  und  Lustfeuern  auf  dem  Galtgarbenberg  auch  1820  zu  wiederholen",  setzte  aber  sor- 
genvoll hinzu:  „Doch  wer  weiss,  welcher  Kamptzische  Polizeifamulus  auch  aus  diesem  Zucker- 
rohr Essig  zu  brauen  unternimmt  und  auf  dieses  kleine  Land  fest  eine  Wichtigkeit  legt  wie 
einst  auf  die  Wartburgischen  Frivolitäten."")  Wie  Recht  er  hatte,  lehrt  der  charakteristische 
süss-saure  Ton  der  in  dieser  Sache  ergangenen  Erlasse  des  ausserordentlichen  Regierungsbe- 
vollmächtigten und  des  Ministeriums.  Denn  wenn  letzteres  auch  auf  Grund  der  ihm  zugegan- 
genen Berichte,  die  den  Verlauf  des  Festes  als  „durchaus  anständig  und  tadellos"  schilderten, 
am  18.  Juli  1820  .,seine  Zufriedenheit  kund  galt  mit  der  Art,  wie  die  Feier  begangen  worden", 

1)  Minist.-Krl.  12.  Febr.  1820. 

2)  Cur.-Erlass,  16.  April  und  24.  Juni  1820.  B.  «:!. 

3)  Cur.-Brl.  2i.  Sept.  1820.  Ebd. 

4)  Cur.-Erl.   18.  Juli  1820.     Curat.  Commiss.  28. 

5)  Vergl.  oben  S.  53. 

6)  Scheffner,  Nachlieferung,  S.  128. 


70 

so  machte  es  docli  zugleich  darauf  aufmerksam,  dass  es  selbst  an  solchen  politisch  denkwürdigen 
Tagen  „ausserhalb  der  Verhältnisse  der  Studirenden  liege,  sich  als  die  Träger  der  Nationalität  zu 
verkündigen  und  die  politische  Wichtigkeit  des  Tages  in  eine  Verbindung  mit  dem  Stande 
der  Studirenden  zu  bringen,  die  ihr  in  der  That  fremd  sei."')  Das  Ministerium  fand  weiter, 
„dass  ein  solcher,  dem  Bestreben  der  Regierung,  die  Studirenden  ganz  dem  Leben  für  die 
Wissenschaft  zurückzugeben,  nicht  völlig  angemessener  Charakter  aus  den  Liedern  hervorleuchte, 
die  zu  der  Feier  gedruckt  wurden,  und  durch  den  Umstand  noch  näher  dargethan  wurde,  dass 
die  Anordnung  der  Festlichkeit  eigentlich  und  hauptsächlich  von  den  Studirenden  ausgegangen 
zu  sein  schien."  Es  erwartete  demgemäss  „von  dem  mächtigen  Einflüsse  der  Zeit  und  von 
den  Erfolgen  der  rücksichts  der  Universitäten  von  den  deutschen  Regierungen  genommenen 
Maassregeln,  dass  die  Neigung  der  Studirenden,  sich  eine  politische  Wichtigkeit  beizumessen, 
je  länger  je  mehr  erlöschen  werde,"  hielt  es  „aber  zugleich  für  nützlich,  wenn  von  allen 
Seiten  dahin  gewirkt  würde,  um  die  Studirenden  zu  der  richtigen  Würdigung  des  Zwecks  ihres 
akademischen  Lebens  zurückzuführen,  der  nur  in  einem  von  aller  politischen  Befangenheit 
freien  und  gründlichen  wissenschaftlichen  Studio  angetroffen  werden  kann."  Obgleich  er  zu- 
giebt,  dass  die  Galtgarbenfeier  keineswegs  von  den  Studii'enden  ausgegangen  ist,  knüpft  der 
Regierungsbevollmächtigte  an  die  Mittheilung  dieser  ministeriellen  Belehrung  an  den  Senat 
doch  seinerseits  noch  die  Bemerkung,  es  möge  auch  von  Seiten  der  Professoren  möglichst  der 
Meinung  entgegengearbeitet  werden,  „als  wenn  Tage  von  einer  ausgezeichneten  politischen 
Wichtigkeit  mit  dem  Stande  der  Studirenden  überhaupt  in  einer  näheren  Beziehung  ständen"; 
vom  Katheder  aus  würden  die  Professoren  freilich  nur  selten  Gelegenheit  haben,  diese  Wahrheit 
zu  vertreten,  um  so  mehr  sollten  sie  sie  den  Studirenden  im  Privatverkehr  zu  Gemüth  fühi-en. 
Immer  neue  Repressivmaassregeln  veranlasste  namentlich  die  Sorge  vor  dem  heimlichen 
Fortbestehen  der  Burschenschaft  oder  ähnlicher  Verbindungen.  Diese  unmöglich  zu  machen, 
wurden  die  ausserordentlichsten  Bestimmungen  getroffen,  die  jeden  ehrliebenden  Jüngling  er- 
bittern mussten  und  daher  zuweilen  gerade  das  Gegentheil  von  dem  bewirkten,  was  dadurch 
erreicht  werden  sollte.  Mit  dem  Beginn  des  Studienjahres  1820/21  trat  die  Verfügung  in 
Kraft,  es  sollten  alle  Studirenden,  die  einer  Burschenschaft  angehört  hatten  oder  von  denen 
der  Regierungsbevollmächtigte,  der  Senat  oder  der  Universitätsrichter  dieses  wenigstens  ver: 
mutheten,  vor  einer  aus  dem  Prorector  und  dem  Decan  ihrer  Facultät  bestehenden  Commission 
zu  erscheinen  gehalten  sein,  um  sich  durch  Ehrenwort  zu  verpflichten,  falls  sie  einer  Ver- 
bindung noch  angehöi'ten,  alsbald  auszuscheiden  oder  aber  einer  solchen  niemals  beizutreten; 
über  den  Act,  dem  „zur  Erhöhung  der  Feierlichkeit"  der  Regierungsbevollmächtigte  bei- 
zuwohnen angewiesen  wurde,  sollte  ein  Protokoll  aufgenommen  und  dem  Ministerium  ein- 
geschickt werden.  Den  so  Vorgeladenen  sollte  daraus  ein  Vorwurf  irgend  welcher  Art  nicht 
erwachsen;  auch  sollten  sie  nicht  erfahren,  auf  wessen  Veranlassung  sie  vor  die  Commission 
berufen  worden  —  wodurch  aUe  Denuncianten  gedeckt  waren !  Ein  gleiches  Verfahren  wurde 
in  Bezug  auf  alle  in  Zukunft  sich  zur  Immatriculation  Meldenden  vorgeschrieben.  Für  die 
Albertina  trat  nur  dieser   letzte  Theil    des  Curatorialerlasses    vom  5.  April  1820-)    in  Kraft; 

1)  Cur.-Erl.  12.  Augast  1820  (B.  63j. 

2)  Curat.  Conuniss.  7,  I. 


71 

den  ersten  anzuwenden  ergab  sich  kein  Anlass,  da  Niemand  als  der  Zugehörigkeit  zur 
Burschenschaft  oder  einer  ähnlichen  Verbindung  verdächtig  angezeigt  wurde. 

Bald  aber  veranlasste  die  Entdeckung  einiger  geheimer  burschenschaftlicher,  sog. 
„arministischer"  Verbände  in  Berlin  und  Breslau  neue  Nachforschungen  auch  in  Königsberg, 
ohne  dass  etwas  entdeckt  worden  wäre.  Bezeichnender  Weise  brachte  man  das  scheinbare 
Erlöschen  der  burschenschaftlichen  Bewegung  mit  der  Thatsache  in  Zusammenhang,  dass  es 
nun  auf  den  Universitäten  kaum  noch  Studirende  gab,  welche  den  Befreiungskrieg  mitgemacht 
hatten,  „deren  Einfluss  auf  ihre  Commilitonen  selten  so  wohlthätig  als  entscheidend  gewesen 
war."')  Da  man  aber  auch  so  den  erstrebten  Zweck  nicht  erreichte,  so  wurde  schliesslich 
jede  Rechtsnorm  beseitigt  und  das  Princip  schrankenloser  Willkür  proclamirt.  Am  22.  Juli  1821 
erliess  der  König  von  Spaa  aus  eine  von  dem  Fürsten  Staatskanzler  gegengezeichnete  Cabinets- 
ordre,  welche  bestimmte,  „dass  die  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigteu  bei  den 
Universitäten  gehalten  und  befugt  sein  sollten,  diejenigen  Studenten,  welche  der  Stiftung, 
Theilnahme  oder  Beförderung  von  akademischen  Verbindungen  verdächtig  sind,  ohne 
weitere  gerichtliche  Untersuchung  und  ohne  Mitwirkung  des  Universitätsrichters 
und  des  Akademischen  Senats  von  der  Universität  sofort  zu  entfernen."  In  jedem 
Fall  der  Art  war  den  übrigen  Regierungsbevollmächtigten  Mittheilung  zu  machen  und  blieb 
ausserdem  die  gerichtliche  Verfolgung  der  Schuldigen  vorbehalten.  Dass  der  Regierungs- 
bevollmächtigte für  Königsberg  von  dieser  discretionären  Befugniss  Gebrauch  zu  machen 
keinen  Anlass  gehabt  hat,  ist  nebensächlich;  wie  er  dieselbe  auffasste  und  gegebenen  Falls 
zu  üben  entschlossen  war,  geht  aus  der  Weisung  hervor,  die  er  der  Polizei  in  Betreff  der 
Beaufsichtigung  der  Studirendeu  ertheilte :  „Es  kommt  nicht  darauf  an,"  hiess  es  da^  ,,dass  ein 
desfallsiger  Verdacht  bis  zu  einem  juristischen  Beweise  erhoben  werde,  es  ist  vielmehr  nur 
nöthig,  dass  er  gegründeter  Weise  vorhanden  sei."  Was  konnte  mit  solcher  Machtvollkommenheit 
und  solchen  Grundsätzen  an  Willkür  geübt  und  mit  dem  Schein  des  Rechts  umgeben  wei'den! 

Denn  unter  den  Begriff  der  unerlaubten  und  geheimen  und  schon  deshalb  in  jedem 
Falle  strafbaren  Verbindung  konnte  mau  damals  füglich  jede,  auch  die  unschuldigste 
studentische  Vereinigung  subsumiren.  Verirrungen,  die  in  dieser  Hinsicht  anderweitig  vor- 
kamen, sollten  denn  auch  in  Königsberg  dui'chaus  ihr  Seitenstück  finden,  und  in  kurzen 
Zwischenräumen  ergingen  an  den  akademischen  Senat  die  entsprechenden  Anfragen.  So 
geschah  es,  als  im  Frühjahr  1822  in  Berlin  eine  ,,Polonia"  entdeckt  war,  die  sich  meist  aus 
dem  Posenschen  und  Westpreussischen  recrutirt  hatte.^)  Auf  Grund  der  Beobachtungen  eines 
Polizeiagenten  bei  dem  Galtgarbenfest  1822  machte  man  denn  auch  an  der  Albertina  glück- 
lich eine  „Pomesania"  ausfindig,  die  jedoch,  weit  entfernt  von  burschenschaftlichen  oder  gar 
politischen  Tendenzen,  nur  gesellige  Zwecke  verfolgt,  aber  dadurch  den  Anlass  zu  allerlei 
neuen  Parteischeidungen  gegeben  hatte, ^)  um  schliesslich  eine  Verbrüderung  aller  Studirenden 
anzubahnen.      Die    umständliche  Untersuchung    gegen    sie,    die    erst   im  August  1824  endete, 


1)  Curat.  Commiss.  7,  I.  10.  Mai  1821. 

2)  Ihre  Mitglieder  wurden  voa  der  verwirkten   mehrjährigen  Gefängnissstrafe  zu  Festungshaft  begnadigt 
iter  ein  Leopold  von  Caprivi  zu  sechs  Wochen  Festung.     Curator.  Commiss.  7.  I. 

3)  Ebendas.  Bericht  1822,  Juni  19—22. 


72 

ergab  denn  auch  weder  eine  politische  noch  sonst  eine  strafwürdige  Tendenz  und  fand  ihren 
Abschluss  mit  der  Begnadigung  der  Theilnehmer  nach  entsprechender  Vermahnung  und  Ver- 
pflichtung. Andere  Verbindungen  ähnlicher  Art  entgingen  durch  eine  glückliche  Fügung  dem 
Spürsinn  der  Behörden,  so  z.  B.  die  vom  September  1821  bis  zum  November  1823  bestehende 
wissenschaftliche  Vereinigung  „Euphemia",  zu  der  sich  ein  kleiner  Kreis  von  Studirenden  aller 
Facultäten  zusammengefunden  hatte,  um  sich  in  Erinnerung  an  ihre  Gj-mnasialzeit  theils  durch 
lateinische  Vorträge  und  Disputationen,  theils  durch  die  Vorlesung  und  Besprechung  deutscher 
Abhandlungen  gemeinsam  weiter  zu  bilden.  Wie  ^rürde  es  diesen  Jünglingen,  deren  Her- 
kunft nnd  spätere  Laufbahn  alle  demagogischen  Umtriebe  ausschliessen,  wohl  ergangen  sein, 
wenn  es  ruchbar  geworden  wäre,  dass  sie  die  festliche  Begehung  von  Sands  Todestag 
wenigstens  erwogen  und  eine  von  einem  ihrer  Genossen  vorgetragene  „Phantasie  auf  Sands 
Tod"  beifällig  aufgenommen  hatten?  Auch  die  Behandlung  eines  Themas  wie  „Wort  und 
That"  hätte  damals  zu  den  übelsten  Verdächtigungen  reichlich  Anlass  gegeben.  Von  den 
Mitgliedern  dieser  „Euphemia"  war  nachmals  der  Jurist  Sanio  eine  der  Zierden  der  Albertina. 

Gerade  dieses  Beispiel  zeigt,  wie  gefährlich  die  argwöhnische  Unduldsamkeit  werden 
konnte,  welche  die  unschuldigsten  und  der  Beförderung  würdigsten  Bestrebungen  der  sich 
gerne  zusammenschliessenden  akademischen  Jugend  ohne  Weiteres  mit  den  demagogischen  Um- 
trieben zusammenwarf  und  dadurch  zu  einem  ebenso  reizvollen  wie  gefährlichen  Geheimniss  zwang. 
Erreichte  sie  so  doch  beinahe  das  Gegentheil  von  dem,  was  ihrem  Uebereifer  als  Ziel  vor- 
schwebte! Daraus  aber  ergab  sich  die  leidige  Nöthigung  zu  immer  extremeren  Maassnahmen,  die 
schon  nicht  mehr  die  akademischen  Kreise  allein  trafen.  Bedrohte  doch  bereits  im  Januar 
1822  ein  Ministerialerlass  alle  Gastwirthe,  die  ihre  Räume  zu  regelmässigen  Versammlungen 
von  Studirenden  hergeben  würden,  mit  Entziehung  der  Concession.^)  Auch  das  wissenschaft- 
liche Leben  auf  den  Universitäten  musste  solchem  Polizeidruck  schliesslich  erliegen;  in  die 
Seminarien  durfte  nach  einem  Ministerialerlass  vom  28.  April  1823'')  Niemand  aufgenommen 
werden,  dem  der  ausserordentliche  Regierungsbevollmächtigte  nicht  seine  Nichtbetheiligung 
an  geheimen  Verbindungen  bescheinigte,  eine  Bestimmung,  die,  alljährlich  erneut,  bis  1842 
in  Geltung  geblieben  ist.  Um  dieselbe  Zeit  (18.  Mai  1823)  muthete  man  dem  Senat  regel- 
mässige ausführliche  Mittheilungen  zu  „über  den  auf  der  Universität  bei-rschenden  Geist  und 
die  Sitten  der  Studirenden."  Auch  eine  besondere  Controle  des  Fleisses  der  Studirenden 
wurde  angeregt.  Bei  der  ablehnenden  Antwort  des  Senats  (3.  Juni),  „dass  kein  merklicher 
Grad  des  Unfleisses  sich  dargestellt  habe",  erklärte  der  Regierungsbevollraächtigte  sich 
nicht  beruhigen  zu  können,  sondern  verlangte  eine  „unumwundene  und  positive  Erklärung", 
während  er  sehr  befriedigt  Act  nahm  von  der  Mittheilung  des  Senats  (1.  Juli),  dass  bei  dem 
in  üblicher  Weise  begangenen  Galtgarbenfest  „diesmal  nichts  bemerkt  worden  sei,  was  an  die 
gescliichtliche  Bedeutung  des  Tages  erinnern  konnte",  da  keine  Reden  gehalten  worden 
und  das  Ganze  nui-  als  „unschädliche  Lustbarkeit"  verlaufen  sei.*) 

Je   weniger  die  Albertina  Anlass  zu   derartigen  Maassregeln    gegeben    hatte,    um    so 


1)  31.  Juli  1822,  Curator. 

2)  S.  130. 

3)  D.  19. 


73 

härter  fühlten  sich  Lehrer  und  Lernende  dadurch  gedrückt  und  entwüi'digt.  Eine  unzufriedene, 
verbitterte  Stimmung  griif  Platz,  die  noch  genährt  wurde  durch  die  Erkenntniss,  dass  auch 
der  Krouprinzliche  Rector  weder  helfen  wollte  noch  helfen  konnte.  In  dem  Verhältniss  zu 
ihm  trat  augenscheinlich  eine  Erkaltung  ein.  Es  bedurfte  erst  einer  ministeriellen  Anweisung, 
um  den  Senat  zur  üebersendung  eines  Glückwunsches  an  den  Rector  magnificentissimus  zu 
seiner  Hochzeit  zu  veranlassen,  und  die  regelmässig  von  Lobeck  verfassten  Glückwunsch- 
schreiben zum  15.  October  bewegen  sich  mühsam  in  der  Variirung  derselben  officiellen 
Phrasen,  ohne  je  einen  höhern  Gedankenflug  zu  nehmen  oder  einen  wärmern  Ton  anzuschlagen. 


VI.   Jahre  des  Stillstands.    1824—34. 

Die  Hofl'nung,  das  zu  Karlsbad  iuaugurirte  System  nach  Ablauf  der  für  seine  Herr- 
schaft zunächst  festgesetzten  fünf  Jahre  aufgegeben  zu  sehen  ging  nicht  in  Erfüllung.  Viel- 
mehr trat  da  eine  Verschärfung  ein:  die  traurige  Fortsetzung,  welche  die  Thätigkeit  der 
Mainzer  Central- üntersuchungscommission  vor  den  mit  der  Aburtheilung  der  Angeklagten  l)e- 
auftragten  preussischen  Gerichten  fand,  veranlasste  neue  Zwangsmaassregeln  gegen  die  Univer- 
sitäten. Am  21.  Mai  1824  verfügte  eine  Königliche  Cabinetsordre,')  „dass  alle  geheimen,  in 
Sonderheit  burschenschaftlichen  und  nach  dem  Geiste,  den  Grundsätzen  und  Zwecken  der 
Burschenschaft  eingerichteten  Verbindungen  auf  den  Königlichen  Universitäten  künftig  nicht 
als  blosse  Studentenverbindungen,  sondern  als  in  die  Kategorie  der  Edicte'vom  20.  October  1798 
und  6.  Januar  1818  gehörige  verbotene  geheime  Verbindungen  angesehn  und  behandelt  und 
daher  in  Gemässheit  dieser  Edicte  criminalgesetzlich,  daneben  aber  auch  mit  Relegation  und 
Unfähigkeit  zu  einem  öffentlichen  Amte,  wohin  in  dieser  Beziehung  auch  die  medicinische 
Praxis  zu  rechnen,  bestraft  Averden  sollten."  Ihre  Aburtheilung  ist  demgemäss  Sache  der  or- 
dentlichen Gerichte,  der  Senat  hat  nur  die  Relegation  zu  verhängen,  wie  denn  auch  die  Auf- 
sicht darüber  der  allgemeinen  Polizei  zusteht,  nicht  minder  wie  „der  erste  Angriff  und  die 
polizeiliche  Untersuchung",  nach  deren  Schluss  das  Polizeiministerium  nach  Maassgabe  des 
Ermittelten  die  Sache  entweder  an  die  Justiz  abzugeben  oder  weitere  Bestimmungen  zu  treffen 
hat.  Dazu  wurden  der  ausserordentliche  Regierungsbevollmächtigte  und  der  Universitätsrichter 
dem  Polizeiministerium  unterstellt,  hatten  an  dieses  zu  berichten  und  von  ihm  Befehle  zu 
empfangen,  während  Prorector  und  Senat  an  die  Bestimmungen  vom  18.  November  1819  ge- 
bunden blieben.  Sie  sollten,  „wenn  sie  nicht  mit  dem  gelnihrenden  Ernst  die  akademische  Di- 
sciplin  handhaben  und  ihre  übrigen  Pflichten  erfüllen,  entlassen  und  an  der  Stelle  andere  un- 
mittelbar ernannt  und  deshalb  von  dem  Ministerio  unfehlbar  und  ohne  Nachsicht  an  des  Königs 
Majestät  Vorträge  erstattet  werden,  wie  denn  Allerhöchstdieselben  unter  gleichem  Datum  auf 
einer  der  königlichen  Universitäten  den  Rector  entlassen  und  an  dessen  Stelle  einen  andern 
Rector  auf  drei  Jahre  unmittelbar  ernannt  haben."  Diesen  drakonischen  Satzungen  grösseren 
Nachdruck  zu  geben,  wurden  gleichzeitig  (2.  Juni)  die  furchtbaren  Strafen  bakannt  gemacht, 

1)  U.  63. 


74 

die  eben  gegen  eine  Anzahl  ehemaliger  Burschenschafter  7on  dem  Kammergericht  in  Berlin 
verhängt  worden  waren,  und  die  Studirenden  durch  Anschlag  „so  ernstlich  als  väterlich"  er- 
mahnt, „jeden  Antrag  zum  Eintritt  in  eine  geheime  Gesellschaft,  und  sollte  sie  die  unschul- 
digste Larve  tragen,  mit  Verachtung  und  Abscheu  abzuweisen  und  den  Verführer,  als  der 
offenbar  ein  falscher,  ins  Unglück  stürzender  Freund  ist,  der  Obrigkeit  anzuzeigen.'-') 

Welche  Vorstellung  machten  sich  damals  die  regierenden  Kreise  von  der  studirenden 
deutschen  Jugend!  Ein  Erlass  des  Ministers  der  Polizei  und  des  Innern,  von  Schuckmann, 
vom  4.  Juni  1824  erklärt,  jene  königliche  Verfügung  sei  veranlasst  „durch  die  sich  immer 
stärker  entwickelnde  Renitenz,  Gesetzwidrigkeit  und  Staatsgefährlichkeit  der  Burschenschaft 
und  ihrer  verschiedenen  Verzweigungen"  und  solle  die  Behörden  zu  deren  endlicher  Ausrottung 
in  den  Stand  setzen.  Die  1819  ergriffenen  Maassregeln  hätten  nichts  genützt;  erneute  Unter- 
suchung habe  das  Vorhandensein  einer  durch  einen  geheimen  Bund  geleiteten  Burschenschaft 
ergeben,  deren  Losung  „Gleichheit,  Freiheit  und  Einheit"  sei  und  die  sich  namentlich  unter 
dem  Deckmantel  von  Lesecirkeln  weiter  ausbreite.  „Es  liegt  hiernach  von  selbst  vor,  dass 
die  ganze  deutsche  akademische  Jugend  in  Beziehung  auf  politische  Gesinnungen  und  Anhäng- 
lichkeit an  Fürst,  Vaterland  und  Verfassung  und  in  Rücksicht  auf  Hass  gegen  alles  Bestehende 
und  auf  den  thörichten  Irrwahn,  zu  dessen  Verbesserung  berufen  zu  sein,  unter  dem  unmittel- 
baren Einfluss  eines  den  vollen  Thatbestand  des  Hochverraths  in  sich  vereinigenden  und  die 
gewaltsamsten  Mittel  zulassenden  geheimen  revolutionären  Bundes  stand."  ^)  „Diese  die  aka- 
demische Jugend  —  —  actenmässig  zur  Auflehnung  gegen  Gesetz  und  Obrigkeit  verführende, 
mithin  höchst  verderbliche  Burschenschaft  soll  und  muss  daher  auf  den  Königlichen  Universi- 
täten um  so  mehr  schlechterdings  garnicht  geduldet  werden,  als  sie  nach  der  Königlichen 
Allerhöchsten  Bestimmung  nunmehr  auch  formaliter  in  die  Classe  der  Criminalverbrechen  ge- 
hört." Dem  gegenüber  erschien  es  denn  freilich  als  eine  ausserordentliche  Gnade,  dass  den 
Mitgliedern  der  als  völlig  unpolitisch  und  unschädlich  erkannten  Pomesania  zu  Königsberg 
nicht  bloss  die  Strafe  erlassen,^)  sondern  auch  die  Fortsetzung  ihrer  Studien  unter  besonderer 
Aufsicht  des  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  gestattet  und  für  den  Fall  ferneren 
Wohlverhaltens  Zulassuug  zu  den  Prüfungen  und  dem  Vorbereitungsdienst  für  staatliche  An- 
stellung gewährt  wurde.*)  Erging  doch  um  dieselbe  Zeit  bei  Gelegenheit  der  Begnadigung 
etlicher  an  burschenschaftlichen  Verbindungen  in  Breslau  betheiligter  Studirender  eine  könig- 
liche Erklärung,  dass  die  akademischen  Behörden,  die  gegen  dergleichen  nicht  energisch  ein- 
schritten, ihre  akademische  Jurisdiction  verlieren  und  die  saumseligen  Professoren  alsbald  ge- 
bührend belangt  werden  sollten,^)  und  bald  danach  eine  andere,  wonach  der  Theilnahme  an 
der  Burschenschaft  Schuldige  hinfort  überhaupt  nicht  mehr  begnadigt  werden,  also  in  Zukunft 
mindestens  sechs  bis  acht  Jahre  Criminalfestungsarrest   zu    verbüssen  haben  würden.*)     Unter 


1)  D.  20. 

2)  D.  20. 

3)  Vgl.  oben  S.  71. 

4)  Curat.  Commisa.  7.  I.  12.  August  1824. 

5)  Minist.-Erl.  19.  Juli  1824.  D.  20. 
G)  Desgl.  d.  4.  August.     Ebd. 


75 

dem  Druck  eines  solcheD  Schreckeussystems  mussten  die  Universitäten  bald  unfähig  werden 
ihren  Beruf  zu  erfüllen,  sollten  ihn  auch  gar  nicht  mehr  in  dem  sehen,  was  sie  bisher  mit 
Stolz  dafür  gehalten  hatten.  In  Erläuterung  der  Königlichen  Cabinetsordre  vom  21.  Mai  1824 
war  als  unabänderlich  feststehender  Grundsatz  des  Ministeriums  ausgesprochen  worden,  „dass 
öffentliche  Lehranstalten  weder  durch  blosse  wissenschaftliche  Bildung  der  Zöglinge,  noch  da- 
durch, dass  auf  ihnen  nur  keine  schädlichen  und  verderblichen  Gesinnungen  erzeugt  und  be- 
fördert werden,  ihren  Zweck  erreichen,  sondern  dass  letzterer  neben  der  wissenschaftlichen 
Bildung  auch  darin  besteht,  in  den  Zöglingen  Gesinnungen  der  Anhänglichkeit  und  des  Ge- 
horsams am  Landesherrn  und  am  Staate  zu  erwecken  und  zu  befestigen.  Nach  diesem  Grund- 
satz muss  demnach  auch  auf  dortiger  Universität  sowohl  in  als  ausser  den  Lehrvorträgen  und 
bei  deren  Beaufsichtigung  um  so  mehr  verfahren  und  jede  Unterlassung  dem  Ministerium  ange- 
zeigt werden,  als  bei  Anstellungen  im  öffentlichen  Dienst  nicht  bloss  auf  Kenntnisse,  sondern 
auch  vorzugsweise  auf  jene  Gesinnung  Rücksicht  wird  genommen  werden." 

Aeusserungen,  wie  sie  dieser  Erlass  enthielt,  Di'ohungen,  wie  er  sie  gegen  Professoren 
und  Studirende  schleuderte,  schienen  doch  selbst  dem  ausserordentlichen  Regierungsbevoll- 
mächtigten Baumann  zu  weit  zu  gehen,*  zumal  in  Königsberg  von  allen  jenen  Vergehungen 
keine  vorgekommen  war.  Er  trug  daher  Bedenken,  ihn  dem  Senate  mitzutheileu,  wurde  aber 
auf  seine  Rückfrage  unter  dem  21.  Juni  1824')  dahin  beschieden,  dass  allerdings  die  Königsberger 
Universität  derartiger  Vorschriften  zu  ihrer  Ehre  nicht  bedürfe,  der  Königliche  Befehl  aber 
die  Mittheilung  an  alle  Universitäten  fordere:  auch  wurde  an  die  Pomesania  und  den  im 
Gegensatz  zu  ihr  entstandenen  „Bund  der  Vereinten"  erinnert,  wie  ja  auch  die  Anfänge  der 
Burschenschaft  auf  der  Albertina  nicht  ohne  Theilnahme  geblieben  seien.  Immerhin  gab  der 
Minister  zu,  dass  die  Mittheilung  des  Erlasses  von  der  Erklärung  begleitet  würde,  die  Königs- 
berger Universität  habe  ihrerseits  so  strenge  Vorschriften  nicht  verschuldet:  dafür  sei  ihr  An- 
erkennung  auszusprechen  und  Glück  zu  wünschen. 

„Wollen  wir  diesen  Glückwunsch  ganz  still  und  ohne  Zeichen  von  Gefühl  und  Antheil 
hinnehmen?"  war  die  überraschende  Frage,  die  Herbart  nach  Empfang  dieses  Curatorial- 
schreibens  an  seine  CoUegen  richtete.  Denn  auf  ihn  hatte  die  Schilderung  von  den  die  ganze 
akademische  Jugend  durchdringenden  demogogischen  Umtrieben  je  länger  je  tiefern  Eindruck 
gemacht.  „Offen  und  elirlich  spreche  ich  es  aus,  dass  ich  über  die  Schilderung  des  geheimen 
Bundes  erschrocken  bin  und  dass  ich  mir  so  etwas  nicht  gedacht  hatte,"  rief  er  entsetzt  aus. 
Er  verlaugte,  dass  man  ausführlichere  Mittheilungen  erbitte:  das  könne  einem  von  Niemand 
verdacht  werden,  da  das  Interesse  an  solchen  Gegenständen  und  die  herzliche  Einstimmung 
in  die  Maassregeln  des  Gouvernements  in  demselben  Maasse  wachsen  würde,  wie  man  mehr 
bestimmte  Einzelnheiten  erführe.  „So  schwer  zu  glaubende,  wenigstens  so  ungern  geglaubte 
Dinge,  wie  jener  geheime  Bund,  jene  giftigen  Lesecirkel  u.  s.  w.  verkleinern  sich  unwillkürlich 
in  den  Augen  dessen,  der  sie  nicht  genau,  nicht  im  Detail  zu  erfahren  Gelegenheit  hat.  Man 
kann  uns  kaltsinnig  finden,  bloss  weil  wir  nicht  genugsam  unterrichtet  sind."     Man  sieht,  der 

1)  B.  63. 


76 

Inhaber  von  Kants  Lelirstuhl  hatte  aus  Angst  vor  dem  angeblich  allgemein  herrschenden  De- 
magogeuthum  den  Kopf  völlig  verloren!  „Und  welche  Menge,"  ruft  er  weiter  aus,  „von  einzelnen 
Thatsachen  setzt  eine  solche  zusammengedrängte  Darstellung  voraus  wie  die,  welche  wir  ge- 
lesen haben.  Wie  viel  muss  schon  untersucht  und,  zum  Theil  wenigstens,  schon  so  weit  ins 
Klare  gebracht  sein,  dass  es  aus  dem  Ki'eise  der  blossen  Vermuthungen  (die  natürlich  keiner 
Mittheilung  fähig  sein  werden)  entschieden  heraustritt!"  Zum  Glück  bewahrten  Herbarts 
Collegen  etwas  kälteres  Blut  und  lehnten  die  von  ihm  vorgeschlagene  Bitte  um  nähere  Mit- 
theilungen ab. 

Es  war  kein  glückliches  Zusammentreffen,  das  eben  in  der  Zeit^  wo  das  Repressiv- 
system gegen  die  Universitäten  eine  weitere  Steigerung  erfuhr,  der  bisherige  ausserordent- 
liche Eegierungsbevollmächtigte  bei  der  Albertina,  Chefpräsident  Baumann,  als  Oberpräsident 
nach  Posen  versetzt  wurde.  Zu  seinem  Nachfolger  wurde  nicht  der  neue  Oberpräsident 
Theodor  von  Schön  bestellt,  sondern  • —  Anfangs  in  Gemeinschaft  mit  dem  bereits  Baumann 
beigegeben  gewesenen  Regierungsrath  Heyne  —  der  Geheime  Regierungsrath  Reusch,  der 
dieses  Amt  dann  volle  24  Jahre,  bis  zu  seinem  den  25.  April  1848  erfolgten  Tode,  ver- 
waltet hat.  Wenn  ihm  später  nachgerühmt  wurde,  in  würdiger  Auffassung  habe  er  der  ihm 
gestellten  schwierigen  Aufgabe,  als  Regierungsbevollmächtigter  die  Anforderungen  der  vorge- 
setzten Behörden  mit  den  akademischen  Verhältnissen  für  Professoren  und  Studirende  zu  ver- 
mitteln, so  glücklich  gelöst,  „dass  er  mit  der  gewissenhaftesten  Treue  des  Staatsbeamten  im 
wahrhaftesten  Interesse  des  Vaterlandes  die  höheren  Zwecke  der  Universität  schützte  und 
mit  aufopfernder  eigener  Resignation  für  ihre  Wohlfahrt  handelte",  so  muss  demgegenüber 
doch  auf  den  Druck  der  Verhältnisse  hingewiesen  werden,  der  ein  Gedeihen  der  Universi- 
täten auch  bei  der  sorgsamsten  Pflege  damals  unmöglich  machte.  Denn  schon  wurde  das 
System  einer  kleinlichen  Beaufsichtigung  und  Bevormundung,  dem  man  die  Studirenden  unter- 
worfen hatte,  auf  das  Studium  und  auch  auf  die  Professoren  ausgedehnt.  Das  Vorlesungs- 
verzeichniss  wurde  in  einer  ganz  neuen  Weise  zum  Gegenstand  amtlicher  Kritik  gemacht  und 
gab  Anlass  zur  Austheilung  von  Lob  und  Tadel  an  die  Professoren,  die  man  zu  einer  bisher 
keineswegs  herkömmlichen  wörtlichen  Erfüllung  rein  formaler  Statutenbestimmungen  anzu- 
halten strebte.  Während  aus  Anlass  des  Lectionskatalogs  für  das  W.S.  1822/23  es  als  ,,sehr 
erfreulich"  bezeichnet  wurde,  dass  Drumann  auch  die  Geschichte  der  Kunst  des  Alterthums 
zu  behandeln  unternehme,  und  die  Beschaffung  der  nöthigen  Hilfsmittels  in  Aussicht  gestellt 
wurde,  soll  Johannes  Voigt  „angehalten"  werden,  auch  Vorlesungen  über  die  histori- 
schen Hill  fs Wissenschaften,  besonders  Heraldik  und  Diplomatik,  anzuzeigen.  In  Betreff  der 
philologischen  Vorlesungen  wurde  tadelnd  bemerkt,  dass  solche  über  die  lateinischen  Pro- 
saiker fehlten,  weshalb  an  die  Professoren  Lobeck  und  Lachmann  „eine  nachdrückliche 
Verfügung"  zu  erlassen  sei.  Dann  ergeht  die  Weisung,  dass  diejenigen  ord.  und  aord. 
Professoren,  die  sich  noch  nicht  habilitirt,  d.  h.  die  durch  die  Statuten  vorgeschriebene 
Antrittsvorlesung  und  Disputation  noch  nicht  gehalten  haben,  das  binnen  einer  ihnen  zu 
stellenden  letzten  Frist  nachzuholen  haben,  nach  deren  Verstreichen  „der  früheren  Observanz 
gemäss"  Gehaltssperre  gegen  die  Säumigen  einzutreten  hat.  Dass  irgendwie  Compromittirten 
der  Zugang  zum  akademischen  Lehramt  verwehrt  wurde,  verstand  sich  von  selbst.     Das  hatte 


77 

bereits  der  ehemalige  ßurticbenscliafter  Lucas^)  eriahreu  niiiösen,  der,  damals  Lehrer  am 
Stadtgymnasium,  sich  1822  auf  Grund  seiner  Arbeit  ,,D(;  bellis  Suantopolci,  ducis  Pomera- 
norum,  adversus  Ordiuem  gestis  Teutoiiicum'-  als  Doceut  der  Geschichte  hatte  habilitiren 
wollen. 

Lehrer  und  Hörer  gleichmässig  trafen  die  Maassnahmen,  die  dem  verpönten  Verbin- 
dungswesen und  seinen  angeblichen  üblen  Folgen  durch  Erzwingung  grössern  Pleisses  der 
Studirenden  entgegenwirken  sollten.  Weitere  Verschärfung  der  polizeilichen  Cautelen  bei 
Ertheilung  von  Pässen  an  Studirende  sollte  deren  Reisen,  die  ja  burschenschaftlicher  Agi- 
tation dienen  konnten,  vollends  unmöglich  machen.  Die  Aufhebung  der  bisher  üblichen 
langen  Ferien  wurde  erwogen  und  im  Zusammenhang  damit  die  Einreichung  von  vollständigen 
Verzeichnissen  aller  immatriculirten  Studirenden  zu  Beginn  jedes  Semesters  verfügt.^)  In 
Folge  von  Klagen  einzelner  Lehrer  über  Unfleiss  verfügte  das  Ministerium  den  18.  Mai 
und  3.  November  1823,  der  akademische  Senat  sollte  nicht  bloss  über  den  bei  den  Studirenden 
herrschenden  Geist  und  ihre  Sitten  alles  Bemerkenswerthe  sammeln  und  berichten,  sondern 
auch  Alles,  was  zur  Gewinnung  eines  Urtheils  über  den  Fleiss  im  Allgemeinen  dienen  könnte, 
nach  jeder  Sitzung  in  Erwägung  ziehen  auf  Grund  der  von  den  einzelnen  Docenten  zu 
machenden  Angaben  über  den  Besuch  ihrer  Vorlesungen.  Im  Herbst  1824  wurde  dann,  wie 
es  heisst  in  Folge  einer  von  Frankfurt  a.  0.  ausgegangenen  Anregung,  die  Errichtung  einer 
besonderen  „Studiencommission"  vorgeschlagen:  aus  dem  Prorector,  dem  Kanzler,  den  vier 
Decanen,  dem  Stipendiencurator  und  dem  Universitätsrichter  bestehend,  sollte  sie  einmal  die 
Studirenden  bei  der  Auswahl  der  zu  hörenden  Collegien  berathen,  das  rechtzeitige  Belegen 
beaufsichtigen  und  alle  auf  die  Honorarstundung  bezüglichen  Dinge  besorgen.  Sie  wurde 
einstimmig  abgelehnt.^)  Darauf  verfügte  ein  Ministerialerlass  vom  14.  September  1824,  „dass 
auf  jeder  Universität  eine  Anzahl  von  Professoren  die  nähere  Aufsicht  auf  die  Studien  der 
einzelnen  Studenten  übernehmen  sollte,  und  zwar  im  Allgemeinen  so,  dass  jeder  die  beson- 
ders leitete,  die  unter  seinem  Decanat  zu  studiren  angefangen."  Die  Aufsicht  sollte  sowohl 
die  Auswahl  als  auch  den  Besuch  derCollegien  betreffen ;  Unfleissige  sollten  vermahnt  und  weiter- 
hin dem  Prorector  und  dem  ausserordentlichen  Eegierungsbevollmächtigten  angezeigt  werden. 
Aber  auf  die  Umfrage  des  Decans  Drumann  erklärten  alle  Professoren  der  philosophischen 
Facultät,  dass  sie  eine  solche  Aufsicht  nicht  übernehmen  würden,  „da  es  eine  der  Wirksam- 
keit der  Docenten  nachtheilige  Spannung  zwischen  ihnen  und  den  Studirenden  zur  Folge 
haben  würde,  ohne  den  gewiss  i-echt  wünschenswerthen  Zweck  zu  erreichen."  Diese  Erklä- 
rung machten  auch  die  übrigen  Facultäten  zu  der  ihrigen.  Nur  die  Professoren  der  Medicin 
Richter  und  Sachs  dissentirten."*)  Ja,  schliesslich  wurde  die  Universität  sogar  in  Bezug 
auf  ihre  amtlichen  und  corporativen  Aeusserungen,  die  zu  den  vornehmsten  ihrer  statutarisch 
feierlich  verbrieften  Rechte  gehören,  unter  Aufsicht  gestellt.  Ein  Ministerialerlass  von  1825 
ordnete  an,  dass  alle  im  Namen  der  Universität  zu  publicirenden  Schriften    vor  der  Ausgabe 

1)  Vgl.  S.  G8. 

2)  D.  20. 

3)  C.  74;  vgl.  Phil.  Fac.  A.  5.  IL 

4)  C.  74.  Bericht  vom  11.  Febr.  1H25. 


78 

dem  ausserordentlichen  KegierungsbevoUmächtigteu  zur  Genehmigung  vorgelegt  werden  sollten, 
selbst  die  Doctordiplome  nicht  ausgenommen.  Die  philosophische  Facultät,  die  davon  am  meisten 
getroffen  wurde,  erwog  ernstlich,  ob  sie,  um  sich  dieser  Aufsicht  zu  entziehen,  nicht  lieber  Formulare 
drucken  lassen  sollte,  in  die  nur  der  Name  des  Promovirten  einzutragen  war,  ja,  ob  man  nicht 
lieber  auf  den  Druck  der  Diplome  überhaupt  verzichten  und  sie  einfach  schreiben  lassen  sollte.') 
Auf  den  „Geist  der  Universitäten",  dessen  Besserung  bei  alledem  beabsichtigt  war, 
wirkte  ein  solches  Eepressivsystem  nur  nachtheilig  ein,  und  wie  anderwärts,  so  blieb  auch  in 
Königsberg  Behörden  und  akademischen  Lehrern  die  Wiederholung  der  alten  Erfahrung  nicht 
er.spart,  dass  bei  unkluger  Beschränkung  der  jugendlichen  Freiheit  im  Gebiete  des  durch 
Recht  und  Sitte  Erlaubten  die  Neigung  zu  Ausschreitungen  sich  auf  anderen  Gebieten  bis  zu 
anslössiger  Zuchtlosigkeit  und  selbst  Eohheit  steigert.  Gerade  in  den  Jahren,  wo  auf  den 
Universitäten  der  schwerste  Druck  lag,  haben  die  monatlichen  Disciplinarberichte  des  Se- 
nats''') besonders  oft  von  recht  argen  Ausschreitungen  zu  melden.  Die  lange  Reihe  von  Unter- 
suchungen wegen  in  der  Trunkenheit  begangener  Excesse,  wegen  Schlägereien  der  Studirenden 
unter  sich  und  mit  Bürgern,  wegen  Herausforderung  an  Civil  und  Militär,  wegen  nächtlicher 
Scandale  mit  Laterneneinschlagen  und  Schlimmerem  macht  den  Eindruck,  als  ob  man  auch 
in  Königsberg  damals  in  ein  Zeitalter  des  Renommistenthums  zurückverfallen  sei.  Die  Be- 
hörden aber  fassten  diese  Vorgänge  in  verhängnissvoller  Verkennung  des  ursächlichen  Zu- 
sammenhanges als  Ausflüsse  des  die  akademische  Jugend  ei'füllenden  gesetzlosen  und  rebelli- 
schen Sinnes  und  nahmen  sie  zum  Anlass  für  neue  Repressivmaassregeln,  die  den  Studirenden 
eigentlich  ausserhalb  des  Gesetzes  stellten  und  schutzlos  jeder  Polizeiwillkür  preisgaben,  Pro- 
rector  und  Senat  aber  zu  deren  Werkzeugen  herabzuwürdigen  drohten.  Hatte  doch  bereits 
bei  Gelegenheit  der  Verhandlungen  über  die  Auflösung  der  Pomesania  der  Kanzler  Reidenitz 
den  Vorschlag  gemacht,  alle  den  Studirenden  noch  zustehenden  Privilegien  aufzuheben,  wähi-end 
der  neue  ausserordentliche  Regierungsbevollmächtigte  Reu  seh  im  Gegensatz  zu  dem  Senat 
dafür  eingetreten  war,  gewisse  Arten  studentischer  Vereine  zu  gestatten,-'')  obgleich  das  Mini- 
sterium immer  wieder  nach  Mitteln  fragte,  um  die  verbotenen  studentischen  Verbindungen 
endlich  aus  der  Welt  zu  schaffen  und  unmöglich  zu  machen.*) 


1)  Phil.  Fac.  12.  r. 

2)  Vgl.  oben  S.  77. 

3,  Curat.-Act.  Commiss.  7.  IE. 

4)  D.  20.  Höchst  charakteristisch  ist  für  die  übermässige  Bedeutung,  welche  von  Seiten  der  Regierung 
damals  dem  studentischen  Verbindungswesen  beigelegt  wurde,  namentlich  der  diesen  Punkt  betreffende  Theil  des 
1825  eingeführten  Formulars  für  die  akademischen  Abgangszeugnisse.     Dasselbe  sollte  je  nachdem  lauten: 

.Einer  Theilnahme  an  verbotenen  Verbindungen  unter  Studirenden  ist  derselbe 

a)  niemals  verdächtig  geworden, 

b)  zwar  beschuldigt  worden,  es  hat  indessen  die   deshalb  geführte  Untersuchung    ihn  vollkommen 

gerechtfertigt, 

c)  zwar  beschuldigt,  jedoch  nicht  überführt  worden, 

d)  zwar  nicht  vollständig  überfuhrt,    doch  so  dringend  verdächtig  geworden,    dass    deshalb    seine 

Entfernung  von  der  Universität  durch   das  consilium  abeundi  hat  erkannt  werden    müssen. 

e)  vollständig  überführt  und  daher  die  Relegation  gegen    ibn  erkannt  worden,  welche    durch    die 

Allerhöchste  Begnadigung  u.  s.  w. 


79 

Der  Abscliluss  der  Demagogemmtersucluingen  und  die  drakonische  Sentenz  des 
Breslauer  Oberlandesgericbts  gegen  den  „Bund  der  Jünglinge"  veranlassten  neue  Strafmandate. 
Die  Urtheile,  begründet  durch  die  Behauptung,  die  Burschenschaft  sei  durch  die  Untersuchung 
„im  eigentlichsten  Sinn  des  Worts  als  die  Vorschule  der  hochverrätherischen  Umtriebe  und 
Bedürfnisse  auf  den  Universitäten  actenmässig  erwiesen",  sollten  zur  Warnung  und  unter 
lobender  Anerkennung  der  Thatsache,  dass  in  Königsberg  dergleichen  nicht  geschehen  sei, 
bei  dem  Redeact  am  ?>.  August  durch  den  Professor  der  Eloquenz,  Lobeck,  öffentlich  be- 
kannt gemacht  werden.  Davon  hofl'te  man  eine  Minderung  des  Einflusses  der  „falschen  und 
irrthümlichen,  mit  den  unabweichbaren  Grundlagen  der  deutscheu  Verfassung,  dem  monarchi- 
schen Princip  in  Widerspruch  stehenden  sogenannten  constitutionellen  Doctrinen  und  jeuer 
seichten,  oberflächlichen  Schule,  über  deren  Nichtduldung  das  Ministerium  so  oft  sich  aus- 
gesprochen hat."') 

Wer  in  jener  Zeit  der  Worte  gedacht  hatte,  mit  denen  August  Wilhelm  Heidemann 
dereinst  für  eine  würdigere  Behandlung  der  Studirenden  eingetreten  war,*)  der  hätte  statt 
eines  erfolgten  Fortschreitens  nur  einen  bedauerlichen  Rückschritt  zu  constatiren  gehabt. 
Die  Aufhebung  des  von  Jenem  so  energisch  gerügten  Prügelmandats  allein  that  es  doch  nicht! 
Welches  Bild  musste  man  sich  von  der  studirenden  Jugend  auf  den  preussischen  Universitäten 
machen,  wenn  man  die  zunächst  durch  Hallenser  Vorgänge  veranlasste  Circularverfügung  des 
Ministeriums  vom  25.  Juli  1826  las,^)  die  natürlich  auch  die  Jünger  der  Albertina  traf. 
Danach  soll  semesterlich  ein  Verzeichniss  eingereicht  werden  der  durch  „Ausbrüche  von 
Sittenlosigkeit  ausgezeichneten  oder  bemerkbar  gewordenen  Studenten"  zur  Mittheilung  an 
sämmtliche  Consistorien,  Provinzialschulcollegien,  Regierungen  und  wissenschaftliche  Prüfuugs- 
commissionen,  denen  die  Weisung  zugeht,  ,, diese  Individuen  weder  zu  den  Prüfungen  zuzulassen, 
noch  anzustellen,  noch  zur  Anstellung  vorzuschlagen."  Demgemäss  haben  die  Abgangs- 
zeugnisse hierüber  hinfort  die  genauesten  Angaben  zu  machen,  denn  es  soll  gegenüber  Män- 
geln auf  diesem  Gebiet  in  Zukunft  gar  keine  Rücksicht  mehr  genommen  werden  „auf  etwaige 
wissenschaftliche  Bildung  und  Kenntnisse,  wie  ausgezeichnet  sie  auch  sein  mögen."  Den  so 
zu  ahndenden  Vergehungen  werden  auch  die  Ausschreitungen  der  studentischen  Tracht  zu- 
gezählt, indem  berichtet  wird,  „dass  unter  den  von  Halle  nach  Berlin  gekommenen  Studiren- 
den sich  mehrere  befinden,  welche  dort  die  einzigen  sind,  welche  durch  entblössten  Hals, 
langen  Bart,  farbige  und  bunte  Mützen,  langes  Haar  und  überhaupt  durch  ein  unter  ge- 
sitteten Leuten  längst  verschwundenes,  allenfalls  noch  unter  Zöglingen  des  niedern  Hand- 
werkerstandes hin  und  wieder  bemerkbares,  an  alle  äusserlichen  Lächerlichkeiten  der  ehemals 
sogenannten  Deutschen  Tracht  und  des  Unfugs  der  Burschenschaft  und  des  Turnwesens 
erinnerndes  unsittliches,  auffallendes  und  abgeschmacktes  Costüm  sich  auszeichnen  und  ein 
für  sie  nachtheiliges  Aufsehen  erregen."  Auch  in  Königsberg  ergingen  nun  die  entsprechen- 
den Verfügungen  und  Anschläge,  welche  die  Träger  dieses  „unschicklichen  Costüms"  be- 
drohten mit  sofortiger  Abnahme  der  Matrikel,    Ueberweisung  an   die  Polizei  zur  Entfernung 


1)  Ebendas. 

2)  Vgl.  oben  S.  30. 

3)  1).  19. 


aus  der  Stadt  und  Ausschluss  von  jeder  Prüfung  und  Anstellung,  und  im  Gegensatz  dazu 
verhiessen,  „dass  diejenigen  Studirenden,  welche  von  unsittlichen  Richtungen  entfernt  sind, 
sich  einer  besonderen  Fürsorge,  Theilnahme  und  Berücksichtigung  erfreuen  können."*)  Als 
besonders  anstössig  wurden  rothe  oder  sonst  farbige  Mützen  bezeichnet  oder  solche  von 
ungewöhnlicher  Form:  sie  sollten  sofortiges  polizeiliches  Einschreiten  und  die  unangenehmsten 
polizeilichen  Maassregeln  gegen  ihre  Träger  zur  Folge  haben. 

Eine  solche  Sprache  zu  den  Studirenden  und  eine  solche  Behandlung  der  künftigen 
Diener  des  Staates,  der  Kirche  und  der  Wissenschaft  und  die  Bedrohung  aller  nicht  un- 
bedingt Fügsamen  mit  Ausschluss  von  der  erwählten  Laufbahn  waren  wahrlich  nicht  ge- 
eignet, den  „Geist  der  Universitäten"  zu  heben.  Blieb  doch  der  Jugend  all  das  bei 
schwerer  Strafe  verschlossen,  woran  sie  sich  hätte  erheben  und  begeistern  und  das  wirksamste 
Gegengift  gegen  die  eingerissene  Verwilderung  hätte  finden  können.  Mit  ängstlichem  Miss- 
trauen beobachtete  man,  wie  auch  in  ihr  die  Sympathien  für  den  Freiheitskampf  der  Griechen 
sich  regten.  Lieferte  doch  ein  Polizeiagent,  der  nach  dem  Galtgarben  ,, reiste",  um  die  Vor- 
gänge bei  dem  üblichen  Feste  am  18.  Juni  zu  beobachten,  einen  dort  aufgefundenen  hand- 
schriftlichen Anschlag  ein,  der  zu  Sammlungen  für  die  Griechen  aufforderte.  Ein  Ministerial- 
erlass  vom  22.  Mai  1826  hatte  die  Befürchtung  ausgesprochen,^)  dass  diese  Sympathie  ..leicht 
als  Aushängeschild  für  politische  Zwecke  und  gesetzwidrige  Verbindungen  und  Versammlungen 
gemissbraucht  werden  und  das  in  Anspruch  genommene  Gefühl  des  Mitleids  in  parteisüchtigen, 
weit  über  das  eigentliche  Ziel  hinaus  strebenden  Enthusiasmus  ausarten  könnte."  Sammlungen 
durften  deshalb  nur  veranstaltet  werden  für  die  ai-men  Wittwen  und  Waisen  der  Getödteten 
und  zur  Loskaufung  griechischer  Sklaven:  jede  Abweichung  davon  würde  ,,dem  System  unseres 
Hofes  geradezu  entgegen  sein".  Das  freilich  Hess  sich  nicht  hindern,  dass  Lobeck  in  seineu 
in  jenen  Jahren  gehaltenen  akademischen  Festreden  der  Wiedergeburt  Griechenlands  mit 
begeisterter  Theilnahme  gedachte  und  den  wärmsten  Wünschen  für  einen  glücklichen  Ausgang 
des  hellenischen  Freiheitskampfes  Ausdruck  gab.^) 

Ein  so  andauernder  Druck  ging  schliesslich  auch  an  den  Professoren  nicht  spurlos 
vorüber.  Während  diese  Anfangs  tapfer  für  die  schwer  verunglimpfte  Studentenschaft  der 
Albertina  eingetreten  waren  und  manche  demüthigende  Zumuthung  glücklich  abgewehrt  hatten, 
erlahmte  auch  bei  ihnen  allmählich  der  Widei-stand,  und  es  kam  eine  Eichtung  auf,  die  unter 
dem  verstimmenden  Eindruck  zweifellos  vorhandener  Uebelstände  dem  Bestreben  der  Regierung 
nach  einer  mehr  schulmässigen  Gestaltung  des  akademischen  Lebens  und  Unterrichts  sogar 
entgegenkam.  Längst  waren  bei  manchen  Professoren  die  Studentenbälle  und  Concerte 
niissliebig.  In  den  Augen  der  Regierung  sprach  gegen  sie  namentlich,  dass  die  Wahlen  der 
zu  ihrer  Leitung  berufenen  „Entrepreneurs"  oft  Aulass  gaben  zu  Parteiungen  und  zur  Entstehung 
von  Verbindungen  und  Vereinen.  Wie  wenig  die  bisherigen  Repressivmaassregeln  ihren  Zweck 
erreicht  hatten,  das  verpönte  Verbindungswesen  vielmehr  in  der  Stille  fortbestand  und  selbst  die 
Burschenschaft,  wenn  auch    in  sehr  schattenhafter  Abschwächung,  sich  auf  der  Albertina    ein- 

1)  Erlass  vom  15.  August  1826,  S.  19;  wiederholt  15.  November  182G. 

2)  Curator.  Commiss.  7,  II. 

3)  Leiinerdt,  a.  a.  0.,  S.  46  ff. 


81 

genistet  hatte,  wurde  eben  damals  offenbar.  Selbst  die  Polizei  scheint  sich  von  der  Unmög- 
lichkeit einer  buchstäblichen  Durchführung  der  ergangenen  Verbote  überzeugt  zu  haben  und 
drückte  ein  Auge  zu,  da  sie  an  den  bestehenden  Vereinen  irgend  etwas  Straffälliges  nicht 
entdeckte.  Ein  amtlicher  Bericht  aus  dem  Jahre*  1836')  stellte  diese  Vorgänge,  die  für  die 
Gestaltung  des  gesammten  akademischen  Lebens  jener  Zeit  von  Einfluss  und  zugleich  charak- 
terisch waren,  in  der  Hauptsache  folgeudermassen  dar. 

Nach  der  Auflösung  der  Burschenschaft  1818  gab  es  zunächst  bis  1819  keine  „Parteien" 
unter  den  Studirenden.  Da  sonderten  sich  die  aus  Lithauen  Gebürtigen  ab  und  lebten  unter 
dem  Namen  Lithauer  mehr  unter  sich.  Das  gab  den  Anstoss  zur  Stiftung  der  Pomesania,^) 
die  meist  aus  geborenen  Pommern  bestand,  der  sich  aber  auch  anderwärts  Heimische  an- 
schlössen. So  standen  bis  1822  auf  der  einen  Seite  die  Pomesaneu,  auf  der  anderen  die 
Lithauer,  verbunden  mit  den  übrigen  keiner  Partei  Angehörigen,  die  sich  Burschenschaft 
nannten,  jedoch  ohne  damit  die  ursprüngliche  Idee  zu  verbinden.  1822  löste  sich  die  Lithuania 
auf  und  verband  sich  mit  der  sogenannten  Burschenschaft.  Die  Pomesania,  entdeckt  und 
gemaassregelt,  wenn  auch  ihre  Theilnehmer  schliesslich  begnadigt  wurden,  ging  1823  ein,  und 
es  entstand  ein  „Lithauer-Kränzchen",  mit  welchem  Namen  die  geborenen  Lithauer  ihr  engeres 
Zusammenleben  belegten;  bei  ihrer  geringeren  Zahl  vereinigten  sie  sich  wöchentlich  'einmal 
in  einem  Gasthaus  zu  geselligem  Vergnügen.  Nach  diesem  Beispiel  entstand  1824  noch  ein 
anderes  „Kränzchen",  das  der  Pappenheimer,  in  dem  sich  die  Gebildeteren  der  Universität 
ohne  Rücksicht  auf  ihre  Hei'kunft,  darunter  viele  von  Adel,  zu  gesellschaftlichem  Vergnügen 
vereinigten.  Doch  nahmen  beide  Kränzchen  auch  an  den  Studentenversammlungen  Theil,  die 
mit  Zustimmung  des  akademischen  Senats  zum  Zweck  der  Wahl  der  Entrepreueure  für  die 
Bälle  und  Concerte  gehalten  wurden.  Der  Namen  Pappenheimer  hatte  übrigens  den  Sinn, 
dass  die  Genossen  dieser  Gesellschaft  unter  den  Studirenden  eine  ähnliche  Elitetruppe  zu 
bilden  meinten  wie  Pappenheims  Dragoner  in  Wallensteins  Heer.  Als  sich  1825  das  Lithauer- 
kränzchen  aus  Mangel  au  Theilnehmeru  auflöste,  wurde  für  alle  nicht  zu  den  Pappenheimern 
gehörigen  Studirenden  die  Bezeichnung  Masuren  üblich,  besonders  seit  1826.  Nachdem  dann 
1827  wieder  ein  Lithauerkränzchen  entstanden  war,  hielten  dessen  Mitglieder  mit  den  Pappen- 
heimern und  den  Masuren  zusammen,  indem  sie  namentlich  bei  der  Wahl  der  Entreprenem-e 
gegenseitig  ihre  Candidateu  unterstützten.  Darüber  kam  es  innerhalb  der  Studentenschaft  zu 
Reibungen,  die  endlich  1827  für  kurze  Zeit  ihre  Erledigung  fanden,  indem  die  ganze  Studenten- 
schaft sich  zusammenthat  und  als  „Burschenschaft"  bezeichnete,  ohne  irgend  etwas  von  dem 
anzunehmen,  was  zum  Wesen  einer  solchen  gehörte.  Aber  schon  Weihnachten  1828  begann 
eine  neue  Zersetzung.  Im  Januar  1829  trat  ein  als  Masuren  bezeichnetes  Kränzchen  zu- 
sammen, darin  ein  Schotten  genannter  engerer  Kreis,  meist  ehemalige  Schüler  des  Altstädtischen 
Gymnasiums.  Diese  waren  auch  betheiligt  bei  der  ebenfalls  von  den  Masuren  ausgehenden 
Bildung  einer  Borussia.  Bald  darnach  zweigten  sich  die  Masuren  im  engern  Sinn  als  besondere 
Corporation  ab,   so  dass  es  damals  die  fünf  „Kränzchen"  der  Lithauer,  der  Pappenheimer,  der 


1)  Curat.  Commiss.  7.  II. 

2)  Vgl.  S.  71. 


Schotten,  der  Borussen  und  Masuren  gab,  denen  alle  übrigen  unter  dem  Collectivnämen  der 
Burschenschaft  gegenüberstanden.  Auch  diese  kennzeichnete  sich  gelegentlich  durch  Farben 
(schwarz-roth-weiss),  die  trotz  aller  Verbote  auch  bei  den  übrigen  Vereinigungen  in  der  Stille 
in  Uebung  waren. 

Natürlich  ging  es  zwischen  diesen  Parteien  nicht  ganz  ohne  Reiberei  ab ;  namentlich 
gaben  die  Wahlen  der  Entrepreneure  für  die  Bälle  und  Coucerte  gelegentlich  zu  hässlichen 
Tumulten  Anlass.  Deshalb  beantragte  der  Senat  zu  Beginn  des  Jahres  1828  die  Aufhebung 
jener  Veranstaltungen,  bei  deren  Vorbereitung  sich  so  arge  Missbräuche  eingeschlichen,  dass 
in  ihnen  mehr  oder  minder  die  Quelle  aller  Vergehen  zu  suchen  sei,  die  gestraft  werden 
müssten.^)  Man  wies  ferner  auf  die  Kosten,  auf  die  zerstreuende,  den  Studien  nachtheilige 
Wirkung,  welche  durch  die  grosse  Menge  der  an  die  Studenten  ergehenden  Gegeneinladungen 
noch  gesteigert  wurde,  und  auf  die  zu  Duellen  führenden  Händel,  die  dabei  so  oft  entstanden. 
Nur  der  Theologe  Kahler  ei'klärte  sich  gegen  die  Aufhebung  jener  Festlichkeiten,  indem  er 
auf  ihren  sittlich  und  gesellschaftlich  bildenden  Werth  hinwies.  Aus  dem  gleichen  Grunde 
stimmte  auch  der  Regierungsbevollmächtigte  dem  Antrag  des  Senats  nicht  bei,  sondern  wollte 
den  alten  Brauch  trotz  der  damit  gelegentlich  verbundenen  üebelstände  beibehalten  sehen. 
Da  aber  der  Senat  auf  seinem  Antrage  beharrte,  so  wurde  er  der  Entscheidung  des  Ministe- 
riums unterbreitet,  der  nach  langen  Verhandlungen  den  Standpunkt  des  Regierungsbevoll- 
mächtigten zu  dem  seinigen  machte. 

Aber  die  Klagen  über  den  „Geist"  der  Studireuden  kamen  nicht  zur  Ruhe.  Rügen 
und  Strafandrohungen  blieben  demgemäss  in  Uebung,  obgleich  die  Praxis  der  Regierung  gegen 
Ende  der  20er  Jahre  milder  wurde.  Auch  scheinen  Ausschreitungen  in  Königsberg  damals 
seltener  gewesen  zu  sein.  Denn  indem  er  ein  neues  Mandat  gegen  nächtliches  Lärmen, 
Kneipereien  und  das  Auftreten  mit  Pfeifen  und  bunten  Mützen  der  ihm  gewordenen  Weisung 
gemäss  (20.  September  1829)  bekannt  macht,  bemerkt  der  Senat,  obgleich  es  zur  Abstellung 
gewisser  Missstände  genügen  werde,  die  Studirenden  auf  das  hinzuweisen,  was  sie  der 
Universität  und  sich  selbst  schuldig  sind,  veröffentliche  er  dennoch,  „um  dem  Gesetze  zu  ge- 
nügen", die  schon  so  oft  veröffentlichten  Strafmandate  gegen  Trinkgelage,  Comitate  u.  s.  w. 
noch  einmal.  Dagegen  wurden  von  Seiten  einiger  Professoren  immer  neue  Klagen  über  den 
Unfieiss  der  Studirenden  erhoben  und  Maassregeln  dagegen  gefordert.  Das  führte  schliesslich 
zu  einer  förmlichen  Enquete  über  diesen  Punkt,  der  sich  die  Regierung  um  so  weniger  ent- 
ziehen mochte,  als  sie  im  S.  S.  1828  durch  Einführung  einer  amtlichen  Verzeichnung  des 
Anfangs  und  des  Schlusses  der  Vorlesungen  auch  den  Professoren  gegenüber  einen  weitern 
Schritt  zur  staatlichen  Fleisscontrole  gethan  hatte. ^)  Die  in  dieser  Angelegenheit  ergangenen 
Berichte  der  FaCultäten,  denen  die  Mittheiluugen  der  einzelnen  Professoren  über  ihre  Er- 
fahrungen in  Betreff  des  Collegienbesuchs  zu  Grunde  liegen,  sind  nicht  ohne  ein  allgemeines 
und  vielfach  auch  nicht  ohne  ein  persönliches  Interesse.  Als  philosophischer  Decan  constatirt 
Carl  Ernst  von   Baer,^)    dass    allgemeine    Klagen    über   unfleissigen  Collegienbesuch    nicht 


1)  Senatsbericht  vom  10.  .Januar  1828.     Curat    Commiss. 

2)  S.  19. 

3)  Ebendas.  17.  Juli  182'J. 


83 

vorliegen,  sondern  der  Fleiss  mebrfacli  ausdrücklich  gerühmt  werde:  dagegen  vermisse  man 
häufig  das  rechte  wissenschaftliche  Interesse  und  das  recht  wirksame  Privatstudium.  Die 
Mehrzahl  der  Professoren  macht  dafür  in  erster  Linie  immer  wieder  die  Bälle  und  Concerte 
verantwortlich  und  kommt  zurück  auf  die  Forderung,  dass  diese  abgeschafft  werden.  Zur 
Abhülfe  schlägt  man  voi',  die  von  den  Studirenden  nachgesuchten  Fleisszeugnisse  nicht  erst, 
wie  damals  im  Allgemeinen  üblich,  am  Ende  des  Studiums,  sondern  allsemesterlich  aus- 
zustellen. Andere  empfehlen  Einführung  einer  Prüfung  über  jede  gehörte  Vorlesung,  Zusammen- 
legung der  störenden  Sommerferien  (von  Mitte  Juli  bis  Mitte  August)  mit  den  Herbstferien 
Beschaffung  besser  bei  einander  liegender  Auditorien,  Vermehrung  der  Examinatorien  und 
Repetitorien  u.  a.  m.  Besonders  unmuthig  äusserte  sich  wiederum  Herbart,  der  seine  Anfangs 
sehr  stattlichen  Auditorien  regelmässig  auf  einen  kleinen  Bruchtheil  zusammenschwinden  sah. 
Während  er  zugiebt,  dass,  als  die  Frage  nach  dem  Fleisse  der  Studirenden  zuerst  gleichzeitig 
mit  der  Demogogenverfolgung  aufgeworfen  wurde,  der  Senat  sich  füglich  der  Studirenden 
habe  annehmen  müssen,  da  diese  „nur  wenig  und  nichts  Bedeutendes  vom  Zeitgeist  spüren 
Hessen",  verhält  sich  nach  seiner  Meinung  die  Sache  jetzt  ganz  anders.  „Meines  Erachtens 
muss  —  so  urtheilt  er  —  das  alte  Uebel  des  unregelmässigen  CoUegienbesuchs,  was  ich  vor 
20  Jahren  hier  vorfand,  was  sich  nach  dem  Befreiungskrieg  (1818  bis  etwa  1820  oder  1822) 
um  etwas  besserte,  dann  aber  allmählich  wieder  sehr  merklich  verschlimmerte,  zuvörderst 
offen  eingestanden  werden,  da  unsere  Universität  dadurch  gegen  andere  Universitäten  zurücksteht 
und  der  Muth  des  Lehrers  dadurch  gebrochen  wird."  Auch  mit  seinen  Repetitorien  erklärt 
Herbart  üble  Erfahrungen  gemacht  zu  haben  und  wünscht,  es  möchte  den  Studirenden 
darüber  ernst  und  streng  die  Wahrheit  gesagt  werden.  Aehnlich  ungünstig  urtheilt  Drumann: 
er  will  auf  keiner  der  ihm  bekannt  gewordenen  Universitäten  einen  solchen  Mangel  an 
öffentlichem  Fleiss  gefunden  haben  wie  hier,  sieht  den  Grund  davon  aber  in  gewissen  be- 
sonderen Verhältnissen,  namentlich  in  der  herrschenden  Armuth,  die  viele  Studirenden  zu 
massenhaftem  Stundengeben  nöthigt.  Doch  war  diese  pessimistische  Auffassung  keineswegs 
allgemein:  hing  sie  doch  zum  Theil  mit  der  Vorstellung  zusammen,  die  der  einzelne  Lehrer 
von  dem  Werthe  des  von  ihm  vertretenen  Fachs  hatte,  und  seinem  Wunsche,  dasselbe  als  ein 
zur  Bildung  überhaupt  unentbehrliches  allgemein  anerkannt  und  getrieben  zu  sehen.  Gegen 
diesen  Standpunkt  polemisirte  mit  überlegener  Ironie  B  es  sei.  „Die  grösste  Ursache  zu  Klagen 
hat  —  die  Logik  gegeben.  Von  dieser  hat  Kästner')  behauptet,  dass  das  Studium  der 
Euclidischen  Elemente  sie  ebenso  vollständig  lehre  als  ein  systematischer  Vortrag  darüber. 
Wenn  er  diese  Meinung  wirklich  hatte,  so  würde  er  die  Vorlesung  über  Logik  vielleicht  in 
demselben  Augenblick  verlassen  haben,  wo  er  ihren  Gegenstand  genau  kennen  gelernt  haben 
würde:  —  er  würde  gewiss  zu  tadeln  gewesen  sein,  dass  er  das  Angefangene  nicht  beendigte, 
aber  er  wüi'de  seiner  Ansicht  gemäss  gehandelt  haben,  wenn  er  garnicht  angefangen  hätte. 
Es  wäre  nachtheilig,  wenn  jeder  alles  Gute,  was  ihm  dargeboten  wird,  lernte:  von  mathematischen 
Vorträgen  könnte  man  auch  die  allgemeine  Nothwendigkeit  behaupten,  allein  es  würde  doch 
nicht  gut  sein,  wenn  man  von  jedem  verlangen  wollte,   dass   er  sich  gerade  auf  diesem  Wege 

1)  Der  berühmte  Mathematiker,  Astronom  und  Dichter  Abraham  Gotthelf  Kästner  (geboren  1719, 
t  1800  als  Professor  in  Gottingen). 


84 

logisch  ausbildet."  Dove  findet  ein  Haupthinderniss  für  einen  erfolgreichen  Betrieb  der 
naturwissenschaftlichen  Studien  in  der  bei  den  Studirenden  fast  allgemein  herrschenden  Un- 
kenntniss  der  neuereu  Sprachen,  während  ßurdach  wieder  gegen  die  Concerte  und  Bälle 
eifert,  die  zu  veranstalten  man  „fiiglich  künftigen  Kammerjunkern  vorbehalten"  möge,  während 
er  die  von  anderer  Seite  angegriffenen  Sommerferien  als  „in  unserm  Laude  unentbehrlich" 
nachdrücklich  in  Schutz  nimmt.  Besonders  eingehend  und  dabei  unbefangen  und  sachlich 
äussert  sich  der  Jurist  Schweikart.  Klagen  der  Art,  so  meint  er,  seien  zu  allen  Zeiten 
gehört  worden;  thatsächlich  aber  sei  unerachtet  einzelner  üebelstände  im  Ganzen  und  Grossen 
gegen  früher  eine  höchst  erfreuliche  Besserung  unverkennbar,  und  so  lange  die  Universitäten 
in  ihrer  gegenwärtigen  Verfassung  bleiben,  werde  es  Fleissige  und  Unfleissige  geben.  Zur 
Abhülfe  empfiehlt  er  das  Fernhalten  Unbefähigter  durch  Strenge  oei  den  Prüfungen.  Die  theolo- 
gische Facultät  hat  einen  auffallend  schlechten  CoUegienbesuch  nicht  bemerkt,  klagt  aber  auch 
über  Mangel  an  wissenschaftlichem  Sinn.  Die  Summe  aus  allen  diesen  Gutachten  zog  ein  Bericht 
des  Senats  an  den  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  vom  10.  September  1829. 
Er  constätirt  das  Auseinandergehen  der  Ansichten  über  die  Studentenbälle  und  -Concerte: 
die  Mehrheit  spreche  sich  für  ihre  Beibehaltung  aus,  weil  ihr  Verbot  „den  Sitten  der  Studi- 
renden sehr  nachtheilig"  sein  würde;  doch  sollten  Stipendiaten  und  Beneficiaten  dabei  nicht 
mehr  als  „Entrepreneure"  fungii-en  dürfen.  Alle  Commerse  und  Comitate  dagegen  sollen 
untersagt  sein.  Auch  wurde  darauf  hingewiesen,  dass  viele  Studirende  die  Universität  mit 
der  vorgefassten  Meinung  bezögen,  sie  müssten  sich  zunächst  von  den  Anstrengungen  der 
Schulzeit  erholen,  und  sich  deshalb  gerade  in  den  ersten  Semestern  Versäumnisse  zu  schulden 
kommen  Hessen,  die  hinterher  nicht  gut  einzubringen  sind.  Nicht  unberührt  bleibt  der  Nach- 
theil, den  vielen  Studirenden  die  Ableistung  des  Militärdienstes  während  der  Studienzeit  bringt. 
Einen  Hauptgrund  unregelmässigen  Collegienbesuchs  aber  sah  man  in  dem  Fehlen  einer  hin- 
reichenden Anzahl  nahe  bei  einander  gelegener  Auditorien,  das  die  Studirenden  nöthigte,  in 
kurzer  Zeit  oft  w^eite  Wege  zu  machen.  Damit  kam  man  zurück  auf  die  schon  1817  erörterte 
Frage')  nach  dem  Bau  eines  besondern,  ausreichenden  Eaum  für  die  verschiedenen  Lehrzwecke 
gewährenden  Collegiengebäudes.  Die  Antwort  des  Ministeriums  vom  26.  Februar  1830  lässt 
erkennen,  dass  auch  dort  bereits  gelegentlich  eine  unbefangenere  Auffassung  der  akademischen 
Verhältnisse  durchdrang.  Die  Studentenbälle  und  Concerte  sollen  auch  ferner  stattfinden;  die 
vom  Senat  gewünschte  Ausschliessung  der  Stipendiaten  und  Beneficiaten  von  ihrer  Leitung 
wird  mit  Recht  verworfen;  die  gegen  den  Militäi-dienst  und  mittelbar  gegen  die  Gymnasien 
erhobenen  Anschuldigungen  werden  als  unbegründet  zurückgewiesen;  überhaupt  soll  von  jeder 
besonderen  Maassnahme  zur  Hebung  des  Fleisses  abgesehen  werden,  denn  das  Ministerium 
erwartet  die  einfachste  und  allein  sicher  wirksame  Abhülfe  ausschliesslich  von  dem  persön- 
lichen Einfluss  der  Lehrer  auf  ihre  Zuhörer.  Als  berechtigt  aber  erkennt  das  Ministerium  die 
Klage  über  den  Mangel  an  gut  gelegenen  Auditorien  an,  erklärt  sich  bereit,  demselben  nach 
Möglichkeit  abzuhelfen,  und  erfordert  nähere  Angaben  und  geeignete  Vorschläge. 

Auch  sonst  schien  damals  für  die  Albertina  und  ihre  Studentenschaft  endlich  eine  bessere 

1)  Vgl.  S.  50. 


85 

Zeit  zu  begiuiien,  indem  eiu  besouderer  Zwischenfall  das  traurige  Vorurtbeil  zu  überwinden 
verbiess,  das  sieb  bei  der  Regierung  gegen  die  akademische  Jugend  eingenistet  hatte,  und 
dieser  nach  langen  Jahren  zum  ersten  Male  wieder  Worte  der  Anerkennung  und  Beweise 
wiederkehrenden  Vertrauens  eintrug.  Bei  ihrem  ersten  verbeerenden  Umgange  durch  Europa 
hielt  die  Cholera  im  Sommer  1831  auch  in  Königsberg  ihren  Einzug.  Die  von  der  Regierung 
verfügten  Maassregeln  zur  Absperrung  alles  Verkehrs,  die  der  Oberpräsident  von  Schön  ver- 
geblich bekämpft  hatte,  steigerten  die  Erregung  der  Einwohner.  In  den  unteren  Schichten 
erzeugte  namentlich  die  befohlene  Ueberführung  aller  Erkrankten  in  die  Lazarethe  und  das 
beschleunigte  stille  Begräbniss  der  Verstorbenen  dumpfe  Gährung,  die  bald  durch  unsinnige 
Gerüchte  gesteigert  wurde.  Sie  richtete  sich  vielfach  gegen  die  Aerzte,  die  durch  ihre  Arz- 
neien den  Tod  der  Kranken  verschuldet  haben  sollten.  Schon  war  es  hier  und  da,  und  na- 
mentlich in  der  Löbenichtschen  Langgasse  von  Seiten  der  „Helfer",  d.  i.  Sackti-äger  u.  s.  w., 
zu  Tumulten  gekommen,  wobei  die  verhafteten  Rädelsführer  von  der  Menge  gewaltsam  befreit 
worden  waren,  als  ein  ähnlicher  Vorfall  eine  grössere  Ausschreitung  gröblichster  Art  herbei- 
führte und  die  Stadt  für  24  Stunden  mit  dem  Schrecken  eines  Pöbelaufstandes  erfüllte.') 
Das  vorgeschriebene  eilige  Begräbniss  eines  auf  dem  Sackheim  gestorbenen  Zimmergesellen, 
der  von  dem  Arzte  vergiftet  sein  sollte  —  (er  hatte,  wie  sich  herausstellte,  ein  zu  Einreibungen 
bestimmtes  Heilmittel  getrunken!)  —  wurde  durch  einen  Auflauf  gehindert.  Am  Morgen  des 
28.  Juli  strömte  die  Menge  von  allen  Seiten  zui*  Veranstaltung  eines  feierlichen  Begräbnisses 
zusammen,  mit  Knütteln  und  Steinen  bewaffnet,  unter  Schimpfreden  und  Drohungen.  Die 
Wache  am  Königsthor,  zum  Einschreiten  zu  schwach,  musste  den  Zug  nach  dem  neuen  Kirch- 
hof passiren  lassen.  Inzwischen  waren  zwei  Tags  zuvor  von  ihren  Genossen  befreite  Helfer 
wieder  verhaftet  und  zum  Verhör  nach  dem  Inquisitoriat  gebracht.  Auch  die  übrigen  strömten 
dorthin  zusammen  und  erklärten  bleiben  zu  wollen,  wo  ihre  Kameraden  blieben.  Doch  gelang 
es  schliesslich,  sie  zum  Auseinandergehen  zu  bestimmen.  Bald  aber  sammelten  sich  neue 
Haufen,  verstäi'kt  durch  das  schnell  auftauchende  Gesindel  und  zu  allem  Unfug  geneigte  halb- 
erwachsene Jungen,  und  erfüllten  lärmend  den  Schlossplatz  und  Schlosshof.  Von  dort  ver- 
drängt, wandte  sich  die  Menge  nach  dem  Altstädtischen  Markte.  Angeblich  gereizt  durch  das 
gewaltthätige  Auftreten  der  Polizei,  schleuderte  sie  dort  einen  Steinhagel  gegen  die  Fenster 
des  Polizeigebäudes,  drang  in  das  Innere  ein,  nöthigte  die  Beamten  zu  schleuniger  Flucht, 
warf  die  Acten  zum  Fenster  hinaus  und  schlug  Alles  kurz  und  klein.  Der  Polizeipräsident 
Schmidt  entging  mit  seiner  Familie  kaum  ihrer  Wuth  und  sah  seine  Wohnung  mit  der  ganzen 
Einrichtung  demolirt.  Da  inzwischen  in  der  Vorstadt  ähnliche  Ausschreitungen  begonnen 
hatten  —  Fenstereinwerfen  und  Versuche  zur  Plünderung  der  Läden  — ,  so  wurden  Truppen 
zur  Herstellung  der  Ruhe  aufgeboten.  Aber  erst  als  die  wiederholten  Mahnungen  des  Gene- 
rals von  Kraft  mit  lautem  Gejohle  beantwortet  wurden,  als  General  von  Wrangel,  der,  auf 
den  Altstädtischen  Markt  vorreitend,  die  Menge  zum  Weichen  bringen  wollte,  thätlich  ange- 
griffen und  fast  vom  Pferde  gerissen  wurde,  Hess  man  die  in  einer  Seitenstrasse  haltenden 
Kürassiere  langsam  vorgehen:  sie  wurden  von  der  Menge  mit  Steinwürfen  und  Knüttelschleu- 


1)  Das  Folgende  nach  Curator.-Acten  A.  117;  Univ. -Act.  37.     Vgl.  K.  K.  v.  Biirs  Leben,  S.  503;G. 


dem  zurückgedrängt.  Nun  erst  kam  die  Infanterie  zur  Verwendung  und  gab  Feuer:  augen- 
blicklich geräumt,  war  der  Altstädtische  Markt  bald  danach  wieder  von  dem  Pöbel  besetzt. 
Nur  weiteres  Blutvergiessen  schien  seine  Eäumuug  erzwingen  zu  können.  Da  kam  unver- 
hoffte Hülfe. 

Während  der  Tumult  auf  der  Vorstadt  durch  das  schnelle  Einschreiten  der  in  jenem 
Stadttheil  liegenden  Artillerie  bald  erstickt  war,  hatten  sich  auf  dem  Kneiphöfischeu  Rath- 
hause  zugleich  mit  einer  Anzahl  entschlossener  Bürger  etwa  100  Studirende  —  nur  so  viel 
waren  bei  der  Nähe  der  Hundstagsferien  noch  in  der  Stadt,  zwei  Drittel  der  Gesammtzahl 
waren  in  ihre  Heimath  gegangen,  zumal  der  Senat  mit  Rücksicht  auf  die  Seuche  den  Schluss 
der  Vorlesungen  schon  auf  den  2.  August  augesetzt  hatte  —  versammelt,  um  für  Ruhe  und 
Ordnung  einzutreten.  Weisse  Binden  um  den  linken  Arm,  mit  Hiebern  und  Flinten  versehen, 
zogen  sie  unter  Führung  des  Universitätsrichters  Grube  zunächst  nach  der  Hauptwache  und 
von  da  in  geschlossenen  Reihen  „in  einer  sehr  ruhigen  und  ernsten  Bewegung"  hinab  nach 
dem  Altstädtischen  Markt,  hinter  ihnen  eine  Abtheilung  Infanterie.  Die  Menge  wich;  aber 
die  in  das  Polizeigebäude  Eingedrungenen  hielten  dasselbe  besetzt.  Vor  diesem  nahmen  die 
Studenten  Stellung,  brachten  dem  König  ein  Hoch  und  stürmtei  dann  in  das  Haus,  unge- 
achtet der  Knüttel  und  Steine,  womit  sie  empfangen  wurden.  Nun  räumten  die  Tumultuanten 
schleunigst  das  Feld;  drei  wurden  verhaftet.  Kaum  aber  waren  die  Studenten  nach  der 
Hauptwache  zurückgekehrt,  als  die  Masse  von  Neuem  lärmend  zusammenlief.  Sofort  eilte 
Grube  mit  den  Seinen  nochmals  dorthin,  trieb  die  Tumultuanten  aus  einander  und  brachte 
etwa  40,  die  meisten  davon  verwundet,  als  Gefangene  zurück.  Aus  Sorge  vor  neuen  Aus- 
schreitungen blieb  während  der  nächsten  Nacht  Alles  auf  den  Beinen.  Patrouillen  durchzogen 
die  Stadt.  Die  Studenten  übernahmen  den  Wachtdienst  bei  einigen  Gebäuden,  für  die  man 
nach  den  in  der  Menge  gefallenen  Aeusserungen  bei  der  Wiederholung  des  Tumults  zunächst 
fürchtete,  nämlich  bei  dem  Collegium  Albertinum,  dem  Kypkesche  Stift  und  der  Sternwarte, 
von  welch  letzterer  es  im  Pöbel  hiess,  „ihr  Professor  habe  die  Cholera  durch  die  silbernen 
Kugeln  hergebracht."  In  einer  anderen  Gefahr  hatte  sich  das  unlängst  vollendete  Gebäude 
des  zoologischen  Museums  befunden,  das  die  zur  Bekämpfung  der  Cholera  eingesetzte  Com- 
mission  als  Lazareth  belegen  wollte,  während  K.  E.  von  Baer  eben  mit  seinen  Sammlungen 
einzuziehen  anfing;  nur  die  energischsten  Proteste,  namentlich  auch  von  Seiten  des  ausser- 
ordentlichen Eegierungsbevollmächtigten,  retteten  es  vor  diesem  Schicksal.')  Doch  blieb  die 
Ruhe  hinfort  ungestört  und  nach  einigen  Nächten  konnten  auch  jene  Sicherheitsmaassregeln 
aufgehoben  werden. 

Das  umsichtige  und  ruhig  entschlossene  Auftreten  der  Studirenden,  die  gutgemacht 
hatten,  was  die  Civil-  und  Militärbehörden  versehen  hatten,  wurde  nicht  bloss  von  der 
Bürgerschaft  anerkannt.  Sowohl  von  Seiten  des  Akademischen  Senats,  wie  des  Oberpräsidenten 
von  Schön  empfingen  dieselben  warme  Lobspi'üche  für  die  Art,  wie  sie  zur  Herstellung  der 
Ruhe  und  zur  Sicherung  der  Ordnung  beigetragen  hatten.  Schön  unterliess  auch  nicht,  über 
das   Geschehene   dem   Kronprinzen   als  Rector   der  Albertina  Bericht   zu   erstatten,    und   von 


1)  C'urator.  Commis 


87 

diesem  ging  iu  Folge  dessen  ein  in  den  wärmsten  Ausdrücken  gehaltenes  Belobigungsschreiben 
ein.  „Der  ehrenvolle  Namen  des  Rectors  der  Königsberger  Hochschule,"  so  hiess  es  darin, 
„ist  mir  nie  so  werth  gewesen,  als  jetzt,  wo  er  mir  das  Recht  giebt  diesen  Dank  auszusprechen." 
Und  in  einem  Schreiben  an  den  Oberpräsidenteu  selbst  urtheilte  der  hohe  Herr:  „Das  Auf- 
treten der  Königsberger  Universität  am  28.  Juli  ist  so  erfreulich,  dass  ich  nicht  dazu 
schweigen  kann.  Ich  bitte  Sie,  dem  Prorector  und  den  Professoren  und  insbesondere  den 
Studirenden  und  dem  Universitätsrichter  meine  Anerkennung,  meinen  Dank  und  meine  Glück- 
wünsche zu  sagen.  Es  ist  heldenmüthig,  sich  ohne  dienstlichen  Beruf  zwiefacher  Gefahr 
auszusetzen,  zugleich  dem  empörten  Pöbel  und  der  möglichen  Ansteckung  einer  furchtbaren 
Seuche  entgegenzutreten."  Auch  das  Ministerium  sandte  ähnliche  Lobsprüche.  Das  war 
damals  viel  werth:  meinte  man  nun  doch  endlich  eine  andere  Behandlung  wenigstens  dieser 
einen  in  ihrer  Loyalität  bewährten  Universität  hoifen  zu  können.  So  fasste  auch  der  Senat 
die  Sache  auf,  wenn  er  an  Herrn  von  Schön  dankend  schrieb:  „Wir  haben  keine  Worte,  um 
die  Empfindungen  auszudrücken,  mit  welchen  wir  den  Brief  des  Kronprinzen  gelesen  haben." 
Zugleich  beantragte  er  den  Erlass  der  Disciplinarstrafen.  auf  die  unlängst  gegen  einige  der 
an  den  Vorgängen  vom  28.  Juli  betheiligten  Studirenden  erkannt  war;  er  wurde  bewilligt. 
Der  Oberpräsident  Hess  nun  eine  amtliche  Darstellung  des  Geschehenen  abfassen  und  durch 
den  Druck  veröif entlichen  und  stellte  150  Exemplare  davon  der  Universität  zur  Verfügung. 
Lobeck  aber  benutzte  die  Feier  des  3.  August,  um  in  seiner  Rede  über  die  Hetärien  im 
Alterthum  in  leicht  verständlichem  Hinblick  auf  die  den  Universitäten  schuldgegebenen 
politischen  Verbindungen  und  demagogischen  Umtriebe  die  höchst  gemeinnützige  Zusammen- 
rottung edler  Söhne  der  Albertina  zu  einer  Cohors  academica  rühmend  zu  erwähnen,  die  nicht 
nur  zur  Unterdrückung  eines  Volksaufstandes  kräftig  mitgewirkt,  sondern  selbst  die  Kranken- 
pflege in  den  Siechenhäusern  zu  übernehmen  sich  nicht  gescheut  hätten.^) 

Doch  gingen  die  Hoffnungen,  welche  man  au  diese  Ereignisse  geknüpft  hatte,  nicht 
in  Erfüllung.  Das  mit  den  Karlsbader  Beschlüssen  inaugurirte  System  blieb  in  Wirksamkeit, 
mochte  auch  iu  der  einen  oder  der  anderen  Rücksicht  eine  Erleichterung  eintreten.  Das  hö- 
here Aufwogen  der  liberalen  Bewegung,  namentlich  in  Süddeutschland  anter  der  Einwirkung 
der  Julirevolution,  das  Hambacher  Fest  (1832)  und  die  Thorheit  des  Frankfurter  Attentats 
(1833)  gaben  den  Behörden  nur  allzu  viel  Anlass  zu  erneuter  Maassregelung  der  Universitäten 
und  Verfolgung  der  wieder  auftauchenden  Burschenschaft.  Auch  die  Albertina  blieb  davon 
nicht  frei,  obgleich  sie  zu  strafendem  oder  auch  nur  vorbeugendem  Einschreiten  noch  weniger 
Anlass  gab  als  früher.  Bald  galt  es  nachzuspüren,  ob  etwa  der  in  Süddeutschlaud  agitirende 
deutsche  Vaterlandsverein  zur  Unterstützung  der  freien  Presse  auch  unter  den  Studirenden  der 
Albertina  Anhang  gewonnen  habe,^)  bald  auszuforschen,  ob  nicht  trotz  aller  Wachsamkeit  auch 
die  Burschenschaft  dort  wieder  festen  Fuss  gefasst  habe.^)  Die  letztere  Besorgniss  war  unbe- 
gründet.    Ein  Bericht  des  Regierungsbevollmächtigten    vom    14.  Juni   1833*)    constatirte    das 


1)  Lehnerdt,  a.  a.  0.,  S.  49-50. 

2)  Curat. -Erl.  2.  April  1832.     D 

3)  Desgl.  23    April  1832.     Ebdas. 

4)  Curat.-Act.  7.  II. 


Niclitvorhandensein  geheimer  Verbindungen :  nur  gesellige  Cirkel  gab  es  unter  den  Studirenden, 
welche  in:  Hinblick  auf  den  oft  so  unerfreulichen  Verlauf  der  ehemals  üblichen  allgemeinen 
Studentenversammluugen  die  Herstellung  eines  einfacheren  Verfahrens  bei  der  Wahl  der  Entre- 
preneure  für  die  Bälle  u.  s.  w.  erstrebten.  Ihre  Vergnügungen  bestanden  in  Gastmahlen,  Ge- 
sang, dramatischen  Declamationen  und  mitunter  auch  in  wissenschaftlichen  Discussionen.  Als 
besonders  wichtig  wurde  hervorgehoben,  dass  diese  Verbände  ihre  Vorsteher  durch  Stimmen- 
mehrheit wählten,  ihnen  also  nicht  zu  unbedingtem  Gehorsam  verpflichtet  waren,  dass  sie  keine 
Statuten  hatten  und  ihre  Zusammenkünfte  nicht  in  besonderen  Localen  hielten,  sondern  in 
Gasthäusern  in  den  von  dem  übrigen  Publicum  benutzten  Räumen.  Von  besonderen  Benen- 
nungen werden  damals  nur  die  der  Lithauer,  der  Pappenheimer  und  der  Masuren  erwähnt. 
Kleine  Ausschreitungen  in  der  Tracht  seien  durch  Vorladung  und  Vermahnung  der  Schuldigen 
ohne  Weiteres  abgestellt.  Mit  besonderem  Nachdruck  wird  coiistatirt,  dass  die  Königsberger 
Studentenschaft  sich  mit  Politik  durchaus  nicht  beschäftige:  schon  ihre  Arimith  hindere  die  Meisten 
Zeitungen  zu  lesen;  von  der  neuesten  Geschichte  wissen  die  Studirenden  daher  gemeinhin  gar 
nichts.  Dennoch  ergingen  auch  hier  auf  Anweisung  von  oben  die  üblichen  Vermalmungen  zu 
gesittetem  Betragen  und  Vermeidung  der  auffallenden  Kleidung,  namentlich  der  rothen  und 
mehrfarbigen  Mützen  (7.  Juni  1834).  Gegen  Völlerei,  Duelle,  Strassentumulte  und  lärmende 
Demonstrationen  im  Theater  einzuschreiten  fand  sich  noch  öfters  Anlass. 

Daher  wurde,  als  im  Januar  1834  der  Besuch  des  Kronprinzlichen  Paares  bevorstand, 
die  Studentenschaft  noch  ausdrücklich  ermahnt,  „durch  ganz  besondere  Aufmerksamkeit  auf 
ihr  Betragen  während  der  Anwesenheit  des  Kronprinzen  Königliche  Hoheit  ihre  Freude  zu 
bezeigen,  den  hohen  Wohlthäter  hier  zu  sehen  (7.  Juni)."^)  Die  Lehrerschaft  aber  machte  dem 
Hohen  Paare  die  Copien  zeitgenössischer  Porträts  des  Herzogs  Albrecht  und  seiner  Gemahlin 
Dorothea  zum  Geschenk  und  Hess  Huldigungsgedichte  drucken,  denen  das  Facsimile  von  einem 
eigenhändigen  Briefe  des  Stifters  der  Universität  beigegeben  war.^)  Die  Ueberreichung  fand 
statt  am  16.  Juni  bei  einer  den  Professoren  gewährten  feierlichen  Audienz  durch  den  Senior 
und  Kanzler  ßeidenitz.  Den  Abend  zuvor  brachte  die  Studentenschaft  ilirem  erhabenen 
Rector  einen  solenneu  Fackelzug. 


VII.  Der  Ausgang  des  dritten  Jahrhunderts  und  die  Vorboten  der  neuen  Zeit  1834—44. 

Hatten  die  Ereignisse  vom  Juli  1831  und  die  festlichen  Tage  des  Sommers  1834  die 
Lage  der  Albertina  auch  in  mancher  Hinsicht  gebessert,  der  gründlichere  Wandel,  den  man 
damit  eingeleitet  zu  sehen  gehofft  hatte,  erfolgte  nicht,  ja  vorübergehend  trat  noch  wieder 
eine  Verschlimmerung  ein.  Doch  regten  sich  während  der  nächsten  Jahre  so  vielfach  nach 
Entfaltung  strebende  Keime  zu  neuen  Bildungen,  dass  es  zu  manchem  Conflict  zwischen  den 
beharrenden  und  den  vorwärtsdrängenden  Kräften  kam,  die  auch  in  den  Kreisen  der 
Königsberger  Universität  mehr  oder  minder  stark  nachzitterten. 


1)  D.  19. 

2)  F.  30. 


89 

Zwar  gestattete  ein  Bimdestagsbescbluss  vom  14.  November  1834')  die  Vereinigungen 
von  Studirenden  zu  wissenscbaftlicben  und  geselligen  Zwecken  mit  Erlaubniss  der  Regierung 
unter  den  von  dieser  festzusetzenden  Bedingungen,  alle  anderen  Verbindungen  aber  blieben 
verboten  und  die  Theilnahme  an  burscbenscbaftlichen  oder  politiscbe  Zwecke  verfolgenden 
Verbindungen  mit  verschärfter  Relegation  bedroht.  Auch  blieb  es  bei  der  Verpflichtung 
aller  Neuimmatriculirten  in  Betreff  der  Nichtbetheiligung  an  solchen  Verbindungen  durch 
Unterzeichnung  eines  an  die  Stelle  des  früher  geforderten  Ehrenwortes^)  getretenen  Reverses. 
Ausserdem  aber  musste  hinfort  jeder  Studirende  zu  Beginn  des  neuen  Semesters  sich  über 
seinen  Ferienaufenthalt  ausweisen.  Dem  Senat  wurde  am  25.  April  1835  aufgegeben,  die 
periodischen  Berichte  über  den  herrschenden  Geist,  den  Fleiss  und  die  Sitten  der  Studirenden 
sowie  über  die  Disciplinarverhältnisse,  die  einigermassen  in  Vergessenheit  gerathen  waren, 
wieder  regelmässig  zu  erstatten.  Die  neue  Demagogenverfolgung,  die  das  Frankfurter 
Attentat  und  das  Treiben  der  von  Frankreich  und  der  Schweiz  aus  agitirenden  Flüchtlinge 
veranlasste,  traf  natürlich  wiederum  besonders  die  Universitäten.  Auch  die  Albertina  ging 
nicht  ganz  leer  aus,  wenn  es  sich  hier  eigentlich  auch  nur  um  den  verpönten  Namen  der 
Burschenschaft  handelte,  mit  dem  in  Folge  der  Wandelungen  der  Parteibildung  unter  den 
Studirenden  erst  alle  nicht  einem  der  ,, Kränzchen"  Angehörigen  bezeichnet  worden  waren, 
während  dann  vorübergehend  überhaupt  die  Gesammtheit  der  Studentenschaft  so  geheissen 
hatte.  Wenn  man  auch  gefunden  haben  wollte,  dass  diese  Anfangs  nur  auf  studentische 
Angelegenheiten  gerichtete  Vereinigung  seit  1831  eine  gewisse  politische  Färbung  angenommen 
und  in  einer  Ostern  1833  beschlossenen  Constitution  Ausdruck  gegeben  habe,  so  musste  doch 
zugegeben  werden,  dass  sie  jedes  gefährlichen  Charakters  entbehrte,  auch  völlig  isolirt  ge- 
standen und  keine  auswärtigen  Verbindungen  unterhalten  hatte.  Thatsächlich  hatte  es  sich 
dabei  nur  um  den  Versuch  gehandelt,  eine  Organisation  zu  schaffen,  die  den  Lands- 
mannschaften einigermassen  das  Gegengewicht  halten  konnte  und  bei  der  man  in  Ermangelung 
eines  andern  geeigneten  Vorbilds  die  Einrichtung  der  Burschenschaft  mehr  den  Benennungen 
als  der  Sache  nach  nachgeahmt  hatte,  indem  man  eine  „Allgemeinheit",  eine  „innere  Ver- 
bindung", einen  „Convent"  mit  den  zugehörigen  Beamten  wie  Sprecher,  Schreiber  und 
Kneipwart  einführte.  Obenein  war  diese  Burschenschaft  schon  im  Mai  1833  wieder  ,, ver- 
schwunden": ein  Theil  ihrer  Mitglieder  bildete  das  sogenannte  Schottenkränzchen,  der  andere 
die  Landsmannschaften  der  Balten  und  der  Markomannen,  so  dass  es  deren  nun  im  Ganzen 
sieben  gab,  ohne  jeden  andern  Zweck  als  den  des  geselligen  Vergnügens  und  des  gemein- 
samen Auftretens  bei  den  Entrepreneurwahlen.  Mit  Ausnahme  von  zweien,  die  der  Zu- 
gehörigkeit noch  zu  anderen  geheimen  Verbindungen  verdächtig  waren,  wurden  denn  auch  alle 
Mitglieder  dieser  Königsberger  Burschenschaft  durch  königliche  Gnade  vor  den  verhängniss- 
vollen Wirkungen  des  drakonischen  Erlasses  vom  21.  Mai  1824  durch  Niederschlagung  der 
Untersuchung  bewahrt.^)  Das  war  um  so  mehr  ein  Glück  für  die  Entwickelung  der  Albertina, 
als   diese  Untersuchungen   anderwärts   einen  wahrhaft  tragischen  Ausgang  nahmen,   was  nach 


1)  Curat.  Commiss.  33. 

2)  Vgl.  oben  S.  70. 

.^)  Ourator.  Commi.ss.  7, 


90 

der  damals  verfolgten  Absctreckungstheorie  natürlich  auch  den  Königsberger  Studirenden 
amtlich  bekannt  gemacht  wurde:  in  Greifswald  waren  nach  einer  Mittheilung  des  Eegierungs-  . 
bevollmächtigten  vom  26.  Januar  1836')  wegen  Theilnahme  an  einer  „arminischen"  Burschenschaft 
43  Verurtheilungen  erfolgt,  nämlich  41  zu  sechs-  und  zwei  zu  fünfdreiviertelj ähriger  Festungshaft 
und  Unfähigkeit  zu  jeder  Anstellung,  während  ein  Ministerialerlass  vom  23.  Januar  1838  gar 
kundzuthun  hatte,  es  seien  seit  der  letzten  Mittheiluug  der  Art  durch  den  Criminalsenat  des 
Kammergerichts  von  204  Inculpaten  39  zum  Tode  und  die  übrigen  zu  Festungshaft  bis  zur 
Dauer  von  30  Jahren  verurtheilt,  daneben  zur  Anstellungsunfähigkeit,  Vermögensconfiscation 
und  Verlust  der  Nationalcocarde.-) 

Man  darf  aber  nicht  meinen,  es  sei  dui-ch  solche  Strenge  unter  der  Studentenschaft  eine 
besonders  ernste  Haltung  erzielt  und  Zucht  und  Sitte,  zu  deren  Beobachtung  immer  wieder 
gemahnt  wurde,  besonders  peinlich  gewahrt  worden.  Eher  war  das  Gegentlieil  der  Fall,  und 
es  wiederholte  sich  die  bereits  zu  Beginn  der  20er  Jahre  unter  gleichen  Umständen  gemachte 
Beobachtung,  dass  ein  gewaltsames  Fernhalten  der  Jugend  von  jeder  Beschäftigung  ihrer 
Kräfte  und  Neigungen  mit  Dingen,  an  denen  vollberechtigt  theilzunehmen  ihr  freilich  erst  nach 
erlangter  Reife  gewährt  werden  kann,  die  ihren  Sinn  aber  doch  bereits  auf  höhere  und  grössere 
Aufgaben  richten,  das  moralische  Niveau  derselben  herabsetzt  und  sie  verleitet,  ihre  über- 
schiessende  Kraft  zu  eigenem  Nachtheil  auf  Gebieten  zu  bethätigen,  die  sie  besser  vermiede. 
Das  gab  auch  dem  Studentenleben  auf  der  Albertina  in  jenen  Jahren  um  so  mehr  seine 
Signatur,  als  Königsberg  damals  trotz  seiner  70000  Einwohner  bei  der  geringen  Entwickelung 
von  Handel  und  Industrie  ganz  den  Charakter  einer  Beamten-  und  Universitätsstadt  trug,  in 
der  die  Studentenschaft  ein  in  mancher  Hinsicht  tonangebendes  Element  war.  Durch  die 
Bälle  und  Concerte  nahm  sie  in  der  Gesellschaft  eine  Stellung  ein,  die  Ihr  selbst  für  ihre  Aus- 
schreitungen milde  Beurtheilung  sicherte  und  sie  glauben  machte,  dass  die  übrigen  büi-ger- 
lichen  Kreise  um  ihre  Gunst  und  Freundschaft  würben.^)  So  fehlte  es  denn  nicht  an  Rückfällen 
in  das  Renommistenthum  früherer  Zeiten,  die  die  Polizei  und  die  akademischen  Behörden  zu 
strengem  Einschreiten  nöthigten.  Namentlich  das  Theater  wurde  gelegentlich  der  Schau- 
platz lärmender  Demonstrationen:  die  mehrfache  Wiederholung  solcher  und  die  Unmöglich- 
keit für  die  mit  den  Persönlichkeiten  nicht  genau  bekannten  Polizisten  und  Pedelle,  die 
studentischen  Theilnehmer  daran  auszumitteln,  veranlasste  im  Frühjahr  1837  die  Einführung 
der  an  anderen  preussischen  Universitäten  schon  üblichen  und  bewährten  Erkennungskarten.*) 

Aber  auch  in  diesen  studentischen  Verhältnissen  machten  sich  bereits  Erscheinungen  be- 
merkbar, die  das  Aufkommen  einer  freieren  Richtung  erkennen  Hessen,  einer  Richtung,  die 
trotz  des  auf  den  akademischen  Zuständen  lastenden  Druckes  eine  Neugestaltung  von  Innen 
heraus  erstrebte  und  dieses  mit  einem  Acte  der  Selbstbefreiung  begann.  Der  Gegensatz 
zwischen  den   Landsmannschaften   und    den  übrigen  Studirenden    führte    im  Herbst   1838  in 


1)  Theol.  Fac.  U.  1. 

2)  Curator.  C'ommiss.  7.  I. 

3)  Tgl.  Falkson,  Die  liberale  Bewegung  in  Königsberg  1840-48  (Breslau  1888),  S.  10  ff.     Tgl.  auch 
die  Scliildening  des  Königsberger  Studentenlebens  jener  Zeit  in  Fanny  Lewaids  Koman   .Wandelungen'. 

4)  D.  19.  Senatsantrag  10.  Jlai  1834. 


91 

Folge  eiiieö  Conflictes  iu  einer  allgemeinen  Stuilentenverciamnilung  dazu,  dass  sich  alle  ausser- 
halb der  Landsmannschaften  stehenden  Studirenden  zu  einer  sogenannten  Burschenschaft 
Albertina  zusammenthaten.  Wirklich  erreichte  man  so  auch  ein  leidliches  Verhältniss.  Während 
die  Landsmannschaften  gewisse  Aeusserlichkeiten  des  studentischen  Lebens  betonten,  pflegte 
die  neue  Vereinigung  mehr  die  geistigen  Interessen.  Ihr  Centralorgan  blieb  die  allgemeine 
Versammlung,  doch  bildeten  sich,  zum  Theil  in  Folge  des  Vorwaltens  näherer  persönlicher  Be- 
ziehungen, zum  Theil  durch  sachliche  Beweggründe  veranlasst,  innerhalb  der  Albertina  kleinere 
Verbände,  unter  denen  einige  Jahre  die  „Hochhemia"  eine  hervorragende  Stellung  einnahm 
durch  die  Vereinigung  einer  ungewöhnlich  grossen  Zahl  reich  begabter  und  hochstrebender 
Jünglinge.  Es  genügt,  daraus  Julian  Schmidt,  den  Litterarhistorikor  und  Kritiker,  hervorzu- 
heben, dann  den  phantastischen,  aber  kraftvoll  originellen  Albert  Dulk,  den  nachmals  als 
feinsinniger  Kenner  der  neueren  französischen  und  englischen  Litteratur  und  als  Schulmann 
bekannt  gewordenen  Friedrich  Kreyssig,  den  langjährigen  gefeierten  Vertreter  der  klassischen 
Philologie  an  der  Albertusuniversität  Ludwig  Friedländer,  den  zu  hohen  diplomatischen 
Posten  aufgestiegenen  v.  Keudell,  weiter  Hobrecht,  den  Oberbürgermeister  erst  von  Breslau, 
dann  von  Berlin  und  endlich  Finanzminister,  und  andere  mehr,  die  weniger  weithin  bekannt 
geworden,  in  ihrer  ostpreussischen  Heimath  im  Dienste  des  Staats,  der  Kirche  und  der  Wissen- 
schaft eine  segensreiche  Thätigkeit  entfaltet  haben  und  zum  Theil  noch  heute  entfalten.  Ein 
frischer  Zug  neuen,  geistig  vertieften  und  höher  strebenden  Lebens  ging  damals  durch  die 
akademische  Jugend  Ostpreussens,  entsprechend  der  hervorragenden  Rolle,  zu  der  in  dem 
Aufschwung  der  nächsten  Jahre  diese  Provinz  und  ihi"e  Hauptstadt  berufen  waren.  Unter 
den  Masuren  spielte  damals  Ferdinand  Gregorovius  eine  Rolle,  die  Lithauer  zählten  den 
späteren  Dichter  der  Nibelungen  Wilhelm  Jordan  zu  den  Ihrigen.  Als  einer  der  jüngsten 
schloss  sich  Rudolf  Gottschall  dieser  Reihe  an.') 

Und  nicht  in  der  studirenden  Jugend  allein  regten  sich  die  allzu  lange  von  jeder 
rechtmässigen  Bethätigung  zurückgehaltenen  Kräfte.  Dass  ein  Gleiches,  umfassender  aber  und 
moralisch  wirksamer,  bald  auch  von  Seiten  der  akademischen  Lehrer,  der  deutschen  über- 
haupt und  derjenigen  der  Albertina  im  Besonderen,  geschah,  dass  damit  nach  langen  Jahren 
des  Stillstandes  die  deutschen  Universitäten  die  Führung  übernahmen  in  dem  neu  erwachenden 
nationalen  Leben  des  deutschen  Volkes,  um  sie  während  des  nächsten  Jahrzehnts  zu  be- 
haupten —  das  war  das  Werk  jenes  von  Niemandem  ernstlich  vertheidigten  Staatsstreichs, 
der  die  Hannoversche  Verfassung  beseitigte  und  die  sieben  Göttinger  Professoren,  die  mit 
ihrem  Eide  nicht  spielen  lassen  wollten,  gefeierte  Zierden  der  Wissenschaft,  von  Amt  und 
Brot  jagte.     Gerade  für  die  Albertusuniversität  knüpften  sich  daran  sehr  wichtige  Vorgänge. 

Auch  an  der  Königsberger  Professorenschaft  waren  die  25  Jahre  nicht  spurlos  vor- 
übergegangen, die  seit  der  Ehrenpromotion  Pierre  Daru's^)  verflossen  waren.  Nicht  bloss 
neue  Männer  waren  jetzt  die  Träger  der  grossen  Traditionen  der  Albertina,  auch  ein  neuer 
Geist  war  mit  ihnen  eingezogen.  Die  erneute  und  vertiefte  Beschäftigung  mit  dem  grossen 
Philosophen,    der    in   den  Jahren  des    vorwiegenden    Herbartschen    Einflusses    selbst    an    der 


1)  Vgl.  Falkson  a    u.  0.,  S.  13  ff. 

2)  Vgl    oben  S.  i-i  ff. 

12' 


Stätte  seines  Wirkens  in  Vergessenheit  gerathen  war,  hatte  den  gesetzmässigen  und  unter- 
thanentreueu,  aber  auch  tapfern  Sinn  wieder  aufleben  lassen,  der  mit  der  Pflicht  zugleich  die 
eigene  Ehre  zu  wahren  weiss,  wie  ihn  Kant  dereinst  dem  Wöllnerschen  Religionsedict  gegen- 
über ebenso  maassvoU  und  würdig  wie  energisch  und  wirksam  vertreten  hatte.  Wie  oft  war 
unter  der  Herrschaft  der  Karlsbader  Beschlüsse  den  Professoren  vorgehalten  worden,  sie 
sollten  der  Jugend  nicht  bloss  Lehrer  in  fachwisseuschaftlicher  Hinsicht  sein,  sondern  auch 
Bildner  und  Vorbilder  in  sittlicher  und  staatsbürgerlicher  Hinsicht!  Als  dann  aber  dieses 
löbliche  Princip  in  Göttingen  von  einigen  tapferen  Männern  angewandt  wurde,  sah  man  darin 
eine  Auflehnung  gegen  die  Autorität  des  Staats  und  hielt  einer  solchen  auch  diejenigen  für 
schuldig,  welche  den  deshalb  Gemaassregelten  und  Verfolgten  ihre  Achtung  und  Sympathie 
bezeigten.  Dieses  Schicksal  theilten  mit  vielen  auch  die  Königsberger  Professoren,  nament- 
lich die  der  philosophischen  und  medicinischen  Facultät. 

Bekanntlich  hatte  bereits  die  Anfechtung  des  Hannoverschen  Staatsgrundgesetzes 
durch  König  Ernst  August  am  5.  Juli  1837  die  öflentliche  Meinung  tief  erregt  und  selbst 
die  entschlossensten  Vertreter  des  Metternichschen  Systems  mit  Furcht  vor  den  möglichen 
Consequenzen  erfüllt.  Aber  die  Versuche  zu  mässigendem  Einwirken  blieben  vergeblich:  am 
1.  November  1837  erschien  das  Patent,  welches  das  Staatsgrundgesetz  aufhob  und  die  „könig- 
lichen Diener"  von  dem  Eide  darauf  entband.  Am  18.  November  erfolgte  der  Protest  der 
sieben  Göttinger  Professoren:  angeregt  von  E.  Albrecht,  dem  gefeierten  Lehrer  des  deutschen 
Rechts,  redigirt  von  Ch.  F.  Dahlmann,  unterzeichnet  von  den  Gebrüdern  Grimm,  dem  Phy- 
siker Weber,  dem  Orientalisten  Ewald  und  G.  Gervinus,  legte  er  in  würdigen,  von  heiligem 
sittlichen  Ernst  durchwehten  Worten  Verwahrung  ein  gegen  das  leichtfertige  Spiel  mit  Eiden, 
das  akademischen  Lehrern  zugemuthet  wurde,  während  doch  das  ganze  Gelingen  ihrer  Wirk- 
samkeit nicht  sicherer  auf  dem  wissenschaftlichen  Werth  ihrer  Lehren  als  auf  ihrer  persön- 
lichen Unbescholtenheit  beruhte.  Was  folgte,  ist  bekannt.  Durch  ein  so  „verbrecherisches 
Beginnen"  revolutionärer,  hochverrätherischer  Bestrebungen  überführt,  wurden  die  Sieben  unter 
haudgreiflicher  Verletzung  der  hier  in  Betracht  kommenden  Bundesgesetze  ihrer  Aemter  entsetzt, 
Dahlmann,  Jacob  Grimm  und  Gervinus,  weil  sie  die  Erklärung  einigen  Freunden  mitgetheilt 
hatten,  ausgewiesen.  Eben  was  die  Urheber  dieser  Gewaltthat  hatten  vermeiden  wollen, 
nämlich  dass  die  Erklärung  der  Sieben  „ein  Panier"  würde,  um  das  die  „UebelwoUenden" 
sich  sammelten,  geschah  nun  erst  recht.  Das  ganze  deutsche  ßürgerthum  kam  in  Bewegung, 
und  die  Sammlungen,  welche  der  „Göttiuger  Verein"  zur  Unterstützung  der  von  Amt  und 
Brot  Gejagten  veranstaltete,  wurden  ein  Agitationsmittel,  das  weit  über  den  zunächst  ver- 
folgten Zweck  hinaus  erweckend  und  erhebend  wii-kte. 

In  Königsberg  aber  erweckten  persönliche  Beziehungen  ganz  besonders  starke  Sym- 
pathien: der  geistige  Urheber  des  Protestes,  E.  Albrecht,  gehörte  als  geborener  Elbinger  der 
Provinz  Preussen  an:  seine  glänzende  Laufbahn  als  akademischer  Lehrer  hatte  er  an  der 
Albertina  begonnen.  Die  bedenkliche  Rolle,  die  Herbart,  einst  der  Inhaber  von  Kants  Lehr- 
stuhl, in  dem  Göttinger  Conflicte  spielte,  indem  er  sich  übereifrig  und  liebedienerisch  zum 
Vermittler  aufwarf  zwischen  dem  König  und  der  in  Ungnade  gefallenen  Georgia  Augusta, 
blieb  auch  nicht  ohne  Bindruck,  und  erinnerte  au  die  mancherlei  Schwierigkeiten,  die  er  dem 


collegialisclieii  Zusauimeuwirken  bei  der  Neugestaltung  der  Albei-tina  bereitet  hatte.  So 
entstand  im  Kreise  der  Königsberger  Professoren  der  Gedanke,  Albrecbt  eine  Sympathie- 
erklärung zu  Theil  werden  zu  lassen.')  Eine  politische  Demonstration  war  dabei  nicht 
beabsichtigt:  ging  doch  der  Antrag,  Albrecht  Ehren  halber  zum  Doctor  der  Philosophie  zu 
promoviren,  von  Lobeck  aus,  der  allen  politischen  Bestrebungen  völlig  fern  stand.  Freilich 
wurde  eine  solche  Promotion,  in  diesem  Zeitpunkt  vollzogen,  unvermeidlich  zu  einer  politischen 
Demonstration.  Das  hob  auch  der  Decan  Schubert  hervor,  indem  er  die  Frage  aufwarf, 
ob,  da  das  Diplom  doch  „auctoritate  des  durchlauchtigsten  Rectors,  des  Kronprinzen''*,  ertheilt 
würde,  gerade  jetzt  der  geeignete  Zeitpunkt  zur  Ertheilung  der  Doctorwürde  an  Albrecht 
wäre.  Doch  entkräftete  er  die  angeregten  Bedenken  gleich  selbst  wieder,  indem  er  auf  die 
pei-sönlichen  und  wissenschaftlichen  Beziehungen  hinwies,  welche  den  zu  Feiernden  mit  der 
Albertina  vorbanden.  So  wurde  Lobecks  Antrag  am  20.  December  einstimmig  angenommen. 
Mit  einem  von  der  ganzen  Facultät  unterzeichneten  Schreiben  vom  24.  December  1837,  das 
bezeugte,  wie  man  seiner  in  Königsberg  begonnenen  Laufbahn  mit  Hochachtung  und  Freund- 
schaft gefolgt  sei  und  mit  ihm  auch  ferner  in  dauernder  geistiger  Gemeinschaft  zu  bleiben 
wünsche,  wurde  Albrecht  das  von  Lobeck  stilisirte  Diplom  übersandt.  Die  darin  gebrauchte 
Formel:  „viro  docti-inae  ubertate,  disserendi  subtilitate,  morum  candore  atquc  integritate 
inter  omnes  conspicuo  propter  insignia  in  rem  litterariam  merita  imprimisque  praeclaros  in 
interpretatione  juris  germanici  publici  historica  successus"  entbehrte  für  den  Unbefangenen 
jedes  politischen  Beigeschmacks.  Als  „hochwillkommenen  Neujahrsgruss"  erhielt  Albrecht 
die  Sendung  am  1.  Januar  1838.  Fast  gleichzeitig  aber,  bereits  am  2.  Januar,  brachte  die 
„Leijjziger  Allgemeine  Zeitung"  in  einer  vom  26.  December  datirten  Correspondenz  aus 
Königsberg  die  Nachricht  von  der  Albrecht  erwiesenen  Ehre  zugleich  mit  der  Meldung,  dass 
die  medicinische  Facultät  der  Albertina  dem  Physiker  Weber  ihrerseits  die  Doctorwürde  zu 
verleihen  beschlossen  habe. 

Hier  lag  die  Sache  nun  freilich  insofei'n  anders,  als  da  das  politische  Moment  von 
Anfang  au  vorwog.  Den  Antrag  auf  die  Ehrenpromotion  Webers  hatte  der  Professor  Sachs 
gestellt  und  begründet  durch  den  Hinweis  auf  Webers  epochemachendes  Werk  über  die  Geh- 
werkzeuge des  Menschen.  Der  Kliniker  Klose,  damals  Prorector,  ging,  wie  Burdach  sich 
ausdrückt,^)  „in  seiner  politischen  Unschuld"  bereitwillig  darauf  ein.  Das  vom  23.  December  1837 
datirte  Diplom  beltundete  die  Verleihung  der  medicinischen  Doctorwürde  an  Weber  als  er- 
folgt „ob  praoclara  invonta,  quae  ad  explanandam  humani  progressus  rationem  contulit  omnibusque 
doctrinae  et  ingcnii  luminibus  illustravit."  Auch  hier  konnte  nur  eine  gewaltsame  Deutung 
politisclie  Molive  hincininterpretiren.  Bedenklich  waren  jedoch  andere  begleitende  Umstände. 
Als  ob  mau  das  vorgeschriebene  Imprimatur  einholen  wollte,  scliickte  die  Druckerei  einen 
Abzug  von  dem  Diplom  an  den  stellvertretenden  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten, 
Geheimrath  Reusch.    Dieser  eilte  zu  dem  Decan  Burdach  und  ersuchte  ihn,  die 


1)  Der  nachfolgende  Bericht  über  die  „Göttinger  Promotionen"  beruht  auf  den  Acten  sowohl  der  phi- 
losophischen und  medicinischen  Facultät  als  auch  denen  des  Curatoriums  (B.  134),  welche  letzteren  von  F.  Rühl 
in  seinem  Aufsatze  Altpreuss.  Monatsschr.  XX.  1883.  S.  401-413  nicht  benutzt  sind. 

2)  A.  a.  O.  S.  407. 


94 

Diploms  einige  Wochen  anstehen  zu  lassen,  da  der  Schritt  der  Facultät  gerade  in  diesem 
Zeitpunkt  missdeutet  werden  könnte.  Er  erhielt  auch  die  entsprechende  Zusage:  dennoch 
ging  die  Sendung  zwei  Tage  später  an  Weber  ab  (den  31.  December),  und  am  12.  Februar  1838 
konnte  ßurdach  seinen  CoUegen  das  vom  24.  Januar  datirte  Dankschreiben  des  Gefeierten 
vorlegen.  Als  ein  Denkmal  des  ebenso  schlichten  wie  tapfereu  Sinnes  des  grossen  Forschers 
darf  dasselbe  seinem  Wortlaute  nach  hier  Platz  finden: 

Decane  Maxime  Spectabilis 

und 
Hochzuverehreude  Herren! 
„Mit  dem  aufrichtigsten  Streben  nach  rechter  und  wahrer  Wissenschaft  ver- 
verbindet  sich  leicht  der  Gedanke  von  der  Geringfügigkeit  der  Leistung,  oder  selbst 
die  Furcht  vor  gänzlichem  Fehlschlagen.  Eine  solche  Furcht  scheint  sehr  natürlich, 
wenn  die  Forschung  zu  Gebieten  führt,  die  man  selten  berührt  hat.  Dieser  Fall  war 
der  meinige,  als  ich  im  gemeinsamen  Streben  mit  meinem  Bruder  das  Gebiet  der 
Physiologie  beti-at.  Nie  kann  das  Urtheil  competenter  Richter  erfreulicher  und  er- 
muthigender  sein,  als  in  solchem  Falle.  Darum  fühle  ich  mich  gedrungen,  Ihnen, 
hochzHverehrende  Herren,  nicht  allein  -.vegen  der  hohen  Auszeichnung,  die  Sie  mir 
haben  widerfahi-en  lassen,  sondern  auch  insbesondere  für  das  dabei  ausgesprochene 
aufmunternde  Urtheil  meinen  innigsten  Dank  an  den  Tag  zu  legen." 

„Dabei  fühle  ich  es  wohl  und  danke  es  Ihnen  herzlich,  dass  Sie  nicht  bloss  die 
Arbeit,  sondern  auch  den  Arbeiter  haben  ehren  wollen,  durch  den  achtungswerthen 
Ursprung,  welchen  Sie  seiner  Arbeit  zuschreiben,  das  ernste  Streben  nach  Recht  und 
Wahrheit,  welches  niu-  diejenigen,  die  es  selbst  in  sich  tragen,  in  anderen  voraus- 
setzen mögen. 

Mit  wahrer  Verehrung  verharre  ich  stets 
Ew.  Spectabilität  und  Hochwohlgeboren 
Göttingen,  den  24.  Januar  1838. 

dankbar  ergebenster  Diener 
Wilhelm  Weber. 
Wie  in  dem  Diplom  so  fehlt  auch  in  dieser  Antwort  jede  Beziehung  auf  den  Staats- 
streich des  Königs   von  Hannover.     Dennoch    wurde  das  Vorgehen  der  beiden  Facultäten  in 
Hannover  und  in  Berlin  ausschliesslich  als  politische  Demonstration  aufgefasst  und  drohte  ein 
neues  Einschreiten  gegen  die  Universitäten  und  zunächst    deren   Lehrkörper    herbeizuführen. 
Zum  Theil  verschuldeten    das    die  Uebertreibungen,    die    das  Geschehene    durch    das 
Gerücht  erfuhr.     Unter  dem  3.  Januar   1838   forderte    der  Unterrichtsminister  von  Ältenstein 
von  dem  Regierungsbevollmächtigten  zu  Königsberg  schleunigst  Auskunft  darüber,  ob  es  wahr 
sei,  dass,  wie  es  heisse,  die  beiden  Facultäten  der  Albertina  die  beiden  Göttinger  Professoren 
zu  „Ehrenmitgliedern"  ernannt  hätten,  und  wies   ihu  an,  wenn  das    geschehen    sei,    „sogleich 
über  die  Auflassung  der  Idee,  den  Urheber  des  Ganzen,  den  Verfasser  der  erlassenen  Schriften, 
die  Gründe  und  Absicht,  die  Zeit  der  Absendung  von  Schreiben  und   überhaupt  Alles,  was  zur 
Begründung  eines  richtigen  ürtheils  beitragen  kann",  genau  zu  berichten.     Nachdem    er  sich 


95 

—  bezeiclmeiider  Weise!  —  bei  der  Polizei  Auskunft  geholt  und  da  erfahren  hatte,  dass  von 
der  Verleihung  einer  Ehrenmitgliedschaft  nichts  bekannt  sei,  meldete  Reusch  am  8.  Januar 
die  Verleihung  des  Ehrendoctorats  an  Albrecht,  mit  dem  Vermerk,  der  „vorsichtige  und  be- 
sonnene Decan  Schubert  habe  es  selbst  fiir  gut  gehalten,  ausser  dem  nach  Göttingen  geschickten 
keine  weiteren  Exemplare  des  Diplomes  vertheileu  zu  lassen",  wofür  er  nun  auch  seinerseits 
gesorgt  habe.  Des  Weiteren  berichtet  er,  was  er  über  die  Absicht  der  Mediciner  in  Betreif 
Webers  in  Erfahrung  gebracht  hatte,  und  dass  auf  seine  Erinnerung  die  Versendung  des  Diploms 
aufgeschoben  sei  —  während  sie  durch  Burdach  dennoch  vorgenommen  war.  Zugleich  sprach 
er  sich  dahin  aus,  dass  wohl  „ein  Mangel  an  Tact"  vorliege,  dagegen  ,, nicht  im  entferntesten 
eine  strafbare  oder  verwerfliche  Absicht".  Beide  Facultäteu  hätten  ein  ihnen  zweifellos  zu- 
stehendes Recht  geübt,  der  medicinischen  wünscht  er  jedoch  eine  Rüge  ertheilt  zu  sehen,  weil 
sie  mit  dem  Druck  des  Diploms  nicht  bis  zur  Ertheilung  seines  Imprimatur  gewartet  hatte. 
(9.  Januar.)  In  einem  weiteren  Bericht  an  den  ünterrichtsminister  vom  11.  Januar  beschwerte 
er  sich  —  mit  gutem  Grund  —  über  Burdachs  Verfahren.  Als  Urheber  der  Albrecht  er- 
theilten  Auszeichnung  nennt  er  Lobeck,  bei  dem  aber  der  Gedanke  an  irgend  eine  politische 
Demonstration  ausgeschlossen  sei.  Denn  ,,er  ist  als  durchaus  rein  und  würdig  bekannt,  er 
lebt  nur  in  seinen  Büchern  und  Schriften,  besucht  keine  Gesellschaften  und  sieht  selten  Ge- 
lehrte seines  Fachs  bei  sich.  Von  ihm  ist  keine  andere,  als  eine  rechtliche  Handlung  zu  er- 
warten. Die  Pacultät  selbst  hat  von  einem  ihr  zustehenden  Recht  Gebrauch  gemacht  und 
die  Schranken  der  Wissenschaft  in  keiner  Beziehung  überschritten."  Nach  seiner  Ansicht 
liegt  daher  „höchstens  eine  Ungeschicklichkeit"  vor,  für  die  doch  als  wesentlich  mildernd 
die  Thatsache  in  Betracht  komme,  dass  man  anderwärts  und  selbst  in  Berlin  gar  Geldsamm- 
lungen für  die  sieben  Göttinger  veranstalten  dürfe. 

Eine  so  unbefangene,  durchaus  sachliche  Auflassung  drang  freilich  in  Berlin  nicht 
durch.  Dort  überwog  die  Rücksicht  auf  den  verschwägerten  hannoverschen  Hof  und  blieb  es 
nicht  ohne  Bindruck,  dass  König  Ernst  August  sich  den  Anschein  gab,  als  ob  er  durch  seinen 
Staatsstreich  sich  einen  besondern  Anspruch  auf  Dank  und  Dienst  aller  Kronen  erworben 
hätte.')  Ganz  anders,  als  Reusch  gewünscht  und  erwartet  hatte,  lautete  daher  der  Ministerial- 
erlass,  der  am  21.  Januar  1838  in  Sachen  dieser  Göttinger  Promotionen  erging.  Es  hiess 
darin  u.  A.: 

„Dass  diese  Facultäten  unter  den  bei  den  genannten  Professoren  eingetretenen  Ver- 
hältnissen gerade  jetzt  Anlass  genommen  haben,  denselben  ihre  Achtung  als  Gelehrte  zu  be- 
zeigen, ist  dem  Ministerium  sehr  unerwartet  und  auffallend  gewesen.  —  Es  liegt  in  dieser 
Wahl  des  Zeitpunkts  und  in  der  diesen  Professoren  gerade  jetzt  öfl"entlich  und  feierlich  aus- 
gesprochenen Theilnahme  ein  unverkennbar  indirect  an  den  Tag  gelegtes  Urtheil  über  die 
Maassregel,  welche  dieselben  genöthigt  hat,  Göttingen  zu  verlassen;  ein  solches  Urtheil 
über  Acte  einer  fremden  Regierung  ist  abei",  wenn  auch  der  Einzelne  sich  frei  darüber 
äussern  mag,  von  einer  Facultät  ausgehend  und  unter  öffentlicher  Autorität  documentirt,  ein 
ganz  unberufenes  und   ungehöriges,  welches  die  ernstlichste  Rüge  verdient.     Der  Minister  be- 


l)  V.  Treitscbke,  VI,  S^  (JG;!. 


auftragt  Ew.  etc.,  dem  Rector  und  Senat  diese  die  benannten  Facultäten  betreffende  Miss- 
billigung zu  eröffnen  und  denselben  dabei  zu  erkennen  zu  geben,  dass  es  überall  kein  Ver- 
trauen erwecken  und  den  Universitäten  nur  schaden  könne,  wenn  man  sich  eines  so  tactlosen 
Benehmens  derselben  verseben  müsse.  Das  Ministerium  erwartet,  dass  ein  richtiges  Gefühl 
der  Wahrheit  die  Professoren  das  Verschulden  erkennen  lassen  und  dadurch  Bürgschaft  für 
die  Zukunft  gewähren  wird." 

Aber  auch  au  den  Kronprinzen  als  Rector  der  Albertiua  war  die  Sache  gebracht 
worden  und  dieser  zu  einer  Aeusserung  veranlasst,  deren  schneidende  Schärfe  angesichts  der 
bekannten  Milde  des  hohen  Herrn  und  der  auch  an  maassgebender  Stelle  notorisch  herrschenden 
Ansicht  über  das  in  Hannover  Geschehene  die  Vermuthung  nahe  legte,  dass  hier  thatsächlich 
eine  andere  Instanz  das  Wort  führte.  Das  vom  22.  Januar  1838  datirte  Kronprinzliche 
Schreiben  an  Proi-ector  und  Senat  lautete  nämlich: 

„Die  philosophische  und  die  medicinische  Facultät  der  Albertina  hatten,  wie 
Ich  erfahren,  beschlossen,  zweien  von  den  sieben  Professoren  der  Universität  Göttingeu 
Ehreudiplome  zu  übersenden,  welche  gegen  das  Patent  des  Königs  von  Hannover 
vom  1.  November  v.  J.  öffentlich  protestirt  haben;  eines  davon  ist  bereits  abgegangen. 
Ich  bin  gewiss  weit  entfernt,  Ansichten  und  ürtheile  Einzelner  meistern  zu  wollen. 
Wenn  aber  Facultäten  einer  Hochschule,  deren  Rector  zu  sein  ich  die  Ehre  habe 
und  in  deren  Diplomen  Mein  Namen  obenan  zu  stehen  pflegt,  sich  öffentlichen  Tadel 
erlauben  gegen  die  Regierung  eines  Fürsten,  welcher  Sr.  Majestät  dem  König,  unserm 
gnädigsten  Herrn,  durch  Buudesverhältniss  und  nahe  Verwandtschaft  befreundet  ist, 
so  kann  Ich  das  mit  Gleichgültigkeit  uicht  ansehen.  Ich  ersuche  Sie  daher,  den 
beiden  genannten  Facultäten  Mein  grosses  Missfallen  über  ihre  Beschlussnahme  zu 
erkennen  zu  geben. 

Berlin,  den  22.  Januar  1838. 

Friedrich  Wilhelm,  Kronprinz. 
Beide  Zurechtweisungen  gingen  von  einer  offenbaren  Missdeutung  des  von  den  Facul- 
täten vollzogenen  Actes  aus  und  setzten  Dinge  als  erwiesen  voraus,  von  denen  keins  der 
beiden  Diplome  etwas  enthielt.  Nicht  bloss  um  ihrer  dadurch  gekränkten  Ehre  willen,  sondern 
auch  um  sich  gegen  weitere  Maassnahmen  seines  Schutzes  zu  versichern,  richteten  die  beiden 
Facultäten  folgendes,  auf  Grund  eines  Lobeckscheu  Entwurfs  in  gemeinsamer  Sitzung  festge- 
stelltes Schreiben  an  den  Kronprinzen: 

„Durchlauchtigster  Kronprinz ! 
Gnädigster  Herr  und  Prinz! 
Ew.  Königliche  Hoheit  haben  unserer  Lehranstalt  so  vielfache  Beweise  des 
huldreichsten  Wohlwollens  angedeihen  lassen  und  selbst  in  die  Aeusserung  des  uns 
kundgegebenen  Missfallens  so  viel  Milde  gelegt,  dass  wir  uns  hoher  Undankbarkeit 
zeihen  müssten,  wenn  wir  je  einen  Schritt  wagten,  durch  den  wir  Ilöchstdenselben 
zu  missfallen  im  entferntesten  besorgen  könnten.  Doch  als  wir  zweien  dui'ch  die 
Bande  der  Wissenschaft  und  des  Berufs  uns  eng  verbundenen,  persönlich  verehrten 
Mäunern,  die  zuerst  im  preussischen  Staatsdienste  ihren  Ruf  bewährten,  unsere  Hoch- 


97 

achtuug  nach  alter  akademischer  Sitte  bezeigten,  Hessen  wir  uns  bei  der  Wahl  der 
Ausdrücke  nur  durch  wissenschaftliche  Rücksichten,  bei  der  Wahl  der  Zeit,  in  welcher 
wir  unsere  Gesinnung  aussprachen,  von  einer  rein  menschlichen  Theiluahme  au  ihrem 
Missgeschick  leiten,  ohne  auf  dessen  Veranlassung  zurückzugehen,  ohne  uns  eines 
Tadels  über  Maassregelu  einer  auswärtigen  Regierung  vermessen  zu  wollen.  Und  wir 
hoffen,  bei  Ew.  etc.  für  diese  aufrichtige  Versicherung  um  so  eher  Vertrauen  zu  finden, 
als  keiner  von  uns  an  politischen  Agitationen  je  den  entferntesten  Antheil  genommen, 
keiner  einen  höheren  Wunsch  hat,  als  sich  die  Huld  Ew.  etc.  zu  erhalten  und  jeder 
Zeit  die  tiefste  Ehrfurcht  zu  beurkunden,  mit  welcher  wir  unwandelbar  verharren 
Ew.  Königlichen  Hoheit 

unterthänigst 
die  Mitglieder  der  mediciuischen  und  philosophischen  Facultät. 
Burdacb.     Sachs.     Klose.     Schubert.     Lobeck.     Drumann.     Hagen.     Voigt.     Meyer. 
Jacobi.     Dulk.     Neumanu.     Hagen.     Rosenkranz. 
In  dem  Briefe,   mit  dem  eine   Copie  dieses  Schreibens  an  Prorector  und  Senat  über- 
sandt  wurde,  erklärten  die  so  schwer  Beschuldigten  des  Weitern: 

„Was    den  Inhalt    des    hohen  Ministerialerlasses    vom    21.  Januar  anbelangt,    so  ver- 
mögen wir    nur    auf   unsere    bisherige    öffentliche  Wirksamkeit    ehrerbietigst  hinzuweisen,  da 
auch  der  Jüngst'^  von  uns  bereits  im  zehnten  Jahre  seines  akademischen  Lehramtes  steht,  um 
daraus    die  Ueberzeugung    entnehmen    zu    lassen,    wie,    entfernt    von    allen    politischen  Zwei- 
deutigkeiten, unser  Leben  nur  dem  Ernst  wissenschaftlicher  Forschung  und  eifriger  Erfüllung 
unsers  Lehramtes  gewidmet  ist.     Ew.  etc.  fühlen  wir    uns  aber  zu    dem  innigsten  Danke  leb- 
haft verpflichtet,    bei    der  ausgesprochenen  Missbilligung   unseres  Verfahrens    von   Seiten  der 
hohen    vorgesetzten    Behörden    keinen  Augenblick    verkannt  zu  haben,   in  welcher  Gesinnung 
ein  auf  wissenschaftlicher  Grundlage  basirtes  Urtheil  öffentlich  von  uns  gegeben  sein  konnte." 
Auch  verfehlte  die  freimüthige  und  würdige  Sprache   der  beiden  Eacultäten   bei    dem 
Königlichen  Rector  nicht  ihren  Eindruck.      Das  bewies    ein    von  ihm  einlaufendes  Schreiben, 
das  die  leidige  Angelegenheit  wenigstens  nach  dieser  Seite  hin   zu  einem  Abschlüsse   führte: 
„Mit  herzlicher  Freude   habe  Ich  Ihr  Schreiben   vom  27.  v.  Mts.  empfangen, 
weil  Ich  in  der  Art,  wie  Sie  meinen  Tadel  aufgenommen,    so    ganz    die    ehrenwerthe 
Gesinnung    erkenne,    welche    die  Albertina    seit  jeher  ausgezeichnet  hat.     Ich  werde 
auch  geime  jede  Gelegenheit  wahrnehmen.  Ihnen  ß(nv'eise  meiner  Aclitung  und  Meines 
aufrichtigen  Wohlwollens  zu  geben. 
Berlin,  d.  .3.  März  1838. 

Friedrich  Wilhelm.  Ki'onprinz. 
An  die  Mitglieder  der  niedicinischen  und  wissenschaftlichen')  Facultät   der  Albertina 

zu  Königsberg, 
z.  H.  des  Herrn  Professor  Burdach. 
Die  Erledigung  dieses  Zwisclienfalles  musste  allen  Theilen    um    so    erwünschter  sein, 

1)  So! 


als  damit  auch  die  Störung  abgewandt  war,  welche  die  seit  Jahren  schwebenden  Vei'hand- 
lungen  über  die  weitere  äussere  und  innere  Neugestaltung  des  Albertina  sonst  so  leicht 
hätten  erfahren  können.  So  Grosses  nämlich  nach  dem  ersten  Versuch  von  1805/6  durch 
die  Reform  von  1808  —  10  und  1818  geschehen  war  durch  Vermehrung  der  Professuren, 
Besserung  der  Gehälter,  Errichtung  neuer  und  reichlichere  Dotirung  älterer  Institute:  es 
war,  fasste  man  die  Gesammtverfassung  der  Universität  ins  Auge,  doch  immer  nur  ein  Er- 
gänzen, ein  Ausbessern  gewesen,  nicht  eine  Neuorganisation  aus  einem  Geiste  und  in  einem 
Guss.  Diese,  mit  Gründlichkeit  vorbereitet  und  darauf  angelegt,  etwas  auf  lange  Zeiten  Ab- 
schliessendes zu  schaifen,  war  gleich  in  ihrem  vielverheissenden  ersten  Stadium  durch  die 
Katastrophe  von  1819  unterbrochen  worden.  Endlich  im  Frühjahr  1832  war  man  von  Seiten 
der  Regierung  darauf  zurückgekommen.  „Auf  höhere  Veranlassung"  beschloss  der  Senat  am 
30.  Mai  1832  eine  Revision  der  allgemeinen  Universitätsstatuten  und  forderte  die  Facultäten 
zu  einer  solchen  auch  ihrer  besonderen  Statuten  auf.  Dabei  griff  man  zurück  auf  die 
umfänglichen  Gutachten  und  Entwürfe,  die  aus  den  1818/19  geführten  Verhandlungen  hervor- 
gegangen waren  und  unbenutzt  gelegen  hatten.  Aber  auch  jetzt  hat  es  noch  mehr  als 
ein  Jahrzehnt  erfordert,  ehe  diese  Arbeit  zum  Abscliluss  gedieh.  Ihr  Ergebniss  sind  die 
Statuten,  wie  sie,  am  4.  Mai  1843  von  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  bestätigt,  während  der 
folgenden  Jahrzehnte  in  einzelnen  Punkten  modiücirt,  noch  heute  in  Geltung  sind.  Ohne  tief- 
greifende principielle  Neuerungen  anzubahnen,  begnügte  man  sich  bei  dieser  Arbeit  mit  der 
Feststellung  des  geschichtlich  gewordenen  und  bewährten  Brauchs,  indem  man  zwischen  dem 
in  ihrem  Wesen  begründeten  allgemeinen  Herkommen  der  deutschen  Universitäten  und  den 
durch  die  erste  Stiftungsurkunde,  durch  principielle  und  locale  Verhältnisse  veranlassten  Be- 
sonderheiten der  Albertiua  eine  ausgleichende  Vermitteluug  suchte  und  fand.  Dadurch  wurde 
vollendet,  was  schon  für  die  Urheber  des  Reformplanes  von  1805  der  leitende  Gesichtspunkt 
und  das  vornehmste  Ziel  gewesen,  dessen  Erreichung  auch  durch  den  Aus-  und  Neubau  der 
letzten  15  Jahre  von  Seiten  der  Staatsregierung  consequent  gefördert  worden  war,  nämlich 
die  Königsberger  Universität,  die  so  weit  entlegen  und  in  Folge  dessen  der  Gefahr  der  Ein- 
seitigkeit und  des  Stillstandes  besonders  ausgesetzt  war,  zum  Bewusstsein  ihrer  Gleichartigkeit 
und  Gleichwerthigkeit  und  zu  voller  geistiger  und  sittlicher  Gemeinschaft  des  Strebens  mit  ihren 
äusserlich  vielfach  begünstigten  Schwestern  zu  bringen  und  mit  ihrem  Selbstgefühl  und  ihrem 
Streben  zugleich  auch  ihre  Leistungsfähigkeit  zu  steigern.  Dieser  Erwägung  entsprang  und 
dieser  Tendeuz  diente  namentlich  die  wichtigste  Neuerung,  die  (schon  1811^18  in  Geltung, 
dann  aber  wieder  abgeschafft)')  gegen  das  auf  den  meisten  preussischen  Universitäten  Uebliche 
hier  endgültig  eingeführt  wurde,  nämlich  die  Vereinigung  sämmtlicher  ordentlichen  Professoren 
in  dem  Generalconcil  als  der  höchsten  Instanz  und  eigentlich  regierenden  Körperschaft,  während 
der  anderwärts  zu  dieser  Stellung  berufene  Senat  hier  nur  die  Befugnisse  eines  ver- 
waltenden Organs  erhielt.  Dadurch  wurden  Gegensätze  unmöglich  gemacht,  wie  sie  einst 
sehr  zum  Nachtheil  der  Albertina  in  den  Jahren  1809 — 11  zwischen  „alten"  und  „neuen" 
Professoren    bestanden    hatten.     Es    wurde  jedem    einzelnen   ordentlichen  Lehrer    das   Recht 

1)  Vgl.  S.  35  f.,  48  f. 


99 

eingeräumt,  von  den  allgemeinen  Universitätsangelegenheilen  Kenntnis«  zu  nehmen  und  auf 
ihre  Führung  seiner  Ueberzeugung  gemäss  einzuwirken.  Es  wurde  eine  Gremeinschaft  der 
Interessen  geschaffen,  die  der  Neigung  zum  Auseinanderfallen  der  Universität  in  eine  Anzahl 
bloss  äusserlich  verbundener  Fachschulen  erfolgreich  entgegenwirken  und  das  Gefühl  der 
inneren  Zusammengehörigkeit  lebendig  erhalten  und  zu  erfolgreicher  ßethätigung  stärken 
konnte.  Eine  nothwendige  Folge  davon  aber  war  der  Wegfall  des  semesterlichen  Wechsels  im 
Prorectorat  nach  dem  Dienstalter  der  Senatoren  und  den  Facultäten  und  die  Einführung  der  so- 
genannten freien  Rectorwahl,  wie  sie  durch  den  von  ihm  beschlossenen  §  29  der  Statuten  von  dem 
Senate  am  IG.  Juli  1838  bei  dem  Ministerium  beantragt  und  von  diesem  unter  dem  2.  October 
gleichzeitig  mit  der  Errichtung  eines  bloss  verwaltenden  Senats  und  des  Generalconcils 
genehmigt  wurde.  Ein  Widerstreben  zeigte  sich  gerade  bei  den  mit  einem  neuen  werthvollen 
Rechte  ausgestatteten  Professoren,  deren  viele  vor  der  Belastung  mit  neuen  Amtspflichten 
zurückschreckten.  Hatten  doch  nicht  weniger  als  sechzehn  von  den  ordentlichen  Professoren 
unter  Hinweis  darauf,  dass  sie  zugleich  Lehrer,  Gelehrte  und  Schriftsteller  seien,  rundheraus 
erklärt,  der  nach  dem  neuen  Statut  vorauszusetzende  regelmässige  Besuch  aller  Sitzungen 
könne  ihnen  nicht  zugemuthet  werden.  Natürlich  unterliess  der  Minister  nicht,  die  Herren  auf 
„die  Unrichtigkeit  dieser  allen  Verhältnissen  ihres  Collegiums  widersprechenden  Ansicht" 
hinzuweisen  und  ihnen  Iiemerklich  zu  machen,  „dass  die  angegebenen  Nebenverhältnisse 
ihnen  niemals  zum  Grunde  dienen  dürfen,  das  wichtige  und  ehrenvolle,  unmittelbar  aus  der 
Professur  hervorgehende  Amt  eines  Senators  und  somit  die  Wahrnehmung  des  Wohles  der 
Universität  hintanzusetzen." 

Die  Frage  nach  der  Feststellung  des  neuen  Statuts  der  Albertina  war  noch  nicht  er- 
ledigt, als  mit  dem  Tode  König  Friedrich  Wilhelms  III.  und  der  Thronbesteigung  Friedrich 
Wilhelms  IV.  für  Preussen  und  Deutschland  eine  neue  Epoche  begann,  die  mit  der  Fülle  der 
von  ihr  gebotenen  Anregungen,  der  durch  sie  erweckten  Wünsche  und  der  ihr  entspringenden 
Bestrebungen  auch  für  die  Entwickelung  der  Universitäten  günstigere  Bedingungen  zu  schaffen 
verhiess,  auf  die  Albertina  aber  um  so  nachdrücklicher  wirkte,  als  diese  sich  dem  genialen 
Herrscher  als  ihrem  Rector  besonders  eng  verbunden  wusste.  An  den  festlichen  Tagen  der 
Huldigung  in  Königsberg  hatte  die  Universität  ihren  gebührenden  Antheil.  Die  von  ihren 
Deputirten  dem  Könige  vorgetragene  Bitte  um  Beibehaltung  des  Rectorats  fand  gnädige  Ge- 
währung.') Zugleich  hatte  der  Senat  ein  Bittschreibeu  beschlossen,  betreffend  die  Errichtung 
der  Gebäude  für  das  physikalische  und  das  chemische  Laboratorium  und  für  die  medicinische 
und  die  chirurgische  Klinik.  Doch  hatte  er  auch  bereits  erwogen,  „ob  es  vielleicht  zweck- 
mässig und  wünschenswerth  sei,  bei  Sr.  Majestät  dem  Könige  die  Bitte  zu  stellen,  das  Institut 
eines  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  zu  beseitigen  und  statt  dessen  wieder 
einem  Curator  die  Curatel  der  Universität  zu  übertragen."  Auch  die  Regierung  trat  dieser 
Frage  bald  näher:  lief  doch  mit  dem  Jahre  1841  der  Zeitraum  ab,  für  den  die  1834  getroffenen 
strengen  Bestimmungen  in  Betreff  der  Universitäten  hatten  gelten  sollen.  Jetzt  wurde  Bericht 
erfordert  über  die  Erfahrungen,  die  man  mit  dem  durch  die  Karlsbader  Beschlüsse  inaugurirten 

1)  Bericht  der  Deputation  26.  Sept.  C.  77.  I. 


100 

System  gemacht  batte.  Aucli  der  Regierungsbevollmäclitigte  bei  der  Albertiua  machte  kein 
Hehl  aus  den  damit  verbundenen  Missständen  und  empfahl  die  allmähliche  Rückkehr  zu  dem 
in  Preussen  ehemals  bewährten  System  der  Curatoren.*) 

Verheissungsvoll  fiJr  den  ganzen  Preussischen  Staat,  eröffnete  jene  Zeit  auch  der 
Albertina  glänzende  Aussichten,  da  nicht  bloss  die  allgemeinen  Bedingungen  fiir  ihre  Wirk- 
samkeit sich  besserten,  sondern  auch  lange  gehegte  Wünsche  in  Bezug  auf  ihr  äusseres  Dasein 
endlicher  Erfüllung  entgegengingen.  Schon  1819  war  von  verschiedenen  Seiten  auf  die  Noth- 
wendigkeit  hingewiesen  worden,  durch  den  Bau  eines  Collegienhauses  dem  Mangel  an  günstig 
gelegeneu  Auditorien  abzuhelfen,  in  dem  Manche  eine  der  Hauptursachen  des  Unfleisses  der 
Studirendcn  sehen  wollten.^)  Ein  kostspieliger  Reparaturbau  hatte  das  CoUegium  Albertinum 
noch  einmal  nothdürftig  in  Stand  gesetzt:  gebessert  aber  war  eigentlich  nichts,  und  Samm- 
lungen und  Institute  hatten  theils  ungenügendes,  theils  gar  kein  Unterkommen.  Obenein  war 
bei  plötzlich  hereinbrechender  Wassersnoth  am  9.  April  1829  das  Erdgoschoss  des  Collegium 
Albertinum  überschwemmt  worden,  so  dass  die  dort  untergebrachte  TJniversitätskasse  hatte 
anderweitig  in  Sicherheit  gebracht  werden  müssen.^)  Auch  füi'  die  Registratur  u.  s.  w.  fehlte 
es  in  Folge  des  von  dem  Wasser  angerichteten  Schadens  an  den  nöthigen  Räumlichkeiten, 
während  die  erneuten  Klagen  über  den  schlechten  Collegicnbesuch  immer  wieder  auf  den 
Mangel  eines  central  gelegenen  und  allgemein  benutzten  Auditoriengebäudes  hindrängten.  So 
war  zuerst  1829/30  der  Gedanke  an  die  „Bildung  eines  besonderen  Universitätsbezirks"  auf- 
getaucht.*) Man  richtete  dabei  sein  Augenmerk  auf  das  zum  Verkauf  stehende  gräflich  Kalk- 
reuthsche  Haus  am  Schiefen  Berg  (Bergplatz  11/12),  das  eine  Anzahl  Auditorien,  die  Kasse 
und  die  Geschäftsräume  des  Universitätsgerichts  aufnehmen  konnte.  Eine  genaue  Ermittelung 
des  Bedürfnisses  aber  und  der  weit  auseinandergehenden  Wünsche  der  akademischen  Lehrer, 
von  denen  viele  in  ihrem  Hause  oder  dicht  dabei  zu  lesen  gewohnt  waren  und  gegen  die  ge- 
plante Aenderung  alle  möglichen  Bedenken  erhoben,  ergab  die  Unausführbarkeit  dieses  Projects, 
und  in  einem  Erlass  vom  7.  März  1831  bekannte  das  Ministerium  offen:  „Je  klarer  die  Ver- 
hältnisse sich  jetzt  übersehen  lassen,  um  so  schwerer  wird  es,  in  dieser  Angelegenheit  einen 
Beschluss  zu  fassen,  der  alle  Interessen  und  billiger  und  vernünftiger  Weise  zu  nehmenden 
Rücksichten  auf  Lehrende  und  Lernende  vereinigt."  Man  musste  zugeben,  dass  ein  „Univer- 
sitätsbezirk" sich  seiner  Zeit  hätte  schaffen  lassen,  wenn  man  das  Albertinum  ganz  aufgab  — 
wie  einst  Burdach  gerathen  hatte*)  —  und  in  der  Gegend  der  neuen  Institute,  jenseits  des 
Steindamms,  ein  neues  Haus  baute,  wodurch  das  historische  Gebäude  im  Kneiphof  von  Vor- 
lesungen ganz  entlastet  worden  wäre,  um  hinfort  nur  noch  zu  feierlichen  Acten  und  für  die 
Zwecke  des  Senats  und  der  Universitätsverwaltung  zu  dienen.  Nun  blieb  die  Sache  wieder 
ein  paar  Jahre  liegen.  Denn  der  1834  auftauchende  Gedanke,  das  alte  Theater  (in  der  heu- 
tigen Poststrasse)  für  die  Albertina  auszubauen,  erwies  sich  gleich  als  unausführbar.     Die  Miss- 


1)  Curat.  C.  33. 

2)  Vgl.  S.  50. 

3)  Curator.  A.  12. 

4)  Curator.  A.  114a. 

5)  Vgl.  oben  S.  51. 


101  - 

stände  aljor,  au  denuu  alle  Zwcigo  des  akademischen  Unterrichts  in  Folge  dieser  Verhältnisse 
krankten,  wuchsen  von  Jahr  zu  Jahr,  während  die  bevorstehende  dritte  Säcularfeier  der  Uni- 
versität den  Wunsch  rechtfertigte,  durch  eine  besonders  grosse  Aufwendung  ihr  endlich  ein 
würdiges  Haus  geschaifen  zu  sehen.  In  diesem  Sinne  hatte  man  sich  bei  Friedrich  Wilhelms  111. 
letzter  Anwesenheit  in  Königsberg  am  27.  August  1834  mit  einer  Immediateingabe  an  diesen 
gewandt  und  unter  Hinweis  auf  die  herannahende  Jubelfeier  gebeten,  einmal  die  auf  96376  Thlr. 
und  15  Gr.  veranschlagten  Kosten  zu  dem  Neubau  auf  drei  Jahre  vertheilt  zu  bewilligen 
und  den  Senat  sowohl  mit  der  Feststellung  der  inneren  Ausführung  den  ermittelten  Bedürf- 
nissen gemäss  wie  mit  der  Aufsicht  über  den  Bau  zu  betrauen.  Als  Vorbild  stellte  man  das  eben 
vollendete  stattliche  Haus  auf,  das  Schiukel  für  die  Universität  Halle  aufgeführt  hatte.  Ueber 
die  Platzfrage  aber,  die  demnächst  zur  Erörterung  kam,  gingen  die  Meinungen  weit  aus  ein- 
ander. Die  Gegend  am  Steindamm  wurde  von  der  Mehrheit  verworfen;  der  Wahl  der  Königs- 
strasse stimmten  etliche  Professoren  zu,  „mehr  aus  collegialischer  Nachgiebigkeit  als  aus 
Ueberzeugung."  Am  einfachsten  meinte  mau  schliesslich  Mai  1835  das  Problem  zu  lösen, 
wenn  man  den  ehemaligen  „Bischofshof"  nächst  dem  Dom,  der  geräumig  genug  und  zum 
Ausbau  geeignet  war,  in  der  Weise  mit  dem  CoUegium  Albertinum  vereinigte,  dass  daraus 
ein  grosses  Universitätsgebäude  entstünde.')  Doch  ergaben  sich  auch  dagegen  alle  möglichen 
Bedenken.  Zudem  wurde  der  Senat  mit  seiner  an  Schinkel  gerichteten  Bitte  um  Entwerfung 
eines  einheitlich  künstlerisch  gestalteten  Planes  für  den  Bau  am  8.  Januar  1838  abgewiesen: 
der  berühmte  Architekt  erklärte,  Zeit  und  Kraft  an  einen  solchen  zu  setzen  würde  so  lange 
völlig  unnütz  sein,  als  nicht  der  Bauplatz  ganz  sicher  gegeben  wäre:  er  wies  zur  Begründung 
dieser  Weigerung  hin  auf  die  unliebsamen  Erfahrungen,  die  er  eben  in  der  gleichen  Sache 
in  Halle  gemacht  hatte,  für  das  er  aus  den  Trümmern  der  über  der  Saale  thronenden  Moritz- 
burg einen  Prachtbau  entworfen  gehabt  habe,  um  nachher  etwas  ganz  Anderes  ausführen  zu 
müssen.  So  kam  man  trotz  der  Geneigtheit  der  Regierung,  die  berechtigten  Wünsche  der 
Universität  zu  erfüllen,  doch  keinen  Schritt  vorwärts. 

Endlich  im  Jahr  1838  tauchte  der  Gedanke  auf,  der  sich  als  ausführbar  erweisen 
sollte,  wenn  er  auch  eine  beträchtliche  Steigerung  des  in  Aussicht  genommenen  Aufwandes 
erforderte.  Den  Bauplatz  wollte  man  nun  an  der  Südwestseite  des  Königsgartens  oder  Parade- 
platzes beschauen  durch  Ankauf  von  drei  in  der  Tragheimer  Kirchenstrasse  gelegeneu 
(Nr.  36—39)  und  nach  dem  Königsgarten  durchgehenden  Grundstucken,  welche  Raum  dar- 
boten für  ein  Gebäude,  gross  genug  um  die  Auditorien,  die  Sammlungen,  die  Senats-  und 
Geschäftszimmer,  die  Kasse,  die  Carcer,  die  Wohnungen  dnv  Pedelle  u.  s.  w.  aufzunehmen. 
Für  den  Grund  und  Boden  wurden  22500  Thaler,  für  den  Bau  127940  Thaler  gefordert,  so 
dass,  wenn  auch  noch  das  gewünschte  besondere  Gebäude  für  die  Zwecke  der  Physik  und 
Chemie  errichtet  wurde,  ein  Gesammtaufwand  von  179  600  Thalern  uöthig  wurde.  Da  diese 
Summe  zur  Zeit  unerschwinglich  schien,  entwarf  man  zugleich  ein  bescheideneres  Project:  ein 
bloss  Auditorien  enthaltendes  Gebäude  liess  sich  an  der  Nordwestseite  des  Platzes,  da,  wo 
dermalen    ein    grosses   Exercirhaus    stand,    für   72000  Thaler    errichten.     Aber    obgleich    der 


1)  Curator.  A.  114a.  LL. 


102 

Nothstaud  ein  augonfälliger  war,  da  die  im  Collegium  Albcrtiuum  zu  Auditorien  verwendeten 
Räume  des  ersten  Stocks,  seit  das  Erdgeschoss  durch  die  Ueberscliwemmung  1829  unbrauch- 
bar geworden,  ganz  "Verwaltungszwecken  dienten,  so  gingen  doch  die  geforderten  Summen 
so  sehr  über  das  Maass  des  Möglichen  hinaus,  dass  das  Ministerium  am  29.  October  1838  die 
niederschlagende  Erklärung  nach  Königsberg  gelangen  lassen  musste,  die  Einleitungen  zur 
Errichtung  eines  Universitätsgebäudes  könnten  nicht  wieder  aufgenommen  werden,  sondern 
müssten  einstweilen  auf  sich  beruhen. 

Erst  als  König  Friedrich  Wilhelm  IV.  im  August  1840  zur  Huldigung  nach  Königs- 
lierg  kam,  trat  auch  diese  Frage  in  ein  neues  Stadium.  Am  1.  September  1840  trug  man 
ihm  die  Bitte  um  Gewährung  eines  eigenen  Hauses  für  die  Albertina  vor:  bereits  von  Fried- 
rich Wilhelm  111.  in  Aussicht  gestellt,  sollte  diese  Gewährung  gleichsam  die  krönende  Vollendung 
werden  alles  dessen,  was  dieser  Herrscher  als  ihr  zweiter  Begründer  für  die  Universität  gethan 
hatte,  indem  er  die  Zahl  der  Lehrstühle  beinahe  verdoppelt,  die  Sternwarte  und  den  bota- 
nischen Garten  errichtet  und  die  naturwissenschaftlichen  und  medicinischen  Sammlungen  und 
Institute  begründet  hatte.  Aber  auch  ein  chemisches  und  ein  physikalisches  Laboratorium 
könne  nicht  mehr  entbehrt  werden ;  auch  könne  die  medicinische  sowohl,  wie  die  chirurgische 
Klinik,  in  ungeeigneten  und  nur  nothdürftig  für  ihre  neue  Bestimmung  hergerichteten  Ge- 
bäuden untergebracht,  so  nicht  länger  fortbestehen.  Diese  erneute  Darlegung  des  obwaltenden 
Nothstandes  machte  ganz  den  erwarteten  Eindruck.  Zudem  wurde  durch  die  Entscheidung, 
welche  die  früheren  Verhandlungen  in  Betreff  des  Platzes  bereits  ergeben  hatten,  das  Finan- 
zielle wesentlich  erleichtert  und  vereinfacht,  insofern  der  grösste  Theil  des  in  Aussicht  ge- 
nommenen Terrains  auf  dem  Köuigsgarten  ohne  besondere  Kosten  zur  Verfügung  stand. 

Eine  Untersuchung  über  die  dort  obwaltenden  Besitzverhältnisse  ergab  nämlich,  dass 
der  Platz  seinem  Namen  entsprechend  ursprünglich  als  landesherrlicher  Lustgarten  zum 
Schlosse  gehört  hatte.  Als  dann  aber  in  dem  strengen  Winter  1708  die  Bäume,  Blumen, 
Hecken  und  grünen  Wände  darin  fast  sämmtlich  ausgefroren  waren,  hatte  man  diesen  eingehen 
lassen  und  den  Platz  zur  Errichtung  einer  königlichen  Rossmahlmühle  und  als  Exercirplatz 
benutzt.  Er  gehörte  demgemäss  zu  der  sogenannten  Schlossfreiheit.  Allem  in  dieser  enthal- 
tenen Domanialeigenthum  hatte  Friedrich  Wilhelm  III.  durch  Cabinetsordre  vom  4.  November  1809 
entsagt;  dasselbe  wurde  mit  allen  Rechten  und  Pflichten  sowie  mit  der  sog.  Hausvogteikasse, 
wohin  die  Grundzinse  u.  s.  w.  davon  geflossen  waren,  der  Stadtgemeinde  übergeben  unter 
der  auch  späterhin  ausdrücklich  erneuten  Bedingung,  dass  der  Königsgarten  als  ein  öffentlicher 
Platz  erhalten  würde.  Lange  Jahre  wurde  der  Platz  nun  von  dem  Militär  zum  Ausexerciren 
der  Rekruten  benutzt,  dazu  auch  auf  der  Nordostseite  längs  des  dort  durchgehenden  Mühlen- 
fliesses  ein  Exercirhaus  errichtet,  das  man,  als  dort  das  neue  Schauspielhaus  aufgeführt  wurde, 
nach  dem  nordwestlichen  Ende  verlegte.  Wenn  die  Stadt  zur  Ueberlassung  eines  entspre- 
chenden Theils  von  diesem  Terrain  vermocht  wurde,  konnte  man  dieses  durch  den  Ankauf 
einiger  benachbarter  Grundstücke  mit  verhältnissmässig  geringen  Kosten  so  erweitern,  dass 
es  sich  zu  dem  geplanten  Universitätsbau  in  hervorragendem  Maasse  eignete,  in  diesem 
Sinne  ergingen  gegen  Ende  1840  die  nöthigen  Befehle.  Die  Stadtgemeinde  aber  machte  ihre 
Beihülfe  abhängig  von  einer  Aeuderung  der  gesammten  damals    geplanten  Anlage,    die    nach 


103 

ihrer  Meinuug  den  Verkehr  zu  schädigen  drohte.  So  trat  ein  neuer  Stillstand  ein.  der  von 
dem  König  um  so  unbequemer  empfunden  wurde,  als  sein  künstlerisch  schöpferischer  Sinn 
sich  mit  besonderen  Entwürfen  zu  einer  grossartigen  Gestaltung  jener  ganzen  Stadtgegend 
trug.  Volle  drei  Jahre  wurde  hin  und  her  verhandelt,  bis  eine  Verständigung  mit  den  städti- 
schen Behörden  gelang.  Erst  am  15.  December  1843  erging  die  Königliche  Cabinetsordre  an 
die  Minister  des  Innern  und  des  Cultus  von  Mühler  und  Eichhorn,  welche  die  Errichtung 
des  neuen  üniversitätsgebäudes  auf  der  Nordwestseite  des  Königsgartens  befahl  und  die 
Minister  zur  Annahme  des  von  dem  Magistat  und  den  Stadtverordneten  gemachten  Anerbietens 
bevollmächtigte,  wonach  die  Stadt  „den  dazu  erforderlichen  Raum  auf  einer  Seite  des  Platzes 
vorlängs  dem  Exercirhause  unentgeltlich  hergeben"  wollte.  Das  Gleiche  erwartete  der  König 
aber  auch  zu  dem  Bau  des  an  der  Westseite  von  Köuigsgarten  zu  errichtenden  grossen  Land- 
gerichtsgebäudes: die  dadurch  zu  ermöglichende  Ausführung  seiner  Entwürfe  sollte,  so  erklärte 
er,  „einen  Platz  gewähren,  der  an  Schönheit  kaum  einem  in  der  Monarchie  nachstehen,  die 
meisten  öffentlichen  Plätze  in  den  Hauptstädten  Deutschlands  aber  weit  hinter  sich  lassen 
würde."  Eine  Weigerung  darauf  einzugehen  würde  nur  aus  einer  unbegreiflichen  „Vorliebe 
für  die  jetzige  Ungestalt"  jenes  Stadttheils  erklärt  werden  können.  Als  dann  Ende  Juni 
1844  Stadtverordnete  und  Magistrat  die  geforderte  Abtretung  des  zu  dem  Universitätsbau 
nöthigeu  Grund  und  Bodens  beschlossen  hatten,  da  endlich  —  wenige  Wochen  also  nur  vor 
dem  300jährigen  Jubiläum  der  Albertina  —  konnte  die  so  viele  Jahre  schwebende  Frage 
als  gelöst  gelten:  die  Legung  des  Grundsteins  zu  dem  neuen  Hause  trat  als  ein  besonders 
bedeutungsvoller  Act  in  den  Mittelpunkt  der  bevorstehenden  Säcularfeier,  der  des  Königs 
persönliche  Theilnahme  die  Weihe  zu  geben  verhiess. 

Unter  glücklichen  Aspecten  neigte  sich  demnach  für  die  Albertina  ihr  drittes  Jahr- 
hundert seinem  Ende  entgegen.  Durch  die  Neufassung  der  Statuten,  die  am  4.  Mai  1843 
die  Allerhöchste  Bestätigung  erhielten,  war  eine  sichere  Grundlage  und  feste  Norm  für  ihr 
inneres  Leben  gewonnen,  welche  die  im  Mittelalter  wurzelnden  akademischen  Institutionen  in 
glücklicher  Weise  mit  den  Ansprüchen  des  modernen  Lebens  in  Staat  und  Wissenschaft  ver- 
söhnte und  Lehrern  und  Lernenden  auf  dem  Grunde  des  grossen  Princips  der  Freiheit  für 
Forschung,  Lehre  und  Studium  vollen  Spielraum  gewährte  zur  wetteifernden  Entfaltung  ihrer 
Kräfte  im  Dienste  der  Wissenschaft  und  zur  Bildung  für  den  Dienst  des  Vaterlands, 
ausserdem  aber  durch  die  Constituirung  des  Generalconcils  aller  Ordinarien,  des  verwaltenden 
Senats  und  der  freien  Prorectorwahl  die  traditionelle  akademische  Selbstregierung  in  eine 
Form  brachte,  welche  jedem  Einzelnen  den  ihm  gebührenden  Antheil  daran  sicherte  und  so 
durch  ein  ausgleichend(!S  Zusammenwirken  Aller  die  beste  Gewähr  gab  für  das  Gedeihen  des 
Ganzen.  Als  erster  gewählte  Rector  fungirte  1843 — 44  Franz  Neumanu.  Für  das 
Jubeljahr  1844/45  wurde  Burdach  dazu  berufen.  Und  indem  der  Albertina  gleichzeitig  die 
Aufluhrung  des  seit  langen  Jahren  ersehnten  neuen  eigenen  Hauses  in  absehbarer  Zeit  in  ge- 
wisse Aussicht  gestellt  wurde  und  im  Zusammenhange  damit  auch  der  Plan  zur  Errichtung 
lange  schmerzlich  vermisster  Institute  eine  greifbarere  Gestalt  gewann,  wurdim  auch  für  das 
äussere  Dasein  der  Stiftung  des  ersten  pi-eussischen  Herzogs  der  fortgeschrittenen  Zeit  ent- 
sprechend neue   Bedingungen  und  Formen  geschafien,  welche  der  Pflege  der  Wissenschaft  ein 


104 

fi-öhlicheres  Gedeihen,  grössere  Erfolge  und  Anerkennung  auch  in  weiteren  Kreisen  verbürgten. 
Nun  erst  konnte  die  Albertina  wieder  als  gleichberechtigt  in  den  Wettbewerb  eintreten  mit 
ihren  bisher  vor  ihr  weit  begünstigten  jüngeren  Schwestern:  denn  nun  erst  war  sie  mit  den 
inneren  und  äusseren  Bedingungen  ihres  Daseins  und  Wirkens  recht  auf  den  Boden  der 
modernen  Entwicklung  gestellt. 

Damit  aber  gewannen  natürlich  auch  die  Gegensätze,  die  in  dem  höher  aufwogenden 
politischen  und  kirchlichen  Leben  jener  Tage  mit  einander  rangen,  gelegentlich  grössern 
Einfluss  auf  die  akademischen  Verhältnisse  und  führten  nicht  bloss  innerhalb  der  Universität, 
sondern  auch  zwischen  ihr  und  dsr  vorgesetzten  Behörde  zu  Conflicten,  in  denen  auf  einem 
besondern  Gebiete  die  jene  ganze  Zeit  erlüllende  Gährung  zum  charakteristischen  Ausdruck 
kam.  Das  trübte  vorübergehend  auch  die  Beziehungen  zu  dem  königlichen  Rector  magnificentissi- 
mus  und  stellte  die  mit  Zuversicht  gehoifte  persönliche  Theilnahme  des  hohen  Herrn  an  der 
Säcularfeier  ernstlich  in  Frage.  Den  Anlass  gab  die  1841  erfolgte  Ernennung  des  aord. 
Professors  der  Theologie  zu  Rostock  Heinrich  Andreas  Christoph  Hävernick  (geboren 
29.  December  1811  zu  Kräpelin  in  Mecklenburg-Schwerin,  f  1845)  zum  Professor  der  semitischen 
Sprachen  in  der  theologischen  Facultät.  Man  kam  demselben  mit  dem  grössten  Vorurtheil 
entgegen:  abgesehn  davon,  dass  er  einer  der  eifrigsten  Vertreter  der  Hengstenbergschen 
Richtung  war,  hatte  er  bei  der  von  eben  dieser  ausgegangenen  Anklage  der  Hallenser  Pro- 
fessoren Gesenius  und  Wegscheider  1830  wegen  Irrlehren  bereits  als  Student  insofern  eine 
Rolle  gespielt,  als  dieselbe  sich  vornehmlich  auf  die  von  ihm  in  den  Vorlesungen  jener  nach- 
geschriebenen Hefte  gegründet  hatte.  Das  alles  wurde  in  jenen  erregten  Tagen  um  so  stäi-ker 
betont,  als  die  Ernennung  Häveruicks  sich  unmittelbar  gegen  den  bisherigen  Vertreter  der 
alttestamentlichen  Theologie  und  der  semitischen  Sprachen  richtete,  Cäsar  von  Lengerke 
(geboren  30.  März  1803  zu  Hamburg,  seit  1829  Privatdocent,  1831  aord.,  1835  ord.  Professor), 
einen  bedeutenden  und  verdienstvollen  Gelehrten  entgegengesetzter  Richtung,  zudem  nicht 
unbegabt  als  Dichter  und  voll  eifriger  Theilnahme  an  dem  neuen  politischen  Leben,  aber  ohne 
festen  moralischen  Halt  gegenüber  einer  unglücklichen  Neigung  zu  dissolutem  Leben,  die 
schliesslich  des  reich  Begabten  Verhäugniss  werden  sollte.  Als  Verfasser  eines  Gedichts 
zur  Feier  des  Geburtstages  von  Dr.  med.  Johann  Jacoby.  der  als  Verfasser  der  „Vier  Fragen" 
damals  von  der  erstarkenden  liberalen  Bewegung  auf  den  Schild  erhoben  war,  hatte  von 
Lengerke  das  Missfallen  der  Regierung  erregt.  So  spielte  bei  der  Übeln  Aufnahme,  die  man 
Hävernick  bereitete,  auch  ein  politisches  Moment  mit.  Bei  seiner  ersten  Vorlesung  fand  dieser 
sein  Auditorium  gedrängt  voll  Studirender,  nicht  bloss  der  Theologie:  nachdem  er  eine  Weile 
gesprochen,  erhoben  sie  sich  und  verliessen  den  Saal.  Am  Abend  desselben  Tages  wm-de 
von  Lengerke  ein  Vivat  gebracht.  Gewiss  war  das  eine  unerlaubte  Demonstration  und  um 
so  bedauerlicher,  als  Häveruicks  zarte  Gesundheit  unter  der  Aufregung  und  dem  Aerger,  den 
der  weitere  Fortgang  der  Sache  (zwei  Jahre  hindurch  hörte  kein  Student  bei  ihm,  bis 
V.  Lengerke  in  die  philosophische  Facultät  versetzt  wurde)  noch  steigerte,  schwer  zu  leiden 
hatte.  Schlimmer  aber  wurde  der  Zwischenfall  erst  durch  das  obrigkeitliche  Einschreiten, 
das  ihm  über  die  nächstbetheiligten  Kreise  hinaus  eine  unverdiente  Bedeutung  gab, 
während  eine  weitherzige  Ignorirung  und  unvermerkte,  aber  ernste  moralische  Gegenwirkung 


105 

ihn  schnell  vergessen  gemacht  haben  würde.  Die  vom  Senate  angestellte  Untersuchung  über 
die  Demonstration  gegen  Hävernick,  in  Betreff  deren  die  vernommenen  Studirenden  nur 
erklärten,  sie  hätten  von  Hävernick  eine  Rechtfertigung  wegen  seines  Antheils  an  der 
Denunciation  gegen  Gesenius  und  Wegscheider  erwartet  und  sich  enttäuscht  entfernt,  als  sie 
ausblieb,  ergab  natürlich  weder  bestimmte  Urheber,  noch  wies  sie  eine  Verabredung  nach. 
So  wurde  nur  gegen  die  Urheber  des  abendlichen  Vivats  für  v.  Lengerke  auf  Carcerstrafen 
erkannt.  Das  Ministerium  war  damit  keineswegs  einverstanden.  Indem  es  das  Urtheil  dos 
Senats  zwar  bestätigte,  übte  es  an  ihm  zugleich  eine  Kritik,  welche  die  Autorität  des  Senats 
völlig  in  Frage  stellte.  Es  sei  dabei,  so  wurde  ausgeführt,  das  eigentlich  Strafbare  ganz 
ausser  Acht  gelassen,  nämlich  die  Beleidigung  eines  akademischen  Lehrers  und  die  politische 
Demonstration  am  Abend;  dadurch  habe  der  Senat  seiner  eigenen  Würde  etwas  vergeben: 
von  Rechtswegen  wäre  gegen  die  Schuldigen  das  Consilium  abeundi  zu  verhängen  gewesen, 
was  denselben  auch  amtlich  kundgethan  werden  sollte.  In  einer  ausführlichen  Darlegung  wies 
der  Senat  diese  Anschuldigungen  als  unbegründet  zurück,  indem  er  darthat,  wie  irgendwelche 
politische  Absicht  bei  der  von  Lengerke  dargebrachten  Huldigung  nicht  erwiesen  sei  und  der  Vor- 
gang in  Hävernicks  Auditorium  aus  der  sittlichen  Entrüstung  der  Studirenden  über  die  Polemik 
der  Hengstenbergischen  Kirchenzeitung  gegen  zwei  gefeierte  Lehrer  und  Hävernicks  Antheil 
daran  erklärlich  sei.  Natürlich  drang  er  damit  nicht  durch;  einer  der  theologischen  Unter- 
zeichner seiner  Remonstration  wurde  von  dem  Minister  v.  Eichhorn  vielmehr  noch  belehrt, 
dass  seine  Betheiligung  daran  unvereinbar  sei  mit  den  Grundsätzen  der  Moral.  Damit  war 
der  Conflict  auf  das  Aeusserste  zugespitzt.  Sein  Recht  zu  wahren  und  seine  Würde  zu  retten 
wandte  sich  der  Senat  an  den  König  selbst,  indem  er  über  den  Minister  förmlich  Beschwerde 
führte.  Der  König  aber  billigte  das  Verfahren  Eichhorns  und  deutete  das  Geschehene  dem  Senat 
als  einen  Act  des  Ungehorsams  und  der  Auflehnung,  und  sprach  bei  seiner  erneuten  Anwesenheit 
in  Königsberg  gegenüber  einer  Deputation  der  Universität  am  2L  Juli  1842  seinen  ernsten 
Tadel  deshalb  aus,  indem  er  Eichhorn  für  einen  Ehrenmann  erklärte  und  auch  Hävernick  ent- 
schuldigte und  lobte.  >) 

Dieser  Zwischenfall  drohte  die  Festfreude  des  bevorstehenden  Jubiläums  zu  stören. 
Bereits  im  November  1843  hatte  die  Universität  an  ihren  Königlichen  Rector  die  Bitte  um 
seine  persönliche  Theilnahme  daran  gerichtet.  Anfang  März  1844  wurden  nähere  Vorschläge 
wegen  der  beabsichtigten  festlichen  Veranstaltungen  gemacht,  aber  noch  Anfang  Mai  war 
man  ohne  Antwort;  doch  lief  von  dem  Minister  die  Mittheilung  ein,  dass  des  Königs  Erscheinen 
höchst  zweifelhaft  sei  und  von  gewissen  Umständen  abhänge:  offenbar  hatte  der  von  Lengerke- 
Hävernicksche  Handel  der  Universität  die  Ungnade  ihres  Rectors  zugezogen.  Sie  abzuwenden 
richtete  das  Generalcondl  am  18.  Mai  1844  ein  Schreiben  an  ihr  Königliches  Oberhaupt, 
worin  es  nochmals  die  Bitte  um  dessen  persönliche  Theilnahme  vortrug,  ohne  die  doch  jede 
wahre  und  volle  Festesfreude  unmöglich  sei;  zudem  würde  Seiner  Majestät  Anwesenheit  die 
beste  Gelegenheit  gewähren,  der  Albertina  den  Grund  des  Königlichen  Zornes  kundzuthun  und 
damit  auch  die  Möglichkeit  der  Rechtfertigung  geben.     Der  herzliche  Ton,  den  die  Bittsteller 


1)  Vgl.  BurtLicli  S.  45.'S/n(;.     Falkson  S. 


106 

ansclilugen,  verfehlte  seinen  Eindruck  in  Berlin  nicht.  Ein  vom  28.  Mai  1844  datirtes 
Schreiben  stellte  des  Königs  Theilnahme  an  der  Säcularfeier  in  Aussicht  und  sprach  zugleich 
offen  aus,  was  den  Königlichen  Herrn  so  verstimmt  hatte.  „Alle  wahrhaft  freie  Wissenschaft 
anerkennt  und  ehrt  ihre  Freiheit  in  der  Heilighaltung  und  somit  auch  in  entschlossener  Ver- 
theidigung  der  göttlichen  uud  somit  auch  der  darauf  gegründeten  menschlichen  Ordnungen 
gegen  zuchtlose  Phantasie,  welche,  die  schönen  Namen  der  Freiheit  und  der  Wissenschaft 
missbrauchend,  sich  von  jeder  Anerkennungsehrfurcht  lossagen  möchte."  Die  Albertina  möge 
sich  selbst  sagen,  ob  sie  in  der  letzten  Zeit  ihren  Beruf  zu  solcher  Vertretung  iiberall  klar 
erkannt  habe;  jedoch  solle  das  Vergangene  vergessen  sein.')  Auch  in  die  Jubelfeier  selbst 
tönte  dieser  Gegensatz  noch  hinein  durch  die  Ansprache,  welche  der  Minister  Eichhorn  am 
Vorabend  des  Festes  bei  dem  Empfange  des  Professorencollegiums  an  dieses  richtete,  worin  er 
unter  Anerkennung  vollster  Freiheit  für  die  Naturwissenschaften  die  Philosophie,  Geschichte, 
Theologie  und  Jurisprudenz  alle  Zeit  dessen  eingedenk  zu  sein  mahnte,  dass  der  Staat  be- 
stimmte Formen  habe  und  sich  auch  in  diesen  weiter  entwickeln  müsse;  angesichts  der 
Schärfe  der  Kritik,  welche  die  Königsberger  Universität  von  jeher  ausgezeichnet  habe,  fand 
er  es  auffallend,  dass  dieselbe  in  letzter  Zeit  in  Betreff  der  Maassregeln  der  Regierung  nicht 
die  richtige  Kritik  angewandt  habe,  indem  sie  die  Homogeneität  zwischen  dem  König  und  seinen 
Rathgebern  verkannt  und  selbst  zu  trüben  gesucht  habe;  jetzt  freilich  sei  das  alles  vergessen. 
Tiefen  Eindruck  machte  des  Prorectors  Burdach  Erwiderung:  er  erinnerte  daran,  wie  der  Flor 
der  Albertina  von  der  freien  Entwickelung  der  Philosophie  datire,  welche  die  dogmatische  Meta- 
physik und  die  bürgerlichen  und  gesellschaftlichen  Verhältnisse  der  Menschen  beleuchte;  ein  Rück- 
schritt sei  unmöglich,  wenn  man  ihn  auch  zuweilen  befürchten  müsse.  Diese  sie  erfüllende 
Befürchtung  hätten  die  Professoren  da  angebracht,  wo  Pflicht  und  Gewissen  es  erheischten, 
und  sie  ständen  daher  mit  dem  Gefühl  unverletzter  Pflichttreue  vor  dem  Minister.  Mit  Be- 
geisterung, so  schloss  der  Redner,  gedenke  er  der  edlen  Richtung,  welche  die  deutsche  Jugend 
zur  Zeit  der  Burschenschaft  eingeschlagen,  und  bezeichnete  es  als  das  höchste  Glück  seines  Lebens, 
dass  der  Beginn  seines  Lehramts  in  Königsberg  in  eben  diese  Zeit  gefallen  sei:  trotz  ein- 
zelner Verirruugen,  die  vorgekommen,  dürfe  man  der  Jugend  vertrauen.^) 

So  fand  denn  in  den  letzten  Augusttagen  1844  jene  unvergessliche  Feier  statt, ^) 
durch  welche  der  Eintritt  der  Albertusuniversität  in  das  vierte  Jahrhundert  ihres  Bestehens 
seine  Weihe  erhielt.  Eigenhändig  legte  ihr  Königlicher  Rector  den  Grundstein  zu  dem  neuen 
Hause,  das  ihr  im  Laufe  der  nächsten  Jahre  als  würdige  Stätte  pflichttreuen  Wirkens  im 
Dienste  der  höchsten  Ideale  bereitet  werden  sollte.  Glückwünschend  nahten  ihr  zugleich  mit 
den  Behörden  des  Staates  und  der  Stadt  die  durch  die  Gemeinschaft  des  Strebens  ihr  trotz 
räumlicher  Trennung  eng  verbundenen  preussischen  und  deutschen  und  mehrere  fremdländische 

1)  Palkson  a.  a.  O. 

2)  Burdach  a.  a.  O. 

3)  A'gl.  Amtliche  Nachrichten  über  die  Feier  des  dritten  Säcularfestes  der  Albrechts-üniversität 
zu  Königsberg.  Königsberg  1844.  —  L.  Matzel,  Die  dritte  Säcularfeier  der  Universität  zu  Königsberg.  K.  1844.  — 
A.  Witt,  Die  dritte  Jubelfeier  der  Albertus-Universität  zu  Königsberg.  K.  1844.  —  Falkson  a.  a.  0.,  S.  90  ff. 
Burdach  S.  461  ff. 


107 

Univei'sitäteD,  und,  in  grossen  Scbaaren  zusammengeströmt,  erneuten  ihre  ehemaligen  Zöglinge 
in  Ernst  und  Scherz  die  beglückende  Fülle  der  Erinnerungen  an  die  schönen  Jahre  ihres 
akademischen  Lebens  und  wurden  sich  dabei  noch  einmal  recht  voll  all  dessen  bewusst,  was 
jeder  einzelne  von  ihnen,  was  die  engere  altpreussische  Heimath  der  Albertina  verdankten  und 
was  dieselbe,  weit  über  ihren  nächsten  Wirkungskreis  hinausgreifend,  auch  in  die  Ferne  an  nachhal- 
tiger Anregung  zu  reicherem  geistigen  Leben  von  sich  hatte  ausgeben  lassen.  Für  die  Albertina 
selbst  aber  bezeichneten  jene  festlichen  Tage  zugleich  den  endlichen  Abschluss  der  mit  dem 
Tode  Kants  begonnenen,  über  volle  arbeitsreiche  vierzig  Jahre  erstreckten  Periode  ihrer 
zweiten  Gründung. 


VIII.  Lehrer.  Lehre  und  wissenschaftliches  Leben  der  Albertina  1805—1844. 

1.  Die  Eutwickelung  im  Allgemeinen. 
So  dunkele  Schatten  auf  manchen  Theilen  des  Bildes  liegen,  das  die  Entwickelung 
der  Albertina  in  den  vierzig  Jahren  nach  dem  Tode  Kants  darbietet:  immer  ist  es  doch  das 
Bild  eines  auf  erweiterter  und  gefestigter  Grundlage  planmässig  und  wohlgefügt  und  in  zu- 
nehmender Harmonie  der  einzelneu  Theile  emporwachsenden  Neubaues.  So  schwer  Lehrer  und 
Lernende  gelegentlich  unter  dem  Drucke  des  zu  Karlsbad  inaugurirten  Systems  leiden  mochten, 
so  ist  dadurch  doch  weder  jenen  Lust  und  Kraft  zu  erspriesslichem  Schaffen  im  Dienste  der 
Wissenschaft,  noch  diesen  zu  erfolgieicher  Arbeit  an  ihrer  allgemeinen  sowie  an  ihrer  Berufs- 
bildung verloren  gegangen.  Wohl  aber  entsprach  es  der  durch  die  Verhältnisse  gebotenen 
Fernhaltung  von  allen  öffentlichen  Angelegenheiten,  dass  im  Gegensatz  zu  der  Zeit  gleich 
nach  den  Befreiungskriegen,  wo  das  Interesse  der  studirenden  Jugend  sich  der  neusten  Ge- 
schichte und  der  Politik  zugewendet,  der  Schwerpunkt  des  akademischen  Lehrens  und  Lernens 
in  andere,  neutrale  Gebiete  verlegt  wurde,  in  das  Studium  des  klassischen  Alterthums  auf  der 
einen  und  das  der  Mathematik  und  der  Naturwissenschaften  auf  der  anderen  Seite.  Während 
Hüllmann  im  W.S.  1812/13  neuere  Geschichte  vor  67,  Staatslehre  vor  78,  im  W.S. 
1814.'15  Geschichte  der  Jahre  1800—12  vor  92  und  noch  W.S.  1816/17  neuere  deutsche  Ge- 
schichte vor  83  Zuhörern  gelesen  hatte,')  schwand  die  Theilnahme  der  Studirenden  an  diesen 
Stoffen  während  der  nächsten  Jahre  schnell  dahin,  und  auch  die  Beschäftigung  mit  der  Volks- 
wirthschaft,  für  die  Kraus  einst  ohne  Rücksicht  auf  das  besondere  Fachstudium  weite  Kreise 
gewonnen  hatte,^)  kam  bald  ausser  Mode.  Um  so  werthvoller  war  es  für  den  Stand  der  all- 
gemeinen Bildung  auf  der  Albertina  und  in  dem  aus  ihr  hervorgehenden  altpreussischen 
Beamtenthum  in  Staat  und  Kirche,  dass  die  Tradition  der  grossen  Kantscheu  Zeit  noch  in  Wirk- 
samkeit blieb,  wonach  ohne  Rücksicht  auf  seine  Fachwissenschaft  jeder  Studirende  eine  all- 
gemeine philosophische  Bildung  zu  erwerben  strebte.  Im  S.  S.  1806  hatte  Kraus  in  seiner  Vor- 
lesung über  Encyklopädie  105,  Krug  in  der  über  Logik  164  Zuhörer,  d.  h.  nahezu  die  Hälfte 
aller  Studirenden  —  Ende    des  Jahres    1805    betrug    ihre   Zahl  333^)  —  sammelte    sich    um 


1)  Curator.  B.  16.  XIII. 

2)  Im  W.  S.  1805/6  hörten  seine  „Gewerbekunde"  80. 

3)  Ebendas.  B.  16.  XII. 


108 

seinen  Lehrstulil.  Auch  sonst  noch  tritt  das  die  akademische  Jugend  damals  erfüllende 
Streben  nach  einer  uinfiissenderen  allgemeinen  Bildung  zu  Tage.  Collegien  wie  Poerschkes 
Interpretation  der  Horazischen  Oden  wurden  von  60,  desselben  Anthropologie  von  noch  mehr 
Zuhörern  besucht,  und  zu  einer  Zeit,  wo  die  Zahl  der  in  Königsberg  studireuden  Mediciner 
etwa  ein  Dutzend  betrug,*)  las  Karl  Gottfried  Hagen  öffentlich  Zoologie  vor  50  und 
Botanik  vor  00  Zuhörern.  Auch  in  den  einzelnen  Fachwissenschaften  fanden  nach  Ausweis 
der  Zuhörerverzeichnisse  die  allgemein  orientirendeu  und  zusammenfassenden  Vorlesungen 
mehr  Theilnahme  als  die,  welche  eng  umgrenzte  Gebiete  mit  eingehender  Gründlichkeit 
behandelten. 

Die  Erklärung  hierfür  liegt  nun  sicher  nicht  bloss  darin,  dass  damals,  wo  die  Tages- 
litteratur  viel  weniger  productiv  war,  solche  Vorlesungen  allgemeinen  Inhalts  der  gebildeten 
Jugend  zuerst  eine  Menge  von  Dingen  bekannt  machten  und  von  Interessen  erschlossen, 
die  ihr  heute,  wenn  sie  die  Universität  bezieht,  längst  geläufig  und  wohl  gar  schon  wieder 
gleichgültig  sind.  Auch  wird  man  nicht  behaupten  können,  damals  hätten  die  akademischen 
Lehrer  mehr  zu  fesseln  und  nachhaltiger  anzuregen  vei'standen  und  die  Jünglinge  wären  weniger 
überangestrengt,  daher  empfänglicher  und  voll  frischeren  Strebens  vom  Gymnasium  zur  Uni- 
versität gekommen  als  heute:  —  sind  doch  die  heute  gehörten  Klagen  der  Art  damals  in 
ganz  gleicher  Weise  erhoben  worden.^)  Von  diesen  Momenten  mag  das  eine  oder  das  andere 
gelegentlich  mitgewirkt  haben:  Ausschlag  gebend  war  die  ganz  anders  geartete  Stellung,  welche 
die  philosophische  Facultät  damals  in  dem  Gesammtorgani^mus  der  Universität  einnahm. 
Noch  nicht  aufgelöst  in  eine.  Anzahl  nur  locker  verbundener  Fachschulen  zur  Vorbildung 
namentlich  der  Lehrer  für  die  höheren  Schulen,  hatte  sie  ihre  ursprüngliche  Bedeutung  noch 
bewahrt  und  war  noch  in  dem  von  Kant  im  „Streit  der  Facultäten"  dargelegten  Sinne  die 
untere  Facultät,  d.  h.  bestimmt  und  bestrebt,  für  jede  Art  von  wissenschaftlicher  Fachbildung  die 
allgemeine  Grundlage  zu  geben  oder  zu  erweitern  und  zu  befestigen.  Dem  entsprechend  gab 
es  auch  an  der  Albertina  damals  eigentlich  eine  philosophische  Facultät  nur  rücksichtlich  der 
Lehrer,  nicht  aber  der  Studirenden.  Von  den  333  Studirenden  im  W.S.  1805/ß  kamen  101 
auf  die  theologische,  220  auf  die  juristische,  8  auf  die  medicinische  Facultät  und  nur  3  — 
aus  Russisch  Polen  —  auf  die  philosophische,  in  der  mau  damals  „Philosophen  und  Camera- 
listen"  unterschied.  Im  S.S.  1809  sind  bei  273  Studirenden  diese  beiden  Eubriken  leer,  im 
W.S.  1811/12  finden  sich  unter  251  Studirenden  nur  10  Philosophen  und  8  Cameralisten. 
Dann  erst  formirt  sich  die  philosophische  Facultät  als  eine  besondere  Gruppe  auch  unter  den 
Studirenden:  1820  finden  wir  unter  218  Studirenden  neben  34  Cameralisteu  26  „Philosophen 
und  Pädagogen";')  1825  ist  unter  Wegfall  der  Cameralisten  bei  404  Studirenden  die  Zahl  der 
„Philosophen"  auf  83  gestiegen.  Auch  hier  also  bestätigt  der  Gang  der  localen  Entwickelung 
die  Beobachtung,    dass    die   philosophische   Facultät,    im    Gegensatz    zu    ihrer   ursprünglichen 


1)  W.S.    1805/6:    S,     S.S.   1809:   16,     AV.S.    1811/12:  23,     S.S.    1820:   21,    unter    Einrechnung    etlicher 
,  Chirurgen"  d.  i.  Heilgehülfen. 

2)  Tgl.  oben  S.  84. 

3)  Curat.  Commiss.  22. 


109 

Bedeutung,  erst  iii  neuerer  Zeit  zu  einer  facliwisseuscbaftlichcn  Corporation  nach  Art  der  drei 
anderen,  oberen  Facultiiteu  geworden  ist,  indem  sich  in  ihr  alle  diejenigen  Studireuden  zu- 
sammenfanden, die  eine  zur  Verwendung  im  höheren  Schuldienst  berechtigende  Bildung  er- 
strebten. Das  bewirkte  namentlich  die  Eimührung  einer  besonderen  staatlichen  Prüfung  für 
die  dem  höheren  Schulamt  zustrebenden  jungen  Leute  (1810).  Weitere  tiefgreifende  Aende- 
rungen  entsprangen  daraus.  Wähi-end  bisher  die  meisten  Schulämter  von  Theologen  bekleidet 
wurden,  die  in  ihnen  das  Einrücken  in  eine  Pfarrstelle  abwarteten,  und  nur  die  Lehrer  der 
klassischen  Sprachen  auf  den  obersten  Stufen  studirte  Philologen  waren,  die  ohne  besondere 
staatliche  Prüfung  auf  die  gewichtige  Empfehlung  ihrer  akademischen  Lehrer  hin,  oft  in 
sehr  jungen  Jahren,  aber  auch  mit  entsprechend  schmalen  Gehältern  in  ihre  Stellen  berufen 
wurden,  demnach  Lehre  und  Unterricht  unter  geringer  Betonung  des  erziehlichen  Moments 
als  Künste  galten,  die  auf  Grund  besondei'er  Begabung  in  freier  und  daher  doppelt  wirk- 
samer Entfaltung  der  Individualität  geübt  wurden,  kam  jetzt  vielmehr  die  Meinung  auf,  Lehren 
und  Unterrichten  seien  Fertigkeiten,  die  gelehrt  und  gelernt  werden  könnten,  um  hinterher 
nach  gewissen,  aus  der  Erfahrung  entnommeneu  Regeln  geübt  zu  werden:  als  dazu  vorbildende 
Fachschule  aber  wurde  die  philosophische  Facultät  angesehen.  Seitdem  wurden  die  in  dieser 
vereinigten  Wissenschaften  immer  weniger  um  ihrer  selbst  oder  um  des  Gewinns  willen  ge- 
trieben, den  Jeder  für  seine  allgemeine  Bildung  daraus  machte:  man  behandelte  sie  lernend 
sowohl  wie  lehrend,  immer  mehr  als  Einzelfächer,  in  denen  man  sich  eine  gewisse  Summe  von 
Kenntnissen  aneignen  musste,  um  sie  nachher  im  Leben  in  ähnlicher  Weise  nutzbringend  an- 
zuwenden, wie  das  der  Pfarrer,  der  Richter  oder  Anwalt  und  der  Arzt  mit  dem  theologischen, 
dem  juristischen  und  dem  mediciuischen  Wissen  thaten,  das  sie  sich  auf  der  Universität  er- 
worben hatten. 

Gewiss  entsprang  diese  Eutwickeluug  wenigstens  zuiu  Theil  aus  der  natürlichen 
Weiterbildung  geschichtlich  gewordener  Verhältnisse  und  wurde  gefördert  darch  den  starken 
Bedarf  des  Staates  an  Leuten,  die  geeignet  waren,  im  höheren  Schuldienste  mit  einer  ge- 
wissen Bürgschaft  der  Brauchbarkeit  verwendet  zu  werden.  Aber  bei  allem  Nutzen  hat  sie 
doch  auch  üble  Folgen  gezeitigt.  Namentlich  ging  durch  sie  der  philosophischen  Facultät 
mit  der  äusseren  Freiheit  zugleich  ein  guter  Theil  jener  inneren  Freiheit  verloren,  die,  wie 
das  Wesen  der  Universitäten  überhaupt,  so  besonders  das  ihi-ige  ausgemacht  und  sie  vor- 
zugsweise zur  Trägerin  der  akademischen  Freiheit  im  höchsten  Sinn  des  Worts  berufen  hatte. 
Je  genauer  in  der  Folge  der  Staat  die  Anforderungen  bestimmte,  die  er  an  die  durch  die 
philosophische  Facultät  gebildeten  künftigen  Lehrer  der  höheren  Schulen  stellte,  und  in 
specialisirten  Prüfungsreglements  niederlegte,  um  so  weniger  Hessen  die  Studirenden  ihren 
akademischen  Bildungsgang  durch  das  freie  Spiel  ihrer  Neigungen  und  Kräfte  bestimmen, 
sondern  passteu  ihn  den  Ansprüchen  an,  welche  die  den  Eintritt  in  das  bürgerliche  Leben 
und  das  Anrecht  auf  Amt  und  Brod  begründende  staatliche  Prüfung  an  sie  stellte.  Das  aber 
hebt  die  akademische  Freiheit  ihrem  vollen  und  wahren  Begriffe  nach  auf  und  erzeugt  eine 
Regelmässigkeit,  die  weiterhin  zur  Mittelmässigkeit  wird,  und  das  Ergebniss  entspricht  den 
Worten,  mit  denen  Jacob  Grimm  sich  gegen  das  Eingreifen  des  Staates  in  die  Aufsicht  über 
Schulen  und  Universitäten  erklärt  hat:    „Es    ist  Alles    zu  viel    vorausgesehen    und    vorausge- 


110 

ordnet,  auch  im  Kopf  der  Studirenden.  Die  Arbeit  des  Semesters  nimmt  iinbewusst  ihre 
Richtung  nach  dem  Examen.'") 

Früher  und  entschiedener  als  anderwärts  ist  diese  Wendung,  die  Stellung  und  Be- 
deutung der  philosophischen  Facultät  durchaus  änderte,  an  der  Albertina  eingetreten.  Denn 
hier  hat  in  dieser  Richtung  Johann  Friedrich  Herbart,  mehr  noch  denn  als  Philosoph  ge- 
feiert als  Träger  einer  neuen  Epoche  der  Pädagogik,  einen  Einfluss  geübt,  der  zunächst  für 
den  Betrieb  der  einschlägigen  Studien  auf  der  Albertina  verhängnissvoll  wurde,  weiterhin 
aber,  entsprechend  dem  Ansehen  seines  Trägers  und  der  bequemen  Anpassungsfähigkeit  seines 
Systems  an  die  herrschenden  rückläufigen  Tendenzen,  auch  anderwärts  ähnlich  einwirkte. 

Diese  rückläufigen  Tendenzen  ofi"enbarten  sich  auch  in  der  Art,  wie  das  vorgeordnete 
Ministerium  die  Aufsicht  über  den  akademischen  Unterricht  ausübte.  Ausstellungen  an  dem 
Vorlesungsverzeichniss.  sowohl  rücksichtlich  der  Vollständigkeit  wie  der  Aufeinanderfolge  der 
Hauptvorlesungen,  Vermahnungen  der  in  den  meisten  Fächern  schon  schwer  belasteten  Pro- 
fessoren zur  Abhaltung  von  neuen,  zur  Ergänzung  des  Lehi'gangs  wünschenswerth  erscheinenden 
Collegien,  Bedrohung  der  darin  nicht  hinreichend  Gefügigen  mit  der  Beiordnung  sie  lahm 
zu  legen  bestimmter  jüngerer  [concurrirender  Kräfte  —  wie  sie  z.  B.  im  S.S.  1822  Lach- 
mann erfuhr,  weil  er  den  bisherigen  alleinigen  Vertreter  der  klassischen  Philologie,  Lobeck, 
nicht  genügend  unterstützte,^)  oder  auch  die  Aussicht  auf  Sperrung  des  Gehalts  für  die- 
jenigen akademischen  Lehrer,  welche  der  statutarischen  Verpflichtung,  sich  auf  Grund  einer  ge- 
druckten Abhandlung  durch  öftentliche  Disputation  zu  habilitiren,  nicht  nachgekommen  waren  — 
was  nicht  bloss  Lachmann  1822  begegnete,*)  sondern  1823  einer  ganzen  Anzahl  seit  längerer  Zeit 
an  der  Albertina  wirkender  Professoren  widerfuhr*)  —  das  sind  damals  regelmässig  wiederkehrende 
Erscheinungen.  Die  politische  Unbescholtenheit  der  als  Privatdocenten  zuzulassenden  jungen 
Gelehrten,  soweit  sie  nicht  von  der  Regierung  selbst  dazu  bestellt  wurden,  wurde  peinlich 
controlirt.  Dem  Dr.  Lucas,  der  einst  als  Genosse  Dieffenbachs  in  die  Untersuchung 
gegen  die  Königsberger  Burschenschaft  verwickelt  gewesen  war,^)  gelang  erst  bei  einem  er- 
neuten Versuche  1826  die  Habilitation  für  deutsche  Sprache  und  Litteratur,  nachdem  er  wohl 
schon  damals  den  Gesinnungswechsel  vollzogen  hatte,  den  er  später  so  energisch  bethätigte.^) 
Auch  die  im  Zeitalter  der  Stein-Hardenbergschen  Reformen  erfolgte  Zulassung  der  Juden  zu 
akademischen  Lehrämtern  wurde  im  December  1822  zurückgenommen  und  dadurch  die  eben 
so  gut  wie  vollzogene  Habilitation  eines  angesehenen  und  wissenschaftlich  tüchtigen  Arztes, 
Dr.  Jacobson,    rückgängig  gemacht.'')     Nimmt   man  hinzu,    wie  auch    die  Beaufsichtigung  der 


1)  V.  Raumer,  Gcscb.  der  german.  Philologie.  S.  38:!.  Vgl.  die  ganz  ähnliche  Aeusserung  Gr.  Hermanns 
in  dem  Briefe  an  Lobeck  bei  Ludwich,  S.  145,  in  Bezug  zunächst  auf  sächsische  Verhältnisse:  ,,Das  Ministerium 
meint  es  sehr  gut;  aber  e.s  will  alle  Verhältnisse  so  sehr  regeln  und  beschränken,  dass  auf  diese  Weise  die  Uni- 
versität zu  einem  Gymnasium  herabsinken  miisste." 

2)  Curator.  B    16  i;XV). 

3)  Ebendas. 

4)  Vgl.  oben  S.  7ü. 

5)  Vgl.  S.  59. 

6)  Vgl.  Burdach  a.  a.  0.  S.  467/68. 
T)  Ebendas.  S.  324. 


111 

Studirenden  in  Betreff  ihres  Fleisses  dauernd  einen  Gegenstand  der  Erwägung  des  Ministe- 
riums bildete  und  wie  dessen  immer  erneutes  Drängen  auf  die  EinfühniBg  "seminaristischer 
Uebungen  und  conversatorischer  Unterweisung,  auf  die  Vermehrung  der  regelmässigen  Fleiss- 
prüfungen  und  die  Ausstellung  amtlicher  Zeugnisse  über  deren  Ergebniss,  die  Universitäten 
in  ihrem  vornehmsten  Lebensprincip  bedrohte  und  —  ganz  entsprechend  einer  einst  von 
dem  alten  J.  G.  Scheffner  ausgesprochenen  Befürchtung')  —  zu  einer  Art  von  höheren 
Schulen  herabzudrücken  drohte,  so  wird  man  es  als  kein  geringes  Verdienst  und  als  einen 
Beweis  für  die  Lebenskraft  der  Albertina  gelten  lassen,  dass  diese,  obgleich  sie  zur 
Durchfechtung  dieses  Kampfes  äusserlich  viel  weniger  die  Mittel  hatte  als  ihre  günstiger 
gelegenen  und  reicher  ausgestatteten  Schwestern,  sich  darin  doch  glücklich  behauptet  hat, 
und  nicht  bloss  das,  sondern  dass  sie  dem  im  Laufe  langer  Jahre  aufgeführten  Neubau  auch 
den  rechten  geistigen  Gehalt  zu  geben  vermocht  hat,  durch  den  sie  nicht  bloss  als  gleichbe- 
rechtigt neben  die  anderen  preussischen  und  deutschen  Universitäten  trat,  sondern  in  einigen 
Gebieten  der  Wissenschaft  bereits  wieder  eine   führende  Stellung  gewann. 

2.  Philosophie,  Astronomie,  Mathematik,  Medicin  und  beschreibende  Natur- 
wissenschaften. 
Kants  unmittelbarer  Nachfolger,  Wilhelm  Traugott  Krug,-)  der  seine  Thätigkeit 
mit  dem  W.S.  1805/6  begann,  war  zu  kurze  Zeit  an  der  Albertina  wirksam,  um  irgend  bestim- 
menden Einfluss  zu  üben,  zumal  bei  seinem  zwar  vielseitigen  und  beweglichen,  aber  auch  un- 
stäten  und  oberflächlichen  Wesen.  Bekannt  ist  der  hervorragende  Antheil,  den  er  andemsog.Tugend- 
bunde  hatte. ^)  Als  er  Ende  des  W.S.  1808/9  einem  Rufe  nach  Leipzig  folgte,  wurde  er  durch 
Johann  Friedrich  Herbart*)  ersetzt,  welcher  gemäss  einem  bei  den  damals  schwebenden  Reor- 
ganisationsentwürfen getroffenen  Abkommen  die  Professur  der  Philosophie  in  der  Weise  mit 
der  der  Pädagogik  vereinigte,  dass  er  die  bisher  von  Poerschke  gelesenen  pädagogischeu 
Collegien  übernahm  und  diesem  dafür  die  von  Krug  neben  der  speculativen  vertretene  prak- 
tische Philosophie  iiberliess.  Fast  ein  Vierteljahrhundert  hat  Herbart")  der  Albertina  ange- 
hört, rastlos  thätig  und  mannigfach  anregend  als  Lehrer,  aber  von  recht  nachhaltiger  Ein- 
wirkung doch  nur  kleineren  Kreisen  gegenüber.  Wie  es  scheint,  erweckte  seine  bei  aller 
Genialität  steife  und  schulmeisterliche  Art  Antipathien,  die  dadurch  noch  verstärkt  wurden, 
dass  er  alle  Zeit  bereit  war,  zur  Durchsetzung  seiner  Ansicht  an  die  Regierung  zu  appel- 
liren  und  deren  Eingreifen  zu  seinen  Gunsten  zu  erwirken  —  vielleicht,  um  mit  Lobeck  zu  reden, 
ein  Ausfluss  seines  harmlosen  Glaubens  an  die  Macht  des  Rechts  und  an  das  Recht  der  Macht.^) 

1)  Vgl.  oben  S.  50. 

2)  Vgl.  S.  7. 
3i  Vgl.  S.  24. 

4)  Geb.  den  4.  Mai  177ü  zu  Oldenburg,  als  Student  in  Jena  seit  1794,  bald  von  der  Jurisprudenz  zur 
Philosophie  übergegangen,  als  Hofmeister  in  einem  vornehmen  Berner  Hause  mit  Pestalozzi  bekannt  geworden 
und  dadurch  zu  eingehender  Beschäftigung  mit  der  Pädagogik  angeregt,  1802  Privatdocent,  1805  aord,  Professor 
in  Göttingen,  namentlich  auf  Betreiben    von  Auerswalds  und  Süverns  berufen.     (Ziller,  Herbartreliquien,  S.  200.) 

5)  Seine  Ernennung  datirt  vom  11.  Februar  1809. 

6)  Gedächtnissrede  auf  Herbari;  Lelinerdt  a    a.  0.,  S.  229. 


112 

So  nahm  er  ti'otz  alles  Ansehens  eine  isolirte  Stellung  ein,  besonders  durch  die  Eigenart 
seiner  Ansichten  über  akademisches  Leben  und  Lehren  und  durch  die  anspruchsvolle  Selbst- 
gewissheit,  mit  der  er  sie  in  den  oft  so  schwierigen  Verhältnissen  jener  Zeit  geltend  machte. 
Wie  er  nachmals  zu  Göttingen  in  Sachen  der  Sieben  die  Ansicht  vertrat,  dass  der  Bearbeiter 
der  Wissenschaft  sich  mit  dem  öffentlichen  Leben  nichts  zu  thun  machen  dürfe,*)  da  das 
politische  Interesse  auf  einer  Universität  überall  gar  kein  Geschäft  habe  und  nur  ja  so  fern 
als  möglich  bleiben  möge,^)  so  war  er  mit  dem  durch  die  Karlsbader  Beschlüsse  begründeten 
System  insofern  ganz  einverstanden,  als  es  Professoren  und  Studirenden  jede  Beziehung 
zu  den  nationalen  und  politischen  Bewegungen  der  Gegenwart  untersagte.  Glaubte  er  doch 
alles  Ernstes,  die  staatliche  und  die  gesellschaftliche  Ordnung  sei  durch  die  Burschenschaft 
und  die  demagogischen  LTmtriebe  gefährdet  gewesen  und  nur  durch  rechtzeitiges  Einschreiten  des 
Deutschen  Bundes  gerettet  worden.^)  Den  Höhestand  ihres  Einflusses  hat  seine  positivistische  Philo- 
sophie freilich  erst  erreicht,  als  die  Hegels  die  officiell  anerkannte  Philosophie  des  preussischen 
Staates  zu  sein  aufhörte  und  der  erbitterte  Kampf  gegen  den  durch  sie  gezeitigten  Rationalismus 
begann.  Die  Königsberger  Zeit  Herbarts  war  von  Bedeutung  namentlich  für  die  Eutwickelung 
seines  pädagogischen  Systems,  dessen  praktischer  Durchführung  das  von  ihm  geleitete  päda- 
gogisch-didaktische Seminar*)  diente.  Für  dasselbe  wurden  ihm  unter  dem  18.  August 
1810  200  Thaler  angewiesen,  bisher  die  Besoldung  des  Gehülfen  bei  dem  schon  beste- 
henden, aber  zu  keiner  Wirksamkeit  gelangten  pädagogischen  Seminar.  Bereits  in  Folge 
des  Berichts,  den  Herbart  am  23.  Juli  1812  über  die  zur  praktischen  Ausbildung  angehender 
Lehrer  bestimmte  Anstalt  erstattete,  empfahl  ihm  das  Ministerium,  seine  Seminaristen  zur 
Bewerbung  um  Stellen  an  öffentlichen  Schulen  aufzufordern,  und  verhiess  ihnen  besondere  Be- 
rücksichtigung. Das  dadurch  beschleunigte  Wachsthum  der  Anstalt  Hess  die  Erwerbung  eines 
eigenen  Hauses  dafür  wünschen:  von  der  Regierung  mit  einem  Voi'schuss  unterstützt,  kaufte 
Herbart  im  Februar  1818  das  „ehemals  Höpfnersche  Haus  in  der  Königstrasse",  wo  er 
hinfort  selbst  wohnte,  indem  er  eine  Reihe  von  Zimmern  zu  Uebungs-  und  LTnterrichtszwecken 
und  als  Wohn-  und  Schlafräume  für  die  Pensionäre  und  Lehrer  dem  Seminar  überliess.  Seine 
Bestrebungen  erfreuten  sich  in  dem  Maasse  der  Gunst  der  Regierung,  dass  ein  Erlass  des 
ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  Baumann  vom  17.  November  1820  die  Decane 
der  theologischen  und  der  philosophischen  Facultät  anwies,  die  Studirenden  zum  Besuche  des 
pädagogisch-didaktischen  Seminars  und  der  Herbartschen  Vorlesungen  über  Pädagogik,  Psycho- 
logie und  Logik  zu  ermahnen,  dass  nicht  bloss  im  September  1824  die  Oberlehrerprüfung  auf 
die  Philosophie,  d.  h.  auf  Logik,  Metaphysik  und  Geschichte  der  Philosophie,  ausgedehnt, 
sondern  im  December  1824  an  die  Studirenden  die  Weisung  gerichtet  wurde,  sich  von  Her- 
bart über  die  bei  ihm  gehörten  Collegien  prüfen  zu  lassen,  da  derselbe  ohnedies  die  üblichen 
Fleisszeugnisse    nicht   auszustellen    brauche,    ohne    diese  aber    auch    die    Consistorien    keinen 


1)  Burdach,  S.  325. 

2)  Herbart,  Erinnerung  an  die  Göttinger  ICatastrophe  1837,  S.  22.  2i. 

3)  Vgl.  S.  75. 

4)  Näheres  über  Zweck    und    Einrichtung    desselben    in    der  Denlifichrift    bei  Ziilcr,    llerbartreliquien, 
S.  :5ü9  if.     Einige  Daten  über  seine  finanzielle  Ausstattung  und  Entwicklung  ebendas.  S.  31(5,   Anmerkung. 


113 

Theologen  mein-  zur  Prüfung  zulassen  dürften.  Obgleich  demnach  in  durchaus  unge- 
wöhnlicher Weise  durch  staatlichen  Einfluss  auf  den  Besuch  der  Herbartscheu  Vorlesungen 
hingewirkt  wurde,  vielleicht  freilich  auch  eben  deslialb,  war  es  doch  gerade  Herbart,  der 
immer  von  Neuem  über  den  Unfleiss  der  Studirenden  klagte  und  auf  Maassregeln  zur  Erzwin- 
gung fleissigen  Collegienbesuchs  drang.  Auch  dass  er  Schulrath  und  Mitglied  der  wissen- 
schaftlichen Pi-üfungscommission  sowie  der  städtischen  Schuldeputation  (aus  der  er  1826  in 
Folge  eines  Conflicts  mit  dem  Consistorium  ausschied)')  war,  kam  seiner  Lehrthätigkeit  viel- 
fach zu  Gute.  Er  liebte  es,  den  berufeneu  Hüter  aller  höheren  Schulen  und  den  Vormund  aller 
an  ihnen  wirkenden  Lehrer  in  der  Provinz  Preussen  zu  spielen.  Zweifel  an  der  Unfehlbar- 
keit seines  pädagogischen  Sj'stems  war  er  geneigt  als  Auflehnung  und  als  persönliche  Belei- 
digung aufzufassen.  Das  hat  namentlich  Karl  Lahrs  zu  erfahren  gehabt.  In  der  kurzen 
Biographie,  welche  dieser  nach  seiner  Anstellung  als  Oberlehrer  an  dem  Königsberger  Pried- 
richscolleg  dem  Herkommen  gemäss  in  dem  Michaelisprogramme  dieser  Anstalt  veröffentlichte, 
hatte  er  auch  die  unliebsamen  Erfahrungen  erwähnt,  die  er  während  seiner  Beschäftigung  an 
dem  Gymnasium  zu  Marienwerder  (seit  Pfingsten  1824)  gemacht,  und  „freimüthig  der  tief  einge- 
wurzelten Missbräuche  und  Gebrechen"  gedacht,  die  er  dort  bemerkt  hatte.  Das  zog  ihm  eine  Rüge 
von  Seiten  des  Provinzialschulcollegiums  zu,  in  der  es  ihm  als  ein  moralischer  Mangel  ausgelegt 
wurde,  dass  er  eine  von  ihm  als  nicht  erstrebenswerth  bezeichnete  Stelle  überhaupt  angenommen 
hatte.  Lehrs  konnte  nicht  bloss  diesen  Vorwurf  leicht  zurückweisen,  sondern  auch  die  Berechtigung 
des  von  ihm  gegen  jene  Anstalt  ausgesprochenen  Tadels  durch  Erinnerung  au  die  ausser- 
ordentlichen Maassnahmen  darthun,  die  eben  um  jener  Missbräuche  und  Gebrechen  willen  das 
Provinzialschulcollegium  selbst  dort  zu  ergreifen  für  nöthig  befunden  hatte,  ohne  dass  es 
damit  den  gewünschten  Erfolg  gehabt  hätte.')  Inzv/ischen  aber  hatte  sich  Herbart  mit  einer 
Beschwerde  über  Lehrs  an  das  Unterrichtsministerium  gewandt  und  dieses  dem  Angeschuldigten 
ebenfalls  sein  Missfallen  über  jene  Aeusserung  kundgethan  in  einer  Form,  aus  der  Lehrs  ent- 
nehmen konnte,  dass  Herbart  „sich  weder  erlaubter  noch  würdiger  Mittel"  bedient  habe,  um 
das  Ministerium  in  dieser  Sache  gegen  ihn  einzunehmen.  Deshalb  richtete  er  eine  ausführliche 
Widerlegung  an  das  Ministerium.  Wenn  Herbart  ihn  des  Undanks  bezichtigt  hatte,  so  zeigte 
er,  dass  er  demselben  in  keiner  Weise  verpflichtet  sei,  da  er  weder  seine  Pädagogik  gehört, 
noch  je  in  seinem  Seminar  unterrichtet,  noch  eine  Wohlthat,  noch  auch  nur  die  geringste 
Gefälligkeit  von  ihm  empfangen  hätte.  Noch  viel  bitterer  aber  hatte  sich  Herbart  über 
einige  allerdings  scharfe  Aeusserungen^)  beschwert,  die  Lehrs  in  jener  biographischen  Skizze 
gegen  das  damals  zu  einer  Art  von  Modesache  gewordene  Studium  der  Pädagogik  gethan 
hatte,  das  dem  von  idealem  Sinn  und  unersättlichem  Wissensdrang  erfüllten  jungen  Philologen 


1)  Zimmermann,  Ungcdruokfe  Briete  von  und  an  Hcrbarl  (Wien  löTO),  S.  ()2. 

2)  Lud  wich,  Briefe  von  Lobeck  und  Lehrs,  S.  79—89. 

3)  Ebendas.  S.  7G:  .Diese  Ueberzeugung  bewahrte  mich  —  vor  dem  Abwege,  zu  welchem  die  Verfülirung 
damals  nicht  fehlte,  meine  Zeit  mit  dem  Studium  der  Pädagogik,  wie  sie's  nennen,  zu  zersplittern  oder  zu  ver- 
schwenden. Ausserdem,  sich  Grenzen  zu  setzen  in  seiner  Wissenschaft,  sie  erlernen  zu  wollen  für  den  nächsten 
und  nothwendigaten  Bedarf,  schien  die  Berechnung  eines  Krämers,  und  die  Absicht,  den  Umgang  mit  Menschen 
aus  einem  psychologischen  Lehrbuch  zu  erlernen,  eines  Unmündigen." 

15 


114 

wie  eine  Anleitung  erschien  zu  handwerksmässiger  Anwendung  des  eben  erst  Gelernten  zum 
Zwecke  des  Broderwerbes  als  Lehrer.  Dadurch  sollte  er  nach  Herbarts  Meinung  dessen  Lehrfächer 
der  Pädagogik  und  Psychologie  „mit  Schmach  und  Hohn"  bedeckt  haben.  Dem  gegenüber  zeigte 
Lehrs,  wie  Herbart  seine  aus  dem  Zusammenhange  gerissene  Aeusserung  gehässig  ausgedeutet 
oder  gar  nicht  verstanden  habe,  jedenfalls  aber  nicht  berechtigt  sei,  durch  das  Aussprechen 
wissenschaftlicher  üeberzeugungen  sich  persönlich  beleidigt  zu  fiihlen.  Die  Frage  des 
Ministeriums,  warum  er  selbst  das  vorgeschriebene  Zeugniss  über  den  erfolgreichen  Besuch 
der  Herbartschen  Vorlesungen  bei  der  Prüfung  nicht  beigebracht  habe,  erledigt  Lehrs  durch 
den  Nachweis,  dass  die  betreifende  Verfügung  erst  ergangen  sei,  als  er  Königsberg  bereits 
verlassen  hatte,  und  macht  geschickt  gegen  den  von  Herbart  erhobenen  Anspruch  eine 
neuerdings,  den  2.  November  1826  ergangene  Ministerial -Verfügung  geltend,  wonach  für  den 
künftigen  Schulmann  keine  Theorie  genüge ,  derselbe  sich  vielmehr  durch  Erfahrung  und 
Uebung  zu  bilden  habe.')  Weitere  Folgen  hat  der  Conflict,  in  dem  Lobeck,  seinen  hoffnungs- 
vollsten Schüler  zu  decken,  die  Verantwortung  für  die  incriminirte  Aeusserung  als  Censor,  der 
sie  zu  drucken  erlaubt  hatte,  auf  sich  nehmen  wollte,^)  für  Lehrs  nicht  gehabt.  Immerhin  ist 
der  Zwischenfall  charakteristisch  für  Herbarts  Eigenart  ebenso  sehr  wie  für  sein  Verhältniss 
sowohl  zu  seinen  Collegen  wie  zu  einem  grossen  Theil  der  Studirenden,  unter  denen  es  ihm 
natürlich  auch  an  begeisterten  Verehrern  nicht  fehlte.  Mit  der  Mehrzahl  seiner  Amtsgenossen 
aber  hat  sich  Herbart  über  die  wichtigsten  Fragen  des  akademischen  Lebens  nicht  ver- 
ständigen können,  da  er  in  Bezug  auf  die  Ordnung  der  Lehre,  des  Lernens  und  des  Lebens 
einen  Standpunkt  einnahm  und  mit  der  ihm  eigenen  principiellen  Schärfe  vertrat,  der 
die  akademische  Freiheit  mit  dem  Untergänge  bedrohte.  Dieser  Gegensatz  machte  sich 
namentlich  bei  den  1819  begonnenen  Statutenberathungen  geltend  und  führte  zum  freiwilligen 
Ausscheiden  Herbarts  aus  der  Commission.^)  Die  grundsätzliche  Verschiedenheit  des  Urtheils 
über  das  Verhältniss  der  Universitäten  zu  Staat  und  Gesellschaft  gab  auch  sonst  noch  zu 
manchem  Conflict  zwischen  ihm  und  seinen  Collegen  Anlass.*)  Es  hängt  wohl  damit  zu- 
sammen, dass  Herbart  sich  in  Königsberg  je  länger  je  weniger  zufrieden  und  heimisch  fühlte. 
Mehr  noch  als  über  den  nachtheiligen  Einfluss  des  Klimas  auf  seine  Gesundheit  klagte  er  über 
den  „Provinzialgeist,  der  die  Königsberger  Universität  drückt",^)  über  den  Unfleiss  der  Stu- 
direnden und  meinte,  diese  Verhältnisse  machten  es  ihm  geradezu  zur  Unmöglichkeit  zu  thun, 
was  ihm  oblag.^)  Zudem  klagte  er  über  Mangel  an  Anerkennung  von  Seiten  der  Regierung  und 
verwand  es  nicht,  dass  man  nach  dem  Tode  Hegels  nicht  ihn  als  dessen  Nachfolger  nach  Berlin 
berufen  hatte.  Dalier  nahm  er  1833  den  Ruf  nach  Göttingen  an,  nachdem  er  vergeblich  gewartet 
hatte,  ob  die  Kunde  davon  die  preussische  Regierung  nicht  zu  ausserordentlichen  Anträgen 
an  ihn  bestimmen  würde.     Tief  verstimmt  klagte  er  wohl  später,  dass  seine  langjährigen  Be- 


1)  Ebendas.  S.  82-84. 

2)  Ebendas.  S.  81. 

3)  Vgl.  S.  50. 

4)  Ygl.  Burdach,  S.  325. 

5)  Zimmermann  a.  a.  0.,  S.  50, 

6)  Ebendas.  S.  58. 


mübuBgen  um  Pädagogik,  um  Lelirkuust  erfolglos  gebliebeu  seieu.')  In  Wahrheit  aber  hatte  ihm 
seiue  Thätigkeit  uuter  dem  Eiufluss  einer  ungewöhnlich  glänzenden  Persönlichkeit  trotz  aller 
Differenzen  im  Kreise  der  Collegen  die  höchste  Achtung  erworben,  und  auch  die  Studirenden 
sahen  in  ihm  eine  der  Zierden  der  Albertina.  Dem  ents^n-achen  die  Ehren,  mit  denen  man  den 
Scheidenden  feierte.  Die  Studirenden  brachten  ihm  einen  Fackelzug,  die  Professoren  machten  ihm 
in  corpore  einen  Besuch,  wobei  Schubert  als  Redner  auftrat.  „Selbst  die  gelehrten  Kolosse 
Bessel  und  Lobeck  hatten  —  so  berichtet  Herbart  selbst  mit  unverkennbarem  Behagen-)  —  es 
nicht  unter  ihrer  Würde  gehalten,  sich  zu  mir  zu  erheben  und  sich  ohne  Unterschied  in  die 
Reihen  der  Andern  zu  stellen."  Zudem  gaben  seine  Collegen  dem  Bedauern  über  seinen  Fort- 
gang noch  in  einem  feierlichen  Abschiedsschreiben  Ausdruck.  In  der  Antwort  darauf  vom 
10.  Juli  bemerkte  Herbart  u.  A.:  „Die  Wirksamkeit  dieser  Universität  ist  gross  in  ihrem 
nähern  Kreis,  aber  auch  in  der  Ferne  grösser,  als  ihre  örtliche  Lage  würde  erwarten  lassen; 
sie  wird  noch  grösser  werden  und  sich  immer  mehr  ausbreiten." 

Mit  der  einseitigen  Begünstigung  der  Pädagogik  aber  war  es  nun  an  der  Albertina  zu 
Ende:  auch  in  diesem  Punkte  hatte  Herbart  offenbar  nicht  die  Zustimmung  seiner  Collegen 
gehabt.  Das  pädagogisch-didaktische  Seminar  ging  ein,  schon  deshalb,  weil  die  Regierung 
auf  das  ihr  zustehende  Vorkaufsrecht  auf  das  von  Herbart  dafür  erworbene  Haus  verzichtete, 
und  als  1840  der  Privatdocent  Dr.  Runge  um  Bewilligung  von  Mitteln  zur  Errichtung  einer 
gleichen  Anstalt  einkam,  wurde  sein  Gesuch  von  der  philosophischen  Facultät  sowohl  wie  von 
dem  Senat  abgelehnt  auf  Grund  eines  von  Herbarts  Nachfolger  Rosenkranz  abgegebenen 
Gutachtens,  das  sich  dahin  aussprach,  derartige  praktisch-pädagogische  Bestrebungen  gehörten 
nicht  auf  die  Universität  und  seien  nur  geeignet  die  Studirenden  von  dem  rechten  Studium 
abzuziehen.  Aber  Herbarts  Persönlichkeit  und  Wirken  blieben  an  der  Albertina  in  gutem 
Andenken.  Nach  seinem  Tode  (14.  Juni  1841)  veranstaltete  man  eine  akademische  Ge- 
dächtnissfeier, bei  der  Lobeck  die  Rede  hielt, ^)  und  beging  am  5.  Mai  1886  seinen  hundert- 
jährigen Geburtstag.  Seine  Wittwe  aber,  Mary  Jane,  geb.  Drake,  die  Tochter  eines  in  Königs- 
berg heimisch  gewordenen  englischen  Kaufmanns,  die  er  bald  nach  dem  Antritt  seiner  hiesigen 
Professur  geheiratet  hatte  und  die  nach  seinem  Tode  hierher  zurückkehrte,  ernannte  die  König- 
liche und  Universitäts-Bibliothek  zur  Erbin  seiner  Bibliothek  und  des  grössten  Theils  seines 
Vermögens,  das  allerdings  erst  an  sie  fallen  sollte,  wenn  ein  von  dem  kinderlosen  Ehepaar 
angenommener,  langsam  hinsiechender  Pflegesohn  gestorben  sein  würde.*) 

Von  Grund  aus  anders  geartet  als  Herbart  war  sein  Nachfolger  Karl  Rosenkranz,^) 
ein    Mann     von     ausgebreiteter    Bildung    und     grösster    Vielseitigkeit    der    Interessen,    von 


1)  Ebd.  S.  105. 

2)  Ebd.  S.  84—85. 

3)  Lehnerdt,  S.  227  fi. 

4)  Das  geschah  erst  1893. 

5)  Geb.  den  23.  April  1805  zu  Magdeburg,  seit  1824  zu  Berlin,  Halle  und  Heidelberg  polyhistorisch 
gebildet  und  von  anfänglichen  starken  romantischen  Neigungen  erst  durch  das  Studium  Kants,  Spinozas  und 
Hegels  zu  der  Philosophie  des  letzteren  geführt,  seit  1828  Privatdocent  und  seit  1831    aord.  Professor  zu  Halle. 

15* 


116 

nimmer  rastender  Beweglichkeit  des  Geistes  und  erstaunlicher  Leichtigkeit  der  Production,  zu- 
dem in  seltenem  Maasse  Herr  des  Wortes  und  der  Feder.  Durch  den  ihm  eng  verbundenen 
Hallenser  Mathematiker  Rosenberger  bei  den  Königsberger  Freunden,  namentlich  bei 
Lehrs,  bestens  eingeführt,')  gewann  er  durch  sein  frisches,  lebhaftes  und  anregendes  Wesen  bei 
Collegen  sowohl  wie  bei  den  Studirenden  und  auch  bald  in  weiteren  Kreisen  grosse  Beliebtheit, 
Ansehen  und  Einfluss,  zumal  er  in  seinem  ganzen  Wirken  sich  als  einen  begeisterten  Ver- 
treter der  besten  Traditionen  echten  deutschen  akademischen  Lebens  und  Strebens  bewährte. 
Auch  erwarb  er  sich  in  den  späteren  schwierigen  Zeiten  als  ein  ebenso  energischer  und  frei- 
miithiger,  wie  maassvoller  und  besonnener  Vorkämpfer  wahrer  akademischer  Freiheit  grosse 
Verdienste.^)  Zu  voller  Entfaltung  freilich  ist  seine  Wirksamkeit  erst  in  den  ersten  Jahr- 
zehnten des  vierten  Jahrhunderts  der  Albertina  gekommen. 

Knüpfte  die  Entwickelung  der  erneuten  Albertina  durch  Krug,  Herbart  und  Ro- 
senkranz an  Kant,  so  wurde  für  ihre  Zukunft  doch  noch  viel  wichtiger  die  hervorragende 
Stellung,  die  neben  der  Philosophie  in  der  Folge  Astronomie  und  Mathematik  und 
weiterhin  die  Naturwissenschaften  gewannen.  Der  Anfang  dazu  war  mit  der  Berufung 
Friedrich  Wilhelm  Sessels^)  gemacht  worden.  Im  November  1813  hatte  dieser  die  Stern- 
warte auf  dem  Windmühlenberge  bezogen.  Ein  volles  Menschenalter  hat  er  dort  gewirkt. 
Das  nach  unseren  Begriifen  kleine  Institut,  das  mit  geringen  äusseren  Mittein  arbeitete,  wurde 
durch  ihn  für  Jahrzehnte  der  Mittelpunkt  des  gesammten  astronomischen  Lebens,  allein  durch 
die  Grösse  und  die  Energie  seines  Leiters.  Welch  bahnbrechende  Arbeiten  dort  entstanden  sind, 
davon  erzählt  die  Geschichte  der  Astronomie.  Bis  auf  den  heutigen  Tag  sind  die  dort  aus- 
geführten Beobachtungen  maassgebend  geblieben  für  die  weitere  Forschung:  Bessels  Methode, 
die  Messinstrumente  zu  handhaben  und  durch  ihre  Angaben  die  möglichst  besten  Resultate  zu 
erlangen,  leiten,  wenn  auch  mannigfach  umgestaltet  und  erweitert,  den  Beobachter  noch  jetzt. 
Aber  auch  als  Lehrer  leistete  Bessel  Ausserordentliches.  Einmal  las  er  sowohl  Astronomie  im 
Allgemeinen  als  auch  sphärische  und  physische  Astronomie  und  bis  1829  auch  reine  Mathe- 
matik. Der  als  talentvoll  und  strebsam  erkannten  Schüler  nahm  sich  der  sonst  schwer  Zu- 
gängliche mit  Herzlichkeit  an  und  gewann  durch  die  liebenswürdige  Zwanglosigkeit  des  per- 
sönlichen Verkehrs  ihr  Vertrauen  und  ihre  Liebe:  wer  seinen  anregenden  und  gedankenreichen 
Worten  gelauscht  hatte  und  ihm  persönlich  nahe  getreten  war,  hat  das  alle  Zeit  zu  den 
schönsten  Lebenserinnerungen  gezählt.  So  wurde  Königsberg  die  hohe  Schule  der  Astronomie, 
auf  die  sich  in  ähnlicher  Weise  die  Augen  der  gebildeten  Welt  richteten,  wie  einst  auf  den 
Lehrstuhl  des  grossen  Philosophen:  die  hervorragendsten  Astronomen  sind  durch  sie  hindurch- 
gegangen und  haben  beobachtend,  forschend  und  lehrend  ihres  genialen  Meisters  Werk  weiter- 
geführt und  seinen  Ruhm  verkündet.     Dahin  gehören  —  um  nur  die  bekanntesten  Namen  anzu- 


1)  Lud  wich,  Lobeck  und  Lehrs,  S.  158—59. 

2)  Vgl.  Lehrs  an  F.  Ritschi  den  10.  April  1847:  Kr  ist  Tollkommen  noch  die  anima  Candida,  die  er 
immer  war,  und  bewährt  sich  in  allem  und  jedem.  Was  das  in  dieser  Zeit  sagen  will,  verstehen  wir  und 
schweigen.     Ludwich  a.  a.  O.  S.  460. 

3)  Vgl.  S.  34. 


117 

führen  —  Heinrich  Ferdinand  Scherk,')  Friedrich  Wilhelm  August  Argelander,^)  C.  A.  F. 
Peters  (geb.  180G  zu  Hamburg),  der  erst  an  der  Sternwarte  zu  Pulkowa  wii'kte,  später 
Bessels  Lehrstuhl  einnahm,  dann  einem  Ruf  nach  Altena  folgte  und  1880  als  Professor  der 
Astronomie  und  Director  der  Sternwarte  in  Kiel  starb,  Plantamour  in  Genf,  der  Mathe- 
matiker Otto  August  Rosenberger  (geb.  10.  August  1800,  1824  Bessels  Assistent,  seit  1828 
Professor  in  Halle,  gest.  23.  Januar  1890),  dann  August  Ludwig  ßusch^)  und  die  nachmals 
ebenfalls  an  der  Albertina  zu  wirken  berufenen  Wichmann  und  Luther,  ferner  Gottfried 
Schweizer  (geb.  10.  Februar  1806  zu  Wyla,  Canton  Zürich,  gest.  6.  Juli  1873  zu  Moskau), 
Karl  Theodor  Unger,*)  Friedrich  Daniel  Strehlke  (geb.  1797  zu  Konitz,  Director  der  Petri- 
schule  in  Danzig,  gest.  1886),  Hermann  Hädenkamp  (geb.  6.  März  1809  zu  Halle  in  West- 
falen, gest.  1860  als  Lehrer  in  Hamm),  Karl  August  Steinheil,-'')  der  früh  verstorbene 
Heinrich  Schlüter  (geb.  1815  in  Hamburg,  seit  1841  Bessels  Gehülfe,  gest.  1844)  u.  a.  m. 
So  ausserordentliche  Lehrerfolge  machen  es  begreiflich,  dass  Bessel  sich  in  Königsberg  voll 
befriedigt  fühlte  und  die  ihm  mehrfach  gebotene  Gelegenheit  zur  Gewinnung  eines  andern 
Schauplatzes  für  seine  Thätigkeit  von  der  Hand  wies  und  selbst  dem  glänzenden  Rufe  nicht 
Folge  leistete,  den  die  Berliner  Akademie  au  ihn  richtete,  um  ihn  als  Astronomen  und  Director 
ihrer  Sternwarte  zu  gewinnen. 

Schon  diese  stattliche  Reihe  von  Astronomen,  Mathematikern  und  Physikern,  die  von 
Bessel  die  entscheidende  Anregung  empfangen  haben,  weit  davon  entfernt  vollständig  zu  sein, 
giebt  auch  dem  Laien  einen  Begriff  von  der  Bedeutung,  welche  die  Albertina  für  eines  der 
vornehmsten  und  umfänglichsten  Gebiete  der  exacten  Wissenschaften  erlangte.  Von  da  aus 
gewann  sie  in  der  damals  beginnenden  grossartigen  Entfaltung  der  Naturwissenschaften 
überhaupt  eine  leitende  Stellung  und  wurde  auch  für  die  der  Astronomie  nächst  verwandten 
Disciplinen  der  Mathematik  und  der  Physik  eine  weithin  maassgebende  Pflegestätte. 
Gerade  diese  Fächer  hatten  an  ihr  lange  Zeit  darniedergelegen.  Auch  Ernst  Friedrich 
Wrede  (seit  1806  ord.  Professor,  f  1826)  hatte  neben  Bessel  keine  selbständige  Bedeutung 
gewinnen  können,  obgleich  doch  auch  hier  die  grossen  Traditionen  der  Kantischen  Zeit 
berechtigte  Ansprüche  erhoben.  Daher  erwarb  sich  die  Regierung  ein  grosses  Verdienst, 
indem  sie  von  sich  aus  für  die  Ergänzung   dieser  Lücke   sorgte   und   dabei   in   der  Wahl    der 

1)  Geb.  1798  zu  Posen,  in  Breslau  Schüler  von  Ürandis,  dann  Bessels  und  nachher  Gauss'  in  Göt- 
tingen, 1825  PD.  in  Königsberg,  1826  aord.  Prof.,  18.31  ord.  Prof.  in  IJalle,  183;3  in  Kiel,  an  der  Erhebung  der 
Elbherzogthümer  hervorragend  betheiligt  und  deshalb  abgesetzt,  als  Lehrer  erst  in  Dresden,  seit  1851  Vorsteher 
der  höheren  Gewerbeschule  und  1863  Lehrer  an  der  Hauptschule  in  Bremen.     Gest.  4.  April  1884. 

2)  Geb.  1790  zu  Memel,  seit  1820  Bessels  Gehülfe,  1822  PD.,  dann  nach  einander  Director  der  Stern- 
warten zu  Abo,  Helsingfors  und  1839  in  Bonn.     Gest.  1875. 

3)  Geb.  1804  in  Danzig,  Hauslehrer  bei  dem  Dichter  Preiherrn  von  Eichendorff,  seit  1831  als  Übser- 
vator  Bessels  Hauptgehülle  und  1849  Director  der  Sternwarte.     Gest.   1855. 

4)  Geb.  1803  zu  Danzig,  1826 — 31  Gehülfe  Bessels,  dann  Astronom  der  Naturforschenden  Gesellschaft 
in  Danzig,  1834  Director  der  (Jewerbeschule  und  1836  Lehrer  der  Mathematik  an  dem  Gymnasium  daselbst. 
Gest.  1858. 

5)  Geb.  12.  üctober  1801  zu  Rappoltsweiler  im  Elsass,  der  berühmte  Münchener  Physiker,  hochverdient 
um  die  Entwickelung  der  'l'elegraphie.     Gest.  12.  September  1870. 


118 

Persönlichkeiten  auf  das  Glücklicliste  geleitet  wurde.  Da  Königsberg  bei  den  damaligen  Ver- 
kehrsverhältnissen gleichsam  ausserhalb  der  Welt  lag  und  bei  der  bloss  provinziellen  Bedeutung 
seiner  Universität  Anfängern  nur  geringe  Aussichten  bot,  so  veranlasste  das  ünteri'ichts- 
ministerium  besonders  talentvolle  junge  Gelehrte  durch  Gewährung  einer  bescheidenen  Re- 
muneration, sich  dort  zu  habilitiren.  So  eröffnete  es  unter  dem  25.  Mai  1826  der  philoso- 
phischen Facultät,  es  habe  dem  Dr.  phil.  Franz  Ernst  Neumann  (geb.  11.  September  1798 
zu'  Joachimsthal  bei  Berlin,  1815  als  Freiwilliger  bei  Ligny  schwer  verwundet,  1817—20  in 
Jena  und  Berlin  gebildet),  der  ihm  seit  Jahren  von  einer  vortheilhaften  Seite  bekannt  sei  und 
sich  durch  seine  Dissertation  ,,De  lege  zonariim  principio  evolutionis  systematum  crystallino- 
rum"  (1823)  und  seine  Abhandlung  „üeber  das  Krystallsystem  der  Axinite"  als  einen  kennt- 
nissreichen Mineralogen  bewährt  habe,  auf  sein  Ansuchen  gestattet,  sich  an  der  Königsberger 
Universität  zu  habilitiren,  und  eine  ausserordentliche  Remuneration  von  200  Thalern  jährlich 
bewilligt.  Zu  gleicher  Zeit  und  in  gleicher  Form  kam  auf  Empfehlung  Ermans  Dr.  Heinrich 
Dove  (geb.  6.  October  1803)  als  PD.  der  physikalischen  Wissenschaften  an  die  Albertina: 
bereits  am  17.  Juni  1826  disputirte  er  „De  distributione  caloris  per  tellurem  theoriisque  a 
physicis  ad  explicandam  illam  hucusque  in  medium  prolatis".  Als  Dritter  im  Bunde  kam 
unter  denselben  Bedingungen  der  geniale  Mathematiker  Karl  Gustav  Jacob  Jacobi  (geb. 
1804,  gest.  1851)  nach  Königsberg,  der  sich  kurz  zuvor  in  Berlin  habilitirt  hatte  und  sich, 
obgleich  durch  seine  Dissertation  „Disquisitiones  analyticae  de  fractionibus  simplicibus"  bereits 
rühmlich  bekannt  geworden,  in  Anlehnung  an  Bessel  in  seiner  Wissenschaft  weiter  vervoll- 
kommnen wollte.  Jacobi  wurde  bereits  im  December  1827  EO.;  Neumann  und  Dove  wurden 
es  gleichzeitig  im  März  1828.  Wie  glänzend  die  Erwartungen  erfüllt  worden  sind,  die  man 
auf  die  jungen  Gelehrten  setzte,  ist  bekannt:  in  innigem  Verkehr  mit  ihrem  altern  Freunde 
und  Collegen  Bessel,  in  lebhaftestem  wissenschaftlichen  Austausch  mit  einander  und  in 
förderndster  Gemeinschaft  der  Arbeit  und  der  Forschung  mit  ihren  Schülern  entwickelten 
diese  Männer  eine  Thätigkeit,  die  bald  weithin  Aufmerksamkeit  erregte  und  der  Albertina 
einen  Ehrenplatz  sicherte  in  der  Geschichte  der  exacten  Wissenschaften.  Die  Versetzung 
H.  Doves  nach  Berlin  im  September  1829  änderte  darin  nichts.  Das  Dreigestirn  Bessel, 
Jacobi  itnd  Neumann,  welcher  letztere  nach  dem  am  2.  März  1829  erfolgten  Tode  Karl 
Gottfried  Hagen's,  des  Seniors  der  Albertiua  und  Vertreters  zugleich  der  Physik,  der 
Chemie  und  der  Naturwissenschaften,')  zu  Beginn  des  S.S.  1829  0.  wurde,  führte  ein  neues 
Zeitalter  der  Mathematik  und  Physik  herauf.  Namentlich  der  Höhepunkt  von  Jacobis  epoche- 
machender Thätigkeit  fällt  in  seine  Königsberger  Jahre  1827 — 42.  Damals  entstanden  seine 
„Neuen  Elemente  der  Theorie  der  elliptischen  Functionen"  (1832),  in  denen  er  seine  und 
Abels  Entdeckungen  in  analytischer  Form  zusammenfasste.  Dann  folgt  ein  längerer  Auf- 
enthalt in  Paris  und  daran  anschliessend  jene  Lehrthätigkeit,  welche,  an  anregender  Kraft  und 
an  Erfolgen  im  Gebiete  der  reinen  Mathematik  bis  heute  unübertroffen  dasteht.  Das  neue 
Moment  war,  dass  Jacobi  ausschliesslich  über  diejenigen  Probleme  vortrug,  an  denen  er  selbst 
arbeitete,  und  nichts  Anderes   anstrebte,  als   die  Zuhörer  in  seinen    eigenen    Gedankenkreis 

1)  Vgl.  S.  7. 


119 

einzuführen.  Zu  dem  Zweck  gründete  er  u.  A.  das  erste  mathematische  Seminar.  Und  so 
gross  war  sein  Eifer,  dass  er  nicht  nur  vielfach  die  wichtigsten  neuen  Resultate  zuerst  in 
seinen  Vorlesungen  mittheilte,  sondern  sich  oft  gar  nicht  Zeit  nahm,  sie  anderswo  zu  ver- 
öflentlichen.^)  Aus  weiter  Ferne  zogen  bald  die  begabtesten  Jünger  der  mathematischen 
Wissenschaft  nach  Königsberg,  und  der  dort  vereinigte  Kreis  von  Lehrern  und  Forschern 
übte  in  dem  von  ihm  gepflegten  Gebiete  eine  überall  als  maassgebend  anerkannte  Autorität, 
die  der  Königsberger  Universität  im  Ganzen  zu  Gute  kam.  Ihre  philosophische  Facultät  war 
es,  die  auf  Autrag  Jacobis,  Bessels  und  Neumanns  am  29.  December  1832  dem  genialen 
Jacob  Steiner  aus  Bern,  damals  Lehrer  an  der  Gewerbeschule  in  Berlin,  Ehren  halber  ihre 
Doctorwürde  ertheilte,  und  es  dürfte  damals  überhaupt  kaum  einen  bedeutenderen  Gelehrten 
dieses  Faches  gegeben  haben,  der  nicht  auch  äusserlich  mit  dem  Königsberger  Kreise  in 
Verbindung  gestanden  hätte. 

Auch  als  Jacobi  1842  erst  mit  längerem  Urlaub,  dann  endgültig  nach  Berlin  über- 
siedelte, blieb  Königsberg  ein  Centrum  des  mathematischen  Studiums:  denn  bei  solchen 
Lehrern  fehlte  es  nicht  an  ebenbürtigem  Nachwuchs,  und  namentlich  Richelot  und  Hesse 
haben  die  Jacobischen  Traditionen  aufrecht  erhalten,  ersterer  nach  analytischer,  letzterer 
nach  geometrischer  Seite. ^)  Friedrich  Julius  Richelot  (geb.  6.  November  1808  in  Königs- 
berg, gest.  1.  April  1875)  hatte  seit  1825  unter  Bessel  und  Jacobi  studirt,  promovirte  im 
April  1831  und  Hess  sich  gleich  danach  von  der  philosophischen  Facultät  die  Erlaubniss 
zum  Halten  von  Vorlesungen  ertheilen.  Mit  diesen  hatte  er  einen  so  durchschlagenden  Erfolg, 
dass  er  bereits  im  September  1832  EO.  wurde,  —  noch  keine  zehn  Jahre,  nachdem  ihm 
(20.  Februar  1821)  in  einer  Decanatsprüfung  das  eben  nicht  verheissungsvoUe  Zeugniss 
gegeben  war,  „dass  seine  mathematischen  Kenntnisse  mittelmässig  waren,  indem  er  vieles  aus 
früherer  Zeit  Erlernte  wieder  vergessen  hat",  in  der  mathematischen  und  physischen  Geogra- 
phie waren  seine  Kenntnisse  sehr  gering,  während  die  im  Lateinischen  und  im  Griechischen 
als  gut  gelobt  wurden.  Das  Ordinariat  erhielt  er  nach  Jacobis  Weggang  1843:  ein  volles 
Menscheualter  hindurch  hat  er  dasselbe  bekleidet,  in  hervorragender  Weise  namentlich 
als  Lehrer  wirksam,  indem  er  durch  die  von  ihm  geleiteten  seminaristischen  Uebuugen  und 
Arbeiten  eine  stattliche  Reihe  von  Schülern  heranbildete,  welche  selbst  wieder  zu  hervor- 
ragenden Lehrern  des  Faches  wurden.  Das  kam  nicht  bloss  den  höheren  Schulen,  namentlich 
der  Provinz  Preussen,  zu  Gute,  die  in  Folge  dessen  in  dem  mathematischen  Unterricht  be- 
sonders Tüchtiges  und  oft  uugewöhnlicli  Treifliches  leisteten,  sondern  auch  der  mathema- 
tischen Wissenschaft,  von  deren  hervorragendsten  akademisclien  Vertretern  eine  ganze  Anzahl 
Richelot  ihre  Bildung  verdankt,  zum  Theil  aus  weiter  Ferne  herbeigezogen,  um  zu  den 
Füssen  dieses  Meisters  zu  sitzen.  Zur  vollen  Entfaltung  freilich  kam  Richelots  Thätigkeit 
erst  im  letzten  halben  Jahrhundert  der  Albertina.  Auch  diejenige  von  Otto  Hesse  (geb. 
22.  April  1811  zu  Königsberg,  gest.  zu  München  4.  August  1884),  der  als  PD.  und  dann  seit 
1840  (bis  1868)    als  EO.  in  Königsberg   lehrte  und  gerade  in  dieser  Zeit  seine  Wissenschaft 

1)  Klein  bei  Lexia,  Die  preussischen  Uuiversitüten,  IT.  8—9. 

2)  Ebendas.  11.  S.  8— 10. 


durch  neue  wichtige  Entdeckimgen  im  Gebiete  der  Geometrie  förderte,  gehört  im  Wesent- 
lichen der  nächsten  Periode  an.  Aus  dieser  Schule  ging  Ludwig  Adolf  Sohncke  (geb. 
20.  Juni  1807  in  Königsberg,  gest.  18.  Januar  1853  als  0.  in  Halle)  hervor:  er  begann  seine 
Lehrthätigkeit  1833  als  PD.  an  der  Albertina,  kam  aber  schon  1835  als  EO.  nach  Halle. 

Neben  ßessel,  Jacobi,  Richelot  und  Hesse  aber  stand  alle  jene  Jahre  als  der  geniale 
Vertreter  der  engsten  Verbindung  zwischen  Mathematik  und  Phj^sik,  neue  Probleme  stellend 
und  neue  Methoden  der  üntei'suchung  entdeckend,  jener  Thätigkeit  befruchtend  und  ei'gänzend 
und  durch  eine  sich  immer  kühner  entfaltende  Forschung  die  von  ihm  bekleidete  Professur 
der  Mineralogie  zu  einer  solchen  der  mathematischen  Physik  erweiternd  und  damit  eine  neue 
Wissenschaft  in  das  akademische  Studium  einführend,  Franz  Ernst  Neumann,  der,  mit 
seinen  CoUegen  und  Freunden  wetteifernd,  das  Haupt  eines  aus  allen  Theilen  Deutschlands 
und  noch  von  weiterher  zusammenströmenden  Schülerkreises  wurde,  dessen  hervorragendste 
Genossen  später,  ihres  Lehrers  Bahnen  selbständig  weiter  verfolgend,  an  mehr  als  einer 
Universität  Zierden  der  Wissenschaft  wurden  und  den  Namen  der  Albertina  und  ihres  Lehrers 
auf  alle  Zeit  mit  den  gi-össten  physikalischen  Entdeckungen  unsers  Jahrhunderts  verknüpften. 
Neben  Neumann,  der  bereits  1833  correspondirendes  Mitglied  der  Berliner  Akademie  wurde 
(1858  ordentliches  auswärtiges),  wirkte  als  Vertreter  der  Experimentalphysik  seit  dem  S.S. 
1831  Ludwig  Moser,  ursprünglich  Mediciner  und  in  Berlin  zum  Dr.  med.  promovirt,  dem 
die  philosophische  Facultät  der  Albertina  bei  seiner  Habilitation  auf  Antrag  Neumanns  und 
Jacobis  Ehren  halber  die  Doctorwürde  ertheilte;  nach  Ablehnung  eines  Rufs  als  Adjunct  der 
Akademie  in  Petersburg  wurde  er  im  Februar  1832  EO.  und  24.  Februar  1839  0.  So  wurde 
aus  der  einen  Professur  der  Physik,  Chemie  und  Naturvsässenschaften,  die  Karl  Gottfried 
Hagen  bis  au  seinen  Tod  bekleidet  hatte,  eine  ganze  Reihe  von  selbständigen  Professuren: 
denn  die  Vertretung  der  Chemie,  die  er  seit  1826  als  PD.  und  seit  1830  als  EO.  gelehrt 
hatte,  erhielt  1833  (7.  September)  Friedrich  Philipp  Dulk. 

Wie  in  der  Zeit  der  tiefsten  Erniedrigung  Preussens  der  Bau  der  Sternwarte  und  die 
Anlegung  des  Botanischen  Gartens  in  Königsberg  Zeugniss  abgelegt  hatten  von  der  fortlebenden 
geistigen  und  sittlichen  Kraft  des,  wie  es  schien,  dem  Untergang  verfalleneu  Staats  und  da- 
mit zugleich  eine  Bürgschaft  gegeben  für  ein  künftiges  Neuerblühen  auch  der  Albertiua,  so 
hatten  an  dem  Aufschwung,  den  auf  dieser  namentlich  die  exacten  Wissenschaften  nahmen, 
auch  die  beschreibendeu  Naturwissenschaften  ihi-en  reich  gemessenea  Antheil.  Fehlte  es 
doch  auch  auf  diesem  Gebiet  nicht  an  grossen  Traditionen,  an  die  angeknüpft,  und  an  Grund- 
lagen, auf  denen  weiter  gebaut  werden  konnte.  Sie  fliessen  zusammen  in  dem  Namen  Karl 
Gottfried  Hagen.  „Er  hat  lauge  Zeit  fünf  Fächer  der  Naturwissenschaft,  Zoologie,  Bo- 
tanik, Mineralogie,  Physik  und  Chemie,  gelesen  und  zwar  mit  solchem  Erfolge,  dass  nicht 
bloss  Studirende,  sondern  Männer  verschiedenster  Stände  des  bürgerlichen  Lebens  —  Tech- 
niker, Cameralisten,  Officiere  u.  s.  w.  —  ihn  hörten.  Die  Flora  von  Preussen  hat  für  die 
Flechten  und  Phanerogamen  die  erste,  eigentlich  wissenschaftliche  Bearbeitung  im  Linneischen 
Sinne  durch  ihn  gefunden.  Spätere  werden  immer  auf  seine  Leistungen  von  bleibendem 
historischen  Werth  zurückgehen  müssen.  Er  hat  durch  zahlreiche  chemische  Schriften 
(z.  B.  Gruudriss    der  Experimentalchemie  1807j    Grundsätze  der  Chemie  1815)    in    weitesten 


121 

Kreisen  angeregt.  Besonders  aber  bat  er  durch  sein  Hauptwerk,  das  „Lehrbuch  der  Apotheker- 
kunst", welches  zuerst  1778  erschien  und  von  dem  acht  Auflagen,  die  letzte  noch  1829, 
gedruckt  worden  sind,  den  Grund  zu  einer  wissenschaftlichen  Behandlung  der  Pharmakognosie 
und  Pharmacie  gelegt:  durch  dies  Werk,  welches  lange  das  einzige  seiner  Art  war,  hat  er 
sich  einen  europäischen  Ruf  erworben;  es  ist  in  mehi'ere  fremde  Sprachen  übersetzt  (zwei- 
mal ins  Französische) ".1)  Je  weniger  eine  solche  Universalität  des  naturwissenschaftlichen  Wissens 
und  Forschens  in  der  Folge  möglich  blieb,  um  so  bedeutender  wurden  bei  der  sich  nun  ausbil- 
denden Theilung  der  Arbeit  auch  auf  diesem  Gebiete  die  Leistungen  des  Einzelnen  in  der 
von  ihm  vorzugsweise  angebauten  Disciplin.  Der  erste  Director  des  Botanischen  Gartens, 
dessen  erste  Einrichtung  auch  noch  von  Hagen  beaufsichtigt  worden  war,  August  Friedrich 
Schweigger, ^)  durfte  für  einen  der  hoffnungsvollsten  Vertreter  seines  Faches  gelten;  nach 
dreijährigem  Aufenthalt  in  Paris,  wo  er  namentlich  durch  den  Botaniker  Jussieu  und  den 
Mineralogen  Hauy  gefördert  wurde,  hat  er  der  Albertina  nur  zwölf  Jahre  (1809 — 21)  als 
Lehrer  angehört,  während  derselben  durch  grössere  Forschungsreisen  wiederholt  ihr  fern  ge- 
halten. Seine  Arbeiten  galten  vorzugsweise  der  Schaffung  eines  Pflanzensystems  auf  natür- 
licher Grundlage,  die  er  statt  in  einseitiger  Berücksichtigung  bloss  äusserlicher  Merkmale 
durch  eine  vergleichende  anatomische  und  physiologische  Betrachtung  der  einzelnen  Pflanzen- 
körper zu  gewinnen  strebte.  Als  Zoologe  bewährte  sich  Schweigger  durch  seine  Studien  über 
die  Schildkröte  und  stellte  ausserdem  anatomisch-physiologische  Untersuchungen  über  die 
Korallen  an,  die  er  seinen  „Betrachtungen  auf  naturhistorischen  Reisen"  (1819)  einfügte. 
Wie  sehr  er,  trotz  der  abfälligen  Bemerkungen  namentlich  Herbarts  über  seine  häufige 
Abwesenheit  von  Königsberg,  auch  in  den  gemeinsamen  Interessen  der  Universität  heimisch 
und  dieselben  zu  vertreten  fähig  war,  lehrte  die  Führung  des  Prorectorats  in  dem  verhängniss- 
vollen Winter  1819/20.^)  Für  die  Universität  sowohl  wie  für  die  Wissenschaft  war  sein  vor- 
zeitiger Tod  ein  schwerer  Verlust:  er  wurde  im  Sommer  1821  auf  einer  Studienreise  in 
Sicilien  nahe  bei  Girgenti  in  der  Grotta  affumata  von  einem  räuberischen  Führer  ermordet. 
Sein  Nachfolger,  der  im  October  1821  zunächst  als  EO.  mit  der  Direction  des  Botanischen 
Gartens  betraute  Carl  Wilhelm  Eysenhart  (seit  1820  PD.  in  Königsberg),  musste  schon 
im  Jahre  1825  Krankheits  halber  beurlaubt  werden  und  hat  sein  Amt  nicht  wieder  angetreten. 
Ihn  ersetzte  im  April  1826  als  EO.,  seit  30.  Januar  1829  als  0.  der  bisherige  PD.  in  Göttingen 
Ernst  Heinrich  Friedrich  Meyer,*)  der  seine  Berufung  zum  Theil  der  Empfehlung  Goethes 
verdankte,  dessen  Aufmerksamkeit  er  durch  eine  Besprechung  der  „Metamorphose  der  Pflanzen" 
in    den  Göttinger  Gelehrten  Anzeigen  erregt  hatte;    die  philosophische  Facultät    machte    ihn 


1)  Bericht  des  Generalconcils  13.  April  18G0  (A.  36)  zur  wiederliolten  Begründung  des  Antrages  auf 
Anbringung  eines  Medaillonporträts  von  K.  G.  Hagen  an  der  neuen  Universität. 

2)  Geb.  8.  September  1783  zu  Erlangen  als  Sprössling  einer  berühmten  Gelehrtenfamilie,  in  Erlangen, 
Halle  und  Berlin  durch  botanische,  zoologische  und  medicinische  Studien  gebildet. 

3)  Vgl.  S.  68.  138. 

4)  Geb.  1.  Januar  1791  zu  Hannover,  studirte  mit  Unterbrechung  durch  seine  Theilnahme  an  dem 
Befreiungskampfe  in  Göttingen  Medicin  und  habilitirte  sich  daselbst  als  medicinischer  PD.,  wandte  sich  aber  in 
Folge  von  Unfällen  in  der  Praxis  ausschliesslich  der  Botanik  zu. 

16 


122 

Ehren  halber  zum  Doctor.     Meyers  wissenschaftliche  Bedeutung  beruht  vornehmlich  in  seiner 
unvollendet  gebliebenen  „Geschichte  der  Botanik"  (4  Bde.,   1854—57). 

Bedeutender  noch  war  der  Einfluss,  der  von  Königsberg  aus  auf  die  Entwickelung 
der  zoologischen  Forschung  ausgeübt  wurde,  die  nach  der  damals  üblichen  Vertheilung  der 
naturwissenschaftlichen  Fächer  ebenso  wie  die  Botanik  zur  medicinischen  Facultät  gehörte. 
Wie  tief  diese  zu  Anfang  des  Jahrhunderts  gesunken  war,  ist  früher  gezeigt  worden.')  Nur 
ganz  vereinzelte  Studirende  widmeten  sich  unter  diesen  umständen  der  Medicin.  Ende  des 
Jahres  1805  waren  ihrer  im  Ganzen  8,  im  S.S.  1809  16,  im  W.S.  1811/12  23.  Burdach  fand  1814 
nur  neun  Mediciner  vor,^)  neben  denen  noch  etliche  Chirurgen  die  CoUegien  besuchten;  dann  folgt 
eine  allmähliche  Steigerung  von  38  im  S.S.  1825  auf  92  im  W.S.  1833/34.  Dem  entsprach  die  ge- 
ringe Zahl  der  Zuhörer  in  den  medicinischen  Collegien:  im  W.S.  1805/6  betrug  sie  in  den  eigent- 
lichen Fachvorlesungen  zwei  bis  sechs  und  noch  1815/16  vier  bis  fünf.  Das  war  natürlich  bei  der 
Lückenhaftigkeit  des  Lehrpersonals,  dessen  Glieder  zudem  mehr  praktische  Aerzte  als  Professoren 
waren  und  bei  der  Niedrigkeit  der  Gehälter  auch  gar  nicht  anders  konnten:  betrug  doch  1805  die 
Besoldung  für  jede  der  drei  ersten  medicinischen  Professuren  unter  Einrechnung  der  Naturalge- 
fälle  an  Holz  und  Roggen  rund  350  Thaler,  während  die  vierte  ihrem  Inhaber  gar  nur  114  Thaler 
brachte.')  Nicht  besser  sah  es  mit  den  Instituten  aus:  da  Abhülfe  zu  schaffen,  war  daher  eine 
von  den  Forderungen  gewesen,  die  gleich  bei  dem  ersten  Versuch  der  Erneuerung  der  Albertina 
besonders  nachdrücklich  erhoben  wurden,  um  zunächst  freiUch  nur-  sehr  ungenügend  befriedigt 
zu  werden  durch  Errichtung  eines  „Medicinischen  Klinikums"  im  Löbenichtschen  Hospital  (1809),*) 
während  für  die  Chirurgie  und  für  die  Geburtshülfe  nicht  einmal  Lehi-er  vorhanden  waren."") 
Für  Erstere  gab  es  noch  eine  Reihe  von  Jahren  nur  einen  ganz  nothdürftigen  poliklinischen 
Unterricht,  für  den  im  Semester  eine  Beihülfe  von  25  Thalern  gewährt  wurde.**)  um  nichts  besser 
stand  es  mit  dem  anatomischen  Unterricht,  den  seit  Johann  Daniel  Metzgers'')  Tod  (16.  Sep- 
tember 1805)  unter  Beibehaltung  der  Stellung  als  Prosector  der  EO.  Wilhelm  Gottlieb  Kelch 
(geb.  1776  in  Königsberg,  gest.  2.  Febr.  1813)  leitete,  während  der  gesammte  klinische  Unterricht 
auf  den  Schultern  des  seit  1785  als  0.  thätigen,  aber  frühzieitig  durch  Krankheit  behinderten 
Christoph  Friedrich  Eisner  (geb.  1749  in  Königsberg,  gest.  19.  April  1820)  ruhte,  da 
der  ihn  zu  unterstützen  und  zu  ersetzen  bestimmte  Wilhelm  Remer,*)  der  1809  berufen 
wurde,  schon  1815  nach  Breslau  ging  (gest.  31.  December  1850).  An  seine  Stelle  trat 
Christoph  Johann  Heinrich  Elsner^)  (der  jüngere),  gab  jedoch  die  Lehrthätigkeit  schon 


1)  Vgl.  S.  9. 

2)  Burdach,  S.  300. 

3)  B.  53.  I. 

4)  Vgl.  S.  32. 

5)  M.  19. 

6)  C.  55. 

7)  Vgl.  S.  9. 

8)  Geb.  9.  Juli  1775  als  Sohn  des  bekannten  Historikers  Julius  August  Remer,  seit  1799  EO.  der  Phi- 
losophie und  Medicin,  1823  Director  des  klinischen  Institut.s  und  1804  0.  der  Medicin  in  Helmstädt. 

9)  Geb.  14.  Januar  1777  zu  Bartenstein,  gebildet  in  Berlin,  zeitweise  in  Wien  und  Paris,   1802  Kreis- 


123 

1825  auf.  In  ihr  folgte  ihm  der  1833  als  Medicinalrath  Dach  Königsberg  gekommene  Karl 
Ludwig  Klose/)  der  aber  1839  nach  Breslau  zurückkehrte  (gest.  23.  September  1863). 
Daneben  wirkte  auf  dem  gleichen  Gebiete  Ludwig  Wilhelm  Sachs. ^)  Ferner  er- 
richtete der  1821  aus  Berlin  als  EO.  berufene  Gottlieb  August  Richter')  eine  Poli- 
klinik, die  1831  als  Staatsinstitut  anerkannt  und  nacü  seinem  Tode  mit  der  schon  be- 
stehenden medicinischen  Klinik  vereinigt  wurde.  Als  erster  Vertreter  der  Chirurgie  und 
Leiter  der  chirurgischen  und  ophthalmologischen  Klinik  kam  1836  Albert  Wilhelm  Hermann 
Seerig  (geb.  26.  April  1797  zu  Rudolstadt,  1825  PD.  und  Prosector  in  Breslau,  EO.  1826) 
aus  Breslau  (gest.  7.  März  1862).  Die  Gynäkologie  aber,  der  selbst  von  einigen  Mitgliedern 
der  medicinischen  Pacultät  die  Zugehörigkeit  zur  Universität  bestritten  wurde,  blieb  noch 
längere  Zeit  in  dem  1814  begründeten  Verhältniss,  wo  der  Unterarzt  an  der  medicinischen 
Klinik  Ernst  Ludwig  August  Henner  (gest.  6.  Juni  1830)  mit  100  Thalern  Gehalt 
zum  EO.  der  Entbindungskunst  ernannt  und  mit  der  Leitung  der  Hebammenanstalt  betraut 
worden  war.  Nach  seinem  Tode  erhielt  die  gleiche  Stellung  der  aus  Breslau  berufene  Albert 
Hayn  (geb.  17.  September  1801  zu  Breslau,  dort  und  in  Würzburg  gebildet),  um  erst  1844 
durch  die  Ernennung  zum  0.  die  Gleichberechtigung  seines  Fachs  anerkannt  zu  sehen.  In 
demselben  Jahre  wurde  auch  ein  ordentlicher  Lehrstuhl  für  Pharmakologie  errichtet:  ihn  er- 
hielt Carl  Friedrich  Wilhelm  Cruse  (geb.  13.  Mai  1813  zu  Mitau  in  Kurland,  in  Königsberg 
und  Berlin  gebildeten  Königsberg  seit  1826  Arzt,  1828  PD.,  1840  EO.).  Weitere  dankenswerthe 
Ergänzungen  erhielt  die  medicinische  Facultät  dui-ch  die  1843  erfolgte  Ernennung  von  Georg 
Hirsch  (geb.  21.  November  1799  in  Königsberg,  dort  und,  in  Berlin  namentlich  unter  Burdach 
und  Hufeland  gebildet,  seit  1820  prakt.  Arzt  in  seiner  Vaterstadt,  gest.  20.  Juli  1885)  und  den 
Chirurgen  Karl  Heinrich  August  Burow  (geb.  1809  in  Elbiug,  gest.  15.  April  1874),  einen 
Schüler  von  v.  ßaer,  Burdaeh  und  Sachs,  dann  Diefifenbach,  welcher  seit  Herbst  1843  als  EO. 
in  Verbindung  mit  einer  von  ihm  begründeten  und  nachher  zum  Universitätsinstitut  erhobenen 
vielbesuchten  Privatklinik  eine  sehr  bedeutende  praktische  Wirksamkeit  entfaltet  und  die 
Chirurgie  und  die  Augenheilkunde  durch  mannigfache  Erfindungen  bereichert  hat.*) 

Diese  Hebung  des  medicinischen  Studiums  auf  der  Albertina  war  aber  erst  möglich 
geworden,  seit  die  gi'undlegenden  Disciplinen  bedeutende  Vertreter  gefunden  hatten  und 
diesen  die  unentbehrlichen  Hülfskräfte  und  ausreichende  Unterrichtsmittel  gewährt  waren. 
Bereits  im  März  1812  hatte  das  Ministerium  zu  diesem  Zwecke  den  Dr.  Eduard  von  Loder 
als  EO.   berufen,    den  Sohn    des    durch    seine    Vielseitigkeit    und    praktische  Bewährung    be- 


physikus  in  Braunsberg,  kam    1807    nach  Kdnigsberg,    1815    0.    und    Direotor    der    medicinischen   Klinik,    gest. 
24.  April  1834. 

1)  Geb.  21.  August  1791  zu  Breslau,  studirte  in  Königsberg  und  Wien,  1813/14  Oberarzt  eines  Haupt- 
feldlazareths,  1815  in  Berlin  Arzt,  1816  PD.,  1818  EO.,  1829  O. 

2)  Geb.  29.  December  1787  zu  Grossglogau  in  Schlesien,  gebildet  in  Königsberg,  Berlin  und  Göttingen, 
1814  Oberarzt  an  den  Kricgslazarethen  in  Königsberg,  praktischer  Arzt  daselbst,  1816  PD.,  1818  EO.  und  1826  0. 

3)  Geb.  9.  April  1778  als  Sohn  des  berühmten  Chirurgen  August  Gottlieb  Richter  (1742-1812)  zu 
Göttingen,  dort  und  durch  mehrjährige  Keisen  gebildet,  1809  PD.  in  Berlin,  1821  O.  der  praktischen  Medicin, 
1823  Director  der  Poliklinik  in  Königsberg,  1831  Dirigent  des  Choleralazareths,  gest.  18.  Juni  1832  in  Berlin. 

4)  Allg.  Deutsche  Biogr.  III,  629. 

16* 


124 

rühmten  Anatomen,  Chirurgen  und  Arztes  Justus  Christian  von  Loder,!)  einen  zu  den  schönsten 
Hoflnungen  berechtigenden  jungen  Gelehrten,  der  sich  dui'ch  Reisen  in  Deutschland,  den  Nieder- 
landen, Frankreich  und  Italien  gebildet  hatte:  aber  schon  nach  wenigen  Wochen  raffte  ihn 
ein  frühzeitiger  Tod  hinweg.  So  begann  eine  gründliche  Besserung  dieser  Verhältnisse  erst 
mit  dem  Eintritt  Burdachs  und  seines  Prosectors  K.  E.  von  Baer.  Karl  Friedrich  ßurdach^) 
(geb.  12.  Juni  1776  zu  Leipzig,  dort  und  in  Wien  gebildet,  PD.  in  Leipzig  und  seit  1811 
0.  der  Anatomie,  Physiologie  und  gerichtlichen  Medicin  in  Dorpat),  dessen  starke  naturphi- 
losophische Neigung  in  Folge  des  Mangels  an  Mitteln  zu  Einzeluntersuchungen  gerade  in  den 
für  seine  Entvrickelung  wichtigsten  Jahren  ohne  das  wünschenswerthe  Gegengewicht  geblieben 
war  und  daher  auch  später  noch  allzu  leicht  auf  dem  Wege  der  Speculation  von  der  Einzel- 
thatsache  zu  allgemein  geltenden  Gesetzen  zu  kommen  drängte,  der  aber  immer  geistvoll  und 
anregend  blieb,  musste,  als  er  1814  zum  Professor  der  Anatomie  in  Königsberg  ernannt 
wurde,  die  äusseren  Vorbedingungen  zu  erspriessliohem  Wirken  sich  erst  selbst  schaffen.  Das 
Haus,  das  Professor  Christoph  Gottlieb  Büttner  (geb.  1718  in  Brandenburg  bei  Königsberg, 
1737  0.  der  Anatomie  in  Königsberg  und  Physikus  des  samländischen  Ki-eises,  gest.  1.  April  1776) 
1745  auf  seine  Kosten  mit  einem  Aufwände  von  1077  Thalern  auf  dem  Weidendamm  als  anato- 
misches Theater  erbaut  und  der  Staat  nach  seinem  Tode  für  500  Thaler  übernommen  hatte, ^) 
war  dem  Einsturz  nahe.  Unterrichtsmittel  gab  es  eigentlich  gar  nicht :  denn  Büttners  Präparaten- 
sammlung war  nach  Berlin  verkauft  worden;  sein  Nachfolger  Metzger  hatte  nur  für  sich  selbst 
präparirt.  Aber  dem  energischen  Andrängen  Burdachs  gelang  es,  für  das  anatomische  Theater, 
dessen  Neubau  im  Princip  schon  1809  zugesagt  war,  die  Anweisung  eines  eigenen  Hauses  am  Butter- 
berg zu  erwirken  sowie  die  nöthigen  Mittel  zum  angemessenen  Ausbau  und  zur  Beschaffung  der 
laufenden  Bedürfnisse  nebst  einer  ausserordentlichen  Bewilligung  zum  Ankauf  von  Präparaten  und 
Instrumenten.  Den  Grundstock  für  die  sofort  energisch  in  Angriff  genommene  Lehrmittelsamm- 
lung gaben  die  für  1200  Thaler  angekauften  Präparate  seines  Vorgängers  Kelch;  dazu  kam 
die  um  den  gleichen  Preis  erworbene  Sammlung  des  verstorbenen  Hallenser  Professors  Senff. 
Wichtiger  aber  noch  war  die  glückliche  Wahl,  die  Burdach  bei  der  Berufung  seines  Prosec- 
tors traf,  indem  er  als  solchen  seinen  ehemaligen  Dorpater  Zuhörer,  den  22jährigen  Dr.  med. 
Karl  Ernst  von  Baer  (geb.  17.  Februar  1792  zu  Piep  im  Jerwensehen  Kreise  in  Esthland)*) 
gewann,  der  sich  in  Wien,  Würzburg  und  Berlin  weitergebildet  hatte.  Dieser  beiden  Männer 
langjähriges,  nur  zuletzt  nicht  ganz  ungetrübtes  Zusammenwirken  führte  auch  für  die  bisher 
arg  vernachlässigte  Medicin  an  der  Albertina  ein  neues  Zeitalter  herauf,  von  dem  weiterhin 
auch  die  beschi-eibenden  Naturwissenschaften,  namentlich  die  Zoologie,  den  reichsten  Gewinn 
hatten.     Durch  geschickte  Leitung  der  ihm  von  Burdach  überlassenen  Präparirübungen,  sowie 


1)  Geb.  12.  März  1753  in  Riga,  1778  Prof.  in  Jena,  1803  in  Halle,  1808/9  in  Königsberg  Leibarzt  der 
königlichen  Familie,  kam  in  nissischen  Dienst,  ausgezeichnet  1812  durch  seine  schöpferische  Thätigkeit  in  der 
Organisation  des  Lazarethwesens,  seit  1818  Professor  in  Moskau,  j  daselbst  1832. 

2)  Vgl.  K.  F.  Bnrdach,  Rückblick  auf  mein  Leben.  Selbstbiographie.  (Blicke  ins  Leben.  Bd.  IV.) 
Leipzig  1848. 

3)  S.  oben  S.  9-10. 

4)  V'gl.  K.  E.  V.  Baer,  Mein  Leben.     Petersburg  187L 


125 

durch  eigenartige,  nur  im  Beginn  des  Semesters,  dann  aber  mit  beträchtlich  verstärkter 
Stundenzahl  gehaltene  methodologische  Vorlesungen  und  wöchentliche  Repetitorien  stellte 
von  Baer  den  medicinischen  Unterricht  auf  eine  solide  Grundlage.  Männer  wie  Dieffen- 
bach  und  späterhin  der  Göttinger  Mediciner  Wilhelm  Baum  (aus  Elbing)  und  der 
Berliner  Anatom  Reichert  haben  sich  alle  Zeit  dankbar  seines  anregenden  Unter- 
richts erinnert.  Während  Burdach  namentlich  durch  die  von  ihm  zuerst  vorgetragene  allge- 
gemeine,  d.  h.  vergleichende  Anatomie^)  und  dann  durch  seine  Vorlesungen  über  Physiologie 
bedeutend  wirkte,  wandte  sich  von  Baer  neben  den  anatomischen  Studien  mehr  und  mehr 
zoologischen  zu.  Seit  1819  EO.,  wurde  er  unter  Beibehaltung  des  Prosectoramts  den 
18.  Januar  1822  zum  0.  für  Anatomie  und  Zoologie  ernannt,  aufweiche  letztere  Stellung  er  sich 
ein  Recht  erworben  hatte  durch  die  Umsicht  und  Energie,  mit  der  er  mit  verhältnissmässig 
geringen  Mitteln  die  schnell  zu  grosser  Bedeutung  erwachsende  zoologische  Sammlung  be- 
gründete und  ordnete.^)  Als  sich  dann  Burdach  1826  auf  die  Physiologie  zurückzog,  übernahm 
von  Baer  auch  die  Direction  der  Anatomie,  au  der  ihm  seines  bisherigen  Chefs  Sohn  Ernst 
Burdach  als  Prosector  folgte.  In  jenen  Jahren  begann  von  Baer  seine  bahnbrechenden 
Untersuchungen  über  die  Entwickelung  der  Säugethiere,  durch  die  er  der  Vater  der  Ent- 
wickelungsgeschichte  wurde.  Zu  ihrer  systematischen  Fortsetzung  wurden  ihm,  nachdem  er 
1830  einen  Ruf  an  die  Petersburger  Akademie  abgelehnt  hatte,  von  dem  Ministerium  be- 
sondere Mittel  bewilligt.  1831  konnte  er  das  neue  zoologische  Museum  beziehen,  nachdem 
er  es  glücklich  vor  dem  Schicksal  bewahrt  hatte,  als  Choleralazareth  verwendet  zu  werden.') 
Auch  das  Ansehen  kam  der  Universität  zu  Gute,  das  sowohl  Burdach  wie  von  Baer  ausserhalb 
ihres  Amtes  durch  ihre  Theilnahme  an  den  öffentlichen  Angelegenheiten  erwarben.  Während 
ersterer  als  Dirigent  des  Medicinalcollegiums  verdienstvoll  wirkte  und  durch  seine  Thätigkeit 
bei  der  Errichtung  der  ersten  Kleinkinderschulen  in  Königsberg  die  städtische  Wohlfahrt  fördern 
half,  wirkte  von  Baer  als  Mitglied  der  medicinischen  und  der  physikalisch-ökonomischen  Ge- 
sellschaft vielfach  für  Popularisirung  der  Wissenschaft  und  erwarb  sich  um  die  letztgenannte 
Gesellschaft  als  Director  durch  eine  gründliche  Reorganisation  bleibende  Verdienste.  Ferner 
war  er  in  hervorragender  Weise  betheiligt  an  der  Errichtung  eines  „Privatwohlthätigkeits- 
vereins"  im  Schoosse  der  Bürgerschaft,  der  die  Armenunterstützung  einheitlich  leiten  und 
dadurch  die  Verschwendung  der  Mittel  an  Unwürdige  hindern  sollte,  nicht  ohne  heftige  An- 
feindung von  Seiten  des  durch  die  abfällige  Kritik  der  bisher  bestehenden  Einrichtungen 
verstimmten  Oberbürgermeisters  Horu.*)  Dennoch  wurde  von  Baer,  den  man  für  immer  an 
die  Albertina  gefesselt  glaubte,  seine  Stellung  schliesslich  verleidet,  zunächst  durch  körper- 
liche Beschwerden  in  Folge  von  Ueberarbeitung,  die  ihn  auch  gemüthlich  niederdrückten  und 
gegen  allerlei  persönliche  Differenzen,  die  er  sonst  leicht  genommen  hatte,  empfindlich 
machten,  und  weiterhin  dui'ch  Meinungsverschiedenheiten  mit  dem  Ministerium  über  die  Kosten 
seiner  Untersuchungen    über    die  Entwickelung    der    Säugethiere.      1834  knüpfte  er  in  Folge 


1)  Vgl.  V.  Baer,  S.  163. 

2)  V.  Baer,  S.  339  f. 

3)  Vgl.  oben  S.  86. 

4)  V.  Baer,  S.  366  S. 


126 

dessen  die  abgebrochenen  Verhandlungen  mit  der  Akademie  zu  Petersburg  wieder  an  und 
leistete  einem  Rufe  doi'thin  noch  in  demselben  Jahre  Folge.  Sein  Nachfolger  auf  dem  Lehr- 
stuhl der  Anatomie  und  Zoologie  wurde  Martin  Heinrich  Rathke,')  bekannt  namentlich 
durch  anatomische  und  embryologische  Untersuchungen,  durch  deren  Weiterführung  auch  in 
seinem  neuen  Wirkungskreise  er  sich  um  die  von  seinem  Vorgänger  begründete  Entwicke- 
lungsgeschichte  verdient  machte. 

Das  langjährige  Zusammenwirken  so  hervorragender  Vertreter  der  verschiedenen 
Zweige  der  Naturwissenschaften,  wie  es  der  Albertina  seit  dem  Ausgange  der  20er  Jahre  be- 
schieden war,  kam  selbstverständlich  dem  Betrieb  der  naturwissenschaftlichen  Studien  über- 
haupt entscheidend  zu  Gute,  insofern  mehr,  als  es  sonst  wohl  der  Fall  zu  sein  pflegte,  auf  ein 
wirksames  Ineinandergreifen  der  verschiedenen  Fächer  und  ein  methodisches  Zusammenarbeiten 
gesehen  wurde.  Bereits  am  15.  September  1828  richteten  von  Baer,  Neumann,  Meyer  und 
Dove  an  das  Ministerium  eine  Denkschrift,  durch  die  sie  die  Errichtung  eines  »Seminars 
für  die  gesammten  Naturwissenschaften"  beantragten.  Sie  sprachen  darin  die  üeber- 
zeugung  aus,  ^dass  die  Naturwissenschaften  ein  wenigstens  ebenso  wichtiges  Element  für  die 
allgemeine  Volksbildung  seien  als  die  historisch-grammatischen  Studien  und  dass  insbesondere 
der  Preussische  Staat,  der  so  viel  für  die  Ausbildung  der  Naturwissenschaften  wirke,  dazu  be- 
rufen sei,  sie  auch  in  die  Volksbildung  allgemein  einzuführen,"  und  fanden,  „dass  der  An- 
spruch der  Naturwissenschaften  auf  allgemeine  Geltung  nur  deshalb  noch  nicht  zur  Anerken- 
nung gebracht  sei,  weil  bisher  nur  wenige  Schulmänner  in  diesem  Fache  gut  unteiTichtet 
worden  seien."  Den  Zweck  des  neuen  Instituts  bestimmten  sie  demnach  im  Anschluss  an  das 
Reglement  der  in  Bonn  errichteten  Anstalt  gleicher  Art  dahin,  es  solle  überhaupt  zu  gründ- 
licherem Naturstudium  anleiten,  insbesondere  aber  Lehrer  der  Naturwissenschaften  für  Gym- 
nasien und  Bürgerschulen  bilden,  fähig  die  Wissenschaft  nicht  nur  fortzupflanzen,  sondern  auch 
zu  erweitern.  Obgleich  das  Ministerium  sich  bereits  am  23.  Februar  1829  mit  dem  Antrage 
einverstanden  erklärte,  unterblieb  die  Ausführung  doch  wegen  Geldmangels.  Die  nöthigen 
Mittel  fanden  sich  erst,  als  nach  dem  Fortgange  Herbarts  das  pädagogisch-didaktische  Seminar 
einging  und  die  bisher  für  dieses  ausgeworfenen  1060  Thaler  jährlich  verfügbar  wurden.  Der 
Senat  wurde  zu  einem  Gutachten  aufgefordert:  von  Baer  aber  erklärte,  wenn  der  Senat  nicht 
ihn,  Meyer,  Neumann  und  Moser  mit  der  Erstattung  beauftragen  würde,  ein  solches  Gutachten 
als  jeder  Sachkenntuiss  entbehrend  nicht  anerkennen  zu  können.^)  Dann  vrurde  wieder  durch 
von  Baers  Berufung  nach  Petersburg  eine  Verzögerung  veranlasst,  da  man  die  Sache  nicht 
ohne  seines  Nachfolgers  Mitwirkung  beginnen  mochte;  Neumann  trat  von  der  beabsichtigten 
Betheiligung  zurück,  während  der  Chemiker  Dulk  sich  anschloss.  Nach  Rathkes  Ein- 
treffen wurde  das  Seminar  endlich  zu  Beginn  des  W.S.  1835/36  mit  zwölf .  Theilnehmern 
eröffnet,  in  vier  Sectionen  für  Physik,  Chemie,  Botanik  und  Zoologie,  deren  jede  von  dem  be- 


1)  Geb.  25.  August  1793  zu  Danzig,  seit  1814  in  Göttingen,  namentlich  durch  Blumenbach  und 
in  Berlin  gebildet,  praktischer  Arzt  und  seit  1825  Oberarzt  am  Städtischen  Lazareth  in  Danzig,  in  Folge  s 
ausgezeichneten  wissenschaftlichen  Arbeiten  1829  0.  der  Physiologie  und  allgemeinen  Pathologie  in  Dorpat,  T 
aber  gleichzeitig  auch  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  trieb. 

2)  S.  131. 


127 

treffenden  Ordinarius  geleitet  wurde.')  1836  erschien  der  erste  Jahresbericht  über  seine 
Thätigkeit.  Im  April  1839  trat  dann  unter  Neumann  ein  besonderes  mathematisch-physika- 
lisches Seminar  ins  Leben,  für  das  zunächst  350  Thaler  jährlich  ausgeworfen  wurden  und 
dessen  Thätigkeit  nach  den  bereits  im  Februar  1834  gemachten  Vorschlägen  Jacobis,  Neu- 
manns und  Sohnckes  geregelt  wurde. 

3.  Die  philologisch-historischeu  Studien. 

Hat  die  Albertiua  in  den  vierzig  Jahren  nach  Kants  Tod  in  der  Entwickelung  der 
Mathematik  und  der  Naturwissenschaften  eine  führende  Stellung  eingenommen,  so  hat  sie  sich 
doch  auch  um  die  Förderung  der  von  altersher  im  Centrum  des  akademischen  Studiums  ste- 
henden philologischen  Disciplinen  grosse  Verdienste  erworben:  von  den  ihr  augehörigen  Vei"- 
tretern  dieses  Fachs  sind  einige  zu  höchstem  wissenschaftlichen  Ruhme  gelangt,  und  neue 
Wissenschaftszweige,  die  in  der  Folge  zu  der  grössten  Zukunft  berufen  waren,  haben  mit 
zuerst  an  ihr  Anerkennung  und  Pflege  als  vollberechtigte  Gegenstände  des  planmässigeu  aka- 
demischen Unterrichts  gefunden.  Zusammen  mit  den  Wandlungen,  welche  die  Vorbildung  für 
das  höhere  Schulamt  eben  in  jenen  Jahren  erfuhr,^)  hat  dieser  Umstand  nicht  bloss  die  Art 
des  philologisch-historischen  Studienbetriebes,  der  bisher  überwiegeud  den  Interessen  der 
allgemeinen  Bildung  gedient  hatte,  allmählich  umgestaltet,  sondern  auch  Charakter  und  Be- 
deutung der  philosophischen  Facultät  geändert.  Die  Zahl  der  Philosophen,  im  W.S.  1811/12 
nur  10,  betrug  1820  bereits  26,  S.S.  1820  82  und  erreichte  langsam  wachsend  (W.S.  1835/36  95, 
S.S.  1837  110)  im  W.S.  1838/39  mit  131  bei  insgesaramt  405  Studirenden  ihren  Höhestand 
in  dieser  Periode. 

Als  Nachfolger  Süverns')  war  Anfang  1810  Karl  Gottlob  August  Erfurdt*)  berufen 
worden.  Aber  er  war  in  dem  neuen  Wirkungskreise  noch  kaum  heimisch  geworden,  als  er,  alle  Zeit 
unter  dem  rauhen  ostpreussischen  Klima  leidend,  am  5.  Februar  1813  einer  Brustentzündung  erlag. 
An  seine  Stelle  trat  ein  Mann,  der  sine  der  grössten  Zierden  der  Albertina  zu  werden  be- 
rufen war  und  neben  den  so  rasch  erblühenden  exacten  Wissenschaften  für  die  classische 
Philologie  ihren  alten  Ehrenplatz  behauptete.  Am  11.  März  1814  im  Hauptquartier  zu  Chaumont 
ist  das  Königliche  Patent  vollzogen,  durch  das  Christian  August  Lobeck  (geb.  5.  Juni  1781 
zu  Naumburg)  zum  0.  der  classischen  Philologie  und  Redner  der  Universität  bestellt  wurde  mit 
dem  für  jene  Zeit  hohen  Gehalt  von  1000  Thalern  und  44  Scheffeln  Roggen.  Zuerst  in  Jena  als 
Jurist,  dann  in  Leipzig  Anfangs  als  Theologe  studirend,  hatte  sich  Lobeck  ganz  der  Philologie 
zugewandt  unter  dem  Einfluss  Gottfried  Hermanns  (geb.  1772,  gest.  1848),  mit  dem  er  sein 
Leben  lang  eng  verbunden  blieb.  1802  hatte  er  als  Magister  legeus  (PD.)  in  Wittenberg  über 
römische  und  griechische  Classiker  zu  lesen  begonnen  und  war  bald  Adjunct  der  philoso- 
phischen Facultät  geworden.  Die  Kriegsnoth  zwang  ihn  seine  Existenz  durch  Annahme  eines 
Schulamtes  sicher  zu  stellen.  Aber  nach  dem  Erscheinen  seiner  Ajax- Ausgabe  1809  wurde 
er  EO.  und  bald  darauf  überzähliger  0.     Da  erhielt  er  den  Ruf,  seinen  Studienfreund  Erfurdt 

1)  Curator.  A.  110. 

2)  Vgl.  S.  108—9. 

3)  Vgl.  S.  22. 

4)  Vgl.  S.  33. 


128 

in  Königsberg  zu  ersetzen.  Daneben  übernahm  er  im  Februar  1816  das  Amt  eines  dritten 
Bibliothekars  mit  166  Thalern  Gehalt  und  Amtswohnung,  von  dem  aus  er  in  der  Folge  bis 
zum  Oberbibliothekar  der  Königlichen  und  Universitätsbibliothek  aufstieg.  Fast  ein  halbes 
Jahrhundert  hat  Lobeck  der  Albertina  angehört.  In  der  Geschichte  der  Philologie  nimmt  er 
einen  hervorragenden  Platz  ein.  Mag  er  auch  bei  der  verhältnissmässigen  Entlegenheit  und 
Schwierigkeit  des  von  ihm  vorzüglich  angebauten  Gebiets  nicht  so  unmittelbar  auf  weite  Kreise 
gewirkt  haben  wie  etwa  ein  Gottfried  Hermann  oder  ein  August  Böckh:  als  ebenbürtiger 
und  hochverehrter  Genosse  gehört  er  dem  Kreise  der  Männer  an,  die  in  den  nächsten  drei  Jahr- 
zehnten die  Wissenschaft  des  classischen  Alterthums  für  Deutschland  und  die  gebildete  Welt 
neu  begründeten  und  dadurch  die  allgemeine  Bildung  namentlich  in  Deutschland  auf  die  breite 
humanistische  Grundlage  zurückführten,  der  sie  im  Zeitalter  des  Humanismus  und  der  Refor- 
mation ihre  Blüthe  zu  danken  gehabt  hatte  und  deren  Berechtigung  damals  auch  noch  von  den 
begeistertsteu  Vertretern  der  exacten  Wissenschaften  neidlos  anerkannt  wurde.  Von  dem,  was 
Lobeck  als  Lehrer  und  Gelehrter  geleistet,  haben  längst  dankbare  Schüler  an  anderer  Stelle  Bericht 
erstattet:  hier  genügt  es,  nur  noch  an  das  zu  erinnern,  was  er  im  Uebrigen  der  Albertina  gewesen  ist, 
namentlich  in  seiner  Eigenschaft  als  Professor  eloquentiae  oder,  wie  er  gern  sagte,  als  os  acade- 
micum,  bei-ufen  auch  in  trüben  Zeiten  bei  officiellen  Festlichkeiten  die  Ehre  der  Universität  und  die 
Würde  der  Wissenschaft  zu  wahren.  Und  mit  welcher  Meisterschaft  hat  er  das  gethan!  —  ohne 
aufdringliche  Hereinziehung  der  Zeitverhältnisse,  aber  auch  nie  gleichgültig  oder  liebediene- 
risch genug,  sie  unberührt,  ungerügt  oder  unbeklagt  zu  lassen,  unerschöpflich  in  der  Auf- 
findung von  Stoßen,  welche,  ohne  dem  Ernste  der  Wissenschaft  etwas  zu  vergeben,  auch  den 
ungelehrten  Hörer  fesselten  und  ungesucht  lehrreiche  Parallelen  boten  zu  der  Gegen- 
wart.') So  darf  Lobeck  wohl  als  ein  Muster  vornehmster  und  dabei  wirksamster  akademi- 
scher Beredsamkeit  hingestellt  werden.  Maassvoll  in  seinen  Ansichten,  aber  muthig  in  der 
Vertretung  seiner  Ueberzeugung,  hat  er  in  langen  Jahren  auch  als  Verfasser  der  meisten  der 
vom  Senat  und  von  der  philosophischen  Facultät  erlassenen  Adressen,  Glückwünsche  und 
Dankschreiben,  Diplome  und  Bei'ichte  an  das  Ministerium  auf  einem  zeitweise  besonders 
schwierigen  Gebiete  die  Universität  würdig  vertreten  und  auch  seinen  Gegnern  durch  die 
Unantastbarkeit  seines  Wesens  Achtung  abgenöthigt.  Lobecks  Leistungen  erscheinen  noch 
bedeutender,  wenn  man  bedenkt,  dass  er  Jahrzehnte  hindurch  allein  die  ganze  Last  des 
philologischen  Unterrichts  zu  tragen  hatte,  in  die  sich  heute  drei  Ordinarien  und  ein  Extra- 
ordinarius theilen,  alljährlich  mehrere  gelehrte  Programme  schrieb  und  dabei  doch  noch 
durch  eigene  Werke  tiefster  Forschung  in  epochemachender  Weise  an  dem  Fortschritte 
seiner  Wissenschaft  mitarbeitete,  vor  Allem  durch  seinen  Aglaophamus,  „diesen  Brunn- 
quell, aus  dem  das  junge  Volk  der  Philo-  und  Mythologen  lange  Zeit  schöpfen  wird",  wie 
sein  Freund  Hüllmann  begeistert  schrieb.^)  So  hatte  er  denn  gewiss  ein  Recht,  wenn  er 
einmal  scherzend   an  Meineke   schrieb :    „Seit  Professor  Vater   davon   gegangen   ist,    bin    ich 


1)  Vgl.  A.  Lehnerdt,  Auswahl  aus  Lobecks  akademischen  Reden.  Berlin  1865.  —  L.  Fried- 
länder,  Mittheilungen  aus  Lobecks  Briefwechsel.  Leipzig  1881.  —  A.  Ludwicli,  Ausgewälilte  Briefe  von 
Lobeck  und  Lehrs  (1894). 

2)  Ludwich,  S.  118. 


129 

derjenige  M:iun,  der  das  Meiste  zu  thun  hat  von  allen  Leuten  in  Ostpreussen,  Westpreussen 
und  Lithauen:  denn  ich  bin  orator  publicus,  bibliothecarius  maximus  (nach  römischem  Sprach- 
gebrauch) und  Censor  von  allen  möglichen  philologischen  Werken.'")  Dass  er  die  Zierde 
und  der  Stolz  der  Albertina  war,  kam  auch  in  den  mannigfachen  und  hohen  Ehren  zum 
Ausdruck,  die  dem  schlichten  Manne,  der  sich  gemäss  seinem  Wahlspruch  „Vive  latenter", 
^ä&£  ßiwaas^)  gern  in  die  Stille  zurückzog,  im  Laufe  der  Jahre  zu  Theil  wurden.  Seit  1832 
ordentliches  Mitglied  der  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften,^)  wurde  er,  nachdem  er  einen 
Euf  nach  Leipzig  als  Nachfolger  seines  Lehrers  Beck  abgelehnt  hatte,*)  im  April  1833  Ge- 
heimer Regierungsrath;  bei  dem  Jubiläum  der  Universität  1844  erhielt  er  den  Rothen  Adler- 
orden 2.  Klasse  mit  Brillanten.  Das  wollte  damals  um  so  mehr  besagen,  als  Lobeck,  ein 
Feind  alles  Eingreifens  in  das  eben  mächtiger  erregte  öffentliche  Leben,  bei  der  rückhaltlosen 
Offenheit  seines  Wesens  und  der  Unbestechlichkeit  seines  ürtheils  doch  vorher  und  nachher 
niemals  Bedenken  getragen  hat,  seine  Meinung  über  die  politischen  Fragen  der  Zeit  mit 
aller  Entschiedenheit  auszusprechen,  und  dazu  namentlich  oft  die  bei  den  akademischen  Fest- 
acten  von  ihm  gehaltenen  Reden  benutzt  hat.  Ein  abgesagter  Gegner  jeder  Art  von  Hierarchie, 
hat  er  aber  auch  der  akademischen  Jugend  gegenüber  das  Banner  des  Ideals  hochgehalten 
und  sich  bemüht,  sie  vor  den  Verirrungen  eines  bloss  auf  schnellen  Erwerb  und  Genuss  gerich- 
teten Brotstudiums  zu  bewahren.^) 

Aber  auf  die  Dauer  war  selbst  Lobeck  den  Anforderungen  nicht  gewachsen,  die  so 
verschiedenartige  Verpflichtungen  mit  sich  brachten.  Zwar  hatte  der  seit  1810  das  Fried- 
rich scollegium  dirigirende  Friedrich  August  Gotthold  (geb.  2.  Januar  1778  zu  Berlin, 
gest.  25.  Juni  1858  in  Königsberg),  als  Philologe  Schüler  F.  A.  Wolfs,  nach  Erfurdts  Tod  pro- 
visorisch das  philologische  Seminar  geleitet,  von  der  philosophischen  Facultät  Ehren  halber 
zum  Doctor  promovirt,  eine  dauernde  akademische  Thätigkeit  jedoch  machte  ihm  sein  Schul- 
amt unmöglich.  Erst  1818  erhielt  Lobeck  einen  Gehülfen  in  Karl  Lachmann  (geb.  4.  März 
1793  in  Braunschweig):  in  Leipzig  durch  Gottfried  Hermann  und  in  Göttiugen  dm-ch 
Dissen  gebildet  und  durch  Benecke  der  altdeutschen  Litteratur  zugeführt,  aber  auch  mit  den 
modernen  Sprachen  vertraut,  hatte  Lachmann  an  dem  Feldzug  1815  theilgenommen  und  war 
dann  an  dem  Friedrichs-Werderschen  Gymnasium  in  Berlin  angestellt.  Durch  seine  Properz- 
ausgabe 1816  alsbald  in  die  erste  Reihe  der  Philologen  getreten,  habilitirte  er  sich  durch 
die  berühmte  Schrift  ,,Ueber  die  ursprüngliche  Gestalt  des  Gedichts  von  der  Nibelungen 
Noth"  an  der  dortigen  Universität.  Anfang  1818  wurde  er  als  zweiter  Oberlehrer  an  das 
FriedrichscoUeg  berufen  und,  nachdem  er  es  abgelehnt  hatte,  sich  gegen  eine  jährliche  Remu- 
neration von  200  Thalern  neben  dem  Schulamt  zu  habilitireu,''')  mit  der  bisher  von  Delbrück') 


1)  Friedländer,  Aus  Lobecks  Briefwechsel,  S. 

2)  Ludwich,  S.  123. 

3)  Ludwich,  S.  167. 

4)  Ebd.  S.  144,  147. 

5)  Lehnerdt,  S.  G3. 

fi)  M.  Hertz,  Lachmann,  S.  44  IT. 
7)  Vgl.  S.  23. 


130 

bekleideten  ausserordentlichen  Professur  für  Kritik,  Theorie  und  Litteratur  der  schönen  Künste 
betraut,  die  nunmehr  zu  einer  philologischen  Hülfsprofessur  wnrde,  und  zwar  einer  dem  Lehr- 
gebiet nach  ungewöhnlich  umfassenden.  Denn  neben  der  classischen  Litteratur  behandelte 
Lachmann  in  seinen  Vorlesungen  altdeutsche  Grammatik  und  mittelalterliche  Dichtwerke, 
so  dass  die  Albertina  eine  der  ersten  Universitäten  war,  wo  die  junge  germanistische  Wissen- 
schaft Bürgerrecht  gewann.  Wie  es  mit  den  Lehrerfolgen  Lachmanus  bestellt  war,  ist  nicht 
recht  ersichtlich:  wiederholt  laut  werdende  Klagen,  dass  er  Lobeck  nicht  hinreichend  unter- 
stütze, und  die  einmal  in  Aussicht  gestellte  Ernennung  eines  dazu  bereitwilligem  und  geschick- 
tem Coucurrenten')  lassen  vermuthen,  dass  er  seine  Zeit  mehr  der  eigenen  Forschung  zuwandte. 
Zudem  wurde  er  für  das  S.S.  1824  zu  einer  Studienreise  nach  Berlin,  Wolfenbüttel,  Kassel, 
München  und  St.  Gallen  beurlaubt  und  mit  dem  Schluss  des  W.S.  1824/25  als  EO.  nach  Berlin 
versetzt.  Mit  den  Königsberger  Genossen  aber  blieb  er  im  regsten  geistigen  Verkehr  und 
namentlich  mit  Lehrs  durch  herzliche  Freundschaft  verbunden.*)  Den  classisch-philologischen  Theil 
seiner  Wirksamkeit  an  der  Albertina  übernahm  einer  der  ältesten  Schüler  Lobecks,  Fried- 
rich Theodor  EUendt  (geb.  6.  Januar  1796  in  Kolberg,  gest.  11.  Mai  1855  als  Director 
des  Gymnasiums  in  Eislebeu),  der,  seit  1819  habilitirt  und  daneben  als  Oberlehrer  an  dem  Alt- 
städtischen Gymnasium  angestellt,  jetzt  EO.  wnirde,  aber  natürlich  durch  die  Ansprüche 
seines  Hauptamts  in  seinem  akademischen  Wirken  vielfach  gehindert  wurde.  Mit  ähnlichen 
Schwierigkeiten  hatte  auch  der  spätere  Nachfolger  seines  Lehrers  Lobeck  zu  kämpfen,  Karl 
(eigentlich  Kaufmann)  Lehrs, ^)  welcher,  seit  1825  als  Lehrer  am  Friedrichscollegium  ange- 
stellt, sich  im  October  1831  habilitirte  und  nach  Ellendts  Abgange  am  16.  December  1835 
zum  EO.  ernannt  wurde.  Gleich  ausgezeichnet  als  Lehrer  und  als  Forscher,  bahnbrechend 
namentlich  für  die  Homerkritik  durch  sein  1833  erschienenes  Werk,  „De  Aristarchi  studiis 
Homericis,"')  wurde  er  von  der  Facultät  bereits  im  Januar  1841  zu  der  längst  als  nothwendig 
erkannten  zweiten  ordentlichen  philologischen  Professur  vorgeschlagen.  Aber  erst  mit  dem 
Beginn  ihres  vierten  Jahrhunderts  sollte  die  Albertina  „einen  Mann  von  so  eminentem  Talent, 
so  gediegener  Gelehrsamkeit,  so  werthvollen  Leistungen"^)  ganz  für  sich  gewinnen. 

Auf  einen  fruchtbaren  Boden  war  Lachmanns  Thätigkeit  im  germanistischen  Gebiete 
gefallen.  Vielleicht  mehr  noch  als  unter  den  Studirenden  machte  sich  Interesse  für  die  ältere 
deutsche  Sprache  und  Litteratur  damals  in  den  gebildeten  bürgerlichen  Kreisen  geltend.  Wie 
allen  nationalen  Bestrebungen  so  brachte  auch  dieser  namentlich  der  warmherzige  J.  G.  Scheffner 
ein  enthusiastisches,  auf  energische  Bethätigung  drängendes  Interesse  entgegen :  sein  gesunder 
Blick  erkannte,  welchen  Schatz  es  hier  für  die  nationale  Bildung  zu  heben  galt,  und  er  trat 
daher  in  eine  lebhafte  Agitation    ein  für  die  Erhaltung    der  alten  Denkmäler    der    deutschen 

1)  Vgl.  S.  HO. 

2)  Vgl.  Ludwich  a.  a.  0. 

3)  Geb.  14.  Januar  1802  in  Königsberg,  nach  Absolvirung  seiner  Studien  als  Lieblingsschüler  Lobecks 
unter  Meineke  Lehrer  am  Gymnasium  und  dann  Hauslehrer  zu  Danzig  und  dann  kurze  Zeit  zu  Marienwerder 
(vgl.  S.  113-14)  beschäftigt. 

4)  Vgl.  die  Anregung  Laehmanns  in  dem  Brief  vom  30.  November  1823  bei  Ludwich,  S.  44. 

5)  Schreiben  der  Facultät  an  den  Minister  am  17.  December  1844  mit  erneutem  Antrag  auf  Lehrs'  Er- 
nennung zum  Ordinarius. 


131 

Sprache.  Bereits  im  April  1818  halte  er  eiue  Denkschrift  an  den  König  gerichtet  mit  der 
Bitte  um  Bewilligung  der  uöthigen  Mittel  —  erst  fünf  Jahre  lang  je  3000  Thlr.,  dann 
wenigstens  einmal  3000  Thlr.  —  sowie  um  Urlaub,  freie  Post  und  600  Thaler  für  den  seit  1810 
am  Friedrichscollegium  angestellten  Oberlehrer  Friedrich  Karl  Köpke/)  der  nach  Heidelberg 
gehen  sollte,  um  von  den  dort  befindlichen  altdeutschen  Manuscripten  für  die  Königsberger 
Bibliothek  Abschriften  anzufertigen.  Sein  „Vorwort  für  die  deutschen  Musen  hatte  jedoch 
keine  gute  Stätte  gefunden".  Die  erbetenen  Gelder  hatte  Scheffner  namentlich  „zum  Abdruck 
altdeutscher  Gedichte  und  zur  Anfertigung  eines  vollständigen  Glossariums  über  unsere 
herrliche  Sprache"  verwendet  sehen  wollen.^)  Gerade  diese  Aufgabe  wurde  nachmals  von 
Königsberg  aus  in  Angriff  genommen.  Ende  des  Jahres  1823  erhielt  der  Regierungsrath 
Eberhard  Gottlieb  Graff,^)  der  1820  wegen  Kränklichkeit  ohne  Amt  in  seine  Heimath 
zurückgekehrt  war  und  sich  auf  Anregung  der  Gebrüder  Grimm  und  in  lebhaftem  Verkehr 
mit  Lachmanu  ganz  altdeutschen  Studien  gewidmet  hatte,  nachdem  er  kurz  zuvor  in  Königs- 
berg promovirt  hatte,  von  dem  Ministerium  die  Erlaubniss  zu  Vorlesungen  über  deutsche 
Sprache  und  Litteratur,  Pädagogik  und  Diplomatik.  Er  begann  sie  am  21.  Januar  1824  vor 
22  Zuhörern,  darunter  Männern  wie  Gotthold,  Director  Neumann  u.  a.,  musste  sie  aber  schon 
im  Juni  Krankheits  halber  einstellen.  Doch  wurde  er  bereits  im  August  zum  EO.  ernannt. 
Im  Interesse  des  von  ihm  vorbereiteten  altdeutschen  Wörterbuchs  beurlaubt,  brachte  Grafi"  das 
Jahr  1825  in  Paris  zu.  Zurückgekehrt,  wurde  er  den  7.  November  1827  zum  0.  ernannt, 
.erhielt  aber  theils  wegen  andauernder  Kränklichkeit,  theils  zur  Vollendung  seines  Werkes  im 
Sommer  1829  unter  Belassung  seines  Gehalts  unbestimmten  Ui-laub  und  wurde  endlich  Ende 
1832  nach  Berlin  versetzt.  Nachher  aber  fand  er  für  seinen  nach  Wurzeln  geordneten  „Alt- 
deutschen Sprachschatz"  keinen  Verleger,  und  das  ti'otz  mancher  Mängel  hochverdienstliche 
Werk  selbstverleu^nendsten  Pleisses  hätte  vielleicht  niemals  das  Licht  der  Oeffentlichkeit  er- 
blickt, wenn  nicht  der  Rector  magnificentissimus  der  Albertina,  Kronprinz  Friedrich  Wilhelm, 
die  Druckkosten  auf  seine  Schatulle  übernommen  hätte.  So  erschienen,  mit  gutem  Rechte  den 
wissenschaftlichen  Leistungen  speciell  der  Königsberger  Universität  zugerechnet,  die  fünf 
ersten  Bände  1834,  36,  37,  38  und  40;  Band  VI  wurde  erst  nach  Graffs  Tode  (18.  October 
1841)  durch  Massmann  veröffentlicht.  Seit  dem  S.S.  1835  las  als  EO.  der  deutschen  Litteratur  der 
Schulrath  Christian  Theodor  Ludwig  Lucas,*)  ein  Mann  ohne  eigentlich  fachwisseuschaft- 
liche  Gelehrsamkeit,  der  sich  zudem  eifrig  bemühte,  die  burschenschaftlichen  Verirrungen 
seiner  Jugend  vergessen  zu  machen,  und  in  den  kirchlichen  und  politischen  Controversen  der 
vierziger  und  fünfziger  Jahre  durch  die  eifrige  Bethätiguug  seiner  neuen  Ueberzeugung  auch 
zu  seinen  akademischen  Collegen  in  schroffen  Gegensatz  gerieth.^) 

1)  Gteb.  19.  März  1785,  gest.  15.  März  1865  zu  Berlin,  wo  er  1817—57  als  Profe.ssor  am  Joachims- 
thaler  Gymnasium  gewirkt  hatte. 

2)  Schefifner,  Nachliefenmg  S.  12  (Note  25);  vgl.  Beilage  G. 

3)  Geb.  10.  März  1780  zu  Elbing,  in  Königsberg  gebildet,  1805  liehrer  am  Gymnasium  und  Director 
einer  Töchterschule  in  seiner  Vaterstadt,  1810  Schulrath  in  Marienwerder,  1814  in  Arnsberg  und  Coblenz,  nach- 
dem er  1813  dem  Centralausschuss  unter  Stein  angehört  hatte. 

4    Vgl.  S.  59.  110. 

5)  S.  ßurdach,  S.  467.    Univ.-Act.  B.  (33  gegen  Ende. 

17* 


132 

Aber  nicht  bloss  die  zweite  classisch- philologische  und  die  germanistische  Professur 
sind  demnach  aus  der  einst  von  Lachmann  bekleideten  Professur  der  Theorie,  Kritik 
und  Geschichte  der  schönen  Künste  hervorgegangen,  vielmehr  hat  diese,  dem  Namen  nach 
fortbestehend,  inhaltlich  aber  vresentlich  gewandelt,  noch  eine  andere  werthvoUe  Erweiterung 
und  Bereichei'ung  des  akademischen  Forschungs-  und  Lehrbetriebes  für  die  Albertina  herbei- 
geführt. Sie  erhielt  nämlich  nach  Lachmanns  Fortgang  im  Mai  1825  der  seit  1821  habilitirte, 
aber  erst  nach  längerer,  durch  eine  Studienreise  nach  Berlin,  Göttingen,  Dresden,  München,  Florenz 
und  Eom  veranlasster  Abwesenheit  1823  zum  Lesen  gekommene  Dr.  Ernst  August  Hagen 
(geb.  12.  April  1797),  indem  er  zugleich  zur  Erleichterung  Lobecks  ein  für  allemal  mit  dessen 
Vertretung  als  akademischer  Eedner  beauftragt  wurde.  Ein  jüngerer  Sohn  Karl  Gottfried 
Hagens,^)  hatte  sich  dieser  in  Königsberg  unter  Johannes  Voigt  geschichtlichen  Studien  ge- 
widmet, seinen  Lehi-er  auch  als  Hülfsarbeiter  auf  den  Reisen  begleitet,  die  er  mit  Staatshülfe 
unternahm,  um  für  die  „Geschichte  Preussens  unter  der  Herrschaft  des  deutschen  Ordens" 
Oertlichkeiten  und  Denkmäler  zu  studiren.  Die  liebevolle  Beschäftigung  mit  den  letzteren 
führte  Ernst  August  Hagen  allmählich  zur  Kunstgeschichte  hinüber.  In  erfolgeichster,  bis  in 
das  höchste  Alter  fast  jugendlich  frischer  und  von  beglückender  Begeisterung  getragener  Thätig- 
keit  hat  er  einem  Königsberg  bisher  ganz  fremden  Studienzweige  hier  die  Stätte  bereitet 
und  über  die  akademischen  Kreise  hinaus  Bürgerrecht  erworben,  indem  er  bei  den  Ge- 
bildeten überhaupt  dafür  Interesse  und  Theilnahme  erweckte  und  rege  erhielt.  Ende  1830 
zum  0.  für  Kunstgeschichte  und  Aesthetik  ernannt,  brachte  er  mit  verhältnissmässig  geringen 
Mitteln  geschickt  und  glücklich  in  dem  von  ihm  angelegten  und  verwalteten  Kupferstichcabinet 
ein  kostbares  Anschauungsmaterial  und  Unterrichtsmittel  zusammen,  das  er  in  liberalster  Weise 
auch  den  bürgerlichen  Kreisen  der  Stadt  zum  Zwecke  kunstgeschichtlicher  und  ästhetischer 
Bildung  zugänglich  machte.  Auch  an  der  späteren  Errichtung  einer  Kunstakademie  in  Königs- 
berg war  er  in  hervorragender  Weise  betheiligt  und  ist  ihr  als  Lehrer  der  Kunstgeschichte 
alle  Zeit  treu  geblieben. 

Um  das  Bild  von  dem  Aufschwung  zu  vollenden,  den  gleichzeitig  mit  der  epoche- 
machenden Entfaltung  der  mathematischen  und  naturwissenschaftlichen  Disciplinen  auch  die 
philologischen  Studien  auf  der  Albertina  nahmen,  mag  noch  des  ersten  Vertreters  der  orien- 
talischen Sprachen  gedacht  werden,  der  diesem  hier  ganz  neuen  Fache,  namentlich  dem  Sanskrit 
und  dem  Persischen,  Bürgerrecht  erwarb  uud  durch  seine  Arbeiten  der  Königsberger  Hoch- 
schule auf  einem  namentlich  im  Auslande  erfolgreich  angebauten  Gebiete  einen  guten  Namen 
gewann,  zudem  durch  seine  Persönlichkeit  und  sein  Schicksal  ergreift  und  rührt.  Als  Sohn 
eines  armen  Bauern  war  Peter  von  Bohlen^)  in  dem  Dorfe  Wüppels  im  Jeverlande 
am  13.  März  1796  geboren;  seine  Jugend  verfloss  dem  früh  Vaterlosen  in  Dürftigkeit  und 
hartem  Druck,  so  dass  1810  bei  der  von  Napoleon  verfügten  Aushebung  zum  Soldaten  nicht 
tauglich  befunden  zu  werden  dem  damaligen  Schneiderlehrling  eine  schmerzliche  Enttäuschung 
war  und  er  geim  den  ihm  angebotenen  Posten  eines  Dieners  bei  einem  französischen  General 


1)  Vgl.  S.  120. 

2)  Autobiographie    des  Professors  Dr.  Peter    von  Bohlen,    herausgegeben   als  Manuscript  von  Johannes 
Voigt      Königsberg  1841. 


133 

amiahm.  Mit  diesem  kam  er  schliesslich  nach  Hamburg  iiud  lilieb  dort,  als  Davoust  die  Stadt 
fendlich  übergeben  musste,  hüli'Ios  zuriick,  so  dass  er  seiueu  Unterhalt  erst  als  Kellner,  dann 
als  Comptoirist  gewinnen  musste.  Sein  ßildungsdrang  aber  brach  sich  Bahn,  erregte  Aufmerk- 
samkeit und  gewann  ihm  Gönner  und  Wohlthäter,  die  dem  19jährigen  den  Besuch  des  Gym- 
nasiums ermöglichten.  Durch  sie  unterstützt,  bezog  er  die  Universität  Halle,  wo  er  Gesenius 
nahe  trat  und  unter  seiner  Leitung  sich  in  das  Studium  der  orientalischen  Sprachen  vertiefte 
und  auch  bereits  mit  Silvestre  de  Sacy  in  briefliche  und  litterarische  Beziehungen  trat,  Dann 
bildete  er  sich  weiter  in  Bonn  unter  A.  W.  Schlegel  in  Sanskrit  und  im  Arabischen  unter 
G.  W.  F.  Freytag  (geb.  1788,  gest.  1861,  der  kurze  Zeit  als  PD.  und  Bibliotheksadjunct 
Königsberg  angehört  hatte),  dann  in  Berlin  unter  Bopp  und  wurde,  durch  sie  und  seine 
ersten  litterarischeu  Leistungen  empfohlen,  1825  von  dem  Ministerium  durch  die  Bewilligung 
von  400  Thalern  jährlich  in  den  Stand  gesetzt  sich  in  Königsberg  zu  habilitiren.')  Die 
Facultät  machte  ihn  am  1.3.  April  1825  zum  Ehrendoctor.  Am  11.  Februar  1826  wurde 
von  Bohlen  BO.,  im  Beginn  des  S.S.  1828  0.  Aber  nicht  bloss  seine  zarte  Gesundheit,  die 
dauernd  unter  dem  rauhen  Königsberger  Klima  litt,  beeinträchtigte  seine  Wirksamkeit:  sein 
Fach  war  für  Königsberg  ganz  neu,  denn  der  frühere  Orientalist  "Vater  war,  immer  mehr 
auf  Nebenwege  gerathend,  zu  einem  Polygraphen  geworden,  und  Wald,  von  Bohlens  nächster 
Vorgänger,  war  durch  Geschäfts-  und  Actenwesen  den  Studien  schliesslich  ganz  entfremdet 
worden.  Die  Bibliothek  war  für  seine  Fächer  durchaus  ungenügend;  Zuhörer  fand  er  höchstens 
für  elementare  Vorlesungen.  Nur  zwei  Schüler  gewann  er,  die  weiter  gingen,  den  Mediciner 
Friedrich  Reinhold  Dietz^)  und  den  späteren  PD.  der  orientalischen  Sprachen  Ernst 
Gustav  Schultz,  der  1849  als  preussischer  Consul  in  Jerusalem  starb.  Von  Bohlens  wissen- 
schaftliche Thätigkeit  aber  wurde  nach  dem  ürtheil  sachkundiger  Fachgenossen  beeinträchtigt 
durch  die  Zersplitterung  seiner  Kraft  auf  die  verschiedensten  Gebiete,  durch  die  Unsicherheit 
der  grammatischen  Grundlage  und  durch  seine  Neigung  zu  übereiltem  Construiren,^)  die  auch 
seinen  mit  Vorliebe  getriebenen  archäologischen  Studien  Abbruch  that.  Nicht  unerwähnt 
darf  bleiben,  dass  von  Bohlen  zuerst  die  Sammlung  der  lilhauischen  Volkslieder  in  Angriff 
nahm.  Eine  Studienreise  nach  England  1831  gewährte  ihm  vielfache  Anregung  und  förderliche 
persönliche  Verbindungen,  während  er  daheim  in  intimer  Freundschaft  mit  Johannes  Voigt 
lebte  und  sich  der  besonderen  Gunst  des  Oberpräsidenten  von  Schön  zu  erfreuen  hatte.  Aber 
sein  unheilbares  Brustleiden  machte  rasche  Fortschritte,  und  von  einem  zweiten  Besuch  in 
England  1837  kehrte  er  so  elend  zurück,  dass  er  nach  Südfränkreich  gehen  musste,  aber  Ge- 
nesung nicht  fand.  Nach  einem  vorübergehenden  Aufenthalt  in  Heidelberg  und  in  Bonn 
nahm  er,  „ein  verdorrter  Baum",  wie  er  sich  selbst  resignirt  nannte,  in  Halle  seinen  Wohnsitz. 
Dort  ist  er  am  6.  Februar  1840  von  hoffnungslosem  Siechthum  durch  einen  sanften  Tod  erlöst 


1)  Vgl    Hüllmann  an  Lobeck  bei  Ludwieh  a.  a.  0.,  S.  55. 

2)  Geb.  1804  zu  Königsberg,  als  Hippokrates-Forseher  ausgezeichnet  und  mit  Staatsunterstiitzung  auf 
Keisen  in  Frankreich,  England,  Italien  und  Spanien  mit  Handschriftstudien  beschäftigt  zur  Geschichte  der 
griechischen  und  arabischen  Medicin  (vgl.  Ludwich,  Lobeck  u.  Lehrs,  S.  114).  1833  EO.  und  Secundärarzt  am 
Stadtkrankenhause,  1835  Direetor  desselben  und  0.,  gest.  5.  Juni  1836. 

3)  Allg    D.  Biogr.  III,  S.  Gl. 


134 

worden.  Ein  Schüler  von  Bohlens  war  auch  Georg  Heinrich  Ferdinand  Nesselmann 
(geb.  24.  Februar  1811  in  Fürstenau  bei  Elbing),  der  seit  1831  in  Königsberg  Mathematik 
studirt,  dann  aber  sich  den  orientalischen  Sprachen  zugewandt  hatte  und  sich  1837  habilitirte. 
Berühmt  wurde  er  durch  seine  1842  erschienene  „Algebra  der  Griechen",  die  neben  Chasles' 
Geschichte  der  Geometrie  (1837)  und  Libris  Geschichte  der  Mathematik  in  Italien  (1838 — 41) 
zu  den  Meisterwerken  gehört,  aus  denen  alle  Nachfolger  auf  dem  gleichen  Gebiete  gelernt  und 
geschöpft  haben.     1853  wurde  er  EO.^) 

Verglichen  mit  den  kühn  vorwärts  eilenden  Naturwissenschaften  und  der  reiche  Ernte 
haltenden  classischen  Philologie  blieb  die  Geschichtswissenschaft  au  der  Albertina  in  jener 
Periode  ihrer  Neubegründung  einigermassen  zurück,  obgleich  in  diese  Zeit  die  bahnbrechende 
Thätigkeit  Rankes  fiel.  Die  gelehrte  historische  Forschung  hatte  in  Königsberg  überhaupt  bis- 
her keine  besondere  Pflege  gefunden,  obwohl  die  Beschäftigung  mit  der  Geschichte  nnter  dem 
Einfluss  der  politischen  Verhältnisse  bald  nach  Kants  Tode  hohe  Bedeutung  nicht  sowohl  für 
die  allgemeine  Bildung  als  für  die  nationale  Erweckung  und  die  politische  Erziehung  der  akademi- 
schen Jugend  erlangt  hatte. ^)  Dies  gab  der  verhältnissmässig  kurzen  Wirksamkeit  Karl  Dietrich 
Hüllmanns^)  ihre  hohe  Bedeutung.  Vergebens  hatte  sich  um  diese  Stelle  Ludwig  von 
Baczko  beworben,*)  der  durch  seine  in  Gemeinschaft  mit  dem  Geheimrath  Schmalz  (1789  bis 
1802  Professor  der  Rechte  in  Königsberg,  gest.  27.  März  1823)  herausgegebenen  „Preussi- 
schen  Annalen"  und  seine  „Preussische  Geschichte"  (Königsberg  1795 — 1800,  6  Bände)  ein  An- 
recht darauf  erworben  zu  haben  meinte,  damit  aber  jetzt  ebensowenig  durchdrang  wie  1787,  wo 
eine  Königliche  Cabinetsordre  vom  5.  März  1786  entschieden  hatte,  von  Baczko  sei  abzu- 
weisen wegen  der  ihm  entgegenstehenden  (d.  h.  Katholiken  ausschliessenden)  Statuten,  von  denen 
eine  Ausnahme  zu  machen  kein  Grund  vorliege.')  Welche  Richtung  man  durch  den  neu  be- 
rufenen Historiker  vertreten  zu  sehen  wünschte,  lässt  neben  der  hei  der  Reorganisation 
der  Albertina  überhaupt  verfolgt-en  Tendenz  namentlich  die  Thatsache  erkennen,  dass  neben 
Hüllmann  u.  a.  auch  Luden  für  die  Stelle  in  Frage  kam.  Ein  Mann  von  grosser  geistiger 
Beweglichkeit,  der  sich  in  mannigfaltiger  Lehrthätigkeit  bewährt  hatte,  mehr  durch  den  münd- 
lichen Vortrag  denn  als  Autor  zu  wirken  berufen,  unberührt  von  den  Verirrungen  der  noch  immer 
nicht  ganz  aus  der  Mode  gekommenen  sogenannten  Geschichtsphilosophie,  ungewöhnlich  veranlagt 
für  die  Praxis  des  Lebens  und  daher  auch  als  Historiker  der  Gestaltung  der  realen  Ver- 
hältnisse in  Staat,  Gesellschaft  und  Wirthschaftsleben  nachzugehen,  bei  streng  conservativer  Ge- 
sinnung voll  patriotischer  Wärme  und  empfänglich  auch  für  die  politischen  Lehren  jener  gewal- 
tigen Zeit:  —  so  war  Hüllmann  in  seltenem  Maasse  befähigt,  die  Geschichte  als  ein  Mittel 
der  allgemeinen  Bildung,  zur  Stärkung  des'nationalen  Sinnes  und  Erweckung  patriotischer  Opfer- 
freudigkeit zu  vertreten  und  dabei  in  den  allgemeinen  Angelegenheiten  der  Universität  durch 
das  schnell  gewonnene  Vertrauen   seiner  Collegen    eine    einflussreiche   Stellung    zu    erlangen. 


1)  Allg.  D.  Biogr.  XXIII,  S.  445-46. 
2).  Vgl.  S.  107. 

3)  Vgl.  S.  23. 

4)  Tgl.  S.  55. 

5)  T.  Baczko,  Mein  Leben  III.     Acten  der  philos.  Fac.  A.  I.  Adhibenda  1. 


135 

Beides  hat  er  in  hervorragendem  Maasse  geleistet:  als  Inspector  des  Collegium  Albertinum  und 
Mitglied  des  Senats  hat  er  in  jenen  schweren  Jahren  zur  Erhaltung  und  Verbesserung  der 
Albertina  wesentlich  beigetragen.  Dazu  halfen  auch  der  Einfluss  und  das  Ansehen,  dessen  er 
sich  über  die  akademischen  Kreise  hinaus  erfreute.  Mit  seiner  „durch  Witz  und  Liebreiz  gleich 
ausgezeichneten  Gattin"  war  er  „eine  Zierde"  des  auserwählten  Kreises,  der  sich  zur  Thee- 
stunde  im  Hause  des  Universitätscurators  von  Auerswald  zu  versammeln  pflegte,  und  „wusste 
dem  Gespräch  stets  eine  höhere  Wendung  zu  geben."')  Innige  Freundschaft  verband  ihn  mit 
dem  „Königsberger  Patriarchen",  Johann  Georg  Scheffner,  der  ihn  mit  der  Herausgabe  seiner 
Selbstbiographie  beauftragte  und  ihm  nach  seinem  Tode  die  Verfügung  über  seine  sämmt- 
lichen  Papiere  anvertraute.  Bei  ersterer  hat  sich  Hüllmann  nachmals  freilich  sehr  von  der 
Rücksicht  auf  die  ungünstigen  Zeitverhältnisse  beeinflussen  lassen  und  manche  von  den  frei- 
müthigen  und  oft  derben  Aeusserungen  des  alten  Herrn  unterdrückt,  allerdings  nicht  entfernt 
in  dem  Maasse,  wie  E.  M.  Arndt  ihm  in  seinem  Unmuth  Schuld  gab.  Als  Director  der  Deut- 
schen Gesellschaft  gab  er  dieser  1810  eine  neue  Einrichtung,  so  dass  J.  G.  Scheffner  hoffte, 
,,sie  werde  in  der  Folge  auf  einem  für  deutsche  Bildung  erspriesslichen  Wege  wandeln."^) 
Auch  dem  Kronprinzen  trat  Hüllmanu  nahe,  indem  er  beauftragt  wurde,  ihm  geschichtliche 
Vorträge  zu  halten.  Nur  mit  dem  rauhen  ostpreussischen  Klima  konnte  sich  seine  zarte 
Natur  nicht  befreunden.  Schon  war  er  daher  1817  im  Begriff  als  Nachfolger  Wilkens  nach 
Heidelberg  zu  gehen,  obgleich  er  nur  mit  schwerem  Herzen  sich  von  dem  ihm  theuren  preussi- 
schen  Staate  löste,  als  ihn  die  Regierung  dauernd  für  diesen  gewann  durch  die  Zusage  einer 
Professur  an  der  eben  in  der  Errichtung  begriffeneu  Universität  in  Bonn.  Mit  allgemeinem 
Bedauern  sah  man  den  trefflichen  Mann  scheiden:  „Wir  haben  unendlich  viel  an  ihm  vei-- 
loren,"  schrieb  damals  der  ihm  besonders  innig  verbundene  Lobeck  an  Meineke.^) 

Neben  Hüllmann  hatte  seit  dem  W.S.  1811/12  Ernst  Hennig,  ein  Sohn  des  am 
23.  September  1809  verstorbenen  Professors  der  Theologie  und  Pfarrers  am  Löbenicht,  zu- 
gleich Präsidenten  der  Deutscheu  Gesellschaft  und  Verfassers  eines  ,,Preussischen  Wörter- 
buches", als  EO.  historische  Hülfswissenschaften  gelehrt.  Er  hatte  Theologie  studirt,  war 
Mentor  des  Prinzen  Friedrich  Wilhelm  von  Holstein- Beck  gewesen  und  hatte  als  Pfarrer  zu 
Schmauch  bei  Pr.  Holland  ein  Pensionat  für  Söhne  angesehener  Familien  gehalten  (in  dem 
u.  a.  der  junge  Max  von  Schenkendorf  eine  unerquickliche  Zeit  verbracht  hatte).*)  Er  war 
dann  Director  des  Geheimen  Staatsarchivs  in  Königsberg  geworden,  in  welcher  Eigenschaft 
er  die  erste  Ausgabe  der  Deutschordensstatuten  besorgte  und  die  Preussische  Chronik  des 
Lucas  David  abdrucken  Hess.  Brustleidend,  starb  er  auf  einer  Reise  in  das  Bad  1815.^) 
Ihm  war  Daniel  Friedrich  Schütz  (geb.  12.  Februar  1780  in  Königsberg,  gest.  29.  Mai 
1817)  gefolgt,  zugleich  als  Vorsteher  des  Staatsarchivs  und  königlicher  Bibliothekar.  Mit 
seinem  Tode    war    die  Geschichte  an    der  Albertina  augenblicklich  ganz  verwaist,   um  gleich 


1)  A.  Hagen,  Max  v.  Sclienkendorf,  S.  30. 

2)  Scheffner,  Mein  Leben,  S.  65. 

3)  Prie dl  ander,  Mittheilungen  aus  Lobeoks  Briefwechsel,  S.  58. 

4)  Hagen  a.  a.  0.,  S.  5—6. 

5)  Scheffner,  Mein  Leben,  S.  225,  N. 


136 

danach    eine  gründliche  Erneuung    zu    erfahren    durch    den  Einti-itt    von  Drumann    und   Jo- 
hannes Voigt. 

Bereits  am  8.  Mai  1817  war  der  PD.  in  Halle  Wilhelm  Karl  August  Drumann 
zum  EO.  in  Königsberg  ernannt.  Am  11.  Juni  1786  zu  Dannstadt  im  Halberstädtischen  ge- 
boren, seit  1805  mit  einer  durch  den  Krieg  veranlassten  Unterbrechung  in  Halle  und  Helm- 
städt  gebildet,  erst  als  Theologe,  dann  als  Historiker,  Lehrer  in  Helmstädt,  wo  er  1810 
promovirte,  und  an  dem  Pädagogium  der  Franckeschen  Stiftungen  in  Halle,  ebendort  seit  Juni 
1812  PD.,  war  er  erst  durch  seine  Dissertation  „De  ratione  ac  disciplina  Romanorum  literas 
artesque  tractandi"  und  dann  durch  die  1815  erschienenen  „Ideen  zur  Geschichte  des  Ver- 
falls der  griechischen  Staaten",  in  denen  er  unter  dem  Einflüsse  Gibbons  ganz  die  von 
A.  Heeren  gewiesene  Richtung  verfolgte,  bekannt  geworden.  Im  W.S.  1817/18  begann  er 
seine  Thätigkeit,  die  er,  seit  dem  18.  October  1821  als  0.,  fast  vier  Jahrzehnte  hat  fortführen 
können  und  von  seinem  besonderen  Studiengebiete,  der  alten,  namentlich  römischen  Ge- 
schichte aus,  gemäss  den  besonderen  Bedürfnissen  der  Königsberger  Studirenden  auf  die 
neuere  und  neueste  Geschichte  sowie  auf  die  allgemeine  Gidturgeschichte  ausdehnte.  Seine 
wissenschaftliche  Bedeutung  lag  in  der  Erforschung  des  Alterthums,  für  dessen  Erkenntniss 
er  auch  bei  seinen  Schülern  eine  breite  und  feste  philologische  Grundlage  forderte.  Er  war 
daher  kein  Freund  der  aufkommenden  Bevorzugung  des  Mittelalters  gleich  im  Beginn  der 
historischen  Studien  und  klagt  bereits  am  30.  December  1826,  dass  „es  immer  mehr  Sitte 
wird,  dass  junge  Männer  mit  Vernachlässigung  der  alten  Sprachen  und  der  Historiker  des 
classischen  Alterthums  sich  so  stark  zur  mittleren  und  neueren  Geschichte  wenden  und  so 
alles  festen  Grundes  und  der  besten  formellen  Bildung  ermangeln."')  So  hat  er  nicht  bloss 
die  historischen,  sondern  überhaupt  die  antiquarischen  Studien  mannigfach  gefördert  und  sich 
dadurch  insbesondere  um  das  höhere  Schulwesen  in  der  Provinz  verdient  gemacht.  Die 
älteren  Generationen  der  preussischen  Gymnasiallehrer,  darunter  Männer  von  anerkanntem 
wissenschaftlichen  Verdienst  wie  Max  Toeppen  a.  A.,  verdankten  fast  durchweg  ihm  ihre 
wissenschaftliche  Bildung,  der  seine  etwas  schwerfällige  und  trockene  Gelehrsamkeit  mit 
ihrer  zuverlässigen  Gründlichkeit  durch  die  Bewahrung  vor  dilettantischer  Oberflächlichkeit 
und  geistreichem  Spiel  nur  zum  Vortheil  gei-eichte.  Als  Forscher  wurde  Drumann  bekannt- 
lich durch  eine  gewisse  pathologische  Neigung  von  den  Zeiten  grosser  staatlicher  Zersetzungs- 
processe  besonders  angezogen.  Das  lehrt  schon  sein  Hauptwerk  „Die  Geschichte  Roms  im 
Uebergang  von  der  republikanischen  zur  monarchischen  Verfassung"  (1834—44),  das  zugleich 
mit  seinem  Fleisse  und  seiner  Gelehrsamkeit  seine  Unfähigkeit  zu  gestaltender  Formgebung  be- 
weist. Seine  „Geschichte  Papst  Bonifaz  VIII."  (1852)  behandelt  ein  ähnliches  Problem  aus  der 
Kirchengeschichte,  während  seia  „Grundriss  der  Culturgeschichte"  (1847)  und  seine  letzte  Arbeit 
„Die  Arbeiter  und  Communisten  in  Griechenland  und  Rom"  (1860)  nochmals  erkennen  Hessen, 
dass  man  in  dem  jungen  Hallenser  Docenten  nicht  mit  Unrecht  einen  Mann  von  ähnlicher 
Richtung  wie  Hüllmann  vermuthet  hatte. 

Gleichzeitig  mit  Drumann  wui-de  (2.  October  1817)  dessen  College  an  der  Universität 


1)  Acten  der  phil.  Fac.  1826;27 


137 

und  am  Pädagogium  iu  Halle,  Jobauues  Voigt,  als  EO.  der  historischen  Hülfswissenschaften 
uud  Nachfolger  Schütz'  in  der  Leitung  des  Staatsarchivs  nach  Königsberg  berufen.')  Im 
Jahre  1788  zu  Bettenhausen  bei  Meiningen  geboren  als  Sohn  eines  Chirurgen,  hatte  Voigt 
seit  1806  in  Jena  Theologie  und  Philologie  studirt,  sich  aber  nach  bestandenem  theologi- 
schen Examen  gemäss  der  namentlich  durch  Luden  in  ihm  erweckten  Neigung  den  alten 
Griechen  und  der  Geschichte  gewidmet  und  im  October  1809  in  Jena  mit  einer  Abhandlung 
über  Theoki-it  promovirt.  Als  Lehrer  an  dem  Pädagogium  in  Halle  thätig,  widmete  er  seine 
Müsse  den  Studien  zu  einer  Geschichte  Gregors  VH.,  zu  der  er  den  Plan  schon  im  Verkehr 
mit  Luden  und  Griesbach  gefasst  hatte,  und  habilitirte  sich  auf  Grund  einer  ersten  Skizze 
derselben  Ostern  1812.  Die  Geschichte  Gregors  VIT.,  die  1815  erschien,  erregte  Aufsehen 
weniger  durch  ihre  wissenschaftliche  Bedeutung  als  durch  die  unbefangene  neue  Auffassung 
des  Helden,  der  nicht  im  Sinne  der  Aufklärung  als  ein  eigennütziger  und  herrschsüchtiger 
Intriguant  dargestellt  wurde,  sondern  als  ein  genialer  Reformator  —  was  natürlich  bei  den 
Katholiken  besondern  Beifall  fand  und  die  Meinung  erweckte,  der  Verfasser  müsse  in  Con- 
sequenz  des  von  ihm  eingenommenen  Standpunktes  demnächst  katholisch  werden.  Die  von 
ihm  geplante  Geschichte  der  Hohenstaufen  gab  Voigt  auf,  theils  weil  er  Friedrich  von  Raumer 
unter  viel  günstigeren  Verhältnissen  damit  beschäftigt  wusste,  theils  weil  seine  Ernennung 
für  Königsberg  ihm  andere  Pflichten  auferlegte.  Nur  ein  Fragment  davon  hat  er  1818  in 
der  „Geschichte  des  Lombardenbundes  und  seines  Kampfes  gegen  Kaiser  Priedi-ich  I."  ver- 
öffentlicht. Hinfort  ist  Voigt  so  gut  wie  ausschliesslich  im  Gebiete  der  preussischen  Ge- 
schichte, namentlich  der  Ordenszeit,  thätig  gewesen.  Mögen  seine  Arbeiten  auf  diesem  von 
ihm  zwar  nicht  erst  entdeckten,  aber  doch  für  die  Forschung  erst  eroberten  Gebiete  vor  der 
modernen  Wissenschaft  auch  nicht  durchweg  mehr  bestehen,  nie  wird  man  ihm  den  Ruhm 
streitig  machen  können,  dass  er  der  Vater  der  altpreussischen  Geschichtschreibung  geworden 
ist.  Was  dann  in  neuerer  Zeit  mit  Hülfe  reicheren  Materials  und  einer  vervollkommneten 
Methode  erarbeitet  ist  uud  weiterhin  erarbeitet  werden  wird,  beruht  auf  dem  Grunde,  den  sein 
bewundernswürdiger  Fleiss  gelegt  hat.  Und  nicht  gering  ist  das  Verdienst  anzuschlagen,  das 
sich  Voigt  um  die  bisher  dem  Verfall  überlassenen  Denkmäler  aus  der  Ordenszeit  erwarb, 
namentlich  um  die  Marienburg,  für  die  er  den  Oberpräsidenten  von  Schön  und  durch  diesen 
den  kunstsinnigen  Kronprinzen  zu  interessiren  wusste.  Freilich  wurde  durch  diese  Con- 
centration  auf  ein  so  provinziell  beschränktes  Gebiet  seine  amtliche  Thätigkeit  einiger- 
massen  beeinträchtigt,  und  das  tührte  zu  allerlei  unliebsamen  Erörterungen  sowohl  mit 
seinen  Collegen  wie  mit  dem  Ministerium.  Schon  1S19  wurde  Voigt  aul  sein  Ansuchen  be- 
urlaubt, um  die  Provinz  zum  Zwecke  seiner  histoi'ischeu  Studien  zu  bereisen,  von  Ernst 
August  Hagen  als  Gehülfen  begleitet.^)  Im  Mai  1825  wirkte  ihm  von  Schön  für  zwei  Jahre 
Befreiung  von  den  Vorlesungen  aus.  Dann  erneute  Voigt  im  März  1827  dieses  Verlangen, 
um  seine  Preussische  Geschichte  besser  fördern  zu  können.  Die  philosophische  Facultät 
wurde  um  ihre  Meinung  gefragt.     Während  da  Lobeck  fein    sich  dahin   aussprach,   es  handle 


1)  Vgl.  die  selbstbiograpbisclu'  Skizze   in  J.  A'oigt,  Blicki'    in    das   kiinst-    und    gewerbreiche   Leben    der 
Stadt  Nürnberg  im  IG.  Jhd. 

2)  Vgl.  S.  132. 


138 

sich  um  die  Gewährung  einer  Gunst,  die  sich  füglich  der  Discussion  entziehe,  machte  Herbart 
seinem  ünmuth  in  derben  Worten  Luft.  Litterarische  Thätigkeit  allein,  so  urtheilte  er, 
mache  nicht  die  Berufserfüllung  des  Docenten  aus,  vielmehr  müsse  ein  solcher  sowohl  lehren 
wie  produciren,  und  spitz  schlug  er  vor,  die  Antwort  dahin  zu  fassen,  dass  Voigts  Collegen 
demnächst  für  ihre  eigenen  Arbeiten  gegebenen  Falls  die  gleiche  Gunst  zu  geniessen  hofften. 
Auch  kam  er  auf  alte  Beschwerden  zurück,  indem  er  daran  erinnerte,  man  habe  in  Königs- 
berg sogar  einen  Botaniker  gehabt  —  Schweigger  ist  gemeint')  —  der  von  seinen  Eeisen 
nur  nach  Hause  gekommen  sei,  um  das  Prorectorat  zu  verwalten,  und  benutzte  die  Gelegen- 
heit, um  an  gewissen  Collegen  eine  abfällige  Kritik  zu  üben,  indem  er  Bessel  verherrlicht, 
„diesen  ausserordentlichen  Mann,  dessen  Ruhm  die  ganze  Welt  kennt":  „er  vollbringt  noch 
alternd  das  Grösste,  ohne  darum  sich  den  Lehrlingen  zu  entziehen  oder  überhaupt  das 
Kleine  gering  zu  achten."  Voigts  Specialcollege  aber,  der  eifrige  Schubert,  warf  nicht 
ohne  Bosheit  die  Frage  auf,  warum  denn  Voigt  die  einträglichen  Nebenämter  nicht  aufgebe, 
und  wies  auf  das  Missverhältniss  hin,  das  obwaltete,  wenn  so  viel  Zeit  und  Kraft  an  die 
doch  nur  drei  Jahrhunderte  umfassende  Geschichte  einer  Provinz  gesetzt  würde.  So  lehnte 
der  Minister  denn  schliesslich  Voigts  Gesuch  am  22.  Mai  1827  ab  und  wies  ihn  an,  noch  in 
dem  inzwischen  begonnenen  S.S.  Diplomatik  zu  lesen  und  hinfort  allsemesterlich  seine  Vor- 
lesungen „ordentlich"  zu  halten.^)  Man  begreift  die  Verstimmung  Voigts,  der  er  auch  in 
der  Vorrede  zui-  Fortsetzung  seiner  Geschichte  Preussens  in  bitteren  Worten  Luft  machte. 
Auch  der  Kreis  der  ihm  enger  verbundenen  Schüler  blieb  unter  diesen  Umständen  ein  kleiner. 
So  ging  denn  der  maassgebende  Einfluss  auf  die  Studien  derjenigen,  die  sich  der  Ge- 
schichte widmeten  oder  doch  mehr  als  allgemeine  Bildung  darin  erstrebten,  frühzeitig  ganz 
auf  den  dritten,  jüngsten  Vertreter  des  Fachs  über,  der  seinen  beiden  Collegen  an  gründ- 
licher Gelehrsamkeit  und  selbstverleugnendem  Forscherfleiss  nicht  gleich  kam,  aber  überlegen 
war  an  geistiger  Beweglichkeit,  Gabe  der  Mittheilung  und  Fähigkeit  zur  Anregung  zu  selb- 
ständiger Arbeit.  Friedrich  Wilhelm  Schubert  (geb.  20.  Mai  1799  zu  Königsberg)  war 
seit  1820  PD.,  seit  1823  EO.  Neben  der  Statistik  und  Volkswirthschaft  hatten  seine 
Studien  ursprünglich  so  sehr  die  alte  Geschichte  betroffen,  dass  er  im  S.S.  1826  nach 
Berlin  berufen  wurde,  um  den  kranken  Wilken  in  seinen  Vorlesungen  zu  vertreten;  doch 
versuchte  er  sich  frühzeitig  auch  in  der  mittleren  und  neueren  Geschichte.  Am  2.5.  Mai  1826 
wurde  ihm  das  neu  errichtete  zweite  Ordinariat  für  mittlei'e  und  neuere  Geschichte  übertragen. 
Ohne  ein  grosser  Gelehrter  zu  sein,  war  Schubert  jedenfalls  ein  guter  Lehrer.  Noch  als  PD. 
im  W.S.  1821/22  hatte  er  einen  Kreis  von  Studirenden  zu  historischen  Uebungen  um  sich 
vereinigt,^)  das  erste  Beispiel  der  Art  in  Preussen  noch  vor  Ranke:  es  wurden  neue  Erschei- 
nungen der  historischen  Litteratur  vorgelegt  und  besprochen  und  von  Theilnehmern  angefer- 
tigte kleinere  Arbeiten  kritisirt.  Der  Erfolg  war  der  Art,  dass  man  diesen  Zusammenkünften 
schon  zu  Beginn  des  S.S.  1822  eine  festere  Gestalt  gab.  Die  behandelten  Gegenstände  waren 
verschiedenster  Natur,  sowohl  der  alten  Geschichte  entnommen,    wie  nachher  namentlich  dem 

1)  Vgl.  8.  121. 

2)  Phil.  Fac.  Decan.  Acten  1826/27. 

3)  Curat.-Acten.  A.  120. 


139 

Mittelalter,  dazu  kam  die  Lectiire  von  MaccLiavelli,  Huinc,  Montesquieu  u.  A.  Im  Ganzen 
waren  die  üebungen,  durchaus  im  Einklang  mit  den  besonderen  Königsberger  Bedürluissen, 
weniger  darauf  augelegt  zu  selbständiger  Forscluing  anzuleiten  und  Gelehrte  zu  bilden  als 
vielmehr  den  künftigen  Lehrern  der  Geschichte  auch  in  die  Einzelheiten  der  Wissenschaft  Ein- 
sicht zu  erschiiessen.  Bei  der  späteren  Vorliebe  der  Regierung  für  seminaristische,  conver- 
satorische  und  repetitorische  Gestaltung  oder  doch  Ergänzung  des  akademischen  Unterrichts 
wurde  Schuberts  historische  Gesellschaft  auf  seinen  Antrag  durch  Ministerialerlass  vom  9.  Sep- 
tember 1832  als  Königliches  Seminar  anerkannt  und  mit  den  Rechten  eines  solchen  ausge- 
stattet, zunächst  freilich  noch  ohne  eigenen  Fonds.  Als  solches  trat  es  auf  Grund  eines  von 
Schubert  entworfenen  und  vom  Minister  unter  dem  13.  December  1832  bestätigten  Reglements 
mit  dem  S.S.  1833  in  Wirksamkeit.  Fast  alle  zum  Geschichtsunterricht  berufenen  Lehrer  an 
den  höheren  und  mittlei'en  Schulen  der  Provinz  Preussen  haben  ihm  angehört.  Seine  weniger 
auf  speciell  fachliche  als  allgemeine  Bildung  gerichtete  Thätigkeit  zog  auch  Studirende  an- 
derer Facultäten  an,  und  namentlich  Referendarien  sind  mehrfach  Mitglieder  gewesen.  Aber  es 
hat  auch  mancher  hier  Anregung  und  Anleitung  zu  wissenschaftlicher  Bethätigung  und  eigener 
litterarischer  Production  empfangen:  es  mag  neben  M.  Toeppen')  an  F.  A.  Brandstäter,^)  an 
L.  Cholevius^)  und  an  F.  Kreyssig'^)  erinnert  werden.  Nach  dem  Eingehen  des  pädagogisch- 
didaktischen Seminars  erhielt  das  historische  im  August  1834  einen  Fonds  zur  Prämiirung  der 
strebsamsten  und  talentvollsten  Mitglieder. 

Dagegen  hatte  der  Versuch,  auch  die  Geographie  unter  den  ständigen  akademischen 
Lehrobjecten  in  Königsberg  einzubürgern,  damals  noch  keinen  Erfolg.  Die  bereits  1805  ge- 
forderte und  1809  errichtete  Professur  für  Geographie  und  Statistik  war  1810  mit  Adam 
Christian  Gaspari^)  besetzt.  Er  hat  viel  dazu  beigetragen,  die  Erdkunde  zu  popularisiren 
und  durch  seine  weder  tiefe  nocli  originale,  aber  durch  ihren  Umfang  bedeutende  Pi-oduction 
die  spätere  Blüthe  der  geograpiii sehen  Studien  und  Leistungen  in  Deutschland  vorbereiten  ge- 
holfen. Im  Gegensatz  zu  dem  bisher  alleinherrschenden  Zahlenlernen  versuchte  er  in  seinen 
pädagogischen  Schriften  mit  Glück  die  Beleoung  des  geographischen  und  historischen  Unter- 
richts. Nach  seinem  Tode  aber  blieb  die  Stelle  unbesetzt :  erst  nach  mehr  als  vierzig 
Jahren  sollte  die  Geographie,  innerlich  durchaus  verjüngt,  volles  Bürgerrecht  auf  der  Alber- 
tina erringen. 

4.   Staats-   und    Rechtswissenschaft. 

Für  eine  systematische  Ausbildung  der  namentlich  späterhin  im  Finanzdepartement  zu 
verwendenden  Beamten  war  schon    gegen  Ende  des  18.  Jahrhundei-ts  von  der  Regierung  an 

1)  Vgl.  S.  136,  geb.  i.  April  1822,  gest.  als  Gymnasialdirector  a.  D.  in  Elbing  3.  Dcc.  1893. 

2)  Professor  am  Städtischen  Gymnasium  zu  Danzig,  gest.  1883,  Verfasser  einer  „Geschichte  des  aetoli- 
schen  Bundes". 

3)  Gest.  1878,  Professor  am  Kneiphöfisehen  Gymnasium  zu  Königsberg,  Verfasser  der  verdienstvollen 
„Geschichte  der  deutschen  Poesie  nach  ihren  antiken  Elementen". 

4)  Director  der  Realschule  erst  in  Elbing,  dann  in  Kassel  und  zuletzt  in  Frankfurt  a.  M.,  gest.  ISTil, 
bekannt  durch  litterarhistorische  und  populäre  historisch-politische  Schriften. 

5)  Geb.    18.  November  1752  in  Schleusingen,    1705   Professor  der   Philosophie  in  .fena,  1797  am  Gym- 
in  Oldenburg,  seit  1803  Professor  der  Geschichte,  Geographie  und  Statistik  iu  Dorpat,  gest.  1830. 

18» 


140 

der  Albertina  besondere  Fürsorge  getroffen  durch  die  Einrichtung  cameralistischer  Curse. 
Welche  Bedeutung  diese  in  den  der  Katastrophe  Preussens  zunächst  voraufgehenden  Jahren 
durch  Kraus  erlangten,  ist  früher  geschildert, ')  nicht  minder,  M'ie  aus  dieser  Schule  zum  Theil 
die  Männer  hervorgingen,  die  neben  und  unter  Stein,  Schön  u.  A.  an  dem  Neubau  des  preussischen 
Staats  mitgewirkt  haben.  In  der  Folge  haben  diese  „Cameralisten",  ^)  deren  Zahl  von  8  im 
S.S.  1809  bis  auf  34  im  S.S.  1820  stieg,  als  eine  besondere  Gruppe  zu  bestehen  aufgehört 
und  sind  unter  die  Juristen  aufgegangen.  Nach  dem  Ausscheiden  Johann  Gottfried  Hoff- 
mann s^)  aus  der  akademischen  Wirksamkeit  blieb  dieses  Fach  einige  Zeit  unverti'eten.  Aus 
dem  dadurch  gesparten  Gelde  wurden  dem  Regierungsassessor  Dr.  Karl  Heinrich  Hagen 
(geb.  27.  Juli  1785  in  Königsberg,  seit  1802  Schüler  von  Kraus  und  dann  von  J.  G.  Hoff- 
mann), einem  Sohn  Karl  Gottfried  Hagens,  die  Mittel  gewährt,  um  sich  1809—11  in  Göttingen 
und  in  London  weiter  auszubilden.  Dann  wurde  er  Ostern  1811  unter  Belassung  in  seiner 
Stellung  bei  der  Regierung  mit  der  Abhaltung  von  staatswirthschaftlichen  Vorlesungen  gegen 
eine  Remuneration  von  500  Thalern  beauftragt  und  bereits  Ende  desselben  Jahres  zum  0. 
der  Staatswissenschaften  und  der  Gewerbekunde  ernannt.  Die  Stellung  als  Regierungsrath 
legte  er  1835  nieder.  Litterarisch  war  er  namentlich  an  den  „Beiträgen  zur  Kunde  Preussens" 
(Königsberg  1813 — 24)  und  den  „Neuen  Preussischen  Provinzialblättern"  thätig,  hat  sich 
auch  durch  Studien  über  das  Credit-  und  Geldwesen  bekannt  gemacht  und  gehörte  zu  den 
ersten  Vorkämpfern  der  Handelsfreiheit.  Im  December  1849  setzte  ein  Schlaganfall  seiner 
Thätigkeit  ein  Ziel;  aber  erst  den  18.  December  1856  erlöste  ihn  der  Tod  von  langem  Siechthum. 

Die  juristischen  Studien  dagegen  lagen  an  der  Albertina  zu  Beginn  dieser  Periode 
tief  darnieder,  obgleich  die  Zahl  der  Jura  Studirenden  sehr  gross  war:  zwei  Drittel  aller 
Studirenden,  221  unter  333,  gehörten  1805  der  juristischen  Facultät  an.  Dem  entsprachen 
die  stattlichen  Auditorien,  von  denen  sich  die  Professoren  umgeben  sahen:  Heidemann  las 
W.S.  1805/6  Kircheurecht  vor  73,  S.S.  1806  Institutionen  vor  75  und  W.S.  1806/7  Pandekten 
vor  70  Zuhörern.  Bald  aber  trat  ein  Rückgang  ein,  und  die  Zahl  der  Juristen  betrug  im 
S.S.  1809  nur  noch  99  unter  273,  im  W.S.  1811/12  SO  unter  251  und  1820  80  unter  228. 
In  den  zwanziger  Jahren  steigt  dann  die  Zahl  wieder:  S.S.  1825  beträgt  sie  163  von  404  und 
W.S.  1825/56  152  von  391,  um  dann  wieder  langsam  zu  fallen:  W.S.  1834/35  sind  unter 
415  Studirenden  nur  82  und  im  W.S.  1842/43  unter  350  nur  63  Juristen. 

Von  den  Lehrern  der  juristischen  Facultät  zu  Beginn  dieser  Periode  war  Heidemann*) 
ohne  Frage  die  bedeutendste  Persönlichkeit,  die  auch  auf  die  Studirenden  anregend  wirkte. 
Sein  Ausscheiden^)  musste  um  so  mehr  empfunden  werden,  als  von  seinen  Collegen  von  der 
Goltz    dui'chaus    unbedeutend    war    und  Reidenitz    seine  Erfolge    als   Lehi-er   zumeist    dem 


1)  Vgl.  S.  7.  I»i-17. 

2)  Zu  ihnen  gehört  auch  Karl  Friedrich  AVilhelm  Dieterici,  geb.  23.  August  1790.  gest. 
30.  Juli  1859  als  Director  des  Statistischen  Bureaus  und  Professor  der  ötaatswissenschaft  in  Berlin,  der  von  0. 
1809  an  drei  Semester  in  Königsberg  studirt  hat  unter  J.  G.  Hoffmann,  dessen  Gehülfe  und  Nachfolger  er  wurde. 

3i   Vgl.  S.  17. 

4)  Vgl.  S.  12.  24. 

5)  Vgl.  S.  38. 


141 

Einfluss  verdankte,  deu  er  als  Stipendieucurator  und  Examinator  ausübte.  Auch  hier  that 
also  eine  Verjüngung  Noth.  Doch  waltete  dabei  ein  eigeuthüiulicher  Unstern.  Theodor 
Maximilian  Zachariä,  der  im  September  1810  zum  vierten  Professor  der  Jurisprudenz  ernannt 
war,  fiel  bald  nach  seiner  Ankunft  in  Wahnsinn,  und  der  wenige  Monate  später  (Januar  1811)  in 
das  dritte  Ordinariat  berufene  Christian  Gottlieb  Konopack')  zu  Rostock  trat  noch  im  letzten 
Augenblick  zurück,**)  so  dass  W.S.  1811/12,  da  von  der  Goltz  krank  war,  von  Juristen  allein 
Reidenitz  las.  Endlich  Ostern  1812  kam  Beck  aus  Leipzig;  aber  auch  seine  Thätigkeit  hatte 
bald  wieder  ein  Ende.^)  Bald  darnach  (August  1812)  aber  erfolgte  die  Ernennung  des  soeben  in 
Berlin  zum  Doctor  promovirten  Heinrich  Eduard  Dirkson')  zum  EO.  Seit  1817  0.  und 
bei  Gelegenheit  des  Reformationsfestes  von  der  philosophischen  Facultät  zum  Ehreudoctor 
creirt,  gehörte  Dirksen  Jahre  lang  zu  den  gefeiertsten  Lehrern  der  Albertina  und  genoss  hohen 
Ansehens  und  Einflusses  auch  in  bürgerlichen  Kreisen,  wie  er  sich  namentlich  auch  als  Pro- 
rector  zur  Zeit  der  Karlsbader  Beschlüsse*)  durch  die  würdige  Wahrung  der  Interessen  der 
Universität  verdient  machte.  Dass  er  aber  in  E'olge  einer  früheren  Zusage  des  Ministeriums  ein  Recht 
auf  eine  Berliner  Professur  zu  haben  glaubte,  der  erwartete  Ruf  jedoch  nicht  kam,  verleidete 
ihm  schliesslich  seine  schöne  Königsberger  Thätigkeit.  Im  S.S.  1829  verliess  er,  zunächst  zu 
einer  Badecur,  die  Albertiua  und  nahm  dann  seine  Entlassung  mit  fünf  Achtel  seines  Gehalts. 
Seit  1833  las  er  in  Berlin  als  PD.  und  Professor  Regiomontanus  und  seit  1841  als  Mitglied 
der  Akademie  der  Wissenschaften:  in  die  juristische  Facultät  aber  ist  er  nicht  aufgenommen 
worden.  Seiner  Königsberger  Zeit  gehören  die  Werke  Dirksens  der  Mehrzahl  nach  an,  alle 
ausgezeichnet  durch  die  Verbindung  strenger  philologischer  und  antiquarischer  Schulung  mit  der 
Jurisprudenz  sowie  durch  scharfe  Kritik,  die  nach  Mancher  Urtheil  vielleicht  zu  sehr  auf  die 
Negation  gerichtet  war.")  Anfangs  war  seine  Lehrthätigkeit  auf  eigenthümliche,  für  die  da- 
maligen Verhältnisse  charakteristische  Schwierigkeiten  gestossen,  die  auch  Beck  um  die  ge- 
hofften Erfolge  brachten  und  die  zu  überwinden  ein  wiederholtes  Einschreiten  der  Regierung 
uöthig  wurde.  Worum  es  sich  dabei  handelte,  zeigt  ein  Ministerialerlass  vom  1.  Deccmber 
1812.'')  Er  beklagt,  dass  trotz  der  Anstellung  von  zwei  neuen  Professoren  das  juristische 
Studium  in  Königsberg  darniederliege.  „Die  Studirenden  werden  von  dem  Besuche  der  Vor- 
lesungen der  neuen  Professoren  geflissentlich  abgehalten  und,  statt  für  das  gründliche  Studium 
ihrer  Wissenschaft  gewonnen  zu  werden,  auf  dem  bisherigen  bequemen  Wege  einer  seichten 
Abrichtung  ei'halten  und  fortgeführt.  Dies  ist  schwer  zu  vermeiden,  wenn  Professor  Reidenitz 
sein  Ansehen  als  vieljähriger  Lehrer,  als  Curator  der  Beneficien  und  als  Examinator  bei  dem 
Oberlandesgericht  dazu  missbraucht,  die  Studirenden  der  juristischen  Facultät  von  den  Collegien 

1)  Gel).  17H7    in  Hauzig,  PD.  und    seit  1804  O.  iu   Halle,  dann  in  Kostock    und    schliesslich    in  Jena, 
gest.  3.  April  1841. 

2)  Curator.-Act.  ]{.  '.tl. 

3)  Vgl.  S.  46. 

4)  Geb.  13.  September  1790  in  Königsberg,    dort  .seit  180(i  durch    philologische  Studien    und    seit  1808 
in  Heidelberg  als  Schüler  namentlich  'l'hibauts  gebildet,  seit  1810  iu  Berlin  Savigny  eng  verbunden. 

5)  Vgl.  S.  Gl  ff. 

6)  Allg.  D.  Biogr.  V,  S.  253  ff 

7)  Curat.-Act.  B.  IG.  XIII. 


142 

der  neuen  Professoren  abzulialten."  Dieselben  Erfabrimgen  aber  wie  Beck  und  Dirksen 
inachte  der  1813  von  Jena  berufene  Johann  Christian  Hasse,')  ein  Gelehrter  von  seltener 
Tiefe  der  Forschung  und  dabei  ein  Meister  der  Darstellung  und  zwar  ebenso  in  dem  Gebiete 
des  römischen  wie  des  deutschen  Rechts.^)  Deshalb  erging  am  30.  März  1816  an  die  Ober- 
landesgerichte zu  Königsberg,  Gumbinnen  und  Marienwerder  die  Anweisung,  hinfort  nur  solche 
Rechtscandidaten  zur  Auscultatoriirüfung  zuzulassen,  die  auch  Zeugnisse  über  den  Besuch  der 
Vorlesungen  der  Professoren  Hasse  und  Dirksen  und  des  demnächst  zu  ernennenden  dritten 
Professors  beibrächten,  denn  gerade  bei  den  Juristen  sei  es  besonders  nöthig,  sie  zu  fleissiger 
Benutzung  der  zum  Lernen  gebotenen  Gelegenheit  anzuhalten.  Es  ehrt  Hasse,  dass  er  eine 
Besprechung  dieser  Regierungsmaassregel  in  der  Facultät  veranlasste  und  dabei  mit  Ent- 
schiedenheit für  ihre  Aufhebung  eintrat.  Jn  einer  Vorstellung  an  das  Ministerium  vom 
8.  Mai  1816  hiess  es:  „Dass  die  Jünglinge  auf  der  Universität  nach  eigener  Wahl  ihre 
Studien  einrichten,  nach  eigenem  Vertrauen  ihre  Lehrer  wählen,  ist  zu  allen  Zeiten  als  ein 
wesentlicher  Theil  der  akademischen  Freiheit  von  Wichtigkeit  gewesen,  einer  Freiheit,  der 
man,  wenngleich  ihre  Schattenseiten  mit  Recht  verrufen  sind,  doch  eine  ehrwürdige  Lichtseite 
nicht  ableugnen  kann."  Sie  wurde  weiterhin  als  einer  von  den  Grundpfeilern  der  akademischen 
Verfassung  bezeichnet  und  deshalb  schliesslich  gebeten,  jene  damit  unvereinbare  Verfügung 
möchte  zurückgenommen  oder  ihre  Geltung  wenigstens  auf  die  unerlässlich  nöthige  kurze 
Zeit  beschränkt  werden.  Die  Antwort  des  Ministeriums  erfolgte  am  30.  Juli  1816  dahin, 
dass  die  erlassene  Bestimmung  die  Professoren  Reidenitz  und  von  der  Goltz  nicht  beinträchtige, 
den  anderen  aber  die  Möglichkeit  angemessener  Thätigkeit  verschaffen  werde:  der  Staat  besolde 
nicht  Professoren,  die  ohne  eigenes  Verschulden  nicht  zur  Wirksamkeit  gelangten.^) 

Dass  Hasse  unter  solchen  Umständen  Königsberg  bald  wieder  vei'liess,  ist  begreiflich ; 
dieselben  mögen  auch  den  weiteren  raschen  Wechsel  in  der  juristischen  Pacultät  veranlasst 
haben.  Denn  auch  Christian  Friedrich  Mühlenbruch,*)  einer  der  ersten  Romanisten 
seiner  Zeit  und  auch  heimisch  im  deutschen  Privatrecht,  der  Ostern  1818  berufen  wurde,  um 
neben  dem  römischen  Rechte  auch  deutsches  und  Kirchenrecht  zu  lehren,  wurde  bereits  1819 
auf  seinen  Wunsch  nach  Halle  versetzt.  Nun  suchte  die  Regierung  die  für  die  juristische 
Pacultät  unerlässliche  Verjüngung  dadurch  zu  bewirken,  dass  sie  talentvolle  junge  Gelehrte 
in  den  Stand  setzte  sich  zu  habilitiren  und  durch  schnelles  Aufrücken  zu  fesseln  suchte.  So 
kam  1820  Karl  August  Rogge^)  au  die  Albertina  und  wurde,    nachdem  er  sich  durch  sein 

1)  Geb.  M.  Juli  ITTi)  io  Kiol,  cbenclort  gebildet  und  seit  18Ü5  PI),  und  Universitätssyndious,  IHll  Ü. 
und  Oberappellationsgerichtsrath  in  Jena. 

2)  Allg.  D.  Biogr.  X,  S.  759. 

3)  Curat.-Act.  A.  48.  II. 

4)  Geb.  3.  October  1785  zu  Rostock,  dort,  in  Greifswald,  Göttingen  und  Heidelberg  gebildet,  1805  PD. 
und  Anwalt  in  seiner  "Vaterstadt,  1808  Kathsherr  und  1810  vom  Katli  in  eine  der  von  ihm  zu  besetzenden 
Professuren  berufen,  1815  0.  in  Greifswald. 

5)  Geb.  23.  März  1795  in  Klbing,  studirte  1812  in  Berlin,  1813  einer  der  ersten  freiwilligen  Garde- 
jäger, trotz  einer  schweren  Verwundung  bei  Gross-Görschen  an  den  Feldziigen  1813  -15  bis  zu  Ende  betheiligt 
und  dann  erst  zu  dem  Ilechtsstudium  zurückgekehrt,  erat  in  Berlin,  gefördert  von  Savigny,  Hasse  und  namentlich 


143 

von  warmer  Begeisterung  für  altdeutsche  Eigenart  durchdrungenes  Werk  über  das  Gerichts- 
wesen der  Germanen  auch  litterarisch  bewährt  hatte,  1821  EO.  Er  vertrat  namentlich  die 
germanistischen  Fächer;  1824  folgte  er  einem  Rufe  nach  Tübingen  (gest.  12.  Mai  1827). 
Ebenfalls  1820  begann  in  gleicher  Weise  der  nachmals  als  Strafrechtslehrer  berühmte  Julius 
Friedrich  Heinrich  Abegg^  seine  Thätigkeit  als  PD.  Von  der  Berliner  Juristenfacultät 
als  besonders  vielversprechend  empfohlen,  wurde  er  bereits  Ende  1821  EO.  und  nach  Ablehnung 
eines  Ruls  nach  Dorpat  den  24.  Juli  1824  0.,  leistete  dann  aber  1826  einem  Rufe  nach 
Breslau  Folge  (gest.  29.  Mai  1868).  Eine  weitere  werthvolle  Ergänzung  erfuhr  die  juristische 
Facultät,  nachdem  die  Berufung  des  Herzoglich  Sächsischen  Hofraths  und  Polizeidirectors 
Joh.  Andreas  Ortloff^)  zu  Coburg  nicht  perfect  geworden  war,  1821  durch  Ferdinand 
Karl  Schweikart,^)  einen  namhaften  hessischen  Jui'isten  von  vielseitiger  akademischer  und 
gelehrter  Thätigkeit,  der  namentlich  Kirchen-  und  Criminalrecht,  Philosophie  und  Geschichte 
des  Rechts  vertrat ,  sich  auch  durch  Untersuchungen  über  das  Kidmische  und  Magde- 
burgische Recht  um  die  Rechtsgeschichte  von  Ost-  und  Westpreussen  verdient  machte.  Seit 
1827  gehörte  er  dem  Ostpreussischen  Tribunal  als  Rath  an  (gest.  1857).  Wie  Abegg  und 
Rogge,  so  wurde  im  Herbst  1823  in  Eduard  Albrecht  (geb.  4.  März  1800  zu  Elbing)  einer 
der  hoifnungsvollsteu  Vertreter  der  neuen  historischen  Schule  vom  Ministerium  in  den  Stand 
gesetzt,  sich  in  Königsberg  als  PD.  niederzulassen.  Er  begann  seine  Thätigkeit  mit  einer 
privaten  Vorlesung  über  Lehenrecht  und  einer  öffentlichen  über  Geschichte  und  Alterthümer 
des  deutschen  Privatrechts,  für  Königsberg  ganz  neue  Fächer;  er  wurde  im  August  1825  EO. 
und  nach  Ablehnung  eines  Rufs  nach  Erlangen  den  28.  Februar  1829  0.,  ging  dann  aber 
1830  nach  Göttingen. 

Uebrigens  hatte  die  Regierung  in  jeuer  Zeit  wie  auf  die  Universitäten  überhaupt, 
so  namentlich  auf  die  juristischen  Facultäten  ein  wachsames  Auge,  da  sie  die  künftigen  Be- 
amten nicht  bloss  vor  nachtheiligen  politischen  Einflüssen  bewahrt,  sondern  auch  in  einer 
den  staatlichen  Bedürfnissen  möglichst  entsprechenden  Weise  gebildet  sehen  wollte.  Da  war 
ihr  der  steigende  Einfluss  der  historischen  Schule  nicht  ganz  unbedenklich:  sie  befürchtete 
davon  eine  Schädigung  der  juristischen  Praxis.  In  einem  Erlass  vom  20.  September  1820  gab 
sie  diesen  Bedenken  Ausdruck  und  erklärte,  dass  sie  «war  „der  historischen  Schule  und  ihrem  wohl- 
thätigen  Einfluss  auf  das  gründliche  Studium  der  Rechtswissenschaft  alle  Gerechtigkeit  wider- 
fahren lasse  und  sie  auch  ferner  zu  erhalten  und  zu  befördern  bereit  sei,  dass  ihr  doch  aber 
nicht  minder  obliege,  dass  die  praktische  Schule  vollständig  und  gründlich  aufrecht  erhalten 
werde."     „Weil  nun  aber  dies"  —  so  fuhr  der  Erlass  fort    —    „im  akademischen  Unterricht 


Eichhorn,  und  dann  mit  staatlicher  Unterstützung  in  Gciltingen,    wogegen  er  sich    zur  Ifabilitation  in  Königsberg 
verpflichtete. 

1)  Geb.  23.  März  179G  zu  Erlangen  als  Sohn  eines  1823  nach  Königsberg  berufenen  reformirten  Predi- 
gers, in  Erlangen,  Heidelberg  und  Landshut  gebildet,  ilauii  nach  dem  Eintritt  in  die  Praxis  in  Berlin  von  Biener, 
Gocschen,  Hegel  und  Savigny  gefördert.  Allg.  Deutsche  Biogr.  I,  S.  5.  Vgl.  ül)er  ihn  .1.  II.  Voss  an  Lobeck 
bei  Ludwich  a.  a.  0.,  S.  51. 

2)  Vgl.  Neuer  Nekrolog  der  Ueutsclien.  XL  Jahrgang.  S.  100  K. 

3)  Geb.  28.  Februar  1780,  in  Marburg  und  Jena  gebildet,  Prinzeninstructor,  1809  EO.  in  Giessen,  1812 
O.  in  ('harkow,  181(5  in  Marburg. 


144 

doch  nicht  überall  geschehe,  gingen  bereits  manche  Studirende  nach  fremden  Universitäten" : 
namentlich  würden  die  künftigen  Cameralisten  und  Verwaltungsbeamten  dadurch  geschädigt. 
Demgemäss  ordnete  das  Ministerium  an,  ,,dass  auf  jeder  einheimischen  Universität  das  Rechts- 
studium im  Geist  und  System  der  praktischen  Schule  erbalten,  mithin  in  jedem  halben  Jahre 
mindestens  eine  Vorlesung  über  Institutionen  und  eine  über  Pandekten  in  diesem  Geiste  ge- 
halten werden  sollte.'") 

Noch  grössere  Sorge  machte  damals  der  Eegierung  das  Studium  des  allgemeinen 
Staatsrechts,  das  politisch  gefährlich  werden  zu  können  schien.  Die  Frage  wurde  durch 
einen  Ministerialerlass  vo7n  2.  October  1824  in  charakteristischer  Weise  zur  Sprache  gebracht. 
Das  Ministerium,  hiess  es,  „hält  dafür,  dass  das  allgemeine  Staatsrecht,  aus  bloss  philosophi- 
schem Gesichtspunkte  und  als  Theil  des  Naturrechts  vorgetragen,  bei  künftigen  Theologen, 
Philosophen  und  Aerzten,  welche  in  demselben  die  Rechtsverhältnisse  eines  Staats  in  absti'acto 
kennen  lernen  und  vor  ihrem  Eintritt  in  das  bürgerliche  Leben  keinen  Unterricht  über  das 
positive  Staatsrecht  erhalten,  den  Missstand  erzeugen  könne,  dass  sie  mit  der  Ansicht  eines 
blossen  naturrechtlichen  Staats  und  mit  darauf  gegründeten  Ansprüchen  in  den  wirklichen 
treten,  daher  dasjenige,  was  sie  in  letzterem  abweichend  von  jenen  Theorien  finden,  als 
Willkür  und  Ungerechtigkeit  betrachten.  Selbst  bei  jüngeren  Juristen  könnten  diese  Nach- 
theile eintreten,  wenn  das  positive  Staatsrecht  des  Deutschen  Bundes  und  einzelner  Bundes- 
staaten nach  Systemen  vorgetragen  wird,  die  hauptsächlich  allgemeines  Staatsrecht,  das 
positive  aber  nur  anhangsweise  und  als  Abweichung  von  dem  ersten  behandeln.  Das 
Ministerium  will  daher  darauf  halten,  „dass  das  Natur-  und  besonders  das  allgemeine  Staats- 
recht nach  gehörig  geprüften,  nicht  bloss  von  schädlichen  Grundsätzen  freien,  sondern  auch 
richtigen,  angemessenen  Systemen  vorgetragen  werde."  Da  nun  diese  allgemein  staatsrecht- 
lichen Vorlesungen,  wenn  auch  vorzüglich  von  Juristen,  so  doch  auch  von  anderen  Professoren 
gehalten  werden,  so  sollen  sie  hinfort  nur  ,,nach  gedruckten  Compendien  von  anerkanntem 
Werth"  gehalten  werden  dürfen  und  diese  in  dem  lateinischen  Vorlesungsverzeichniss  zum 
Voraus  genannt  werden.  Der  Regierungsbevollmächtigte  fügte  wie  beschwichtigend  die  Be- 
merkung hinzu:  „Ich  bin  überzeugt,  dass  die  Besorgnisse  eines  Hohen  Ministeriums  bei  den 
Lehrern  der  hiesigen  Universität  ohne  Grund  sind,  die  sich  durch  Umsicht  und  Sorgfalt, 
Alles  zu  vermeiden,  was  unrichtige  Ideen  bei  den  Studirenden  erzeugen  könnte,  auszeichnen, 
sowie  das  Nichtvorhandensein  der  letzteren  bei  den  Studirenden  das  am  besten  bestätigt."^) 
In  diesen  Zusammenhang  gehört  auch  die  Bestimmung  vom  22.  Juni  1826,  dass  hinfort  alle 
Auscultatoren  im  vaterländischen  Recht  geprüft  werden  sollten  und  demgemäss  regelmässig 
auf  den  Universitäten  auch  über  allgemeines  Landrecht  und  Gerichtsordnung  gelesen  werden 
müsse.  Gleichzeitig  wurde  es  (27.  Juni)  den  Ordinarien  zur  Pflicht  gemacht,  zwei  Stunden 
wöchentlich  auf  die  Leetüre  von  Recbtsquellen  aus  dem  römischen  oder  canonischen  Recht 
mit  lateinischer  Erklärung  zu  verwenden. 

Für  das  Studium  des  römischen  Rechts  machte  Dirksen   in  Königsberg    Schule.     Aus 


1)  Acten  der  Jurist.  Fac.  4. 

2)  Jurist.  Fac.  4.  I. 


145 

ihr  gingFriedricb  DanielSanio  (geb.  10.  April  1800  in  Königsberg)  hervor.  Nach  Vollendung 
seiner  Studien  aus  Staatsmitteln  zur  Crewinnung  einer  höheren  wissenschaftlichen  Ausbildung 
unterstützt,  habilitirte  sich  Sanio  der  eingegangenen  Verpflichtung  gemäss  1828  in  Königsberg, 
zunächst  namentlich  für  gemeines  und  preussisches  Criminalrecht  und  Handels-  und  Wechselrecht.') 
Er  wurde  1831  EO.  und  15.  März  1832  0.  und  hat  späterhin  die  Arbeitsart  seines  Lehrers 
Dirksen  fortgeführt,  indem  er  das  römische  Recht  und  namentlich  die  Eechtsgeschichte 
vertrat.  Dirksens  Schule  entstammte  ferner  Alexander  August  von  Buchholtz  (geb.  zu 
Königsberg,  promovirte  1824),  seit  1828  EO.  und  seit  1833  0.  Ausserdem  wurde  der  Berliner 
PD.  Friedrich  Wilhelm  Eduard  Backe  (geb.  1800  zu  Wollin,  gest.  24.  September 
1846)  1826  als  EO.  berufen  und  1833  zum  0.  befördert.  Von  Zöglingen  der  Albertina  selbst 
traten  als  Lehrer  in  der  juristischen  Facultät  noch  auf  Heinrich  Friedrich  Jacobson 
(geb.  8.  Juni  1804  in  Marienwerder,  PD.  1828,  EO.  1829,  0.  1836,  gest.  19.  März  1868),  der 
namentlich  preussisches  Kirchenrecht  las  und  auch  deutschrechtliche  CoUegien  hielt,  und 
Martin  Eduard  Simson  (geb.  10.  November  1810),  der  sich  1831  habilitirte,  1833  EO.  und 
1836  0.  wurde,  daneben  dem  Ostpreussischen  Tribunal  angehörte  und  nachmals  politisch  eine 
Rolle  spielte,  die  seinen  Namen  während  länger  als  eines  Menschenalters  auf  das  Engste  mit 
der  neuesten  deutschen  Geschichte  verknüpfen  sollte.  Hierher  ist  auch  Alfred  Nicolovius 
zu  rechnen,  ein  Sohn  des  um  die  Neuorganisation  des  Unterrichtswesens  und  der  kirchlichen 
Einrichtungen  hochverdienten  Staatsrath  Nicolovius  (geb.  13.  Januar  1767,  gest.  24.  October 
1839),^)  PD.  seit  1832,  EO.  1835,  dann  0.  in  Bonn.  Die  Wirksamkeit  anderer  jüngerer 
Männer  wie  die  Karl  Friedrich  Sietzes  (PD.  1830,  EO.  1832,  dankte  ab  und  zog  nach 
Berlin)  und  Ludwig  Moritz  Riedels  (PD.  1832—36,  dann  Kreisgerichtsdirector  zu  Franz- 
burg in  Pommern)  war  zu  kurz,  um  Einfluss  zu  üben  und  Bedeutung  zu  erlangen. 

5.  Die  theologische  Facultät. 
Schwieriger  als  bei  den  anderen  Facultäten  ist  es  bei  der  theologischen,  den  Antheil 
genau  festzustellen,  den  sie  an  der  Entwickelung  ihrer  Wissenschaft  in  den  ersten  vierzig 
Jahren  unsers  Jahrhunderts  genommen  hat,  so  weit  sachliche  oder  persönliche  Momente  ihr 
eine  Einwirkung  auf  dieselbe  oder  dieser  einen  Einfluss  auf  ihre  Entwickelung  vermittelt  haben. 
Zunächst  hatte  auch  diese  Facultät  ihren  reichgemessenen  Antheil  au  dem  Verfall,  der  nach 
Kants  Tod  über  die  Albertina  hereinbrach.  Gelegentlich  der  Reorganisationsverhandlungen 
von  1809^)  urtheilte  der  Curator  von  Auerswald:  „Die  theologische  Facultät  ist  in  einem  sehr 
unvollkommenen  Zustand  und  bedarf  einer  radicalen  Verbesserung."  Zwei  ihrer  Mitglieder, 
den  Vertreter  der  Kirchengeschichte,  Dogmatik  und  neutestamentlichen  Exegese  Johann 
Hartmann  Christoph  Graef,*)  und  den  Oberhofprediger  an  der  Schlosskirche,  Consistorial- 


1)  Personalacten. 

2)  Vgl.  oben  S.  18.  21. 
31  S.  32. 

4)  Geb.  6.  Januar  1744  zu  Tennstädt  in  Thüringen,  in  Leipzig  gnbilUet.  Prediger  und  Rector  zu  Pforten 
in  der  Nieder-Lausitz,  Feldprediger  bei    dem  Dragonerregiment    von  Tzeltritz    zu  Landsberg    an  der  Warthe  und 


146 

ratli  und  vierten  Professor  der  Theologie  Johann  Christoph  Wedeke,')  rühmt  er  zwar  als 
sittlich  achtungswerthe  und  ihr  Amt  ehrlich  und  ernst  nehmende  Männer,  muss  aber  zugeben, 
dass  auch  sie  nicht  allen  Anforderungen  genügen.  Ueber  Georg  Ernst  Sigismund  Hennig^) 
lautet  das  ürtheil  des  sonst  so  milden  und  wohlwollenden  Mannes  ungewöhnlich  scharf.  Ueber 
die  Gründe  dieses  üarniederliegens  der  Theologie  auf  der  Albertina  ist  damals  mehrfach  ver- 
handelt worden.  Als  den  vornehmsten  erkannte  man  allseitig  die  Niedrigkeit  der  den  Professoren 
gewährten  Gehälter  an,  die  hinter  den  auch  recht  dürftigen  der  übrigen  Universitätslehrer 
beträchtlich  zurückstanden.  Deshalb  mussten  die  theologischen  Professoren  geistliche  Aemter 
annehmen  und  sich  weiterhin  noch  mit  Stellungen  im  Kirchenregiment,  als  Consistorialräthe 
u.  a.  m.,  belasten.  Ja,  der  zweite  Professor  der  Theologie,  Samuel  Gottfried  Wald,^) 
war  zugleich  erster  Inspector  des  Priedrichscollegs  und  leitete  als  solcher  das  damit  ver- 
bundene Pensionat,  gründete  ein  Schullehrerseminar  (1796),  wurde  südpreussischer  Consi- 
storialrath  (zu  schriftlicher  Bei'athung  der  Kegierungen  in  Thorn  und  Warschau)  und  1800 
Kirchen-  und  Schulrath  bei  dem  ostpreussischen  Consistorium,  übernahm  nach  Mangelsdorfs 
Tod  1802  auch  noch  die  Professur  der  Geschichte  und  der  Eloquenz,  um  endlich  1806 
nach  Hasses  Tod  die  Professuren  der  griechischen  Sprache,  der  Beredsamkeit  und  der  Ge- 
schichte gegen  die  der  orientalischen  Sprachen  und  Litteratur  einzutauschen  und  1810 
seine  Stellung  an  dem  arg  in  Verfall  gerathenen  Friedrichscolleg  aufzugeben.  Durch  die  Be- 
rufung des  gelehrten  Johann  Severin  Vater*)  im  Jahre  1809  und  des  bishei-igen  Dompre- 
digers in  Naumburg  Johann  Friedrich  Krause  (geb.  26.  October  1770  zu  Reichenbach  im 
Vogtlande,  1794  Diaconus  daselbst),  der  seit  April  1810  auch  Pfarrer  im  Löbenicht  und  Consi- 
storialrath  war,  sowie  durch  die  Ernennung  des  Garnisonpredigers  Ludwig  Jedemin  Rhesa 


als    solcher   im  Baieriechen  Erbfolgekriege    im  Felde,    seit  1788    als  Nachfolger    Lilienthala  Professor    und    Con- 
sistorialrath. 

1)  Früher  Pfarrer,  Erzpriester  zu  Hermsdorf  bei  Pr.  Holland  unter  dem  Patronat  des  Grafen  Dohna- 
Schlodien,  mit  Schleiermacher  zur  Zeit  seines  dortigen  Hauslehrerthums  befreundet,  Verfasser  der  „Bemerkungen 
auf  einer  Heise  durch  Preussen"  (Königsberg  1803),  der  väterliche  Freund  Max  von  Schenkendorfs,  1806  als  Nach- 
folger des  Oberhofpredigers  und  Professors  der  Mathematik  Johann  Ernst  Schulz  berufen,  gest.  Februar  1815. 

2)  Geb.  1749,  Professor  der  Theologie,  Consistorialrath  und  Pastor  an  der  Löbeniohtschen  Kirche,  be- 
kannt als  Verfasser  eines  „Preussischen  'Wörterbuchs",  gest.  23.  September  1809.     Vgl.  S.  135. 

3)  Geb.  17.  October  1762  als  Kaufmannssohn  in  Breslau,  seit  1782  in  Halle  namentlich  unter  Semler 
gebildet,  frühreif,  nach  noch  nicht  zweijährigem  Studium  1784  Magister  legens  in  Leipzig,  wo  er  durch  seine  ge- 
mässigt rationalistische  Kichtung  gegenüber  der  strengen  Orthodoxie  Burschers  Glück  machte,  nach  Veröfl'entlichung 
verdienstvoller  Untersuchungen  über  den  Text  des  Alten  Testaments  KO.,  1786  auf  Empfehlung  Adelungs  durch 
den  Minister  von  Zedlitz  als  0.  der  griechischen  Sprache  nach  Königsberg  berufen,  seit  1793  0.  der  Theologie, 
gest.  22.  Februar  1828. 

4)  Geb.  27.  Mai  1771  zu  Altenburg,  in  Jena  und  in  Halle  durch  F.  A.  Wolf  gebildet,  in  Halle  und  Jena 
als  PD.  und  EO.  thätig,  1800  in  Halle  EO.  der  Theologie  und  der  orientalischen  Sprachen,  1809—1820  in  Kö- 
nigsberg O.  für  alttestamentliche  Theologie,  Kirchengeschichte  und  praktische  Theologie,  litterarisch  namentlich 
im  Gebiete  der  hebräischen  Grammatik  und  allgemeinen  Sprachlehre  thätig,  ein  polyglottes  und  grammatisches 
Talent,  Verfasser  nicht  bloss  einer  deutschen,  sondern  auch  einer  französischen,  polnischen  und  russischen  Gram- 
matik, welche  letztere  sich  durch  eine  neue  Behandlung  der  Zeitwörter  auszeichnete  und  ihm  einen  hohen  russi- 
schen Orden  eintrug,  seit  1808  mit  Bertuch  Herausgeber  des  Archivs  für  Linguistik  und  Ethnographie,  1820  wegen 
seiner  Gesundheit  nach  Halle  versetzt,  gest.  16.  März  1826. 


(geb.  1777  in  dem  später  versandeten  Dorfe  Karwaiten  auf  der  Kurischen  Nehrung,  1813  als 
Brigadeprediger  mit  im  Felde)  zum  EO.  und  Leiter  des  litbauiscLen  Seminars  wurde  dem 
dringendsten  Bedürfniss  abgeholfen.  Doch  machte  der  Tod  Wedekes  im  Februar  1815 
und  der  Fortgang  Krauses,  der  1819  als  Generalsuperintendent  nach  Weimar  (gest.  31.  März 
1820)  kam,  neue  Ergänzungen  nöthig,  in  Folge  deren  1818  ßhesa  0.  wurde.  Neben  seinen 
theologischen  Studien  dauernd  beschäftigt  mit  der  Sprache  und  Poesie  seines  lithauischen 
Volksstammes,  dessen  Volkslieder  —  Dainos  —  er  zuerst  sammelte  und  herausgab,  ist  Rhesa 
der  heimathlichen  Hochschule  bis  an  sein  Ende  (1841)  treu  geblieben  und  betb,ätigte  ihr  seine 
Anhänglichkeit  auch  noch,  indem  er  ihr  sein  Vermögen  vermachte,  um  mit  Hülfe  desselben 
eine  Anstalt  mit  freien  Wohnungen  für  bedürftige  Studirende  —  das  Rhesianum  —  zu  er- 
richten. Nachfolger  J.  F.  Krauses  wurde  1819  Ludwig  August  Kahler,^)  eine  milde  und 
begeisterte,  von  Glaubensfreudigkeit  getragene  Natur,  ausgestattet  mit  einer  aus  der  Tiefe 
des  Gefühls  strömenden  Beredsamkeit,  in  der  akademischen  Thätigkeit  aber  vielfach  ge- 
hindert durch  das  Misstrauen  in  die  eigene  Kraft,  zumal  es  ihm  Anfangs  nicht  an  Conflicten  mit 
den  älteren  Collegen  fehlte.  Viel  Anfeindung  trug  ihm  später  seine  Thätigkeit  ein  als  Com- 
missarius  des  Consistoriums  in  der  Untersucnung  des  sectirerischen  Treibens  der  um  Ebel  und 
Diestel  gesammelten  „Mucker".  Durch  all  das  in  seiner  Kraft  gebrochen,  schied  er  1843  aus  sei- 
nen Aemtern  und  zog  sich  in  die  Stille  des  von  ihm  erkorenen  ländlichen  Ruhesitzes  Wogenab 
am  Haff  nahe  der  Mündung  des  Elbingflusses  zurück,  wo  er  am  4.  November  1855  starb. 

Gleichzeitig  mit  Kahler  war  1819  der  gelehrte,  später  als  Hauptgegner  der  Rationa- 
listen bekannt  gewordene  August  Hahn  (geb.  27.  März  zu  Gross-Osterhausen  bei  Querfurt, 
1810 — 13  in  Leipzig  gebildet,  nach  einigen  Jahren  des  Hauslehrerthums  Zögling  des  Witten- 
berger Predigerseminars)  als  besoldeter  PD.  berufen  worden,  aber  in  Folge  eines  inzwischen 
an  ihn  ergangenen  Rufs  nach  Heidelberg  sofort  (Juli  1819)   zum  EO.  ernannt.     Als  er  1821 

0.  wurde,  gab  er  das  Anfangs  übernommene  Pfarramt  an  der  Altstädtischen  Kirche  auf.  Als 
Kenner  des  Syrischen  machte  er  sich  verdient  durch  Untersuchungen  über  Bardesanes  (1819) 
und  das  Marcianevangelium  in  seiner  ursprünglichen  Gestalt  (1823).  1826  ging  er  nach  Leipzig, 
kehrte  aber  in  den  preussischen  Staatsdienst  zurück  als  Generalsupei'intendent  von  Schlesien, 
in  welcher  Eigenschaft  er  die  schlesische  Kirche  dem  orthodoxen  Lutherthum  unterworfen  hat. 
Er  starb  13.  Mai  1862.2) 

Von    den   Königsberger    Schülern   Hahns   hat   Friedrich    Ludwig    Sieffert    (geb. 

1.  Februar  1803  in  Elbing),  an  der  Albertina   1829  habilitirt,   eine   bedeutende  Wirksamkeit 


1)  Geb.  6.  März  1775  zu  Sommerfeld  in  der  Neumark,  zu  St.  Afra  in  Meissen,  in  Erlangen  1793—96 
gebildet,  1798  Adjunct  zu  Coswig  bei  Guben,  in  den  bescheidensten  Verhältnissen  und  durch  die  Sorge  um  den  Unter- 
halt seiner  zahlreichen  Familie  zur  Schril'tstellerei,  Abfassung  zahlreicher  volksthümlicher  Erzählungen  mit  allgemein 
moralisirender  Tendenz  genöthigt,  1809  Diaconua  an  der  Oberkirche  zu  Kottbus,  wo  er  während  der  Jahre  1813  und 
1814  auch  im  patriotisch  erweckenden  Sinne  thätig  war  uad  durch  eine  Reihe  von  Aufsätzen  und  Flugblättern 
begeistert  für  die  Erneuerung  des  kirchlichen  Lebens  eintrat  und  in  selbständiger  Weise  in  den  Kampf  zwischen 
Rationalismus  und  Supranaturalismus  eingriff,  dadurch  in  weiten  Kreisen  bekannt  geworden.  Vgl.  L»r.  Ludwig 
August  Kahler,  Mittheilungen  über  sein  Leben  und  seine  Schriften  Ton  seinem  ältesten  Sohne  Dr.  S.  A  Kahler. 
Königsberg  1856. 

2)  AUg.  Deutsche  Biogr.,  X,  S.  35(i   fl'. 


entfaltet,  indem  er  in  die  damals  lebhaft  erörterten  Probleme  der  Exegese  des  Alten  Testaments 
in  selbständiger  Weise  eingriff.  Seit  1827  EO.,  erhielt  er  1829  die  Leitung  des  theologisch- 
exegetischen Seminars,  wurde  1830  aus  Anlass  der  von  der  Facultät  veranstalteten  Säcular- 
feier  der  Augsburger  Confession  Doctor  der  Theologie  und  1834  0.  Ein  Augenleiden,  das 
seine  wissenschaftliche  Thätigkeit  zu  beeinträchtigen  anfing,  bestimmte  ihn  1839  die  Stellung 
eines  Hofpredigers  und  Pfarrers  an  der  ßui-gkirche  anzunehmen;  auch  trat  er  später  in  das 
Consistorium  ein.  Sein  Pfarramt  gab  er  1857  auf  und  trat  1873  in  den  Ruhestand;  er 
starb  den  2.  November  1877  in  Bonn. 

Als  Vertreter  der  neutestamentlichen  Exegese  gehörte  der  Albertina  Hermann  01s- 
hausen^)  an,  1821  als  EO.  und  1827  0.,  ausgezeichnet  nicht  bloss  durch  seine  Unter- 
suchungen über  die  älteste  Geschichte  des  neutestamentlichen  Kanons,  sondern  auch  durch  die 
von  ihm  vertretene  neue  Auslegungsmethode,  die  im  Wesentlichen  auf  eine  immer  geistvolle, 
aber  oft  auch  willkürliche  allegorische  Deutung  hinauslief.2)  1834  wurde  er  nach  Erlangen 
berufen,  nachdem  er  nur  vorübergehend  dem  Ebel-Diestelschen  Conventikel  angehört  und  sich 
als  einer  der  Ersten  freimüthig  davon  losgesagt  hatte. 

Seit  1819  gehörte  auch  der  um  das  Volksschulwesen  der  Provinz  Preussen  hoch- 
verdiente Consistorial-  und  Schulrath  Christian  Friedrich  Dinter,^)  nachdem  er  1817 
aus  Anlass  des  Reformationsfestes  zum  Ehrendoctor  promovirt  war,  der  theologischen  Facultät 
als  PD.  an.  Nach  Ablehnung  eines  Rufs  nach  Kiel  1822  EO.,  entfaltete  er  mit  unverwüst- 
licher Arbeitskraft  eine  erstaunlich  umfassende,  freilich  nirgends  tiefgi-eifende  Thätigkeit,^) 
regte  aber  in  zwanglosem  Verkehr  die  ihm  näher  tretenden  Studirenden  vielfach  an.  Durch 
ihn  gewann  die  Pestalozzische  Richtung  noch  grössern  Einfluss,  die  den  künftigen  Geist- 
liehen bekannt  zu  machen  das  Ministerium  bereits  im  August  1812  den  Superintendenten 
Weiss  mit  der  Abhaltung  von  Vorlesungen  für  die  Studirenden  der  Theologie  beauftragt  hatte. 

Die  Zahl  der  Theologie  Studirenden  in  dieser  Periode  hat  beträchtliche  Schwankungen 
durchgemacht  und  zweimal  ein  Maximum  erreicht,  dem  ein  schneller  Rückgang  folgte.  1805 
gehörten  von  333  Studirenden  101  der  theologischen  Facultät  an,  S.S.  1809  gar  158  von 
272,  während  die  Zahl  dann  W.S.  1811/12  auf  112  von  251  und  1820  auf  57  von  218 
zurückging.  Seit  der  Mitte  der  20er  Jahre  wächst  die  Zahl  wieder:  sie  betrug  S.S.  1825 
114  unter  404  Studirenden,  W.S.  1833/34  152  unter  422  und  W.S.  1835/36  gar  162  unter 
406,  worauf  ein  solcher  Rückgang  eintrat,  dass  die  Zahl  der  Theologen  im  S.S.  1844  nur 
67  unter  340  Studirenden  betrug. 

Das  zeitweilige  Wachsthum  der  Zahl  der  Theologen  hatte  eine  Vermehrung,  weiterhin 
aber  auch  einen  lebhaften  Wechsel  des  Lehrerpersonals  zur  Folge.  Im  Februar  1825  wui-de  das 


1)  Geb.  21.  August  lTM^  zu  Oldesloe  in  Holstein,  in  Kiel  und  Berlin  unter  Neander  gebildet  und  1818 
durch  eine  Preisschrift  „Melanchthons  Charakteristik  aus  seinen  Briefen  dargestellt"  empfohlen,  1820  in  Berlin  PD. 

2)  Allg   Deutsche  Biogr.,  XXIV,  S.  325  ff. 

3)  Geb.  29.  Februar  1760  in  Borna  bei  Leipzig,  studirte  in  Leipzig,  1787  Pfarrer  in  Kitscher,  1797 
Director  des  Seminars  in  Dresden-Friedrichstadt,  dann  wieder  Pfarrer  in  Görnitz,  seit  1819  in  Königsberg,  gest. 
29.  Mai  1831. 

i)  Dinters  Leben,  von  ihm  selbst  beschrieben,  S.  297  ff. 


149 

ehemals  bestandene  sechste  Ordinariat  wieder  hergestellt:  es  erhielt  dasselbe  der  Pastor  Karl 
Friedrich  Heinrich  Giehlow  aus  Freystadt  in  Schlesien  unter  gleichzeitiger  Ernennung  zum 
ersten  Dompfarrer  und  Superintendenten;  aber  schon  1829  ging  er  als  Consistorialrath  und  Dompre- 
diger nach  Marienwerder.  Ihn  ersetzte  in  seinem  Pfarramt  August  Eudolf  Gebser,  bisher 
Professor  in  Jena,  unter  gleichzeitiger  Bestellung  zum  EO.:  1830  wurde  er  0.  Gleichzeitig  ha- 
bilitirte  sich  Johann  Ludwig  Karl  Lehnert,  der  1832  EO.  und  1835  0.  der  praktischen 
Theologie  wurde  und  zugleich  als  Prediger  an  der  Löbenichtschen  Kirche  und  Consistorialrath 
wirkte.  Der  seit  1829  als  PD.,  seit  1832  als  EO.  und  seit  1835  als  0.  der  theologischen 
Facultät  angehörige  Orientalist  Cäsar  von  Lengerke*)  trat  1843  zur  philosophischen  Fa- 
cultät  über.  In  demselben  Jahre  wurde  in  Isaak  August  Dorner  ein  bedeutender  Ver- 
treter der  Dogmatik  und  der  Kirchengeschichte  berufen.  Zu  welchen  Verwickelungen  die 
1841  erfolgte  Berufung  Häv  ernick s  Anlass  gab,  ist  in  einem  anderen  Zusammenhange  er- 
zählt worden. 

üeberhaupt  spitzten  sich  die  seit  1830  verschärften  Gegensätze  in  der  Theologie  und 
in  der  Kirche  zu  Anfang  der  40er  Jahre  vollends  zu,  namentlich  in  Folge  der  Untersuchung, 
die  auf  die  von  dem  Hengstenbergischen  Kreise  ausgegangenen  Anklagen  hin  gegen  die 
Hallenser  Professoren  Wegscheider  und  Gesenius  geführt  wurde.  Unter  Mittheilung  des 
resultatlosen  Ausgangs  dieses  Verfahrens,  das  nichts  ergab,  „weshalb  von  Staatswegen  in 
Betreff  der  Lehrvorträge  der  beiden  Professoren  einzuschreiten  wäre",  gab  damals  (1830)  das 
Ministerium  auch  der  theologischen  Facultät  zu  Königsberg  die  Willensmeinung  des  Königs 
dahin  kund,  „ohne  auf  die  Verschiedenheit  der  dogmatischen  Systeme  in  der  Theologie  ent- 
scheidend einwirken  zu  wollen,"  erwarte  er  doch  von  allen  Lehrern  „eine  würdige  Behand- 
lung der  heiligen  Gegenstände  und  auch  bei  abweichenden  Ansichten  ein  stetes  Festhalten 
des  Gesichtspunktes,  dass  durch  ihre  Lehrvorträge  junge  Theologen  für  die  evangelische 
Kirche  gebildet  werden  sollen.' 2)  Wie  sich  in  der  Folge  die  Dinge  wandelten,  lehrt  ein  Ver- 
gleich dieser  Königlichen  Aeusserung  mit  der  Art,  wie  man  1843  gegen  den  Versuch  des 
neu  habilitirten  theologischen  PD.  Dr.  Jachmann  einschi-itt,  in  einer  öffentlichen  Vorlesung 
den  Einfluss  der  neueren  Philosophie  auf  die  Theologie  und  die  Nothwendigkeit  einer  Reform  der 
letzteren  zu  behandeln.  Das  Ministerium  gab  (31.  März)  der  theologischen  Facultät  zu  erwägen, 
„ob  nicht  irgend  eine  zwar  nicht  die  Lehrfreiheit  beschränkende,  aber  doch  an  die  grosse  Schwierig- 
keit des  Unternehmens  und  an  die  hieraus  für  die  Docenten  erwachsende  Verpflichtung  nachdrück- 
lich erinnernde  Bemerkung  dem  Dr.  Jachmann  gegenüber  am  Platze  wäre."  Es  hielt  „eine  solche 
um  so  mehr  für  angezeigt,  je  weniger  derselbe  bis  jetzt,  so  weit  dem  Ministerium  bekannt  ge- 
worden ist,  von  seiner  Bekanntschaft  mit  der  neueren  Philosophie  und  von  seinen  erfolg- 
reichen, alle  Theile  umfassenden  Studien  unzweideutige  Beweise  geliefert  hat  und  dadurch 
seine  Befähigung,  über  die  Nothwendigkeit  einer  Reform  der  Theologie  eine  Gratisvorlesung 
zu  halten,  ausser  Zweifel  gestellt  hat."  An  der  Gratis  Vorlesung  scheint  man  namentlich  der 
Thatsache  gegenüber  Anstoss  genommen  zu  haben,   dass   die   theologische  Facultät  auf  Grund 


1)  Vgl.  S.  104. 

2)  Acten  der  Theol.  Fac.  U.  1. 


__^150__ 

der  Erfahrung,  dass  die  öffentlichen  Vorlesungen  den  Fleiss  der  Studirenden  nicht  anregten, 
d.  h.  nicht  hinreichend  besucht  wurden,  Ende  des  Jahres  1831  beschlossen  hatte,  hinfort  alle  Haupt- 
vorlesungen privatim  zu  halten.  Die  Antwort,  welche  die  Facultät  durch  den  Decan  Hävernick 
(4.  April)  auf  jene  ministerielle  Anregung  ertheilte,.  lässt  eine  ruhigere  und  unbefangenere  Auf- 
fassung der  Verhältnisse  erkennen.  Die  Aufforderung  zur  Rücknahme  der  beanstandeten  Vor- 
lesungsanzeige hält  sie  nicht  für  angemessen,  einmal  weil  sie  voraussichtlich  doch  keinen  Erfolg 
haben  würde,  und  dann,  weil  bei  der  ünbedeutendheit  der  bisherigen  Leistungen  des  Dr.  Jach- 
mann ein  besonderer  Erfolg  von  der  Vorlesung  nicht  zu  erwarten  stünde,  wohl  aber  ein  der- 
artiges Einschreiten  dafür  Reclame  machen  und  ihr  eine  nicht  zukommende  Bedeutung  bei- 
legen würde.  Weitere  Folgen  hat  der  Zwischenfall  nicht  gehabt,  da  Jachmaun  ohnehin  auf 
eine  Fortsetzung  der  akademischen  Thätigkeit  bald  verzichtete. 


IL  Die  Albertus-Universität 

im 

siebenten  halben  Jahrhundert  ihres  Bestehens. 
18M— 94. 


I.  Die  Jahre  1844-62. 

So  vielverbeissend  der  Eintritt  der  Albertusuniversität  in  ihr  viertes  Jahrhundert 
sich  vollzogen  hatte  und  so  frohe  Hoffnungen  für  ihre  Zukunft  alle  Theilnehmer  an  dem  Jubi- 
läum mit  heim  nahmen:  —  selbst  in  jenen  festlichen  Tagen  hatte  man  doch  die  Gewitter- 
schwüle nicht  vergessen  können,  die  auf  der  ganzen  Zeit  lastete.  Nach  Art  des  Wetter- 
leuchtens, das  ein  noch  ungesehen  heraufziehendes  Gewitter  ankündigt,  hatte  sie  von  rechts 
und  links  aufblitzend  selbst  einzelne  Momente  des  Festes  grell  beleuchtet.  Ein  herrliches 
Wort  hatte  ihr  Königlicher  Rector  der  Albertina  bei  der  Grundsteinlegung  zu  ihrem  neuen  Hause 
als  „kurzen,  aber  inhaltschweren  Glückwunsch"  mitgegeben:  „Sie  soll  ein  Heerd  des  Lichtes 
sein:  ihre  Losung  sei  vorwärts."  Aber  die  Deutung,  die  Er  ihm  dann  gab,  und  die  erneute 
Polemik  gegen  Vorgänge  der  letzten  Monate,  die  man  endgültig  abgethan  gewähnt  hatte, 
offenbarten  den  Gegensatz  von  Neuem,  welcher  die  ganze  Zeit  zerriss  und  den  nächsten 
fünfzehn  Jahren  auch  für  diese  Hochschule  ihre  Signatur  geben  sollte.  ,,Äber  sie  folge  ihr"  — 
so  war  der  König  fortgefahren  —  „nimmermehr  auf  der  h-rbahn  des  Kometen  oder  auf  dem 
Wege  der  Peuersbrunst,  die  —  von  Dunkel  umhüllt  —  vorschreitet.  Die  Früchte  ihres  Stre- 
bens  seien  Gottesfurcht  —  aller  Weisheit  Anfang,  echte  Treue,  die  da  weiss,  dass  man  dem 
Fürsten  nicht  dient,  wenn  man  seine  hohen  Diener  herabzieht"  —  ein  herber  Nachklang  zu 
den  Reden,  die  zu  Beginn  des  Festes  zwischen  dem  Minister  Eichhorn  und  dem  Prorector 
Burdach  gewechselt  waren.')  Das  empfand  man  schmerzlich,  trotz  der  gnädigen  Haltung  des 
hohen  Herrn  bei  der  den  Professoren  gewährten  Abschiedsaudienz,  bei  der  Burdach  der 
Albertina  die  Erlaubniss  auswirkte,  dass  sie  bei  vorkommender  Gelegenheit  ihre  Vorstellungen 
unmittelbar  an  den  König  richten  und,  da  der  geschriebene  Buchstabe  das  lebendige  Wort 
nicht  ersetzen  könne,  ihm  ihre  Angelegenheiten  durch  Abgeordnete  persönlich  vortragen 
dürfe.'')  Auch  fanden  die  Vorgänge  des  Jubiläums  lebhaften  Wiederhall  in  der  Presse,  und 
Burdachs  Haltung  wurde  von  gewisser  Seite  zum  Gegenstand  einer  abfälligen  Kritik  gemacht. 
Es  war  eine  wohlverdiente  Genugthuung  für  den  würdigen  Mann,  dass  solchen  Angriffen 
gegenüber  das  Generalconcil  am  16.  November  1844  unter  Vorsitz  des  Vice-Prorectors 
Neumann  eine  Adresse  an  ihn  beschloss,  in  der  es  ihm  in  warmen  Worten  seinen  Dank  aus- 
sprach für  die  würdige  Vertretung  der  Universität  während  des  Jubiläums. 


1)  Vgl.  S.  106. 

2)  Burdach  a.  a.  Ü., 


154 

Diese  Differenzen,  in  die  der  Königsberger  Festjubel  ausklang,  wurden  nun  gleichsam 
das  Vorspiel  für  die  nächsten  Jahre,  die  dem  preussischen  Staate  heftige  innere  Kämpfe 
brachten.  Dem  ungeduldigen  Vorwärtsdrängen  von  der  einen  Seite  begegnete  von  der  an- 
deren ein  um  so  zäherer  Widerstand,  als  man  destructive  Tendenzen  abwehren  zu  müssen 
glaubte.  Indem  man  für  diese  kurzweg  den  Rationalismus  verantwortlich  machte,  den  die 
Hegeische  Philosophie  gezeitigt  haben  sollte,  und  von  da  aus  schliesslich  die  Umkehr  der 
Wissenschaft  forderte,  sahen  sich  insbesondere  die  zu  Hüterinnen  der  freien  Forschung  be- 
i-ufenen  Universitäten  bald  vor  eine  lange  Reihe  von  Conflicten  gestellt.  Bei  der  Albertina 
war  das  um  so  mehr  der  Fall,  als  die  Stadt  Königsberg  seit  dem  Beginn  der  vierziger  Jahre 
in  der  liberalen  Bewegung  eine  leitende  Stellung  und  damit  weit  über  die  Provinz  Preussen 
hinaus  Ansehen  und  Einfluss  gewonnen  hatte.  Da  nun  für  eine  angemessene  Betheiligung  an 
den  öffentlichen  Angelegenheiten  damals  dem  Einzelnen  so  wenig  wie  Corporationen  ein 
gesetzlich  anerkannter  Raum  gewährt  war,  so  kam  es  zu  allerlei  Demonstrationen,  die  dann 
als  tadelnswerthe  Uebergriffe  durch  strenge  Rügen  geahndet  wurden.  Besonders  offenbarte 
sich  in  jenen  Jahren  der  Widerspi-uch,  der  in  Bezug  auf  die  Stellung  der  Universitäten  zum 
öffentlichen  Leben  obwaltete,  und  zwar  nicht  bloss  zwischen  der  vorgesetzten  Behörde  und 
den  akademischen  Körperschaften,  sondern  oft  auch  innerhalb  dieser  selbst.  Treffend  bemerkte 
darüber  in  Bezug  gerade  auf  Königsberg  Rosenkranz  in  einer  Rede  bei  Niederlegung  seines 
ersten  Prorectorats  1846,')  es  sei  ein  Widerspruch,  „dass  einerseits  von  der  Universität  vor- 
ausgesetzt wird,  sie  werde  sich  an  allen  Elementen  des  Staats  und  der  Kirche,  an  der  ge- 
sammten  Oeffeutliclikeit  mit  lebhaftem  Interesse  betheiligen."  „So  forderte  es  Se.  Excellenz 
der  Minister  Eichhorn  nicht  nur  von  der  Universität  zu  Bonn,  sondern  auch  von  uns,  als  er 
bei  der  Jubelfeier  uns  in  der  Aula  zuerst  anredete-)  und  uns  ermahnte,  die  Gegenwart  recht 
ins  Auge  zu  fassen  und  die  Jugend  in  ihr  Verständniss  einzuführen.  Andererseits  aber,  wenn 
nun  die  Universität  mit  dem  übrigen  Leben  in  regere  Wechselwirkung  tritt,  wenn  sie  zeigt, 
dass  sie  gegen  die  Entwicklung  desselben  nichts  weniger  als  gleichgültig  ist,  so  wird  ihr  dies 
auch  wieder  zum  Vorwurf  gemacht,  als  mische  sie  sich  in  Dinge,  welche  sie  nichts  angingen. 
Die  Freiheit  der  Universität  soU  mithin  eine  gewisse  Grenze  haben ;  welches  aber  diese  Grenze  sei, 
das  ist  eben  zweifelhaft,  und  eine  und  dieselbe  Handlung  kann  nach  ganz  verschiedenen 
Seiten  ausgelegt  werden.-'  Diese  Erfahrung  hat  die  Albertina  in  jenen  Jahren  wiederholt  zu 
machen  gehabt,  so  sehr  sie  ihre  Würde  zu  wahren  wusste  und  es  vermied  sich  von  den  ge- 
legentlich so  hoch  gehenden  Wogen  der  Agitation  fortreissen  zu  lassen.  An  scharfen  Gegen- 
sätzen freilich  und  heftigen  Conflicten  hat  es  auch  innerhalb  ihres  Lehrkörpers  nicht  gefehlt. 
Dabei  trifft  es  wohl  im  Wesentlichen  zu,  wenn  Rosenkranz^)  bemerkt,  die  theologische  und 
juristische  Facultät  seien  „conservativ-retrograd",  die  medicinische  und  philosophische  „liberal- 
progressiv" gewesen.  Gelegentlich  haben  sich  diese  Parteiunterschiede  wohl  auch  zu  unlieb- 
samer persönlicher  Schärfe  zugespitzt.  Aber  selbst  die  entschlossensten  Gegner  der  neuen 
Zeit    haben    sich    doch   von    ihren    anders    denkenden  Collegen    niemals   getrennt,    wenn   es 


1)  Aus  Rosenkranz'  Papieren,  mitgetlieilt  von  seinem  Enkel,  Herrn  Dr.  phil.  Max  Jacoljson. 

2)  Vgl.  S.  106. 

3)  Fragment  eines  Tagebuchs,  ebenfalls  durcb   Herrn  Dr.  Jacobson  mitgetheilt. 


155 

•ralt,  in  den  Grundrechten  der  Universität  die  unerlässlichen  Bedingungen  für  ihr  erfolgreiches 
"Wirken  gegen  allmähliche  Untergrabung  oder  offene  Eingriffe  zu  vertheidigen  und  mit  der 
Würde  der  Wissenschaft  zugleich  die  Fi-eiheit  ihrer  Lehre  zu  wahren.  Dabei  galt  es  noch, 
die  tendenziösen  AngriiFe  untergeordneter,  aber  durch  ihre  Nähe  und  Unermüdlichkeit  unbe- 
quemer Gegner  abzuwehren.  So  wurde  z.  B.  der  von  Pflugk  herausgegebene  „Freimüthige" 
nicht  müde,  gehässige  Denunciationen  gegen  die  Studirenden  vorzubringen:  er  schilderte  sie 
als  Ideale  burschikoser  Verwilderung  und  trug  ihnen  die  harmlosesten  Aeusserlichkeiten  und 
Zufälligkeiten  als  besondere  Yargehen  nach.  Nach  Rosenkranz'  Ansicht  hatte  sich  jeder  neue 
Prorector  gegen  die  stereotypen  Beschuldigungen  des  ,,Freimüthigen''  abzuhärten,  insbesondere 
auch  gegen  den  Vorwurf  der  zu  grossen  Milde  in  der  Behandlung  der  akademischen  Jugend. 
Heute  entbehren  diese  Vorgänge  vielleicht  des  allgemeinen  Interesses.  Die  Gegensätze,  welche 
damals  so  leidenschaftlich  zusammenstiessen,  sind  überwunden  und  ausgeglichen  und  die  Probleme, 
denen  sie  entsprangen,  gelöst  oder  durch  neue  und  höhere  ersetzt:  für  den  Geschichtschreiber 
der  Albertina  aber,  der  die  wechselnden  Bedingungen  ihres  Daseins  und  die  mit  diesen 
wechselnden  Formen  ihres  Wirkens  zu  verfolgen  hat,  sind  sie  nicht  gleichgültig.  Auch  können 
die  daraus  entsprungenen  Verwickelungen  um  so  unbefangener  besprochen  werden,  je  ein- 
müthiger  heute  die  einst  leidenschaftlich  verfochtenen  Extreme  iiüben  und  drüben  verurtheilt 
werden.  Und  erinnert  man  sich  dann  der  erlösenden  Entschiedenheit,  mit  der  die  auf  Um- 
kehr der  Wissenschaft  gegründete  Richtung  endlich  im  Beginn  einer  neuen  Zeit  durch  den 
Mund  des  Fürsten  verurtheilt  wurde,  der  zum  Schöpfer  ungeahnter  Grösse  für  Preussen  be- 
rufen war,  dann  wird  man  auch  das  Verdienst  derer  nicht  gering  anschlagen  wollen,  die  sich 
ihr  entschlossen  und  uuentmuthigt  entgegenstellten,  um  in  der  geschichtlich  gewordenen  und 
rechtlich  verbrieften  Stellung  der  preussischen  Universitäten  zugleich  mit  der  Freiheit  und  der 
Zukunft  der  Wissenschaft  auch  ein  gutes  Stück  von  der  Zukunft  Preussens  und  Deutschlands 
zu  vertheidigen. 

Das  aber  hat  damals  namentlich  auch  die  Albertina  gethan,  entsprechend  der  hervor- 
ragenden, weithin  sichtbaren  und  weithin  maassgebenden  Stellung,  die  sie  durch  das  Jubiläum 
gewonnen  hatte.  Erschwert  wurde  ihr  das  nicht  bloss  durch  ihre  isolirte  Lage:  sie  erschwerte 
die  Unterhaltung  des  regen  Verkehrs,  der  zur  Gewinnung  recht  lebendiger  Fühlung  kaum 
entbehrt  werden  kann.  Besondere  Rücksichten  wurden  ihr  durch  die  Ehre  des  Königlichen 
Rectorats  auferlegt.  Denn  Schritte,  die  anderwärts  rein  sachlich  beurtheilt  wurden,  erfuhren 
hier  eine  gewissermassen  persönliche  Beleuchtung.  In  dieser  aber  erschienen  die  obwaltenden 
Differenzen  grösser,  als  sie  thatsächlich  waren.  Jener  vertrauensvolle  unmittelbare  Verkehr 
der  Universität  mit  ihrem  Königlichen  Rector,  der  in  der  letzten  Stunde  des  Jubelfestes  für 
gewisse  Fälle  erbeten  und  gewährt  worden  war,  hat  niemals  stattgefunden.  Vielmehr  drohten 
neue  Conflicte  die  Albertina  auf  die  Dauer  um  die  eben  wiedergewonnene  Gnade  des  Königs 
zu  bringen.  Aber  unbesctiadet  der  Liebe  und  Ehrfurcht,  die  sie  ihrem  Königlichen  Rector 
in  unwandelbai-er  Treue  entgegenbrachte,  hat  die  Albertina  an  den  von  ihr  bekannten  Grund- 
sätzen überzeugungstreu  festgehalten  und  sie  auch  unter  dem  schmerzlich  empfundenen  Druck 
der  Königlichen  Ungnade  pflichtgemäss  vertreten.  So  verdiente  sie  auch  in  den  folgend(!n 
Jahren  das  Lob,  das  ihr  im  Hinblick  auf  die  Conflicte  unmittelbar  vor  dem  Jubiläum  Gotttried 

20* 


156 

Hermaun  in  einem  IJriefe  an  Lobeck  ertheilte:  „Ich  freue  mich  immer,  wenn  ich  von 
Königsberg  etwas  höre.  Denn  dort  scheint  ein  wackeres,  tapferes  Geschlecht  einheimisch  zu 
sein,  das  der  aufgedrungenen  Nacht  feind  ist,  und  ihre  Commilitonen  sind  eine  tüchtige  Armee, 
die  sich  nicht  werfen  lässt,  wie  sehr  man  auch  von  allen  Seiten  darauf  ausgeht,  die  Univer- 
sitäten in  Schulen  zu  verwandeln  und  womöglich  die  Studenten  vne  Currentschüler  in  schwarzen 
Mänteln  geistliche  Lieder  durch  die  Strassen  singen  zu  lassen."') 

Die  letzte  Aeusserung  des  grossen  Philologen  triift  wohl  das  mit  gesteigertem  Nach- 
druck erneute  Bestreben,  den  akademischen  Unterricht  durch  Einführung  mehr  schulmässiger 
Formen  seiner  bisherigen  Freiheit  zu  berauben.  Ein  Ministerialerlass  vom  22.  Januar  1844 
hatte  bereits  seine  „Vervollständigung  durch  repetitorisch-conversatorische  Uebungen"  gefordert. 
Ohne  den  Nutzen  in  Abrede  zu  stellen,  den  eine  solche  Unterrichtsmethode  in  gewissen  Fällen 
haben  könne,  sprach  sich  die  philosophische  Facultät  dahin  aus,-)  dass  sie  weder  für  jedes 
Fach  noch  für  jeden  Docenten  passe,  ihre  Anwendung  daher  füglich  dem  Einzelnen  überlassen 
bleiben  müsse.  Dennoch  erging  an  die  theologische  Facultät  am  27.  Mai  1844  die  Weisung, 
zu  Ende  jedes  Semesters  solle  jeder  Docent  dem  Decan  anzeigen,  was  er  in  dieser  Hinsicht 
versucht  habe,  der  Decan  aber  solle  darüber  binnen  drei  Wochen  an  den  Minister  berichten.^) 

Schwerer  bedroht  wurde  die  Zukunft  der  Universitäten  durch  das  beabsichtigte  Ein- 
schreiten gegen  die  Missstände,  die  in  der  Organisation  des  Privatdocententhums  zu  Tage  ge- 
treten sein  sollten.  Schon  ein  Ministerialerlass  vom  29.  October  1842  hatte  den  Facultäten 
in  Betreff  der  Privatdocenten  „strenge  und  sorgsame  Prüfung  bei  der  Zulassung  und  fort- 
gesetzte Beobachtung  der  weiteren  Entwickelung  derselben  in  Beziehung  auf  Lehrgabe,  ge- 
diegene wissenschaftliche  Bildung  und  schriftstellerische  Leistungen"  zur  Pflicht  gemacht,  mit 
der  Motivirung,  dass  man  die  Talentvollen  zu  befördern  beabsichtige,  denen  aber,  die  den 
gehegten  Erwartungen  nicht  entsprächen,  den  ßath  zum  Verlassen  einer  Laufbahn  geben  wolle, 
auf  der  sie  keine  Aussicht  des  Fortkommens  hätten.  Wegen  der  Schwierigkeit  eines  solchen 
Schrittes  aber  wünschte  man  lieber  die  Bestimmung  getroffen  zu  sehen,  „es  solle  den  Privat- 
docenten die  Venia  legendi  stets  nur  auf  eine  bestimmte  Anzahl  von  Jahren  ertheilt  und  nach 
deren  Ablauf  nur  durch  einen  besondern  Facultätsbeschluss  verlängert  werden  können." 
Damit  wäre  eine  Ordnung,  die  damals  in  den  fünf  Facultäten  zu  Bonn,  sowie  in  der  katholisch- 
theologischen, der  juristischen  und  der  medicinischen  Facultät  zu  Breslau  in  Kraft  war,  in  der 
Weise  allgemein  eingeführt  worden,  dass  die  Habilitation  als  Privatdocent  zunächst  immer  nur 
auf  vier  Jahre  gegolten  hätte.  Für  die  noch  festzustellenden  Statuten  der  Facultäten  der 
Albertina  wurde  empfohlen,  entsprechend  der  Cabinetsordre  vom  6.  Januar  1820,  nach  der 
nur  solche  Mediciner  als  Privatdocenten  zugelassen  werden  durften,  welche  die  Approbation 
als  Aerzte  besassen,  die  Bestimmung  zu  treffen,  es  sollten  in  der  theologischen  Facultät  bloss 
bereits  bestandene  Predigtamtscandidaten  und  bei  der  juristischen  bloss  solche  zur  Habilitation 
zugelassen  werden,  die  das  zweite  juristische  Examen  abgelegt  hätten:  nur  dann  stände  den  Be- 
treffenden der  Uebertritt  in  einen  anderen  Beruf  offen.     Wie  es  damit  bei  der  philosophischen 

1)  Ludwich  a.  a.  0.,  S.  345. 

2)  Philos.  Fac,  A.  5.   II. 

3)  Theol.  Fac.  L.  1. 


157  _ 

Facultät  gehalten  werden  sollte,  wurde  nicht  eesagt  —  sie  galt  wohl  l)ereits  als  ausschliesslich 
zur  Vorbildung  für  das  höhere  Schulamt  bestimmt,  und  die  Erinnerung  an  ihre  ursprüngliche 
Bedeutung  war  völlig  erloschen. 

Einstimmig  sprach  sich  das  Geueralcoucil  der  Albertina  in  einem  von  Rosenkranz 
redigirten  Gutachten  vom  11.  April  1845  gegen  diese  Neuerung  aus,  die  gerade  das  Gegen- 
theil  von  einer  Förderung  dieses  wichtigen  Instituts  zu  bewirken  geeignet  sei.  Wer  sein 
Glück  als  Privatdocent  versucht  —  so  wurde  ausgeführt  —  handele  aus  freiem  Entschluss 
und  in  reiner  Liebe  zur  Wissenschaft:  er  wisse,  dass  er  damit  irgend  ein  Recht  auf  Beför- 
derung nicht  erwerbe.  Aber  eben  diese  unbedingte  Hingabe  sei  nöthig  zu  einem  wirklichen 
Erfolge.  Deshalb  sei  das  Privatdocententhum  die  Basis  der  ganzen  Universität  als  einer 
lehrenden  Körperschaft,  aus  welcher  sie  sich  am  zweckmässigsten  recrutire.  Das  vom 
Minister  befürchtete  Eindringen  Untüchtiger  oder  gar  Unwürdiger  sei  durch  die  Habilitations- 
prüfungen ausgeschlossen.  Die  vorgeschlagene  Bestimmung  würde  nur  bewirken,  dass  die 
Docenten  durch  allerhand  äusserliche  Mittel  —  also  in  unwissenschaftlicher  Weise  —  Erfolge 
zu  gewinnen  trachteten.  Auch  könne  man  doch  nicht  Allen  ohne  Unterschied  dieselbe  Probe- 
zeit vorschreiben,  da  der  Eine  sich  schnell,  der  Andere  langsam  entwickele.  Was  würde 
unter  dem  Druck  einer  solchen  Bestimmung  wohl  aus  dem  berühmtesten  Lehrer  der  Albertina 
geworden  sein,  da  Kant  volle  fünfzehn  Jahre  über  die  Privatdocentur  nicht  hinausgekommen 
sei?  Und  welche  Kränkung  würde  dem  Ehi-gefühle  eines  strebsamen  jungen  Mannes  zugefügt 
werden,  dem  man  nach  vier  Jahren  die  Verlängerung  der  Venia  legendi  verweigerte  und  ihn 
so  gleichsam  geistig  bankerott  erklärte!  Zudem  sei  doch  auch  in  anderen  Berufsarten  ein 
Unterkommen  nicht  so  leicht  zu  finden,  wie  denn  vor  der  juristischen  Laufbahn  bereits 
amtlich  wiederholt  gewarnt  worden  sei.  Sinn  und  Bedeutung  des  Privatdocententhums  als 
einer  für  die  deutschen  Universitäten  nicht  bloss  charakteristischen,  sondern  zu  ihrem  Gedeihen 
unentbehrlichen  Institution  fasst  das  Gutachten  in  die  bemerkenswerthen  Worte:  „Die  Venia 
legendi  ist  nur  die  Aufhebung  der  negativen  Bestimmung,  dass  nicht  Jeder  überall  laut  sagen 
darf,  was  er  möchte.  Ohne  Zweifel  kann  jede  Regierung  aus  höheren  Rücksichten  das 
natürliche  Recht  der  freien  Aeusserung  beschränken ;  ob  aber  auch  aus  gleichsam  bloss  väter- 
licher Rücksicht  auf  das  eigene  Wohl  derer,  die  es  betrifl't,  erscheint  mindestens  zweifelhaft 
und  würde  gewiss  zu  gehässigen  Auslegungen  Anlass  geben."  Besonders  bedenklich  erschien 
dem  Generalconcil  die  geplante  Neuerung  für  die  philosophische  Facultät,  weil  bei  der  Ver- 
einigung der  verschiedensten  Fächer  in  ihr  die  Entscheidung  über  die  Ei-streckung  der  einem 
Privatdocenten  verliehenen  Venia  legendi  oft  genug  in  der  Hand  eines  einzelnen,  sachlich 
allein  competenten  Fachordinarius  liegen,  ein  solcher  aber  doch  wohl  nicht  unter  allen  Um- 
ständen der  Versuchung  widerstehen  würde,  einen  ihm  unbequemen  Jüngern  Concurrenten  zu 
beseitigen.  Solchen  Gefahren  aber  dürfe  man  die  Leute  nicht  aussetzen,  welche  auch  als 
Mittelglieder  zwischen  Professoren  und  Studenten  unentbehrlich  seien:  ihr  gerade  dafür  be- 
sonders wichtiger  idealer  Sinn  würde  gestört  werden,  wenn  sie  schon  vor  dem  Eintritt  in  die 
akademische  Lehrthätigkeit  sich  aul  ein  anderes  Amt  vorbereiten  und  dazu  befähigen  müssten.^) 

1)  Phil.  Fac.  A    I.  It.  Rosenkranz' Papiere. 


158 

Nach  alledem  stand  das  Generalconcil  nicht  an,  sich  schliesslich  dahin  zu  äussern,  die  geplante 
Aenderung  sei  „keine  Reform  zum  Bessern,  vielmehr  eine  das  Wesen  des  Instituts  der  Privat- 
docenten  und  damit  zugleich  das  der  deutschen  Universitäten  vernichtende  Revolution."  Wie 
zutreffend  übrigens  hier  das  Wesen  der  Berechtigung  zu  akademischer  Lehrthätlgkeit  in  der 
Freiheit  gefunden  war  seine  Meinung  zu  äussern,  lehrte  der  damals  gemachte  Versuch,  den 
Gebrauch  dieses  Rechts  auf  den  eng  geschlossenen  Kreis  der  Universität  selbst  zu  be- 
schränken, um  eine  Einwirkung  der  akademischen  Lehrer  auf  das  schneller  pulsende  öffent- 
liche Leben  möglichst  auszuschliessen.  Ein  Erlass  des  Ministers  des  Innern  verfügte  entgegen 
der  bisher  geübten  Praxis,  dass  Universitätslehrer,  wenn  sie  vor  einem  gemischten  Publicum 
A''orträge  halten  wollten,  dazu  die  Genehmigung  sowohl  des  Oberpräsidenten  als  auch  des 
ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  einholen  müssten.') 

Sicherlich  wurden  die  Universitäten  durch  solche  Maassregeln  nicht  gehoben.  Rechte 
Berufsfreudigkeit  und  Schaffenslust  konnte  bei  ihren  Lehrern  kaum  noch  aufkommen.  Ver- 
stimmung und  Entmuthigung  gewannen  bei  den  Einen,  Aeusserlichkeit  und  Streberthum  bei 
den  Änderen  die  Oberhand,  und  je  mehr  Jemand  in  den  Traditionen  der  glücklicheren  fi-üheren 
Zeiten  heimisch  war  und  an  den  dort  wurzelnden  Idealen  festhielt,  um  so  fremdei  und  unbe- 
haglicher fühlte  er  sich  in  diesen  Verhältnissen  und  um  so  trüber  sah  er  Gegenwärt  und  Zu- 
kunft. So  bemerkte  damals  Rosenkranz  in  seinem  kurz  andeutenden  Erinnerungsbuch: 
„Seit  dieser  Zeit  siecht  die  Universität;  nur  wenige  ihi-er  Lehrer  sind  davon  frei  durch  Geld, 
Beförderung,  Orden  corrumpirt  werden  zu  können  oder  es  schon  zu  sein."  Und  den  Zeitraum 
von  1844 — 47  kennzeichnete  er  nachmals  mit  den  harten  Worten:  „Die  Wissenschaften  werden 
ganz  handwerksmässig  betrieben  uud  der  Geist  immer  seltener.  Die  Studenten,  alle  fast  durch 
Beneficien  abhängig  gemacht,  sind  ohne  Selbständigkeit."  „Noch  dominirt  die  philosophische 
Facultät;  aber  die  Zeit  ist  vielleicht  nicht  fern,  wo  die  theologische  herrscht."  In  der  gleichen 
Richtung  bewegten  sich  auch  die  Besorgnisse  Lobecks:  „Unsere  Universität"  —  schrieb  er 
den  25.  December  1845  au  Gottfried  Hermann,-)  —  „welche  in  den  letzten  Jahren  die  schmerz- 
lichsten Verluste  erlitten  hat,  —  recrutirt  sich  jetzt  natürlich  im  Geist  des  jetzigen  Kirchen- 
regiments mit  Jüngern  des  Hosius  und  Athanasius.  Es  steht  uns  allem  Anschein  nach  eine 
lange  Nacht  bevor  —  /"(J>j  y('Q  aca/.oiäui,  sagt  Thukydides  I,  51.-'  Diese  Stimmung  erklärt 
es,  wie  damals  selbst  unbedeutende  Vorgänge  mit  leidenschaftlichem  Eifer  aufgefasst  werden 
und  Demonstrationen  veranlassen  konnten,  die,  an  sich  recht  unschuldig  und  jedenfalls  un- 
gefährlich, erst  durch  die  heftige  Gegenwirkung,  die  sie  erzeugten,  zu  unverdienter  Wichtig- 
keit erhoben  wurden.  Es  wurden  in  dem  Verhältniss  zwischen  Regierung  und  Universitäten 
ähnliche  Fehler  gemacht,  wie  sie  dreissig  Jahre  früher  gegenüber  der  akademischen  Jugend 
begangen  waren:  man  nahm  Alles  zu  tragisch  und  machte  geringe  Uebel  dadurch  erst  recht 
schlimm.  In  diesen  Fehler  verfielen  aber  auch  die  Professoren,  und  wenn  die  so  zwischen 
beiden  Theilen  entstandene  Spannung  schliesslich  die  ihrer  gemeinsamen  Pflege  befohlenen 
Interessen  zu  schädigen  drohte,  so  traf  die  Verantwortung  dafür  keineswegs  bloss  die  eine 
Seite.     Besonders  das  Jahr  1845  —  46  war  reich  an  bedauerlichen  Irrungen  der  Art. 

14  P.  77.  I. 

2)  Ludwich,  S.  479. 


159 

Am  3.  März  1845  zeigte  der  Professor  des  KircheHrechts  Jacobson  dem  Prorector 
ßurdacb  au,  er  habe  das  ihm  von  der  Regierung  angetragene  Amt  eines  Bezirkscensors 
abgelehnt.  Daraufbin  bescbloss  das  Generalconcil  auf  Antrag  von  Bui'dacbs  Nacbfolger  im 
Prorectorat,  Rosenkranz,  am  11.  April  mit  14  gegen  11  Stimmen,  an  Jacobson  ein  Dank- 
und  Glückwunschscbreiben  zu  richten.  Darin  wurde  dem  von  ihm  gethanen  Schritt  eine 
Deutung  gegeben  und  eine  Motivirung  untergeschoben,  die  Jacobson  fern  gelegen  zu  haben 
scheint  oder  die  er  doch  nicht  so  offen  ausgesprochen  zu  sehen  wünschte.  Aber  die 
Mehrheit  des  Generalconcils  benutzte  gern  die  Gelegenheit,  um  im  Einklang  mit  der  öffent- 
lichen Meinung  gegen  die  Censur  und  für  Pressfreiheit  zu  demonstriren.  In  dem  aus  Rosen- 
kranz' Feder  geflossenen  Schriftstück  hiess  es:')  „unzweifelhaft  hat  die  Rücksicht  auf  den 
Beruf,  den  wir,  Ihre  Collegen,  mit  Ihnen  theilen,  Sie  hierbei  geleitet  und  zu  einem  Resultat 
geführt,  das  wir  für  unabweisbar  halten.  —  Wenn  uns  als  akademischen  Lehrern  vom  Staat 
die  Aufgabe  geworden  ist,  ihm  die  Organe  zu  bilden,  deren  er  zur  Erfüllung  seiner  höheren 
Zwecke  bedarf,  so  haben  wir  damit  Verpflichtungen  von  so  ernster  Art,  so  weit  abliegend 
von  vorübergehenden  Tagesinteressen,  überkommen,  dass  es  uns  unmöglich  erscheint,  sie  mit 
der  polizeilichen  und  einer  festen  Norm  sich  entziehenden  Thätigkeit  eines  Censors,  wie  sie 
Ihnen  angetragen  wurde,  zu  vereinigen.  Wir  vermögen  nicht  abzusehen,  wie  dem  Vertrauen, 
welches  der  Staat  in  uns  setzt,  zu  entsprechen  sei,  wenn  unsere  Bemühungen  darauf  gerichtet 
werden  sollen,  die  zum  Theil  kleinlichen  und  vergänglichen  Tendenzen  einer  mannigfach 
zerrissenen  Gegenwart  herauszufühlen,  ja  auszuspähen,  um  dann  mit  mehr  oder  minder 
subjectiver  Willkür  in  dieselben  einzugreifen.  Traurige  Conflicte,  Verdächtigungen  aller  Art 
und  von  allen  Seiten  sind  die  nothwendige  Folge  einer  solchen  Thätigkeit.  Diese  Erwägungen 
sind  es  ohne  Frage  gewesen,  welche  vor  nicht  langer  Zeit  ein  hiesiges  Richtercollegium  die 
Ansicht  aussprechen  Hessen,  dass  das  Amt  des  Ricliters  mit  dem  eines  Censors  nicht  ver- 
träglich sei.  Wir  freuen  uns  durch  die  That  es  bestätigt  zu  sehen,  dass  Ew.  Hochwohlgeboren 
denselben  Erwägungen  dieselbe  Kraft  eingeräumt  haben,  und  wir  bitten  Sie,  dies  Schreiben 
als  ein  Zeichen  der  Genugthuung  entgegennehmen  zu  wollen,  welche  Ihr  Entschluss  bei  uns 
hei-voi-gerufen  hat."  Da  trat  eine  unerwartete  Wendung  ein:  Jacobson  verweigerte  im  Voraus 
die  Annahme  des  Schreibens,  dessen  Inhalt  ihm  bekannt  geworden  war:  er  könne  Niemandem 
ein  Urtheil  über  seine  Handlungsweise  zugestehen,  sei  sich  aber  bewusst  nur  von  ehrenhaften 
Motiven  geleitet  worden  zu  sein.^)  Von  diesem  Zwischenfalle  machte  Rosenkranz  den  17.  April 
dem  Generalconcil  Mittheilung,  da  er  dessen  Beschluss  nicht  hatte  ausführen  können,  gab 
aber  gleichzeitig  von  dem  Inhalt  der  Adresse  dem  ausserordentlichen  Regierungsbevoll- 
mächtigten, Geh.  Rath  Reusch,  amtlich  Kenntniss.  Dieser  sprach  dafür  dankend  am  19.  April 
den  sehr  billigen  Wunsch  aus,  dass  „das  Schreiben  des  Generalconcils,  bei  dessen  Abfassung 
dasselbe  ganz  aus  seinem  Berufskreise  getreten  sei,  nicht  abgesendet,  sondern  die  Angelegenheit 
ganz  beseitigt  und  die  Unannehmlichkeit  der  Nichtannahme  seines  Schreibens  dem  General- 
concil erspart  werde."*)     Ohne  Frage  wäre  die  Sache  damit  am  Besten  erledigt  gewesen.     Da 

1)  0.  öl.  Rosenkranz'  Papiere. 

2)  Rosenkranz  (14.  April). 

3)  Rosenkranz  a.  a.  0. 


160 

brachten  Anfang  Mai  fast  gleichzeitig  der  „Elbinger  Anzeiger"  und  die  „Rhein-  und  Mosel- 
zeitung"  ausführliche  Berichte  über  das  „Belobigungsschreiben"  an  Jacobson,  mit  dem  Zusatz, 
auf  seine  Weigerung,  dasselbe  anzunehmen,  sei  ihm  geantwortet  worden,  „dass,  wenn  ihn 
auch  andere  als  die  vorausgesetzten  Motive  zur  Nichtannahme  des  Censoramts  bestimmt  hätten, 
jedenfalls  das  gewonnene  Resultat  erfreulich  sei." 

Nun  wurde  der  Regierungsbevollmächtigte  von  dem  Ministerium  zur  Berichterstattung 
aufgefordert.  Auch  innerhalb  des  Generalconcils  erhoben  sich  bei  einem  , .zwanglosen  Meinungs- 
austausch" (7.  Mai)  über  die  Sache,  die  man  im  Uebrigen  für  abgethan  hielt,  Stimmen,  welche 
in  dem  gefassten  Beschluss  eine  Competenzüberschreitung  sahen,  weil  er  ein  Staatsinstitut 
ungehörigem  Tadel  unterworfen  habe.  Die  Mehrzahl  aber  meinte  mit  Rosenkranz,  es  sei  in 
jenem  Schreiben,  wenn  man  ihm  nicht  Gewalt  anthue,  doch  nur  die  Ansicht  von  der  Unver- 
träglichkeit des  Censoramtes  mit  dem  Beruf  eines  Professors  in  jetzigen  Zeitläufen  aus- 
gedrückt. Es  sollte  sich  bald  zeigen,  wie  ganz  anders  der  Vorgang  an  maassgebender  Stelle 
aufgefasst  wurde. 

Ein  Zwischenfall  ähnlicher  Art  verschärfte  die  vorhandenen  Gegensätze.  Ende  des 
Jahres  1845  wurde  der  Polizeipräsident  Dr.  Ab  egg,  der  sich  bei  der  Bürgerschaft  all- 
gemeiner Beliebtheit  erfreute,  als  Eisenbahncommissar  nach  Breslau  versetzt.  Aus  diesem 
Anlass  beantragte  der  Prorector  Rosenkranz  am  8.  November  im  Senat,  dem  Scheidenden 
durch  eine  Inscription,  d.  h.  eine  in  Form  eines  Diploms  gefasste  lateinische  Adresse  die 
dankbare  Gesinnung  der  Universität  für  die  ihr,  besonders  bei  Gelegenheit  des  Jubiläums 
bewiesene  Theilnahme  auszudrücken.  Obgleich  Zweifel  an  seiner  Zuständigkeit  ausgesprochen 
wurden  und  man  empfahl,  die  Sache  an  das  Generalconcil  zu  bringen,  erklärte  der  Senat  sich 
dennoch  mit  acht  gegen  sechs  Stimmen  für  competent  und  beschloss,  die  Inscription  durch  den 
Prorector  und  die  vier  Decane  überreichen  zu  lassen.')  Erst  auf  den  formellen  Protest  zweier 
Senatoren  —  E.  Meyers  und  des  Universitätsrichters  Becker  —  stand  man  von  der  Aus- 
führung dieses  Beschlusses  ab  und  brachte  die  Sache  vor  das  Generalconcil,  unter  Mittheilung 
eines  Schreibens  des  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  Geheimraths  Reusch  vom 
12.  November,  worin  von  der  beabsichtigten  Inscription  abzusehen  gerathen  wurde,  weil  der 
scheidende  Polizeipräsident  sich  durch  die  Zeitung  alle  Ehrungen  ausdrücklich  verbeten  habe 
und  diese  obenein  Missdeutungen  ausgesetzt  sei,  die  für  den  Empfänger  ebenso  schädlich 
werden  könnten  wie  für  die  Urheber;  deshalb  habe  ja  auch  der  Magistrat  die  von  den  Stadt- 
verordneten beschlossene  Verleihung  des  Ehrenbürgerrechts  an  Dr.  Abegg  nicht  bestätigt. 
Natürlich  verschärfte  dies  Eingreifen  den  vorhandenen  Gegensatz  nur  noch.  Den  Wortlaut 
der  Inscription  hatte  inzwischen  Lobeck  als  Professor  der  Eloquenz  festgestellt:  Viro  erudi- 
tissimo,  clai'issimo,  Academiae  Albertinae  alumno,  J.  U.  Doctori,  qui  et  eo  tempore,  quo 
numero  doctorum  privatim  docentium  adsci'iptus  et  postea  quam  diu  curae  urbis  praefectus 
fuit,  non  solum  summa  erga  cives  academicos  comitate  usus  est,  sed  omnino  omnes  singulari 
animi  candore,  morum  elegantia,  ingenuarum  doctrinarum  et  artium  favore  ita  sibi  devinxit, 
ut  memoriam   nominis    munerisque    sui  perpetuum  reliquerit,  Prorector    et   concilium  generale 


1)  C.  77.  S.  152. 


161 

Academiae  Regimontanae  vcteris  necessitudiuis  memores  graliam  et  amicitiam  coinmuiiibus 
suffragiis  testificantur  discedenti  postremum  valedicentes.  Obgleich  uun  in  dem  GeneralcoDcil 
(14.  November)  darauf  hingewiesen  wurde,  dass  in  der  Inscription  jede  politische  Demonstration 
vermieden  und  als  Grund  der  Ehrenbezeugung  nur  Dr.  Abeggs  gute  Beziehungen  zur  Univer- 
sität geltend  gemacht  seien,  so  standen  schliesslich  doch  14  gegen  14  Stimmen.  Des  Prorectors 
Stimme  gab  den  Stichentscheid  zu  Gunsten  seines  Antrages.  Gewiss  war  das  ein  bedenk- 
liches Verhältniss.  So  legten  denn  auch  die  in  die  Minorität  versetzten  Mitglieder  des  General- 
concils  mit  etlichen  in  der  Sitzung  selbst  nicht  zugegen  gewesenen  Collegen  —  (es  waren  die 
Theologen  Lehnert,  Sieffert  und  Dorner,  die  Juristen  Schweikardt,  von  Buchholtz,  Backe, 
Jacobson  und  Sanio,  d.  i.  die  gesammte  juristische  Facultät  —  die  Mediciner  Rathke,  Seerig, 
B.  Meyer,  W.  Cruse  und  Hirsch  und  die  Philosophen  Voigt,  Drumann,  Schubert  und  Hagen 
nebst  dem  üniversitätsrichter  Becker)  —  förmlich  Protest  ein,  „weil  sie  durch  einen  solchen 
Beschluss,  zumal  der  so  zu  Stande  gekommen",  „die  Interessen  der  Universität  in  keiner 
Weise  gefördert,  sondern  nur  gefährdet  sehen  könnten".  Auch  der  Regierungsbevollmächtigte 
sah  in  dem  Beschluss  eine  Manifestation,  welche  die  in  Betreff  des  Polizeipräsidenten  er- 
griffene Regierungsmaassregel  als  mindestens  nicht  gerechtfertigt  darstellte.  Er  focht  die 
Rechtsgiiltigkeit  desselben  an:  nach  Analogie  der  fiir  Ehrenpromotionen  geltenden  Be- 
stimmungen könne  eine  solche  Maassregel  nur  mit  Stimraeneinhelligkeit  beschlossen  werden. 
Auf  Grund  einer  in  Vergessenheit  gerathenen  Bestimmung  vom  Jahre  1819,  welche  alle  aka- 
demischen Drucke  von  seinem  Imprimatur  abhängig  machte,  untersagte  er  den  Druck  der 
Inscription.  Da  nun  auch  die  andere  Seite  das  Bedenkliche  der  ganzen  Sache  wohl  einsah, 
so  schien  dieselbe  nach  einem  stillschweigenden  Uebereinkommeu  der  Parteien  gleichsam 
begraben  werden  zu  sollen,  was  auch  im  Interesse  der  Universität  zweifellos  zu  wünschen 
gewesen  wäre. 

Wiederum  aber  waren  die  Vorgänge  im  Schooss  des  Generalconcils  in  die  Presse 
und  so  in  die  weiteste  Oeffentlichkeit  gekommen.  In  Berlin,  wo  zudem  noch  die  Jacobsonsche 
Sache  schwebte,  nahm  man  daran  begreiflicher  Weise  schweren  Anstoss.  Man  sah  in  der  für 
Abegg  beschlossenen  Ehreninscription  „nur  eine  ungebührliche,  den  Lehrern  der  Jugend  am 
wenigsten  geziemende  Demonstration  gegen  die  Maassregeln  der  Regierung".  Der  Regierungs- 
bevollmächtigte wurde  angewiesen,  „den  Hergang  der  Sache  sowie  die  Theilnahme  der  Ein- 
zelnen, sowohl  bei  diesem  Vorgang  als  bei  der  für  Professor  Jacobson  beschlossenen  Dank- 
adresse wegen  des  abgelehnten  (Jensoramts,  auf  das  Genaueste  zu  untersuchen."  Zum 
Commissar  für  das  daraufhin  eröffnete  Scrutinialverfahren  wurde  der  Oberlandesgerichtsrath 
Jarke  bestellt.  Die  Verhöre  nahmen  ihren  Anfang;  im  weiteren  Verlauf  stand  dann  eine 
Disciplinaruntersuchung  gegen  die  Hälfte  der  Königsberger  Professoren  in  Aussicht.  Selbst 
Lobeck  musste  darin  verwickelt  werden,  obgleich  er  vorsichtig  den  ursprünglich  gebrauchten 
Ausdruck  ,,liberalium  doctrinarum"  in  „ingenuarum  doctrinarum"  verändert  hatte,  weil  er  bei 
Abeggs  bekanntem  Liberalismus  leicht  hätte  von  „liberalen  Theorien''  verstanden  werden 
können.^)     Scherzend    schrieb    er    deshalb    an   Gottfried  Hermann  am   23.  December    1845:^) 

1)  Fr jedländer,  Aus  Lobecks  Briefwechsel,  S.  142.     Ijtulwicb.  S.  435. 

2)  Ludwich,  S.  434/35, 


162 

„Vielleicht  haben  Sie  noch  nicht  erfahren,  dass  ich  nebst  zehn  anderen  CoUegen  in  Unter- 
suchung gezogen  worden  bin,  weil  wir  eine  (sehr  unschuldig  lautende)  Dankadresse  an  den 
von  hier  versetzten  (nicht  abgesetzten)  Polizeipräsidenten  Abegg  votirt  hatten.  Einige  pro- 
phezeien uns  wenigstens  Suspension,  und  mich  ergötzt  der  Gedanke,  dass  man  vielleicht  nach 
Jahrhunderten  in  einer  lateinischen  Chronik  der  Universität  Königsberg  lesen  wird :  anno  do- 
mini  184n  decem  professores  ordinarii  suspensi  sunt,  woraus  eine  noch  spätere  Nachwelt  auf 
eine  grosse  Strenge  der  Criminaljustiz  in  unserem  Zeitalter  schliessen  wird  oder  auch  auf 
grosse  Entartung  der  Professoren." 

Ganz  so  schlimm  wurde  es  nun  freilich  nicht.  Selbst  die  in  Aussicht  gestellte  Disci- 
plinaruntersuchuug  unterblieb  in  Folge  der  schönen  Bethätigung  wahrer  CoUegialität  durch 
die  sachlich  in  der  Opposition  befindlichen  Mitglieder  des  Generalconcils.  Diese  14  wandten 
sich  am  6.  Juni  1846  in  einer  eindringlichen  Vorstellung  an  den  Cultusminister  Eichhorn 
und  legten  ihm  „im  Interesse  der  Universität,  die  durch  die  drohende  Disciplinaruntersuchuug 
gegen  einen  gi-ossen  Theil  des  Lehrkörpers  auf  das  Schmerzlichste  berührt  ist,  und  zur 
Steuer  der  Wahrheit"  folgendes  dar.  Wenn  der  betreffende  Antrag  ihnen  auch  weder  ange- 
messen noch  räthlich  erschienen  sei,  so  hätten  sie  darin  doch  keineswegs  ein  Vergehen  oder 
eine  strafbare  Auflehnung  gegen  Beschlüsse  des  Staates  erblicken  können,  wie  denn  auch  von 
den  Befürwortern  jede  Absicht  der  Art  entschieden  in  Abrede  gestellt  sei  und  sie  —  auf 
Beamtenehre  —  kein  Wort  gehört  hätten,  das  gegen  die  Loyalität  Verstössen  hätte.  Das  zu 
bezeugen  fühlten  sie  sich  jetzt  gedrungen  —  „nicht  etwa  um  Verzeihung  für  unsere  Collegen 
zu  erbitten  —  ihre  Vertheidigung  können  wir  ihnen  füglich  selbst  überlassen  — ,  sondern  um 
ein  so  grosses  Missgeschick,  wie  es  in  einer  zu  verhängenden  Disciplinaruntersuchung  für  die 
Universität  und  alle  ihre  Mitglieder  liegen  würde,  womöglich  abzuwenden.  Denn  nicht  bloss 
die  Ehre  der  Universität,  welche  auch  unsere  Ehre  ist,  würde  durch  eine  Maassregel  wie  die 
in  Aussicht  gestellte  aufs  Empündlichste  berührt,  es  würde  auch  im  Schoosse  unserer  Corpo- 
ration vielleicht  auf  lange  Zeit  eine  Spaltung  entstehen,  welche  das  wesentlichste  Interesse 
und  eine  gedeihliche  Wirksamkeit  unserer  Universität  aufs  Ernstlichste  gefährden  dürfte." 
Von  der  Gerechtigkeitsliebe,  der  Gewogenheit  und  der  Fürsorge  des  Ministers  für  die  Alber- 
tina hoffen  die  Bittsteller  „von  der  Universität  nicht  allein  so  grosse  Nachtheile  abgewandt, 
sondern  ihr  auch  bald  dasjenige  Vertrauen  wieder  geschenkt  zu  sehen,  ohne  welches  sie  den 
Ansprüchen,  die  mit  Recht  an  sie  gemacht  werden,  zu  genügen  nie  im  Stande  ist."  Diese 
Verwendung  machte  in  Berlin  doch  einigen  Eindruck.  Von  dem  Standpunkte  des  Rechts  aus 
freilich  war  der  Ausgang  dieser  Angelegenheit  befremdlich  und  anfechtbar  genug.  Am 
7.  April  1846  nämlich  fand  in  dem  Generalconcil  nach  Ausweis  des  Protokolls^}  statt  die 
„Verlesung  des  Rescripts  des  Herrn  Cultusministers  sowie  der  Cabinetsordre  Sr.  Majestät 
in  Betreff  der  Jacobson-Abeggschen  Angelegenheit."  Der  Inhalt  beider  Schriftstücke,  die 
heute  nicht  mehr  auffindbar  sind,  erhellt  aus  einem  Brief  Lobecks  vom  15.  December  1846.^) 
„Von  meiner  Verwickelung  in  eine  Fiscaluntersuchung  wird  Dir  wohl  B.  erzählt  haben.     Den 


1)  C.  77  f.  187. 

2)  Friedländer,  S.  147. 


163 

Mitschuldigen  bat  der  König  in  einer  Cabiuetsordre  sein  Vertrauen  entzogen;  zwei  von  uns, 
Burdacb  und  Rosenkranz,  sollen  nicbt  wieder  Prorectoren  werden,  bis  sie  bessere  Gesin- 
nungen gezeigt  haben;  ich  bin  nicht  dabei  namentlich  genannt,  obwohl  der  Minister  privatim 
sich  beschwert  hat,  dass  ich  als  Uebersetzer  der  culpablen  Danksagung  mitgewirkt  habe." 
Zudem  wurde  klai-,  dass  man  sich  in  Unkenntniss  der  wahren  Sachlage  übereilt  habe. 
Wenigstens  erklärte  Rosenkranz  in  einem  schriftlichen  Nachtrag  zu  seinen  Aussagen  vor 
dem  Commissar  Jarke  olfen,  er  habe  das  ihm  zum  Vorwurf  gemachte  Verfahren  eingeschlagen, 
„weil  ihm  gänzlich  unbekannt  war,  dass  der  Herr  Polizeipräsident  Dr.  Abegg  durch  die  Regie- 
rung einer  Schuld  wegen  verurtheilt  worden;"  er  würde  seineu  Autrag  nicht  gestellt  haben, 
hätte  er  gewusst,  „dass  die  Versetzung  des  Herrn  Präsidenten  nicht  bloss  eine  einfache  Ver- 
waltungsmaassregel  sein,  sondern  eine  Strafe  hätte  involviren  sollen."  Besonders  bemerkens- 
werth  ist,  dass  dieser  Vorgang,  der  den  Lehrkörper  Anfangs  in  zwei  einander  schroff  gegen- 
überstehende Parteien  getheilt  zeigte,  für  seine  fernere  Einheit  und  Harmonie  nur  günstige 
Wirkungen  gehabt  hat.  Als  wenige  Tage  nach  jener  Mittheilung  der  Senat  sich  für  das 
neue  Studienjahr  constituirte,  äusserten  Rosenkranz  und  der  Mediciner  Sachs  Bedenken 
darüber,  ob  sie  dieser  Körperschaft  angehören  könnten,  „nachdem  ihnen  der  Verlust  des 
Allerhöchsten  Vertrauens  angeiiündigt  sei."  Aber  das  Generalconcil  erklärte  sich  für  nicht 
berechtigt,  sie  ihres  Senatorenmandats  zu  entlassen,  und  auf  eine  schriftliche  Darlegung  ihrer 
Bedenken  erhielten  beide  die  Antwort,  man  sehe  keinen  Grund,  weshalb  sie  nicht  im  Senat 
sitzen  sollten.^) 

Auch  innerhalb  der  Studentenschaft  machte  sich  damals  eine  gesteigerte  Unruhe 
geltend.  Die  Spannung  zwischen  den  Parteien  machte  selbst  die  Abhaltung  der  altüblichen 
Studentenbälle  drei  Jahre  hindurch  (1842 — 45)  unmöglich.  Erst  im  Winter  184.5 — 46  lebten 
sie  wieder  auf,  dank  namentlich  dem  vermittelnden  und  ausgleichenden  Einfiuss,  den  der  all- 
gemein beliebte  Rosenkranz  als  Prorector  übte.  Desselben  Versuch,  dem  Unwesen  der  Duelle 
zu  steuern  und  namentlich  den  bisher  festgehaltenen  Duellzwang  abschaffen  zu  lassen,  hatte 
freilich  keinen  Erfolg,  so  energisch  und  sachlich  überzeugend  er  in  einer  an  die  Studirenden 
gehaltenen  Rede  dafür  eintrat.  Gesteigert  wurde  die  Erregung  der  akademischen  Jugend 
noch  durch  die  Denunciationen  und  Hetzereien  des  „Freimüthigen",  mit  dessen  Redacteur  Pflugk 
es  in  Folge  dessen  zu  einer  Art  von  Kriegszustand  kam.^)  Auch  hat  es  an  extremen  Ele- 
menten unter  der  Studentenschaft  damals  nicht  gefehlt,  und  nur  allzu  gern  lauschten  diese 
den  öffentlichen  Vorträgen  und  Declamationen,  die  durch  Walesrode,  W.  Jordan  undR.  Gottscball 
in  Mode  gebracht  waren.  Es  war  doch  auch  ein  Zeichen  der  Zeit,  dass  der  letztgenannte 
1846  zum  juristischen  Privatdocenten  zugelassen  wurde,  wie  Rosenkranz  bemerkt,  „unter  der 
Aegide  eines  praktisch  unmöglichen  Nihilismus."  Auch  waren  von  den  in  Königsberg  stu- 
direnden Polen  etliche  in  die  damals  angezettelte  Polenverschwörung  verwickelt  und  wurden 
in  Haft  genommen;  einige  minder  Gravirte  blieben  gegen  Ehrenwort  auf  freiem  Fusse,  ent- 
zogen sich  aber  nachher  dem  weiteren  Verfahren  durch  die  Flucht.^) 

1)  0.  77  Vgl.  107  f. 

2)  Vgl.  S.  155. 

3)  Rosenkranz  a.  a.  ü. 


164 

So  war  es  fast  als  ein  Glück  anzusehen,  dass  auch  für  die  akademischen  Kreise 
bald  wichtigere  Probleme  und  sachlichere  Interessen  in  Frage  kamen,  bei  deren  Erörterung 
im  ernsten  Kampfe  mit  Gründen  streitender  Meinimgen  nicht  bloss  politische  Theorien  im 
Dienste  leerer  Demonstrationen  mit  einander  rangen,  sondern  auch  für  die  Entwicklung  der 
Universität  ein  positiver  Gewinn  gemacht  werden  konnte.  Dazu  gab  zunächst  die  reforma- 
torische Gesetzgebung  den  Anstoss,  die  mit  dem  Zusammentritt  des  Vereinigten  Landtages 
im  Frühjahr  1847  begann.  Sie  stellte  eine  Reihe  von  principiellen  Fragen,  die  nicht  bloss 
für  die  rechtliche  Stellung,  sondern  auch  für  die  Organisation  und  die  künftige  Wirksamkeit 
der  Universitäten  überhaupt  wichtig  waren.  Bereits  am  24.  März  1847  hatte  der  Cultus- 
minister  „eine  völlige  Umarbeitung  der  Facultätsstatuten"  verfügt,  „um  eine  möglichste  Ueber- 
einstimmung  der  Statuten  der  verschiedenen  Facultäten  zu  erzielen."  Eine  Commission  wurde 
mit  der  Arbeit  betraut,')  die  übrigens  für  die  Albertina  schon  längst  nöthig  war,  weil  die 
noch  geltende  Fassung  der  Facultätsstatuten  mit  den  allgemeinen  Statuten  nicht  im  Einklänge 
stand,  wie  sie  als  Ergebniss  langjähriger  Verhandlungen  durch  Allerhöchste  Bestätigung  am 
4.  Mai  1843  in  Kraft  getreten  waren. ^)  Auch  diese  erschienen  der  neuen  Gesetzgebung 
gegenüber  bald  nicht  mehr  durchweg  haltbar.  Nachdem  insbesondere  durch  das  Gesetz  vom 
27.  Juli  1847  die  staatsbürgerlichen  Rechte  von  dem  religiösen  Bekenntniss  unabhängig  gemacht 
worden  waren,  entstand  die  Frage,  ob  der  confessionelle,  specitisch  protestantische  Charakter 
unverändert  bewahrt  werden  könnte,  den  im  Einklänge  mit  ihrer  nächsten  Bestimmung  der 
Albertina  ihr  Stifter  gegeben  hatte.  Schon  im  September  regte  Professor  Schubert  bei 
seinen  Collegen  Erwägungen  an,  ob  die  dadurch  gebotene  Ausschliessung  nicht  evangelischer 
Lehrer  nicht  aufzuheben  wäre.^)  Auch  forderte  ein  Ministerialerlass  vom  28.  September  eine 
gutachtliche  Aeusserung  über  die  Zulassung  von  Katholiken  und  Juden  zum  akademischen 
Lehramt.*)  Noch  bei-  der  Berathung  der  1843  in  Kraft  getretenen  Statuten  hatte  sich  die 
Mehrheit  des  Collegiums  für  den  Ausschluss  beider  erklärt,  nicht  sowohl  aus  principiellen 
Gründen,  als  vielmehr  im  Hinblick  auf  die  Stiftungsurkuude  und  die  durch  sie  begi'ündete 
historische  Stellung  dei-  Albertina  und  unter  Berufung  auf  etliche  Präcedenzfälle,  in  denen 
gegenüber  den  im  Lehrkörper  selbst  herrschenden  Zweifeln  von  Allerhöchster  Stelle  gegen 
die  Zulassung  von  nicht  protestantischen  Bewerbern  zur  Habilitation  entschieden  worden  war. 
Dies  war  namentlich  geschehen  gegenüber  dem  jüdischen  Dr.  med.  Jacobson  durch  eine 
Königliche  Cabinetsordre  vom  4.  September  1822  und  dann  in  Bezug  auf  einen  Katholiken  durch 
eine  solche  vom  24.  December  1834  aus  Anlass  der  Bewerbung  des  Stadtphysikus  Dr.  Karl 
Theodor  Ernst  von  Siebold.^)  Auf  Grund  dieser  Präcedenzfälle  war  dann  auch  1841  dem 
jüdischen  Dr.  Goldsticker    die  Habilitation  in  der  philosophischen  Facultät  verweigert  worden. 


1)  C.  77,  I,  S.  li)3. 

2)  Vergl.  S.  98. 

3)  C.  77  A.,  S.  20(;. 

4)  Philos.  Fac.  A.  1.  Adliib. 

5)  Geb.  den  l(i.  Februar  1804  zu  Würzburg  als  zweiter  Sohn  von  Adam  Elias  von  Siebold  (1775—1828), 
der  früh  als  Zoologe  Ruf  gewann,  1Ö31  Kreisphysikus  in  Heilsberg,  1834  Stadtphysikus  in  Königsberg,  aber  noch 


165 

Heftig  stiessen  nun  auch  1847  bei  der  Erörterung  der  vom  Ministerium  gestellten  Frage 
die  Meinungen  zusammen,  namentlich  in  der  philosophischen  Facultät.")  Während  der  Natio- 
nalökonom C.  Hagen  urtheiite,  die  Sache  sei  durch  das  erlassene  Gesetz  bereits  entschieden, 
trat  Schubert  mit  Wärme  tür  die  Zulassung  sowohl  der  Juden  wie  der  Katholiken  ein; 
desgleichen  thaten  im  Wesentlichen  mit  derselben  Motivirung  Lobeck,  E.  Meyer,  Rosen- 
kranz, Eichelot  u.  A.  Dagegen  nahmen  die  beiden  Historiker  J.  Voigt  und  Drumann  eine 
schroff  ablehnende  Haltung  ein.  Zunächst  war  nach  ihrer  Meinung  in  den  vier  Jahren,  die 
seit  der  Genehmigung  der  zur  Zeit  geltenden  Statuten  verflossen  waren,  irgend  ein  Be- 
dürfniss  nach  einer  solchen  Aenderung  nicht  bemerkt  worden.  Drumann  insbesondere 
machte  kein  Hehl  daraus,  dass  er  die  Concurrenz  der  Juden  für  die  Christen  fürchte.  Im 
Ganzen  sprachen  sich  von  den  Ordinarien  der  Albertina  22  für  und  7  gegen  die  Zulassung 
der  Juden  aus.  Im  Generalconcil  wurde  demgemäss  den  31.  Januar  1848  mit  17  gegen 
6  Stimmen  (des  Theologen  Lehnert,  der  Juristen  Jacobson  und  Mejer,  der  Mediciner  Seerig 
und  Rathke  und  des  Philosophen  J.  Voigt)  die  Unvereinbarkeit  der  zur  Zeit  geltenden  Statuten 
mit  dem  „neuen  allgemeinen  Judengesetz"  erklärt,  und  dann  mit  18  gegen  5  Stimmen  die 
Aufhebung  der  Ausschliessung  aller  Nichtevangelischen  zu  beantragen  beschlossen.  Sollte 
diese  —  die  auch  den  Katholiken  zu  Gute  kam  —  nicht  zugestanden  werden,  so  sollte,  wie 
ebenfalls  mit  18  gegen  5  Stimmen  erklärt  wurde,  auch  von  der  Zulassung  der  Juden  abge- 
sehen werden.  Eine  Commissiou  erwog,  wie  es  dann  hinfort  mit  den  akademischen  Aemtern  ge- 
halten werden  sollte.  Auf  ihren  Vorschlag  sprach  sich  das  Generalconcil  am  14.  Januar  1848 
dahin  aus,^)  es  sollten  das  Prorectorat  und  das  Amt  eines  Stipendiencurators  nur  von  Prote- 
stanten bekleidet  werden  dürfen,  während  das  Decanat  allen  Ordinarien  ohne  Unterschied  der 
Confession  zugänglich  sein  sollte.  Auch  einigte  man  sich  in  der  Forderung,  dass  in  den  Lehr- 
fächern der  Geschichte,  der  Philosophie  und  des  Staats-  und  Kirchenrechts  die  Zahl  der  nichtevan- 
gelischen Lehrer  die  der  evangelischen  des  gleichen  akademischen  Ranges  nicht  übersteigen 
dürfte.  Zur  Erledigung  fi-eilich  kam  die  ganze  Sache  damals  noch  nicht:  erst  zwanzig  Jahre 
später  wurde  diese  in  anderer,  weniger  vorbehaltreicher  Weise  herbeigeführt. 

Mit  so  vielen  anderen  Fragen  wurde  auch  diese  in  den  Hintergrund  gedrängt  durch 
die  Ereignisse,  die  der  März  1848  brachte.  Dank  der  Entfernung  Königsbergs  von  dem 
Centrum  der  Bewegung  und  der  kühleren  Art  der  Ostpreussen  nahmen  die  Dinge  hier  einen 
ruhigem  Verlauf.  Dazu  trug  auch  die  ruhige  Besonnenheit  bei,  womit  die  akademischen 
Behörden  den  Eifer  der  leicht  erregbaren  Studentenschaft  mässigten,  indem  sie  ihren 
unschuldigen  Wünschen  klug  nachgaben,  so  ihre  sonst  leicht  irregeführte  Kraft  in  unschädlicher 
Weise  beschäftigten  und  die  Leitung  fest  in  der  eigenen  Hand  behielten.  Unterstützt  wurden 
sie  dabei  auch  durch  den  löblichen  gesetzlichen  Sinn,  der  die  akademische  Jugend  der  Albertina 


im  Herbst  desselben  .lalires  IMrector  der  HebammeDanstall  in  JJanzig,  wurde,  „um  bequem  seinen  zoologischen 
Studien  in  der  Ostsee  nachgehen  zu  können",  von  K.  E.  von  Baer  in  erster  Linie  zu  seinem  Nachfolger  gewünscht, 
dann  1!S40  Professor  in  Erlangen,  1845  in  Freiburg  i.  B.,  1850  in  Breslau  und  seit  1853  eine  der  Zierden  der 
Münchener  Hochschule,  gest.  7.  April  1885. 

1)  Philos.  Pac.  A.   1.  Adhib. 

2)  C.  77,  I.  Pol.  215— Hi. 


166 

im  Allgemeinen  auszeichnete.  Freilich  möchte  man  verrauthen,  es  habe  dabei  derselbe  Umstand 
mitgewirkt,  auf  den  Miher  bereits  die  Gleichgültigkeit  der  Königsberger  Studenten  gegen 
die  politischen  Zeitfragen  amtlich  zurückgeführt  war,  nämlich  die  notorische  Armuth  der 
meisten:  für  ihren  Unterhalt  zu  sorgen  genöthigt,  hatten  sie  nicht  Zeit  und  Mittel  zum 
Zeitunglesen  und  daher  weder  Lust  noch  Neigung  zu  politischen  Discussionen. 

Einzelne  Tumulte  in  der  ersten  Hälfte  des  März  entbehrten,  wie  der  Senat  constatirte, 
jeder  politischen  Bedeutung  und  konnten  höchstens  als  unpassender  studentischer  Ulk  in 
Anspruch  genommen  werden,  mit  dem  man  hier  und  da  die  aufgeregte  Arbeiterbevölkerung 
hatte  hänseln  wollen.')  Zudem  waren  nach  dem  eben  erfolgten  Semesterschluss  nur  etwa 
80  Studirende  in  der  Stadt.  Unter  diesen  fehlte  es  freilich  nicht  an  solchen,  die  eine  Rolle 
zu  spielen  wünschten.  Sie  hielten  Versammlungen  im  Albertinum,  „um  ihre  Stellung  bei  sich 
entwickelnden  Unruhen  zu  beratlien",  und  suchten  die  Erlaubniss  zur  Abhaltung  einer 
allge7ncinen  Studentenversammlung  nach,  welche  die  von  der  Studentenschaft  einzunehmende 
Haltung  und  ihren  Anschhiss  an  die  etwa  zu  bildende  ßürgergarde  erörtern  sollte.  Nach 
Rücksprache  mit  dem  commandirenden  General,  Grafen  Dohna,  dem  Oberpräsidenten 
von  Bötticher  und  dem  Regierungsbevollmächtigten  Geheimrath  Reusch  beschloss  der  Senat 
am  17.  März,  die  Studirenden  dahin  zu  bescheiden,  dass  man  unter  Anerkennung  der 
bethätigten  guten  Gesinnung  ihr  Anerbieten  freundlich  dankend  ablehne,  namentlich  so  lange 
auch  die  Hülfe  der  Bürgerschaft  zur  Aufrechtcrhaltuug  der  Ordnung  nicht  nachgesucht  zu 
werden  brauche.^) 

Auf  die  Kunde  freilich  von  dem,  was  am  18.  März  in  Berlin  geschehen  war,  stieg 
auch  hier  die  Erregung.  Am  21.  März  bildete  sich  unter  der  Autorität  des  Magistrats  in  der 
Bürgerschaft  eine  „Schutzcommission";  ihr  zur  Seite  trat  ein  „Akademischer  Schutzverein". 
Er  war  entsprechend  den  drei  Stadttheilen  in  drei  Corps  getheilt,  jedes  unter  einem  gewählten 
Anführer.  Gemäss  der  Weisung,  die  ihm  der  Prorector  J.  Voigt  ertheilte,  sollte  der 
akademische  Schutzverein  durchaus  im  Einverständniss  mit  der  bürgerlichen  Schutzcommission 
handeln,  d.  h.  nur  auf  ihr  Verlangen  und  nach  ihren  Anordnungen  in  Action  treten.  Beider 
Beziehungen  zu  befestigen  und  die  Gemeinsamkeit  ihres  Handelns  zu  sichern,  traten  dem 
akademischen  Schutzverein  auch  etliche  Professoren  bei.  Zu  seinem  Vorsteher  wählten  die 
Studirenden  erst  den  allgemein  beliebten  Rosenkranz  und,  nachdem  dieser  dankend  ab- 
gelehnt, Richelot,  dem  als  Stellvertreter  Eduard  Simson  beigeordnet  wurde.  Nicht  lange 
danach  begann  die  Organisation  einer  Bürgerwehr.  Dabei  trug  Richelot  in  vertrauensvollem 
Zusammenwirken  mit  den  einflussreichen  Leitern  der  allgemeinen  Studentenversammlungen 
Heinrich  und  Schulz  erfolgreich  dafür  Sorge,  dass  in  Anerkennung  des  bewiesenen  ge- 
setzlichen Sinns  und  guten  Willens  von  Seiten  der  mit  dem  Ende  der  Ferien  sich  zahlreicher 
einfindenden  Studirenden  die  „Studentenwehr"  ihre  Sonderstelkmg  behielt:  „als  ein  an  sich 
freies  Institut  sollte  sie  sich  auch  aus  den  freien  Wünschen  und  Tendenzen  der  Studirenden 
selbst   entwickeln."      Doch  wurde   schliesslich   auch    hier   die    anfängliche    Zucht   und  Ordnung 


1)  C.  77.1.  f.  218  (14.  März). 

2)  S.  160.  C.  77  I.  f.  2111. 


167 

dadurcli  o-elockert,  dass  der  Ausnaliraeziistaiid  so  verfülireriscli  lange  andauerte.  Auch  die 
Studirenden  wurden  von  dem  allgemein  berrscbenden  Versammlungsfieber  und  von  der  mit 
ihm  steigenden  Redelust  ergriflen:  ohne  die  Erlaubniss  von  Prorector  und  Senat  nachzusuchen, 
hielten  sie  in  dem  Auditorium  maximum  Versammlungen,  ja,  sie  fingen  an  sich  in  dem 
Albertinum  als  Hausherren  zu  geriren.  Sehr  bald  machte  der  Senat  derartigem  Treiben  ein 
Ende.  Aehnliche  Erscheinungen  traten  bald  auch  auf  anderen  Gebieten  zu  Tage.  Mit  dem 
Gefühl  ihrer  vermeintlichen  Wichtigkeit  wuchsen  auch  die  Ansprüche  der  Studirenden,  vollends 
unter  dem  Einfluss  der  militärischen  Spielerei  der  Studentenwehr.  Sie  verlangten  bessere 
Bewaffnung:  statt  des  Schlägers,  den  sie  bisher  geführt,  sollten  ihnen  auf  Staatskosten 
Büchsen  und  Hirschfänger  geliefert  werden.  Die  dafür  vorgebrachten  Gründe  Hessen  er- 
kennen, wie  diese  Kreise  allmählich  von  einem  gewissen  Schwindel  ergriifeu  wurden.  Bei  der 
Ungewissheit  der  Zukunft,  so  führte  die  Eingabe  aus,  thue  eine  schleunige  militärische  Aus- 
bildung Noth,  zumal  im  Augenblick  vielmehr  für  den  äussern  Frieden  als  für  die  Ruhe  der 
Stadt  zu  besorgen  sei:  Dänemark,  Russland  und  Frankreich  müsse  man,  wenn  auch  nicht 
fürcliten,  doch  im  Auge  haben.')  Inzwischen  löste  sich  die  bürgerliche  Schutzcommission  auf 
(20.  Mai),  weil  sie  sich  von  der  Nothwendigkeit  eines  militärischen  Oberbefehls  über  die 
Bürgerwehr  überzeugt  hatte.  An  ihre  Stelle  trat  vorläufig  eine  sogenannte  Organisations- 
commission. Zwischen  dieser  und  der  Studentenschaft  wurde  nun  unter  Vermittelung 
Richelots  umständlich  verhandelt  über  die  Statuten  und  die  Dienst-  und  Disciplinar- 
vorschriften  für  die  Studentenwehr.  Die  Wünsche,  welche  diese  in  Betrefl:'  ihrer  Bewaffnung 
ausgesprochen,  erwiesen  sich  als  unerfüllbar:  so  wollte  sie  wenigstens  ausgerüstet  sein  wie 
die  Bürgerwehr,  mit  Flinten  und  Säbeln,  erbat  auch  die  sofortige  Ueberantwortung  von  zehn 
Büchsen,  um  mit  den  Schiessübungen  beginnen  zu  können.  Den  Wünschen  der  akademischen 
Behörden  freilich  entsprach  das  so  entworfene  Statut  der  Studentenwehr  nicht  ganz.  Namentlich 
stand  die  Ausrüstung  mit  Feuerwaffen  nicht  im  Einklang  mit  dem,  was  mit  den  besonnenen 
anfänglichen  Leitern  der  studentischen  Bewegung  verabredet  war.  Die  Rückkehr  der  Studirenden 
mit  dem  Beginn  des  neuen  Semesters  hatte  den  entschiedeneren  Elementen  mehr  Einfluss 
verschafft.  Zudem  erschien  die  Theilnahme  der  Studirenden  an  dem  regelmässigen  Wachtdienst 
der  Bürgerwehr  nicht  recht  vereinbar  mit  den  sonstigen  Pflichten  der  akademischen  Bürger, 
namentlich  dem  Besuche  der  Vorlesungen.  Um  jedoch  Weiterungen  zu  vermeiden  und  nicht 
durch  ein  Hin  und  Her  von  Fordern  und  Versagen  Handhaben  zu  allerlei  Agitationen  zu 
geben,  verzichtete  der  Senat  auf  Aenderungen  des  zur  Bestätigung  voi'gelegten  Statuts  und 
forderte  nur  die  Entfernung  der  Bestimmung,  wonach  der  Eintritt  in  die  Studentenwehr  allen 
denen  gestattet  sein  sollte,  die  studirt  hätten.  Mit  ihr  war  der  Charakter  der  Truppe  als 
einer  akademischen  unvereinbar.  Im  üebrigen  wurde  das  Statut  dem  Ministerium  zur  Be- 
stätigung empfohlen.  Diese  erfolgte  denn  auch.  Ende  Mai  erhielt  die  Studentenwehr  von  der 
städtischen  Organisationscommission  200  Gewehre  zur  Vertheilung  durch  ihren  erwählten  Be- 
fehlshaber Stud.  jur.  Schulz.  Ausserdem  beantragte  der  Senat  bei  dem  Ministerium  die  Ge- 
währung von  10  Büchsen  zu  Scliiessübungen  und  200  Säbeln,  womöglich  Hirschfängern.      Bei 


I)  S.  ICO.     (5.  Mai.) 


168 

dieser  Gelegenheit  stellte  er  auf  Grund  der  Mittheilungen  Richelots,  der  in  dieser  Sache  der 
Vertrauensmann  aller  Parteien  blieb,  den  Studirenden  der  Albertina  ein  sehr  günstiges 
Zeugniss  aus:  „Ohne  ihre  Studien,"  hiess  es  darin,  „mehr  als  sonst  zu  vernachlässigen,  haben 
sie  sich  den  regelmässigen  Exercitieu  unterzogen,  welche  gewöhnlich  in  einer  Abendstunde  auf 
einem  Hofe  der  Universität  stattfanden.  Wo  ihre  Hülfe  beansprucht  WTirde,  zeigten  sie  sich 
besonnen,  verständig  und  vom  besten  Geist  für  Ordnung  und  Gesetz  durchdruugen."  Be- 
sonders erfreulich  sei,  dass  die  sonst  so  häufigen  Zwistigkeiteu  unter  ihnen  während  dieser 
Monate  so  gut  wie  aufgehört  hätten. 

Bald  fiel  der  Grund  für  eine  militärische  Organisation  der  Studirenden  fort.  Anderer- 
seits erzeugte  auch  hier  der  geschäftige  Müssiggang  dieser  soldatischen  Spielereien  in  manchem 
jugendlichen  Kopfe  eine  allzu  grosse  Vorstellung  von  seiner  und  seiner  Genossen  Bedeutung, 
und  die  Theilnahme  an  der  täglichen  Erörterung  politischer  Angelegenheiten  gewann  den  ra- 
dicaleren  Meinungen  unter  der  Studentenschaft  allmählich  mehr  Anhang.  Man  stiess  sich  an 
der  untergeordneten  Zugehörigkeit  der  Studentenwehr  zu  der  Bürgerwehr  und  sonderte  sich 
in  demonstrativer  Weise  von  dieser  ab.  Endlich  kam  es  zu  ofiFenem  Bruch.  „Zur  Feier  der 
Einheit  Deutschlands"  wurde  für  den  3.  September  eine  Revue  der  gesammten  Bürgerwehr 
auf  dem  kleinen  E.xercierplatz  augesagt.  Da  beschloss  „das  Wehrcorps  der  Studentenschaft" 
am  31.  August  zu  erklären :  ,.es  finde  für  sich  eine  Parade  als  Ausdruck  der  politischen 
Gesinnung  nicht  passend  und  habe  deshalb,  im  festen  Hinblick  auf  seine  Bestimmung,  die  zu 
einer  Schaustellung  nöthigen  militärischen  Fertigkeiten  nicht  in  den  Kreis  seiner  Uebungen 
ziehen  wollen."  Aber  selbst  wenn  dieser  formale  Uebelstand  beseitigt  wäre,  so  würde  das 
Wehrcorps  der  Studentenschaft  zur  Aeusserung  seiner  Begeisterung  für  die  Einheit  Deutsch- 
lands allein  bereit  sein,  und  muss  folglich  jede  der  Feier  fremde  Huldigung,  wie  sie  ein  Hoch 
auf  den  König  in  sich  begriffe,  verwerflich  finden."  Die  Folge  war  eine  heftige  Zeitungs- 
polemik. Man  warf  den  Studirenden  vor,  sie  hätten  durch  ihr  Verhalten  einen  neuen  Beweis 
gegeben  „für  jenen  aus  lauter  Abstraction  und  unzeitiger  Consequenz  dem  gemeinsamen  Wirken 
und  der  Entwickelung  möglichst  grosser  Kraft  verderblichen  Parteigeist  des  deutscheu  Na- 
turells." Der  Senat  sah  von  einem  Einschreiten  ab,  in  der  Annahme,  das,  wie  es  hiess,  dem- 
nächst zu  erwartende  Gesetz  über  die  ßürgerwehr  werde  die  Studentencorps  auflösen.*)  Auch 
lehnte  er  die  Zumuthung  des  Bürgerwehrausschusses  ab,  seinerseits  die  Rücklieferung  der  den 
Studirenden  eingehändigten  Wafien  zu  bewirken  und  zu  beaufsichtigen  und  von  ihrem  Nachweis 
die  Ertheilung  des  Abgangszeugnisses  abhängig  zu  machen,  und  begnügte  sich  damit,  die  Stu- 
direnden (30.  November)  durch  Anschlag  aufzufordern,  vor  ihrem  Abgang  von  der  Universität 
in  Betreff  der  Rückgabe  der  Waffen  ihren  Verpflichtungen  nachzukommen.-)  Auch  erging  am 
21.  December  1848  ein  Erlass  des  Cultusministers  v.  Ladenberg,  der  es  lobend  anerkannte,  dass 
„ungeachtet  der  tiefen  Bewegung  in  den  letzten  Monaten  grobe  Excesse  unter  der  Königs- 
berger Studentenschaft  nicht  vorgekommen"  seien,  und  dem  Senat  für  sein  festes  und  be- 
stimmtes Handeln  dankte,  aber  doch  eine  irrige  Auslegung  des  Gesetzes  vom  17.  October  1848 


1)  C.  77.  I,  S.  227. 

2)  C.  77.  1,  S.  233/34. 


iiber  die  Oi'ganisation  der  städtiscben  Büigerweliren  darin  sab,  wenn  man  das  Studentencorps 
bis  zur  Ausführung  der  neuen  Bestimmungen  habe  fortbestehen  lassen,  da  von  ausserordent- 
lichen Umständen,  wie  sie  seiner  Zeit  die  Errichtung  solcher  Corps  veranlasst  hätten,  der- 
malen nicht  mehr  die  Rede  sein  könne.  „Vielmehr,"  hiess  es  dann  weiter,  „tritt  jetzt  das 
Interesse  der  akademischen  Studienzwecke,  deren  Erreichung  durch  einen  fortdauernden  Waifen- 
dienst  der  akademischen  Jugend  in  hohem  Grade  erschwert  wird,  wieder  in  den  Vordergrund." 
Demgemäss  wurde  der  Senat  angewiesen,  „ohne  Verzug  zur  Auflösung  des  bewaffneten  Stu- 
dentencorps zu  schreiten,  das  Auflösungsdecret  zu  erlassen,  die  Rücklieferung  der  ausgetheilten 
Waffen  an  diejenige  Autorität,  von  welcher  dieselben  ausgegeben  worden,  anzuordnen  und 
diese  Rücklieferung  zu  controliren.  Gegen  diejenigen  Studirenden,  welche  auch  nach  wieder- 
holter Aufforderung  die  Waffen  nicht  zurückgeben,  ist  im  Wege  der  Disciplin  mit  Nachdruck 
einzuschreiten  und  nöthigenfalls  die  sofortige  Entfernung  von  der  Universität  zu  verhängen. 
Den  zur  Aufnahme  in  die  Bürgerwehr  berechtigten  Studirenden  bleibt  es  überlassen,  ihre  Auf- 
nahme bei  dem  betreffenden  Commaudo  nachzusuchen,  ohne  dass  die  akademische  Behörde 
davon  weiter  Notiz  zu  nehmen  hat."  Im  Senate  empfahlen  bei  Berathung  dieses  Erlasses 
etliche  Stimmen  eine  Gegenvorstellung  an  den  Minister  um  Aufschub:  sie  fürchteten  durch 
Auflösung  der  Studentenwehr  vor  beendeter  Organisation  der  Bürgerwehr  nicht  bloss  unter 
den  Studirenden,  sondern  auch  in  anderen  Ki-eisen  eine  Aufregung  zu  veranlassen,  die  besser 
vermieden  würde,  und  so  dem  „Bürgerclub",  dem  schon  der  Stoff  für  seine  Sitzungen  aus- 
zugehen schien,  erwünschte  Gelegenheit  zu  weiteren  Verhandlungen  zu  bieten.  Nun  war  aber 
die  Theilnahme  an  den  militärischen  Bxercitien  der  Studentenwehr  seit  einiger  Zeit  so  dürftig 
geworden,  dass  Dr.  Dulk,  der  nach  dem  Abgange  des  Stud.  jur.  Schulz  von  der  Universität 
zum  Führer  gewählt  war,  seinen  Posten  als  zwecklos  freiwillig  niederlegte.  Auch  von  der 
Leistung  eines  Wachtdienstes  und  dergleichen  war  längst  nicht  mehr  die  Rede,  so  dass  eine 
Beeinträchtigung  der  Studienzwecke  von  dieser  Seite  allerdings  nicht  zu  befürchten  stand. 
Deshalb  vollzog  der  Senat  die  befohlene  Auflösung  sofort,  trotz  der  Gegenvorstellung  etlicher 
Studirender  unter  dem  letzten  Befehlshaber  des  Corps,  Stud.  Meitzen.  Die  Rückgabe  der 
Waffen  erfolgte  ohne  Weigern,  und  an  dem  von  dem  Minister  gestellten  Termin,  den  13.  Ja- 
nuar 1849,  war  Alles  nach  Wunsch  erledigt.  Auch  in  den  studentischen  Kreisen  nahm  nun 
allmählich  Alles  wieder  das  alte  Aussehen  an.  wenn  auch  die  politischen  Vorgänge  der  nächsten 
Monate  gelegentlich  noch  eine  gewisse  Erregung  erzeugten,  die  in  allerlei  Demonstrationen  ihren 
Ausdruck  fand.  So  veranstaltete  ein  grosser  Theil  der  akademischen  Jugend  einen  feierlichen 
Aufzug  zu  Ehren  der  Königsberger  Abgeordneten  Kosch  und  Rupp,  als  diese  im  Mai  von 
Berlin  zurückkehrten.  Der  Senat  begnügte  sich  damit,  am  18.  Mai  einen  warnenden  Erlass 
zu  veröffentlichen,  worin  er  daran  erinnerte,  „dass  die  vorherige  Erlaubniss  zu  öffentlichen  Um- 
zügen u.  s.  w.  auch  nach  Erlass  der  Verfassung  vom  5.  December  1848  nöthig  sei."*) 

Schliesslich  handelte  es  sich  ja  bei  alledem  um  Aeusserlichkeiten,  die  weder  den  der- 
zeitigen Innern  Zustand  noch  die  fernere  Entwickelung  der  Albertina  nachhaltig  beeinflussen 
konnten.     Doch  zeitigte  das  Jahr  1848  auch  ernste  und  tiefgehende;  Dewegiuige^n,  die  für  die 


1)  C.  77  I.  f.  240. 


170 

Zukunft  der  preussischen,  ja  der  deutschen  Universitäten  Lohe  Bedeutung  erlangen  konnten. 
War  doch  nun  endlich  die  Zeit  gekommen,  wo  das  mit  den  Karlsbader  Beschlüssen  iuaugu- 
rirte  System  unwürdigen  Zwanges  zersprengt  werden  konnte.  Je  drückender  es  gewesen,  um 
so  näher  lag  jetzt  die  Gefahr,  dass  die  Wünsche  und  Hoffnungen  der  akademischen  Kreise 
nach  der  anderen  Seite  hin  zu  weit  gehen  und  in  das  entgegengesetzte  Extrem  gerathen 
würden.  Wenn  das  nicht  geschah,  sondern  trotz  der  hier  und  da  laut  werdenden  radicalen 
Forderungen  die  Reformbewegung  maassvoll  und  besonnen  blieb,  so  war  das  einmal  der  Be- 
reitwilligkeit zu  danken,  mit  der  die  Regierung  in  ehrlicher  Auerkenntniss  des  den  Uni- 
versitäten bisher  gethanen  Unrechts  selbst  die  Initiative  zur  Herbeiführung  eines  bessern 
Zustandes  ergriff,  und  demnächst  der  pietätvollen  Achtung  vor  dem  historischen  Rechte, 
welche  die  akademischen  Lehrkörper  davon  abhielt,  Institutionen,  die  sich  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  bewährt  hatten,  der  liberalen  Schablone  des  Tages  zu  Liebe  durch  einen 
Schematismus  zu  ersetzen,  der  alles  individuellen  Lebens  entbehrte.  Ja,  gegenüber  der  hier 
und  da  ungeduldig  andrängenden  Neuerungslust  wurde  man  sich  des  Werthes  des  zuweilen 
unterschätzten  Besitzes  erst  recht  bewusst.  In  dieser  Richtung  liat  sich  die  Entwickelung 
auch  an  der  Albertina  bewegt. 

Bereits  Mitte  März  1848  beantragte  das  Generalconcil  bei  dem  Minister  die  Auf- 
hebung des  Reverses,  den  auf  Grund  der  Karlsbader  Beschlüsse  noch  immer  jeder  Studirende 
bei  der  Immatriculation  über  seine  Nichtbetheiligung  an  verbotenen  Verbindungen  ausstellen 
musste.  Der  Chemiker  Dulk,  der  als  Landtagsabgeordneter  nach  Berlin  ging,  wurde  beauf- 
tragt, die  Sache  mündlich  zu  betreiben.^)  Auch  trug  man  nun  kein  Bedenken,  die  Studenten- 
schaft als  eine  einheitlich  geschlossene  Corporation,  als  ein  lebendiges  Ganze  gelten  zu  lassen, 
und  gestattete  ihr  (27.  März)  die  Abhaltung  eines  „Generalcommerses",  der  denn  auch  am 
1.  April  in  dem  mit  deutschen  Farben  decorirten  Kneiphöfischen  Junkerhof  stattfand,  unter 
zahlreicher  Theilnahme  auch  der  Professoren.  Das  waren  kleine  Anzeichen  der  plötzlich  her- 
eingebrochenen neuen  Zeit.  Im  Hinblick  auf  den  weiteren  Fortgang  wählte  das  General- 
concil bereits  am  13.  April  eine  Commission,  um  die  Aenderungen  zu  berathen,  die  sich  aus 
der  bevorstehenden  Einführung  einer  Verfassung  für  die  Stellung  der  Universitäten  und  der 
Professoren  ergeben  würden,  „damit  man  bei  der  neuen  Ordnung  der  Dinge  eine  ^\^^rdige 
Stellung  gewinne."  Dagegen  lehnte  es  ab,  sich  in  diesem  Sinne  an  den  König  selbst  zu 
wenden,  wie  eine  von  Halle  ausgehende  Äm-egung  wollte.^)  Bei  der  Verschiedenlieit  der  in 
dem  Lehrkörper  der  Albertina  vertretenen  politischen  Richtungen  gab  es  bei  der  Erörte- 
rung solcher  Fragen  natürlich  oft  genug  lebhafte  Debatten,  zumal  auch  hier  gelegentlich 
aus  den  neuerdings  verkündeten  liberaleren  Principien  die  weitestgehenden  Consequenzen 
gezogen  werden  sollten.  Im  Hinblick  auf  die  nun  anerkannte  Gleichberechtigung  der  Con- 
fessionen  beantragte  man  den  6.  September  bei  dem  Ministerium,  es  solle  bei  der  Vertheilung 
der  Freitische  hinfort  auf  die  Confession  keine  Rücksicht  genommen  werden.^)  Auch  wurde 
unter  dem  29.  November  verfügt,    dass  Beneficien    hinfort    auch    au   jüdische  Studirende  ver- 


1)  C.  77  I.  f.  2. 

2)  Ebendas.  f.  22.3. 

3)  S.  227. 


171 

liehen  wei'deu  dilrften,  ausser  wenn  die  Stiftung  ausilri'icklicli  I'ür  eine  bestimmte  Confession 
gemacht  wäre.')  So  fielen  damals  manche  von  den  Schranken,  welche  der  Universität  auch 
in  ihren  eigenen  Angelegenheiten  die  freie  Bewegung  behindert  hatten.  Natürlich  aber 
blieben  auch  solche  Forderungen  nicht  aus,  die  unter  dem  trügerischen  Scheine  zeitgemässer 
liberaler  Maassregeln  auf  eine  bedenkliche  Lockerung  der  akademischen  Disciplin  hinaus- 
gelaufen sein  und  selbst  den  Betrieb  der  Studien  geschädigt  haben  würden.  Schlug  doch 
sogar  der  studentenfreundliche  Richelot  vor,  man  möge  mit  Rücksicht  auf  die  unruhige 
Zeit  die  Ablegung  der  vorgeschriebenen  Prüfungen  von  den  Inhabern  von  Beneficien  nicht 
fordern  oder  wenigstens  die  Ferulialtung  davon  ohne  die  herkömmlichen  Consequenzen  lassen. 
Das  wurde  denn  freilich  nicht  beliebt,  wohl  aber  bei  dem  Minister  beantragt,  es  möchten 
diese  Examina  überhaupt  abgeschafft  werden,  und  demgemäss  eine  Petition  befürwortet,  in 
welcher  die  Studirenden  bereits  die  gleiche  Bitte  gestellt  hatten.^) 

Viel  wichtiger  waren  die  Aenderungen,  welche  in  der  Stellung  der  Universitäten  und 
den  Functionen  der  akademischen  Behörden  durch  den  Wegfall  des  ausserordentlichen  Re- 
gierungsbevollmächtigten herbeigeführt  wurden.  Ein  fast  dreissigjähriges  Unrecht  wurde  nun 
endlich  gesühnt  und  ein  Zustand  beseitigt,  der  alle  Zeit  als  ein  unwürdiger  empfunden 
worden  war.  Die  gesammte  akademische  Disciplin  ging  nun  wiederum  auf  den  Senat  über. 
In  Folge  davon  erlegte  ihm  ein  Erlass  des  Ministers  v.  Ladenberg  vom  27.  November  1848  nun 
freilich  auch  die  Verpflichtung  auf,  „den  herrschenden  Geist  und  die  Beschaflenheit  der  Sitten 
auf  der  Univei-sität  zu  beobachten  und  erhebliche  Vorfälle  dem  Ministerium  ausserordentlich 
ohne  Verzug  anzuzeigen";  für  gewöhnlich  sollte  er  alle  acht  Tage  über  die  Haltung  der 
Studirenden  und  etwaige  besondere  Vorgänge  berichten.^)  Auch  die  bisher  üblichen  Con- 
duitenlisten  sowie  die  jährlichen  einzelnen  Berichte  über  die  Universitätsinstitute  kamen  in 
Wegfall;  statt  dessen  sollte  der  Prorector  einen  entsprechenden  allgemeinen  Bericht  erstatten.^) 

Aber  nicht  bloss  die  Beseitigung  anerkannter  Uebelstände  war  die  Losung  jener  er- 
i'egten  Zeit:  bald  wurde  eine  weit  ausholende  und  tiefgreifende  Reform  der  Universitäten 
gefordert,  auch  in  den  Kreisen  der  Studirenden.  Dabei  aber  konnte  man,  namentlich  in  Königs- 
berg, wiederum  die  erfreuliche  Beobachtung  machen,  dass  die  akademische  Jugend,  wo  sie 
unbeeinflusst  durch  fremde  Elemente,  in  unbefangener  sachlicher  Erwägung  ihrer  nächsten 
Aufgaben  auf  Grund  der  eigenen  Erfahrung  ihre  Wünsche  äusserte,  extremen  Forderungen 
fern  blieb  und  sich  auf  Wünsche  beschränkte,  die  einer  gewissen  Berechtigung  nicht  ent- 
behrten und  vorurtheilsloser  Prüfung  würdig  waren.  Dass  sie  freilich  auch  gelegentlich  der 
aufgeregten  Zeit  ihren  Tribut  zollte  und  mit  Vorschlägen  hervortrat,  die  sich  als  ungeschickte 
Folgerungen  aus  gewissen  damals  allgemein  umlaufenden  liberalen  Schlagwörtern  darstellten, 
soll  ihr  wenigstens  nicht  ernstlich  zum  Vorwurf  gemacht  werden.  Es  entsprach  der  herr- 
schenden Geistesrichtung,  dass  man  vielfach  wünschte,  die  Autorität  der  akademischen  Be- 
hörden herabgesetzt,  dagegen  die  Freiheit  der  Studirenden  erhöht  zu   sehen,   dass  man  einer- 


1)  Ebd.  f.  233. 

2)  f.  227. 

3)  C.  27,  f.  23: 

4)  Ebendaa. 


172 

seits  die  au  die  Studirenden  zu  stelleuden  Forderungen  mindern,  anderseits  aber  denselben  wohl 
gar  einen  Antheil  an  der  Leitung  der  Universität  einräumen  wollte.  Es  war  damals  eben 
Mode,  gegen  die  Universitäten  als  mittelalterlich  verzopfte  Institute  zu  eifern,  und  selbst 
akademische  Lehrer  stimmten  gelegentlich  in  diesen  Ton  ein,  in  undankbarer  Verkennung 
alles  dessen,  was  die  deutschen  Hochschulen  trotz  dem  auf  ihnen  lastenden  schweren  Druck 
dreier  Jahi'zehnte  für  die  Entwickelung  des  nationalen  und  zuletzt  auch  in  so  hohem  Maasse 
des  politischen  Lebens  geleistet  hatten,  und  traten  fiir  Eeformen  ein,  die  nur  nach  gewalt- 
samer Lösung  von  dem  geschichtlich  gegebenen  Boden  durchführbar  waren.  War  doch  von 
Jena  gar  ein  allgemeines  deutsches  Profesäorenparlament  in  Vorschlag  gebracht  worden.  Der 
Lehrkörper  der  Albertina  verhielt  sich  ablehnend,  war  aber  selbstverständlich  bereit,  in  Ge- 
meinschaft mit  der  Regierung  auf  Abstellung  nachgewiesener  üebelstände  hinzuwirken  und 
dabei  auch  die  von  der  Studentenschaft  laut  werdenden  billigen  Wünsche  zu  berücksichtigen. 
Zu  letzteren  war  nun  das  Verlangen  nach  Oeffentlichkeit  der  Senatssitzungen  sicherlich  nicht 
zu  rechnen.')  In  einer  besonderen  Denkschrift  legten  die  Studirenden  der  Albertina  damals 
„ihr  Votum  in  Betreff  der  Reorganisation  des  ganzen  Universitätslebens"  dar.  Von  ihrem 
Inhalt  erhalten  wir  leider  keine  nähere  Kunde.  In  Ergänzung  dazu  formulirten  dann  die 
Studirenden  der  theologischen  Facultät  am  7.  Juni  ihre  besonderen  Wünsche  „wegen  Ab- 
stellung einiger  Mängel,  die  ihrer  selbständigen  und  erfolgreichen  Ausbildung  in  den  Weg 
treten."  Nicht  aus  Neuerungssucht,  so  wurde  darin  angeführt,^)  seien  diese  Forderungen  ent- 
sprungen, sondern  sie  seien  die  Frucht  eigener  Erfahrung  und  reiflichen  Nachdenkens,  die 
man  nur  deshalb  bisher  nicht  vorgebracht  habe,  „weil  noch  vor  wenigen  Wochen  solche 
Worte  erfolglos  verhallt  wären."  Gewünscht  wurde,  es  möchte  bei  den  Anschaffungen  der 
Biljliothek  mehr  Rücksicht  auf  die  Bedürfnisse  der  Studirenden  genommen  und  bei  den  Prü- 
fungen, die  durchweg  öffentlich  sein  sollten,  statt  der  lateinischen  die  deutsche  Sprache  ge- 
braucht werden.  Um  zu  zeigen,  dass  sie  nicht  bloss  negirten,  sondern  an  Stelle  des  zu  Be- 
seitigenden auch  Positives  zu  setzen  wüssten,  schlugen  die  jungen  Theologen  noch  vor:  es 
solle  bei  der  Besetzung  der  theologischen  Professuren  hinfort  die  wissenschaftliche  Tüchtigkeit 
das  einzige  Kriterium  sein;  es  möge  die  bisher  bei  den  theologischen  Professoren  übliche 
Aemterhäufung  beseitigt  werden,  die  den  Verkehr  zwischen  Lehrern  und  Schülern  erschwere 
und  vielfach  unmöglich  mache;  es  müsse  mindestens  jedes  dritte  Semester  von  einem 
Theologen  Religionsphilosophie  gelesen  und  demgemäss  auch  bei  der  Candidatenprüfung 
besonders  berücksichtigt  werden.  Diese  Prüfung  wünschte  man  in  Zukunft  vor  einer  Com- 
mission  gehalten  zu  sehen,  deren  Mitglieder  durch  die  neu  einzurichtende  Provinzialsynode 
gewählt  werden  sollten  —  ein  Vorschlag,  den  man  im  Gegensatz  zu  den  heute  herrschenden 
Verhältnissen  nur  recht  würdigen  kann,  wenn  man  sich  erinnert,  dass  die  Beschlüsse  der 
ersten  Generalsynode  1846  nicht  bestätigt  worden  waren,  weil  sie  die  verpflichtende  Kraft 
der  alten  Symbole  verworfen  hatte:  man  hoffte  die  künftigen  Provinzialsynoden  von  dem- 
selben Geiste  beseelt  zu  finden.     Endlich    sollten   bei    der  Prüfung  die  Clausurarbeiten  durch 


1)  Curator.  A.  158. 

2)  Theol.  Fac.  U.  1. 


173 

häusliclic  ersetzt  werden,  für  welelic  die  beuutzteu  HiilfHUiittel  genau  anzugeben  seien,  nnd 
sollte  das  zweite  Examen  sich  ausschliesslich  auf  die  praktische  Theologie  beziehen. 

Extreme  Tendenzen  wird  mau  diesem  Programm  nicht  nachsagen  können.  Wohl 
aber  machten  sich  solche  geltend,  sobald  die  Frage  nach  der  Universitätsreform  auf  die 
Gasse  hinausgetragen  und  unter  Leitung  von  Hitzköpfen,  die.  nicht  selten  irgead  einen  per- 
sönlichen Grund  hatten,  den  Universitäten  oder  einer  ihrer  Facultäten  gram  zu  sein,  zum 
Gegenstande  phrasenreicher,  mit  packenden  Schlagwörtern  durchsetzter  Discussion  gemacht 
wurden.  Das  unterblieb  auch  in  Königsberg  nicht.  Zu  all  den  Vereinen  und  Clubs,  welche 
damals  die  Neuordnung  von  Staat  und  Gesellschaft  in  die  Hand  zu  nehmen  berufen  sein 
wollten,  kam  Anfang  Juni  noch  ein  Reformverein,  der  sich  speciell  die  Modernisirung  der 
deutschen  Hochschulen,  und  zunächst  natürlich  der  Albertina  zur  Aufgabe  stellte.  Das  grosse 
Wort  führte  da  der  Dr.  jur.  Rudolf  Gottschall,  der  von  der  1846  erworbenen  "Venia  legendi 
keinen  weitern  Gebrauch  gemacht,  sondern  sich  ganz  in  das  aufgeregte  litterarische  und 
politische  Treiben  der  Zeit  gestürzt  hatte,  weil  von  Seiten  der  Regierung  seine  Zulassung 
zur  akademischen  Thätigkeit  davon  abhängig  gemacht  worden  war,  dass  er  Beweise  für  die 
Besserung  seiner  politischen  Gesinnung  beibrächte.  Auf  seine  Anregung  beschloss  der  neue 
Verein  am  8.  Juni,  an  das  deutsche  Parlament  einen  Antrag  auf  einheitliche  Reform  der 
deutschen  Universitäten  zu  richten.  Die  bisherige  Verfassung  derselben  wurde  als  völlig  un- 
vereinbar dargestellt  mit  einer  Zeit,  wie  sie  nun  endlich  aufgegangen  —  „in  der  die  Ver- 
nunft und  die  Freiheit  in  allen  politischen  und  socialen  Verhältnissen  heimisch  zu  werden 
anfängt".*)  Das  Programm  für  die  gewünschte  Reform  Hess  jedenfalls  an  Radicalismus  nichts 
zu  wünschen  übrig.  Aufhebung  der  akademischen  Gerichtsbarkeit,  des  Universitäts-  und  des 
Facultätenzwanges,  der  ZwaugscoUegien,  der  Privilegien  des  Ordinariats,  Abschaffung  der 
lateinischen  Sprache,  Wahl  des  Rectors  und  des  Senats  durch  alle  akademischen  Bürger, 
Beseitigung  aller  Formalitäten  bei  der  Promotion  und  der  Habilitation  und  endlich  die  Ein- 
führung einer  allgemeinen  Deputirteuversammlung,  hervorgegangen  aus  der  freien  Wahl  aller 
akademischen  Bürger  und  von  allen  Universitäten.  Man  forderte  weiter  die  Beseitigung  jedes 
kirchlichen  Einflusses  auf  die  Wissenschaft  und  dazu  die  absolute  Trennung  von  Kirche  und 
Staat.  Schliesslich  sollte  die  so  gewonnene  , Freiheit"  verbürgt  werden  durch  einheitliche 
Organisation  des  deutschen  Universitätswesens  unter  der  Leitung  eines  deutschen  Reichs- 
uuterrichtsministerium  s. 

Diese  gewaltig  tönenden  Phrasen,  an  denen  vor  allem  ihre  Urheber  sich  berauschten, 
verhallten  um  so  schneller  ohne  Hinterlassung  einer  Spur,  als  ja  in  den  Kreisen,  die  in  dieser 
wahrhaft  nationalen  Frage  zunächst  interessirt  und  auch  zunächst  competent  waren,  gewisse 
Reformen  der  Universitätseinrichtungen  längst  als  nöthig  anei'kannt  waren  und  in  ernster 
und  gründlicher  Arbeit  vorbereitet  wurden.  Hatte  doch  das  Cultusministerium  offen  ausge- 
sprochen: „Die  1819  und  1834  auf  Grund  der  Beschlüsse  der  deutschen  Bundesversammlung 
erlassenen  Vorschriften  für  die  deutschen  Universitäten  waren  unter  dem  Einfluss  von  Grund- 
sätzen und  Verhältnissen  entstanden,  welche  in  Folge  der  politischen  Bewegungen  des  Jahres 


1)  S.  128.  I.  Härtung.  Ztg.  ISlb.    8. 


174 

1848  eiue  so  diircbgreilende  Veränderung  erfahren  hatten,  dass  die  Regierung  sich  für  ver- 
pflichtet hielt,  die  preussischen  Universitäten  von  dem  Druck  des  unverdienten  Misstrauens, 
das  jene  Verordnungen  hervorgerufen  hatte,  zu  befreien  und  ihnen  die  Selbständigkeit  wieder- 
zugeben, deren  sie  zu  einer  freudigen  Wirksamkeit  und  zur  Eutwickelung  eines  kräftigen 
corporativen  Lebens  bedürfen."*)  In  dieser  Absicht  hatte  das  Ministerium  bereits  am 
15.  April  1848  die  Landesuniversitäten  zu  gutachtlichen  Vorschlägen  aufgefordert  „iiber 
die  Stellung,  welche  in  Zukunft  dem  bisherigen  aussei"ordentlichen  Regierungsbevollmäch- 
tigten zu  geben  sein  möchte,  und  über  eine  den  Anforderungen  der  Zeit  ent- 
sprechende Umgestaltung  der  akademischen  Gerichtsbarkeit  und  Disciplin."  An  den  be- 
treffenden Berathungen  sollten  alle  ordentlichen  Professoren  theilnehmen.  Ein  Erlass  vom 
24.  August  1848  stellte  es  dem  freien  Ermessen  der  Professoren  anheim,  ihre  gutachtlichen 
Vorschläge  überhaupt  auf  alle  akademischen  Einrichtungen  auszudehnen.  Das  Ergebniss  der 
Berathungen,  die  daraufhin  von  dem  Generalconcil  der  Albertina  gepflogen  wurden,  legte  man 
in  drei  Gutachten  nieder.  Sie  enthalten  manches,  was  auch  heute  noch  beachtenswerth  ist. 
Sie  legen  Zeugniss  ab  von  der  ruhigen  Besonnenheit  und  klarblickenden  Unbefangenheit,  die 
in  der  Lehrerschaft  der  Königsberger  Universität  herrschten  und  mit  glücklichem  Tacte 
zwischen  dem  historischen  Recht  der  Universitäten  und  den  Ansprüchen  des  neuen  Zeitalters 
vermittelten. 

Das  erste  der  drei  Gutachten')  betraf  das  Institut  des  Curatoriums  und  die  künftige 
Verwaltung  der  Universitäten  nach  Aufhebung  desselben.  Denn  dass  diese  zu  erfolgen  habe, 
darüber  war  alle  Welt  einig.  Für  die  Zukunft  wurde  empfohlen,  das  Concilium  oder  Plenum 
aller  Ordinarien  als  die  in  den  meisten  Fällen  beschliessende  Universitätsbehörde  bestehen 
zu  lassen  oder  einzuführen,  neben  der  als  ausführende  Behörde  ein  Senat  oder  engerer  Aus- 
schuss  fungiren  sollte.  Freilich  bedürfe  es  einer  genaueren  Abgrenzung  der  Competenzen 
beider.  Dann  wurde  die  Anstellung  von  zwei  „Universitätsräthen"  vorgeschlagen,  eines 
juristischen,  der  zugleich  als  Justitiar  fungiren,  und  eines  cameralistischen,  der  die  Stipendien- 
verwaltung leiten  sollte.  Ihnen  sollte,  immer  in  Gemeinschaft  mit  einem  als  Correferent 
fungirenden  Professor,  das  Decernat  in  allen  nicht  rein  wissenschaftlichen  Angelegenheiten 
zustehen.  Alle  Personalien,  ausgenommen  die  der  Unterbeamten,  wollte  man  wie  bisher  dem 
Ministerium  vorbehalten  sehen,  die  Stellung  der  betreffenden  Anträge,  so  weit  wissenschaftliche 
Qualification  in  Betracht  käme,  den  Facultäten,  im  Uebrigen  dem  Generalconcil.  Gegen  gefährlich 
erscheinende  Beschlüsse  der  beiden  akademischen  Körperschaften  sollte  dem  Rector,  resp.  Pro- 
rector  ein  susnensives  Veto  zustehen.  Das  zweite  Gutachten  über  die  Umwandlung  oder  Auf- 
hebung der  akademischen  Gerichtsbarkeit  sprach  sich  für  deren  vollständige  Beseitigung  aus. 
Von  besonderem  Interesse  ist  das  dritte  Gutachten,  das  eiue  Reihe  von  Fragen  in  Betreff 
der  akademischen  Lehr-  und  Lernfreiheit  behandelte.  Zu  den  vorangehenden  Verhandlungen 
waren  auch  alle  Extraordinarien  eingeladen  worden,  und  etliche  hatten  sich  auch  daran  betheiligt. 
Mit  Entschiedenheit  trat  man  da  einer  Reihe  von  unberechtigten  Forderungen  entgegen,  die 


1)  Verhandlungen    der  (.'onferenz    zur  Berathung    von    Reformen    der  Verfassung    und  Verwaltung    der 
preussischen  Universitäten,  December  1849.  Berlin. 

2)  Drei  Gutachten,  erstattet  von  dem  Generalconcil  u.  s.  w.     Königsberg  1848. 


175 

damals  an  der  Tagesordnung  waren,  wie  z.  B.  der  nacli  der  Gleichstellung  der  Extraordinarien 
und  Privatdocenten  mit  den  Ordinarien,  wie  sie  nameutlicli  in  Berlin,  in  Betreif  der  Theil- 
nahme  an  den  Promotions-  und  Habilitations-Verhandlungen  verlangt  worden  war.^)  Ausgehend 
von  dem  Grundsatze:  „Ei-laubt  ist  (im  Gebiet  des  akademischen  Lehrens  und  Lernens),  was 
zu  verbieten  kein  vernünftiger  Grund  nöthigt,"  betonte  das  Generalconcil  scharf  den  Unterschied 
zwischen  Professoren  und  Privatdocenten.  „Nichts  wäre  den  Universitäten  verderblicher," 
hiess  es,  „als  ein  Aufrücken  nach  der  Anciennetät,  das  überall,  wo  es  Platz  greift,  mehr  den 
Nullen  als  den  Zählern  zu  Gute  kommt."  Demgemäss  verwarf  man  jede  Betheiligung  der 
Privatdocenten  an  der  Universitätsverwaltung,  wünschte  aber  die  Habilitation  möglichst  zu 
erleichtern,  namentlich  durch  Aufhebung  der  bisherigen  staatlichen  Controle,  d.  h.  der 
ministeriellen  Genehmigung,  der  Untersuchung  über  den  früheren  Lebenswandel  des  Bewerbers, 
des  Nachweises  der  erfüllten  Militärpflicht  oder  der  Befreiung  davon  und  der  Gebühren. 
Man  wollte  ferner  das  Princip  der  akademischen  Freizügigkeit  eingeführt  sehen,  in  der  Weise, 
dass  die  Habilitation  an  einer  preussischen  Universität  zugleich  für  alle  anderen  gelten  sollte. 
Wegfallen  sollten  die  Bestimmungen,  welche  die  Privatdocenten  in  der  Ausübung  der  ihnen 
ertheilten  Venia  legendi  beschränkten,  wie  z.  B.  die,  dass  ein  Privatdocent  nicht  unentgeltlich 
lesen  darf,  was  ein  Professor  privatim  angezeigt  hat  u.  a.  m.,  sowie  die  Beseitigung  alles 
dessen,  was  zu  Gunsten  oder  Ungunsten  des  Einzelnen,  besonders  i-eligiös  und  politisch 
benutzt  werden  könnte.  Der  zweite  Theil  des  Gutachtens  behandelte  die  Lernfreiheit.  Im 
Gegensatz  zu  viel  weitergehenden  Forderungen,  die  damals  laut  geworden  waren,  hielt  es  fest 
an  der  Nothwendigkeit  der  Immatriculation  und  der  Unerlässlichkeit  eines  Reifezeugnisses 
dafür.  Für  den  einmal  immatriculirten  Studirenden  aber  sollte  es  irgend  eine  Schranke  der 
Lernfreiheit  nicht  geben:  das  bedeutete  den  Wegfall  der  Zwangscollegien,  der  in  Königsberg 
damals  üblichen  Schedulae,  d.  h.  der  Verzeichnisse  von  Vorlesungen,  die  ein  Studirender  im 
nächsten  Semester  zu  hören  beabsichtigte,  der  Anmeldebücher  und  der  Fleisszeugnisse  sowie 
aller  Prüfungen  während  der  Studienzeit  —  solche  sollten  nur  noch  auf  ausdrücklichen  Wunsch 
der  Betreffenden  vorgenommen  werden  — ,  des  Trienniums  oder  Quadrienniums,  da  es  ja  nicht 
auf  die  Zeit  des  Studiums,  sondern  auf  das  Quantum  des  Wissens  ankäme.  Entsprechend 
einem  damals  vielfach  geäusserten  Wunsch,  erklärte  man  sich  für  die  Oefifentlichkeit  der 
Prüfungen,  verwarf  aber  die  Forderung,  es  solle  den  Studirenden  freistehen,  einzelne  Professoren 
als  Examinatoren  überhaupt  von  vornherein  abzulehnen.  Das  mindestens  ebenso  wunderliche 
Verlangen,  es  möge  den  Studirenden  bei  der  Besetzung  der  Professuren  eine  Mitwirkung  ein- 
geräumt werden,  wurde  als  überflüssig  bezeichnet,  sobald  jeder  Studienzwaug  aufhörte. 

Im  Hinblick  gerade  auf  die  schwebende  Universitätsreform  bedauerte  man  damals  an 
der  Albertina  den  drohenden  Verlust  Karl  Rosenkranz',  dessen  im  besten  Sinn  des 
Wortes  humane  und  dabei  charaktervolle  und  überzeugungstreue  Persönlichkeit,  bei  Collegen 
und  Schülern  gleich  angesehen,  besonders  geeignet  schien,  zwischen  dem  Recht  des  historisch 
Gewordenen  und  den  andrängenden  neuen  Forderungen  zu  vermitteln.  Derselbe  wui-de 
nämlich  am  24.  Juli  als  vortragender  Rath  in  das  Cultusministerium  berufen  und  schied  nicht 

1)  Curat.-Acten  A.  158. 


176 

ohne  Wehmuth  aus  einer  Stellung,  die  ihm  neben  vollster  eigener  Befriedigung  Anerkennung 
und  Ehren  aller  Art  gebracht  hatte.  Doch  behielt  er  sich  den  Rücktritt  in  das  akademische 
Lehramt  vor,  in  der  Befürchtung,  dass  die  seiner  wartende  amtliche  Thätigkeit  unter  den 
damals  obwaltenden  Umständen  ihm  bald  verleidet  sein  würde.  Diese  Sorge  erwies  sich  als 
völlig  begründet.  Bereits  Anfang  des  Jahres  1849  stand  sein  Ausscheiden  aus  dem  Ministerium 
fest:  und  welchen  Lehrstuhl  hätte  er  wohl  dem  Königsberger  vorziehen  sollen,  wo  er  sich 
des  Vertrauens  zunächst  seiner  Facultätsgenosseu  so  sicher  wusste,  dass  man  die  Denominirung 
seines  eventuellen  Nachfolgers  vorbehaltlos  ihm  selbst  anheim  gegeben  hatte?  Nun  konnte 
m<in  Rosenkranz  zusammen  mit  Schubert  als  Vertreter  der  Albertina  zu  der  Conferenz 
entsenden,  die  in  den  Tagen  vom  24.  September  bis  zum  12.  October  1849  in  Berlin  unter 
Vorsitz  des  Geheimen  Oberregierungsraths  Dr.  Johannes  Schulze  stattfand,  um  die  Frage 
nach  Reformen  in  der  Verfassung  und  Verwaltung  der  preussischen  Universitäten  zum  Austrag 
zu  bringen.  Dazu  waren  auf  Grund  der  eingegangenen  Gutachten  nicht  weniger  als  136  Fragen 
formulirt.  Zur  Bewältigung  dieses  umfangreichen  Materials  wurden  drei  Commissionen  ge- 
bildet: während  der  ersten  Böckh,  der  dritten  Lachmann  präsidirte,  berief  die  zweite 
Rosenkranz  zum  Vorsitzenden.  Von  den  136  Fragen,  die  durch  Abstimmung  nach  Mehi-heit 
beantwortet  wurden,  betrafen  die  16  ersten  die  Vertretung  der  Staatsbehörde  bei  den 
Universitäten,  die  17.  bis  38.  die  akademische  Gerichtsbarkeit,  die  39.  bis  53.  die  Ernennungen 
und  Berufungen,  die  54.  bis  63.  die  Stellung  der  ausserordentlichen  Professoren  zu  den 
akademischen  Behörden,  die  64.  bis  80.  die  innere  Organisation,  die  8J.  bis  87.  die  Disciplin 
über  die  Universitätslehrer  mit  Ausnahme  der  Privatdocenten,  die  88.  bis  95.  die  Besoldungs- 
verhältnisse, die  96.  bis  119.  die  Stellung  der  Privatdocenten  und  endlich  die  120.  bis  135. 
die  Verhältnisse  der  Studirenden.  Den  Gang  der  Verhandlungen,  an  denen  naiaeutlich 
Rosenkranz  hervorragenden  Antheil  nahm,  des  Genaueren  zu  verfolgen  würde  zu  weit  führen. 
Aber  einige  Punkte  mögen  hervorgehoben  werden,  weil  es  nicht  ohne  Interesse  und  in  mehr- 
facher Hinsicht  lehrreich  ist,  die  Stellung,  welche  die  akademischen  Lehrkörper  in  gewissen 
principiellen  Fragen  damals  einnahmen,  mit  dem  zu  vergleichen,  was  nachmals  herrschende 
Meinung  geworden  ist. 

Wie  in  Königsberg  hielt  man  auf  der  Berliner  Conferenz  fest  an  der  Beibringung 
des  Zeugnisses  unbedingter  Reife  als  der  unerlässlichen  Voraussetzung  für  die  Immatriculation. 
Ja,  im  Hinblick  auf  mögliche  Neuerungen,  denen  es  schon  damals  nicht  ganz  an  Befürwortung 
fehlte  und  die  eine  Durchbrechung  dieses  Princips  besorgen  Hessen,  machte  die  Conferenz 
den  sehr  energischen  Vorbehalt:  „Sollte  durch  neue  Einrichtungen,  vielen  Stimmen  in  der 
neulich  berufenen  Schulconferenz  gemäss,  in  dem  Gymnasium  eine  noch  grössere  Be- 
schränkung der  Vorbereitung  zu  einer  gelehrten  Bildung  überhand  nehmen,  so 
behalten  sich  die  Universitäten  vor,  auf  eine  weitere  Beschränkung  der  Imma- 
triculation anzutragen."')  Ebenso  sprach  man  sich  gegen  den  von  Manchen  befür- 
worteten früheren  Abgang  zur  Universität  aus;  denn  „die  Universitäten  haben  die 
Pflicht,    sich    als    gelehrte   Bildungsanstalten   reifer  junger  Männer   zu    halten," 

1)  Verhandlungen,  p.  3G. 


177 

und  „es  ist  nicht  ilire  Aufgabe,  ungebildete  Routiniers  zu  scliulen.'")  Auch  gegen 
die  Zulassung  auf  Grund  des  Reifezeugnisses  in  einem  einzelnen  Fach,  besonders  zur  philo- 
sophischen Facultät,  erklärte  man  sich,  weil  ,,wer  die  Anstalten  des  Staats  zur  Vor- 
bildung nicht  in  ihrem  ganzen  Umfang  nutzen  will,  auch  nicht  verdient  an  den 
Wohlthaten  theilzunehmen,  die  der  Staat  Fleissigen  und  Vollgebildeten  bietet; 
desgleichen  weil  ein  Zeugniss  der  Reife  für  ein  einzelnes  Fach  wohl  zur  Einschreibung 
in  eine  Specialschule,  nicht  aber  in  die  philosophische  Facultät  der  Universitäten 
genügen  kann,  welche  dadurch  mit  Studireuden  einer  äusserst  beschränkten  banausi- 
schen Bildung  überfüllt  werden  würden."  Die  letzte,  136.  Frage,  welche  die  Conferenz 
zu  beantworten  hatte,  ging  dahin,  ob  die  durch  die  bisher  gegebenen  Antworten  vorge- 
schlagenen Abänderungen  der  bisherigen  Bestimmungen  unabhängig  von  den  übrigen  deut- 
schen Universitäten  ausgeführt  werden  könnten  und  welche  nur  in  Uebereinstimmung  mit 
letzteren  ausführbar  seien.  Die  Antwort  lautete  dahin,  dass  es  zu  ihrer  Durchführung  einer 
solchen  Verständigung  nicht  bedürfe.  Deshalb  sprach  die  Conferenz  denn  auch  den  Wunsch 
aus,  Preussen  möchte  mit  den  Reformen  selbständig  vorgehen,  indem  sie  dabei  die  Hoffnung 
liegte,  dass  die  übrigen  deutschen  Universitäten  die  Angemessenheit  der  neuen  Institutionen 
anerkennen  und  sich  ihnen  im  Wesentlichen  anschliessen  würden.^) 

Die  weitere  Entwickelung  der  politischen  Verhältnisse  gebot  auch  der  Reform  des 
preussischen  und  des  deutschen  Uuiversitätswesens  Stillstand.  Aber  die  Fesseln  der  Karls- 
bader Beschlüsse  waren  und  blieben  gesprengt,  obgleich  nicht  geleugnet  werden  kann,  dass 
die  Art,  wie  die  an  die  Stelle  der  ausserordentlichen  Regierungsbevollmächtigten  tretenden 
Curatoren  während  der  folgenden  Jahre  ihres  Amtes  walteten,  zuweilen  nur  allzu  sehr  an 
die  früher  durchlebten  Zeiten  erinnerte.  Auch  für  die  Albertina  folgt'j  nochmals  eine  Periode 
freudelosen  Vegetirens. 

Erst  mit  dem  Ausgang  des  Jahres  18.50  stellte  das  völlige  Erlahmen  der  politischen 
Bewegung  den  altgewohnten  Gang  der  Dinge  wieder  her.  Im  Interesse  der  Studien  war  das 
freilich  erwünscht:  sie  hatten  unter  der  politischen  Erregung  doch  Schaden  gelitten,  und 
bereits  Ende  des  W.S.  1849/50  hatte  der  Senat  zu  seinem  Bedauern  ein  bedenkliches  Sinken 
des  Fleisses  constatiren  müssen.  Zum  Theil  machte  er  dafür  freilich  den  schädlichen  Einfluss 
der  üblichen  Honorarstundung  verantwortlich  und  regte  deshalb  bei  den  Facultäten  deren 
Aenderung  an.^)  Eine  neue,  zwar  kurze,  aber  sehr  störend  empfundene  Unterbrechung  des 
Studienbetriebes  bewirkte  im  November  1850  die  Mobilmachung,  da  sie  eine  Menge  von 
Studirenden  zu  den  Waffen  rief.  Doch  gelang  es  den  akademischen  Behörden,  nachdem  die 
Kriegsgefahr  schnell  vorübergegangen,  denselben  noch  vor  Ende  des  W.S.  die  Rückkehr  zu 
den  Studien  zu  erwirken.*)  Das  gehoffte  Behagen  aber  und  die  fröhlich  gedeihende  Thätig- 
keit,  deren  Lehrer  und  Lernende  sich  nach  den  eben  durchlebten  Zeiten  so  gern  erfreut 
hätten,    brachten    auch    die  nächsten  Jahre  nicht.     Hatte   man   schon  in  den  vierziger  Jahren 

1)  Ebcndas.  S.  .'17. 

2)  Ebendas.  S.  41/42. 

3)  0.  77.  I.  f.  2G9.  271. 

4)  Rosenkranz,  I'rorect.-Bericlit,   185()/fi2. 


178 

über  die  Art  zu  klagen  gehabt,  wie  der  „Freimüthige"  unter  der  Redaction  von  Pflugk') 
sich  ganz  besonders  an  der  Universität  rieb  und  Professoren  und  Studirende  planmässig  ver- 
dächtigte und  verleumdete,  so  hatte  man  jetzt  doch  noch  viel  Aergeres  zu  erleben.  War 
doch  gerade  die  Provinz  Preussen  einer  besonders  rücksichtslosen,  von  dem  üebereifer 
unwürdiger  Werkzeuge  mit  jedem  Mittel  bedienten  Reaction  fast  schutzlos  preisgegeben,  in 
dem  Maasse,  dass  selbst  ein  Theil  des  ehrenwerthen,  pflichttreuen  Beamtenthums  sich  von 
dem  Lob  und  Tadel  abhängig  wusste,  womit  ein  Mann  von  der  dunkeln  Vergangenheit  und 
der  Scrupellosigkeit  eines  Emil  Lindenberg  es'  in  dem  „Freimüthigen"  zu  bedenken  wagen 
durfte  —  ungestraft,  denn  die  lange  Reihe  von  Strafen,  auf  die  wegen  Verleumdung  gericht- 
lich gegen  ihn  erkannt  wurde,  wurden  alle  auf  dem  Wege  der  Gnade  niedergeschlagen. 
Unter  solchen  Umständen  litt  natürlich  auch  die  L^niversität.  Fehlte  es  doch  schliesslich 
nicht  an  dem  Versuche,  Creaturen  jener  extremen  Partei,  trotz  erwiesener  wissenschaftlicher 
LTnfähigkeit  und  politischer  Charakterlosigkeit,  als  Nachfolger  gefeierter  Zierden  der  Wissen- 
schaft in  den  Lehrkörper  einzudrängen.  Dazu  kam  die  tiefgehende  kirchliche  Erregung,  die 
der  Austritt  des  Divisionspfarrers  Dr.  Rupp  aus  der  Landeskirche  und  die  Gründung  der 
freien  evangelischen  Gemeinde  veranlasste.  Die  Universität  wurde  davon  sofort  in  Mitleiden- 
schaft gezogen,  da  sowohl  Dr.  Rupp  wie  einer  seiner  eifrigsten  Anhänger,  Dr.  Florian 
Lob  eck,  ihr  als  Privatdocenten  angehörten.  Beide  wurden  deshalb  im  August  1851  durch 
das  Ministerium  „aus  Gründen  des  allgemeinen  Staatswohls"  von  der  Universität  ausgeschlossen. 
Lobeck  büsste  auch  sein  Amt  als  Secretär  und  Amanuensis  der  Bibliothek  ein.^)  Mit  der 
Verkündigung  dieses  Spruches  trat  am  10.  December  1851  der  neuernannte  Curator  Ober- 
präsident Eichmann  sein  Amt  an,  in  das  er  sich  selbst  durch  eine  feierliche  Anrede  vor  ver- 
sammeltem Generalconcil  einführte.'^) 

Unter  solchen  Umständen  trat  auch  in  der  Entwickelung  der  Albertina  ein  Stillstand  ein. 
Mit  den  geplanten  Reformen  zugleich  waren  auch  die  principiellen  Fragen  in  Vergessenheit  ge- 
rathen,  von  denen  manche  während  der  letzten  Jahre  die  Lehrerschaft  so  eingehend  und  ernst  be- 
schäftigt hatten.  Nur  um  Aeusserlichkeiten  handelte  es  sich  gelegentlich  noch,  wie  z.  B.  die  Ein- 
führung der  auf  den  anderen  preussischen  Universitäten  längst  geltenden  Ferienordnung  durch 
Rescript  vom  14.  Januar  1852,  wonach  die  bisher  üblichen  Sommer-  oder  Ernteferien  (von 
Mitte  Juli  bis  in  die  vierte  Woche  des  August)  mit  den  ehemals  fünf  Wochen  dauernden,  dann 
auf  drei  Wochen  beschränkten'')  Herbstferien  zusammengelegt  werden  und  die  so  gewonnenen 
grossen  Ferien  wegen  der  besonderen  klimatischen  Verhältnisse  Ostpreussens  den  6.  August 
anfangen  sollten.*)  Am  2.  November  18.53  wurden  die  auf  Grund  der  allgemeinen  Universitäts- 
statuten ausgeai-beiteten  Statuten  der  einzelnen  Facultäten  durch  ministerielle  Bestätigung 
rechtskräftig.  Weiterhin  sind  dann  die  Verhandlungen  nicht  ohne  Interesse,  zu  denen 
1855 — 56   das  üeberhandnehmen  der   ölTentlichen  Vorlesungen  Anlass  gab.      Wohl    in  Rück- 


1)  Vgl.  S.  155. 

2)  C.  77.  I.  S.  307. 

3)  Rosenkranz,  T.igeljncbfragment. 

4)  Phil.  Fac.  A.  5,  II. 

5)  C.  77,  I. 


179 

sieht  auf  die  dürftigeu  Verbältnisse  der  meisten  Königsberger  Studirenden  lasen  damals 
viele  Professoren  alle  Collegien  öfientlich  und  hatten  dabei  in  dem  entsprechenden  Maassstal) 
die  alte  Erfahrung  zu  machen,  dass  die  akademische  Jugend  diese  honorarfreien  Vorlesungen 
weniger  achtete  und  deshalb  unregelmässiger  besuchte  als  die  privaten.  Deshalb  bemerkte 
ein  Ministerialerlass  vom  4.  März  1856,  die  betreffenden  Lehrer  —  es  waren  A.  Hagen,  Dru- 
mann,  Lehrs,  Lobeck,  Nesselmann,  Zaddach  und  Hirsch  —  thäten  damit  allerdings  mehr,  als 
ihre  Pilicht  erforderte,  gäben  aber  doch  auch  zu  unrcgelmässigem  Besuch  der  Vorlesungen 
mehr  als  wüuschenswerth  Anlass.') 

Auch  für  die  Studentenschaft  brachten  jene  Jahre  manche  unliebsamen  Confiicte,  da 
die  übereifrigen  Träger  der  Polizeigewalt  die  Schranken  nicht  immer  respectirten,  welche 
ihnen  durch  die  Sonderrechte  der  Universität  den  Studirenden  gegenüber  gezogen  waren,  und 
so  den  Senat  mehrfach  nöthigten  energisch  für  die  Studirenden  einzutreten.  Wiederholt  brachte 
auf  die  Meldung  seiner  Untergebenen  hin  der  Polizeipräsident  Maurach  bei  dem  Senat  Studirende 
zur  Anzeige,  weil  sie  die  Versammlungen  der  sogenannten  Gemeinde  evangelischer  Christen 
besucht  hatten,  und  forderte  nach  einiger  Zeit  gar  Auskunft  über  die  deshalb  vom  Senate 
erlasseneu  Verfügungen.  Dieser  gab  darauf  den  6.  April  1854  die  Antwort,  dass  er  auf 
Grund  der  Verfassungsurkunde  und  des  Gesetzes  vom  15.  März  1850  amtliche  Einsclu-eitungen 
gegen  erlaubte  Handlungen  nicht  veranlasst  habe  und  Maassnahmen  von  privatem  Charakter 
zur  Mittheilung  nicht  geeignet  seien.  Solche  Vorgänge  erzeugten  eine  gewisse  Spannung 
zwischen  Polizei  und  Studentenschaft,  die  schliesslich  zu  bedenklichen  Conflicten  führte.  So 
veranlasste  im  November  1854  ein  gelegentliches  Rencontre  zwischen  zwei  Studirenden  und 
dem  Wirth  eines  vielbesuchten  Locals  einen  gewaltigen  Sturm,  indem  die  rücksichtslos  vor- 
gehende Polizei  gegen  die  angeblich  zum  Widerstände  rüstenden  Studirenden  Militär  requi- 
rirte,  die  Studirenden  mit  Kolbenstössen  tractiren  Hess  und  einen  Studirenden  verhaftete 
und  trotz  erfolgter  Legitimation  achtzehn  Stunden  im  Polizeigewahrsam  fest  hielt.  Während 
er  das  Unrecht,  dessen  bei  diesem  Tumult  einzelne  Studirende  sich  schuldig  gemacht  hatten, 
gebührend  ahndete,  nahm  der  Senat  sich  mit  Energie  der  Beschwerde  an,  die  aus  Anlass 
dieses  Vorgangs  156  Studirende  in  einer  gemeinsamen  Eingabe  an  ihn  richteten;  dass  er  die 
andere  Seite  von  der  Rechtswidrigkeit  ihres  Vorgehens  überzeugt  hätte,  lässt  sich  freilich 
nicht  behaupten.^) 

Blieben  damals  doch  selbst  die  Professoreu  in  ihren  amtlichen  Handlungen  nicht  un- 
behelligt. Sogar  ein  Lob  eck  wurde  verdächtigt  und  denuncirt.  Allerdings  war  er  dem 
insofern  mehr  ausgesetzt,  als  er  in  der  Eigenschaft  eines  Professors  der  Eloquenz  bei  den 
akademischen  Feiern  an  Königsgeburtstag  und  am  Krönungsfest  die  Festreden  zu  halten 
hatte  und  dabei  auch  ohne  besondere  Absicht  leicht  auf  Stoffe  aus  dem  klassischen  Alterthum 
geführt  wurde,  welche  für  die  der  Zeit  herrschende  Richtung  unangenehme  Parallelen  er- 
gaben. Zuweilen  aber  wählte  Lobeck  sein  Thema  auch  geflissentlich  so,  dass  es  ihm  Gelegen- 
heit bot,  gewissen  von  ihm  bekämpften  Richtungen  entgegenzutreten.     Denn  nicht  leicht  fand 


1)  Philos.  Fac.  A.  5.  IL 

2)  D.  19. 


180 

sich  damals  sonst  eine  Gelegenheit  der  Art.  Aber  gerade  unter  den  schwierigen  Verhält- 
nissen jener  Jahre  hat  sich  Lobecks  Meisterschaft  auf  diesem  Gebiete  glänzend  bewährt. 
Ohne  jemafe  von  den  lichten  Höhen  reiner  Wissenschaftlichkeit  in  das  dunkle  Getriebe  der 
Tagespolitik  hinabzusteigen,  hat  er  doch  den  Zusammenhang  zwischen  dem  gelehrten  Beruf 
der  Universitäten  und  ihrer  Bestimmung,  als  nationale  Bildungsanstalten  mitzuarbeiten  an  der 
fortschreitenden  Vervollkommnung  des  nationalen  Lebens,  niemals  aus  dem  Auge  verloren, 
sondern  es  alle  Zeit  meisterhaft  verstanden,  von  dem  klassischen  Alterthum  aus  auf  gewisse 
Erscheinungen  jener  Tage  helle  Schlaglichter  fallen  zu  lassen.  Damit  brachte  er  nicht  bloss 
elienso  maa.ssvoll  wie  eindringlich  seinen  aliweichenden  Standpunkt  zum  Ausdruck,  sondern 
bezeichnete  oft  auch  gleich  die  Ziele,  denen  die  Entwickelung  Deutschlands,  wenn  sie  ge- 
sundete, nachzustreben  haljen  würde.  Und  das  that  er  ebenso  auf  weltlichem  wie  auf  kirch- 
lichem Geliiete.  Zuweilen  lassen  schon  die  von  ihm  gewählten  Themata  diese  Seite  seiner 
Wirksamkeit  als  os  academicum  erkennen.  So  sprach  er  den  15.  Octolier  1848  über  die  Ver- 
folgung des  freien  Wortes  liei  den  Griechen  und  Romern,  den  18.  Januar  1849  über  politische 
Sühneversuche  bei  den  alten  Völkern,  den  18.  Jaimar  1850  iiber  politische  und  kirchliche 
Restauratiousversuche  u.  s.  w.')  Als  er  nun  am  18.  Januar  1856  die  Collisionen  einzelner 
wissenschaftlicher  Disciplinen  mit  kirchlichen  und  weltlichen  Behörden  als  „einen  uns  nahe 
liegenden  Gegenstand  aus  der  litterarischen  Welt"  liehandelte^)  und  dal^ei  in  weiterer  Aus- 
führung eines  von  ihm  schon  früher  skizzirten  Gedankens  darzuthun  unternahm,  dass  dem 
Alterthum  der  religiöse  Fanatismus  überhaupt  fremd  gewesen  sei  und  dass  damals  uuliedingte 
Lehrfreiheit  geherrscht  habe,  ausgenommen  einige  Fälle,  wo  persönliche  Feindschaft  ein- 
wirkte, da  versäumte  es  die  „Ostpreussische  Zeitung"  nicht,  ihn  deshall)  zu  denunciren  und 
ein  amtliches  Einschreiten  zu  fordern.  Letzteres  wurde  zwar  eingeleitet,  alier  wegen  Mangels 
einer  brauchbaren  Handhabe  nicht  weiter  fortgesetzt.  Hatte  Lolieck  doch  schon  den  15.  October 
1851  eine  der  brennendsten  Fragen  seiner  Zeit  muthig  aufgegriffen  und  im  Gegensatz  zu  der 
herrschenden  Richtung  die  religiöse  Duldsamkeit  gepriesen,  mit  der  die  Priester  der  alten 
Welt,  Idoss  mit  dem  Cultus  beschäftigt,  von  dem  Staatsbürger  nichts  forderten,  als  dass  er 
die  Existenz  der  Volksgötter  unangefochten  lasse,  und  dann  mit  scharfen  Worten  hingewiesen  auf 
die  Intoleranz  der  von  ihm  gehassten  Partei,  welche  die  wissenschaftliche  Forschung  der 
strengsten  Censur  unterworfen  sehen  möchte  und  sich  namentlich  vermisst,  über  die  Natur 
und  die  Eigenschaften  derselben  allgemein  bindende  Glaubensartikel  festzusetzen.  Beispiele 
solcher  Verfolgungssucht  hatte  er  aus  alter  und  neuester  Zeit  reichlich  angeführt,  von  Galilei 
und  Giordano  Bruno  bis  auf  Rossmässler  und  Moleschott.  Ueberall  trat  so  der  in  Lobecks 
innerster  Natur  begründete  sittliche  Gegensatz  hervor  gegen  eine  Partei,  die  das  Licht  der 
Wissenschaft  zu  verdunkeln  ihm  eifrig  bestrebt  schien.^) 

Es  war  eben  eine  trübe  und  unerquickliche  Zeit,  die  damals  wie  auf  Deutschland  und 
so  namentlich  auch   auf  der  Albertina  lastete   und    ihr    die    zu  vollem   und  wahrem 


1)  Lehnerdt,  Ausgewählte  Keileu,  S.  40. 

2)  Ourat.-Acten,  S.  41. 

3)  Lehnerdt  a.  a.  0.,  S.  Ü6. 


ISl 

Gelingen  unentbelirlielie  Fi-eiidigkeit  des  Wirkens  Ijeeiuträclitigte.  Dii.s  warf  seinen  Schatten 
.auch  auf  die  Einleitungen,  welche  die  Köiiigsberger  Universität  traf,  um  demnächst  würdig 
die  fünfzigste  Wiederkehr  des  Tages  zu  begehen,  an  dem  einst  ihr  Königlicher  Eector  sein 
Amt  in  voller  Jugendlilüthe  augetreten  hatte.  Da  kam  jene  verhängnissvolle,  in  ihren 
Keimen  längst  sich  regende  Krankheit  zum  Ausbruch,  welche  dieseu  ausserordentlichen  Geist 
in  seiner  Kraft  jählings  knicken  und  für  den  Rest  seiner  Tage  in  immer  tieferes  Dunkel  ver- 
sinken lassen  sollte.  Damit  verboten  sich  von  selbst  die  geplanten  feierlichen  Huldigungen, 
und  Prorector  und  Generalconcil  mussten  sich  darauf  beschränken,  am  Abschlüsse  eines  ge- 
meinsam verlebten  halben  Jahrhunderts  voll  tiefgreifender  Wandelungen  und  jäher  Wcchselfälle 
ihrem  Oberhaupt  nur  mit  schriftlichen  Glückwünschen  zu  nahen.  Die  huldvoll  dankende 
Antwort,  welche  darauf  erging,  ist  zwar  noch  von  dem  König  eigenhändig  unterzeichnet,  aber 
die  unsicheren,  mühsam  geführten  und  gleichsam  zitternden  Schriftzüge,  die  von  dem  sonst 
so  schwungvoll  kühnen  Namenszug  ergreifend  abstechen,  lassen  bereits  die  Schwere  der  Geist 
und  Hand  lähmenden  Krankheit  erkennen.')  Um  so  freudiger  durfte  bald  danach  auch  die 
Albertina  an  den  von  den  schönsten  Hoffnungen  verklärten  Festlichkeiten  theilnehmen,  welche 
die  Vermählung  des  künftigen  Erben  der  preussischen  Kroue  mit  Viktoria,  der  Prinzess 
Royal  von  England,  verherrlichten,  indem  sie  sich  dem  jungen  Paare  glückwünschend  nahte^) 
und  auf  die  an  sie  ergangene  Einladung  den  Prorector  W.  Cruse  und  den  Viceprorector  als 
Vertreter  zu  den  Einzugsfeierlichkeiten  nach  Berlin  entsandte.^) 

Doppelt  freudig  und  dankbar  hiess  daher  die  Albertiua  gleichsam  als  letztes  kost- 
bares Vermächtniss  ihres  scheidenden  Königlichen  Rectors  den  endlich  in  Angriff  genommenen 
Bau  ihres  neuen  Hauses  willkommen.  Noch  lag  seit  den  Festtagen  von  1844  der  Grundstein 
dazu  auf  Königsgarten,  ohne  der  Bestimmung  zu  dieuen,  zu  der  ihm  einst  die  Weihe  gegeben 
war.  Der  Mangel  eines  zureichenden  Universitätsgebäudes  hatte  immer  dringendere  Forderungen 
für  die  wissenschaftlichen  Institute  zur  Folge,  die  in  ihrer  Kümmerlichkeit  ihrer  Bestimmung 
als  Lehranstalten  ebenso  wenig  gerecht  werden  konnten  wie  der  als  Stätten  der  Forschung. 
Noch  in  der  den  Professoren  nach  dem  Jubiläum  gewährten  Abschiedsaudienz  hatte  der 
Prorector  Burdach  dem  König  die  für  die  akademischen  Institute  ausgesprochenen  Wünsche 
wiederholt.*)  Freilich  war  ja  in  dieser  Hinsicht  in  Königsb(irg  so  viel  versäumt  und  so  viel 
nachzuholen,  dass  es  zur  Befriedigung  auch  nur  der  dringendsten  Bedürfnisse  eines  überaus 
bedeutenden  Aufwands  bedurft  hätte.  Er  wurde  auf  im  Ganzen  220906  Thaler  (6()2718  Mark) 
geschätzt,  nämlich  für  das  Universitätsgebäude  12.5532  Thaler,  für  die  medicinische  Klinik 
31374,  für  das  physikalisch-chemische  Laboratorium  12000,  für  die  Anatomie  15000,  für  die 
chirurgische  Klinik  20000,  für  einen  Anbau  am  zoologischen  Museum  8000  und  einen  solchen 
an  der  Bibliothek  9000  Thaler.  Dazu  kamen  in  Zukunft  zu  leistende  jährliche  Zuschüsse  im 
Beirage  von  5864  Thalern  und  Gehaltszulagen  mit  4260  Thalern,  im  Ganzen  noch  10124  Thaler.^) 

1)  R.  4. 

2)  F.  30. 

3)  Rosenkrauz  ;i.  a.  ü. 

4)  Rurdach,  S.  4G3. 

5)  Curat.  A.  141.  I. 


182 

Deshalb  meinte  man  von  allem  Andern  absein  und  sich  auf  die  Durchsetzung  des  neuen 
Universitätsgebäudes  beschränken  zu  müssen.  Aber  auch  dieses  entschwand  bald  wieder  in 
unerreichbare  Fernen. 

Zunächst  war  an  einen  Beginn  des  Baues  vor  dem  Frühjahr  1848  überhaupt  nicht  zu 
denken,  denn  erst  Ende  des  Jahres  1847  sollte  die  neue  Defensionskaserne  (heute  Kaserne 
Kronprinz)  auf  dem  Herzogsacker  fertig  werden,  deren  Belegung  mit  Mannschaften  die  Voraus- 
setzung war  für  den  Abbruch  des  Exercierhauses  auf  Königsgarten  und  die  Ueberweisung  des 
Platzes  an  die  Universität.')  Dennoch  wurde  der  Schlossbaumeister  Uhrich  mit  der  Anfertigung 
der  technischen  Vorarbeiten  beauftragt  und  auch  auf  eine  künstlerische  Studienreise  geschickt, 
um  in  Frankreich,  Italien,  den  Niederlanden  und  Deutschland  die  berühmtesten  Bauten  ähnlicher 
Art,  die  als  Vorbilder  dienen  konnten,  kennen  zu  lernen.  Mit  Benutzung  des  so  gewonnenen 
Materials  und  unter  der  ihm  vorgeschriebenen  „besonderen  Berücksichtigung  der  von  Seiner 
Majestät  über  die  Bebauung  und  Ausschmückung  des  Königsgartens  ausgesprochenen  Absichten"^) 
entwarf  dieser  dann  einen  Plan,  der  unter  Annahme  einer  Frequenz  von  600—800  Studirenden 
einen  Aufwand  von  280 — 285000  Thaleru  erfordern  sollte.  Diese  Summe  w'ar  unerschwinglich, 
und  die  Uhriehschen  Entwürfe  wurden  deshalb  so  reducirt,  dass  sie  nur  ca.  200000  Thaler  er- 
fordern sollten.  Dennoch  lehnte  der  Minister  Eichhorn  den  Antrag  auf  sofortige  Anweisung 
von  20000  Thalern  zur  BeschaÖ'ung  des  für  die  Fundamentirung  nöthigen  Materials  im 
December  1846  ab,  verlangte  erst  Fertigstellung  der  Pläne  bis  in  alle  Einzelnheiten  und  ihre 
Prüfung  durch  die  Oberbaudeputation  und  machte  kein  Hehl  daraus,  dass  für  1847  von  einem 
Beginn  des  Baues  überhaupt  noch  nicht  die  Rede  sein  könnte.  Und  als  dann  im  Juli  1847 
der  Oberpräsident  von  Bötticher  die  vollständig  ausgearbeiteten  Detailpläne  einreichte,  deren 
Ausführung  266758  Thaler  und  ausserdem  noch  15936  Thaler  für  die  Ueberbrückung  des 
Fliesses  erfordert  hätte,  lief  endlich  im  März  1848  aus  Berlin  nur  der  Bescheid  ein,  dass  zur 
Zeit  jeder  Antrag  auf  Flüssigmachung  eines  Theils  der  Gelder  unnütz  sei.^) 

Die  nächsten  Zeiten  Ovaren  nicht  geeeignet  die  Sache  zu  fördern.  Um  so  dringender 
machten  sich  die  Bedürfnisse  der  Institute  geltend,  die  man  mit  Rücksicht  auf  die  Wünsche 
lies  Ganzen  bisher  zuriickgestellt  hatte.  Die  Zustände  in  der  Anatomie  waren  unerträglich; 
aber  erst  1850  Avurde  der  Neubau  auf  der  Laak  in  Angriff  genommen.*)  Sonst  blieb  Alles 
beim  Alten,  obgleich  an  maassgel)euder  Stelle  der  beste  Wille  vorhanden  war  zu  helfen: 
als  er  im  August  1851  zur  Enthüllung  des  Reiterstandbildes  Seines  Vaters  in  Königsberg  ver- 
weilte, sprach  der  König  dem  Prorector  Rosenkranz  gegenüber  sein  grosses  Interesse 
für  die  Universität  ans  und  ganz  besonders  für  das  ihr  verheissene  neue  Gebäude.^)  Aber 
auch  die  erneute  Anwesenheit  des  Königs  im  Sommer  1853  (30.  Juli  bis  4.  August)  aus 
Anlass  der  Eröffnung  der  Ostbahn  brachte  die  Sache  keinen  Schritt  vorwiirts,  ja,  sie  scheint 
inmitten  der  rauschenden  Festlichkeiten  jener  Tage,  an  denen  auch  die  ihrem  Rector  freudig 


1)  Curator.  A.  114a.  IL 

2)  Vgl.  S.  103. 

3)  U.  36,  I. 

4)  Kosenkranz,  Prorectorutsbericht  1850 — 1852 

5)  Rosenkranz  ebendas. 


183 

huldigende  Studeuteuschaft  mit  einer  Goiidelfabrt  auf  dem  Sclilossteich  Antbeil  hatte,  kaum  zur 
Sprache  gekommen  zu  sein.  Vielleicht  hielt  man  sie  hier  und  da  überhaupt  nicht  für  so 
sehr  dringend,  weil  die  Zahl  der  Studirenden  ziemlich  constant  blieb,  jedenfalls  nicht  in 
dem  Maasse  wuchs,  dass  daraus  ein  zwingendes  Argument  für  den  Neubau  hätte  gewonnen 
werden  können.  Denn  nachdem  sie  von  340  in  dem  Jubiläumssemester  auf  353  im  Winter 
1844/45  gestiegen  war,  sank  sie  auf  347,  335,  317,  um  im  S.S.  1847  mit  2.58  (63  Theologen, 
94  Juristen,  53  Medicinern  und  88  Philosophen)  den  tiefsten  Stand  zu  erreichen  und  dann 
allmählich  von  318  bereits  im  W.S.  1847/48,  mit  steten  Schwankungen  auf  358  im  S.S.  1851, 
353  im  W.S.  1854/55,  357  im  S.S.  1857,  361  im  W.S.  1857/58  zu  steigen  und  endlich  mit 
393  (121  Theologen,  95  Juristen,  100  Medicinern  und  67  Philosophen)  im  S.  S.  1858  ihren 
höchsten  Stand  in  jenem  Jahrzehnt  zu  erreichen.  Aber  selbst  für  diese  immer  noch  massigen 
Zahlen  reichten  die  vorhandenen  Räume  nicht  aus,  vollends  nicht,  seit  die  Zahl  der  Lehr- 
fächer wuchs,  von  denen  einzelne  —  wie  z.  B.  die  Physiologie  —  erst  Anspruch  auf  grössere 
Arbeitsräume  und  dann  auf  eigene  Institute  erhoben.  Das  alte  Albertinum  aber,  längst  unge- 
nügend und  baufällig,  war  doch  immer  nur  nothdürftigst  ausgebessert  worden,  weil  man  mit 
Rücksicht  auf  den  bevorstehenden  Neubau  grosse  Mittel  nicht  mehr  darauf  verwenden  wollte. 
So  trat  denn  schliesslich  ein  geradezu  unerträglicher  Zustand  ein:  1854  fehlte  es  so  an  Audi- 
torien, dass  etliche  Docenteu  ihre  Vorlesungen  wogen  Mangels  an  Raum  aufgeben  mussteu.') 
Niemand  konnte  sich  mehr  der  traurigen  Erkenntniss  verschliessen,  dass  „die  akademische 
Thätigkeit  der  Königsberger  Professoren  und  Docenten  in  ihrem  engeren  Zusammenhang 
einem  sichtlichen  Verfall  mehr  und  mehr  entgegengeführt  werde."  Da  brachte  endlich  zu 
Ende  des  S.S.  1855  Schubert  den  Antrag  ein,  die  Universität  möge  von  der  ihr  1844  er- 
theilteu  Erlaubniss  Gebrauch  machen  und  für  ihre  Vertreter  eine  Audienz  bei  dem  König 
nachsuchen,  um  die  Angelegenheit  des  Universitätsgebäudes  sowie  die  dringend  nöthige  Ver- 
besserung der  Universitätsdotation  unmittelbar  bei  demselben  in  Anregung  zu  bringen. 

Nun  endlich,  nach  länger  als  zehn  Jahren,  wurde  die  Sache,  die  für  die  Albertina 
geradezu  eine  Lebensfrage  geworden  war,  in  Gang  gebracht.  Freilich  musste  dabei,  wollte 
man  nicht  neue  Enttäuschungen  erleben,  von  Plänen  abgesehen  werden,  wie  sie  Schlossbau- 
meister Uhrich  nach  den  Intentionen  des  Königs  entworfen  hatte.  Im  Juli  1856  erschien  der 
Geheimrath  Knerk,  um  das  wirkliche  Raumbedürfniss  für  die  Universität  und  die  Institute  zu 
ermitteln:  denn  die  von  Uhrich  angenommene  Zahl  von  600 — 800  Studirenden  hielt  man  für 
völlig  unerreichbar.  Bei  einem  neuen  Besuch  in  Königsberg  Hess  der  König  selbst  sich  A'"or- 
trag  über  die  Sache  halten.  Das  Project  wurde  der  Prüfung  des  Geheimen  Oberbauraths 
Stüler  unterbreitet,  der  wiederholt  mit  dem  Pi'orector  Sims on  und  dem  Cabinetsrathlllaire 
conferirte.  Dem  Entwürfe  wurde  eine  Frequenz  von  500  Studirenden  zu  Grunde  gelegt:  indem 
man  die  Dimensionen  der  i)rojectirteu  Räumlichkeiten  entsprechend  reducirte,  ihre  Zahl  aber 
vermehrte,  kam  mau  zu  einem  Anschlag  von  180000 — 250000  Thalern.^)  Auf  den  Vortrag 
des  Oberpräsideuten  und  Curators  Eichmann  und  des  Prorectors  Simsou  erklärte  sich  der 

1)  A.  :^ß.  I. 

2)  0.  77.  II,  15.  October. 


184 

König  damit  einverstanden.  Dennoch  hielt  es  das  Generalconcil  für  geboten,  sich  in  einer 
ausführlichen  Denkschrift  vom  1.  November  1856,  die  eine  genaue  Geschichte  des  ganzen 
Verlaufs  dieser  Angelegenheit  gab,  auch  noch  an  den  Ministerpräsidenten  von  Manteufiel  zu 
wenden  und  ihm  seine  Wünsche  ans  Herz  zu  legen,  indem  es  sich  auf  Stiilers  ürtheil  berief, 
der  den  Zustand  für  ,, wahrhaft  erbärmlich"  und  den  Neubau  für  ,,ganz  unerlässlich"  erldärt 
hatte.  Der  Minister,  hiess  es  darin,  möge  überzeugt  sein,  dass  eV  durch  Gewährung  der 
erbetenen  Beihülfe  „den  sinkenden  Muth  treuer  Lehrer  der  Albertiua  neu  gehoben  und  gestählt 
und  ein  bedrohliches  Verkommen  von  der  Hochschule  abgewendet  haben  werde,  die,  auf  dem 
Vorposten  germanischer  Bildung,  solcher  Berücksichtigung  vielleicht  um  so  dringender  werth 
und  bedürftig  ist,  als  die  Gründe  ihres  Rückganges  nicht  in  dem  Sinken  ihrer  geistigen 
Kräfte,  sondern  lediglich  in  dem  Mangel  eines  würdigen  oder  auch  nur  schicklichen  äusseren 
Zustandes  zu  suchen  sein  würden".  Mit  solchen  Argumenten  war  denn  auch  den  Kammern 
die  Bewilligung  der  nöthigen  Mittel  leicht  abzugewinnen,  und  das  Anerbieten  des  Geuei-al- 
concils  wurde  überflüssig,  wonach  die  Universität  aus  ihrem  Vermögen  dem  Staate  72000  Thlr. 
als  ein  verzinsliches  Darlehn  überlassen  wollte,  um  die  zu  schleunigem  Beginn  des  Baues 
nöthigen  Mittel  zu  beschaffen.*)  Vielmehr  wurden  von  den  zunächst  bewilligten  100000  Thlr. 
50000  bereits  für  das  Jahr  1858  augewiesen.  So  konnte  denn,  als  das  Exercirhaus  auf 
Königsgarten  am  1.  April  geräumt  wurde,^)  am  6.  Api-il  1858  der  Bau  unter  Leitung  des 
Baumeisters  Paarmanu  endlich  beginnen.')  Im  Herbst  1859  war  das  Haus  unter  Dach.  Die 
Weiterführung  wurde  übrigens  auch  in  der  Folge  noch  mehrfach  durch  finanzielle  Schwierig- 
keiten vei'zögert.  Auch  entsprach  der  Bau  schliesslich  keineswegs  den  ursprünglichen  Ent- 
wiirfen,  sondern  stellte  sich  dar  als  ein  Compromiss  zwischen  den  allein  auf  das  Nöthige 
und  Erreichbare  gerichteten  Plänen  Stülers  und  den  originellen  und  kühn  ins  Grosse  ge- 
llenden Gedanken  des  Königs. 

Neben  der  Sorge  für  den  Bau  des  neuen  Albertinums  ging  nun  aber  alle  diese  Jahre 
auch  die  für  die  Befriedigung  der  Bedürfnisse  her.  welche  namentlich  von  Seiten  einzelner 
Zweige  der  Naturwissenschaften  geltend  gemacht  wurden.  Denn  wenn  man  auch  bei  der 
Wiederanregung  des  Universitätsbaues  1855/56  erklärt  hatte,  dass  man  nur  um  diesen  bitte  und 
alle  sonst  ausgesprochenen  und  auch  liereits  als  berechtigt  anerkannten  Wünsche  in  Betreff 
der  Erweiterung  oder  Neueinrichtung  von  Instituten  zurückstelle,  so  machten  sich  doch  ge- 
rade auf  diesem  Gebiet  die  wachsenden  Ansprüche  immer  unabweisbarer  geltend  und  mussten 
in  irgend  einer  Weise  befriedigt  werden,  sollten  nicht  gewisse  Studienzweige  in  verhänguiss- 
voller  Weise  Schaden  leiden.  Die  1850  begonnene  neue  Anatomie  wurde  1853  bezogen. 
Was  dagegen  durch  eine  geringe  Erhöhung  des  Etats  (um  3100  Thaler)  1845—46  für  die 
Kliniken,  die  Bibliothek,  die  Sternwarte  und  das  physikalische  und  chemische  Laboratorium*) 
geschah,  war  nur  ein  Nothbehelf.  Insbesondere  waren  die  beiden  zuletzt  genannten  Anstalten  in 
einem  sehr  kümmerlichen  Zustande,  obgleich  schon  1841  aus  Anlass  von  Justus  von  Liebigs  Schrift 


1)  A.  36.  I. 

2)  Gurator.  A.  114a.   l[l. 

3)  C.  77.  IL 
4j  Rosenkranz. 


185 

„lieber  das  Studium  der  Naturwissenschaften  und  über  den  Zustand  der  Chemie  in  Preussen" 
ein  Miuisterialerlass  vom  ;>.  Juni  die  philosophische  Facultät  aufgefordert  hatte,  über  die 
einschlägigen  Verhältnisse  in  Königsberg  zu  berichten  und  sich  dabei  auch  gleich  wegen  der 
Einrichtung  eines  physikalischen  Laboratoriums  auszusprechen.')  Erreicht  wurde  nichts,  und 
das  im  Collegium  Albertinum  untergebrachte  chemische  Laboratorium  konnte  gegenüber  den 
Fortschritten  gerade  dieser  Wissenschaft  selbst  den  bescheidensten  Ansprüchen  nicht  genügen, 
so  dass  noch  1852,  als  es  sich  nach  Dulks  Tod  um  die  Berufung  eines  neuen  Chemikers 
handelte,  die  medicinische  und  philosophische  Facultät  in  einer  gemeinsamen  Denkschrift 
dem  Ministerium  die  Nothwendigkeit  der  endlichen  Abhülfe  darthaten.^)  Der  damals,  Ostern 
1853,  auf  Roses  Empfehlung  au  die  Albertina  berufene  E.  Werther  hatte  denn  auch  gleich 
zu  Anfang  seiner  Wirksamkeit  zu  constatiren,  dass  das  bisher  zum  chemischen  Laboratorium 
benutzte  Local  im  Collegium  Albertinum  in  Folge  seiner  Feuchtigkeit  weder  zur  Aufstellung 
von  Instrumenten  und  Apparaten,  noch  zu  Vorlesungen  brauchbar  sei,  und  erbat  und  erhielt 
die  Erlaubniss,  statt  jener  fürs  erste  die  bisher  im  sogenannten  Bischofshof  zu  Auditorien 
gemietheteu  Räume  zu  benutzen.')  Endlich  im  Jahre  1854  konnte  der  Ban  eines  neuen 
chemischen  Laboratoriums  auf  einem  vom  botanischen  Garten  abgezweigten  Grundstück  in 
Angriff  genommen  werden.  Bezogen  wurde  dasselbe  1857.  Inzwischen  ging  der  üniversitäts- 
bau  seiner  Vollendung  entgegen,  mochte  auch  die  von  dem  kunstsinnigen  König  geplante 
künstlerische  Ausschmückung  seines  Innern  noch  eine  Reihe  von  Jahren  erfordern.  Die 
Giebelwand  sollte  16  Medaillons  mit  Portraitbüsten  berühmter  Lehrer  und  Schüler  der 
Albertina  erhalten.*)  Auf  Grund  der  Vorschläge  einer  Commissiou  sprach  sich  das  General- 
concil  zunächst  für  die  Herstellung  solcher  Medaillonbüsten  aus  von  Säbinus,  Simon  Dach, 
Hagen,  Kraus,  Kant,  Herder,  von  Hippel,  Herbart,  Bessel,  Burdach,  Jacobi  und  Lachmaun, 
während  vier  Felder  einstweilen  frei  bleiben  sollten,  „um  einer  künftigen  Zeit  die  Ausfüllung 
derselben  anheimzustellen."^)  Von  diesen  Vorschlägen  wurde  der  Hagen  betreffende  vom 
Ministerium  (22.  März  1860)  beanstandet:  der  durch  seine  Vielseitigkeit  ebenso  wie  seine 
Verdienste  um  die  Hebung  der  naturwissenschaftlichen  Studien  in  der  Provinz  Preussen  hoch- 
verdiente Mann,^)  nach  jeder  Richtung  hin  der  würdigste  Repräsentant  der  Albertina  im  An- 
fang des  19.  Jahrhunderts,  sollte  dem  „Magus  des  Nordens",  Hamann,  Platz  machen.  Dass 
Hamann,  obgleich  seine  „groteske  Genialität"  sich  grossen  Ruhras  erfi-eut,')  nicht  dahin  ge- 
hörte, wenn  es  sich  bei  der  Auswahl  nach  des  Ministers  eigenem  Ausdruck  darum  handelte, 
„nicht  allein  das  Andenken  dieser  Männer  zu  ehren,  sondern  auch  zugleich  den  Geist  der 
Universität  zu  kennzeichnen  und  gegenwärtige  und  künftige  Lehrer  der  Albertina  zu  mahnen, 
im  Geiste  dieser  Vorgänger  fortzuwirken",  durfte  kaum  ernstlich  bestritten  werden.     Deshalb 

1)  Phil.  Fac.  A.  5.  II. 

2)  Phil.  Pac.  18.^2     53. 

;5)  Curator.-Eil.  21.  April  1853. 

4)  C.  77.  I.  28.  üct.  18.59. 

5)  A.  36.  I.  4.  Nov.  1859. 

6)  Vgl.  S.  120-21. 

7)  A.  36  (18.  April  1860). 


186 

bebarrte  das  Generalconcil  auf  dem  Vorschlag  Hagens.  Während  ferner  für  die  Mitte  des 
Giebels  ein  Reiterbild  des  Herzogs  Albrecht  beabsichtigt  war,  wünschte  das  Generalconcil 
dort  eine  Gruppe  angebracht,  in  der  der  Stifter  der  Universität  zusammen  mit  Luther 
und  Melanchthon  dargestellt  -werden  sollte.  Stiller  freilich  konnte  das  „vom  künstlerischen 
Gesichtspunkte  aus  nicht  für  zulässig  erachten",  und  so  fand  die  Anregung  auch  an  maass- 
gebender  Stelle  keinen  Beifall.  Auch  mit  den  Bedenken  drang  das  Generalconcil  nicht 
durch,  die  es  weiterhin  gegen  die  geplante  Ausmalung  der  neuen  Aula  erhob,  nicht  lun  die- 
selbe überhaupt  abzulehnen,  sondern  nur  um  eine  Herabminderung  der  Kosten  zu  bewirken. 
Denn  ein  Aufwand  von  50 — 60000  Thalern,  der  nach  dem  Anschlage  des  Akademiedirectors 
Professor  Eosenfelder  dazu  erfordei-t  wurde,  schien  ihm  nicht  im  Verhältniss  zu  stehen  zu 
der  Menge  dringender  Bedürfnisse  wissenschaftlicher  Natur,  auf  deren  endliche  Befriedigung 
man  seit  lange  vergel)lich  wartete:  namentlich  hätte  man  gern  einen  Theil  dieser  Summe  der 
besonders  nothleidenden  Bibliothek  zugewandt,  zumal  diese  unlängst  noch  von  einem  besonderen 
Missgeschick  heimgesucht  worden  war.  Nach  dem  Tode  des  zweiten  Bibliothekars  nämlich, 
des  Archivraths  Faber,  im  Januar  1851,  ergab  sich  im  Verlaufe  der  Recherchen  über  einen  von 
diesem  aus  der  Kasse  entnommenen  Vorschuss,  dass  er  das  Vertrauen  Lobecks  schnöde  miss- 
braucht, zum  Nachtheil  der  seiner  Mitverwaltung  anvertrauten  Anstalt  Betrügereien  verübt 
und  deren  Entdeckung  durch  Fälschungen  verhindert  hatte. ^)  Um  den  Schaden,  den  er 
dui'ch  mangelnde  Beaufsichtigung  seines  Untergebenen  unwissentlich  ermöglicht  hatte,  nach 
Kräften  gut  zu  machen,  setzte  Lobeck  die  Bibliothek  zur  Erbin  seiner  eigenen  werthvollen 
ßüchersammlung  ein. 

Unter  günstigen  Vorzeichen  ging  die  Albertina  dem  Tage  entgegen,  wo  sie  endlich 
eine  würdige  Stätte  ihres  Wirkens  und  Strebens  beziehen  sollte.  Ihrem  Königlichen  Eector 
freilich  war  es  nicht  mehr  beschieden  Zeuge  davon  zu  sein:  in  seiner  geistigen  Ki-aft  vollends 
gebrochen,  siechte  er  dahin,  während  sich  ringsum  die  verheissungsvollen  Ansätze  eines  neuen, 
frischen  und  entwickelungskräftigen  Lebens  zu  regen  begannen.  Es  ist  bekannt,  wie  die 
Uebernahme  der  verfassungsmässigen  Regentschaft  durch  den  bisher  mit  des  erkrankten 
Bruders  Stellvertretung  betrauten  Prinzen  von  Preussen  für  den  preussischen  Staat  eine  neue 
Aera  einleitete.  Bewii-kte  sie  zunächst  die  Lösung  von  dem  Bann,  in  dem  die  innere  politische 
Entwicklung  gelegen  hatte,  und  knüpfte  sie  weiterhin  die  allzu  lange  fallen  gelassenen  Fäden 
einer  nationalen  Gestaltung  der  Zukunft  Deutschlands  ^\'ieder  an,  so  kamen  die  segensreichen 
Wirkungen  davon  doch  in  erster  Linie  dem  geistigen  Leben  und  zwar  zunächst  den  zu  dessen 
besonderer  Pflege  berufenen  Universitäten  zu  Gute.  Auch  für  die  Albertina  begann  eine  Zeit 
neuen  Gedeihens,  indem  längst  als  nothwendig  erkannte  Bedürfnisse  ihre  Befriedigung  fanden 
und  die  Versäumnisse  der  letzten  Lustren  mit  grossartiger  Freigebigkeit  nachgeholt  wurden, 
so  dasE  sie  im  Wesentlichen  die  Voraussetzungen  gegel)en  sah,  von  denen  die  Erfüllung  ihres 
hohen  Berufs  abhing  und  ohne  die  ihr  erfolgreiches  Eintreten  in  den  Wettbewerb  mit  den 
übrigen  preussischen  und  deutschen  Universitäten  unmöglich  geblieben  wäre.  Ein  freierer 
und  frischerer  Geist  hielt  hier  seinen  Einzug.    Freilich  sah  er  sich  in  seiner  Bethätigung  Anfangs 


1)  Rosenkranz. 


187    _ 

noch  maiiiiigt'ach  gestört  und  gebindert.  Wie  ein  letzter  Nachklang  der  glücklich  über- 
wimdeuen  Zeit  erschien  es,  dass  bei  der  Vorbereitung  der  akademischea  Feier  von  Schillers 
luindertjährigem  Geburtstag  1859  der  von  den  Studirenden  bealisichtigte  Fackelzug  polizeilich 
untersagt  virnde  und  in  Folge  dessen  die  akademische  Jugend  sich  an  der  nationalen  Feier 
überhaujit  nicht  betheiligte. ^) 

Am  2.  Januar  1861  wurde  König  Friedrich  Wiliielm  IV.  von  seineu  Leiden  erlöst. 
Die  Albertiua  betrauerte  in  ihm  ihren  Rector,  der  länger  als  fünfzig  Jahre  den  Purpur  ge- 
tragen hatte.  An  die  dadurch  freigewordene  Stelle  trat  den  Statuten  gemiiss  zunächst  der 
bisherige  Prorector  Rosenkranz.  Bald  aber  sollte  der  Albertina  das  Glück  zu  Theil  worden, 
die  so  lange  bestandene  innige  Verbindung  mit  dem  Herrseberhause  erneut  zu  seben.  Im 
October  1861  fand  die  Krönung  König  Wilhelms  J.  in  Königsberg  statt.  Gleich  nach  der 
-Ankunft  (den  14.  October)  bei  der  Begrüssung  durch  die  Behörden  an  der  Freitreppe  des 
Schlosses  drückte  der  König  dem  ihm  vorgestellten  Rector  Rosenkranz  nicht  bloss  sein 
tiefes  Bedauern  über  den  grossen  Verlust  aus,  den  die  Universität  durch  den  Tod  Seines  Hoch- 
seligen  Bruders  als  ihres  Rectors  erlitten  habe,  sondern  sprach  auch  die  Erwartung  aus,  dass 
dieselbe  Seinen  Sohn  zu  ihrem  Rector  wählen  würde.  Gleich  am  nächsten  Tage  trat  das 
Generalconcil  zu  dem  Wahlacte  zusammen.  Auf  die  Mittheilung  davon,  welche  ihm  eine 
Deputation  der  Professoren  überbrachte,  erklärte  der  Kronprinz  an  dem  Tage  der  Krönung 
selbst,  der  zugleich  sein  Geburtstag  war  (18.  October),  seine  Bereitwilligkeit  zur  Annahme 
der  ihm  angetragenen  Würde,  und  am  19.  wurden  ihm  in  der  Aula  des  alten  Albertinums  in 
Gegenwart  des  Generalconcils  als  des  Wahlkörpers  die  Insignien  derselben  feierlich  ülier- 
geben.  Der  bisherige  Rector  Rosenkranz  begrüsste  das  neue  Haupt  der  Universität  mit  einer 
Anspi-ache.  Anknlipfend  an  die  Verdienste  der  Hohenzollern  um  die  Wissenschaft,  erinnerte 
er  den  Kronprinzen  daran,  wie  Hochderselbe  als  ein  echter  Zögling  der  rheinischen  Hochschule 
ein  Studiosus  im  schönsten,  mustergültigen  Sinne  gewesen:  so  vereinige  Er  nun  als  Rector 
von  Königsberg  in  Seiner  Person  Preussens  akademischen  Westen  und  Osten.  Gegenüber 
dem  jährlichen  Wechsel  des  Prorectors  und  dem  in  grösseren  Zwiscbenräumen  eintretenden 
Wechsel  auch  des  Curators  sei  Er  hinfort  die  monarchische  Säule  der  Albertina  und  werde 
demgemäss  als  ihr  dauerndes  Haupt  „aus  der  geschichtlichen  Continuität  heraus  immer  das 
Richtige  treffen  und  in  zarten  Collisionen,  wie  das  Interesse  der  Wissenscbaft  sie  zuweilen 
erzeugt,  ihr  Schutz,  ihr  Rather,  ihre  Hülfe  sein."  Diesen  Gedanken  nahm  der  Kronprinz 
in  der  Rede  auf,  mit  der  er  die  Begrüssung  Ijeantwortete.  Er  gedachte  seiner  Bonner 
Studienzeit,  seines  Oxforder  Doctorats,  er  verglich  die  wissenschaftlichen  Anstalten  Deutschlands 
und  Englands  und  hob  im  Rückblick  auf  das  Krönungsfest  dessen  Bedeutung  für  das  weitere 
deutsche  Vaterland  hervor,  indem  er  zugleich  den  deutschen  Beruf  der  Träger  der  Wissenschaft 
auf  preussischen  Hochschulen  betonte.  Eigenbändig  zeichnete  er  sich  dann  in  das  Album  der 
Universität  ein:  Fridericus  Guilelmus  heres  monarchiae,  rector  magnificentissimus  die  18.  Octobris. 
Die  freimüthige,  von  hoben  Anschauungen  getragene  Ansprache,  mit  welcher  der  hohe  Herr 
sein  neues  Amt   ganz    in    dem  idealen    Sinn  und   Geist,    mit    dem    es    ihm    augetragen   war, 


1)  Rosenkranz,  Tagebuch. 


188 

antrat,  sowie  die  Freundlichkeit  und  Eingänglichkeit,  mit  der  er  in  der  folgenden  Unterhaltung 
Jeden  persönlich  an  sich  hei-auzuziehen  wusste,  blieben  den  Theilnehmern  an  dieser  Feier 
uuvergesslich.  Mit  besonderer  Freude  empfing  man  die  Zusage,  dass  der  neue  Rector  der 
im  nächsten  Jahre  bevorstehenden  Weihe  des  neuen  Universitätsgebäudes  persönlich  an- 
wohnen werde. 

Und  dieselbe  ging  in  frohe  Erfüllung,  obgleich  gerade  als  man  den  Einzug  in  das  neue 
Haus  vorzuliereiten  liegann,  die  Wogen  des  politischen  Kampfes  wieder  besonders  hoch  gingen. 
Auch  die  Albertina  wurde  von  ihrem  Anprall  getroifen,  als  im  Frühjahr  1862  nach  der  Auf- 
lösung des  Abgeordnetenhauses  ein  auf  die  Neuwahlen  bezügliches  Rescript  des  Ministers  des 
Innern  an  die  Beamten  von  dem  Minister  der  geistlichen,  Unterrichts-  und  Mediciual-Ange- 
legenheiten,  Herrn  Dr.  von  Mühler,  auch  den  Professoren  der  Universitäten  mitgetheilt  wurde, 
und  zwar  gleichzeitig  dem  Senat  und  den  vier  Facultäten.  Der  Prorector  Rosenkranz  Hess 
es,  wie  er  selbst  ))erichtet,  circuliren  und  dann  zu  den  Acten  nehmen,  weil  er  die  durch  die  Ver- 
fassung gewährleistete  Freiheit  der  Wahl  dadurch  nicht  beeinträchtigt  glaubte:  „Jeder  schriel) 
sein  legi  darunter,  und  die  Sache  schien  abgethan."  Dagegen  sah  die  Berliner  Universität  in  dem 
Rescript  einen  Eingriff  in  das  Recht  der  Universitäten,  als  wissenschaftliche  Corporationeu 
von  allen  politischen  Zumuthungen  frei  zu  bleiben,  und  protestirte  gegen  die  Mittheilung  jenes 
Wahlerlasses.  Andere  Universitäten  schlössen  sich  an,  und  auf  der  Albertina  beantragte  am 
10.  April  die  uiedicinische  Facultät  ebenfalls,  die  Zustimmung  zu  dem  Schritt  der  Berliner 
zu  erklären.  Darüber  gab  es  in  dem  Generalconcil  am  15.  April  1862  heftige  Kämpfe,  welche 
aber,  um  mit  Rosenki'anz  zu  reden,  damit  endeten,  „dass  auch  die  Albertina  dem  Pronuncia- 
mento  der  Berliner  Universität  die  Adhaesion  ertheilte."  Die  Redaction  des  Protestes  wurde 
Ludwig  Friedländer  als  Pi-ofessor  der  Eloquenz  übertragen,  und  dieser  wusste  ihn, 
wiederum  nach  Rosenkranz'  Bericht,  „so  sehr  im  Geiste  echter  Wissenschaftlichkeit,  die  mitten 
im  Streit  der  Parteien  den  Frieden  der  ewigen  Wahrheit  sucht  und  daher  von  solchen  Er- 
lassen unberührt  zu  bleiben  wünschen  muss",  al)zufassen,  dass  der  Minister  von  Mühler  schon 
acht  Tage  darauf  in  einer  sehr  artigen  Antwort  sein  Einverstäudniss  mit  den  von  dem 
Generalconcil  geäusserten  Gesinnungen  ausdrückte.  Dieser  Schriftwechsel  ist  für  beide  Theile 
in  ehrenvollem  Sinn  charakteristisch.  Das  vom  16.  April  datirte  Schreiben  des  General- 
concils  beklagt  zunächst  „die  ungewöhnliche  Form  der  Mittheilung  in  einer  so  hochwichtigen 
Angelegenheit,  die  nicht  die  Facultäten  oder  deren  einzelne  Mitglieder  als  solche  betrifft, 
sondern  die  Universität  als  Gesammtheit  und  sie  in  ihrem  innersten  Leben  so  tief  berührt 
wie  kaum  eine  andere."  Ausserdem  halje  diese  Form  eine  rechtzeitige  Rückäusserung  un- 
möglich gemacht.  Nachdem  aber  alle  anderen  preussischen  Universitäten  gesprochen,  würde 
ein  Schweigen  der  Albertina  den  Schein  erwecken,  als  ob  sie  die  Ansicht  der  Schwester- 
Universitäten  in  dieser  Sache  nicht  theilte.  Man  nehme,  so  wurde  dann  ausgeführt,  nicht  an, 
dass  der  Minister  das  Wahlrecht  hal)e  Ijeschränken  wollen.  „Alter  dass  Ew.  Excelleuz  ge- 
glaubt haben,  uns  au  unsern  Sr.  Majestät  dem  König  geleisteten  Eid  erinnern  zu  müssen,  das 
hat  uns  —  ganz  abgesehen  von  dem  dabei  eingeschlagenen,  in  der  Geschichte  der  preussischen 
Universitäten  noch  nicht  vorgekommenen  Verfahren  —  aufs  Schmerzlichste  berührt."  Die 
Professoren   nehmen    für    sich    das  Recht   jedes  Staatsbüi-gers  in  Anspruch,    „ihre   politische 


üeberzeugung  in  den  gesetzlichen  Schranken  frei  und  offen  auszusprechen."  „Auch  müssen 
wir  fürchten,  dass  die  Würde  der  Universitäten  herabgesetzt  wird,  wenn  sie  in  den  Kampf 
der  Parteien  gerufen  und  auf  einen  bestimmten  Posten  hingewiesen  werden,  der  mit  jedem 
Wechsel  des  Ministeriums  gewechselt  werden  müsste.  Ihre  Aufgabe  ist  es,  von  veränderlichen 
Tagesmeinungen  unberührt,  durch  Erforschung  und  Verbreitung  der  ewigen  Wahrheiten  der 
Wissenschaft  auf  edlere  Geistes-  und  Charakterbildung  hinzuarbeiten.  Diesen  hohen  Beruf 
können  sie  nur  erfüllen,  wenn  ihren  Mitgliedern  die  auf  gewissenhaft  erstrebter  Erkenntniss 
der  Wahi-heit  beruhende  Üeberzeugung  über  Alles  geht.  Diese  eigenste,  durch  keinerlei 
äussere  Rücksichten  Ijestimmte  üeberzeugung  muss  wie  immer  so  auch  gegenwärtig  die  Richt- 
schnur unseres  Handelns  sein:  ihr  folgend,  werden  wir  auch  bei  der  bevorstehenden  Wahl, 
treu  Sr.  Majestät  dem  König  und  der  Verfassung,  unsere  staatsbürgerliche  Pflicht  erfüllen." 
Von  diesem  Schreil)en  au  den  Minister  machte  das  Generalconcil  gleichzeitig  dem  Kronprinzen 
als  Rector  Mittheilung,  „weil  wir  nicht  glauben,  uns  der  Verbindlichkeit  entziehen  zu  dürfen, 
von  diesem  in  einer  so  hochwichtigen  Angelegenheit  gethauen  Schritt  Höchstdemselben  als 
dem  Oberhaupt  der  Albertina  Kunde  zu  geben."  Der  Eindruck,  den  die  würdige,  ebenso 
maassvolle  wie  entschiedene  Erklärung  an  maassgel)ender  Stelle  machte,  ü))ertraf  beinahe  die 
gehegten  Erwartungen.  Bereits  am  19.  April  erklärte  sich  der  Minister  von  Mühler  mit  den 
darin  ausgesprochenen  Grundsätzen  durchaus  einverstanden.  Was  die  so  schmerzlich  empfun- 
dene Erinnerung  an  den  geleisteten  Eid  angehe,  so  möge  den  Professoren  der  Albertina  „zur 
Beruhigung  dienen,  dass  nicht  eine  vorgefasste  Meinung  gegen  die  Loyalität  der  Universitäten 
den  Erlass  hervorgerufen,  sondern  lediglich  der  Wunsch,  sie  durch  authentische  Mittheilungen 
in  den  Stand  zu  setzen,  ülier  die  Grundsätze  der  königlichen  Staatsregieruug  gegenüber  dem 
Missverständuisse  und  der  Entstellung  ein  der  Wahrheit  entsprechendes  Zeugniss  ablegen  zu 
können."  Der  Minister  schloss  mit  dem  Wunsche,  die  Universitäten  möchten  in  der  in  dem 
Schreiben  zum  Ausdruck  gel)rachten  Gesinnung  zu  wirken  foi'tfahren:  „So  wird,  dies  ist  auch 
meine  Zuversicht,  auf  solcher  Grundlage  der  Wahrheit  und  des  Rechts  ebenso  sehr  die  Würde 
und  das  Gedeihen  der  Universitäten  wie  die  Wohlfahrt  des  Vaterlandes  in  ihnen  eine  kräftige 
Stütze  finden."') 

Die  politische  Pjrregung  jener  Tage  ergrili'  auch  die  Studentisuscliaft:  mit  jugendlichem 
Eifer  nahm  sie  für  den  der  Fortschrittspartei  angehörigen  Professor  der  Medicin  Dr.  Möller 
Partei,  als  es  zwischen  ihm  und  dem  Professor  der  Staatswisseuschaft  Glaser,  der  auch 
gegen  die  Beschlüsse  des  Generalconcils  in  Sachen  des  Wahlerlasses  eine  Rechtsverwahrung 
eingelegt  hatte,  zu  einer  heftigen  Zeitungspolemik  kam.  Nach  einer  Studentenversammluug, 
in  der  die  bevorstehende  Weihe  des  neuen  Universitätsgebäudes  berathen  war,  begaben  sich 
etwa  250  Studirende  nach  Möllers  Wohnung,  um  ihm  ein  Vivat  zu  bringen.  Die  weiterhin 
gegen  Glaser  beabsichtigte  Demonstration  unterblieb,  da  der  Zug  nach  der  Ankunft  vor  dessen 
Behausung  aufgelöst  wurde.  Die  angestellte  Untersuchung  ergab  nun  aber,  „dass  von  Seiten 
der  Studirenden  mehr  jugendliche  Unbesonnenheit  und  momentane,  durch  Zeitungslectüre  auf- 
gereizte Erregung  als  böswillige  Absichtlichkeit  zu  Grunde  lag;   jedenfalls  war  das  etwa  Be- 

1)  V.  15. 


190 

aljsichtigte  nicht  ausgeführt  worden,  worin  es  aber  bestanden  haben  mochte,  liess  sich  nicht 
ermitteln."  Gegen  zwei  Drittheile  der  gesammten  Studentenschaft  deshalb  eine  Art  von  Monstre- 
jn-ocess  einzuleiten,  schien  dem  Senat  unangemessen,  und  er  beantragte  deshalb  in  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  Curator  bei  dem  Ministerium,  von  der  Untersuchung,  die  zu  einem  kaum 
üliersehbaren  Umfang  sich  hätte  ausdehnen  müssen,  Abstand  nehmen  zu  dürfen.  Diesem 
Antrag  wurde  denn  auch  nachgegeben.  Au  die  Studireuden  al)er  wurde  eine  ernste  Mahnung 
gerichtet,  sie  daran  zu  erinnern,  „dass  ihr  Zweck  auf  der  Universität  vor  Allem  das  Studium 
der  Wissenschaft  sei,  dass  sie  von  allen  Handlungen,  die  den  Charakter  einer  ostensiblen  Ein- 
mischung in  die  Politik  annähmen,  sich  durchaus  fern  zu  halten  hätten,  und  dass  ein  Zuwider- 
handeln die  strengste  Strafe  nach  sich  ziehen  müsste."  Dieser  milde  Ernst  hatte  nach  Kosen- 
kranz' Bericht  den  gewimschten  Erfolg:  im  S.S.  1862,  wo  es  nicht  an  mancherlei  Versuchungen 
für  sie  fehlte,  hielten  sich  die  Studirenden  durchaus  in  den  gebührenden  Schranken,  und 
..seil  ist  als  am  I.März  1803  die  Gefahr  entstand,  dass  sie  unter  dem  Einfluss  der  Tagespresse 
abermals  in  unpassende  Ausschreitungen  verfielen,  bedurfte  es  nur  einer  nachdrücklichen 
Besprechung  des  Prorectors  mit  ihnen,  um  sie  von  den  Irrthümern  ihrer  Auffassung  und  von 
den  zerstörenden  Folgen,  die  eine  so  verkehrte  Handlungsweise  für  die  gesammte  Disciplin 
haben  müsste,  zu  überzeugen.''') 

Nachdem  dann  am  17.  Mai  die  nationale  Feier  des  linndertjährigen  Gelmrtstages  von 
Fichte  mit  einer  Rede  Eosenkrauz'  begangen  war,  rüstete  man  sich  ernstlich  zum  Umzug  aus  dem 
alten,  engen  und  unschönen  All)ertinum  im  Kneiphof  nach  dem  stattlichen,  lichten  und  luftigen 
Bau  auf  Königsgarten.  Zur  Vorl)ereitung  der  dabei  zu  veranstaltenden  Festlichkeiten,  denen 
des  Kronprinzlichen  Rectors  persönliche  Antheilnahme  die  Weihe  geben  sollte,  wurden  vei-- 
schiedene  Commissionen  gewählt,  die  unter  des  unermüdlichen  Prorectors  Rosenkranz  Leitung 
ihre  schwierige  Aufgabe  lösten.  Der  Termin  des  Einzuges  wui'de  auf  den  20.  Juli  fest- 
gesetzt. Während  aus  allen  Theilen  der  Provinz  die  ehemaligen  Zöglinge  der  Albertina  zu- 
sammenströmten und  durch  ihren  Ausschuss  Festlichkeiten  vorbereiteten,  welche  die  in  Jugend- 
lust gemeinsam  verlebte  Studienzeit  zu  kurzem  Abglanz  erneuern  sollten,  traf  am  18.  Juli 
der  Minister  von  Mühler  ein  in  Begleitung  der  Geheimräthe  Knerk,  der  an  der  Vorbereitung  des 
neu  zu  weihenden  Baues  besonders  betheiligt  gewesen  war,*)  und  Dr.  Olshausen,  der  vor  seiner 
Berufung  zum  Referenten  für  Universitätsangelegenheiten  als  Oberbildiothekar  und  Professor 
der  orientalischen  Sprachen  der  Albertina  angehört  hatte.  Am  19.  wurde  ihm  der  gesammte 
Lehrkörper  vorgestellt.  Am  Abend  dieses  Tages  traf  dann  der  Kronprinzliche  Rector  ein. 
Darauf  begann  die  bedeutungsvolle  Feier  am  20.  Juli  mit  einem  Gottesdienst  in  der  Dom- 
kirche. Ihm  folgte  in  der  Aula  des  Collegium  Albertinum  unter  dem  Zudringen  einer  zahl- 
losen Menschenmenge  die  Investitur  des  Kronprinzen  als  Rector,  da  die  Inauguration  desselben 
im  October  1861  bei  der  Beschränktheit  der  Zeit  nur  sehr  unvollkommen  hatte  vorgenommen 
werden  können.  Ein  neuer  prachtvoller  Rectorornat  war  dazu  in  Berlin  angefertigt  worden. 
Die  Anrede,  welche  der  Prorector  dabei  au  ihn  hielt,  erwiderte  der  Kronprinz  mit  kräftigen, 


1)  Rosenkranz. 

2)  Vgl.  S.  183. 


191 

beo-eisternden  Worten,  die  in  allen  Herzen  Wiederhall  fanden:  mit  Nachdruck  hob  er  namentlich 
hervor,  dass  von  Königsberg  und  seiner  Albertina  die  Kantisclie  Philosophie  ausgegangen  sei, 
die  zuerst  den  Zusammenhang  von  Recht  und  Pflicht  eingeschärft  habe. 

„Hierauf  nahmen  wir,"  so  berichtete  nachmals  Rosenkranz  bei  der  Niederlegung 
seines  Prorectorats,  „von  dem  alten,  trotz  seiner  vielen  Uebelstände  durch  Gewohnheit  uns 
lieb  gewordenen  Hause  wehmüthigen  Abschied  und  setzten  uns  unter  dem  Schall  der  Musik 
in  Bewegung.  Die  Strassen  wimmelten  von  Menschen,  und  aus  den  Penstern  der  Häuser 
blickte  Kopf  an  Kopf.  Angelangt  auf  Königsgarten,  gingen  Rector  und  Prorector  bis  vor 
die  Mittelfront  des  Gebäudes,  wo  der  Minister  von  Mühler  ihm  dasselbe  übergab,  und  der 
Baumeister,  Geheimrath  Stüler,  ihm  den  Schlüssel  überreichte,  mit  welchem  Se.  Königliche 
Hoheit  das  Mittelthor  erschloss  und  in  der  Aula,  wohin  Alle  ihnr  folgten,  die  Universität  im 
Namen  des  Königs  für  eröönet  erklärte.  Nach  einem  Gesauge  der  Studireuden  hielt  der 
Prorector  die  Weiherede.  Dann  ergrifif  auch  der  Kronprinz  das  Wort.  „Er  betrachte,  so 
sagte  er,  die  als  Rector  überkommene  Erbschaft  als  eine  neue  Aufforderung,  Kunst  und 
Wissenschaft  zu  fördern  und  zu  schützen;   was    seine  Ahnherren  gestiftet    und    in  Ehren   ge- 

das  solle  auch  von  ihm  heilig  gehalten  werden.  Er  versprach.  Alles  in  der  bisherigen 
und,  wo  es  sein  könne,  erweiternd  zu  unterstützen.  Er  gedachte  der  grossen  Männer, 
die  hier  gelehrt,  vor  Allen  jenes  Mannes,  dessen  Lehren  weit  über  die  Grenzen  des  Vater- 
landes drangen  und  den  ganzen  civilisirten  Erdball  erleuchteten,  der  pflichttreuen  und  ver- 
ständigen Sinn  förderte.  Lehrern  und  Studirenden  brachte  er  in  warmen  Worten  die  besten 
Wünsche  dar  für  ein  gesegnetes  Wirken  und  Streben  an  der  ihnen  bereiteten  neuen  Stätte — " 
Und  bei  dem  folgenden  Festmahl  lenkte  er  die  Blicke  hinaus  auf  Gesammtdeutschland :  „Wenn 
Wissenschaft  und  Disciplin  gepaart  einhergehen,  dann  ist  die  Wissenschaft  wohl  aufgehoben, 
und  wenn  das  auf  allen  Hochschulen  unsers  Vaterlandes  der  Fall  ist,  dann  kann  es  getrost 
der  Zukunft  entgegensehen,  denn  wir  wissen,  was  sie  waren  und  was  sie  sind  für  das  grosse 
Vaterland."  Noch  am  AViend  dieses  ersten  Festtages  eilte  der  hohe  Herr  nach  Berlin  zurück. 
Am  :21.  Juli  fand  dann  in  der  Aula  nach  einleitenden  Reden  der  Decane  die  Verkündigung 
der  von  den  Facultäten  vollzogenen  Ehrenpromotionen  statt. 

Des  Weiteren  Ijerichtet  Rosenkranz  von  dem  Verlauf  der  Festtage:  „Das  Fest  hatte 
am  Abend  des  19.  Juli  bei  dem  schönsten  Wetter  begonnen.  Das  von  den  ehemaligen 
Studirenden  geldldete  Comite  hatte  sich  mit  dem  akademischen'  in  das  beste  Vernehmen 
gesetzt.  Es  herrschte  die  grösste  Eintracht,  das  freundlichste  gegenseitige  Entgegenkommen, 
und  der  Abend  im  Garten  der  Bürgen-essource  vereinigte  Alt  und  Jung  zu  fröhlichstem  Aus- 
tausch. Auch  am  andern  Morgen  liess  sich  das  Wetter  noch  ziemlich  gut  an,  al)er  schon  als 
die  letzten  Abtheilungen  des  riesigen  Festzuges  um  Mittag  Königsgarten  erreichten,  wurden 
sie  vom  Regen  überrascht,  und  der  Nachmittag  blieb  rauh  und  düster.  Die  Wasserfahrt  am 
Montag  N.achmittag,  an  der  sich  dennoch  Tausende  betheiligten,  verregnete,  und  der  Commers 
am  Abend  musste  im  Local  des  Schützengartens,  statt  im  Fi-eien  bei  festlicher  Illumination 
in  den  überfüllten  Sälen  abgehalten  werden.  Trotz  solcher  Widerwärtigkeit  der  Natur 
siegte  der  Geist.  Die  frohe  Laune  arbeitete  sich  üljerall  bis  zu  burschikosem  Humor  durch 
und  crliiclt  die  Ordnung   inmitten    der    höchsten   Heiterkeit.     Das  Fest    endete    am  Dienstag 


192 

Abend  in  dem  prächtig  illuminirten  Bauerschen  Garten  mit  einem  Concert  der  Studirenden 
zu  allgemeiner  Zufriedenheit  —  wenn  auch  mehrere  Wochen  hindurch  nachträgliche  Artikel 
in  der  hiesigen  Presse  uns  einreden  wollten,  dass  dem  nicht  so  gewesen  sei."  Eine  dauei-nde 
Erinnerung  an  das  schöne  Pest  wurde  die  „Prämienstiftimg  ehemaliger  Studiengenosseu"  der 
Albertina,  für  welche  das  betreffende  Comite  den  nach  Abschluss  der  Eechnung  gebliebenen 
Ueberschuss  von  1200  Mk.  anwies,  um  von  den  Zinsen  jedes  dritte  Jahr  am  20.  Juli  die 
beste  der  Bearljeitungen  zu  krönen,  welche  über  die  in  regelmässigem  Wechsel  von  allen 
Facultäten  zu  stellenden  Pi"ei saufgaben  geliefert  würde. 

Welch  tiefgreifende  Wandlung  aber  der  Wechsel  des  Schauplatzes  der  täglichen 
Thätigkeit  bedeutete,  wurden  alle  Theile  erst  nach  dem  Wiederbeginn  der  regelmässigen  Arbeit 
recht  inne.  Alles  war  dem  Einzelnen  ungewohnt  und  deshall)  zunächst  unbehaglich;  manche 
Erwartungen  erwiesen  sich  als  üljertrieben,  und  das  erzeugte  hier  und  da  ein  Gefühl  des 
Uuljehagens.  Es  fehlte  daher  nicht  an  Klagen,  Beschwerden,  Nachforderungen,  und  der 
Prorector  Rosenkranz  l)ekennt,  nach  dem  Einzug  in  die  so  lange  ersehnte  neue  Heim- 
stätte viel  mehr  Plage  und  Noth  gehabt  zu  haben  als  während  des  Höhestandes  der  durch 
die  Vorbereitung  zum  Umzug  veranlassten  Geschäfte.  Doch  war  das  schliesslich  ein  natür- 
liches Dm-chgangsstadium,  das  unter  ähnlichen  Umständen  Niemandem  ganz  erspart  bleibt. 
Das  Neue  und  Ungewohnte  erwies  sich  allmählich  doch  als  bequemer  und  praktischer  als 
das  im  ersten  Augenblick  schmerzlich  entbehrte  Alte.  Es  rückte  sich  nach  und  nach  Alles 
zurecht,  und  man  richtete  sich  mit  wachsendem  Behagen  neben  einander  ein.  Und  sobald 
man  erst  so  weit  war,  da  machte  sich  auch,  immer  entschiedener  und  vorliehaltloser  aner- 
kannt, der  Segen  des  neuen  Hauses  geltend,  und  Lehrer  und  Lernende  fingen  an  sich  dessellien 
von  Tag  zu  Tag  in  Dankbarkeit  zu  freuen. 


li.  Lehre  und  Lernen  auf  der  Albertus-Universität  1844—62. 

Dass  die  achtzehn  Jahre  von  der  drillen  Siicularleier  der  Albertina  bis  zu  dem 
Einzüge  in  das  neue  Haus  eine  Zeit  fröhlichen  Gedeihens  und  glücklichen  Erblühens  nicht 
gewesen,  flas  lassen  im  Einklang  mit  den  allgemeinen  Zuständen  jener  Periode  auch  schon 
die  Frequeuzverhältnisse  erkennen.  Sie  bewegen  sich  unter  dem  Mittelmaass,  während  in  den 
eigeuthümlichen  Schwankungen,  welche  die  einzelnen  Facultäten  aufweisen,  die  vorherrschende 
geistige  und  politische  Strömung  jener  Zeit  charakteristisch  zum  Ausdruck  kommt.  Sie  be- 
stätigen die  Beobachtung,  dass  in  den  Zeiten  des  Stillstandes  die  studireude  Jugend  sich  auch 
von  den  allgemeinen  wissenschaftlichen  Interessen  aljwendet.  Fehlt  dann  doch  gerade  das,  was 
einst  Karl  August  von  Weimar  der  zu  den  Karlsbader  Beschlüssen  rüstenden  Reaction  als 
das  eigentliche  Lebenselement  aller  ihres  Namens  wirklich  würdigen  Universitäten  bezeichnet 
hatte:  „Freiheit  der  Meinungen  und  der  Lehre  muss  den  Universitäten  bleiben: 
denn  im  offenen  Kampfe  der  Meinungen  soll  hier  das  Wahre  gefunden,  gegen  das  Vertrauen 


193 

auf  Autoi-itäten  soll  hier  der  Schüler  bewahrt,  zur  Selbständigkeit  erhoben  werden."^)  Um,  un- 
beirrt durch  die  Eücksicht  auf  das  künftige  Amt,  in  diesem  Sinne  volle  geistige  Freiheit  zu 
gewinnen,  bedarf  der  Jüngling  allerdings  einer  gewissen  Bmancipation  von  unbedingt  an- 
erkannten Autoritäten:  nie  lernt  er  sonst  jene  beglückende  Lust  an  der  Freiheit  der  Bewegung 
kennen,  die  gelegentlich  wohl  zu  ungestüm  vorwärts  will,  meist  aber  bald  selbst  wieder  in 
die  gebührenden  Schranken  zurückkehrt.  Die  Anlage  aber  und  die  Neigung  dazu  liegen  in 
Zeiten,  wie  sie  hier  in  Rede  stehen,  auch  der  studirenden  Jugend  ziemlich  fern.  Vielmehr 
sucht  sie  da  mit  Vorliebe  diejenigen  Berufsarten  auf,  bei  denen  es  gilt,  ein  geschlossen 
überliefertes  System  aufzunehmen  und  ohne  viel  Grübeln  über  die  etwa  dahinter  liegenden 
Probleme  das  Erlernte  iu  der  vorsorglich  geregelten  Praxis  eines  bürgerliche  Versorgung 
gewährenden  Amtes  anzuwenden.  Daher  wachsen  dann  die  theologische  und  die  juristische 
Facultät,  während  die  philosophische  zurückzugehen  pflegt,  und  wenn  Rosenkranz  seiner 
Besorgniss  um  die  Zukunft  der  Albertina  damals  iu  den  Worten  Ausdruck  gab:  „Noch 
dominirt  die  philosophische  Facultät,  aber  die  Zeit  ist  vielleicht  nicht  fern,  wo  die  theolo- 
gische herrscht  — ''^)  so  dachte  er  dabei  nicht  bloss  an  den  Lehrkörper,  sondern  auch  an  die 
Studirenden  und  an  die  vorwaltende  geistige  Richtung. 

In  dem  Säcularsemester  des  Sommers  1844  hatten  auf  der  Albertina  von  340  Stu- 
direnden nicht  weniger  als  128  der  philosophischen  Facultät  angehört  (d.  i.  34,3  pCt.).  Dieser 
folgte  die  medicinische  Facultät  mit  7(1  und  die  juristische  mit  69;  die  theologische  zählte 
als  die  schwächste  nur  67  Studirende.  Drei  Jahre  später,  im  S.S.  1847,  in  dem  die  Frequenz 
auf  den  niedrigsten  Stand  dieses  Jahrhunderts  sank,  nämlich  auf  258,  nahm  die  medicinische 
Facultät  mit  94  die  erste  Stelle  ein,  die  philosophische  mit  88  die  zweite,  die  juristische  mit 
53  die  dritte  und  die  theologische  mit  50  die  letzte.  Während  nun  in  den  folgenden  Jahren, 
abgesehen  von  kleinen  Schwankungen,  die  sich  wohl  —  wie  im  S.S.  1848  der  Rückgang 
auf  312  —  aus  den  abnormen  Zeitverhältnissen  erklären,  die  Zahl  der  Studireudeu  langsam,  aber 
gleichmässig  steigt  —  W.S.  1847/48  318;  S.S.  1851  358  u.  s.  w.  bis  387  im  W.S.  1858/59  — : 
sinkt  die  Zahl  der  Theologen  noch  bis  zum  S.S.  1851  und  erreicht  da  mit  37  (von  358) 
ihren  niedrigsten  Stand,  um  in  den  nächsten  Jahren  —  es  sind  die  der  steigenden  poli- 
tischen und  kirchlichen  Reaction  —  nun  ziemlich  rasch  zu  wachsen,  ha  W.S.  1858/59 
erreicht  sie  mit  140  den  höchsten  Stand,  bei  insgesammt  387  Studirenden.  Aehnlich  geht  es 
damals  mit  der  juristischen  Facultät,  nur  dass  sie  noch  stärker  wuchs:  von  69  im  S.S.  1844 
hatte  sie  sich  bis  zum  S.S.  1849  bereits  verdoppelt,  nämlich  auf  139  von  334  Studirenden. 
und  erreichte  die  grösste  Stärke  im  S.S.  1851  mit  172  von  358  und  im  S.S.  1852  mit  171 
von  339.  Damals  gehörte  demnach  die  grössere  Hälfte  der  Königsberger  Studirenden  der 
juristischen  Facultät  an. 

Mit  dem  Ausgange  der  fünfziger  Jahre  aber  macht  sich  dann  —  erst  ganz  allmählich, 
dann  mit  immer  grösserer  Entschiedenheit  —  eine  Wandelung  geltend.  Bei  gleichmässigem 
Wachsen  der  Gesammtzahl  der  Studirenden,  die  im  S.S.  1800  bereits  das  vierte  Hundert  (403) 
überschreitet  und  im  S.S.   1861   den   höchsten  St;ni(l    in  diesem  Zeitraum  erreicht  (419).  geht 

1)  Aus  Metternichs  Nacblass,   IU,  S.  327. 

2)  Rosenkranz,  'J'agebucb. 


194 

die  Zahl  der  Theologen  langsam,  die  der  Juristen  rasch  zurück.  Erstere  beträgt  im  S.S. 
1862  Ton  412  noch  immer  116,  letztere  65,  während  die  philosophische  Facultät  eine  ent- 
sprechende Vermehrung  erfahrt  und  sich  im  S.S.  1862  gegen  das  W.S.  185(3/57,  wo  sie  nur 
46  betragen  hatte,  mit  109  bereits  mehr  als  verdoppelt  hat. 

Spiegelt  sich  in  diesen  Schwankungen  der  Frequenz  der  einzelnen  Facultäten  die 
Eichtuug  wieder,  welche  die  Zeit  überhaupt  beherrschte,  so  haben  dabei  doch  auch  noch 
andere  Verhältnisse  bestimmend  mitgewirkt.  Seitdem  die  philosophische  Facultät,  zu  ihrem 
Schaden  sowohl  wie  zu  dem  der  ganzen  Universität,  aufgehört  hatte  in  dem  alten  Sinn  des 
Worts  die  untere,  d.  h.  die  allgemein  bildende  und  dadurch  für  alle  anderen  Grund  legende 
zu  sein,  und  sich  in  eine  Eeihe  von  Fachschulen  aufzulösen  angefangen  hatte,  die  namentlich 
für  die  verschiedenen  Zweige  des  höheren  Schulamts  vorbilden,  war  ihr  numerisches  Wachsen 
und  Sinken  in  einen  keineswegs  vortheilhaften  Zusammenhang  mit  der  Entwickeluug  des 
höheren  Schulwesens  gebracht.  Der  Aufschwung,  den  dieses  seit  dem  Ausgange  der  fünfziger 
Jahre  nahm,  indem  die  Zahl  der  Anstalten  beträchtlich  vennehrt  wurde,  erklärt  wenigstens 
zu  einem  Theile  das  um  dieselbe  Zeit  beginnende  Anschwellen  der  philosophishen  Fa- 
cultät. Von  den  Wissenszweigen  aber,  die  dem  Herkommen  nach  darin  vereinigt  sind, 
übten  natürlich  diejenigen  besondere  Anziehungskraft,  die  bisher  verhältnissmässig  vernach- 
lässigt waren  und  erst  jetzt  auf  den  höheren  Schulen  mehr  Vertretung  fanden.  Dahin  ge- 
hörten in  erster  Linie  die  Mathematik  und  die  Naturwissenschaften.  Für  diese,  namentlich 
auch  für  die  Mathematik  in  ihrer  Anwendung  auf  die  Physik,  blieb  die  Albertina  auch  in 
jenen  achtzehn  Jahren  eine  besonders  angesehene  und  segensreich  wirkende  Pflegstätte. 
Während  sie  trotz  der  Eröffnung  der  Ostbahn  den  Charakter  einer  Provinzial-Universität 
beibehielt,  wurden  durch  den  Ruhm  eines  Neumann  und  Richelot  auch  aus  weiter  Ferne 
Mathematiker  in  grosser  Zahl  herbeigezogen.  War  dieses  Gebiet  doch  auch  dem  nach- 
theiligen Einfluss  völlig  entzogen,  den  die  allgemeinen  Verhältnisse  damals  auf  andere,  mit 
dem  öffentlichen  Leben  mehr  in  Fühlung  stehende  Studienkreise  ausiibten.  In  der  Geschichte 
der  exacten  Wissenschaften  und  ihres  epochemachenden,  das  moderne  Denken  vielfach  wan- 
delnden Aufschwungs  nimmt  die  Albertina  daher  einen  hervorragenden  Platz  ein.  nicht  bloss  durch 
das  Verdienst  ihrer  Lehrer  um  den  Fortgang  der  Forschung,  sondern  auch  durch  die  Folge- 
wichtigkeit der  Anregungen,  die  theils  unmittelbar,  theils  mittelbar  von  ihnen  ausgingen. 
Erscheint  sie  daher  als  eine  der  vornehmsten  Trägerinnen  des  sich  siegreich  entfaltenden 
Zeitalters  der  Naturwissenschaften,  für  die  manche  die  Gegenwart  ausschliesslich  oder  doch 
vorzugsweise  in  Anspruch  zu  nehmen  lieben,  so  blieb  sie  doch  auch  eine  treue  Hütei'iu  der  grossen 
Traditionen  der  classischen  Philologie  als  der  historischen  Grundlage  der  modernen  Geistes- 
cultur.  Besass  sie  doch  in  Lob  eck  und  Lehrs  Vertreter  der  Wissenschaft  vom  classischen 
Alterthum,  welche  durch  den  Umfang  ihrer  Gelehrsamkeit,  durch  die  Originalität  und  Tiefe 
ihrer  Forschung,  durch  ihr  idealstem  Sinn  entspringendes,  wahrhaft  congeniales  Verständniss 
für  die  unvergängliche  Herrlichkeit  des  Hellenenthums  und  durch  die  Schlichtheit  und  Rein- 
heit ihrer  fast  antiken  Persönlichkeiten  ebenbürtig  neben  die  grössten  deutschen  Philologen 
der  Zeit  traten. 

Von  den  Ordinarien,    die  zur   Zeit  des  SÜOjährigeu    Jubiläums    der    theologischen 


195 

Facultät  der  Alliertiiia  aiigehörteu,  Gebser.  Siefl'ert,  Lehuert,  Hävernick  und 
Domer,  erlag  Häveruick,  der  trotz  des  ihm  Anfangs  entgegengesetzten  Vorurtlieils  schliess- 
lich eine  erspriessliche  Wirksamkeit  gewonnen  und  sich  namentlich  durch  die  Errichtung  des  rasch 
erblühenden  theologischen  Lesevereius  ein  Verdienst  erworben  hatte,  während  der  Sommer- 
ferien am  19.  Juli  1845  in  seiner  mecklenburgischen  Heimath  zu  Neu-Strelitz  dem  Leiden, 
das  ihn  seit  Jahren  geplagt.  Zur  vorläufigen  Ausfüllung  der  dadurch  entstandenen  Lücke 
wurde  auf  den  Wunsch  der  theologischen  Facultät  1846  zunächst  der  Breslauer  Pt).  Heinrich 
August  Hahn,  ein  Sohn  des  auch  einst  der  Albertiua  angehörigen  Theologen  August  Hahn^) 
(geb.  19.  Juni  1821  zu  Königsberg),  veranlasst  sich  nach  Königsberg  umzuhabilitiren.  um 
namentlich  Hävernicks  Vorlesungen  über  die  Theologie  des  Alten  Testaments  fortzuführen. 
Nach  Veröffentlichung  seines  Commentars  zum  Buch  Hiob  (1850)  1851  zum  EO.  ernannt, 
wurde  er  1860  als  0.  nach  Greifswald  berufen  (gest.  den  1.  December  1861).^)  In  die  Häver- 
nicksche  Professur  wurde  im  Herbst  1850  Johann  Georg  Sommer  (geb.  23.  October  1810 
zu  Thierenberg,  Kr.  Fischhausen,  in  Bonn  PD.  1837,  EO.  1847)  berufen,  der  in  seltener 
Rüstigkeit  des  Geistes  und  Körpers  noch  heute  seines  Amtes  waltet. 

Dorner  ^)  war  bereits  1847  einem  Rufe  nach  Bonn  gefolgt.  Den  Lehrauftrag  für  Kirchen- 
und  Dogmengeschichte  erhielt  nun  (Herbst  1847)  als  EO.  Wi  Ihelm  H  einri  ch  Erbkam,*)  der  sich 
bekannt  gemacht  hatte  als  Gegner  der  sog.  „Lichtfreunde",  obenan  der  Bischöfe  Eylert  und 
Dräseke,  aber  auch  wissenschaftlich  empfohlen  durch  seine  „Geschichte  der  protestantischen 
Secten  im  Zeitalter  der  Reformation"  (Gotha  1848);  0.  wurde  er  1855  (gest.  9.  Januar  1884). 
Nur  wenige  Jahre  gehörte  der  Albertina  an  Justus  Ludwig  Jacobi  (geb.  12.  August  1815  zu 
Burg  bei  Magdeburg,  in  Halle  und  Berlin  gebildet,  1841  PD.  und  1847  EO.  in  Berlin),  der,  1851  be- 
rufen, schon  1855  nach  Halle  übersiedelte.  Ihn  ersetzte  S.S.  1856  Christian  Friedrich  David 
Erdmann  (geb.  28.  Juli  1821  zu  Güstebiese,  in  Berlin  gebildet  und  1853  PD.  und  Divisious- 
pfarrer),  der  1864  als  Generalsuperintendent  nach  Breslau  kam.  Lehnert,^)  seit  1835  0.  für 
praktische  Theologie,  wurde  1851  nach  Berlin  berufen  (gest.  December  1866  als  General- 
superintendent in  Magdeburg).  Ihm  folgte  1852  Karl  Johann  Cosack  (geb.  27.  Sep- 
tember 1813  zu  Marienl)urg,  in  Berlin  und  Halle  gebildet,  dann  in  verschiedenen  geistlichen 
Aemtern)  als  EO.  und  zugleich  Pfarrer  im  Löbenicht.  der  eine  meist  aus  archivalischen 
Quellen  geschöpfte  Arbeit  ,,Paul  Speratus'  Leben  und  Werke"  (1861)  veröffentlichte  und 
9.  Juli  1862  0.  wurde. 

Auf  der  Albertina  selbst  in  die  Wissenschaft  eingeführt,  traten  nachmals  in  deren 
Lehrkörper  ein  Ludwig  August  Simson  und  Bernhard  Weiss.     Der  Erste  (geb.  3.  Juni  1812 


1)  Vgl.  S.  147. 

2)  Allg.  Utsch.  Biogr.  X,  S.  362. 

3)  Vgl.  S.  149. 

4)  Geb.  8.  Juli  1810  zu  Glogau,  durch  seine  Mutter  mit  dem  Bischof  Friedrich  Samuel  Gottfried  Sack 
und  dem  Bonner  Theologen  Sack  verwandt,  während  seiner  Studienzeit  zunächst  durch  letzteren  und  Bleek  be- 
einflusst,  dann  in  Berlin  Schleiermacher,  Neander  und  Marheineke  nahe  verbunden,  nach  dem  Besuch  des  damals 
von  Koth  geleiteten  Wittenberger  Predigerseminars  1838  PD.  und  1847  KG.  in  Berlin. 

5)  Vgl.  S.  149. 

2ö* 


196 

zu  Königsberg,  18.'>]  Dr.  phil.  in  Leipzig,  Lehrer  am  Friedricliscollegium  und  1839  Lic.  theol. 
und  PD.)  wandte  sich  namentlich  der  Erklärung  des  Alten  Testaments  zu,  kam  aber  wegen 
seiner  freien  Richtung  unter  den  damaligen  Verhältnissen  nur  langsam  vorwärts:  erst  1858 
\TOrde  er  EO.;  1862  gehörte  er  zu  den  Ehreudoctoren,  die  seine  Facultät  bei  der  Einweihung 
des  neuen  üniversitätsgebäudes  creirte.  Karl  Philipp  Bernhard  Weiss  (geb.  20.  Juni  1829 
zu  Königsberg,  dort,  in  Halle  und  Berlin  gebildet)  begann  seine  akademische  Thätigkeit  als 
Exeget  des  Neuen  Testaments  im  W.S.  1852/5:5;  1857  wurde  er  EO.  und  bekleidete  1861 — 63 
das  Amt  eines  Divisionspfarrers  (jetzt  O.  in  Berlin). 

Vielfachen  Wechsel  erfuhr  1844 — 62  der  Personalbestand  der  juristischen  Fa- 
cultät. Als  charakteristisch  trHt  dabei  der  lebhafte  Antheil  hervor,  den  sie  an  dem  Auf- 
schwung der  deutschrechtlichen  Studien  hatte.  Seit  dem  Fortgange  Alb  rechts^)  waren  diese 
ohne  besondere  Vertretung  geblieben.  Erst  im  Herbst  1847  wurde  der  Göttinger  EO. 
Otto  Mejer  (geb.  27.  Mai  1818  zu  Zellerfeld,  in  Göttingen,  Berlin  und  Jena  gebildet, 
1842  PD-,  1847  EO.  in  Göttingen)  als  0.  für  deutsches  Privat-  und  Staatsrecht  lierufen,  über- 
siedelte aber  bereits  1850  nach  Greifswald  (1851  Rostock,  1874  Göttingen,  1885  Consistorial- 
präsident  in  Hannover,  gest.  1893).  Ihm  folgte  Paul  Johannes  Merkel^)  als  EO.,  ging 
aber  schon  im  Herbst  1852  als  0.  nach  Halle.  Ihm  folgte  als  EO.  Karl  Baron  Kalten- 
born  von  StaChau  (geb.  21.  Juni  1817  zu  Halle,  dort  gebildet  und  seit  1846  PD.),  der 
sich  weiterhin  den  Ruf  eines  der  bedeutendsten  Kenner  und  Kritiker  des  Völkerrechts  er- 
warb. Seit  1861  0.,  nahm  er,  durch  seine  litterarische  Betheiligung  an  der  Erörterung 
über  die  Reform  des  deutschen  Bundes  bekannt  geworden,  mit  Rücksicht  auf  seine  Empfind- 
lichkeit gegen  das  rauhe  ostpreussische  Klima  1864  den  Ruf  als  Legatiousrath  in  Kurhessischen 
Diensten  an  (gest.  19.  April  1866).^) 

Recht  eigentlich  der  Albertina  entsprossen  ist  eiiier  der  gefeiertsten  unter  den 
neueren  Lehrern  des  deutschen  Rechts,  Johann  Ernst  Otto  Stobbe  (geb.  28.  Juni  1831 
zu  Königsberg),  welcher  als  Studiosus  der  classischen  Philologie  Ostern  1849  die  heimathliche 
Hochschule  bezog,  dann  durch  Sanio  und  Merkel  für  die  Rechtswissenschaft  gewonnen  wurde. 
Nachdem  er  bereits  1852  einen  akademischen  Preis  gewonnen  hatte  und  am  18.  März  1853 
zum  Doctor  promovirt  war,  habilitirte  er  sich  im  Januar  18.55,  wui-de  im  Februar  1856  EO.  und 
nach  Ablehnung  eines  Rufs  nach  Erlangen  im  December  1856  —  eben  25jährig  —  O.  und 
ging  1859  als  Nachfolger  Gaupps  nach  Breslau  (gest.  19.  Mai  1887  in  Leipzig).  In  Königs- 
berg folgte  ihm  als  EO.  der  Leipziger  PD.  Dr.  Albert  Hänel  (geb.  Kl.  Juni  1833),  der  im 
Herbst  1863  nach  Kiel  übersiedelte. 

Von  den  älteren  Gliedern  der  Königsberger  Juristenfacultät  starb  Backe  am  24.  Sep- 


1)  Vgl.  S.  143. 

2)  Geb.  1.  August  1S59  zu  Nürnberg,  in  München  und  Erlangen  gebildet,  nach  etlichen  .Jahren  prak- 
tischer Thätigkeit  1845^ — 47  mit  Forschungen  in  Italien  znr  Geschichte  namentlich  des  lombardischen  Rechts  be- 
schäftigt, Dr.  im-,  zu  Erlangen  und  durch  Pertz  zur  Herausgabe  der  deutschen  Volksrechte  in  den  Monumentis 
Germaniae  historicis  gewonnen,  Januar  1851  PD.  in  Berlin. 

3)  Allg.  Dtsch.  Biogr.  XV,  S.  43  f. 


197 

tember  1841!,  von  Buchlioltz  am  2.  Juni  1856  und  Schweikart  kurze  Zeit  nach  seiner 
zum  1.  April  1857  erfolgten  Emeritirung.  Sanio,  Jacobson  und  Eduard  Simson  blieben 
in  ihren  Stellungen,  der  letztere  weithin  bekannt  durch  seine  parlamentarische  Wirksamkeit, 
die  seinen  Namen  als  den  des  geborenen  Präsidenten  der  Deutschen  Parlamente  von  den 
Tagen  der  Paulskirche  an  bis  in  die  ersten  Zeiten  des  neuen  Deutschen  Reichs  mit  den 
denkwürdigsten  Momenten  unserer  nationalen  Geschichte  unlösbar  verknüpfen  sollte,  um 
schliesslich  als  erster  Präsident  des  deutschen  Reichsgerichts  einer  von  den  weithin  sicht- 
baren Vertretern  der  glücklich  gewonnenen  nationalen  Einheit  zu  werden.  Die  Romanisten 
wurden  nach  von  Buchhol tz'  Tod  im  W.S.  1856/57  ergänzt  durch  die  Berufung  des  PD. 
in  Halle  Theodor  Albert  Anton  Muther')  als  EO.,  der  im  September  1859  0.  wurde 
und  1863  nach  Rostock  ging  (gest.  29.  November  1878  in  Jena). 

Auch  erhielt  die  juristische  Pacultät  erwünschten  Nachwuchs  aus  der  Zahl  ihrer  ehe- 
maligen Schüler:  im  S.S.  1853  habilitirte  sich  Richard  Eduard  John  (geb.  17.  Juli  1829, 
gest.  7.  August  1889  in  Göttingen),  namentlich  für  Strafrecht ;  er  wurde  1856  EO.  und  1859  0. 
Die  verschiedenen  Zweige  des  preussischen  Rechts  erhielten  einen  Vertreter  in  dem  Stadt- 
richter Karl  Eduard  Güterbock  (geb.  18.  April  1830,  PD.  1861,  EO.  1862). 

Der  Bestand  der  medicinischen  Pacultät  erfuhr  in  diesem  Zeitraum  gegen  das 
Jubiläumsjahr  die  erste  tief  greifende  und  schmerzlich  empfundene  Veränderung  durch  den 
am  16.  Juli  1847  erfolgten  Tod  K.  F.  Burdachs,  welcher,  abgesehen  von  seiner  Bedeutung 
für  seine  Wissenschaft,  sich  während  seiner  langjährigen  Wirksamkeit  auch  um  die  Albertina 
in  ihrer  Gesammtheit  grosse  Verdienste  erworben  hatte.  Seit  längerer  Zeit  von  den 
Schwächen  des  Alters  heimgesucht,  hatte  er  sich  von  den  meisten  seiner  amtlichen  Obliegen- 
heiten schon  zurückgezogen  und  nur  die  Professur  der  Physiologie  beibehalten.  In  ihr  folgte 
ihm  1848  als  EO.  Ernst  Wilhelm  Brücke,^)  der  jedoch  schon  1849  einen  Ruf  als 
Professor  der  Physik  und  mikroskopischen  Anatomie  nach  Wien  annahm  (gest.  dort  7.  Ja- 
nuar 1892).  Ihn  ersetzte  Hermann  LudwigFerdinand  Helmholtz^)  als  EO.  für  Physiologie 
und  allgemeine  Pathologie.  Schon  hatte  ihm  sein  1847  erschienenes  Werk  „üeber  die 
Erhaltung  der  Kraft",  das  den  Nachweis  führte,  dass  alle  Vorgänge  in  der  Natur  den  Grund- 
gesetzen der  Mechanik  gehorchen,  einen  der  ersten  Plätze  unter  den  jüngeren  Forschern 
verschafft:  hier  in  Königsberg  machte  er  die  so  unendlich  segensreiche  Erfindung  des  Augen- 
spiegels und  gab  in  der  Schrift  „Beschreibung  eines  Augenspiegels  zur  Untersuchung  der 
Netzhaut  im  lebenden  Auge"  (Berlin  1851)  Kunde  von  seiner  Entdeckung,  die  ein  neues  Zeit- 
alter für  die  Augenheilkunde  heraufführte.     Durch  ihn  erwarb  die  Physiologie  auf  der  Albertina 


1)  Geb.  15.  August  1826  zu  Bottenbach  in  Coburg,  in  Jena  und  Erlangen  gebildet,  dann  in  Berlin 
namentlich  durch  F.  L.  von  Keller  und  Stahl  beeinflusst,  1853  PD.  in  Halle. 

2)  Geb.  (i.  Juni  1829  zu  Berlin,  dort  und  in  Heidelberg  gebildet,  1843  Assistent  Johannes  Müllers  für 
vergleichende  Anatomie  und  Vertreter  des  beurlaubten  Prosectora  Peters,  1844  PD.  für  Physiologie,  1846  Lehrer 
der  Anatomie  an  der  Akademie  der  Künste. 

3)  Geb.  31.  Juli  1821  zu  Potsdam,  seit  1838  auf  dem  Medicinischen  Friedrich-Wilhelms-Institut  und  der 
Universität  zu  Berlin  gebildet,  Unterchirurg  an  der  Charite  und  Unterarzt  in  Potsdam,  1848  Nachfolger  Brückes 
als  Lehrer  der  Anatomie  an  der  Akademie  der  Künste  und  Assistent  am  anatomischen  Museum. 


198 

erst  volles  Bürgerrecht,  indem  er  den  17.  December  1851  zum  0.  ernannt  wurde  und  1853 
endlich  auch  ein  —  freilich  noch  sehr  bescheiden  ausgestattetes  —  physiologisches  Laboratorium 
erhielt.  Auf  seinen  Wunsch  wurde  er  1855  nach  Bonn  versetzt.  Sein  Nachfolger  wurde  Wilhelm 
von  Wittich,!)  der  seit  1850  PD.  war,  1854  EO.  und  1857  0.  wurde  (gest.  22.  Nov.  1884). 
Ebenfalls  aus  der  Königsberger  Schule  Helmholtz'  ging  Friedrich  Leopold  Goltz 
hervor  (geb.  14.  August  18.34  zu  Posen,  Assistent  an  der  chirurgischen  Klinik,  dann  Pro- 
sector),  der  seit  dem  S.S.  1863  als  PD.  lehrte,  Ostern  1865  EO.  wurde  und  1863  als  0. 
nach  Halle  kam  (seit  1872  in  Strassburg).  Als  Assistenten  haben  unter  von  Wittich  dem 
physiologischen  Institute  angehört  Edwin  Klebs  (geb.  6.  Februar  1834  in  Königsberg,  später 
Professor  in  Bern,  Würzburg,  Prag  und  Zürich)  und  1862 — 64  Heinrich  Wilhelm  Gott- 
fried Waldeyer  (geb.  6.  October  1836  zu  Hehlen  a.  d.  Weser  (Braunschweig),  1868  0.  zu 
Breslau,  1872  in  Strassburg,  1883  in  Berlin)  und  Alfred  William  Grünhagen  (geb.  28.  Fe- 
bruar 1842  iu  Königsberg,   1868  PD.  und   1872  EO.,  stellte  seine  Thätigkeit  1893  ein). 

Das  Fach  der  Anatomie  blieb  so  lange  doppelt  besetzt,  als  neben  Rathke,  der  Ana- 
tomie des  Menschen,  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  las,  auch  zoologische  Uebungen 
hielt,  Ernst  Burdach,  K.  F.  Burdachs  Sohn  (geb.  25.  Februar  1801  zu  Leipzig,  1829  PD. 
und  Prosector,  1839  EO.,  1844  0.),  wirkte,  indem  er  namentlich  die  Präparirübungen  leitete. 
Bei  Ablauf  einer  fünfundzwanzigjährigen  Wirksamkeit  an  der  Albertina  sah  sich  Eathke  am 
13.  Juli  186it  durch  zahlreiche  Ehrenerweisungen  von  Seiten  seiner  dankbaren  Schüler  ausge- 
zeichnet; mit  freudiger  Hingebung  widmete  er  sich  der  Vorbereitung  der  Allgemeinen  Deutschen 
Naturforscher-Versammlung,  die  Ende  September  unter  seiner  Leitung  in  Königsberg  tagen 
sollte,  als  ihn  unmittelbar  vor  den  festlichen  Tagen  am  15.  September  ein  Schlagfluss  dahin- 
raffte, den  würdigen  Nachfolger  K.  E.  von  Baers.  So  vollkommen  er  sowohl  die  Ana- 
tomie als  auch  die  Zoologie  beherrscht  hatte,  die  Foi'tschritte  beider  Wissenschaften  und 
die  wachsenden  Ansprüche  an  ihren  Vertreter  machten  die  anderwärts  längst  durchgeführte 
Sonderung  in  zwei  selbständige  Professuren  nöthig,  von  denen  naturgemäss  nur  die  ana- 
tomische liei  der  medicinischen  Facultät  blieb,  die  zoologische  mit  den  übrigen  beschrei- 
benden Naturwissenschaften  der  philosophischen  zugewiesen  wurde.  Erstere  erhielt  August 
Mülle  r.^') 

Von  den  Vertretern  der  klinischen  Fächer  starb,  seit  längerer  Zeit  durch  schweres 
Leiden  in  seiner  Wirksamkeit  behindert,  Sachs  am  18.  Juni  1848:  einst  als  Lehrer  und 
Praktiker  gefeiert,  war  er  durch  sein  erregbares  Temperament,  das  ihn  in  jÜLgeren  Jahren 
vorübergehend  zum  Anhänger  Ebels  hatte  werden  lassen,  zu  eifriger  Theilnahme  an  dem  poli" 
tischen  Leben  gedrängt,  während  man  von  seinen  wissenschaftlichen  Leistungen  urtheilte,  dass 

1)  Geb.  21.  September  1821  zu  Königsberg,  dort  und  in  Halle  gebildet,  seit  184()  praktischer  Arzt  und 
mit  anatomischen  Arbeiten  beschäftigt,  durch  Helmholtz'  Einfluss  der  Physiologie  zugeführt. 

2)  Geb.  11.  August  1810  zu  Neu-Haldensleben,  in  Göttingen,  Kiel  und  Berlin  gebildet,  mit  zoologiach- 
analomischen  Studien  an  den  Küsten  der  Ost-  und  Nordsee  beschäftigt,  dann  in  Berlin  Jahre  lang  unter  dem 
Namen  ^Paukmüller"  als  Repetent  zur  Vorbereitung  auf  das  Staatsexamen  viel  gesucht,  bis  er  durch  eine  zoolo- 
gische Entdeckung  die  Aufmerksamkeit  .Johannes  Müllers  auf  sich  zog  und  sich  auf  dessen  Veranlassung  noch  1858 
in  Berlin  habilitirte;  starb  12.  October  1875  auf  einer  Heise  zu  Hopfgarten  in  Tirol. 


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sie  diirch  seine  ausgesprochen  metapliysischen  Neigungen  beeinträchtigt  worden  seien.')  In  der 
Leitung  der  medicinischen  Poliklinik  folgte  ihm  als  EO.  Karl  Berthold  Heinrich  (geb. 
17.  April  1819  zu  Bonn,  dort  184;)  PD.,  1846  Assistent  au  der  Irrenanstalt  zu  Siegburgl.  Doch  fand 
er  mancherlei  Schwierigkeiten  und  fühlte  sich  um  so  weniger  befriedigt,  als  sein  feuriger 
Idealismus  mit  den  engen  Königsberger  Verhältnissen  vielfach  in  Conflict  gerieth.  Zudem 
stürzte  er  sich,  ein  ausgezeichneter  Redner,  mit  Leidenschaft  in  die  hochgehenden  Wogen 
der  politischen  Kämpfe  und  beschleunigte  so  wohl  den  Zusammenbruch  seiner  übermässig  reiz- 
baren Natur:  in  tiefe  Melancholie  verfallen,  starb  er  am  19.  April  1849.  Die  Leitung  der 
medicinischen  Poliklinik  erhielt  mit  dem  S.S.  1849  als  EO.  der  bisherige  PD.  Julius  Otto 
Ludwig  Möller  (geb.  7.  Juni  1819  zu  Königsberg,  dort,  in  Berlin,  Halle  und  Wien  ge- 
bildet, seit  184(t  praktischer  Arzt  in  seiner  Vaterstadt),  der  27.  Juli  1859  0.  wurde. 

Die  Leitung  der  medicinischen  Klinik  lag  während  dieser  Periode  dauernd  in  den 
Händen  von  Georg  Hirsch.^) 

Der  chirurgischen  Klinik  stand  seit  183ß  Seerig  vor.  Als  er  sich  1858  emeritiren 
Hess  (gest.  7.  März  18l)2),  folgte  ihm  der  Oberarzt  des  städtischen  Krankenhauses  in  Danzig, 
Karl  Ernst  Albrecht  Wagner,  ein  Sohn  des  seit  1826  als  Professor  der  Staatsarznei- 
kunde in  Berlin  wirkenden  Karl  Wilhelm  Ulrich  Wagner  (179;)— 1846).^)  Als  Bedingung  für 
die  Annahme  des  an  ihn  ergangenen  Rufes  stellte  er  den  Bau  einer  neuen  chirurgischen 
Klinik:  sie  wurde  1864  ihrer  Bestimmung  übergeben. 

Eine  wichtige  Erweiterung  erfuhr  der  medicinische  Unterricht  an  der  Albertina  in 
diesem  Zeiträume  nach  zwei  Seiten.  Einmal  war  durch  die  Ernennung  von  Adalbert 
Hayn*)  zum  0.  die  Einordnung  der  Entbindungskunde  und  der  Gynäkologie  in  die  voll- 
berechtigten Disciplinen  1844  vollzogen  und  durch  den  Bau  einer  neuen  Frauenklinik  die  erste 
Bedingung  für  ihr  ferneres  Gedeihen  gewährt.  Seit  Jahren  lungenleidend,  starb  Hayn 
am  30.  October  1863  auf  der  Heimreise  aus  der  Schweiz.  Ferner  erhielt  1865  die  pathologische 
Anatomie  eine  besondere  Vertretung,  indem  Friedrich  Daniel  von  Recklinghausen^) 
als  EO.  berufen  wurde.  Als  er  186(')  nach  Wiirzbui-g  ging  (seit  1872  in  Strassburg),  folgte 
ihm  Ernst  Neumann  (geb.  30.  Januar  1834  zu  Königsberg,  1859  PD.).  Ein  weiterer  Fort- 
schritt wurde  angebahnt,  indem  Julius  Jacobson")  sich  1859  als  PD.  für  Augenheilkunde 
habilitirte  und,  1859  EO.  geworden,  neben  seinen  hervorragenden  wissenschaftlichen  und  prak- 
tischen Leistungen    eine    energische  Agitation    eröffnete    für    die  Lösung   der  Augenheilkunde 


1)  Allg.  Deutsche  Biogr.  XXX,  S.  128. 
2|  Vgl.  S.  12a. 

3)  Geb.  3.  Juni  1827  zu  Berlin,    unter  Johannes  Müller    gebildet.    1849  in  Schleswig-Holstein  in  einem 
Kriegslazaretli  thätig,  1850  A.s8istent  von  Langenbeck. 

4)  Vgl.  S.  123. 

5)  Geb    2.  December  1833  zu  Gütersloh,  in  Bonn,  Wiirzburg  und  Berlin,  dann  in  Wien,  Rom  und  Paris 
gebildet,  1858 — 64  Assistent  Virchows. 

6)  Geb    18.  August  1828    zu  Königsberg,  dort,  in  Berlin  und  Prag  gebildet    und    seit  1854    praktischer 
Arzt  in  seiner  Vaterstadt. 


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von  der  Chirurgie.  Auch  der  ältere  Bruder  Jacobsous,  Heinrich  Jacobson.*)  gehörte  der 
Albertina  als  PD.  und  EO.  an,  bis  er  nach  Berlin  übersiedelte. 

Ton  Medicinern,  welche  der  Albertina  selbst  ihre  Bildung  verdankten,  waren  ausser 
einigen  der  bereits  genannten  (wie  E.  Burdach,  v.  Wittich,  Möller,  Jacobson,  Neumanu  und 
Klebs)  noch  als  Lehrer  an  ihr  thätig  Karl  Friedrich  Skrzeczka^)  und  Heinrich  Bohn 
(geb.  8.  Januar  1832  zu  Memel,  1861  PD.,  1868  EO.). 

In  der  philosophischen  Facultät,  deren  Bedeutung  für  die  Universität  als  ein 
Ganzes  mit  der  fortschreitenden  Zersplitterung  in  nur  noch  äusserlich  zusammengehörige  Fach- 
schulen dauernd  zurückging,  theilten  sich  auch  in  diesem  Zeitraum  in  die  führende  Stellung 
als  Trägerinnen  des  Rufs  der  Albertina  über  den  nächsten  Kreis  ihres  Wirkens  hinaus  und 
ihres  Ansehens  in  der  wissenschaftlichen  Welt  die  mathematisch-physikalischen  Disciplinen  und  die 
classische  Philologie.  Freilich  verloren  die  ersteren  mit  dem  am  27.  März  1846  nach  langen  qual- 
vollen Leiden  erfolgten  Tod  Bessels  ihren  gefeiertsten  Vertreter,  dessen  Ruhm  über  die  Grenzen 
Deutschlands  und  Europas  hinausgedrungen  war.  In  der  vollen  Erkenntuiss  des  imersetzlichen 
Verlustes,  der  sie  damit  getroffen  hatte,  veranstaltete  die  Universität  am  24.  März  eine  würdige 
Gedächtnissfeier  zu  Ehren  des  grossen  Todteu,  vrie  sie  es  nachmals  auch  nicht  versäumte,  die 
hundertste  Wiederkehr  seines  Geburtstages  entsprechend  zu  begehen.  Die  Aemter,  die  der 
grosse  Astronom  in  sich  vereinigt  hatte,  wurden  nach  einem  längeren  Provisorium  auf  zwei 
Nachfolger  vertheilt.  Die  Leitung  der  Sternwarte  erhielt  1849  August  Ludwig  Busch, ^) 
welcher  dies  Amt  bis  zu  seinem  Tode  (.50.  September  1855)  innehatte.  In  der  Professur  der 
Astronomie  aber  erhielt  Bessel  den  bisherigen  Assistenten  an  der  Sternwarte  in  Pulkowa 
zum  Nachfolger,  Christian  Friedrich  August  Peters  (geb.  8.  Mai  1806  in  Kiel,  in 
Königsberg  unter  Bessel  gebildet).  Obgleich  ihm  der  Mangel  einer  bestimmten  amtlichen  Be- 
ziehung zur  Sternwarte  mancherlei  Schwierigkeiten  bereitete,  hielt  Peters,  neben  einer  sehr 
umfangi-eichen  litterai-ischeu  Thätigkeit,  doch  die  grossen  Traditionen  der  Besselschen  Schule 
aufrecht;  1854  folgte  er  einem  Ruf  nach  Altona  (gest.  8.  Mai  1880).  Ihn  ersetzte  zunächst 
als  EO.  Eduard  Luther  (geb.  24.  Februar  1816  in  Hamburg,  1847  PD.,  EO.  1854);  0.  seit 
S.S.  1859,  hat  Luther,  litterarisch  namentlich  durch  die  Herausgabe  eines  grossen  Theils  der 
Besselschen  Beobachtungen  verdient,  bis  zu  seinem  nach  längeren  Leiden  am  17.  October  1887 
erfolgten  Tod  der  Albertina  angehört. 

Einen  besonderen  Ruhmestitel  der  Albertina  aber  machte  auch  in  diesem  Zeitraum 
die  Vertretung  der  Mathematik  und  Physik  aus.  Die  erste  ruhte  nach  der  üebersiedelung 
Jacobis  nach  Berlin  fast  ganz  auf  den  Schultern  Richelots,  der  am  30.  August  1844  0. 
wurde.  Neben  ihm  wirkte  als  EO.  bis  zu  seiner  Berufung  nach  Halle  (1856)  0.  Hesse, 
dann    seit    März  1857    Johann    Georg    Rosenhain,*)     dessen     Ernennung    wegen     seiner 


1)  Geb.  27.  October  1826,  in  Halle,  Heidelberg,  Berlin  und  Prag  gebildet. 

2)  Geb.  29.  März  1833    zu  Königsberg.    1861  Kreiswundarzt  und  PD.,    1865  EO.  in  Berlin,   jetzt  Geh. 
Oberregierungsrath  und  vortragender  Kath  im  Cultusministerium. 

3)  Geb.  7.  September  1804  zu  Danzig,  Ziigling  der  dortigen  Kunstgewerbeschule,  eine  Zeit  lang  Erzieher 
im  Hause  des  Dichters  Freiherm  von  Eichendorfl",  dann  Zuhörer  und  Gehülfe  Bessels. 

4)  Geb.  10.  .Juni    1816  zu  Königsberg,    1844    PD.    in   Breslau,  1846    von   der   französischen    Akademie 


201 

politischen  Antecedentien  auf  Schwierigkeiten  stiess.  Docli  erging  schliesslich  eine  Aeusserung 
des  Curators  dahin:  Obgleich  Rosenhain  in  Breslau  zur  Zeit  der  politischen  Aufregung  ein 
höchst  tadeluswerthes,  seiner  Stellung  zur  dortigen  Universität  nicht  geziemendes  Benehmen 
gezeigt  habe,  wolle  der  König  es  dennoch  geschehen  lassen,  wenn  der  p.  p.  Rosenhain  AUer- 
höchstdemselben  durch  ihn  —  den  Curator  —  schriftlich  erklärte,  „wie  er  einsehe,  dass  er 
bei  seinem  Treiben  1848  und  vorher  in  eine  Verirrung  gefallen  gewesen,  von  welcher  er 
zurückgekommen,  und  dass  er  in  Zukunft  nicht  nur  von  solchen  Ausschreitungen  sich  fern 
halten,  sondern  vielmehr  bemüht  sein  werde,  in  der  ihm  zugedachten  Stellung  durch  Lehre 
und  Beispiel  den  Sinn  für  Gesetz  und  Ordnung  in  der  studirenden  Jugend  zu  stärken."') 
Rosenhain  hat  diese  Erklärung  augenscheinlich  abgegeben.  Er  hat  die  erlangte  Stellung  bis 
zu  seinem  Tode  (gest.  14.  März  1887  in  Berlin)  inne  behalten. 

Die  Bedeutung  der  Albertina  für  das  Studium  der  Physik  beruhte  nach  wie  vor  in 
erster  Linie  auf  der  schöpferischen  Forschung  und  glänzenden  Lehrthätigkeit  Franz  Neu- 
manns und  der  für  seine  Richtung  charakteristischen  Verbindung  zwischen  Physik  und  Mathe- 
matik. Seine  und  seiner  zahlreichen  Schüler  Leistungen  erscheinen  um  so  bedeutender,  je 
weniger  ihnen  damals  für  ihre  Untersuchungen  auch  nur  annähernd  die  Hülfsmittel  zur  Ver- 
fügung standen,  ohne  die  heute  selbst  ein-  Anfänger  kaum  an  die  Lösung  einer  Aufgabe  zu 
gehen  Lust  hat.  Wie  bescheiden  war  in  dieser  Hinsicht  auch,  was  Moser  als  Professor 
der  Experimentalphysik  zur  Verfügung  stand!  Und  welche  Ergebnisse  sind  damals  gewonnen 
worden  !  Kann  man  doch  gerade  in  jenen  Jahren  von  einer  Königsbei-ger  Schule  sprechen: 
kaum  einer  ist  unter  den  Mathematikern  und  Physikern,  die  während  des  nächsten  Menschen- 
alters zu  den  Meistern  ihrer  Wissenschaft  gehört  haben,  der  nicht  wenigstens  eine  Zeit  lang 
zu  den  Füssen  Neumanns  und  Richelots  gesessen  und  von  ihnen  für  seine  ersten  bedeutenderen 
Arbeiten  die  Anregung  empfangen  hätte.  Waren  doch  nach  einer  Reihe  von  Jahren  zahl- 
reiche Lehrstühle  mit  Vertretern  dieser  Königsberger  Schule  besetzt.  Es  genügt  an  Mathe- 
matiker zu  erinnern  wie  Aronhold,  Schröter,  Clebsch,  Durege,  Karl  Neumann,  den 
Sohn  von  Franz  (geb.  7.  Mai  1832  zu  Königsberg,  1858  0.  in  Halle,  dann  Leipzig),  Minnigerode, 
Weber,  Saalschütz,  E.  A.  M.  Kossack,  Kiessling  u.  A.,  an  Physiker  wie  Gustav 
Kirchhoff  (geb.  12.  März  1824  zu  Königsberg,  Richelots  Schwiegersohn),  Heinrich  Wild 
(geb.  17.  December  1833  zu  Zürich,  Professor  der  Physik  in  Bern,  dann  Akademiker  in 
Petei-sburg),  Pape,Zöppritz,  L.  Sohn  cke  und  Dorn,  an  Astronomen  endlich  wie  Au  wer  s. 
Rummel  und  Ruppel.  Und  damit  hing  ein  Anderes  zusammen.  Während  die  Albertina 
im  Uebrigen  den  in  den  Verhältnissen  begründeten  Charakter  einer  Provinzialuniversität  bewahrte, 
strömten  nicht  bloss  aus  allen  Theilen  Deutschlands  wissbegierige  Jünglinge  oder  schon  an- 
gehende Forscher  herbei,  um  sich  durch  Neumann  und  Richelot  in  die  Tiefen  ihrer  Wissen- 
schaft einführen  zu  lassen,  sondern  auch  aus  der  Schweiz,  aus  Dänemark  und  Russland  fanden 


preisgekrönt  für  die  Vervollkommnung  der  Lehre  von  den  Abelschen  Trauscendenlalen  —  welches  Urtheil 
freilich  erst  1849  öffentlich  bekannt  gemacht  wurde  —  ein  eifriger  Turner  und  dadurch  in  die  extremen  politischen 
Kreise  gezogen,  1848  in  Wien  und  nicht  ohne  Antheil  an  den  dortigen  Ereignissen.  1851  daselbst  von 
Neuem  habilitirt. 

1)  Curat.   Acten  B.  il,  4.  III. 


sicli  solche  regelmässig  ein.  Darin  fand  die  Fi'ihrerscliaft  der  Albertina  auf  diesem  Studieu- 
gebiet  bezeichnenden  Ausdruck,  den  die  Verleihung  des  Ordens  pour  le  mörite  an  P.  Neumann 
vor  den  Augen  der  Welt  bestätigte. 

Was  die  übrigen  der  philosophischen  Pacultät  angehörigen  naturwissenschaftlichen 
Disciplinen  betrifft,  so  erhielt  den  durch  Dulks  Tod  1852  erledigten  Lehrstuhl  der  Chemie 
185?)  August  Friedrich  Gustav  Werther  (geb.  1.  August  1815  in  Eossla,  Lehrer 
an  der  Artillerieschule  in  Berlin),  dessen  Berufung,  wie  erwähnt,  den  Anlass  gab  zu  dem 
endlichen  Bau  eines  neuen  Laboratoriums  in  der  Besselstrasse,  auf  dem  Terrain  des  Bo- 
tanischen Gartens.  Neben  Werther  wirkte  seit  dem  S.S.  1855  Hermann  Spirgatis  (geb. 
8.  November  1822,  PD.  1855),  der,  seit  1865  EO.,  sich  namentlich  der  Ausbildung  der  Phar- 
maceuten  widmete,  wozu  ihm  in  einem  der  Gebäude  des  ehemaligen  Bischofhofes  nächst  dem 
Dome  eine  nothdijrftige  Unterkunft  bereitet  wurde.  Zum  Nachfolger  des  Botanikers  Meyer  (gest. 
7.  August  1858)  wurde  der  Bonner  PD.  Robert  Caspary  (geb.  2'.).  Januar  1818,  PD.  1848), 
ein  Schüler  und  Schwiegersohn  Brauns,  berufen.  Einen  Zuwachs  erhielt  diese  Gruppe  der 
philosophischen  Pacultät,  als  nach  dem  Tode  Rathkes  die  Anatomie  von  der  Zoologie  ge- 
trennt und  der  medicinischen  Pacultät  zugetheilt  wurde,  während  die  Zoologie  an  die  philo- 
sophische Pacultät  kam.  Die  Personenfrage  machte  unerwartete  Schwierigkeiten:  erst  nach 
langem  Schwanken  wurde  186?>  der  ganz  in  Rathkes  zoologische  Richtung  eingegangene 
bisherige  EO.  Ernst  Gustav  Zaddach  (geb.  7.  Juni  1817  in  Danzig,  PD.  1844,  EO. 
1853)  dafür  ernannt  und  bekam  die  Leitung  des  bisher  von  Luther  ;idministrirten  zoologischen 
Museums. 

In  dem  Gebiete  der  classischen  Philologie  verdankte  die  Albertina  nach  wie 
vor  eine  weithin  als  maassgebend  anerkannte  Stellung  dem  Doppelgestirn  Lob  eck  und  Lehrs, 
mochte  auch  der  Einfluss,  den  beide  auf  die  Entwickelung  ihrer  Wissenschaft  ausübten,  mehr 
litterarisch  vermittelt  als  unmittelbar  und  persönlich  geltend  gemacht  werden,  da  bei  dem 
Reichthum  der  deutschen  Universitäten  an  gefeierten  Vertretern  dieses  Pachs  für  dessen 
Jünger  nicht  in  dem  Maasse  wie  für  die  höher  strebenden  Mathematiker  und  Physiker  die 
Nothwendigkeit  vorlag,  in  der  Pregelstadt  ihre  Bildung  zu  suchen.  Daher  behielt  die  Albertiua 
auch  hier  den  Charakter  einer  Provinzialuniversität  bei,  unerachtet  des  die  ganze  gelehrte 
Welt  erfüllenden  Ruhmes  ihrer  Lehrer.  Unermüdlich  sammelnd,  forschend  und  lehrend, 
wie  im  Leben  so  auch  in  der  Wissenschaft  allem  Schein  abhold  und  gewohnt,  den  Dingen 
auf  den  Grund  zu  gehen  und  sie  bei  ihrem  rechten  Namen  zu  nennen,  seinem  Wahlspruch 
gemäss  eine  stille  und  in  sich  gekehrte  Natur,  die  allem  Agitiren  und  sich  Vordrängen  feind 
war,  da  aber,  wo  es  den  Muth  einer  Meinung  galt,  diesen  als  etwas  Selbstverständliches  be- 
währte, —  so  blieb  Lobeck  als  Mensch  und  als  Gelehrter  eine  von  Allen  neidlos  anerkannte 
Zierde  und  der  von  den  Meisten  freudig  bewunderte  Stolz  der  Albertina,  und  noch  von  dem 
Greise  galt,  was  Nicolovius  einst  (1838)  huldigend  von  dem  in  der  Vollkraft  des  Wirkens 
stehenden  Manne  gerühmt  hatte:  „Wohl  der  Universität,  die  solchen  Lehrer  besitzt:  Ehre  dem 
Manne  solchen  Werthes,  der  in  Genügsamkeit  und  Bescheidenheit  sein  Leben  führt. "^j     Ohne 

1)  Ludwicli,  iS.  243. 


203 

je  iu  die  Oeffentliclikeit  zu  treten,  aber  von  unl leirrter  Gewisseuliaftigkeit  in  der  ErfülUmg 
seiner  Pfiicliten  und  in  der  Uebung  seiner  Rechte  als  Staatsbürger,  nahm  Lobeck  doch  au 
dem  politischen  Leben  den  regsten  und  verständnissvollsten  Antheil.  Von  seltener  Klarheit 
des  Blicks  und  Tiefe  der  Einsicht,  beobachtete  er  das  krause  Durcheinander  sich  bekämpfender 
und  zum  Theil  aufhebender  Bestrebungen,  ohne  den  Glauben  an  eine  bessere  Zukunft  zu  ver- 
lieren, den  Weg  ahnend,  welcher  dereinst  dazu  führen  sollte.  Mehr  als  eine  Aeusserung  in 
seinen  Briefen  beweist,  wie  der  an  dem  Studium  des  Alterthums  geschulte  Blick  dui'ch  die 
trügerische  Hülle  der  äusseren  Erscheinung  in  den  Kern  und  das  Wesen  der  Dinge  einzu- 
dringen gewöhnt  war.  Um  nur  ein  Beispiel  anzuführen:  am  8.  August  1848  schreibt  Lobeck  an 
Gottfried  Hermann,  er  besorge,  dass  Niebuhr  mit  seinen  Befürchtungen  wegen  der  unheilvollen 
Folgen  der  Julirevolution  schliesslich  doch  noch  Recht  behalten  werde,  und  thut  im  Anschluss  daran 
die  merkwürdige  Aeusserung:  „Um  Deutschland  zu  einigen,  brauchen  wir,  fürchte  ich,  jene 
ß-/i£vri  dio  xQriaif.iio,  "iyöig  r^ds  d-vela  —  ich  meine  ein  Stückchen  30jährigen  Krieg,  dann 
eine  Militärdespotie,  zuletzt  vielleicht  eine  liberale  Monarchie  mit  der  jetzigen  Volksfreiheit."') 
Indem  er  sich  so  trotz  aller  Ehrentitel  und  Orden  eine  stolze  Unabhängigkeit  wahrte,  hat 
Lobeck  begreiflicher  Weise  der  Reaction  manchen  Anstoss  gegeben,  aber  die  unbeirrbare 
vornehme  Sachlichkeit  seines  Handelns  und  Redens  bot  ihr  keine  Handhabe,  um  auch  gegen 
ihn  vorzugehen.  Ein  Feind  aller  lauten  Demonstrationen,  verbrachte  er  sein  .oOjähriges 
Amtsjubiläum  1852  in  stiller  Zurückgezogenheit.  Aber  neue  Ehren  wurden  ihm  zu  Theil: 
1855  wurde  er  Mitglied  der  Friedensklasse  des  Ordens  pour  le  merite.  Schliesslich  stellten 
sich  auch  bei  seiner  trotz  aller  Zartheit  zäh  ausdauernden  Natur  die  Gebrechen  des  Alters 
ein:  1857  musste  er  seine  Lehrthätigkeit  aufgeben.  Aus  Anlass  des  3()()jährigen  Julielfestes 
der  Universität  Jena  verlieh  ihm  1858  die  dortige  theologische  Facultät  ihre  Doctorwürde. 
In  unausgesetzter,  stiller  Thätigkeit  weiter  forschend  erlag  Lobeck  endlich  am  25.  August 
186U  ohne  eigentliches  Leiden  einem  sanften  Tod.  Am  2U.  November  veranstaltete  die 
Albertina  zu  Ehren  ihres  grossen  Todten  eine  Gedächtnissfeier,  bei  der  Ludwig  Friedländer 
die  Rede  hielt.-) 

Neben  Lobeck,  seinem  verehrten  Lehrer  und  Meister,  stand  Karl  Lehrs.')  Seit  1835 
EO.,  trug  er  schwer  an  der  Last  des  doppelten  Amtes,  zumal  ihm  die  Schulthätigkeit  am 
Friedrichscollegium,  die  seiner  feinen  und  gründlichen,  äusserst  sensibeln  und  immer  auf  die 
letzten  und  höchsten  Ziele  gerichteten  Natur  ohnehin  wenig  zusagte,  durch  das  üble  Verhältniss 
zu  seinem  ganz  anders  gearteten  Director  Gotthold,  den  er  bitter  als  einen  „Blutsauger  des 
Geistes  und  des  Leibes"  bezeichnete,  fast  unerträglich  gemacht  wurde.  Aber  alle  Bemühungen 
seiner  Freunde,  ihn  in  eine  würdigere  Stellung  zu  bringen,  waren  bisher  erfolglos  geblieben, 
und  auch  ein  Antrag  der  philosophischen  Facultät  vom  Januar  1841,  ihn  durch  Errichtung 
der  längst  dringend  nöthigen  zweiten  philologischen  Professur  ganz  für  die  Universität  zu 
gewinnen,*)  blieb  vergeblich.     Aber  unter  dem  Eindruck  des  Jubiläums,  dem  Lehrs  sich  völlig 

1)  Ludwich,  S.  4i»0. 

2)  Priedländer,  Mittheilungen  aus  ijobecks  Briefweclisel. 

3)  Vgl.  S.  113. 

4)  Phil.  Fac.  1840  41. 


204 

entzog,  indem  er  eine  Reise  nach  Karlsbad,  dem  Ehein,  der  Schweiz  und  bis  nach  Mailand 
machte,  kam  man  energischer  auf  die  Sache  zurück.  Von  Neuem  legte  die  philosophische 
Facultät  dem  Ministerium  die  Unerlässlichkeit  des  zweiten  Ordinariats  für  classische  Philo- 
logie dar  und  bezeichnete  als  den  einzigen  Candidaten  dafür  Lehrs,  der  für  seine  verdienst- 
volle Thätigkeit  nun  schon  neun  Jahre  mit  200  Thalern  abgefunden  wurde  —  „ein  Mann  von 
so  eminentem  Talent,  so  gediegener  Gelehrsamkeit,  so  werthvollen  Leistungen".  Am  2.  Mai 
1845  wurde  Lehrs  zum  0.  mit  einem  Gehalt  von  900  Thalern  ernannt.  Was  er  seitdem  in 
mehr  als  SOjäbriger  Thätigkeit  als  Lehrer  nnd  als  Gelehrter  geleistet,  welche  Fülle  der  An- 
regung von  ihm  ausgegangen,  welch  hingebende,  bewundernde  Liebe  er  bei  Freunden  und 
Schülern  zu  erwecken  und  zu  erhalten  gewusst  hat,  —  das  des  Nähern  darzuthun,  ist  hier 
um  so  weniger  der  Ort,  als  die  Zahl  derer  noch  so  gross  ist,  die  ihm  als  Freunde,  als 
Collegen,  als  Schüler  nahe  zu  treten  Gelegenheit  gehal)t  und  die  unerschöpfliche  Tiefe  seines 
geistigen  und  sittlichen  Wesens  kennen  und  bewundern  gelernt  halien.  Ton  rührender 
Anspruchslosigkeit  und  wahrhaft  idealem  Sinn,  von  echt  kantischer  Strenge  gegen  sich  selbst 
und  mildestem  Wohlwollen  gegen  Andere,  in  ebenso  hohem  Maasse  empfänglich  iür  Preundes- 
liebe  wie  befähigt  sie  selbst  zu  bethätigen:  so  erscheint  der  einsame  Mann  als  der  Träger 
nicht  bloss,  sondern  als  der  Mittelpunkt  eines  erstaunlich  reichen,  an  allem  Guten  und 
Schönen  voll  betheiligten  Geisteslebens,  das  weit  über  die  Grenzen  seiner  Fachwissenschaft 
hinaus  Anregung  fand  und  Anregung  gewährte.  Aber  das  eigentliche  Centrum  seines  Daseins 
bliel)  doch  die  unerschöpfliche  Fülle  und  lichte  Klarheit  des  hellenischen  Geisteslebens,  in 
dem  er  in  unvergleichlicher  Weise  heimisch  war.  Daneben  war  ihm  vor  Allem  eine  fast 
leidenschaftliche  Sachlichkeit  eigen,  die  allen  Schein  mit  Entrüstung  von  sich  wies  und  es 
als  unrechtmässige  Beeinträchtigung  empfand,  wenn  man  sie  hindern  wollte,  nach  der  Er- 
reichung des  letzten  und  höchsten  Zieles  zu  streben.  Deshalb  hatte  ihn  der  Gymnasial- 
unterricht auch  auf  den  obei-en  Klassen  so  wenig  befriedigt,  weil,  selbst  im  besten  Falle,  das 
Geleistete  weit  hinter  dem  Ideal  zurückblieb.  So  legte  er  18.54  das  Amt  als  Mitglied  der 
wissenschaftlichen  Prüfungscommission  nieder  voll  Unmuth  über  die  Prüfungsordnung,  die  nur 
bestimmt  zu  sein  schien  Mittelmässigkeiten  heranzuziehen.  Eine  weitere  Consequenz  davon 
war  sein  Verzicht  auch  auf  den  Antheil  an  der  Leitung  des  philologischen  Seminars:  es  war 
ihm  verleidet,  seit  das  Prüfungsreglement,  wie  er  erklärte,  die  Bildung  der  Schulamtscandidaten 
„nicht  mehr  auf  wissenschaftliches  Eindringen  und  wissenschaftliche  Erhebung,  sondern  auf 
normative  Einschulung  gestellt  habe",  so  dass  „der  Standpunkt  der  nunmehr  unter  einen 
sehr  wirksamen  Studieuzwang  gestellten  jungen  Männer  ein  ganz  anderer  geworden  sei 
als  früher." 

So  haben  in  jenen  Jahren,  wo  vielfach  ein  entmuthigeuder  geistiger  Stillstand  hei-rschte. 
Lobeck  und  Lehrs  in  den  nie  erschöpften  Schätzen  des  classischeu  und  zwar  namentlich  des 
griechischen  Alterthums  für  zahlreiche  begeisterte  Schüler  eine  Quelle  wahrhaft  befreiender 
Bildung  erschlossen,  deren  segensreiche  Einwirkung  damals  noch  nicht  auf  den  engge- 
schlossenen Kreis  der  eigentlichen  Pachgenossen  beschränkt  blieb.  Für  letztere  aber  sowie 
für  die  philologische  Wissenschaft  wurde  ihre  Thätigkeit  dadurch  wahrhaft  epochemachend, 
dass  sie  das  Studium  der   gi-iechischen  Sprache   und  Grammatik    in    der  Weise    der    antiken 


205 

Nationalgrammatiker  aufnahmen,  deren  einseitig  bedeutendster  Vertreter  Aristarcli  durch 
Lehrs  geradezu  entdeckt  und  zu  einer  Macht  auch  in  der  modernen  Philologie  gemacht  wurde.') 
Zu  welcher  Höhe  durch  diese  beiden  Männer  der  Ruf  der  Königsberger  Philologie  emporstieg, 
wie  sie  beide  mit  an  der  Spitze  der  ganzen  Wissenschaft  standen,  das  fand  die  unzwei- 
deutigste Anerkennung,  als  nach  dem  Tode  Gottfried  Hermanns  die  namentlich  von  Moritz 
Haupt  berathene  Leipziger  Facultät  dem  ersten  der  deutschen  Philologen  nachzufolgen  Nie- 
mand für  würdiger  hielt  als  die  beiden  Königsberger  Gelehrten:  nachdem  Lobeck  mit  Rück- 
sicht auf  sein  Alter  abgelehnt  hatte,  wurde  Lehrs  einstimmig  in  Vorschlag  gebracht,  hielt 
sich  aber  in  seiner  Bescheidenheit  und  seiner  Scheu  vor  den  seiner  wartenden  ganz  neuen 
Verhältnissen  nicht  für  berufen  eines  Gottfried  Hermann  Lehrstuhl  einzunehmen. 

Eine  stattliche  Reihe  von  tüchtigen  Philologen  ist  aus  der  Schule  Lobecks  und  Lehrs' 
hervorgegangen,  zum  Segen  namentlich  für  die  beträchtlich  vermehrten  Gymnasien  der  Pro- 
vinz. Aber  auch  die  Albertina  selbst  verdankt  ihr  bedeutenden  Nachwuchs.  Dahin  gehört 
von  den  Aelteren  Ludwig  Friedländer,'')  von  den  Jüngeren  Arthur  Ludwich  (geb. 
18.  Mai  1840  zu  Lyck,  1876  EO.  zu  Breslau),  der  seines  Lehrers  Lehrs  homerische  Studien 
weiterführte  und  nach  Lehrs'  Tod  (9.  Juni  1878)  sein  Nachfolger  wurde. 

Ueber  den  orientalischen  Sprachen,  deren  Studium  auf  der  Albertina  aus  be- 
greiflichen Gründen  mit  besonderen  Schwierigkeiten  zu  ringen  hat,  waltete  lange  Jahre  ein 
Unstern.  Der  geistvolle,  aber  unruhig  l)ewegliche  von  Lengerke^)  stürzte  sich  mit  Feuer- 
eifer in  die  politischen  und  kirchlichen  Kämpfe  und  gab  dadurch  nur  allzu  gerechten  An- 
stoss.  Namentlich  geschah  das  durch  ein  Gedicht  „der  Völkerfriede",  das  er  im  November 
1850  in  J.  Rupps  „Ostpreussischem  Volksboten"  veröffentlichte,  gegen  die  stehenden  Heere  und 
für  allgemeine  Entwaffnung  eifernd.  Viel  schlimmer  war  freilich  sein  dissolutes  Leben,  dui-ch 
das  er  schliesslich  die  Achtung  der  lange  Zeit  nachsichtigen  gebildeten  Kreise  verscherzte 
und  sein  Familienleben  sowohl  wie  seine  amtliche  Stellung  hoffnungslos  zerrüttete.  Daher 
brachte  auch  seine  eifrige  Agitation  für  die  freie  Gemeinde  dieser  keinen  Gewinn.  Es  war 
noch  nachsichtig  genug,  dass  man  ihn  im  Herbst  1851  mit  einem  Theile  seines  Gehalts  pen- 
sionirte.  So  lag  denn  die  Vertretung  der  orientalischen  Sprachen  eine  Zeit  lang  thatsächlich  aus- 
schliesslich bei  Nesselmann,*)  seit  1859  0.  Doch  wandten  sich  dessen  Studien  mehr  und  mehr 
dem  Altpreussischen  und  dem  Lithauischen  zu,  um  das  er  sich  durch  die  Sammlung  und  Bearbeitung 
der  lithauischen  Volkslieder  verdient  gemacht  hat.  Auch  Justus  Olshansen,^)  einer  der  ersten 
Orientalisten  unseres  Jahrhunderts,  der  1853  als  0.  und  Oberbibliothekar  berufen  wurde,  hat 
in  ersterer  Eigenschaft  nur  eine  sehr  beschränkte  Thätigkeit  entfalten  können,  und  auch  was  er 


1)  V.  Willamowitz-MöUendorf  bei  lif.xis  a.  a.  0.,  I.  S.  461. 

2)  Geb.  16.  Juli  1824,  in  Königsberg  und  Leipzig  gebildet,  l'l).  1847,  EU.  1856,  seit  1858  0.  und  Nach- 
folger Lobecks  al.s  os  academicum. 

:!)  Vgl.  S.  104.  149. 

4)  Vgl.  S.  134. 

5)  Geb.  0.  Mai  1800  zu  irohenfeldc  in  Holstein,  1816—19  in  Kiel  gebildet,  mit  dänischem  Staatsstipen- 
dium 1820—2.'!  Schüler  de  Sacys  und  Anquetil  du  Perrons,  1823  KO.,  1830  0.  in  Kiel,  1852  aus  politischen 
Gründen  entlassen. 


206 

in  dei-  zweiten  leisten  wollte,  wurde  vielfach  verhindert  oder  verkümmert  durch  die  Enge  und 
Knappheit  der  Verhältnisse.  Zu  Beginn  der  neuen  Aera  wurde  er  als  Decernent  in  Univer- 
sitätsangelegenheiten   in    das  Cultnsministerium  berufen  (gest.  28.  December  1882). 

Die  Vacanz  wurde  benutzt,  um  in  Verbindung  mit  dem  Amte  eines  Oberbibliothekars 
eine  Professur  für  alte  deutsche  Sprache  und  Litteratur  zu  errichten,  deren  Fehlen  längst 
als  eine  besonders  anstössige  Lücke  empfunden  war.  Denn  seit  der  EO.  Lucas,  der  zu- 
gleich Provinzialschulrath  und  Director  des  Kneiphöfischen  Gymnasiums  gewesen  war,  1849 
nach  Posen  versetzt  worden  war,  entbehrte  die  Albertina  thatsächlich  jede  Vertretung  der 
deutschen  Sprache.  Durch  Berufung  Julius  Zachers  (geb.  15.  Februar  181G  in  Obernigk  in 
Schlesien,  in  Halle  Bibliothekar  und  18.54  PD.,  1856  EO.)  wurde  dem  jetzt  endlich  abgeholfen. 

Von  den  Historikern  der  Albertina  Hess  sich  Drumann  mit  Schluss  des  W.S.  1855/56 
emeritiren;  er  starb  20.  Juli  1861.  Zum  Nachfolger  erhielt  er  den  Verfasser  der  „Geschichte 
der  deutschen  Kaiserzeit"',  Wilhelm  Giesebrecht  (geb.  .5.  März  1814,  Schüler  Eankes, 
bisher  Oberlehrer  am  Joachimsthaler  Gymnasium),  der  Ostern  1862  an  Stelle  H.  von  Sybels  nach 
München  ging.  Da  Voigt  und  Schubert,  ersterer  im  Abgeordnetenhause,  letzterer  als  Ver- 
treter der  Universität  im  Herrenhause  parlamentarisch  beschäftigt,  vielfach  fern  waren,  so  war 
ein  geordneter  Lehrgang  in  dem  geschichtlichen  Studium  kaum  möglich.  Voigt,  der  am 
13.  October  1859  sein  50jähriges  Jubiläum  feierte  und  danach  seine  Lehrthätigkeit  einstellte, 
starb  den  23.  September  1803.  Nachdem  die  Geschichte  das  S.S.  1862  sogar  einmal  ganz 
verwaist  gewesen  war,  begann  mit  Karl  Wilhelm  Nitzschs  (geb.  22.  December  1818  in 
Zerbst,  in  Kiel  PD.  1844,  EO.  1848,,  0.  1858)  1862  eine  bessere  Zeit.  Denn  von  den  jüngeren 
Männern,  die,  auf  der  Albertina  selbst  unter  Schubert,  Voigt  und  Drumann  als  Historiker  gebildet, 
ihr  Glück  in  der  akademischen  Thätigkeit  versuchten,  hat  keiner  die  gehofften  Erfolge  gehabt, 
Gervais  so  wenig  wie  Lobeck  II.*)  (PD.  seit  Herbst  1844),  Fischer  (seit  W.S.  1851 — 52,  er 
kehrte  zum  Schulfach  zurück)  und  von  Hasenkamp  (seit  W.S.  1853/54).  Max  Toppen  hat 
der  Albertina  nur  im  S.S.  1S47  als  PD.  angehört  und  ging  dann  ebenfalls  in  die  Schullaufbahn 
über,  die  ihm  ))ei  erstaunlicher  Arbeitskraft  doch  noch  die  ^Möglichkeit  Hess,  sich  um  die  Pflege 
namentlich  der  Geschichte  seiner  Heimathprovinz  die  grössten  Verdienste  zu  erwerben. 

Die  Kunstgeschichte  hatte  auch  in  dieser  Periode  in  Ernst  August  Hagen^)  einen 
unermüdlichen  Förderer,  der  auch  weitere,  ausserhalb  der  Universität  stehende  Kreise  mit 
dauernder  Theilnahme  dafür  zu  erfüllen  wusste  und  in  dieser  Hinsicht  der  Schöpfer  einer  sehr 
glücklich  w-irkenden  Tradition  wurde. 

Das  Fach  der  Nationalökonomie  blieb  in  Karl  Heinrich  Hagen's^)  Händen,  bis 
er  1850  in  Folge  eines  Schlaganfalls  seine  Thätigkeit  einstellen  musste.  Nachdem  er  längere 
Zeit  durch  den  Privatdocenten  Thomas  vertreten  worden  war,  wurde  mit  Beginn  des  W.S. 
1855  der  bisherige  PD.  zu  Berlin  Johann  Karl  Glaser  (geb.  9.  April  1814)  in  seine 
Stelle  berufen. 


1)  Vgl.  S.  178. 

2)  Vgl.  S.  132. 

3)  Vgl.  S.  HO. 


207 

In  der  Philosophie  beherrschte  Rosenkranz  nach  wie  vor  Alles.  Neben  ihm  stand  seit 
1841  als  EO.  Taute;  Gregor,  der  namentlich  die  Herbartsche  Thilosophie  vertrat,  Bobrick 
lind  Castell,  der  speciell  Pädagogik  lehrte,  kamen  zu  keiner  grösseren  "Wirksamkeit. 
Eine  bedeutende  Kraft  wurde  zur  Ergänzung  Rosenkranz'  erst  im  S.S.  1862  mit  der  Berufung 
von  Friedrich  Ueberweg  (geb.  22.  Januar  182(5  zu  Leichlingen  in  der  ßheinprovinz,  in 
Bonn  PD.  1852,  EO.  1862)  aus  Bonn  als  EO.  gewonnen. 


III.  Die  Hauptrichtungen  in  der  Entwickelung  der  Albertus -Universität  1862—94. 

1.  Die  allgemeinen  Verhältnisse  der  Albertus-Universität  während  des  letzten 
Menschenalters  1862— !»4. 

Ein  volles  Menschenalter  ist  seit  den  festlichen  Tagen  verflossen,  da  unter  ihres 
kronprinzlichen  Rector  maguificentissimus  Führung  Professoren,  Docenten  und  Studireude  der 
Albertina  in  das  neue  Haus  ihren  Einzug  hielten.  Noch  zählt  der  Lehrkörper  manches  Glied, 
das  in  gleicher  Eigenschaft  bereits  an  jener  Feier  theilnahm.  Daher  gehört,  was  in  diesen 
mehr  als  dreissig  Jahren  in  der  inneren  und  äusseren  Entwickelung  der  Universität  geschehen 
ist,  bereits  der  Geschichte  der  Gegenwart  an,  und  nicht  bloss  sachliche,  sondern  auch  per- 
sönliche Rücksichten  lassen  es  unthunlich  erscheinen,  davon  mit  der  Ausführlichkeit  Bericht  zu 
erstatten,  wie  das  bisher  im  Ganzen  möglich  gewesen  ist.  Vielmehr  kann  es  sich  nur 
darum  handeln,  von  den  Schicksalen  der  Albertina  im  Laufe  der  letzten  dreissig  Jahre 
eine  mehr  andeutende  als  ausführende  Skizze  zu  geben,  die  sich  damit  begnügt,  die  Hanpt- 
richtungen  zu  bezeichnen  und  die  Hauptergebnisse  kurz  zusammenzufassen. 

Wohl  sind  im  Laufe  dieser  dreissig  Jahre  die  Bedingungen,  von  denen  die  Wirksam- 
keit der  Universität  abhängt,  mannigfach  und  keineswegs  bloss  in  vortheilhafter  Weise  ge- 
wandelt worden.  Diese  Aenderungen  betrafen  einmal  die  Verhältnisse  des  Lehrkörpers  und 
die  Stellung  seiner  Mitglieder,  dann  aber  namentlich  die  Studirenden  und  den  Studienbetrieb, 
indem  nicht  bloss  die  Grenzen  für  die  Zulassung  zur  Universität  wesentlich  weiter  gezogen 
wurden,  sondern  sowohl  die  Vorbildung  dazu,  als  auch  ein  Tiieil  der  nach  Beendigung  des 
Studiums  abzulegenden  staatlichen  Prüfungen  nacli  neuen,  oft  der  Wissenschaft  fremden  Ge- 
sichtspunkten geordnet  wurden. 

Langwierige  Verhandlungen  veranlasste  die  Frage  nach  dem  stiftungsmässigen  evan- 
gelischen Charakter  der  Albertina.  Denn  die  Grundsätze,  welche  die  Conferenz  zur  Berathung 
einer  Reform  der  preussischen  Universitäten^)  im  Herbst  1849  formulirt  hatte,  waren  auch  ver- 
gessen, und  die  Thatsache,  dass  damals  entgegen  dem  Wortlaut  der  Statuten,  aber  im  Ein- 
klang mit  der  neuen  Gesetzgebung  der  jüdische  Prediger  Dr.  Saalschütz  nicht  bloss  1848 
als  PD.  zugelassen,  sondern  1853  sogar  zum  EO.  befördert  war,  entschied  nichts,  am  we- 
nigsten  für    diejenigen,    welche   an   dem    durch    ihre  Stiftung   bedingten    confessionellen  Cha- 


1)  Vgl.  S.  176 


rakter  der  Älbertina  streng  festhalten  zu  müssen  meinten.  Im  W.S.  1860/61  zeigte  ein  Specialfall 
die  Notliwendigiieit  einer  principi eilen  Entscheidung,  unter  dem  11.  December  1860  suchte 
die  mediciniscbe  Facultät  bei  dem  Curator  um  die  Erlaubuiss  nach,  den  Dr.  med.  Simon 
Samuel  (geb.  5.  October  1833  in  Glogau),  einen  Juden,  zur  Habilitation  zuzulassen,  unter 
Berufung  auf  den  Fall  des  Dr.  Saalschütz  und  den  Erlass  des  Ministers  von  Ladenberg  vom 
14.  Juli  1848,  der  die  Berechtigung  der  Juden  zu  allen  Lehrstellen  in  Preusseu  anerkannt 
hatte.  Dennoch  wurde  sie  unter  dem  23.  Januar  1861  abschlägig  beschieden,  weil  durch  die 
angeführte  Thatsache  der  §  105  der  Statuten,  der  nur  Evangelische  als  Docenten  an  der  Al- 
bertina zuliesse,  nicht  aufgehoben  sei.  Die  Facultät  ersuchte  nun  das  Generalconcil,  bei  dem 
Minister  zu  beantragen,  dass  er  für  den  in  dieser  Angelegenheit  gefassten  Generalconcils- 
beschluss  vom  31.  Januar  1848')  die  Allerhöchste  Bestätigung  auswirke.  Freilich  stellte  auch 
dieser  einen  nur  mühsam  zu  Stande  gebrachten  Oonipromiss  zwischen  den  weit  auseinander- 
gehenden Meinungen  in  dem  ordentlichen  Lehrkörper  dar.  Jetzt  aber  ging  das  Generalconcil 
viel  weiter,  indem  es  am  2.  Juli  1860  mit  16  gegen  1.5  Stimmen  die  Streichung  des  nur  evan- 
gelische Lehrer  zulassenden  Zusatzes  zu  §  10.5  zu  beantragen  beschloss.  Bei  diesem  Stimmen- 
verhältniss  wurden  in  dem  von  Rosenkranz  redigirten  Bericht  die  von  jeder  von  beiden 
Parteien  für  ihren  Stand])unkt  geltend  gemachten  Momente  ausführlich  dargelegt. 

Die  Minorität,  zu  der  Rosenkranz  selbst  gehörte,  ging  davon  aus,  dass  die  Albertina 
wesentlich  ein  l'roduct  der  Kirchenreformation  sei,  von  Herzog  Albrecht  mit  der  Al)sicht 
gestiftet,  der  protestantischen  Wissenschaft  einen  festen  Halt  in  dem  so  weit  von  den  deutschen 
Universitäten  entlegenen  Preussen  zu  gewähren.  Sie  sah  daher  in  ihr  ein  Vermächtniss  des 
Herzogs,  dessen  evangelischer  Charakter  bewahrt  werden  müsse,  und  leugnete  deshalb  nicht 
nur  das  Recht  zur  Aufhebung  desselben  durch  Zulassung  von  Juden  und  Katholiken,  sondern 
erklärte  die  späteren  Generationen  geradezu  für  verpflichtet  ihn  treu  festzuhalten.  Diese 
Treue  dürfe  die  gesammte  evangelische  Kirche  Preussens  nicht  nur  als  eine  schuldige  Pietät 
erwarten,  sondern  als  ein  ihr  zustehendes  Recht  fordern,  zumal  alle  der  Universität  zugewandten 
Stiftungen  bis  zur  Mitte  des  laufenden  Jahrhunderts  in  diesem  Sinne  gemacht  seien.  Weiter 
führte  die  Minorität  aus:  „Wir  erkennen  in  der  Freiheit  des  protestantischen  Geistes  das 
wahre  Lebensprincip  der  echten,  auf  rücksichtslose  Kritili  sich  gründenden  Wissenschaft  und 
verabscheuen  die  Knechtschaft,  zu  welcher  der  Römische  Katholicismus  dieMänner  der  Wissenschaft 
zwingt,  so  dass  sie  oft  ihr  besseres  Wissen  unterdrücken  müssen,  wollen  sie  nicht  als  Häretiker 
der  Segnungen  ihrer  Kirche  verlustig  gehen  und  Hass  und  Verfolgung  sich  zuziehen.  — 
Wir  glauben  nicht,  dass  wir  die  Juden  und  Katholiken  durch  das  Festhalten  des  fundamentalen 
evangelischen  Charakters  unserer  Universität  in  ihren  staatsbürgerlichen  Rechten  beeinträchtigen. 
Denn  die  Juden  können  auf  zwei  preussischen  Universitäten,  in  Breslau  und  Berlin,  Docenten 
wei-den,  was,  da  dies  grosse  und  zahlreich  besuchte  LTniversitäten  sind,  wohl  vollkommen  der 
Anzahl  der  Juden  im  Preussischen  Staate  proportionirt  ist.  Die  Katholiken  aber  können  nicht 
nur  in  Breslau,  Berlin,  Bonn  und  neuerdinge  auch  in  Greifswald  Docenten  werden,  sondern 
besitzen  auch  in  Münster  und  Braunsberg  zwei  ausschliesslich  confessionelle  Akademien.      Da 


1)  Vgl.  S.  165. 


nun  das  Verbältniss  der  katliolisclicn  und  der  iirotestantiscbeu  Bevölkerung  des  Preussiscben 
Staates  sich  inigefälir  wie  7  zu  11  verhält,  so  ist  es  wohl,  statistisch  genommen,  nicht  zu  viel, 
wenn  diese  11  Millionen  auch  zwei  Anstalten  beanspruchen,  die  grundsätzlich  Juden  und 
Katholiken  von  sich  ausschliesseu.  Um  so  weniger  ist  dies  zu  viel,  als  der  Preussische 
Staat  seine  ganze  Existenz  wesentlich  aus  dem  Protestantismus  geschöpft  hat  und  unserer 
Ueberzeugung  nach  auch  ferner  schöpfen  muss.  Er  ist  der  Hort  der  Protestanten  in 
Deutschland,  und  er  muss  eine  Universität,  in  welcher  der  evangelische  Geist  sich  ungetrübt 
und  unbeirrt  durch  fremdartige  Elemente  fortpflanzt,  als  ein  Kleinod  hochschätzen,  zumal  in 
einer  Zeit,  in  welcher  der  in  seinem  Mittelpunkt  bedrängte  Katholicisnuis  eine  um  so  grössere 
und  jesuitischere  Geschäftigkeit  entfaltet,  seine  centralen  Niederlagen  in  der  Ausdehnung  der 
Peripherie  zu  ersetzen.  Intoleranz  aber  würde  man  uns  nur  vorwerfen  können,  wenn  wir 
Andersgläubige  von  der  Benutzung  der  Universität  und  ihrer  Institute  ausschlössen.  Der 
Beschluss  des  Generalconcils  von  1848  kann  für  uns  nicht  bindend  sein,  denn  abgesehen  davon, 
dass  er  nur  ein  Gutachten  ist,  sind  zur  Zeit  eine  Menge  Mitglieder  in  das  Colleg  getreten, 
für  welche  jener  Beschluss  nicht  bindend  sein  kann.  Wir  unterscheiden  aber  an  unserer 
Universität  die  Eigenschaften  derselben  als  Corporation  von  ihrer  Bestimmung  als  Lehranstalt. 
Als  Corporation  soll  sie  unserer  Meinung  nach  von  evangelischem  Geiste  durchdrungen  sein, 
weil  sie  ihren  Ursprung  aus  demselben  genommen  und  weil  sie  die  Wahrheit,  Vernünftigkeit 
und  Freiheit  desselben  zum  Wohl  des  Staats  und  der  Kirche  in  immer  vollkommenerer  Weise 
durch  ihre  gesammte  Wirksamkeit  zu  realisiren  hat.  Als  Lehranstalt  betrachtet,  enthält  sie 
Elemente,  denen  der  Natur  der  Sache  nach  der  religiöse  Standpunkt  gleichgültig  ist.  Für 
die  Mathematik,  Naturwissenschaft,  Medicin,  Geographie,  Sprachforschung,  Alterthumskunde 
und  selbst  für  das  Römische  Recht  ist  die  confessionelle  Bestimmtheit  ohne  Einfluss.  Die 
Beschafienheit  des  Gegenstandes  lässt  sie  hier  als  indifferent  erscheinen,  wie  auch  das  Judengesetz 
von  1847  anerkannte.  Hier  verschliessen  wir  uns  nicht  der  Einsicht,  dass  es  Fälle  geben 
kann,  wo  es  wünschenswerth  sein  muss,  der  Universität  Organe  ohne  Rücksicht  auf  ihr 
religiöses  Bekenntniss  zu  gewinnen,  um  nicht  hinter  den  Forderungen  der  Zeit  an  die 
Wissenschaft  zurückzubleiben.  Zwar  hoffen  wir,  dass  der  Protestantismus  es  uns  nicht  an 
Männern  wird  fehlen  lassen,  welche  dem  Bedürfniss  der  Wissenschaft  genügend  entsprechen, 
allein  wir  wollen  jener  Möglichkeit  Rechnung  tragen,  dass  ein  Jude  oder  Katholik  oder 
Dissident  an  Tüchtigkeit  die  gleichzeitigen  Bewerber  soll  bei  weitem  überragen  können  und 
mithin  durch  seine  Nichtberufung  ein  Verlust  für  die  wissenschaftliche  Cultur  entstehen  würde. 
Da  nun  die  Universität  keine  Akademie  ist,  sondern  neben  Höhe  der  wissenschaftlichen 
Bildung  nicht  weniger  die  pädagogische  Anforderung  auf  ein  didaktisches  Talent  in  sich 
schliesst,  dieses  aber  nur  durch  zeitige  Gewöhnung  sich  ausbilden  kann,  so  müssten  allerdings 
nur  besonders  hoffnungsreiche  Privatdocenten  zugelassen  werden." 

„Die  Majorität,"  so  fährt  der  Bericht  dann  fort,  „stellte  sich  von  vornherein  auf  den 
Standpunkt  der  reinen  Wissenschaftlichkeit  und  hob  besonders  folgende  Bedenken  mit  Nach- 
druck hervor:  Die  Königsberger  Universität  ist  allerdings  als  eine  ursprünglich  protestantische 
anzusehen,  aber  sie  hat  nach  300  Jahren  aufgehört  ein  kirchliches  Gepräge  zu  haben,  wie  sie 
auch  niemals  ein  Institut  der  Kirche  gewesen  ist.     Sie    ist    eine    allgemeine  Staatsanstalt  für 

27 


210    • 

alle  preussischen  Bürger  aller  Stände  und  aller  Confessionen.  Sie  zählt  lutheriscbe,  refor- 
inirte  und  unirte  Bekenner  unter  ihren  Lehrern,  sie  nimmt  nicht  nur  protestantische, 
sondern  auch  jüdische  und  katholische  Studirende  in  sich  auf  und  promovirt  dieselben  zu 
üoctoren  mit  gleichen  Eechten.  Sie  hat  gegenwärtig  Stipendien  nicht  nur  für  evangelische, 
sondern  auch  für  jüdische  Studirende.  Sie  wird  nicht  aus  einem  für  einen  confessionellen 
Zweck  fundirten  Vermögen,  sondern  aus  allgemeinen  Staatsmitteln  unterhalten,  und  die  könig- 
lichen Stipendien  wurden  früher  ohne  Unterschied  an  protestantische  und  katholische  Stu- 
dirende verliehen,  selbst  unter  dem  Ministerium  Eichhorn,  bis  erst  das  Ministerium  Räumer 
die  Katholiken  ausschloss.  Der  erste  Paragraph  der  1843  neu  verliehenen  Statuten  stellt  die 
Königsberger  Universität  allen  anderen  Universitäten  des  Staates  ganz  gleich  und  bestimmt 
ihren  Zweck  lediglich  als  einen  wissenschaftlichen,  ohne  hierbei  im  Geringsten  eine  con- 
fessionelle  Schranke  zu  ziehen.  Hatte  die  Universität  in  früheren  Zeiten  im  Kampfe  des 
Protestantismus  mit  dem  Katholicismus  eine  confessionellere  Färbung,  so  ist  dieselbe  längst 
verwischt  und  thatsächlich  durchbrochen,  wie  dies  auch  in  der  Anstellung  des  Dr.  Saalschütz 
als  Professor  zum  Vorschein  gekommen.  Die  wahre  Pietät  gegen  den  Stifter  der  Universität, 
das  wahre  Handeln  im  evangelischen  Geist  besteht  unserer  üeberzeugung  nach  darin,  dass 
wir  die  Reformation  in  zeitgemässen  Reformen  fortsetzen  und  daher  Schranken  forträumen,  die 
ihre  Bedeutung  verloren  haben.  In  Oesterreich,  Sachsen,  Baden,  ja  auf  preussischen  Univer- 
sitäten selbst,  wie  Breslau  und  Berlin,  ist  der  Zutritt  zu  akademischen  Lehrämtern  allen 
Confessionen  eröflnet.  Man  hat  noch  nicht  erfahren,  welch  ein  Nachtheil  Berlin  daraus  ent- 
standen wäre,  dass  der  Physiologe  Müller,  ein  Katholik,  oder  der  Mediciner  Schönlein,  ein 
Katholik,  dort  lehrten  oder  der  Mediciner  Remak,  ein  Jude,  noch  jetzt  dort  lehrt.  Es  ist 
nicht  abzusehen,  weshalb  Königsberg  nicht  einer  gleichen  Universalität  fähig  sein  soll.  Die 
Nichtzulassung  von  Juden  und  Katholiken  zunj  akademischen  Lehramt  ist  eine  Anomalie  in 
einem  Staate,  in  welchem  die  Parität  der  Confessionen  staatsbürgerliches  Grundgesetz  ist  und 
die  Confession  weder  beim  Militär  noch  bei  der  politischen  Vertretung  berücksichtigt  wird. 
Die  Annahme,  als  ob  die  wahrhafte  Wissenschaftlichkeit  an  die  protestantische  Confession 
gebunden  sei,  müssen  wir  als  einen  Irrthum  abweisen,  der  weder  in  der  Sache  noch  in  der 
Geschichte  seine  Begründung  findet.  In  der  Sache  gilt  für  die  Wissenschaft  nur  sie  selber, 
geschichtlich  aber  könnte  man  auf  die  grossen  Männer  hinweisen,  die  als  Katholiken 
Meister  der  Wissenschaft  oder  als  Protestanten  Gegenstand  der  gehässigsten  Verfolgung  pro- 
testantischer Theologen  waren.  Copernicus  starb  als  Katholik,  und  Kep])ler  hatte  keine 
wüthenderen  Feinde  als  die  Tübinger  evangelischen  Theologen.  —  Wollen  wir  in  statistischer 
Beziehung  auch  die  Gerechtigkeit  in  den  von  der  Minorität  angeführten  Thatsachen  zugeben, 
so  müssen  wir  es  doch  der  Billigkeit  gemäss  nennen,  dass  Juden  und  Katholiken,  die  sich 
auf  der  hiesigen  Universität  bilden  und  denen  von  derselben  die  Rechte  und  Privilegien  von 
Doctoren  ertheilt  werden,  die  Aussicht  nicht  verschlossen  werde,  auch  hier,  wenn  sie  das 
Talent  und  die  Neigung  dazu  haben,  als  öffentliche  Lehrer  wirksam  zu  werden.  —  Die  Be- 
fürchtung, als  ob  durch  Intriguen  des  Katholicismus  der  evangelische  Geist  der  Universität 
vernichtet,  als  ob  sie  ein  Heerd  systematischer  Proselytenmacherei  werden  könnte,  welche 
nicht    nur    die  Freiheit  der  Wissenschaft,    sondern    auch    die    protestantische  Kirche    unserer 


211 

Provinz  zu  gefährdeu  vermöcbte,  theilen  wir  nicht  im  Geringsten.  Diese  Beängstigung  er- 
scheint uns  um  so  mehr  als  Gespensterseherei,  da  wir  der  Weisheit  der  obersten  Staatsbe- 
hörde und  dem  Tacte  der  Facultäteu  vertrauen,  bei  der  Besetzung  der  Lehrämter  die  eigen- 
thümlichen  Bedürfnisse  der  hiesigen  Stadt  und  Provinz  stets  angemessen  zu  berücksichtigen. 
Duldung  zeugt  Duldung,  und  wenn  es  auch  wahr  wäre,  dass  weder  Juden  noch  Katholiken 
ihrerseits  unsere  Gastlichkeit  vergelten  würden,  so  wird  doch  die  Freiheit,  die  wir  ihnen 
zeigen,  und  die  Achtung,  die  wir  der  Wissenschaft  um  ihrer  selbst  willen  zollen,  für  die 
Auctorität  und  die  Propaganda  des  Protestantismus  immer  mehr  wirken  als  eine  Abschliessung 
in  sich,  die  hinter  der  Humanität  unseres  Jahrhunderts  zurückbleibt.  Eine  Störung  unserer 
glücklichen  collegialischen  Verhältnisse  durch  parteiische  Zerspaltung,  welche  der  Gegensatz 
der  Confessionen  bei  uns  erzeugen  könnte,  müssen  wir  daher  als  ein  leeres  Schreckbild  be- 
zeichnen. Solche  Parteiung  pflegt  vou  den  Theologen  auszugehen.  Aus  allen  diesen  Gründen 
wünschen  wir,  dass  ein  hohes  Ministerium  den  Wegfall  des  Zusatzes  zu  §  105  unserer  Statuten, 
der  den  Zugang  zum  Lehramt  bei  unserer  Universität  von  der  evangelischen  Coufessiou  ab- 
hängig macht,  bei  Sr.  Majestät  gnädigst  beantragen  möge." 

Bei  dem  obwaltenden  Stimmenverhältniss  aber  hatte  natürlich  dieser  Antrag  der  Ma- 
jorität bei  dem  Ministerium  ebenso  wenig  Aussicht  auf  Annahme  wie  der  Vorschlag  der  Mi- 
norität, den  §  105  durch  einen  Zusatz  zu  ergänzen,  welcher  ein  Abweichen  vou  dem  sonst 
festzuhaltenden  confessionellen  Charakter  der  Albertina  wenigstens  für  gewisse  Ausnahmefälle 
ermöglichen  und  daher  lauten  sollte:  „Jedoch  kann  von  dieser  Regel  auf  motivirten  Antrag 
der  betreffenden  Facultät  im  Interesse  der  Wissenschaft  Umgang  genommen  werden."  So 
finden  wir  denn  bereits  zu  Beginn  des  Jahres  1862  das  Generalcoucil  von  Neuem  mit  dieser 
Frage  beschäftigt,  und  zwar  schlug  es  dabei  den  schon  früher  verfolgten  Weg  ein,  dass  es 
sich  über  diejenigen  Fächer  zu  verständigen  suchte,  die  ihrer  Natur  nach  irgend  einem  Ein- 
fluss  der  Confessiou  des  sie  vertretenden  Lehrers  nicht  ausgesetzt  sind.  Das  Ergebniss  dieser 
Verhandlungen  war  10.  Jamiar  1862  die  Annahme  folgender  vier  Sätze:  1.  In  Mathematik 
und  den  naturwissenschaftlichen  Fächern  und  der  Mediciu  kann  von  dem  confessionellen  Charakter 
der  Docenten  Abstand  genommen  werden  (mit  allen  25  Stimmen  angenommen);  2.  desgleichen 
in  der  Philologie  (22  gegen  3);  3.  überhaupt  in  allen  Lehrfächern,  bei  denen  nach  der  Natur 
ihres  Gegenstandes  der  religiöse  Standpunkt  des  Lehrers  ohne  Einfluss  ist  (24  gegen  1),  und 
endlich  4.  in  den  genannten  Fächern  können  Nichtprotestanten  als  ordentliche  und  ausser- 
ordentliche Professoren  angestellt  werden  (20  gegen  5). 

Doch  drang  man  auch  mit  diesem  Vorschlag  nicht  durch,  und  daher  suchte  die  me- 
dicinische  Facultät  Ende  des  W.S.  1865/60  wenigstens  für  ihren  engereu  Kreis  Abhülfe  zu 
schaffen,  indem  sie  erklärt  haben  wollte,  für  sie  dürfe  von  dem  religiösen  und  confessionellen 
Charakter  der  Docenten  Abstand  genommen  werden  und  sei  die  Anstellung  auch  von  Nicht- 
protestanten als  Professoren  zulässig;  doch  müssten  Prorector,  Decane,  Stipendien-  und  Frei- 
tischcurator  und  der  Professor  der  Eloquenz  evangelischer  Confession  sein.  Damit  wäre  aber 
innerhalb  der  Ordinarien  eine  Rechtsungleichheit  geschaflen,  unvereinbar  mit  dem  Grund- 
gedanken, auf  dem  die  Verfassung  der  Albertina  beruht.  Mit  Recht  sah  man  daher  davon  ab, 
als  Ende  1860  im  Princip  dahin  entschieden  wurde,  dass   auch  Nichtevangelische    als  Privat- 

27* 


212 

docenten  sollten  zugelassen  und  im  Bedarfsfalle  zu  Professoren  vorgeschlagen  werden  können. 
Mit  23  gegen  7  Stimmen  nahm  das  Generalconcil  den  in  einem  Erlass  vom  24.  December 
1866  gemachten  Vorschlag  an,  den  zweiten  Absatz  des  §  105  durch  die  Bestimmung  zu  er- 
setzen: -Auf  Antrag  der  juristischen,  medicinischen  und  philosophischen  Facultät  dürfen  auch 
Nichtevangelische  angestellt  werden,  können  auch  aller  Rechte  der  übrigen  Ordinarien  theil- 
haftig  werden,  sobald  sie  von  dem  Collegium  dazu  geeignet  befunden  und  gewählt  werden."') 
Von  viel  geringerer  Bedeutung  war,  was  sonst  in  dem  den  Lehrkörper  betreffenden 
Theil  der  Statuten  in  diesem  Zeitraum  geändert  wurde.  Als  einen  Conflict  zwischen  dem 
Geiste  und  dem  Buchstaben  der  Statuten  möchte  man  die  Schwierigkeiten  bezeichnen,  die 
1863/64  durch  die  Wahl  des  Physiologen  von  Wittich  zum  Prorector  entstanden.  In  seiner 
damaligen  Fassung  bestimmte  §  29  der  Statuten,  zum  Eector  wählbar  sei  „nur,  wer  schon 
einmal  das  Decanat  einer  Facultät  geführt  hat."  Nun  bekleidete  von  Wittich,  als  ihn 
1863  das  Vertrauen  seiner  Collegen  für  das  nächste  Studienjahr  an  die  Spitze  der  Albertina 
berief,  noch  das  medicinische  Decanat  für  das  Studienjahr  1862/63,  war  demnach  allerdings 
dem  strengen  Wortlaut  der  Statuten  gemäss  noch  nicht  Decan  gewesen,  sondern  noch  in  der 
Erfüllung  der  ihn  zum  Rectorat  befähigenden  Bedingung  begriffen.  Deshalb  wurde  seine 
Wahl  nicht  bestätigt.  Aber  bei  der  Neuwahl  vereinigte  sich  die  Mehrheit  der  Stimmen 
wiederum  auf  von  Wittich,  da  er  ja,  wenn  er  das  Rectorat  anzutreten  berufen  sein 
würde,  das  Decanat  eben  verwaltet  haben  würde.  Gleichzeitig  erbat  das  Generalconcil 
am  1.  April  1863  in  einer  Immediateingabe  die  Aufhebung  des  zu  so  unerwarteten 
Consequenzen  führenden  §  29.  Auch  an  den  Kronprinzen  wandte  es  sich,  damit  Er 
als  Rector  magnificentissimus  sich  dieser  Sache  annehme  und  den  von  dem  General- 
concil vertretenen  Standpunkt  an  maassgebender  Stelle  zur  Geltung  bringe.  Die  Antwort 
lautete,  wie  sie  nicht  anders  konnte,  ausweichend,  indem  sie  die  Hoffnung  des  Kronprinzen 
aussprach,  -dass  §  29  diejenige  Auslegung  erfahren  werde,  welche  das  Gedeihen  der  Albertus- 
Universität  am  besten  zu  fördern  geeignet  sei."  So  blieb  es  denn  bei  der  einmal  gefällten 
Entscheidung:  auch  die  zweite  Wahl  von  Wittichs  wurde  nicht  bestätigt,  und  daher  in 
einem  dritten  Wahlgange  für  das  Studienjahr  1863/64  Sanio  mit  dem  Purpur  bekleidet. 
Erst  1864/65  verwaltete  von  Wittich  das  Prorectorat.  Doch  hatte  dieser  Zwischenfall  ge- 
lehrt, zu  wie  unbilligen  Consequenzen  es  führte,  wenn  man  die  Fähigkeit  zur  Bekleidung  des 
durch  Wahl  des  Generalconcils  vergebenen  Prorectorata  abhängig  machte  von  der  vorange- 
gangenen Verwaltung  des  in  den  einzelnen  Facultäten  nach  Anciennetät  umlaufenden  Decanats. 
Die  von  dem  Generalconcil  deshalb  angeregte  Aenderung  des  §  29,  die  zur  nachträglichen 
Legalisirung  eines  thatsächlich  statutenwidrigen  Vorganges  füglich  nicht  hatte  bewilligt 
werden  können,  wurde  um  so  mehr  als  nothwendig  erkannt,  als  auch  die  darin  enthaltenen 
Bestimmungen  über  das  Wahlverfahren  selbst  veraltet  waren  und  an  einer  die  Geltend- 
machung der  wahi-en  Meinung  der  Wähler  beeinträchtigenden  Unklarheit  litten.  So  wurde 
eine  gründliche  Umarbeitung  desselben  in  Angi-iff  genommen,  welche  schliesslich  den  15.  Januar 
1873  zur  Annahme  einer  neuen  Fassung  führte,  die  nicht  bloss  die  Wählbarkeit  nun  von  der 


1)  C.  77.  It.  23.  Januar  ISO: 


213 

vorherigeu  Verwaltung  des  Decanats  unabhängig  maebto,  somlern  auch  den  Wahlmodus  klarer 
gestaltete  und  yereinfachte.  Im  April  18H4  durch  die  Königliche  Bestätigung  sanctionirt, 
ist  dieselbe  noch  gegenwärtig  in  Kraft.  Eine  weitere  Lösung  von  alterthümlichen  akade- 
mischen Formen  war  es,  dass  die  den  neu  eintretenden  Ordinarien  und  Extraordinarien  nach 
den  Statuten  ehemals  obliegenden  besonderen  Habilitationsleistungen,  für  welche  die  philoso- 
phische Facultät  schon  1870  den  Ersatz  der  lateinischen  Sprache  durch  die  deutsche  in 
Vorschlag    gebracht    hatte,  überhaupt  abgeschafl't  wurden. 

Tief  greifende  Wirkung  auf  das  gesammte  akademische  Studium  und  daher  auch  auf 
die  Stellung  der  Universitäten  einerseits  zu  der  Wissenschaft,  andererseits  zu  dem  geistigen  Leben 
überhaupt  bahnten  im  Laufe  dieses  letzten  Menschenalters  die  Aenderungen  an,  welche  in  Bezug 
auf  die  Vorbedingungen  für  die  Zulassung  zum  akademischen  Studium  eingetreten  sind,  mögen 
sie  auch  eben  erst  anfangen  sich  recht  zu  äussern.  Entsprechend  der  grundlegenden  Be- 
deutung, welche  das  Studium  des  classischen  Alterthums  seit  den  Zeiten  des  Humanismus  und 
der  Reformation  für  unser  gesammtes  geistiges  Leben  besessen,  hat  man  bis  in  das  nun  auf- 
gegangene „Zeitalter  der  Naturwissenschaft"  hinein  im  Einklänge  mit  dem  geschichtlichen 
Gange  unserer  Entwickelung,  die  im  Kleinen  und  gleichsam  concentrirt  in  sich  und  an  sich 
durchlebt  und  wiederholt  zu  haben  für  Jeden,  der  an  dem  geistigen  Fortschritt  der  Gegenwart 
mitarbeiten  will,  eine  eigentlich  selbstverständliche  Voraussetzung  ist,  den  Nachweis  einer 
gründlichen  humanistischen  Bildung  als  unentbehrliche  Bedingung  für  die  Zulassung  zum  aka- 
demischen Studium  festgehalten.  Neuerdings  sind  die  Ansichten  in  diesem  Punkt  gewandelt, 
freilich  weniger  in  Folge  eines  in  der  Sache  selbst  oder  in  den  gegenwärtig  gegebenen  Ver- 
hältnissen liegenden,  gleichsam  logischen  Zwanges,  als  vielmehr  unter  dem  Drucke  einer 
wohlorganisirteu  Agitation,  welche  keineswegs  bloss  wissenschaftliehen  oder  auch  nur  allge- 
meinen geistigen  Interessen  diente,  sondern  zum  guten  Theil  zunächst  den  wirthschaftlichen 
Bedürfnissen  weiterer  bürgerlicher  Kreise  entsprang  und  fördei'lich  werden  sollte.  In  dem 
dadurch  hervorgerufenen  Kampfe  ist  die  Sache  des  Humanismus,  welche  die  Strömung  der 
Zeit  gegen  sich  hat,  vorläufig  unterlegen,  indem  seit  1871  auch  Abiturienten  der  Real- 
gymnasien der  Zugang  zum  Studium  der  neueren  Sprachen,  der  Mathematik  und  der  Natur- 
wissenschaften erschlossen  ist.  Ob  und  inwiefern  die  Kreise,  denen  diese  Neuerung  zu  Gute 
kam,  dabei  den  gehofften  Gewinn  gemacht  haben,  ist  bisher  nicht  hinreichend  constatirt 
worden.  Auch  von  besonderen  Vortheilen  für  die  betreffenden  Fächer  ist  noch  nichts  bekannt 
geworden.  Unleugbar  dagegen  ist,  dass  im  Gegensatz  zu  früheren  Zeiten,  welche  in  dem 
classischen  Alterthum  die  vornehmste  Grundlage  aller  höhereu  Bildung  und  die  selbstver- 
ständliche Voraussetzung  wahrhaft  wissenschaftlichen  Lebens  verehrten,  die  Gegenwart  cha- 
rakterisirt  wird  durch  die  geflissentliche  Abwendung  von  den  humanistischen  Disciplinen. 
Muss  man  da  nicht  fürchten,  schliesslich  auch  diejenigen  akademischen  Fächer,  für  die  eine 
humanistische  Vorbildung  dermalen  noch  obligatorisch  ist,  von  dem  realistischen  Geiste 
unserer  Epoche  herabgedrückt  zu  sehen,  zumal  die  neuste  Reform  der  Gymnasien  mit  jener 
realistischen  und  antihumanistischen  Tendenz  das  Streben  verbindet  nach  möglichster  Er- 
leichterung der  Jugend  und  daher  möglichster  Beschränkung  des  Lehr-  und  Lernstoffes? 
Während    man    früher  darauf  ausging,    den  jugendlichen  Geist   auf  einzelne,   mit  gesteigertem 


214 

Nachdruck  getriebene  Gebiete  zu  concentrireu  und  durch  Vertiefung  für  wirklich  wissenschaft- 
liches Denken  vorzubereiten  und  zu  selbständigem,  auf  eigener  Prüfung  beruhendem  Urtheil 
anzuleiten,  herrscht  jetzt  vielmehr  eine  bequeme  encyklopädische  Richtung  vor,  die  nur  auf 
eine  übersichtliche  Orientirung  zum  Zweck  der  Gewinnung  eines  gewissen  Quantums  von  po- 
sitiven Kenntnissen  in  verschiedenen  Gebieten  ausgeht. 

Mag  man  diejenigen  der  Schwarzseherei  beschuldigen,  die  davon  schliesslich  eine  Ge- 
fährdung auch  des  wissenschaftlichen,  des  gelehrten  Charakters  befürchten,  der  den  Studien- 
betrieb auf  den  deutschen  Universitäten  bisher  auszeichnete:  eine  solche  Befürchtung  ist 
nur  allzu  begrÜEdet  angesichts  die  Wandelung,  die  unter  dem  Einfluss  dieser  Verhältnisse 
während  der  letzten  zwanzig  Jahre  namentlich  in  der  Stellung  der  philosophischen  Facultät 
eingetreten  ist.  Bekanntlich  war  diese  entsprechend  dem  Entwickelungsgange  des  wissen- 
schaftlichen Studiums  auf  den  Universitäten  ehemals  in  dem  Sinne  die  untere  Facultät.  dass 
sie  auch  den  Jüngern  der  drei  oberen  Facultäten  die  zu  erfolgreichem  Betriebe  ihrer  beson- 
deren Berufswissenschaft  Döthige  allgemeine  wissenschaftliche  Bildung  zu  geben  hatte.  So 
wurde  sie  das  Band,  das  die  Wissenschaften  zu  einer  höheren  geistigen  Einheit  zusammen- 
hielt: neuerdings  ist  sie,  namentlich  durch  die  jüngste  Entwickclung  unseres  höheren  Schul- 
wesens, aufgelöst  in  eine  Anzahl  unter  einander  nur  locker  verbundener  Fachschulen.  Indem 
man  aber  trotzdem  in  Erinnerung  au  die  ehemaligen  Verhältnisse  die  Fictiou  festhielt,  dass  sie 
durch  Gewährung  der  nöthigen  allgemeinen  Bildung  zu  dem  eigentlichen  Fachstudium  erst  vor- 
bereite, wurde  sie  obenein  zu  der  Stätte  gemacht,  wo  alle  diejenigen  untergebracht  werden, 
die  ohne  die  zum  Studium  uöthige  Vorbildung  eines  oder  das  andere  von  den  Specialinstituten 
besuchen,  die  man  entgegen  dem  Wesen  der  Universitäten,  wie  es  dem  Begriff  nach  begründet 
und  geschichtlich  entwickelt  ist,  aus  äusserlichen,  meist  finanziellen  Rücksichten  ihnen  affiliirt 
hat,  wie  z.  B.  Pharmaceuten,  Landwirthe  und  zuletzt  Zahnkünstler,  gegen  deren  Zuweisung 
die  anderen  Facultäten  ihre  Statuten  schützen.  Dass  diese  Einrichtung  der  philosophischen 
Facultät  als  solcher  oder  den  ihr  zugehörigen  Wissenschaften  zum  Vortheil  oder  auch  nur  in 
den  Augen  des  grossen  Publicums  zur  Empfehlung  gereiche,  wird  man  kaum  behaupten  wollen. 

Zudem  beeinflusst  nun  die  realistische  Geistesrichtung  unserer  Tage  immer  mehr  auch 
die  Art  des  akademischen  Lernens  und  hier  und  da  auch  bereits  die  des  akademischen 
Lehrens.  Wird  neuei'dings  auch  in  diesem  Gebiet  über  das  Schwinden  idealen  Sinnes  und 
das  immer  rücksichtslosere  Hervorkehren  des  blossen  Nützlichkeitsprincips  geklagt,  so  wird 
man  dafür  wenigstens  zum  Theil  den  Umstand  verantwortlich  machen,  dass  unter  den 
akademischen  Bürgern  gegen  früher  die  Zahl  derjenigen  beträchtlich  gewachsen  ist,  welche 
ohne  völlig  ausreichende  Vorbildung  und  daher  ohne  rechten  wissenschaftlichen  Trieb  gleich 
am  Beginn  ihres  Studiums  nur  bestimmte  praktische  Ziele  im  Auge  haben,  indem  sie  sich 
nicht  zum  Dienste  einer  Wissenschaft  bilden,  sondern  ein  gewisses  Gebiet  von  Kenntnissen 
und  Fertigkeiten  sich  zum  Zwecke  ihrer  praktischen  Verwerthung  aneignen  wollen.  Zusammen 
mit  ihrer  beschränkten  Vorbildung  nöthigt  die  Beschränktheit  des  von  diesen  Akademikern 
erfolgten  Studienzwecks  schliesslich  doch  auch  die  Vertreter  der  Disciplinen,  mit  denen  sie 
sich  zunächst  beschäftigen,  zu  einer  gewissen  Anpassung  an  den  Standpunkt  dieser  Zuhörer: 
statt  sich  ohne  Rücksicht    auf  die  praktische  Nutzbarmachung    der    von  ihnen  überlieferten 


215 

Kenntnisse  im  bürgerliclien  Leben  auf  der  Höbe  des  ansscbliesslich  ivissenscbaftlicben  Stand- 
punktes zu  halten,  werden  sie  je  länger  je  mehr  den  der  Wissenschaft  fremden  praktischen 
Interessen  ihrer  Zuhörer  Rechnung  tragen  und  darum  dann  das  Beste,  was  sie  haben  und 
könnep,  zurückhalten  müssen,  da  sie  statt  auf  wissenschaftliche  Vertiefung  auf  Routine  als 
Ziel  hinausstreben.  Wird  aber  eine  derartige  Accommodation  nicht  den  gelehrten  Charakter 
des  akademischen  Lehrens  herabdrücken  und  ein  allmähliches  Sinken  auch  des  wissenschaft- 
lichen Durchschnittsmaasses  unserer  Universitäten  zur  Folge  haben?  Schon  heute  erweisen  manche 
Erscheinungen  diese  Befürchtung  als  nur  zu  wohl  begründet.  Es  würde  uns  freuen,  wenn 
diese  Auffassung,  die,  wie  wir  wissen,  zwar  lange  nicht  alle,  aber  doch  sehr  viele  akademische 
Lehrer  theilen,  durch  den  ferneren  Gang  der  Entwickelung  widerlegt  würde.  Andernfalls 
wird  es  lang(^r  und  mühsamer  Arbeit  bedürfen,  um  die  Nachtheile  wieder  gut  zu  machen,  die 
sich  aus  den  Zugeständnissen  ergeben  haben  werden,  die  einer  zeitweilig  stark  angeschwollenen 
Strömung  der  nur  allzu  sehr  auf  das  Nivelliren  ausgehenden  öffentlichen  Meinung  neuerdings 
auf  Kosten  wahrer  Wissenschaftlichkeit  gemacht  worden  sind. 

Und  schon  pocht  in  unserer  raschlebigen  Zeit  mit  ihrem  Drange  nach  wirthschn  ftlicher  und 
gesellschaftlicher  Reform  eine  andere  Bewegung  an  die  Pforten  unserer  Universitäten  und  auch  der 
Albertina,  nicht  minder  agitatorisch  vertreten  und  nicht  minder  von  der  Gunst  weiter  Kreise 
getragen:  die  Bewegung,  welche  darauf  ausgeht,  auch  dem  weiblichen  Geschlecht  den  Weg  zu 
dem  akademischen  Studium  und  damit  zu  einer  ganzen  Reihe  von  wissenschaftlicher  Vorbildung 
bedürftigen  Stellungen,  privaten  sowohl  wie  öffentlichen,  zu  erschliessen.  Es  ist  hier  nicht  der 
Ort,  in  eine  Prüfung  der  dafür  geltend  gemachten  und  der  dawider  sprechenden  Gründe  ein- 
zutreten, zumal  die  Gesichtspunkte,  welche  dabei  in  Betracht  kommen,  sehr  verschiedene  sind, 
je  nachdem  es  sich  um  die  medicinische  Facultät  oder  um  die  in  der  philosophischen  ver- 
einigten Fächer  handelt.  Vielleicht' ist  es  der  einfachste  und  sicherste  Weg  zur  Lösung  der 
Controverse  im  Sinne  derjenigen,  welche  das  Frauenstudium  verwtn-fen  als  nicht  wohl  ver- 
einbar mit  unserer  deutschen  Sitte  und  Art  und  in  einem  unausgleichbaren  Widerspruch 
stehend  sowohl  mit  der  Natur  und  dem  Wesen  des  Weibes  als  auch  mit  der  Natur  und  dem 
Wesen  deutscher  Universitäten  und  der  dort  herrschenden  Weise  des  Lehrens  und  Lernens, 
wenn  man,  wie  dermalen  an  einer  Steile  unternommen  worden  ist,  einmal  die  Probe  darauf 
macht,  in  wie  weit  es  dem  weiblichen  Geschlecht  möglich  ist,  die  in  Betreff  der  Vorbildung 
für  die  Zulassung  zum  akademischen  Studium  geltenden  Bedingungen  zu  erfüllen:  die  Sache 
erledigt  sich  dadurch  möglicher  Weise  viel  einfacher  und  gleich  so  endgültig,  dass  man  die 
Lust  zu  weiteren  umständlichen  und  kostspieligen  —  nicht  bloss  finanziell  kostspieligen  — 
Experimenten  auf  diesem  Gebiet  vtn-lieren  wird.  Zudem  hat  bei  der  gegenwärtigen  Lage  der 
Gesetzgebung  die  ganze  Frage  ein  praktisches  Interesse  überhaupt  nicht  für  die  theologische 
und  die  juristische  Facultät.  Am  meisten  Vorkämpfer  findet  das  Fraueustudium  wohl  unter 
den  Medicinern,  obgleich  auch  da  die  Meinungen  sehr  getheilt  und  von  denen,  welche  die  Sache 
praktisch  zu  probiren  Gelegenheit  g(!habt  haben.  Viele  von  ihrer  anfänglichen  günstigen  Ansicht 
zurückgekommen  sind,  während  die  Meinungen  in  der  philosophischen  Facultät,  entsprechend 
ihrer  Zusammensetzung  aus  so  sehr  verschiedenartigen  und  daher  auch  so  verschiedene  An- 
sprüclie  (erhebenden  und  so  verschic^den  zu  beurtheilenden  Disciplin<en,  weit  auseinandergehen. 


216 

Dem  hat  clenn  bisher  auch  die  Haltung  des  Lehrkörpers  der  Älbertina  in  dieser  Sache 
entsprochen.  Die  erste  Anregung  zur  Discussiou  dieser  Frage  gab  im  S.S.  1871  ein  Antrag 
der  medicinischen  Paeultät  an  das  Generalconcil,  „es  möge  an  das  Ministerium  das  Ersuchen 
richten,  §  107,  Nr.  4  der  Universitätsstatuten  dahin  abzuändern,  dass  es  Personen  -weiblichen 
Geschlechts  unter  Zustimmung  des  Prorectors  und  des  betreffenden  Docenteu  erlaubt  sein 
solle,  Vorlesungen  der  medicinischen  Facultät  und  der  Hülfswissenscbaften  an  der  hiesigen 
Universität  zu  hören."  Das  Generalconcil  stimmte  demselben  auch  bei  und  begründete  ihn 
in  einer  ausführlichen  Denkschrift.  Von  dem  Minister  aber  erging  ein  kurz  ablehnender 
Bescheid,  motivirt  durch  die  Erklärung,  dass  er  ein  Bedürfniss  nach  weiblichen  Aerzten  niclit 
anerkennen  könne.  Seitdem  hat  die  Frage  des  Frauenstudiums  mehr  als  zwanzig  Jahre  geruht. 
Erst  im  März  1892  wurde  sie,  und  zwar  diesmal  von  Seiten  der  Regierung,  einer  neuen  Begut- 
achtung durch  den  Lehrkörper  unterbreitet,  indem  an  diesen  die  Frage  gerichtet  wurde,  ob  eine 
Aenderung  der  auf  den  preussischen  Universitäten  bisher  geltenden  Bestimmungen  angezeigt 
erscheine,  wonach  Frauen  weder  als  Studirende  noch  als  Gastzuhörerinnen  zugelassen  werden 
dürfen.  Für  die  theologische  und  die  juristische  Facultät  war  die  Frage  gegenstandslos;  von 
den  beiden  anderen  Facultäten  sprach  sich  die  medicinische  einstimmig,  die  philosophische  mit 
Stimmenmehrheit  für  eine  Aenderung  der  geltenden  Vorschriften  im  Sinne  der  Zulassung  der 
Frauen  zu  den  akademischen  Studien  aus,  welche  in  der  philosophischen  Facultät  eine  starke 
Minderheit  energisch  bekämpfte.  Und  in  dem  Sinne  dieser  letzteren  fiel  schliesslich  auch  die 
p]ntscheidung  des  Generalconcils  aus.  Ohne  auf  die  Frage  einzugehen,  ob  es  wünschenswerth 
uud,  wenn  das  der  Fall  sein  sollte,  ob  und  wie  es  möglich  ist,  den  Frauen  das  akademische 
Studium  zu  erschliessen,  erklärte  dieses,  dass  die  Zulassung  der  Frauen  mit  der  Geschichte 
und  der  Verfassung  sowie  mit  dem  Wesen  und  dem  Bei'uf  der  deutschen  Universitäten  nach 
seiner  Meinung  nicht  vereinbar  sei.  Auf  wie  lange  diese  Angelegenheit  damit  erledigt  sein 
und  wie  bald  und  in  welcher  Gestalt  und  mit  welchen  Mitteln  sie  von  Neuem  an  die 
Universitäten  gebracht  werden  wird,  muss  vorläufig  dahingestellt  bleiben. 

In  der  äusseren  rechtlichen  Stellung  der  Studirenden  endlich  hat  sich  eine  wesent- 
liche Aenderung  vollzogen  mit  der  durch  die  Einführung  der  Reichsjustizgesetze  gegebenen 
Aufhebung  der  akademischen  Gerichtsbarkeit  —  ein  längst  als  nothwendig  erkanntes  Opfer 
an  die  moderne  staatliche  Ordnung.  Von  den  verhängnissvollen  Folgen  aber,  die  mancher  be- 
geisterte Lobredner  der  alten  Einrichtungen  davon  erwartete,  ist  thatsächlich  nicht  eine  einzige 
eingetreten,  da  die  neue  Gesetzgebung  der  eigenthümlichen  Stellung  der  Universitäten  und  der 
Studirenden  umsichtig  und  wohlwollend  Rechnung  getragen  und  den  für  die  Corporation  noth- 
wendigsten  Theil  der  einstigen  akademischen  Gerichtsbarkeit  in  der  disciplinaren  Autorität  des 
Senats  erhalten  hat.  Im  Gegensatz  zu  gelegentlich  laut  gewordenen  radicaleren  Forderungen 
halten  Avir  deren  dauernde  Erhaltung  für  unerlässlich,  wenn  den  Universitäten  und  auf  ihnen 
der  Studentenschaft  ihre  durch  ihre  Geschichte  bedingte  corporative  Eigenart  und  in  ihr  eine 
der   wesentlichsten  Bedingungen  ihres  Gedeihens   auch    für    die  Zukunft  bewahrt  bleiben  soll. 

Nun  wird  sich  aber  auch  nicht  in  Abrede  stellen  lassen,  dass  rücksichtlich  der  allge- 
meinen geistigen  Bedingungen,  die  auf  das  akademische  Studium  bestimmend  einwirken, 
mancher  Wandel  eingetreten  ist.     In  erster  Linie  kommt  dabei  die  Schnelligkeit  und  Inhalts- 


217 

fülle  des  modernen  Lebens  in  Bet.radit,  die  im  Vergleich  mit  dem  vor  einem  lialhen  Jalir- 
hundert  Ueblicben  oder  Möglichen  eine  gewaltige  Steigerung  erfahren  hat.  In  Folge  der- 
selben wird  die  Jugend  derjenigen  Kreise,  aus  denen  sich  die  Studireuden  der  Universitäten 
dermalen  vorzugsweise  recrutiren,  oft  allzu  zeitig  von  einer  solchen  Fülle  der  Eindrücke  ge- 
troffen und  gleichsam  auseinandergerissen,  dass  sie  nicht  bloss  die  Fähigkeit  zu  rechter  Con- 
ceutration,  sondern  auch  die  Empfänglichkeit  für  das  Natürliche,  Einfache  und  daher  nur 
durch  seine  innere  Harmonie  Wirkende  einbüsst  oder  doch  gemindert  sieht.  Anregungen 
und  Genüsse  geistiger  Art,  denen  die  jüngeren  Studirenden  ehemals  um  so  freudiger  sich 
hingaben,  je  mehr  ihnen  dadurch  gleichsam  eine  neue  Welt  erschlossen  wurde,  machen  heute 
kaum  noch  besonderu  Eindruck:  denn  die  üppig  ins  Kraut  geschossene  publicistische  und 
journalistische  Litteratur,  die  zudem  der  Zeitströmung  schmeichelt  und  mit  starken,  daher 
bald  übersättigenden  und  abstumpfenden  Effecten  arbeitet,  treibt  nicht  selten  schon  das  heran- 
wachsende Geschlecht  einer  gewissen  Blasirtheit  in  die  Arme.  Das  ist  zunächst  freilich  nur 
eine  natürliche  Wirkung  der  gesteigerten  Oeffentlichkeit,  Schnelligkeit  und  Ueberreizung  des 
modernen  Lebens:  das  Bedenkliche  aber  liegt  in  der  zunehmenden  Verallgemeinerung  der 
hier  entspringenden  Erscheinungen.  Betrachten  doch  immer  weitere  Kreise  diesen  Zustand 
als  den  normalen,  als  wünschenswerth  und  preisen  ihn  wohl  gar  als  einen  Fortschritt  gegen- 
über den  einfacheren  und  natürlicheren,  gesunderen  und  stetigeren  Verhältnissen  des  geistigen 
und  sittlichen  Lebens  früherer  Zeit.  Ist  nicht  gerade  hier  der  Ursprung  zu  suchen  für  die 
meisten  von  den  Erscheinungen,  die  heutzutage  so  oft  die  Klage  laut  werden  lassen,  unsere 
akademische  Jugend  entbehre  des  idealen  Sinnes?  In  etwas  hat  dazu  freilich  auch  die  Ent- 
wickelung  beigetragen,  welche  die  Mehrzahl  der  auf  den  Universitäten  gepflogenen  Wissen- 
schaften während  des  letzten  Menschcnalters  dui-chgemacht  hat. 

Im  Allgemeinen  wird  die  Entwickelung  der  Wissenschaften  in  den  letzten  Jahrzehnten 
gekennzeichnet  durch  die  fortschreitende  Specialisirung.  Ist  es  doch  in  manchen  Disciplinen 
für  den  Einzelnen  überhaupt  kaum  noch  möglich,  das  Gesammtgebiet  mit  Sicherheit  zu 
übersehen.  Daher  ist  denn  auch  das  Bewusstsein  von  der  Zusammengehörigkeit  grosser  Fach- 
gruppen, das  ehemals  auf  den  Universitäten  festgehalten  wurde  und  die  Art  des  geistigen 
Lebens  ihrer  Glieder  bestimmte,  immer  mehr  geschwächt  worden  und  droht  jeder  neuen  Gene- 
ration von  Lehrenden  und  Lernenden  noch  mehr  verloren  zu  gehen.  So  hat  sich  jene 
schöne  Gemeinschaft  der  allgemeinen  geistigen  Interessen,  die  ehemals  einen  hervorstechenden 
Zug  ausmachte  in  dem  Wesen  der  universitas  litterarum,  deren  Glieder  alle  in  demselben 
idealen  Sinne  der  Wissenschaft  lebten,  fast  ganz  verflüchtigt.  Wie  hätte  die  Albertina 
diesem  allgemeinen  Zug  nicht  folgen  sollen  ?  Auch  hier  hat  die  fortschreitende  Specialisirung 
der  Wissenschaften  den  Umfang  des  Gebietes  je  länger  je  mehr  gemindert,  auf  dem  sich  alle 
Glieder  des  Lehrkörpers  noch  eins  fühlen,  in  unmittelbaren  Austausch  treten  und  wirklich 
gemeinsam  auf  dasselbe  Ziel  hinarbeiten  können.  In  höherem  Grade  noch  macht  sich  das 
natürlich  in  dem  weniger  geschlossenen  und  daher  noch  mehr  auseinanderstrebeudeu  Kreise 
der  Studirenden  bemerkbar.  Sie  haben  kaum  noch  das  Bewusstsein  der  Zugehörigkeit  zu 
einem  grossen  Ganzen.  Darunter  leidet  ihr  Gemeinsiun,  und  damit  schwindet  Neigung  und  Fähig- 
keit sich  der  Allgemeinheit  unterzuordnen    und  gegen   ihre    Interessen    die  eigenen  zurückzu- 

2Ö 


218 

stellen.  Daher  schon  die  äusserliche  Zersplitterung  der  Studentenschaft,  welche,  durch  kein 
dauernd  wirkendes,  grosses  und  allgemeines  Interesse  zusammengehalten,  sich  nach  allen 
möglichen  Gesichtspunkten  zu  den  verschiedensten  Verbänden  und  Verbäudchen  zusammen- 
thut.  Diese  aber  gewinnen  doch  nicht  dadurch  an  Berechtigung  oder  Verdienstlichkeit, 
dass  sie  wohl  gar  dem  akademischen  Leben  fremde  sociale,  politische  und  wirthschaftliche 
Momente  aus  den  die  Gegenwart  erfüllenden  Kämpfen  zu  ihrer  Losung  machen. 

Hier,  in  den  Kreisen  der  Lernenden,  fehlt  noch  das  Gegengewicht,  das  zu  der  centri- 
fugaleu  Tendenz,  die  mit  der  Specialisü-ung  der  Wissenschaften  zur  llerrschaft  gekommen  ist, 
für  den  ordentlichen  Lehrkörper  die  gemeinsame  Thätigkeit  innerhalb  der  Facultäten  und 
dann  in  der  Verwaltung  der  allgemeinen  Universitätsangelegenheiten  überall  da  bildet,  wo 
wie  hier  die  Conciliarverfassung  gilt.  In  dieser  Hinsicht  darf  die  Albertina  die  Statuten  von 
1843  noch  heute  dankbar  als  eine  Quelle  reichen  Segens  rühmen.  Wie  diese  Einrichtung 
zuerst  in  einer  Zeit  (1811)  getroifen  ist,  wo  es  galt,  den  Gemeingeist  neu  zu  beleben  und 
auch  denen  gewissermassen  aufzunöthigen,  welche  sich  ihm  in  gelehrter  Abgeschlossenheit 
und  um  in  ihrer  wissenschaftlichen  Thätigkeit  nicht  durch  profane  Dinge  gestört  zu  werden, 
geflissentlich  versagten,')  so  hat  sie  sich  auch  bis  auf  den  heutigen  Tag  bewährt  als  ein 
ebenso  einfaches  wie  wirksames  Mittel,  um  die  Interessen  einzelner  Fachgruppen  oder  auch 
einzelner  Fächer  auf  dem  Boden  und  zum  Besten  des  allgemeinen  Universitätsinteresses  zu 
versöhnen.  Sie  hat  dadurch  das  Bewusstsein  der  Zusammengehörigkeit  in  lebendiger  Arbeits- 
gemeinschaft wach  erhalten,  gestärkt  und  zu  immer  neuer  Bethätigung  veranlasst,  so  dass  an 
der  Albertina  wenigstens  im  Kreise  der  Lehrenden  der  Begi-ifl"  der  universitas  litterarum  in 
seinem  alten  guten  Sinne  noch  nicht  ganz   verloren  gegangen  ist. 

2.  Vervielfältigung  und  Vervollkommnung  der  akademischen  Lehrmittel 
während  der  letzten  dreissig  Jahre. 
In  keiner  Zeit  sonst  hat  die  Wissenschaft  so  rasche  und  auch  für  das  praktische 
Leben  so  bedeutsame  Fortschritte  gemacht,  wie  während  der  letzten  dreissig  Jahre.  Besonders 
freilich  gilt  das  von  den  Naturwissenschaften  und  demnächst  von  der  Heilkunde.  Die  Ver- 
vollkommnung der  Beobachtungsmethoden  und  der  Beobachtungsmittel  hat  in  Bezug  auf  das 
Experiment  als  den  vornehmsten  Träger  sowohl  der  Forschung  als  auch  der  Lehre  eine  Stei- 
gerung der  Ansprüche  an  das  regelmässig  zu  Leistende  bewirkt,  die  weit  über  das  hinaus- 
geht, was  in  dieser  Hinsicht  ehemals  von  den  Universitäten,  auch  den  besteingerichteten, 
irgend  gefordert  wurde.  Mit  Recht  wies  bereits  am  Ende  des  Studienjahrs  1862/63  Rosen- 
kranz in  dem  Bericht,  den  er  bei  Niederlegung  seines  Rectorats  über  die  Entwickelung  der 
Albertina  während  desselben  ei-stattete,  auf  den  folgenreichen  Wandel  hin,  der  sich  in  dieser 
Hinsicht  eben  damals  vorbereitete.  „Charakteristisch  füTr  die  modernen  Universitäten,"  so 
sagte  er,  auch  in  diesen  Dingen  ein  scharfblickender  Beobachter,  „selbst  im  Vergleich  noch 
mit  denen  des  vorigen  Jahrhunderts,  ist  die  Wichtigkeit  der  Institute,  die  gleichsam  zu 
lebendigen  Organen  der  Wissenschaft  geworden  sind,"  und  dankbar  pries  er  die  Freigebigkeit 

1)  Vgl.  S.  35. 


219 

der  Regierung,  die  gerade  dieser  neuen  Seite  des  akademischen  ünterriclits  Itesondere  Sorg- 
falt zuwandte,  indem  sie  zur  Erweiterung  der  Sternwarte  500  Thaler,  für  das  Moser  unter- 
stellte physikalische  Cabinet  642  Thaler  und  für  den  Bau  eines  Wasserpflanzenhauses  im  Botani- 
schen Garten  3600  Thaler  bewilligt,  ausserdem  aber  für  den  Bau  eines  pathologischen  Insti- 
tuts, das  einstweilen  in  einigen  Zimmern  der  Anatomie  untergebracht  war,  24  550  Thaler  und  für 
die  bei  der  Berufung  Wagners  zugesagte  neue  chirurgische  Klinik  gar  eine  Summe  von 
65  000  Thalern  ausgeworfen  hatte,  während  der  gesammte  Etat  der  Universität  für  1861  bereits 
auf  die  Höhe  von  84422  Thalern  gestiegen  war.^)  Und  auf  dem  damals  betretenen  Wege  ist 
die  Staatsregierung  während  der  nächsten  dreissig  Jahre  consequent  weiter  gegangen,  insbe- 
sonderehaben die  finanziell  günstigen  Zeiten,  die  dem  Kriege  von  1870/71  folgten,  der  Albertina 
eine  Ausstattung  mit  naturwissenschaftlichen  und  medicinischen  Instituten  gewährt, 
wie  sie  ehemals  auch  den  kühnsten  Wünschen  unerreichbar  erschienen  sein  würde.  Preilicli 
hat  die  rasch  fortschreitende  Vervollkommnung  der  meisten  hierher  gehörigen  Einrichtungen 
auch  eine  unausgesetzte  Steigerung  der  Ansprüche  zur  Folge,  welche  die  Wissenschaft,  soll 
sie  ihren  Aufgaben  völlig  gerecht  werden,  an  ihre  Ausrüstung  stellen  muss.  Aber  so  bedeu- 
tende Wünsche  für  die  Zukunft  noch  zu  erfüllen  bleiben  mögen:  —was  in  dieser  Hinsicht  in 
dem  letzten  Menschenalter  geleistet  ist,  das  zu  veranschaulichen  genügt  eine  Gegenüber- 
stellung dessen,  was  1862  an  Instituten  vorhanden  war,  mit  dem  gegenwärtigen  Bestände. 

An  naturwissenschaftlichen  Instituten  gehörten  zur  Albertus-Universität  1862 
neben  der  Sternwarte,  dem  Botanischen  Garten  und  dem  Zoologischen  Museum, 
ihrem  ältesten  Besitz  der  Art,  nur  noch  ein  chemisches  Laboratorium,  die  ursprünglich 
mit  dem  Mineraliencabinet  verbundene  Sammlung  physikalischer  Instrumente  und 
eine  dem  ersteren  afüliirte  Direction  der  pharmaceutischeu  Studien.  Von  diesen  ist 
der  Botanische  Garten  durch  den  Neubau  eines  stattlichen  Hauses  mit  der  Wohnung  des 
Directors,  den  Räumen  für  die  Sammlungen,  Auditorien  und  Arbeitszimmern  und  dann  durch 
die  noch  gegenwärtig  im  Gange  befindliche  Umwandlung  des  Gartens  selbst  sowie  eines  grossen 
Theils  der  Gewächshäuser  eigentlich  zu  einer  ganz  neuen  Anstalt  gemacht  worden.  Im  Zoo- 
logischen Museum  hat  ein  durchgreifender  Um-  und  Erweiterungsbau  durch  Aufsetzung 
zweier  Stockwerke  nicht  bloss  neue  Wohn-,  Unterrichts-  und  Arbeitsräume  geschaflen,  sondern 
auch  die  Möglichkeit,  die  reiche  und  kostbare  Sammlung  in  würdiger  Weise  aufzustellen  und 
erst  recht  nutzbar  zu  machen.  Die  Sternwarte,  mehrfach  durch  Reparaturbauten  theil weise 
erneut,  erhält  zur  Zeit  durch  den  Bau  einer  neuen  drehbaren  Kuppel,  in  der  ein  neues 
Teleskop  aufgestellt  werden  soll,  eine  Ausstattung,  die  sie  vollends  befähigen  wird  die  Tra- 
ditionen der  grossen  Besselschen  Zeit  mit  Erfolg  zu  pflegen.  Auch  das  chemische  Labo- 
ratorium hat  seine  frühere  bescheidene  Stätte  mit  einem  1888  bezogenen  Neubau  vertauscht, 
der  im  oberen  Geschoss  die  Amtswohnung  des  Directors,  im  unteren  Amts-  und  Bibliothek- 
zimmer, Auditorien  und  Laboratorien  enthält  und  einer  Menge  Laboranten  Platz  bietet, 
ausgestattet  mit  Allem,  was  die  moderne  Technik  auf  diesem  Gebiete  geschalTen  hat.  Das 
nun    verfügbare    ältere    chemische  Laboratorium    am  Botnnischeu  Garten   hat  seitdem  das  zu 


1)  Kosenkianz. 


voller  Selbständigkeit  eutwickelte  pbarmaceutiscb-chemiscbe  Institut  aufgenommen,  das 
bis  dahin  in  den  unwirthlichen  Räumen  des  einstigen  Biscliofshofes  am  Dom  untergebracht  ge- 
wesen war.  Aus  dem  ehemaligen  Mineraliencabinet  und  der  physikalischen  Instru- 
mentensammlung, von  denen  das  erstere  bis  1892  die  eine  Hälfte  des  oberen  Stockwerks 
des  neuen  Universitätsgebäudes  einnahm,  sind  im  Laufe  der  Zeit  drei  gi-osse  selbständige 
Institute  herangewachsen:  das  physikalische  Cabinet,  welches  den  Zwecken  der  Expeiü- 
meutalphysik  dient,  und  das  mathematisch-physikalische  Lal)oratorium,  welches,  eine 
Reihe  von  Jahren  in  Miethsräumen  untergebracht,  nunmehr  mit  dem  ersteren  in  einem 
stattlichen  Neubau  (Steindamm  6)  vereinigt  ist.  Endlich  hat  1891  auch  das  mineralogisch- 
geologische Institut  ein  geräumiges  eigenes  Haus  erhalten,  eine  Aenderung,  welche  insofern 
auch  den  Geisteswissenschaften  zu  Gute  gekommen  ist,  als  die  nunmehr  in  dem  oberen  Stock- 
werk des  Universitätsgebäudes  frei  gewordeneu  Räume  zusammen  mit  der  ehemals  von  dem 
Universitätssecretär  innegehabten  Wohnung  zur  Herrichtung  der  lauge  ersehnten  Arbeits- 
und Bibliothekzimmer  für  die  Seminare  verwendet  werden  konnten. 

Auch  deren  Zahl  bat  sich  gegen  1862  vermehrt.  Pas  aus  drei  Abtheilungen  bestehende 
theologische  Seminar  ist  mit  dem  früher  davon  gesonderten  homiletischen  vereinigt  und 
enthält  demnach  im  Ganzen  vier  Abtheilungen,  für  Exegese  und  Kritik  des  Alten  Testaments, 
des  Neuen  Testaments,  für  Kirchengeschicbte  und  praktische  Theologie,  wozu  dann  als  fünfte 
eine  dogmatische  Abtheilung  hinzugekommen  ist.  Das  juristische  Seminar,  als  dessen  Di- 
rectoren  sämmtlicbe  Ordinarien  für  ihre  besonderen  Fächer  fungiren,  hat  demgemäss  mit  der 
Errichtung  eines  dritten  Ordinariats  für  römisches  Recht  eine  Erweiterung  erfahren.  Dem 
zweigetheilten  philologischen  Seminar  wuchs  durch  die  Errichtung  eines  Proseminars 
ein  Unterbau  zu.  Im  historischen  Seminar,  der  Gründung  Schuberts  und  lange  Jahre  von 
ihm  allein  geleitet,')  wurde  durch  die  Uebertragung  der  Mitdirection  an  K.  W.  Nitzsch  eine 
sacbgemässe  Tbeilung  angebahnt,  die  weiterhin  im  Einklang  mit  den  ordentlichen  Fachpro- 
fessuren zu  der  Scheidung  einer  Abtheilung  für  alte  Geschichte  von  einer  solchen  für 
mittlere  und  neuere  Geschichte  führte.  Unverändert  blieb,  abgesehen  natürlich  von  der 
besseren  und  zum  Theil  glänzenden  Ausrüstung  mit  Lehrmitteln  und  Apparaten  in  Folge  der 
Errichtung  des  neuen  physikalischen  Instituts,  das  mathematisch-physikalische  Seminar. 
Die  sprachlichen  Studien  wurden  durch  Gründung  eines  romanisch-englischen  und  eines 
deutschen  Seminars  gefördert. 

Als  ein  äusserer  Zuwachs  zu  der  philosophischen  Facultät  ist  endlich  noch  das  mit 
einer  Thierklinik  verbundene  landwirthschaftliche  Institut  anzuführen,  das  als  Fort- 
setzung und  Ersatz  der  ehemals  in  Waldau  bestandenen  landwirthschaftlichen  Akademie  er- 
richtet ist.  Zu  ihm  gehört  nicht  bloss  ein  besonderes  agriculturchemisches,  sondern  auch 
ein  landwirthschaftlich-physiologisches  Laboratorium,  zu  denen  in  neuerer  Zeit  noch 
ein  eigenes  milchwirthschaftliches  Laboratorium  gekommen  ist.  Nimmt  man  endlich 
hinzu,  dass  aus  der  ehemaligen  bescheidenen  Gypsabgüsse-  und  Kunstsammlung  eine 
besondere    archäologische   Sammlung  und    das    von  August  Hagen    angelegte    und    im 


1)  Vgl.  S.  138. 


221 

Laufe  der  Jalire  zu  hoher  Bedeutung  erwachseue  Kupferstichealiinet,  das  noch  heute 
weit  hinaus  über  den  Kreis  der  Studirenden  als  ein  höchst  anregendes  und  viel  benutztes 
ßildnngsmittel  zur  Erweckung  kunsthistorischer  Interessen  einwirkt,  hervorgegangen  sind  und 
dass  neben  dem  Münzoabinet  eine  beträchtliche  geographische  Sammlung  und  eine  be- 
sondere staatswissenschaftliche  Bibliothek  entstanden  sind,  so  ergiebt  sich  für  die  den 
allgemeinen  und  besonderen  Unterrichtszwecken  der  philosophischen  Facultät  dienenden  Institute 
gegenwärtig  eine  Gesammtzahl  von  21  gegen  10  im  Jahre  1862:  es  ist  also  hier  mehr  als 
eine  Verdoppelung  eingetreten. 

Noch  beträchtlicher  ist  auf  diesem  Gebiete  der  Zuwachs  der  medicinischen 
Facultät.  Zu  der  1850  erbauten  anatomischen  Anstalt  und  dem  physiologischen 
Laboratorium,  von  denen  erstere  durch  einen  gründlichen  Neubau  ihres  Hauses  1887  den 
mit  der  Zahl  der  Medicin  Studirenden  gegen  früher  bedeutend  gestiegenen  Ansprüchen  an- 
gepasst,  letzteres  in  einem  stattlichen  Neubau  würdig  untergebracht  ist,  ist  zunächst  eine  be- 
sondere pathologisch-anatomische  Anstalt  und  dann  ein  Laboratorium  für  medi- 
cinische  Chemie  und  experimentelle  Pharmakologie  gekommen,  die  zusammen  in 
einem  1888  aufgerührten  geräumigen  Gebäude  Unterkommen  gefunden  haben.  Von  den  1862 
bereits  bestandenen  Kliniken  hat  die  medicinische  in  dem  durch  An-  und  Ausbauten 
wesentlich  vergrösserten  Gebäude,  das  ehemals  der  chirurgischen  Klinik  und  Poliklinik  zuge- 
wiesen war,  ein  neues  Heim  erhalten,  für  das  eine  neue  beträchtliche  Erweiterung  für  die 
nächste  Zukunft  in  Aussicht  genommen  ist,  während  die  medicinische  Poliklinik  sich  mit 
einer  Miethswohnung  begnügen  muss,  aber  schon  dadurch  gegen  früher  wesentlich  günstigere 
Bedingungen  für  ihre  segensreiche  Wirksamkeit  gewonnen  hat.  Die  rasche  Vervollkomm- 
nung gerade  dieses  Zweiges  der  Heilkunde  hat  für  die  chirurgische  Klinik  und  Poli- 
klinik bereits  1879  den  Neubau  eines  ganzen  Complexes  von  Gebäuden  nöthig  gemacht,  die 
schon  mehrfach  erweitert  werden  mussteu.  Den  Bau  der  neuen  Frauenklinik  und  Poli- 
klinik hat  sein  Urheber  Ha3'n  kaum  vollendet  gesehen:  erst  seinem  Nachfolger  Hilde- 
brand war  es  vergönnt,  ihn  seiner  Bestimmung  zu  übergeben.  Auch  er  ist  neuerdings  durch  einen 
Operationssaal  und  ein  Auditorium  zu  Krankenvorstellungen  erweitert  worden.  Zu  diesen  sechs 
älteren  medicinischen  Instituten  kamen  im  Laufe  der  letzten  dreissig  Jahre  die  augenärzt- 
liche Klinik  und  Poliklinik,  deren  neu  aufgeführtes  Haus  im  Sommer  1877  eröffnet  wurde, 
und  neuerdings  eine  mit  dem  städtischen  Krankenhause  verbundene  psychiatrische  Klinik, 
weiter  eine  besondere  Klinik  für  syphilitische  Krankheiten  und  Polikliniken  für 
Ohren-,  Nasen-  und  Halskrankheiten  und  für  Hautkrankheiten.  Ferner  fand  die 
Hygiene  auch  hier  durch  die  Errichtung  eines  eigenen  Instituts  Vertretung.  Ebenso  gehört 
hierher  das  neu  errichtete  zahnärztliche  Institut,  obgleich  seine  Zöglinge  als  Immaturi 
der  philosophischen  Facultät  zugezählt  werden.  Demnach  ist  die  Zahl  der  der  medicinischen 
Facultät  zugehörigen  Institute  seit  1862  von  6  auf  14  gestiegen,  hat  sich  also  mehr 
als  verdoppelt. 

Kommen  von  diesen  Instituten  auch  die  Kliniken  zunächst  und  von  dem  akademischen 
Standpunkte  aus  eigentlich  allein  als  Hülfsmittel  bei  dem  medicinischen  Unterricht  in  Betracht,  so 
haben  sie  doch   zugleich   auch    eine    allgemeine    humanitäre    Bedeutung    und    erstrecken    ihre 


222 

segensreiclie  Wirksamkeit  selbst  über  die  Grenzen  der  Provinz  Ostpreusseu,  insofern  zahlreiche 
Kranke  und  Leidende  in  ihnen  äi-ztliche  Hülfe  finden  und  eine  Pflege  geniessen,  wie  sie  den 
meisten  von  ihnen  sonst  nicht  zu  Theil  werden  würde.  Dennoch  erhalten  sich  diese  Anstalten  nur 
zu  einem  kleinen  Theile  selbst  und  erfordern,  um  den  Lehrzwecken  dienen  zu  können,  be- 
deutende Zuschüsse  aus  Staatsmitteln,  die  am  besten  erkennen  lassen,  in  welchem  Maasse  die 
Ansprüche  auf  diesem  Gebiete  gegen  früher  gewachsen  sind,  wo  bei  bescheidener  Einrichtung 
beinahe  eine  ganze  Universität  von  den  Summen  unterhalten  werden  konnte,  welche  heute 
dieser  eine  Wissenszweig  erfordert.')  Die  chirurgische  Klinik  mit  HO  Betten  erfordert 
einön  Gesammtaufwand  von  105180  Mk.,  wovon  69800  Mk.  dem  Staatszuschuss  entstammen; 
sie  behandelte  aber  auch  1892/93  675  Männer  und  408  Frauen,  poliklinisch  aber  4227  Männer 
und  3057  Frauen.  Der  jährliche  Etat  der  medjcinischen  Klinik  beträgt  73010  Mk.,  wovon 
46394  Mk.  aus  Staatsmitteln  stammen.  Bei  einem  Bestand  von  75  Betten  behandelte  sie 
1892/93  504  Männer  und  306  Frauen.  Die  medicinische  Poliklinik  hat  3763  Männer 
und  4660  Frauen  ärztliche  Hülfe  gewährt.  Von  dem  Jahresetat  der  Frauenklinik  von 
62000  Mk.  fliessen  42560  Mk.  aus  Staatszuschuss;  bei  65  Betten  für  Gebärende  und  34  für 
gynäkologische  Fälle  wurden  in  ihr  1892/93  400  Entbindungen  vorgenommen  und  450  kranke 
Frauen  behandelt.  Poliklinisch  wurden  in  demselben  Zeitraum  435  Geburten  und  1330  gynä- 
kologische Fälle  versehen.^)  Die  Augenklinik  endlich  erhält  zu  Deckung  ihres  Gesammtbe- 
darfs  von  35760  Mk.  jährlich  14950  Mk.  aus  Staatsmitteln;  sie  zählt  44  Betten  und  hat 
1892/93  klinisch  481  und  poliklinisch  4743  Fälle  behandelt.  Im  Vergleich  mit  diesen  Auf- 
wendungen ist  das  nur  sehr  bescheiden,  was  der  Staat  zur  Unterhaltung  der  neu  errichteten, 
zum  Theil  aus  älteren  Privatanstalten  der  Art  hervorgegangeneu  Kliniken  und  Polikliniken 
für  Ohren-  und  andere  Krankheiten  zahlt. 

Stehen  in  Rücksicht  der  reichen  Ausstattung  mit  Instituten,  die  zunächst  den  Zwecken 
des  akademischen  Unterrichts  dienen,  weiterhin  aber  auch  Lehrern  und  fortgeschrittenen 
Lernenden  die  Mittel  zu  selbständiger  Forschung  bieten  sollen,  die  Naturwissenschaften  und 
die  verschiedenen  Disciplinen  der  Mediciu  naturgemäss  voran,  so  offenbart  sich  der  reiche 
Antheil,  den  auch  die  anderen  Fächer  an  dem  Ausbau  der  Albertiua  während  der  letzten 
dreissig  Jahre  gehabt  haben,  in  der  Vermehrung  der  ordentlichen  und  ausserordent- 
lichen Lehrstellen,  und  zwar  steht  da  die  philosophische  Facultät  allen  anderen  voran. 

Zur  Zeit  des  Einzugs  in  das  neue  Haus,  im  S.S.  1862,  zählte  der  Lehrkörper  der 
Albertus -Universität  33  Ordinarien,  9  Extraordinarien  und  15  Privatdocenten,  im  Ganzen 
57  Mitglieder.  Im  W.S.  1893/94  war  sie  auf  98  gestiegen,  nämlich  49  Ordinarien,  21  Extra- 
ordinarien und  28  Privatdocenten.  Auf  die  einzelnen  Facultäten  vertheilt  sich  dieser  Zu- 
wachs so,  dass  in  der  theologischen  die  Zahl  der  Ordinariate  von  4  auf  6  gestiegen,  die 
der  Extraordinariate  3  geblieben  ist.  Die  Facultät  ist  durch  Errichtung  eines  zweiten  (Ersatz-) 
Ordinariates  für  alttestamentliche  Exegese  und  eines  neuen  für  Dogmatik  sowie  durch  zwei 
Extraordinariate  für  Kirchengeschichte  und  alttestamentliche  Theologie  erweitert  worden.  In 
der  juristischen  Facultät    stieg   die  Zahl  der  ordentlichen  Professuren  von  5  auf  6,    indem 

1)  Das  Folgende  nach  Lexis,  II,  344. 

2)  II,  287. 


223 

das  eine  Extraordiuariat  für  römisches  Recht  in  ein  Ordinariat  verwandelt  wnrde.  Die 
mediciuische  Facnltät  zählt  dermalen  wie  1862  8  Ordinariate,  deren  fachliche  Bestimmung 
und  Abgrenzung  jedoch  gegen  damals  wesentlich  geändert  sind,  insofern  solche  für  die  Augen- 
heilkunde und  für  die  pathologische  Anatomie  neu  errichtet  sind.  Die  Zahl  der  medicinischen 
Extraordinarien  hat  sich  verzehnfacht  (von  1  auf  10),  die  der  Privatdocenten  nahezu  ver- 
vierfacht (von  4  auf  15,  wozu  dann  noch  ein  Lector  der  Zahnheilkunde  kommt).  Dieses  auf 
den  ersten  Blick  erstaunliche  Anwachsen  des  medicinischen  Lehrkörpers  über  den  Kreis  der 
in  der  Natur  der  Sache  und  dem  factischen  Bedürfniss  begründeten  ordentlichen  Lehrstellen 
hinaus  erklärt  sich  wohl  einfach  genug  aus  dem  Umstände,  dass  nirgends  so  wie  in  der 
modernen  Heilkunde  Wissenschaft  und  Praxis  zugleich  auf  fortschreitende  Specialisirung  hin- 
drängen und  andererseits  im  Einklänge  damit  ■  auch  das  Hülfe  suchende  Publicum  sich  mit 
Vorliebe  den  auch  akademisch  ein  besonderes  Fach  vertretenden  Aerzten  zuwendet.  Dem 
ersten  Momente  ist  denn  auch  von  Seiten  der  Königlichen  Regierung  Rechnung  getragen, 
indem  nicht  bloss  ausserordentliche  Professuren  für  medicinische  Physik  und  für  Hygiene  er- 
richtet wurden,  sondern  eine  Reihe  der  aord.  Professoren  bestimmte  Lehraufträge  er- 
hielten und  in  den  Stand  gesetzt  wurden,  die  ihrer  Pflege  anvertrauten  besonderen  Zweige 
der  Heilkunde  durch  klinische  Hebungen  für  die  Ausbildung  der  künftigen  Aerzte  nutzbar 
zu  machen. 

Wesentlich  anders  liegen  die  Dinge  in  der  philosophischen  Facultät.  Li  ihrer 
dermaligen  Zusammensetzung  und  Wirksamkeit  erinnert  sie  kaum  noch  an  ihre  ehemalige 
Bedeutung,  in  der  sie  eigentlich  die  Trägerin  der  allem  Fachstudium  zu  Grunde  liegenden 
allgemeinen  Bildung  war.  Abgesehen  von  dem  Dualismus,  der  in  sie  durch  die  Zusammen- 
fügung der  mathematisch-naturwissenschaftlichen  Fächer  mit  den  philologisch-historischen  ge- 
legt ist,  der  aber  im  Interesse  der  Erhaltung  einer  geistigen  Gemeinschaft  der  Trennung 
dieser  beiden  Gruppen  sicher  vorzuziehen  ist,  hat  sich  diese  Facultät  auch  innerhalb  jener 
beiden  grossen  Gruppen  immer  mehr  in  eine  Anzahl  von  kleineren  Fachgruppen  aufgelöst, 
die,  sich  nur  noch  in  wenigen  Grenzgebieten  berührend,  ihre  Jünger  in  der  Hauptsache  für 
die  verschiedenen  Zweige  des  höheren  Lehramtes  und  nur  selten  für  eine  eigentlich  wissen- 
schaftliche Thätigkeit  vorbereiten.  Denn  während  beides  ehemals  im  Allgemeinen  zusammenfiel, 
ist  durch  die  neueren  Bestimmungen  für  die  Prüfung  der  Candidaten  des  hohem  Schulamts 
die  eigentlich  wissenschaftliche  Richtung  mit  der  Nöthigung  zu  eindringendem  gelehrten 
Studium  wenigstens  eines  Gebietes  und  zum  Nachweis  desselben  durch  eine  eigene  Arbeit, 
die  ein  gelehrtes  Rüstzeug  und  wissenschaftliche  Pi'oduction,  wenn  auch  nur  in  bescheidenem 
Maasse  erfordert,  fiirs  Erste  aufgegeben  worden. 

In  Folge  dieser  fortschreitenden  Specialisirung  hat  die  historisch-philologische  Gruppe 
einen  Zuwachs  erfahren  durch  die  Ei-richtung  eines  dritten  Ordinariats  für  classische  Philo- 
logie, eines  zweiten  Ordinariats  für  Philosophie  und  eines  zweiten  für  mittlere  und  neuere 
Geschichte.  Ordinariate  entstanden  fei"ner  für  Archäologie,  für  vergleichende  Sprachforschung 
und  für  neuere  deutsche  Litteratur.  An  der  Grenze  zwischen  den  beiden  Hauptgruppen,  in 
welche  die  philosophische  Facultät  heutzutage  zerfällt,  erhielt  die  Geographie  einen  ordentlichen 
Lehrstuhl.    Ferner   gehören  hierher  die  für  Pliarniac<nitik.    für  Landwirthschaftslehrc   und  für 


224       . 

landwirthscliaftliche  Chemie.  An  neuen  ausserordentlichen  Professuren  entstand  eine  solche 
iür  die  Geschichte,  mit  besonderem  Lehrauftrag  für  die  historischeu  Hülfswissenschaften  und 
die  Geschichte  der  Provinz  Preussen,  für  Sanskrit  und  indische  Philologie,  für  neuere  Sprachen 
und  zwar  besonders  für  das  Englische,  sowie  früher  schon  für  Landwirthschaft  und  für  au- 
gewandte Mathematik  und  Technologie,  so  dass  die  philosophische  Facultät  gegenwärtig  statt 
der  IG  Ordinarien  von  1802  deren  29  zählt  und  statt  4  Extraordinarien  deren  9.  Die  Zahl 
der  Privatdocenten,  die  18ö2  10  betrug,  ist  dermalen  11. 

3.  Die  Studirendeu  und  die  Lehrer  der  All)ertina  während  der  letzten 
dreissig  Jahre. 
Dem  stetigen  Wachsen  der  Zahl  und  der  fortschreitenden  Vervollkommnung  der 
Einrichtung  der  Institute  und  der  Vergrösserung  des  Lehrkörpers  durch  die  Vermehrung  der 
in  dem  akademischen  Unterricht  regelmässig  vertretenen  Fächer  stehen  in  den  letzten  dreissig 
Jahren  gegenüber  Schwankungen  in  der  Zahl  der  Studirenden,  die  sich  zwischen  grösseren 
Extremen  bewegen,  als  die  älteren  Zeiten  sie  aufzuweisen  hatten.  Die  wechselnden  Frequenz- 
verhältnisse der  preussischen  Universitäten  sind  neuerdings  mehrfach  zum  Gegenstand 
statistischer  Untersuchungen  gemacht,  einmal  um  die  allgemeinen  wirthschaftlichen  Umstände 
zu  ermitteln,  welche  die  Ab-  und  Zunahme  der  Zahl  der  Studirenden  bedingen,  dann  um 
festzustellen,  wie  stark  der  Besuch  der  Universitäten  sein  muss,  um  den  Bedarf  des  Staates 
an  Trägern  der  akademischer  Bildung  benöthigten  ßerufsarten  zu  decken,  —  eine  Unter- 
suchung, die,  veranlasst  durch  die  in  einigen  Zweigen  eingetretene  Ueberfüllung,  durchweg 
auf  unsicheren  Voraussetzungen  beruht  und  praktisch  verwendbare  Ergebnisse  bisher  nicht 
geliefert  hat:  ja,  gegenüber  der  wechselnden  Einwirkung  an  sich  überhaupt  kaum  fassbarer 
Momente  kann  sie  auch  gar  nicht  zu  irgend  sicheren  Resultaten  führen  und  wird  durch  den 
thatsächlichen  Gang  der  Entwickelung  immer  von  Neuem  widerlegt  werden.  Auch  für  die 
Albertina  sind  die  Ursachen  für  das  Steigen  und  Fallen  der  Frequenzzahlen  nur  zu  einem 
kleinen  Theile  nachweisbar.  Sie  decken  sich  nicht  durchweg  mit  den  in  anderen 
Provinzen  wirksamen,  denn  in  Folge  der  Isolirung  Ostpreussens  und  der  daraus  für  Angebot 
und  Nachfrage  auch  auf  diesem  Gebiete  entspringenden  besonderen  Bedingungen  treten  hier 
Factoren  in  Wirksamkeit,  die  anderswo  nicht  in  Betracht  kommen.  Wie  in  mancher  anderen 
Hinsicht  ist  Ostpreussen  auch  in  dieser  das  Land  der  scheinbar  unvermittelten  Gegensätze  und 
der  plötzlichen,  gleichsam  sprungweisen  Bewegungen. 

Im  S.S.  1862  betrug  die  Zahl  der  Studirenden  412.  Sie  steigt  dann  allmählich  bis 
475  im  S.S.  1866;  mit  geringen  Schwankungen  wird  dieser  Stand  im  Ganzen  behauptet  l)is 
zum  S.S.  1870  mit  474.  Dann  folgt,  wie  nach  dem  Kriege  von  1870/71  ja  auf  allen 
preussischen  und  deutschen  Universitäten,  auch  für  die  Königsberger  ein  beinahe  constantes 
und  sehr  schnelles  Wachsen,  so  dass  die  Zahl  der  Studirenden  sich  im  S.S.  1881  mit  841 
gegen  den  Stand  von  1862  bereits  mehr  als  verdoppelt  hat.  Die  ansteigende  Tendenz 
dauerte  dann  die  nächsten  di-ei  Jahre  an  (S.S.  1883:929,  W.S.  1883/84:  909,  S.S.  1884:  925). 
Das  Maximum  wui-de  im  S.S.  1883  mit  929  Studirenden  erreicht.  Seitdem  ist  die  entgegen- 
gesetzte   Tendenz    in    Wirksamkeit    getreten:    der    Rückgang    bethätigt    sich   in    stossweisem 


225 

Sinken  der  Frequenz,  die  zehn  Jahre  nach  erreichtem  Höchststände  S.S.  1893  bis  auf  670 
herabgegangen  war,  um  fiirs  Erste,  wie  es  scheint,  wieder  durch  eine  langsame  Zunahme 
abgelöst  zu  werden.  Im  W.S.  1893/94  betrug  die  Zahl  der  immatriculirten  Studirenden  689. 
Diese  Entwickelung  der  Frequenzverhältnisse  der  Albertina  steht  im  Allgemeinen  im 
Einklänge  mit  denen  der  übrigen  preussischen  Universitäten.  Der  rasche  und  hohe  Auf- 
schwung des  gesammten  wirthschaftlichen  Lebens  nach  dem  Kriege,  die  verhältnissmässige 
WohlhaWfenheit,  deren  sich  damals  auch  die  sonst  in  bescheideneren  Verhältnissen  befindlichen 
mittleren  Klassen  erfreuten,  und  endlich  der  gesteigerte  Bedarf  an  akademisch  gebildeten 
Leuten,  der  durch  die  Vermehrung  der  höheren  Schulen  und  der  Pfarrstellen  sowie  durch  die 
Neuorganisation  des  Justizwesens  und  der  Verwaltung  u.  A.  m.  gleichzeitig  mit  der  besseren 
Dotirung  der  meisten  derartigen  Stellen  in  Preussen  eintrat,  übten  eine  ungewöhnlich  starke 
Anziehungskraft  und"  Hessen  Kreise  zu  den  akademischen  Studien  zuströmen,  die  sonst  nur 
ausnahmsweise  darin  ihr  Glück  versuchen.  Beherrscht  doch  in  solchen  Uebergangszeiten 
ohnehin  breite  Schichten  der  bürgerlichen  Gesellschaft  das  Streben,  dass  der  Vater  den  Sohn 
in  eine  höhere  Berufsthätigkeit  aufsteigen  zu  sehen  wünscht,  als  ihm  selbst  beschieden  ge- 
wesen ist,  und  auch  der  Umstand  darf  nicht  ausser  Acht  gelassen  werden,  dass  gerade 
während  des  akademischen  Studiums  auch  dem  LTnbemittelten  zur  Gewinnung  seines  beschei- 
denen Unterhaltes  mehr  Hülfsquellen  sich  darbieten  als  bei  der  Vorbereitung  zu  irgend  einem 
anderen  Beruf.  Handelt  es  sich  dabei  doch  nicht  allein  um  die  —  nicht  allzu  schwierige 
—  Erlangung  eines  Antheils  an  den  verschiedeneu  akademischen  Beneficien.  Indem  dann 
bei  deren  Vergebung  unter  dem  Drange  der  Umstände  mehr  auf  die  Bedürftigkeit  als  auf 
die  zugleich'  mit  der  Würdigkeit  erwiesene  Befähigung  für  einen  gelehrten  Beruf  gesehen 
wurde,  wurde  noch  ein  Moment  mehr  in  Wirksamkeit  gesetzt,  um  den  Zudrang  zu  dem  aka- 
demischen Studium  zu  einer  Stärke  zu  steigern,  die  schliesslich  auf  weite  Kreise  und  auf 
lange  Zeit  hinaus  wirthschaftlich  nachtheilig  wirken  musste.  Aehnliche  Erscheiuuug'en  aber 
sind  doch  auch  schon  früher  beobachtet  worden,  wenn  auch  vielleicht  nicht  in  gleich  hohem 
Grade.  Sie  tragen  die  Heilmittel  in  sich  selbst,  und  die  zur  Zeit  so  lästig  empfundenen 
Störungen  werden  sich  unter  dem  Einfluss  des  natürlichen  Wandels  der  Verhältnisse  allmählich 
genau  so  lösen,  wie  die  früheren  sich  gelöst  haben.  Eines  staatlichen  Eingreifens  bedarf  es 
dazu  nicht.  Mit  den  amtlichen  Warnungen  vor  dem  Studium  dermalen  überfüllter  Fächer,  in 
denen  daher  der  Nachwuchs  erst  nach  langen  Jahren  entmuthigenden  Wartens  eine  noth- 
dürftige  Versorgung  hoffen  darf,  wird  erfahrungsmässig  nur  wenig  erreicht.  Auch  kann 
thatsächlich  über  diese  Dinge  Niemand  ein  sicher  zutreffendes  Urtheil  abgeben,  und  es  fehlt 
nicht  an  Beispielen,  dass  entgegen  den  amtlichen  Berechnungen  des  voraussichtlichen  Bedarfs 
oder  Nichtbedarfs  an  neuen  Kräften  die  Dinge  sich  in  dem  einen  oder  dem  andern  Fach 
überraschend  schnell  ganz  anders  gestaltet  haben:  bietet  doch  gegenwärtig  der  beträchtlich 
erstarkte  Zudrang  zu  dem  juristischen  Studium  einen  neuen  Beweis  dafür.  Zudem  glebt  es 
ja  Mittel,  um  der  UeberfüUung  der  gelehrten  Berufsarten  mit  dazu  nicht  geeigneten  Leuten, 
die  eigentlich  nur  eine  bequeme  Versorgung  suchen,  vorzubeugen.  Mit  Recht  hat  man  in  dieser 
Richtung  einzuwirken  gesucht  durch  strengere  Handhabung  des  Stipendien-  und  Beneficien- 
wesens,  das   bei    falscher  Milde  leicht  dazu  benutzt  werden  kaiiu,  nur  Bedürftigen,  aber  nicht 


Talentvollen  die  Existenz  auf  der  Universität  zu  ermöglichen.  Andererseits  aber  sollte  man 
J^iemanden,  der  den  Beruf  zum  Studiren  und  zur  Verfolgung  einer  wissenschaftlichen  Lauf- 
bahn zu  haben  glaubt,  an  dem  Versuche  darin  hindern,  also  auch  Niemanden  durch  officielles 
Abrathen  vom  Beziehen  der  Universität  abschrecken  wollen:  denn  der  Staat  so  wenig  wie 
die  Universität  übernimmt  gegen  die  nach  Erfüllung  der  vorgeschriebenen  Bedingungen  zum 
akademischen  Studium  Zugelassenen  irgend  eine  Verpflichtung  in  Bezug  auf  den  Erfolg  und 
eine  spätere  amtliche  Versorgung.  Wenn  sie  aber  emporstrebende  und  zu  Höherem'berufene 
Talente  durch  die  allzu  starke  Betonung  der  ihrer  wartenden  Schwierigkeiten  von  dem  Beginn 
des  Studiums  abschrecken,  laufen  sie  Gefahr  auch  einmal  ein  Genie  zurückzudrängen  und 
dadurch  der  Wissenschaft  einen  grossen  Gewinn  vorzuenthalten.  Gerade  in  unseren  Tagen 
sollte  man  gegenüber  der  Furcht  Mancher  vor  dem  Heranwachsen  eines  gelehrten  Proletariats 
des  treifenden  Worts  eingedenk  sein,  das  vor  nunmehr-  beinahe  neunzig  Jahren  Eeidenitz 
im  Hinblick  auf  ganz  ähnliche  Bestrebungen  niedergeschrieben  hat.^)  Untüchtige  fern  zu 
halten  bleiben  dem  Staate  immer  Mittel  genug:  das  beste  und  wirksamste  wird  immer  darin 
zu  sehen  sein,  dass  die  die  Zulassung  zu  amtlicher  Thätigkeit  bedingenden  Prüfungen  mit  Ernst 
und  Strenge  und  in  wirklich  wissenschaftlichem  Geiste  gehandhabt  werden  und  den  Nachweis 
wirklich  ernsten  Studiums,  uicht  aber  den  einer  auf  encyklopädischer  Bildung  beruhenden 
Routine  verlangen. 

Stellt  man  nun  aber  die  Schwankungen  der  Gesammtfrequenz  in  Vergleich  mit 
dem  wechselnden  Stand  der  einzelnen  Facultäten,  so  ergiebt  sich  unverkennbar  ständig  eine 
gewisse  Relation  zwischen  dem  Anwachsen  der  einen  und  der  Abnahme  der  anderen  Fa- 
cultät:  bei  Ueberfüllung  der  einen  ßerufsart  wählen  diejenigen,  die  sich  dem  Studium 
widmen,  ganz  unwillkürlich  eine  andere,  die  günstigere  Aussichten  bietet.  Freilich  stehen 
die  Facultäten  dabei  insofern  nicht  gleich,  als  von  der  einen  zu  viel  mehr  verschiedenen 
Lebensstellungen  ein  natürlicher  Zugang  sich  öflfnet  als  von  den  anderen.  Am  besten  befinden 
sich  demnach  immer  diejenigen,  für  die  es  zu  einer  gewinnbringenden  Verwendung  der  auf 
der  Universität  erworbenen  Berufsbildung  nicht  einer  allein  vom  Staate  zu  verleihenden 
Anstellung  bedarf,  sondern  wo  der  Einzelne  je  nach  dem  Maasse  seiner  Kräfte  und  Fähig- 
keiten sich  selbst  eine  Existenz  gründen  kann.  Letzteres  ist  am  meisten  bei  den  Medicicern, 
am  wenigsten  bei  den  Theologen  der  Fall;  wie  es  sich  damit  bei  Juristen  und  Philosophen 
gestaltet,  hängt  von  den  wechselnden  wirthschaftlichen  und  gesellschaftlichen  Verhältnissen 
ab.  Bei  der  Betrachtung  der  hierher  gehörigen  Daten  aus  der  Ent^nckelung  der  Albertina 
während  des  letzten  Menschenalters  muss  aber  immer  die  Thatsache  berücksichtigt  werden, 
dass  die  auf  ihr  Gebildeten,  wie  sie  der  Geburt  nach  Ostpreussen  anzugehören  pflegen,  so 
auch  im  Allgemeinen  nur  in  ihrer  heimathlichen  Provinz  angestellt  zu  werden  streben;  es 
fällt  daher  hier  der  Ausgleich  fast  ganz  weg,  den  anderwärts  der  Austausch  zwischen  ein- 
ander benachbarten  Provinzen  hervorzubringen  pflegt. 

Bei  einer  Gesammtzahl  von  412  Studirenden  zählte  die  theologische  Facultät  im 
S.S.  1862  deren  104.    Ihr   seit   einigen  Semestern  erkennbares  Wachsen*}    dauerte    bis    zum 

1)  Tgl.  S.  5. 

2)  S.  193. 


227 

S.S.  1864,  wo  mit  120  wieder  ein  Höhepunkt  erreicht  wurde,  von  dem  aus  es  dann  wieder 
bergab  ging,  bis  im  S.S.  1878  mit  40  ein  Minimum  erreicht  war,  das  dem  im  Studienjahr 
1851/52  (S.S.  1851:  37;  W.S.  1851/52:  39)  beinahe  gleich  kam,  relativ  aber  noch  beträchtlich 
darüber  hinaus  ging,  weil  damals  jene  37  resp.  39  Theologen  auf  im  Ganzen  358  resp.  347 
gekommen  waren,  jetzt  aber  diese  40  einer  Gesammtstärke  von  C'66  gegenüberstanden.  In 
den  nächsten  Jahren  erfuhren  nun  bekanntlich  die  Aussichten  für  die  angehenden  Theologen 
eine  wesentliche  Besserung.  Die  Zahl  der  Pfarrstellen  wurde  namentlich  in  Ostpreussen  ver- 
mehrt, auch  für  eine  auskömmlichere  Dotation  der  älteren  Sorge  getragen.  Die  festere  Ge- 
staltung der  Landeskirche  durch  die  Synodalverfassung  übte  ebenfalls  Einflnss.  Das  Zu- 
sammenwirken dieser  äusseren  und  inneren  Momente  erklärt  die  schnelle  Steigerung,  welche 
die  Zahl  der  Theologie  Studirenden  auch  auf  der  Albertina  in  den  nächsten  acht  Jahren 
erfuhr:  im  S.S.  1886  erreichte  sie  die  Höhe  von  244,  bei  insgesammt  871  Immatriculirten, 
d.  h.  die  theologische  Facultät  machte  31,3  Procent  aller  in  Königsberg  Studirenden  aus. 
Da  aber  die  Verhältnisse,  welche  diesen  ungewöhnlichen  Zudrang  zu  dem  theologischen  Studium 
veranlasst  hatten,  natürlich  nicht  dauernd  fortwirkten,  so  trat  bald  ein  entsprechender  Rück- 
gang ein:  im  S.S.  1893  war  die  Zahl  der  Theologen  bereits  bis  nahezu  auf  die  Hälfte  ihres 
höchsten  Standes,  nämlich  126,  gesunken;  im  W.S.  1893/94  betrug  sie  nur  noch  107. 

Aehnliche  Schwankungen  hat  in  den  letzten  dreissig  Jahren  auch  die  juristische 
Facultät  durchgemacht.  Das  S.S.  1862  fand  sie  mit  65  Studirenden  in  einer  Periode  des 
Niederganges,  die  im  S.S.  1863  mit  57  ihren  tiefsten  Stand  erreichte.  Bis  zu  dem  Kriegsjahr 
bewegen  sich  ihre  Frequenzzahlen  dann  in  unregelmässigen  Schwankungen,  bald  steigend,  bald 
sinkend  (W.S.  1863/64:  63;  S.S.  1864:  73;  S.S.  1865:  82;  S.S.  1867:  69;  S.S.  1869:  90; 
W.S.  1869/70:  89).  Seit  dem  S.S.  1870  macht  sich  dann  eine  entschiedene  Tendenz  zu 
raschem  Anwachsen  geltend:  von  106  steigt  die  Zahl  der  Juristen  im  Laufe  eines  Lustrums 
auf  mehr  als  das  Doppelte,  nämlich  215  im  W.S.  1874/75.  Es  ist  die  Zeit  der  nach  dem 
Kriege  eingetretenen  höchsten,  aber  nicht  durchweg  gesunden  wirthschaftlichen  ßlüthe.  Ihrem 
Schwinden  entspricht  eine  schnelle  Abnahme  der  Juristen,  für  die  so  günstige  Zeiten,  wie 
sie  mit  der  Einführung  der  Reichs-Justizgesetze  geboten  waren,  von  dem  künftigen  Inkraft- 
treten des  in  Vorbereitung  befindlichen  Civilgesetzbuches  wohl  kaum  zu  erwarten  stehen. 
Im  W.S.  188.5/86  zählte  die  Älbertina  nur  noch  108  Juristen.  Gegenwärtig  nimmt  ihre  Zahl 
wiederum  zu,  wohl  im  Hinblick  auf  die  in  nicht  zu  ferner  Zeit  erhoffte  Vollendung  jenes 
grossen  gesetzgeberischen  Werkes,  und  war  im  W.S.  189,3/94  bereits  wiederum  auf  191  gestiegen. 

Schwieriger  zu  erkennen  als  bei  den  übrigen  Facultäten  sind  die  allgemeinen  gesell- 
schaftlichen, wirthschaftlichen  und  geistigen  Factoren,  welche  die  Vermehrung  und  Verminderung 
der  Studirenden  der  Medicin  bewirken.  Wer  sich  dieser  Wissenschaft  widmet,  geht  doch 
nur  ausnahmsweise  und  unter  besonderen  Umständen  auf  eine  staatliche  Versorgung  aus. 
Andererseits  hat  dieser  Beruf  gerade  dadurch  etwas  besonders  Verlockendes,  dass  er  dem  in 
ihm  Tüchtigen  die  Möglichkeit  bietet,  sich  überall  einen  befriedigenden  Wirkungskreis  zu 
gründen,  namentlich  wenn  er  dem  Reize  des  städtischen  Lebens  widersteht  und  bereit  ist  sich 
in  den  ausreichender  ärztlicher  Hülfe  noch  entbehrenden  ländlichen  Bezirken  anzusiedeln. 
Zudem   bietet   die   neue   Organisation    der    gewerblichen  Krankenkassen    auch   dem  Anfänger 


leicht  einen  sichern  Ziischiiss  zur  Gewinnung  einer  selbständigen  Existenz.  Die  Vermehrung 
sowie  die  fortschreitende  Vervollkommnung  der  Krankenhäuser  durch  die  städtischen  Communen, 
Provinzial-  und  Kreisverbäude  u.  s.  w.  hat  eine  fortdauernde  Steigerung  des  Bedarfs  an 
Aerzten  zur  Folge,  auch  die  militärärztliche  Laufbahn  eröffnet  Vielen  günstige  Aussichten. 
Andererseits  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  für  Manchen  der  Wahl  des  medicinischeu  Studiums 
dessen  relative  Kostspieligkeit  sich  hindernd  in  den  Weg  stellt,  auch  bei  der  Art  des 
Unterrichts  auf  den  höheren  Schulen  eine  etwa  schlummernde  Neigung  und  Anlage  dazu  kaum 
rechtzeitig  geweckt  w^erden  dürfte.  So  darf  man  anuehcien,  ein  besonders  wirksames  Moment 
für  das  Anwachsen  der  Zahl  der  Mediciner  liege  in  der  Erkenntniss  von  der  üeberfüUung  der 
übrigen  Berufsarten,  die  sich  dem  zum  Studium  entschlossenen  Sohne  gebildeter  Stände  sonst 
darbieten.  Denn  man  glaube  nur  nicht,  dass  bei  der  Wahl  des  Berufs  vor  Allem  Neigungen 
und  Fähigkeiten  entscheiden:  in  weitaus  den  meisten  Fällen  giebt  die  Erwägung  den  Ausschlag, 
auf  welchem  von  den  durch  die  Universität  erreichbaren  Wegen  am  frühesten  und  siebersten 
ein  auskömmlicher  Unterhalt  zu  gewinnen  ist.  Aus  dem  Zusammenwirken  dieser  Umstände, 
die  freilich  nicht  gleichmässig  in  Thätigkeit  treten,  von  denen  vielmehr  bald  dieser,  bald  jener 
überwiegt,  erkläi't  es  sich  wohl,  dass  die  Abnahme  und  Zunahme  der  Zahl  der  Studii-enden 
in  der  medicinischeu  Facultät  lange  nicht  die  Eegelmässigkeit  aufweist  wie  bei  den  anderen 
Faciütäten.  Denn  von  115  Medicinern,  die  im  S.S.  1862  auf  der  Albertina  studirten,  ging 
die  Facultät  in  fünf  Jahren  auf  87  herunter  (W.S.  1866/67),  um  in  dem  folgenden  Lustrum 
auf  170  (W.S.  1876/77)  zu  steigen,  sich  also  Ijeinahe  zu  verdoppeln.  Die  nächsten  Jahre 
■weisen  dann  einen  Rückgang  auf,  entsprechend  dem  gleichzeitigen  Anschwellen  der  juristischen 
und  theologischen  Facultät.  Das  Minimum  ist  im  W.S.  1879/80  mit  122  erreicht,  also  etwa 
dem  sechsten  Theil  der  damals  737  betragenden  Gesammtzahl  der  Studirenden.  Die  steigende 
Tendenz  hat  sich  im  Ganzen  dann  auch  in  den  folgenden  Jahren  erhalten.  Den  höchsten 
Stand  erreichten  die  Mediciner  vorläufig  im  S.S.  1888  mit  272  bei  einer  Zahl  von  überhaupt 
863  Studirenden.  Die  folgenden  Semester  weisen  einen  Rückgang  auf:  aber  noch  im  W.S. 
189.3/94  betrugen  sie  mit  230  nicht  weniger  als  33,4  Procent  der  Gesammtzahl  von  685, 
haben  also  relativ  noch  zugenommen,  da  sie  im  S.S.  1888  doch  nur  31,5  Frocent  aller 
Studirenden  ausmachten. 

Weitaus  die  grössten  Schwankungen  weisen  die  FrequenzziÖern  der  philosophischen 
Facultät  auf.  Denn  einmal  sind  in  ihr  so  verschiedene  Fächer  vereinigt,  deren  einzelne 
Gruppen  i-ücksäichtlich  der  ihren  Vertretern  im  bürgerlichen  Leben  sich  bietenden  Aussichten 
von  ganz  heterogenen  Umständen  abhängen.  Denn  wenn  für  den  Zugang  zu  den  Disciplinen 
der  philosophischen  Facultät  in  erster  Linie  der  grössere  oder  geringere  Bedarf  der  höheren 
Schulen  an  jüngeren  Lehrern  maassgebeud  ist,  so  wird  die  Zahl  z.  ß.  derer,  die  sich  der  Chemie 
zuwenden,  wesentlich  von  dem  Zustande  beeinflusst,  in  dem  sich  die  Technik  befindet: 
während  deren  Aufschwung  zu  Ende  der  70er  und  im  Anfange  der  80er  Jahre  einen  grossen 
Bedarf  an  akademisch  gebildeten  Chemikern  für  die  verschiedensten  Fabrikbetriebe  zur  Folge 
hatte,  finden  solche  gegenwärtig  wieder  viel  schwerer  Verwendung.  Dagegen  scheint  der 
Aufschwung  der  Elektrotechnik  manchem  jungen  Mathematiker  und  Physiker,  der  ursprünglich 
dem  Lehi'amt  zustrebte,   eine  gewinnbringende   praktische  Thätigkeit   zu    erschliessen.      Auch 


hat  es  die  Entwickeluug  uDseres  höheren  Schulwesens  mit  sich  gebracht,  dass  von  den  da  in 
Betracht  kommenden  Fächern  die  eine  Gruppe  in  Folge  andauernden  Ueberschusses  von 
anstellungsfähigen  Candidaten  den  neu  hinzutretenden  auf  lange  Jahre  hinaus  gar  keine 
Aussicht  bietet,  während  die 'Dinge  in  anderen  Gruppen  für  den  Nachwuchs  viel  günstiger 
liegen.  Auch  waltet  da  zwischen  evangelischen  und  katholischen  Anstalten  ein  Unterschied 
ol>,  insofern  die  der  letzteren  Confession  angehörigen  Schulamtscandidaten  im  Allgemeinen 
immer  noch  eher  zur  definitiven  Anstellung  gelangen.  Zudem  wird  das  Bild,  das  die 
Frequenzverhältnisse  der  Köuigsberger  philosophischen  Facultät  uns  ergeben,  dadurch  einiger- 
massen  verschoben,  dass  die  betreffenden  Zahlen  als  Philosophie-Studirende  auch  Gruppen 
enthalten,  die  nicht  dahin  gerechnet  werden  dürften,  wie  die  Landwirthe,  die  Pharmaceuten 
und  die  der  Zahnheilkunde  Beflissenen. 

Im  S.S.  1862  nahm  unter  den  Facultäten  der  Albertina  die  philosophische  mit 
109  Mitgliedern  die  dritte  Stelle  ein.  Sie  wuchs  allmählich  bis  auf  199  im  S.S.  J896  (bei 
im  Ganzen  475  Studirenden)  und  sank  im  nächsten  Lustrum  bis  auf  140  im  S.S.  1871,  um 
im  Laufe  der  nächsten  zehn  Jahre,  wo  die  oben  laerührten  Umstände  zur  Vermehrung  des 
Zugangs  zum  Studium  alle  gleichzeitig  in  Wirksamkeit  waren,  gieichmässig  wieder  anzusteigen 
und  im  S.S.  1881  die  mit  normalen  Verhältnissen  kaum  vereinbare  Höhe  von  400  zu  er- 
reichen: bei  im  Ganzen  841  Studirenden  kamen  damals  auf  die  philosophische  Facultät 
allein  47,5  Procent.  Die  daher  eingetretene  Ueberfüllung  all  der  von  der  philosophischen 
Facultät  aus  versehenen  Berufsarten,  namentlich  aber  des  höheren  Lehramts,  hat  den  Grund 
gelegt  zu  der  Stagnation,  die  auf  diesem  Gebiete  noch  gegenwärtig  herrscht  und  zu  deren 
Abstellung  noch  immer  nur  geringe  Aussicht  ist.  Die  Folge  davon  war  ein  ebenso  rasches 
wie  tiefes  Herabgehen  der  erst  übertrieben  hoch  gestiegenen  Frequenz:  von  318  im  W.S. 
1884/85  sank  sie  auf  278  im  S.S.  1885,  162  im  S.S.  1889  und  endlich  15?)  im  W.S.  189.3/94. 

Es  erübrigt  schliesslich  nur  noch,  in  kurzer  Uebersicht  der  Männer  zu  gedenken, 
die  in  der  zweiten  Hälfte  des  nunmehr  zu  Ende  gehenden  siebenten  halben  Jahrhunderts 
der  Albertina  als  Lehrer  an  ihr  gewirkt  haben.  Auch  ohne  dass  wir  dabei  auf  die  von  ihnen 
vertretenen  wissenschaftlichen  Richtungen  eingehen  und  der  Verdienste  gedenken,  welche 
die  Einzelnen  sich  als  Forscher  erworben  haben,  wird  schon  die  lauge  Reihe  von  wohlbe- 
kannten Namen  guten  Klanges,  die  wir  da])ei  an  uns  vorüberziehen  lassen,  davon  Zeugniss 
ablegen,  wie  die  Königsberger  Hochschule  auch  in  dem  letzten  Menschenalter  der  Sammel- 
platz für  eine  reiche  Fülle  mannigfaltig  strebender  frischer  Kräfte  gewesen  ist  und  nicht 
bloss  an  der  fortschreitenden  Entfaltung  der  deutschen  Wissenschaft  lebendigen  Antheil  ge- 
nommen, sondern  auch  in  mehr  als  einer  Hinsicht  von  sich  aus  anregend  und  bestimmend  auf 
sie  eingewirkt  hat. 

Von  den  fünf  Ordinarien,  welche  die  theologische  Facultät  während  des  ersten 
in  dem  neuen  Hause  verbrachten  Semesters  (W.S.  1862/63)  ausmachten,  zog  sich  der  älteste, 
Sieffert,^)  der  einen  Theil  der  von  ihm  verwalteten  Aemter  beginnender  körperlicher  Ge- 
brechlichkeit wegen  schon  niedergelegt  hatte,  mit  Schluss  des  S.S.  1874  zunehmender  Krank- 

1)  Vgl.  S.  147-4S. 


230 

heit  wegen  von  der  akademischen  Lehrthätigkeit  zurück:  er  übersiedelte  nach  Bonn  und  ist 
dort  2.  November  1877  gestorben.  Der  Vertreter  der  alttestamentlichen  Theologie,  Johan- 
nes Georg  Sommer,  steht  noch  heute  in  seltener  Rüstigkeit  des  Geistes  und  Körpers  auf 
der  Stelle,  in  die  er  einst  als  Nachfolger  Hävernicks')  berufen  wurde,  neben  Ernst  Neumann 
der  Senior  der  jubilirenden  Albertina.  Neben  ihm  wurde  im  W.S.  1886/87  als  zweiter  Ver- 
treter der  hebräischen  Sprache  und  Litteratur  Karl  Cornill  (geb.  26.  April  1854  in  Heidel- 
berg, in  Marburg  FD.  1878,  EO.  1886)  berufen  und  W.S.  1888/89  0.  —  Der  Kirchen- 
historiker Erbkam")  starb  9.  Januar  1884;  ihn  ersetzte  Paul  Tschackert,^)  der  1890  nach 
Göttingen  übersiedelte.     Sein  Nachfolger  wurde  Karl  ßenrath.*) 

Cosack  wurde  durch  ein  Halsleiden  1866  genöthigt,  seine  amtliche  Thätigkeit  auf- 
zugeben: er  starb  31.  October  1868  in  Halle.  An  die  Stelle  Erdmanns,  der  1864  als  Ge- 
neralsuperintendent nach  Breslau  übersiedelte,  trat,  zugleich  als  erster  Pfarrer  an  der  Alt- 
städtischen Kirche.  Heinrich  Johann  Matthias  Voigt  (geb.  2.  August  1821  in  Oldenburg), 
den  1891  zunehmende  Kränklichkeit  zum  Rücktritt  nöthigte:  er  starb  6.  Juni  1892  zu  Char- 
lottenburg. Als  Vertreter  der  systematischen  Theologie  wirkt  seit  1889  als  EO.  neben 
Voigt,  dann  als  0.  seit  1891  August  Johannes  Dorner  (geb.  13.  Mai  1846  zu  Schiltach 
in  Baden,  bisher  Professor  am  Predigerseminar  zu  Wittenberg).  Für  neutestamentliche  Theologie, 
die  bis  zum  S.S.  1866  Bernhard  Weiss  vertreten  hatte,  wurde  nach  dessen  Uebersiedelung  nach 
Kiel  Rudolf  Friedrich  Grau  (geb  20.  April  1835  zu  Heei"ingen  in  Hessen-Nassau,  in  Marburg, 
Leipzig  und  Erlangen  unter  dem  Einfluss  namentlich  Liebners,  Hoffmanns  und  Vilmars  ge- 
bildet, PD.  und  seit  1865  EO.  in  Marburg)  berufen.  Länger  als  ein  Vierteljahrhundert  hat  er 
eine  weithin  anregende  Wirksamkeit  geübt,  auch  1889—90  das  Rectorat  geführt:  ein  plötzlich 
zu  Tage  getretenes  schweres  ünterleibsleiden  machte  eine  Operation  nöthig,  an  deren  Folgen 
er  am  5.  August  1B93  starb.  Neben  ihm  wirkten  auf  dem  gleichen  Gebiete  seit  dem  W.S. 
1867-68  als  PD.  Friedrich  Anton  Emil  Sieffert  (jetzt  Professor  in  Bonn),  als  EO.  seit 
1875  Albert  Klöpper  (geb.  20.  März  1828  zu  Weitenhagen  bei  Greifswald.  1858  PD.  in 
Greifswald),  Friedrich  Karl  Zimmer  (geb.  22.  September  1855  zu  Gardelegen,  1880 
PD.  in  Bonn,  in  Königsberg  S.S.  1883  und  1884  EO.,  z.  Z.  Director  des  Predigerseminars 
zu  Herlioru  in  Nassau)  und  seit  1890  als  dessen  Nachfolger  Adolf  Link  (geb.  20.  April 
1860  zu  Coblenz,  1886  PD.  in  Marburg).  Nur  kurze  Zeit  gehörte  der  Albertina  an  Ludwig 
Theodor  Schulze  (geb.  27.  Februar  1833,  EO.  1863,  jetzt  in  Rostock).  Die  Professur  für 
praktische  Theologie  bekleidet  seit  1868  Karl  Johann  Hermann  Jacoby  (geb.  30.  De- 
cember  1836  in  Berlin).  Der  langjährige  Vertreter  der  hebräischen  Sprache  .\ugust  Simson 
trat  im  W.S.  1868/69  aus  der  theologischen  Facultät  als  0.  in  die  philosophische  über:  in 
den  letzten  Jahi-en  durch  Krankheit  vielfach  behindert,  starb  er  6.  November  1888. 


1)  Vgl.  S.  195. 

2)  Vgl.  S.  195. 

;3)  Geb.  10.  .Januar  1848  zu  Freystadt  in  Niedersclilesieo,    1868—74    in  Breslau.  Halle    und  Goltingen, 
namentlich  durch  Hermann  Reuter,  gebildet,  1875  PD.  in  Breslau,  1877  Et»,  in  Halle. 

4)  Geb.  10.  August  1815  zu  Düren,    1863—67    in    Bonn,    Berlin    und    Heidelberg    gebildet,    Lehrer    in 
Düren  bis  1872,  1872-75  in  Rom  (und  nochmals  1878—79),  1876  PD.  und  1879  EO.  in  Bonn. 


2.31' 

Von  den  fünf  Ordinarien,  welche  zu  Beginn  dieses  Zeitraumes  die  juristische  Fa- 
cultät  ausmachten,  schied  von  Kalt enborn-Stachau  mit  dem  W.S.  18G4/65  aus,  um  in 
kurhessische  Dienste  zu  treten.')  Zu  derselben  Zeit  folgte  Muther  einem  Euf  nach  Rostock. 
Jolin  verliess  1868  Königsberg,  Jacobson  starb  am  liJ.  März  1868.  Der  Senior  der 
Facultät,  Sanio,  aber  konnte  am  4.  Juni  1874  sein  öOjähriges  Jubiläum  feiern;  danach 
wurde  er  von  der  Verpflichtung  Vorlesungen  zu  halten  entbunden  und  zog  sich  nach  Halle 
zurück,  wo  er  am  25.  Januar  1882  stai'b.  Von  den  zu  derselben  Zeit  der  Facultät  bereits 
angehörigen  EO.  wurde  Hänel  S.S.  1863  und  Güterbock  Herbst  1865  0.  Während  letzterer 
noch  gegenwärtig  der  Älbertina  angehört,  folgte  ersterer  1863  einem  Ruf  nach  Kiel.  Ihn  er- 
setzte der  bisherige  PD.  in  Heidelberg  Paul  Laband  Ostern  1864  als  EO.;  er  wurde  1866 
0.  und  kam  1872  nach  Strassburg.  Zu  seinem  Nachfolger  berief  man  Felix  Dahn  (geb. 
9.  Februar  1832  zu  Hamburg,  1857  PD.  in  München,  EO.  und  0.  zu  Würzburg),  der  Ostern 
1888  nach  Breslau  versetzt  wurde;  an  seine  Stelle  trat  der  bisherige  Professor  des  deutschen 
Rechts  in  Giessen  und  Kanzler  der  dortigen  Universität  Karl  Gar  eis  (geb.  24.  April  1844 
zu  Bamberg,  PD.  zu  Würzburg  1870,  EO.  und  0.  in  Bern  1875,  Giessen  1875).  Der  seit 
1862  als  PD.  der  Facultät  angehörige  Karl  Salkowski  (geb.  20.  Mai  1838)  wurde  1860 
EO.  und  erhielt  1883  das  neu  errichtete  dritte  Ordinariat  für  römisches  Recht.  Für  dasselbe 
Fach  trat  mit  dem  W.S.  1863/64  als  Nachfolger  Muthers  Theodor  Schirmer  (geb.  15.  Mai 
1825  zu  Breslau,  dort  PD.  1852,  EO.  185s)  und  neben  ihm  mit  dem  S.S.  1874  Paul  Krüger 
(geb.  20.  März  1840  in  Berlin,  PD.  1860  in  Marburg,  EO.  1870,  0.  1871,  Innsbruck  1872). 
Bei  seinem  Fortgange  nach  Bonn  1888  wurde  der  letztere  durch  Friedrich  Endemann  (geb. 
24.  Mai  1857  in  Fulda,  PD.  Berlin  1886)  als  EO.  ersetzt,  der  1892  0.  wurde.  Das  Ordinariat 
für  Kirchenrecht  bekleidete  der  seit  S.S.  1872/73  als  EO.  der  Albertina  angehörige  Philipps 
seit  dem  Herbst  1873,  erlag  aber  schon  Ostern  1877  in  jungen  Jahren  einem  schweren  Herz- 
leiden. An  seine  Stelle  trat  als  Lehrer  des  Kirchen-  und  Staatsrechts  Philipp  Zorn  (geb. 
13.  Januar  1850  in  Baireuth,  PD.  in  München  1875,  Bern  EO.  1875,  0.  1877).  Begonnen 
haben  in  diesem  Zeitraum  ihre  akademische  Thätigkeit  an  der  Albertina  als  PD.  Ferdinand 
Karl  Ludwig  von  Martitz  im  Herbst  1864,  jetzt  in  Tübingen,  Emil  Steffenhageu  Herbst 
1865  (jetzt  Oberbibliothekar  in  Kiel)  und  Adolf  Wach,  jetzt  in  Leipzig. 

Die  vielfache  Erweiterung  und  Bereicherung,  welche  die  Albertina  während  der  letzten 
dreissig  Jahre  erfahren  hat,  ist,  wie  bereits  erwähnt  wurde,  namentlich  der  medicinischenFa- 
cultät  zu  Gute  gekommen,  sowohl  durch  Vermehrung  der  Unterrichts-  und  Forschungszwecken  die- 
nenden Institute,  als  auch  der  Professuren.  Um  die  üebersicht  der  in  diesem  erweiterten  Rahmen 
thätigen  Lehrer  mit  den  Vertretern  der  grundlegenden  Wissenschaften  zu  beginnen,  so  war  die  Professur 
der  Anatomie  auch  im  Anfang  dieser  jüngsten  Periode  doppelt  besetzt,  durch  Ernst  Burdach,-) 
der  nach  seinem  50jährigen  Jubiläum  seine  Thätigkeit  einstellte,  und  durch  August  Müller,^) 
den  im  Herbst  1875  der  Tod  auf  einer  Reise  in  der  Schweiz  ereilte.  Sie  wurde  1876  als 
eine  einheitliche  Karl  Wilhelm  Kupffer   (geb.  14.  November  1829   zu  Lesten  in  Kurland, 


1)  Vgl.  S.  176. 

2)  Vgl.  S.  198. 

3)  Vgl.  S.  198. 


in  Dorpat  1858 — 66  EO.,  1866 — 76  0.  in  Kiel)  übertragen.  Bei  seinem  Fortgang  nach 
Mimchen  1880  ersetzte  ihn  Gustav  Schwalbe  (geb.  1.  Juli  1844  zu  Quedlinburg,  1870  PD. 
in  Halle,  1871  Prosector  und  PD.  in  Freiburg  i.  B.,  1871—7.3  EO.  in  Leipzig,  1873—81  0. 
in  Jena),  dem,  als  er  1883  nach  Strassburg  i.  E.  ging,  Friedrich  Siegmund  Merkel  (geb. 
5.  April  1845  zu  Nürnberg,  in  Göttingen  1869  Prosector  und  1870  PD.,  1872  0.  in  Rostock) 
folgte.  An  seine  Stelle  trat,  als  er  nach  Göttingen  berufen  wurde,  1885  der  noch  gegenwärtig 
der  Albertina  angehörige  Ludwig  Stieda  (geb.  19.  Xovember  1837  zu  Riga,  in  Dorpat 
1862  PD.  und  Assistent  an  der  medicinischen  Klinik  und  1864  am  anatomischen  Institut, 
1866  Prosector  und  EO.,  1875  0.).  Aus  der  Reihe  der  Prosectoren,  die  unter  und  neben 
diesen  Männern  gewirkt  haben,  hat  sich  Berthold  Heinrich  Benecke  (geb.  27.  Februar  1843 
zu  Elbing,  PD.  1870,  EO.  1877,  gest.  27.  Februar  1886)  durch  seine  zoologischen  Arbeiten 
und  besonders  durch  seine  Untersuchungen  über  die  Fische  Ostpreussens  bekannt  gemacht  und 
als  einer  der  eifrigsten  Beförderer  des  Fischereivereins  sich  ein  Verdienst  um  seine  Heimath 
erworben. 

In  der  physiologischen  Professur  wurde  1884,  als  von  Wittich  seiner  ge- 
schwächten Gesundheit  wegen  zurücktrat  —  er  starb  1885  —  Ludimar  Hermann  (geb. 
21.  October  1838  zu  Berlin,  dort  PD.  1865,  1868  Professor  in  Zürich)  berufen.  Neben  von 
Wittich  hatten  bis  1865  als  EO.  Goltz  (seit  1872  in  Strassburg)  und  Alfred  William 
Grünhagen  (PD.  1870,  EO.  1872)  gewirkt,  letzterer  als  Leiter  des  medicinisch-physikalischen 
Instituts.  Oscar  Langendorff  (geb.  1.  Februar  1853  in  Breslau,  PD.  1879),  der  mehrere 
Jahre  als  Assistent  am  physiologischen  Institut  thätig  und  seit  1884  EO.  war,  kam  1892  als 
0.  nach  Rostock. 

Die  1864  neu  errichtete  Professur  für  pathologische  Anatomie  erhielt  von  Reck- 
linghausen, um  1866  nach  Würzbm-g  überzusiedeln.  Ihm  folgte  E.  Neumann  II.  (geb. 
30.  Januar  1834,  PD.  1859)  als  EO.  und  1869  als  0.  Sein  Assistent  Paul  Baumgarten 
(geb.  28.  August  1848  in  Dresden,  PD.  1877)  wurde  1889  als  0.  nach  Tübingen  berufen, 
von  woC.  Nauwerck  (geb.  7.  Juli  1853  in  Zürich,  1885  PD.,  1886  EO.  in  Tübingen)  hierher 
übersiedelte. 

Die  innere  Klinik  hatte  seit  dem  Herbst  1843  Georg  Heinrich  Hirsch  geleitet: 
1865  wurde  er  von  der  Verpflichtung  Vorlesungen  zu  halten  entbunden;  im  December  1869 
feierte  er  sein  50jähriges  Doctorjubiläum,  das  ihm  noch  um  15  Jahre  zu  überleben  vergönnt 
war:  er  starb  erst  20.  Juli  1885.  Sein  specieller  Fachgenosse  Julius  Möller,  der 
Leiter  der  Poliklinik,  wurde  in  Folge  der  Haltung,  die  er  als  Abgeordneter  in  der  Conflicts- 
zeit  einnahm,  in  eine  Disciplinaruntersuchung  verwickelt  und  danach  1863  seines  Amtes 
entsetzt,*)  unerachtet  der  nachdrücklichen  Verwendung  sowohl  der  medicinischen  Facultät  wie 
des  Generalconcils,  welche  offen  erklärten,  dass  er  nach  wie  vor  ihre  vollste  Hochachtung 
besitze.  Zur  Leitung  des  gesammten  klinischen  Unterrichts  im  Gebiete  der  inneren  Medicin 
wurde  nun  Ostern  1865  Ernst  Leyden  (geb.  20.  April  1832)  berufen;  er  kam  1872.  an  die 
Universität  Strassburg  (jetzt  in  Berlin).     Sein  Nachfolger  wurde  Bernhard  Nau  nyn  (geb.  2.  Sep- 

1)  Actenstücke  der  wider  mich  geführten  Diäcipliuaruntersuchung.  Kin  Beitrag  zur  neupreuasiächen  Ge- 
schichte von  Dr.  J.  Möller.     Leipzig  1863. 


233 

tember  1839  in  Berlin,  1SG9  0.  iu  Dorpat,  1871  Bern).  Als  er  1888  nach  Strassburg  ging, 
trat  an  seine  Stelle  Ludwig  Liclitbeim  (geb.  7.  December  1845  in  Breslau,  dort  1876  PD., 
1877  EO.  in  Jena,  1878  in  Bern  0.).  Gleichzeitig  wurde  die  medicinische  Poliklinik  unter 
Julius  Schreiber  (geb.  28:  Februar  1848  zu  Schrimm,  PD.  1877,  EO.  1883)  selbständig. 

Der  Entbindungskunde  war  selbst  innerhalb  der  medicinischen  Facultät  die  Aner- 
kennung als  Wissenschaft  verweigert,  und  nur  mühsam  hat  Albert  Hayn  dieses  Vorurtheil 
überwunden.  Erst  seit  1843  0.,  starb  Hayn  30.  October  1863,  mit  wachsendem  Erfolge  thätig, 
eine  gründliche  Reorganisation  des  Unterrichts  durchzuführen,  um  auch  der  Gynäkologie  durch 
Vorlesungen  und  Krankenvorstellungen  zu  ihrem  Rechte  zu  verhelfen.  Da  sich  die  bereits 
vollzogene  Berufung  Otto  Spiegelbergs  aus  Freiburg  i.  B.  zerschlug  und  dieser  nach 
Breslau  ging,  so  wurde  die  Frauenklinik  während  eines  einjährigen  Interimisticums  von  Hayns 
Assistenten  (und  Schwiegersohn)  Hugo  Hildebrand  (geb.  6.  October  1833  in  Königsberg, 
1862  PD.)  geleitet  und  dieser  1865  zum  Director  und  0.  ernannt.  Ihm  war  es  vergönnt,  den 
längst  ersehnten  Umbau  der  Klinik  ausgeführt  zu  sehen.  In  der  Blüthe  der  Jahre  und  aus 
erfolgreichstem  Wirken  heraus  wurde  Hildebrand  am  3.  Juli  1882  vom  Tode  hinweggerafft. 
Sein  Nachfolger  wurde  mit  dem  S.S.  1883  Rudolf  Dohrn  (geb.  24.  August  1836  zu  Heide 
in  Norddithmarschen,  1859  PD.  in  Kiel,    1863  0.   in  Marburg). 

Die  chirurgische  Klinik,  die  1864  ihr  neues  —  heute  der  medicinischen  Klinik 
dienendes  —  Haus  bezog,  leitete  bis  1871  Albrecht  Wagner:  als  Generalarzt  dem  Heere 
des  Generals  von  Manteufifel  auf  dem  winterlichen  Peldzug  gegen  Bourbaki  folgend,  zog  er  sich  ein 
schweres  typhöses  Leiden  zu,  dem  er  15.  Februar  1871  zuDöle  erlag.  Auch  der  Kronprinzliche  Rector 
magnificentissimus  gab  dem  Bedauern  über  den  frühen  Tod  des  hochverdienten,  ihm  persönlich 
nahegetretenen  Mannes  in  einem  Condolenzschreiben  an  Prorector  und  Senat  Ausdruck,  des 
Frühverstorbenen  Collegen  und  Freunde  aber  ehrten  sein  Andenken  durch  die  Aufstellung 
seiner  wohlgelungenen  Marmorbüste  in  dem  Senatssaal.  Zum  Nachfolger  erhielt  Wagner 
Karl  Wilhelm  Ernst  Joachim  Schönborn.')  In  die  Zeit  seiner  Wirksamkeit  fällt  der 
Neubau  der  chirurgischen  Klinik,  welche,  1879  eröffnet,  alle  damals  erreichbaren  Fortschritte 
der  Technik  nutzbar  machte  und  neben  der  erschöpfenden  Benutzung  des  reich  zuströmenden 
Krankenmaterials  zu  Lehr-  und  Forschungszwecken  auch  die  humanitäre  Bestimmung  solcher 
Anstalten  in  grösserem  Umfange  geltend  zu  machen  erlaubte.  Als  Schönborn  1886  nach 
Würzburg  ging,  trat  an  seine  Stelle  Johannes  Mikulicz  (geb.  16.  Mai  1850  in  Czernowitz, 
jn  Wien  Billroths  Assistent,  1881  PD.,  1882  0.  in  Krakau).  Seit  seinem  Weggang  nach 
Breslau  leitet  die  chirurgische  Klinik,  bei  der  die  wachsenden  Ansprüche  einen  Erweiterungs- 
bau nöthig  gemacht  haben,  Heinrich  Braun.^) 

Die  ehemals  mit  der  Chirurgie  verbundene  Ophthalmologie  erhielt  endlich  1873 
das    ihr    gebührende    Ordinariat:     bis    an     seinen     Tod     (14.     September     1888)    hat     es 


1)  Greb.  8.  Mai  1840  in  Breslau,  Assistent  Wilms'  und  dann  1864  — 71  v.  Langenbecks,  während  des  Kriegs 
in  des  letzteren  Vertretung  Leiter  der  chirurgischen  Universitätsklinik  und  in  Abwesenheit  Bardelebens  der 
chirurgischen  Abtheilung  der  Charite. 

2)  Geb.  18.  Februar  1847  zu  ßeerfelden  im  Grossh.  Hessen,  Prosector  in  Giessen,  in  Heidelberg  1874 
Assistent  der  chirurgischen  Klinik,  PD.  und  1878  EO  ,  0.  in  .Jena   1S84,   Marburg  1888. 


234 

Julius  Jacobson  innegehabt.  Nach  einem  Interimisticum,  während  dessen  sein  Schüler 
und  ehemaliger  Assistent  Adolf  Vossius  (geb.  10.  Februar  1842  zu  Zempelburg,  Kr. 
Flatow,  PD.  1882,  EO.  1887)  die  Klinik  leitete  (um  dann  als  0.  nach  Giessen  zu 
übersiedeln),  erhielt  er  in  seinem  Schüler  Arthur  von  Hippel  (geb.  24.  October  1841  zu 
Fischhausen,  PD.  1869,  EO.  1875,  0.  in  Giessen  1879)  einen  Nachfolger:  ihn  ersetzte  bei 
seinem  Fortgang  nach  Halle  Hermann  Kuhnt.') 

Die  1883  neu  errichtete  ordentliche  Professur  für  Pharmakologie  und  medici- 
nische  Chemie  erhielt  Max  Jaffe  (geb.  25.  Juli  1841  zu  Grüaberg,  1867  PD.,  1872  EO.). 
Die  Fächer  der  gerichtlichen  Medicin  und  der  Hygiene  sind  dermalen  durch 
die  EO.  Karl  Seydel  (geb.  28.  Mai  1839  zu  Chelchen  (Kr.  Oletzko),  PD.  186G)  und  Erwin 
von  Esmarch  (geb.  12.  März  1855  zu  Kiel,  PD.  Berlin  1890,  EO.  1891)  vertreten,  welch 
letzterem  Karl  Fränkel  (geb.  2.  Mai  1861  in  Charlottenburg,  PD.  in  Berlin  1888,  EO.  1889, 
z.  Z.  in  Marburg  0.)  vorangegangen  war;  mit  der  neuen  Professur  ist  ein  hygienisches  Institut 
verbunden. 

Offenbart  sich  die  Steigerung,  welche  der  Betrieb  des  akademischen  Unterrichts  und 
der  mit  ihm  Hand  in  Hand  gehenden  wissenschaftlichen  Forschung  wie  auf  allen  preussischen 
Universitäten,  so  namentlich  auch  auf  der  Albertina  während  der  letzten  dreissig  Jahre  erfahren 
hat,  in  dem  Gebiete  der  medicinischen  Facultät  namentlich  in  der  Vergrösserung  der  Kliniken 
und  der  Vermehrung  der  Institute,  so  tritt  sie  in  dem  Gebiete  der  in  der  philosophischen 
Facultät  vereinigten  Wissenschaften  fast  noch  augenfälliger  zu  Tage  in  dem  Anwachsen 
der  Zahl  der  ordentlichen  Lehrstellen,  welche  das  Selbständigwerden  bisher  mit  benachbarten 
Gebieten  vei'bunden  gewesener  Fächer  mit  sich  gebracht  hat.  Dieselbe  ist  von  16  im  W.S. 
1862/63  auf  29  gestiegen. 

Um  die  Uebersicht  dieser  Entwickelung  und  der  an  ihr  betheiligten  Personen  mit 
der  Disciplin  zu  beginnen,  die  ehemals  nicht  bloss  dem  Namen  nach,  sondern  thatsächlich 
an  der  Spitze  und  zugleich  im  Centrum  der  von  dieser  Facultät  gepflegten  Studien  gestanden 
hat,  so  wurde  Karl  Rosenkranz  durch  zunehmende  Schwäche  des  Augenlichts,  die  schliesslich 
zu  völliger  Erblindung  führte,  zur  Einstellung  seiner  Thätigkeit  genöthigt,  ohne  darum  die 
Heiterkeit  des  Geistes  und  die  Frische  der  Theilnahme  an  dem  Leben  der  Wissenschaft  und 
der  Albertina  einzubüssen.  Der  2.  Februar  1878,  an  dem  er  sein  50jähriges  Doctorjubiläum 
beging,  war  ein  Festtag,  den  Lehrer  und  Lernende  gleichmässig  zu  verherrlichen  strebten. 
Am  14.  Juni  1879  starb  Rosenkranz:  mehr  als  vierzig  Jahre  war  er  eine  der  Zierden  der 
Albertina  gewesen,  hatte  an  der  grossen  Entwickelung  derselben  in  diesem  Zeiträume 
nicht  bloss  hervorragenden  Antheil  genommen,  sondern  auf  dieselbe  auch  von  sich  aus  viel- 
fach bestimmend  eingewirkt  und  war  der  allverehrte  Vertreter  zugleich  ihrer  alten  und  ihrer 
neuen  Zeit  und  der  ausgleichende  Vermittler  zwischen  beiden  gewesen.  In  den  Reihen  der 
zu  seiner  Entlastung  und  Vertretung  berufenen  jüngeren  Lehrer  der  Philosophie  fand  zunächst 
ein    ausserordentlich   rascher   Wechsel    statt.      Überweg^)    wurde    9.  Juni  1871    von    einem 


1)  Geb.  14.  April  1850    zu  Senftenberg,  Prosector  in  Rostock,    in  Heidelberg  PD.   187^,  in    Jena  1880, 
EO.  1881,  0.  1882. 

2)  Vgl.  S.  207. 


235 

frühzeitigcB  Tode  hinweggerafl't.  Julius  Bergmann,  der  im  S.S.  1872  als  0.  an  seine  Stelle 
trat,  folgte  bereits  1873  einem  Rufe  nach  Marburg.  Der  ihn  ersetzende  Max  Heinze,  der 
von  Basel  kam,  ging  nach  nur  einem  Semester  nach  Leipzig.  Statt  seiner  trat  der  PD.  in 
Jena,  Julius  Walter  (geb:  22.  April  1841  zu  Wolmar  in  Livland,  PD.  Jena  1872),  1875 
als  EO.  ein  und  wurde  1876  0.  Neben  ihm  wirkte,  1874  als  EO.  von  Breslau  nach  Königsberg 
versetzt,  Richard  Quäbicker;  er  wurde  0.,  starb  aber  am  31.  Mai  1882.  In  seine  Stelle  trat 
1882  Günther  Thiele  (geb.  1.  November  1841  zu  Rohnstedt  (Sondershauseu),  in  Halle  PD. 
1875,  EO.  1885). 

Als  Vertreter  der  classischen  Philologie  standen  zu  Beginn  dieses  Zeitabschnittes 
Karl  Lehrs  uud  Ludwig  Friedländer  neben  einander,  welch  letzterer  zudem  lange  Jahre 
als  Professor  der  Eloquenz  wirkte.  In  Folge  mancher  Diiferenzen  und  seiner  offen  ausge- 
sprochenen Unzufriedenheit  mit  dem  Gange,  den  die  Entwickeluug  der  classischen  Studien 
unter  der  Einwirkung  der  für  die  Bildung  der  Lehrer  und  ihre  Thätigkeit  an  den  Gymnasien 
erlassenen  neuen  Verordnungen  genommen  hatte,  allmählich  sich  ausschliesslich  auf  seine 
Lehrthätigkeit  beschränkend,  in  dieser  aber  bis  zuletzt  in  ungeschwächter,  anregendster  Wirk- 
samkeit, starb  Karl  Lehrs  nach  kurzer  Krankheit  am  9.  Juni  1878.  Sein  Nachfolger  wurde 
sein  Schüler  Arthur  Ludwich  (geb.  18.  Mai  1840  zu  Lyck,  1876  EO.  in  Breslau).  Das  neue, 
dritte  Ordinariat  für  classische  Philologie  erhielt  1867  Heinrich  Jordan  (geb.  30.  Sep- 
tember 1833,  PD.  in  Berlin  1861),  nach  einem  längeren  Aufenthalt  in  Italien,  den  er  auch 
später  zum  Zwecke  seiner  Studien  über  die  Topographie  Roms  regelmässig  erneute.  Nach 
L.  Friedländers  Rücktritt  übernahm  er  auch  die  Eloquenzprofessur.  Er  starb  10.  November 
1888  nach  einer  ein  schweres  Unterleibsleiden  zu  beseitigen  bestimmten  Operation.  Sein 
Nachfolger  wurde  Alfred  Schöne  (geb.  16.  October  1836  in  Dresden,  in  Leipzig  PD.  1864, 
EO.  1867,  0.  in  Erlangen  1870),  dann,  als  er  1892  nach  Kiel  versetzt  wurde,  Johannes 
Schmidt  (geb.  24.  April  1850  in  Schmiedeberg  (Pr.  Sachsen),  in  Halle  PD.  1878,  EO.  1883, 
in  Giessen  0.  1883),  leider  von  Anfang  an  durch  hoffnungslose  Krankheit  au  der  Wahr- 
nehmung seines  Lehramts  behindert:  er  starb  6.  Januar  1894.  Inzwischen  hatte  auch 
L.  Friedländer  seine  Lehrthätigkeit  eingestellt  und  seinen  Wohnsitz  nach  Strassburg  ver- 
legt. Das  erledigte  Ordinariat  erhielt  Ludwig  Jeep  (geb.  12.  August  1846  in  Wolfen- 
büttel, PD.  1883,  EO.  1886)  Von  den  Philologen,  welche  in  dieser  Zeit  ihre  akademische 
Laufbahn  au  der  Albertina  begannen,  kam  Friedrich  Blass  (PD.  1875)  als  EO.  und  dann  0. 
nach  Kiel  und  wirkt  gegenwärtig  in  Halle.  —  Die  der  classischen  Philologie  zunächst  ver- 
bundene Archäologie,  die  bisher  einer  eigenen  Vertretung  entbehrt  hatte,  wurde  1875  mit 
einem  Extraordinariat  ausgestattet,  das  Hugo  Blümner  (PD.  in  Breslau)  erhielt;  ihn  ersetzte 
bei  seinem  Weggange  nach  Zürich  im  S.S.  1878  Gustav  Hirschfeld  (geb.  4.  November  1847 
zu  Pj'ritz),  in  ihrem  Beginn  der  Leiter  der  deutschen  Ausgrabungen  im  Olympia;  er  wurde 
S.S.  1880  0. 

Die  Professur  für  ältere  deutsche  Sprache  und  Litteratur,  welche  seit  ihrer 
Errichtung  der  zugleich  als  Oberbibliothekar  thätige  Zacher  inne  gehabt  hatte,  bekleidet 
seit  dessen  Abgange  nach  Halle  S.S.  1863  Oscar  Schade  (geb.  25.  März  1826  zu  Erfurt, 
PD.  in  Halle  1860).    Sein  Schüler  Oscar   Erdmann   (geb.    4.  Februar    1846    zu  Thorn,  PD. 

30* 


1883)  kam  als  EO.  nach  Breslau  und  ist  jetzt  0.  in  Kiel.  Das  neue  Ordinariat  für  neuere 
deutsche  Litteratur  erhielt  1890  Hermann  Baum  gart  (geb.  24.  Mai  1843  zu  Elbing,  PD. 
1877,  EO.  1879).  —  Neu  errichtet  wurde  ferner  ein  Ordinariat  für  neuere  Sprachen, 
als  deren  Vertreter  erst  als  Lector,  seit  1865  als  EO.  Ludwig  Theophil  Herbst  (gest. 
29.  April  1888)  gewirkt  hatte;  es  erhielt  1872  Jacob  Schipper  und  nach  dessen  Berufung 
nach  Wien  1877  Alfons  Kissner  (geb.  3.  April  1844  in  Hamburg,  0.  in  Erlangen  1874). 
Das  1894  gegründete  Extraordinariat  für  englische  Sprache  hat  Max  Kaluza  inne  (geb. 
22.  September  1856  zu  Eatibor,  PD.  1887). 

Im  Gebiete  der  orientalischen  Sprachen  trat  iusofern  eine  sachlichere  Abgrenzung 
der  Lehrfächer  ein,  als  neben  Nesselmann,  der  am  7.  Januar  1881  starb,  bereits  1880  ein 
Vertreter  der  arischen  Sprachen  in  Adalbert  ßezzenberger  (geb.  14.  April  1854  zu 
Kassel,  in  Göttingen  PD.  1874,  EO.  1879)  bestellt  wurde,  während  neben  A.  Simson 
1882  August  Müller  (geb.  3.  December  1848  zu  Stettin,  in  Halle  PD.  1870,  EO.  1874) 
die  semitischen  Sprachen  zu  lehren  berufen  wurde.  Ihm  folgte,  als  er  1889  nach  Halle  ging, 
Gustav  Jahn  (geb.  11.  Juni  1837  zu  Crossen,  Berlin  PD.  1879).  In  Verbindung  mit  diesen 
Neuerungen  stand  die  Errichtung  eines  Extraordinariats  für  indische  Sprache  und  Litteratur,  das 
seit  1880  Richard  Garbe  (geb.  9.  März  1857  zu  Bredow  bei  Stettin,  PD.  1878)  inne  hat.  Die 
Verdienste,  welche  sich  der  Prediger  Friedrich  Kurschat  (geb.  24.  April  1806  zu  Nora- 
gehlen bei  Heinrichswalde,  Kr.  Niederung)  als  Lector  und  Leiter  des  lithauischen  Seminars  so- 
wie litterarisch  um  das  Studium  der  lithauischen  Sprache  erworben  hatte,  wurden  von  der  philo- 
sophischen Facultät  1875  durch  seine  Promotion  zum  Ehrendoctor  uud  seitens  der  Regierung 
1871  durch  seine  Ernennung  zum  EO.  anerkannt. 

Innerhalb  der  eigentlichen  historischen  Wissenschaft  vollzog  sich  im  Zusammen- 
hang mit  mehrfach  eintretendem  Personenwechsel  eine  sachgemässere  Abgrenzung  der  Lehr- 
gebiete. Von  den  di-ei  ordentlichen  Lehrern  der  Geschichte,  welche  zu  Beginn  ihres  siebenten 
halben  Jahrhunderts  an  der  Albertina  wirkten,  starb  Johannes  Voigt,  nachdem  er  am 
13.  October  1859  das  Doppelfest  seines  50jährigen  Doctor-  und  Amtsjubiläums  gefeiert  hatte, 
nach  thatsächlicher  Einstellung  seiner  Lehrthätigkeit  am  23.  September  1863.  Sein  Nach- 
folger wurde  1864  Karl  Hopf  (geb.  19.  Februar  1832  zu  Hamm,  zu  Studien,  namentlich  über 
die  Geschichte  Griechenlands  im  Mittelalter,  vielfach  auf  Reisen  in  Italien  und  Griechenland, 
PD.  in  Bonn,  1858  EO.  in  Greifswald,  gest.  23.  August  1873),  der  zugleich  das  Amt  eines 
Oberbibliothekars  übernahm  und  in  seinen  Vorlesungen  namentlich  die  historischen  Hülfs- 
wissenschaften  vertrat.  Schubert  und  Nitzsch  hatten  sich  das  Gesammtgebiet  in  der 
Weise  unter  einander  abgegrenzt,  dass  ersterer  die  Geschichte  der  römischen  Kaiserzeit,  des 
Mittelalters  mit  Ausschluss  Deutschlands  und  der  neueren  Zeit  übernahm,  während  letzterer 
die  alte  Geschichte  und  die  des  deutschen  Mittelalters  vertrat.  Seit  dem  Herbst  1866  nahm 
Nitzsch  auch  an  der  bisher  Schubert  allein  zustehenden  Leitung  des  historischen  Seminars 
theil  und  entfaltete  darin  jene  anregende  und  nachhaltig  bildende  Thätigkeit,  welche  allen 
den  zahlreichen  Schülern,  die  ihm  zu  Füssen  gesessen,  unvergesslich  geblieben  und  durch  sie 
auch  auf  die  Entwickelung  des  historischen  Unterrichts  auf  den  höheren  Schulen  der  Provinz 
von    segensreicher  Einwirkung  geworden  ist.      Nach   dem  Tode  Schuberts,    der    zugleich  Sti- 


237 

^^-  . 

pendiencurator  iiud  Inspector  des  Rhesianums  war,  am  21.  Juli  18(!8  vnirde  Herbst  1869 
in  Wilhelm  Maurenbrecher  (geb.  21.  December  1838  in  Bonn,  dort  PD.  1862,  1887  0.  in 
Dorpat),  ein  Vertreter  vornehmlich  der  neueren  Geschichte  berufen.  Er  übernahm,  als  Nitzsch 
1872  nach  Berlin  berufen  vfurAe,  die  Vertretung  der  mittleren  und  neueren  Geschichte,  wäh- 
rend die  nunmehr  gebildete  besondere  Professur  der  alten  Geschichte  Alfred  von  Gutschmid 
(geb.  1.  Julil831  zu  Dresden,  gest.  2.  März  1887  in  Tübingen)  1873  erhielt.  Bei  seinem  Weg- 
gang nach  Jena  1876  hatte  er  Franz  Rühl  zum  Nachfolger  (geb.  26.  October  1845  in  Ha- 
nau, PD.  in  Leipzig  1871,  1875  0.  in  Dorpat).  An  Maurenbrechers  Stelle  kam  bei  seinem 
Fortgang  nach  Bonn  1877  als  Professor  der  mittleren  und  neueren  Geschichte  Hans  Prutz 
(geb.  20.  Mai  1843  in  Jena,  1873  PD.  in  Berlin).  Neben  ihnen  wirkt  namentlich  auf  dem 
Gebiete  der  Hülfswissenschaften  und  der  Provinzialgeschichte  Karl  Lohmeyer  (geb.  24.  Sep- 
tember 1832  in  Gumbinnen,  PD.  1866,  EG.  1873).  Das  eine  Reihe  von  Jahren  ruhende 
zweite  Ordinariat  für  mittlere  und  neuere  Geschichte  wurde  1892  mit  Georg  Erlel-  (geb. 
1.  Januar  1850  in  Krögis  bei  Meissen,  in  Leipzig  PD.  1887,  EO.  1890)  besetzt. 

Den  neu  errichteten  Lehrstuhl  für  Geographie  nahm  1876  Hermann  Wagner 
(geb.  lJ3.  Juni  1840,  Gymnasiallehrer  in  Gotha)  ein;  als  er  1880  nach  Göttingen  ging, 
Karl  Zöppritz  (geb.  14.  April  1838  zu  Darmstadt,  PD.  in  Tübingen  1865,  1867  Eo! 
in  Giessen),  dessen  vielverheissender  Thätigkeit  im  Dienste  seiner  mit  Begeisterung  vertretenen 
Wissenschaft  am  21.  März  1885  ein  jäher  Tod  ein  vorzeitiges  Ende  bereitete.  An  seine 
Stelle  trat  1885  erst  als  EO.,  seit  1886  0.  Friedrich  Hahn  (geb.  3.  März  18-52  zu  Glauzi<^ 
in  Anhalt,  in  Leipzig  1879  PD.  und  1884  EO.).  "^ 

Di6  Professur  der  Kunstgeschichte  (und  der  Aesthetik),  zu  welcher  das  seit  1825  von 
ihm  bekleidete  Extraordinariat  der  Theorie  und  Kritik  der  schönen  Künste  und  Wissenschaften 
erweitert  worden  war,  hat  Ernst  August  Hagen  beinahe  ein  volles  halbes  Jahrhundert 
innegehabt:  am  10.  December  1830  dafür  ernannt,  ist  er,  nachdem  er  bereits  im  August  1871 
sein  ÖOjähriges  Doctoijubiläum  gefeiert,  am  16.  Februar  1880  gestorben.  An  seine  Stelle  trat 
1882  zunächst  als  EO,  seit  1884  0.  Georg  Dehio  (geb.  22.  November  1852  in  Reval,  PD.  in 
München  1877),  und  als  dieser  1892  einem  Rufe  nach  Strassburg  folgte,  Konrad  Lange  (geb. 
15.  März  1855  in  Göttingen,  PD.  in  Jena  1884,  EO.  in  Göttingen  1885)  1892  als  EO.,  1894  0. 
Die  staatswirthschaftliche  Professur  endlich,  die  seit  18.55  Glaser  in'ne  hatte, 
ging  in  Folge  eines  Tausches  mit  dem  S.S.  1868  auf  Leopold  Ilse  aus  Marburg  über.  Doch 
wurde  bereits  nach  einigen  Jahren  die  Einrichtung  einer  zweiten  Vertretung  für  dieses  Fach 
nöthig:  zu  ihr  wurde  im  Herbst  1873  Karl  Umpfenbach  (geb.  5.  Juni  1832  in  Giessen, 
dort  PD.  1856,  0.  in  Würzburg  1864)  berufen.  Nachdem  Ilse  im  März  1880  suspendirt  und 
Ende  1882  seines  Amtes  entsetzt  war,  wurde  das  zweite  Ordinariat  für  dieses  Fach  in  eine 
ausserordentliche  Professur  verwandelt:  sie  bekleidete  von  1883  bis  1888  Ludwig  Elster 
(geb.  26.  März  1856  zu  Frankfurt^  a.  M,  PD.  in  Halle  1880,  am  Polytechnikum  in  Aachen, 
EO.  in  Halle  1883)  und  nach  dessen  Berufung  nach  Breslau  Wilhelm  Hasbach  (geb. 
25.  August  1849,  in  Greifswald  PD.  1884,  EO.  1887),  der  1893  einem  Ruf  nach  Kiel  folgte; 
an  seine  Stelle  trat  Otto  Gerlach  (geb.  1.  November  1862,  bisher  PD.  in  Bre,slau). 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  einem  kurzen  Ueber))lick  ü)>er  die  Männer,  die  während 


der  letzten  fünfzig  Jahre  als  Vertreter  der  exacten  Wissenscliaften  und  der  hesehreibenden 
Naturwissenschaften  an  der  hiesigen  Universität  gewirkt  haben,  so  begrüssen  wir  an  ihrer 
Spitze  den  ehrwürdigen  Senior  der  Albertina,  dem  ein  gütiges  Geschick  vergönnt  hat,  auch 
dieses  Jubiläum  noch  in  seltener  Frische  des  Geistes  und  Eüstigkeit  des  Körpers  zu  erleben, 
Franz  Neumann,  der  einst  einen  besonders  hervorragenden  Antheil  gehabt  hat  an  dem 
epochemachenden  Aufschwung,  den  die  mathematisch-physikalischen  Studien  und  Forschungen 
von  Königsberg  aus  genommen  haben,  und  das  von  ihm.  begonnene  Werk  von  einer  langen 
Reihe  durch  ihn  entscheidend  angeregter  Schüler  hat  weiterführen  sehen  dürfen,  —  ein 
lebendiger  Zeuge  vergangener  Zeiten,  von  denen  sonst  heutzutage  nur  durch  die  geschichtliche 
Ueberlieferung  noch  eine  Kunde  zu  uns  dringt.  Im  Ganzen  ha't  er  68  Jahre  der  Albertina 
angehört,  länger  als  ein  halbes  Jahrhundert  (55  Jahre)  als  Ordinarius,  und  wenn  er  auch 
längst  seine  Lehrthätigkeit  eingestellt  hat,  ihn  den  Ihren  zu  nennen  ist  noch  heute  einer  der 
stolzesten  Ruhmestitel  der  Königsberger  Universität  und  wird  das  alle  Zeit  lileiben.  Neben 
und  mit  ihm  wirkte  als  Träger  der  mathematischen  Studien  Richelot  bis  zu  seinem  Tode, 
1.  April  1875.  Seinen  Lehrstuhl  nahm  einer  seiner  Schüler  ein,  Heinrich  Weber  (geb. 
5.  März  1842  zu  Heidelberg,  dort  PD.  und  EO.,  0.  am  Polytechnicum  in  Zürich),  den 
nach  seiner  Berufung  an  das  Polytechnicum  in  Charlottenburg  (später  nach  Marburg, 
z.  Z.  in  Göttiugen)  1883  Ferdinand  Lindemann  (geb.  12.  April  1852  in  Hannover, 
PD.  in  Würzburg  1877,  in  Freiburg  i.  B.,  EO.  1877,  0.  1879)  ersetzte.  Als  Lindemann 
1893  nach  München  übersiedelte,  trat  an  seine  Stelle  der  bisherige  EO.  David  Hilbert 
(geb.  23.  Januar  1862,  PD.  1886,  EO.  1892).  Das  mathematische  Extraordinariat  hatte 
nach  Rosenhains  Ausscheiden  1884  Adolf  Hurwitz  (geb.  26.  März  1859  zu  Hildesheim, 
PD.  zu  Göttingen  1882)  inne,  dem,  als  er  1892  an  das  Polytechnicum  in  Zürich  berufen  wurde, 
Hilbert  folgte.  Seit  Ostern  1894  hat  es  Hermann  Minkowski  (geb.  22.  Juni  1862  zu 
Alexoken  in  Russland,  in  Bonn  PD.  1887,  EO.  1892)  inne.  Daneben  setzt  Saalschütz,  seit 
1876  EO.,  seine  ergänzende  Thätigkeit  fort. 

Die  durch  Luthers  am  17.  October  1887  erfolgten  Tod  erledigte  Professur  der 
Astronomie  nebst  dem  Directorat  der  Sternwarte  übei'nahm  mit  Beginn  des  S.S.  1888 
Friedrich  Peters  (geb.  16.  April  1844  zu  Pulkowa,  in  Kiel  PD.  1876),  die  durch  Mosers 
Emeritirung  verwaiste  Professur  der  Experimentalphysik  1880  der  ebenfalls  aus  der  Königs- 
berger Schule  hervorgegangene  Karl  Pape  (geb.  20.  Januar  1836  in  Hannover,  1862  PD. 
in  Göttingen).  Die  einst  von  Franz  Neumann  entfaltete  Thätigkeit  gab  zwei  neuen  Pro- 
fessuren den  Ursprung,  einem  Extracrdinariate  für  mathematische  Physik,  das  1875 — 86 
Waldemar  Voigt  (jetzt  in  Göttingen)  inne  hatte  und  zur  Zeit  Paul  Volkmann  (geb. 
12.  Januar  1856  in  ßladiau,  PD.  1882.  EO.  1886)  bekleidet,  und  einem  Ordinariate  für 
Mineralogie  und  Geologie,  in  dem  nach  einander  —  abgesehen  von  Heinrich  Berendt,  der 
sich  1870  für  diese  Fächer  habilitirte  und  1873  EO.  wurde  —  Max  Bauer  (jetzt  in  Marburg) 
1875—84  (geb.  13.  September  1844  zu  Gnadenthal  in  Würtemberg,  PD.  in  Göttingen  1871, 
Berlin  1875).  Theodor  Liebisch,  jetzt  in  Göttingen,  1884-86  (geb.  29.  April  1852  in 
Breslau.  FD.  in  Berlin  1878,  EO.  in  Breslau  1880,  0.  in  Greifswald  1882)  und  Wilhelm 
Brancü  1886—90  (geb.  3.  September  1844  zu  Potsdam,  PD.  in  Berlin  1881,  dann  in  Aachen) 


wirkten  und  das  gegenwärtig  Ernst  Koken  (geb.  29.  Mai  1860  zu  Braunschweig,  PD.  in 
Berlin  1887)  inne  hat.  Wie  für  die  physikalischen  und  die  mathematisch-physikalischen 
Studien  durch  den  Neubau  eines  überaus  stattlichen  physikalischen  Instituts  gesorgt  worden 
ist,  so  hat  auch  das  mineralogisch-geologische  Institut  in  der  Nachbarschaft  des  ersteren  eine 
würdige  Stätte  erhalten. 

Die  ehemals  mit  der  Anatomie  verbundene  zoologische  Professur,  welche  nach 
Rathkes  Tod  selbständig  gemacht  und  der  philosophischen  Facultät  zugewiesen  wurde,  be- 
kleidete sammt  dem  Directorat  des  äusserst  werthvollen  zoologischen  Museums,  das  1882/83 
durch  Aufsetzen  eines  Stockwerks  beträchtlich  erweitert  worden  ist,  vom  W.S.  1863/64  bis 
S.S.  1881  Eathkes  Schüler  Wilhelm  Zaddach  (gest.  5.  Juni  1881).  Ihm  folgten  1881 
bis  1883  Oscar  Hertwig  (geb.  23.  September  1850,  PD.  und  EO.  in  Jena,  jetzt  in 
München)  und  1883—1891  Karl  Chun  (geb.  1.  October  1852  in  Höchst,  PD.  in  Leipzig  1878), 
jetzt  in  Breslau.  An  dessen  Stelle  trat  1891  Maximilian  Braun  (geb.  30.  September  1850 
zu  Myslowitz,  PD.  1878  in  Würzburg,  in  Dorpat  Prosector  1879,  EO.  1883,  0.  1884,  Rostock 
1886).  In  der  botanischen  Professur  folgte  auf  den  am  18.  September  1887  in  Folge 
eines  unglücklichen  Falles  plötzlich  verstorbenen  Robert  Caspary  Christian  Luerssen 
(geb.  6.  Mai  1843  in  Bremen,  PD.  in  Leipzig  1872,  Prof.  in  Neustadt-Eberswalde  1884).  — 
Die  chemische  Professur  übernahm  nach  Werthers  Tod  (29.  Juni  1869)  Karl  Grabe 
(geb.  4.  Februar  1841,  jetzt  in  Genf),  und  als  dieser  Krankheits  halber  ausschied,  im 
Herbst  1877  Wilhelm  Lossen  (geb.  18.  Mai  1839  in  Kreuznach,  in  Heidelberg  PD. 
1886,  EO.  1870),  dem  es  vergönnt  war,  mit  dem  S.S.  1888  das  stattliche  neue  Laboratorium 
einzuweihen.     Den  pharmaceutischen  Unterricht  leitet  Hermann  Spirgatis  seit  1868  als  0. 

Dem  mit  der  Universität  verbundenen  landwirthschaftlichen  Institut  stand 
1869—86  Theodor  von  der  Goltz  (geb.  10.  Juni  1836  zu  Coblenz,  Lehrer  zu  Waldau, 
0.  1869,  jetzt  in  Jena)  vor,  wo  ihm  Wilhelm  Fleischmann  (geb.  21.  December  1837 
zu  Erlangen)  folgte.  Die  Professur  für  landwirthschaftliche  Chemie  bekleidet  seit  1873 
Heinrich  Ritthausen  (geb.  13.  Januar  1826  zu  Armenruh  bei  Goldberg  in  Schlesien, 
1868 — 73  in  Poppeisdorf),  das  Extraordinariat  als  Nachfolger  von  Liebenbergs  (1876-78) 
Gustav  Marek  (geb.  13.  Juli  1840  zu  Kaschau,  PD.  in  Wien  1874,  Halle  1877). 


Inhalts-Uebersicht. 


1- 

-150 

4- 

-15 

15- 

-25 

25- 

-36 

37- 

-52 

52- 

-73 

73- 

-88 

88- 

-127 

107- 

-150 

107- 

-111 

I.  Die  Albertus-Universität  vom  Tode  Kants  bis  zum  Ende  ihres  dritten  Jahrhimderts 

I.  Der  erste  Versuch  zur  Reorganisation  der  Albertina  llSOö— (j 

II.  Anfänge  der  inneren  und  äusseren  Erneuung 

in.  Das    kronprinzliche    Rectorat    und    der    Beginn    des    Neubaues    der    Albertus-Universität. 

lSOS-12 

IV.  Die  Zeit  der  Knechtschaft  und  der  Erhebung.    1811  —  17 

V.  Unter  dem  Druck  der  Karlsbader  Beschlösse.    1818-24 

VI.  Jahre  des  Stillstandes,    1824-34 

VII.  Der  Ausgang  des  dritten  Jahrhunderts  und  die  Vorboten  der  neuen  Zeit.    1834 — 44  .    .    . 
VIII.  Lehrer,  Lehre  und  wissenschaftliches  Leben  der  Albertina    1805—44 

1.  Die  Entwickeluog  im  Allgemeinen 

2.  Philosophie,  Astronomie,  Mathematik,  Medicia    und   beschreibende   Naturwissen- 

schafton   111-127 

3.  Die  philologisch-historischen  Studien 127—139 

4.  Staats-  und  Rechtswissenschaft 

5.  Die  theologische  Facultät 

II.  Die  Albertus-Universität  im  siebenten  halben  Jahrhundert  ihres  Bestehens.  1844—94 

L  Die  Jahre  1844^62 

II.  Lehre  und  Lernen  auf  der  Albertus-Universität  1844 — 62 

III.  Die  Hauptrichtungen  in  der  Entwickelung  der  Albertus-Universität  1862—94 

1.  Die    allgemeinen    Verhältnisse    der    Albertus-Universität    während    des    letzten 

Menschenalters  1862—94 207—218 

2.  Vervielfältigung   und  Vervollkommnung    der    akademischen  Lehrmittel   während 

der  letzten  30  Jahre 218-224 

3.  Die  Studirenden  und  die  Lehrer  der  Albertina  während  der  letzten  30  Jahre  .     224—239 


139- 

-145 

145- 

-150 

151- 

-239 

153- 

-192 

192- 

-207 

207- 

-239 

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